Manfred Engel (Saarbrücken)
Kafka und die Poetik der klassischen Modeme
Eine der seltsamen Formen, in denen Literaturwissenschaftier hochgeschätzten Autoren ihren besonderen Respekt zu zollen pflegen, besteht
darin, sie zu Solitären zu erklären: Als reine Singularitäten unterstünden sie
keinem historischen Apriori, gehörten keiner Epoche an, hätten nichts mit
ihren Zeitgenossen gemein. Hölderlin, Kleist, Büchner und eben auch Kafka ist diese Ehre in besonderem Maße zuteil geworden - eine zweifelhafte
Ehre, da sie die aus ihrer Zeit herausgerissenen Autoren ganz der nicht weniger zeitgebundenen Perspektive ihrer Interpreten ausliefert. So werden die
Texte zu Rorschachtest-Bildern, zu bloßen Projektionsflächen für die Ideologeme des jeweils kurrenten Zeitgeistes.
Im Falle Kafkas wird dieses Problem durch ein zweites verschärft: Die
letzten Jahrzehnte waren, ganz generell, sicher keine Blütezeit der Literaturgeschichtsschreibung. Wohl keine Epoche ist jedoch in ihren Grundbestimmungen so verunklart worden wie die literarische Modeme. Dies soll
und kann hier im Einzelnen nicht belegt und begründet werden; es muss
genügen, auf die offensichtlichen Konsequenzen zu verweisen, die der Primat eines soziologischen und sozialgeschichtlichen Modemebegriffes
(>Modernisierung<) und die Debatte um die >Postmoderne< für das traditionelle Konzept einer >ästhetischen Modeme< haben mussten.
Wie sehr die >Modeme< dadurch zum Problemkonstrukt geworden ist,
soll, schlaglichtartig, ein kurzer Blick auf den im Jahre 2000 im Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft erschienenen Epochen-Artikel verdeutlichen, der die diametral auseinander strebenden Bestimmungen der
Modeme noch einmal zusammenzuführen sucht. 1 Hier wird, erstens, unterschieden zwischen der »Makroperiode« der »Neuzeit« und einer »Mikroperiode«, die »künstlerische und literarische Strömungen des ausgehenden 19.
und besonders des frühen 20. Jhs. in Europa« umfasst. Letztere wird, zweitens, durch zwei ebenfalls nur nominell miteinander vermittelte Tendenzen
bestimmt: einerseits durch »primär forminnovative Richtungen«, die neue
»künstlerische Verfahren« entwickeln - explizit genannt werden: MontageTechnik, Absolute Metapher, Bewusstseinsstrom, Innerer Monolog -, ande1 Wobei es mir, um mögliche Missverständnisse von vornherein abzuwehren, überhaupt nicht
um eine Kritik dieses Artikels geht. Ich habe ihn nur deshalb ausgewählt, weil er mir repräsentativ
scheint für die gegenwärtige Krise des Modeme-Begriffes - und genau diese Repräsentanz wird
man dem Artikel ,~ines
Standardlexikons ja auch abverlangen.
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rerseits durch »primär inhaltsinnovative« Kunsttendenzen, die »aktuelle
Erfahrungsbereiche und Wissensbestände der industriellen Massengesellschaft« aufgreifen. 2 Eine solche Lösung hat durchaus ihre Vorteile - denn
dieser Modemebegriff ist wahrhaft allumfassend; es dürfte nur wenige Autoren im 20. Jahrhundert geben, die ihm nicht subsumierbar sind. Mehr als
eine Bindestrich-Synthese wird damit freilich nicht geboten.
Es mag geistesgeschichtlich sinnvoll sein, einen Modemebegriff zu entwerfen, der von der Neuzeit bis zur Gegenwart reicht (Makroperiode, Variante 1), es mag sozial geschichtlich sinnvoll sein, einen Modemebegriff zu
entwerfen, der vom (späten) 18. Jahrhundert, der sogenannten >Sattelzeit<
bis zur Gegenwart reicht (Makroperiode, Variante 2). 3 Für den Literaturwissenschaftier aber sind solche Großkonstruktionen von allenfalls marginaler
Bedeutung, da sie sehr unterschiedliche Stilsignaturen umfassen (daher
wurden sie ja auch traditionell in sehr unterschiedliche Epochen ausdifferenziert). Die allzu bereitwillige Übernahme von Vorgaben anderer Fächer
ist wohl eine Konsequenz des disziplinären Defätismus, unter dem die Literaturwissenschaft im Allgemeinen und die Germanistik im Besonderen seit
einiger Zeit laborieren. Es gehört aber nun einmal zum (existenznotwendigen) Selbstbewusstsein einer Disziplin, zentrale Bestimmungen nach den
Regeln ihrer ureigenen disziplinären Optik vorzunehmen und sie sich nicht
von anderen Wissenschaften vorschreiben zu lassen.
Diese Kritik trifft auch die zweite Bindestrich-Synthese des Artikels: die
Bestimmung der >Modeme< (Mikroperiode) als Nebeneinander von »forminnovativen« und »inhalts innovativen« Tendenzen, da sie ja ganz offensichtlich auf eine Kompromissbildung zwischen literaturwissenschaftlichen
und soziologischen Bestimmungen abzielt. Natürlich reagieren die Texte
der literarischen Modeme auf den soziologischen Modernisierungsprozess
(und zwar zumeist sehr kritisch, so dass die literarisch-künstlerische Modeme über weite Strecken als dezidiert anti-modernistisch bestimmt werden
kann). Aber nicht alle Texte, die das tun, sind deswegen schonformal modem - und die Privilegierung dieses poetologischen Kriteriums ist nun einmal konstitutiv für die disziplinäre Optik der Literaturwissenschaft. Daher
werde ich im Folgenden vom - »forminnovativen« - Modeme-Begriff der
>ästhetischen Modeme< ausgehen (und zusätzlich auf die, ebenfalls wohletablierte, Unterscheidung zwischen den Texten der >klassischen Modeme<
und denen der formal noch weit radikaleren >Avantgarden< zurückgreifen).4
Da sich das weite Feld meines Themas unmöglich zur Gänze ausschreiten
lässt, werde ich mich auf vier - wie mir scheint: zentrale - Aspekte beschränken, deren systematischer Zusammenhang in der für die ästhetische
Modeme konstitutiven Absage an das Mimesiskonzept des Realismus liegt.
2 Günter Blamberger, Modeme. In: Harald Fricke u.a. (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Band H. Berlin, New Yorlc 2000, S. 620-624; Zitate: S. 620.
3 Vgl. zu dieser zweiten (heute zunehmend gängigen) Variante des Modeme-Begriffs vor allem den Sammelband: Silvio ViettalDirk Kemper (Hg.), Ästhetische Modeme in Europa. Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik. München 1998.
Nicht-realistische Darstellung der »inneren Welt«
Es ist eine literarhistorische Binsenweisheit, dass sich Epochen dort am
bündigsten und präzisesten konturieren, wo sie in bestimmter Negation auf
Weltbild und Formensprache der Vorgängerepoche reagieren. Ich lese die
ästhetische Modeme also als bestimmte Negation von Wirklichkeitsbegriff,
Subjektkonzept und Ästhetik wie Poetik der Großepoche des Realismus
(unter Einschluss des Naturalismus).5 Diese einfache Formel wird allerdings
dadurch kompliziert, dass es in der literaturgeschichtlich besonders komplexen Gemengelage der Jahrhundertwende zu vielfältigen Verschränkungen von symbolistisch-antirealistischen und radikal-realistischen Verfahren
kommt. Dies macht eine kurze V orüberlegung zum Verhältnis zwischen
Spätrealismus und früher Modeme notwendig.
