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Der Mekong: ungelöste Probleme regionaler Kooperation

2010

Eine kritische und detaillierte Darstellung der chinesischen Wasserkraftprojekte liefert Johann Friedrich Herling, Staudämme in der oberen Mekong-Region. Analyse der Auswirkungen auf die Anrainerstaaten des Mekong, Berlin 2006 (Südostasien Working Papers der HU Berlin Nr. 30), tabellarische Übersicht auf S. 25. 12 Eine detaillierte Auflistung der laotischen Projekte findet sich unter »Lao PDR Planned Hydroelectric Dam Projects«, <www.mekong.es.usyd.edu.au/case_studies/nam_theun/ hydro_in_laos/list.html>. 13 Kambodschas Außenminister Hor Nam Hong bezeichnet sein Land bereits als »Batterie Südostasiens«-ein Attribut, das bislang nur Laos für sich beansprucht hat; vgl. Andrew Nette, »Cambodian Dam Plans Suffer Information Drought«, in: Asia Times Online, 26.3.2008, <www.atimes.com/atimes/ Southeast_Asia/JC26Ae01.html>. 14 Ebd.

www.ssoar.info Der Mekong: ungelöste Probleme regionaler Kooperation Will, Gerhard Veröffentlichungsversion / Published Version Forschungsbericht / research report Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Will, G. (2010). Der Mekong: ungelöste Probleme regionaler Kooperation. (SWP-Studie, S 7). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-261539 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. 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Die Studie gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2010 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Einleitung 10 10 11 12 Die Mekong-Region Geographische Determinanten Ressourcenpotential Ökologische Gefährdungen 14 14 Konflikt- und Kooperationspotentiale Der Stellenwert der Mekong-Region für die verschiedenen Anrainer Konfliktfelder Kooperationspotentiale 19 20 23 23 23 24 25 26 28 28 30 31 33 35 35 36 36 37 37 38 38 38 39 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet Greater Mekong Subregion (GMS) Entstehungsgeschichte Strategische Zielsetzungen Organisation und finanzieller Rahmen Leistungsbilanz Mekong River Commission (MRC) Der lange Weg zur MRC-Gründung Der MRC-Grundlagenvertrag: Prinzipien und Organisationsstruktur Arbeitsschwerpunkte und finanzieller Rahmen Leistungsbilanz Fazit und Empfehlungen Evaluation der bisherigen Arbeit von GMS und MRC Harmonisierung der Geberstrategien Vermittlung der europäischen Integrationserfahrung Stärkung des Engagements der MRC-Mitglieder Pilotfunktion regional begrenzter Projekte Anhang Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet Abkürzungen Tabelle: Handel zwischen China und den anderen Mekong-Anrainern Dr. Gerhard Will ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien Problemstellung und Empfehlungen Der Mekong: Ungelöste Probleme regionaler Kooperation Die Überwindung der Frontlinien, die der Ost-WestKonflikt in Europa wie auf dem südostasiatischen Festland hinterlassen hat, stellt beide Regionen – ungeachtet ihrer vielfältigen Unterschiede – vor vergleichbare Aufgaben. Es sind jedoch nicht allein diese historischen Parallelen, die ein starkes Engagement europäischer und deutscher Politik in der MekongRegion nahelegen. Wichtiger noch sind eine Reihe strategischer Überlegungen. Denn diese Region ist für die politische Stabilität, das wirtschaftliche Wachstum und die zwischenstaatliche Kooperation ganz Südostasiens von ebenso ausschlaggebender Bedeutung wie für das Verhältnis des aufstrebenden China zu seinen Nachbarn. Die wachsende Integration dieses Raumes liegt daher im Interesse Südostasiens wie Europas. Bei einer Reihe von Sektoren, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) als zentrale Felder seiner Arbeit definiert hat, ergeben sich in der Mekong-Region vielfältige Aufgabenfelder für eine fruchtbare entwicklungspolitische Kooperation. Der Mekong als größte gemeinsame Ressource der Region stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Denn eine nachhaltige Nutzung und Entwicklung seines Potentials – bei der die jeweiligen Bedürfnisse der Mekong-Länder sowie deren verschiedene Nutzer- und Interessengruppen berücksichtigt werden – ist unabdingbar an eine möglichst enge und vertrauensvolle Kooperation gebunden. Diese Zielvorgabe wird in Brüssel und Berlin nachdrücklich unterstützt, da man in solchen Formen regionaler Zusammenarbeit einen Schlüssel nicht nur zur Überwindung von Unterentwicklung, sondern auch zur Gewährleistung von Sicherheit sieht. Gerade die Mekong-Region scheint zunächst ein anschaulicher Beleg für die These zu sein, dass die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Wasserressource nicht zunehmende Konflikte, sondern vielmehr eine intensivere Kooperation zwischen den verschiedenen Nutznießern bewirkt. Neben zahlreichen kleineren Organisationen und Gesprächsforen haben sich in den neunziger Jahren mit der »Greater Mekong Subregion« (GMS) und der »Mekong River Commission« (MRC) zwei renommierte Regionalorganisationen etabliert, die auch ein aktives Engagement der EU sowie einzelner europäischer Länder hervorgerufen haben. SWP Berlin Der Mekong März 2010 5 Problemstellung und Empfehlungen Das eindrucksvolle Auftreten der beiden Organisationen verhindert jedoch oft eine kritische Analyse der Wirkungstiefe und der langfristigen Perspektiven ihrer Kooperationsstrategien. Allzu leicht übersieht man, dass nicht nur von der chinesischen Führung, sondern auch von den Regierungen der anderen Mekong-Anrainerstaaten eine Politik vertreten wird, die Entwicklung mit Wirtschaftswachstum gleichsetzt und dem Prinzip der nationalen Souveränität hohe Priorität einräumt. Dies setzt dem Wirken von Institutionen, die auf eine umfassende politische Kooperation und nachhaltige Entwicklung zielen, enge Grenzen. Die GMS, die einen gemeinsamen Wirtschaftsraum ohne übergreifende politische Strukturen herstellen will, findet manifesten Zuspruch in den Hauptstädten der Region. Sie genießt außerdem die Unterstützung der Asian Development Bank, die auch mit Beiträgen europäischer Länder finanziert wird. Dass die GMS zugleich Fragen des Umweltschutzes allenfalls rhetorischen Stellenwert einräumt und auf die Formulierung eines verbindlichen Prinzipienkatalogs völlig verzichtet, wird eher als Vorteil denn als Defizit gesehen. Eher deklamatorische Zustimmung ihrer Mitglieder findet dagegen die MRC, die sich bereits in ihrem Gründungsdokument für eine nachhaltige und inklusive Entwicklung sowie klare Verfahrensregeln bei der Nutzung der Mekong-Ressourcen eingesetzt hat und entsprechende Programme ausarbeitet. China und Myanmar sind der Organisation noch immer nicht beigetreten. Alle übrigen Mekong-Länder gehören ihr zwar an, leisten aber zu dem ohnehin bescheidenen MRC-Etat so geringe Beiträge, dass dieser zu 90 Prozent von Ländern außerhalb der Region finanziert wird. Die beiden Organisationen sind daher entweder nicht willens oder nicht in der Lage, jene kooperativen Beziehungen zu etablieren, die unabdingbare Voraussetzung sind für einen fairen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Nutzern des Mekong, für die Überwindung bestehender Entwicklungsunterschiede und nicht zuletzt für eine friedliche Beilegung der sich daraus ergebenden Konflikte. Vielmehr ist zu befürchten, dass die oft medienwirksam inszenierten Aktivitäten von GMS und MRC den Blick auf sich abzeichnende Konflikte verstellen und vielleicht sogar zu deren Eskalation beitragen. Angesichts dieser Problemlage zeichnen sich für die deutsche und europäische Politik folgende Aufgabenfelder und Handlungsstrategien ab: Einer weiteren Zusammenarbeit mit der GMS und der MRC muss eine sorgfältige Analyse der bisherigen Arbeit beider Organisationen vorausgehen, die SWP Berlin Der Mekong März 2010 6 Antwort auf die Frage gibt, welche Beiträge zur regionalen Integration von ihnen in Zukunft zu erwarten sind. Zu einer solchen Neubewertung gehören nicht zuletzt eine Klärung des eigenen Standpunkts, eine Harmonisierung der Geberstrategien und die Formulierung einer gemeinsamen EU-Position. Stärker als bisher sollte man sich auf europäischer Ebene bewusst machen, dass die GMS und die MRC zwei völlig unterschiedliche und kaum kompatible Strategien verfolgen. Beide Organisationen mehr oder minder positiv zu bewerten und gleichermaßen zu unterstützen ist Ausdruck einer wenig konsistenten Politik. Letztlich begünstigt man so die GMS, die durch ihre Infrastrukturprojekte Prozesse in die Wege leitet, die sich schwerlich mit den Zielen einer nachhaltigen und inklusiven Entwicklung vereinbaren lassen. Die Europäer haben mit der EU zwar kein global gültiges Modell regionaler Integration entwickelt, und sie beanspruchen dies auch nicht. Aber gerade in der Frage, inwieweit man bei einem solchen Prozess auf supranationale Strukturen oder die Logik des Marktes bauen kann, verfügt Europa über reiche historische Erfahrungen. Diese sollten vor allem den weniger entwickelten Mekong-Anrainern vermittelt und erläutert werden. Angesichts ihres großen Engagements kommt einer Reihe von europäischen Ländern – darunter auch Deutschland – besondere Verantwortung für die MRC zu. Bei aller Unterstützung ihrer Ziele und der von ihr entwickelten Konzepte darf kein Zweifel daran gelassen werden, dass eine Fortsetzung oder gar Intensivierung dieses Engagements nur dann möglich ist, wenn auch die Mitglieder der Organisation selbst höhere finanzielle Beiträge leisten und eine stärkere Bereitschaft zeigen, konstruktiv an der Umsetzung der MRC-Programme mitzuwirken. Für eine nachhaltige Entwicklung der MekongRegion ist letztlich eine Strategie notwendig, die das gesamte Einzugsgebiet des Flusses und die verschiedenen hier anzutreffenden Interessengruppen berücksichtigt. Da dies die Kooperationsbereitschaft einer großen Anzahl unterschiedlicher Akteure voraussetzt, ist es sicherlich zweckdienlich, sich zunächst auf eine Teilregion zu beschränken. Dort könnte man konkrete Erfahrungen mit einem integrativen Ansatz sammeln, die dann auch bei der Erarbeitung und Umsetzung eines umfassenderen Entwicklungsplans von Nutzen wären. Einleitung Einleitung* Auf den ersten Blick gibt es wenig Gemeinsamkeiten zwischen Europa und dem südostasiatischen Festland, deren Geschichte und Geographie so tiefgreifende Unterschiede aufweisen. Doch sowohl in Europa als auch in Südostasien hatte der Ost-West-Konflikt Frontstellungen geschaffen, die lange Zeit eine gemeinsame Entwicklung der jeweiligen Gesamtregion verhinderten. Erst seit Beginn der neunziger Jahre bestehen in beiden Fällen die politischen Voraussetzungen für den Aufbau regionaler Kooperationsstrukturen. Das starke Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Südostasien beruht jedoch weniger auf den gemeinsamen Erfahrungen des Kalten Krieges und seiner Überwindung als vielmehr auf dem strategischen Interesse der Europäer an einer Region, deren ökonomisches wie ökologisches Potential bislang nur unzureichend ausgeschöpft worden ist. Zudem hat dieser Raum, an der Südgrenze der Volksrepublik China gelegen und mit ihr durch den Mekong verbunden, hohe sicherheitspolitische Bedeutung. Denn gerade an Pekings Verhältnis zu den anderen Flussanrainern wird sich erweisen, ob es zu der von China propagierten »Gemeinsamen Entwicklung« mit seinen südostasiatischen Nachbarn oder aber zu massiven Konflikten kommt. Im Einzugsgebiet des Mekong verdichten sich für das BMZ Schwerpunkte seiner Arbeit – wie Wassermanagement, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, ländliche Entwicklung, Energie- und Klimapolitik, Umweltschutz und soziale Sicherung. Vietnam zählt zu den »Schwerpunktländern« deutscher Entwicklungspolitik. In Laos und Kambodscha gehört die Bundesrepublik zu den drei wichtigsten Geberländern. Beträchtliche Unterstützung durch das BMZ haben lange Zeit auch Thailand und China erfahren. Angesichts ihres inzwischen erreichten Entwicklungsstandes wurde diese Form der Kooperation zwar zurückgefahren. Nach wie vor aber sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Bundesrepublik und den beiden Ländern sehr eng. Allein Myanmar zählt seit 1990 nicht mehr zu den Partnern deutscher Entwicklungszusammenarbeit und erhält lediglich humanitäre Hilfe. Der Mekong ist die Lebensader dieser Region. Als größter Fluss Südostasiens versorgt er mehr als 70 Millionen Menschen mit Wasser, Düngesedimenten und Fisch. Über weite Strecken dient er als Transportweg in einem meist sehr unwegsamen Gelände, das erst in jüngster Zeit durch Fernstraßen erschlossen wird. Darüber hinaus bieten seine mächtigen Kaskaden ein enormes Potential für die emissionsfreie Erzeugung von Energie. Von seiner Quelle im Hochgebirge des Himalaja bis zu seiner Mündung in das Südchinesische Meer durchquert der Mekong sechs unterschiedlich große Länder mit einem höchst ungleichen Entwicklungsniveau, die auf ebenso unterschiedliche Weise von dem Strom profitieren bzw. von ihm abhängig sind. Innerhalb der einzelnen Anrainerstaaten wiederum gibt es eine harte Konkurrenz zwischen jenen Bevölkerungsgruppen, die auf den Mekong zur Bewässerung ihrer Felder und für Fischfang bzw. -zucht angewiesen sind, und jenen Gruppen, die den Fluss vor allem als ausbaufähigen Transportweg und als ergiebige Quelle von Wasserkraft sehen. Sollen all diese Konflikte nicht in einem Nullsummenspiel enden, ist eine regionale Zusammenarbeit notwendig, die Entwicklungspotentiale aufzeigt und den unterschiedlichen Nutzergruppen gerecht wird. Nicht nur aus entwicklungspolitischen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus unterstützen EU wie Bundesregierung derartige Formen regionaler Kooperation. Beide sehen darin ein wesentliches Instrument, um Konflikte frühzeitig erkennen und Wege zu ihrer friedlichen Beilegung ausarbeiten zu können. 1 In der Mekong-Region ist seit Beginn der neunziger Jahre eine Reihe von regionalen Zusammenschlüssen * Der Autor dankt Julia Bader, Jasmin Lorch und Susann Schmeier für die kritische Durchsicht des Manuskripts sowie für zahlreiche wertvolle Hinweise und Anmerkungen. 1 Zum Stellenwert regionaler Kooperation in der Strategie der Bundesregierung vgl. BMZ, »Asien: Wirtschaftswachstum fördern – Armut bekämpfen«, <www.bmz.de/de/laender/ regionen/asien/index.html> (letzter Zugriff auf diese Webseite und alle im Folgenden angeführten Internet-Quellen am 1.3.2010); Auswärtiges Amt (Hg.), Aufgaben der deutschen Außenpolitik. Südostasien sowie Australien, Neuseeland und Pazifische Inseln am Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2002, S. 8f. Im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Bundesregierung heißt es über die Asienpolitik: »Bestehende Ansätze zu regionaler Kooperation werden wir nach Kräften fördern und unterstützen.« SWP Berlin Der Mekong März 2010 7 Einleitung und Gesprächsforen zustande gekommen, von denen sich die »Greater Mekong Subregion« und die »Mekong River Commission« als Partner internationaler Entwicklungszusammenarbeit besonders profiliert haben. Über die Asian Development Bank (ADB) wird die GMS indirekt von Deutschland 2 und etlichen anderen europäischen Ländern unterstützt. Im Falle der MRC engagieren sich die Bundesrepublik und einige ihrer europäischen Nachbarn wie auch die Europäische Kommission mit direkten Beiträgen. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Kooperationsstrategien der GMS und der MRC sowie deren Wirkungstiefe und langfristige Perspektive kritisch zu analysieren. Untersucht werden hierfür zunächst das Ressourcenpotential des Mekong, die Interessen der verschiedenen Anrainer sowie die Konfliktfelder und Kooperationspotentiale, die sich aus diesen geographischen, ökologischen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ergeben. In einem zweiten Schritt wird dann der Frage nachgegangen, inwieweit die beiden Organisationen bislang in der Lage waren, die aufgezeigten Konflikte beizulegen und vorhandene Kooperationspotentiale auszuschöpfen. Was die europäische und deutsche Politik tun kann, um den von ihr in der Mekong-Region verfolgten Zielen – nachhaltige Entwicklung und engere regionale Kooperation – stärker Nachdruck zu verleihen, soll abschließend in mehreren Empfehlungen vorgestellt werden. 2 Außerdem finanziert Deutschland ein GMS-Projekt im Bereich Energie – den Bau einer Überlandleitung für Strom zwischen Takeo und Kampot in Kambodscha – mit 16 Millionen Dollar. SWP Berlin Der Mekong März 2010 8 Einleitung Karte Die Mekong-Region Map No. 4112, Rev. 2, United Nations, Department of Peacekeeping Operations, Cartographic Section, Januar 2004 (die in der Karte wiedergegebenen Grenzen, Namen und Bezeichnungen implizieren keine offizielle Bestätigung oder Akzeptanz seitens der VN). SWP Berlin Der Mekong März 2010 9 Die Mekong-Region Die Mekong-Region Geographische Determinanten Mit einer Länge von fast 4900 Kilometern 3 ist der Mekong (chin. Lancang 4 ) der größte Fluss Südostasiens. Er entspringt im Tangla-Gebirge des tibetanischen Hochplateaus, fließt durch die chinesische Provinz Yunnan sowie die Länder Myanmar, Thailand, Laos und Kambodscha und mündet im Süden Vietnams durch das weitgefächerte Mekong-Delta in die Südchinesische See. Sein Einzugsgebiet und das seiner zahlreichen mächtigen Nebenflüsse wird auf 800 000 Quadratkilometer beziffert. Die Stadt Chiang Saen im Norden Thailands gilt als Scheidepunkt, der das Obere Mekong-Becken (mit einer Fläche von 190 000 km²) vom Unteren MekongBecken (610 000 km²) trennt. Das Obere MekongBecken umfasst den gesamten chinesischen Teil des Flusses sowie kleinere Grenzregionen Thailands, Laos’ und Myanmars; das Untere Mekong-Becken zieht sich durch Thailand, Laos, Kambodscha und den Süden Vietnams. Während an dem meist sehr gebirgigen Oberlauf des Mekong nur wenige Millionen Menschen leben, ist das Untere Mekong-Becken die Heimat von mehr als 60 Millionen Menschen, die im hohen Maße von dem Fluss und seinen Ressourcen abhängig sind. Nach Schätzungen der MRC wird diese Zahl bis zum Jahr 2025 auf etwa 100 Millionen steigen. 