Gender Studies in Translation
Gender Trouble zwischen den Wissenschaftsräumen USA
und Deutschland um 1990
Xenia Wenzel
1.
Einleitung
Dass dieser Artikel in einem Sammelband zur Entwicklung der als explizit so benannten »Gender Studies« erscheint, ein Begriff, der sich mittlerweile nicht nur
im akademischen Feld, sondern auch im Alltagsdiskurs etabliert hat, wäre noch
vor 20 Jahren, als die vorherrschende Bezeichnung im deutschsprachigen Raum
»Frauen- und Geschlechterforschung« war, nicht so selbstverständlich gewesen wie
heute. Noch weniger wäre dies der Fall vor 30 Jahren gewesen, als Judith Butler mit
Gender Trouble die Bühne des akademischen Feminismus betrat und dessen Eintritt
in den deutschsprachigen Diskursraum durch die Übersetzung Das Unbehagen der
Geschlechter die vorherrschende Diskurskonstellation mit einer »Wucht« traf (Hark
2005, 278).
Wenn wir Gender Studies »als Synthese einer feministischen Traditionslinie
und moderner Theorien zu Identitäts- und Bedeutungsstiftung« (Funk 2018, 85),
konkreter: als Zusammenlaufen zweier Entwicklungslinien, in denen »die soziopolitische und kulturgeschichtliche Bestandsaufnahme weiblicher Unterdrückung
und die Entwicklung möglicher Gegenstrategie durch den Feminismus« sowie
»die epistemologische Neuorientierung des Genderbegriffs unter dem Einfluss
von Strukturalismus und Poststrukturalismus« (ebd., 41) zusammenkommen,
verstehen, lässt sich Judith Butlers Werk Gender Trouble als Kanalisierung, Manifestierung und Konsolidierung und somit »zentraler Bezugspunkt« der Gender
Studies begreifen (ebd., 105). Kein anderes Werk der feministischen Theorie der
1990er Jahre war so erfolgreich wie Gender Trouble (Hark 2007, 163), das gleichsam
einen theoretischen und institutionellen Paradigmenwechsel im akademischen
Feminismus einleitete, der mit einem Wandel vom Analyseobjekt Frau zu Gender
und von den Women’s Studies/Frauenforschung hin zu den Gender Studies/
Geschlechterforschung beschrieben werden kann (vgl. Hark 2005, 30f.).
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Sowohl der Begriff »Gender« als auch die Gender Studies als wissenschaftliche Disziplin sind mittlerweile in den deutschsprachigen Diskursen in und um
Wissenschaft und Feminismus angekommen. In den verschiedenen Diskursräumen lassen sich sowohl affirmative als auch kritische oder gar diffamierende Verwendungen dieser Begriffe feststellen. Während in (akademischen) feministischen
Diskursen englische Begriffe wie LGBTQI+, queer und gender mitunter wie selbstverständlich benutzt werden, werden sie in anti-feministischen oder »antigenderistischen« Debatten zur Abwertung von Geschlechterforschung und dekonstruktivistischen Vorstellungen von Geschlecht genutzt (Maihofer/Schutzbach 2015, 202).
Die Verwendung von fremdsprachlichen Konzepten und Begriffen, deren Import
in den deutschsprachigen feministischen, aber auch anti-feministischen/»antigenderistischen« Diskurs, spricht für eine zunehmende Verflechtung von Wissenssystemen, deren Inhalten und Sprachen. An dieser Verflechtung sind Übersetzungen
maßgeblich mitbeteiligt.
Dass auch die Entwicklung der feministischen Theorie eine »international dynamische« ist (Hark 2005, 267), exemplifizieren die Übersetzungen von Gender Trouble. Sie trugen dazu bei, die Inhalte und Termini dekonstruktivistischer feministischer Ideen außerhalb des anglo-amerikanischen Sprachraums zu verbreiten und
die vorherrschenden feministischen Diskurse der wissenschaftlichen Zielkulturen
zu beeinflussen. Im Übersetzungsprozess zwischen zwei Sprachräumen, hier: Wissenschaftsräumen, haben wir es stets mit einem Ausgansdiskurs und einem Zieldiskurs zu tun, die durch verschiedene Austauschprozesse miteinander verbunden
und aufeinander bezogen sind. Diese fortwährenden – wenn auch gleichsam nicht
linearen – Prozesse widerspiegeln sich in den geteilten und adaptierten Gedankengängen, die sich wiederum in Sprache artikulieren. Die Untersuchung von Übersetzungen kann sich als ein Weg erweisen, nicht nur die Verschiedenheit der behandelten Themen, Konzepte und Kategorien der jeweiligen feministischen Theorien zu examinieren, sondern auch die Kommensurabilität der dazugehörigen wissenschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Diskurse.
Aus der Perspektive der Translationswissenschaften lässt sich über die Untersuchung der Werke der Gender Studies demnach einiges über die transnationalen
und transdisziplinären Entwicklungen dieses Fachs sagen. Transnational insofern,
als dass durch die Untersuchung der Translation verschiedene Wissenschaftsräume als Ausgangs- und Zielkontext involviert werden: Im Fall der deutschen Übersetzung von Gender Trouble sind dies der angloamerikanische und der deutschsprachige Wissenschaftsraum. Transdisziplinär insofern, als dass die Translationswissenschaften ihr rein linguistisches Paradigma längst überwunden haben und das
Phänomen der Übersetzung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden kann (vgl. Gambier/van Doorslaer 2016). Transdisziplinär auch deshalb, weil
die Gender Studies – ebenso wie die Translationswissenschaften – ein inter- be-
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ziehungsweise transdisziplinäres Fach sind, das verschiedene Möglichkeiten der
Untersuchung hervorbringt.
In diesem Beitrag wird die Bedeutung, die die Übersetzung von Gender Trouble
an der paradigmatischen, sprachlichen und institutionellen Verschiebung der
feministischen Theorie im deutschsprachigen Raum hatte, eruiert. Ausgehend von
translatorischen Phänomenen in Das Unbehagen der Geschlechter wird im ersten
Schritt nach den diskursiven, institutionellen und rezeptiven Rahmenbedingungen
jener gefragt. So sollen nicht nur Informationen über die Diskursordnungen des
Zielkontextes, sondern auch aus diesen abgeleitete translatorische Entscheidungen abgelesen werden. In einem zweiten Schritt werden die Folgen des Eintritts
der Übersetzung von Gender Trouble in den deutschsprachigen feministischen
Diskurs für die Institutionalisierung der Gender Studies in diesem diskutiert. Die
diskursiven und institutionellen Kontexte der Übersetzung bilden wiederum die
Grundlage dafür, die Rezeption von Gender Trouble im deutschen feministischen
Diskurs nachvollziehbar zu machen.
Ziel ist es, die beschriebenen translatorischen Besonderheiten von Das Unbehagen der Geschlechter auf wissenschaftsinterne und -externe Kontexte der
feministischen Theoriebildung zurückzuführen und damit einerseits auf die
soziohistorischen Aspekte wissenschaftlicher Theoriebildung, andererseits auf
den interdisziplinären Charakter translationswissenschaftlicher Untersuchungen
hinzuweisen. Übersetzungen aus und in wissenschaftlichen Räumen können damit als Gradmesser für wissenschaftliche und damit verbundene soziohistorische
Gegebenheiten, aber auch deren Veränderungen verstanden werden.
2.
Translationstheoretische Vorannahmen
Bevor nun translatologische Überlegungen zu Gender Trouble angestellt werden,
müssen die translationstheoretischen Grundlagen für diese gelegt werden. Diese Überlegungen sind zwangsläufig transdisziplinär, was nicht nur der Inter- und
Transdisziplinarität des Fachs Translationswissenschaft an sich, das translatorische Prozesse längst nicht mehr als rein linguistische betrachtet, wie es noch zu
ihren institutionellen Anfängen der Fall war (Thome 2019, 30ff.), sondern auch der
Inter- und Transdisziplinarität der Gender Studies als translatologischem Untersuchungsobjekt geschuldet ist.1
1
Zum Verhältnis von Inter- und Transdisziplinarität in der Frauen- und Geschlechterforschung
und den Gender Studies siehe unter anderem Stäheli/Torra-Mattenkloot 2001; Weinberg
2001; Hark 2005. Zur Inter- und Transdisziplinarität in den Translationswissenschaften siehe
Gambier/van Doorslaer 2016. Zum spezifischen Zusammenhang zwischen Translationswissenschaften, Trans* und Queer siehe Baer/Kaindl 2018.
