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in und wieder trifft man im vermessungstechnischen Außendienst auf ungewöhnliche
Grenzsteine. Die Verwirrung ist perfekt, wenn laut Katasternachweis an der Stelle über-
haupt kein Stein stehen dürfte. Wer weiß schon, dass eine einfache Grenzpunktabmarkung vor
100 Jahren noch gar keiner Dokumentation bedurfte? Ein vermessungshistorischer Streifzug
gewinnt dann plötzlich Relevanz für den richtigen Umgang mit derartigen Fundstücken.
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Ein Grenzstein?
Die Mitarbeiter eines brandenburgischen ÖbVI- Büros staunten
nicht schlecht, worauf sie da am Rande von Teltow südlich von
Berlin gestoßen waren.
Bei einer Grenzuntersuchung im Rahmen einer Liegenschaftsvermessung hatten sie einen recht ungewöhnlich aussehenden
Zementstein zutage befördert. Dem guten Erhaltungszustand
nach und allein schon wegen des »modernen« Materials ordnete man das aus der Erde geholte Objekt nach genauerer Begutachtung den 1950er- bis 1970er-Jahren zu. Nicht nur wegen
der doch recht ungewöhnlichen Form, sondern auch weil es für
das betreffende Flurstück außer der Gemarkungsurkarte überhaupt keinen neueren Katasternachweis – schon gar nicht aus
dieser Zeit – gab, vermutete man, dass es sich wohl doch um
etwas anderes als um einen Grenzstein handeln müsse. Wobei
der Zementstein trotz seiner ungewöhnlichen Form zumindest
im oberen Bereich dann doch wieder an einen Grenzstein erinnerte. Aber was hatte es dann mit der unter dem Stein in die
Erde eingelassenen rechteckigen Betonplatte auf sich? Andererseits stand der mysteriöse Stein nicht einmal einen halben
Meter von der nach der Gemarkungsurkarte digitalisierten Grenzpunktkoordinate entfernt.
Fragen über Fragen. Und so wendete man sich schließlich an
die BDVI-Landesgeschäftsstelle, ob denn so ein ungewöhnlicher
Stein bereits in anderen Fällen aufgefunden worden sei und
was schlussendlich von diesem zu halten sei.
Follower-Power
Auch hier bereitete der außergewöhnliche Fund zunächst Kopfzerbrechen. Aber wozu hat man schließlich einen Twitter-Account? Flugs das Grenzstein(?)-Foto den Followern zur Kenntnis gegeben und kurz darüber berichtet. Ziemlich schnell stellte
sich die eigentlich gar nicht ernsthaft in Betracht gezogene
Antwort ein:
Magnino
Über den ehrwürdigen Berufskollegen namens Magnino, der
offenbar häufiger so ungewöhnliche Grenzsteine in die Welt
setzte, müsste sich doch etwas mehr herausfinden lassen. Erster Anlaufpunkt dafür ist das brandenburgische Vermessungsportal LiKa-Online, in dessen Automatisiertem Liegenschaftsnachweissystem (ANS) sämtliche historischen Vermessungsrisse
bereitgehalten werden. Und in der Tat, nur wenige Flurstücke
weiter war unser Magnino tätig und hat Vermessungsschriften
hinterlassen, in denen er zudem zu erkennen gab, in Berlin-Steglitz ansässig zu sein. Somit führt der nächste Rechercheschritt
zum online verfügbaren Berliner Branchenverzeichnis, in dem
H. Magnino bis zum Jahre 1935 unter der Anschrift Düppelstraße 39a, II. Etage, als vereideter Landmesser vertreten ist |1|.
