Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
VOLKER MICHAEL STROCKA
Römische Bibliotheken
Mit Tafeln XIII - XXIV
Originalbeitrag erschienen in:
Gymnasium : Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung 88 (1981), S. [298] - 329
Gymnasium 88, 1981
VOLKER MICHAEL STROCKA FREIBURG I. BR.
Römische Bibliotheken*
Mit Tafeln XIII-XXIV
An griechischen oder römischen Bibliotheken ist uns eigentlich
nur eine einzige erhalten geblieben, wenn man unter einer Bibliothek mehr versteht, als die Ruine ihres Gebäudes, womit sich ein
Archäologe ja schon zufrieden gibt. Eine richtige Bibliothek mit
mehr als 1800 Schriftrollen wurde bereits 1754 in der Villa des L.
Calpurnius Piso Caesoninus bei Herculaneum gefunden'. Johann
Joachim Winckelmann war zwar nicht selbst an der Grabung betei* Vorbemerkung: Für Abkürzungen gelten die Regeln der Archäologischen Bibliographie und
des Archäologischen Anzeigers. Im Text wurde die Vortragsform beibehalten. Eine auch nur
halbwegs vollständige Darstellung des komplexen Gegenstandes ist im gegebenen Rahmen
nicht möglich. Deswegen sei die neuere Literatur aufgeführt, welcher der Verfasser viel verdankt, ohne ihr im einzelnen immer zu folgen:
Ch. Callmer, Antike Bibliotheken, OpArch 3, 1944, 145-193, im folgenden: Callmer (Kritische Aufarbeitung des damaligen archäologischen Kenntnisstandes, freilich mit einigen verfehlten Identifikationen).
C. Wendel, Geschichte der Bibliotheken. Das griechisch-römische Altertum, bearbeitet von
W. Göber. Hdb. d. Bibliothekswiss. III 1 2 (1955) 51-145, im folgenden Wendel-Göber (Ausgezeichnete Gesamtdarstellung mit Quellen und Literatur).
J. Platthy, Sources on the Earliest Greek Libraries with the Testimonia (1968) 203 S., im folgenden: Platthy (Nützliche Quellensammlung zu griechischen und römischen Bibliotheken,
allerdings beschränkt auf Griechenland, Kleinasien und Syrien).
C. Wendel, Kleine Schriften zum antiken Buch- und Bibliothekswesen, hrsg. von W. Krieg
(1974) 240 S., im folgenden: Wendel (darin besonders S. 144-164: Die bauliche Entwicklung
der antiken Bibliothek).
J. Tonsberg, Offentlige biblioteker i Romerriget i det 2. ärhundrede e. Chr. (with a Summary)
(1976) 151 S., im folgenden: Tonsberg (Gründliche Darstellung kaiserzeitlicher Bibliotheken,
leider nur auf Dänisch erschienen).
ElAieta Makowiecka, The Origin and Evolution of Architectural Form of Roman Library
(Studia antiqua, 1978) 111 S., im folgenden: Makowiecka (Entwicklungsgeschichte der Bauform römischer öffentlicher Bibliotheken, freilich ohne Kenntnis neuerer Literatur und mit
einigen fragwürdigen Deutungen).
D. Comparetti - G. De Petra, La Villa Ercolanese dei Pisoni. I suoi monumenti e la sua biblioteca (1883, Nachdruck 1972). Katalog der 1826 Rollen und Fragmente: M. Gigante
(Hrsg.), Catalogo dei Papiri Ercolanesi (1979). Zum Besitzer der Villa: H. Bloch, AJA 44,
1940, 490ff.; J. H. D'Arms, Romans on the Bay of Naples (1970) 173f. Zur Ausstattung der
Villa: D. Pandermalis, AM 86, 1971, 173-209.
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ligt, berichtete aber als einer der ersten darüber. Mir als klassischem Archäologen mag es anstehen, meinen Vortrag mit einem
Zitat des Gründerheros meines Fachs zu beginnen. Winckelmann
schreibt: „Der Ort, wo dieselben [nämlich die Schriftrollen] zum
Vorschein kamen, war ein kleines Zimmer in der oben gemeldeten
Herculanischen Villa, welches zween Menschen mit ausgestreckten
Armen überreichen konnten. Rundherum an der Mauer waren
Schränke, wie in den Archiven zu sein pflegen, in Manneshöhe,
und in der Mitte im Zimmer stand ein anderes solches Gestelle für
Schriften auf beiden Seiten, so daß man frei umhergehen konnte" 2•
Die Beschreibung ist uns darum so wertvoll, weil wir den Fundort
heute nicht mehr betreten können. Die ausgedehnte Villa, die viele
Meter hoch von versteinertem Lavaschlamm bedeckt ist, wurde damals mit Hilfe unterirdischer Gänge ausgegraben oder vielmehr ihres reichen Skulpturenschmucks und eben der in verkohltem Zustand angetroffenen Schriftrollen beraubt und wieder zugeschüttet.
Bis heute ist es nicht gelungen, die wichtige und vielleicht noch immer fündige Anlage freizulegen. Jedenfalls wurde damals von einem Schweizer Architekten ein exakter Grundriß angefertigt, in
dem man auch das Bibliothekszimmer als unscheinbaren Raum
seitlich des kleinen Peristyls entdecken kann. Nach Winckelmanns
Beschreibung und nach der vergleichsweise geringen Größe dieses
Raumes handelt es sich nur um das Magazin der Schriftrollen, die
in Holzregalen längs der Wände und in der Mitte des Raumes untergebracht waren. Wir werden später sehen, daß eigentlich das
ganze Peristyl als Bibliothek anzusehen ist, insofern man in den
Wandelgängen sitzend oder gehend die Rollen studierte oder besprach. Diese Funktion des Peristyls wird durch die dort aufgestellten Skulpturen antiker Dichter unterstrichen. Wertvoll ist Winckelmanns Bericht auch, weil er die Lagerung der Rollen beschreibt.
Eine antike Papyrusrolle, die ja erst im Laufe der Kaiserzeit allmählich durch Pergamentcodices verdrängt wurde, hat gewöhnlich
eine Länge von rund 30 cm und eine Dicke von 5 cm. Diese Rollen,
an denen ein Schildchen mit dem Namen des Autors hing, wurden
liegend, ja in mehreren Reihen übereinander, in den Fächern von
Schränken oder offenen Regalen (armaria oder loculamenta) aufgeschichtet. Ein solches Häuflein von Rollen wird in der Literatur gelegentlich nidus, ein Nest genannt'.
Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen (1762), zitiert nach der Ausgabe Dresden 1792, S. 63.
3 T. Birt, Die Buchrolle in der Kunst (1907); Wendel 64-92 (Der antike Bücherschrank).
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Nicht ein offenes Gestell, sondern einen richtigen Bücherschrank
sehen wir auf dem Relief des Sarkophages eines Arztes aus Rom
(Abb. 1) 4 , der in einem Lehnstuhl sitzt und in einer Schriftrolle
liest, während seine ärztlichen Instrumente auf dem Schrank aufgestellt sind. Dieser Schrank (armarium) zeigt geöffnete Türflügel
und drei Fächer. Auf dem obersten erkennt man insgesamt acht
Rollen, die in drei Reihen aufgeschichtet sind. So ähnlich wie auf
diesem Relief, mehr oder minder prächtig geschmückt und zahlreicher, manchmal in die Wände eingelassen, wird man sich die
Schränke in den Privatbibliotheken reicher oder gelehrter Römer
vorstellen dürfen, wie sie gelegentlich in der lateinischen Literatur
erwähnt werden.
Eine weitere Privatbibliothek, wohl weniger eines Gelehrten als
eines reichen Mannes, zu dessen Lebensstil es gehört haben muß,
eine Bibliothek zu besitzen, nicht anders als in der Villa der Pisonen, scheint in der Casa del Menandro in Pompeji (I 10, 4) erhalten
zu sein (Taf. XIII a.b) 5 . Das Haus besaß in den letzten Jahren vor
der Zerstörung Pompejis, also vor 79 n. Chr., ein gewisser Quintus
Poppaeus Sabinus, der zu derselben sehr begüterten Familie gehörte wie Poppaea, die Frau des Kaisers Nero. In dieser ausgedehnten
Domus liegt hinter dem Atriumteil das rechteckige Peristyl, an das
sich rechts ein Badetrakt und links eine Folge offizieller Empfangsräume anschließt. In der Südostecke befinden sich die Wirtschaftsräume und Stallungen. An der Südseite des Peristyls, also zwischen
den Empfangsräumen und dem Bade, öffnen sich mehrere Nischen, sogenannte Exedren, und eine Kammer auf den Säulengang.
Diese Kammer Nr. 21, die im 1. Jh. v. Chr. nach der Bodengliederung ein Cubiculum mit zwei Ruhebetten gewesen sein muß, wurde
in der letzten Phase mit Holzregalen ausgestattet, deren Befestigungslöcher noch erhalten sind (Taf. XIIIa). Amedeo Maiuri hat
die ansprechende Vermutung geäußert, es handle sich hier nicht
um eine apotheca, einen Lagerraum, sondern um das Magazin einer
kleinen Hausbibliothek. Dies wird besonders nahegelegt durch die
Ausmalung der mittleren der anschließenden Exedren, die, wie
auch anderswo üblich, der ungestörten Lektüre dienen konnten'.
