Metaphilosophie und Reflexion
Sebastian Ostritsch (Universität Bonn),
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Problemstellung
In den letzten Jahren begegnen dem Beobachter der akademischen Philosophie – sowohl in
Deutschland als auch im angelsächsischen Raum – in zunehmendem Maße Publikationen, Vorträge
und Tagungen, die sich metaphilosophischen Disziplinen verschrieben haben. Neben der bereits
Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten Metaethik ist inzwischen auch regelmäßig von
Metaepistemologie, Metaontologie und Metametaphysik die Rede. Im Folgenden geht es um eine
kritische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, vermeintlich neue philosophische Disziplinen
durch einen Wechsel auf eine Metaebene zu bilden. Die diesbezüglich kritische These lautet, dass
das Wesen philosophischer Überlegungen in ihrer internen Reflexivität liegt. Wie gezeigt werden
soll, bedeutet dies, dass die Philosophie immer auch schon ihre eigenen Voraussetzungen zum
Gegenstand hat, weshalb die Rede von metastufigen Disziplinen in der Philosophie streng
genommen unsinnig ist. Insofern diese Disziplinen nicht nur Träger eines unglücklich gewählten
Namens sind, verfehlen sie es, philosophische Disziplinen im eigentlichen Sinne zu sein. Hierfür
möchte ich in zwei Schritten argumentieren. Zunächst werde ich den eigentümlichen Fragetypus
metaphilosophischer Disziplinen erläutern und zwei Argumente anführen, warum diese Art des
Fragens verfehlt ist. Danach werde ich zu zeigen versuchen, wie sich aus der Etwas-als-EtwasStruktur philosophischer Wesensfragen ein besseres Verständnis philosophischer Disziplinen
gewinnen lässt.
(1) Zur verfehlten Fragestruktur philosophischer Metadisziplinen
Die Zahl der philosophischen Metadisziplinen deckt sich inzwischen mit derjenigen „klassischer“
Disziplinen. Dies ist wenig überraschend, da sich jede Metadisziplin aus dem höherstufigen Bezug
auf eine der klassischen philosophischen Beschäftigungsfelder zu ergeben scheint: Der Ethik
korrespondiert die Metaethik, der Metaphysik die Metametaphysik, der Ontologie die
Metaontologie und der Erkenntnistheorie die Metaepistemologie.
Betrachten wir zunächst, wie und wonach in diesen Metadisziplinen gefragt wird. Als
repräsentativ für das metaphilosophische Selbstverständnis darf das folgende Zitat von David
Chalmers gelten:
„The basic question of ontology is ‘What exists?’ The basic question of metaontology is: are
1
there objective answers to the basic question of ontology?“ 1
Analog hierzu besagt ein weit verbreitetes Verständnis der Metaethik, dass die Ethik danach frage,
was gut sei, wohingegen die Metaethik untersuche, ob die Antworten der Ethik Objektivität
beanspruchen könnten oder nicht. Das Gleiche gilt auch für das Verhältnis von Metaepistemologie
und Erkenntnistheorie. Der Frage- bzw. Denkmodus der Metadisziplinen lässt sich nun durchaus im
Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs als Reflexion bezeichnen. Allerdings handelt es sich hier
um eine externe Reflexion. Hierunter verstehe ich, dass ein Standpunkt außerhalb des
Untersuchungsbereichs eingenommen wird, womit der Untersuchungsgegenstand als unabhängig
von Zugriff des Untersuchenden und seines Untersuchungsstandpunkts vorgestellt wird. Eben dies
soll auch dann gelten, wenn eine philosophische Disziplin selbst thematisiert wird: Die in Frage
stehende Basisdisziplin soll verlassen und von einem getrennten, höheren Standpunkt aus betrachtet
werden.
Zwei Hauptargumente gegen derartig ausgerichtete metaphilosophische Disziplinen drängen
sich auf. Erstens folgt aus dem Selbstverständnis solcher Disziplinen ein infiniter
Begründungsregress, der sich in der Notwendigkeit zur Bildung neuer, immer höherer
Untersuchungsebenen manifestiert. Zweitens gewinnen die Metadisziplinen ihre
disziplinkonstitutiven Fragen auf Basis eines defizitären Verständnisses der klassischen
philosophischen Untersuchungsfelder. Diesen beiden Punkte verlangen eine Erläuterung.