Den Beginn seiner beruflichen Laufbahn kann man der »Zeitschrift für Vermessungswesen« (ZfV) von 1898 entnehmen, wo
er unter seinem vollen Namen Hubert Adolf Magnino in der
»Nachweisung derjenigen Landmesser, welche die Landmesserprüfung im Frühjahrstermin 1898 bestanden haben«, erscheint
(S. 210). Dass der Raum südlich von Berlin einen Tätigkeitsschwerpunkt Magninos darstellte, belegt der vom Teltower Heimatverein in Auszügen veröffentlichte Verwaltungsbericht der Stadt
Teltow 1914-1928 |2|, in dem es heißt: »Durch die zahlreichen
Geländeaufteilungen an verschiedenen Stellen konnten sich
die städtischen Körperschaften der erneuten Aufstellung eines
Fluchtlinienplans für die gesamte Gemarkung nicht verschließen
und es wurde daher im Rechnungsjahr 1928 dieser Auftrag dem
vereideten Landmesser Magnino erteilt. Es ist zu erwarten, daß
die Arbeiten im Jahre 1930 zu Ende geführt werden.«
Wer hat’s erfunden?
Also doch ein Grenzstein? Ein Magnino-Grenzstein? Doch wer
oder was ist Magnino? Auf die Nachfrage, was denn »Magnino«
mit diesen Steinen zu tun habe, ließ die Antwort des twitternden ÖbVI aus Potsdam nicht lange auf sich warten:
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Während damit geklärt ist, wer in der Teltower Umgebung für
die besondere Abmarkung verantwortlich war, bleibt noch offen, wer die außergewöhnlichen Grenzsteine erfunden bzw. hergestellt hat. Die Lösung dieser Frage hält ebenfalls die ZfV
bereit. Der mit etwa 500 Zeitschriftenaufsätzen und einigen
Fachbüchern zur Praxis des Vermessungsingenieurs um die Jahrhundertwende als illustrer Vielschreiber bekannte Berliner
Geodät Alfred von Abendroth |3| lüftet in einem
ZfV-Beitrag von 1900 »Ueber kleinere Stadtvermessungen« (S. 431 f.) das Geheimnis. Hier sowie
in seinem in zwei Auflagen erschienenen bekanntesten Werk »Der Landmesser im Städtebau« von
1901 macht Abendroth regelrecht Werbung für die
»bekannten Normalgrenzsteine des Herrn Steuerinspector Schmeisser (D. R. Patent)«. Gut möglich,
dass Landmesser Magnino auf diese Weise von diesen Grenzsteinen erfahren und sie fortan seinen
Klienten nachdrücklich empfohlen hat.
Konrad Schmeißer
Für den nun als »Erfinder« ausgemachten Schmeißer lassen sich ohne große Mühe umfassende biografische Angaben zusammentragen. Die vom Bad
Hersfelder Stadtarchiv mitgeteilte Sterbeurkunde
(Nr. 220/1915) gibt nicht nur Auskunft über dessen Ableben am Nachmittag des 21. September
1915, sondern zugleich darüber, dass Konrad Otto
Schmeißer am 19. Februar 1850 zu Kassel als Sohn
des Vorstehers der Hof- und Waisenhaus-Buchdruckerei Christian Friedrich Schmeißer geboren
wurde. Hinsichtlich der beruflichen Stationen leistet die vom ehemaligen Leiter des Katasteramts
Cloppenburg Dipl.-Ing. Helmut Meyer in jahrelanger Kleinarbeit bearbeitete Zusammenstellung der
dienstlichen Lebensläufe von etwa 3.200 Angehörigen der preußischen Katasterverwaltung von
1875 bis 1940 wertvolle Dienste. Anhand der Handbücher über den Königlich Preußischen Hof und
Staat, der Nachweisung der im Preußischen Staate
angestellten Katasterbeamten (Reiss, Liebenwerda,
4. Aufl. 1900), der Personalnachrichten in ZfV, AVN
und Amtsblättern ergeben sich danach folgende
beruflichen Stationen:
14.9.1867 Landmesserbestallung
23.12.1871 Katastersupernumerar
1.6.1877
Katasterassistent in Merseburg,
Prov. Sachsen
1878
Katasterkontrolleur in Birnbaum
(Mie˛dzychód), Prov. Posen
1879
Katasterkontrolleur in Querfurt,
Prov. Sachsen
1885
Katasterkontrolleur in Hersfeld,
Prov. Hessen-Nassau
1.12.1891 Ernennung zum Steuerinspektor
Branchenverzeichnis im Berliner Adressbuch 1935
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Über die »Erwerbsbiografie« hinaus ist der nicht unbedeutende Umstand zu erwähnen, dass Schmeißer bei der Wahl zum
10. Deutschen Reichstag des Kaiserreichs am 16. Juni 1898 als
Direktkandidat der Nationalliberalen Partei (NLP) im Wahlkreis
Hersfeld/Rotenburg/Hünfeld des preußischen Regierungsbezirks
Kassel antrat |4|. Außerdem ist bekannt, dass Schmeißer 1910
(zum 60. Geburtstag?) der Rote Adlerorden IV. Klasse verliehen
wurde (ABl. Reg. Cassel, S. 188).