E. Petersen, RM 15, 1900, 171 Abb. 5.
A. Maiuri, La Casa del Menandro e il suo tesoro di argenteria (1933) 84ff.; E. La Rocca - M.
und A. de Vos, Guida archeologica di Pompei (1976) 175ff. 182f.
6 L. Richardson, jr., Archaeology 30, 1977, 397ff. m. Abb., verkennt anscheinend das Datum
der spätneronischen Fresken, wenn er glaubt, die viel älteren Bettstellen in Raum 21 seien
Aussparungen für große (viel zu tiefe) Bücherschränke gewesen, der Raum sei dann in der
letzten Zeit Pompejis mit Regalen versehen und als Abstellkammer benutzt worden.
4
5
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'illttglA)111; 1 4 .
Abb. 1 Römisches Sarkophagrelief
Auf der westlichen Schmalseite der rechteckigen Exedra sieht man
das große Gemälde des lesenden Dichters Menander, der durch
eine Namensbeischrift und entsprechende Buchstaben auf seiner
Rolle zweifelsfrei bezeichnet ist. Ihm gegenüber saß ein anderer
Dichter auf einem Lehnstuhl, von dem nur der Umriß der Lehne
und des bekränzten Kopfes erhalten geblieben ist. Neben ihm ist an
der Hauptwand ein Tisch mit drei tragischen Masken dargestellt,
neben Menander ein Tisch mit komischen Masken, dazwischen
eine fast ganz verschwundene sitzende Gestalt, vielleicht Bacchus.
Wegen der recht häufigen Gegenüberstellung Menanders als des
bekanntesten griechischen Komödiendichters mit Euripides, dem
meistgelesenen Dramatiker, möchte ich in seinem Gegenüber Euripides erkennen'.
Vgl. K. Schefold, Die Wände Pompejis (1957) 41f.; S. Charitonidist — L. Kahil — R. Ginouves, Les mosaiques de la maison du Menandre ä Mytilene (1970) 100.
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Die beiden Bilder weisen deutlich darauf hin, was in einer literarischen Bibliothek auch im Hause eines Römers zu finden war: Vor
allem griechische Literatur oder ihre lateinische Nachahmung. Ja
auch die Bibliothek als private oder öffentliche Einrichtung ist bei
den Römern ganz nach griechischen Vorbildern angelegt. Wir wissen aus verstreuten Erwähnungen, daß bereits die Peisistratiden im
Athen des 6. Jhs. v. Chr. Bücher sammelten'. Von Platon hören
wir, daß er eine Privatbibliothek besaß 9 . Strabo nennt allerdings
Aristoteles den ersten, der eine systematische Bibliothek aufbaute,
und zwar in seiner Philosophenschule, dem Lykeion 1° . Die berühmteste aller antiken Bibliotheken ist freilich diejenige im Museion von Alexandria". Gegründet wurde sie durch Ptolemaios I.
Soter (322-283) und ausgebaut durch seine Nachfolger, vor allem
Ptolemaios Philadelphos (283-246). Sie besaß zur Zeit des Dichters
Kallimachos im mittleren 3. Jh. bereits 400 000 Rollen, nach späteren Nachrichten soll sie bis zu 700 000 Rollen umfaßt haben. Wir
wissen mehr über die Organisation dieser größten Bibliothek des
Altertums und die Fülle seltener Texte als über die Baulichkeiten,
in denen die Rollen untergebracht waren. Strabo gibt folgende Beschreibung des Museions (XVII 1,8 C 793f.): Tiim & f3acrt,Xeiosv
p.ipos
1ŒTì, Kai, Tö MIYUCTEZOV, gX0V 'TTEIÜTTaTOV K(Xi, W8paV Kai,
11E") UV , £V () Tö CrUCTOiTt,OV T(7)V pLETEX&I T(.0V T0i) MOUOTi3O1)
quXoXirytov 6tv8pciw. „Im Königspalast befindet sich auch das Museion, das einen Säulenumgang, eine Exedra und einen großen Saal
umfaßt, in dem die gemeinsamen Mahlzeiten der zum Museion gehörigen Philologen stattfinden". Es wird auffälligerweise nur der
Säulenumgang, die Exedra als der ruhige Platz für Lektüre oder
Unterricht und ein großer Saal genannt, in dem die Gelehrtensymposien und wohl auch die Festreden und Streitgespräche stattfanden. Nichts erfahren wir über die Aufbewahrung der umfangreichen Bücherschätze. Man muß wohl annehmen, daß die Rollen in
einer Anzahl kleiner Räume längs der Säulenhallen untergebracht
waren. Diese Vermutung wird ja bereits durch die beiden vorgeführten Privatbibliotheken späterer Zeit bestätigt. Ein noch besser
entsprechendes Bild geben die Reste der zweitgrößten antiken Bibliothek, der Rivalin von Alexandria, in Pergamon (Abb. 2) 12 . Bei
0.‘,KOV
,
,
9 Wendel-Göber 58; Platthy 121ff.
8 Wendel-Göber 55; Platthy 97ff.
1 0 Strab. XIII 1,54 p. 608; Wendel-Göber 59ff.; Platthy 126ff.; Callmer 146f.
11 Callmer 148; Wendel-Göber 63ff.; Wendel 172; E. A. Parsons, The Alexandrian Library
(1952).
12 Callmer 148ff.; Wendel-Göber 82ff.; Wendel 18ff. 144f.
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w 0 11
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M
Abb. 2 Pergamon, Bibliothek im Athenabezirk
den deutschen Ausgrabungen vor 100 Jahren' wurden hinter einer
zweischiffigen Stoa auf der Nordseite des Athena-Bezirks die
Grundmauern mehrerer Räume des Obergeschosses dieser an den
Hang gelehnten Anlage aufgedeckt, die aus verschiedenen Gründen für die berühmte Bibliothek in Frage kommen: Athena ist die
Schutzherrin der Wissenschaften, und in ihrem Bezirk auf der Akropolis von Pergamon unmittelbar neben den Palästen der Könige
ist der beste Platz für die Einrichtung der Bibliothek, die von Attalos I. (241-197) gegründet und besonders von Eumenes II. (197-159) ausgebaut wurde. Von demselben Eumenes II. stammt die gesamte Anlage. In der Mitte des größten Raumes befindet sich ein
Podium, auf dem eine weit überlebensgroße hellenistische Athena
Parthenos stand. Daran schließt sich an drei Seiten umlaufend ein
bankähnliches Podium an, auf dem man sich weitere Statuen etwa
von Gelehrten oder Dichtern vorstellen muß. Tatsächlich wurden
im Bereich der Ruine, freilich in späteren Mauern verbaut, die Basen von Bronzestatuen mehrerer antiker Dichter und Historiker ge3
A. Conze, SBBerlin 1884,1259-1270; R. Bohn, AvP 2 (1885) 56-75.
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funden 14 . Der 16 m lange und 13,50 m breite Hauptraum entspricht
zweifellos dem Festsaal, den Strabo im Museion von Alexandria erwähnt. Vor ihm erstreckte sich das Obergeschoß der zweischiffigen
Halle, das genug Platz bot zum Wandeln, Lehren und Lesen. Die
drei kleineren Räume neben dem Saal und hinter dem Peripatos
sind jeweils 13,50 m lang und 7 bzw. 10 m breit. Es muß sich uni
die Magazine der 200 000 Schriftrollen handeln, die uns für Pergamon überliefert sind. Tatsächlich hat man das Fassungsvermögen
dieser Räume, eine enge, magazinartige Lagerung in Holzregalen
die bis zur Decke reichen, vorausgesetzt, auf 136 000 bis, wie erwünscht, 200 000 Rollen errechnet'. Diesen Bautyp einer griechischen Bibliothek mit Säulenhalle, Lesenischen (Exedren), Festsaal
(Oikos) und Magazinräumen wird man auch für die vielen anderen
kleineren hellenistischen Bibliotheken voraussetzen dürfen, die uns
literarisch oder inschriftlich nur dem Namen nach bekannt sind.
Wir werden dem Bautypus auch später noch begegnen. Aus Inschriften wissen wir, daß jedes größere griechische Gymnasion eine
kleine Büchersammlung besaß, ja daß die dort ausgebildeten Epheben, etwa in Athen, jährlich 100 Rollen', die sie vielleicht zuvor
selbst abschreiben mußten, in die Bibliothek ihres Gymnasions zu
stiften hatten. Es mag sein, daß wir in so mancher Gymnasionsruine auch Bibliotheksräume vor uns haben; doch besitzen wir keine
sicheren Indizien, die bescheidenen Magazinräume als Bibliothek
zu identifizieren.
