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Transgressionen im Spiegel der Übersetzung

2016

Bereits die Etymologie des Wortes Übersetzen lässt das Überbrücken, Überwinden von Grenzen durchblicken, ebenso der lateinische Ursprung transferre (etwas hinüber bringen, hinüber tragen). Drei Aspekte stellen sich dabei hauptsächlich zur Diskussion: Die Frage nach dem Objekt des Übertragens (Was wird hinüber getragen?), die Frage nach dem Subjekt des Übertragenden (Wer trägt hinüber?) und schließlich die Frage nach der Art dieser Grenzen oder Hindernisse, die ein Überbrücken notwendig machen (Was wird überschritten beim Hinübertragen?). Alle drei Fragen gehen ineinander über, verschwimmen gleichsam und eröffnen dadurch neue Sichtweisen mit wiederum neuen Fragestellungen: zum Verhältnis zwischen Ausgangstext und Zieltext (Wie unterscheidet sich das Hinübergetragene von dem Drübengebliebenen?), zur Funktion (Warum und wozu wird überhaupt hinüber getragen?), zur Strategie (Wie wird hinüber getragen?), zur Didaktik (Wie kann das Hinübertragen gelehrt werden?), zur Technologie (Welche Technologie erleichtert, beschleunigt, automatisiert das Hinübertragen?), zur Soziologie (In welchem Verhältnis zueinander stehen die beteiligten Menschen?), etc. Aufgrund der Komplexität und der Vielfalt der damit verbundenen Thematiken wird im folgenden Beitrag lediglich die Frage nach der Art der Grenzen sowie den daraus folgenden Konsequenzen behandelt. Im Vordergrund der Betrachtung steht dabei das Übersetzen von Rechts-und Verwaltungstexten innerhalb des spezifischen Kontextes regionaler sprachlicher Minderheiten, wo Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit der ausgangs-und zielsprachlichen Kultur keine Alleinstellungsmerkmale des Übersetzers mehr darstellen, sondern im Gegenteil unter den Lesern von Ausgangs-und Zieltext weit verbreitet sind. Dazu werden zunächst die drei zentralen Begriffe Minderheitensprache, Kultur und Übersetzen geklärt, um im Anschluss daran die sich daraus ergebenden Folgerungen für das Übersetzen in diesem Zusammenhang zu erörtern.

Peter Sandrini, Innsbruck Sprach- oder Kulturgrenzen? Übersetzen für Regional- und Minderheitensprachen Bereits die Etymologie des Wortes Übersetzen lässt das Überbrücken, Überwinden von Grenzen durchblicken, ebenso der lateinische Ursprung transferre (etwas hinüber bringen, hinüber tragen). Drei Aspekte stellen sich dabei hauptsächlich zur Diskussion: Die Frage nach dem Objekt des Übertragens (Was wird hinüber getragen?), die Frage nach dem Subjekt des Übertragenden (Wer trägt hinüber?) und schließlich die Frage nach der Art dieser Grenzen oder Hindernisse, die ein Überbrücken notwendig machen (Was wird überschritten beim Hinübertragen?). Alle drei Fragen gehen ineinander über, verschwimmen gleichsam und eröffnen dadurch neue Sichtweisen mit wiederum neuen Fragestellungen: zum Verhältnis zwischen Ausgangstext und Zieltext (Wie unterscheidet sich das Hinübergetragene von dem Drübengebliebenen?), zur Funktion (Warum und wozu wird überhaupt hinüber getragen?), zur Strategie (Wie wird hinüber getragen?), zur Didaktik (Wie kann das Hinübertragen gelehrt werden?), zur Technologie (Welche Technologie erleichtert, beschleunigt, automatisiert das Hinübertragen?), zur Soziologie (In welchem Verhältnis zueinander stehen die beteiligten Menschen?), etc. Aufgrund der Komplexität und der Vielfalt der damit verbundenen Thematiken wird im folgenden Beitrag lediglich die Frage nach der Art der Grenzen sowie den daraus folgenden Konsequenzen behandelt. Im Vordergrund der Betrachtung steht dabei das Übersetzen von Rechts- und Verwaltungstexten innerhalb des spezifischen Kontextes regionaler sprachlicher Minderheiten, wo Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit der ausgangs- und zielsprachlichen Kultur keine Alleinstellungsmerkmale des Übersetzers mehr darstellen, sondern im Gegenteil unter den Lesern von Ausgangs- und Zieltext weit verbreitet sind. Dazu werden zunächst die drei zentralen Begriffe Minderheitensprache, Kultur und Übersetzen geklärt, um im Anschluss daran die sich daraus ergebenden Folgerungen für das Übersetzen in diesem Zusammenhang zu erörtern. 