Medizinische Amboss-Notizen Für FSP-Münster. SukranTekin

Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 184

1

INHALT

• DIABETES MELLITUS 3-7


• HYPOGLYKÄMIE 8-10
• MYOKARDINFARKT 11-15
• HERZINSUFFIZIENZ 16-21
• PAVK 22-26
• TVT 27-30
• THROMBOPHLEBITIS 31
• ULCUS CRURIS /CVI 32
• LYMPHANGITIS 33
• PNEUMONIE 34-38
• ASTHMA BRONCHIALE 39-44
• ANGINA TONSILLARIS 45-47
• INFEKTIÖSE MONONUKLEOSE 47-49
• OSAS 50-52
• LYME-BORRRELIOSE 53-58
• ÖSOPHAGUSKARZINOM / ACHALASIE 59-63
• GASTRODUODENALE ULKUSKRANKHEIT, GIB 64-69
• CHOLEZYSTITIS, CHOLETLITHIASIS, CHOLANGITIS 70-75
• AKUTE APPENDIZITIS 75-79
• CED 80-84
• KRK (ALS DD; DIVERTIKULITIS, KOLONPOLYPEN) 85-88
• LEBERZIRRHOSE 89-92
• HERPES ZOSTER 93-95
• UROLITHIASIS, PYELONEPHRITIS 96-100
• GICHT 101-104
• HYPOTHYREOSE, HYPERTHYREOSE 105-112
• LEUKÄMIE 113-117
• LYMPHOM 118-122
• BASALIOM 123-125
• APOPLEX 126-133
• EPILEPSIE 134-140
• MIGRÄNE 141-145
• DISKUSPROLAPS 146-153
• POLYTRAUMA (SHT, PNX, D.RADIUSFRAKTUR) 154-167
• MILZRUPTUR 167-171
• PATELLA- FRAKTUR 172-177
• OSG-FRAKTUR 178-184

2
DIABETES MELLITUS
****Klassifikation:
Typ 1 (juveniler Diabetes): immunologisch (Typ 1A), idiopathisch (Typ 1B)
Typ 2 (Altersdiabetes)
Typ 3: weitere spezifische Diabetestypen
-MODY, Erkrankungen des exokrinen Pankreas, Endokrinopathien wir
Cushing-Syndrom oder Akromegalie, durch Glucocorticoide induziert, andere
genetische Syndrome usw.
Typ 4: Gestationsdiabetes (Während einer Schwangerschaft erstdiagnostizierte
Glucosetoleranzstörung.)

Allgemeine Symptome:
Leistungsminderung, Fatigue,
Polyurie (übermäßige Urinausscheidung >2-5 L/Tag), Nykturie
Polydipsie (Übermäßige Trinkmenge >3 L täglich infolge eines übermäßigen Durstgefühls)
Wadenkrämpfe (Ursache ist eine durch die Polyurie bei Glucosurie vermittelte Depletion von
Kalium und Magnesium.)
Pruritus, Xerodermie
Infektanfälligkeit, Gingivitis
Sehstörungen (Starke Blutzuckerschwankungen können durch osmotisch bedingtes
Aufquellen der Linse zu einer transitorischen Refraktionsänderung (oft Myopie) führen.)
Bei absolutem Insulinmangel: Gewichtsabnahme

3
DIAGNOSTIK:

100-125 mg/ dL Nüchternglucose: abnorme Nüchternglucose


140-199 mg/dL bei 2-h-Wert des OGTT: pathologische Glucosetoleranz

Diabetes mellitus:
Nüchternglucose (nach 8 h Nahrungskarenz) >= 126 mg/dL
HbA1C >= 6.5 % (Glykierte Hämoglobin korreliert mit dem mittleren Blutglucosegehalt der
vergangenen 8-12 Wochen!)
2-h-Wert des OGTT:>= 200 mg/dL

OGTT-Durchführung: Nüchternglucose bestimmen, orale Gabe von 75g Glucose,


Blutzuckerkontrolle nach 2h.

Weitere allgemeine Untersuchungen


--Urin: Albuminurie (Frühzeichen der diabetischen Nephropathie!), Glucosurie (bei >180
mg/dL Glucose im Blut)

--spezifische Autoantikörper bei Dm-Typ 1; gegen Glutamatdecarboxylase /


Tyrosinphosphatase, Insulin-Autoantikörper usw.

--C-Peptid: Bei Typ 1 niedrig bis nicht vorhanden, bei Typ 2 hingegen eher erhöht.

4
**Unterscheidung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und 2
Typ 1 Typ 2
Häufigkeit 10-20% 80-90%
Vererbung HLA-Assoziation keine HLA-Assoziation,starke genetische Disposition
Pathogenese absoluter Insulinmangel Insulinresistenz
Körperbau Asthenisch Adipös
Beginn akute, meist 15.-24. Lj langsam, meist >40. Lj.
C-Peptid niedrig bis fehlend Anfangs hoch
Ketoseneigung hoch gering
Therapie Insulintherapie immer erforderlich Lifestyle-Schulung-Medikamente-Insulin

THERAPIE:
Allgemeine Empfehlungen:
Lebensstilveränderung: Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, Tabakentwöhnung,
körperliche Bewegung,
Patientenschulung
Regelmäßige Verlaufskontrollen; Parameter des metabolischen Syndroms, Kardiovaskuläre
Vorsorgeuntersuchungen, Vorbeugung des diabetischen Fußsyndroms (Untersuchung der
Füße), Vorbeugung der diabetischen Nephropathie (Nierenwerte, Elektrolyte), Vorbeugung
der diabetischen Retinopathie (Untersuchung der Augenhintergrundes; Fundoskopie)
BZ-Messung: Bei stabiler Einstellung auf jeden Fall vor den Mahlzeiten und beim
Zubettgehen (mind. 4×/Tag), zusätzlich Bedarfsmessungen

BZ: Grundsätzlich wird bei allen Diabetesformen ein HbA1c <7,5% (<58 mmol/mol Hb)
empfohlen. Individuell werden angepasste Zielbereiche definiert.
Nüchtern-BZ 90-120 mg/dL
PP-BZ: <160 mg/dL
Blutdruck: Bei Diabetes mellitus Typ 2 werden aktuell folgende Werte empfohlen: <130
mmHg systolisch, <80 mmHg diastolisch
Lipidstatus:
Bei Diabetes mellitus Typ 2 werden aktuell folgende Werte empfohlen:
LDL-Cholesterin <100 mg/dL (<70 mg/dL bei KHK),
HDL-Cholesterin >50 mg/dL (>40 mg/dL bei Männern),
Triglyceride <150 mg/dL.

Stufenschema für Typ-2-Diabetiker:


Stufe I: Basistherapie (Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, Tabakentwöhnung,
körperliche Bewegung, Patientenschulung)
Stufe II: Monotherapie: 1. Wahl Metformin
Stufe III: Zweifachtherapie (Metformin + zweites orales Antidiabetikum / GLP-1-Rez.-
Agonisten s.c. / Insulin
Stufe IV: Dreifachtherapie (Metformin + zweites orales Antidiabetikum / GLP-1-Rez.-
Agonisten s.c. + drittes Antidiabetikum / Insulin)
Stufe V: Insulintherapie ggf. mit Antidiabetika (insb. Metformin)

5
Insulintherapie:
Typ-1-Diabetes: Immer!
Typ-2-Diabetes: Bei Versagen der Basistherapie (Gewichtsreduktion durch
Ernährungsumstellung und körperliche Bewegung) und oralen Antidiabetika
Grundlagen der Insulintherapie:
*Tagesbedarf: Als Faustregel und Merkhilfe gilt, dass der durchschnittliche Tagesbedarf 40–
50 Insulineinheiten (IE) beträgt.
*Basal/prandial: Verhältnis beträgt ca. 1:1, also 20 IE für den basalen Stoffwechsel und 20 IE
für die Nahrungsaufnahme.
* Ein IE-Insulin senkt den Blutzucker um etwa 30–40 mg/dL (1,7–2,2 mmol/L), sofern keine
Insulinresistenz vorliegt.
* Eine Kohlenhydrateinheit (KE) entspricht etwa 10 g Kohlenhydraten und erhöht den
Blutzucker (BZ) um 30–40 mg/dL. Es wird also grob etwa 1 IE für 1 KE benötigt.
*Insulinbedarf pro Kohlenhydrateinheit ändert sich im Tagesverlauf
Pro KE: morgens 2 IE, mittags 1 IE, abends 1,5 IE

1.Intensivierte Insulintherapie
1A. Intensivierte konventionelle Insulintherapie: langwirksame Basalinsuline +
malhlzeitbezogene Insuline
----Zielgruppe: Insb. Alle Typ-1 und gut schulbare Typ-2-Diabetiker
1B. Insulinpumpentherapie: Externe Pumpe mit kontinuierlicher Applikation von
Insulin. (Basal-und Bolusgaben individuell einstellbar)
----Indikationen: Schwangerschaft, Dawn-Phänomen (frühmorgendliche Hyperglykämie),
Typ-1 Diabetiker mit unzureichender Stoffwechselkontrolle unter der intensivierten
konventionellen Insulintherapie.
----- Vorteile: Leichtere Einstellung des Blutzuckers möglich, kein fester Ernährungsplan
(„Der Patient isst, was und wann er will, und treibt Sport, wann und so viel er will“), bei guter
Compliance optimale Einstellung möglich und Senkung des Risikos für Spätkomplikationen.
----Nachteile: Zeitaufwendig durch häufige Blutzuckerselbstkontrollen, häufiger
Hypoglykämien als bei konventioneller Insulintherapie, gute Compliance des Patienten und
intensive Schulung vonnöten.

2.Supplementäre Insulintherapie: Gabe von Normalinsulin oder kurzwirksamen


Insulinanaloga zu den Hauptmahlzeiten, zusätzlich zur sonstigen Therapie mit Antidiabetika
----- Zielgruppe: Typ-2-Diabetiker mit guter Nüchternblutzucker-Einstellung, jedoch hohen
postprandialen Werten

6
DM-KOMPLIKATIONEN:

-Akute Komplikationen: Schwere Hyperglykämien bis hin zum hyperglykämischen Koma,


Hypoglykämien unter Therapie
-Diabestische Makroangiopathie: KHK, arterielle Verschlusskrankheit der Hirnarterien
(Apoplex cerebri), pAVK, Aortenaneurysma, Aortendissektion, Mönckeberg-Mediasklerose
-Diabestische Mikroangiopathie: Nephropathie, Retinopathie, Neuropathie
-Diabetisches Fußsyndrom (entweder wegen Makroangiopathie (pAVK) oder
Mikroangiopathie (Neuropathie) oder denen Kombination)
-Diabetische Kardiomyopathie (Klinik: Herzinsuffizienz)
-Diabetische Fettleber (Dm ist die häufigste Ursache für die Entstehung einer nicht-
alkoholischen Fettleber.)
-Erhöhte Infektanfälligkeit (wegen der schlechten Versorgung des Gewebes (Mikro- und
Makroangiopathien) und des geschwächten Immunsystems)
-Sialadenose (nicht-entzündliche Schwellung der Speicheldrüsen)
-Cheiroarthropathie (schmerzlose Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit)
-Necrobiosis lipoidica (entzündliche, granulomatöse Hauterkrankung mit
Kollagendegeneration und Lipidanreichung in der Dermis)
-Katarakt
-Wundheilungsstörung

Komplikationen der Insulintherapie: Hypoglykämie, Lipodystrophie an der Injektionsstellen,


Morgendliche Hyperglykämie (Däwn-Phänomen, Somogyi-Effekt)

7
HYPOGLYKÄMIE: BZ < 45-50 mg/dl

Hypoglykämien treten meist im Rahmen der Therapie eines Diabetes mellitus. und
entsprechender antidiabetischer Medikation auf.

**Sicherer Nachweis einer Hypoglykämie: Whipple-Trias


1.Hypoglykämische Symptomatik;
Symptome der autonomen Gegenregulation: Unruhe, Hyperhidrose, Pallor, Tachykardie,
Palpitation, Tremor, Heißhunger, Nausea, Emesis
Neuroglucopenische Symptome: Da der Stoffwechsel des Gehirns auf Glucose angewiesen
ist und nicht auf andere Energiequellenzurückgreifen kann, reagiert er besonders
empfindlich auf Hypoglykämien.
Unruhe, Verwirrtheit, Cephalgie, Sprachstörungen, Irritabilität, Aggressivität, Konvulsionen,
fokale Zeichen (Paresen, Parästhesien), Konzentrationsstörungen, Fatigue, Apathie --
Somnolenz--Koma
2.Niedriger Blutzuckerwert
3.Milderung der Symptomatik bei Anhebung des Glucosespiegels

*Die Symptome entwickeln sich häufig innerhalb weniger Minuten!

8
*Durch häufige Hypoglykämien verringert sich die Hypoglykämie-Wahrnehmung. Die
ausbleibenden Warnsymptome können auch auf eine autonome Neuropathie
zurückzuführen sein!
ÄTIOLOGIE:
Allgemeine begünstigende Faktoren: unzureichende Nahrungsaufnahme, Alkoholkonsum,
starke körperliche Betätigung
1.Hypoglykämie bei Diabetikern:
-Überdosierungen blutzuckersenkender Wirkstoffe (Insulin, Antidiabetika)
-Typische Situationen: Körperliche Anstrengungen, Alkoholkonsum, unregelmäßige
Nahrungsaufnahme
-Reaktive Form: Postprandial in der Frühphase des Dm Typ 2.
2.Hypoglykämie bei Erwachsenen Nicht-Diabetikern
-Medikamente, Drogen und Toxine (Alkohol, Cannabis!)
-Magenentleerungsstörung, Dumping-Syndrom nach Gastrektomie
-autonome Insulinsekretion: Insulinom
-endokrinologische Ursachen: Nebennierenrindeninsuffizienz, Hypopituitarismus,
ausgeprägte Hypothyreose, nach Resektion eines Phäochromozytoms
-schwere Erkrankungen: Nieren- / Leberinsuffizienz, Sepsis, septischer Schock, Kachexie bei
Tumorerkrankungen oder im Rahmen von Essstörungen

DIAGNOSTIK:

Basisdiagnostik: Blutzuckermessung

Erweiterte Labordiagnostik: durch einen Fastentest


Der Fastentest ist der Goldstandard der Hypoglykämie-Abklärung und wird erforderlich,
wenn in Zusammenschau der anamnestischen Daten und der klinischen Konstellation keine
ätiologische Zuordnung erfolgen kann. Ausnahme sind postprandiale Hypoglykämien, bei
denen i.d.R. ein verlängerter oraler Glucosetoleranztest (oGTT) Methode der Wahl ist.

Bei dem Fastentest wird der Patient maximal 72 h unter Hungerbedingungen stationär auf
Symptome und den Nachweis einer Hypoglykämie hin überwacht.
Labor: Serumglucose, Insulin im Serum, C-peptid

9
*C-Peptid entsteht nur bei endogener Insulinfreisetzung, es fehlt hingegen bei exogener
Insulinzufuhr.

----Serumglucose↓, Insulin↑, C-Peptid↑: Hinweis auf autonome Insulinproduktion oder


Sulfonylharnstoff-Überdosierung
V.a. Sulfonylharnstoffe: Nachweis aus dem Serum oder Urin anstreben
Bestätigend für autonome Insulinproduktion: Ggf. Nachweis verminderter
Serumkonzentrationen von β-Hydroxybutyrat (Ketonkörper)

----Serumglucose↓, Insulin↓, C-Peptid↓: Hinweis für einen Substratmangel durch


fehlende Möglichkeit zur Glucosemobilisation (Leberinsuffizienz, Niereninsuffizienz,
Alkohol), zusätzlich bei seltenen Ätiologien (Insulinantikörper, Paraneoplasie)
Bei V.a. Malignom: Tumorsuche veranlassen, wenn klinisch keine plausible Ursache der
defekten Glucosemobilisation auszumachen ist

----Serumglucose↓, Insulin↑, C-Peptid↓: Hinweis auf eine exogene Insulinzufuhr


(iatrogen, akzidentell, kriminell!)

THERAPIE:
In der Klinik: Glucosegabe (p.o. 20-100 g; Traubenzucker in Wasser, bei Bewusstlosigkeit i.v)
Präklinisch und im Alltag: Getränke und Süßigkeiten mit schnell resorbierbarer Glucose (Cola,
Orangensaft, Gummibärchen)
Fortlaufende BZ-messungen
Ggf. Dauertropfinfusion mit Glucose 5%
Ziel-BZ:200 mg/dl
Bewustlosigkeit, kein Venenzugang: Glukagon i.m. od. s.c.
Stationäre Überwachung für 24-72 h
Kausale Therapie: Abklärung und Behebung der Ursache

10
MYOKARDINFARKT
Angina pectoris (AP): Plötzlich auftretende, thorakale (retrosternale) Schmerzen oder
Druckgefühl. Die Angina pectoris ist das Leitsymptom der KHK und wird durch seelische oder
körperliche Belastungen ausgelöst. Eine Schmerzausstrahlung (bspw. in den linken Arm)
sowie Angst, Unruhe oder vegetative Begleitsymptome sind möglich. Sie kann stabil
(selbstlimitierend) oder instabil (progredient) verlaufen.

Stabile AP:
- Reproduzierbare Symptomatik einer Angina pectoris ohne Anhalt für eine klinische
Progredienz
-Auslöser: psychische oder körperliche Belastungen, Kälteexposition, geblähter Magen
-Beschwerden klingen i.d.R. nach kurzer Zeit (10 min) oder ggf. nach Gabe von Nitroglycerin
innerhalb von 2 min ab.

Instabile AP:
- Retrosternale Schmerzen, die auf eine rasch progrediente, bedrohliche Ischämie hinweisen
- Infarkttypische Symptomatik (in Ruhe oder bei geringster Belastung)
-Länger anhaltende Beschwerden als bei stabiler Angina pectoris (>20 min)
-Verzögertes oder fehlendes Ansprechen auf Nitrate

Pathopysiologie der AP: Arterielle Ischämie als Folge eines Missverhältnisses von O2-
Angebot und O2-Bedarf der Kardiomyozyten (Koronarinsuffizienz)
Hauptursache (>95%): stenosierende Atherosklerose (vermindertes O2-Angebot)

Passagere Koronarinsuffizienz à Ischämie und Läsionen à AP


Persistierende akute Koronarinsuffizienz à Myokardnekrosen (irreversibel) à MI

Prinzmetal-Angina (vasospastische AP)

---Ätiologie: passagere Koronarspasmen (können sowohl in Kombination mit als auch ohne
signifikante Koronarstenosen auftreten)
---Typische Beschwerdesymptomatik einer (belastungsunabhängigen!) Angina pectoris
---Auftreten V.a. in den frühen Morgenstunden
---EKG: Reversible ST-Hebung
---Labor: Kein Anstieg von Troponin T oder I
---Therapie: Calciumantagonisten (1.Wahl), alternativ oder in Kombination Nitrate
---Kontraindikation: Betablocker!

11
Akutes Koronarsyndrom: ist ein Sammelbegriff für akuten Myokardinfarkt (STEMI, NSTEMI)
und instabile Angina pectoris.

STEMI: Akuter Myokardinfarkt mit signifikanten (>=0.1 mV) ST-Hebungen in mind. 2


benachbarten Ableitungen.
(V1-V6: Vorderwand / II, III, aVF: Hinterwand / I und aVL: Seitenwand des linken Ventrikels)
--- Linksschenkelblock bzw. Rechtsschenkelblock: Können ST-Hebungen maskieren und sind
bei klinischem Verdacht im Zweifel als STEMI zu werten.

* Generalisierte ST-Hebungen oder ST-Hebungen, die keinem Versorgungsgebiet


entsprechen, können bspw. auch im Rahmen einer Perikarditis auftreten.

NSTEMI: Akuter Myokardinfarkt mit anhaltender infarktspezifischer Symptomatik sowie


Troponindynamik, aber unauffälligem oder unspezifischem EKG-Befund.
Aufgrund der begrenzten Ausdehnung des Infarktes zeigt der NSTEMI keine
charakteristischen ST-Hebungen im EKG.
Hinweisende Infarktzeichen beim NSTEMI: horizontale oder deszendierende ST-Senkung
und/oder T-Inversion

Klassifikation der MI:


Typ 1: atherosklerotische Plaqueruptur mit Koronarthrombus
(Okklusiv; STEMI und Nicht-okklusiv; NSTEMI)
Typ 2: Sauerstoffdefizit (unabhängig von einer Koronarthrombose, Frauen häufiger
betroffen)
Typ 3: Herztod
Typ 4: PCI (perkutane Koronarintervention) -assoziiert (während oder unmittelbar nach PCI)
Typ 5: Bypass-assoziiert (während oder unmittelbar nach <48 h einer Bypass-OP)

12
Diagnostik:

KU:
---Inspektion: Zyanose, Blässe, Orthopnoe, Kaltschweißigkeit, peripher kühle Extremitäten,
-verlängerte Rekapillarisationszeit bei kardiogenem Schock
-gestaute Jugulervenen bei Rechtsherzinsuffizienz, Unterschenkelödeme bei HI
---Auskultation: ggf. Mitralinsuffizienz, Holosystolikum, Diastolikum
ggf. bds. feuchte Rasselgeräusche bei Lungenödem

Notfallmäßig 12-Kanal-EKG
Sofort, <10 min nach Erstkontakt!
Wiederholung nach 6 und 12 h
ggf. Ableitung zusätzlicher Kanäle (bei V.a Hinterwandinfarkt)

Labor (so früh wie möglich!): BB, Troponin T/I, CK-gesamt, CK-MB, Myoglobin, D-Dimere,
Gerinnungsparameter, TSH, Nierenwerte, BNP, LDH, AST

*** Troponin ist der wichtigste Marker für einen akuten Myokardinfarkt! (mehrere
Messungen für Troponin benötigt; bei Erstkontakt und nach 3-6 h bzw. nach 1-3 h bei
hochsensitiven Troponinassays; hs-cTn)

***Die CK-MB korreliert mit der Infarktgröße!

*Im Rahmen der weiterführenden Diagnostik kommen unter Umständen iodhaltige


Kontrastmittel zum Einsatz, die bei bestehender Hyperthyreose zu einer Verschlimmerung
bis hin zur thyreotoxischen Krise führen können.