5 Besonders stark ist die Bevölkerungskonzentration dabei in den weiten Flussebenen Kambodschas und Vietnams. Geht man über das unmittelbare Einzugsgebiet des Mekong hinaus und bezieht die Gesamtfläche der Flussanrainer (im Falle Chinas nur jene der Provinz Yunnan und der »Selbstverwaltungsregion« Guangxi) und deren Bevölkerung mit ein, so ergibt sich eine 3 Gelegentlich wird die Flusslänge mit 4200 Kilometern angegeben. Diese Zahl geht auf eine Angabe des früheren Mekong-Komitees zurück, die inzwischen revidiert wurde. Vgl. Tim Summers, »China and the Mekong Region«, in: China Perspectives, (2008) 3, S. 68–77 (68). 4 In chinesischen Texten wird der in China befindliche Teil des Flusses als Lancang bezeichnet, der außerhalb des Landes gelegene Teil als Mekong (chin. Meigonghe). Vgl. Summers, »China and the Mekong Region« [wie Fn. 3], S. 69. 5 MRC, »Basin Development Plan«, <www.mrcmekong.org/ programmes/bdp.htm>. SWP Berlin Der Mekong März 2010 10 territoriale Ausdehnung von etwa 2,3 Millionen Quadratkilometern und eine Bevölkerung von 245 Millionen Einwohnern. Dieses Gebiet wird gemeinhin als »Mekong-Region« bezeichnet. Der 1992 gegründeten GMS gehören alle Mekong-Länder sowie Yunnan und Guangxi an (wobei die Region Guangxi – die der Organisation erst im März 2005 beigetreten ist – nicht von dem Fluss durchzogen wird). Zu den markantesten Eigenschaften des Mekong zählen die starken Schwankungen seiner Wassermenge. Mit Beginn der Schneeschmelze in den Ausläufern des Himalaja und der Regenzeit am Mittelund Unterlauf des Flusses steigt der Wasserspiegel ab April/Mai kontinuierlich an; seinen Höchststand erreicht er im September/Oktober. Bis Dezember erfolgt dann ein rascher Rückgang der Wassermasse, der sich in den folgenden Monaten verlangsamt. Der niedrigste Pegelstand wird im März vor Einsetzen der Schneeschmelze und des Monsun-Regens erreicht. Am augenfälligsten lässt sich das An- und Abschwellen des Mekong an dem See Tonle Sap (dt. Großer See) im Herzen Kambodschas beobachten, der gleichsam als natürliches Rückstaubecken des Flusses dient. In den Sommermonaten erreicht der See eine Fläche von bis zu 13 000 Quadratkilometern, in der anschließenden Trockenzeit schrumpft er auf ein Viertel dieser Größe zusammen. 6 Die enormen Veränderungen des Wasserpegels sind für das Ökosystem des Stromes und die ufernahe Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Die überfluteten Flächen bieten unersetzbare Laichgründe – eine Voraussetzung für den legendären Fischreichtum des Mekong. Die Ackerflächen wiederum versorgt der Fluss nicht nur mit Wasser, sondern auch mit nährstoffreichen Sedimenten. Zudem spülen die reißenden Fluten im Frühsommer Salze und säurehaltige Stoffe aus dem Boden, die dort während der wasserarmen Monate eingedrungen sind. 7 Die alljährlich einset6 Milton Osborne, River at Risk. The Mekong and the Water Politics of China and Southeast Asia, Double Bay, New South Wales (Australia): Lowy Institute for International Policy, 2004 (Lowy Institute Paper, 2), S. 3f. 7 Chris Sneddon/Coleen Fox, »Rethinking Transboundary Waters: A Critical Hydropolitics of the Mekong Basin«, in: Political Geography, 25 (2006), S. 181–202 (188f). Ressourcenpotential zenden Überschwemmungen sind aber auch mit ungeheuren materiellen Schäden verbunden und fordern immer wieder zahlreiche Menschenleben. Ressourcenpotential Der Mekong bietet eine Reihe wertvoller Ressourcen – vom lebenswichtigen Rohstoff Wasser über den Fischreichtum bis hin zur Funktion als Transportweg und ergiebige Quelle von Wasserkraft. Insgesamt wird dieses Potential jedoch nur unzureichend ausgeschöpft bzw. nicht systematisch genug entwickelt. Seit vielen Jahrhunderten wird der Fluss vor allem landwirtschaftlich genutzt. Während in dem eher unwegsamen Oberen Mekong-Becken Terrassenbewirtschaftung, teilweise sogar noch Brandrodungswirtschaft vorherrscht, stehen in Kambodscha und Vietnam weite Ebenen zur Verfügung, die ohne größeren technischen Aufwand mit Wasser und Düngesedimenten des Mekong versorgt werden können. Wasser und Sedimente sind wiederum unabdingbare Voraussetzungen für den Fischreichtum, der die wichtigste Quelle von tierischem Einweiß für die Bewohner der südlichen Mekong-Anrainer darstellt. 8 Nach Angaben der MRC beläuft sich der jährliche Fischfang im Unterlauf – einschließlich Fischen, Krebsen, Muscheln etc., die in Aquakulturen gezüchtet werden – auf 2,5 Millionen Tonnen. Das sind schätzungsweise 2 Prozent des weltweit erzielten Fischfangs. 9 Landwirtschaft wie Fischfang und Fischzucht werden meist sehr intensiv und mit hohem Arbeitsaufwand betrieben. Von einer agroindustriellen Bewirtschaftung kann bislang keine Rede sein, zumal andere ökonomische Bereiche sehr viel lohnendere Investitionsmöglichkeiten bieten. Seit geraumer Zeit wird zwar über den Bau großangelegter Bewässerungssysteme diskutiert, die etwa dem trockenen Nordosten Thailands zugutekommen und zwangsläufig die Wassermenge am Unterlauf reduzieren würden; doch diese Vorhaben befinden sich nach wie vor im Planungsstadium. Die Nutzung der Wasserkraft des Mekong und seiner Nebenflüsse hat dagegen schon sehr viel konkretere Formen angenommen. Nach Schätzungen der MRC belaufen sich die gesamten Wasserkraftreserven 8 Timo Menniken, Konflikt und Kooperation am Mekong. Internationale Politik an grenzüberschreitenden Wasserläufen, Berlin 2006, S. 14. 9 MRC, »Fisheries Programme«, <www.mrcmekong.org/ programmes/fisheries.htm>. des Mekong-Beckens auf etwa 53 000 Megawatt (Nennleistung pro Jahr). Davon werden bislang aber weniger als 10 Prozent ausgebeutet. 10 Das wird sich in absehbarer Zeit ändern, da alle Mekong-Anrainer großes Interesse an der Erschließung dieser Reserven zeigen. In der chinesischen Provinz Yunnan sind insgesamt acht Wasserkraftwerke geplant, mit denen das auf 15 000 Megawatt geschätzte Potential des chinesischen Mekong-Abschnitts weitgehend ausgeschöpft würde; fertiggestellt sind bisher nur drei Kraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 4350 Megawatt. Ein weiteres mit einer Kapazität von 4200 Megawatt befindet sich im Bau, die vier anderen sind noch im Planungsstadium. 11 Laos plant vor allem im Gebiet des Nebenflusses Nam Theun den Bau von Wasserkraftwerken. Ihre Gesamtkapazität würde mit der in China anvisierten vergleichbar sein, allerdings von 60 wesentlich kleineren Kraftwerken erzeugt werden. Bislang sind davon nur 15 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 1500 Megawatt in Betrieb. 12 Auch in Kambodscha gibt es beträchtliche, bislang kaum genutzte Wasserkraftreserven. 13 Nach einer 2003 vom kambodschanischen Ministerium für Industrie, Bergbau und Energie erarbeiteten Studie verfügt das Land über ein entsprechendes Potential von etwa 10 000 Megawatt. Die Hälfte davon wird dem Mekong zugeschrieben. Das größte Projekt, das sich derzeit allerdings noch im Planungsstadium befindet, ist der Bau eines Damms an den Sambor-Wasserfällen in der Provinz Kratie. 14 Vietnams Ministerpräsident hat im Oktober 2004 eine nationale Strategie zur Entwicklung elektrischer Energie vorgelegt, die der Wasserkraftnutzung absolute Priorität einräumt. Das zentrale Hochland Viet10 Vgl. MRC (Hg.), Strategic Plan 2006–2010. Meeting the Needs, Keeping the Balance, Vientiane 2006, S. 59. 11 Eine kritische und detaillierte Darstellung der chinesischen Wasserkraftprojekte liefert Johann Friedrich Herling, Staudämme in der oberen Mekong-Region. Analyse der Auswirkungen auf die Anrainerstaaten des Mekong, Berlin 2006 (Südostasien Working Papers der HU Berlin Nr. 30), tabellarische Übersicht auf S. 25. 12 Eine detaillierte Auflistung der laotischen Projekte findet sich unter »Lao PDR Planned Hydroelectric Dam Projects«, <www.mekong.es.usyd.edu.au/case_studies/nam_theun/ hydro_in_laos/list.html>. 13 Kambodschas Außenminister Hor Nam Hong bezeichnet sein Land bereits als »Batterie Südostasiens« – ein Attribut, das bislang nur Laos für sich beansprucht hat; vgl. Andrew Nette, »Cambodian Dam Plans Suffer Information Drought«, in: Asia Times Online, 26.3.2008, <www.atimes.com/atimes/ Southeast_Asia/JC26Ae01.html>. 14 Ebd. SWP Berlin Der Mekong März 2010 11 Die Mekong-Region nams, in dem eine Reihe von Nebenflüssen des Mekong entspringt, fungiert hier als Schlüsselregion, die in wenigen Jahren zur größten Wasserkraftquelle des Landes ausgebaut werden soll. 15 Die Transportfunktion des Mekong war lange Zeit auf den Abschnitt zwischen dem Mündungsgebiet und dem Tonle Sap in Kambodscha beschränkt. Diese Strecke könnte mit relativ geringem Aufwand, etwa durch Installierung moderner Navigationshilfen, weiter ausgebaut werden. Bereits im Norden Kambodschas und im Süden von Laos aber verhindern große Wasserfälle – wie die von Sambor – eine durchgehende Schiffbarmachung. Am Mittel- und Oberlauf erschweren zahlreiche Sandbänke und Riffe den Transport mit größeren Lastkähnen. Nach ersten Vorstudien von 1993 16 wurde im April 2000 zwischen China, Myanmar, Thailand und Laos das »Abkommen über die kommerzielle Schifffahrt auf dem Mekong« unterzeichnet. 17 Es sieht unter anderem vor, durch Sprengungen die Fahrrinne zu vertiefen und zu verbreitern, so dass große Lastkähne die Strecke zwischen dem chinesischen Ort Si Mao und dem laotischen Luang Prabang nutzen können. Inzwischen ist dieser Teilabschnitt für Schiffe mit bis zu 300 Bruttoregistertonnen befahrbar; nach einer weiteren Ausbaustufe sollen sogar Schiffe mit bis zu 500 BRT zwischen Jinghong (Yunnan) und Chiang Khong (Nord-Thailand) verkehren können. 18 Ökologische Gefährdungen Die Wasserläufe des Mekong und seiner Nebenflüsse bilden ein vielschichtiges und fragiles Ökosystem, das zunehmend Gefährdungen und Zerstörungen ausgesetzt ist. Die Bedürfnisse der am und vom Fluss lebenden Bevölkerung, die Schiffbarmachung des Mekong sowie die Ausbeutung seiner Wasserkraft15 The Vietnamese Prime Minister’s Decision 677/2004/ QD-TTG, zitiert nach Dan Sinh Nguyen Vo, »The Political Economy of Hydropower Dam Construction in Vietnam«, 21.8.2008, <www.stimson.org/pub.cfm?ID=663>. 16 Nguyen Than Duc, »Vietnam’s Interests in the Greater Mekong Subregion (GMS) and the Effect of GMS Cooperation on Some Domestic and Foreign Policies in Vietnam«, in: Jörn Dosch u.a. (Hg.), Economic and Non-Traditional Security Cooperation in the Greater Mekong Subregion (GMS), Singapur 2005, S. 130. 17 Osborne, River at Risk [wie Fn. 6], S. 9f. 18 Timothy Hamlin, Commercial Transportation on the Mekong River, Washington, D.C.: The Henry L. Stimson Center, 2.5.2008. SWP Berlin Der Mekong März 2010 12 reserven greifen tief in das bestehende Ökosystem ein und stellen eine immense Herausforderung für das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung dar. Einerseits lässt sich die verfügbare Menge an Wasser, Düngesedimenten und Fischen nur schwer steigern; andererseits gibt es eine dynamische Bevölkerungsentwicklung, die eine immer intensivere und extensivere Nutzung dieser Ressourcen erforderlich macht. Die Reproduktionsfähigkeit der vorhandenen Ressourcen wird empfindlich vermindert, wenn Wasser in Dürregebiete oder die sich rapide entwickelnden städtischen Zentren abgeleitet wird, Abholzung zu Bodenerosion führt und die natürlichen Fischbestände durch Überfischung dezimiert werden. Der vermehrte Einsatz künstlichen Düngers, der Massenbetrieb von Aquakulturen und die Erschließung neuer Anbauflächen ermöglichen zunächst zwar höhere Erträge und wirtschaftliches Wachstum, verursachen längerfristig aber unvermeidlich Störungen des ökologischen Gleichgewichts und Umweltschäden, die nur mit großem Aufwand wieder behoben werden können. Noch wesentlich stärker beeinträchtigt werden das Ökosystem und seine agrarische Nutzung durch die Ausschöpfung der Wasserkraftreserven und den Ausbau der Schifffahrtswege. Derartige Eingriffe verändern das Fließverhalten des Mekong und die Wassermengen am Mittel- und Unterlauf erheblich. Von Befürwortern der Dammbauten wird dagegen häufig ins Feld geführt, dass Energiegewinnung durch Wasserkraft einen wichtigen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgas-Emissionen und damit zu einer aktiven Klimapolitik leiste – was schwerlich in Abrede zu stellen ist. Außerdem könnten mit Hilfe künstlicher Stauseen die Wassermassen des Mekong reguliert, das heißt Überschwemmungen und Dürreperioden durch Rückstau in der Regenzeit bzw. Ablassen in der Trockenzeit vermieden oder zumindest abgemildert werden. Entgegen diesen vor allem von chinesischer Seite geäußerten Erwartungen sind bisher jedoch kaum positive Regulierungseffekte zu beobachten. Denn Dammbauer und -betreiber orientieren sich nicht an den Bedürfnissen der Unterlauf-Anrainer, sondern an ihren unmittelbaren Eigeninteressen. Rückstau und Ablassen der Wassermassen zielen daher auf maximalen Energiegewinn und optimale Entwicklung der eigenen Landwirtschaft – es liegt somit nahe, Wasser gerade in der Trockenzeit zu Ökologische Gefährdungen stauen bzw. zu entnehmen und überschüssige Mengen in der Regenzeit abzulassen. 19 Obwohl bislang nur ein Bruchteil des vorhandenen Wasserkraftpotentials ausgeschöpft worden ist, sind die negativen Auswirkungen bereits deutlich erkennbar. Zum einen verringert sich die Wassermenge im Unterlauf, wenn weiter oben Dämme errichtet werden. Bereits die Füllung des – mit einer Kapazität von 920 Millionen Kubikmetern – vergleichsweise kleinen Manwan-Stausees in der chinesischen Provinz Yunnan bewirkte 1993 eine dramatische Senkung der Pegelstände im Mittellauf. 20 Die ebenfalls in Yunnan entstehenden Dämme Xiaowan und Nuozhadu, deren Fertigstellung für 2010 vorgesehen ist, werden zusammen jedoch über eine Staukapazität von ca. 37 Milliarden Kubikmetern verfügen. Für das südliche MekongBecken bedeutet dies, dass gerade am Ende der Trockenzeit (März/April), in der sich der Fluss vor allem aus den Gletschern Tibets und den Regenfällen Yunnans speist, sehr viel weniger Wasser zur Verfügung stehen wird. 21 Im Mündungsdelta führt eine Verringerung der Wassermenge darüber hinaus zu einem verstärkten Eindringen von Salzwasser und einer entsprechenden Zunahme des Säuregehalts – darunter hat bereits heute fast ein Fünftel der dortigen Ackerflächen zu leiden. Bei einem klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter oder bei größeren Sturmfluten wären sogar mehr als 40 Prozent betroffen. 22 19 Evelyn Goh, China in the Mekong River Basin: The Regional Security Implications of Resource Development on the Lancang Jiang, Singapur: Institute of Defence and Strategic Studies, Juli 2004 (Working Paper Nr. 69), S. 5, <www.rsis.edu.sg/publications/ WorkingPapers/WP69.PDF>. 20 Evelyn Goh, Developing the Mekong: Regionalism and Regional Security in China-Southeast Asian Relations, London: The International Institute for Strategic Studies (IISS), 2007 (Adelphi Paper 387), S. 48. 21 Nach Angaben von Tran Tien Khanh verringern sich schon derzeit die Wassermengen von 50 000 m³/s in der Regenzeit auf 2000 m³/s in der Trockenzeit. Ders., Death of a River. The Mekong River and the Chinese Development Projects Upstream, Februar 2003, <www.vnbaolut,com/deathofariver. html>. Im März 2010 hat der Mekong im Unterlauf die tiefsten Wasserstände seit 20 Jahren erreicht; All Headline News, »Record Low Mekong River Levels Affecting Food Production, Fishing, Transportation«, <www.allheadlinenews.com/ articles/7018037164>. 22 Nach einer Oxfam-Studie gehört Vietnam zu den Ländern, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden. VietNamNet Bridge, »Vietnam most vulnerable to climate change«, 25.11.2008, <http://english.vietnamnet.vn/tech/ 2008/11/815252>; »Agriculture: Rising Sea Levels May Flood 2 M Ha of Agricultural Land in Vietnam«, in: Vietnam News Briefs, 31.8.2009. Darüber hinaus halten die Dämme Sedimentstoffe zurück, die zu einem großen Teil aus den mineralhaltigen Böden des Oberlaufs stammen und die Felder am Unterlauf mit wertvollem Dünger versorgen. Dies beeinträchtigt zunächst einmal Lebensdauer und Arbeitskapazität der Wasserkraftwerke. Im Falle des Manwan-Staudamms wurde schon nach drei Jahren ein Sedimentstand erreicht, den man eigentlich erst nach einer Betriebszeit von 15 Jahren erwartet hatte. Während die Befürworter der Dammbauten deren Lebensdauer auf 100 Jahre veranschlagen, gehen Kritiker angesichts der unerwartet hohen Sedimentzufuhr von gerade einmal 30 Jahren aus. 23 Wenn sich die Menge der nährstoffreichen Sedimente im Unterlauf des Mekong verringert, ist aber auch der Fischbestand betroffen. Dieser leidet ohnehin unter den gravierenden Veränderungen der natürlichen Fließgeschwindigkeit, die durch Rückstau und Ablassen von Wasser an den Kraftwerken, aber auch durch den Ausbau der Fahrrinne verursacht werden. All diese Eingriffe führen dazu, dass die Laichgründe vieler Fischarten zerstört werden und der Gesamtbestand an Fischen stark abnimmt. Laut einem MRCBericht vom April 2004 gingen die Fangmengen während der Regenzeit 2003/2004 im Vorjahresvergleich um fast 50 Prozent zurück. Dabei hatte man bereits in den Jahren 2001 und 2002 einen Rückgang um jeweils 15 Prozent verzeichnet. 