An griechischen oder römischen Bibliotheken ist uns eigentlich nur eine einzige erhalten geblieben, wenn man unter einer Bibliothek mehr versteht, als die Ruine ihres Gebäudes, womit sich ein Archäologe ja schon zufrieden gibt. Eine...
moreAn griechischen oder römischen Bibliotheken ist uns eigentlich nur eine einzige erhalten geblieben, wenn man unter einer Bibliothek mehr versteht, als die Ruine ihres Gebäudes, womit sich ein Archäologe ja schon zufrieden gibt. Eine richtige Bibliothek mit mehr als 1800 Schriftrollen wurde bereits 1754 in der Villa des L. Calpurnius Piso Caesoninus bei Herculaneum gefunden'. Johann Joachim Winckelmann war zwar nicht selbst an der Grabung betei-* Vorbemerkung: Für Abkürzungen gelten die Regeln der Archäologischen Bibliographie und des Archäologischen Anzeigers. Im Text wurde die Vortragsform beibehalten. Eine auch nur halbwegs vollständige Darstellung des komplexen Gegenstandes ist im gegebenen Rahmen nicht möglich. Deswegen sei die neuere Literatur aufgeführt, welcher der Verfasser viel verdankt, ohne ihr im einzelnen immer zu folgen: Ch. Callmer, Antike Bibliotheken, OpArch 3, 1944, 145-193, im folgenden: Callmer (Kritische Aufarbeitung des damaligen archäologischen Kenntnisstandes, freilich mit einigen verfehlten Identifikationen). C. Wendel, Geschichte der Bibliotheken. Das griechisch-römische Altertum, bearbeitet von W. Göber. Hdb. d. Bibliothekswiss. III 1 2(1955) 51-145, im folgenden Wendel-Göber (Ausgezeichnete Gesamtdarstellung mit Quellen und Literatur). J. Platthy, Sources on the Earliest Greek Libraries with the Testimonia (1968) 203 S., im folgenden: Platthy (Nützliche Quellensammlung zu griechischen und römischen Bibliotheken, allerdings beschränkt auf Griechenland, Kleinasien und Syrien). C. Wendel, Kleine Schriften zum antiken Buch-und Bibliothekswesen, hrsg. von W. Krieg (1974) 240 S., im folgenden: Wendel (darin besonders S. 144-164: Die bauliche Entwicklung der antiken Bibliothek). J. Tonsberg, Offentlige biblioteker i Romerriget i det 2. ärhundrede e. Chr. (with a Summary) (1976) 151 S., im folgenden: Tonsberg (Gründliche Darstellung kaiserzeitlicher Bibliotheken, leider nur auf Dänisch erschienen). ElAieta Makowiecka, The Origin and Evolution of Architectural Form of Roman Library (Studia antiqua, 1978) 111 S., im folgenden: Makowiecka (Entwicklungsgeschichte der Bauform römischer öffentlicher Bibliotheken, freilich ohne Kenntnis neuerer Literatur und mit einigen fragwürdigen Deutungen). D. Comparetti -G. De Petra, La Villa Ercolanese dei Pisoni. I suoi monumenti e la sua biblioteca (1883, Nachdruck 1972). Katalog der 1826 Rollen und Fragmente: M. Gigante (Hrsg.), Catalogo dei Papiri Ercolanesi (1979). Zum Besitzer der Villa: H. Bloch, AJA 44, 1940, 490ff.; J. H. D'Arms, Romans on the Bay of Naples (1970) 173f. Zur Ausstattung der Villa: D. Pandermalis, AM 86, 1971, 173-209. Römische Bibliotheken 299 ligt, berichtete aber als einer der ersten darüber. Mir als klassischem Archäologen mag es anstehen, meinen Vortrag mit einem Zitat des Gründerheros meines Fachs zu beginnen. Winckelmann schreibt: "Der Ort, wo dieselben [nämlich die Schriftrollen] zum Vorschein kamen, war ein kleines Zimmer in der oben gemeldeten Herculanischen Villa, welches zween Menschen mit ausgestreckten Armen überreichen konnten. Rundherum an der Mauer waren Schränke, wie in den Archiven zu sein pflegen, in Manneshöhe, und in der Mitte im Zimmer stand ein anderes solches Gestelle für Schriften auf beiden Seiten, so daß man frei umhergehen konnte" 2• Die Beschreibung ist uns darum so wertvoll, weil wir den Fundort heute nicht mehr betreten können. Die ausgedehnte Villa, die viele Meter hoch von versteinertem Lavaschlamm bedeckt ist, wurde damals mit Hilfe unterirdischer Gänge ausgegraben oder vielmehr ihres reichen Skulpturenschmucks und eben der in verkohltem Zustand angetroffenen Schriftrollen beraubt und wieder zugeschüttet. Bis heute ist es nicht gelungen, die wichtige und vielleicht noch immer fündige Anlage freizulegen. Jedenfalls wurde damals von einem Schweizer Architekten ein exakter Grundriß angefertigt, in dem man auch das