Noch in der mittleren Kaiserzeit findet sich dieser Typus der hellenistischen Bibliothek, etwa im konservativen Athen. Bei den amerikanischen Ausgrabungen der Agora kam in den letzten Jahrzehnten eine kleine Bibliothek südlich der bekannten wiederaufgebauten Attalosstoa zum Vorschein (Abb. 3 und Taf. XIVa) 17 . Sie liegt
an der Straßenecke, die aus dem panathenäischen Weg und der zur
römischen Agora führenden Straße gebildet wird. An Ort und Stelle freilich findet man wenig mehr als die spätrömische Befestigungsmauer, die z. T. aus den Quadern der Bibliothek errichtet
worden ist.
Vgl. T. Lorenz, Galerien von griechischen Philosophen- und Dichterbildnissen bei den Römern (1965) 3f.
15 Callmer 152f. Wendel-Göber bemerken mit Recht, daß der im mittleren 1. Jh. v. Chr. erreichte Bestand von 200000 Rollen keinerlei Argument für die Größe des 200 Jahre älteren
Gebäudes darstellt. 16 IG' 1009. 1029. 1041. 1042; vgl. Wendel 8.
17 Travlos, Athen 432ff. Abb. 549-553; H. A. Thompson - R. E. Wycherley, Agora XIV (1972)
114-116 mit Lit.; T. L. Shear, Jr., Hesperia 42, 1973, 145f. Taf. 30 a.b; 385-389 Abb. 6; The
Athenian Agora. A Guide to the Excavation and Museum (1976) 131ff. Nr. 47.
14
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Abb. 3 Athen, Agora, Bibliothek des Pantainos (47)
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Auf dem in dieser Mauer verbauten Türsturz des Bibliothekseingangs befindet sich eine vollständige Inschrift', aus der wir erfahren, daß unter Kaiser Traj an und zwar, wie aus seiner damals gültigen Titulatur hervorgeht, vor dem Jahre 102 n. Chr. diese Bibliothek von Titos Phlavios Pantainos gestiftet worden ist. Pantainos
bezeichnet sich als „Priester der weisheitsliebenden Musen", eine
mehr poetische als wirkliche Amtsbezeichnung. Sein Vater war
nach derselben Inschrift Phlavios Menandros, der als Diadochos
bezeichnet wird, was in Athen das Oberhaupt einer philosophischen Schule bedeutet. Besonders wird erwähnt, daß die Stiftung
die äußeren Hallen, das Peristyl, die Bibliothek und die Bücher sowie die gesamte Ausstattung des Gebäudes umfaßt. Die Aufzählung der einzelnen Teile ist deswegen so aufschlußreich, weil hier
außer den nach außen gekehrten und mehr zum Straßenverkehr als
zur Bibliothek gehörenden Hallen an erster Stelle das Peristyl als
Kern des Gebäudes und Aufenthaltsraum der Benutzer der Bibliothek genannt wird, dann aber auch die Bibliothek selbst mit den
Büchern.
Die sehr schlecht erhaltenen Grundmauern, aus denen man gerade noch den Plan des Gebäudes ermitteln konnte, ergeben zwei
kleine und einen großen zum Peristyl geöffneten Raum, nicht
mehr. Vielleicht waren die Bücher in den beiden kleineren Räumen
verwahrt, während der größere als Oikos, als Versammlungs- und
Festsaal, zu bezeichnen ist.
Als sehr aktuell empfindet man die dort gefundene, wahrscheinlich am Eingang angebrachte Marmorinschrift (Taf. XIVb) 19 :
f343Xi.ov °in< EvexeficreTat, LYTEi. c'oliöo atiev. äviryficreTatCiTri)
pas irpc;Yriris I.A4pt, gKT1S, die besagt: „Kein Buch wird hinausgetragen, weil wir es geschworen haben. Öffnungszeit von der ersten
bis zur sechsten Stunde."
Am römischen Forum von Philippi in Nordgriechenland findet
sich noch immer derselbe einfache Bautyp': Eine Stoa mit hier nur
drei aufgereihten Räumen, offenbar zwei Büchermagazinen und einem größeren Saal mit umlaufendem Podium, vielleicht der Oikos,
der Festsaal dieser durch eine Inschrift' gesicherten, etwa in der
Mitte des 2. Jhs. n. Chr. gegründeten Stadtbibliothek.
-
T. L. Shear, Hesperia 4, 1935, 330ff. Abb. 119; A. W. Parson, Hesperia Suppl. 8 (1949)
268ff.
19 T. L. Shear, Hesperia 5, 1936, 42 Abb. 40; R. E. Wycherley, Agora III (1957) 150 Nr. 464.
" P. Collart, Philippes, ville de Macedoine (1937) 338f. 349f. Taf. 44; 47,1; Callmer 178ff.;
Tonsberg 87f.
21 P. Collart, BCH 57, 1933, 316ff. Abb. 5.6.
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Bisher haben wir griechische oder zu römischer Zeit im griechischen Osten gelegene Bibliotheken betrachtet, die ihre hellenistische Tradition nicht verleugneten. Wie war es im Westen des Reiches, wie sahen vor allem die Bibliotheken der Hauptstadt Rom
aus?
Die erste Bibliothek, von der wir überhaupt wissen, kam durch
Aemilius Paullus nach Rom. Es war die Palastbibliothek des von
ihm 168 v. Chr. überwundenen Königs Perseus von Makedonien,
die er als Beute seinen eigenen Söhnen schenkte'. Weiter wissen
wir von Privatbibliotheken im Besitz des Sulla, der sie in Athen erbeutet, des Lucullus, der sich diejenige seines Gegners Mithridates
angeeignet hatte, wir lesen von den durch gezielte Käufe und Abschriften zusammengebrachten Gelehrtenbibliotheken eines Cicero, Atticus oder Varro'. Ihre Anlage wird man sich nicht viel anders als die fast gleichzeitige zu Anfang gezeigte Bibliothek der Pisonen-Villa vorstellen. Es ist bezeichnend, daß Cicero das Peristyl
seiner Villa „Lyceum" oder auch „Gymnasium" nennt. Das Bücherzimmer wird an diesem Peristyl gelegen haben.
Cäsar war es, der die erste öffentliche Bibliothek für Rom plante
und dafür den berühmten Gelehrten Varro gewann'. Es sollte eine
repräsentative Büchersammlung sein, in der eine lateinische Abteilung erstmals einer griechischen gegenübergestellt war. Doch der
Plan kam wegen Cäsars Ermordung nicht zur Ausführung. Er wurde erst 39 v. Chr. durch Asinius Pollio im sogenannten Atrium Libertatis verwirklicht. Der Bau muß in der Nähe der Kurie gelegen haben, wir wissen aber nichts über sein Aussehen und die besondere
architektonische Ausbildung der zweiteiligen Bibliothek'.
Die älteste erhaltene Bibliothek in Rom befindet sich bei dem
von Augustus auf dem Palatin in unmittelbarer Nähe seines eigenen Hauses errichteten Apollontempel und wurde um 28 v. Chr.
fertig. Der heutige Zustand muß allerdings eine Erneuerung domitianischer Zeit sein (Abb. 4) 26 . Erhalten hat sich ohnehin nur sehr
' Callmer 154; Wendel-Göber 88ff.; Platthy 140.
23 Callmer 154f.; Wendel-Göber 114f.
' Callmer 156f.; Wendel-Göber 119; Wendel 176.
25 R. Thomsen, OpArch 2, 1941, 206ff.; Callmer 156f; E. Welin, Studien zur Topographie des
Forum Romanum (1953) 179ff.; Ch. Callmer, OpRom 7, 1969, 278. 282f.
' Callmer 157f. Abb. 6.7; Wendel-Göber 119; Tonsberg 22ff. Abb. 5-13; Makowiecka 29ff.
Nach den neuesten Ausgrabungen G. Carettonis (ILN Nr. 6792 vom 4. X. 69, S. 24) befinden
sich die erhaltenen Reste auf einer rund 7 m höheren domitianischen Aufschüttung. Wenn
die augusteischen Bibliotheken an derselben Stelle lagen, dann jedenfalls sehr viel tiefer als
der Apollotempel. Ob Domitian ihre bauliche Gestalt wiederholen ließ, muß bis zu weiteren
Ausgrabungen offen bleiben.
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Abb. 4 Rom, Palatin, Doppelbibliothek
wenig. Aus den im Bild tiefschwarz gezeichneten Resten lassen sich.
immerhin zwei parallele große Säle erschließen, die an einer Portikus gelegen haben und sich durch eine große Anzahl von Nischen
für Wandschränke auszeichnen. In der Achse beider Räume befindet sich eine besonders große Statuennische. Alle Nischen waren
durch ein Podium verbunden, das über Treppchen, die vor jedem
Schrank angelegt waren, zugänglich ist. Diese Konzeption, die
Schränke mit den Rollen dem großen Saal einzuverleiben, ist anscheinend neu und dürfte, da sie im griechischen Osten nicht nachweisbar ist, in Rom bei diesem Gebäude zum ersten Male verwirklicht worden sein'. Büchermagazin und Festsaal sind also
27
So Callmer 159. Vorausgesetzt wird auch von mir, daß die domitianische Anlage die augusteische im wesentlichen wiederholte. In dem nordwestlich an den Apollontempel anstoßenden Haus des Augustus gibt es zwar zwei symmetrisch zum Hauptoikos liegende Räume mit
je einer breiten Mittelnische in der Rückwand und zweimal drei 93 cm breiten, rechteckigen
Wandnischen in den Längswänden, jedoch können diese Räume keine Bibliotheken sein (G.
