Jetzt ist sie also gelaufen, die erste Folge von "Geschickt eingefädelt", der Näh-Castingshow bei Vox mit Guido Maria Kretschmer. Ich habe zwar die ganze Sendung schon beim Zuschauen mit Herrn Nahtzugabe besprochen, der aufgrund meiner beständigen Quatscherei über Nähthemen schon eine Art theoretischer Nähnerd geworden ist (kennt sich aus, näht aber nicht), aber ich habe dennoch Gesprächsbedarf. Wie fandet ihr die Folge? Ich komme ja nicht umhin, das deutsche Format mit dem britischen Vorbild zu vergleichen, ich habe hier mal geordnet, was mir aufgefallen ist:
Die Kulisse
Hier ist Vox sehr nah am Original: ein Fabrikgebäude mit lichtdurchfluteteten Räumen, Ziegelwände, ein alter Orientteppich, alte Nähmaschinen als Deko. Ich bin erleichtert, dass das Set kein rosa Barbiezimmer geworden ist, so wie die Kulisse, in der
Das große Backen stattfindet. Einen Ortswechsel in ein Café gibt es nicht - und nun ja, die Themse ist doch etwas cooler als die Spree an der Nonnendammschleuse, trotz Stadtautobahn im Hintergrund.
Die Kandidatinnen
Ich frage mich, wie unvorbereitete Zuschauer mit der Menge an neuen Leuten und Informationsschnipseln zurechtkommen. Gar nicht, vermute ich, denn auch bei jeder ersten Folge des GBSB bin ich als Zuschauerin nur am Sortieren, um mir ein Bild von den Kandidatinnen zu machen. Die Folge sprang sehr von einem zum anderen und es fiel mir schwer, mit den Personen eine Geschichte zu verbinden.
Dennoch hatte jede Kandidatin einen Moment, in dem sie glänzen konnte, in dem sie sympathisch, klug, interessant oder witzig rüberkam. Auch wenn die Jury meistens die besten Dialogzeilen bekam - Florian, wie er inmitten der Petticoatkleider steht, die er verkauft, Katja, wie sie zuhause von Kleid zu Kleid wechselt (meine Güte, hat sie schon großartige, aufwendige Sachen genäht!), Meike, wie sie den "Partyknopf" sucht, Ella, wie sie kluge Dinge über das Nähen ohne Konfektionsgrößen sagt - das bleibt in Erinnerung, und ich freue mich sehr darüber, dass niemand vorgeführt wurde und vor allem, dass es keine Einzelinterviews gibt, bei denen die Kandidatinnen fiese Sachen über ihre Mitbewerberinnen sagen.
Dass die Teilnehmenden alle mehr oder weniger in das binäre Schema "näht technisch gut, ist aber nicht kreativ" (Celine, Ines) oder "ist kreativ, kommt aber mit der Technik nicht zurecht" (Frank, Katja) hineingepresst werden - geschenkt, das kennt man ja schon von der BBC-Sendung, ebenso wie die verschiedenen Typen: "die überehrgeizige Akribische", "die sportliche Oma", "der kreative junge Mann" und so weiter. Das wird in den nächsten Folgen noch deutlicher zutage treten.
Die Jury
Guido Maria Kretschmer erfüllt eine Doppelfunktion als Gastgeber und Jurymitglied. In seiner ersten Rolle tritt er als Komplize der Kandidaten auf, berät, baut auf und rät zum Schummeln ("das muss Inge ja nicht wissen"), wird pastoral ("Nähen heißt Vertrauen") oder zum Küchenpsychologen, wenn er einen Zusammenhang zwischen Florians Verunsicherung angesichts ungleich langer Schnittteile und mangelndem Vertrauen in der Kindheit herstellt. Als Jurymitglied macht er nicht viel anderes als in Shopping Queen, nur dass er sich hier zum Teil etwas unbeholfen und mit hektischer Körpersprache durch eine Kulisse bewegen muss. Das Kommentieren aus dem Off ist wohl doch eher seine Sache. Die modische Aktualität des Genähten ist sein Bereich, der "persönliche Style" des Kandidaten, seine Sprüche ("Das ist sehr weit weg von Mode") gleichen denen aus
Shopping Queen - Guido-Fans wirds freuen, auf mich wirken die Sprüche austauschbar, sehr routiniert, aber immerhin ganz charmant und nicht bösartig bloßstellend.