Bibliothekszimmer als unscheinbaren Raum seitlich des kleinen Peristyls entdecken kann. Nach Winckelmanns Beschreibung und nach der vergleichsweise geringen Größe dieses Raumes handelt es sich nur um das Magazin der Schriftrollen, die in Holzregalen längs der Wände und in der Mitte des Raumes untergebracht waren. Wir werden später sehen, daß eigentlich das ganze Peristyl als Bibliothek anzusehen ist, insofern man in den Wandelgängen sitzend oder gehend die Rollen studierte oder besprach. Diese Funktion des Peristyls wird durch die dort aufgestellten Skulpturen antiker Dichter unterstrichen. Wertvoll ist Winckelmanns Bericht auch, weil er die Lagerung der Rollen beschreibt. Eine antike Papyrusrolle, die ja erst im Laufe der Kaiserzeit allmählich durch Pergamentcodices verdrängt wurde, hat gewöhnlich eine Länge von rund 30 cm und eine Dicke von 5 cm. Diese Rollen, an denen ein Schildchen mit dem Namen des Autors hing, wurden liegend, ja in mehreren Reihen übereinander, in den Fächern von Schränken oder offenen Regalen (armaria oder loculamenta) aufgeschichtet. Ein solches Häuflein von Rollen wird in der Literatur gelegentlich nidus, ein Nest genannt'. 2 Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen (1762), zitiert nach der Ausgabe Dresden 1792, S. 63. 3 T. Birt, Die Buchrolle in der Kunst (1907); Wendel 64-92 (Der antike Bücherschrank). 300 Volker Michael Strocka Nicht ein offenes Gestell, sondern einen richtigen Bücherschrank sehen wir auf dem Relief des Sarkophages eines Arztes aus Rom (Abb. 1)4, der in einem Lehnstuhl sitzt und in einer Schriftrolle liest, während seine ärztlichen Instrumente auf dem Schrank aufgestellt sind. Dieser Schrank (armarium) zeigt geöffnete Türflügel und drei Fächer. Auf dem obersten erkennt man insgesamt acht Rollen, die in drei Reihen aufgeschichtet sind. So ähnlich wie auf diesem Relief, mehr oder minder prächtig geschmückt und zahlreicher, manchmal in die Wände eingelassen, wird man sich die Schränke in den Privatbibliotheken reicher oder gelehrter Römer vorstellen dürfen, wie sie gelegentlich in der lateinischen Literatur erwähnt werden. Eine weitere Privatbibliothek, wohl weniger eines Gelehrten als eines reichen Mannes, zu dessen Lebensstil es gehört haben muß, eine Bibliothek zu besitzen, nicht anders als in der Villa der Pisonen, scheint in der Casa del Menandro in Pompeji (I 10, 4) erhalten zu sein (Taf. XIII a.b) 5 . Das Haus besaß in den letzten Jahren vor der Zerstörung Pompejis, also vor 79 n. Chr., ein gewisser Quintus Poppaeus Sabinus, der zu derselben sehr begüterten Familie gehörte wie Poppaea, die Frau des Kaisers Nero. In dieser ausgedehnten Domus liegt hinter dem Atriumteil das rechteckige Peristyl, an das sich rechts ein Badetrakt und links eine Folge offizieller Empfangsräume anschließt. In der Südostecke befinden sich die Wirtschaftsräume und Stallungen. An der Südseite des Peristyls, also zwischen den Empfangsräumen und dem Bade, öffnen sich mehrere Nischen, sogenannte Exedren, und eine Kammer auf den Säulengang. Diese Kammer Nr. 21, die im 1. Jh. v. Chr. nach der Bodengliederung ein Cubiculum mit zwei Ruhebetten gewesen sein muß, wurde in der letzten Phase mit Holzregalen ausgestattet, deren Befestigungslöcher noch erhalten sind (Taf. XIIIa). Amedeo Maiuri hat die ansprechende Vermutung geäußert, es handle sich hier nicht um eine apotheca, einen Lagerraum, sondern um das Magazin einer kleinen Hausbibliothek. Dies wird besonders nahegelegt durch die Ausmalung der mittleren der anschließenden Exedren, die, wie auch anderswo üblich, der ungestörten Lektüre dienen konnten'. 4 E. Petersen, RM 15, 1900, 171 Abb. 5. 5 A. Maiuri, La Casa del Menandro e il suo tesoro di argenteria (1933) 84ff.; E. La Rocca -M. und A. de Vos, Guida archeologica di Pompei (1976) 175ff. 182f. 6 L. Richardson, jr., Archaeology 30, 1977, 397ff. m. Abb., verkennt anscheinend das Datum der spätneronischen Fresken, wenn er glaubt, die viel älteren Bettstellen in Raum 21 seien Aussparungen für große (viel zu tiefe) Bücherschränke gewesen, der Raum sei dann in der letzten Zeit Pompejis mit Regalen versehen und als Abstellkammer benutzt worden.