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Gerade im interdisziplinären Kontext könne, so Dizdar, nicht von einer eindeutigen Definition von Translation ausgegangen werden, da »außer der identischen
Lautfolge (bzw. der überlieferten Graphemfolge) in der Form translatio kaum etwas bleibt, was als kennzeichnendes Merkmal der Translation in diesem (weiteren)
Kontext betrachtet werden kann« (Dizdar 2006, 118). Daraus kann sich eine Offenheit für den Übersetzungsbegriff ergeben, der translatorische Prozesse unter ihren
jeweils spezifischen Vorzeichen und mit ihren jeweiligen Inhalten und Kontexten
betrachtet.
Doch nicht nur der Begriff der Translation an sich ist in den Translationswissenschaften nicht abschließend geklärt, auch mangelte es bisher an einer allgemeinen integrativen Translationstheorie, der sich zuletzt Thome (2019) angenommen
hat. Neben der Komplexität des Untersuchungsobjekts und dessen Interdisziplinarität, die sich mittlerweile nicht nur auf linguistische und kommunikationswissenschaftliche, sondern auch auf kognitive, neurologische, soziologische, ästhetische
und handlungstheoretische Aspekte erstreckt, sind es vor allem die verschiedenen
Definitionen davon, was eine Theorie der Translation zu umfassen, zu beschreiben und zu leisten hat, die die Entwicklung einer allgemeinen Translationstheorie
bisher erschwerten (Thome 2019, 34ff.). Den von Thome umfassend aufgearbeiteten Ansätzen der internationalen Translationswissenschaften ist gemein, dass sie
sich von einem normativen Übersetzungsbegriff verabschiedet haben und dieser
nur mehr annähernd bestimmt wird (ebd., 44). Es geht nun nicht mehr darum,
was eine Übersetzung sein soll, sondern darum, was und wie ist sie und welche
Erkenntnisse aus ihrer Untersuchung gewonnen werden können.
Bei der Übersetzung von Texten und Werken aus den Gender Studies haben
wir es mit zwei Besonderheiten im Translationsprozess zu tun: mit der Übersetzung sowohl eines wissenschaftlichen als auch gesellschaftskritischen/politischen
Textes. Wissenschaftsräume lassen sich für translatologische Untersuchungen als
Kulturräume verstehen. »Wissenschaftsdisziplinen sind ihrem sozio-politischen
Kontext […] behaftet und tragen […] die Spuren ihrer Tradition wie alle anderen
Kulturen auch« (Dizdar 2006, 119f.). Diese verschiedenen Wissenschaftsräume/kulturen sind durch ihre Texte, durch das Phänomen der Intertextualität, miteinander verbunden. Wissenschaft ist somit ein von Intertextualität angetriebener,
permanenter Prozess der Rezeption und Interpretation, den Dizdar bereits an und
für sich als Translation begreift (ebd., 119). Die zusätzliche Herausforderung einer
zwischensprachlichen Translation wissenschaftlicher Texte wie jener der Gender
Studes liegt darin, Begriffe wie gender neuen Kontexten und Kulturen anzupassen
(von Flotow/Scott 2016, 366). Die zwischensprachliche Übersetzung wissenschaftlicher Texte lässt sich somit als doppelte Translation verstehen, in der neben den
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einzelnen Sprachen auch wissenschaftliche Inhalte und Theoreme übersetzt werden müssen.2
Nun sind die Texte der Gender Studies nicht nur wissenschaftlicher, sondern
auch politischer Natur, entspringen – wie im Fall von Gender Trouble – (queer-)feministischen Entstehungskontexten (Butler 2007, xvii). Auch von Flotow und Scott
weisen darauf hin, dass die Translationswissenschaften und Gender Studies ihre
politische Natur teilen. So können sich translationswissenschaftliche Analysen dafür als nützlich erweisen, die politischen Hintergründe von Begriffen wie gender zu
eruieren (von Flotow/Scott 2016, 366f.). Dies kann, so möchte ich argumentieren,
mit Hilfe eines wissenschaftssoziologisch basierten translatologischen Untersuchungsrahmens umgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Inter- und Transdisziplinarität sowohl des Untersuchungsobjekts (Translate in den Gender Studies)
als auch der (translationswissenschaftlichen) Theorien und Methodologien wird
Translation nicht als rein linguistisches und auch nicht normativ zu untersuchendes Phänomen behandelt, sondern im Falle politisch motivierter wissenschaftlicher Texte als Ergebnis eines wissenschaftlichen und somit gesellschaftspolitischen
Diskurses. Insofern »Wissenschaft als eine Praxis zu verstehen [ist], in der soziale und intellektuelle Dimensionen unterschieden und gleichwohl als eng miteinander verschränkte, sich wechselseitig konfigurierende Faktoren gedacht werden«
(Hark 2005, 145), können paradigmatische Entwicklungen in der Wissenschaft in
ihrer Historizität und Wandelbarkeit nur zusammen mit gesellschaftspolitischen
verstanden und so translationstheoretische Annahmen mit wissenschaftssoziologischen verknüpft werden.3
Translation wissenschaftssoziologisch basiert zu untersuchen, bedeutet, die
gesellschaftspolitischen und damit soziohistorischen Bedingungen für die Entstehung eines wissenschaftlichen Texts und seines Translats zu eruieren. Die konkrete
Form einer wissenschaftssoziologisch informierten translationswissenschaftlichen
Untersuchung wissenschaftlicher Texte kann dabei je nach konkretem Forschungsinteresse variieren. Im Gegensatz zu den verbreiteten zieltextorientierten Ansätzen in der Translationstheorie wie der Skopostheorie oder den Descriptive Translation Studies, die eine nicht-normative und nicht-äquivalenzbasierte Anerkennung
2
3
Mit der »doppelten Translation« ist jedoch keine Überlagerung zweier parallel oder sukzessiv
stattfindender Übersetzungsprozesse gemeint. Vielmehr sind die beiden genannten Ebenen
untrennbar miteinander verbunden. Mit Flecks Vorstellung einer wissenschaftlichen Disziplin als in sich geschlossenes »Denkkollektiv« geht auch die Vorstellung eines gemeinsamen
Denkstils einher, der sowohl über die Wahl der Untersuchungsinhalte, Theorien, Methoden,
aber auch Sprachen entscheidet. Wie Flecks Denkstilterminologie für translationstheoretische Überlegungen zur Übersetzung feministischer Philosophie fruchtbar gemacht werden
können, erarbeite ich in Wenzel 2021.
Für eine Einführung in und umfassende Darstellung der Wissenschaftssoziologie siehe Weingart 2003.
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der Zielkontexte des Translats verfolgen (Dizdar 2006, 307-310), sind auch ausgangstextorientierte Ansätze wie der Alhusseins denkbar, die von einem »bidirektionalem Charakter kommunikativer Prozesse« und damit von einem dynamischen
Translationsbegriff ausgehen, in dem das Translat auch auf den Ausgangstext zurückwirken kann (Alhussein 2020, 18).
Damit verbunden ist die Vorstellung von der Übersetzung wissenschaftlicher
Texte nicht nur als ›Ergebnis‹ eines wissenschaftlichen (und mitunter gesellschaftlichen) Diskurses, sondern auch als ›Impuls‹ für weitere wissenschaftliche Entwicklungen im Zielkontext.4 In diesem Beitrag werden beide Seiten der Translation
sowohl als Resultat als auch Impuls für disziplinäre und institutionelle Entwicklungen der Gender Studies berücksichtigt. Ausgehend von den translatorischen
Phänomenen und Entscheidungen in der deutschen Übersetzung von Gender Trouble werden zunächst die diskursiven, dann die institutionellen und letztlich die
rezeptiven Kontexte des deutschsprachigen akademischen Feminismus herausgearbeitet.