**Kreatinin und TSH: Dies muss vor der Verwendung von Kontrastmittel überprüft werden!

*Gerinnungsparameter: Therapeutisch werden beim ACS gerinnungshemmende


Medikamente eingesetzt, daher muss eine Gerinnungsstörung ausgeschlossen werden.

Bildgebende Diagnostik der Akutphase:


---Koronarangiografie: Diagnosesicherung sowie therapeutische Intervention
STEMI: primäre PCI so schnell wie möglich (soll weniger als 60 min nach Diagnosestellung
erfolgen)
NSTEMI: früh-elektiv PCI innerhalb von 2-72 h

---Echokardiografie:
Notfallmäßig bei kardiogenem Schock oder hämodynamische Instabilität
Differenzialdiagnostisch bei nicht-aussagekräftigem EKG (DD: Aortendissektion, akute
Rechtsherzbelastung bei LAE, Aortenstenose)
Infarkttypische Befunde: frische, regionale Wandbewegungsstörungen
Darstellung mögliche Komplikationen eines akuten Myokardinfarktes:
Vorderwandaneurysma, Klappeninsuffizienz durch Abriss eines Papillarmuskels,
Perikarderguss, Ventrikel-Ruptur
Differenzialdiagnosen; Red Flags bei Thoraxschmerz

13
----Lungenembolie: plötzlicher Beginn, >20 min anhaltender, einseitiger, stechender,
Atemabhängiger Thoraxschmerz, belastungsabhängige Dyspnoe, ggf. auch in Ruhe,
Tachypnoe, Tachykardie, Hypotonie, Husten, evtl. Hämoptysen, Halsvenenstauung, Zyanose,
vegetative Symptomatik, Thromboseanamnese

----Spannungspneumothorax: perakuter Beginn, >20 min anhaltender, einseitiger,


stechender, Atemabhängiger Thoraxschmerz, ohne Ausstrahlung, belastungsabhängige
Dyspnoe, ggf. auch in Ruhe, Tachypnoe, Tachykardie, Hypotonie, Husten, Halsvenenstauung,
Zyanose, vegetative Symptomatik, abgeschwächtes Atemgeräusch, hypersonorer
Klopfschall, asymmetrische Thoraxbewegungen

---Aortendissektion: plötzlicher Beginn, >20 min anhaltender, retrosternaler, evtl.


wandernder, reißender und viszeraler Vernichtungsschmerz (verstärkt im Liegen) mit
Ausstrahlung den Nacken, Rücken oder Abdomen, Dyspnoe, Tachypnoe, Tachykardie,
Hypotonie, Husten, Halsvenenstauung, Zyanose, vegetative Symptomatik, Symptome einer
Organmalperfusion (MI, Nierenschädigung, neurologische Ausfälle), Pulsdefizit (Differenz
zwischen tatsächlicher Herzfrequenz (Auskultation) und peripher palpiertem Puls) und
Seitendifferenz bei Blutdruck

----Perikardtamponade: plötzlicher Beginn, >20 min anhaltender, retrosternaler, dumpfer,


drückender, Atemabhängiger Thoraxschmerz, ohne Ausstrahlung, vor allem
belastungsabhängige Dyspnoe, ggf. in schweren Fällen auch Ruhedyspnoe, Tachypnoe,
Tachykardie, Hypotonie, Husten, Halsvenenstauung, Zyanose, vegetative Symptomatik,
Oberbauchschmerzen, Hepatomegalie; akute Stauungsleber, Heiserkeit, Schluckauf,
Dysphagie, Emesis

----Boerhaave-Syndrom: plötzlicher Beginn, >20 min anhaltender, retrosternaler


Vernichtungsschmerz mit Ausstrahlung in den Rücken, Dyspnoe, Tachypnoe, Tachykardie,
Hypotonie, Husten, Zyanose, vegetative Symptomatik, explosionsartiges Erbrechen, Knistern
bei Palpation durch Mediastinalemphysem

Therapie der MI:


-----Revaskularisation:
STEMI:
Primäre PCI (soll weniger als 60 min nach Diagnosestellung erfolgen): PTCA mit
Ballondilatation oder Stentimplantation
Falls Primäre PCI innerhalb von 2 h nach STEMI-Diagnose nicht verfügbar ist: Fibrinolyse
Bei PCI-ungeeigneter Anatomie: aortokoronare Bypass-OP

NSTEMI:
früh-elektiv Koronerangiografie innerhalb von 2-72 h: je nach Befund primäre PCIàPTCA
mit Ballondilatation oder Stentimplantation oder aortokoronare Bypass-OP

14
Medikamente:
-----Thrombozytenaggregationshemmung und Antikoagulation;

NSTEMI/IAP:
Bei passendem klinischem Bild; sofortiger Beginn mit ASS, ggf. Erweiterung mit P2Y12-
Inhibitor (Abhängig vom Befund der Koronarangiografie)
Antikoagulations der Wahl: Fondaparinux , Während PCI zusätzlich; UFH

STEMI:
sofortiger Beginn mit ASS, zusätzlich bei sicherer EKG-Diagnose P2Y12-Inhibitor (=ADP-Rez-
Hemmer; Ticagrelor, Prasugrel, Clopidogrel)
Antikoagulations der Wahl: UFH (unfraktioniertes Heparin) während der primären PCI

----Medikamentöse Fibrinolyse: sollte in Deutschland nur in Einzelfällen nach sorgfältiger


Risiko-Nutzen-Abwägung unter Einbeziehung von Alternativen (bspw. verspätete primäre
PCI) erfolgen! (durch Tenecteplase od. Streptokinase)

Postinterventionelle Nachsorge:
Auskultation, ggf. Duplex-Sono, EKG-Monitoring (für min. 24 h), routine-Labor,
transthorakale Echo

Komplikationen:
Frühkomplikationen (innerhalb der ersten Tage): plötzlicher Herztod,
Herzrhythmusstörungen, akute HI, Rupturen, kardiogener Schock

Spätkomplikationen: arterielle Embolien (Risiko für Apoplex), Reinfarkt, Perikarditis (Früh-;


innerhalb der ersten Woche oder Spätperikarditis, Herzinsuffizienz

**Postmyokardinfarkt-Syndrom (Spätperikarditis, Dressler-Syndrom): Mehrere Tage bis


Wochen nach Infarktereignis auftretende abakterielle Herzbeutelentzündung (evtl. mit
Pleuritis), entsteht durch autoimmune Genese (Antikörper gegen Herzmuskelzellen),
Therapie: NSAR, Glucocorticoide

**Vernichtungsschmerz: Als Vernichtungsschmerz werden akut auftretende, stärkste


Schmerzen bezeichnet, die bei den Betroffenen ein Gefühl der Ausgeliefertheit und
Hilflosigkeit auslösen und zu massiver Todesangst führen können

*Orthopnoe: Verstärkte Dyspnoe in liegender Position, die zur aufrechten Haltung des
Thorax zwingt; zusätzlich beobachtet man den Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, aus der sich
günstigere hydrostatische Verhältnisse ergeben, die eine tiefere Einatmung erlauben.

15
HERZINSUFFIZIENZ
Klinisches Syndrom: Folge struktureller oder funktioneller Veränderungen des Herzens, die
zu einer Reduktion des Herzzeitvolumens (HZV) führen.

**Herzzeitvolumen: Blutvolumen, das pro Zeiteinheit vom Ventrikel ausgeworfen wird.


Das Herzzeitvolumen (HZV) wird meist in Liter pro Minute angegeben und dann als
Herzminutenvolumen (HMV) bezeichnet.
Es berechnet sich aus Schlagvolumen × Herzfrequenz.

ÄTIOLOGIE:
Häufige Ursachen:
--ischämische Kardiomyopathie (koronare Herzkrankheit, MI, Ventrikelaneursyma),
--arterielle Hypertonie

**KHK + art. HT sind gemeinsam für 70-90% der Fälle von chronischer HI verantwortlich!

Seltenere Ursachen:
--Herzrhythmusstörungen (AV-Blockierungen, VHF)
--Herzklappenerkrankungen
--Perikarderkrankungen (Perikarditis, Perikarderguss)
--Nicht-ischämische Kardiomyopathie
--Nierenerkrankungen
--Infektiöse Ursachen: Lyme-Karditis, Myokarditis
--Hypothyreose oder Hyperthyreose
--systemische Erkrankungen mit kardialer Beteiligung: Amyloidose, SLE, Polyarteriitis nodosa

KLASSIFIKATION:

Nach LVEF:
---HI mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion: LVEF >= 50%
---HI mit gering reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion: LVEF 41-49%
---HI mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion: LVEF<= 40%

Nach subjektiven Beschwerden (NYHA) ******


NYHA-Stadium:
I: Herzerkrankung ohne körperliche Limitation
II: Herzerkrankung mit geringer körperlicher Limitation (Beschwerden bei stärkerer
körperlicher Belastung z.B. Treppensteigen, Bergaufgehen)
III: Herzerkrankung mit höhergradiger körperlicher Limitation (Beschwerden bei leichter
körperlicher Belastung z.B. Gehen in der Ebene)
IV: Herzerkrankung mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe

Nach Verlauf:
---akute HI
---chronische HI

16
Nach Pathophysiologie:
---systolische HI: Kontraktionsfähigkeit des Herzmuskels reduziert
---diastolische HI: Relaxationsfähigkeit des Herzmuskels reduziert
---kombinierte systolische und diastolische HI

Nach betroffenem Ventrikel:


---Linksherzinsuffizienz
---Rechtsherzinsuffizienz
---Globalinsuffizienz

* Die häufigste Ursache einer Rechtsherzinsuffizienz ist die postkapilläre pulmonale


Hypertonie infolge einer Linksherzinsuffizienz (durch den anhaltenden Rückstau von Blut).

* Eine isolierte Rechtsherzinsuffizienz ist selten, kann aber bspw. bei akuter Lungenembolie,
Herzklappenerkrankungen, Rechtsherzinfarkt, arrhythmogener rechtsventrikulärer
Kardiomyopathie oder Cor pulmonale auftreten.

Nach Kompensationszustand:
---Kompensierte HI: chronische HI mit guter Symptomkontrolle und Normovolämie
---Dekompensierte HI: plötzliche oder allmähliche Verschlechterung einer chronischen
Herzinsuffizienz

SYMPTOME:

Leistungsminderung
---Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schwächegefühl
---verminderte Belastungstoleranz und verlängerte Erholungszeit
Dyspnoe
----Ggf. Tachypnoe, Orthopnoe und/oder Bendopnoe (Kurzatmigkeit beim Vorwärtsbeugen)
Periphere Ödeme (nur bei Rechtsherzinsuffizienz)
----Lokalisation schwerkraftabhängig: Initial i.d.R. an Fußrücken, Knöcheln und/oder prätibial,
ggf. Nykturie
Änderungen des Körpergewichts
--Gewichtszunahme >2 kg/Woche ohne nutritive Ursache (Ausdruck einer zunehmenden
Hypervolämie)
--Gewichtsverlust: Prognostisch schlechtes Zeichen bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz,
kardiale Kachexie
Asthma cardiale: Lageabhängige, i.d.R. nächtliche Episoden schwerer Atemnot mit Husten
(pulmonale Stauungà reflektorischen Bronchospasmus)
Gastrointestinale Symptome: Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Übelkeit, Bauchschmerzen
Neurologische Symptome: Schwindel, Verwirrtheit, Schlafstörungen, Depression
Kardiologische Symptome: Palpitationen, Sinustachykardie, Arrhythmien, Synkopen
Hautsymptome: Blässe, kalte Haut, ggf. periphere Zyanose, Schwitzen

***Die frühesten Symptome sind meist Fatigue und Belastungsdyspnoe.

17
SYSTEMATIK VON HERZINSUFFIZIENZSYMPTOMEN:

Vorwärtsversagen:
----Vorwärtsversagen des linken Herzens:
HZV ß ---- Perfusion der Körperkreislaufs ß ---- Versorgung der Zielorgane mit
sauerstoffreichem Blut ß

---Vorwärtsversagen des rechten Herzens:


HZV ß ---- Perfusion der Lungenkreislaufs ß --- Füllung des linken Herzens ß

Rückwärtsversagen:
---Rückwärtsversagen des linken Herzens:
Venöse Stauung im Lungenkreislauf à Hydrostatischer Druck in den Lungenkapillaren Ý à
Flüssigkeitsaustritt in die Alveolen und/oder das Interstitium

---Rückwärtsversagen des rechten Herzens:


Venöse Stauung im Körperkreislauf à Hydrostatischer Druck in den Kapillaren Ý à
Flüssigkeitsaustritt in das Interstitium und Entwicklung stauungsbedingter Organschäden

18
DIAGNOSTIK:

Anamnese;
---Vorerkrankungen: Insb. KHK, MI, art. HT, D.m., Familienanamnese
---kurzfristig erfolgter Änderungen einer bestehenden Dauermedikation
---Gewichtszunahme
---Alkohol und Drogenkonsum

Körperliche Untersuchung;
---Periphere Ödeme, Aszites, Hepatomegalie, Herzspitzenstoß
---Tachypnoe, feuchte Rasselgeräusche, abgeschwächtes Atemgeräusch über den basalen
Lungenabschnitten bei Pleuraerguss
---schwacher und/oder unregelmäßiger Puls, Tachykardie
---gestaute Venen bei venöser Stauung, Hepatojugulärer Reflux

Labordiagnostik;
---BNP oder NT-proBNP (Brain Natriuretic Peptide bzw. N-terminales pro BNP): Freisetzung
aus Herzmuskelzellen bei vermehrter Dehnung der Herzkammern

**BNP wirkt vasodilatatorisch und natriuretisch, NT-proBNP hingegen ist ein biologisch
inaktives Spaltprodukt.
Normale Werte machen eine klinisch relevante Herzinsuffizienz unwahrscheinlich (hoher
negativer prädiktiver Wert).
Stark erhöhte Werte sprechen für eine Herzinsuffizienz.
Bei leicht erhöhten Werten ist eine Interpretation schwierig, weil es mit steigendem
Lebensalter oder bspw. bei Erkrankungen der Leber und Nieren zu einer unspezifischen
Zunahme der Werte kommen kann (niedriger positiv prädiktiver Wert).

**DD bei erhöhtem BNP / NT-proBNP: HI, LE, pulmonale HT, Nieren- und Lebererkrankungen

---HB, Ferritin, Transferrinsättigung (Detektion von Anämie)


---Troponin bei V.a. MI
---Kreatinin, Harnstoff, eGFR, Harnsäure
---Elektrolyte
---Albumin
---BZ, HbA1C, Urinstatus
---Transaminasen und Cholestaseparameter, Quick-Wert/ INR
---TSH
---Entzündungsparameter bei Hinweisen auf Infektionen

EKG; unspezifische Veränderungen

Transthorakale Echokardiografie: Basisdiagnostik bei Herzinsuffizienz ****


---Beurteilung folgender Strukturen:
Perikardhöhle, Herzmuskelmasse, LVEF, Wandbewegungen, Herzklappen, Durchmesser
und Volumina der Herzhöhlen, diastolische Funktion

*LVEF Normalbefund: >= 54% bei Frauen, >=52 % bei Männern

19
Röntgen-Thorax;
---Kardiomegalie:
Herz-Thorax-Quotient > 0.5 (Quotient aus maximalem Herzdurchmesser im p.a.-Bild und
maximalem inneren Thoraxdurchmesser)
linksbetonte Vergrößerung des Herzens (sog. Holzschuhform)
---interstitielles Lungenödem:
gestaute Hilusgefäße, interstitielle Verschattungen, Kerley-Linien (A-B), Pleuraerguss
---alveoläres Lungenödem:
Alveoläre Verschattungen, positives Bronchopneumogramm (sichtbare luftgefüllte
Bronchien)

Kardio-MRT: insb. Bei V.a. Myokarditis


Invasive Diagnostik: Koronarangiografie (bei KHK), Rechtsherzkatheter (bei pulmonale HT)

THERAPIE
****Medikamentöse Therapie-4-Säulen-Modell:
Grundprinzip; Medikamentöse Basistherapie mit mind. 4 Substanzklassen (NYHA St II-IV)
---ACE-Hemmer / AT1-Rezeptor-Blocker (Nur bei ACE-Hemmer Unverträglichkeit) / ARNI
---Betablocker
---Mineralocorticoidrezeptor-Antagonist (Nicht bei Hyperkaliämie oder GFR < 30)
---SGLT2-Inhibitor

*Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt bei Herzinsuffizienz mit reduzierter
Ejektionsfraktion bereits initial eine Kombinationstherapie mit 4 prognoseverbessernden
Substanzklassen (ACE-Hemmer, Betablocker, Mineralocorticoidrezeptor-Antagonist und
SGLT2-Inhibitor)

*Prognoseverbessernde Medikamente: ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Blocker, Betablocker,


Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten, ARNI, SGLT2-Inhibitoren, Ivabradin!

*Symptomverbessernde Medikamente: Diuretika, Eisenpräparate, Digitalisglykoside

Diuretika;
Indikation: Klinische Zeichen einer Flüssigkeitsretention (in allen Stadien)
Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid) und Thiazide

Invasive Therapie:
--Kardiale Resynchronisationstherapie (CRT)
--Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD)
--Koronarrevaskularisation durch PTCA oder Bypass-OP
--Herztransplantation

Komplikationen:
Kardiale Dekompansation, Kardiorenale Syndrome (HI-bedingte Nierenschädigung),
Arrhythmien, Kardiogener Schock, Thrombenbildung mit Risiko für Thromboembolien bei
VHF, zentrales Schlafapnoe-Syndrom, Stauungsdermatitis, Stauungspneumonie

20
21
Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

Ätiologie:
---Ätiologie der chronischen pAVK: Atherosklerose: In ca. 95% ursächlich
Weitere Ursachen: Vaskulitis (z.B. Thromboangiitis obliterans), traumatische
Gefäßverletzungen, fibromuskuläre Dysplasie
---Ätiologie akuter arterieller Verschlüsse einer Extremität:
Embolien (ca.80%, v.a. kardialer Genese)
Thrombosen (ca. 20%)

Risikofaktoren: Rauchen, art.HT, DM, Hyperlipidämie

Klassifikation:
**Befall der unteren Extremität (über 90% der Fälle)
---pAVK vom Beckentyp (ca. 35%): (meist bei Rauchern)
Stenosen im Bereich von A.abdominalis und Aa. iliacae
Lokalisation der Symptome: Gesäß, Oberschenkel
---pAVK vom Oberschenkeltyp (ca. 50%):
Stenosen im Bereich von A. femoralis und A. poplitea
Lokalisation der Symptome: Unterschenkel (Wadenschmerzen!)
----pAVK vom Unterschenkeltyp (ca. 15%): (meist bei Diabetikern)
Stenosen distal der A.poplitea (A. tibialis ant. oder post.)
Lokalisation der Symptome: Fuß (Schmerzen in den Fußsohlen und Zehenspritzen)
Akraler Typ: selten als Unterform des Unterschenkels verwendet, wenn ein
isolierter Verschluss von Zehenarterien vorliegt
----pAVK vom Mehretagentyp
Stenosen in proximalen und distalen Bein- und Fußarterien (Mischtyp)

Befall der oberen Extremität (weniger 10% der Fälle)


----pAVK vom Schultertyp (ca. 30%): Stenosen im Bereich von A. subclavia und A. axillaris
----pAVK vom digitalen Typ (ca. 70%): Stenosen im Bereich der Aa. digitales

22
Symptome/Klinik:
**Leitsymptom: Claudicatio intermittens
Belastungsabhängige, krampfartige Ischämieschmerzen
Besserung durch Tieflagerung und Pausen
Häufig verbunden mit Schwäche- und Kältegefühl
**Symptome bei kritischer Extremitätenischämie:
Ischämischer Ruheschmerz (meist Vorfuß)
Tropische Störungen (häufig an der Außenseite des Unterschenkels,
am Außenknöchel, sehr schmerzhaft): Gangrän, Ulzera (Ulcus cruris arteriosum), Nekrosen
Blasse (Pallor), kühle Haut (Hypothermie)
Nicht tastbare Pulse

**STADIEN DER PAVK NACH FONTAINE:


Stadium I: Beschwerdefrei, meist klinischer Zufallsbefund (z.B. fehlende periphere Pulse)
Stadium II: Belastungsschmerz (Claudicatio intermittens)
IIa: schmerzfreie Gehstrecke > 200 m
IIb: schmerzfreie Gehstrecke < 200 m
Stadium III: ischämischer Ruheschmerz
Stadium IV: Tropische Störungen (Gangrän, Ulzera (Ulcus cruris arteriosum), Nekrosen

23
DIAGNOSTIK:
**körperliche Untersuchung:
-----Inspektion: Hausfarbe (Blass, ggf. zyanotisch), verringerte Schweißbildung, tropische
Störungen
-----Auskultation der Extremitäten im Seitenvergleich: systolische Stenosegeräusch (ab
Stenosen 60-70 %)
-----Palpation der Extremitäten im Seitenvergleich: verringerte Temperatur, Pulsstatus
aller Gefäßgebiete inkl. Kapillerpuls an Zehen und Fingern
****A. femoralis, A. poplitea, A. brachialis, A. radialis, A. carotis communis, A. temporalis
****Fußpulse: A. dorsalis pedis (Lateral der Sehne des M.ext. hallucis longus), A.tibialis
posterior (hinter dem Innenknöchel)
*Die A. dorsalis pedis ist die Fortsetzung der A. tibialis anterior. Die A. tibialis anterior kann
proximal der A. dorsalis pedis auf Höhe des Sprunggelenks palpiert werden.
* Bei der durch eine Mikroangiopathie ausgelösten pAVK (bspw. im Rahmen eines Diabetes
mellitus) können die Fußpulse weiterhin tastbar sein!
-----Blutdruckmessung der oberen Extremitäten im Seitenvergleich
-----Ratschow-Lagerungsprobe: wird die reaktive Hyperämie und Venenfüllung der Füße
beurteilt. Normal: Leichte reaktive Hyperämie innerhalb von ca. 5 Sekunden, Venenfüllung
innerhalb von ca. 20 Sekunden; bei Vorliegen einer pAVK dauert dies deutlich länger. Je
intensiver jedoch der Grad der reaktiven Hyperämie ist, desto stärker ist der
Sauerstoffmangel im Gewebe.