Zu erstens: Der Schritt von der Objekt- auf die Metaebene ist offenkundig nicht nur einmal
möglich. Wenn die Metametaphysik nach dem alethischen Status der Aussagen der Metaphysik
fragt, drängt sich der Schritt zur Meta-Meta-Metaphysik auf. Denn was, so könnte man zurecht
fragen, hat es mit dem alethischen Status der Metametaphysik auf sich? Offenbar lässt sich der
Schritt zu immer neuen Metaebenen – zumindest aus logischer Sicht, psychologisch mögen die
Dinge anders liegen – unbegrenzt fortsetzen. Da der Anspruch jeder Metauntersuchung darin
besteht, den Geltungsanspruch der niedrigeren Ebene zu klären, ist der Ebenenregress ein
Begründungsregress, der letztlich den Wahrheitsanspruch einer jeden philosophischen
Untersuchung ad absurdum führt. Das den Metadisziplinen inhärente Denkmodell ist zudem nicht
nur gegen die bloße Möglichkeit eines solchen Regresses ungeschützt, sondern forciert diesen
notwendigerweise selbst. Schließlich begründet jede Metadisziplin ihre Existenz mit dem Umstand,
dass nur sie die Wahrheitsbedingungen einer niederstufigen Disziplin klären und somit diese
Disziplin selbst rechtfertigen könne. Diesen Anspruch kann sie allerdings nur einlösen, wenn ihre
1
Chalmers, David: „Ontological Anti-Realism“, in: ders. et al. (Hrsg.): Metametaphysics. New Essays on the
Foundations of Ontology. Oxford 2009, S. 77-129. Hier: S. 77.
2
eigenen Wahrheits- und Objektivitätsbedingungen geklärt sind. Ihrem eigenen Fragemodus der
externen Reflexion entsprechend ist hierzu aber die Bildung einer weiteren Metadisziplin
notwendig. Für letztere gilt dann aber erneut das eben Gesagte und so ins Unendliche.
Zu zweitens: Das eben problematisierte Selbstverständnis der Metaphilosophien basiert auf
einer Auffassung der klassischen Disziplinen, die die in der Philosophiegeschichte tatsächlich
gestellten Fragen verzerrt. Wir haben oben gesehen, dass Chalmers die zentrale Frage der Ontologie
als „What exists?“ bestimmt; oder um eine ähnliche Formulierung von Barry Smith, Peter Simons
und Kevin Mulligan zu zitieren: „[O]ntology is the study of what there might be and metaphysics of
what there is“2. Würde man diese Aussagen ernst nehmen, so bestünde die Aufgabe der Ontologie
bzw. der Metaphysik darin, alles, was es gibt bzw. geben könnte, lediglich aufzuzählen. Es ist kein
Wunder, dass eine derartige „Ontologie“ sofort die Frage aufwirft, ob und inwieweit ihre Aussagen
Objektivität beanspruchen können. Die Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte zeigt
aber, dass eine derartige Bestimmung von Ontologie und Metaphysik nicht den Kern des Projekts
trifft, dem sich Philosophen seit über 2000 Jahren widmen. Betrachten wir zur Unterstützung dieser
These die Metaphysik des Aristoteles. Aristoteles versteht die Metaphysik als die „Wissenschaft, die
das Seiende als Seiendes betrachtet“ 3. Das Seiende als Seiendes zu untersuchen, ist nun aber
offenkundig etwas völlig anderes, als nach dem Seienden tout court zu fragen. Letzteres tun die
heutigen Einzelwissenschaften: Die Naturwissenschaften widmen sich den Naturgegenständen, die
Psychologie den psychischen Gegenständen usw. Sie widmen sich diesen Gegenständen aber nicht
als solchen. Was einen Naturgegenstand als solchen auszeichnet, muss die Naturwissenschaft
immer schon voraussetzen.4 Als nächstes möchte ich den Zusatz „als etwas“ genauer betrachten, um
so zu einem besseren Verständnis philosophischer Disziplinen sowie der ihren Fragen
eigentümlichen internen Reflexivität zu gelangen.
(2) Die interne Reflexivität philosophischer Fragen
Philosophische Fragen beziehen sich also im Gegensatz zur einzelwissenschaftlichen
Welterschließung auf die Etwas-als-etwas-Struktur ihres Untersuchungsgegenstandes. Die Frage
nach etwas als etwas können wir auch als die Frage nach dem Wesen eines Gegenstandes bzw. eines
Gegenstandsbereichs auffassen. Derartige Wesensfragen sind nun aber letzte Fragen, weil sie –
2
Smith, Barry et al.: „What's wrong with contemporary philosophy“, in: Topoi 25 (1-2), 2006, S. 63-67. Hier: S. 64.
3 Aristoteles:
4
Metaphysik. Hamburg 1995 (übers. von H. Bonitz) IV 1, 1003a.
Vgl. ebd.
3
erneut mit Aristoteles gesprochen – „auf die ersten Prinzipien und Ursachen“ 5 abzwecken. Oder
anders ausgedrückt: Wesensfragen im Sinne der Erfragung der Etwas-als-etwas-Struktur sind letzte
Fragen, da sie Antworten darauf suchen, was es überhaupt bedeutet, etwas als etwas anzusprechen.