4 Die hier nur knapp skizzierte Kritik an der Übernahme eines soziologischen ModemeBegriffes und meinen eigenen Vorschlag zur Epochenkonstruktion habe ich an anderer Stelle am
Paradigma der Lyrik ausfiihrlicher erläutert. Vgl. Verf., Rilkes Duineser Elegien und die modeme
deutsche Lyrik. Zwischen lahrhundertwende und Avantgarde. Stuttgart 1986 (bes. S. 185-225),
und: Ders., Rilke als Autor der literarischen Modeme. In: Ders.lDorothea Lauterbach (Hg.), RilkeHandbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart, Weimar 2004, S. 507-528.
5 Daher scheint mir die Malerei die eigentliche Leitkunst der Modeme zu sein. Denn nirgendwo sind der Bruch mit der realistischen Tradition und Ziel wie Verlauf seiner Entwicklung besser
zu studieren als an der zum Gegenstandslosen strebenden Malerei. Freilich ist völlige Gegenstandslosigkeit hier nur der entwicklungslogische Endpunkt. Um auch den Weg dorthin beschreiben zu können, bediene ich mich des Begriffspaares >abstrakt< >konkret<, das in Kunst- und Literaturwissenschaft häufig verwendet, aber nur selten konsequent ausdifferenziert wird: >Konkret<
soll die Kunst heißen, die völlig referenzfrei ist, also nur noch mit den kunsteigenen Gestaltungsmitteln arbeitet (in der Malerei wären das: Form, Farbe, Oberflächentextur). >Abstrakte< Kunst
dagegen ist Kunst mit einem (vom Standpunkt des Realismus aus formuliert) reduzierten Referenzbezug. Dieser Reduktion liegen, sehr grob gesprochen, zwei Gestaltungsintentionen zugrunde:
die Privilegierung der inneren gegenüber der äußeren Welt und/oder die Emanzipation der ästhetischen Kompositionslogik von der mimetischen. Ganz vereinfacht gesagt: In einem abstrakten Bild
kann ein Gesicht giftgrün sein, weil der Expressionswert der Farbe Giftgrün gewünscht ist
und/oder weil die Kompositionslogik des Bildes an dieser Stelle ein giftgrünes Oval erfordert.
Diese Differenzierung ließe sich - natürlich unter Beachtung der medialen Unterschiede - durchaus auch fiir die Literaturwissenschaft fruchtbar machen; vgl. dazu meinen in Anm. 4 genannten
HandbuchartikeL
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Vor langer Zeit hat Richard Brinkmann die Entwicklungsfigur des Realismus einmal nach der Logik eines Betriebsunfalles beschrieben: Gerade
weil man sich um eine möglichst genaue Erfassung der Außenwelt bemüht
habe, sei man schließlich bei der Darstellung von subjektiv erlebten und
gedeuteten Bewusstseinswelten gelandet. 6 Ob dies wirklich ein Betriebsunfall war, sei dahingestelle Richtig ist jedenfalls, dass im Spätrealismus
Wirklichkeit immer mehr als Bewusstseinswelt (oder als Summe von Bewusstseinswelten) erfassf wird. Hier liegt also eine Schnittstelle zwischen
Spätrealismus und Modeme, die die Epochengrenze aber keineswegs völlig
suspendiert. Ich erläutere das an zwei Aspekten:
(1) Realistische Darstellung gerät dort in einen Grenzbereich ihrer inneren Logik, wo sich der Bewusstseinsbegriff zu komplizieren beginnt. Dass
Bewusstsein mehr umfasst als Wahmehmungs- und Denkvorgänge, dass
erlebte Wirklichkeit individuell gefühlte, gedeutete und gewertete Wirklichkeit ist, war schon früh klar. Ein viel wichtigerer Neuansatz lag in der
kategorischen Ablehnung eingespielter Wahmehmungs- und Deutungsraster. Ich nenne das, um im gegenwärtig so beliebten Sprachspiel zu bleiben,
den >impressionist turn<. Als radikal- oder >konsequent< realistisches Verfahren folgt dieser durchaus noch der Logik realistischer Dichtung. Die
Grenze zu genuin moderner Gestaltung wird erst dort überschritten, wo es
nicht mehr um eine Verfeinerung und Nuancierung der Wirklichkeitserfassung geht, sondern um den Durchbruch zu einer >wahren Wirklichkeit<, die
sich weder der sinnlichen Wahmehmung noch der rationalen Deutung erschließt. 8 Die innere Welt - besonders in ihrem vor- und grenzbewussten
Bereich - erhält dabei eine privilegierte Stellung, weil man es ihr noch am
ehesten zutraut, einen Zugang zu dieser >wahren Wirklichkeit< zu eröffnen.
In der Außenwahmehmung dagegen falle das Aufbrechen von Wahmehmungskonventionen, pragmatischen Vereinfachungen und rationalen Konstruktionen wesentlich schwerer. Ich nenne das, nebenbei gesagt, das Schopenhauer-Argument, weil es seinen >locus classicus< wohl in dessen
Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung hat.
Man kann den Unterschied zwischen noch realistischer und schon genuin
moderner Impressionierung des Wirklichkeitsbegriffes gut am Vergleich
von Arthur Schnitzlers Lieutenant Gustl mit Virginia Woolfs Mrs Dalloway
illustrieren: In beiden Fällen stoßen wir auf Bewusstseinswelten, deren Darstellung einem >impressionist turn< folgt. Bei Schnitzler bleibt diese Darstellung eingebunden in die rationalen Erklärungsmuster konventioneller
Psychologie. Eben die aber werden von W oolf scharf zurückgewiesen nicht umsonst ist der Bösewicht ihres Romans, Dr. Bradshaw, ein Psychiater. W oolf geht es um ein neues, lebensphilosophisch grundiertes Verständnis von Wirklichkeit und dessen vielfältige, auch ethische, Konsequenzen.
(2) In der Darstellung innerer Welten ist der Spätrealismus behindert,
dadurch aber auch gefordert - >alternatively challenged< sozusagen. Grund
dafür ist sein Postulat einer formal objektiven, also nicht (oder kaum noch)
durch ein erzählerisches Medium vermittelten Darstellung. Denn damit entfällt die erzählerische Innensicht als traditionelles Mittel des Innenweltzugangs. Daher ist der Realismus gezwungen, das Spektrum von Techniken
zur Darstellung der inneren Welt zu erweitern: intensive Verwendung der
erlebten Rede, innerer Monolog (auch schon in >stream of consciousness<Technik), personales Erzählen (auch schon mit impliziten Distanzierungsmarkierungen) sind solche Verfahren. Hier kann modemes Erzählen anknüpfen, da der Imperativ des »showing, not telling« auch zu seinen Regeln
gehört.
Was ich bisher, in sehr grober Schematik, beschrieben habe, ist der Weg
zur Darstellung innerer Welten, der sich aus einer Radikalisierung realistischer Verfahren ergibt, die dann in ein neues, modemes Literaturprogramm
übernommen werden können. Einen zweiten, von vornherein antirealistischen Weg hatte ich bereits en passant genannt: die symbolistische
Traditionslinie, deren Suggestionspoetik zumeist auf einer Kombination
von >imagic turn< und >linguistic turn< beruht, also einer Bevorzugung bildlicher und einer intensiven Nutzung sprachinterner Ausdrucksmittel (wie
etwa Klang und Konnotation).9
Für die frühe Modeme sind Experimente mit einer Verschränkung von
impressionistischen und symbolistischen Verfahren, wie sie sich etwa an
Texten von Rilke, Joyce und Woolfbeobachten lassen, besonders charakteristisch. Dabei werden vielfältige Techniken fiir ein nicht-realistisches Erzählen von inneren Welten entwickelt. Ich illustriere das an nur zwei (sehr
unterschiedlichen) Beispielen:
6 Vgl. Richard Brinkrnann, Wirklichkeit und Illusion. Studie über Gehalt und Grenzen des Begriffs Realismus für die erzählende Dichtung des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1957.