24
----Knöchel-Arm-Index (Doppler-Verschlussdruckmessung):
Systolischer RR des Unterschenkels / systolischer RR des Oberarmes: Verhältnis von
systolischer Beinarteriendruck zu Armarteriendruck
Durchführung: Im Liegen und nach 10 Minuten Ruhe wird an Oberarm und Unterschenkel
mittels Blutdruckmessung und Doppler-Sonografie ermittelt, ab welchem Druck wieder Blut
durch die jeweilige Arterie fließt (systolischer RR) und der Quotient der beiden Werte
gebildet.
<0.9: Stenose, Normwert: 0.9-1.2

****Labor: BB, BSG, CRP, D-Dimere, Glucose, HbA1C


****Bildgebung
----Farbkodierte Duplexsonografie (FKDS): Ultraschalluntersuchung, die farblich die
Richtung des Blutstroms in Bezug auf den Schallkopf, die Flussgeschwindigkeit des Blutes
sowie Strömungsturbulenzen anzeigt.
FKDS: Diagnostische Methode der ersten Wahl zur Beurteilung von Aorta, Ästen der
Aorta, Beckenarterien, Beinarterien
----Angiografie
MR- /CT-Angiografie: Bei nicht ausreichend beurteilbarem Befund der FKDS
DSA (Digitale Subtraktionsangiografie): Goldstandart,
*Bei aussagekräftiger FKDS ist die DSA unter Interventionsbereitschaft bildgebende
Untersuchung der Wahl
CO2- Angiografie: Als Alternative zur DAS bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz

25
Differenzialdiagnosen: TVT, Polyneuropathie, Thrombophlebitis, akuter arterieller
Extremitätenverschluss

Therapie: Je nach Stenosegrad und Lokalisation der Stenose können wir das medikamentös
oder operativ behandeln.
Alle Stadien: Nikotinverzicht, Diät, normale Blutzucker-, Blutdruck- und Cholesterinwerte
St. I und II: regelmäßiges Gehtraining zur Verbesserung der Kollateralisation
*Bei kritischer Extremitätenischämie ist ein Gehtraining kontraindiziert!
St. IV: strukturierte Wundbehandlung und Druckentlastung
Medikamentöse Therapie der pAVK:
Ab St. I: Statine (immer!), Blutdruckeinstellung (ACE-Hemmer od. Kalziumantagonisten),
Blutzuckereinstellung (<140/90 mmHg)
Ab St. II: + ASS oder Clopidogrel
Im St. III, falls Revaskularisation nicht möglich ist; Prostanoide
Ab St. III, falls möglich: Revaskularisation;
Interventionelle Standartverfahren: Perkutane transluminale Angioplastie (PTA) mit
Ballondilatation od. Stent-Einlage
Operative Verfahren:
----Thrombendarteriektomie (TEA; Desobliteration): Thrombus und Wandschicht der
Arterien wird ausgeschalt.
----Bypass-OP: Überbrücken meist mit V. saphena magna
Wenn interventionelle od. operative Revaskularisation nicht möglich ist: Prostanoide (PG E1)
Ab St. IV: Bei kritischer Ischämie und Infektion; systemische Antibiose, Wundbehandlung

KOMPLIKATIONEN:
Wundinfektion, Sepsis, Nekrosen, Ulzera (Ulcus cruris arteriosum), Gangrän
akuter arterieller Extremitätenverschluss
arteriosklerotischer Zweiterkrankungen: MI, Apoplex

***Worauf müssen wir achten, wenn der Pat. art. HT und pAVK hat?
-----Wir müssen noch A. carotis aufgrund des erhöhten Risikos eines Hirninfarkts
untersuchen, um die Stenose zu bestätigen oder auszuschließen.

26
TVT

**Ein stenosierendes oder verschließendes Blutgerinnsel in einer tiefen Vene


(Phlebothrombose).

Risikofaktoren:
--Phlebothrombose oder Lungenembolie in der Anamnese
--Immobilisation
--Adipositas
--Alter>60 J
--aktive Malignome
--Antiphospholipid-Syndrom (erworbene Form der Thrombophilie)
--Östrogentherapie, Pille
--Schwangerschaft
--Hereditäre Thrombophilie (z.B. F-V-Leiden-Mutation)

Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Venenthrombose nach Wells:


-aktive Krebserkrankung (1)
-frühere TVT (1)
-Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine (1)
-Bettruhe > 3 Tage oder große chirurgische OP < 12 Wochen (1)
-Schmerz oder Verhärtung entlang der tiefen Venen (1)
-Schwellung des gesamten Beines (1)
-Umfang eines Unterschenkels >3cm größer als Gegenseite (1)
-Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein (1)
-Sichtbare Kollateralvenen (1)
-Alternative Diagnose mind. ebenso wahrscheinlich wie TVT (2)
>=2: hoch Wahrscheinlichkeit für TVT

TVT nach Gefäß;


--Beinvenenthrombose
--Hirnvenenthrombose
--Mesenterialvenenthrombose

Lokalisation der Beinvenenthrombose:


--Beckenvenenthrombose ca. 10-20% (oberhalb des Lig. inguinale)
--Oberschenkelvenenthrombose ca. 50% (zwischen Lig. inguinale und Fossa poplitea)
--Popliteavenenthrombose ca. 10-20% (im Bereich der Fossa poplitea bis zur Trifurkation in
die Unterschenkelvenen)
--Unterschenkelvenenthrombose ca. 20-30% (unterhalb der Trifurkation)
*Je proximaler eine Thrombose, desto höher das Embolie- und Rezidivrisiko!

Pathophysiologie; Virchow-Trias
**Die Virchow-Trias beschreibt die drei wesentlichen pathophysiologischen Ursachen, die
zur Entstehung einer Thrombose führen.
1.Schädigung der Gefäßendothels: Entzündlich, traumatisch, autoimmune Erkrankung, OP

27
2.Herabsetzung der Blutströmungsgeschwindigkeit (Hypozirkulation, Stase): Varizen,
äußerer Druck auf Extremität, Immobilisation (postoperativ, Langstreckenreise,
Bettlägerigkeit, Lähmungen), Arrhythmien, lokale Wärmeanwendung
3.Veränderungen der Blutzusammensetzung (Hyperkoagulation): gesteigerte
Adhäsionstendenz der Thrombozyten, erblich oder medikamentös bedingte Verstärkung der
Blutgerinnung (Thrombophilie, Gerinnungsstörungen, Volumenmangel, Leukämie,
Tumorerkrankungen)
Symptome;
Typische Trias (nur in 10% der Fälle): Schwellung, dumpfer Schmerz, Zyanose
Überwärmung
Schweregefühl/Spannungsgefühl
Verstärkte Venenzeichnung
Bei LE: plötzlich auftretende Luftnot, Schwindel- und Schwächegefühl

Diagnostik;
---Klinische Untersuchungsbefunde *****
Meyer-Zeichen: Wadenkompressionsschmerz
Homans-Zeichen: Wadenschmerz bei Dorsalextension des Fußes
Payr-Zeichen: Fußsohlenschmerz bei Druck auf mediale Fußsohle
Seitendifferente Beinumfänge >3 cm

---Laborbefunde
D-Dimere erhöht (Normwert:<0.4 µg/ml), BSG-Erhöhung, Leukozytose

*Unspezifisch! Ein normaler D-Dimer-Wert schließt eine TVT oder LE nahezu aus – erhöhte
D-Dimere können jedoch viele Ursachen haben (bspw. MI, DIC (Verbrauchskoagulopathie),
Sepsis, Leberzirrhose, postoperativ, rheumatischen Erkrankungen, Tumoren, Leukämie,
Schwangerschaft, Wundheilung)

** In der Situation einer hohen klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer
Phlebothrombose (z.B. Wells-Score hoch) ist die D-Dimer-Bestimmung nicht mehr sinnvoll.
Es kann direkt zur bildgebenden Untersuchung übergegangen werden.

---Bildgebende Verfahren
-Goldstandart: Farbduplex-Kompressionssonografie ****
**Von der Leistenregion nach distal werden die tiefen Beinvenen in Abständen von wenigen
Zentimetern durch Ausüben von Druck mit dem Schallkopf auf ihre Komprimierbarkeit
geprüft. Das Lumen einer normalen Vene ist vollständig komprimierbar.

-Phlebografie: Untersuchungsverfahren zur Darstellung der Venen mit Röntgenstrahlen


*Nach Kontrastmittelinjektion in eine Fußrückenvene (V. dorsalis pedis) wird das
Venensystem durch Röntgenaufnahmen dargestellt. Nicht mehr überall als
Standarddiagnostik verfügbar, kann bei sonografisch nicht eindeutigen Befunden und ggf.
zur Vorbereitung einer rekanalisierenden Maßnahme zwecks Darstellung des gesamten
Venensystems herangezogen werden.

28
---Weiterführende Diagnostik;
---Tumorsuche bei Thrombosen mit unklarer Ätiologie (insb. ab dem 50. Lj.)
---Thrombophilie-diagnostik bei Jungen, ungewöhnlicher Lokalisation, positive
Familienanamnese

Differenzialdiagnosen:
Muskelfaserriss und posttraumatische Schwellungszustände/Hämatom
Kompartment-Syndrom
Lymphödem
Erysipel
Thrombophlebitis

Therapie:
---Kompressionsbehandlung für mindestens 3 Monate:
initial durch elastischen Wickelverband, im Verlauf (nach Abschwellung) tagsüber
angepasster Kompressionsstrumpf
*Bei fortbestehender venöser Insuffizienz sollte die Kompressionstherapie auch darüber
hinaus fortgeführt werden.

---Medikamentös: Antikoagulation für mindestens 5 Tage


--1.Wahl: Niedermolekulares Heparin s.c. (NMH; Dalteparin, Enoxaparin) oder
Fondaparinux s.c. (Synthetisches Heparin-Analogon) ****
--Unfraktioniertes Heparin (UFH) s.c/ i.v. (Bei geplanter OP/ Intervention zur Rekanalisation
und bei schwerer Niereninsuffizienz)
--Direkte orale Antikoagulantien (DOAK; Rivaroxaban, Apixaban)

----Maßnahmen zur Rekanalisierung: Thrombektomie (chirurgisch / interventionell)


Indikation: Beckenvenenthrombosen mit ausgeprägter Symptomatik und
Plegmasia coerulea dolens (Hochakuter Verschluss aller Venen einer Extremität)

29
---Vena-cava-Filter: Interventionelle Anlage eines Filters in die V. cava inferior, um
embolisches Material aufzufangen und eine Lungenembolie zu verhindern
Indikation: Rezidivierende Lungenembolien trotz adäquater Antikoagulation und
Kontraindikationen für eine Antikoagulation bei Personen mit TVT und hohem Risiko für
eine Lungenembolie

----Sekundärprohylaxe: Auf die initiale Antikoagulation folgt eine geeignete


Erhaltungstherapie zur Verhinderung früher Rezidive; mind. 3 oder eher 6 Monate (je nach
Genese, Lokalisation, Risikofaktoren und Komorbidität)
---Direkte orale Antikoagulantien (DOAK)
---Vit-K-Antagonisten (Ziel INR: 2-3)
* Vitamin-K-Antagonisten haben initial eine prokoagulatorische Wirkung. Wenn sie zur
Erhaltungstherapie eingesetzt werden sollen, muss die Gabe von Heparin daher fortgesetzt
werden, bis ein über 24 h konstanter INR >2 erreicht werden konnte.
---Niedermolekulare Heparine (NMH)

Komplikationen:
Lungenembolie
Postthrombotisches Syndrom (chronische Rückfluss, Stau)
Rezidiv
Aszendieren der Thrombose

Thromboseprophylaxe: NMH (möglichst bevorzugen), UFH, DOAK


---Bei operativen Eingriffen;
7 Tage nach viszeralchirurgischen Eingriffen
11–14 Tage nach Kniegelenkersatz
4–5 Wochen nach Hüftgelenkersatz bzw. hüft- und beckennaher Frakturversorgung
Sonderfall: Bei Tumorpatienten über 4 Wochen fortführen
---Nicht-operative Indikationen (stationär); Verbrennungen, Schlaganfall, Sepsis,
Malignompatienten, akut internistische Erkrankung usw.
(meist NMH /UFH, Dauer: individuell)

Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie nach Wells:


Klinische Zeichen oder Symptomatik einer TVT (3)
Alternative Diagnose ist weniger wahrscheinlich als LE (3)
Tachykardie (Herzfrequenz > 100) (1.5)
Immobilisierung oder OP < 4 Wochen (1.5)
Frühere TVT oder LE (1.5)
Hämoptysen (1)
Tumorerkrankung <6 Monaten (1)

0-1 niedrige
2-6 mittlere
>=7 hohe Wahrscheinlichkeit
Diagnostik zur Lungenembolie: D-Dimere und CT-Angiografie

30
Thrombophlebitis: eine Entzündung einer oberflächlichen (epifaszialen) Vene bzw.
einer varikös veränderten Vene (Varikophlebitis) mit sekundärer Ausbildung von
Thrombosen.
----Strangförmige Rötung (Rubor), druckschmerzhafte Verhärtung (Dolor, Tumor),
Überwärmung (Calor)
Ätiologie:
--Varikosis am Bein
--infizierte Venenverweilkanüle bzw. die Infusion venenreizender Medikamente am Arm
Therapie:
----NSAR, Kühlen, Anlage eines Kompressionsverbandes (i.d.R 3 Monate, aber bis zur
Symptomfreiheit), Mobilisation, beim Sitzen hochlagern
----Antikoagulation bei Thrombophlebitiden mit Beziehung zum tiefen Venensytem
(Transfasziale Phlebothrombosen und Thrombophlebitiden mit ≤3 cm Abstand zu
Perforansvenen werden wie tiefe Thrombosen behandelt.)
-----Antikoagulation für 4-6 Wochen bei Thrombusausdehnung >=5 cm in größeren
oberflächlichen Venen wie V. saphena magna und parva
-----Elektive chirurgische Sanierung der Varikosis (nach der konservativen Behandlung der
Thrombophlebitis)
Komplikationen: Phlebotrombose, bakterielle Infektion bzw. Abzess

*Rezidivierende Thrombophlebitiden ohne Vorliegen einer Varikosis bzw. ohne andere


erkennbare Ursachen können auf eine Systemerkrankung mit Vaskulitis oder als
Paraneoplasie auf ein Malignom hinweisen!

Varikosis und Chronis Venöse Insuffizienz


**Varikosis (Krampfaderleiden): Zylindrische Erweiterung und Aussackung oberflächlicher
Venen mit Bildung von Knäueln und Schlängelungen
----primäre Varikosis: Idiopathische Insuffizienz der Venenklappen des oberflächlichen
Venensystems, vermutlich bei zugrundeliegender genetischer Disposition
----sekundäre Varikosis: Erworbene Abflussbehinderung der tiefen Venen mit Ausbildung
von Kollateralen (meist nach TVT; Postthrombotisches Syndrom)

Klinische Stadien der Varikosis:


Grad 1: asymptomatische Varizen, keine Komplikationen
Grad 2: symptomatische Varizen (Dysästhesien, Juckreiz, Schweregefühl, Spannungsgefühl,
leichte Schwellneigung, Wadenkrämpfe, Schmerzen usw.)
Grad 3: symptomatische Varizen (wie Grad 2, stärker ausgeprägt)
mit Komplikationen: tropische Hautveränderungen (Pigmentierung, Dermatitis, Ekzem,
Atrophie), narbe eines Ulcus cruris
Grad 4: symptomatische Varizen (wie Grad 3) mit Komplikationen in Form eines floriden
Ulcus cruris

31
**Chronisch-venöse Insuffizienz (CVI): Folgeerscheinung im Rahmen von chronischen
Venenerkrankungen der unteren Extremität, die mit Haut- und Venenveränderungen,
Ödemen bis hin zu Ulzera einhergeht.
Ätiologie der CVI: Primäre oder sekundäre Klappenschäden (bspw. durch primäre Varikosis
oder nach stattgehabter tiefer Beinvenenthrombose), angeborene oder erworbene arterio-
venöse Fisteln

Klinische Stadien der CVI:


Stadium I: reversible Ödeme, erweiterte Venen
Stadium II: dauerhafte Ödeme, Atrophie, braune Farbveränderung (wegen Hämociderin),
Stauungsdermatitis (glänzend-gespannte, gerötete, überwärmte und schuppige Haut),
Dermatoliposklerose (Knotige oder plattenartige Verschwielung der Haut)
Stadium III: Ulzera (Ulcus cruris venosum)

Diagnostik:
KU, Duplexsonografie (1.Wahl),
ggf. Venenverschlussplethysmografie, Phlebografie

Therapie (symptomatische Varizen und CVI):


---Kompressionstherapie
---Varizenentfernende OP (Venen-Stripping)

Ulcus cruris:
--- Ulcus cruris venosum (bei CVI, nach TVT oder ausgeprägter Varikosis)
--- Ulcus cruris arteriosum (pAVK)
---diabetischer Fuß (Dm)

***Ulcus cruris venosum: unregelmäßig begrenzte, häufig nässende Ulzeration am


Unterschenkel, eher wenig schmerzhaft, Prädilektionsort; leicht oberhalb des
Innenknöchels

***Ulcus cruris arteriosum: wichtigste DD


Definition: Ulzeration aufgrund arterieller Minderperfusion im Rahmen einer
fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)
Klinik: Scharf begrenzte, ggf. die Faszie übergreifende Ulzeration, meist stark schmerzhaft
Haut in der Ulkusumgebung: Kalt und blass (Fußpulse↓)
Prädilektionsort: Außenknöchel, (äußerer) Fußrand, Fersen, Zehen

*Bei pAVK treten an der Außenseite des Unterschenkels schmerzhafte Ulzera auf ("Aua!")!
Bei CVI treten am Innenknöchel eher indolente Ulzera auf!

***Diabetisches Fußsyndrom: neuropathischer diabetischer Fuß (wegen


Polyneuropathie) oder ischämischer diabetischer Fuß (wegen Arterioklerose, bei pAVK).
Und hoher Zuckergehalt im Interstitium begünstigt bakterielle Infektion mit Ausbildung einer
feuchten Gangrän.

32
Therapie für Ulcus cruris:
Erstmaßnahme: Kürettage (Spülung und Entfernung von Belegen)
Kompressionstherapie und Mobilisierung bei Ulcus cruris venosum
Lokale Wundtherapie (mit Verbänden, AB)
ggf. plastische Verfahren zur Defektdeckung (Hauttransplantation)

LYMPHANGITIS
Die Lymphangitis ist eine Entzündung der Lymphgefäße, die durch Krankheitserreger (z.B.
Staohylokokken, Streptokokken, Parasiten) oder andere Noxen (z.B. Schlangengifte,
Chemotherapeutika als Extravasate) ausgelöst wird.

Eine Lymphangitis geht in der Regel mit einer Entzündung der regionalen Lymphknoten
(Lymphadenitis) einher.

Ätiologie: Verletzungen, Insektenstich, Schlagenbiss, Lokalinfektion (Follikulitis, Abszess),


paravenöse Injektion zystotoxischer Medikamente

Häufigste Erreger; Streptokokken (seltene; Staphylokokken, Pasteurella, HSV,


Mykobakterien usw.)

Begünstigte Erkrankungen: Dm, Fußpilzerkrankungen, Varikosis

Symptome
Allgemein: Krankheitsgefühl, Fieber (vor allem bei Kindern), Schüttelfrost, Tachykardie
Lokal: streifenförmige, unscharf begrenzte, pochende-schmerzhafte Rötung von der
Wunde in Richtung der lokalen Lymphknoten, leichte palpable Schwellung, Überwärmung,
ggf. druckdolente LAP
*Lokalen Symptomen tritt nach ein paar Stunden von Wespenstich auf.

Diagnostik;
KU+ typische Krankengeschichte
Überprüfung der Lymphknoten
Labor: Entzündungsparameter (Leukozytose ist häufig)
Wundabstrich
Ggf. Blutkultur

Therapie:
Bei leichter Lymphangitis: Lokalbehandlung (Ruhigstellung, alkoholverband,
antiphlogistischen Salben)
In ausgeprägten Fällen: Antibiotikatherapie z. B. Amoxicillin / Cephalosporin

Komplikation: Zellulitis, Nekrotisierung und Ulzeration entlang der beteiligten Lymphgänge

33
PNEUMONIE
Erreger:
---Ambulant erworbene Pneumonie: Pneumokokken, Haemophilus influenza, Mycoplasma
pneumonie, Chlamydia pneumonie usw.