Wer schreibt, der bleibt?
Noch in seinen frühen Jahren als Katasterkontrolleur zu Querfurt war Schmeißer »literarisch« tätig. 1881 erschienen im Selbstverlag seine Lehrbücher »Die Analysis für Jünger und Freunde
der Mathematik« (124 S.) sowie »Analytische Geometrie für Jünger und Freunde der Mathematik« (144 S.). Laut Friedrich Robert
Helmert, der beide Schriften in der ZfV besprach, erhielt der
Autor die Anregung dazu durch den Unterricht seines ehemaligen Lehrers Dr. Heinrich Burhenne (1805-1876) an der Höheren Gewerbeschule (Polytechnikum) in Kassel.
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Ob den Veröffentlichungen Erfolg beschieden war, ist ungewiss.
Jedenfalls war die Besprechung Helmerts in der ZfV von 1881
(S. 441) mehr als zurückhaltend, wenn dieser bemerkte, dass
man nicht erwarten dürfe, »dass das kleine Werkchen eine umfangreiche, tiefgehende Behandlung bietet«. Der Abschnitt über
Gleichungen sei allerdings »so fasslich geschrieben und durch
zahlreiche zum Theil recht interessante Beispiele erläutert, dass
hier das Verständnis nicht ausbleiben kann«. Zur »Analytischen
Geometrie« äußerte sich Helmert weit kritischer und bezweifelte
gar, ob hier der Verfasser »etwas für Leserkreise der Praxis Geniessbares geschaffen hat« (ZfV 1882, S. 69).
Und so ist es wohl kein großer Verlust, dass Schmeißers erste
Publikation zur Analysis weltweit nur noch in zwei Bibliotheken
in Berlin und Straßburg nachzuweisen ist und die Folgeveröffentlichung zur analytischen Geometrie sogar nur noch in
einem einzigen, wenn auch über US-Proxy digital verfügbaren
Exemplar an der Universität Harvard |5|.
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Patentanmeldung
Die Erfindung des zweiteiligen Normalgrenzsteins sicherte
Schmeißer dann doch noch den Eingang in die Annalen des
deutschen Vermessungswesens.
Dem Hinweis Abendroths auf ein dem Steuerinspektor Schmeißer
für seine Grenzsteinerfindung erteiltes Patent folgend, liefert
eine Online-Recherche beim Deutschen Patent- und Markenamt
zunächst die Erkenntnis, dass es in der internationalen Patentklassifikation eine eigene Untergruppe für Grenzmarken (G01C15/
04) gibt, die zudem noch insgesamt 1.564 Einträge aufweist. Darin findet sich unter der Reichs-Patent-Nr. 109385 dann auch das
gesuchte Patent, wenn auch nicht von seinem Erfinder selbst,
sondern vom ortsansässigen Hersteller Georg Börner (18571912), Gründer und Inhaber einer Dachpappen- und Zementwarenfabrik (heute GEORG BÖRNER – Chemisches Werk für
Dach- und Bautenschutz GmbH & Co. KG) geltend gemacht.
