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Weltanschauung

2019, in: Welt-Komposita. Ein Lexikon, hg. v. Thomas Erthel, Robert Stockhammer

Etwas am Wort Weltanschauung ist bekenntnishaft, es transportiert einen suggestiven Mehrwert, der nicht leicht zu erfassen ist. Adorno konstatiert in der Philosophischen Terminologie, dass es häufig mit einem Possessivpronomen versehen wird: "meine Weltanschauung". Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Freiheit nicht nur des religiösen, sondern auch des „weltanschaulichen Bekenntnisses“ verankert (Art. 4 GG); historisch und systematisch betrachtet ist der Begriff zudem in der Nachbarschaft von Wissenschaft und Ideologie anzusiedeln. Jede eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Kompositum muss sich mit dem aporetischen Verhältnis von Subjektivität und Geltungsanspruch, Relativismus und verabsolutierender Setzung befassen. Dabei handelt es sich bei dem Wort selbst um eine sehr deutsche Angelegenheit. Wie Angst, Besserwisser und Lebensraum, figuriert das Wort Weltanschauung als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen; es zählt zu den sogenannten Intraduisibles; das Englische world view ist zu optisch, world concept wiederum zu konzeptuell. Es ist die Geschichte deutschsprachiger Philosophie sowie die politische Geschichte Deutschlands überhaupt, die den Ruhm wie die Infamie des Weltanschauungsbegriffs begründet haben. - - - Aus der Verlagsankündigung des Lexikons: "Weltgeschichte, Halbwelt, Weltanschauung: Es gibt keine Welt ohne Welt-Komposita. Das Lexikon entfaltet diese These in 57 Artikeln im Grenzbereich von Essay und Wortgeschichte. Die Rede von der Welt ist in aller Munde, zumal angesichts der aktuellen Dynamik, die als fortgeschrittene ‚Globalisierung‘ begriffen wird. Besonders in der deutschen Sprache tritt das kleine Wort mit der großen Bedeutung häufig in zusammengesetzten Wörtern auf. Solche Welt-Komposita sind immer auch Verfahren, Welten – die es ja nicht an sich und je schon gibt – zu komponieren, und ihre genauere Analyse ermöglicht Einblicke in die Vielfalt der Kompositionsweisen."

periplous Münchener Studien zur Literaturwissenschaft Herausgegeben von Tobias Döring, Martin von Koppenfels, Inka Mülder-Bach und Robert Stockhammer Wissenschaftlicher Beirat Ulrike Sprenger (Konstanz) Paul Fleming (Ithaca, NY) John T. Hamilton (Cambridge, MA) Periplous (περίπλους, pl. περίπλοι). Umschiffung, Küstenfahrt, aber auch schriftliche Navigationshilfe, welche Häfen sowie die Richtungen und Entfernungen zwischen diesen auflistet. Die frühesten Exemplare sind für das 5. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. Thomas Erthel, Robert Stockhammer (Hg.) Welt-Komposita Ein Lexikon Wilhelm Fink Weltanschauung 15 Trek – europäische bzw. US-amerikanische Fortschrittsphantasien ins Exponentielle übersteigern. Gleichzeitig entwirft Star Trek die Zukunft einer Menschheit, die alle inneren Ungleichheiten überwunden hat – eine Vision, die oft genug in den zahllosen Serien und Filmen dieses speziellen Subgenres die Stärke besitzt, die neue Einheit der ‚Föderation der Planeten‘ nicht darauf zu errichten, dass die Geschichte dieser Asymmetrien verdrängt wird, sondern im Gegenteil die Ungleichheiten als historische Phänomene mitzudenken und durchzuarbeiten. So wird eine spezifische Denkfigur vermieden, welche die Außenperspektive des Alls mit sich bringt: die Verklärung einer harmonischen Menschheit, die die globale Geschichte nicht berücksichtigt, sondern ausradiert zugunsten einer heilen Welt (Cosgrove, Eye 3–5); die Welt ist aber eben keine harmonische Einheit, sondern eins und ungleich (=> Weltsystem). Bemerkenswert oft schafft es der optimistische Trek in die Sterne, dies zu berücksichtigen. Freilich gibt es auch weniger optimistische SF-Erzählungen, die eine spezifische Perspektive – nicht zuletzt auf die aktuelle Phase der Globalisierung – anbieten. Exemplarisch zu nennen ist hier die afrikanische SF, deren Ausdruckskraft in einschlägiger Forschung nachvollziehbar ist (Barbini). Anders gesagt wirft die Reise ins Weltall auf das Definieren von ‚Welt‘ zurück, vorausgesetzt man versteht darunter eine dezidiert menschliche Sinneinheit: die für ‚uns‘ maßgebliche soziale