---Nosokomial erworbene Pneumonie: Vor allem gramnegative Erreger (wie Pseudomonas


aeruginosa, Klebsielle pneumoniae und Enterobacteriaceae) und Staphylokokken

---Pneumonie bei Immunsuppresion: Pneumocystis jirovecii, Aspergillus fumigatus, Candida


species, CMV

---Neugeborenenpneumonie: E.coli, Streptokokken, Pneumokokken, Haemophilus influenza

Einteilung nach Entstehungsort:


---Ambulant erworbene Pneumonie
---Nosokomial erworbene Pneumonie
---In stationär Einrichtung bzw. dauerhafter häuslicher Pflegeeinrichtung erworbene
Pneumonie (Das Risiko für multiresistente Erreger ist aber insgesamt niedriger als bei
„echten“ nosokomialen Pneumonien.)

Einteilung nach Begleitumständen;


Primäre Pneumonie: ohne erkennbare Vorerkrankungen
Sekundäre Pneumonie: Aufgrund einer Prädisposition bei Komorbidität (Asthma, COPD, HI),
anatomische Veränderungen (bronchiale Stenosierungen à Retentionspneumonie) oder
Schluckstörungen mit Aspiration (Aspirationspneumonie)

Einteilung nach Befall;


---Lobärpneumonie (klassische Lappenpneumonie): vor allem Pneumokokken
---Lobuläre Pneumonie (Bronchopneumonie): meist deszendierende Infektion mit
Beteiligung der Bronchien insb. durch Pneumokokken und/oder Streptokokken
---Interstitielle Pneumonie: insb. durch Viren und Mykoplasmen

Einteilung nach Klinik:


---Typische Pneumonie
Typische Klinik der bakteriellen Lobärpneumonie durch Pneumokokken
Plötzlicher Krankheitsbeginn mit starkem Krankheitsgefühl
Hohes Fieber
Produktiver Husten mit eitrigem Auswurf (gelblich-grünlich)
Tachypnoe und Dyspnoe
Schmerzen beim Atmen durch Begleitpleuritis
Besonderheit: Oft begleitend Herpes labialis, fortgeleitete Schmerzen in Ober- bis
Unterbauch (insb. bei Kindern)

34
---Atypische Pneumonie
Atypische Klinik vor allem bei Infektionen durch Mykoplasmen, Chlamydien, Legionellen,
Viren und/oder bei alten Patienten
Schleichender Beginn mit
Kopf- und Gliederschmerzen
Leichtem Fieber
Dyspnoe
Trockenem Husten
Oftmals nur diskret veränderten Entzündungsparametern

Risikofaktoren:
Hohes Alter und Immobilität jeglicher Ursache
Schlechter Immunstatus
Chronische Erkrankungen; Asthma, COPD, Herzinsuffizienz
Bronchiektasien, Mukoviszidose
Vorbestehende Influenza
Maschinelle Beatmung (nosokomiale Pneumonie)

DIAGNOSTIK: ****
1.Klinische Untersuchung
Vitalzeichen: Blutdruck, Herzfrequenz (Normwert bei Erwachsenen in Ruhe: 60-100/min),
Atemfrequenz (Normwert: 16-20/Min), Pulsoxymetrie (spO2)

Inspektion: Thorakale Einziehungen

Palpation: verstärkter Stimmfremitus


*Stimmfremitus: klinischer Test zur Prüfung der Vibrationsleitung über das Lungengewebe
auf den Brustkorb; dafür lässt man den Patienten tief „99“ sagen und tastet mit offenen
Handinnenflächen den hinteren Thorax. (Bei Pnx: verminderter Stimmfremitus)

Auskultation: feinblasige, klingende Rasselgeräusche, verstärkte Bronchophonie („66“)


*Bei atypischer Pneumonie oft kein pathologischer Auskultationsbefund

Perkussion: bei lokalisierter Pneumonie evtl. gedämpfter (hyposonorer) Klopfschall

2.Labordiagnostik:
--Entzündungszeichen: ****
Leukozytose, im peripheren Blutausstrich, CRP ↑, BSG ↑, Procalcitonin ↑ (PCT; höchste
Spezifität für den Nachweis einer bakteriellen Pneumonie)

--Blutgasanalyse (BGA); um respiratorische Insuffizienz auszuschließen

--Ergänzende Labordiagnostik (basale Einschätzung ggf. vorliegender septischer


Komplikationen): Transaminasen, Quick / INR, Kreatinin, Harnstoff, Lactat

35
3.Erregerdiagnostik bei stationär Aufnahme:
Bei leichtgradigen Pneumonien, die ambulant behandelt werden können, ist eine
Erregerdiagnostik nicht erforderlich.

*Sputum-Diagnostik: (tief Luft holen und husten)


--Kulturelle Anzucht und Resistogrammbestimmung bei Bakterien und Pilzen
--Grampräparat bei Bakterien, z.B. bei Pneumokokken

*Serologie (im Blutserum);


Antikörpernachweise insb. bei Viruspneumonie
Antigennachweise von Bakterien, Viren und Pilzen: Legionellen, Candida, Aspergillus

*Blutkulturen

*Erregerspezifischer DNA-Nachweis durch PCR, z.B. Pneumocystis jirovecii, Influenzaviren


(aus Sputum oder Blut)
--Urin: Pneumokokken-Antigentest bei V.a. Legionellen-Pneumonie

*Bronchoalveoläre Lavage: Kann gezielt aus den unteren Atemwegen und den in der
Bildgebung auffälligen Arealen der Lunge gewonnen werden.

Die Farbe des Sputums:


Weiß-glasig: Virale Infektion (z.B. Bronchitis, typisch ist Abhusten am Morgen)
Weiß-schaumig: Lungenstauung/-ödem
Gelb-grün: Bakterielle Infektion
Grün: Hinweis auf Pseudomonas-Infektion
Gräulich: Pneumokoniose, bakterieller Infekt in Abheilung
Bräunlich-schwarz: Möglicherweise altes Blut, Abklärung erforderlich
Bröckelig: Tuberkulose, Aktinomykose
Blutig: Schwerer Infekt, starker Husten/Würgen, Malignom

4.Bildgebung:

Rö-Thorax in 2 Ebene: ****

---Lobärpneumonie: Großflächige auf den Lungenlappen begrenzte Verschattung mit


positivem Aerobronchogramm (Bronchopneumogramm)

---Lobuläre/Bronchopneumonie: Unscharf begrenzte, in der Lunge verteilte Infiltrate,


Bronchopneumogramm nicht typisch

---Interstitielle Pneumonie: Netzartige (retikuläre) Verschattung

CT-Thorax, bei unklaren Befunden im Rö-Thorax

*** Typische Pneumonien zeigen eher eine Lobärpneumonie, atypische Pneumonien eher
eine interstitielle Pneumonie!

36
Sicherung der Diagnose: 1 Haupt- und 2 Nebenkriterien
**Hauptkriterium: Neu aufgetretenes Infiltrat im konventionellen Rö-Thorax in 2 Ebenen
**Nebenkriterien:
Fieber (≥38,5 °C) oder Hypothermie (≤36,5 °C)
Leukozytose (>10.000/μL) oder Leukopenie (<4.000/μL)
Eitriger Auswurf (gelblich-grün)
Für Infiltration sprechende physikalische Zeichen (Bronchophonie, Stimmfremitus u.a.): Nur
geringe Sensitivität und Spezifität
Nachweis eines Erregers (Blutkultur, Sputum, Bronchialsekret oder Pleuraflüssigkeit)

Kriterien für eine stationäre Aufnahme: CURB-65-Score ******


C = Confusion → Bewusstseinstrübung
U = Urea → Serum-Harnstoff >7 mmol/L (42 mg/dL)
R = Respiratory Rate → Atemfrequenz ≥30/min
B = Blood Pressure → diastolischer Blutdruck ≤60 od. systolischer Blutdruck <90 mmHg
65 = Age ≥65 → Alter ≥65 Jahre

0: Ambulante Führung möglich


1: Stationäre Behandlung indiziert
>=2: erhöhtes Komplikationsrisiko (intensivstationär)
3: Aufnahme auf die Intensivstation erwägen

Score-unabhängige Kriterien für stationäre Aufnahme; Sauerstoffpflichtigkeit/Dyspnoe,


instabile Komorbiditäten, Komplikationen (z. B. Pleuraerguss), Soziale Faktoren (z. B.
fehlende häusliche Versorgung

THERAPIE:
Leichte Pneumonie, Ambulante Behandlung;
Patienten ohne Risikofaktoren:
---Amoxicillin 1000 mg p.o. 1-1-1 für 5-7 Tage
---Bei Penicillin-Allergie oder V.a. Beteiligung atypischer Erreger: Makrolid (Clarithromycin,
Azithromycin)

Leichte Pneumonie, Ambulante Behandlung;


Patienten mit dem RF / Komorbidität (COPD, HI):
---Amoxicillin+Clavulansäure 875/125 mg p.o. 1-0-1 für 5-7 Tage
---Bei V.a. Beteiligung atypischer Erreger: Kombination mit einem Makrolid
---Bei Penicillin-Allergie: Fluorchinolone (Levofloxasin, Moxifloksasin)

Mittelschwere Pneumonie, Stationäre Behandlung:


--- Ampicillin+Sulbactam oder Cefuroxim / Ceftriaxon, ggf. Kombination mit einem Makrolid
---Bei Penicillin-Allergie: Fluorchinolone (Levofloxasin, Moxifloksasin)

Schwere Pneumonie; Akute respiratorische Insuffizienz, Sepsis, dekompensierte


Komorbidität (z.B. kardiale Dekompensation, exazerbierte COPD, akute Nierenschädigung)
---Piperacillin/Tazobactam i.v. oder Ceftriaxon und immer zusätzlich ein Makrolid

37
Supportive Maßnahmen:
---Körperliche Schonung, jedoch keine strenge Bettruhe
---Physiotherapie: Frühmobilisierung und Atemtherapie (Triflow)
---Hohe Flüssigkeitsaufnahme
---Bei Hypoxie: Atemunterstützung bzw. Sauerstoffgabe
---Nicht-invasiv: Sauerstoffgabe über Nasensonde oder Gesichtsmaske, HFNC, CPAP-Therapie
---Invasiv: Maschinelle Beatmung
---Antipyretika, Analgetika (z.B. Paracetamol, Ibuprofen)
---Antitussiva (z.B. Codein): Sollten nur im Ausnahmefall zum Einsatz kommen, da hierdurch
eine Sekretretention begünstigt wird.
---Expektoranzien (Ambroxol, Efeublätter-Trockenextrakt) und Mukolytika (NAC)

** Die gleichzeitige Anwendung von Expektorantien und Antitussiva ist kontraproduktiv!


Ein ungedämpfter Hustenreflex ist die Grundvoraussetzung für das Abhusten des Schleims!

Komplikationen: **
Pleuritis
Pleuraerguss (ggf. Therapie: Anlage einer Thoraxdrainage)
Pleuraempyem (Anlage einer Thoraxdrainage immer indiziert)
Lungenabszess
Respiratorische Insuffizienz
Sepsis

Präventionsmaßnahmen:
--Pneumokokken-Impfung (zusätzlich eine einmalige Impfung für alle Personen 60 J)
--Grippe-Impfung (zusätzlich jährliche Impfung für alle Personen 60 J)
--RSV-Impfung
--Aufgabe des Rauchens
--Kritische Überprüfung insb. von Dauermedikamenten, die in einzelnen Studien eine
erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Entwicklung einer Pneumonie anzeigten: PPI, inhalative
Glucocorticoide (bei COPD-Indikation hinterfragen) und Opioide
--Beseitigung bzw. optimierte Therapie und Prophylaxe einer Schluckstörung mit
Aspirationsneigung

38
ASTHMA BRONCHIALE
Asthma bronchiale: Chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit reversibler
bronchialer Obstruktion und/oder hyperreagiblem Bronchialsystem.

Exazerbation des Asthma bronchiale (sog. akutes Asthma): Akute Phase mit
Symptomzunahme und/oder Abnahme der Lungenfunktion, die über das gewohnte Maß
hinausgeht.
---Asthmaanfall: Akut einsetzende, schwere Asthmaexazerbation, die sich fulminant
innerhalb von wenigen Minuten entwickelt und schnell lebensbedrohliche Ausmaße
annehmen kann.
---Status asthmaticus: Vital bedrohlicher Asthmaanfall mit Ortho- und Tachypnoe,
Tachykardie und Zyanose, der trotz adäquater Therapie mind. 24 h andauert.

Risikofaktoren:
---Endogene Risikofaktoren:
Genetische Prädisposition
Erhöhtes Körpergewicht
Psychosoziale Belastungen
---Exogene Risikofaktoren:
Allergene (Bspw. Pollen, Hausstaubmilben, Tierhaare)
Infektionen
Umweltbedingungen, Berufliche Noxen, Kalte, trockene Luft
Chemisch-toxische Stoffe, bspw. Haarspray
Tabakrauch
Medikamente (Bspw. Aspirin, Ibuprofen)

Komorbiditäten bei Asthma bronchiale: OSAS, COPD, GERD, atopische Dermatitis usw.

Auslöser eines akuten Asthmaanfalls:


Allergien, Infektionen, Körperliche Anstrengung (sog. Belastungsasthma), Kalte Luft,
Medikamente: ASS, Ibuprofen, Betablocker. Chemisch-toxische Stoffe, Psychogene
Auslösung durch Konditionierung

UNTERFORMEN:

----ALLERGISCHES ASTHMA BRONCHIALE (EXTRINSISCHES ASTHMA):


ca. 30% aller Asthmatiker, meist im Kindesalter,
transiente Verlaufsform (häufiges Verschwinden der Symptomatik in der Pubertät)
Auslösende Allergene: Pollen, Schimmelpilz, Hausstaubmilben, Tierepithelien,
Mehlstaub (Bäckerasthma)
Nachweis spezifischer IgE- Antikörper (atopische Diathese) und
Allergenbezug zur Asthmasymptomatik
* Erhöhtes Gesamt-IgE im Serum: Vermutlich eigenständiger Asthmaindikator, der nicht
unbedingt auf eine Allergie hindeutet (anders als erhöhte spezifische IgE-AK)

39
Besonderheiten der Therapie bei allergischem Asthma:
---Allergenkarenz, Expositionsvermeidung
---Allergen-Immuntherapie (subkutane oder sublinguale): nur zusätzlich zur Allergenkarenz
und Pharmakotherapie. (Die AIT kann eine antiasthmatische Medikation nie ersetzen.)
*Kriterien für Allergen-Immuntherapieindikation
Kausaler Zusammenhang des Asthmas mit Allergie
Stabiles Asthma (und FEV1 >70% bei Erwachsenen)
Nur zusätzlich zur Allergenkarenz und Pharmakotherapie
Wenn Allergenkarenz unmöglich oder wenn Karenz nicht zur Asthmakontrolle führt

*Kontraindikation für Allergen-Immuntherapie:


Unkontrolliertes, schwergradiges Asthma (oder bei Erwachsenen mit FEV1 ≤70%)
Schlechtes Nutzen-Risiko-Profil bei einer Allergie gegen Tierepithelien, daher hier nicht
empfohlen.

---Inhalative Glucocorticoide (ICS-Therapie): Bei saisonalem allergischem Asthma, nur in der


Allergiesaison, ab dem Auftreten der ersten Symptome bis 4 Wochen nach Saisonende

----NICHT-ALLERGISCHES ASTHMA BRONCHIALE (INTRINSISCHES ASTHMA):


Kein Nachweis spezifischer IgE-Antikörper und fehlende Allergiesymptomatik
ca. 30–50% aller erwachsenen Asthmatiker, insb. > 40 J
Auslöser: insb. Atemwegsinfekte

** Oft anfallsweise auftretende Luftnot durch reversible bronchiale Verengung ohne Hinweis
auf eine allergische Genese, ausgelöst durch Infektionen oder andere Triggerfaktoren. Der
korrekte Begriff lautet "intrinsisches Asthma", weil der fehlende Nachweis eine Allergie nicht
ausschließt.

----MISCHFORM AUS EXTRINSISCHEM UND INTRINSISCHEM ASTHMA:


ca. 40% aller Asthmatiker
Auch bei einem primär allergischen Asthma bronchiale kann im Verlauf die intrinsische
Komponente überwiegen.

GRAD DER ASTHMAKONTROLLE:

---Kontrolliertes Asthma: Symptome tagsüber <= 2x pro Woche, keine Einschränkung von
Alltagsaktivitäten, keine nächtlichen Symptome, Notwendigkeit von Bedarfsmedikation oder
Notfallbehandlung <= 2x pro Woche

---Teilweise Kontrolliertes Asthma: Symptome tagsüber > 2x pro Woche, Einschränkung von
Alltagsaktivitäten und/ oder nächtliche Symptome und/ oder Notwendigkeit von
Bedarfsmedikation oder Notfallbehandlung >2x pro Woche (1-2 Kriterien)

---Unkontrolliertes Asthma: Symptome tagsüber > 2x pro Woche, Einschränkung von


Alltagsaktivitäten und/ oder nächtliche Symptome und/ oder Notwendigkeit von
Bedarfsmedikation oder Notfallbehandlung >2x pro Woche (>=3 Kriterien)

40
Pathophysiologie:
Bronchiale Hyperreagibilität (ist gemein allen Patienten) und/oder
reversible Bronchialobstruktion
Allergenexposition und/oder Viren-/Bakterienexposition → Freisetzung
proinflammatorischer Zytokine und Wachstumsfaktoren
IgE-vermittelte allergische Reaktion

Allgemeine Symptomatik
Chronischer Husten oder Räusperzwang, teilweise auch als primär einziges Symptom
Kurzatmigkeit/Dyspnoe
Häufig atopische Komorbiditäten, bspw. atopisches Ekzem

EXAZERBATION UND ASTHMAANFALL:


Anfallsartig auftretende Luftnot und exspiratorische Atemgeräusche mit Giemen, Brummen
und pfeifender Atmung
Brustenge, Erstickungsangst
Thorakale Einziehungen
Trockener Husten
Auftreten insb. nachts und früh morgens
Häufig nur episodenhafte Beschwerden, bspw. bei Saisonal auftretenden Allergenen,
Infekten (bevorzugt im Winter), Körperlicher Anstrengung

Diagnose-Kriterien des Asthma bronchiale: ***

1. Typische Klinik und Anamnese


2. Nachweis einer Bronchialobstruktion (FEV1/VC (Tiffeneau-Index) <70%)
3. komplette Reversibilität in der Lungenfunktion (durch Bronchospasmolysetest oder
antiasthmatische Stufentherapie)

***Die Diagnose Asthma bronchiale gilt als gesichert bei charakteristischer Symptomatik +
Nachweis einer Obstruktion + Reversibilität!

Erstdiagnostik bei Asthma bronchiale:


---Eigenanamnese; typische Symptomatik (insb. nachts und früh morgens), bekannte
Allergie oder allergietypische Symptome, Triggerfaktoren
---Familienanamnese: Atopi
---Sozial-, Berufsanamnese: Raucherhaushalt, Haustiere, Allergenexposition am Arbeitsplatz
(bspw. Bäcker, Schreiner)
---Labor: Diffrenzialblutbild, insb. mit Eosinophilie (Nachweis von >300 Eosinophilen/μL Blut
zur Verifizierung eines eosinophilen Asthmas gefordert.)
CRP, ggf. Sputumbakteriologie
---Allergiediagnostik: Alle Patienten bei Erstdiagnose in jedem Alter ****
Prick-Test oder spezifische IgE-AK im Serum
Gesamt-IgE im Serum (zur Planung Anti-IgE-Therapie)
Molekulare Allergiediagnostik
Im Einzelfall: Nasale oder bronchiale Provokationstests mit bestimmten Allergenen
Expositionskarenz

41
---Lungenfunktionsdiagnostik: ***
Spirometrie;
FEV1<80 %
FEV1 / VC < 70% à obstruktive Ventilationsstörung mit Erhöhung des
Atemwegswiderstandes

*Schweregrade der Obstruktion:


FEV1 : 60-80% leichtgradig; 40–60% mittelgradig; <40% schwergradig

---Bronchospasmolysetest: Komplette Reversibilität der Obstruktion durch


Bronchodilatatoren, insb. Salbutamol: Nachweis eines Asthma bronchiale

**Im Gegensatz zur COPD ist bei Asthma die bronchiale Obstruktion durch
Bronchospasmolyse deutlich reversibel: Anstieg des FEV1 um mind. 12% und um 200 mL

---Bodyplethysmografie (wenn möglich)

---Provokationstest zum Nachweis eines hyperreagiblen Bronchialsystems


Indikation: Verdacht auf Asthma bei aktuell fehlender Klinik und fehlender bronchialer
Obstruktion in der Lungenfunktion und bei Verlaufskontrolle
Kontraindikationen: Obstruktive Ventilationsstörung bereits in Ruhe,
Herzrhythmusstörungen, Nicht-kontrollierter arterieller Hypertonus
Voraussetzungen: Infektfreies Intervall, möglichst nicht nach oraler/inhalativer Medikation
(bspw. ICS, LTRA, Salbutamol, Antihistaminika)
Direkte Stimulation: Methacholin-Provokationstest (Positivbefund: FEV1-Abfall ≥20%)
Indirekte Stimulation: Belastungs-Lungenfunktionstest;
Körperliche Belastung, Inhalation von Kaltluft, Mannitol, hyper- und hypotoner NaCl-
Lösung oder Adenosin → Freisetzung entzündlicher Mediatoren →
Bronchokonstriktion (Positivbefund: FEV1-Abfall um ≥10% bei Erwachsenen)

* Bronchiale Hyperreagibilität ist typisch beim Asthma – aber auch bei allergischer Rhinitis,
Zystische Fibrose, COPD, Sarkoidose und bei Gesunden (unspezifischer Befund)!