1. Minderheitensprache Was eine Minderheit ausmacht, ist immer auch politisch behaftet und entzieht sich einer eindeutigen Definition: »Defining minorities has been a major concern in various social spheres […] leading to multiple attempts […] and inducing endless 106 Peter Sandrini debates« (Duchéne 2008, 23). Eine Minderheit ist ipso facto als relativer Begriff auch relativ zu definieren: Eine Minderheit »is a relation not an essence« (Cronin 1995, 86). Definitionen von sprachlichen Minderheiten oder Minderheitensprachen gehen von der Unterscheidung zwischen absoluten oder relativen Minderheitensprachen (Branchedell 2011, 97) je nachdem ob es einen Staat mit derselben Sprache als Mehrheitssprache gibt oder nicht, über nationale oder ethnische Minderheiten mit politischer Zugehörigkeit und Staatsbürgerschaft (Ermacora 1983, 294f zitiert nach Dahm et al 2002), bis hin zu historischen, territorialen und siedlungsgeographischen Diskussionen. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (ECRM), durch den Europarat im Jahr 1992 verabschiedet, prägte den Begriff der Regional- oder Minderheitensprachen und vermied es, die Bevölkerung als Minderheit zu erwähnen. Interessant ist dabei die Abgrenzung des Begriffes der Regional- und Minderheitensprachen, i. die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und ii. die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden; iii. er umfaßt weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprachen von Zuwanderern« (ECRM 1992, Art. 1). Die Charta definiert ebenfalls die Bezeichnungen Gebiet als »das geographische Gebiet, in dem die betreffende Sprache das Ausdrucksmittel einer Zahl von Menschen ist, welche die Übernahme der in dieser Charta vorgesehenen verschiedenen Schutz- und Förderungsmaßnahmen rechtfertigt« (ebd.), sowie die nicht territorial gebundenen Sprachen als die von Angehörigen des Staates gebrauchten Sprachen, die sich von der (den) von der übrigen Bevölkerung des Staates gebrauchten Sprache(n) unterscheiden, jedoch keinem bestimmten Gebiet innerhalb des betreffenden Staates zugeordnet werden können, obwohl sie herkömmlicherweise im Hoheitsgebiet dieses Staates gebraucht werden (ebd.). Institutionelles Übersetzen und organisierte Mehrsprachigkeit findet sich insbesondere bei territorial gebundenen Minderheitensprachen, kaum bei horizontal in einer Gesellschaft verteilten Migrantensprachen oder diatopisch ausgeprägten Minderheitensprachen. In den folgenden Ausführungen wird daher der Terminus Regional- und Minderheitensprachen in der Bedeutung der ECRM verwendet. In subjektiver Hinsicht zeichnet sich eine Minderheit durch ein gewisses Solidaritäts- oder Identitätsgefühl bzw. einem Willen zur Gemeinschaft (vgl. Richter 2008, 274) aus: »they are motivated by a concern to preserve together that which constitutes their common identity, including their culture, their tradition, their religion or Sprach- oder Kulturgrenzen? 107 their language« (Europarat 1993, Recommendation 1201 on an additional protocol on the rights of national minorities to the European Convention on Human Rights). Regional- oder Minderheitensprache wird damit zu einem identitätsstiftendem Merkmal erklärt. Wenn nun in einem bestimmten Gebiet mehrere Gemeinschaften zusammenleben, darunter mindestens eine Minderheitensprache und eine Staatssprache, kann von mindestens einem unterschiedlichen identitätsstiftenden Kriterium, nämlich der Sprache ausgegangen werden. Bedeutet das aber automatisch, dass hier Kulturen aufeinander prallen? Genügt Sprache als einziges identitätsstiftendes und damit kulturdeterminierendes Merkmal, gerade auch in einem stetig zusammenwachsenden Europa, in dem Vielsprachigkeit als Teil des kulturellen Erbes propagiert wird? Dazu muss zunächst geklärt werden, was unter Kultur zu verstehen ist. 2. Kultur Übersetzen wird zu Recht immer in Zusammenhang gebracht mit dem Überwinden sprachlicher und kultureller Unterschiede. Die zahlreichen unterschiedlichen Definitionen von Übersetzen besitzen meist einen gemeinsamen Nenner, der sich auf der Basis der Kriterien Kultur, Zweck und Textsorte (»culture, purpose and genre« Colina 2015, 12) beschreiben lässt. In ihrem grundlegenden Werk zur Translationstheorie sprechen Reiß/Vermeer (1991) von einer »Interdependenz von Sprache und Kultur« (Reiß/Vermeer 1991, 1) und beschreiben Kultur als »die in einer Gesellschaft geltende soziale Norm und deren Ausdruck« (Reiß/Vermeer 1991, 26). In ähnlicher Weise definiert Sperber (1996) Kultur ganz allgemein und abstrakt als »widely distributed, lasting mental and public representations inhabiting a given social group« (Sperber 1996, 33). Bezogen auf Regional- und Minderheitensprachen stellt sich die Frage, ob unterschiedliche Sprachen bereits unterschiedliche soziale Gruppen mit eigenen Wertvorstellungen