Realität. Gleiches scheint zuverlässig die Erfahrung realer Astronauten zu bestimmen, die wiederholt kundgetan haben, die Reise ins All habe sie vor allem einsehen lassen, dass die Menschheit es sich nicht weiter erlauben könne, Raubbau an der Erde zu betreiben. Sieht man von den allgegenwärtigen universalistischen Formeln ab, die in diesem Sprechen in ungeheurer Dichte auftreten, so lässt sich die durch persönliche Weltraum-Erfahrung neugewonnene Erfahrung destillieren, welche bestätigt, was Globalisierungstheorien zu betonen nicht müde werden: dass die Erde ein geschlossener „Handlungsraum“ ist, „dessen Endlichkeit die Menschheit einengt“ (Osterhammel u. Petersson 110). Thomas Erthel Weltanschauung Etwas am Wort Weltanschauung ist bekenntnishaft, es transportiert einen suggestiven Mehrwert, der nicht leicht zu erfassen ist. Adorno konstatiert in der Philosophischen Terminologie, dass es häufig mit einem Possessivpronomen versehen wird: „[E]s ist wohl allgemein für den weltanschaulich Denkenden 16 Weltanschauung charakteristisch, daß er dazu neigt, von einer Weltanschauung als ‚meine Weltanschauung‘ zu sprechen“ (I 118). Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Freiheit nicht nur des religiösen, sondern auch des „weltanschaulichen Bekenntnisses“ verankert (Art. 4 GG); historisch und systematisch betrachtet ist der Begriff zudem in der Nachbarschaft von Wissenschaft und Ideologie anzusiedeln. In Abgrenzung zum Begriff ‚Weltbild‘, der auf die illustrierten => Weltkarten von Orbis sensualium pictus (1658) zurückgeführt werden kann (Thomé, „Weltbild“ 461), lässt sich eine Weltanschauung mit Walter Bruggers Philosophischem Wörterbuch als „wertende stellungnahme zum ganzen der welt“ begreifen, die eine „antwort auf die letzten fragen nach ursprung, sinn und ziel der welt“ einschließe (zit. in Deutsches Wörterbuch 1532). Eine Weltanschauung erhebt den Anspruch, mehr zu sein als eine bloße Sichtweise auf die Welt, mehr auch als eine Synthese verschiedener Weltbilder, wie sie für einzelne Bereiche der Wissenschaft gültig sein mögen (Thomé, „Weltanschauung“ 341). Eine Weltanschauung kann somit als Einstellung zur Welt insgesamt verstanden werden, die im konkreten Fall als religiös, atheistisch, spirituell, rational, wissenschaftlich, politisch oder philosophisch genauer zu bestimmen wäre, oder aber als eine (beinahe) beliebige Kombination zweier oder mehrerer dieser Elemente. Jede eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Kompositum muss sich mit dem aporetischen Verhältnis von Subjektivität und Geltungsanspruch, Relativismus und verabsolutierender Setzung befassen. Dabei handelt es sich bei dem Wort selbst – auch vom verfassungsrechtlichen Status in der Bundesrepublik abgesehen – um eine sehr deutsche Angelegenheit. Wie Angst, Besserwisser und Lebensraum, figuriert das Wort Weltanschauung als Lehnwort in zahlreichen anderen Sprachen; es zählt zu den sogenannten Intraduisibles (Cassin 1396 f; Bretschneider 277); das Englische world view ist zu optisch, world concept wiederum zu konzeptuell. Es ist die Geschichte deutschsprachiger Philosophie sowie die politische Geschichte Deutschlands überhaupt, die den Ruhm wie die Infamie des Weltanschauungsbegriffs begründet haben. Um mit der Infamie zu beginnen, war der Weltanschauungsbegriff für die NS-Ideologie zentral. Der Begriff diente nicht nur ihrer Artikulation in Schriften wie Hitlers Mein Kampf (1925) oder Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts (1930), sondern war zudem institutionell verankert. Im Jahr 1934 wurde Rosenberg von Hitler zum Beauftragten für „geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung“ der NSDAP ernannt und leitete seine neue Tätigkeit mit der Rundfunkrede Der Kampf um die Weltanschauung ein. Darin beschreibt er die „neue Weltanschauung“ als Ergebnis harmonischen Zusammenfindens von „deutsche[m] Empfinden“ einerseits und „Rassenkunde“ Weltanschauung 17 andererseits (8), die er als hohe wissenschaftliche Errungenschaft und insofern als Objektivitätskriterium rühmt. Es lohnt sich, zumindest kurz bei dieser Rede zu verweilen. Wie zu erwarten, wird darin die nationalsozialistische Weltanschauung eng an den völkisch und biologistisch gedachten Charakter