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Aus diesem Buch stammt Inges grünes Kleid: Tomoko Nakamichi, Pattern Magic |
"Guter Bulle - böser Bulle" ist ja eine beliebte Taktik, und der liebe Guido findet sein Gegengewicht in der strengen
Inge, die im Verlauf der Sendung gleich zwei Mal einzelnen Kandidaten "Selbstüberschätzung" attestieren darf und beim Inspizieren der Nähwerke noch ein paar andere starke Sprüche loslässt. Nach dem, was man vorab lesen konnte, war ihr Verhältnis zu den Kandidatinnen in Wirklichkeit sehr gut und sehr herzlich - aber im Privatfernsehen braucht man wohl unbedingt eine Figur, auf die sich die negativen Emotionen der Zuschauer konzentrieren können. Diese Rolle erfüllt Inge, sicher umso mehr, als dass nicht nähende Zuschauer ihre Detailkritik an den Nähwerken sicher kaum nachvollziehen können. Sehr hübsch auch der Gegensatz, der zwischen ihr und Guido aufgebaut wird: Einmal fängt die Kamera Guidos belustigtes Augenrollen ein, während Inge von unsichtbaren Blindstichsäumen spricht.
Welche Rolle
Anke Müller erfüllt, wurde mir hingegen nicht klar. Sie soll "die Kreativität" der Kandidaten bewerten, sagt aber entweder vollkommen banale Sachen, die der Zuschauer selbst sehen kann, so der denn hinguckt, oder Sätze wie "Mir gefällt der Rock supergut." oder "Das ist eine superschöne Farbe." In der zweiten Hälfte der Sendung wurde glücklicherweise alles etwas weniger super, so dass ich hoffe, dass sie sich in den nächsten Folgen noch entwickelt und deutlicher wird, wofür sie steht.
Das Nähen
Ich fand das Nähen selbst kam recht wenig vor, was meint ihr? Letztlich wurden immer wieder sehr ähnliche Bilder gezeigt, die den Vorgang bebildern sollten: Stoff, der durch eine Overlockmaschine gezogen wird, Kandidatinnen beim Handnähen, Kandidatinnen beim fernsehwirksamen Bügeln mit viel Dampf oder direkt an der Schneiderpuppe. Zwar gab es sogar die gleiche animierte technische Zeichnung wie in der britischen Sendung, die den Aufbau eines Bleistiftrocks erklärt, aber was und warum die Kandidaten machen, blieb im Dunkeln. Im BBC-Original erklärte ein Moderator aus dem Off die Etappen des Nähvorgangs, außerdem hatte die Moderatorin Claudia Winkleman vom Nähen keine Ahnung und konnte als Stelllvertreterin des Zuschauers den Teilnehmerinnen sehr glaubwürdig naive Fragen zum Nähen stellen. Ob Inges trockene technische Erklärungen, ihr Betonen von Sorgfalt und Handarbeit bei nicht-nähenden Zuschauern den Funken überspringen lassen?
Die Aufgaben
Bei der
ersten Aufgabe solte ein Bleistiftrock nach einem Schnittmuster genäht werden, "Style"-Vorgabe: "Sexy" sollte er sein. In einer Besprechung der Jury werden die nähtechnisch wichtigsten Stichworte für die Aufgabe genannt: Nähte, die ohne Versatz aufeinander treffen und ein mit Blindstich unsichtbar angenähter Saum. Sehr gut, so wissen auch Nähunkundige, worauf es bei der Bewertung ankommt.
Der Verlauf der Aufgabe folgt der aus GBSB bekannten Dramaturgie: Mit dem Fortschreiten der Zeit wird die Musik dräuender, es gibt eine Teilnehmerin (Katja), die sich eine Zusatzschwierigkeit einbaut, und dadurch letztendlich scheitert. Ein anderer Kandidat (Frank) wählt hingegen eine vollkommen untypische Nähreihenfolge, und der Rock gelingt ihm trotzdem.
Die Jurybewertung ist gut nachvollziehbar und arbeitet die Punkte ab, die in der Jurybesprechung genannt wurden. Offensichtlich gibt die technische Ausführung den Ausschlag, "Style" und "Sexiness" (was immer man darunter verstehen mag) kommen nicht zum Anschlag.
Bei der
zweiten Aufgabe wird ein Oberhemd in ein "Top für eine Szeneparty" umgearbeitet - das Stichwort "sexy" schwebt auch hier im Raum. Jurorin Anke gibt etwas konfus die Bewertungsmaßstäbe zum besten: Elemente können übernommen werden, letztlich soll das Hemd aber nicht wieder als Hemd getragen werden, am besten wäre, das Teil vollkommen umzuarbeiten.
Beim Urteil der Jury kommen diese Maßstäbe aber nicht recht zum Tragen: Tobias näht eine Corsage aus Pailettenstoff, an der lediglich der Hemdkragen als Dekoration prangt, während Florian das Hemd mit einem Schößchen und gekürzten Ärmeln zur Bluse umdekoriert, das Hemd also nicht grundlegend verändert. Dass das so nicht gefragt war, spielt aber irgendwie keine Rolle mehr. Anders als im BBC-Vorbild weiß die Jury von Anfang an, welcher Kandidat welches Teil gestaltet hat - bei der Doppelfunktion von Guido als Moderator und Jury nicht anders möglich - aber der große Reiz, dass die Jury nicht wusste, wen sie bewertet, fällt natürlich weg.