---Peak-Flow-Messung: Objektive Verlaufsbeurteilung zusätzlich zur Klinik bei jedem


Asthma-Patienten (Die PEF-Messung (exspiratorischen Spitzenfluss) alleine ist nicht
ausreichend zur Diagnosestellung.)

---Röntgen-Thorax in 2 Ebenen: Bei Erstdiagnose Asthma und Vorliegen atypischer


Symptome, sowie Husten, Auswurf, Dyspnoe (zum Ausschluss anderer Erkrankungen)

Klinische Untersuchung bei akuter Asthma-Exazerbation / Asthmaanfall: ***


----Inspektion: Thorakale Einziehungen
----Auskultation: verlängertes Exspirium mit Giemen und Brummen, abgeschwächtes
Atemgeräusch, ggf. "Silent Lung", Tachypnoe
----Perkussion: hypersonorer Klopfschall, tiefstehendes, wenig verschiebliches Zwerchfell
----Pulsoxymetrie: spO2<94 % in Raumluft à BGA und Sauerstoffvorlage indiziert!
----Diff-BB und CRP: bei infektbedingter Exazerbation

42
Differenzialdiagnose:
COPD
Postinfektiöse bronchiale Hyperreagibilität
Asthma cardiale (Atemnot durch Linksherzinsuffizienz und pulmonalvenöse Stauung; feuchte
Rasselgeräusche+)
Lungenembolie mit plötzlich einsetzender Atemnot (erhöhte D-Dimere, CT-Angiografie)
Vocal Cord Dysfunktion

**COPD
Erstdiagnose meist ab dem 50. Lebensjahr
Ätiologie: fast ausschließlich Raucher
Klinik: schleichender Beginn und chronische Progredienz über Jahre, Dyspnoe bei Belastung
Lufu: persistierende Obstruktion ohne Reversibilität
Bronchiale Hyperreagibilität: Häufig vorhanden
Akuttherapie bei Exazerbation: Gutes Ansprechen auf systemische Glucocorticoide
Langzeittherapie: Gutes Ansprechen auf Parasympatholytika (Ipratropiumbromid) und
langwirksame ß2-Symphatomimetika (Formoterol)

THERAPIE BEI ASTHMA BRONCHIALE:


Allgemeine Maßnahmen und Besonderheiten:
---Meidung anfallsauslösender Faktoren
Allergene bei allergischem Asthma
ASS bzw. NSAR bei Analgetikaasthma
Stress, kalte Luft, Tabakrauch
---Körperliche Aktivität (Ziel der Therapie ist es, dass jeder Patient trotz Asthma
altersentsprechend unbeeinträchtigt am Leben teilnimmt - Sport eingeschlossen. Zudem hat
Ausdauersport einen positiven Effekt auf den Verlauf der Erkrankung.)
---Normales Körpergewicht halten bzw. Gewichtsabnahme
---Tabakkarenz und Vermeidung von Passivrauchen
---Asthmaschulung zur Verbesserung der Selbstmanagementfähigkeiten
---Ggf. zusätzlich Yoga, Hypnose und Entspannungstechniken
---Bei schweren Verläufen: Atemphysiotherapie, pneumologische
Rehabilitationsmaßnahmen bei Asthma bronchiale
---Bei respiratorischer Insuffizienz im Endstadium: O2-Langzeittherapie
---Bei Infektassoziiertem Asthma: Frühzeitige Infekttherapie
---Bei allergischem Asthma: Allergen-Immuntherapie
---Bei Belastungsasthma: Aufwärmphase, gute Langzeiteinstellung, SABA vor Belastung

Stufentherapie bei Asthma:


Stufe 1: keine Dauertherapie, ICS mit niedriger Dosis
Stufe 2 (Therapiebeginn für teilweise kontrolliertes Asthma): ICS mit niedriger Dosis
(inhalative Corticosteroide; Budesonid, Fluticason)
Stufe 3 (Therapiebeginn für unkontrolliertes Asthma): ICS+LABA mit niedriger Dosis
(langwirksame ß2-Symphatomimetika; ICS+Formoterol als Fixkombination
Alternativen: ICS+LAMA (langwirksame Muscarinrezeptor-Antagonisten; Tiotropiumbromid)
oder ICS+LTRA Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten; Montelukast)
Stufe 4: ICS+LABA mit mittlerer bis hoher Dosis,
Alternativen: ICS+LABA+LAMA oder ICS+LABA+LTRA

43
Biologicals: keine ausreichende Asthmakontrolle trotz 3-monatiger Therapie mit ICS in
Höchstdosis+ LABA+ LAMA
Anti-IL-5-AK: Mepolizumab
Anti-IgE-AK: Omalizumab

Akuttherapie bei Bedarf: ICS+Formoterol als Fixkombination (Off-Label-Use) oder SABA


(kurzwirksame ß2-Mimetika; Salbutamol / Fenoterol)

Zusätzliche Hinweise über Lungenuntersuchung;


*Perkussion der Lunge:
Physiologisch: sonorer Klopfschall (relativ hohler und lauter Ton)
Pathologisch:
---Hypersonorer Klopfschall: Lauter und hohler als normal → Zeichen für übermäßigen
Luftgehalt in der Lunge: Lungenemphysem, Asthma bronchiale, Pneumothorax
---Gedämpfter Klopfschall (bzw. hyposonorer Klopfschall): Dumpfer und leiser als normal →
Zeichen für vermehrten Flüssigkeitsgehalt in der Lunge: Pneumonie, Pleuraerguss

*Pulmonale Nebengeräusche:
Feuchte Geräusche, die durch dünnflüssiges Sekret in den Atemwegen erzeugt werden:
---Feinblasig, klingend: Pneumonie
---Grobblasig: Lungenödem, Bronchiektasen

Trockene Geräusche, die durch turbulenten Luftstrom an einer Verengung der Atemwege
entstehen.
---Expiratorischer Stridor oder expiratorisches Giemen (höherer Frequenz in den kleineren
Atemwegen; pfeifender Rhoncus) und Brummen (niedrigerer Frequenz in den größeren
Atemwegen; volltönender Rhoncus) bei Obstruktionen der intrathorakalen Atemwege:
Asthma bronchiale, COPD
---Inspiratorischer Stridor durch Verengung der extrathorakalen Atemwege: Epiglottitis,
Fremdkörperaspiration

44
ANGINA TONSILLARIS
Die Tonsillen (Mandeln) ****
Tonsilla pharyngealis (Rachenmandel) ----Adenoide Vegetationen / Tonsillitis
Tonsilla palatina (Gaumenmandel) ----insb. Angina Tonsillaris
Tonsilla lingualis (Zungenmandel)
Tonsilla tubaria (Tubenmandel)

Ätiologie:
----Viral (in 70-95% der Fälle):
-Rhinovirus, Coronavirus (eher milde Verläufe)
-Adenovirus (ausgeprägte Tonsillitis mit purulentem Exsudat)
-Influenzavirus A, B, Parainfluenzavirus
-Epstein-Barr-Virus (EBV; präsentiert sich häufig als systemisches Krankheitsbild mit
möglicher Beteiligung anderer lymphatischer Organe wie Leber und Milz)
-Enteroviren (Coxsackieviren; Angina herpetica)
-RSV (insb. im Kindesalter)
----Bakteriell
Streptococcus pyogenes (ß-hämolysierende Streptokokken): häufigster bakterieller Erreger
der akuten Tonsillitis (15-30 % aller Fälle)
Staphylokokken, Pneumokokken

Klassifikation:
1.Angina catarrhalis (rote, geschwollene Gaumenmandeln ohne Beläge)
2.Angina follicularis (eitriges Sekret (lokale Ansammlung von Fibrin und Leukozyten)
imponiert als gelb-weißliche „Stippchen“)
3.Angina lacunaris (Erosion des Epithels der Gaumenmandel mit Fibrinauflagerung, Krypten,
größere, fleckartige Beläge)

Symptome/Klinik:
Allgemeines Krankheitsgefühl mit Fieber, Kopfschmerzen und Husten
Halsschmerzen (ggf. mit der Ausstrahlung bis in die Ohren)
Schluckschmerzen und -störung, kloßige Sprache und Atemwegsbehinderung mit Stridor
Foetor ex ore
Übelkeit bis Erbrechen, epigastrische Bauchschmerzen (oft bei Streptokokken-positiven
Tonsillitiden und beim Scharlach)

Diagnostik:
------Körperliche Untersuchung mit Inspektion des Rachens
Zervikale Lymphadenopathie (insb. bds. submandibuläre LAP)
Lokalbefund: starke Rötung und Schwellung der Tonsillen, ggf. Fibrinbeläge und Stippchen
(gelb-weißliche Beläge) auf den Tonsillen, ggf. lakunenartig erweiterte Krypten

45
----Rachenabstrich:
Streptokokken-A-Schnelltest (hochspezifisch, aber wenig sensitiv): Dabei wird
Rachensekret mit einer Reagenzlösung gemischt und auf ein Testkit aufgebracht.
(Reaktion mit Streptokokken-Antigen)

*Das bedeutet, der Test erkennt nicht immer, wenn eine Streptokokkeninfektion vorliegt.
Wenn das Ergebnis positiv ist, liegt aber mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine
Streptokokkeninfektion vor.

Bakteriologische Kultur
EBV-PCR in Ausnahmefällen
Diphtherie-Toxin-Gens mittels PCR bei V.a. Diphtherie (Tonsillitis mit Pseudomembran)

-----Blutuntersuchung:
Entzündungsparameter (CRP↑, BSG↑, Leukozytose)
Bestimmung des Antistreptolysin-Titers: Antistreptolysin O
*Antikörper gegen das von β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A gebildete
Exotoxin Streptolysin O, die ca. 1–3 Wochen nach einer Infektion ansteigen.
Die Bestimmung des Titers kann bei V.a. eine Streptokokken-Folgeerkrankung
(z.B. rheumatisches Fieber, Poststreptokokken-Glomerulonephritis) hilfreich sein.
Erregerspezifische Serologie bei V.a. EBV

Häufige DD:
----Akute Pharyngitis (gerötete, granulierende Rachenschleimhaut)
----Herpangina (Coxsackie A; herpesähnliche Bläschen im gesamten Rachenraum und an den
Tonsillen, im Verlauf fibrinbedeckte Ulzerationen)
----Angina durch IMN (EBV; gerötete, vergrößerte Tonsillen mit weiß-gräulichen Belägen
oder Pharyngitis, generalisierte LAP, evtl. Organ-/Hautbbeteiligung)
----Angina Plaut-Vincenti (Mischinfektion mit Treponema vincentii und Fusobacterium
nucleatum; einseitige, ulzeröse Gaumenmandel mit Dysphagie, Foeter ex ore)
----Tonsillenhyperplasie (nicht-infektiös)
----Lymphom (nicht-infektiös, meist einseitige und indolente LAP)

THERAPIE

1.Symptomatische Therapie; reichlich Flüssigkeitszufuhr, Analgetika (Paracetamol,


Ibuprofen)

2.Bei Streptokokkeninfektion zusätzlich Antibiotikum


----Penicillin V (1. Wahl) oder Cephalosporin der 1. Generation (Cefadroxil, Cefalexin p.o.)
----Bei Penicillinallergie; Clindamycin (1. Wahl) oder Makrolid (Clarithromycin, Azithromycin
und Erythromycin)

*Keine Aminopenicilline (Ampicillin oder Amoxicillin): Lösen bei EBV-Infektion i.d.R. ein
Arzneimittelexanthem aus

46
3.Operative Therapie (Tonsillektomie oder Tonsillotomie)
Indikation für OP:
Rezidivierende akute, eitrige und antibiotikapflichtige Tonsillitis
Massive Tonsillenhypertrophie („kissing tonsils“)
PFAPA-Syndrom (periodic fever, aphthous stomatitis, pharyngitis and cervical adenitis) [2]
Akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis
Peritonsillarabszess
Einseitig vergrößerte Tonsille

KOMPLIKATIONEN
---akute Komplikationen
Peritonsillarabszess (zwischen Tonsille und Tonsillenkapsel)
Parapharyngealabszess (im Parapharyngealraum)

---Langzeitkomplikationen
Rezidivierende akute Tonsillitis (der Begriff „chronische Tonsillitis“ ist obsolet); zerklüftete,
schlecht luxierbare Tonsillen, narbengewebe in den Tonsillen, Peritonsilläre Rötung
(„Peritonsillitis“), Iritis

---Immunvermittelte Poststreptokokken-Erkrankungen (bei Streptokokken-


Tonsillopharyngitis)
Akutes Rheumatisches Fieber (ARF)
Akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis (APSGN)
Endokarditis
Chorea minor Sydenham
Poststreptokokken-Arthritis

INFEKTIÖSE MONONUKLEOSE
Erreger: EBV (=HHV-4)
Infektionsweg: Speichel hochinfektiös (Kissing-Disease)
Inkubationszeit: 1–7 Wochen

Leitsymptome:
---Fieberhafte Angina tonsillaris (gerötete und, manchmal asymmetrisch, vergrößerte
Tonsillen mit weiß-gräulichen konfluierenden Belägen) oder Pharyngitis
---Generalisierte Lymphknotenschwellungen (insb. bds. Zervikale LAP)
---Im Kleinkindesalter verläuft die Infektion dagegen meist asymptomatisch
Organbeteiligung
---In ca. 50% Splenomegalie (Risiko für lebensbedrohliche Milzruptur)
---Ggf. Hepatomegalie und Hepatitis mit Entwicklung eines Ikterus
---Ggf. exanthematische Form (ca. 3% der Fälle)
---Petechiales Enanthem am harten Gaumen; zusätzliches Exanthem (feinfleckig-
makulopapulös) am Stamm möglich
---Selten können weitere Organe (bspw. Herz, Nieren, ZNS, Gelenke) beteiligt sein

47
Verlauf: Häufig ausgeprägte Fatigue (Abgeschlagenheit) über mehrere Wochen

*Unter einer Therapie mit Aminopenicillinen (bspw. aufgrund einer Fehldiagnose) kann sich
bei infektiöser Mononukleose ein Arzneimittelexanthem entwickeln!

DIAGNOSTIK:
Die Verdachtsdiagnose einer infektiösen Mononukleose wird meist klinisch gestellt und kann
im Blutbild untermauert werden. Zur Diagnosesicherung dient die Serologie.

Blutbild: Lymphozytose (absolut oder relativ) mit atypischen reaktiven CD8+-T-


Lymphozyten (im maschinellen Differenzialblutbild)
bzw. Virozyten (Pfeiffer-Zellen) im Blutausstrich

Klinische Chemie: Häufig LDH- und Transaminasen-Erhöhung (bei hepatischer Beteiligung)

***Serologie (Goldstandard):
Bestätigungsdiagnostik, Differenzierung akuter bzw. zurückliegender EBV-Infektion
(Methoden: Immunfluoreszenz, Enzymimmunoassay oder Western Blot)
Antikörperprofil:
AK gegen Viruskapsidantigen (VCA) = Anti-VCA (IgG, IgM)
Anti-VCA-IgM: früheste serologische Parameter, Hinweis auf eine frische Infektion
Anti-VCA-IgG: tritt kurz nach den IgM auf und bleibt lebenslang
AK gegen Epstein-Barr-Virus-Nuclear-Antigen 1 (EBNA-1) = Anti-EBNA-1 (IgG)
Anti-EBNA-1: deutet eine Abheilung des Infekts, schließt eine frische Infektion
praktisch aus, bleibt lebenslang
AK gegen Early Antigen (EA) = Anti-EA (IgG)
Anti EA: steigt bei Reaktivierung einer EBV-Infektion an

EBV-Schnelltest: Nachweis heterophiler IgM-Antikörper im Serum (durch Paul-Bunnel-


Agglutinationstest); geringe Sensitivität und Spezifität

Direkter Erregernachweis: (EBV-DNA)


Quantitative PCR: Bei unklarer Antikörperkonstellation sowie bei schwerer Immundefizienz

Bildgebung: Sonografie der Leber und Milz (zur Verlaufsbeobachtung bei Hepatomegalie
/Splenomegalie)

Symptomatische Therapie:
----Körperliche Schonung
---Gabe von Flüssigkeit (ggf. i.v.)
---Analgesie und Antipyrese (z.B. Ibuprofen)

*Keine Gabe von ASS! (IMN assoziiert mit Reye-Syndrom; akute Enzephalopathie und
Leberfunktionsstörung)

*Keine Gabe von Paracetamol! (Aufgrund der möglichen hepatischen Beteiligung)

48
DD: bakterielle Angina tonsillaaris, Diphterie, akute HIV-Infektion, Hepatitis durch
Hepatitisviren, Angina Plaut-Vincenti.

Komplikationen bei immunsupprimierten Patienten:


Pneumonie (vor allem interstitiell)
Otitis media (vor allem bei HIV-infizierten Kindern)

Komplikationen bei immunkompetenten Patienten: (sehr selten)


Milzruptur bei Splenomegalie
Nierenversagen
Peri-/Myokarditis
Guillain-Barré-Syndrom
Meningoenzephalitis
Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH)

Assozierte Malignome:
---Transplantationsassoziierte B-Zell-Lymphome (Post-transplant lymphoproliferative
disorder (PTLD)): EBV-Reaktivierung bei massiver Immunsuppression
---Burkitt-Lymphom (Non-Hodgkin-Lymphom)
Endemisch (in Äquatorialafrika): Vermutlich zu 100% mit EBV assoziiert
Sporadisch (weltweit): Zu ca. 15% mit EBV assoziiert
---Nasopharynxkarzinom
---Morbus Hodgkin
---Orale Haarleukoplakie bei HIV-Patienten (benigne)

49
OSAS

Klassifikation des Schlafapnoe-Syndroms:


1. Obstruktives Schlafapnoe-Syndroms: >90%:
-Schlafbezogene Atemstörung mit Obstruktion der oberen Atemwege durch Kollaps der
Schlundmuskulatur (Pharynxmuskulatur) während des Schlafens
-Atemantrieb und damit Atembewegungen bleiben erhalten
-Risikofaktoren: Erkrankungen, die den Atemfluss der oberen Atemwege behindern
(z.B. Tonsillenhyperplasie, Nasenseptumdeviation, Wassereinlagerungen in der
Pharynxmuskulatur bei Hyperaldosteronismus)
-Symptome/Klinik:
Lautes und unregelmäßiges Schnarchen mit Atemaussetzern (Fremdanamnese)
(Nächtliches) Erwachen aus dem Schlaf
Starke Tagesschläfrigkeit mit Monotonieintoleranz (Einschlafen in monotonen Situationen,
Sekundenschlaf)
Vergesslichkeit und Konzentrationsstörung
Verminderte Leistungsfähigkeit
Depressivität
Potenz-/Libidostörung
Morgendliche Kopfschmerzen

2. Zentrales Schlafapnoe-Syndroms: <10%


-Schlafbezogene Atemstörung durch mangelnde Stimulation des zentralen Atemzentrums
ohne Obstruktion der oberen Atemwege
-Durch zeitweise fehlende Innervation der Atemmuskulatur bleiben thorakale und/oder
abdominelle Atembewegungen aus
-Risikofaktor: Herzinsuffizienz (Cheyne-Stokes-Atmung)
-Symptome/Klinik: Symptome der Grunderkrankung (kein Schnarchen, selten
Tagesschläfrigkeit)

3.Sonderform: Adipositas-Hypoventilationssyndrom (Pickwick-Syndrom)


-Restriktive Ventilationsstörung, die durch ausgeprägte abdominelle, thorakale, zervikale
Fettgewebsablagerungen bedingt ist.
-Die auftretende alveoläre Hypoventilation ist definitionsgemäß nicht durch
neuromuskuläre, mechanische oder metabolische Störungen erklärbar.
-Pathologische Adipositas (BMI >30)
-Schlafapnoe
-Tageshyperkapnie (>45 mmHg bei BGA), ausgeprägte Tagesmüdigkeit
-BB: Polyglobulie
-Komplikationen: Rechtsherzinsuffizienz, pulmonale Hypertonie.

Typische Begleiterkrankungen und begünstigende Faktoren:


Alkohol- und Tabakkonsum
Einnahme von Sedativa, Betablockern
Metabolisches Syndrom

50
DIAGNOSTIK:
Allgemein:
--Schlafmedizinische Anamnese
--Epworth Sleepiness Scale (Fragebogen zur Beurteilung der Einschlafneigung in typischen
Alltagssituationen)
--24-Stunden-Blutdruckmessung (Meist fehlt der physiologische nächtliche Blutdruckabfall.)

Schlafuntersuchung: ***
----Polygrafie (Screen-Untersuchung, welche ambulant durchgeführt werden kann. Der
Patient kann nach Anleitung das Polygrafiegerät mit nach Hause nehmen.)

Messen folgender Parameter während des Schlafens:


Atemfluss,
Atempausen,
Sauerstoffsättigung im Blut,
Herzfrequenz,
Schnarchgeräusche und Atembewegungen von Brustkorb und Bauch

*Hieraus Bestimmung von Apnoen, Hypopnoen und Apnoe-Hypopnoe-Index möglich

----Polysomnografie (Im Schlaflabor durchgeführte Untersuchung, die i.d.R. zwei Tage


umfasst und eine individuelle Betrachtung der Schlafphasen ermöglicht.)