3.
Translatorische Phänomene in der deutschen Übersetzung
von Gender Trouble
Die deutsche Übersetzung von Gender Trouble: Das Unbehagen der Geschlechter, übersetzt von Kathrina Menke, erschien bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung des
Ausgangstexts am 29. Oktober 1991 im Suhrkamp Verlag als zweiter Band der Reihe
Gender Studies. Vom Unterschied der Geschlechter (Hark 2005, 269). Bis heute existiert
nur diese eine übersetzte Ausgabe, die bis 2019 in zwanzigfacher Auflage erschienen ist, während der englischsprachige Ausgangstext bereits vier Ausgaben vorweisen kann (1990, 1999, 2006, 2007). Das zweite Vorwort, das Butler 1999 verfasste, und in dem zahlreiche Informationen über die Entstehung und Rezeption von
Gender Trouble sowie einige theoretische Revisionen zu finden sind, die das Werk
in einen neuen diskursiven Kontext stellen, ist somit bis heute nicht Teil des deutschen Zieltextes.5
4
5
Für eine ausführliche wissenschaftssoziologisch informierte translationshistorische Untersuchung der Übersetzung von Gender Trouble unter gleichwertiger Betrachtung des Ausgangsund Zielkontextes siehe Wenzel 2020.
Wiederum verfasste Butler für die deutsche Übersetzung von Bodies that Matter (Körper von
Gewicht, 1995) ein speziell an das deutschsprachige Publikum gerichtete Vorwort, in dem
sie auf die im deutschsprachigen feministischen Diskurs geäußerte Kritik an Gender Trouble
eingeht. Ihr habe vor allem an einer Erörterung der als gegeben angenommenen Kategorien sowie der Erstellung eines Vokabulars der Anerkennung im Zuge einer demokratischfeministischen Neukonzeption gelegen. Dass sich das anvisierte Vokabular jedoch nicht in
allen Sprachen gleichermaßen herstellen lässt, habe Butler erst durch die deutsche Rezepti-
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Bereits der Titel der deutschen Übersetzung bietet hinreichend Stoff für translatologische Überlegungen. Denn Titel, so Hark, sagen oftmals etwas über Marketingstrategien, potenzielle Publika, aber auch den herrschenden Zeitgeist aus: »So
antizipierte – oder wurde durch diesen nahegelegt? – die Titelpolitik des Suhrkamp
Verlages gleichsam die anfänglich distanzierende Reaktion etlicher deutscher feministischer Wissenschaftlerinnen« (Hark 2005, 270). Das im Titel benannte Unbehagen fängt für Hark nicht nur das damals herrschende Unbehagen am modernen
Geschlecht, der Geschlechter miteinander und am Feminismus ein, sondern sei vor
allem
»ein kategoriales Unbehagen vieler feministischer Wissenschaftlerinnen mit der
eigenen Theorie und Wissensproduktion, eine Skepsis gegenüber dem feministischen Potenzial, die eigenen Prämissen und kategorialen Verankerungen sowie
die darin implizierten Ausschlüsse zu reflektieren« (ebd.).
Zu bemerken ist außerdem, dass der Untertitel Feminism and the Subversion of Identity vom Suhrkamp Verlag nicht nur in der deutschen Übersetzung, sondern auch
bei der Angabe des englischsprachigen Originaltitels im Impressum getilgt wurde
und somit sämtliche Referenzen auf das theoriepolitische feministische Programm
von Gender Trouble gekappt wurden – und dies, obwohl Butler ihr Werk selbst im
Kontext feministischer Theorie verortet hatte (vgl. Hark 2007, 154). Hark vermutet an dieser Stelle eine »Oppositionsstrategie« des Verlags, in der nicht nur »die
Kritik an der identitätspolitischen Fundierung von Feminismus« unterschlagen,
sondern »auch die Situierung des Buches im Kontext feministischer Theorie und
Praxis negiert« wird (Hark 2005, 269).
Neben frappierenden Unterschieden in den Titeln des Ausgangs- und Zieltextes lassen sich auch auf der Wortebene translatorische Auffälligkeiten feststellen, die auf Grund der Bedeutung von Konzepten und Begrifflichkeiten um
Geschlechtskategorien und Begehrensstrukturen bei Butler von besonderem Interesse für translationswissenschaftliche Untersuchungen sind. So existierte die
sex-gender-Trennung, die im Englischen sowohl sprachlich möglich ist als auch
einen Bedeutungsunterschied transportiert, im deutschsprachigen feministischen
Diskurs der frühen 1990er Jahre auf begrifflicher Ebene nicht. Sex wird mal mit
»Geschlecht«, »anatomisches Geschlecht« oder »Sexus« (Butler 2019, 15, 22, 23), gender mal mit »Geschlechtsidentität« oder »grammatisches Geschlecht« (ebd., 15, 22)
übersetzt. Dabei wird fast ausnahmslos der englische Ausgangsbegriff kursiv und
in Klammern hinter den Zielbegriff gesetzt. Lediglich der im US-amerikanischen
on von Gender Trouble erfahren. So habe ihr die Kenntnisnahme der Tatsache, dass gender ein
ins Deutsche schwer zu übersetzender Begriff sei, gezeigt, dass die sex-gender-Trennung im
Deutschen nicht ohne Weiteres vollzogen werden könne und dass das Biologische im Deutschen viele Wertigkeiten habe, die sie nicht vollständig erfasst habe (Butler 2005, 9f.).
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Diskurs weniger problematische Begriff race wird nicht als Ausgangsterminus
übernommen, sondern mit dem äußerst problematischen »die Rasse« übersetzt
(ebd., 221, Fußnote 20; Anführungszeichen nicht Teil des Zitats, X.W.).
Sex und gender sowie davon abgeleitete Begriffe finden sich im Fließtext stets
hinter ihren deutschen Übersetzungen in Klammern: »geschlechtlich bestimmte
Identitäten (gender identitites)«, »durch die Geschlechtsidentität markiert (marked in
gendered terms)«, »geschlechtlich bestimmte Subjektivitäten (gendered subjectivities)«
(ebd., 117f.). Dazu kommen zahlreiche erklärende, kontextualisierende Fußnoten
der Übersetzer:innen, zum Beispiel eine umfassende Erklärung zur Bedeutung der
Begriffe sex und gender und ihrer Verwendung sowohl im Ausgangs- als auch Zieltext (ebd., 15). Die englischsprachige Terminologie ist somit im Zieltext omnipräsent. Ohne permanente Bezüge auf die Ausgangsterminologie, ohne translatorische Interventionen, lässt sich die deutsche Übersetzung weder lesen noch verstehen. In Fällen, in denen die Ausgangsterminologie nicht zur zusätzlichen Klärung
verwendet wird, ist nicht klar, ob auf biologisches oder kulturelles Geschlecht referiert wird. So wird aus »categories of sex, discrete gender, and specific sexuality«
(Butler 2007, 173) in der deutschen Übersetzung »die Kategorien des wahren Geschlechts, der diskreten Geschlechtsidentität und besonders der Sexualität« (Butler
2019, 190).
Für Hark kündigte der deutsche Titel von Gender Trouble »die zum damaligen
Zeitpunkt sich anbahnende Grenzziehung im akademischen Feminismus«, also
jene zwischen Frauenforschung/Feminismus und Geschlechterforschung/Gender
Studies, und damit eine »Umorientierung im geschlechtertheoretischen Denken«
an (Heintz 1993, 37 in Hark 2005, 270f.). Die sogenannte »Butler-Debatte« oder
auch »Gender-Debatte« (Hark 2007, 285) wurde somit »zu einem der Schauplätze für grundlegende Transformationen sowohl in der feministischen Diskurskonstellation wie auch auf dem institutionellen Terrain des akademischen Feminismus« (ebd., 271). Diese beiden Ebenen der Transformation des akademischen Feminismus – die diskursive und institutionelle – werden in den folgenden Kapiteln
für den deutschsprachigen Raum herausgearbeitet, um translatorische Phänomene und Entscheidungen einordnen und nachvollziehbar machen zu können.