7 Es könnte ja auch sein, dass Literatur hier einfach das Potential zur Darstellung von Innenwelt ausschöpft, über das sie nun einmal stärker verfügt als alle anderen Medien.
8 Diese >wahre< Wirklichkeit wird im Einzelnen sehr unterschiedlich bestimmt: etwa als der
>Wille< (Schopenhauer) bzw. der >Wille zur Macht< (Nietzsche) oder ganz allgemein als >Leben<
(Bergson) - also als etwas, das Verstand und Sprache nur schwer erfassen können und das in ständiger Veränderung begriffen ist. Sie kann jedoch auch als ein eher geistiges Prinzip aufgefasst
werden - ein form-, ordnungs- oder sogar gesetzgebendes Prinzip. Sie kann als >Existenz< begriffen werden (als reines So-Sein der Dinge, frei von allen mentalen Ordnungs- und Sinnkategorien)
oder auch als >Sur-realität< (als trans-rationale Einheit von rationalen und nicht-rationalen Elementen).
9 Angemerkt sei, dass in der klassischen Modeme beide Verfahrensgruppen fast immer parallel verwendet werden: die, die auf der Einsicht in die epistemologische Fundamentalität der Sprache beruht, und die, die die Grenzen der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten (vor allem durch
neue Techniken der Metaphorik) zu erweitern sucht. Zu einer Verabsolutierung des >linguistic
turn< kommt es erst, sehr allmählich, innerhalb der Avantgarden.
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(1) In der Joyce-Forschung kennt man das »Unc1e-Charles-Principle«,
benannt nach einer Nebenfigur aus dem Roman A Portrait of the Artist as a
Young Man. Gemeint ist damit eine >Ansteckung< der Erzählerrede durch
die Figurenrede, d.h. der Erzähler spricht über Onkel Charles genau so, wie
dieser über sich selbst reden würde. lo Eine solche Erweiterung des Bewusstseinsraumes einer Figur zum Sprachraum des Textes ist ein besonders drastisches Beispiel für den Modeme-typischen Bruch mit realistischen Erzählkonventionen.
(2) Ein zweites Verfahren hat vor allem der Expressionismus entwickelt:
Hier werden Erlebniswelten nicht mehr (oder doch wenigstens nicht mehr
zur Gänze) als solche markiert. Bekannte Beispiele finden sich etwa in den
letzten Teilen von Benns Rönne-Zyklus oder in Einsteins Bebuquin. Innenwelt, nun in sehr viel stärker typisierter Form, wird hier so erzählt, als sei
sie Außenwelt.
Damit sind wir endlich bei Kafka angekommen. Ich habe bisher versucht, eine poetikgeschichtlich pointierte, aber keineswegs aufs Poetologische beschränkte Aufgabenstellung zu erläutern und ein Spektrum von Lösungen anzudeuten, um so den erzählgeschichtlichen Ort von Kafkas Werk
zu bestimmen. Um dies detailliert zu belegen, wären die Erzählmodelle der
frühen Texte Kafkas ausführlich zu analysieren (was ich hier aus Platzgründen leider nicht tun kann). In der Betrachtung, in Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und Beschreibung eines Kampfes experimentiert
Kafka mit unterschiedlichen Verfahren, das Verhältnis von innerer und äußerer Welt neu zu justieren. Den Endpunkt dieses Entwicklungsweges und
zugleich den Durchbruch zum reifen Werk markiert bekanntlich die Erzählung Das Urteil von 1912. Hier ist erstmals voll entfaltet, was ich für Kafkas wichtigsten Beitrag zum nicht-realistischen Erzählen von der inneren
Welt halte. Ich nenne es das onirische Erzählmodell, da es wohl unmittelbar
dem Traum abgeschaut ist. 11
Mit diesem Erzählen nach der Logik des Traumes meine ich nicht die
uns allen aus eigenen Träumen wohlbekannten Verfremdungseffekte (also
Entstellungen und/oder Neukombinationen von vertrauten Elementen unse-
rer Lebenswelt). Natürlich spielen diese in Kafkas Werk eine große Rolle,
sind aber, für sich genommen, weder ein Spezifikum seines, noch des modemen Erzählens überhaupt, sondern wichtige Bestandteile im traditionellen Basisrepertoire anti-realistischer Schreibweisen. Zugleich wichtiger und
Kafka-spezifischer ist die Adaption der besonderen Ontologie der Traumwelt. Diese ist Außen- und Innenwelt zugleich: Der Träumer bewegt sich in
ihr als eine Person, interagiert mit im Raum verteilten Objekten und Personen - prinzipiell nicht anders als in seiner wachen Lebenswelt. Zugleich
aber sind - um das zu wissen brauchen wir weder eine spezifische, noch
eine sonderlich ausgefeilte Traumtheorie - dieser ganze Raum und er selbst
Produkt seines eigenen Inneren und semiotisch auf ihn bezogen (wie immer
wir uns die Funktionsweise dieser Semiotik im Einzelnen vorstellen und
erklären mögen).
Dieses onirische Erzählmodelllässt sich am Urteil am besten an der Figur des Freundes illustrieren. Ohne uns auf Interpretationsfragen einzulassen, sollten wir uns darüber einigen können (auch Kafka selbst hat es letztlich so erklärt),12 dass dieser Freund eine Art >alter ego< von Georg
Bendemann ist, ein alternativer Lebensentwurf, wenn man so will, der auch
ein anderes Verhältnis zum Vater impliziert. (Daher verändert sich die Figur des Freundes auch im Verlauf des Machtkampfes mit dem Vater.) In
der realistischen Erzähllogik hätte sich eine solche Konstruktion auf zweierlei Möglichkeiten episch umsetzen lassen: (a) Vater Bendemann hat zwei
Söhne, die sehr unterschiedlich sind und sehr unterschiedliche Lebensläufe
haben; (b) Georg Bendemann leidet unter Persönlichkeits spaltung; der
>Freund< ist also ein Produkt seiner kranken Psyche. Diese beiden Lösungen
hat Kafka aber eben nicht gewählt. Semiotisch mögen viele seiner Texte
Innenwelten entfalten - sie sind ja auch immer wieder mit vereinzelten Innenweltindikatoren versehen 13 - , erzähllogisch aber sind sie eindeutig als
Außenwelten markiert. 14
10 Vgl. Hugh Kenner, Joyce's Voices. London 1978, bes. Kap. 2; Standardbeispiel ist der Erzählersatz: »Every morning [... ] unc1e Charles repaired to his outhouse« (Portrait, Kap. 2). Im
Ulysses (vor allem in der zweiten Hälfte des Romans) wird Joyce noch einen Schritt weitergehen:
Hier ist die Erzählweise zunehmend nicht mehr durch das Bewusstsein der erzählten Figuren bestimmt, sondern durch das (anthropologisch bzw. menschheitsgeschichtlich aufgefasste) Erzählthema. In der Joyce-Forschung bezeichnet man dies oft als >Benstock-Principle< (benannt nach
den >Entdeckern< Shari und Bernard Benstock); vgl. Bernard Benstock, Narrative Con/Texts in
Ulysses. Urbana, Basingstoke 1991.
11 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Literarische Träume und traumhaftes Schreiben bei Franz Kafka.