bedingen, bzw. ob Sprache als alleiniges Unterscheidungsmerkmal von sozialen Gruppen genügt. Oder wird Kultur nicht vielmehr durch gemeinsame Geschichte, gemeinsame staatliche Ordnung, Zusammenleben in einem bestimmten Gebiet usw. bestimmt? Die gleiche Sprache wird zudem oft in unterschiedlichen Kulturen verwendet: Deutsch zum Beispiel in Deutschland, Österreich und der Schweiz, das Französische stellt die offizielle Sprache in so unterschiedlichen Gesellschaften wie Frankreich, Senegal und Kanada, wobei es trotz derselben Sprache zu kulturellen Unterschieden, wenn nicht gar zu unterschiedlichen Kulturen kommt. Besonders deutlich wird dieser Umstand, wenn rechtliche Regelungen, die sich Gemeinschaften geben, betrachtet werden, hier steht offensichtlich die Rechtsordnung als Kultur- 108 Peter Sandrini merkmal einer Gesellschaft über der Sprache (Sandrini 1997): Wir sprechen z. B. von einer österreichischen, schweizerischen und bundesdeutschen Rechtssprache, während eine abstrakte übergeordnete Rechtssprache deutsch nur schwer zu fassen ist. Umgekehrt fällt die Argumentation schwerer: Ob es Kulturen gibt, die mehrere Sprachen verwenden, hängt wohl eng mit der Definition des Kulturbegriffs zusammen. Man könnte durchaus von einer Kultur der Antike sprechen und damit die beiden Sprachen Griechisch und Latein verbinden, oder analog dazu eine sich herausbildende europäische multilinguale Kultur sehen. Eine weite Definition, die im Sinne Sperbers (1996) gemeinsame Wertvorstellungen und ein gemeinsames Gedankengut innerhalb einer Gesellschaft als zentrale Faktoren von Kultur sehen, lassen dies problemlos zu. Im Gegensatz dazu verkürzen die Sprachinhaltsforschung (Weisgerber 1957) und das linguistische Relativitätsprinzip (Sapir/Whorf-Hypothese, Whorf 2008) die Realitätswahrnehmung und -strukturierung auf die Sprache des Individuums bzw. einer Gesellschaft, und lassen damit eine multilinguale Kultur kaum möglich erscheinen. Das Überschreiten von sprachlichen Grenzen durch das Übersetzen erscheint offensichtlich, wenn eine natürliche Sprache durch eine andere natürliche Sprache ersetzt wird. Das Überschreiten kultureller Grenzen durch das Übersetzen hängt jedoch einerseits vom jeweiligen Kulturbegriff, andererseits vom spezifischen Kontext der Übersetzung ab. Dass Übersetzen jedoch wesentlich mehr umfasst als das Ersetzen einer Sprache durch eine andere, und über das reine Dekodieren und Enkodieren hinausgeht, steht hier außer Frage und wird weiter unten ausgeführt. 3. Übersetzen Im Englischen und in manchen anderen Sprachen wird das Homonym translation verwendet, das sich auf die Handlung, auf das Ergebnis und auf die Disziplin bezieht (vgl. Colina 2015, 2). Das Deutsche Übersetzen hingegen bezeichnet einen Prozess, eine Handlung, im Gegensatz zu Übersetzung, womit i. d. R. ein Produkt bzw. ein Text, der übersetzt wurde, bezeichnet wird. Die Unterscheidung zwischen Handlung und Resultat ist aber nicht immer klar nachzuvollziehen, da manchmal auch die Handlung des Übersetzens als Übersetzung bezeichnet wird (Reiß/Vermeer 1991, 7). Zu den zentralen Elementen einer Beschreibung der Handlung zählen jedenfalls ein schriftlicher Text, ein Transfer aus einer natürlichen Sprache in eine andere sowie eine hinreichende Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung zwischen den beiden Sprachversionen (Colina 2015, 12). Spezifiziert man Transfer mit Information, die im Text angeboten wird, und nimmt man Kulturdifferenz in die Definition mit Sprach- oder Kulturgrenzen? 109 auf, ergibt sich der bekannte zweite Satz aus der allgemeinen Translationstheorie von Reiß/Vermeer (1991): »Ein Translat ist ein Informationsangebot in einer Zielkultur und -sprache über ein Informationsangebot in einer Ausgangskultur und -sprache« (1991, 119), der zusammen mit der Skoposbedingtheit (Satz 1) und der Nichtumkehrbarkeit (Satz 3) das Übersetzen definiert. Zudem handelt es sich um ein imitierendes Informationsangebot (ebd., 19), das kulturspezifisch zu bestimmen ist und daher keinesfalls auf eine reine Sprachmittlung reduziert werden kann: Der Übersetzer ist »nicht nur sprach-, sondern auch Kulturmittler, er ist nicht nur Mittler, sondern auch eigenständig kreativ tätig« (ebd., 7). Übersetzen ist demnach in einen kulturellen Kontext eingebettet, der einerseits bestimmt, was Übersetzen bedeutet bzw. wie Übersetzen definiert wird und wer und vor allem wie übersetzt, zusammengefasst im Begriff der Translationskultur (Prunč 2007, 31), andererseits auch das Umfeld