Von Ruhe und einem Sturm
Still war es im Büro. Totenstill. Eine Stille, die dem Fräulein Grete Meier so langsam gehörig auf die Nerven ging. Planlos drückte sie auf den Knöpfen des Radios herum. Doch selbst das gab keinen Ton von sich. Nichtmal ein Rauschen. "Blödes Ding", knurrte die Grete und schob das Radio so weit es eben ging von sich. Dabei stieß sie das Telefon um. Es rutschte von der Schreibtischkante und fiel zu Boden. Lautlos, denn der dicke Teppich unter Gretes Schreibtisch verschluckte jedes Geräusch. Grete bückte sich seufzend, hob es auf und starrte es an. "Selbst du mein Freund Brutus ...", rutschte es ihr heraus. Doch trotz dieser an sich schon mahnenden Worte, dachte das Telefon nicht daran zu klingeln. Grete stellte den Apparat an seinen Platz zurück und setzte sich wieder. Ob Eido vielleicht ...? Grete verwarf den Gedanken sofort wieder. Ramadan. Da verkroch sich Eido in der Mittagspause immer. Und auch sonst war in diesen vier Wochen Fastenzeit nicht viel mit ihm los. Das aber auch ausgerechnet dieses Jahr fast alle gleichzeitig Urlaub haben. Naja, bis auf Susi. Die hat wohl eher Zwangsurlaub. Wegen dem Baby. Und Heidi Seelig und der Chef waren auf einer Tagung. Grete zog eine Schublade auf und kramte darin herum. Bevor sie das letzte Ultraschallbild von Susi fand, fiel ihr noch ein angeknabberter Riegel Mars in die Hände, den sie sich sofort in den Mund schob. Immerhin, dachte sie. Während sie die süße Masse auf ihrer Zunge genoss, betrachtete sie das Bild mit Susis Baby. Alles war klar zu erkennen. Der Kopf, Körper, Arme und Beine. Sogar das Näschen. Was heute so alles möglich ist. Gretes Gedanken drohten abzudriften. Dorthin wo versunkene Sehnsüchte lagerten. NEIN. Nicht heute. Grete riss sich zusammen. Das Bild landete wieder in der Schublade, die das Fräulein Grete Meier energisch zuschob.
Ein surrendes Geräusch durchschnittt die Stille. Der Fahrstuhl. Grete lauschte. Ja, da war es. Das quietschen der Fahrstuhltür. Schritte näherten sich. Es klopfte. Und mit dem Klopfen wurde auch gleichzeitig die Bürotür geöffnet. Ein Wagen schob sich durch die Tür.
"Mann, haben sie mich erschreckt!" Die Grete lachte, als sie hinter dem hoch beladenen Wagen den Boten erkannte, der täglich die Post brachte. Nun, täglich ist gut. In den letzten Wochen war so gut wie keine Post angekommen, durch den Streik. "Wohin damit, Frau Meier?" Der Bote sah sie fragend an. Grete wurde blass. "Wie jetzt, ist das etwa alles für mich?" Der Bote lachte. "Na Frau Meier, sehen Sie hier etwa noch jemanden? Vielleicht den heiligen Geist? Natürlich ist das alles für Sie. Also, wohin?"
Ehe Grete antworten konnte, klinglete das Telefon. Grete griff nach dem Hörer und bedeutete dem Boten mit einer Handbewegung, alles auf dem Schreibtisch abzuladen. "Eido, wie nett. Was kann ich für dich tun?"
Grete zog genervt an ihrer Zigarette. "Und dann, ich kann ihnen sagen, lieber Herr Heinevetter. Nix mehr mit Ruhe. Der Teufel war los. Nicht nur ich hatte einen Berg Post, der arme Eido ist fast in Päckchen erstickt. Da die Berta ja immer noch in Urlaub ist, muss er zur Zeit auch die Wareneingangskontrolle vom Einkauf übernehmen. Die Seelig ist ja mit dem Chef unterwegs. Der ist fast in die Luft gegangen, der arme Kerl. Das waren mehr als 100 Päckchen. Teilweise haben die zwei Wochen bei der Post gelegen. Blöder Streik, blöder. Was denken die sich denn. Wie gut, dass es sich nicht um verderbliche Waren handelt bei uns. Dennoch. Einfach alles auf einmal liefern. Ich bin total geschafft. Und das bei der Hitze. Wie gut, dass die Klimaanlage gestern repariert wurde. Gestern erst, das müssensse sich mal vorstellen. Vor drei Wochen habe ich den Klimafritzen schon bestellt. Diese Handwerker heutzutage. Nu sagense doch auch mal was!"
Herr Heinvetter hielt sich mit der rechten Hand den Kopf. "Später Frau Meier, später. Ich hab Kopfschmerzen von der Hitze. Ich brauch Ruhe. Also, so haltense doch in Gottes Namen mal den Schnabel. Ihr Genöle ist ja fürchterlich!"