24 23 Goh, China in the Mekong River Basin [wie Fn. 19], S. 6. 24 Osborne, River at Risk [wie Fn. 6], S. viii, 17f. SWP Berlin Der Mekong März 2010 13 Konflikt- und Kooperationspotentiale Konflikt- und Kooperationspotentiale Ausgedehnte Ökosysteme wie die Einzugsgebiete großer Flüsse überschreiten meist das Territorium von Nationalstaaten. Letztere bestimmen aber Organisation und Grenzen politischer Herrschaft, die völkerrechtlich mit dem Prinzip der »nationalen Souveränität« legitimiert wird. Im Falle des Mekong sind sechs höchst unterschiedliche Staaten betroffen. Folgt man dem klassischen realistischen Ansatz, so führt die ungleiche Verteilung von Zugriffs- und Nutzungsmöglichkeiten bei einer gemeinsamen Ressource zwangsläufig zu schwerwiegenden Konflikten. Daraus leitet sich die These von den künftig drohenden »Wasserkriegen« ab, die Anfang der neunziger Jahre heftig diskutiert wurde. 25 In der wissenschaftlichen Debatte ist man mittlerweile jedoch zunehmend auf Distanz zu dieser These gegangen. Auch wenn unbestritten blieb, dass Auseinandersetzungen um Wasser erheblich zur Verschärfung vorhandener Konflikte beitragen können, so wurde doch die Annahme in Frage gestellt, dass es deshalb notwendigerweise zu kriegerischen Eskalationen kommen müsse. 26 Zudem ließ sich eine Reihe von kooperativen Arrangements anführen, die dazu beitragen haben, Konflikte um Wasser zu entschärfen und höhere Gewinne für alle Beteiligten zu erzielen. Im Falle der Mekong-Region konnte auf die GMS und die MRC sowie zahlreiche weitere Organisationen verwiesen werden, die eine Stärkung der regionalen Zusammenarbeit anstreben. 27 Im Folgenden wird zunächst der spezifische Stellenwert des Mekong und seines Einzugsgebiets aus der jeweiligen Perspektive einzelner Anrainer diskutiert. Anschließend soll näher analysiert werden, welche Konfliktpotentiale sich daraus ergeben – und welche 25 Z.B. Joyce R. Starr, »Water Wars«, in: Foreign Policy, (1991) 82, S. 17–36. Vgl. auch die kritische Analyse der These bei Sneddon/Fox, »Rethinking Transboundary Waters« [wie Fn. 7], S. 182. 26 Wegweisend war hierbei die an der Oregon State University entstandene Studie von Aaron T. Wolf u.a., »International River Basins of the World«, in: International Journal of Water Resources Development, (1999) 4, S. 387–427. Zur Diskussion dieser Studie vgl. Menniken, Konflikt und Kooperation am Mekong [wie Fn. 8], S. 68f. 27 Eine Auflistung der verschiedenen Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet findet sich im Anhang dieser Studie (S. 38). SWP Berlin Der Mekong März 2010 14 Kooperationsgewinne möglich wären, wenn sich alle Mekong-Länder auf ein gemeinsames Nutzungskonzept verständigen würden. Der Stellenwert der Mekong-Region für die verschiedenen Anrainer Zwischen den sechs Mekong-Anrainerstaaten bestehen erhebliche Unterschiede, was den jeweiligen Anteil am Fluss, den sich daraus ergebenden Grad an Abhängigkeit und den möglichen Zugriff auf sein Ressourcenpotential angeht. Wichtig ist dabei nicht nur, ob ein Staat am Ober-, Mittel- oder Unterlauf liegt. Entscheidend ist auch, welche Wassermenge dem einzelnen Land zur Verfügung steht, wie viele Einwohner es hat, wie groß die vom Fluss profitierenden Landwirtschaftsflächen sind und welchen Anteil die MekongRegion an der gesamten Fläche und Bevölkerung des jeweiligen Landes hat. Die Aufstellungen auf S. 16/17 veranschaulichen diese Unterschiede. 28 Das Gebiet, das der Mekong in China durchquert, umfasst nur einen geringen Bruchteil des Gesamtterritoriums und der Bevölkerung der Volksrepublik. Für die von der chinesischen Regierung proklamierte Strategie der »Großen Erschließung des Westens« (Xibu Da Kaifa), mit der die Gebiete im Landesinnern an das Entwicklungsniveau der Küstenprovinzen herangeführt werden sollen, nimmt die Mekong-Region indes eine Schlüsselfunktion ein. Die durch den Fluss gewonnene Wasserkraft soll nicht nur der Industrialisierung des Südwestens einen kräftigen Schub verleihen, sondern auch Boom-Regionen wie die Provinz Guangdong mit Strom versorgen. 29 28 Übernommen von Goh, Developing the Mekong [wie Fn. 20], S. 18, 19. 29 Das Potential der am chinesischen Teil des Mekong geplanten Kraftwerke wird, wie erwähnt, auf 15 000 MW veranschlagt (vgl. Fn. 11) – etwa 80 Prozent der Kapazitäten, die Peking für das Drei-Schluchten-Projekt (18 000 MW) anvisiert. Einige chinesische Schätzungen kommen sogar auf ein Potential von 25 000 MW, das dem Land durch den Mekong zur Verfügung stehen würde. Vgl. Ellen Bruzelius Backer, »Die Mekong River Commission: Funktioniert sie und wie beeinflusst die Geografie des Mekong-Beckens ihre Effektivität?«, in: Südostasien aktuell, (2007) 4, S. 42. Der Stellenwert der Mekong-Region für die verschiedenen Anrainer China sieht in den anderen Mekong-Ländern vorrangig wachsende Absatzmärkte für chinesische Konsumgüter sowie wichtige Lieferanten von Rohstoffen (wie Holz, Edelmetallen, Nahrungsmitteln) für die eigene Volkswirtschaft. Die ökonomischen Beziehungen zu diesen Ländern will Peking daher kontinuierlich erweitern – durch den forcierten Ausbau von Fernstraßen und Eisenbahnlinien, die Schiffbarmachung des Mekong für große Lastkähne 30 sowie durch gezielte chinesische Investitionen im Bereich Erschließung natürlicher Ressourcen. 31 Auf politischer Ebene bemüht sich die Volksrepublik um das Image einer »verantwortlichen Großmacht« (Fuzeren Daguo), die »zusammen mit den anderen Ländern der Region unermüdliche Anstrengungen unternimmt, um das gemeinsame Haus in ein Haus der Harmonie und des Wohlstands zu verwandeln«. 32 Dies impliziert, dass der Einfluss anderer Großmächte in Grenzen gehalten und nach Möglichkeit sogar zurückgedrängt werden soll. Nimmt man die nationale Gesamtfläche zum Maßstab, so ist Myanmar nach China der zweitgrößte Mekong-Anrainer. Doch der Fluss ist in diesem Land an keiner Stelle ein Binnengewässer, sondern bildet auf einer Länge von rund 200 Kilometern die Grenze zu Laos. Die Ressourcen des Stromes sind für Myanmar nur von marginaler Bedeutung, da nur ein geringer Teil seines Territoriums im Einzugsbereich des Mekong liegt. Meist handelt es sich dabei um Gebiete ethnischer Minderheiten, denen die Zentralregierung seit den neunziger Jahren weitgehende Autonomierechte zugestanden hat. Myanmar ist zwar Mitglied der GMS und verfügt – wie China – über Beobachterstatus in der MRC, hat aber in beiden Organisationen kaum eigenes Profil entwickelt oder sie als regionale Bühne für seine Außenpolitik genutzt. Nahezu ein Drittel der gesamten Fläche Thailands gehört zum Einzugsgebiet des Mekong. Doch historisch betrachtet stellt der Fluss Chao Praya die Lebensader dar, die für das Land stets von ausschlaggebender Bedeutung war, während der Mekong eher eine zweit30 Osborne, River at Risk [wie Fn. 6], S. 9f. 31 Vgl. Ingrid Martonova (Hg.), Rethinking Investments in Natural Resources: China’s Emerging Role in the Mekong Region, Phnom Penh 2008, <www.boell-southeastasia.org/downloads/ HBF_IISD_WWF_2008_Chinese_Investments_in_Natural_ Resources.pdf>. 32 So der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao auf dem GMS-Gipfel in Laos am 31.3.2008, »Build a Bond of Cooperation and a Common Homeland«, Speech at the Third GMS Summit, <www.fmprc.gov.cn/eng/zxxx/t420394.htm>. rangige Rolle spielte. Erst im Zuge der Bemühungen, den rückständigen Nordosten Thailands – den Isan – zu entwickeln, wurde man sich in Bangkok des Potentials bewusst, das dieser Strom bietet. Von primärem Interesse ist zunächst schlicht das Wasser, mit dem man einerseits die Landwirtschaft im trockenen Isan voranzubringen, andererseits den steigenden Wasserbedarf im Großraum Bangkok zu decken versucht. 33 Als exportorientiertes Schwellenland ist Thailand bestrebt, neue Transportrouten für den Handel in der Mekong-Region und vor allem mit China zu erschließen. Bereitwillig ging man daher auf die Initiative Pekings ein, den Mekong als Schifffahrtsweg auszubauen sowie neue Straßen- und Eisenbahnverbindungen anzulegen. 34 Ebenso wie die anderen Mekong-Anrainer will Thailand von den Energiereserven des Flusses profitieren. Allerdings hat bereits die Errichtung des relativ kleinen Pak-Mun-Staudamms Anfang der neunziger Jahre eine riesige Protestwelle der von dem Bauprojekt Betroffenen hervorgerufen und wesentlich zur Entfaltung von Thailands NGO-Bewegung beigetragen. Seither versucht die Regierung in Bangkok das energiepolitische Ziel weniger durch neue Wasserkraftwerke auf eigenem Territorium als durch die Beteiligung an Bau und Betrieb solcher Kraftwerke in anderen Mekong-Ländern, vor allem in Laos, sowie über langfristige Stromlieferverträge zu erreichen. Aus diesem Grund befürwortet Thailand – wie auch China – nachdrücklich die Errichtung eines die Region übergreifenden Verbundnetzes für Strom. Wie kein anderer Anrainerstaat wird Laos vom Flusssystem des Mekong und seiner Nebenströme geprägt. Fast das gesamte Territorium des Landes liegt im Einzugsgebiet dieses Flusssystems. Über 90 Prozent der Bevölkerung finden hier ihren Lebensunterhalt, der häufig durch ein hohes Maß an Subsistenzwirtschaft und schwache Integration in regionale oder internationale Märkte gekennzeichnet ist. 35 Andererseits verfügt das Land über die wohl größten Wasserkraft- 33 Im Rahmen des »Kong-Chi-Mun-Projekts« sollen pro Jahr 6,5 Milliarden m³ Wasser aus dem Mekong abgeleitet werden. Vgl. Evelyn Goh, »The Hydropolitics of the Mekong River Basin: Regional Cooperation and Environmental Security«, in: Andrew T. H. Tan/J. D. Kenneth Boutin (Hg.), Non-traditional Security Issues in Southeast Asia, Singapur 2001, S. 468–506 (478). 34 Vgl. Kap. »Greater Mekong Subregion (GMS)«, S. 23–28. 35 Vgl. Goh, Developing the Mekong [wie Fn. 20], S. 19, und Daryl Loo/Geert De Clercq, »Laos Targets Hydropower, Not Democracy«, in: The Guardian, 18.11.2007, S. 7. SWP Berlin Der Mekong März 2010 15 Konflikt- und Kooperationspotentiale SWP Berlin Der Mekong März 2010 16 Abb. 1 Anteile einzelner Flussanrainer am Mekong-Becken Quelle: ADB, Greater Mekong Subregion Socio-Economic Review, Manila 1997, S. 2; Joakim Ojendall/Elin Torell, The Mighty Mekong Mystery: A Study on the Problems and Possibilities of Natural Resources Utilization in the Mekong River Basin, Stockholm 1997, S. 118–131. Tabelle 1 Geographische Aufteilung des Mekong-Beckens Prozentualer China Myanmar Laos Thailand Kambodscha Vietnam Wassermenge 16 2 35 18 18 11 Landfläche 12 2 26 23 20 8 Bevölkerung 16 1 7 34 14 28 Anteil an Quelle: MRCS, Towards Sustainable Development: Annual Report 1995, Bangkok 1995, S. 1. Tabelle 2 Kennziffern der Volkswirtschaften in der Mekong-Region Kambodscha Laos 1992 2002 1992 1. Bevölkerung (Mio.) 9,0 13,5 4,4 5,5 42,3 52,2 57,3 63,4 68,5 79,7 38,3 2. Wachstumsrate 7,0 5,5 7,0 5,9 9,7 9,7 8,1 5,2 8,7 7,0 10,9 Myanmar 2002 1992 Thailand 2002 1992 Vietnam 2002 1992 Chin. Provinz Yunnan 2002 1992 2002 43,1 6,5 (01) des BIP (%) 3. BIP pro Kopf 1100 1649 971 1678 853 1568 430 6788 1141 2240 1218 2881 (PPP US-Dollar) 4. Staatliche Ein- 5,2 11,4 (01) 11,7 (93) 12,7 8,4 4,2 (00) 18,1 16,1 19 21,2 8,2 (95) 9,2 (01) 8,2 16,8 (01) 17,7 (93) 17,1 10,5 3,5 (00) 15,6 17,6 21,5 24,3 19,5 (95) 23,9 (01) nahmen (% BIP) 5. Staatliche Ausgaben (% BIP) 6. Anstieg der Ver- 96,1 3,3 9,9 10,6 21,9 57,1 4,2 0,7 30,0 101,8 29,8 40,9 3,6 1,0 (01) 61,3 98,1 20,1 24,5 63,3 67,8 23,4 35,6 2,8 219,7 523,0 346,5 735,7 136,9 217,2 6951,6 33 54 8 25 172 129 1544 5,7 (96) 3,8 1,3 0,9 50,8 103,9 9,1 8,6 (01) 8,9 4,7 13,9 1,2 1,9 10.873,0 1351,3 2628,0 596,9 1304,0 1068 385 braucherpreise (%) 7. Verhältnis des BIP (% BIP)a 8. Anteil des intraregionalen Handels am gesamten Außenhandel (%) 9. Zahl der Touristen (in 1000, Beginn 1995) 10. Ausländische Direktinvestitionen (Mio. US-Dollar) 17 SWP Berlin Der Mekong März 2010 a Definiert als Verhältnis Außenhandel/BIP zum laufenden Marktpreis. Abweichende Jahre in Klammern. Quelle: Asian Development Bank (ADB). 1200 3 128 (01) Der Stellenwert der Mekong-Region für die verschiedenen Anrainer Außenhandels zum Konflikt- und Kooperationspotentiale reserven in der Mekong-Region; diese werden bislang nur zu einem sehr geringen Bruchteil ausgeschöpft. 36 Die Regierung in Vientiane sieht daher den Schlüssel zu einer raschen und umfassenden Modernisierung in der konsequenten Nutzung dieses riesigen Wasserkraftpotentials. Unter der Parole »Laos – die Batterie Südostasiens« sucht sie seit geraumer Zeit ein ehrgeiziges Programm zu entwickeln, das es ermöglichen soll, Strom sowohl für den Aufbau einer eigenen Industrie als auch für den Export zu produzieren. Schon heute erzielt das Land einen beträchtlichen Teil seiner Exporteinnahmen durch Stromlieferungen. Zugleich fließen nahezu 80 Prozent aller ausländischen Investitionen in den Bau von Wasserkraftwerken und die dazu notwendigen Infrastrukturmaßnahmen. 37 Die Lasten dieser »Hydro-Industrialisierung« tragen vor allem die traditionell am Mekong lebenden Bevölkerungsgruppen. 38 Umsiedlungen in weniger fruchtbare Gebiete, Ertragsrückgänge beim Fischfang oder der Verlust von bisher genutzten Ackerflächen treffen dabei meist ethnische Minderheiten, die kaum Interessenvertreter in Vientiane haben und bei weitem nicht so gut organisiert sind wie vergleichbare Gruppen in Thailand. In ähnlich starkem Maße wie Laos prägt der Mekong auch Kambodscha. Fast 90 Prozent seines Territoriums liegen in dessen Einzugsgebiet. Im Unterschied zu Laos stehen für Kambodscha aber die landwirtschaftlichen Ressourcen des Flusses im Vordergrund. Das einzigartige Speichersystem des Tonle Sap 39 versorgt Millionen von Kambodschanern mit Fisch, Wasser und Düngesedimenten, ohne die die ausgedehnten Reisfelder im Herzen des Landes nur geringe Erträge abwerfen würden. Diese traditionell agrarische Nutzung gerät allerdings zunehmend in Konkurrenz zur geplanten Energiegewinnung durch Wasserkraft – sie wird von der Regierung in Phnom Penh als entscheidende Voraussetzung betrachtet, um die hohen Strompreise senken und eine flächendeckende Versorgung des 36 Vgl. MRC (Hg.), Strategic Plan 2006–2010 [wie Fn. 10]. 37 Goh, »The Hydropolitics of the Mekong River Basin« [wie Fn. 33], S. 474. Nicht zuletzt beteiligt sich Vietnam – auch im Rahmen der GMS-Kooperation – am Bau laotischer Kraftwerke. Vgl. Vientiane Plan of Action 2008–2012, <www.adb.org/ GMS/POA-January.pdf>, S. 17f. 38 Zu den negativen Auswirkungen der Dammbauten auf die Subsistenzwirtschaft vgl. den von der Organisation »International Rivers« 2008 herausgegebenen Bericht »Mekong at Risk«, <http://us.oneworld.net/article/357697-mekong-risklaos%E2%80%99-dam-building-boom>. 39 Vgl. Osborne, River at Risk [wie Fn. 6], S. 3f. SWP Berlin Der Mekong März 2010 18 Landes mit Elektrizität sowie zusätzliche Exporterlöse erzielen zu können. 40 Obwohl sich das für den Mekong anvisierte Dammbauprogramm noch im Planungsstadium befindet, hat es bereits den entschiedenen Widerstand kambodschanischer NGOs geweckt, die untereinander wie auch international gut vernetzt sind. Sie lehnen den Bau von Wasserkraftwerken nicht grundsätzlich ab, kritisieren hier aber die Intransparenz der Planungs- und Entscheidungsprozesse. Diese spielen sich meist hinter verschlossenen Türen ab, weil die Regierung eine öffentliche Diskussion über die soziale und ökologische Problematik von Dammbauprojekten zu unterbinden sucht. 41 Der Anteil von Vietnam an der gesamten Fläche des Mekong-Beckens beträgt weniger als 10 Prozent. Allerdings leben knapp 30 Prozent aller Einwohner der Mekong-Region in diesem Land. Das Delta des Flusses nimmt etwa 20 Prozent von Vietnams Territorium ein, etwa 25 Prozent seiner Bevölkerung leben in diesem Gebiet. Für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist dieses Gebiet indes von ungleich größerer Bedeutung. Traditionell stellt das fruchtbare Schwemmland des Mekong-Deltas die wichtigste Reiskammer Vietnams dar. 42 Weit mehr als die Hälfte aller landwirtschaftlichen Produkte werden hier geerntet; ebenso groß ist der Anteil der Fische, die hier gefangen oder gezüchtet werden. 43 Vietnams Reisexporte stammen zu mehr als 80 Prozent aus dem Mekong-Delta; bei den Exporten von Fischen und Meeresfrüchten liegt der Anteil bei über 50 Prozent. 44 Allerdings benötigt nicht nur eine zunehmend intensiver betriebene Landwirtschaft immer größere Mengen an Wasser. Auch das industrielle bzw. städtische Wachstum Vietnams geht mit einem steigenden Wasserbedarf einher. Dabei nimmt 40 Vgl. Nette, »Cambodian Dam Plans Suffer Information Drought« [wie Fn. 13]. 41 »Shady Hydropower Projects May Bring Waters of Change«, in: Asian Business, 27.10.