Gegenüber der tatsächlich fabrizierten Ausführung lag dem Patent ein zweiteiliger Grenzstein ohne die charakteristischen seit-
lichen Ausbuchtungen zugrunde, sodass sich ein weiter gehender Patentschutz für das zugrunde liegende Prinzip ergab. Der
Patentanspruch umfasste die Kombination von einem »Grenzstein, bestehend aus einer kugelig ausgehöhlten, in der Mitte
durchbohrten Grundplatte B, welche vollständig in die Erde versenkt wird und deren Mitte den Grenzpunkt bezeichnet, und einem in die Höhlung eingesetzten, über die Erdoberfläche hervorragenden Steine von üblicher Form, welcher bei starken Stößen
auf der Grundplatte sich drehen kann, ohne letztere aus ihrer
Lage zu bringen«.
Weitere Patente für Österreich-Ungarn (Pat.-Klasse 19b, Nr.
4406), Belgien, Luxemburg und die Vereinigten Staaten erwarb
Schmeißer dann selbst. Dem US-Patent Nr. 655377 vom 7. August 1900 |6| stellt er seine Urheberschaft auf die übliche pathetische Weise voran: »Be it known that I, KONRAD SCHMEISSER,
a subject of the German Emperor, and a resident of Hersfeld,
Germany, have invented certain new and useful Improvements
in Posts for Boundaries, of which the following is a specification.«
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Kugelförmige Basis des Grenzsteins (A)
punkt einen 1 cm starken eisernen Stab senkrecht so tief in den
Erdboden ein, daß er ungefähr 10 bis 15 cm unter die Unterkante
der zu setzenden Grenzplatte B reicht. Alsdann entfernt man
den Erdboden bis zu der Grundfläche, auf welcher die Grenzplatte stehen soll, nimmt die Grenzplatte in die Höhe und führt
sie durch das Loch c e an dem Eisenstabe bis zur Grundfläche
und bedeckt sie mit Erde o. ä. Zieht man jetzt den Eisenstab
heraus, so stimmt die Mitte des Loches c e in der Grenzplatte
mit dem gegebenen Grenzpunkt überein. Der Grenzstein A wird
einfach mit der Halbkugel b c d in die Ausrundung der Grenzplatte eingeführt, senkrecht gestellt und sodann mit Erde festgestampft.«
Patentlizenzen
Freigelegte Grenzplatte (B)
Vordenker
Der Gedanke, Zementsteine als Vermarkungsmaterial zu verwenden, war nicht neu. Bereits 1872 hatte der Geometer Fecht
in Stuttgart im ersten Jahrgang der ZfV einen »Vorschlag zur
Einführung eines einheitlichen Grenz-Marcksteins aus Cement«
veröffentlicht und dabei bemerkt: »Bewährte Cementfabrikanten haben mir auf das Bestimmteste versichert, solche Steine
mit vollständiger Garantie der Unverwitterlichkeit und um einen
Preis herstellen zu können, welcher unter dem der Herstellung
solider, behauener Sandstein- &c. Marksteine stehe, nämlich
um eine oder höchstens anderthalb Mark per Stück« (S. 73).
Schmeißer hat diesen Gedanken aufgegriffen und um den entscheidenden Aspekt der Grenzplatte mit Kugelgelenk erweitert.
Dass Schmeißers Idee überzeugte und offenbar ein durchschlagender Erfolg wurde, zeigt sich schon daran, dass deutschlandweit etwa 20 Zementwarenhersteller in die Lizenzfertigung einstiegen. Für das Königreich Württemberg war dies z. B. der heute
noch bestehende Hersteller Schwenk in Ulm. Die Düsseldorfer
Zementwarenfabrik C. M. Bardorf wiederum belieferte neben
ihrem deutschen Kunden zugleich die benachbarten Niederlande mit Patentgrenzsteinen |7|, während für Böhmen mit der
Zementwarenfabrik Anton Großmann in Aussig (Ústí nad Labem)
ein eigener Vertragspartner für die Lizenzfertigung aktiv wurde.