Die Dramaturgie
In der ersten Folge einer Staffel wird viel zwischen den Kandidaten hin- und hergesprungen, so dass sich kein roter Faden einstellt, das ist im britischen Vorbild nicht anders. Ich fand vor allem den Anfang und das Ende der Sendung schlecht markiert, am Anfang wusste ich nicht: Ist das noch ein Trailer, oder hat die Sendung schon angefangen? Zum Schluss nach der Verabschiedung von Katja und der Vorschau auf die nächste Folge war ich mir auch nicht sicher, ob die Sendung jetzt wirklich vorbei ist. Das kann allerdings in der Absicht des Privatfernsehens liegen: der Zuschauer soll dranbleiben und in die folgende Sendung hinüber gezogen werden, daher gibt es keine markierten Brüche.
Fazit
Ich bin kein besonderer Kretschmer-Fan, daher nerven mich Wendungen wie "dein besonderer Style" oder die übermäßig oft fallenden Begriffe "kreativ" und "sexy". Die halbnackten Frauen und BHs am Anfang der Sendung und am Ende in der Ankündigung der nächsten Folge - "wenn Florian Ines an die Wäsche geht" - sind wohl ein Versuch, auch männliche heterosexuelle Zuschauer zu fesseln.
Obwohl mich Nähen interessiert und die Sendung schnell geschnitten ist, fand ich sie eher langweilig, für mich gab es da keinen Spannungaufbau, kein Mitfiebern. Und auch Nählust wurde mir nicht übermittelt. Hatte ich nach den GBSB-Folgen immer sehr große Lust, mich sofort mit einem neuen Projekt an die Maschine zu setzten, verspürte ich bei "Geschickt eingefädelt" nichts dergleichen. Ich kann aber nicht genau festmachen, woran das liegt. Wie geht es euch?
Medienschau zu "Geschickt eingefädelt"
Einige Medienjournalisten bekamen offenbar die erste Folge der Sendung - oder einen Zusammenschnitt - vorab zu sehen. Über die hämische Fernsehkritik auf Kosten der Kandidaten bei
Brigitte online habe ich mich
gestern schon etwas aufgeregt. Wie Fernsehkritik richtig geht, zeigt hingegen der Kollege von der
Süddeutschen Zeitung: "
Der Umarmer aller Frauen ist knallhart": Sein Spott gilt wenn, dann dem Moderator und den Jurymitgliedern.
Die
Rheinische Post nimmt "Geschickt eingefädelt" als Aufhänger, um Einzelhändlerinnen aus der Region zum Näh- und Handarbeitsboom zu befragen, zitiert Trendforscher und Statistiken:
Neue Näh-Sendung mit Guido Maria Kretschmer.
SPON nennt die Sendung "rührend altmodisch", begrüßt aber das "ruhige, freundliche Format", das die Kandidaten nicht vorführe:
Faden verloren? Hilfe Naht!
Die Focus-online Autorin schwankt beim Ansehen der Sendung zwischen der Erinnerung an die Schrecken der Handarbeitsstunde und Langeweile:
"Geschickt eingefädelt" - Warum Guido Maria Kretschmer jetzt Frauen unter den Rock schauen will
Auch die Fernsehkritik von t-online fand die Show "zum Einschlafen":
"Geschickt eingefädelt" ist ein fernsehtechnischer Blindstich
Die Fernsehkritikerin bei n-tv sieht die Sendung als folgerichtige Weiterentwicklung der Kochshows im Fernsehen, fragt sich aber: Brauchen wir das?
Vox-Show "Geschickt eingefädelt" "Zieh' das bitte niemals an!"
Eine differenzierte Sendungskritik bei Klamm.de: Eine handwerklich gut gemachte Sendung, bei der es tatsächlich um den Inhalt gehe und nicht darum "irgendwelchen persönlichen Schnickschnack auszuschlachten oder Talentlosigkeit zum infantilen Massen-Amüsement zu nutzen":
Geschickt eingefädelt - Kretschmer glänzt auch außerhalb der Bluebox
Die Kritikerin der
Rheinischen Post fand die Sendung etwas "müde" und nur dann amüsant, wenn Guido kommentiert:
Kraftloser Start von "Geschickt eingefädelt"
Simone Deckner vom Stern sieht Inge als heimlichen Star der Sendung und lobt den klugen Schachzug, sie "als Gegenpol zum natursanften Guido Maria Kretschmer", "Deutschlands schnuffeligstem Star-Designer" zu besetzen:
Guido und das toughere Schneiderlein
Quote: Nicht so gut wie "Die Höhle der Löwen", aber respektabel:
Marktanteil 7,9%.