–2.11.2008, S. 7; »With Six Proposed Dams Threatening the Sustainability of the Lower Mekong River, Cambodian Civil Society Calls for the MRC to Address Its Shortcomings«, öffentliche Erklärung der Rivers Coalition in Cambodia (RCC) vom 16.11.2007, <www.terraper.org/articles/RCC%20Statement_WEB.doc>; Nette, »Cambodian Dam Plans Suffer Information Drought« [wie Fn. 13]. 42 Die andere Reiskammer ist das Delta des Roten Flusses im Norden, das aber nur etwa ein Drittel so groß ist wie das Mekong-Delta. 43 Goh, Developing the Mekong [wie Fn. 20], S. 19. 44 Backer, »Die Mekong River Commission« [wie Fn. 29], S. 43. Konfliktfelder der Großraum Ho-Chi-Minh-Stadt im Bereich von Dienstleistungen, Produktion und Handel seit Beginn der wirtschaftlichen Reformen Mitte der achtziger Jahre eine nationale Spitzenstellung ein. Weil Niederschläge und Grundwasser den wachsenden Bedarf dieser neuen Wirtschaftsmetropole nicht mehr decken können, muss immer mehr Wasser dem Flusssystem des Mekong entnommen werden. 45 Da Vietnam mindestens ebenso sehr wie Kambodscha auf die Wassermassen des Mekong angewiesen ist, beobachtet das Land mit großer Sorge alle Dammbauprojekte, die am Ober- und Mittellauf des Flusses geplant oder bereits in die Tat umgesetzt werden. Mehr oder weniger offen kritisiert man vor allem die Intransparenz der chinesischen Projekte und die mangelnde Kooperationsbereitschaft Pekings. 46 Allerdings hat Vietnam mit der Volksrepublik auch Verträge über Stromlieferungen abgeschlossen. Zudem sieht sich die Regierung in Hanoi dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie ihrerseits ja Wasserkraftwerke im zentralen Hochland Vietnams errichtet habe und dieses Gebiet, in dem wichtige Nebenflüsse des Mekong entspringen, zur größten Wasserkraftquelle des Landes ausbauen wolle. 47 Außerdem werden mit finanzieller und technischer Unterstützung durch Vietnam auch in Laos und Kambodscha Wasserkraftwerke geplant und gebaut. 48 Letztlich gehen all diese Vorhaben zu Lasten der landwirtschaftlichen Nutzung des Mekong-Deltas. Ihm fehlen jene Wasser- und Sedimentmengen, die durch Stauanlagen zurückgehalten werden. Vietnams Führung ist daher gefordert, zumindest auf nationaler Ebene ein Konzept zu erarbeiten, das die Ziele der Energiegewinnung sowie der industriellen und landwirtschaftliche Entwicklung besser aufeinander abstimmt. 45 Nach Angaben der vietnamesischen Zeitung Tuoi Tre (dt. Jugend), 12.8.2008, wird etwa ein Drittel des Wasserbedarfs des Großraums Ho-Chi-Minh-Stadt durch den Mekong gedeckt. 46 Nguyen, »Vietnam’s Interests in the Greater Mekong Subregion« [wie Fn. 16], S. 119f. 47 The Vietnamese Prime Minister’s Decision 677/2004/ QD-TTG [wie Fn. 15]. 48 Vgl. »Regional Summit Builds Connections«, in: Viet Nam News, 31.3.2008, <http://vietnamnews.vnagency.com.vn/ Politics-Laws/175185/Regional-summit-builds-connections. html>. Konfliktfelder Bei allen großen Flüssen ergibt sich eine Konkurrenzbzw. Konfliktsituation zwischen den Anwohnern von Ober- und Unterlauf. Erstere haben aufgrund ihrer geographischen Lage die Möglichkeit, sich durch Wasserableitung, Errichtung von Kraftwerken, Ausbau der Fahrrinne oder Einleitung von Abwasser und Schadstoffen wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Die dadurch verursachten Kosten müssen größtenteils von den Anwohnern des Unterlaufs getragen werden, die sich mit geringeren Mengen an Wasser – und dieses in schlechterer Qualität – abzufinden haben. Im Falle des Mekong wird der Konflikt häufig auf eine Auseinandersetzung zwischen der Volksrepublik China und ihren südlichen Nachbarn verkürzt – das heißt, die Dämme und Wasserkraftwerke im chinesischen Teil des Flusses werden für all die ökologischen Schäden verantwortlich gemacht, die sich am Unterlauf und nicht zuletzt im Mekong-Delta bereits deutlich zeigen. 49 Dabei übersieht man allzu leicht, dass Chinas Anteil an der gesamten Wassermenge des Mekong nur bei etwa 16 Prozent liegt und sich der Konflikt auch zwischen den übrigen Anrainern abspielt. Ob Thailands Ableitungsprojekt zur Versorgung seines wasserarmen Nordostens, das umfangreiche Dammbauprogramm von Laos, die Wasserkraftwerke im zentralen Hochland Vietnams oder die in Kambodscha an den Sambor-Wasserfällen geplanten Kraftwerke – in all diesen Fällen wird letztlich stets die jeweilige Oberlaufposition zum eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer ausgenutzt. Neben geographischen Gegebenheiten haben wirtschaftliche, politische und auch militärische Kapazitäten entscheidenden Einfluss darauf, wer sich der Ressourcen eines transnationalen Stromes in welchem Ausmaß bedienen kann. Einer Großmacht stehen vielfältige Mittel zur Verfügung, um durch Druck und Anreize einen nachrangigen Staat zu veranlassen, auf Forderungen und Wünsche einzugehen und eigene Interessen hintanzustellen. Im Mekong-Becken führen diese beiden Faktoren zu einer besonders asymmetrischen Machtstruktur, da China und Thailand nicht nur durch ihre Lage am Oberlauf begünstigt sind, sondern auch ein ökonomisches Potential besitzen, das dem der südlichen Flussanrainer weit überlegen ist. Der Drang beider Länder 49 Fred Pearce, »The Damming of the Mekong: Major Blow to an Epic River«, in: Yale Enviroment 360, 16.6.2009, <http://e360.yale.edu/content/feature.msp?id=2162>. SWP Berlin Der Mekong März 2010 19 Konflikt- und Kooperationspotentiale zu einer möglichst weitgehenden Ausschöpfung ihrer jeweiligen Mekong-Anteile wird allerdings durch andere Interessen begrenzt. Denn China wie Thailand brauchen die Nachbarländer als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte, um den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg weiter vorantreiben zu können – dieser lässt sich in einem kooperativen regionalen Umfeld sehr viel leichter realisieren als in einem konfrontativen. Solange man sich auf kein regionales Regime verständigt, das Nutzungsmöglichkeiten für die gemeinsame Ressource regelt und Verfahren zur Lösung aufkommender Konflikte bereithält, zeichnen sich für die nachrangigen Mächte im Wesentlichen zwei Handlungsoptionen ab. Sie können sich mit der Großmacht arrangieren (bandwagoning), um dafür entsprechende Gegenleistungen zu bekommen – sei es in Form wirtschaftlicher Hilfe oder auch politischer Unterstützung auf regionaler wie internationaler Ebene. Oder sie versuchen, durch Zusammenschluss untereinander eine Gegenmacht aufzubauen (balancing). An Gewicht gewinnen könnte eine solche Koalition, indem sie eine oder mehrere andere Großmächte einbindet. Um die Ressourcen des Mekong und der MekongRegion konkurrieren indes nicht nur die einzelnen Nationalstaaten, sondern auch die verschiedenen Interessengruppen innerhalb eines Landes. Die Nutzung des Flusses zur Energieerzeugung, zur Bewässerung und Fischzucht, zur Wasserversorgung der Industrie sowie rasch wachsender Städte und nicht zuletzt als Transportweg schließen sich gegenseitig nicht notwendigerweise aus, aber sie bedürfen auf nationaler wie regionaler Ebene einer planvollen Koordination. Welcher Interessengruppe dabei Priorität eingeräumt und welcher mindere Bedeutung beigemessen wird, ist letztlich eine politische Entscheidung. Sie hängt ab von der Entwicklungsstrategie, mit der die jeweilige Regierung ihr Land zu modernisieren versucht. Setzt man Entwicklung mit dem möglichst schnellen Anstieg wirtschaftlicher Wachstumsraten gleich? Oder verfolgt man eine Politik, die auf nachhaltige Nutzung des vorhandenen Potentials abzielt, die Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt und sich nicht nur auf traditionelle Modelle verlässt, sondern auch um innovative Konzepte bemüht? SWP Berlin Der Mekong März 2010 20 Kooperationspotentiale Obwohl gerade während des vergangenen Jahrzehnts tiefgehende Eingriffe in das Flusssystem des Mekong vorgenommen worden sind, bleiben viele seiner Ressourcen bislang ungenutzt. 50 Folgt man einer von der Weltbank und der Asian Development Bank gemeinsam vorgelegten Studie, 51 so birgt der Mekong noch immer ein sehr großes und breitgefächertes Entwicklungspotential. Dauerhaft ausgeschöpft werden kann es aber nur dann, wenn man seine Nutzung nicht dem freien Spiel ökonomischer und politischer Kräfte überlässt, sondern einem transparenten und durchdachten Ressourcen-Management unterstellt. Bereits Anfang der neunziger Jahre wurden hierzu mit dem Konzept des »Integrated Water Resources Management« (IWRM) grundlegende Prinzipien ausgearbeitet. 52 Sie fanden Eingang in die von den Vereinten Nationen 1997 kodifizierte »Convention on the Law of Non-Navigational Uses of International Watercourses«. 53 Ausgangspunkt des Konzepts ist die These, dass alle Nutzungen und Nutzer eines Flusses voneinander abhängig und deshalb auch in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu betrachten sind. Eine solche Sichtweise darf sich dabei nicht nur auf den eigentlichen Flusslauf und die ufernahen Gebiete beschränken, sondern muss das gesamte Einzugsgebiet des Stromes als interdependentes ökologisches wie soziales System erfassen. Dass es in diesem System konkurrierende Interessen gibt, wird nicht geleugnet – vielmehr geht es gerade darum, diese klar zu benennen und anzuerkennen. Von wesentlicher Bedeutung ist, dass die verschiedenen Interessengruppen und lokalen Verwaltungen an der jeweiligen Entscheidungsfindung beteiligt und in eine integrierte Entwicklungsstrategie eingebunden werden. Dabei gilt es »Win-win-Situationen« zu identifizieren, Benachteiligungen einzelner Gruppen möglichst zu begrenzen und gegebenenfalls Kompensationen festzulegen. Eine solche Strategie, die eher als offener Prozess denn als fertiges Konzept zu verstehen 50 Sneddon/Fox, »Rethinking Transboundary Waters« [wie Fn. 7], S. 188, bezeichnen den Mekong sogar als »the least altered of Asia’s large river systems«. 51 World Bank/Asian Development Bank (Hg.), Joint Working Paper on Future Directions for Water Resources Management in the Mekong River Basin, Washington, D.C., Juni 2006. 52 »Integrated Water Resources Management«, <www.archive.cap-net.org/iwrm_tutorial/mainmenu.htm>. 53 China gehört zu den wenigen Ländern, die dieses Dokument bislang nicht unterzeichnet haben. Kooperationspotentiale ist, stellt vielfältige Kooperationsgewinne in Aussicht – von einer nachhaltigen Entwicklung des Mekong selbst über höhere Erträge aus dem Fluss bis hin zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in Bereichen, die nicht unmittelbar mit dem Management des Stromes zu tun haben. 54 Gemeinsame Verantwortung und gemeinsames Handeln sollten zunächst darauf abzielen, die Wassermenge in einem von allen Partnern akzeptierten Verfahren zu verteilen, eine möglichst hohe Wasserqualität zu gewährleisten und Verunreinigungen durch industrielle Emissionen, übermäßigen Einsatz chemischen Düngers sowie zunehmende Bodenerosion zu minimieren. Die Bereitschaft, sich aktiv an diesen Maßnahmen zu beteiligen, dürfte in dem Maße wachsen, in dem es gelingt, die entsprechenden Regelungen und Verfahren für den gesamten Flusslauf umzusetzen und Verstöße dagegen zu sanktionieren – damit nicht regelkonformes Handeln der einen durch regelwidriges Vorgehen der anderen zunichtegemacht wird. Neben der gleichberechtigten Verteilung des Wassers und der Sicherung seiner Qualität ist der jahreszeitlich bedingte Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser für das ökologische Gleichgewicht und die landwirtschaftliche Nutzung des Mekong von ausschlaggebender Bedeutung. Dieser Wechsel ist jedoch vielfach mit verheerenden Überschwemmungen und Dürren verbunden, die immer wieder die Lebensgrundlage unzähliger Menschen zerstören und darüber hinaus zahlreiche Todesopfer fordern. Um einerseits die notwendigen Schwankungen des Wasserstands zu gewährleisten, andererseits aber auch deren destruktive Folgen einzudämmen, bedarf es ebenfalls eines koordinierten Handelns aller Anrainer. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind das Sammeln und Auswerten von Daten über das Fließverhalten des Mekong, um frühzeitig vor Hochwasser warnen zu können. Solche Informationen allein ermöglichen aber nur ein defensives Reagieren. Dauerhafter Schutz vor Naturkatastrophen – bei Bewahrung eines angemessenen Ebbe-Flut-Rhythmus – wird nur in einem komplexen System von aufeinander abgestimmten Dammbauten und Wasserreservoiren möglich sein, das vorrangig auf das Ziel der Flutkontrolle ausgerichtet ist. Da die Kosten eines solchen Systems vorwiegend im Ober- und Mittellauf des Flusses an54 Vgl. Claudia W. Sadoff/David Grey, »Beyond the River: The Benefits of Cooperation on International Rivers«, in: Water Policy, 4 (2002), S. 389–403. fallen, während die positiven Effekte vor allem den Unterlauf betreffen, wird man die Anrainer am Oberund Mittellauf nur mit Ausgleichsleistungen dazu bewegen können, sich an den Vorkehrungen zu beteiligen. Derartige Eingriffe rufen immer wieder den Widerspruch von Umweltaktivisten hervor, die sich von einem fundamentalistischen Ökologieverständnis leiten lassen und Naturschutz als hermetische Abschottung gegenüber allen menschlich gesteuerten Aktivitäten begreifen. Eine konsequente Umsetzung dieses Gedankens würde indes nicht nur großen Bevölkerungsteilen die Lebensgrundlage entziehen. Die Vertreter einer solchen Position vergessen außerdem, dass sich selbst überlassene Naturräume zwar zum ökologischen Gleichgewicht tendieren, zugleich aber auch an Flora und Fauna einbüßen. Gerade das Mekong-Delta ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie durch ein ausgeklügeltes System von Kanälen und Bewässerungsmethoden ein malariaverseuchtes Sumpfgebiet in eine fruchtbare Reiskammer verwandelt werden kann und dabei eine neue ökologische Balance entsteht. 55 Ließe sich eine solch tiefgreifende Umgestaltung am gesamten Mekong oder zumindest in weiten Bereichen erzielen, würde dies letztlich auch die Erträge steigern, die nachhaltig aus dem Fluss gewonnen werden können. Im semi-ariden Spanien etwa gelang es durch ein verbessertes Ressourcen-Management, die Verfügbarkeit der vorhandenen Wasserbestände von 8 auf 60 Prozent zu steigern. 56 Eine bessere Verteilung des Wassers und effizientere Maßnahmen zur Flutkontrolle kommen im Falle des Mekong vor allem der Landwirtschaft und dem Fischfang zugute. Sie eröffnen aber auch neue Chancen für einen – zunehmend nachgefragten – Tourismus, der Natur und Erholung in den Vordergrund stellt. Außerdem ist Energieerzeugung durch Wasserkraft sicherlich ein unverzichtbarer Bestandteil einer solchen Entwicklungsstrategie. Dabei bemisst sich »Wirtschaftlichkeit« jedoch nicht an den Interessen eines einzelnen Betreibers bzw. an der maximalen Energieerzeugung pro Kraftwerk, sondern an der ökonomischen Bilanz der gesamten Region. Eine höhere Energieeffizienz 57 55 Zur Entwicklung des Mekong-Deltas vgl. Pierre Brocheux, The Mekong Delta. Economy, Ecology and Revolution, Madison: University of Wisconsin-Madison, Center for Southeast Asian Studies, 1995. 56 Sadoff/Grey, »Beyond the River« [wie Fn. 54], S. 395. 57 Allein in Vietnam könnten nach Schätzungen 8 Milliarden Dollar pro Jahr durch eine höhere Energieeffizienz SWP Berlin Der Mekong März 2010 21 Konflikt- und Kooperationspotentiale im Produktionsprozess und moderne Transmissionstechnologien, die Transportverluste reduzieren, 58 sind bei der Optimierung dieser Bilanz mindestens ebenso wichtig wie eine Steigerung emissionsarmer Energiegewinnung. Solche Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit sind Kraftwerksbetreibern und Investoren gegenwärtig sicherlich noch fremd. Je mehr sich indes die beim Bau von Wasserkraftanlagen erstellten Wirtschaftlichkeitsberechnungen als falsch erweisen, weil die Versandung schneller als erwartet voranschreitet oder der Instandhaltungsaufwand höhere Kosten verursacht als eingeplant, desto attraktiver dürften alternative Strategien werden – zumal wenn neue Anlagemöglichkeiten in zukunftsträchtigen Bereichen (Energieeffizienz, Bioerzeugnisse etc.) höhere Renditen versprechen. Die positiven Erfahrungen kollektiven Bemühens um eine nachhaltige Entwicklung des Mekong schaffen darüber hinaus eine Basis gegenseitigen Vertrauens. Damit wird auch eine politische und ökonomische Zusammenarbeit begünstigt, die nicht mehr unmittelbar auf den Fluss bezogen sein muss. Während heute noch zahlreiche – oftmals recht diffuse – Rivalitäten die Region prägen, könnten Nahrungs- und Energiesicherheit künftig als gemeinsame Ziele begriffen werden, die nicht allein im nationalen Maßstab zu gewährleisten sind. Am Mekong würde damit sicherlich kein konfliktfreier Raum entstehen, doch die Voraussetzungen für eine friedliche Beilegung der Differenzen dürften sich erheblich verbessern. eingespart werden. Duc Hung, »Government Aims to Save $8b in Energy«, in: Viet Nam News, 5.8.2008, <http://vietnamnews. vnagency.com.vn/showarticle.php?num=03ECO050808>. 58 Die derzeitigen Energieverluste durch veraltete Transmissionstechnologien werden in Vietnam auf mehr als 9 Prozent veranschlagt. Asia Pulse, »Reducing Vietnam’s power transmission losses a hard task: EVN [Electricity of Vietnam]«, 26.8.2009. SWP Berlin Der Mekong März 2010 22 Greater Mekong Subregion (GMS) Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet In der Mekong-Region sind seit dem Ende des Kalten Krieges und des chinesisch-sowjetischen Konflikts eine Reihe von Organisationen entstanden, die es sich zum Ziel gesetzt haben, durch verstärkte Kooperation Unterentwicklung zu überwinden und langfristig die gesamte indochinesische Halbinsel in eine wirtschaftliche Wachstumszone zu verwandeln. 