Von der für den thüringischen und westsächsischen Raum konzessionierten Zementwarenfabrik Dannenberg & Stoss in Langenberg bei Gera hat sich eine doppelseitige Werbeanzeige erhalten
(s. Abbildung) |8|. Daraus geht hervor, dass ein Grenzstein bei
der Abnahme von 400 Stück mit 1,10 Reichsmark ab Empfangsbahnhof zu Buche schlug.
Die Grenzsteine wurden, soweit keine anderen Maße verlangt
wurden, in einer Länge von 50 cm und einer Breite von 15 cm
angeboten. Für mit Tiefkultur bewirtschaftete Ackerflächen
waren größere Längen (60 cm oder 75 cm) verfügbar. Darüber
hinaus konnten die Grenzsteine für den Einsatz bei Dreiecks-,
Polygon- oder Fluchtlinienpunkten auch in roter Steinfarbe
geliefert werden.
Rezeption
Patentrezept
Schon im deutschen Patenttext wird als Vorteil der Erfindung
besonders herausgestellt, dass in den mit vorliegenden Grenzsteinen markierten Gemarkungen künftig kaum noch Grenzstreitigkeiten und Grenzfeststellungen vorkommen würden.
Die Verwendung des neuartigen Grenzsteins wird im Patent folgendermaßen beschrieben: »Um den Grenzstein genau auf den
gegebenen Grenzpunkt zu setzen, treibt man auf den Grenz-
Der Werbeprospekt der Lizenzinhaber Dannenberg & Stoss unterstreicht dies noch und ergänzt werbewirksam: »Der NormalGrenzstein wird deshalb fraglos ein grosser Segen für die Land-
Werbeprospekt der Zementwarenfabrik Dannenberg & Stoss |8|
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Aufteilung der Neubrandenburger Stadtfeldmark (Ihlenfelder Vorstadt), ausgeführt mit Schmeißers Patentgrenzsteinen |9|
wirtschaft sowohl wie überhaupt für alle Grundbesitzer werden.«
In den »Allgemeinen Vermessungs-Nachrichten« (AVN) von 1901
werden diese Vorzüge eindrücklich bestätigt: »Bekanntlich sind
Schmeissers zweitheilige Grenzsteine, nach dem übereinstimmenden Urtheile vieler hervorragender Fachgenossen, geeignet,
die rechtlichen Grundstücksgrenzen durch unterirdische und
ebenerdige unzerstörbare Zeichen dauernd zu vermarken, und es
wäre sehr zu wünschen, wenn diese segenbringende Neuerung
überall zur Einführung gelangte« (S. 216). Ergänzend berichtete
der bei der Spezialkommission Hersfeld tätige Landmesser Kramer über seine positiven Erfahrungen in der zusammengelegten
Feldmark Unterhaun: »Da ein Loch im Erdboden genau dieselben
Dimensionen haben muss wie das andere, so ist die Erdmassenbewegung beim Setzen der ganz gleichmäßigen Normal-Grenzsteine eine viel einfachere wie bei ungleichmässigen Naturgrenzsteinen. Es kann bei diesem sehr praktischen Verfahren von vier
Arbeitern annähernd täglich so viel geleistet werden wie sonst
von acht Arbeitern« (AVN, 1902, S. 233 f.). Zur Zentrierung der
Unterlagsplatte empfahl er dabei, anstatt der im Patent vorgeschlagenen Eisenstange ein langes Brett mit einem Loch in der
Mitte zu verwenden, mit dessen Hilfe ein Grenzpunkt leicht
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fixiert und dann abgelotet werden kann. Für Nordböhmen teilte
der Vermessungsingenieur Franz Josef Frank, Stadtgeometer von
Teplitz-Schönau (Teplice) in der »Österreichischen Zeitschrift
für Vermessungswesen« von 1905 (S. 298-302) mit, dass diese
Grenzsteine u. a. bei der Österreichisch-ungarischen Staatseisenbahn-Gesellschaft, der Aussig-Teplitzer Eisenbahn sowie den
Stadtgemeinden Aussig und Teplitz-Schönau eingeführt seien
und sich sehr gut bewähren würden. Zuvor waren Schmeißers
Patentgrenzsteine bereits von C. W. Hoffmann in der niederländischen »Tijdschrift voor Kadaster en Landmeetkunde« (1902,