4.
Der deutschsprachige feministische Diskurs um 1990
»Mit Beginn der 90er Jahre verlagerte sich der Feminismus von der Straße in
die Universitäten, Forschungszentren, Bücher, Kongresse und wissenschaftlichen
Vereinigungen. Theorie, so schien es, überlagerte vielfach die Praxis. Dabei war
die feministische Theorie durch einen äußerst heterogenen Diskurs bestimmt.
Es gab differenzfeministische, dekonstruktivistische und konstruktivistische
Ansätze. Neben der Kategorie Geschlecht wurden verstärkt auch andere soziale
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Kategorien herangezogen. Der Feminismus verabschiedete sich vom Kollektivsubjekt ›Frau‹, in deren Namen man Politik macht. Differenzkategorien wie die
soziale Schicht, Ethnizität und Sexualität kamen hinzu.« (Karl 2020, 233)
Diese pointierte Darstellung Karls zur Einleitung der dritten Welle des Feminismus weist nicht nur auf die wesentlichen Entwicklungen feministischen Denkens
in Theorie und Praxis, sondern auf die untrennbare Verknüpfung beider hin. Dass
die feministische Theoriebildung untrennbar mit der Bewegung des Feminismus
verbunden ist, gesellschaftspolitische also theoretische Entwicklungen bedingen
und umgekehrt, ist – nicht nur aus wissenschaftssoziologischer Perspektive – ein
Allgemeinplatz. In diesem Kapitel erfordert diese Feststellung jedoch besonderer
Erwähnung, weist sie doch darauf hin, dass sich die gesellschaftspolitischen von
den intellektuellen Debatten des Feminismus nur schwer trennen lassen. Ebenso
wenig lassen sich dessen politisch-diskursive von dessen institutionellen Entwicklungen trennen.
Hark beschreibt diesen historischen Prozess der wechselseitigen politischen
und akademischen Verflechtung von Feminismus und Frauen- und Geschlechterforschung mit dem Phänomen des academic turn im Feminismus, also einer regulierenden Akademisierung und Disziplinierung der feministischen Bewegung, und
dem des feminist turn in der Wissenschaft, das heißt einer zunehmenden Integration feministischer Themen in die Wissenschaft bis hin zu einer intellektuellen und
institutionellen Verschiebung dieser (vgl. Hark 2005, 76). Wiederum beeinflussen
die herrschende Diskursordnung im (akademischen) Feminismus und dessen Institutionalisierung die Rezeption von in diesen eintretenden Werken, wie das anschließende Kapitel zeigen wird.
An dieser Stelle ist es nun entscheidend zu fragen, wie der feministische Diskurs im deutschsprachigen Raum aussah, als Gender Trouble 1991 in deutscher Übersetzung in diesen eintrat. Karls Einteilung in die drei Phasen der westdeutschen
neuen Frauenbewegung von 1968 bis zur Wiedervereinigung kann helfen, die bis in
die Debatten der neunziger Jahre nachwirkenden Entwicklungslinien nachzuvollziehen (vgl. Karl 2020, 182-204). Von Bedeutung sind hier vor allem die Entwicklungen ab der zweiten Phase ab 1975, in der mit dem Scheitern der Aktion § 218
die Auseinandersetzungen und Aktionen um die Streichung des § 218 zum Erliegen kamen und ein »Rückzug nach innen« begann (ebd., 193). Auf der Suche nach
einer »neue[n] Weiblichkeit«, der Neuentdeckung des männlich fremdbestimmten
Körpers, aber auch der Psyche, wurde nicht nur Kritik an der männlich geprägten
Medizin und Psychoanalyse geübt, sondern eine Gegenbewegungen in Gang gesetzt, die zahlreiche Formen der Selbstorganisation, Selbstbestimmung und Wissensaneignung von Frauen vor dem Hintergrund einer patriarchal organisierten
Gesellschaft und einer Entscheidung für den Feminismus als Lebensform hervorbrachte (ebd., 193f.).
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In der dritten Phase ab 1977 entstanden zahlreiche Frauenprojekte zur Verbreitung der eigenen feministischen Ideen wie Verlage, Zeitschriften, Buchläden,
Teestuben usw. Vor allem im gesundheits- und sozialpolitischen Bereich entstanden verschiedene Zentren und Beratungsstellen (ebd., 197f.), darunter das
Frauenhausprojekt als »bekanntestes Frauenprojekt und traurige Erfolgsgeschichte« (ebd., 199f.). Bis dato tabuisierte Themen wie häusliche Gewalt, Vergewaltigung
in der Ehe sowie Pornografie, die allesamt auf strukturelle Gewalt gegen Frauen
durch Sexismus zurückgeführt wurden, rückten nun verstärkt in den Fokus der
Öffentlichkeit (ebd., 200f.). In den späten 1980er Jahren spitzten sich die Kontroversen um Sexualität in den Feminist Sex Wars zwischen feministischen und
lesbischen Frauen zu und leiteten mit ihren antagonistischen Bewertungen von
Transsexualität, Pornografie und Sadomasochismus das Ende der zweiten Well
der Frauenbewegung ein (ebd., 202f.).6
Die feministische Debatte im deutschsprachigen Raum um 1990 kann durchaus
als widersprüchlich und heterogen verstanden werden; sie stand, wie die weltpolitische Ordnung als solche, vor einem Umbruch. 1989 war auch für die Frauenbewegung ein Jahr der Zäsur – ein Umbruch, an dem die Frage nach dem Ende oder
dem Beginn einer abermals neuen Frauenbewegung stand (Gerhard 2009, 120f.),
und die sich vor einem internationalen Hintergrund abspielte, von dem die Entwicklungen im deutschsprachigen Raum nicht unbeeindruckt blieben. Diese Umbruchphase widerspiegelte sich auch in den theoretischen Debatten des deutschsprachigen Feminismus, der in weiten Teilen zwar noch deutlich von den Themen
und Motiven der zweiten Welle und somit vor allem von einem differenzfeministischen Verständnis von der Natur der Geschlechter geprägt war, in dem aber durch
gesellschaftspolitische und diskursive Neuanbahnungen und Verschiebungen auch
Raum entstand für alternative Sichtweisen auf Geschlecht.
Auf der einen Seite gab es körperlich und materiell geprägte Debatten, in denen
Fragen nach körperlicher, sexueller und politischer Emanzipation im Mittelpunkt
standen. Dazu gehörte auch die Abtreibungsdebatte, in der das Recht auf Abtreibung als Selbstbestimmung über den eigenen Körper verstanden und der Kampf
gegen § 218 »zum Symbol einer umfassenden Kontrolle über den Körper und das
Leben der Frau [wurde]« (Trumann 2002, 60f.). Aber auch die Frage nach Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Arbeitskraft, die in der Kampagne »Lohn
für Hausarbeit« und dem Kampf um eine Aufwertung und Sichtbarmachung weiblicher Haus- und Sorgearbeit – die heute unter dem Begriff care verhandelt wird
– zum Ausdruck kam (Gerhard 2009, 112f.). Der in den späten sechziger Jahren
entstandene Slogan »Das Private ist politisch« bildete auch in den achtziger Jahren noch den Deutungsrahmen für feministische Debatten um Frauenförderung,
6
Vgl. auch den Beitrag von Ute Gerhard in diesem Band.
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Quotierung, den Paragraphen 218, Arbeitsverhältnisse von Frauen (auch im Zuge der Wiedervereinigung) sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Villa
2003, 128). Für diese körperlich und gesellschaftstheoretisch geprägten Debatten
und Vorhaben benötigte der Feminismus ein Subjekt: die Frau.