59 An einigen dieser Zusammenschlüsse sind neben Mekong-Anrainern auch Länder wie Indien und Japan beteiligt, die nicht zu Südostasien gehören. Außerdem unterstützen internationale Institutionen wie die ADB und einige europäische Länder die Arbeit bestimmter Organisationen mit finanzieller, teilweise auch technischer Hilfe. Die Region wird daher gerne als anschaulicher Beleg für die These herangezogen, dass die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Wasserressource nicht zwangsläufig zu immer schärferen Konflikten führen muss, sondern ebenso eine verstärkte Ausschöpfung von Kooperationspotentialen bewirken kann, die letztlich allen Beteiligten zu höheren Erträgen verhilft. Während bei manchen dieser Zusammenschlüsse die Proklamation gemeinsamer Zielsetzungen größeren Raum einnimmt als die konkrete Projektarbeit, haben sich mit der »Greater Mekong Subregion« (GMS) und der »Mekong River Commission« (MRC) zwei tatkräftige Organisationen herausgebildet, die auf regionaler Ebene gut positioniert sind und ein aktives Engagement der internationalen Gemeinschaft hervorgerufen haben. Die folgende Darstellung wird sich daher auf eine Analyse dieser beiden Organisationen konzentrieren. Greater Mekong Subregion (GMS) Entstehungsgeschichte Mit der Unterzeichnung der internationalen Vereinbarungen über das Ende des Kambodscha-Konflikts im Oktober 1991 wurden jene Konfliktlinien hinfällig, die jahrzehntelang einer engeren Kooperation zwischen der Volksrepublik China und ihren Nachbarn auf der 59 Eine Auflistung dieser Organisationen findet sich im Anhang der Studie (S. 38). indochinesischen Halbinsel im Wege gestanden hatten. 60 Auf Initiative der ADB, die den organisatorischen Rahmen schuf und beträchtliche finanzielle Hilfen in Aussicht stellte, kamen 1992 alle sechs Mekong-Länder 61 zu einer Konferenz auf Ministerebene zusammen, um die »Greater Mekong Subregion« aus der Taufe zu heben. Die GMS verstand sich anfangs nicht als Wirtschafts- oder Handelsgemeinschaft, sondern als eine Gruppe von Ländern, die durch den Mekong geographisch verbunden sind und in ihrem ökonomischen wie gesellschaftlichen Entwicklungsstand viele Gemeinsamkeiten aufweisen. 62 Zwar verfügten Thailand und China bereits zu Beginn der neunziger Jahre über hochmoderne Wirtschaftssektoren in industriellen Ballungsgebieten, aber gerade die am Mekong gelegenen Landesteile zeichneten sich – ebenso wie im Fall der anderen Flussanrainer – durch ein relativ niedriges Entwicklungsniveau und geringe wirtschaftliche Verflechtung aus. Trotz dieser gemeinsamen Voraussetzungen verhinderte das noch immer recht angespannte Verhältnis zwischen China und Südostasien zunächst fast zehn Jahre lang ein zügiges Voranschreiten des Projekts. Erst 2002 zeichneten sich für die GMS günstigere Perspektiven ab – nachdem die chinesische Regierung in einen umfassenden Dialog mit der ASEAN eingetreten war und man nicht zuletzt auch eine gemeinsame Freihandelszone vereinbart hatte. 63 So wurde der 60 Texte der Abkommen von 1991 in: Patrick Raszelenberg/ Peter Schier, The Cambodia Conflict: Search for a Settlement, 1979– 1991, Hamburg 1995, S. 570–605. 61 Offiziell gehören die chinesische Provinz Yunnan und – seit 2005 – die Region Guangxi der GMS an. Auf Gipfeltreffen und Ministerkonferenzen der Organisation werden sie jedoch durch Mitglieder der chinesischen Zentralregierung vertreten. Vgl. Tim Summers, »China and the Mekong Region«, in: China Perspectives, (2008) 3, S. 72–76. 62 Eric Teo Chu Cheow, »Three Strategic Challenges for ASEAN and China: The Greater Mekong Subregion, the ›Go West Policy‹, and the Role of Ethnic Chinese in Sino-ASEAN Strategic Relations«, in: James K. Chin/Nicholas Thomas (Hg.), China and ASEAN: Changing Political and Strategic Ties, Hongkong 2005, S. 115f. 63 Hanns Günther Hilpert/Gerhard Will, China und Südostasien. Auf dem Weg zu regionaler Partnerschaft, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2005 (SWP-Studie 21/2005), S. 20ff. SWP Berlin Der Mekong März 2010 23 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet China-ASEAN-Gipfel Anfang November 2002 in Phnom Penh genutzt, um dort zugleich ein erstes Gipfeltreffen aller GMS-Länder abzuhalten und einen ersten Rahmenplan für das kommende Jahrzehnt zu verabschieden. Darin waren nicht nur einzelne Arbeitsgebiete festgelegt, sondern auch konkrete Projekte samt Finanzierungsplänen und vorgesehenen Fertigstellungsterminen. Strategische Zielsetzungen Oberstes Ziel der GMS, das in allen gemeinsamen Kommuniqués ihrer Gipfeltreffen beschworen wird, ist die Schaffung einer »integrierten, harmonischen und blühenden Sub-Region«. 64 Um diese Vision zu realisieren, sollen alle Barrieren überwunden werden, die einem intensiveren Verkehr von Gütern, Informationen und Personen im Wege stehen. Dabei geht es zunächst einmal um die Verbesserung der materiellen Infrastruktur, mithin um den Ausbau der verschiedenen Transportwege. Von den neun Arbeitsbereichen, die in dem derzeit gültigen »Plan of Action for GMS-Development 2008–2012« 65 aufgeführt werden – Transport, Energie, Telekommunikation, Landwirtschaft, Umwelt, Tourismus, Ausund Weiterbildung, Handel, Investitionen –, nimmt der Sektor Transport daher eine besonders wichtige Stellung ein. Allein für den Bau und Ausbau von Fernstraßen und Eisenbahnlinien sieht der Aktionsplan Projekte mit einem Volumen von mehr als 7 Milliarden US-Dollar vor, deren Finanzierung bereits vereinbart worden ist. Darüber hinaus nennt der Plan eine nicht minder große Zahl an Projekten zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur (einschließlich des Luft- und Schiffsverkehrs), bei denen die Finanzierung noch nicht verbindlich geregelt ist. Der Ausbau der materiellen Infrastruktur wird allerdings nur dann seine volle Wirkung entfalten können, wenn auch die administrativen Handelshemmnisse beseitigt werden. 2003 unterzeichneten daher alle GMS-Mitglieder ein »GMS Cross-Border Transport Agreement«, 66 das allgemeine Verfahrens64 So in der Gemeinsamen Erklärung des 3. GMS-Gipfeltreffens im Frühjahr 2008, Text: <www.adb.org/Documents/ Events/2008/3rd-GMS-Summit/default.asp>. 65 Volltext: GMS, Vientiane Plan of Action for GMS Development 2008–2012, <www.adb.org/Documents/Events/2008/3rd-GMSSummit/POA-Vientiane2008-2012.pdf>. 66 ADB, GMS Cross-Border Transport Agreement, <www.adb.org/ GMS/agreement.asp>. SWP Berlin Der Mekong März 2010 24 regeln zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs festlegt und durch Zusatzvereinbarungen und -protokolle laufend ergänzt wird. Bislang ist dies der einzige völkerrechtlich bindende Vertrag, mit dem die Regierungen aller GMS-Staaten gemeinsame Verpflichtungen eingegangen sind. Neben dem Bereich »Transport« zielt auch der Sektor »Handel« darauf ab, Hürden beim Warenverkehr aus dem Weg zu räumen. Beabsichtigt ist, nicht nur Verkehrsverbindungen, sondern auch »Economic Corridors« zu schaffen – entlang der Transportrouten sollen also Unternehmen gegründet und wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet werden. Diese Economic Corridors, die die Region in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung durchqueren werden, sollen gleichsam die Lebensadern eines neuen gemeinsamen Wirtschaftsraumes bilden. Den Austausch materieller Güter will man durch den Handel mit Elektrizität bzw. durch den Aufbau eines regionalen Verbundnetzes ergänzen und intensivieren – ein funktionsfähiger Strommarkt soll Anbietern wie Abnehmern alternative Handlungsoptionen eröffnen. Eine Reihe von GMS-Projekten im Bereich »Energie« befasst sich daher mit dem Bau bzw. der Unterstützung des Baus von Wasserkraftwerken (vor allem in Laos), Überlandleitungen und Schaltstationen sowie der Ausbildung und Schulung des nötigen Fachpersonals. 67 Der verstärkte Austausch von Informationen mit Hilfe moderner Technologie ist eine Aufgabe, die in den Bereich »Telekommunikation« fällt. Dieser bildet einen weiteren Schwerpunkt des Programms; sein Spektrum reicht vom Aufbau eines »Information Super-Highway« über die GMS-weite Verbreitung von Erkenntnissen moderner Agrartechnologie bis hin zu Programmen auf dem Feld von e-government und e-learning. Eine größere Durchlässigkeit der Grenzen wird nicht zuletzt die Ausweitung des Tourismus begünstigen. Neben der Erschließung neuer Reiserouten und Feriengebiete sieht der Bereich »Tourismus« die Ausbildung von Tourismusmanagern, Fremdenführern und Konservatoren historischer Stätten vor. Es entstehen jedoch auch Sicherheitsrisiken, wenn die grenzüberschreitende Kommunikation intensiviert wird und bisher bestehende Schranken fallen. Der Bereich »Aus- und Weiterbildung« umfasst daher verschiedene Projekte, die auf den gemeinsamen Kampf gegen epidemische Krankheiten wie HIV/AIDS, Malaria und Dengue-Fieber, aber auch Tier- und 67 Vgl. den Arbeitsbereich »Energie« in dem Vientiane Plan of Action 2008–2012 [wie Fn. 37], S. 15–20. Greater Mekong Subregion (GMS) Pflanzenseuchen abzielen. Das gemeinsame Vorgehen gegen transnationale Kriminalität – vor allem Menschenhandel und Drogenschmuggel – wird zwar als Herausforderung einer intensiveren GMS-Kooperation anerkannt, 68 doch der Vientiane-Aktionsplan benennt hierzu keine spezifischen Projekte. Allerdings hatten sich China und die ASEAN-Staaten bereits im November 2002 mit einer Gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit im Bereich nicht-traditioneller Sicherheitsprobleme bekannt. 69 Die Gefahren einer fortschreitenden Umweltzerstörung werden ebenfalls als länderübergreifende Herausforderung verstanden. Entsprechende Projekte führt der Aktionsplan im Bereich »Umwelt« auf. Darüber hinaus verabschiedeten alle GMS-Länder 2005 ein »Core Environment Program«, in dem »eine konsequente Einbeziehung von Umweltbelangen in die gesamte Arbeit der GMS für eine nachhaltige Entwicklung« gefordert wurde. 70 Führende Repräsentanten der Mitgliedsländer, nicht zuletzt der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao, stellen vor allem die Bedrohung durch den globalen Klimawandel heraus, der einige GMS-Staaten besonders stark treffen wird. 71 Organisation und finanzieller Rahmen In den Gemeinsamen Erklärungen der GMS wird stets die »Wichtigkeit eines pragmatischen, handlungs- und ergebnisorientierten Arbeitsstils« betont. 72 Grundlage der Zusammenarbeit sei der Aufbau gegenseitigen Vertrauens und Respekts, der Beratungen und Verhandlungen auf gleichberechtigter Basis ermögliche. 73 68 So in der Gemeinsamen Erklärung des 3. GMS-Gipfeltreffens im Frühjahr 2008 [wie Fn. 64]. Vgl. auch Dang Nguyen Anh, »Migration and Trafficking within the Greater Mekong Subregion: Policy Dimensions of a Growing Issue«, in: Dosch u.a. (Hg.), Economic and Non-Traditional Security Cooperation in the GMS [wie Fn. 16], S. 73–82, sowie Nguyen Xuan Yem, »Strengthening International Cooperation for a Drag Free Mekong Subregion«, ebd., S. 83–92. 69 »Joint Declaration of ASEAN and China on Cooperation in the Field of Non-Traditional Security Issues«, 6th ASEANChina Summit, Phnom Penh, 4 November 2002, <www.aseansec.org/13185.htm>. 70 Vgl. GMS, Core Environment Program (CEP), <www.gmseoc.org/CEP/CEP.aspx>. 71 Vgl. Wen Jiabaos Rede auf dem 3. GMS-Gipfeltreffen am 31.3.2008 [wie Fn. 32]. 72 Siehe z.B. Gemeinsame Erklärung des 3. GMS-Gipfeltreffens [wie Fn. 64]. 73 So der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao auf dem 3. GMS-Gipfel [wie Fn. 32]. Dabei verständigt man sich zwar auf gemeinsame Maximen – das Motto des Vientiane-Gipfels 2008 etwa lautete »Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Vernetzung« (Enhancing Competitiveness through Connectivity) –, ohne jedoch solche Leitsätze in einem konzeptionellen Rahmen näher zu definieren und einen konkreten Fahrplan festzulegen, mit dessen Hilfe das vorgegebene Ziel zu erreichen wäre. Auch institutionell hat man sich auf eine eher lockere Struktur verständigt, die ein hohes Maß an Flexibilität garantieren soll. 74 Auf unterster Ebene wurden für die einzelnen Schlüsselsektoren Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen jedes GMS-Land mit Delegierten vertreten ist. Die Aufgabe der einzelnen Arbeitsgruppen besteht darin, Kooperationsprojekte zu entwickeln und die politische Entscheidungsfindung vorzubereiten. Auf Länderebene sollen »Nationale Koordinations-Komitees« die Vorhaben der verschiedenen Programmbereiche aufeinander abstimmen. Diesen Komitees entspricht auf regionaler Ebene ein »Senior Officials’ Meeting« (SOM), zu dem ein- oder zweimal im Jahr hohe Beamte der GMSLänder zusammenkommen, um die Planungen der einzelnen Schlüsselsektoren zu koordinieren und sie in »Leuchtturm-Programmen« (Flagship Programs) zu verknüpfen. 75 Neben diesen Koordinierungsmechanismen auf Regierungsebene haben sich in der GMS noch einige Zusammenschlüsse wie das »GMS Business Forum«, das »GMS Academic and Research Network« oder das »GMS Youth Forum« etabliert, in denen NichtRegierungs-Vertreter zusammenkommen, um ihre Anliegen zu diskutieren und gemeinsame Interessen auszuformulieren. Diese Vereinigungen sind aber in keiner Weise in den Planungs- und Entscheidungsprozess der GMS eingebunden und haben bislang auch nicht mit eigenen Stellungnahmen in öffentliche Debatten eingegriffen. Sämtliche politischen Entscheidungen werden auf den jährlich stattfindenden Ministerkonferenzen der GMS getroffen. Den seit 2002 alle drei Jahre einberufenen Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten bleibt es vorbehalten, die mittelfristig angelegten Aktionspläne zu verabschieden und damit der Zusammenarbeit in 74 Zum organisatorischen Aufbau der GMS vgl. Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP), Trade and Investment Division (Hg.), Economic Cooperation and Regional Integration in the Greater Mekong Subregion (GMS), 2008 (Staff Working Paper Nr. 2/2008), S. 1–65 (14–18). 75 Eine Auflistung dieser »Flagship Programs« findet sich ebd., S. 17. SWP Berlin Der Mekong März 2010 25 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet Leistungsbilanz der Mekong-Region entsprechenden Nachdruck und die nötige Legitimität zu verleihen. Nach dem ersten Gipfel in Phnom Penh 2002 kam man im Juli 2005 in Kunming, der Hauptstadt der chinesischen Grenzprovinz Yunnan zusammen. Im März 2008 schließlich wurde in der laotischen Hauptstadt Vientiane der derzeit gültige Aktionsplan unterzeichnet, der alle Arbeitsvorhaben enthält, die in den Jahren 2008–2012 umgesetzt werden sollen. 76 Das nächste Gipfeltreffen wird im März 2010 in Hanoi stattfinden. Nach wie vor bildet die Asian Development Bank das Rückgrat der GMS. Sie fungiert als Sekretariat und Koordinator des GMS-Programms und stellt für viele der darauf basierenden Aktivitäten technische Unterstützung und inhaltliche Beratung zur Verfügung. Nicht zuletzt sehen die Mitgliedsländer der Organisation in der ADB einen »ehrlichen Makler«, der weitere Geldgeber anwirbt, 77 unterschiedliche Teilnehmer eines Projekts zusammenbringt und ihnen hilft, Übereinstimmung in grundlegenden Fragen zu erzielen. 78 Bis Ende 2008 hat die GMS für all ihre Projekte 10,3 Milliarden Dollar aufgewendet. 79 Obwohl aus der Projektliste des Vientiane-Aktionsplans nicht immer klar hervorgeht, welche Summen bei den einzelnen Vorhaben bereits ausgegeben wurden und welche noch umzusetzen sind, lassen sich doch einige deutliche Trends erkennen. Weit über 90 Prozent der Gelder fließen in 34 Investitionsprojekte. Ihnen stehen 146 Projekte auf dem Feld technischer Zusammenarbeit gegenüber, die zusammen weniger als 10 Prozent der Gesamtmittel beanspruchen. Bei den Investitionen wiederum ist eine klare Schwerpunktsetzung auszumachen. Fast 70 Prozent aller Kosten entfallen auf die Sektoren Transport (knapp 50 Prozent) und Energie (knapp 20 Prozent). 80 Für die Finanzierung aller GMSProjekte kommen zu etwa je einem Drittel die ADB, die GMS-Mitglieder und weitere Geberländer auf. 81 Bei der Bewertung ihrer bisherigen Tätigkeit verweist die GMS in Verlautbarungen gerne darauf, dass ihr »pragmatischer, handlungs- und ergebnisorientierter Arbeitsansatz« sehr viel greifbarere Erfolge hervorgebracht habe, als dies bei einer »durch Regeln gelenkten Kooperation« der Fall wäre. 82 Für rund 5 Milliarden Dollar wurden neue Verkehrswege – vor allem Fernstraßen – gebaut, die bislang abgelegenen Gebieten einen Zugang zu regionalen und internationalen Märkten eröffnet haben. Mit der Errichtung eines transnationalen Verbundnetzes werden die materiellen Voraussetzungen für einen regionalen Strommarkt geschaffen. Eine Studie der Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP), einer regionalen Unterorganisation der Vereinten Nationen, führt noch weitere wirtschaftliche Erfolge der GMS auf. 83 Betrug das durchschnittliche BIP pro Kopf in den GMS-Ländern (China ausgenommen) 1992 noch 664 Dollar, so stieg dieser Wert bis zum Jahr 2006 auf 1042 Dollar. 