eines jeden wahren Deutschen geknüpft: „Blut und Charakter, Rasse und Seele“ seien nur verschiedene Bezeichnungen für das gleiche Wesen; „in einer höheren Schau“ bestätige die „neue Weltanschauung“ die „Urgründe des eignen Ichs“ (12). Als Kontrastfolie für diese Harmonie von Ich und Welt zieht Rosenberg die üblichen antisemitischen Stereotypen heran, darunter vor allem die Vorstellung von der zersetzenden Kraft des „blutlosen, haltlosen Großstadtintellektualismus“, die, neben der Verstädterung überhaupt, den ökonomischen Liberalismus wie den Bolschewismus ermöglicht habe (6). Diese Faktoren hätten ihrerseits einen zunehmenden Internationalismus verstärkt, der zu weiterer Zersetzung beigetragen habe: Wahrhaft international seien ohnehin immer nur „Gaukler, Scharlatane und Volksbetrüger“ gewesen (7). Gegen die allseits drohende Degeneration, Entfremdung und Entwurzelung präsentiert Rosenberg die nationalsozialistische Weltanschauung als Heilmittel. Dem explizit verkündeten Anti-Internationalismus zum Trotz richtet er dabei seine Worte an die ganze Welt: Glaubt man der Anmerkung des Zentralverlags der NSDAP in der Druckfassung, wurde die Rede per Rundfunk „nach Süd- und Nordamerika, Afrika und Asien“ (3) übertragen. Hier kippt die Besinnung auf eine vermeintlich eigene, den ‚Urgründen des Ichs‘ entsprechende Anschauung in absoluten Geltungsanspruch um, der im Verlauf des darauf folgenden Jahrzehnts als Rationalisierung von militärischer Expansion und eliminatorischem Antisemitismus dienen sollte. Es verwundert also nicht, dass Victor Klemperer das Wort Weltanschauung als „Pfeilerwort der LTI“ (164), der Lingua Tertii Imperii, bezeichnet und unmittelbar nach Kriegsende in seinen „Erlebnisbericht“ (24) über die Sprache des Dritten Reichs aufnimmt. Klemperer berichtet, dass er im Verlauf weniger Jahrzehnte habe beobachten können, wie sich der Begriff aus einem neuromantischen „Klüngelwort“ (164) in ein Wort zur Opposition gegen Dekadenz verwandelt habe, um schließlich staatstragend zu werden. Die Gründe für die bedenkliche Karriere des Begriffs lauscht Klemperer dem Wort selbst ab: Er interpretiert die mit -anschauung hervorgehobene optische Dimension als Abgrenzung gegenüber der denkenden Abstraktion, wobei er zugleich betont, dass es sich keineswegs um eine Angelegenheit des Auges allein handle. Im Deutschen sei das Wort schauen vielmehr einem „ahnungsvoll verschwommenen – ich weiß nicht, sage ich Tun oder Zustande vorbehalten: Es bezeichnet ein Sehen, das mehr sieht als nur die Außenseite des betrachteten 18 Weltanschauung Gegenstandes, das seinen Kern, seine Seele auf eine geheimnisvolle Weise miterfasst“ (115). Weder das von Klemperer registrierte Raunen des Wortes, noch seine politische Instrumentalisierung im 20. Jahrhundert ist mit den nüchternen Anfängen des philosophischen Weltanschauungsdiskurses kompatibel. Erstmals belegt ist das Wort Weltanschauung in Kants Kritik der Urteilskraft (1790), bezogen auf das Ergebnis der Synthetisierungsleistung des nach Totalität verlangenden Subjekts. Es bezeichnet hier eine von der Vernunft gebildete Gesamtauffassung, die gerade nicht einem Kern entspringt oder irgendwo wurzelt. Die Weltanschauung im Sinne Kants entspricht auch keinem extern vorhandenen Gegenstand, sondern liegt in einer „Erweiterung des Gemüts“ begründet, „welches die Schranken der Sinnlichkeit […] zu überschreiten sich vermögend fühlt“ (§ 26; A 92). Gerade weil die Weltanschauung, diesem trügerischen Gefühl zum Trotz, keine objektiven oder ontologischen Folgerungen über den Zusammenhang der Dinge erlaubt, bildet sie bei Kant einen wesentlichen Bestandteil der Erkenntniskritik: als Ausgangspunkt für eine Selbstreflexion der Vernunft.7 Das Wort betritt also die Philosophiegeschichte als Oxymoron; seine Bestandteile streben auseinander, denn die ‚Welt‘ entzieht sich der ‚Anschauung‘ (Bretschneider 278). Der Weg von Kant bis hin zu den Weltanschauungskämpfen um 1900 ist lang und lässt sich kaum als kausale Abfolge von Schritten fassen. Im Sinne der romantischen Kritik am Rationalismus ergänzten Friedrich Schelling und vor allem Friedrich Schleiermacher die von Kant geprägte Bestimmung des Begriffs: In seinen Vorlesungen über Pädagogik (1813) charakterisierte