und die Einbettung von Ausgangs- und Zieltext konstituiert. Übersetzen sei damit ein »communicative process that takes place within a social context« (Hatim/Mason 1990, 3); ob es sich dabei aber um das Überschreiten einer Grenze zwischen zwei Kulturen von einer Vorstellungswelt in eine andere, oder um ein übersetzerisches Handeln innerhalb einer gemeinsamen Kultur handelt, hängt von der jeweiligen Definition des Kulturbegriffs ab. Vermeer (2006, 162) unterscheidet drei Ebenen von Kultur: Parakultur – die Kultur eines Volkes, einer Nation, Diakultur – die regionale, berufliche Regiobzw. Soziokultur, und Idiokultur – das Verhalten des Individuums. Im klassischen Fall des Übersetzens von Texten aus einer Parakultur in eine andere Parakultur, können wir offensichtlich vom Überschreiten kultureller Grenzen sprechen; beim Übersetzen von Fachtexten zwischen einzelnen Fachbereichen oder beim Übersetzen von Fachtexten für Laien sind ebenso kulturelle Grenzen (Diakultur) zu überwinden, während das Übersetzen von Fachtexten innerhalb eines Fachgebietes sich im Rahmen derselben Diakultur abspielt (Kubiak 2009, 93). Das Übersetzen für Regional- und Minderheitensprachen dürfte ebenfalls in den Bereich einer gemeinsamen Dia- bzw. Regiokultur fallen, sofern Mehrheits- und Minderheitssprache nicht als verschiedene Nationalkulturen verabsolutiert werden. Die »Übersetzung kultureller Differenz« (Bhabha 2004, 335) quasi als Normalfall hinzustellen, muss zumindest für den spezifischen Kontext der Regional- oder Minderheitensprachen in Frage gestellt bzw. abgelehnt werden. 3.1 Kulturell homogenisierte Übersetzungskontexte Wenn nun das Überwinden kultureller Differenz beim Übersetzen nicht absolut gesehen werden darf, stellt sich die Frage, welche Bereiche des Übersetzens das Überwinden von Kulturdifferenz ausschließen. Prunč (2000) spricht von 110 Peter Sandrini »kulturell bereits homogenisierten Settings, wie z. B. bei internationalen Fachkongressen« (2000: 28) und erklärt dies folgendermaßen: Die kognitive Aufarbeitung des Zieltextes wird in diesem Fall nämlich durch die fachspezifisch identische kognitive Umwelt, die homogenisierte Diakultur der Kongressteilnehmer, die international stereotypisierte Fachsprache und die Kopräsenz der nichtsprachlichen semiotischen Systeme (Dias etc.) im Rahmen des Hypertexts Kongress […] erleichtert. In Analogie dazu können ganze Fachbereiche quasi als eine Art Kultur, im Sinne homogener kognitiver Inhalte, einer gemeinsamen Vorstellungswelt sowie einer gemeinsamen Terminologie und Fachsprache, aufgefasst werden, da die genannten Merkmale für jede Fachkommunikation in einer spezifischen Disziplin gelten (Sandrini 2002, 10). Die von Prunč (2000, 10) angeführte Definition von Translation als »jede konventionalisierte, interlinguale und transkulturelle Interaktion« müsste somit für das Übersetzen innerhalb eines Fachbereichs entsprechend verändert werden zu »jeder konventionalisierten, interlingualen, intrakulturellen Interaktion«. Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass nicht alle Fachbereiche homogene kognitive Inhalte aufweisen, wie sie für die Naturwissenschaften bzw. die exakten Wissenschaften typisch sind. Das Recht z. B. besitzt je nach Rechtsordnung eine jeweils eigenständige Vorstellungswelt und entsprechende Rechtsinstitutionen und -begriffe, die kulturell, soziologisch und politisch determiniert sind (Kubiak 2009, 92). Übersetzen als eine interlinguale aber intrakulturelle Interaktion findet sich ebenso in der Übersetzungstätigkeit im Rahmen von Regional- und Minderheitensprachen, wo Rechts- und Verwaltungstexte einer Rechtsordnung, nämlich der bestimmenden nationalen Mehrheitsgesellschaft in eine oder aus einer Regionalund Minderheitensprache übersetzt werden. Sprachlich determinierte Kulturgrenzen treten zugunsten einer gemeinsamen Rechtskultur in den Hintergrund. Dies trifft insbesondere auf das Übersetzen von Gesetzestexten wie dem unten angeführten Beispieltext für die deutsche Minderheit in Italien zu. Es handelt es sich dabei um einen Beschluss der Südtiroler Landesregierung (Nr. 112 vom 4. Februar 2014, zur Regelung der Modalitäten für die Ausübung des Vorkaufsrechts an Kulturgütern), also um Landesrecht, das gegenüber dem Mehrheitsstaat Italien autonom gesetzt und von einer Landesregierung, die überwiegend aus Vertretern der Regional- und Minderheitensprache Deutsch besteht, verfasst wird. In diesem willkürlich gewählten Beispiel kann nicht a priori von einem Ausgangs- und einem Zieltext gesprochen werden, da beide Texte gleichermaßen verbindlich sind. 1. Die Landesabteilung Denkmalpflege übermittelt wöchentlich den Gebietskörperschaften, in deren Gebiet sich das Gut befindet, und den Regierungsmitgliedern über das Sekretariat der Landesregierung eine Auflistung der eingegangenen Übertragungsmeldungen, Sprach- oder Kulturgrenzen? 