84 Damit lagen die GMS-Länder etwas über der durchschnittlichen Zuwachsrate aller ASEAN-Staaten. Der Handel zwischen den GMS-Ländern hat sich ebenfalls relativ schnell entwickelt. Lag sein Anteil am Gesamthandel dieser Länder 2002 noch bei 2 Prozent, so stieg er bis 2006 auf 5 Prozent 85 – eine Zuwachsrate, die geringfügig über jener der ASEAN-Länder lag, die nicht der GMS angehören. Darüber hinaus konnte in allen GMS-Ländern die Armutsrate 86 im Schnitt um fast 20 Prozent gesenkt und der Human Development Index um 40 Prozent gesteigert werden. 87 Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch wachsende Disparitäten, die in eklatantem Widerspruch zum Ziel einer »integrierten, harmonischen und blühenden Sub-Region« stehen. Seit Gründung 76 GMS, Vientiane Plan of Action for GMS Development 2008–2012 [wie Fn. 65]. 77 Neben Japan, Südkorea und Australien gehören die EUKommission sowie einzelne EU-Mitglieder zu den wichtigsten Geldgebern. 78 Vgl. ADB, »ADB’s Role in Regional Cooperation«, <www.adb.org/GMS/Program/adbs-role.asp>. 79 Diese Angabe findet sich in: »Evaluation of ADB’s Assistance to the Energy Sector in the GMS«, in: Background Documents for the 15th GMS Ministerial Conference (17.–19.6.2009). 80 Angaben in: ADB, Mid-Term Review of the 10-Year GMS Strategic Framework (2002–2012), S. 34, <www.adb.org/ documents/reports/mid-term-review-gms/default.asp>. 81 Leicht abweichende Angaben hierzu in: Country Report on China’s Participation in the Greater Mekong Subregion Cooperation, 28.3.2008, <www.fmprc.gov.cn/eng/zxxx/t419062.htm>, sowie in: Independent Evaluation Department ADB, Learning Curves. GMS: Maturing and Moving Forward, Manila, Februar 2009. 82 Independent Evaluation Department ADB, Learning Curves [wie Fn. 81], und ADB, Mid-Term Review of the 10-Year GMS Strategic Framework (2002–2012) [wie Fn. 80], S. vii. 83 ESCAP (Hg.), Economic Cooperation and Regional Integration [wie Fn. 74]. 84 Ebd., S. 25. 85 Ebd., S. 34. 86 Sie erfasst alle Personen, die weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung haben. 87 ADB, Mid-Term Review of the 10-Year GMS Strategic Framework (2002–2012) [wie Fn. 80], S. vii, und ESCAP (Hg.), Economic Cooperation and Regional Integration [wie Fn. 74], S. 29. SWP Berlin Der Mekong März 2010 26 Greater Mekong Subregion (GMS) Abb. 2 Handel der Volksrepublik China mit den anderen Mekong-Anrainern (in Mrd. US-Dollar, ohne Thailand) 20 20 15 15 10 10 5 5 0 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Exporte 2001 Importe 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Handelsbilanz Quelle: IWF, Direction of Trade Statistics, September 2009 der GMS existieren zwischen Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam auf der einen sowie China und Thailand auf der anderen Seite Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsniveau. Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sie sich in absehbarer Zeit verringern könnten. Vielmehr hat sich beim BIP pro Kopf der Abstand zwischen Thailand – dem ökonomisch fortgeschrittensten GMS-Staat – und den am wenigsten entwickelten Mitgliedsländern von 1600 Dollar im Jahr 1992 auf 2400 Dollar 2006 erhöht. 88 Auch innerhalb der einzelnen Länder konnte zwar die Zahl der armen Haushalte deutlich gesenkt werden, aber gleichzeitig hat sich überall – mit Ausnahme Thailands – die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. 89 Auch von der Zunahme des Intra-GMS-Handels haben die einzelnen Mitgliedsländer in höchst unterschiedlichem Maße profitiert. Mit Anteilen von etwa 41 bzw. 35 Prozent dominieren China und Thailand den GMS-Handel, während Kambodscha und Laos nur einen Anteil von jeweils 2 Prozent aufweisen. 90 Obwohl der Umfang des Handels zwischen 2001 und 2006 um ca. 150 Prozent gestiegen ist, haben sich bei dieser Aufteilung nur marginale Veränderungen ergeben. Allerdings konnten Thailand und China ihre positive Handelsbilanz gegenüber den anderen GMSLändern beträchtlich ausbauen. Ohne dass diese Ungleichgewichte benannt oder gar problematisiert würden, mehren sich doch auch innerhalb der GMS bzw. bei der ADB als ihrem Hauptsponsor die Stimmen, die eine Reihe von Kurskorrekturen anmahnen. So nahm man etwa den Vorwurf, die GMS sei hauptsächlich ein Infrastrukturprogramm, konstruktiv auf. 91 In einer 2007 vorgelegten Bestandsaufnahme des Vientiane-Aktionsplans heißt es, dass in der ersten Phase der GMS-Arbeit die Errichtung materieller Strukturen (also der Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien etc.) notwendigerweise Priorität gehabt habe. Zukünftig aber komme es darauf an, die 88 ESCAP (Hg.), Economic Cooperation and Regional Integration [wie Fn. 74], S. 25. 89 Ebd., S. 30f. 90 Ebd., S. 25f. 91 Alfred Oehlers, »A Critique of ADB Policies towards the Greater Mekong Subregion«, in: Journal of Contemporary Asia, 36 (2006) 4, S. 464–478. SWP Berlin Der Mekong März 2010 27 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet bisher geschaffene »Hardware« durch adäquate »Software«-Komponenten zu ergänzen; außerdem wolle man zunehmend Pflichten und Verantwortung von der ADB und internationalen Gebern auf die GMSLänder selbst verlagern. 92 Unter »Software« ist dabei eine Harmonisierung administrativer Verfahren, eine engere Vernetzung der verschiedenen Arbeitssektoren sowie eine stärkere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Belange bei der Arbeit der GMS zu verstehen. Ziel ist unter anderem, lokale Verwaltungen und Interessengruppen wesentlich stärker an den Projektplanungen und -umsetzungen zu beteiligen. Gerade das Thema Umweltschutz nimmt in den Verlautbarungen der GMS und bei ihren Gipfeltreffen breiten Raum ein. Dafür steht etwa das bereits erwähnte »Core Environment Program«, das 2005 verabschiedet wurde. Als wichtigstes Umweltschutzvorhaben wird im Aktionsplan 2008–2012 die Errichtung eines »Biodiversity Conservation Corridor« genannt, der als länderübergreifendes Naturschutzgebiet zur Erhaltung der Artenvielfalt konzipiert ist. Eine »konsequente Einbeziehung von Umweltbelangen« – wie in dem Programm von 2005 gefordert – ist jedoch auch in der im April 2009 vorgelegten Zwischenbilanz des Aktionsplans 2008–2012 nicht festzustellen. 93 Letztlich würden die vorgeschlagenen Reformen ja auch eine Abkehr von dem handlungs- und projektbezogenen Ansatz der GMS voraussetzen, der ungeachtet aller für notwendig erachteten Korrekturen nicht in Frage gestellt wird. Der Aktionsplan 2008– 2012 enthält daher auch kein Programm oder Projekt eines wie auch immer gearteten »Integrated Water Resources Management« für den Mekong als gemeinsamer Ressource aller GMS-Länder. In dem Plan ist lediglich die Errichtung eines Kontrollzentrums vorgesehen, das frühzeitig extreme Hoch- und Niedrigwasserstände des Flusses ankündigen und defensive Schutzmaßnahmen ausarbeiten soll. 94 An diesem Projekt beteiligen sich allerdings nur die UnterlaufAnrainer Laos, Kambodscha und Vietnam. 92 ADB, Mid-Term Review of the 10-Year GMS Strategic Framework (2002–2012) [wie Fn. 80], S. 38. 93 Status Report on the »Vientiane Plan of Action for GMS Development, 2008–2012« vom 30.4.2009, S. 55. 94 Nach dem Status Report on the »Vientiane Plan of Action for GMS Development, 2008–2012« vom 30.4.2009, S. 55, wurde im April 2008 einer dieses Projekt vorbereitenden technischen Unterstützung zugestimmt. SWP Berlin Der Mekong März 2010 28 Mekong River Commission (MRC) Drei Jahre nach Gründung der »Greater Mekong Subregion« haben die unteren Flussanrainer Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam am 5. April 1995 das »Agreement on the Cooperation for the Sustainable Development of the Mekong River Basin« abgeschlossen und damit die »Mekong River Commission« ins Leben gerufen. 95 Die MRC hat indes eine sehr viel längere Vorgeschichte, die bereits etliche Charakteristika und Konflikte aufweist, die bis zum heutigen Tag die Arbeit der Organisation prägen und beeinträchtigen. Der lange Weg zur MRC-Gründung Bereits 1954 – nach Unterzeichnung der Genfer Vereinbarungen über die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen in Indochina – waren auf internationaler wie regionaler Ebene intensive Diskussionen über eine gemeinschaftliche Nutzung der Ressourcen des Mekong in Gang gekommen. Dieser Debatte lagen entwicklungstechnische wie politische Motive zugrunde. Zum einen wurden – in Ost wie West – bis in die siebziger Jahre hinein gigantische Staudämme, die ebenso zur Stromerzeugung wie zur Bewässerung genutzt werden sollten, als wesentliche Motoren einer nachholenden Entwicklung betrachtet. Unter diesem Aspekt war der Mekong neben dem Amazonas der einzige große Strom, dessen reiches Wasserkraftpotential bislang nahezu ungenutzt geblieben war. Andererseits verstand man eine solche Zusammenarbeit der westlich orientierten Länder Indochinas auch als Chance, durch Schaffung von Frieden, Wohlstand und politischer Stabilität ein weiteres Vordringen des Kommunismus in Südostasien zu verhindern. 96 Im September 1957 wurde unter Federführung der »United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Far East« 97 (ECAFE) das »Committee for Coordination of Investigations of the Lower Mekong Basin« – bekannt unter der Bezeichnung 95 Text des Abkommens: MRC, »Agreement on the Cooperation for the Sustainable Development of the Mekong River Basin«, <www.mrcmekong.org/agreement_95/agreement_ 95.htm>. 96 Vgl. Jörn Dosch, The Changing Dynamics of Southeast Asian Politics, London 2007, S. 117ff. 97 1974 wurde diese UN-Unterorganisation in »Economic and Social Commission for Asia and the Pacific« (ESCAP) umbenannt. Mekong River Commission (MRC) »Mekong Committee« (MC) – gebildet. Die vier Gründungsmitglieder Thailand, Laos, Kambodscha und die damalige Republik (Süd-) Vietnam vereinbarten gemeinsame »Statuten«, die allerdings keine völkerrechtlich bindenden Regelungen zur Ratifikation enthielten und von den Repräsentanten der vier Staaten auch nicht formell unterzeichnet wurden. 98 Die Mittel für die Arbeit des Komitees stellten größtenteils die USA, Japan und Frankreich zur Verfügung. Nach einer Reihe von Vorstudien über das Potential des Mekong und dessen Nutzungsmöglichkeiten verabschiedete man 1970 einen »Indicative Basin Plan«, der 17 Großprojekte am Hauptstrom und 87 kleinere Projekte an den Nebenflüssen vorsah, die der Bewässerung und Stromerzeugung dienen sollten. 99 Allerdings waren die aufgelisteten Vorhaben nicht als Teil eines integrierten und abgestimmten Plans zu verstehen, sondern eher als Projektvorschläge für potentielle Geber. Verwirklicht wurden indes nur einige wenige kleinere Projekte auf nationaler Ebene – die meisten davon in Thailand, das von den eskalierenden militärischen Auseinandersetzungen in seinen Nachbarländern weitgehend verschont blieb. 100 Der 1971 in Laos fertiggestellte Nam-Ngum-Damm sollte das einzige Wasserkraftwerk bleiben, das außerhalb Thailands unter der Ägide des »Mekong Committee« errichtet wurde. Obwohl die Ausweitung des Vietnamkrieges auf die Nachbarländer Laos und Kambodscha jede weitere Projektarbeit illusorisch machte, einigten sich die vier Mitglieder des MC im Januar 1975 auf eine »Joint Declaration of Principles for Utilization of the Waters of the Lower Mekong Basin«. 101 Darin wurde das Wasser des Hauptstroms und seiner »großen Nebenflüsse« als »Ressource gemeinsamen Interesses« anerkannt, die keiner der Anrainer ohne Zustimmung der anderen in Anspruch nehmen könne. 102 Einige Monate später allerdings existierten drei der vier Regierungen, 98 Vgl. Dirk Beusch, Das »Mekong-Projekt« der Vereinten Nationen. Möglichkeiten und Problematik internationaler Entwicklungszusammenarbeit in Südostasien, Münster 1995, S. 20. 99 Ebd., S. 28. 100 Im Verlauf der sechziger Jahre weitete sich der Vietnamkrieg immer stärker auf die Nachbarländer Laos und Kambodscha aus, da der sogenannte Ho-Chi-Minh-Pfad, über den die kommunistischen Verbände im Süden Vietnams versorgt wurden, teilweise durch das Territorium der beiden Staaten führte. 101 Text der Erklärung in Beusch, Das »Mekong-Projekt« der Vereinten Nationen [wie Fn. 98], S. 99ff. 102 Artikel 10, 17 und 21. die diese Erklärung unterzeichnet hatten, nicht mehr. Der Verdacht liegt nahe, dass man sich nur deshalb auf einen so weitgehenden Verzicht nationaler Souveränität hatte einigen können, weil für die Beteiligten bereits bei der Unterschriftsleistung abzusehen war, dass sie wohl nicht mehr in die Lage kommen würden, die Deklaration in die Tat umsetzen zu müssen. Durch die Machtübernahme der Roten Khmer in Kambodscha (April 1975), die Eingliederung Südvietnams in den Staatsverband des Nordens (1975/76) 103 und die Etablierung einer sozialistischen Regierung in Vientiane (Dezember 1975) ergaben sich im Unteren Mekong-Becken völlig neue Machtverhältnisse. Zwar verabschiedeten Thailand, Laos und Vietnam Anfang 1978 eine weitere Gemeinsame Erklärung, in der die Gründung eines »Interim-Komitees« bekanntgegeben wurde; doch angesichts des fortdauernden Krieges in Kambodscha blieb dieses Gremium praktisch funktionslos. Erst die Unterzeichnung des internationalen Kambodscha-Abkommens im Oktober 1991 schuf neue Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Landes in das Mekong-Komitee. Phnom Penh bemühte sich nun intensiv um diesen Schritt, stieß damit aber auf den hartnäckigen Widerstand Thailands. Denn Bangkok musste davon ausgehen, dass mit der Wiederaufnahme Kambodschas auch die in der Gemeinsamen Erklärung von Januar 1975 niedergelegten Prinzipien wieder in Kraft treten würden. Während der achtziger Jahre hatte die thailändische Regierung den Plan vorangetrieben, große Gebiete im Nordosten des Landes mit Wasser aus dem Mekong zu versorgen. Dieses Projekt drohte durch das Veto der anderen Mekong-Komitee-Staaten zu Fall gebracht werden, sollte die Deklaration von 1975 wieder Gültigkeit erlangen. Darüber hinaus fürchtete Thailand, eine erneute Mitgliedschaft Kambodschas würde den Unterlauf-Ländern und nicht zuletzt seinem Rivalen Vietnam einen beträchtlichen Machtzuwachs einbringen. 104 Um das eigene Gewicht zu erhöhen, bemühte sich Bangkok nachdrücklich, zusammen mit China und Myanmar eine Koalition der Oberlauf-Länder zustande zu bringen. Diese Strategie war letztlich zwar nicht erfolgreich, doch immerhin gelang es im November 1992, die GMS zu 103 Die formelle Eingliederung erfolgte erst im Juli 1976. Aber schon im November 1975 waren auf einer »Wiedervereinigungs-Konferenz« die entscheidenden Weichenstellungen dafür vorgenommen worden. 104 Vgl. Goh, »The Hydropolitics of the Mekong River Basin« [wie Fn. 33], S. 478. SWP Berlin Der Mekong März 2010 29 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet konstituieren und damit ein Forum zu schaffen, in dem Thailands Position durch andere Länder am Oberlauf gestärkt wurde. Nur durch das beharrliche Engagement eines unabhängigen Vermittlers, in diesem Fall der UNDP, war es möglich, die vier Mitglieder des alten MekongKomitees zu einer erneuten Kooperation zu bewegen. Dafür musste zunächst eine neue Geschäftsgrundlage geschaffen werden. Nach einem mehr als zwei Jahre andauernden Verhandlungsprozess einigte man sich schließlich auf einen Grundlagenvertrag, der am 5. April 1995 in der thailändischen Stadt Chiang Rai unterzeichnet wurde. Der MRC-Grundlagenvertrag: Prinzipien und Organisationsstruktur Bereits die offizielle Bezeichnung des Abkommens – »Agreement on the Cooperation for the Sustainable Development of the Mekong River Basin« – weist auf einige wichtige Zielsetzungen der neuen Organisation hin. Primär geht es um eine »nachhaltige Entwicklung«, die den Schutz der Umwelt und des ökologischen Gleichgewichts gewährleistet; in Artikel 3 wird diese Maxime kodifiziert. Die Entwicklung, Bewahrung und gerechte Verteilung der Mekong-Ressourcen stehen im Mittelpunkt des Abkommens; der Mekong dient also nicht nur zur Bezeichnung der Region, die er durchfließt. Daraus ergibt sich ein umfassender Ansatz, der das gesamte Flussbecken und die dort miteinander verwobenen Herausforderungen mit einbezieht. Diese hehren Zielsetzungen werden im weiteren Text des Abkommens jedoch oftmals nur unzureichend präzisiert und nicht in klare Regelungen und Verpflichtungen gefasst. So wird der MRC in Artikel 11 der Status einer internationalen Organisation sowie das Recht zuerkannt, Verträge und Abkommen mit Geberländern oder anderen internationalen Partnern abzuschließen. Damit ist jedoch kein Transfer nationaler Souveränität auf eine supranationale Institution verbunden, denn in Artikel 4 wird klar konstatiert, dass die Mitgliedsländer nur auf Basis »souveräner Gleichheit« und »territorialer Integrität« zusammenarbeiten werden. 