Ein Beitrag zur Oneiropoetik der Modeme. In: Bernard Dieterle (Hg.), Träumungen. Traumerzählung in Film und Literatur. St. Augustin 1989, S. 233-261.
12 Vgl. etwa im Brief an Felice Bauer vom 10. Juni 1913: »Der Freund ist kaum eine wirkliche
Person, er ist vielleicht eher das, was dem Vater und Georg gemeinsam ist. Die Geschichte ist
vielleicht ein Rundgang um Vater und Sohn und die wechselnde Gestalt des Freundes ist vielleicht
der perspektivische Wechsel der Beziehungen zwischen Vater und Sohn« (B 1913-1914, 205);
entsprechend die Tagebuchnotiz vom 11. Februar 1913: »Der Freund ist die Verbindung zwischen
Vater und Sohn, er ist ihre größte Gemeinsamkeit« (T, 491).
13 Wie etwa die in der Forschung vielfach beschriebenen Korrespondenzen zwischen K. und
der Gerichtswelt im Proceß: So findet etwa das Verhör, dessen Termin K. nicht kennt, genau zum
Zeitpunkt seines geplanten Eintreffens am Verhörort statt; so erwartet K. im Schlusskapitel fertig
angekleidet das Eintreffen seiner Henker, etc.
14 So beschrieben, lässt sich das onirische Erzählmodell als Kafkas Variante expressionismustypischer Tendenzen begreifen. Dieser Zeitbezug wird allerdings solange verborgen bleiben,
wie man die Epoche (wie heute üblich) mit dem ihrem Denken völlig fremden Konzept der >IchDissoziation< zu bestimmen sucht.
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Metapsychologie
Freuds Werk liefert nur ein Beispiel fiir eine solche Metapsychologie, es
ist keineswegs die Metapsychologie seiner Zeit. Vielmehr gilt in der Modeme - frei nach dem Titel der Dada-Zeitschrift Jeder sein eigener Fußball
- der Satz: Jeder sein eigener Metapsychologe. Manche Autoren haben die
Metapsychologie ihrer Texte explizit gemacht: Proust etwa in der Opposition zwischen den »moi successifs« und dem »moi profond«, Robert Musil in
der Polarität von» Verstand« und »Seele«; bei anderen liegt sie in der Figurenkonstellation relativ offen zutage - etwa in Joyces Ulysses in der Figurentrias: Bloom - Stephen - Molly.
Für modeme Erzähltexte ist nun charakteristisch, dass diese metapsychologische Matrix immer weniger in individualpsychologisch fundierte
Personenentwürfe eingebunden, also (im formalistischen Sinne des Wortes)
>bloßgelegt< wird. Wie weit man dabei gehen kann, zeigt etwa ein Vergleich der Figurenentwürfe des Ulysses mit denen des hier weit radikaleren
Spätwerkes Finnegans Wake.
Eine solche >Bloßlegung< der Metapsychologie lässt sich auch in Kafkas
Werk beobachten. Um dies nachzuweisen, müssten wir Kafkas Metapsychologie freilich erst einmal kennen. Die Forschung hat dazu bisher nicht
allzu viel beigetragen, sondern eher ihre je eigenen, werkexternen Konzepte
appliziert. Kafka selbst ist einer expliziten - was bei ihm freilich nie heißt:
bildlos-begrifflichen - Formulierung seiner Metapsychologie vermutlich
am nächsten in der Aphorismenreihe gekommen, die Max Brod Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg (NSF II, 113-140)
betitelt hat. Ursprung der Kafkaschen Metapsychologie ist die Applikation
(und Modifikation) aus metaphysischer Tradition wie zeitgenössischer
Philosophie adaptierter Denkfiguren (und Denk-Bilder) auf die Ergebnisse
der zeitlebens so überaus intensiv betriebenen Selbstanalyse. 15 Da Kafka
deren Ergebnisse tur historisch repräsentativ hielt, konnte er auch seine autobiographisch fundiertesten Texte zu Zeitmodellen verallgemeinern.
Ich kann zu dieser Metapsychologie hier nur eine Hypothese bieten, von
der ich hoffe, dass sie unoriginell genug ist, um auf einige Zustimmung zu
stoßen. Kafkas Metapsychologie scheint mir dualistisch strukturiert zu sein.
Auf der einen Seite steht ein ausgeprägter Wille zur Macht (daher auch die
ständige Frage nach der Gemeinschaftsfähigkeit des Individuums) - auf der
anderen dessen (mindestens hypothetisches) Gegenprinzip: das »Unzerstörbare«, das »Geistige« in uns. 16 Für diesen zweiten Pol hat sich die neuere
Forschung allerdings auffällig wenig interessiert. Unübersehbar ist jeden-
Der Begriff - ich gestehe es gleich - ist eine Verlegenheits lösung. Bekanntlich verwendet ihn Freud dort, wo er keine Einzelfallanalysen betreibt,
sondern sein Konzept des psychischen Apparates entwirft (in der bekanntesten Variante also etwa die Trias: Es - Ich - Über-Ich, im Spätwerk ergänzt um den Dualismus von Lebens- und Todestrieb ).
Dass ich diesen Begriff hier übernehme, heißt allerdings nicht, dass ich
Kafka (oder gar die ganze Modeme) mit Freudschen Konzepten erklären
will. Deren Wirkungsmächtigkeit erklärt sich wohl vor allem daraus, dass
Freud nicht nur auf einem Stuhl Platz genommen hat und sich auch nicht
zwischen zwei Stühle gesetzt hat. Er hat sich vielmehr, um im Bild zu bleiben, auf zwei Stühle zugleich gesetzt, sozusagen mit jeder Pobacke auf einen. Der eine war der Romantik- oder Naturphilosophie-Stuhl, der andere
der der Aufklärung und der schulgerechten Wissenschaftlichkeit. So gewann Freud zugleich Distanz zu einer szientistisch verengten Psychologie
und wahrte doch die Anschlussfähigkeit an das elementare Wissenschaftlichkeitspostulat rational-kausaler Erklärung. Von letzterer soll hier nicht
die Rede sein; von diesem Aspekt der Freudschen Psychologie haben sich
Kafka wie andere Autoren der Modeme ja immer wieder scharf distanziert.
Die Metapsychologie gehört jedoch eher zum philosophisch-spekulativen
Teil von Freuds Werk.
Ich verwende den Begriff hier ganz allgemein fiir eine nicht kausal und
individualgeschichtlich erklärende Psychologie. Metapsychologie operiert
stattdessen mit dem typo,1ogischen, oft auf polaren Konstruktionen basierenden Denken, das tur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts so prägend ist
und zu dem wir heute den Zugang weitgehend verloren haben. Wir finden
es etwa bei Nietzsche - der »Wille zur Macht« oder die Grundtriebe des
»Apollinischen« und des »Dionysischen« sind Musterbeispiele -, aber auch
in Diltheys Hermeneutik, in der Geistesgeschichte, der Existenzphilosophie
und der philosophischen Anthropologie.
Erklärbar ist diese typologisierend-transzendentale Psychologie wohl als
notwendiges Komplement zur Öffnung des Wirklichkeitsbegriffes. Wenn
man die bisherigen Muster kausal-rationaler Weltstrukturierung und
-erklärung zurückweist, droht man in einem Impressions- und Stimmungschaos, oder doch wenigstens einem Phänomenen-Chaos zu versinken. Den
Autoren von Erzähltexten - um gleich zum Poetologischen überzuleiten verhilft die jeweilige Metapsychologie zu einer Matrix fiir den Entwurf
nicht mehr psychologisch-realistisch fundierter Figurenentwürfe, Figurenkonstellationen und Handlungsstrukturen.