Schleiermacher die Weltanschauung als die vom Subjekt im Verlauf von Erziehung und Entwicklung gebildete „Totalität aller Eindrücke“, die das rezeptive „Chaos des Neugeborenen“ ersetzt (236). Hier verfährt die Weltanschauung nicht nur spekulierend, sondern vor allem integrativ. Bei Goethe wird mit der Anlehnung an die morphologische Gestaltenlehre die Distanz zur Transzendentalphilosophie noch größer: Die psychische Fähigkeit eines durch Erfahrung gebildeten 7 Dabei geht der hohe Stellenwert der Vernunft bzw. des Geistes bei Kant im Neukantianismus mitunter verloren, wenn etwa Hermann von Helmholtz unter Rückgriff auf naturwissenschaftliche Studien zur visuellen Wahrnehmung die grundsätzliche Inkongruenz zwischen Anschauung und Welt hervorhebt. Damit projiziert er seine physikalischen Befunde, denen zufolge das Auge vor allem optische Fehlleistungen hervorbringe, auf Kants Erkenntnislehre und zieht die Konsequenz einer Weltanschauung, in der die empirische Naturwissenschaft als Leitdisziplin fungiert und die Philosophie radikal an Bedeutung einbüßt (Fick 37 f). Es bleibt allerdings zu bedenken, dass der radikale Materialismus des physikalischen Reduktionismus für Freud die Grundlage der Metapsychologie liefert, bei der wiederum ein spekulierender, an Theorie höchst interessierter ‚Geist‘ unter veränderten Vorzeichen die Bühne betritt. Weltanschauung 19 Subjekts mitsamt seiner Autonomieansprüche tritt hier an die Stelle des transzendentalen Vermögens, womit die später beginnende Subjektivierung des Begriffs vorbereitet wird (Thomé, „Weltanschauung“ 453 f). Die fiebrigste Phase in der Mythologisierung Goethes koinzidiert zeitlich mit der Etablierung des Weltanschauungsbegriffs als Modewort. In der Philologie wurden Goethes Faust-Dramen, die bereits von Schelling und Hegel zum Nationalkunstwerk erklärt wurden, lange als dichterische Umsetzung seiner Weltanschauung gelesen. Mit ihrem Erfolg setzt die immense Popularisierung des Weltanschauungsbegriffs auch außerhalb des im engeren Sinne philosophischen Diskurses ein. Dabei wäre es einer kritischen Studie wert, den Einfluss genauer zu ermitteln, den Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, als Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes (1882– 1897) auf die Rezeption derselben im Rahmen der Weltanschauungsliteratur um 1900 ausübte. Steiners eigene Publikationen bilden ein paradigmatisches Beispiel für den Rekurs auf Goethes Naturauffassung in dieser Zeit: Im Jahr 1897 erschien die Monografie Goethes Weltanschauung, 1902 folgte Goethes Faust als Bild seiner esoterischen Weltanschauung. Der darin artikulierte anthroposophische Weltanschauungsbegriff beruft sich auf Goethes Naturauffassung als Ergänzung bzw. Alternative zu den exakten Wissenschaften.8 Einen weiteren Schritt für den mit dem Namen Goethe verbundenen Weltanschauungsdiskurs bildet, auf Steiner aufbauend, das Werk Houston Stewart Chamberlains (Wenzel 795), dessen völkische Rassentheorie für den nationalsozialistischen Antisemitismus entscheidend werden sollte, unter anderem aufgrund seines Buches Arische Weltanschauung (1905). Chamberlains Studie Goethe (1912) wurde allerdings auch von Denkern wie Georg Simmel und Walter Benjamin affirmativ rezipiert. Für die Weltanschauung Chamberlains war die Amalgamierung darwinistischer Elemente mit der Morphologie Goethes zentral, wobei er sich entschieden gegen den Biologen Ernst Haeckel abgrenzte, der sich allerdings auf die gleichen Vorläufer stützte: Auch Haeckel, dessen evolutionistischer Monismus einen immensen Einfluss auf das politische Denken um 1900 ausübte, stilisierte sich selbst als darwinistischer Nachfolger Goethes. Während Goethe jedoch von einer geeinten Zweinatur sprach, schließt Haeckel seine Naturauffassung zu einer „Totalität beanspruchenden Weltanschauung“ (Kleeberg 257). Haeckel sah es als Aufgabe der Naturwissenschaft, die Religion zu zertrümmern. In Die Welträtsel (1899) verkündet er die monistische 8 Steiners Goethe-Studien sowie ein entsprechender Weltanschauungsbegriff führen bis heute in entsprechenden Nischen, wie zahlreichen anthroposophischen Internetseiten abzulesen ist, ein reges Nachleben. 