105 105 Für den »Strategischen Plan 2006–2010« der Organisation hat man sich auf die Formulierung verständigt: »Die MRC ist ein zwischenstaatliches Gremium, das den Interessen der Mitgliedstaaten zu dienen hat«, MRC (Hg.), Strategic Plan 2006–2010 [wie Fn. 10], S. 5. SWP Berlin Der Mekong März 2010 30 Im Fall von Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten zwischen den Vertragsparteien soll die MRC zunächst »alle Anstrengungen unternehmen«, um eine Beilegung der Differenzen zu erreichen (Artikel 34). Gelingt ihr das nicht in »angemessener Zeit« (»timely«), sind die Regierungen der Vertragsparteien aufgerufen, sich mit dem Konflikt zu befassen und auf diplomatischem Wege eine Lösung herbeizuführen. Falls sie hierbei die Vermittlung der MRC für hilfreich erachten, so kann diese eingeschaltet werden; Voraussetzung dafür ist allerdings das Einverständnis aller betroffenen Regierungen. Die Nutzung der Mekong-Ressourcen, die laut der Gemeinsamen Erklärung von 1975 an die Zustimmung sämtlicher Komitee-Mitglieder gebunden war, bedarf jetzt nach Artikel 5 nur noch der Unterrichtung bzw. eines vorhergehenden Konsultationsprozesses »mit dem Ziel, eine Übereinkunft durch das Joint Committee zu erreichen«. Während zuvor die Verpflichtung bestand, detaillierte Untersuchungen über die Auswirkungen eines Projekts auf die Interessen der unteren Anrainer vorzulegen, sollen jetzt bei allen Bauvorhaben nur noch die Speicherfunktion des Tonle Sap sowie »Mindestwasserstände« gewährleistet werden (Artikel 6). Wie der letztere Begriff und die weiteren Bestimmungen genau zu definieren sind, blieb – gemäß Artikel 26 – einer künftigen Ausarbeitung durch die MRC überlassen. Außerdem legte man in Artikel 36 fest, dass dieses Abkommen nicht auf bereits begonnene oder gar fertiggestellte Projekte angewandt werden könne und dass alle Erklärungen und Abkommen des alten MC aufgehoben seien. Im Unterschied zur GMS, die über keine kodifizierte Organisationsstruktur verfügt, ist das »Institutional Framework« bei der MRC genau geregelt; mehr als die Hälfte der Artikel des MRC-Abkommens befassen sich damit (Artikel 11–33). Der hierarchische Aufbau sieht als oberstes Gremium einen »Council« vor, in den jede Vertragspartei einen Vertreter im Ministerrang entsendet. Der Council tagt in der Regel einmal pro Jahr, fasst seine Beschlüsse einstimmig und überträgt die Umsetzung der von ihm gefällten Grundsatzentscheidungen einem »Joint Committee«. Dieses setzt sich aus Spitzenbeamten der Mitgliedsländer zusammen und hält pro Jahr zwei reguläre Sitzungen ab. Zuständig für die konkrete Ausführung der Beschlüsse ist das – derzeit in Vientiane ansässige – »Sekretariat« mit etwa 120 Mitarbeitern. Es wird von einem Chief Executive Officer (CEO) geleitet, der vom Council ernannt wird (dabei muss er nicht notwendigerweise die Staats- Mekong River Commission (MRC) bürgerschaft eines Mitgliedslandes besitzen). 106 Auf Landesebene gibt es jeweils ein »National Mekong Committee«, das als Verbindungsglied zwischen dem MRC-Sekretariat und den nationalen Ministerien und Verwaltungsstellen dient. Arbeitsschwerpunkte und finanzieller Rahmen Der Vorläufer des MRC, das Mekong Committee, orientierte sich in den fünfziger und sechziger Jahren an dem damals vorherrschenden Entwicklungsdogma, das die Energiegewinnung durch Wasserkraft als eine zentrale Voraussetzung für wirtschaftlichen Fortschritt ansah. Deshalb befasste man sich seinerzeit vor allem damit, geeignete Staustufen ausfindig zu machen und an den entsprechenden Stellen – soweit dies nicht durch den Krieg verhindert wurde – Kraftwerke zu errichten. Die MRC dagegen propagiert bereits im Titel ihres Gründungsdokuments das Konzept einer »nachhaltigen Entwicklung«, die sich nicht allein an aktuellen Gewinnraten, sondern auch an langfristigen Wachstumsperspektiven orientiert. Das Abkommen selbst wird diesen hohen Ansprüchen jedoch nur bedingt gerecht. So weisen Kritiker wie Chris Sneddon und Coleen Fox darauf hin, dass sich das Papier vor allem mit dem Hauptstrom und der gerechten Verteilung seiner Wassermassen beschäftige (letztere soll durch festgelegte Verfahren von »Unterrichtungen« und »vorausgehenden Konsultationen« gewährleistet werden). 107 Damit definiere man den Mekong allein als Wasserlauf, während die vielfältigen ökologischen und sozialen Verknüpfungen zwischen dem Fluss und seinem größeren Einzugsgebiet vernachlässigt würden. Der Fischreichtum des Mekong etwa, Lebensgrundlage für Millionen Menschen und damit auch Ursache schwerer Verteilungskonflikte, wird in dem Abkommen gar nicht erwähnt. In den nunmehr 15 Jahren ihres Bestehens hat die MRC allerdings einen wesentlich umfassenderen Programmansatz entwickelt. Als Orientierung dient das Konzept des »Integrated Water Resources Management« bzw. des »Integrated River Basin Management«. 108 Mit 106 Die bisherigen CEOs kamen alle nicht aus den Mitgliedsländern der MRC. 107 Sneddon/Fox, »Rethinking Transboundary Waters« [wie Fn. 7], S. 188ff. 108 Vgl. World Bank (Hg.), Integrated River Basin Management. From Concepts to Good Practice, Washington, D.C., 2006 (Case Study 2, Nr. 41166), <www.worldbank.org/wbi/water>, und MRC (Hg.), Strategic Plan 2006–2010 [wie Fn. 10], S. 20–29. seiner Hilfe soll ein ausgewogener und nachhaltiger Entwicklungsprozess in Gang gesetzt werden, der durch eine effektive Nutzung der Wasserressourcen Armut verringert und zugleich die Umwelt schützt. Den Interessen der vom Mekong-System lebenden Bevölkerung und ihrer aktiven Beteiligung an den jeweiligen Entwicklungsvorhaben kommt dabei besondere Bedeutung zu. Herzstück dieser Strategie ist die Ausarbeitung eines Entwicklungsplans für das Mekong-Becken, in dem die sieben Arbeitsbereiche Flutkontrolle, DürreBekämpfung, Land- und Forstwirtschaft/Bewässerung, Schifffahrt, Wasserkraft, Fischerei und Tourismus verknüpft werden mit den vier Aufgabenfeldern Umwelt, Informations- und Wissensmanagement, Aus- und Weiterbildung sowie Wassernutzung. Letztere haben dabei Querschnittsfunktion und sollen in jedem der sieben Arbeitsbereiche zum Tragen kommen (siehe Graphik S. 32). Um diesem ehrgeizigen Ziel näherzukommen, hat die MRC zunächst einen immensen Satz an Daten über die Vielzahl ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren erhoben, die bestimmend für die Mekong-Region sind. Diese Datenbank wird laufend ergänzt, und man hat auch China dazu bewegen können, der MRC entsprechende Meldungen über den Wasserstand am Oberlauf des Flusses zu übermitteln. 109 Mit Hilfe des Datenmaterials wurde eine Reihe von Studien und Modellberechnungen erstellt, die sich mit erwarteten Entwicklungsszenarien und den Auswirkungen verschiedener Nutzungsformen des Mekong befassen. Schulung und Ausbildung stellen eine weitere Querschnittsaufgabe dar. Effektivere Formen der Wassernutzung und verbesserte, ökologisch verträglichere Methoden des Fischfangs, der Fischzucht und der Landwirtschaft werden in leicht verständlichen Publikationen erläutert und Multiplikatoren in Trainingsprogrammen vermittelt. Dazu gehört auch, Kooperationsstrategien aufzuzeigen, die den technischen Neuerungen einen höheren Wirkungsgrad verleihen. Um diese Zusammenarbeit auf lokaler, regionaler und transnationaler Ebene voranzutreiben 109 Bis 2007 hatte China nur Wasserstandsmeldungen während der Flutperiode geliefert. Seither erfolgen die Wasserstandsmeldungen im 24-Stunden-Takt und Regenfallmeldungen im 12-Stunden-Takt. Im Gegenzug bekommt China Wasserstandsmeldungen der MRC vom Mittel- und Unterlauf. Geoffrey Gunn / Brian McCartan, »Chinese Dams and the Great Mekong Floods of 2008«, in: The Asia Pacific E-journal: Japan Focus Newsletter, (1.9.2008) 35. SWP Berlin Der Mekong März 2010 31 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet Abb. 3 Arbeitsbereiche und Aufgabenfelder der MRC Regionales Programm zur Unterstützung des »Managements Internationaler Wasserressourcen« Regionale Zusammenarbeit für die nachhaltige Entwicklung der Wasserressourcen im Mekong-Becken Integrierte Ausund Weiterbildung Wassernutzung und zu verstetigen, sucht man auch standardisierte Verfahren der gegenseitigen Unterrichtung und Konsultation zu entwickeln. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass notwendige Kompromisse nicht schon an Kommunikationsproblemen scheitern. Darüber hinaus betreibt die MRC Einrichtungen wie das Regionale Flutkontrollzentrum in Phnom Penh, das auf Basis kontinuierlicher Beobachtungen frühzeitige Hochwasserwarnungen ausgeben und Unterstützung bei entsprechenden Notfallmaßnahmen leisten kann. SWP Berlin Der Mekong März 2010 32 Tourismus Fischerei Wasserkraft Schifffahrt Dürre-Management Informations- und Wissensmanagement Flutkontrolle und -eindämmung Umwelt Landwirtschaft, Bewässerung und Forstwirtschaft Entwicklungsplanung im Mekong-Becken Vor allem unter dem Programmschwerpunkt Schifffahrt wurden auch schon einige Infrastrukturmaßnahmen (Errichtung von Uferbefestigungen, Signalanlagen, Behelfsbrücken etc.) durchgeführt; allerdings hatten diese Projekte sehr viel bescheideneren Umfang als jene der GMS. Die Finanzierung der MRC wird in Artikel 14 des Gründungsabkommens sehr offen gehalten. Das Joint Committee hat die Aufgabe, einen Haushaltsentwurf vorzulegen, der vom Council gebilligt werden muss. Mekong River Commission (MRC) Die notwendigen Mittel dafür sollen von den Mitgliedstaaten, den Geberländern und »anderen Quellen« aufgebracht werden. Zieht man die von der MRC für die Jahre 2003–2008 vorgelegten Zahlen heran, so fällt zweierlei auf: zum einen das bescheidene finanzielle Gesamtvolumen, zum anderen das unausgewogene Verhältnis zwischen den Beiträgen der Gebergemeinschaft und jenen der MRC-Mitglieder. 110 Insgesamt wandte die MRC während der sechs Jahre knapp 90,3 Millionen Dollar für ihre Arbeit auf – durchschnittlich also gerade einmal 15 Millionen Dollar pro Jahr. Die GMS hingegen gab im selben Zeitraum jährlich etwa eine Milliarde Dollar aus. Und zu den 90,3 Millionen Dollar steuerten die MRC-Mitglieder weniger als 6,8 Millionen Dollar bei – knapp 7,5 Prozent. Die übrigen 92,5 Prozent bzw. 83,5 Millionen Dollar stammten aus Mitteln der Gebergemeinschaft. Von den 10 Milliarden Dollar, die die GMS während der vergangenen Dekade ausgegeben hat, kam immerhin ein Drittel von den Mitgliedsländern. Leistungsbilanz Die Stärke der MRC liegt zweifellos auf konzeptioneller Ebene bzw. in ihrem Bemühen, den Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren Rechnung zu tragen und diese in Entwicklungsstrategien zu integrieren. Sie hat nicht nur einen immensen Satz an Daten gesammelt, sondern auch klare Regeln für die Erhebung und Evaluierung von Informationen entwickelt, die deren Vergleichbarkeit ermöglichen. Gestützt auf den Datensatz wurde ein Bericht über den derzeitigen Zustand des Mekong-Beckens verfasst, der Quantität und Qualität der natürlichen und sozialen Ressourcen erfasst und laufend aktualisiert werden soll. 111 Auf dieser Basis will man besonders dringliche und erfolgversprechende Projekte identifizieren und Konzepte dazu entwickeln. In einem mitunter mühsamen Prozess konnten die Mitgliedsländer dazu bewegt werden, sich auf Modellberechnungen zu einigen, die es ermöglichen, die hydrologischen wie sozio-ökonomischen Auswirkungen neuer Strategien zu simulieren und auszuwerten. 110 Angaben für die Jahre vor 2003 waren dem Autor nicht zugänglich. Daten für die Jahre nach 2003 finden sich unter MRC, »Financial Reporting«, <www.mrcmekong.org/ financial_reporting/>. 111 Diese Information bezieht sich auf World Bank (Hg.), Integrated River Basin Management [wie Fn. 108], S. 5; leider war dem Autor keine Kopie dieses Berichts zugänglich. Leider ist es der MRC bis heute nicht gelungen, einige grundlegende Schwächen zu überwinden, an denen schon ihre Vorgängerorganisationen krankten. Die Volksrepublik China – der einflussreichste Mekong-Anrainer, dessen Machtpotential durch die Lage am Oberlauf noch verstärkt wird – ist nicht Mitglied der MRC, ebenso wenig wie Myanmar, das indes eine ungleich geringere Bedeutung für die Mekong-Region hat. Beide Länder verfügen zwar über Beobachterstatus in der Organisation, nehmen an wichtigen Treffen teil und haben daher genaue Kenntnis über interne Debatten und Kräfteverhältnisse. Sie sind allerdings in keiner Weise an getroffene Vereinbarungen und Empfehlungen gebunden. Doch auch die vier Mitgliedsländer erkennen die MRC nur bedingt als eine Organisation an, die ihre Interessen vertritt, sie bündelt und ihnen größeren Nachdruck verleiht. Das geringe finanzielle Engagement dieser Staaten ist nicht zuletzt Ausdruck eines distanzierten Verhältnisses zur inhaltlichen Arbeit der MRC. Man verweist zwar gern auf deren Aktivitäten, wenn es darum geht, ökologisches Engagement und Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung der Region unter Beweis zu stellen. Doch zugleich wendet man sich mit zähem Widerstand gegen alle Bemühungen, den nationalen Zugriff auf die Ressourcen des Mekong einzuschränken bzw. supranationalen Vorgaben zu unterwerfen. So ist es noch immer nicht gelungen, eine einvernehmliche Regelung zur Aufteilung des Wassers zwischen den Mitgliedsländern zu erreichen. 112 In der Außen- und Sicherheitspolitik verfolgen die MRC-Staaten eine Strategie des Power Balancing. Sie sind einerseits bestrebt, die wachsende Wirtschaftskraft Chinas wie auch dessen Hilfsangebote zu nutzen. Andererseits aber will man den zunehmenden chinesischen Einfluss durch intensive Beziehungen zu Japan, Indien, den USA, Australien und nicht zuletzt der EU sowie einigen ihrer Mitgliedsaaten in Grenzen halten und durch verschiedene regionale Wirtschaftskooperationen 113 ausgleichen. Den Aufbau regionaler Regime, denen nationale Souveränitätsrechte übertragen werden müssten, betrachtet man dagegen eher als Einschränkung des eigenen außenpolitischen Handlungsspielraums. 114 Der MRC wird deshalb häufig vorgeworfen, sie sehe ihre Aufgabe vor allem 112 Vgl. World Bank (Hg.), Integrated River Basin Management [wie Fn. 108], S. 5. 113 Vgl. Anhang (S. 38). 114 World Bank/Asian Development Bank (Hg.), Joint Working Paper on Future Directions for Water Resources Management in the Mekong River Basin, Washington, D.C., Juni 2006, S. 5. SWP Berlin Der Mekong März 2010 33 Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet darin, Regeln zu setzen – anstatt Hilfe zur Bewältigung konkreter Probleme zu leisten und bei Konflikten zwischen einzelnen Mitgliedern zu vermitteln. 115 Unter »nationaler Souveränität« verstehen die Regierungen der MRC aber auch die uneingeschränkte Ausübung von Regierungsgewalt gegenüber der eigenen Bevölkerung. In den jeweiligen Hauptstädten wird es daher meist abgelehnt, die staatliche Herrschaft und die dazu notwendigen Ressourcen mit dezentralen, untergeordneten Verwaltungsebenen oder gar lokalen Interessen- und Selbsthilfegruppen, NGOs etc. zu teilen 116 – obwohl solche Akteure bei einer Reihe von MRC-Projekten wichtige Komponenten bilden und die Organisation sich in jüngster Zeit verstärkt darum bemüht, Dialoge und Konsultationen mit den NGOs zu initiieren. 117 Zwar hat sich in Thailand eine sehr durchsetzungsfähige NGO-Bewegung entwickelt, aber dass sie aktiv und kreativ an MRC-Projekten partizipiert, ist alles andere als selbstverständlich. In der ASEAN etwa hat sich ein »ASEAN Peoples’ Forum« (APF) etabliert, bei dem parallel zu den Gipfeltreffen der Organisation die verschiedensten NGOs der Mitgliedstaaten zusammenkommen, um den Bewegungen an der Basis zumindest Gehör zu verschaffen. 118 Ein vergleichbares Forum der Mekong-Länder gibt es hingegen nicht, 119 obwohl in offiziellen Erklärungen gern die Rede von einem »Mekong Spirit« ist, dem die Region eine immer stärkere gemeinsame Identität verdanke. 120 115 Dieser Vorwurf wurde schon früh von thailändischer Seite erhoben. Vgl. Beusch, Das »Mekong-Projekt« der Vereinten Nationen [wie Fn. 98], S. 41. Vgl. auch World Bank/ADB (Hg.), Joint Working Paper on Future Directions for Water Resources Management [wie Fn. 114], S. 6. 116 Vgl. Backer, »Die Mekong River Commission« [wie Fn. 29], S. 40. 117 Unter anderem hat die MRC allen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen die Möglichkeit eingeräumt, auf ihrer Website Vorschläge und Eingaben zu veröffentlichen. 118 Eine kritische Würdigung der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen in der ASEAN findet sich bei: Alan Collins, »A People-Oriented ASEAN: A Door Ajar or Closed for Civil Society Organizations?«, in: Contemporary Southeast Asia, 30 (2008) 2, S. 313–331. 119 Eine Reihe von NGOs fordert nachdrücklich die Gründung eines »Mekong People’s Council«. Vgl. Philip Hirsch, »Water Governance Reform and Catchment Management in the Mekong Region«, in: The Journal of Environment & Development, 2006, <http://jed.sagepub.com/cgi/content/abstract/ 15/2/184>. 