Messen Folgendes neben den Parametern der Polygrafie zusätzlich:


--Elektroenzephalografie (EEG) → Ermöglicht Einteilung in Schlafphasen und Schlafstadien
-- Elektrookulografie (EOG) → Augenbewegungen zur Erfassung der REM-Phasen
-- Elektromyografie (EMG) à Muskelaktivität bspw. durch Sensoren für die Bewegungen der
Beine oder am Kinn
-- Elektrokardiografie (EKG); Oft (aber nicht zwangsläufig)

Klassische Befunde beim Schlafapnoesyndrom


----Apnoen und Hypopnoen (Apnoe-Hypopnoe-Index >15)
----Abfälle der Sauerstoffsättigung
----Weckreaktionen (Arousal) im EEG
----Fragmentierung des Schlafs mit pathologischer Abnahme der Traumschlaf- (REM-Schlaf-)
und Tiefschlafphasen im PSG

*Das Schlafapnoe-Syndrom ist eine sehr häufige Ursache der sekundären Hypertonie!
*Bei Adipösen, Diabetikern, Patienten mit Vorhofflimmern und Patienten mit Hypertonie,
die über Schnarchen berichten, soll die Diagnostik zum Ausschluss eines
Schlafapnoesyndroms erfolgen.

51
THERAPIE

Allgemein:
Behandlung der Grunderkrankung (z.B. die Herzinsuffizienz bei zentralem Schlafapnoe-
Syndrom oder Operation einer Septumdeviation beim OSAS)
Risikofaktor reduzieren: Gewichtsreduktion, eventuell mittels bariatrischer Chirurgie
Meiden von Alkohol, Nikotin und Sedativa
Schlafhygiene: Regelmäßiger und ausreichender Schlaf, Schlaf auf der Seite und nicht auf
dem Rücken
Einstellung des Blutdrucks

Nächtliche Beatmung ***


1. nCPAP (Nasal continuous positive airway pressure)
Mittels CPAP werden durch einen leichten Überdruck während In- und Exspiration die
entspannten Atemwege des Schlafenden offengehalten (pneumatische Schienung).
2. BIPAP (Biphasic positive airway pressure)
Im Vergleich zur CPAP wird bei der BIPAP mit zwei verschiedenen Druckniveaus gearbeitet,
wobei der exspiratorische Druck niedriger ist als der inspiratorische. Dies verbessert die
Atmung bei Hypoventilation und vermindert die Druckbelastung bei Patienten mit
Herzinsuffizienz.

*Beim symptomatischen obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom ist die Überdruckbehandlung in


der Nacht mittels nCPAP-Therapie das Mittel der Wahl.

Komplikationen:
---Sekundäre arterielle Hypertonie mit fehlender Nachtabsenkung
---Erhöhtes Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und plötzlichen Herztod
---Ischämische Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz
---Hypoxie-induzierte Herzrhythmusstörungen
---Globale respiratorische Insuffizienz
---Pulmonale Hypertonie
---Unfallrisiko durch Sekundenschlaf
---Erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer vaskulären Demenz

*Narkolepsie: eine neurologische Erkrankung mit gestörter Schlaf-Wach-Regulation


--- übermäßige Tagesschläfrigkeit
---ständiges, ungewolltes Einschlafen
---plötzliches Erschlaffen von Muskeln bei vollem Bewusstsein (Kataplexie)
---gestörter Nachschlaf
---automatisches Verhalten (Alltägliche Handlungen werden unbewusst beim Einnicken
fortgeführt, z. B. Essen oder Schreiben.)
---schlafbedingte Halluzinationen
---vorübergehende Schlaflähmungen (beim Einschlafen oder Aufwachen)

52
LYME-BORRELIOSE

*Die Lyme-Borreliose ist eine Erkrankung, die durch humanpathogene Bakterien der Gruppe
Borrelia burgdorferi sensu lato (Borrelia-burgdorferi-Komplex) hervorgerufen wird.
Erregerreservoir des Bakteriums sind Wildtiere. Der Erreger wird von Zecken mit dem Blut
des Wirtstieres aufgenommen und beim Stich auf andere Wirte, darunter den Menschen,
übertragen!

*Die Infektion äußert sich meistens als Erythem, das sich von der Einstichstelle ausgehend
vergrößert.
*Wird dieser Lokalbefund nicht antibiotisch behandelt, ist eine disseminierte Erkrankung
möglich. Diese kann sich als Lyme-Neuroborreliose (meist als Bannwarth-Syndrom mit
radikulären Schmerzen und Paresen), als Lyme-Karditis mit Herzrhythmusstörungen, als
Lyme-Arthritis der großen Gelenke oder als Acrodermatitis chronica atrophicans äußern.

*Daneben sind klinisch inapparente Verläufe und systemische Manifestationen ohne


vorheriges Erythema migrans möglich.

Alter: In jedem Alter, zwei Häufigkeitsgipfel (5–15 Jahre und 45–55 Jahre)
Risikogruppen: Draußen spielende Kinder, Wanderer, Forstarbeiter

Saisonale Häufung: Infektion i.d.R. März–Oktober, mit Gipfel in den Sommermonaten


Häufigkeitsgipfel Erythema migrans: Juni und Juli
Häufigkeitsgipfel akute Neuroborreliose: Juli und August

Erreger:
Borrelia burgdorferi sensu lato (Borrelia-burgdorferi-Komplex): Gramnegative,
mikroaerophile Spirochäten der Gattung Borrelia

Erregerreservoir (Wirsttiere): Zahlreiche Wildtiere, darunter Rotwild, Nager und Vögel


(Die Wirtstiere erkranken i.d.R. nicht an der Infektion.)

Vektor: verschiedene Zecken-Spezies der Gattung Ixodes aus der Familie der Schildzecken
mit unterschiedlichen Verbreitungsgebieten
*Ixodes ricinus (Gemeiner Holzbock): Europa

*Die Zecke sticht mit spezialisierten Mundwerkzeugen das Wirtstier und nimmt während des
mehrtägigen Saugaktes mit dessen Blut auch Borrelien auf.
*Nach Ende der „Blutmahlzeit“ lässt sich die Zecke vom Wirtstier fallen.
*Die Zecke sticht anderes Wirtstier/den Menschen → Borrelien gelangen aus dem
Verdauungstrakt der Zecke und deren Speichel in die Haut des Menschen.
*Wahrscheinlichkeit der Borrelienübertragung steigt mit der Dauer des Saugaktes; die
Übertragung erfolgt normalerweise erst nach mehreren Stunden.

*Ein Zeckenstich führt zur Infektion bei 1,5–6% der Betroffenen, nur bis zu 1,4% der
Gestochenen entwickelt eine Lyme-Borreliose.

53
*Die Zecke kann neben Borrelien auch das FSME-Virus übertragen! In Nordamerika ist die
Übertragung von Rickettsien (Erreger des Rocky-Mountain-Fleckfiebers) und Babesien
möglich!

SYMPTOME/KLINIK:
Die Infektion mit Borrelia burgdorferi sensu lato kann klinisch inapparent oder mit variablen
klinischen Manifestationen verlaufen. Das variable klinische Bild ist auch auf Unterschiede
im Organotropismus der geografisch unterschiedlich verteilten Erreger und ihrer
genetischen Subtypen zurückzuführen.

Folgende Stadien werden unterschieden:


1.Lokale Frühmanifestation (Stadium I)
2.Frühe disseminierte Infektion (Stadium II)
3.Späte disseminierte Infektion (Stadium III)

1. Lokale Frühmanifestation (Stadium I)


Inkubationszeit: Tage bis Wochen

Erythema migrans (Wanderröte, Erythema chronicum migrans)


Bei etwa 50% der Lyme-Borreliose-Patienten
Häufig Erythema migrans als einziges Symptom
Nach freiem Intervall (Tage bis Wochen) von der Stichstelle sich kreisförmig ausbreitendes,
hellrotes Erythem mit (70%) oder ohne (30%) zentraler Abblassung
Gelegentlich mit Juckreiz, selten schmerzhaft
*Das Erythem ist Ausdruck der inflammatorischen immunologischen Reaktion des Körpers
auf die Ausbreitung der Borrelien in der Dermis.

54
Formen:
----Typisches Erythema migrans:
Stichstelle im Zentrum sichtbar
Befund randbetont, nicht erhaben
Durchmesser des Erythems >5 cm

----Atypisches Erythema migrans


Homogene, nicht randbetonte Befunde
Fehlende Ausbreitungstendenz
Zeckeneinstichstelle; Zentrale rote Papel, nicht sichtbar
Erhabener Rand
Inhomogene fleckige Befunde
Zentral vesikulöses Erythem
Hämorrhagisches Erythem

Seltene Begleitsymptome können sein: Unwohlsein, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen,


Arthralgien und Myalgien, Fieber

Lymphadenosis cutis benigna (Borrelien-Lymphozytom):


Reaktive Hyperplasie lymphatischer Zellen, meist B- und T-lymphozytäre Infiltrate.
Rot-bläuliche solitäre Knoten, selten disseminiert
Häufig lokale Lymphadenopathie
Prädilektionsstellen: Ohrläppchen, Mamillen

2. Frühe disseminierte Infektion (Stadium II)


Inkubationszeit: Wochen bis Monate

Erythema migrans: Multiple Befunde nach Dissemination möglich

Akute Neuroborreliose (auch „frühe Neuroborreliose“)


3–12% der Lyme-Borreliose-Patienten
-----Bannwarth-Syndrom:
Typischerweise schmerzhafte und fluktuierende Polyneuroradikulopathie
Häufigste Manifestationsform im Erwachsenenalter
Heftige radikuläre, insb. nächtliche Schmerzen
Asymmetrische Paresen der Extremitäten (in bis zu 60% der Fälle)
Hirnnervenausfälle (in bis zu 60% der Fälle); Fazialisparese (in einem Drittel der Fälle
beidseits), Abduzensparese
-----Lymphozytäre Meningitis
Häufigste Manifestationsform im Kindes- und Jugendalter
(Intermittierende) Kopfschmerzen
Ggf. leichter Meningismus

55
Lyme-Karditis
Bis zu 4% der unbehandelten Fälle
Myokarditis bzw. Myoperikarditis mit unspezifischen Erregungsrückbildungsstörungen (AV-
Block I.–III. Grades, anderen Arrhythmien)
Häufig asymptomatisch
Belastungsdyspnoe, thorakale Schmerzen, Adams-Stokes-Anfälle möglich

* Die Lymphadenosis cutis benigna kann auch bei der früh disseminierten Infektion
auftreten.

3. Späte disseminierte Infektion (Stadium III)


Inkubationszeit: Monate bis Jahre

Lyme-Arthritis
Mono- oder Oligoarthritis der großen Gelenke (häufig Knie)
Gelenkschwellung infolge chronischer Synovialitis mit lymphoplasmazellulären Infiltrationen
Beschwerden intermittierend

** Arthralgien, Myalgien und Enthesiopathien können bereits in früheren


Erkrankungsstadien auftreten.

Acrodermatitis chronica atrophicans (Herxheimer)


Chronisch-progressive dermatologische Erkrankung
Befunde insb. an Streckseiten der Extremitäten (häufig Unterschenkel, meist einseitig)
Stadienhafter Verlauf
---Ödematös-infiltratives Stadium: Hellrotes, später rot-livides Erythem
---Atrophisches Stadium: Haarlose, sklerosierte, atrophe Haut, gelegentlich fibroide Knoten

Chronische Neuroborreliose
Sehr selten
Progressive Enzephalitis oder Enzephalomyelitis
Störung von Kognition, Gang und/oder Blasenfunktion,
ggf. psychopathologische Veränderungen

Sonstige Manifestationen
Augenbeteiligung in jedem Stadium möglich; Konjunktivitis, Keratitis, Uveitis,
Retrobulbärneuritis, Retinale Vaskulitis
Begleithepatitis mit Erhöhung der Cholestaseparameter im Krankheitsverlauf möglich

56
DIAGNOSTIK:
Anamnese und klinische Untersuchung
----Zeckenstich erinnerlich?
----Erythema migrans in Vergangenheit?
----Klinische Befunde hinweisend auf Lyme-Borreliose
Notwendige Diagnostik nach Manifestation
*Erythema migrans: Rein klinische Diagnose
*Alle anderen Manifestationen: Klinischer Verdacht und positive Serologie (Nachweis
Borrelien-spezifischer Antikörper)

Borrelien-Serologie: (aus Serum und bei V.a. Neuroborreliose aus Liquor)


Stufendiagnostik
1.ELISA (Suchtest)
1.Immunoblot; Westernblot (Bestätigungstest)

Borrelien-spezifischer IgM-AK: erst ab 3. Wochen positiv


Borrelien-spezifischer IgG-AK: Der-IgG-Antikörperanstieg beginnt ab der 6. Woche

Einordnung-Serologie
*Persistenz von Antikörpern über Jahre möglich (auch nach klinisch stummer Infektion)
*Hohe Antikörperprävalenz in Normalbevölkerung (bis zu 25% der über 70-Jährigen),
deshalb ist die positive Serologie nur in Gesamtschau mit für eine Lyme-Borreliose
verdächtiger Symptomatik wegweisend.
*Falsch-positive Befunde bei Lues (Syphilis) möglich.
*In der Frühphase der Infektion: Negative Serologie möglich.
*Serologie nicht zur Therapiekontrolle geeignet.

Direkter Erregernachweis; Keine Primärdiagnostik


---PCR aus Liquor, Haut oder Gelenkpunktat
---Kultur aus Liquor, Haut

Antibiotische Therapie der Borreliose


Erythema migrans
1. Wahl: Doxycyclin 2x 100 mg/d p.o. (grundsätzlich 14 Tage) oder Ceftriakson 1x2 g i.v. oder
Amoxicillin 3x 500 mg/d (insb. bei Kindern)

Neuroborreliose (14-21 Tage) oder Lyme-Arthritis (30 Tage)


Doxycyclin p.o. oder Ceftriaxon i.v.

Komplikationen nach antibiotischer Behandlung


Post-Borreliose-Syndrom (Post-Lyme-Syndrom, chronische Lyme-Borreliose);
Umstrittenes, unzureichend definiertes Syndrom nach antibiotischer Borreliosetherapie, das
nach Angaben der Betroffenen u.a. mit Leistungseinschränkung, Müdigkeit,
Konzentrationsstörungen und anderen unspezifischen Symptomen einhergeht
Differenzialdiagnosen: Somatoforme Störungen, depressive Störung, rheumatische
Erkrankungen, Hypothyreose
Therapie: Behandlung etwaiger anderer Erkrankungen, psychosomatische Unterstützung bei
somatoformer Störung

57
Prognose:
----Häufig gutes Ansprechen auf antibiotische Therapie und komplette Rückbildung der
Beschwerden
----Akute Neuroborreliose: Residuelle Paresen (z.B. bei Fazialisparese) möglich
----Chronische Neuroborreliose: Residuen häufiger
----Acrodermatitis chronica atrophicans: Langsame Rückbildung nach Therapie
----Nach durchgemachter Infektion: Reinfektionen mit Borrelien sind möglich

Prävention:
*Kein zugelassener Impfstoff
*Zurückliegende Erkrankungen oder hohe Antikörpertiter: Kein Schutz vor Neuinfektion!
*Eine prophylaktische Antibiotikatherapie nach Zeckenstich ohne Hinweis auf eine Lyme-
Borreliose wird nicht empfohlen.
*Expositionsprophylaxe als einzig wirksamer Schutz;
---Meiden von Risikogebieten
---Absuchen des Körpers auf Zecken
----Umgehendes Entfernen von Zecken:
1.Zecke mit Pinzette unmittelbar über der Haut fassen
2.Unter Zug vorsichtig leicht hebelnd mobilisieren
3.Die Zecke nicht quetschen!
4.Keine Nagellackentferner, Klebstoffe, Öle oder Ähnliches verwenden!
---Beobachten der Einstichstelle, um ein Erythema migrans (tritt einige Tage bis Wochen
nach dem Stich auf) zu erkennen.

***FSME
Bei der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) kommt es nach Infektion mit dem FSME-
Virus über einen Zeckenstich zunächst zu grippeähnlichen Symptomen (Inkubationszeit:7-28
Tage) und im Verlauf zu neurologischen Ausfällen. Zu Beginn der Erkrankung erfolgt der
direkte Virusnachweis mittels PCR im Blut und im Verlauf kann ein Antikörpernachweis in
Serum oder Liquor mittels ELISA wegweisend sein. Eine kausale Therapie existiert nicht;
neben der Expositionsprophylaxe zur Vermeidung von Zeckenstichen wird vor Reisen in
entsprechende Risikogebiete eine Impfung empfohlen.

**Übertragung durch Zecken;


Lyme-Borreliose
FSME (FSME-Virus)
Babesiose (Babesia-Spezies)
Rocky-Mountains-Fleckfieber (Rickettsia rickettsia)
Fleckfieber (Rickettsia prowazekii)
Q-Fieber (Coxiella burnetii)
Krim-Kongo-hämorrhagisches-Fieber (KKHF-Viren)

58
ÖSOPHAGUSKARZINOM (Speiseröhrenkrebs)

Das Ösophaguskarzinom manifestiert sich in der Regel als Adeno- oder


Plattenepithelkarzinom. Adenokarzinome entstehen auf dem Boden eines Barrett-
Ösophagus als Folge einer Refluxösophagitis und sind im unteren Drittel des Ösophagus
lokalisiert. Sie überwiegen mittlerweile gegenüber der Anzahl an Plattenepithelkarzinomen.

Für die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms sind verschiedene Noxen wie Rauchen,
heiße Getränke, Nitrosamine und vor allem Alkohol als Risikofaktoren anerkannt.
Plattenepithelkarzinome befinden sich vor allem im mittleren Drittel des Ösophagus.

Die zumeist erst spät auffallende klinische Symptomatik (z.B. Dysphagie, Druckgefühl) des
Ösophaguskarzinoms trägt dazu bei, dass dieses zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nur bei
ca. 40% der Erkrankten noch operabel ist. Bei Verdacht auf einen Tumor der Speiseröhre
kommt v.a. die Endoskopie zum Einsatz, mit der auch eine histologische Sicherung der
Verdachtsdiagnose gelingt. Therapeutisch können Karzinome bis etwa zum Stadium IIa
operativ und in kurativem Ansatz angegangen werden, während dem Großteil der Patienten
mit höhergradigem Stadium nur noch eine palliative Therapie zuteilwerden kann.

Epidemiologie:
Steigende Inzidenz von Adenokarzinomen
Geschlecht: ♂ > ♀ (3:1)
Alter: Auftreten meist erst ab dem 40. Lebensjahr (Häufigkeitsgipfel um 60.–70. Lebensjahr)

Ätiologie:
1.Adenokarzinom (häufiger in Westeuropa; 50–60%):
Risikofaktoren:
Adipositas
Gastroösophagealer Reflux
Rauchen
Achalasie
Stenose nach Verätzung
Präkanzerose: Barrett-Ösophagus (Zylinderzellmetaplasie) als Komplikation einer
gastroösophagealen Refluxkrankheit
Lokalisation: Vor allem unteres Drittel des Ösophagus (>90%)

2.Plattenepithelkarzinom (40–50% in Westeuropa aber Weltweit häufiger)


Risikofaktoren:
Alkoholabusus, insb. bei Bevorzugung hochprozentiger alkoholischer Zubereitungen
Rauchen
Nitrosamine
Achalasie
Z. n. Strahlentherapie im Bereich des Ösophagus
Andere Plattenepithelkarzinome im Kopf- und Halsbereich
Stenosen nach Verätzung
Heiße Getränke

59
Möglicher Zusammenhang zwischen dem Plattenepithelkarzinom des Ösophagus und einer
Infektion mit humanen Papillomaviren (insb. HPV 16, 18, 6)
Plummer-Vinson-Syndrom
Lokalisation
Bevorzugt im mittleren Ösophagusdrittel (50%) >> distales Ösophagusdrittel > oberes
Ösophagusdrittel
Entlang physiologischer Engstellen (Ösophagusmund, Aortenenge, Zwerchfellenge)

Symptome/Klinik:
Leitsymptom: Dysphagie
*Auftreten jedoch meist erst bei fortgeschrittenem, nicht mehr kurativ behandelbarem
Befund.
* Zuerst triff Dysphagie meist bei fester Nahrung auf. Denn es gibt am Anfang genug Platz für
Flüssigkeit. Im Verlauf triff aber auch Dysphagie bei flüssiger Nahrung auf.
Weitere lokale Symptome:
Gastrointestinale Blutung (Hämatemesis oder Meläna)
Regurgitation
Erbrechen, Völlegefühl
Pseudohypersalivation (bei totaler Verlegung des Ösophaguslumens): Durch die Stenose ist
der Patient nicht in der Lage, den Speichel zu schlucken – im Gegensatz zur sog.
Hypersalivation, bei der zu viel Speichel produziert wird.
Heiserkeit (Infiltration des N. recurrens)
Allgemeinsymptome:
Retrosternale Schmerzen, Rückenschmerzen
Appetitlosigkeit
Gewichtsverlust

*Das Ösophaguskarzinom ist ein „stummes“ Karzinom und wird in der Regel erst im
fortgeschrittenen Stadium symptomatisch!

Metastasierungswege des Ösophaguskarzinoms


Lymphogen: Früh
----Zervikale Lymphknoten, insb. bei hochsitzenden Tumoren
Infiltration von Nachbarstrukturen: Früh
----Z.B. Trachea, Wirbelkörper oder Blutgefäße
Hämatogen: Spät
----Leber
----Lunge, Pleura
----Skelett

Diagnosesicherung
---Anamnese: Insb. im Hinblick auf Schluckstörungen
---Endoskopie (ÖGD) mit Entnahme von Biopsien: Goldstandard zur Diagnosesicherung
***Bei jeglichem Neuauftreten von Dysphagie, rezidivierenden Aspirationsereignissen,
gastrointestinaler Blutung, rezidivierendem Erbrechen, Gewichtsverlust, Inappetenz und
dyspeptischen Symptomen muss eine Ösophagogastroduodenoskopie veranlasst werden!