Carettoni, RendPontAcc 39, 166/67, 63 Abb. 3; ILN Nr. 6790 vom 20. IX. 69, S. 24): Die Nischen beginnen ohne Podium 1,65 m über dem Boden, waren also unzugänglich, und sind
mit Inkrustationsmalerei bedeckt, was Holzschränke ausschließt. Vielmehr wird es sich uni
Nischen für Skulpturen oder Vasen handeln, deren geringe Tiefe von 35 cm durch eine ursprünglich vorkragende Solbank vergrößert wurde. Gibt es somit in Rom keinen archäologischen Beweis für die geäußerte Theorie, daß Wandschränke in Bibliotheken bereits in augusteischer Zeit aufkamen, so könnte ihn der stark westlich beeinflußte, etwa gleichzeitig von
Herodes dem Großen gebaute Nordpalast von Masada am Toten Meer liefern. Hier hat man
auf der mittleren Terrasse südlich der Fundamente einer Tholos einen ursprünglich gedeck-
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verschmolzen. Dazu kommt die auffällige Verdoppelung der Anlage, die auf eine auch hier vorgenommene Zweiteilung in eine griechische und eine lateinische Bibliothek hinweist. Daß die Schriftrollen nun in Schränken und nicht in Regalen verwahrt sind und
die 1,80 m breiten, 3,80 m hohen und den Rollen entsprechend 60
cm tiefen Schranknischen in monumentaler Reihe die Wandgliederung des Saales bestimmen, ist eine folgenreiche Konzeption. Wie
eine Statuengalerie von opera nobilia paradieren die mit gewiß
kostbaren Türen verschlossenen und wahrscheinlich mit Indextäfelchen der in ihnen aufbewahrten geistigen Reichtümer versehenen Schränke und demonstrieren so den geistigen Besitz etwas aufdringlich, aber wirkungsvoll.
Von weiteren stadtrömischen Bibliotheken wissen wir nur aus
knappen Erwähnungen. Sie waren eingerichtet in der Porticus Octaviae zum Gedächtnis des 23 v. Chr. verstorbenen Marcellus, beim
Tempel des göttlichen Augustus, im Palast des Tiberius und wohl
auch im Goldenen Haus des Nero, sind aber alle spurlos
verschwunden'. Auch im Forum Pacis des Vespasian, aus der Beute des Jüdischen Krieges errichtet, soll sich eine Bibliothek befunden haben. Die ganze Anlage ist noch ungenügend erforscht und
im wesentlichen nur aus dem Marmorplan der Forma Urbis bekannt". Ob die vielleicht auch zweiteilige Bibliothek beiderseits
des Hauptsaales, des eigentlichen Templum, lag oder eher im südlichsten Saal, an den der Saal mit dem eben genannten severischen
Marmorplan anstieß, läßt sich bisher nicht sicher feststellen. Wichten Raum gefunden, seinen Zweck aber bisher nicht zu benennen gewußt. Die rund 5,10 m
breite, 2,40 m tiefe Exedra öffnete sich in voller Breite zur Tholos, während ihre Rückseite
durch fünf 60 cm über dem Boden aufgemauerte Nischen gegliedert ist, die alle 70 cm breit,
50 cm tief und 2,50 m hoch sind (M. Avi-Yonah u. a., IsrExplJ 7, 1957, 29ff. Abb. 12. 18 Taf.
7 CD.; Y. Yadin, IsrExplJ 15, 1965, 18ff. Taf. 2 4A, Y. Yadin, Masada [1967, 3 1969] 58f. m.
Abb. S. 58.73). Die Wandpfeiler erfüllen keinen statischen Zweck: Sie bilden Nischen für
fünf Wandschränke, die sicher Holzborde hatten und wohl auch Türen davor. Da es keinen
Grund gibt, die Tholos auf der mittleren Palastterrasse als Heiligtum zu deuten, sie viel eher
ein Ruheplatz und Aussichtspunkt ist, werden auch die Schränke nicht Kultobjekte, wie vorgeschlagen, oder sonstige Utensilien, für die es einen östlich anschließenden Raum gab, sondern Buchrollen enthalten haben, die gerade hier erwünscht waren.
' Quellen bei Wendel-Göber 120f. und Tonsberg 35ff. Abb. 14, vgl. Makowiecka 36ff. 41f. Die
von Callmer nach de Gregori wiederholte Deutung eines Raumes der Domus Aurea (ebd.
Abb. 8) ist abzulehnen, da die nur sechs rechteckigen Nischen ohne Podium mehr als 1 m
über dem Boden beginnen und also nicht Bücherschränke, sondern Statuennischen gewesen
sein müssen.
29 Callmer 161f.; A. M. Colini, BullCom 65, 1937, 7ff.; F. Castagnoli - L. Cozza, BullCom 76,
1956-58, 119ff. bes. 141 Abb. 15 und Taf. 1; G. Carettoni - A. M. Colini - L. Cozza - G. Gatti, La pianta marmorea di Roma antica (1960) 73 Taf. 20; Nash, Rom I 439; Tonsberg 39ff.
Abb. 15-19; Makowiecka 42ff.
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1?
?
15
2
0 25
30 m
Abb. 5 Rom, Trajansforum, Bibliotheken
tig ist jedenfalls, daß zu jedem größeren Forum oder Tempelkomplex anscheinend eine öffentliche Bibliothek gehörte 30 .
Besser bekannt ist die doppelte Bibliothek' des Trajansforums
(Abb. 5), dessen riesige Anlage nordwestlich des Augustus- und Cäsar-Forums Kaiser Traj an am 1. I. 112 eröffnete, während die Einweihung der Säule und wohl auch der sie rahmenden Bibliotheken
am 12. V. 113 erfolgte'. Durch den Plan der Forma Urbis und leider noch nicht gut publizierte Ausgrabungen der zwanziger Jahre
sind wir über den gewaltigen Komplex leidlich unterrichtet 33 . Die
Bezeichnung Libertatis im Stadtplan-Fragment mit der östlichen
Apsis der großen quer zur Forumachse liegenden Basilica Ulpia hat
vermuten lassen, daß das wohl hier gelegene Atrium Libertatis abgerissen und in die neue Basilica überführt worden sei. Dann wären
allerdings auch seine Archive und die Bibliothek des Asinius Pollio
auf das Forum gekommen. Eine Möglichkeit, die dadurch Wahrscheinlichkeit gewinnt, daß die Bibliothek des Trajansforums sehr
bald als eine der wichtigsten in Rom galt 34 . Der Grundriß zeigt,
daß die beiden 27 x 17 m messenden Säle weit voneinander getrennt sind und den kleinen Hof, in dem die noch heute aufrechte
Trajanssäule steht, flankieren. In beiden Sälen, die spiegelbildlich
angelegt sind, laufen Podien an drei Wänden herum, die in der
Achse von einer Statuennische unterbrochen werden. Wieder sind
die Podien durch breite, auf die einzelnen Schränke zuführende
Wendel 148ff.
Callmer 162ff. Abb. 9-11; Wendel 150ff.; Tonsberg 45ff. Abb. 20-26, wo Abb. 22 zeigt, daß
links und rechts der Mittelnische zwei Schranknischen sitzen und nicht wie im hier Abb. 5
wiedergegebenen Grundriß nur je eine. Richtig schon das Modell, hier Taf. XV b. Makowiecka 53ff.
Fasti Ostienses: G. Calza, NSc 1932, 196. 201. 203. 232 Taf. 2 mit Vorblatt.
33 Nash, Rom I 450ff.; P. Zanker, AA 1970, 499-544; Ch. Leon, Die Bauornamentik des Trajansforums (1971).
Wendel-Göber 123; Wendel 150ff.; E. Welin a. 0. 179ff. (s. o. Anm. 25).
31
Römische Bibliotheken
311
Treppen zugänglich. Die Schranknischen sind mit zwei Metern
sehr breit und haben eine Tiefe von 65 cm, ihre Höhe ist nicht erhalten. Die Nischen beginnen erst 45 cm oberhalb des Podiums.
Die auf dem Podium zwischen den Schränken stehenden Säulen
beweisen ein oberes Geschoß mit einer wohl umlaufenden Galerie,
also einer zweiten Reihe von Schranknischen, damit einer Verdoppelung der jeweils 18 Schränke in einem Stockwerk.
Die schlichte Fassade der beiden Bibliotheken läßt sich nach
dem Modell des Museo della Civiltä romana in Rom vorstellen
(Taf. XVa). Die Innenansicht desselben Modells (Taf. XVb) mag
einen Eindruck der sehr monumentalen Wirkung der Wandgliederung vermitteln. Repräsentation ist offenbar, zumal auf einem Kaiserforum, eine wichtige Funktion einer öffentlichen Bibliothek.