15 Genauer formuliert: eine intensive Wechselwirkung zwischen beiden.
16 Vgl.: »Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können. Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Verborgen-Bleibens ist der Glaube an einen
persönlichen Gott« (NSF 11, 124); vgl. auch die Aphorismen Nr. 69 und 70/71 (NSF 11, 128).
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falls, dass die Machtkämpfe, in die Kafkas Figuren sich stereotyp in fast
jeder Begegnung verstricken, nicht (oder zumindest nicht allein) individualpsychologisch erklärbar sind,17 also auf eine metapsychologische Basis
verweisen. 18
Wie sieht dieser poetische Nexus nun in Kafka-Texten aus? Wir wissen um
die ungeheure Bedeutung, die Textanfange für Kafka hatten. Von ihnen gilt
analog, was Schiller für den Beginn eines Dramas gefordert hat: Er müsse
eine »aufbrechende Knospe« sein oder, weniger organologisch formuliert,
ein »prägnanter Moment«. Über den Beginn seines Wallensteins schreibt
Schiller an Goethe:
Autonome Bildweiten
Das Streben nach offenen Formen gilt als wichtiges Merkmal der Modeme.
Das ist ein sicher nicht einfach falscher, wohl aber ergänzungsbedürftiger
Befund: >Offen< sind die Formen der Modeme aus der Perspektive der alten
Formkonventionen (etwa den Bauprinzipien einer kausal-chronologisch
entfalteten Erzählung). Mindestens innerhalb der klassischen Modeme werden diese offenen Formen aber durch die Verstärkung und Erweiterung
poetischer Integrationstechniken auf neue Weise integriert und geschlossen:
In modemen Erzähltexten ergänzt so ein poetischer Nexus den geschwächten narrativen oder ersetzt ihn zur Gänze.
Von einem auf solche Weise geschlossenen Text träumte schon Flaubert
in seinem berühmten Brief vom 16. Januar 1852 an Louise Colet:
Ce qui me semble beau, ce que je voudrais faire, c'est un livre sur rien, un livre sans
attache exterieure, qui se tiendrait de lui-meme par la force interne de son style,
comme la terre sans etre soutenue se tient en l'air, un livre qui n'aurait presque pas de
sujet ou du moins OU le sujet serait presque invisible, si cela se peut. Les ceuvres les
plus belles sont celles OU il Y a le moins de matiere; plus l'expression se rapproehe de
la pensee, plus le mot colle dessus et disparaH, plus c'est beau. Je crois que l'avenir
de I' Art est dans ces voies. [ ... ] Cet affranchissement de la materialite se retrouve en
tout. 19
17 Eine solche Erklärung aus Charakter und Lebensumständen interessiert Kafka nicht - das
wäre die Welt der »Motivationen« (NSF 11, 132f.).
18 Zum Versuch einer ausführlicheren Analyse von Kafkas Metapsychologie am Beispiel des
Verschollenen vgl. meinen Aufsatz: Außenwelt und Innenwelt. Subjektivitätsentwurfund modeme
Romanpoetik in Robert Walsers Jakob von Gunten und Franz Kafkas Der Verschollene. In: JDSG
30 (1986), S. 533-570.
19 Gustave Flaubert, Correspondance 11, 1851-1858. Hg. von Jean Bruneau. Paris 1980, S. 31.
Dt.: »Was mir schön erscheint und was ich machen möchte, ist ein Buch über nichts, ein Buch
ohne äußere Bindung, das sich selbst durch die innere Kraft seines Stils trägt, so wie die Erde sich
in der Luft häIt, ohne gestützt zu werden, ein Buch, das fast kein Sujet hätte, oder bei dem das
Sujet zumindest fast unsichtbar wäre, wenn das möglich ist. Die schönsten Werke sind jene, die
die wenigste Materie enthalten; je mehr der Ausdruck sich dem Gedanken nähert, je enger das
Wort daran haftet und verschwindet, um so schöner ist es. Ich glaube, daß die Zukunft der Kunst
in dieser Richtung liegt. [... ] Diese Befreiung vom Stofflichen findet sich in allem wieder«; Gustave Flaubert, Briefe. Hg. und übers. von Helmut Scheffel. Zürich 1977, S. 181.
Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles, was zur Vollständigkeit derselben gehört, natürlich ja in gewißem Sinne nothwendig darinn liegt, daraus hervorgeht. 20
Bei Kafka geht es freilich nicht primär um eine Handlungskonstellation.
Man könnte eher von einem prägnanten Bild, vielleicht von einer prägnanten Metapher sprechen, da der Ausgangseinfall seiner Texte fast immer ein
anti-realistisches, ein >imaginäres< Moment enthält, das wir, die wir von
unserer Alltagserfahrung her mit Notwendigkeit realistisch konditioniert
sind deutlich als solches wahrnehmen und - als wohlkonditionierte Leser Texten gewöhnlich als Uneigentlichkeitssignal interpretiein li~eraschn
ren.
Natürlich haben auch Kafkas Texte einen mehr oder minder ausgebildeten narrativen Nexus. Nur ist nicht dieser die dominante Ebene der Textorganisation, sondern, sehr viel eher, das Entfalten des in der prägnanten Anfangsmetapher enthaltenen imaginären Materials. Wie man sich eine solche
Materialentfaltung vorstellen kann, lässt sich am Proceß sehr schön verdeutlichen, da Kafka hier nach dem Anfang gleich auch noch das ihm korrespondierende Ende festgelegt hat: Sind die gleichermaßen als imaginär
markierten Szenen von Verhaftung und Hinrichtung und die Person des
Helden einmal festgelegt, lässt sich der Rest des Textes weitgehend als
Ausschreiten und Ausfüllen des durch diese Grundkoordinaten aufgespannten Handlungsraumes begreifen. 21 Jedes Kapitel nimmt dazu quasi
einen neuen Anlauf, der mit dem der anderen Kapitel nicht narrativ verzahnt sein muss: Verhöre wird es geben, Anwaltsbesuche, Szenen in der
Bank, Konflikte zwischen Bank- und Prozess-Existenz, Abweisungen und
20 An Goethe, 2.10.1797; Friedrich Schiller, Nationalausgabe. Band 29: Briefwechsel. Schillers Briefe 1.11.1796 - 31.10.1798. Hg. von Norbert Oellers und FrithjofStock. Weimar 1977, S.
141.
21 Im Verschollenen erprobte Kafka noch ein anderes Verfahren zur Konstruktion einer epischen Großform: Ein Handlungsmuster - das der Verstoßung aus einer Gemeinschaft (bzw. das
von Aufuahme und Verstoßung) - wird serialisiert, mit immer neuen Var:iationen wiederholt. Das
epische >Fleisch< fur dieses Skelett übernimmt Kafka zu erheblichen Teilen aus dem Motiv- und
Verfahrensrepertoire des bewährten Erzählhandwerkers Charles Dickens. Auch in den späteren
Romanen wird Serialisierung :für Kafka ein wichtiges Verfahren bleiben, doch ist sie nun eingebunden in zwei Großkonstruktionen: einen Handlungsrahmen mit Ausgangs- und Zielpunkt und
ein nach dem Zwei-Weiten-Prinzip strukturiertes Weltmodell.
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Manfred Engel
Kajka und die Poetik der klassischen Moderne
Zugeständnisse von Schuld. Vermutlich auch - und das konstituiert noch
am ehesten so etwas wie eine Progressionsfigur - eine allmähliche Schwächung von Lebenswillen und Unschuldsbewusstsein des Helden. Aus der
sich so quasi naturwüchsig ergebenden Geschlossenheit des imaginären
Raumes 22 beziehen Kafkas Texte ihre große innere Stringenz, nicht aber aus
Figurenpsychologie, Figurenentwicklung oder äußerer Handlung.