S. 161 ff.) nachdrücklich zum Gebrauch empfohlen worden.
In hiesigen Gefilden muss man in der Stadt Neubrandenburg
in Mecklenburg-Vorpommern recht gute Erfahrungen mit
Schmeißers Grenzsteinen gemacht haben, da diese dort laut
Mitteilung eines ortsansässigen ÖbVI bei den Stadterweiterungen nach der Jahrhundertwende großflächig zum Einsatz kamen.
Insbesondere der 1911 im Herzogtum Mecklenburg-Strelitz öffentlich vereidete Landmesser Otto Hauck (*1881) setzte bei den
planmäßigen Parzellierungen der Stadtrandlagen konsequent
auf jene Steine. Noch Mitte der 1930er-Jahre hat er bei der Erschließung der groß angelegten Eigenheimsiedlungen der Meck-
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lenburgischen Heimstätten GmbH durchweg Schmeißers Normalgrenzsteine eingesetzt. Der gesetzlich auf 15 Jahre beschränkte Patentschutz war zu jener Zeit längst ausgelaufen.
Relikte
Angesichts dieser Resonanz und Aufnahme von Schmeißers
Erfindung sollte man eigentlich noch viel, viel häufiger auf
dessen Patentgrenzstein stoßen. Dass dies beileibe nicht so ist,
dürfte in erster Linie wohl daran liegen, dass zumeist überhaupt
keine Veranlassung besteht, einen in Übereinstimmung mit dem
Katasternachweis vorgefundenen Stein erst einmal auszugraben
und gründlicher in Augenschein zu nehmen. Wo aber ein Zementbetonstein sitzt, der Katasternachweis aber entweder gar
keinen oder z. B. einen Feldstein nachweist, kann man bei der
dann eventuell angezeigten Nachschau durchaus auch auf einen solchen Stein stoßen.
Wie es der Zufall wollte, ergab sich anlässlich der Nachfrage
beim FORUM-Chefredakteur, ob ein Beitrag zu einem Patentgrenzstein ins Portfolio dieser Zeitschrift passen und gewünscht
würde, dass sich der im Hauptberuf als ÖbVI in Bad Belzig tätige
Kollege vor Kurzem selbst mit der Frage konfrontiert sah, was
er da für einen merkwürdigen Zementgrenzstein freigelegt hatte. Prompt war der bislang noch gar nicht zu Papier gebrachte
Beitrag auch schon akzeptiert.
Abmarkung ohne Nachweis
Die beiden jüngsten Grenzsteinfunde in Fredersdorf bei Bad
Belzig sowie in Teltow verbindet ein merkwürdiger Aspekt. Obwohl jene für die Ewigkeit bestimmten Abmarkungen offensichtlich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts vorgenommen
wurden, existieren dafür keinerlei historische Nachweise im
Liegenschaftskataster, sondern es liegen jeweils nur deutlich
ältere Gemarkungsurkarten bzw. Separationskarten als Katasternachweise vor. Kann das ein Zufall sein?