Der Kaiser unterstreicht, daß er das geistige Leben in seinem zweisprachigen Reich fördert und in der geistigen Welt Apolls und der
Musen, nicht zuletzt in der schriftlichen Erinnerung der Menschen
seine Unsterblichkeit sucht. Deswegen sah Traj an sein Grab in der
Säule vor, die zwischen den beiden Bibliotheken steht'.
Auch in den Thermen, den vielleicht größten und meist frequentierten öffentlichen Gebäuden Roms, sind Bibliotheken errichtet
worden. In den am 22. Juni 109 n. Chr. eröffneten Traj ansthermen
(Abb. 6.7 und Taf. XVI) 36 befinden sich zwei halbrunde, überkuppelte Exedren, die man nicht ohne Grund schon lange für Bibliotheken hielt. Jedenfalls finden sich noch heute in der westlichen
Exedra zwei Geschosse von Wandnischen, jeweils fünf seitlich einer größeren Mittelnische, sowie Balkenlöcher für das auf Säulen
ruhende Galeriegeschoß. Erst kürzlich 37 konnte der Beweis geliefert und durch Sondagen ein konzentrisch umlaufendes Podium
von 60 cm Höhe und rund 1,40 m Breite nur 15 cm unterhalb der
unteren Schrankreihe (H 4,45 m, B 2,06 m, T 73 cm) festgestellt
werden. Drei rund 1 m breite Stufen führten ebenfalls konzentrisch
vom Boden des Saales zum Podium hinauf und dienten wohl
gleichzeitig als Auditorium, was an die althergebrachte Funktion
der Exedra erinnert.
Der Bibliothekssaal mit Säulengalerien auf Podien vor den
Schrankwänden ist offensichtlich eine stadtrömische Bauform, die
' Zanker a. 0. 531 ff.
Nash, Rom II 472ff.; Tonsberg 52ff. Abb. 27. 28; Fasti Ostienses: G. Calza, NSc 1932, 194
Taf. 2 mit Vorblatt.
37 K. de Fine Licht, Untersuchungen an den Trajansthermen zu Rom (AnalRom 7, 1974) 5ff.
13ff. Abb. 10-24 Tal*. 1.
36
312
Volker Michael Strocka
Abb. 6 Rom, Trajansthermen, Exedra L, Ausschnitt mit Rekonstruktion
der Säulengalerie (nach K. de Fine Licht)
Römische Bibliotheken
313
Abb. 7 Rom, Trajansthermen, Exedra L, Grundriß und Aufriß
(nach K. de Fine Licht)
aber nicht auf Rom beschränkt blieb. Es liegt nahe, daß bei einer
besonders repräsentativen Privatbibliothek, nämlich der Bibliothek
des Kaisers Hadrian in seiner bevorzugten Villa bei Tivoli dieser
monumentale Typ gewählt wurde (Abb. 8) 38 . Der Grundriß des
etwa quadratischen Saales ist mit seinem Podium vor den Schrank" H. Winnefeld, Die Villa des Hadrian bei Tivoli (3. Ergh. JdI 1895) 88. 91 Taf. 8; G. Lugli,
BullCom 55, 1927, 177 Abb. 18 Taf. 3; Callmer 176; Tonsberg 63ff. Abb. 39. 42.
314
Volker Michael Strocka
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Abb. 8 Tivoli, Villa Adriana, Bibliothek (C)
ligeeeMiti
Römische Bibliotheken
315
nischen und der Säulenstellung, die hier aber kein Obergeschoß getragen haben kann, eindeutig genug. In der Achse befindet sich
eine Apsis, offenbar für eine Statue. Der kleine Raum, der ganz das
Aussehen einer öffentlichen Bibliothek hat, wurde mit einiger
Phantasie in dem schon genannten Museo della Civiltä romana
nachgebaut und vermittelt so einen besonders anschaulichen Eindruck (Taf. XVIIIa.b)".
In der Provinz gab es, zumindest im 2. Jh. n. Chr., offenbar
allenthalben Bibliotheken nach dem Muster der Hauptstadt. Einige
sind uns aus Inschriften italischer Städte, jedoch nicht aus ihren
Überresten bekannt. Bezeugt sind für das 1. oder 2. Jh. inschriftlich
Bibliotheken in Comum, Dertona, Suessa Aurunca, Tibur und Volsinii'. Nur bei Centumcellae (Civitavecchia) hat man eine zu einer
Therme oder großen Villa gehörige Bibliothek mit den üblichen
Schranknischen oberhalb eines Podiums ausgegraben'. Auffällig
ist die Querlage des rechteckigen Saales, die auf die alte Form der
Exedra anzuspielen scheint. Ins Riesenhafte gesteigert wird dieser
Typ des quergelagerten Saales in den beiden Bibliotheken der
Caracallathermen in Rom (Abb. 9 und Taf. XVII), die wohl erst
unter Alexander Severus errichtet wurden'. Sie befinden sich wie
diejenigen der Traj ansthermen weit getrennt an der Umfassungsmauer der gesamten Anlage, hier jedoch an den Enden derselben
Südwestseite. Beide sind heutzutage völlig überwuchert und unzugänglich. Freigelegt und kurz beschrieben hat man nur die westliche Bibliothek'. Der 36,30 m mal 21,90 m messende Saal besitzt
ein umlaufendes, durch Treppen zwischen den Säulenbasen zugängliches Podium und im unteren Geschoß 16 Schränke. Wir
wüßten gerne etwas über die Literaturauswahl, die in solchen Thermen-Bibliotheken angeboten wurde. Vermutlich handelt es sich
hier neben den obligaten Klassikern wie Homer, Hesiod, Euripides,
" Museo della Civiltä romana. Catalogo (1958) 557f. Nr. 15.
' Callmer 183; Tonsberg 68f.
41 C. Bastianelli, NSc 1942, 235ff., bes. 250 Abb. 11. 12; M. Torelli, EAA Suppl. (1970) 234 s. v.
Civitavecchia, vermutet in dem Komplex nicht wie bisher die Terme Taurine, sondern die
von Plinius d. J. (Ep. VI 31, 15) erwähnte Villa des Kaisers Traj an.
42 E. Ghislanzoni, NSc 1912, 311f.; Callmer 164f. Abb. 12; Nash, Rom II 434ff.; Tonsberg 55
Abb. 29-32.
43 Der Plan Abb. 9 wurde ohne die Möglichkeit einer Überprüfung am Ort aus den jeweils unvollständigen Plänen von S. A. Iwanoff, Architektonische Studien, Heft 3 (1898) Taf. 1,
Ghislanzoni, NSc 1912, 311f. Abb. 1, de Gregori bei Callmer Abb. 12 und nach Angaben bei
Tonsberg 55 zusammengezeichnet. Für seine Mühe danke ich C. Haase.
Volker Michael Strocka
316
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:...
Abb. 9 Rom, Caracallathermen, westliche Bibliothek
Menander und Vergil um auch recht triviale Schullektüre und Unterhaltungsliteratur.
Bibliotheken gab es offenbar auch weit außerhalb Italiens im
westlichen Teil des Reiches, selbstverständlich nach stadtrömischem Muster. 1901 wurde von den Franzosen in Timgad, im römischen Numidien, eine Bibliothek freigelegt, deren Grundmauern
gut erhalten sind (Taf. XIXa.b)'. Eine lateinische Inschrift erläu' H. F. Pfeiffer, MemAmAc 9, 1931, 157-165 Tag. 16-19; Callmer 181f. Tonsberg 106ff. Abb.
60. 61; Makowiecka 86ff.
Römische Bibliotheken 317
tert die Umstände dieser, wie so häufig, privaten Stiftung: Aus der
ins 3. Jh. n. Chr. gehörenden Inschrift erfahren wir, daß ein sonst
nicht bekannter reicher Bürger der Stadt, Julius Quintinianus Flavius Rogatianus, seinem Vaterland den Bau der Bibliothek durch
eine Spende von 400000 Sesterzen ermöglicht hat. Der originelle
Grundriß füllt eine Insula und öffnet sich mit einem Hof, den auf
drei Seiten eine Säulenhalle umgibt. In der Achse liegt der Hauptsaal, der einen etwas gelängten Halbkreis bildet und beiderseits
fünf Schranknischen oberhalb eines Podiums sowie in der Mitte
eine Statuennische aufweist. Aus statischen Gründen ist ein zweites
Geschoß kaum annehmbar, so daß die hier wiedergegebene Rekonstruktion mit einer niedrigen Halbkuppel die wahrscheinlichste
Lösung ist (Taf. XIXb). Dieser repräsentative und nach der geringen Zahl seiner Schränke eine Bibliothek eher vorschützende Festsaal wird ergänzt von zwei anschließenden Zimmern, die vielleicht
Buchmagazine oder Personalräume darstellen, sowie vier kleineren,
durch sehr große Türöffnungen auffällig gut belichteten Räumen
längs der Flügel des Säulenganges. Diese exedra-ähnlichen Gemächer wird man als Lese- bzw. Schulräume für den anzunehmenden
Studienbetrieb ansprechen dürfen. Auf vorgelagerte Säulenhallen
hatten die stadtrömischen Bibliotheken sowenig verzichtet wie
schon die griechischen. Hier zieht sich die dreiseitige Portikus zu einem Vorhof zusammen, um die Wirkung des Hauptsaals vorzubereiten, der an die halbkreisförmigen, kuppelgewölbten Exedren der
Traj ansthermen erinnert. In der Provinz kehren also die Bauformen der Hauptstadt in Varianten immerzu wieder.