Auf der anderen Seite gab es auch in Deutschland der frühen neunziger Jahre schwul-lesbische Subkulturen und politische Strategien, auf deren Nährboden
Gender Trouble fiel. Die queere Bar- und Clubszene nebst dem Christopher Street Day
wurden zu dieser Zeit medienwirksamer, queere Protagonist:innen in Serien und
Filmen sichtbarer und die Repräsentation von Geschlecht und Sexualität in Musikvideos und Werbung heterogener (ebd., 128f.). Villa konstatiert hier eine Parallelentwicklung, in der die sexuelle Identität scheinbar zu einer freieren und privateren Angelegenheit, Sexualität aber gleichzeitig zunehmend zu einem identitätsstiftenden Merkmal wird (ebd.).
In diesen Zusammenhang lässt sich der von Baldauf, Griesebner und Mesner
konstatierte »Vertrauensschwund in traditionelle Gesellschaftsentwürfe und politische Kollektive« einordnen. Traditionelle Rollenbilder und Geschlechterhierarchien verloren für immer mehr Menschen ihre scheinbar »übermächtige und unausweichliche Gültigkeit«, damit einher ging der Verlust der sozialen Integrationskraft der Kategorie Frau, während »differenziertere Subjektpositionen, die sich aus
verschiedenen hierarchischen Differenzen […] ergeben« in den Vordergrund traten (Baldauf/Griesebner/Mesner 1995, 80). Die realen Erfahrungen von Geschlechterverhältnissen, Lebensformen, sexuellen Orientierungen und Perspektiven von
Frauen veränderten sich und Geschlechterverhältnisse erfuhren Prozesse der Umstrukturierung. Erst auf diesem Boden konnten Debatten um Geschlechterutopien
gedeihen (Landweer/Rumpf 1993, 4). Für diese Phänomene bot Butler, wenn vielleicht nicht unbedingt intendiert, die passende theoretische Basis (vgl. Villa 2003,
129).
Im Dunst des »neoliberalen Zeitgeist« (Gerhard 2009, 122) deutete sich eine
neue feministische Bewegung an, die nicht nur die alten strukturellen – und nach
wie vor nicht aufgehobenen – Ungerechtigkeiten in Gesellschaft, Wirtschaft und
Politik anprangerte, sondern auch »alternative Lebensentwürfe, neue Formen von
Widerstand und eine Vielzahl kultureller Praktiken« (ebd.) zum Ausdruck brachte, die bis heute andauert. Ein Prozess, in den Gender Trouble hineinfiel, und den
es wiederum durch seine theoretische Aggregation konsolidierte und beschleunigte. So ließ sich mit dem Erscheinen von Das Unbehagen der Geschlechter nicht
nur eine Verschiebung der feministischen Debatten im deutschsprachigen Raum
um Gleichheit und Differenz von Frauen hin zu einer Kritik an der Kategorie Geschlecht feststellen, sondern auch eine Öffnung für konstruktivistische und ethnomethodologische Debatten. Gleichsam hatte sich der Ort der feministischen Theoriebildung, wie im Eingangszitat dieses Kapitels beschrieben, an die Universitäten
verlagert (Landweer/Rumpf 1993, 4, 7).
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»Gender Trouble wurde zum Gegenstand von und Auftakt zu einer Serie von Auseinandersetzungen darüber, was das zum damaligen Zeitpunkt sowohl disziplinär als auch hinsichtlich der in Anschlag gebrachten theoretischen Konzepte und
Methoden schon hochgradig ausdifferenzierte Feld des akademisch gewordenen
Feminismus (noch) zusammenhält.« (Hark 2005, 271)
In diesen Debatten versuchte der deutsche akademische Feminismus sein Selbstverständnis, aber auch die Kategorie Geschlecht/Gender als Analysekategorie in einem von Das Unbehagen der Geschlechter poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch beeinflussten Diskussionsfeld zu schärfen. Gleichzeitig erhärteten sich Ansprüche auf ein eigenes Territorium im Feld der wissenschaftlichen Disziplinen.
Diese diskursive und damit institutionelle »Härtung«, wie Hark sie bezeichnet,
wurde anhand zentraler Grenzlinien wie beispielsweise der Verhandlung des Themas (Hetero-)Sexualität vollzogen (ebd., 272f.).
Der akademische Feminismus im deutschsprachigen Raum schien damit an
einem Scheideweg zu stehen, an dem er entweder die Richtung einer bis dato energisch verfolgten Institutionalisierung der Frauenforschung einnehmen oder den
ungeplanten Weg der Einrichtung einer neuen Forschungsdisziplin mit neuen Analysekategorien einschlagen konnte.
5.
Institutionalisierungsprozesse des akademischen Feminismus
in Deutschland der frühen 1990er Jahre
Die 1976 abgehaltene erste Berliner Sommeruniversität von Frauen kann als Anstoß
für die sich in den achtziger Jahren ausbreitende Frauen- und Geschlechterforschung (Karl 2020, 199) und somit gleichsam für dessen Institutionalisierungsprozess gelten. Vorläufer der Frauen- und Geschlechterforschung waren die seit den
1960er Jahren in den USA verbreiteten Women’s Studies, die aus der Einsicht entstanden, dass Frauen sowohl als Forschungssubjekte als auch Forschungsobjekte
in der Wissenschaft fehlten, und
»die eine feministisch-wissenschaftliche Analyse der Frau in der patriarchalen Gesellschaft und eine damit verbundene radikale Wissenschaftskritik anstrebten,
welche den Wissenschaftsbetrieb durch die Entwicklung eigener Paradigmen verändern sollte« (ebd., 236).
Die in der ersten Phase der Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung vor allem außerhochschulischen Projektbewegungen und Verstetigungen
waren zumeist dezentral organisiert, während zentrale Einrichtungen mit Stigmatisierung zu kämpfen hatten. Eine Ausnahme bildete die Forschungsgruppe Frauenforschung der Universität Bielefeld (ebd.). Im Verlauf der 1980er Jahre bilde-
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ten sich an einigen Hochschulorten Zentren oder Arbeitsgruppen für Frauenforschung, Studiengänge oder -schwerpunkte gab es hingegen noch keine (vgl. Bock
2002, 115-118).
Dies änderte sich schlagartig ab Mitte der neunziger Jahre, als eine zunehmende Qualifizierung und Professionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung, unterstützt durch rechtliche Vorgaben wie das Hochschulrahmengesetz,
Novellierungen der Universitätsgesetze, Institutionalisierung von Hochschulfrauenbeauftragten und politischen Druck von Studentinnen und Wissenschaftlerinnen, einsetzte (Metz-Göckel 2010, 896). Während dieser »Institutionalisierungswelle der 1990er Jahre« etablierte sich nicht nur in den großen Wissenschaftsorganisationen ein zunehmendes Problembewusstsein über den Ausschluss von Frauen in der Wissenschaft, sondern auch eine vorsichtige akademische Akzeptanz der
Frauen- und Geschlechterforschung (ebd.).
Die deutsche Übersetzung von Gender Trouble erschien 1991 und fällt damit
genau zwischen die »Durchsetzungsphase« (1983-1988) und die »Professionalisierungsphase« (1989-1996) (Brand/Sabisch 2019, 1045). Für Hark war diese
Zwischenphase eine Phase des Umbruchs, in der weniger denn je von einem
»theoretischen, politischen oder epistemischen Konsens innerhalb des feministischen Wissensfeldes« die Rede sein konnte (Hark 2005, 42). Bis in die späten 1980er
Jahre hatte es keine Einforderung einer eigenen Disziplin im Bereich der Frauenund Geschlechterforschung gegeben, wohl aber einen Ausbau der Förderung
dieser und eine »erste intensive Phase akademischer Professionalisierung«. Der
akademische Feminismus wurde – unterstützt durch Förderprogramme und die
Einrichtung zahlreicher Professuren – zunehmend Teil akademischer Institutionen (ebd., 272-274); etwas, wofür zuvor lange gekämpft worden war. Gleichzeitig
stießen Institutionalisierungsbestrebungen im Zuge der Wiedervereinigung und
der damit verbundenen Umstrukturierungen der Hochschulen, die auch mit einer
Abwertung ostdeutscher Denktraditionen der Frauen- und Geschlechterforschung
einhergingen, an ihre Grenzen (ebd., 274).