20 Weltanschauung Weltanschauung als Nachfolgerin der christlichen und erklärt die vom Materialisten Emil du Bois-Reymond im Jahr 1880 postulierten Grenzen der Naturerkenntnis gleich zu Beginn für aufgehoben (26 f). Der Gewinn bestehe in „einer klaren, einheitlichen Weltanschauung“ (429), denn auf Anschauung, Gestalt, Morphologie und Fortschrittsparadigma liegt der Fokus bei Haeckel durchgehend. Was diese sehr unterschiedlichen Goethe-Verehrer über alle gegenseitigen Abgrenzungsbemühungen hinweg miteinander verbindet, ist das Ideal eines schauenden Wissens, das mit der Vorstellung einer für spezifisch deutsch befundenen Tiefgründigkeit einhergeht. Per Leo spricht vom „sozialmorphologischen Paradigma“ als weltanschauliche Brücke in den NS-Staat (571 f). Meistens wird allerdings vergessen, dass auch Haeckels Weltanschauung nicht nur in rechts- und kulturkonservativen Kreisen, sondern in allen gesellschaftlichen Schichten und über das gesamte politische Spektrum rezipiert wurde (Kelly 123–141). Sie holt selbst die (nach-)marxistische Theoriebildung ein, deren Weltanschauungsbegriff sich eigentlich über die Linie Hegel-Feuerbach herleitete. In der Ästhetik war Hegel von der idealistischen Annahme einer welterzeugenden Subjektivität ausgegangen, wobei er die Philosophie als Verkörperung des objektiven Sinns verstand: Die „Stufenfolge bestimmter Weltanschauungen“ – der Plural ist hier auffällig – entspricht hier der Entwicklung des „Bewußtseins des Natürlichen, Menschlichen und Göttlichen“ (I 80). Neben dem damit implizierten Objektivitätsanspruch führt das teleologische Modell Hegels eine Pluralität und (geistes-)geschichtlich determinierte Subjektivität der Anschauungen ein. Diese Tendenz war schon durch Fichte und Schleiermacher vorbereitet worden und ebnete den Weg für die spätere Besetzung des Weltanschauungsbegriff durch kollektive Formierungen (Bretschneider 278). Die materialistische Hegelkritik durch Feuerbach und Marx ließ die gesellschaftlich-ökonomische Praxis an die Stelle des Hegel’schen Weltgeistes rücken. Für eine kurze Zeit figurierte der Weltanschauungsbegriff als Vorläufer des marxistischen Ideologiebegriffs, also eindeutig dem Schein zugehörig. Bei Engels, im Anti-Dühring (1876–78) sowie in der posthum publizierten Dialektik der Natur (1925), kehrt allerdings der emphatische Weltanschauungsbegriff wieder, und zwar durchaus im Sinne des von Haeckel beeinflussten sozialistischen Darwinismus, der den gesellschaftlichen Fortschritt als Verlängerung des Fortschritts in der Natur interpretiert. Die, mit Blumenberg gesprochen, „fatale Karriere“ (Lebenszeit 9) des Begriffs ereignet sich zwischen der Restauration nach 1848 und der Entstehung des Nationalsozialismus. Vom Beginn dieses Zeitraums an bewegt sich der Diskurs kreuz und quer über ideologische und disziplinäre Grenzen, so dass die genauen Rezeptionszusammenhänge sich spätestens um 1900 der Weltanschauung 21 Systematisierbarkeit entziehen. Es könnten noch sehr viele Namen und Titel genannt werden: Gustav Theodor Fechners Über die Seelenfrage. Ein Gang durch die sichtbare Welt, um die unsichtbare zu finden (1861), Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (1918–1922) oder die Typologisierungen von Wilhelm Dilthey und Karl Jaspers; es müsste auch nach der Funktion des Begriffs jenseits des deutschen Sprachraums gefragt werden, etwa bei William James und Kierkegaard (verdensanskuelse). Mit Blick auf die Divergenz, die den Weltanschauungsdiskurs in diesem Zeitraum kennzeichnet, hat sich in der Literaturwissenschaft wie in der Wissenschaftsgeschichte der Vorschlag Horst Thomés durchgesetzt, von „Weltanschauungsliteratur“ als „Funktion und Texttyp“ zu sprechen. Thomé definiert eine Weltanschauung als das „gestaltete Bekenntnis eines individuellen Erlebnisses von allgemeiner Bedeutung“ („Weltanschauungsliteratur“ 358), beruhend auf der „Interdependenz von Wissensdemonstration, Autobiografie und Spekulation“ (359). Der Fokus auf die Strukturmerkmale dieses Genres ist besonders vor dem Hintergrund der Diversifizierung und Spezialisierung der Einzelwissenschaften fruchtbar: Um 1900 fungiert Weltanschauung als Strategie zur Krisenbewältigung (356; Drehsen u. Sparn 19 f). Das Ich der Weltanschauung, so Thomé, werde als epistemisches Subjekt stilisiert, ihm