Die Lösung ist so überraschend wie einfach: Es gab bei diesen
Abmarkungen schlichtweg keine Veranlassung zur Anfertigung
von Vermessungsschriften. In dem vollkommen an der Grundsteuergesetzgebung von 1861 ausgerichteten preußischen Kataster war es nicht vorgesehen, bloße Veränderungen in der
Grenzabmarkung fortzuschreiben. Die (Neu-)Abmarkung der
Grenzpunkte war für Grundsteuerzwecke ganz und gar bedeutungslos. Demzufolge bedurfte es nach der Anweisung II für
das Verfahren bei den Vermessungen zur Fortschreibung vom
21. Februar 1896 bei der ausschließlichen Abmarkung von Grenzpunkten weder einer Anerkennung noch überhaupt jeglicher
Dokumentation in Form von Messungsschriften.
Dies änderte sich erst infolge des Urteils des Reichsgerichts vom
12. Februar 1910. Nachdem zum 1. Januar 1900 zunächst das
Grundbuch auf das Steuerkataster zurückgeführt worden war,
hatte das Reichsgericht in Leipzig nunmehr klargestellt, dass die
Bestandsangaben des Katasters am öffentlichen Glauben des
Grundbuchs teilhaben. Dies veranlasste die preußische Katasterverwaltung dazu, mit den Ergänzungsvorschriften vom 21. Februar 1913 u. a. die Vermarkung der Eigentumsgrenzen von der
Anerkennung der Beteiligten abhängig zu machen (Nr. 48). Eine
Dokumentationspflicht für alleinige Abmarkungen war damit
allerdings noch nicht verbunden.
Erst nach dem Runderlass II. 369 des Finanzministers vom 9. März
1916 sollte bei reinen Grenzfeststellungen von den Vermessungskundigen im freien Berufe darauf hingewirkt werden, dass die
Beteiligten einen Antrag auf Übernahme ins Kataster stellen.
Verbindlich wurde dieses Ansinnen dann mit der Neufassung
der Anweisung II vom 17. Juni 1920 durch die Einfügung des
Abschnitts XII »Grenzherstellung«.
Seitdem waren »Messungen, die lediglich auf die Feststellung,
Wiederherstellung oder Vermarkung von Eigentumsgrenzen,
nicht aber auf die Veränderung der Form eines Grundstücks abzielen, […] wie die sonstigen Fortschreibungsvermessungen zu
behandeln« (Nr. 231). Dies schloss insbesondere ein, nun auch
die Ergebnisse dieser Vermessungsarbeiten in das Kataster zu
übernehmen, wozu Messungsschriften nach Nr. 6 der Anweisung II beizubringen waren. In erster Linie betrifft dies das Feldbuch sowie die Grenzverhandlung. Die ansonsten erforderlichen
Ergänzungskarten waren nach der Verfügung des preußischen
Finanzministers vom 12. Mai 1921 bei der Übernahme der Grenzherstellungsergebnisse nur in Ausnahmefällen beizubringen
(FMBl. 1921, S. 251).
Ähnliche Vorgaben wurden z. B. 1922 in Anhalt und 1930 in
Thüringen eingeführt, während in Sachsen bei Grenzermittlungen nach wie vor keine Messungsschriften abzugeben waren
(ZfV 1931, S. 57).
Grenzermittlung und Fortführung
Vor dem Hintergrund, dass in Preußen erst ab 1920 isoliert vorgenommene Abmarkungen im Kataster nachzuweisen waren,
kann es keinen Bedenken unterliegen, im Einzelfall auch vorgefundene ältere Grenzsteine bei der Grenzermittlung zu berücksichtigen, für die es keine Entstehungsnachweise gibt. Die
Grundlage dafür vermittelt § 26 Verwaltungsverfahrensgesetz:
Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält.
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Alles O.K. im ALKIS®-OK?