120 Vgl. Oliver Hensengerth, Money and Security: China’s Strategic Interests in the Mekong River Basin, London, Juni 2009 (Chatham House Briefing Paper), S. 3. SWP Berlin Der Mekong März 2010 34 Evaluation der bisherigen Arbeit von GMS und MRC Fazit und Empfehlungen Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser … Dass Schwaches das Starke besiegt und Weiches das Harte besiegt, weiß jedermann auf Erden, aber niemand vermag danach zu handeln. Laozi, Dao De Jing, Kap. 78 Wie andere große, grenzüberschreitende Flusssysteme birgt auch der Mekong einerseits erhebliche Konfliktpotentiale, andererseits vielfältige Möglichkeiten der Kooperation. Sicherheitspolitische Stabilität und hohe Kooperationsgewinne setzen aber eine intensive regionale Zusammenarbeit voraus – und damit auch regionale Institutionen, die bestimmte GovernanceAufgaben übernehmen. Solche Institutionen können nur dann entstehen und effektiv arbeiten, wenn die beteiligten Staaten bereit sind, ihnen nationale Souveränitätsrechte abzutreten. Zudem müssen sich die Flussanrainer auf gemeinsame Normen und Verfahren verständigen, die ein nachhaltiges, ausgewogenes Wirtschaftswachstum in der gesamten Region ermöglichen. Trotz des propagierten Ziels einer »integrierten, harmonischen und blühenden Sub-Region« ist bei den Regierungen der Mekong-Länder bisher nur wenig Bereitschaft zu erkennen, zugunsten einer regionalen Sicherheitsarchitektur auf nationale Souveränitätsrechte zu verzichten. Ebenso wenig sind sie gewillt, sich Vorgaben zu unterwerfen, die den ungehinderten Zugriff auf die natürlichen Ressourcen ihrer Länder einschränken würden, sieht man doch in einer raschen Steigerung der wirtschaftlichen Wachstumsraten die entscheidende Voraussetzung für politische Stabilität und Legitimation. Die GMS findet bei den Entscheidungsträgern in der Mekong-Region großen Zuspruch, weil sie ökonomisches Wachstum verspricht und keine Abstriche bei den nationalen Souveränitätsrechten einfordert. Dass sie vorhandene Ungleichgewichte und Abhängigkeiten verstärkt und keine befriedigende Antwort auf die ökologischen Herausforderungen des Flusses und seines Einzugsgebietes hat, wird dabei in Kauf genommen oder zumindest als zweitrangig erachtet. Die MRC wiederum thematisiert recht klar die Konflikte um die Ressourcen des Mekong. Sie ist bemüht, die verschiedenen Interessengruppen in Planung und Ausgestaltung neuer Entwicklungsprojekte einzubinden, um so einen für alle Anrainer tragbaren Ver- teilungsmodus zu erarbeiten. Dafür aber findet sie keine wirkliche Unterstützung bei ihren Mitgliedern, während China und Myanmar schlicht den Beitritt verweigern. Finanziell zu mehr als 90 Prozent von internationalen Gebern abhängig, ist die MRC für die Mitgliedstaaten zu einer Alibi-Organisation geworden, auf deren Tätigkeit man verweisen kann, sobald der Vorwurf laut wird, man kümmere sich zu wenig um elementare Herausforderungen der künftigen Entwicklung. Die beiden Organisationen sind also entweder nicht willens oder nicht in der Lage, jene kooperativen Beziehungen herzustellen, die unerlässlich sind, um der gesamten Region eine realistische wirtschaftliche Perspektive zu verschaffen, einen fairen Interessenausgleich zwischen den Flussanrainern zu gewährleisten und Konflikte mit friedlichen Mitteln beizulegen. Die europäische und deutsche Politik sieht in den Organisationen jedoch ein wichtiges Instrument, um zentrale Ziele der Entwicklungspolitik umzusetzen und die regionale Zusammenarbeit zu fördern. Beide erhalten daher auch Unterstützung – die GMS über die Asian Development Bank, die MRC auf direktem Wege von der EU bzw. einzelnen Mitgliedstaaten, darunter nicht zuletzt der Bundesrepublik. Dieses Engagement könnte von der europäischen und deutschen Politik zielführender gestaltet werden. Im Folgenden wird dargestellt, welche Aufgabenfelder und Handlungsstrategien sich dafür abzeichnen. Evaluation der bisherigen Arbeit von GMS und MRC Bevor die Europäer ihre Kooperation mit der GMS und der MRC fortsetzen, sollten sie die bisherige Arbeit beider Organisationen sorgfältig analysieren. Die vorliegende Studie kann dazu Problemfelder aufzeigen und einige Hinweise geben, doch sie kann die eigentliche Evaluation nicht ersetzen. Diese müsste detail- SWP Berlin Der Mekong März 2010 35 Fazit und Empfehlungen liert auf Besonderheiten und quantitative Dimensionen der einzelnen Projekte eingehen, deren mittelund langfristige Effekte untersuchen und die jeweiligen Wechselwirkungen berücksichtigen. In einem zweiten Schritt wäre zu klären, welche Impulse und Beiträge zu Integration und nachhaltiger Entwicklung der Mekong-Region von den beiden Organisationen zu erwarten sind. Dabei müsste man ermitteln, worauf das mangelhafte Engagement der Mitgliedsländer in der MRC zurückzuführen ist und warum die GMS zugleich eine ungebrochene Anziehungskraft auf die Regierungen der Mekong-Anrainer ausübt. In diesem Zusammenhang sollte zur Kenntnis genommen werden, dass sich auch in der GMS – ebenso wie bei ihrem Hauptsponsor, der ADB – die Stimmen mehren, die einen rein marktliberalen Ansatz kritisieren und daher für programmatische Änderungen plädieren. 121 Die hier angeregte Evaluation hätte deshalb mit zu prüfen, inwiefern sich solche Positionen in konkreten Projekten niederschlagen und welche Mittel dafür bereitgestellt werden – das heißt, ob ihre Vertreter überhaupt in der Lage sind, Kurskorrekturen in der GMS durchzusetzen oder ob sie eine eher marginale Rolle spielen. Harmonisierung der Geberstrategien Zu einer solchen Neubewertung gehört nicht zuletzt, die eigene Position zu klären und eine stringente Politik gegenüber GMS und MRC zu formulieren. Die Logik der GMS beruht bislang auf einem rein marktwirtschaftlichen Ansatz, von dem man sich Wohlstand und eine harmonische Integration der gesamten Region verspricht. Die MRC dagegen folgt der Vorstellung, dass regionale Kooperation durch ein gemeinsam vereinbartes Konzept vorangetrieben werden kann, welches ökonomische, ökologische und soziale Interessen gleichermaßen berücksichtigt. Beide Konzeptionen sind schwerlich miteinander zu vereinbaren. Die GMS verfügt jedoch über einen erheblichen Handlungsvorteil, da ihre Projekte keinem größeren Koordinierungs- und Abstimmungsprozess unterliegen und sie so die normative Kraft des Faktischen auf ihrer Seite hat. Wenn durch ein bestimmtes Gebiet eine Fernstraße – ein »ökonomischer Korridor« – gebaut wird, dürfte diese zunächst die Handelsströme, 121 Vgl. Independent Evaluation Department ADB, Learning Curves [wie Fn. 81]; World Bank/ADB (Hg.), Joint Working Paper on Future Directions for Water Resources Management [wie Fn. 114]. SWP Berlin Der Mekong März 2010 36 bald aber die gesamte Wirtschaft der Gegend maßgeblich bestimmen. Entwicklungskonzepte und -projekte der MRC haben es dann sehr schwer, Anreize für eine Vorgehensweise zu setzen, die auch ökologischen und sozialen Erfordernissen Rechnung trägt. Die Widersprüche zwischen den Ansätzen von GMS und MRC werden jedoch weder auf deutscher noch auf EU-Ebene problematisiert. Man billigt den Organisationen gleichermaßen positive Funktionen zu, und beide erhalten finanzielle Unterstützung von EU-Kommission und einzelnen europäischen Ländern. Dass die offenkundigen Unvereinbarkeiten ignoriert werden, ist Ausdruck einer wenig konsistenten Politik, die nicht dazu beiträgt, Kooperationspotentiale auszuschöpfen, sondern letztlich die bestehenden Machtkonstellationen stärkt. Die Erfahrungen deutscher Entwicklungszusammenarbeit lehren, dass es schon kein leichtes Unterfangen ist, auf nationaler Ebene eine kohärente und umfassende Entwicklungsstrategie auszuarbeiten. Noch ungleich schwieriger gestaltet es sich, auf EUEbene eine solche Koordinierung zu erreichen. So klaffen etwa die deutsche und die französische Position bei der Beurteilung des entwicklungspolitischen Effekts großer Staudämme weit auseinander. 122 Ein gemeinsamer Standpunkt auf EU-Ebene ist aber unabdingbar, wenn man der Politik der europäischen Länder größeres Gewicht verleihen und die EU mit einer Verhandlungsmacht ausstatten will, wie dies im ASEMProzess 123 oder beim EU-ASEAN-Dialog der Fall ist. Vermittlung der europäischen Integrationserfahrung Der komparative Vorteil, den Europa gegenüber anderen Gebern im Kontext regionaler Zusammenarbeit besitzt, ist seine eigene und keineswegs abgeschlossene Geschichte regionaler Integration. Die EU hat damit sicherlich kein weltweit gültiges Modell geschaffen, aber eine sorgfältige Analyse dieses Prozesses wird auch von einigen südostasiatischen Politikwissenschaftlern durchaus als lohnenswert angesehen. 124 122 Hensengerth, Money and Security [wie Fn. 120], S. 9. 123 ASEM (Asia-Europe Meeting) ist ein 1996 initiiertes Dialogforum, das alle zwei Jahre abgehalten wird. Teilnehmer sind die EU-Staaten, 16 asiatische Länder, die EU-Kommission und das ASEAN-Sekretariat. Parallel dazu findet alle zwei Jahre ein Dialog zwischen EU-Mitgliedern und ASEAN statt. 124 Der indonesische Politikwissenschaftler Jusuf Wanandi hat in diesem Zusammenhang auf die leidvollen Erfahrungen Stärkung des Engagements der MRC-Mitglieder Die europäischen Länder wie die EU als Ganzes sollten daher den politischen Dialog gerade mit den weniger entwickelten Mekong-Anrainern nutzen, um ihnen die historischen Erfahrungen Europas im 20. Jahrhundert zu vermitteln. Bieten diese doch ein eindringliches Beispiel dafür, dass intensive Wirtschaftsbeziehungen nicht zwangsläufig politische Zusammenarbeit zur Folge haben, wie dies der Ansatz der GMS nahelegt. Denn das hohe Maß an außenwirtschaftlicher Verflechtung, das die europäischen Länder bereits vor dem Ersten Weltkrieg erreicht hatten, 125 führte bekanntermaßen nicht zu engerer politischer Kooperation, sondern zu wachsenden Konflikten und letztlich zu den beiden Weltkriegen – deren Ausbruch natürlich auch durch eine Reihe weiterer Faktoren verursacht wurde. Erst nach diesen leidvollen Erfahrungen setzte sich die Einsicht durch, dass man die europäische Integration nicht der Logik des Marktes überlassen dürfe, sondern dafür ein umfassender politischer Prozess und ein Bündel an Umstrukturierungshilfen nötig sei. Dieser Leitgedanke weist einige Parallelen zum Ansatz der MRC auf, auch wenn sich deren Arbeit in einem ungleich bescheideneren Rahmen bewegt. Stärkung des Engagements der MRC-Mitglieder Die MRC erfreut sich im Bereich finanzieller und technischer Zusammenarbeit des starken Engagements mehrerer europäischer Länder. Diesen kommt damit auch eine besondere Verantwortung für die Organisation zu. Betrachtet man die Zielsetzungen der MRC, ihre Lernprozesse und Projekte, so stellt sie zweifellos ein beeindruckendes Beispiel für effektive Entwicklungszusammenarbeit dar. Beharrlich sucht sie nach Mitteln und Wegen, um schwierige Verteilungskonflikte beizulegen und das Ressourcenpotential des Mekong optimal und dabei nachhaltig zu nutzen. Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwiesen. Diese seien ein Beleg für die Notwendigkeit eines aktiven politischen Engagements, um eine aufstrebende Wirtschaftsmacht (damals Deutschland) zu integrieren. Jusuf Wanandi, Strategic Trends in East Asia. Paper presented at the »ChinaASEAN Think Tank Dialogue«, Nanning, 19.–21.10.2008. 125 Im Falle Deutschlands etwa belief sich der Anteil des Außenhandels am BIP 1914 auf 34 Prozent. Dieser Wert wurde erst wieder in den sechziger Jahren erreicht. Vgl. Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2006, S. 45f. Doch es reicht nicht aus, dass die Mitgliedstaaten die Arbeit der MRC lediglich hinnehmen. Wirklich erfolgreich kann die Organisation nur dann sein, wenn die von ihr erarbeiteten Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens und inklusiver Entwicklung auf die Regierungsarbeit der einzelnen Mitglieder übertragen und aktiv umgesetzt werden. Bei allem Zuspruch für die Zielsetzungen der MRC darf die europäische und deutsche Politik keinen Zweifel daran lassen, dass sie die technische wie finanzielle Hilfe nur dann fortsetzen oder gar ausbauen kann, wenn die MRC-Mitglieder ihre Zuwendungen ebenfalls erhöhen und eine stärkere Bereitschaft zu konstruktiver Mitarbeit an den Tag legen. Solange dies nicht der Fall ist, läuft das Engagement der Geber ins Leere – und trägt letztlich sogar dazu bei, eine Fassade aufrechtzuerhalten, die den Blick für die tatsächlich betriebene Politik und deren Folgewirkungen verstellt. Pilotfunktion regional begrenzter Projekte Die Konzepte des »Integrated Water Resources Management« und des »Integrated River Basin Management« haben einen umfassenden Anspruch und können nur dann Wirkung entfalten, wenn sie im gesamten Einzugsgebiet des Mekong umgesetzt werden. Dies erfordert die Bereitschaft vieler unterschiedlicher Interessengruppen, sich zu einem gemeinsamen Handeln verpflichten zu lassen. Die Logik eines solchen Ansatzes ist schwerlich in Zweifel zu ziehen; seiner Realisierung stehen jedoch ungeheure Hürden entgegen. Dennoch sollte man an diesem strategischen Ziel festhalten. Dabei erscheint es allerdings sinnvoll, sich in der Projektarbeit auf eine oder mehrere Teilregionen zu konzentrieren, um dort einen solchen integrativen Ansatz an konkreten Einzelfällen zu erproben. Man hat es dann mit einer überschaubaren Zahl an Akteuren zu tun, kann Win-win-Situationen leichter identifizieren und dadurch auch zu Lösungsansätzen gelangen, die auf gesamtregionaler Ebene von Nutzen sind. Das Sesan-Srepok-Sekong-Projekt etwa, 126 das im Länderdreieck Laos-Kambodscha-Vietnam einen integrierten Ansatz im Einzugsgebiet dreier wichtiger Nebenflüsse des Mekong verfolgt, wäre ein mögliches Fallbeispiel, das mit Nachdruck unterstützt, aber auch eingehend auf seine Tragfähigkeit in anderen regionalen Zusammenhängen analysiert werden sollte. 126 Näheres zu diesem Projekt auf dessen Website: <http://reta.3sbasin.org>. SWP Berlin Der Mekong März 2010 37 Anhang Anhang Regionalorganisationen im Mekong-Gebiet Abkürzungen (nach Gründungsjahren geordnet) 1992 Greater Mekong Subregion (GMS): beteiligt sind alle MekongAnrainer 1993 Golden Quadrangle oder Quadrangle Economic Cooperation: von Thailand gegründetes Forum, dem Laos, Myanmar, Thailand und die chinesische Provinz Yunnan angehören 1993 Forum for Comprehensive Development of Indochina: von Japan initiiertes Forum, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine »ausgewogene Entwicklung« der Länder Indochinas zu fördern 1995 Thailand’s Neighbouring Countries Economic Development Cooperation Fund: von Thailand geschaffener Fonds, der Anleihen zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten in der Mekong-Region bereitstellt 1995 Mekong River Commission (MRC): Mitglieder sind Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam 1996 ASEAN Mekong Basin Development Cooperation (AMBDC): Mitglieder sind die ASEAN-Staaten sowie die Volksrepublik China 2000 Mekong-Ganga Cooperation Initiative: beteiligt sind Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam und Indien 2000 Development Triangle: bestehend aus Laos, Kambodscha und Vietnam 2001 Lancang-Upper Mekong River Commercial Navigation Agreement: Abkommen, mit dem sich China, Myanmar, Thailand und Laos zum Ausbau der kommerziellen Schiffbarmachung des Mekong verpflichtet haben 2003 Ayeyawady-Chao Phraya-Mekong Economic Cooperation Strategy (ACMECS): beteiligt sind Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam 2003 Emerald Triangle (Smaragddreieck): Kooperation zwischen Kambodscha, Laos und Thailand mit dem Ziel einer gemeinsamen Entwicklung des Tourismus im Dreiländereck 2004 CLMV (Cambodia, Laos, Myanmar, Vietnam): Initiative, in der sich die vier Länder zu Freundschaft, Zusammenarbeit und regelmäßigen Gipfeltreffen verpflichtet haben SWP Berlin Der Mekong März 2010 38 ACMECS Ayeyawady-Chao Phraya-Mekong Economic Cooperation Strategy ADB Asian Development Bank AMBDC ASEAN Mekong Basin Development Cooperation APF Asian Peoples’ Forum ASEAN Association of Southeast Asian Nations ASEM Asia-Europe Meeting BIP Bruttoinlandsprodukt CEO Chief Executive Officer ECAFE United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Far East ESCAP Economic and Social Commission for Asia and the Pacific GMS Greater Mekong Subregion IRBM Integrated River Basin Management IWF Internationaler Währungsfonds IWRM Integrated Water Resources Management KKP Kaufkraftparität MC Mekong Committee MRC Mekong River Commission MRCS Mekong River Commission Secretariat MW Megawatt NGO Non-Governmental Organisation RCC Rivers Coalition in Cambodia SOM Senior Officials’ Meeting UNDP United Nations Development Programme Anhang Tabelle Handel zwischen der Volksrepublik China und den anderen Mekong-Anrainern (in Mio. US-Dollar) Länder 1995 2000 2005 2008 Kambodscha Exporte 51,61 56,78 164,08 112,88 536,11 423,51 1185,88 1304,47 Importe 5,72 5,20 59,49 23,78 27,31 14,24 48,07 43,70 45,89 51,57 104,59 89,10 508,80 409,27 1137,81 1260,77 Exporte 47,77 21,50 34,42 37,86 105,34 115,87 289,37 318,31 Importe 6,45 8,80 6,42 5,84 25,54 23,22 154,43 140,39 41,32 12,70 28,00 32,02 79,79 92,65 134,94 177,92 Exporte 617,85 679,63 496,44 546,03 934,91 1028,40 2002,52 2202,77 Importe 149,55 135,96 124,82 113,44 274,44 249,49 663,46 603,14 Handelsbilanz 468,30 543,68 371,62 432,56 660,48 778,91 1339,06 1599,63 Exporte 1752,28 2095,50 2243,41 3376,92 7818,55 11.153,30 16.019,80 19.934,50 Importe 1610,76 1642,19 4380,19 2806,15 13.993,70 9105,15 23.244,80 15.975,50 141,52 453,31 -2136,78 570,77 -6175,15 2048,15 -7225,00 3959,00 Exporte 721,75 329,69 1537,29 1401,14 5639,33 5899,70 16.192,90 17.592,90 Importe 332,01 361,87 929,10 1536,39 2549,35 3228,10 4435,18 4174,25 Handelsbilanz 389,74 -32,19 608,19 -135,25 3089,98 2671,60 11.757,72 13.418,65 Handelsbilanz Laos Handelsbilanz Myanmar Thailand Handelsbilanz Vietnam Quelle: IWF, Direction of Trade Statistics, September 2009 Die zuerst genannte Zahl gibt jeweils die von China gemachten Angaben wieder; die folgende, kursiv gesetzte Zahl stammt von dem jeweils betroffenen Land. SWP Berlin Der Mekong März 2010 39