komme das Merkmal der Auserwähltheit zu (361, Anm. 64). Entsprechend sei sein Stellenwert als Erzählinstanz enorm und äußere sich in Form von eklektizistischen Demonstrationen von Wissenschaftlichkeit. Genretypisch seien populärwissenschaftlich gestaltete Erlebnis- und Erfahrungsberichte, in denen ein Ich sich selbst „Wissenschaftsheroismus“ zuschreibe und sich über die „mikroskopische Wirrsal“ erhebe, um „Sinn“ zu erfassen (357). In einer Fußnote skizziert Thomé eine aufsteigende Linie der Megalomanie von Ernst Haeckel über Otto Weiningers Geschlecht und Charakter und das Wahngebäude Daniel Paul Schrebers in den Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken bis hin zu Hitlers Mein Kampf als äußerstem Grenzfall strukturanalytisch überhaupt erfassbarer Weltanschauungsliteratur (361, Anm. 64). Da der affektive Wert des Konzepts ‚Weltanschauung‘ für seine politische Instrumentalisierbarkeit entscheidend sein dürfte, gilt es, in einem letzten Schritt den Umgang Freuds und Adornos mit diesem Problemfeld nachzuzeichnen. Mit Blick auf die Selbstilisierung Freuds sowie seinen Anspruch einer allgemeinen Kulturtheorie ordnet Thomé auch die Psychoanalyse der Weltanschauungsliteratur zu (363). Damit übersieht er jedoch, dass die dezidiert spekulativ vorgehende Theorie Freuds, gerade mit Konzepten wie Unbewusstes, Verdrängung, Latenz, Wiederholung und Entstellung, am ehesten zur Demontage weltanschaulicher Ansprüche beiträgt. Mehr noch: Die Theorie Freuds liefert ein Instrumentarium zum Verständnis und zur 22 Weltanschauung Dekonstruktion des populären Weltanschauungsdiskurses in den Jahrzehnten vor dem Nationalsozialismus. In seiner nie gehaltenen Vorlesung „Über eine Weltanschauung“ aus dem Jahr 1932 erklärt Freud, dass die Psychoanalyse als Weltanschauung „ganz ungeeignet“ (586) sei. Den Besitz einer Weltanschauung zählt er zu den Idealwünschen der Menschheit, das Konzept verspreche die einheitliche Lösung „aller Probleme unseres Daseins aus einer übergeordneten Annahme“ (586). Genau dieser Wunsch sei mit den wissenschaftlichen Ansprüchen der Psychoanalyse nicht vereinbar: Als Wissenschaft verfüge sie über „wesentlich negative Züge“; sie sei durch die „Einschränkung auf das Wissbare“ und die „Ablehnung der Illusionen“ charakterisiert; sie „schaut nicht alles an, sie ist zu unvollendet, erhebt keinen Anspruch auf Geschlossenheit und Systembildung“ (608). Die Weltanschauung dagegen zeuge, darin der Religion ähnlich, von einer „Überschätzung der eigenen intellektuellen Operationen“ (592) im Sinne einer infantilen bzw. animistischen Allmachtsfantasie, die Freud strukturanalog zum ozeanischen Gefühl erläutert. In Das Unbehagen in der Kultur hatte er dieses Gefühl als narzisstisch entlarvt: Hinter der scheinbar bescheidenen Bereitschaft, das „Eins-Sein mit dem All“ (204) zu empfinden, verberge sich die größenwahnsinnige Vorstellung, qua Intuition mit der ganzen Welt in Verbindung zu stehen. „Dies bedeutet keineswegs, diese Wünsche verächtlich beiseite zu schieben“, versichert Freud in „Über eine Weltanschauung“ (587). Wenn man allerdings die „Übertragung dieser Ansprüche auf das Gebiet der Erkenntnis“ zulasse, seien die Wege ins „Reich der […] Massenpsychose“ geöffnet (587). Auf die gleiche Struktur greift Adorno zurück, wenn er dreißig Jahre später in seiner Philosophischen Terminologie (1962–63) die „Liquidation der Weltanschauung“ (I 123) zur Aufgabe der Philosophie erklärt. Als ebenso pompös wie unverbindlich charakterisiert er die Erwartung weltanschaulichen Denkens, „nun des Ganzen, das im wissenschaftlichen Betrieb aufgespalten und zerteilt ist, unmittelbar wie mit einem Zauberschlag, nämlich bloß durch den subjektiven Akt, habhaft werden zu können“ (92). Wenn Adorno die „Sphäre der Weltanschauung“ als die „zum System erhobene Meinung“ definiert (118), lohnt es sich, den im gleichen Zeitraum entstandenen Essay „Meinung, Wahn, Gesellschaft“ (1963) heranzuziehen: Die Meinung, heißt es dort, sei die „Setzung eines subjektiven, in seinem Wahrheitsgehalt beschränkten Bewußtseins als gültig“ (574). Die Betonung des Subjektiven – etwa bei der Wendung ‚das ist meine Meinung‘ – sei nur scheinbar eine Einschränkung. Wer beharrlich ‚Ich meine‘ sage, verleihe