111 damit das Vorkaufsrecht laut Artikel 60 des gesetzesvertretenden Dekrets vom 22. Jänner 2004, Nr. 42, in geltender Fassung, ausgeübt werden kann. 1. Al fine di consentire l’esercizio del diritto di prelazione di cui all’articolo 60 del decreto legislativo 22 gennaio 2004, n. 42, e successive modifiche, la Ripartizione provinciale Beni culturali trasmette settimanalmente agli enti pubblici territoriali nel cui ambito si trova il bene e ai componenti della Giunta provinciale, tramite la Segreteria della Giunta stessa, un elenco descrittivo delle denunce di trasferimento pervenute. Die hervorgehobenen Textstellen markieren Rechtstermini und landeskundliche Begriffe, die alle eine einheitliche Bezugswelt besitzen, nämlich die italienische Rechtsordnung und die autonome Verwaltungseinheit Südtirol. Die Terminologie lässt sich daher ohne größere Äquivalenzfragen in Listen bzw. Datenbanken gleichsetzen: Vorverkaufsrecht und Gut mit den italienischen Benennungen diritto di prelazione und bene beziehen sich auf spezifische Rechtsinstitute des italienischen Rechts, die Institutionenbezeichnungen Landesabteilung Denkmalpflege, Sekretariat der Landesregierung, Gebietskörperschaften mit ihren italienischen Entsprechungen Ripartizione provinciale Beni culturali, Segreteria della Giunta Provinciale, enti pubblici territoriali verweisen auf Einrichtungen innerhalb des Minderheitengebietes. In diesem Kontext vom Überschreiten einer Kulturgrenze zu sprechen, erscheint nicht zutreffend. Vielmehr wird das Übersetzen in solchen Kontexten »einer zeit- und zweckbezogenen politischen Angelegenheit untergeordnet« (Krysztofiak 2010, 21) und durch eine mehr oder weniger stringente Übersetzungspolitik geformt. Translation kann daher in Anlehnung an Prunč (2000, 10) verallgemeinernd als »jede konventionalisierte, interlinguale, interoder intrakulturelle Interaktion« beschrieben werden. 3.2 Übersetzungspolitik Beim institutionellen Übersetzen im Kontext der Regional- und Minderheitensprachen müssen offizielle Texte, sowohl der Verwaltung, der Rechtsetzung als auch der Rechtsprechung für alle Bevölkerungsteile zugänglich bzw. verständlich gemacht werden. Entscheidungen darüber, was übersetzt wird und wie bzw. wann Übersetzungen durchgeführt werden, weisen in diesen Gesellschaften weitgehende Implikationen für die Inklusion und Exklusion von bestimmten Gesellschaftsteilen und Individuen auf. Die Auffassung, was Übersetzung ist, und die Rolle, die Übersetzung in der Gesellschaft zu spielen hat, werden im ethisch-soziologisch verankerten Begriff der Translationskultur bestimmt. Alle konkreten Handlungsanweisungen zum Übersetzen können hingegen unter dem Begriff der Translationspolitik zusammengefasst werden. Während Translationskultur den Übersetzer durch die 112 Peter Sandrini Übernahme von allgemeinen Konventionen als Individuum prägt, bezieht sich Translationspolitik auf das bewusste oder implizite Gestalten des Übersetzens in einer Gesellschaft. Im Mittelpunkt einer Übersetzungspolitik steht die Funktion des Übersetzens (Meylaerts 2009), welche die gewollten und/oder geplanten sowie die effektiven Auswirkungen des Übersetzens in einem spezifischen Kontext zum Inhalt hat. Dies kann sowohl das unbewusste Übernehmen von Konventionen darüber, wie und was in einem spezifischen Kontext übersetzt wird, das bewusste gestalterische Planen institutioneller Übersetzung innerhalb einer Regional- und Minderheitensprache, das Management von Lokalisierung und Übersetzen in einem weltweit tätigen Unternehmen oder aber auch das Planen offizieller Übersetzung in einer internationalen Organisation (EU, UNO. OECD, NGOs) sein. In diesem Sinne definiert Meylaerts (2011, 165) Übersetzungspolitik als »a set of legal rules that regulate translation in the public domain: in education, in legal affairs, in political institutions, in administration, in the media« und stellt die konkreten, d. h. per Gesetz festgelegten Regeln für das Übersetzen in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens in den Mittelpunkt der Betrachtung. Translationspolitik ist damit ein Instrument zum Steuern (Erleichtern, Verhindern, Erschweren, etc.) des