60
Staging-Untersuchungen bei Ösophaguskarzinom
---Endoskopische Sonografie (EUS): Obligat bei möglicher kurativer Therapieoption
---CT von Abdomen/Thorax mit KM
---Abdomensonografie: Ausschluss von Lebermetastasen
---Zervikale Sonografie: Ausschluss zervikaler Lymphknotenmetastasen bei hochsitzenden
Tumoren

Ggf. weitere Untersuchungen:


---Röntgen-Breischluck-Untersuchung: Ausschluss lokaler Komplikationen (z.B. Fisteln) oder
auf ausdrücklichen Patientenwunsch (Befund: Konturveränderungen, Asymmetrie, Stenosen,
proximale Dilatation)
---PET-CT bei TNM-Status
---diagnostische Laparoskopie

Adenokarzinom-Pathogenese:
Gastroösophagealer Reflux führt zur Schädigung des ösophagealen Plattenepithels → Ersatz
durch Zylinderepithel vom intestinalen Typ mit Becherzellen (=„Barrett-Metaplasie“) →
Dysplasie → Adenokarzinom

Therapie:
Therapieoptionen: Kurativer oder palliativer Ansatz

*Voraussetzungen für einen kurativen Ansatz: Keine Fernmetastasen, lokal wenig


fortgeschrittener Tumor, ausreichender Ernährungszustand, Kardiopulmonale
Leistungsfähigkeit bei häufigen Komorbiditäten (wie z.B. bei KHK, pAVK, COPD)

-----endoskopische Resektion / chirurgische Resektion


-----perioperative Chemotherapie
-----ggf. präoperative Radiochemotherapie
-----palliative Chemotherapie

Komplikationen:
Frühe lymphogene Metastasierung
Frühe Infiltration benachbarter Strukturen
Stenosierung
Ösophagitis
Ösophagotracheale Fistel: Eindringen von Nahrung und Flüssigkeit in die Atemwege
--Auswurf enthält Nahrungsbestandteile
--Gefahr der Aspirationspneumonie

***Dysphagie-DD: Ösophaguskarzinom, Achalasie, Nusscrackerösophagus (hyperkontraktiler


Ösophagus), Skleroderma, Diffuser Ösophagusspasmus ("Korkenzieherösophagus").

*Odynophagie (Schmerzen beim Schlucken): Ösophagitis, Ulzera, Ösophagusverätzung

61
Achalasie
Die Achalasie (von griech. a- = „nicht“ und chalasis = „Nachlassen“, „Erschlaffung“) ist ein
durch Störung der Ösophagusmotilität gekennzeichnetes Krankheitsbild, das in eine
funktionelle Obstruktion am gastroösophagealen Übergang mündet.

Epidemiologie: Geschlecht: ♂ = ♀, seltene Erkrankung.

Ätiologie:
---Primäre Achalasie: Ursache unbekannt (häufigste Form)
---Sekundäre Achalasie: Kardiakarzinom (Adenokarzinome des gastroösophagealen
Übergangs), Chagas-Krankheit

Pathophysiologie:
---Störung folgender Regulation: Die Koordination des Schluckaktes ist durch das
Zusammenwirken exzitatorischer (Acetylcholin, Substanz P) und inhibitorischer
neurohumoraler Einflüsse (NO, VIP) auf die Ösophagusmuskulatur reguliert
---Degeneration der vorwiegend inhibitorischen Neurone des Plexus myentericus (Auerbach)
→ Mangelnde Erschlaffung sowie erhöhter Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters
und Störung der Peristaltik

Symptome/Klinik:
Dysphagie: Jahrelange Anamnese im Gegensatz zum Ösophaguskarzinom; typisch ist
eine Zunahme der Dysphagie bei psychischer Belastung.
Erleichterung des Schluckaktes durch Nachtrinken
Regurgitation unverdauter, nicht saurer Speisen
Selten krampfartige retrosternale Schmerzen bei hypermotiler Achalasie
Rezidivierende Aspirationen nach Regurgitation
Gewichtsverlust durch gestörte Nahrungsaufnahme

***paradoxal Dysphagie bei Achalasie: Am Anfang tritt Dysphagie meist nur bei flüssiger
Nahrung auf. Denn feste Nahrung ist hart genug, um den Ösophagus zu dilatieren. Im Verlauf
triff aber auch Dysphagie bei fester Nahrung.

Apparative Diagnostik:
----Endoskopie
Ösophagoskopie mit obligater Biopsie zum Karzinom-Ausschluss
Geweiteter Ösophagus mit segmentaler Kontraktion
----Manometrie (Goldstd.)
Inkomplette oder fehlende Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters
Erhöhter Ruhedruck
Unterscheidung in hyper-, hypo- oder amotile Form
----Ösophagusbreischluck (mit Bariumsulfat)
„Sektglasform“: Trichterförmige Engstellung des Kardiasegments und Erweiterung des
prästenotischen Ösophagus

62
Therapie:
Medikamentös:
Gabe von Nifedipin vor/zu den Mahlzeiten → Erschlaffen des unteren Ösophagussphinkters
(nur 10% wirksam)

Interventionell:
----Ballondilatation (pneumatisch): Methode der Wahl!
Erfolgsraten von 60%, Perforationsrisiko bis zu 5%
Die Hälfte der Behandelten muss wiederholt behandelt werden.

----Injektion von Botulinumtoxin in den unteren Ösophagussphinkter unter endoskopischer


Kontrolle: 2. Wahl!
Schlechte Resultate bei jungen Patienten und in der Langzeitbehandlung
Nur 30% der Behandelten sind nach einem Jahr weiterhin beschwerdegebessert
Kann Vernarbungen verursachen, erschwert ggf. spätere Myotomie

----Offene oder laparoskopische extramuköse Myotomie der Kardia und des unteren
Ösophagussphinkters (modifiziert nach Gottstein und Heller)
Als kausale Therapie bspw. bei jüngeren Patienten vorzuziehen, wenn ein Zentrum für diese
Operationstechnik erreichbar ist. (mit Fundoplastie (Nissen-Fundoplikatio) als Prophylaxe
gegen GERD)

----Perorale endoskopische Myotomie

Komplikationen:
Aspiration → Chronischer Husten, ggf. Lungenentzündung
Megaösophagus mit Gewichtsverlust
Erhöhtes Risiko für karzinomatöse Entartung

63
Gastroduodenale Ulkuskrankheit
Ulkus: Gewebedefekt, der die Lamina muscularis mucosae überschreitet und auch tiefere
Wandschichten betrifft.
Erosion: Oberflächlicher Gewebedefekt mit noch intakter Muscularis mucosae

*Die Lamina muscularis mucosae trennt die Mukosa von der Submukosa. Sie gilt daher für
die histopathologische Diagnostik als scharfe Trennschicht zwischen erosiven und
ulzerierenden Defekten im Gastrointestinaltrakt.

Epidemiologie:
Ulcus duodeni 2–3× häufiger als Ulcus ventriculi
Ulcus duodeni: ♂ > ♀
Ulcus ventriculi: ♂ =♀

Ätiologie:
Helicobacter-pylori-(HP-) positive Ulkuskrankheit
Chronische HP-Gastritis
Besiedelung mit HP: In >90% der Fälle mit duodenalem Ulkus, bei ca. 75% der Fälle
mit Magenulkus

HP-negative Ulkuskrankheit
Risikofaktoren:
Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR), Glucocorticoiden,SSRI
Rauchen, Alkohol
Alter >65 Jahre
Chronische Niereninsuffizienz mit Urämie
Positive Ulkusanamnese
Selten: Hyperparathyreoidismus, Zollinger-Ellison-Syndrom (Gastrinom)

Chronische Gastritis:
ABC-Klassifikation der chronischen Gastritis;
Typ-A-Gastritis (Autoimmungastritis): Ursache unbekannt
Typ-B-Gastritis (bakterielle Gastritis): Infektion mit Helicobacter pylori (gramnegative,
mikroaerophile Stäbchen)
Typ-C-Gastritis (chemische Gastritis): Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika
(NSAR); chronischer Gallereflux (z.B. nach Magenteilresektion), weitere Noxen wie
hoher Alkoholkonsum, Rauchen etc.

Akutes Stressulkus:
Ursachen: Polytrauma, große Operationen, SIRS, Nierenversagen etc. (durch erhöhte
endogene Glucocorticoidspiegel und verminderte Magendurchblutung
Therapie: Stressulkusprophylaxe

64
Klassifikation:
---Ulcus ventriculi: Meist kleine Kurvatur oder Antrum
---Ulcus duodeni: Meist im Bulbus duodeni

*Eine atypische Lage ist immer karzinomverdächtig!

Symptome/Klinik:
---Allgemeine Symptome:
Epigastrische Schmerzen
Evtl. Blutungszeichen (Anämie, Hämatemesis, Meläna)
Besserung durch Antazida
Asymptomatische Verläufe sind möglich
---Spezifische Symptome:
Ulcus ventriculi à Schmerzen unmittelbar nach Nahrungsaufnahme oder
Schmerzen unabhängig von Nahrungsaufnahme
Ulcus duodeni à Nüchternschmerzen (insb. nachts),
Linderung der Schmerzen durch Nahrungsaufnahme
*Durch NSAR-Einnahme verursachte Ulzera verlaufen oftmals asymptomatisch, bis es zur
Blutung oder Perforation kommt!

Diagnostik:
---Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) mit Biopsien
Mehrere Biopsien: Helicobacter pylori ist fleckförmig verteilt; zudem größere
Sicherheit, ein Magenkarzinom zu entdecken

Karzinomrisiko: Ca. 10% der Ulcera ventriculi >2 cm sind maligne (Magenkarzinom!)
→ Mind. 8 Biopsien unter Einbezug des Randbereiches und aus dem Grund eines
Ulcus ventriculi sind obligat

Gastrointestinale Blutung: Diagnostik und ggf. blutstillende Behandlung


gastrointestinaler Blutungen im Rahmen der gastroduodenalen Ulkuskrankheit

*Ein Ulcus duodeni ist fast nie maligne und muss daher auch nicht zwingend biopsiert
werden!

----Helicobacter-pylori-Diagnostik ******
1.Vorzugsweise endoskopische Biopsien bei akuten Erkrankungen
àImmer Histologie mit Färbung und direktem mikroskopischen Nachweis
àUrease-Schnelltest mit Nachweis einer Ammoniakbildung durch Urease des
Helicobacter pylori
àKultur und Resistogramm: Die kulturelle Anzucht von Helicobacter erfordert eine
spezielle Nährbouillon und etwa 14 Tage Zeit und kann mit dem Ziel einer
Resistenztestung erfolgen (Ausnahmefälle!)
àHP-DNA-Nachweis mittels PCR: Sehr sensitiv und spezifisch, in der klinischen Praxis
jedoch fast nie verwendet
2.Nicht-invasive Verfahren

65
àHP-Antigennachweis im Stuhl: Nachweis von Helicobacter-pylori-Antigenen im
Stuhl auf Basis einer ELISA-Testung mit monoklonalen Antikörpern
à13C-Atemtest: Gabe von 13C-Harnstoff → Spaltung durch HP über eine Urease →
13CO2 in der Ausatemluft messbar
àSerum-IgG-Antikörper gegen HP: Auch nach Eradikation nachweisbar, nicht primär
zum Nachweis einer aktuellen Infektion einzusetzen

----Wenn HP-negativ und keine NSAR-Einnahme


Bestimmung von Gastrin: Bei Gastrinom (Zollinger-Ellison-Syndrom) stark erhöht
Bestimmung von Serumcalcium und Parathormon: Bei primärem
Hyperparathyreoidismus erhöht

Medikamentös Therapie:
1.HP-Eradikationstherapie, wenn HP-positiv:
Indikation: Grundsätzlich bei jedem Ulkusleiden mit HP-Nachweis
Ulcus ventriculi: Eradikation bei 2 positiven HP-Tests (z.B. Histologie und Urease-Schnelltest)
Ulcus duodeni: Eradikation bei 1 positiven HP-Test
*Erstlinientherapie: Bismut-Quadrupeltherapie (PPI + Bismut + Tetracyclin + Metronidazol)
Zweitlinientherapie: Nach Resistenztestung PPI + 2 AB (Amoxicillin+Levofloxacin /
Amoxicillin+Clarithromycin / Clarithromycin+Metronidazol)

2.HP-negative Ulzera
Karenz der Noxen: Keine NSAR, Reduktion von Rauchen, Alkohol und Stress
Protonenpumpeninhibitoren

**Nach 4–8 Wochen sollte der Eradikationserfolg endoskopisch kontrolliert werden, auch
um übersehene Karzinome auszuschließen!
*Bei fehlender Indikation zur Kontrollendoskopie sollte die Therapiekontrolle mittels Atem-
und Stuhlantigentest erfolgen. Anschließend kann über die Fortführungsmodalitäten der PPI-
Therapie entschieden werden!

Interventionelle Therapie:
---Endoskopische Blutstillung: Unterspritzung, Hämoclips, Fibrinkleber etc.
---Operation bei Komplikationen (endoskopisch nicht beherrschbare Blutung, Perforation)
---Operation bei Karzinomverdacht

Komplikationen:
----Akute gastrointestinale Blutung
----Perforation von Magen/Duodenum
----Magenausgangsstenose
----Karzinomatöse Entartung beim Ulcus ventriculi

Nachsorge einer Ulkuskrankheit:


----Kontrollendoskopie und -biopsien
Ulcus ventriculi: Immer nach 4–6 Wochen

66
Ulcus duodeni: Kontrollendoskopie nach 2–4 Wochen beifolgenden Risikokonstellationen
und Komplikationen: Blutung, Perforation, Penetration, HP-Negativität; hierbei dann auch
erneute HP-Diagnostik
----Ulkusprophylaxe: PPI-Therapie
----Rauchen- und Alkoholkarenz
----Möglichst auf Medikamente verzichten, die ein Ulkus begünstigen (NSAR, GC, SSRI)

Akute gastrointestinale Blutung:


90% obere GI-Blutung,10% untere GI-Blutung

Obere gastrointestinale Blutung: Ursache proximal des Treitz-Bandes


Ätiologie:
----Häufigste Ursache für obere GI-Blutung: Ulcus ventriculi oder Ulcus duodeni
---- Ösophagusvarizenblutung: Anamnestische Hinweise auf Leberzirrhose oder langjährigen
Alkoholkonsum; klinisch ggf. Zeichen der portalen Hypertension wegweisend
----Mallory-Weiss-Syndrom: Anamnestische Hinweise auf fulminantes Erbrechen in der
Akutsituation und hohen Alkoholkonsum wegweisend
----Tumorblutungen (Ösophaguskarzinom, Magenkarzinom)
----Erosive Gastritis bzw. erosive Duodenitis
----Schwere Refluxösophagitis

Untere GI-Blutung: Ursache distal des Treitz-Bandes (zumeist Kolon)


----Vaskuläre Ursachen: Hämorrhoiden, Angiodysplasien, Rektale Varizen (bei portaler
Hypertension), Ischämien (z.B. ischämische Kolitis, Mesenterialinfarkt )
----Tumoren (benigne und maligne): Kolorektales Karzinom, Analkarzinom, Kolonpolypen
----Entzündliche Ursachen; CED (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn), Infektiöse Kolitis, insb.
Clostridioides-difficile-Infektion, Bakterielle Enteritiden und Kolitiden (u.a. Salmonellose,
Shigellose, Campylobacter), Virale Kolitis bei Immunsuppression (CMV-Kolitis, Herpes-Kolitis)

----Divertikulose (meist im Kolon),


----Meckel-Divertikel (selten)
Definition: Aussackung im Bereich des Dünndarms durch eine unvollständige
Rückbildung des embryonalen Ductus omphaloentericus. Typische Lokalisation ist das
terminale Ileum.
Pathologie: In ca. ⅓ der Meckel-Divertikel ektope Magenschleimhautanteile →
Peptische Ulzera mit Entzündungen und Blutung
Symptome/Klinik:
Oft asymptomatisch (Zufallsbefund bei Laparoskopie/Laparotomie)
Schmerzlose blutige Stühle oder schwarzer Stuhl (Teerstuhl) durch
Magensäureproduktion
Bei Entzündung (Meckel-Divertikulitis): Symptome wie bei Appendizitis
Diagnostik: Bspw. mittels Na-99mTc-Pertechnetat-Szintigrafie
----Analfissur
----Endometriose mit extragenitaler Manifestation

67
*Klassifikation der Blutungsaktivität nach Forrest (durch Endoskopie)
Forrest I: aktive Blutung
Forrest II: inaktive Blutung
Forrest III: Läsion ohne Blutungszeichen

**Besonders bedrohlich ist ein akut blutendes Duodenalulkus an der Hinterwand des
Duodenums → Möglicherweise Arrosion der A. gastroduodenalis mit starker Blutung!

Allgemeinsymptome:
----Bei Blutungsanämie infolge eines chronischen Blutverlustes
Blässe der Haut und Schleimhäute
Schwäche und Abgeschlagenheit
----Bei akuten Blutungen stehen die Symptome einer Kreislaufinsuffizienz bzw. eines
hypovolämischen Schocks im Vordergrund;
Tachykardie
Hypotonie
Schwindel, Kollaps, Schock
Vigilanzminderung

Schockindex=Plusfrequenz/systolischer Blutdruck
(0.5-0.7: N, >1: Schock)

Spezifische Symptome einer gastrointestinalen Blutung:


-----Obere GI-Blutung:
Hämatemesis (Bluterbrechen) evtl. kaffeesatzartig
Meläna (Teerstuhl): Meist pechschwarz, glänzend, breiig, charakteristisch übelriechend

Andere Ursachen für Schwarzfärbung des Stuhls;


Nahrungsmittel: Heidelbeeren (Blaubeeren), rote Bete, Spinat, dunkle Schokolade
Medikamente: Eisen- und Kohletabletten

-----Untere GI-Blutung:
Hämatochezie
Bei Rektumblutung: Frisches Blut, das streifenförmig auf dem Stuhl aufliegt
Bei Kolonblutung: Dunkelrote, geleeartige Blutbeimischung
Erhöhte Stuhlfrequenz und Hypermotilität des Darmes

Symptomatische Therapie der gastrointestinalen Blutung:


----Stationäre Überwachung
----Kontrolle und Stabilisierung der Vitalparameter (z.B. Flüssigkeitssubstitution (Kristalloide
Infusionslösungen bevorzugen), evtl. Bluttransfusion)
----Transfusionsziele und -grundsätze bei oberer GI-Blutung
1 Erythrozytenkonzentrat (EK) erhöht den Hb um etwa 1 g/dL,
1 Plasmakonzentrat pro 2 Erythrozytenkonzentrate
Systolischen Blutdruck >100 mmHg anstreben
Zielwert: Hb um 8 g/dL

68
Kausale Therapie der gastrointestinalen Blutung:
----Bei relevanter Blutung: Notfallendoskopie (zunächst Gastro-, dann Koloskopie)
Intravenöse PPI-Gabe
Endoskopische Blutstillung: Adrenalin-Unterspritzung, Sklerosierung, Ligatur, Clips,
Fibrinkleber oder Koagulation einer identifizierten Blutungsquelle möglich
Blutender Polyp (z.B. im Kolon) → Abtragung

----Bei endoskopisch nicht beherrschbarer Blutung (selten): Chirurgisches Vorgehen

*Kontrollendoskopie: Bei schlechten Sichtverhältnissen und fraglicher Stabilität einer


Blutstillung in der Notfallendoskopie sollte nach 24 h eine Kontrollendoskopie erfolgen

*Bei Verdacht auf eine gastrointestinale Blutung sollten zügig zwei suffiziente periphere
Venenverweilkatheter angelegt sowie eine möglicherweise im Verlauf notwendig werdende
Bluttransfusion vorbereitet werden (Abnahme von Kreuzblut, Bestimmung der Blutgruppe)!