In der hier beschriebenen Phase veränderten und lockerten sich die Verbindungen zwischen Feminismus, Frauenbewegung und Frauenforschung, und damit zwischen Theorie und Praxis, während gleichzeitig Spannungen zwischen der
Bewegung und Wissenschaft in den Vordergrund rückten. Es galt nun, das Selbstverständnis des zunehmend akademisch werdenden Feminismus zu klären (ebd.,
275). Denn mit zunehmender Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit, die insbesondere durch Gender Trouble das Feld des deutschsprachigen akademischen Feminismus
betreten hatte, konnte die Kategorie Frau wie eine Vereinfachung erscheinen. Anstatt Frauen als Kollektivsubjekt zu betrachten, wurden sie nun zunehmend mit
ihren Unterschieden wahrgenommen (Karl 2020, 236f.).
In diesem neu zu ordnenden, aber auch angespannten Raum, in dem neue und
alte Ansprüche bestritten und verteidigt, Gegenstandsbereiche und Forschungsob-
193
194
Xenia Wenzel
jekte neu definiert wurden, neue Taxonomien etabliert und sowohl die soziale als
auch disziplinäre Ordnung des Feldes ausgelotet wurde, entfaltete Gender Trouble
in seiner deutschen Übersetzung in der feministischen Diskurskonstellation eine
»Wucht« (Hark 2005, 285, 286, 278). Es ging um nicht mehr und nicht weniger als
die »Neuordnung des intellektuellen und institutionellen Territoriums des akademischen Feminismus« (ebd., 285). In welche Richtung der deutschsprachige akademische Feminismus gehen sollte, blieb dabei von den durch die Übersetzung
von Gender Trouble importieren Ideen, Kategorien und Bezeichnungen nicht unbestimmt.
Im Feld des akademisch institutionalisierten Feminismus kam es zu einer
»Ausdifferenzierung der Benennungen«. Während der Begriff »Geschlecht« in
den siebziger Jahren kaum auftauchte, war im Laufe der neunziger Jahre immer
häufiger von »Geschlechterforschung«, »Geschlechterstudien« und später sogar
»Gender Studies« die Rede (Hark 2005, 255, Fußnote 39). Mit Ausnahme der
Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an
der Freien Universität Berlin verwendete kein Koordinations- oder Forschungszentrum der achtziger Jahre den Begriff »Geschlecht«, erst ab 1993 setzten sich
Komposita aus den Begriffen »Frau« und »Geschlecht« durch (vgl. Bock 2002,
115, Abb. 1). Studiengänge oder -schwerpunkte bildeten sich gar erst ab 1992
und damit erst nach dem Erscheinen von Gender Trouble heraus. Mit dem Jahr
2000 verschwindet der Begriff »Frau« aus den Studiengangsbezeichnungen und
»Geschlecht« und »Gender« setzen sich durch (vgl. ebd., 118, Abb. 2).
»Dabei wird die Bezeichnung ›Gender Studies‹ insbesondere dann benutzt, wenn
es gilt, wissenschaftliche Dignität zu demonstrieren oder eine im Unterschied
zur Frauenforschung oder feministischen Wissenschaft größere analytische
Reichweite aber auch einen umfassenderen Gegenstandsbereich der ›Gender
Studies‹ zu behaupten. ›Gender Studies‹ präsentieren sich dabei wahlweise
als wissenschaftliche Fundierung, historische Fortführung oder auch kritische
Überwindung von Feminismus beziehungsweise Frauenforschung.« (Hark 2005,
255f.)
15 Jahre nach Harks Diagnose zur Benennung der institutionalisierten Frauenund Geschlechterforschung haben sich im deutschsprachigen Raum weitere Verschiebungen ergeben. Der in den 1990er Jahren eingesetzte Trend weg vom Begriff »Frau« hin zum Begriff »Gender«/»Geschlecht« hat sich fortgesetzt. Während Begriffsbildungen mit dem Wort »Frau« in den Bezeichnungen der Koordinationsstellen vereinzelt noch existieren, wurden sie aus den Studiengangsnamen
gänzlich getilgt.7 Insgesamt kann heutzutage an 14 Hochschulstandorten Deutsch7
Eine Ausnahme bildet das Programm »MATILDA – European Master in Women’s and Gender
History«: https://www.univie.ac.at/Geschichte/Neuverortung-Geschlechtergeschichte/cms
Gender Studies in Translation
lands, vier Österreichs und ebenso vielen in der Schweiz in etwa 30 Studiengängen
im Bereich der Gender Studies (Brand/Sabisch 2019, 1044) auf Bachelor-, Masterund sogar Promotionsniveau studiert werden, dazu kommen zahlreiche weitere
Standorte mit in bestehende Studiengänge integrierten Schwerpunkten.8 Auch die
Zahl der Gender-Professuren hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt.
1982 erstmalig eingerichtet, betrug die Zahl der Frauenforschungsprofessuren 2001
noch 103, davon waren 21 unbesetzt (Bock 2002, 122). 2017 waren es bereits über
200 Gender-Professuren (Brand/Sabisch 2019, 1044).
Die hier beschriebene »Normalisierungsphase«, die seit Mitte der neunziger
Jahre andauert und zu einer Etablierung und Normalisierung der Gender Studies als Normalwissenschaft beigetragen hat (Brand/Sabisch 2019, 1045), kann als
Ergebnis wissenschaftsinterner und -externer Kämpfe im Bereich des (akademischen) Feminismus gewertet werden, in dem Gender Trouble in seiner deutschen
Übersetzung eine Entwicklung einleitete, die zu nachhaltigen inhaltlichen, symbolischen und sogar institutionellen Verschiebungen im Feld führte.
Der akademische Feminismus durchlebte durch die Veröffentlichung von Gender Trouble eine »bewegte Zeit« mit »tief greifende[n] Konflikte[n] » (Hark 2005, 273,
42). Mit der möglichen Unterminierung des eigentlichen Forschungsobjekts Frau
stand viel auf dem Spiel (ebd., 272-274). So können die von Hark konstatierten unterschlagenen feministischen Anleihen in der Übersetzung des Titels auf ein akademisches Milieu der deutschsprachigen Frauenforschung zurückgeführt werden, in
der diese im Zuge von Umstrukturierungsprozessen um ihre Disziplinierung und
Institutionalisierung bangen musste. Es nimmt daher kein Wunder, dass Das Unbehagen der Geschlechter auf Grund seines Erscheinungszeitraums eine so vehement
ablehnende Rezeption erfahren hat. Trotz oder gerade wegen dieser Widerstände
löste Gender Trouble eine Diskussion im deutschsprachigen Raum aus, die nicht nur
den theoretischen Diskurs, sondern auch dessen Kategorien- und Sprachgebrauch
veränderte.
6.