demokratischen Rechtes der Bürger auf Partizipation am öffentlichen Leben durch Kommunikation mit den Behörden. Zudem entscheidet eine Übersetzungspolitik über Zensur oder Veröffentlichung von Werken aus anderen Sprachen und Kulturen sowie über den Umgang mit fremdsprachlichem Material (z. B. Filmuntertitelung statt Synchronisieren). Das Gestalten von Translation unter sprachplanerischen Aspekten muss im Gegensatz zur individuellen Funktion einer Übersetzung nicht unmittelbar mit dem Rezipieren des Zieltextes durch den Leser zusammenhängen; Übersetzen kann durchaus auch nur eine symbolische Funktion besitzen, wenn Übersetzungen juristisch vorgeschrieben sind und gemacht werden müssen, unabhängig davon, ob sie jemand liest, und unabhängig davon, ob sie im Kontext einer faktischen Mehrsprachigkeit der Bevölkerung überhaupt notwendig sind. Übergreifende Funktion solcher Übersetzungen ist die Erhaltung oder Aufwertung einer Regional- und Minderheitensprache als offizielle Sprache, wobei eine regelmäßige Evaluierung dieser Politik (Gazzola 2014) stets den Schutz und die Erhaltung der Minderheitensprache zum Ziel hat. Translation steht hier im Kontext von Sprachplanung und Kultur und das kommunikative Element rückt in den Hintergrund. Diesen Zusammenhang beleuchtet García González (2005, 111): »translation is no longer an underlying element of communication, but an essential tool in the process of language recovery or preservation«. Übersetzen überwindet in diesem Sinne keine Kulturgrenzen, sondern trägt zur offiziellen Sprach- oder Kulturgrenzen? 113 Mehrsprachigkeit einer Gesellschaft bei, in der zwei oder mehrere Sprachen selbstverständlicher Teil einer gemeinsamen Kultur sind. Wo die Verwendung von Sprachen zum Gegenstand gesellschaftlicher oder sogar gesetzlicher Regeln wird, hat dies auch unmittelbaren Einfluss auf das Kulturverständnis. »Kultur und Sprache existieren in Raum und Zeit« (Reiß/Vermeer 1991, 28), sie sind laufend Veränderungen unterworfen. So hat sich im Zuge der Globalisierung der Kulturbegriff von einem monolithischen Verständnis von Nationalkulturen durch zahlreiche Tendenzen der Hybridisierung, Mehrfachzugehörigkeit, dem Herausbilden von Subkulturen und global zu definierenden Netzlebenswelten hin zu einem vielschichtigen, kontextabhängigen Kulturbegriff verschoben (Beck 1999). Zusätzlich zu solchen globalen Veränderungen kann sich in einem zwei- oder mehrsprachigen Umfeld auch ein gemeinsamer Fundus an Wertvorstellungen herausbilden, und zur Entwicklung einer gemeinsamen Kultur auch bei unterschiedlicher Sprache führen. In einem solchen Umfeld muss die Rolle und das Selbstverständnis des Übersetzers als Mitglied dieser Kultur näher betrachtet werden. Im Vordergrund stehen dabei seine spezifischen Kompetenzen, das was ihn als Übersetzer ausmacht und ihn von anderen Angehörigen derselben mehrsprachigen Dia- oder Regiokultur unterscheidet. 3.3 Übersetzungskompetenz Das Übersetzen und seine professionelle Ausübung haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten grundlegend verändert. Neben den traditionellen Berufsbildern des Übersetzers, des literarischen Übersetzers und des Dolmetschers haben sich zahlreiche neue Arbeitsfelder heraus gebildet: Software- und Weblokalisierung, Multimediaübersetzen, mehrsprachige technische Redaktion, Terminologiedienstleistungen, Übersetzungsmanagement, Postediting von Maschinenübersetzung, Anwenden genormter Sprache für Maschinenübersetzung, Betreuen von Translationstechnologieanwendungen, etc. Ein einheitliches Erfassen der Übersetzungskompetenz wird dadurch erschwert, da jede dieser unterschiedlichen Tätigkeiten auch unterschiedliche Anforderungen stellt. Das European Master in Translation-Programm (EMT 2009) zur Ausbildung professioneller Übersetzer stellt einer Spezialisierung sechs Basiskompetenzen voran: Dienstleistungs-, Sprachen-, Recherchen-, Fach-, Technikkompetenz sowie interkulturelle Kompetenz. Wenn wir davon ausgehen, dass Sprachenkompetenz und interkulturelle Kompetenz im generell mehrsprachigen Kontext einer Regional- und Minderheitensprache in der Bevölkerung allgemein vorhanden sind, bleiben immerhin noch vier weitere Basiskompetenzen übrig. 