Neben diesem Nexus der imaginären Welt gibt es vor allem noch zwei
andere Bildquellen: Die eine ist das Autobiographische, dem Kafka nicht
selten das prägnante Detail entnimmt; das ist für den Autor wohl so etwas
wie die realistische Erdung des imaginären Raumes. 23 Die zweite - wichtigere und zugleich schwierigere Bildquelle - ist die der »Abstraktionen«,
wie Kafka einmal sagt,24 also die der Textsemiotik. Über diese Ebene zu
reden, führt natürlich sofort in Deutungskontroversen, die ich in diesem
Aufsatz - der geneigte Leser wird es längst bemerkt haben - nach Möglichkeit zu umgehen suche. Es scheint mir aber schwer abweisbar, dass Kafkas
Texte einen ideellen Nexus, einen Sinnzusammenhang haben, auch wenn
jeder Versuch zu dessen begrifflicher Auflösung sofort in die bekannten
Schwierigkeiten mündet. Und ich halte eine Beschränkung dieses ideellen
Nexus auf Selbstreflexivität - also die gegenwärtig so beliebte Deutungshypothese, dass Kafkas Texte nichts anderes thematisierten als die Vergeblichkeit aller Sinn- und Bedeutungszuweisungen - für zwar nicht schlechterdings falsch, wohl aber für eindeutig reduktiv. Das Leitmotiv des
>Lichtes< etwa und der Handlungsort >Dom< können dem imaginären
Handlungsraum >Prozess< produktionsästhetisch nur über einen ideellen
Nexus beigesellt werden, da sie nicht in seiner imaginären Logik liegen
(man könnte sehr wohl von einem Gerichtsprozess erzählen, ohne diese
Motive zu verwenden). Das heißt aber umgekehrt, rezeptionSästhetisch betrachtet, dass sie einen ideellen Nexus konstituieren, der nicht einfach ignoriert werden sollte.
Es mag durchaus sein, dass es Textbildwelten bei Kafka gibt, die rein
autoreflexiv sind; vielleicht gibt es sogar solche, die rein allegorisch sind.
Die stärksten und glücklichsten Lösungen scheinen mir aber dort vorzuliegen, wo das Grundprinzip der Bildkonstitution ein metonymisches ist. Denn
dann bedeuten die Bilder, schon wenn man sie ganz wörtlich nimmt - wie
etwa im Proceß-Roman, wo sich ein passionierter Bankprokurist plötzlich
vor ein Gericht gezogen sieht, das die Frage nach der Schuld in ungleich
fundamentalerer Weise stellt, als dies die Paragraphen des Bürgerlichen
Gesetzbuches vorgeben.
22 Zu ihm tragen Schlüsselmotive bei - etwa das des >Fensters<, das sich bereits im ersten Kapitel herausbildet - wie auch serialisierbare Handlungs- und Verhaltensmuster, besonders in Bezug
auf die Hauptfigur.
23 Im Proceß sind das Details wie das Alter des Helden, wohl auch die Jahreszeit seines Geburtstages oder der Fräulein BürstnerlFräulein Montag-Komplex, der sich, zumindest gemessen an
der vorliegenden Textgestalt des Romans, zwar als blindes Motiv erweist, wohl aber ein Muster
begründet, das erweiterbar, quasi serialisierbar ist im späteren Verhalten K.s zu anderen Frauenfiguren. Eine nahezu vollständige Aufzählung der autobiographischen Motive lässt sich leicht
nachlesen in: Hartmut Binder, Kommentar zu den Romanen, Rezensionen, Aphorismen und zum
Brief an den Vater. München 1976.
24 Vgl. im Brief an Felice Bauer vom 10. Juni 1913: »Die Geschichte [i.e. Das UrteilJ steckt
voll Abstraktionen, ohne daß sie zugestanden werden« (B 1913-1914,205).
Kunstmetaphysik
Der >locus c1assicus< für den Begriff >Kunstmetaphysik< ist natürlich Friedrich Nietzsches Vorwort zu seiner Geburt der Tragödie aus dem Geist der
Musik (1872). An dessen Ende findet sich die berühmte Wendung, die
Kunst zu der »höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Thätigkeit dieses Lebens« erklärt (Gottfried Benn wird später von der »letzten«
-letztmöglichen - metaphysischen Tätigkeit des Menschen sprechen). Gemeint ist damit, sehr einfach gesagt, dass Kunst - und nur sie, nicht aber
Metaphysik, Religion, Philosophie oder Wissenschaft - mit ihren ureigenen, also rein ästhetischen Mitteln das Erbe der alten symbolischen Weltbilder antreten und Sinn und Zusammenhang stiften kann.
Dass Kafka zu der großen Gruppe von modemen Autoren gehört, die der
Literatur einen höchsten Wert zusprechen, ließe sich aus der in seiner Biographie sattsam dokumentierten Dichotomisierung von >Schreiben< und
>Leben< leicht belegen. Dass die Entscheidung für die Kunst und gegen das
Leben mitunter (und im Spätwerk immer öfter) auch in Frage gestellt wird,
widerspricht dem nicht, sondern ist nur das - in der Modeme geradezu topische - Komplement zur beschriebenen Kunstmetaphysik.
Trotzdem dürfte eine kunstmetaphysische Lesart des Kafkaschen Werkes
leicht auf Widerspruch stoßen - besonders bei den Forschern, die den Autor
ganz unter dem Vorzeichen einer Ästhetik der N egativität deuten. Das aber
heißt: Negativität des Inhalts - wie sie sich am offensichtlichsten im Scheitern der (unzureichenden) Hauptfiguren manifestiert - mit einer der formalen Gestaltung zu verwechseln.
Wenn wir - und sei es nur probeweise - Kafkas Ziel, mit seiner Kunst
»die Welt ins Reine, Wahre, Unveränderliche« zu »heben« (T, 838), ernst
nehmen, ist freilich zu fragen, wie sich diese Zielsetzung an seinen Dichtungen nachweisen lässt.
Eine erste Antwort habe ich im vorangehenden Kapitel bereits zu geben
versucht: Die innere Geschlossenheit der Texte, ihr Sich-selbst-Tragen (im
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Manfred Engel
Kajka und die Poetik der klassischen Moderne
Sinne des Flaubert-Zitats) ohne Bodenberührung mit der Empirie, ließe sich
durchaus als ästhetisches Komplement zu Kafkas existentiellem Streben
nach >Reinheit< und >Askese< verstehen. Eine zweite Antwort liegt sicher in
der Lösung der Texte von allem nur Individuellen - ihrer Typisierung, ja
Arche-Typisierung - und in der korrespondierenden Suspendierung aller
nur individualpsychologischen Kausalerklärungen.
Kafkas Kunstmetaphysik hat jedoch noch einen dritten Grund, der sich
aus der Differenz zwischen direkter und ästhetisch vermittelter Selbstreflexion begreifen ließe. Über diese Differenz heißt es in einer berühmten Tagebuchstelle:
dererseits beansprucht Kafka gleich von Textbeginn an eine Position jenseits des Streites - im Prozessgeschehen wäre das die des Richters. Sein
>Urteil< (über beide Parteien) lautet: »Unschuldig« (genauer: »schuldlos
schuldig« - was aber nichts daran ändert, dass die Argumentation auf einen
Freispruch hinausläuft)Y Logisch betrachtet, hebt die zweite Position, als
echt dialektische Synthese, die Antagonismen auf einer höheren Reflexionsebene in sich auf. Mit ihr könnte das Argument also an sein Ende kommen.