In diesem „als“ des Etwas-als-Etwas ist zudem enthalten, dass es sich bei philosophischen
Fragen um einen denkenden Zugriff auf den fraglichen Gegenstandsbereich handelt. Das Verdienst
der Erkenntniskritik Kants liegt meiner Ansicht nach deshalb genau darin, einsichtig gemacht zu
haben, dass sich philosophische Wesensfragen nicht unabhängig von der denkenden Hinsichtnahme
auf einen Gegenstand bzw. Gegenstandsbereich stellen lassen. Wenn nun aber das Spezifische des
Gegenstands philosophischer Untersuchungen in dessen Etwas-als-etwas-Struktur liegt und wenn
dieses „als etwas“ die denkende Hinsichtnahme auf den Gegenstand ausdrückt, dann ist klar: Der
Untersuchungsgegenstand der Philosophie und der denkende Zugriff auf diesen durch die
Philosophie lassen sich nicht getrennt voneinander konzeptualisieren. Durch dieses interne
Verweisungsverhältnis zeigt sich an der Etwas-als-etwas-Struktur von Wesensfragen, was ich – in
Abgrenzung zur oben kritisierten externen Reflexivität der Metadisziplinen – die interne
Reflexivität philosophischen Nachdenkens nennen möchte: Die Philosophie nimmt gegenüber dem
Erfragten gerade keinen externen Fragestandpunkt ein, sondern das philosophische Nachdenken ist
ebenso eins mit seinem Gegenstand, wie der spezifische Gegenstand philosophischen Fragens erst
durch den internen Bezug auf das philosophische Nachdenken konstituiert wird.
Dem Alltagsverstand ist diese Struktur interner Reflexivität anhand des Selbstbewusstseins
bekannt: Das Selbstbewusstsein bezieht sich nicht von außen auf ein von ihm Unabhängiges,
sondern auf sich selbst als ein Anderes. Gegenstand und Bezugnahme auf diesen lassen sich nicht
getrennt voneinander begreifen. Es scheint mir vor allem dieser Wesenszug interner Reflexivität zu
sein, der die Deutschen Idealisten dazu veranlasst hat, das Selbstbewusstsein zum stetigen
Bezugspunkt ihrer philosophischen Bemühungen zu machen. Gerade anhand des Beispiels des
Selbstbewusstseins zeigt sich nämlich, dass die Bildung einer Metaebene im Falle interner
Reflexivität nicht mehr sinnvoll ist: Das Selbstbewusstsein ist immer schon ein Sich-auf-sichselbst-Beziehen, so dass die Rede von einem Selbstbewusstsein des Selbstbewusstseins entweder
schlicht unverständlich oder aber mit der Rede vom Selbstbewusstsein tout court zusammenfällt.
Ein infiniter Regress der Untersuchungsebenen ist im Falle interner Reflexivität damit
ausgeschlossen: Denn insofern interne Reflexivität Selbstreflexion ist, erweist sich die Rede von
einer Reflexion der Selbstreflexion mit der Rede von der Selbstreflexion als solcher identisch und
somit als redundant. In Bezug auf wahrhaft philosophische Fragen ist es deshalb unsinnig, eine
5
Ebd., I 2, 982 b.
4
externe Metaperspektive einnehmen zu wollen, weil in der Etwas-als-etwas-Struktur der Bezug auf
die eigenen Fragevoraussetzungen bereits mitgesetzt ist.
Zwar kann es wohl als eine wesentliche Errungenschaften der klassischen Deutschen
Philosophie gelten, der internen Reflexivität philosophischer Fragen eine eminente Rolle zuerkannt
zu haben. Allerdings scheint mir die interne Reflexivität der Philosophie nicht erst durch Kant in die
Welt gekommen zu sein. Auch Aristoteles weiß, dass die Gültigkeit der eigenen Überlegungen
aufgrund der besonderen Struktur philosophischer Fragen in diesen immer mituntersucht wird.