114 Peter Sandrini Das PACTE-Modell sieht hingegen fünf Subkompetenzen einer allgemeinen Translationskompetenz vor: »bilingual, extra-linguistic, knowledge of translation, instrumental and strategic« (PACTE 2014, 88), die Autoren fügen aber hinzu, dass die letzten drei Kompetenzen von zentraler Bedeutung seien: »Since all bilinguals possess knowledge of two languages and may also possess extralinguistic knowledge, we consider the sub-competences specific to TC to be strategic competence, instrumental competence and knowledge of translation« (ebd., 88). Damit wird der professionelle Übersetzer dezidiert von Bilingualen einerseits und mehrsprachigen Fachleuten andererseits abgegrenzt. Ein ähnliches Statement findet sich ebenfalls bereits bei Reiß/Vermeer (1991), wo betont wird, dass die interkulturelle Kompetenz des Übersetzers kein Alleinstellungsmerkmal ist bzw. sein muss: »Wenn auch andere eine solche Kenntnis haben, ändert das an unserem Theorieansatz grundsätzlich nichts« (1991, 87). Eine Definition des Übersetzers allein über Sprach- und Kulturkompetenz greift daher entschieden zu kurz. Vielmehr definiert sich der professionelle Übersetzer über sein Wissen zum Translationsprozess, zu Übersetzungsverfahren, Übersetzungsvarianten und -strategien sowie vor allem durch seine Kompetenz, Übersetzungsaufträge zu organisieren und mit Hilfe geeigneter Hilfsmittel durchzuführen. Das Ausbildungsziel akademischer Übersetzerlehrgänge hat sich entsprechend verschoben: So empfiehlt etwa Biel (2011), an Stelle von allgemeinen Übersetzern translation service providers bzw. Übersetzungsdienstleister auszubilden. Im Zusammenhang von Regional- und Minderheitensprachen verliert das Überschreiten von kulturellen Grenzen angesichts einer allgemein verbreiteten Sprachkompetenz sowie eines gemeinsamen Kulturraums an Bedeutung. Da dies jedoch für das professionelle Übersetzen nicht konstitutiv ist, bleibt der Bedarf an Translation und Übersetzern bestehen. Übersetzungskompetenz kann trotzdem nicht auf einen rein sprachlichen Transfer reduziert werden, sondern erfordert darüber hinausgehende Kenntnisse. Nachfolgend werden die drei wesentlichen Argumente für den Einsatz professioneller bzw. akademisch ausgebildeter Übersetzer im Kontext von Regional- und Minderheitensprachen angeführt bzw. zusammengefasst. a) Übersetzungsqualität Ein rein linguistischer Ansatz, bei dem Sprachkompetenz im Mittelpunkt steht, genügt für das Übersetzen nicht. Reiß/Vermeer unterscheiden mehrere Stufen von Komplexitätsgraden, wobei die Entscheidung für das eine oder andere Modell »von kulturspezifischen Anschauungen zur Translation« (Reiß/Vermeer 1991, 120) bzw. von der jeweiligen Translationskultur und der gewählten Translationspolitik abhängt. Höchste Komplexität erreicht das Übersetzen in der Sprach- oder Kulturgrenzen? 115 Stufe (1) mit der »Translation der verbalen und kulturellen Elemente eines Textes« (Reiß/Vermeer 1991, 120). Für das institutionelle Übersetzen im Rahmen von Regional- und Minderheitensprachen kommen Stufe (2) »Translation der verbalen Elemente mit Konstanz des kulturellen Hintergrundes, wobei aber wenigstens teilweise auch kulturelle Werte übersetzt/gedolmetscht werden« (Reiß/Vermeer 1991, 120) zur Anwendung – nicht klar ist hier allerdings der Widerspruch zwischen kultureller Konstanz einerseits und dem Übersetzen von kulturellen Werten andererseits – sowie Stufe (3) »sprachlicher Transfer auf Textebene unter Beachtung formaler, syntaktischer und stilistischer Phänomene, wobei aber kulturelle Werte ignoriert werden« (ebd., 120), bzw. in manchen Fällen auch Stufe (4) »Sprachlicher Transfer für Einheiten unterhalb der Textebene« (ebd.). Stufe (4) und teilweise auch Stufe (3) entsprechen der von Prunč (2000, 23) beschriebenen homologen Translation: Reine »homologe Translation impliziert das Eindringen ausgangssprachlicher Strukturen in den zielsprachlichen und zielkulturellen Code [...] Es kann aber auch [...] zum Verlust der sprachlichen und kulturellen Identität führen« (ebd., 26), während dynamischere Formen der homologen Translation eine begrenzte zielsprachliche Anpassung mit einschließen. In dem Maße jedoch, in dem auch supralexikalische Strukturen der Zielsprache berücksichtigt werden, entfernt sich die jeweilige Translation aus der prototypischen Kernzone der homologen Translation« (ebd.). Eine solche homologe Translation wirkt bei institutionellem Übersetzen quasi ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich der Förderung der Regional- und Minderheitensprache, entgegen, wenn sie aufgrund der Art ihrer Durchführung zur Anpassung an die Mehrheitssprache oder gar zum Verlust der sprachlichen und kulturellen Identität führt. Eine qualitativ hochwertige Übersetzung, die keine homologe Translation nach Prunč sein darf und zumindest Stufe 3 bzw. 2 nach Reiß/Vermeer erreicht, wird im Kontext einer Regional- und Minderheitensprache zur absoluten Notwendigkeit. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Kompetenz, die über die Kenntnisse bilingualer oder bikultureller Individuen hinausgeht. b) Übersetzungstechnik Das übersetzungstheoretisch und sprachpolitisch begründete Argument a) zeigt deutlich, dass theoretische Anforderungen die Bedeutung professionellen Übersetzens unterstreichen, und verhindert dadurch, dass rein marktwirtschaftliche Überlegungen »a hegemonic role in ideologically determining educational programmes« (Kearns 2012, 26) spielen. Trotzdem dürfen wirtschaftliche Gründe nicht außer Acht gelassen werden: Nur ausgebildete Fachleute können das nötige Know-How einbringen, um Übersetzungsarbeit möglichst effizient und optimal 116 Peter Sandrini durchzuführen. Dazu zählt vor allem das Wissen über die am besten geeigneten Hilfsmittel, insbesondere der Einsatz von Translationstechnologie: Welche computergestützten Übersetzungswerkzeuge, welche Übersetzungsverfahren in welchem Kontext für welche Textsorten am sinnvollsten eingesetzt werden können, nach welchen Kriterien Terminologiedatenbanken aufgebaut werden, wie Übersetzungsprojekte am effektivsten organisiert werden müssen, usw.: Bei all diesen Fragen stoßen bilinguale Laienübersetzer und mehrsprachige Fachleute mit einer anderen akademischen Ausbildung an ihre Grenzen. c) Übersetzungspolitik Übersetzungskompetenz schließt mit ein, dass der Übersetzungsprozess effizient und effektiv geplant wird. Dies gilt nicht nur für einzelne Übersetzungsaufträge, sondern ebenso für den gesamten Übersetzungsablauf im offiziellen und institutionellen Bereich. Dazu zählen Planung und Organisation der verschiedenen Übersetzungsstellen, das Formulieren von Übersetzungsrichtlinien und Verfahren zur Qualitätssicherung, das Planen der Aus- und Fortbildung des Personals, sowie der Einsatz von Translationstechnologie. In den Bereich eines möglichst effizienten Einsatzes von Technologie fällt auch der systematische Aufbau spezifischer Sprachressourcen, seien dies nun Translation-Memories, zweisprachige Textkorpora oder Terminologiedatenbanken. Wie wichtig eine solche bewusste Steuerung ist, zeigt ein anschauliches Fallbeispiel. In Südtirol, der deutschen Regional- und Minderheitensprache in Italien, wurde lange Zeit ausschließlich auf eine breite Sprachausbildung der Bevölkerung gesetzt und die Übersetzungspolitik reduzierte sich auf die rhetorische Frage: Wozu brauchen wir Übersetzer und Übersetzungen, wenn alle sowohl die Minderheiten- als auch die Mehrheitssprache sprechen? Die Folgen dieser fehlenden Übersetzungspolitik bzw. der Reduktion von Übersetzen auf bilinguale Sprachkompetenz, zeigten sich in einer mangelnden Qualitätssicherung der übersetzten Texte, aber vor allem in einem über lange Zeit völlig fehlenden, heute noch teilweise mangelhaften systematischen Aufbau von Übersetzungsressourcen. Ein öffentlich zugängliches Translation-Memory für die in Deutsch, Italienisch und Ladinisch vorhandenen offiziellen Texte wie es beispielsweise die EU zur Verfügung stellt, und eine Aufarbeitung dieser Übersetzungen für ein statistisches Maschinenübersetzungssystem oder das Formulieren von detaillierten Richtlinien für den Einsatz von Translationstechnologie fehlen etwa bis heute. Der Grund für dieses Fehlen einer sinnvollen Übersetzungspolitik liegt in der mangelnden Translationskompetenz der Entscheidungsträger. Sprach- oder Kulturgrenzen? 117 4. Fazit Sowohl beim intradisziplinären Fachübersetzen als auch beim offiziellen und institutionellen Übersetzen im Zusammenhang mit Regional- und Minderheitensprachen, wo Ausgangs- und Zieltext im gleichen Kontext verwendet werden, wird das Überschreiten kultureller Grenzen in Frage gestellt. Sprachliche Grenzen werden zwar immer noch überschritten, doch kann das professionelle Übersetzen in diesen spezifischen Anwendungsfällen nicht allein darauf reduziert werden. Vielmehr sind die oben genannten Faktoren und Kenntnisse ausschlaggebend für eine erfolgreiche Umsetzung der Übersetzungsarbeit, die zwar in allen mehrsprachigen Gesellschaften eine Notwendigkeit darstellt, aber auch durch eine entsprechende Translationspolitik organisiert und geplant werden muss. Literatur Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Zweite Moderne) 1999. Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur. 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