Dies entspricht aber keineswegs dem Textverlauf. Obwohl die >Synthese<
bereits fast unmittelbar am Anfang des Briefes formuliert wurde, setzt sich
der Text endlos mäandrierend fort: Immer wieder verfällt Kafka - explizit
oder implizit - in den Jargon der Anklage, distanziert sich davon in einem
Akt der Selbstreflexion, um dann nur wieder erneut in die Position der Anklage zu verfallen, sich erneut davon zu distanzieren, etc., etc.
(2) In einer kurzen Passage (NSF II, 214-216) gibt Kafka nun dem Vater
selbst - wenn auch natürlich nur fiktiv - das Wort (»Du könntest [... ] antworten:«). In Wirklichkeit geht es hierbei aber um nichts anderes als um
eine Potenzierung des (Selbst-)Reflexionsaktes: Mit der Stimme des Vaters
spricht Kafka ein Urteil über seine eigene bisherige Argumentation: Er erkennt auch die angeblich über dem Streit liegende Position des >Freispruches< als Waffe im Kampfgeschehen, wenn er den Vater sagen lässt:
Merkwürdiger, geheimnisvoller, vielleicht gefährlicher, vielleicht erlösender Trost
des Schreibens: das Hinausspringen aus der Totschlägerreihe Tat - Beobachtung, Tat
- Beobachtung, indem eine höhere Art der Beobachtung geschaffen wird, eine höhere, keine schärfere, und je höher sie ist, je unerreichbarer von der >Reihe< aus, desto
unabhängiger wird sie, desto mehr eigenen Gesetzen der Bewegung folgend, desto
unberechenbarer, freudiger, steigender ihr Weg (T, 892).25
Was damit gemeint ist, lässt sich an einem Vergleich zwischen dem Brief
an den Vater und dem Urteil verdeutlichen. Deren enge thematische Verwandtschaft ist ebenso offensichtlich wie der Genre-Unterschied: Trotz aller Literarisierungen bleibt der Brief ein autobiographischer Text - also einfache Selbstreflexion -, während das Urteil als literarischer Text Anspruch
auf eine »höhere« Form der (Selbst-)Beobachtung erheben kann. 26
Der Brief an den Vater (NSF II, 143-217), so meine knappe Interpretationsthese, ist bestimmt von einer Kampfkonstellation und vom (vergeblichen) Versuch des Schreibers, diese durch potenzierte Selbstreflexivität zu
verlassen. Ich versuche, dies in einer skizzenhaften Strukturanalyse zu erläutern. Der Brief gliedert sich in drei deutlich geschiedene Teile von sehr
unterschiedlicher Länge:
(1) Den Hauptteil des Textes (NSF II, 143-214) bildet eine ausführliche
Auseinandersetzung Kafkas mit seinem Vater, die sich aus zahlreichen Erinnerungen und Reflexionen zusammensetzt. Mit Hilfe des Gerichtsjargons,
der im Brief ebenso omnipräsent ist wie in Kafkas übrigem Werk, lässt sich
die >Figurenkonstellation< des Textes so beschreiben: Einerseits sind Kafka
und sein Vater streitende Prozessparteien - jeder gibt dem anderen die
Schuld; so gelesen ist der Brief eine lange Anklageschrift des Sohnes. An-
25 Vgl. auch: »Die Wildheit des inneren Ganges mag verschiedene Gründe haben, der sichtbarste ist die Selbstbeobachtung, die keine Vorstellung zur Ruhe kommen läßt, jede emporjagt um
dann selbst wieder als Vorstellung von neuer Selbstbeobachtung weiter gejagt zu werden« (T,
877).
26 Vgl. dazu als knappe Formel: »es würde mir genügen knapp neben mir zu stehn, es würde
mir genügen den Platz auf dem ich stehe als einen andem erfassen zu können« (T, 889).
261
Du hast dreierlei bewiesen, erstens daß Du unschuldig bist, zweitens daß ich schuldig
bin und drittens daß Du aus lauter Großartigkeit bereit bist, nicht nur mir zu verzeihn,
sondern, was mehr und weniger ist, auch noch zu beweisen und es selbst glauben zu
wollen, daß ich, allerdings entgegen der Wahrheit, auch unschuldig bin (NSF H,
214f.).
Damit hat Kafka die in den gut siebzig vorangehenden Seiten des Hauptteils
aufgebaute Argumentation in wenigen Zeilen aus den Angeln gehoben.
(3) Die noch kürzere Coda des Textes (NSF II, 216f.) setzt noch einmal
zur selbstreflexiven Potenzierung an: »Darauf antworte ich, daß zunächst
dieser ganze Einwurf, der sich zum Teil auch gegen Dich kehren läßt, nicht
von Dir stammt, sondern eben von mir« (NSF II, 217). In dieser zweiten
Potenzierung wird die Selbstaufhebung der eigenen Position zur Neupositionierung im Kampfgeschehen: Der reflektiertere der beiden Kämpfer beansprucht die Plus-Position, da er gerade durch sein größeres Selbstreflexionspotential (das ihn in seinem Kampfwillen schwächt, also unterlegen
macht) dem anderen überlegen ist. Kafka nimmt die dem Vater verliehene
Einsicht nun wieder als seine eigene in Anspruch - und wendet sie sofort zu
neuen Schuldvorwürfen an den Vater: »So groß ist ja nicht einmal Dein
27 Vgl. etwa: »auch ich glaube, Du seist gänzlich schuldlos an unserer Entfremdung. Aber
ebenso gänzlich schuldlos bin auch ich« (NSF 11, 144f.).
262
Manfred Engel
MiJ3trauen gegen andere, wie mein SelbstmiJ3trauen, zu dem Du mich erzo
gen hast« (NSF II, 216). Die letzten zwei Satze des Briefes sind dann nur
noch der ganz auJ3erliche Versuch, zu einem versi:ihnlichen Ende, sozusagen
zu einem Formelkompromiss zu finden - recht eigentlich ist der Text in
seiner Argumentationsstrategie, der Versi:ihnung von Anklage und Frei
spruch und dem Wechsel von der Parteien-Rolle in die des tiberparteilichen
Richters, bereits auf allen drei Reflexionsebenen gescheitert (was auch ein
Grund dafur sein mag, <lass Kafka den Brief nie abgeschickt hat).
Was ich in dieser tiberknappen Interpretationsskizze zu zeigen versuchte,
ist Kafkas schmerzlich-klare Einsicht, <lass menschliche Interaktionen
zwangslaufig immer wieder zu Machtspielen entarten: Auch scheinbar
neutrale und sogar scheinbar ethisch positive Handlungen bleiben Teil des
Kampfgeschehens, getragen vom Streben der Subjekte nach dem Erreichen
einer Plus-Position. Diesem permanenten Machtkampf kann man auch
<lurch Selbstreflexion nicht entgehen, da diese sofort selbst wieder zur Waf
fe im Kampf wird.