Spätere Bibliotheken der römischen Welt sind archäologisch
noch nicht nachweisbar, obwohl es deren zahlreiche gegeben haben
muß. Es ist uns überliefert, daß Rom im 4. Jh. n. Chr. 28 öffentliche
Bibliotheken besaß'. Im neuen Rom, in Konstantinopel, wurde
357 die große, später so bedeutende Bibliothek eröffnet, von der
nichts, nicht einmal der Grundriß erhalten ist'. Ebensowenig sind
mit Sicherheit die bei jeder Bischofskirche befindlichen kirchlichen
Bibliotheken des sich ausbreitenden Christentums identifiziert. Es
wird sich freilich in der Regel um unscheinbare Räume mit Holzschränken bzw. Regalen gehandelt haben. Für die repräsentative
stadtrömische Bauform der öffentlichen Bibliothek war hier kein
Bedarf'.
' Callmer 167.
' Wendel 46-63.
' Wendel 159f. 178-199.
318
Volker Michael Strocka
Wenden wir uns zum Schluß noch einmal in den griechischen
Osten des Reiches, wo auffälligerweise trotz der starken eigenen
Traditionen an einigen bezeichnenden Orten Bibliotheken im
stadtrömischen Typus, also mit Wandschränken über Podien und
Säulengalerien davor, errichtet worden sind: Sehr bekannt und verhältnismäßig gut erhalten ist die Hadrians-Bibliothek in Athen, die
vermutlich 131/32 gegründet worden ist (Abb. 10 und Taf. XX) 48 .
Ein Teil ihrer prunkvollen Hauptfassade im Westen, nicht weit übrigens von der vorhin erwähnten Pantainos-Bibliothek, steht noch
heute aufrecht. Im Grundriß entspricht die Anlage auffällig dem
bereits erwähnten Forum Pacis in Rom. Ein riesiges Peristyl von
100 Säulen, die ausdrücklich von Pausanias (I 18, 9) als besonders
sehenswert und aus phrygischem Marmor bestehend bezeichnet
werden, umschließt einen großen Garten mit langgestrecktem
künstlichen See. Hinter den Säulenhallen der Längsseiten befinden
sich je drei große Exedren, die dem Studienbetrieb dienten. Daß es
sich zweifelsfrei um die Bibliothek des Hadrian und zugleich um
die von ihm in Athen gegründete Universität handelt, beweisen die
Räume auf der Ostseite des Komplexes: In der Mitte und deutlich
hervorgehoben befindet sich der Bibliothekssaal. Zu seinen beiden
Seiten symmetrisch zwei weitere große Exedren und links und
rechts außen je ein Hörsaal mit ansteigenden Sitzreihen (Abb. 11).
Vom Bibliothekssaal sind heute noch zwei der mit großer Wahr scheinlichkeit zu ergänzenden drei Stockwerke erhalten. Über einem 1,60 m hohen und 2,50 m tiefen umlaufenden Podium befinden sich die 1,20 m breiten und 2,80 m hohen, 50 cm tiefen
Schranknischen. Der heutige Zustand ist durch verschiedene Ausbrüche der Wand unklar, doch erkennt man die Reste der Wandnischen und darüber die Ausnehmungen für das Gebälk der Galerie,
deren Säulen auf dem Podium standen. Insgesamt muß es in den
drei Stockwerken 66 Wandschränke gegeben haben, die gut 20 000
Rollen hätten aufnehmen können!' Es wundert nicht, daß diese
Gründung Hadrians in der von ihm bevorzugten Stadt nach der gesamten Anlage und auch der besonderen Gestaltung des Hauptraumes rein stadtrömische Züge trägt. Mit einer Bibliothek lokalen,
nämlich hellenististischen Typus', wie etwa der Pantainos-Bibliothek, hätte er sich nicht zufrieden gegeben. Zu sehr war dieses GeTravlos, Athen 244f. Abb. 314-320; M. A. Sisson, BSR 11, 1929, 50-72 Taf. 17-24; Callmer
172ff. Abb. 17; Platthy 113f.; Tonsberg 82ff. Abb. 52; Makowiecka 67ff.
B. Götze, JdI 52, 1937, 242 vermutet 22000 Rollen.
319
Römische Bibliotheken
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Abb. 10 Athen, Hadriansbibliothek, Grundriß
Volker Michael Strocka
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Abb. 11 Athen, Hadriansbibliothek, Schnitte durch Bibliotheksgebäude und Hof
bäude Demonstrationsobjekt kaiserlicher Fürsorge und öffentlicher
Wohlfahrt.
Aber auch in kleineren Dimensionen wird der stadtrömische Typus im griechischen Osten aufgegriffen: Im Asklepieion von Pergamon, dem im 2. Jh. n. Chr. so bedeutend gewordenen Kurort, ist
bei den deutschen Ausgrabungen ein Raum entdeckt worden, der
zweifellos als Bibliothek bezeichnet werden kann (Abb. 12 und Taf.
XXI)". Er liegt seitlich des monumentalen Eingangstores und des
anschließenden, dem Pantheon in Rom nachgebauten Zeus-Asklepios-Tempels. Ein Tor des Saales öffnet sich auf den Platz, ein anderes auf die Nordhalle des Komplexes. In der Achse des nun wieder leicht längsrechteckigen Raumes befindet sich die Statuennische, vor der eine Statue des Hadrian gefunden wurde, gestiftet von
einer reichen Dame, Flavia Melitine, die in einer anderen Inschrift
des Heiligtums wegen der Stiftung der Bibliothek besonders geehrt
wird'. In den Wänden, mit Ausnahme der Eingangswand, finden
sich jederseits der Apsis acht Nischen von 65 cm Tiefe, die freilich
ohne ein Podium 1,75 m über dem Boden beginnen. Aus gewissen
51
Callmer 175f. Abb. 18; Tonsberg 98ff. Abb. 59.
Ch. Habicht, AvP VIII 3 (1969) 29f. Nr. 6 Taf. 2; 84f. Nr. 38 Taf. 13.
Römische Bibliotheken
ZEUSASKLEPI OS
T EMPEL
Abb. 12 Pergamon, AsIdepieion, Bibliothek
321
322
Volker Michael Strocka
Indizien hat sich schließen lassen, daß hier ein Holzpodium anzunehmen ist, ohne das ein Zugang zu den Schränken natürlich unmöglich wäre.
Das besterhaltene aller Bibliotheksgebäude habe ich mir zum
Schluß aufgespart: Es ist etwas älter als die Stiftung der Flavia Melitine und steht gleichfalls in Kleinasien, nämlich in Ephesos. Ich
meine die bereits vor rund 80 Jahren von den Österreichern ausgegrabene Celsus-Bibliothek, so genannt nach dem durch viele Inschriften bekannten Stifter Tiberius Julius Celsus Polemaeanus 52 .
Taf. XXII gibt das freigelegte Gebäude, das südlich der Agora von
Ephesos an einem eigenen Platz gelegen ist, in dem Zustand wieder, der bis 1972 bestand. Der quergelagerte Bau ist über eine
durchlaufende Freitreppe zu betreten. Noch die wenigen aufrecht
stehenden Reste der Fassade zeigten, wie prunkvoll dieser Bau ausgestattet gewesen sein muß. Zwischen den drei Durchgängen zum
Lesesaal fanden sich vier Nischen für Idealstatuen, deren Namen
auf die Basen eingemeißelt sind: die vier Tugenden des Stifters,
Ioqpi,a, 'Aperii, ("Evvot,a) 53 und 'Errau'rinisl. Durchschreitet man
die Reste der Marmorfassade, betritt man einen Raum, der auch
ohne inschriftliche Sicherung durch sein Podium und die Wandschränke eindeutig als Bibliothek stadtrömischen Typus' erkennbar
wäre. Der Grundriß (Abb. 13) zeigt sehr klar, daß dieser mit rund
16 x 11 m nicht besonders große Saal in der Mittelachse von einer
Apsis beherrscht wird, zu deren Seiten sich über einem 1 m hohen
und 1,20 m tiefen Podium zehn Wandschränke aufreihen. Sie sind
nur einen Meter breit und 2,80 m hoch. Auf dem Podium haben
sich die Aufschnürungen für die Säulenstellung der Galerie erhalten, die selbst längst verschwunden ist, aber noch durch die Reste
von Wandnischen im oberen Geschoß bewiesen werden kann. Wegen der rekonstruierbaren Raumhöhe ist sogar, wie schon Wilhelm
Wilberg angenommen hat, ein weiteres Galeriegeschoß, also insgesamt 30 Wandschränke, wahrscheinlich (Abb. 14). Im Grundriß
fallen die scheinbar doppelten Mauern hinter den Schränken ins
Auge, die man sehr häufig als bewußte Vorkehrung zur TrockenW. Wilberg, öJh 11, 1908, 118ff.; W. Wilberg - M. Theuer - F. Eichler - J. Keil, FiE V 1:
Die Bibliothek (1944, 2 1953); F. Hueber - V. M. Strocka, AW 6, 1975 Heft 4, 3ff.; F. Hueber,
Proceedings of the Tenth Internat. Congress of Classical Archaeology 1973, 11 (1978) 979ff.