Die Rezeption von Das Unbehagen der Geschlechter
im deutschsprachigen feministischen Diskurs
Bei der sogenannten »Butler«- oder »Gender-Debatte« ging es nicht nur um theoretische Verhandlungen, sondern um Kämpfe um die Mitgliedschaft und constitu-
8
/index.php?option=com_content&view=article&id=35 %3Aqmatilda-european-master-inwomens-and-gender-historyq-joint-degree&catid=19 %3Aconnected-projects&Itemid=22&
lang=de&limitstart=1
Überblick zur Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland und im deutschsprachigen
Raum: https://www.gender.hu-berlin.de/de/links/links_renamed#Studium
195
196
Xenia Wenzel
ency im Feld des akademischen und immer akademischer werdenden Feminismus
(Hark 2007, 158). Gender Trouble und dessen Rezeption können daher als »diskursives Ereignis«, als »politische Aktivität« (Hark 2005, 271) gewertet werden, ging es
doch um nicht weniger als die Neuordnung des feministischen Diskurses und auch
dessen Institutionalisierung. Diese Debatte wurde mit »Vehemenz« geführt, teilweise mit »erregter Sprache« (Hark 2007, 160). Die Reaktionen auf Das Unbehagen
der Geschlechter mögen ambivalent, doch in erster Linie antagonistisch ausgefallen
sein:
»Wähnten sich die einen durch diese Kritik delegitimiert, bot sie anderen eine
machtvolle Plattform, um bis dahin innerhalb der feministischen Theorie und Praxis immer wieder marginalisierte und verdrängte Fragen zu thematisieren. Sahen
diese darin den Versuch, ein politisch-theoretisches Projekt zu formulieren, das
die Grenzen kultureller Intelligibilität radikal in Frage stellte und die Reartikulation verworfener sexueller und geschlechtlicher Realitäten zum Inhalt hatte, fürchteten jene den Niedergang des politischen Feminismus, die Auflösung der Geschlechter und die Negierung materieller Geschlechterverhältnisse.« (ebd., 158)
Zwei Themen in Gender Trouble reizten die deutschsprachige Debatte besonders:
die der Konstruiertheit des feministischen ›Wir‹ sowie der Versuch, den geschlechtlichen Körper jenseits der Natur-Kultur-Unterscheidung zu begreifen.
Damit zwangsläufig einher gingen Neuverhandlungen des Verhältnisses von Materialität, Körper, Sprache und Geschlecht, also Fragen von agency und Subjekt im
feministischen Diskurs (Hark 2005, 276), das bis dato mit der Frau qua biologisch
bestimmtes geschlechtliches Subjekt assoziiert worden war.
Das andere, und laut Hark Butler stärkstes und verstörendste Argument, war
das der »Einheit von sex, gender, Identität, Begehren und Sexualität« stiftenden
heterosexuellen Matrix (Hark 2007, 157) und somit die Konfrontation mit der bis
dahin im deutschsprachigen Feminismus unreflektierten naturalisierenden Ordnungsmacht von (Hetero-)Sexualität für die Geschlechtsidentität (Hark 2005, 285).
Indem Butler den akademischen Feminismus zwang, sich mit dessen blindem
Fleck, seiner Aporie von der nicht gedachten Zwangsheterosexualität und daraus resultierenden Geschlechterdichotomie, seinem unabwendbar heterosexuell
und materiell gedachten Subjekt Frau zu beschäftigen, und so vermeintlich den
»Niedergang des Feminismus, die Auflösung der Geschlechter und die Negierung
materieller Geschlechterverhältnisse« (Hark 2007, 158) heraufbeschwor, musste
sich die feministische Theorie im deutschsprachigen Raum kritisch und reflexiv
zu ihren eigenen Wissenskategorien verhalten (ebd., 155). Dafür erntete Butler
verschiedene Reaktionen: von Empörung über ihre vermeintlich apolitische Haltung und ihren Relativismus, über das Gefühl der Delegitimierung der eigenen
theoretischen Perspektiven bis hin zu Hoffnung auf die Bildung neuer Plattformen
Gender Studies in Translation
für bis dato verdrängte und ausgeschlossene Erfahrungshorizonte (Hark 2005,
286-288).
Gender Trouble wurde direkt nach dessen Übersetzung ins Deutsche so umfassend und breit rezipiert wie keine andere feministische Autorin philosophischen
Hintergrunds seit der zweiten Welle der Frauenbewegung. Neben der Tatsache,
dass sie als schwer zu lesende Autorin galt, schienen vielen die Themen ihrer Texte »im Vergleich zu drängenden geschlechtsspezifischen Problemen der Gegenwart« als »esoterischer Luxus« (Villa 2003, 11, 127). Vor allem bei Feministinnen mit
differenzfeministischen Ansätzen, wie sie im deutschsprachigen Raum zu dieser
Zeit noch stark verbreitet waren, löste Das Unbehagen der Geschlechter wahrliches
Unbehagen aus: Feminismus werde bei Butler auf eine »Diskussion über symbolische Repräsentationsformen« reduziert, während tatsächlich relevante Themen
vernachlässigt würden (Karl 2020, 241).
Es nimmt daher kein Wunder, dass einer der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an Gender Trouble Butlers vermeintliche Unterminierung der körperlich-biologischen Ebene durch eine »Semiologisierung des Körperbegriffs« (Osinski 1998,
115) und damit die vermeintliche Zerstörung des für den Feminismus konstitutiven – ›natürlichen‹ – Subjekts Frau war. Für die biologisch-materiell geprägte feministische Kritik an Gender Trouble aus dem deutschsprachigen Raum dieser Zeit
gilt Barbara Dudens Kritik in Die Frau ohne Unterleib als besonders repräsentativ.
Mit dem Körper als zentrales Objekt will die Körpergeschichte die Körpererfahrung von Frauen untersuchen und Einsichten über die eigenen »eingefleischten
Selbstverständlichkeiten« gewinnen (Duden 1993, 24f.). Mit Butler sei eine solche
Untersuchung jedoch nicht möglich, da sie statt Körper beziehungsweise Stimme
– anhand derer sich das Geschlecht automatisch offenbare – nur Text heranzieht
und so mit einem »stummen Diskurs« arbeite (ebd., 26). In Dudens Quellenkorpus zum Frauenkörper steht Butlers Text damit »an einem nicht mehr überbietbaren
Endpunkt: die durch Verkörperung von Theorie entkörperte Frau« (ebd., 27).
Trotz all der Kritik an ihrer Theorie wurde Butler auch im deutschsprachigen
Raum Ruhm beschieden. Mit der Veröffentlichung von Gender Trouble wurde Butler
»schlagartig zum internationalen Star der feministischen Theorie« (Villa 2003, 60).
Besonders unter Studierenden erfreute sie sich großer Beliebtheit, die ihre Veranstaltungen zu hunderten besuchten. Für Baldauf, Griesebner und Mesner wurde
Butler durch »Events«, auf denen sich ihre »Fangemeinde« – meist Studierende
jüngerer Generation, die Butler wohlwollend bis euphorisch rezipierten – zusammenfand, zum Star konstruiert, um in der Phase der Hinterfragung einer feministischen Identität, »im allgemeinen Dekonstruktionschaos« Orientierung und
Ordnung in Form einer Identifikationsfigur zu stiften (Baldauf/Griesebner/Mesner
1995, 79f.). Eine andere Lesart bietet Hark, die konstatiert, dass im deutschsprachigen feministischen Diskurs eine »monströse Figur ›Judith Butler‹ konstruiert und
als eine Bedrohung der politischen und theoretischen Einheit von Feminismus ent-
197
198
Xenia Wenzel
worfen« wurde (Hark 2007, 160). Diese Figur sei nicht nur eine geschlechtlich uneindeutige Figur, die die feministische Jugend verführe, sondern die »latent homophob strukturierte, phantasmatische Personifizierung der theoretischen Herausforderung, die Gender Trouble darstellte« (ebd.) und damit eine fremde Übermacht,
die die Kohärenz des Feminismus bedrohe (ebd., 161f.).
Diese scheinbar antagonistischen, wohl aber parallel verlaufenden Darstellungen beziehungsweise Konstruktionen von Butler verweisen auch auf einen Generationenkonflikt zwischen den ›älteren‹ Feministinnen der neuen Frauenbewegung
seit 1968 und einer im Zuge der Butler-Debatte neu aufkeimenden Welle ›jüngerer‹ Feministinnen, die sich vor allem über die Annahme der Butlerschen Sprache/
Terminologie abgrenzten. So stellt Osinski fest, dass »innerhalb der scientific community […] sich die Arbeiten von Judith Butler inhaltlich und formal (dank ihrer
komplexen Terminologie) gut als Mittel zur Distinktion und damit zur Profilierung der sich als Avantgarde Konstruierenden« eigneten (Osinski 1998, 114). Für
Hark diente dieser Generationen-Topos jedoch nur als »Strategie einer erneuten
Verschiebung«, in dem der eigentliche theoretische und institutionelle, und damit »sehr materielle[] Konflikt um Terrain, Ressourcen und Definitionsmacht« als
Generationenkonflikt gerahmt wurde (Hark 2007, 158f.).