Etwas als etwas zu untersuchen, heißt eben auch zu fragen, wie wir von diesem Etwas als solchem
sprechen und wissen können und welche methodischen Prinzipien bei der Erörterung des Etwas-alsetwas in Anspruch genommen werden müssen. Eben dies betont Aristoteles, wenn er schreibt:
„Daß es also dem Philosophen und dem, der jedes Wesen betrachtet, zukommt, auch die
Prinzipien des Beweises zu untersuchen, ist hiernach klar.“ 6
Es zeigt sich also, dass die Frage philosophischer Metadisziplinen, ob die Aussagen der
Basisdisziplinen Objektivität beanspruchen können, nicht sinnvoll gestellt werden kann. Der Grund
hierfür liegt in der Etwas-als-etwas-Struktur philosophischer Fragen, durch die der Fragegehalt
gewissermaßen auf sich selbst zurückgebeugt wird. Philosophische Fragen sind also letzte Fragen,
weil sie derart in-sich-reflektiert sind. Die Philosophie ist ein intern reflexives Projekt, das bei der
Suche nach dem Wesen einer Sache immer auch das eigene mitbestimmt. Sie ist selbstbegründend
und hat sich immer auch selbst mit zum Untersuchungsgegenstand. Hinter der Metaphysik liegt also
nichts, weil die Metaphysik ihr eigenes „Dahinterliegen“ mitreflektiert.
Schlussbemerkungen
Zum Abschluss möchte ich ein vielleicht nahe liegendes Missverständnis ansprechen sowie auf
zwei mögliche Einwände gegen das Gesagte eingehen. Das Missverständnis besagt, dass die hier
vorgebrachte Kritik an der Bildung philosophischer Metadisziplinen behaupte, dass die in diesen
Disziplinen gestellten Fragen allesamt unsinnig wären. Dies ist sicherlich nicht der Fall. So lässt
sich die vermeintlich metametaphysische Frage nach der Objektivität ontologischer Aussagen
wohlwollend als die fundamentalontologische Frage Heideggers nach dem Sinn von Sein verstehen.
Ebenso lassen sich beispielsweise in der praktischen Philosophie Kants und Hegels Antworten auf
die in der Metaethik gestellte Frage nach der Realität der Moral finden. Diese Fragen verhalten sich
aber wohlverstanden nicht höherstufig zu den „klassischen“ Fragen der Ontologie oder der Ethik,
6
Ebd., IV 3, 1005 b.
5
sondern sind Ausdruck des ureigensten Wesens der Philosophie, sich selbst über ihr eignes Tun
Rechenschaft abzulegen.
Der Fürsprecher philosophischer Metadisziplinen mag an dieser Stelle nun einwenden, dass es
sich lediglich um einen Streit um Worte handele und die vorgebrachten Argumente gegen
Metadisziplinen bloß terminologischer Natur seien. Darauf ist zu antworten, dass es in der Tat
philosophische Untersuchungen geben mag, die unter der Bezeichnung einer Metadisziplin
operieren, aber methodisch überhaupt nicht am hier kritisierten Modell externer Reflexion orientiert
sind. Dementsprechend hat sich beispielsweise in der Metaethik – zumindest in Teilen –
durchgesetzt, dass eine horizontale Abkapselung gegenüber der Ethik nicht durchzuhalten ist; mit
Bernard Williams gesprochen: „The distinction between the ethical and the meta-ethical is no
longer found so convincing or important.“7 Gegen Untersuchungen, die lediglich unter falscher
Flagge laufen, ist dann auch höchstens der Vorwurf sprachlicher Verwirrung bzw. Selbstverwirrung
zu erheben. Gerade die neueren Metadisziplinen der Metaontologie, der Metaepistemologie und der
Metametaphysik scheinen aber nicht Opfer unglücklicher Namensgebung zu sein, sondern basieren
– insofern das Verfahren externer Reflexion für sie konstitutiv ist – auf einem irreführenden
Philosophieverständnis.
Der andere Einwand, der zu erwähnen ist, betrifft nicht die Kritik der Metadisziplinen,
sondern die hier vertretene Alternative der internen Reflexivität philosophischen Denkens. Gegen
diese mag vorgebracht werden, dass völlig unklar sei, wie ein derartiger, in sich geschlossener
Selbstbezug überhaupt möglich sei. Dies zeige sich bereits an der Orientierung am Phänomen des
Selbstbewusstseins: Die Probleme und Paradoxa, die bei den philosophischen
Erläuterungsversuchen der Selbstbewusstseinsstruktur aufträten, ließen sich auch auf das am
Modell interner Reflexivität ausgerichtete Philosophieverständnis übertragen. Hierauf ist zu
antworten, dass es durchaus als philosophische Aufgabe gelten darf, die Natur des
Selbstbewusstseins und somit auch das Wesen interner Reflexivität zu explizieren. Unbestreitbar
scheint mir jedoch zweierlei. Erstens kommt sowohl philosophischen Fragen als auch dem
Selbstbewusstsein eine konstitutiv selbstbezügliche Struktur zu und zweitens lässt sich dieser
Selbstbezug nicht mithilfe des Modells externer Reflexion, das für philosophische Metadisziplinen
charakteristisch ist, verständlich machen.
7
Williams, Bernard: Ethics and the Limits of Philosophy. London 2006, S. 74.
6