Taf. 307. 308. Eine Neupublikation der Celsusbibliothek von F. Hueber und V. M. Strocka
ist in Vorbereitung.
' Die dritte Statuenbasis wurde gegen 400 n. Chr. im Zuge einer Restaurierung wohl nicht
ohne Bezug auf die ursprüngliche Inschrift mit gvvota cik,XiArTrou beschrieben (FiE V 1,
7(E).
52
Römische Bibliotheken
323
Abb. 13 Ephesos, Celsusbibliothek, Grundriß
haltung der Wandschränke gedeutet hat. In Wirklichkeit stellen sie
genau das Gegenteil dar, nämlich schmale Traufgassen, in welche
das Regenwasser vom Dach der Bibliothek wie von den Dächern
der angrenzenden Gebäude hinablief. Die Gänge haben Gefälle bis
zu einem Punkt, wo sich Abflußkanäle für die Wassermassen finden. Es war hinter den Schränken also sogar besonders feucht. Die
äußeren Mauern gehören eindeutig zu den benachbarten Gebäuden, und so zeigt sich, daß die Bibliothek in eine Baulücke gesetzt
war. Die Fassade nutzt den engen Raum voll aus, um den Bau größer erscheinen zu lassen, als der eigentliche Saal tatsächlich sein
kann. Im Podium unter der Apsis befinden sich zwei kleine Fenster, welche eine Krypta erleuchten, die über den nördlichen Gang
zugänglich ist. Die Ausgräber Josef Keil und Rudolf Heberdey
werden sehr erstaunt gewesen sein, als sie in dieser Krypta einen
324
Volker Michael Strocka
Abb. 14 Ephesos, Celsusbibliothek, Schnitt
unversehrten monumentalen Marmorsarkophag entdeckten, die
Grablege des Stifters, der hier noch heute ruht'. Der Sarg muß
während des Baus der Bibliothek in die enge Kammer eingelassen
worden sein, weil es keinen anderen Zugang gibt als durch das später geschlossene Gewölbe. Eine Inschrift trägt er nicht, bedurfte ihrer auch nicht, weil er dem Publikum unzugänglich, die prunkvolle
Fassade des Gebäudes aber mit Inschriften geradezu überhäuft
war. Der Architekt Wilhelm Wilberg rekonstruierte sie auf dem Papier bereits 1908 aus den zahlreichen Trümmern des durch ein mittelalterliches Erdbeben niedergeworfenen Gebäudes (Abb. 15).
Zwischen den drei Eingängen oberhalb der Freitreppe stehen vor
der Wand vier Säulenpaare, über denen sich das Gebälk so vorFiE V 1, 40f. 43ff.
Römische Bibliotheken
325
Abb. 15 Ephesos, Celsusbibliothek, Ansicht
kröpft, daß Tabernakel entstehen, welche die vier Statuennischen
mit den Tugenden des Stifters zu schützen scheinen. Im oberen Geschoß ist der Rhythmus umgekehrt. Nun stehen drei giebelgekrönte
Ädikulen über den Eingängen, d. h. den Lücken zwischen den unteren Tabernakeln. Über der ersten und der achten Säule ragt im
Obergeschoß je eine einzelne Säule, die ein detachiertes Gebälk
trägt. Hinter den Giebeln des Obergeschosses schließt eine niedrige
Attika-Zone die Fassade ab. Über den Eingängen befinden sich im
Untergeschoß mit Marmorgittern versehene Öffnungen und im
Obergeschoß große vergitterte Fenster, die von den Ädikulen beschattet werden. Über den unteren Tabernakeln standen im Ober-
326
Volker Michael Strocka
geschoß vier Statuen auf hohen Basen, die sich durch deren Inschriften dreimal als der Stifter Celsus und einmal als der Erbauer,
sein Sohn Tiberius Julius Aquila, erweisen. Auch sonst fehlt es an
Inschriften nicht. Links und rechts der Treppe ist die gesamte Karriere des Tiberius Julius Celsus Polemaeanus in Latein bzw. Griechisch aufgezeichnet. Am Architrav des Untergeschosses läuft die
eigentliche Bauinschrift, die sowohl die Stiftung der Bibliothek
durch Celsus den Vater als auch die Errichtung durch seinen Sohn
Aquila und die Vollendung durch die Erben und den Testamentsvollstrecker Tiberius Claudius Aristion bekanntgibt. Aus diesen Inschriften wissen wir bereits das Wichtigste über Leben und Bedeutung des Stifters'. Er war in Kleinasien geboren und in einer nur
Söhnen sehr reicher Familien offenen Ämterlaufbahn als Jurist
und Militär unter Vespasian bis in den römischen Senat gelangt
und unter Domitian im Jahre 92 Suffektkonsul geworden, eine damals erst Kleinasiaten eröffnete Rangstellung. 105/6 oder 106/7
wurde er sogar Prokonsul der Provinz Asia mit Sitz in Ephesos.
Dies war das höchte und letzte Amt, das ein römischer Senator erreichen konnte. Es war auf ein Jahr beschränkt. Celsus scheint danach noch einige Jahre, vermutlich in Ephesos, gelebt zu haben.
Nach einer anderen Inschrift muß Celsus vor dem Jahre 114
verstorben sein. Sein Sohn Tiberius Julius Aquila, der 110 n. Chr.
römischer Konsul geworden war, errichtete zu Ehren seines Vaters
das Gebäude, starb aber noch vor der Vollendung.
Als Gast der österreichischen Ausgrabungen von Ephesos, an denen ich von 1967 bis 1978 teilnahm, suchte ich, fasziniert von dieser
Zeichnung, nach den Resten der Bibliothek, die Wilberg zu seiner
Rekonstruktion gedient haben mußten. Bei der Bibliothek selbst
fand sich fast nichts, um so mehr aber im großen Durcheinander
auf der benachbarten Agora, teilweise überwuchert, teilweise
verschüttet, wie sich zeigen sollte, darüber hinaus im Stadtgebiet
und schließlich in Izmir, wohin nach der Ausgrabung die schönsten
Stücke gelangt waren, ohne je im Museum aufgestellt zu werden.
Als ich glaubte, genügend Stücke beisammen zu haben, machte ich
mich auf die Suche nach einem Geldgeber für den Wiederaufbau
dieser herrlichen Fassade. Ich hatte ungewöhnliches Glück, indem
nicht nur der erforderliche Baukran von einer deutschen Firma geschenkt wurde, sondern sich auch in einem österreichischen Bauunternehmer der seltene Mäzen fand, der bereit war, die Kosten für
" FiE V 1, 61ff.
Römische Bibliotheken 327
den gesamten Aufbau aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Als Architekten, ohne den ich das Werk nicht einmal hätte beginnen können, gewann ich Herrn Dr.-Ing. Friedmund Hueber aus Wien. Von
1970 bis 1978 haben wir gemeinsam mit einer Schar von Restauratoren, Studenten und türkischen Arbeitern den Bau und seine rund
750 wiedergefundenen Fassadenfragmente genau untersucht und in
langwieriger Arbeit aufgebaut. Das Ergebnis, wie es seit Herbst
1978 steht, mögen Sie selbst mit Wilbergs alter Zeichnung vergleichen. Unstreitig ist es nun die besterhaltene, vielleicht schönste Bibliothek römischer Zeit. Wir haben zwar keine neuen Erkenntnisse
über die Funktion und den Inhalt dieser Bibliothek gewinnen können, doch ist das Gebäude nun eigentlich erst wieder vorhanden
und seine Gestalt anschaulich geworden. So kann man zum Beispiel die Stiftungsinschrift über der ersten Nische links (Taf.