Insgesamt lässt sich die im Zuge von Gender Trouble aufkommende »ButlerDebatte« (Hark 2007, 285) als eine zweischneidige beschreiben. Einerseits schien
der deutschsprachige feministische Diskurs in seiner inhaltlichen und konzeptuellen Ausrichtung für eine dekonstruktivistische Debatte noch nicht bereit, zeigte
sogar heftigen Widerstand. Andererseits zeichneten sich im Umschwung der weltweiten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch in der deutschen
(österreichischen, schweizerischen) Frauenbewegung neue Leitlinien ab, die Butler mit ihrer Theorie und Sprache bedienen konnte – und die, wie die heutigen
Gender Studies zeigen, sich letztlich im feministischen Diskurs als paradigmatisch
durchgesetzt haben.
In der 1991 erschienenen Übersetzung von Gender Trouble war diese paradigmatische Wende sprachlich beziehungsweise terminologisch noch nicht sichtbar.
Harks eingangs aufgestellte Vermutung, die aufkeimenden institutionellen Bestrebungen des akademischen Feminismus im deutschsprachigen Raum in Zeiten gesellschaftspolitischer Umbrüche abzusichern und dekonstruktivistischen Ansätzen
nicht das Feld des akademischen Feminismus zu überlassen, lassen sich somit bestätigen. Den diskursiven und institutionellen Rahmenbedingungen des akademischen Feminismus im deutschsprachigen Feminismus zum Trotz entwickelte die
Übersetzung von Gender Trouble eine Wirkmacht, die, bedingt durch internationale
gesellschaftspolitische Umbrüche 1989/90, für die Entwicklung der Gender Studies
im deutschsprachigen Raum wegweisend war.
Gender Studies in Translation
7.
Fazit
Die Gender Studies befinden sich – wie sämtliche Bereiche der wissenschaftlichen
Erkenntnisproduktion – in stetigem Wandel. Was Gender Studies sind, welche Forschungsbereiche sie umfassen, welche ihre inhaltlichen, methodischen, theoretischen und disziplinaren Grenzen sind, muss dabei immer wieder neu ausgelotet
werden und findet auf dem Schauplatz gesellschaftspolitischer und wissenschaftlicher Kämpfe statt. Dass Gender Studies keine Selbstverständlichkeit sind, zeigen
in den letzten Jahren verstärkte Angriffe auf das Fach, die 2018 in Ungarn sogar zu
einem staatlichen Verbot von Masterstudiengängen in den Gender Studies führte.
Die Geschichte feministischen Wissens beschreibt Hark als eine »diskontinuierliche Geschichte von Umstrittenheit und Konflikt«, als die »Geschichte eines
spannungs- und konfliktreichen, heterogenen und unabschließbaren Wissens« von
»theoretischen und methodischen Um-, Irr- und Seitenwegen, von Auf- und Abbrüchen, von kategorialen Fixierungen und deren Infragestellung« (Hark 2005, 267).
Dazu sorgt die »historische Kontingenz aller Wissensansprüche« (Hark 1999, 11)
auch in der feministischen Theorie dafür, dass deren Analysekategorien und Paradigmen stets instabil sind und sein müssen. Vor dem Hintergrund der Wandelbarkeit wissenschaftlich und sozial konstruierter Realität verändern sich folglich auch
deren Kategorien und Bezeichnungen.
Dieser Beitrag hat erste Aspirationen zu einem translationswissenschaftlich
informierten Wissen über die Entwicklung der Gender Studies zur Debatte gestellt. Mit Hilfe einer wissenschaftssoziologisch informierten translationshistorischen Perspektive kann dem gesellschaftspolitischen Entstehungskontext queerfeministischer Texte und ihren Übersetzungen Rechnung getragen werden. Indem Übersetzungen nicht nur als Ergebnis, sondern auch Impuls wissenschaftlicher Entwicklung betrachtet werden, kann auf transdisziplinäre Weise gezeigt
werden, dass translationswissenschaftliche Untersuchung etwas zum Erkenntnisgewinn bezüglich der transnationalen Entwicklung der Gender Studies beitragen
können. Übersetzungen können durch eine Analyse ihrer translatorischen Phänomene etwas über die sprachlichen und somit konzeptuellen Möglichkeiten, aber
auch Grenzen des Zieldiskurses aussagen. Aus translatorischen Entscheidungen
lassen sich politische Verlagsentscheidungen/-programme rekonstruieren, die sich
wiederum aus den diskursiven Ordnungen, in die die Verlage eingebettet sind, ergeben. Auch die Rezeption eines übersetzten Werks kann etwas über die in der
wissenschaftlichen Zielkultur herrschende Diskursordnung, bei einem politisch
motivierten Fach wie den Gender Studies auch über dessen gesellschaftspolitische
Diskursordnung und nicht zuletzt über dessen Grad der Institutionalisierung, sagen.
Mit ihrer großen Schnittmenge an gemeinsamen Problemen, Fragestellungen
und Ausrichtungen bilden die Gender Studies und Translationswissenschaften ei-
199
200
Xenia Wenzel
nen fruchtbaren Forschungsbereich mit vielfältigen Anknüpfungspunkten. Dies ist
nicht zuletzt ihren noch jungen Prozessen von Institutionalisierung und Disziplinwerdung geschuldet. Die (Selbst-)Beschreibungen beider Disziplinen und ihrer
Analyseobjekte beschwören postmoderne Topoi von Ungewissheit, Entgrenzung
und Heterogenität herauf. Die vermeintliche Unschärfe und permanente Neubestimmung, Hinterfragung oder gar Dekonstruktion der eigenen Analysekategorien bietet, vor allem neben der Inter- und Transdisziplinarität der Disziplinen, eine Pluralität von Untersuchungsmöglichkeiten und -ebenen, bei denen die Grenzen zwischen gesellschaftstheoretischen, translationstheoretischen und philosophischen Überlegungen zum Übersetzen fließend erscheinen.
Wenn sich mit der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und deren
Kanalisierung in wissenschaftlicher Theorie die Analysekategorien der feministischen Theorie respektive Gender Studies fortwährend verändern, verändern
sich auch Bezeichnungen, die für diese Kategorien und Phänomene verwendet
werden. Neue Bezeichnungen und Ausdrucksweisen wiederum machen auch
neue Übersetzungsentscheidungen möglich und nötig. Gender Trouble ist dafür ein
treffendes Beispiel. Schien die Einführung des Konzeptes und Begriffs »Gender«
beziehungsweise dessen Dekonstruktion für die Übersetzung von Gender Trouble in
den frühen 1990er Jahren noch undenkbar, hat sich der dekonstruktivistische und
intersektionale queer-feministische Diskurs mit seinen Inhalten und Begriffen
mittlerweile in der deutschen Wissenschaftssprache etabliert – was nicht zuletzt
Butler selbst zu verdanken ist – und verlangt daher nach einer Neuübersetzung
von Gender Trouble ohne zahlreiche Neologismen, Um- und Beschreibungen.
Neuübersetzungen gesellschaftstheoretischer Texte werden da nötig, wo sich der
wissenschaftliche Kontext und Diskurs so verändert haben, dass jene in diesen
nicht mehr verständlich sind oder dem gegenwärtigen Diskurs nicht entsprechen.
Damit wird auch ein ganz praktischer Nutzen der Translationswissenschaften für die Gender Studies ersichtlich: Jene können durch wissenschaftssoziologisch informierte translationshistorische Untersuchungen – wie in diesem Beitrag geschehen – aufzeigen, welche übersetzten Werke dieser den gegenwärtigen
Diskursordnungen überhaupt noch entsprechen und damit auf die Notwendigkeit
neuer Übersetzungen hinweisen. Durch eine wechselseitige Information translationswissenschaftlicher und queer-feministischer Inhalte können so Übersetzungen von Werken in den Gender Studes geschaffen werden, die den Diskurs sowohl
sprachlich als auch fachlich bereichern.
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