seiner Meinung den Status eines Bekenntnisses, seinem Urteil Autorität durch die Beziehung auf sich selbst als Subjekt: „[E]r habe die Courage Unbeliebtes, in Wahrheit nur allzu beliebtes zu sagen“ (575). Dabei Weltanschauung 23 werde die Meinung meistens affektiv besetzt: Was sie entkräften könnte, wird „vom Unbewussten oder Vorbewussten registriert, als werde ihm selbst geschadet“ (576). Um Kränkungen vorzubeugen, werden „törichte Meinungen“ deshalb hartnäckig verteidigt: „Der Rechthaber entwickelt, um nur ja die narzisstische Schädigung von sich fern zu halten […] einen Scharfsinn, der oft weit seine intellektuellen Verhältnisse übersteigt“ (576). Verlängert man diese Dynamik um die ‚zum System erhobene Meinung‘ und berücksichtigt man dabei die semiotischen Abdichtungsbemühungen als Charakteristikum von Weltanschauungsliteratur, drängt sich die Struktur der Paranoia als Lektüremuster auf. In der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht behandelte Kant die „falsch dichtende Einbildungskraft“ als eine Unterkategorie des Wahnsinns, die gerade nicht unvernünftig sei. Als ‚rasende Vernunft‘ operiere sie vielmehr mit einem Exzess an Logik und Scharfsinn, wenn auch unter verkehrten Prämissen (BA 145). Im Spannungsfeld von Methode und Wahn ergibt sich die Relevanz von Freuds Studie über den Fall Daniel Paul Schreber für eine Analyse des Weltanschauungsdiskurses. Laut gerichtsärztlichem Gutachten aus dem Jahr 1899 war der ehemalige Senatspräsident Schreber Anhänger eines „mehr oder weniger fixierten folgerichtig aufgebauten Wahnsystems“ (zit. in Schreber 324), seiner „krankhaft veränderten Weltanschauung“ (325). Im Jahr 1902 gelang es Schreber, die Aufhebung seiner Entmündigung vor Gericht zu bewirken: Des juristischen Diskurses mächtig, verteidigte er sein psychotisches Denkgebäude unter Berufung auf die Religionsfreiheit und bestand darauf, nicht im rechtlich relevanten Sinn geisteskrank zu sein, sondern lediglich über seine erregten Nerven in unmittelbarem Strahlenkontakt mit Gott und dem Universum zu stehen (196). Schrebers Buch, die Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903), bedient sich zahlreicher Fragmente aus dem Weltanschauungsdiskurs um 1900: Psychophysik, Psychiatrie, Medizin, Theologie, Spiritismus, evolutionistischer Monismus sowie Schlagworte aus dem Kulturkampf der Bismarckzeit. In seinen „Psychoanalytischen Bemerkungen“ (1910/11) zum Fall staunt Freud über die „Mischung aus Plattem und Geistreichem, von geborgten und originellen Elementen“ (149) und spricht nicht ohne Bewunderung vom „Scharfsinn“ „des als Paranoiker Erkannten“ (144). Im Verlauf der Studie avanciert der Narzissmus zum zentralen Bestandteil des Freud’schen Verständnisses von Paranoia. Die Verdrängung eines homoerotischen Impulses sei der Auslöser von Schrebers Krise: In der Wahnvorstellung, Gott würde in kosmischer Konspiration auf seine Entmannung zielen (Schreber 93), äußere sich der verdrängte Wunsch als paranoide Projektion, und das Wahngebäude selbst, die Kosmologie Schrebers, sei der Versuch, die drohende Kränkung vom Leib zu halten. Wenn Schreber glaubt, „die Welt sei zu Grunde gegangen“ (in: 24 Weltanschauung Schreber 276), liest Freud diesen Weltuntergang als Projektion der innerlichen Katastrophe eines narzisstischen Subjekts, das der Außenwelt die Libidobesetzung entzogen habe (192). Um dies zu veranschaulichen, zitiert Freud Goethes Faust. Der Titelheld hat sich mit einem Fluch von der Welt losgesagt, es singt der Geisterchor: „Weh! Weh! / Du hast sie zerstört, / Die schöne Welt, / Mit mächtiger Faust; / Sie stürzt, sie zerfällt! / Ein Halbgott hat sie zerschlagen! / […] / Mächtiger / Der Erdensöhne, / Prächtiger / Baue sie wieder, / In deinem Busen baue sie auf!