XXIII) wieder Zeile für Zeile lesen und daraus etwa lernen, daß
von den Zinsen des gestifteten Grundkapitals von 25 000 Denaren
der Unterhalt des Baus, die Besoldung der Bibliotheksdiener und
die Anschaffung neuer Bücher bestritten werden sollten, die Erben
aber 2000 Denare vom Kapital nahmen, um den Bau ohne eigene
Unkosten zu vollenden, ferner, daß am Geburtstage des Celsus seine Statuen zu bekränzen waren und dergleichen mehr. Auch auf
der Rückseite der Fassade befanden sich lateinische Inschriften,
von denen wenigstens ein kleines Bruchstück festgestellt und an der
richtigen Stelle angebracht werden konnte. An dieser Rückseite,
die eine glatte Marmorwand, vielleicht mit einem unterbrechenden
Gesims darstellt, ist immerhin durch die gesicherte Höhe der originalen alten Balkenlöcher die Höhe des Raumes selbst gut abzuschätzen. Auch der Lesesaal ist nun anschaulicher geworden. Wir
haben die Wände des zweiten Galeriegeschosses durch moderne,
aber den römischen Ziegeln nachgebrannte Ziegelsteine erhöht, um
auch den alten Mauerbestand zu konservieren, und den in Resten
erhaltenen marmornen Fußbodenbelag in Kunststein nachgeahmt.
Die Schranknischen dienen heute zur Aufnahme der Informationstafeln, die dem Besucher die Geschichte des Baues und seiner Wiedererrichtung erklären. Die Wirkung der Marmorfassade (Taf.
XXIV) ist außerordentlich prachtvoll. Mit all ihren Inschriften und
auf den Stifter bezüglichen Statuen und dem ganzen Prunk ist sie
ohnehin für eine Bibliothek nicht sehr passend und stellt ja auch in
Wahrheit weit mehr dar als diese, nämlich ein Mausoleum, das Ehrengrab des Stifters mitten in der Stadt, was ein unerhörtes Privileg
war, das eigentlich nur Heroen oder eben sehr reiche, einflußreiche
-
328
Volker Michael Strocka
Leute genossen. Daß sich Celsus mit der Stiftung einer Bibliothek
alleine sein Grab an dieser prominenten Stelle erwirkt hätte, ist wenig glaublich. Er und seine Familie müssen der Stadt Ephesos mehr
bedeutet haben. Daß er sein Grab aber in eine Bibliothek verlegt,
die zugleich öffentlichen Nutzen und dauernden Ruhm bringt, ist
ein damals sehr aufgeklärter, moderner Gedanke gewesen, den unmittelbar zuvor Kaiser Traj an in seinem Forum verwirklicht hatte.
Celsus, der nach seinem Konsulat auch die gewichtige Funktion eines Curator operum publicorum, also eines Vorsitzenden der obersten römischen Baubehörde bekleidet hatte, wußte wohl auch später genau, was in Rom vorging. Ich glaube nachweisen zu können,
daß die Bauleute mit dem Architekten vorher in Rom an den Trajanischen Großbauten, vor allem der Erneuerung des Cäsar-Forums, tätig gewesen sind, da sich ganz eindeutige stadtrömische
Elemente in den Ornamentdetails wie im Stil wiederfinden". Dazu
kommt die in Kleinasien erstmalige Verwendung von Ziegelmauern für aufgehende Wände, was in Rom seit Augustus üblich war.
Wie hervorragend das Bauwerk tatsächlich ist, mag die Entdekkung meines Kollegen Hueber beweisen: Die Fassade besaß eine
Kurvatur, die man bisher nur von griechischen Tempeln kannte, d.
h. nicht nur die Standfläche der Fassade war symmetrisch leicht
aufgewölbt, sondern auch das Gebälk vollzog dieselbe gespannte
Linie, die ein optisches Einsinken der Horizontale verhindern sollte
und in der Tat die Plastizität und Wirkungssteigerung der Fassade
sichert. Dazu kommt, daß die Säulen unterschiedlich lang und dick
sind, indem sie nach außen hin kürzer und schmäler werden und so
die Breitenwirkung der Fassade steigern. Wie fein die Gliederung
der beiden Säulengeschosse aufeinander abgestimmt ist, daß die
majestätische Entfaltung in die Breite die Waage hält zur steilen
Höhenentwicklung und zur feinen, aber deutlichen Betonung der
Mitte, mag erst die Betrachtung an Ort und Stelle ganz erschließen.
Das Bauwerk und sein Stifter sind immerhin gewürdigt worden,
Blickpunkt der von der Oberstadt hinabführenden Hauptstraße des
antiken Ephesos zu sein und nun wiederum der von Hunderttausenden von Touristen bevölkerten Ruinenstadt. In der Tat ist eine
der eindrucksvollsten Prunkfassaden der römischen Kaiserzeit wiedergewonnen. Daß es nur eine Fassade ist, mag enttäuschen. Als
solche bestand sie aber seit dem 3. Jahrhundert weiter, als die Go56
V. M. Strocka, Proceedings of the Tenth Internat. Congress of Classical Archaeology 1973, II
(1978) 893ff. Taf. 281-288.
Römische Bibliotheken 329
ten die Bibliothek selbst eingeäschert hatten, bis ins hohe Mittelalter verwandelt in einen Brunnen; und eine Fassade ist diese Bibliothek eigentlich von Anfang an gewesen, indem die Bücher nur der
Vorwand des eigentlichen Bauzwecks waren.
Abbildungsverzeichnis
Textabbildtingen: 1. Römisches Sarkophagrelief (E. Petersen, RM 15, 1900, 171
Abb. 5). - 2. Pergamon, Bibliothek im Athenabezirk (AvP II [1885] Taf. 3, Ausschnitt). - 3. Athen, Agora, Bibliothek des Pantainos (47) (The Athenian Agora.
Guide 11976] Plan, Ausschnitt). - 4. Rom, Palatin, Doppelbibliothek (Ch. Callmer,
OpArch 3, 1944, 158 Abb. 7). - 5. Rom, Traj ansforum, Bibliotheken (ebd. Abb. 9). 6. Rom, Trajansthermen, Exedra L, Ausschnitt mit Rekonstruktion der Säulengalene (K. de Fine Licht, Untersuchungen an den Trajansthermen zu Rom [1974] Abb.
22). - 7. Rom, Trajansthermen, Exedra L, Grundriß und Aufriß (nach K. de Fine
Licht, ebd. Tat I 3.4). - 8. Tivoli, Villa Adriana, Bibliothek (C) (H. Winnefeld, Die
Villa des Hadrian bei Tivoli. 3. Ergh. JdI [1895] Taf. 8). -9. Rom, Caracallathermen,
westliche Bibliothek (Neuzeichnung C. Haase). - 10. Athen, Hadriansbibliothek,
Grundriß (Travlos, Athen, Abb. 316). - 11. Athen, Hadriansbibliothek, Schnitte
durch Bibliotheksgebäude und Hof (M. A. Sisson, BSR 11, 1929 Taf. 24). - 12. Pergamon, Asklepieion, Bibliothek (AvP XI 2 [1975] Taf. 84, Ausschnitt). - 13. Ephesos,
Celsusbibliothek, Grundriß (FiE V 1 [1944] Abb. 3 [W. Wilberg]). - 14. Ephesos,
Celsusbibliothek, Schnitt (ebd. Abb. 78 [W. Wilberg]). - 15. Ephesos, Celsusbibliothek, Ansicht (ebd. Taf. 2 [W. Wilberg]).
Tafelabbildungen: XIIIa.b. Pompeji, Casa del Menandro (I 10,4), Bibliothek (?)
im Südflügel des Peristyls (Photo Strocka). - XIVa. Athen, Agora, Pantainosbibliothek (Modell) - XIVb. Athen, Agora, Inschrift von der Pantainosbibliothek (a. b. H.
A. Thompson - R. E. Wycherley, The Agora of Athens. Agora XIV [1972] Taf. 62
a.b). - XVa.b. Rom, Museo della Civiltä romana, Modell einer Bibliothek des Trajansforum, a. Fassade. b. Innenansicht (a. Inst. Neg. Rom 72.2617, b. Inst. Neg. Rom
72.2629). - XVI. Rom, Trajansthermen, Exedra L (Photo P. Monti [Inst. Rom Repro]). - XVII. Rom, Caracallathermen, westliche Bibliothek (Inst. Neg. Rom 80.
1683 [Repro nach 38. 1471]). - XVIIIa.b. Rom, Museo della Civiltä romana, Rekonstruktion einer römischen Bibliothek (nach Villa Adriana) (a. Inst. Neg. Rom
72.2613, b. Inst. Neg. Rom 72.2616). - XIXa. Timgad, Bibliothek (Modell der Ruine
im Museo della Civiltä romana) (Inst. Neg. Rom 73.1127). - XIXb. Timgad, Bibliothek, Schnitt (H. F. Pfeiffer, MemAmAc 9, 1931 Taf. 18). - XX. Athen, Hadriansbibliothek, Ostwand (Ausschnitt) (Inst. Neg. Athen AT Baut. 603). - XXI. Pergamon,
Asklepieion, Bibliothek (Inst. Neg. Istanbul. Pergamon-Grabung 80/177,1. Für die
Neuaufnahme danke ich Frau E. Steiner herzlich). - XXII. Ephesos, Celsusbibliothek (1971) (Photo Roewer). - XXIII. Ephesos, Celsusbibliothek, Stiftungsinschrift
(1978) (Photo Strocka). - XXIV. Ephesos, Celsusbibliothek, Fassade (1978) (Photo
Strocka).
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