Um meine Ausgangsthese zu belegen, ware nun zu zeigen, wie es dem
Urteil als literarischem Werk gelingt, die »Totschlagerreihe« zu verlassen,
in die der Brief gebannt bleibt. In dem knappen Textraum, der mir noch
verbleibt, ist das nicht zu leisten - schon gar nicht wenn man die frustrie
renden Interpretationskontroversen bedenkt, die die Erzahlung bis heute
ausli:ist. Ich muss mich also auf ein Minimalargument beschranken: Verges
sen wir fur einen Augenblick die hi:ichst berechtigten Einwande gegen eine
einseitig biographistische Lesart von Kafkas Werk und projizieren wir - in
einem kleinen Gedankenexperiment - die beiden Texte tibereinander. Dann
wird uns wohl sofort ein zentraler Unterschied zwischen den beiden Si:ihnen
auffallen: Kafka ist charakterisiert <lurch einen tibersteigerten man ki:im1te
durchaus sagen: pathologischen - Selbstreflexionszwang; Georg Bende
mam1 kellilZeichnet dagegen eine mindestens ebenso tibersteigerte, mindes
tens ebenso pathologische Unfahigkeit zu jeder Form von distanzierender
Selbstreflexion. Dern Text selbst aber ist diese - dem Heiden konsequent
verweigerte - Selbstreflexivitii.t <lurch eine Reihe poetologischer Kunstgrif
fe sehr wohl eingeschrieben: etwa (um nur zwei Beispiele zu nennen) in der
Figur des Freundes als mittelbarer, quasi objektivierter Selbstreflexionsin
stanz oder in Kafkas besonderer Variante des personalen Erzii.hlens, die uns
alles Geschehen zwar nur aus dem Wahrnehrnungs-, Wissens- und Deu
tungshorizont des Heiden prii.sentiert, dem Leser aber zugleich immer wie
der Indizien dafur liefert, <lass diese Perspektive nicht einfach geteilt, son
dem kritisch hinterfragt werden muss. Eben das ist die »hi:ihere Art« von
»Beobachtung«, zu der, nach Kafkas Meinung, nur die Literatur fahig ist
und die daher wesentlich ihr kunstmetaphysisches Potential begri.indet.
Franz Kafka und die Weltliteratur
Herausgegeben von
Manfred Engel und Dieter Lamping
Vandenhoeck & Ruprecht
Inhalt
Manfred Engel und Dieter Lamping: Vorwort .................................... .
7
Dieter Lamping: Franz Kafka als Autor
der Weltliteratur. Einführung ............................................................. ..
9
I. Kafkas Lektüren
Jürgen Söring: Kafka und die Bibel.... ...... ................ ...........................
27
Gerhard Neumann: Kafka und Goethe.................................................
48
Walter Hinderer: »Kleist bläst in mich, wie in eine alte
Schweinsblase«. Anmerkungen zu einer
komplizierten Verwandtschaft..............................................................
66
Thomas Anz: Identifikation und Abscheu.
Kafka liest Kierkegaard ....................................................................... .
83
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Hartmut Reinhardt: Vermessene Räume. Adalbert Stifter ein »Lehrmeister« Kafkas? .................................................................. .
92
ISBN 13: 978-3-525-20844-1
ISBN 10: 3-525-20844-8
Manfred Schmeling: Kafka und Flaubert. Perspektive,
Wirklichkeit, Welterzeugung .............................................................. .
109
© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de
Gerhard Lauer: Die Erfindung einer kleinen Literatur.
Kafka und die jiddische Literatur ....................................................... ..
125
Ritchie Robertson:
Kafka und die skandinavische Modeme .............................................. .
144
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk
noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für
Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
H. Kafka-Lektüren
Hans-Gerd Koch: Brods erlesener Kafka.............................................
169
6
Inhalt
Sascha Kiefer: »Wir dürfen lesen, staunen, danken« Tucholsky und Kafka ........................................................................":..
179
Monika Ritzer: Mythos versus Person: Kafka im Blick
Brochs und Canettis.... ........ .... ....... ................ .. .......... ....... ... ... ... .... .......
193
Vivian Liska: Ein Meridian wider die Zeit.
Von Celan zu Kafka.............................................................................
210
Sandra Poppe: Kafka im Kino - Der Proceß
in Orson Welles' filmischer Rezeption................................................
234
Vorwort
Franz Kafka und die Weltliteratur: Das Thema ist nicht neu. 1 Doch ist es
noch längst nicht ausgeschöpft, auch nicht unbedingt richtig bearbeitet
worden, zudem immer wieder aus dem Blick geraten. Dass es nicht unbedingt richtig bearbeitet wurde, mag gerade das umfangreichste einschlägige
Werk belegen: Bert Nagels Monographie Kafka und die Weltliteratur, die
von der Voraussetzung ausgeht, zur »literarischen Ortung eines eigenwüchsigen Dichters wie Kafka« sei eine »typologische Erfassung seines Menschen- und Künstlertums« erforderlich. 2 Von der Textfeme einer solchen
oft nur psychologisierenden, meist essentialistischen Charakteristik, nicht
selten jenseits philologischer Argumentation, ist Nagels Buch, ungeachtet
aller verdienstvollen Hinweise und Belege, methodisch gezeichnet.
Wie sehr das Thema aus dem Blick geraten ist, mag die neuere deutschsprachige Kafka-Forschung verraten. Nicht nur, dass sie zumeist an ganz
anderen Fragen interessiert war: etwa an der materiellen Seite von Kafkas
Schreiben, am Zusammenhang zwischen seinem Werk und seiner Biographie, an seiner kulturellen, zumal jüdischen Identität - sie hat auch oft die
Neigung ausgebildet, den Autor zu einer Gestalt von einzigartiger Größe zu
stilisieren, so dass er sich schon fast wieder als Gegenstand einer werkimmanenten Interpretation anzubieten schien. ·
Franz Kafka und die Weltliteratur: Drei Aspekte des thematischen Komplexes stehen in diesem Band im Vordergrund: Kafkas eigene Lektüren,
Lektüren seiner Texte durch andere Autoren und Kafka als Autor der Modeme. In den ersten beiden Fällen geht es um produktive Rezeptionen, um
Bezugnahmen auf Texte zunächst, die allerdings nicht selten um Bezüge
zwischen Autoren ergänzt werden. Dabei ist Kafka im einen Fall das Subjekt, im anderen das Objekt solcher Lektüren. Im dritten Fall hingegen liegt
der Akzent auf mehr typologischen Aspekten - auf Ähnlichkeiten zwischen
Texten und Autoren, die aufeinander nicht Bezug genommen haben, denen
aber die Teilhabe an der Modeme gemeinsam ist.
III. Kafka und die literarische Moderne
Manfred Engel: Kafka.und die Poetik der klassischen Modeme.........
247
Gerald Gillespie: Nein oder Ja: Kabbalistische Züge in den
Romanen von Kafka und Joyce............................................................
263
Karl Richter: Der erschwerte Vergleich. Kafka und die
moderne Parabolik.................................................................................
276
Rüdiger Görner: Nach dem Sinn. Amerika oder das
Selbstverständliche im Absurden.........................................................
291
Dorothea Lauterbach: »Unbewaffnet ins Gefecht« - Kafka im
Kontext der Existenzphilosophie..........................................................
305
John Neubauer: Zitiert und vorzitiert. Kafka und die Vaterbilder
bei Danilo Kfä und Peter Esterhazy......................................................
326
Rüdiger Zymner: Coetzee und Kafka...................................................
339
Esther Kraus: Auswahlbibliographie...................................................
351
Siglen- und Abkürzungsverzeichnis.....................................................
379
l Vgl. dazu insbes. Bert Nagel, Kafka und die Weltliteratur. Zusammenhänge und Wechselwirkungen. München 1983 (Winkler Literaturwissenschaft). Zahlreiche Hinweise zu dem Thema
gibt auch Hartmut Binder, Franz Kafka. Leben und Persönlichkeit. Ungekürzte, revidierte Fassung
der Kafka-Biographie aus dem ersten Band des von Hartmut Binder 1979 im Alfred Kröner Verlag
hg. Kafka-Handbuchs. Sonderausgabe aus Anlaß von Kafkas 100. Geburtstag am l. Juli 1983.
Stuttgart o.J. [1983].
2 Nagel (Anm. 1), S. 12 .
._