“ (v. 1607–12, 1617–21; zit. in Freud 193) – und der Paranoiker, so Freud, baue sie wieder auf. Adorno verzichtet darauf, zwischen harmlosen und gefährlichen Formen weltanschaulicher Bedürfnisse zu trennen. Dabei steht sein Aufruf zur „Liquidation von Weltanschauung“ in eigentümlichem Kontrast zu der Aussage, dass mit dem Wort „heute nicht mehr viel Staat“ zu machen sei; es habe einen „leise altertümlichen Ton“; „günstigenfalls Jugendstil oder ungünstigenfalls Monismus“ würden einem assoziativ dazu einfallen (Terminologie I, 124). Die aktuelle zeitdiagnostische Relevanz einer psychoanalytisch informierten Herangehensweise an das Phänomen liegt jedoch damals wie heute auf der Hand. Auch wenn der Begriff selbst den Diskurs längst nicht mehr dominiert, trifft die Analyse des Spannungsfelds von Relativismus und Geltungsanspruch, Individualismus und kollektiver Formierung, Kränkung und Paranoia auf Dynamiken zu, die das gegenwärtige Debattenklima bestimmen. Man denke an die Struktur von rechtsradikalen Narrativen und Verschwörungstheorien, an die Identitäre Bewegung, an Debatten um alternative facts sowie an populistische Redner, die Invasionsängste schüren, indem sie sich selbst und ihresgleichen unter Berufung auf freie Meinungsäußerung als Unterdrückte inszenieren – als drohte die Kastration durch Genderwahn, Migrationsflut, Klimaschutz, Verweiblichung der Gesellschaft oder political correctness. Adornos Kommentare zum Begriff der ‚Weltanschauung‘ führen eine dialektische Kippbewegung aus: Einerseits ist die Liquidation der Weltanschauung das Ziel, offenbar ohne Kompromisse, andererseits äußert sich Adorno geradezu verständnisvoll über das weltanschauliche Bedürfnis junger Philosophiestudenten, der Zuhörer seiner Vorlesungen über Philosophische Terminologie. Ihr Verlangen nach Totalität sei stark und intensiv, und zwar „aus entwicklungspsychologischen Gründen, weil es ihnen vom Realitätsprinzip noch nicht ganz abgewöhnt, noch nicht ganz ausgetrieben worden ist“ (122). Adornos Behutsamkeit im Umgang mit der Problematik zeugt von einem Bewusstsein für die fortwährende Virulenz der Kombination aus Krisenwahrnehmung und Totalitätswunsch. Dabei schwingt die psychoanalytische Vorstellung infantiler Wünsche mit, die verdrängt im Unbewussten weiter wirken. Wer über das weltanschauliche Bedürfnis spotte, so Adorno, wehre die Außenwelt / Innenwelt 25 eigene Enttäuschung ab (122 f). Als unerträglich wird nachträglich der Wunsch empfunden, der nicht in Erfüllung ging; in monströser Form kehrt wieder, was nicht durchgearbeitet wurde. Jenny Willner Außenwelt/Innenwelt Die Außenwelt, o. Mz., der Inbegriff aller als außer uns gedachter Gegenstände unserer Vorstellungen, alles was nicht Ich ist; entgegengesetzt der Welt in uns, d. i. dem Inbegriff unserer Vorstellungen oder dem Ich (Campe I, 336). Die Innenwelt, o. Mz., die Welt in uns, der Inbegriff unserer Begriffe und Vorstellungen; der innere Mensch, in Gegensatz der Außenwelt (Campe II, 825). Die beiden Artikel in Campes Wörterbuch der deutschen Sprache, das die beiden Begriffe 1807 erstmals lexikalisch verzeichnet, verweisen zur Begriffserklärung jeweils auf den anderen. Offenbar sind sie also nur in ihrem Wechselbezug sinnvoll und weltkonstituierend. Wo einer der beiden erscheint, erklärt er sich durch die Abgrenzung vom Gegenbegriff. Implizit, meist jedoch explizit verweist einer der Begriffe, wo er auftritt, auf den anderen, auch da, wo diesem die Existenz abgesprochen wird, wenn etwa Fichte das Bewusstsein der Außenwelt in das Vorstellungsvermögen verlegt, so dass das Verhältnis des Ich zur Außenwelt sich nur durch ein „Sehnen“ darstelle (Grundlage 305). Zusätzlich bringt Campe die Innenwelt zugleich mit dem platonisch-christlichpietistischen Begriff des „inneren Menschen“ (Langen 158 u. Markschies) in Verbindung, der das neuzeitliche Verständnis von Innen und Außen geprägt hat und oft eine individuatorische Dringlichkeit in die Auseinandersetzung bringt. Insbesondere um 1900 und noch einmal an der Wende der 60er zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sind diese Begriffe präsent und werden in unterschiedlichsten Gewichtungen gegeneinander ausgespielt oder in Verbindung gebracht. Wenn Friedrich Kaulbach im Artikel „Außen/innen, Außenwelt/Innenwelt“ aus Ritters Historischem Wörterbuch der Philosophie bemerkt, „die philosophische Sprache“ verbände mit diesem Begriffspaar einen „nicht-räumlichen Sinn“ (679), so mag er recht haben. Nichtsdestoweniger ist der Begriff der ‚Außenwelt‘ nicht losgelöst von der Vorstellung räumlicher Ausdehnung denkbar – und auch immer wieder in diesem Sinne verwendet worden. Ebenso wird im alltäglichen und literarischen Gebrauch die Innenwelt mit räumlichen