Für den Praktiker bleiben dann noch quälende Detailfragen zu
klären, etwa ob der im Kataster noch nicht nachgewiesene Stein
in den Vermessungsschriften rot oder schwarz oder rot und
schwarz darzustellen ist und vor allem – sofern man in einem
Bundesland mit ambitioniertem Katalog der Abmarkungsarten
ansässig ist – welches ALKIS®-Attribut überhaut zu dieser exotischen Abmarkungsart passt. Am besten wäre es, wenn das Attribut abmarkung_Marke (ABM) des AX_Grenzpunkt-Objekts
dazu gleich um einen eigenen Werte-Eintrag im ALKIS®-Objektartenkatalog ergänzt werden würde. Denn in Zeiten, in
denen alle möglichen Sachinformationen in ALKIS®-Objekten
abgebildet werden, sollte doch wenigstens eine Möglichkeit
bestehen, noch vorhandene Patentgrenzsteine im Sinne einer
angemessenen Würdigung ihres Erfinders nachzuweisen. Wie
wäre es hier mit »Schmeißerscher Patent-Normal-Grenzstein
mit Unterlagsplatte« als passender Attributbezeichnung? Als
zugehöriger Wert wäre die 1191 als hierarchische Untergliederung des mit 1190 ausgewiesenen »Steins mit Besonderheiten
in Form oder Material« noch frei. AdV, übernehmen Sie! Bei rund
100 unterschiedlichen Wertearten für die »Marke zur dauerhaften Kennzeichnung von Grenzpunkten« kommt es auf eine
mehr oder weniger nicht an.
Dennoch bleibt für den Grenzverlauf der Katasternachweis bindend. Wurden bei der Abmarkung der Grenzpunkte keine Katasterzahlen erfasst und liegen auch sonst keine älteren verwendbaren Katasterzahlen vor, ist die Grenzermittlung anhand
der historischen Liegenschaftskarte vorzunehmen. Indem das
Katasterrecht aber gewisse Ungenauigkeiten des historischen
Katasternachweises hinnimmt |10|, sind vorgefundene Grenzzeichen im katastertechnischen wie katasterrechtlichen Sinne
stets als »richtig« anzusehen, wenn sie die übertragenen Grenzpunkte im Rahmen der nicht vermeidbaren Fehlertoleranzen
zutreffend anzeigen. Nichts anderes kann für ohne Nachweis
abgemarkte Zwischengrenzpunkte (Läufersteine) gelten. Für
Brandenburg eröffnet § 15 Abs. 3 BbgVermG zudem die Möglichkeit, dass vorgefundene, aber noch nicht im Liegenschaftskataster nachgewiesene Grenzzeichen als Kennzeichnung der
Grenze genutzt werden können und mit der Entscheidung der
Vermessungsstelle erstmalig die mit der Abmarkung verbundene Rechtswirkung erhalten. Innerhalb der zulässigen Toleranzgrenzen vorgefundene Grenzzeichen können somit ungeachtet
ihrer Herkunft mit ihren örtlich ermittelten Grenzpunktkoordinaten ins Liegenschaftskataster eingeführt werden.
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Anmerkungen/Quellen
|1| http://digital.zlb.de/viewer/!image/10089470_1935/3394/-/
|2| http://heimatverein.teltow.de/fileadmin/pdf/Juni-Juli-2013/
Juniheft_2013-3.pdf
|3| Brennecke, Erich, »Abendroth-Obentraut, Andreas Alfred von«,
in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 16-17; Online-Version:
https://www.deutsche-biographie.de/gnd125808305.html#
ndbcontent
|4| http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00002783/image_568
|5| http://stabikat.sbb.spk-berlin.de/DB=1/XMLPRS=
N/PPN?PPN=448636395; http://www.sudoc.fr/161268463;
http://www.worldcat.org/oclc/78282069,
https://books.google.com/books?id=bXgLAAAAYAAJ
|6| http://www.google.com/patents/US655377
|7| Tijdschrift voor Kadaster en Landmeetkunde, 1902, S. 168
|8| Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg,
Landratsamt Ronneburg, 2225, Bl. 12
|9| Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, Kataster- und
Vermessungsamt
|10| Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Januar 2003, 7 A 237/02
Dipl.-Ing. Frank Reichert
BDVI-Geschäftsstellenleiter Brandenburg, Meckl.-Vorp., Sachsen-Anhalt
[email protected]