Perforation von Magen/Duodenum:


Klinik: Schlagartig einsetzender, starker stechender Schmerz, anschließend diffuser
Bauchschmerz (beginnende Peritonitis)
Diagnostik:
----Tympanitischer Klopfschall
----Röntgen-Abdomen: Pneumoperitoneum (bei Perforation des Duodenums:
Pneumoretroperitoneum)
Abdomenübersichtsaufnahme im Stehen → Subphrenische Luftsichel
Abdomenübersichtsaufnahme in Linksseitenlage → Freie Luft zwischen Leber und
lateraler Bauchwand/Zwerchfell
Therapie: Notfalloperation → Ulkusübernähung mit vorheriger Exzision des Ulkusrandes

69
Cholelithiasis, Cholezystitis und Cholangitis
Cholelithiasis = Gallensteine (unabhängig von der Lokalisation)
Cholezystolithiasis = Steine in der Gallenblase
Choledocholithiasis = Steine im Ductus choledochus
Cholezystitis = Entzündung der Gallenblase
Cholangitis = Entzündung der Gallenwege

Ätiologie
Cholelithiasis (Pathogenese von Gallensteinen):
Lösungsungleichgewicht der in der Gallenflüssigkeit enthaltenen Substanzen
Steinbildend: Cholesterin, Calciumcarbonat, Bilirubin
Lösend: Gallensäuren, Lecithin

Steinarten und -häufigkeiten:


---Cholesterinsteine und gemischte Steine (80%), hoher Cholesterinanteil, weich
---Bilirubinstein (10%), sehr hart
---Calciumcarbonatstein (10%)

Risikofaktoren: 6 x F-Regel
Fat (Adipositas)
Female (weiblich)
Fertile (Fruchtbarkeit, Schwangerschaft)
Forty (Alter >40 Jahre)
Fair (hellhäutig)
Family (Familienanamnese, genetische Prädisposition)

Grunderkrankungen mit vermehrter Gallensteinbildung:


----Gestörter enterohepatischer Kreislauf:
Gallensäureverlust-Syndrom z.B. bei Morbus Crohn oder nach Resektionen des terminalen
Ileums
Fasten, schnelle Gewichtsabnahme, parenterale Ernährung, bariatrische Chirurgie
---Hämolytische Anämien (durch vermehrten anfall von Bilirubin)

Cholezystitis
Bakterielle Entzündung (E. coli, Klebsiella, Enterobacter, Anaerobier)
----Akute kalkulöse Cholezystitis: 90% durch Steinbildung mit Stase, Obstruktion und/oder
Mikrotraumen der Gallenblasenwand
----Akalkulöse Cholezystitis (Stressgallenblase): Bei schwerer Krankheit, Operationen und
Traumata (Durch eine zeitweise Minderperfusion ereignen sich Schädigungen der
Gallenblasenwand, wodurch bakterielle Infektionen begünstigt werden.)
----Chronische Cholezystitis: Folgezustand von (wiederholten) akuten Cholezystitiden, die
unter konservativer Therapie, bzw. spontan, narbig verheilen
Extremformen: Schrumpfgallenblase (narbig atrophiert) und Porzellangallenblase
(narbig verkalkt)

70
Cholangitis
Aszendierende bakterielle Infektion: Durch aufsteigende Bakterien aus dem Duodenum,
begünstigt durch Steine und/oder Strikturen

Risikofaktoren:
----Obstruktionen, Strikturen, Stenosen (z.B. tumorbedingt) und/oder sonstige anatomische
Prädispositionen
----Endoskopische Interventionen (ERC/ERCP) und/oder Fremdmaterialien am Gallengang
(ERC/ERCP mit Stenteinlage)
----Resektionen an den Gallenwegen und Hepatikojejunostomien (häufig rezidivierende
Episoden einer Cholangitis)

Symptomatische Cholezystolithiasis
*Kein einzelnes Symptom ist alleine spezifisch genug, um die Art des Gallensteinleidens
definitiv zu bestimmen. Geleitet von Wahrscheinlichkeiten und der Zusammenschau mit
bildgebenden und labormedizinischen Befunden sind Symptomatik und Verlauf jedoch für
jede Therapieentscheidung relevant.

Allgemeinsymptome: Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Blähungen


Oberbauchschmerz: Rechtsseitig und/oder im Epigastrium
Gallenkolik: Starke, kolikartige Schmerzen im rechten Oberbauch, ggf. Ausstrahlung in
Epigastrium und Rücken
Schmerzprojektion: Rechte Schulterregion (Head-Zonen)
Triggerfaktoren: Reizmahlzeit (Oft nach fettreichen Mahlzeiten)
Nächtliches Auftreten bei erhöhtem Vagotonus

*Maximal 25% der Betroffenen mit einer Cholezystolithiasis entwickeln eine klinische
Symptomatik bzw. Komplikationen!

**Gallenkoliken mit einer Dauer von >5 h sprechen für ein kompliziertes Gallensteinleiden!
Die Hälfte aller symptomatischen Betroffenen entwickelt binnen eines Jahres nach der
ersten Gallenkolik ein Rezidiv oder eine Komplikation!

Zusätzliche Zeichen bei Cholezystitis:


Tendenziell eher Dauer- und Druckschmerz, Koliken möglich
Murphy-Zeichen bzw. akutes Abdomen
Systemische Infektionszeichen, insb. Fieber

*Große Konkremente begünstigen eher eine Cholezystitis, kleinere Konkremente


verursachen hingegen eher eine Choledocholithiasis und/oder Pankreatitis!

Zusätzliche Zeichen bei Choledocholithiasis:


Schmerzen tendenziell stark und kolikartig; Druckschmerz eher diffus und schwierig
punktuell zu lokalisieren
Ggf. gürtelförmige Ausstrahlung als Hinweis auf eine biliäre Pankreatitis
Ikterus bei extrahepatischer Cholestase; Heller/acholischer Stuhl, dunkler („rostroter“) Urin,
Pruritus bei längerem Bestehen

71
*Eine Choledocholithiasis und eine Cholangitis liegen häufig gemeinsam vor!

Zusätzliche Zeichen bei Cholangitis:


Charcot-Trias:
Rechtsseitiger Oberbauchschmerz
Ikterus
(Hohes) Fieber

Diagnostik
Untersuchung des Abdomens:
---Inspektion, Auskultation, Perkussion
---Murphy-Zeichen: Leitsymptom der Cholezystitis!
Ein positives Murphy-Zeichen beschreibt den schmerzbedingten reflektorischen Abbruch der
Inspiration während des rechten Oberbauchs palpiert wird.
---Druckschmerz über Epigastrium bzw. rechtem Oberbauch: Bei allen Formen der
symptomatischen Cholelithiasis und auch insb. bei der akalkulösen Cholezystitis möglich
---Abwehrspannung und Resistenzen: Hinweis auf eine Peritonitis (bei Cholezystitis oder
Cholangitis), Hinweis auf komplizierten Verlauf und dringliche Therapieindikation!

Abdomensonografie:
Abdomensonografie ist Mittel der 1. Wahl!
---Beurteilung: Intra- und extrahepatische Gallenwege, Gallenblase und ggf. darstellbare
Konkremente
---Hohe Sensitivität und Spezifität: Cholezystolithiasis >95%, Cholezystitis >80%

Bei Cholezystitis:
Wandverdickung >3mm
Dreischichtung der Wand (entzündungsbedingte Wandödeme und Flüssigkeitseinlagerung),
ggf. mit umgebender freier Flüssigkeit
Vergrößerung der Gallenblase
Konkremente

Bei Choledocholithiasis:
DHC-Durchmesser >=7mm (Ductus hepatocholedochus)
Erweiterte intrahepatische Gallenwege
Gangkonkremente

Bei Cholangitiis:
Gallenwege auffällig wie bei Choledocholithiasis

Labordiagnostik:
---Allgemeine Parameter: Blutbild, Kreatinin, Natrium, Kalium, (Calcium, Phosphat)
---Leberwerte und Cholestasezeichen: AST, ALT, GGT, AP, Bilirubin, Lipase
---Hämolyseparameter: LDH
---Entzündungszeichen: CRP, (PCT)
---Gerinnungsstatus: Quick, PTT

72
** Zusammenschau der Befunde aus klinischem Bild, Sonografie und Laborwerten erlaubt
fast immer die richtige Diagnosestellung!
Erweiterte Diagnostik: Endosonografie, MRT, CT-Abdomen

Courvoisier-Zeichen: Vergrößert und prallelastisch tastbare Gallenblase in Verbindung mit


einem schmerzlosen Ikterus. Das Courvoisier-Zeichen wird durch einen Verschluss des
Ductus choledochus hervorgerufen und ist ein typischer Untersuchungsbefund bei Tumoren
im Bereich der ableitenden Gallenwege.

Allgemeines Vorgehen
---Nahrungskarenz
---Spasmolytika (z.B. Butylscopolamin)
---Analgetika (z.B. Metamizol)

Spezifisches Vorgehen
Neben den allgemeinen Maßnahmen sind je nach zugrunde liegender Pathologie
unterschiedliche therapeutische Maßnahmen empfohlen.

----Asymptomatische Cholezystolithiasis (Zufallsbefund): I.d.R. keine Indikation zur


Cholezystektomie!

----Symptomatische Cholezystolithiasis:Frühzeitige, elektive Cholezystektomie

Medikamentöse Litholyse: Nur in Einzelfällen empfohlen


Steine <5 mm, Cholesterinstein, Ejektionsfähigkeit der Gallenblase ≥60%
Medikament: Ursodesoxycholsäure

----Unkomplizierte akute Cholezystitis: Frühzeitige Cholezystektomie binnen 24 h

----Komplizierte akute Cholezystitis oder Cholangitis: Sofortige antibiotische Therapie und


rasche Intervention durch Cholezystektomie (Cholezystitis) bzw. ERC (Cholangitis infolge
einer Choledocholithiasis)
Keine Risikofaktoren: Ceftriaxon + Metronidazol
Risiko für multiresistente Erreger: Piperacillin + Tazobactam, alternativ Carbapenem

---- asymptomatische Choledocholithiasis (Zufallsbefund): Individuelle Entscheidung zur


endoskopischen Intervention

---- symptomatische Choledocholithiasis und gleichzeitig vorliegender Cholezystolithiasis:


Endoskopische Intervention
Cholezystektomie innerhalb von 72 h
Primär endoskopische Intervention: ERCP zur Darstellung und Extraktion von Gallensteinen
** Die Untersuchung wird bei Choledocholithiasis i.d.R. ohne Pankreatikografie
durchgeführt, um das Pankreatitisrisiko zu minimieren. Es handelt sich dann um eine
endoskopische retrograde Cholangiografie (ERC).
Antibiotische Therapie: Bei begleitender Cholangitis

73
OP-Standardverfahren: Laparoskopische Cholezystektomie
Kontraindikationen:
---Absolut: Gallenblasenkarzinom
---Relativ: Blutgerinnungsstörung

ERCP-Vorgehen
1.Kontrastmitteldarstellung der Gallenwege und/oder Pankreasgänge nach endoskopischem
Aufsuchen und Sondieren der Papilla duodeni major
2.Röntgen-Durchleuchtung mit Lokalisation pathologischer Prozesse: Gangkonkremente
zeigen sich als Kontrastmittelaussparung
3.Endoskopische Papillotomie
4.Ggf. Einlage eines die Obstruktion überbrückenden Kunststoff-Stents (zur Sicherung des
Gallenflusses immer anstreben)
5.Steinextraktion: Häufig papilläre Ballondilatation oder Dormia-Körbchen
6. Ggf. Steinzertrümmerung (Lithotripsie): I.d.R. mechanisch oder mit Laser durch einen über
die Papille an das Konkrement geführten Lithotripsie-Katheter

ERCP-Komplikationen: Durchschnittliche Gesamtkomplikationsrate 10%


1% Perforation, insb. nach Papillotomie
3% Blutung, insb. nach Papillotomie
3% Cholangitis durch bakterielle Infektion
5% Post-ERC(P)-Pankreatitis: Postinterventionelle Schmerzen mit gleichzeitiger
Pankreasenzymerhöhung (Lipase, Amylase), insb. bei Darstellung des Ductus pancreaticus
bzw. schwieriger Intervention mit intraduktalen Druckschwankungen

Prophylaxe einer Post-ERC(P)-Pankreatitis:


Diclofenac oder Indometacin, Antibiotikaprophylaxe nur bei frustraner/unvollständiger
Steinbergung oder bei Fremdmaterial in den Gallenwegen indiziert

Bei großen endoskopisch nicht-extrahierbaren Konkrementen:


Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWL), elektrohydraulische Lithotripsie
Cholezystektomie mit intraoperativer Choledochusrevision

Komplikationen:
Entzündlich;
-----Extremformen der akuten Cholezystitis (hohe Gefahr der Perforation, dringliche
Cholezystektomie-Indikation)
Gallenblasenempyem
Gallenblasengangrän
-----Nach Jahren mit wiederholten subklinischen Entzündungszuständen (Chronische
Cholezystitis)
Porzellangallenblase
Schrumpfgallenblase
----Leberabszess
----Cholangitis und Choledocholithiasis

74
„Mechanisch“;
---Gallenblasenperforation
---Gallensteinileus: Mechanischer Ileus bei Obstruktion durch abgegangenen Gallenstein
bzw. durch entzündliche Verwachsung infolge einer Penetration
(Typisches Zeichen: Aerobilie)
---Akute Pankreatitis biliärer Genese
---Papilleninsuffizienz (endoskopische Beurteilung)
----Gallenstein-Rezidiv

*Sowohl bei einer Porzellangallenblase als auch bei einer Schrumpfgallenblase ist das Risiko
für ein Gallenblasenkarzinom wesentlich erhöht!

Komplikationen der Cholezystektomie:


Verletzung des Ductus choledochus, eines Ductus hepaticus oder der A. hepatica
Galleleckage: Sekretion von Gallenflüssigkeit (Gallenfistel) in die Bauchhöhle
Blutung (insb. aus dem Leberbett, der A. cystica)
Postcholezystektomie-Syndrom
Belassene/verschobene Konkremente im Ductus choledochus: Oberbauchschmerzen,
erhöhte Cholestaseparameter
Gallenblasenreste
Verletzung umliegender Organe (Darm, Leber)
Perforation der Gallenblase
Peritonitis
Wundheilungsstörung, Abszess
Thrombose, Embolie

Appendizitis
Die Appendizitis ist eine Entzündung der Appendix vermiformis (wurmartiges Anhängsel des
Zäkums) und eine der häufigsten Ursachen des akuten Abdomens. Sie tritt vermehrt im
Kindes- und Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter auf. Ätiologisch liegt ihr oft eine
Obstruktion mit Entleerungsstörung der Appendix zugrunde.

Die Appendizitis äußert sich i.d.R. mit zunächst diffusen epigastrischen/periumbilikalen


Schmerzen, die innerhalb weniger Stunden in den rechten Unterbauch wandern.
Häufig werden diese Beschwerden von Allgemeinsymptomen wie Fieber, Erbrechen und
allgemeinem Krankheitsgefühl begleitet.
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich meist aus dem typischen klinischen und laborchemischen
Befund und wird vor Einleitung einer Therapie über ein bildgebendes Verfahren (i.d.R.
Sonografie) bestätigt.
Therapie der Wahl ist vornehmlich die zeitnahe laparoskopische Appendektomie, begleitet
von einer peri-/postoperativen antibiotischen Therapie. Alternativ kann eine konservative,
primär antibiotische Therapie erfolgen.

75
Ätiologie
Mögliche Ursachen für Obstruktion des Appendixlumens :
--Koprolithen
--Lymphatische Hyperplasie
--Benigne/maligne gastrointestinale Tumoren oder Fremdkörper

Typische Erreger: Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa, Klebsiella pneumoniae,


Streptokokken, Bacteroides fragilis

Klassifikation:
Unkomplizierte akute Appendizitis: Einfache Entzündung der Appendix vermiformis
Katarrhalisch: Hyperämie der Appendix, Ödembildung (reversible Phase)
Seropurulent: Histopathologisch tiefere Ausbreitung der Entzündung in alle
Wandschichten, makroskopisch Rötung und Verdickung

Komplizierte akute Appendizitis: Mind. gangränöse Entzündung der Appendix vermiformis


Ulzerophlegmonös: Histopathologisch diffuse entzündliche Veränderungen der
gesamten Appendixwand, makroskopisch fibrinös-eitrige Beläge und endoluminale
Ulzerationen
Gangränös: Histopathologisch nekrotisierende Entzündung, makroskopisch livide
Verfärbung
Perforiert; gedeckte Perforation mit Perityphlitis, ggf. perityphlitischer Abszess, freie
Perforation mit diffuser Peritonitis

Chronisch-rezidivierende Appendizitis: Wiederholtes Auftreten einer unkomplizierten


Appendizitis

Die Klassifizierung gelingt oft erst intraoperativ oder histopathologisch!

Pathophysiologie:
Obstruktion des Appendixlumens → Entleerungsstörung der Appendix vermiformis,
Sekretstau → Bakterielle Vermehrung, Druck in Lumen und Darmwand ↑ → Inflammation,
Thrombose kleiner Gefäße, Lymphstau → Ischämie mit möglichen Folgekomplikationen
bspw. Nekrose, Gangrän, Perforation, Abszess, Peritonitis, Sepsis

Symptome:
Schmerz ***
Zunächst diffuse epigastrische/periumbilikale Schmerzen (viszeraler Schmerz)
Schmerzwanderung in den rechten Unterbauch nach ca. 4–24 h (somatischer Schmerz)
Objektive Zeichen: Schonhaltung (gebeugte Hüfte), Erschütterungsschmerz (beim Hüpfen)
Vegetative Symptomatik
Übelkeit, Erbrechen
Inappetenz
Wind- und Stuhlverhalt
Fieber, Schüttelfrost
Dysurie (wegen entzündlicher Reizung des Urethers und Translokation von Bakterien)

76
***Leitsymptom der Appendizitis sind Schmerzen im rechten Unterbauch!

Perforation: Ggf. vorübergehende Schmerzreduktion mit anschließend diffusem


Bauchschmerz bei Peritonitis

Diagnostik:

Körperliche Untersuchung:
Abdomenuntersuchung: Auskultation, Palpation, Appendizitiszeichen prüfen
Druckschmerz im rechten Unterbauch
Abwehrspannung (lokalisiert im rechten Unterbauch,
ggf. generalisiert bei diffuser Peritonitis)
Schmerzauslösung durch Erschütterung (Provozierbar bspw. durch Hüpfenlassen auf
einem Bein oder Fallenlassen auf beide Fersen aus dem Zehenspitzenstand)
Flankenklopfschmerz prüfen; Differenzialdiagnostischer Hinweis auf eine urologische
Genese der Beschwerden (Nephrolithiasis, Pyelonephritis)
Inspektion des Skrotums und der Leiste (Ausschluss Hodentorsion, Leistenhernie usw.)
Körpertemperatur messen: Axillo-rektale Temperaturdifferenz ≥1 °C (Dies ist ein typischer
Anhaltspunkt für eine Appendizitis. Normalerweise ist die axillär gemessene Temperatur um
0,5 °C niedriger als die rektal gemessene Körperkerntemperatur. Diese Differenz kann sich
bei Entzündungen im Bauchraum infolge Appendizitis oder Peritonitis vergrößern.)

Appendizitiszeichen
Schmerzhafte Druckpunkte ****
McBurney-Punkt: Punkt auf der Linie zwischen rechter Spina iliaca anterior superior und
Bauchnabel zwischen dem lateralen und mittleren Drittel
Lanz-Punkt: Punkt auf der Linie zwischen beiden Spinae iliacae zwischen rechtem und
mittlerem Drittel

*Der McBurney- und der Lanz-Punkt liegen in einem gedachten Dreieck aus den
Verbindungslinien zwischen rechter Spina iliaca anterior superior, Bauchnabel und Symphyse
(sog. Sherren-Dreieck)!

Schmerzhafte Manöver ***


Blumberg-Zeichen: Kontralateraler Loslassschmerz (im rechten Unterbauch) nach
Palpation des linken Unterbauchs
Douglas-Schmerz: Schmerzen beim Palpieren des Douglas-Raums bei der digital-
rektalen Untersuchung
Psoas-Zeichen: Schmerzen im rechten Unterbauch durch Anheben des rechten Beins
gegen Widerstand (bei Entzündung einer retrozäkal liegenden Appendix)
Baldwin-Zeichen: Schmerzen in der Flanke nach Fallenlassen des gestreckten, im
Liegen angehobenen rechten Beins (Hinweis auf retrozäkale Appendizitis)
Rovsing-Zeichen: Schmerzen im rechten Unterbauch durch Ausstreichen des Kolons
längs des Kolonrahmens in Richtung Appendix

77
Laboruntersuchungen
Entzündungsparameter:
Leukozytose (kann bei älteren Menschen fehlen)
CRP-Erhöhung
Bei Peritonitis: Möglicherweise Leukopenie bzw. Thrombopenie als Zeichen der Sepsis
Urinstatus: Wichtig zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung von
Harnwegsinfekten/Harnleitersteinen (Zu beachten: Begleitende Entzündung des rechten
Harnleiters (häufig mit Begleiterythrozyturie) möglich bei Appendizitis)
Blutkulturen: Bei Fieber/Schüttelfrost
Schwangerschaftstest: Bei Frauen im gebärfähigen Alter

Bildgebung
Indikation: Immer vor Einleitung einer Therapie
1. Wahl: Sonografie
---Rasche Diagnosesicherung (Vermeiden von Komplikationen) bzw. Ausschluss einer
Appendizitis (Vermeiden unnötiger Appendektomien)
---Differenzialdiagnostische Abklärung
---Prätherapeutische Klassifizierung in unkomplizierte Appendizitis bzw. komplizierte
Appendizitis

Sonografie bei V.a. Appendizitis


Vorteil: Meist jederzeit und an jedem Ort verfügbar
Nachteile: Aussagekraft abhängig von Expertise der untersuchenden Person
Physiologischer Befund: Appendix vermiformis meist nicht darstellbar
Pathologischer Befund ***
Appendixdurchmesser >6 mm
Kokarden-Phänomen (syn. Target-Phänomen, Zielscheiben-Phänomen oder
Schießscheiben-Phänomen): Das kokarden- bzw. schießscheibenartige Aussehen der
Appendix entsteht durch den ringförmigen Verlauf ihrer Wandschichten, die sich im
Querschnitt abwechselnd echoarm und echoreich darstellen.
Wandverdickung
Flüssigkeit um die Appendix
Appendix nicht komprimierbar
Bei Perforation: Freie intraabdominelle Luft

Weitere Verfahren: MRT, CT

* Ein V.a. akute Appendizitis sollte vor Therapiebeginn sonografisch gesichert werden!
Gelingt dies nicht, sollte alternativ eine Schnittbilddiagnostik erfolgen, bei Schwangeren
und Kindern vorzugsweise eine MRT!

Differenzialdiagnosen:
Gastroenteritis (häufige DD), CED, Divertikulitis
Adnexitis, Extrauteringravidität, Ovarialtorsion
Harnwegsinfekt
*Auch als begleitende Entzündungsreaktion bei Appendizitis möglich.
Ein pathologischer Urinbefund (bspw. Erythrozyturie) schließt Appendizitis nicht aus!
Urolithiasis, Hodentorsion, Epididymitis, Leistenhernie

78
Supportive Maßnahmen bei V.a. Appendizitis
----Stationäre Überwachung
---Parenterale Volumenzufuhr mit Vollelektrolytlösung (Kristalloide)
---Analgesie, bspw. mit Metamizol
---Nahrungskarenz (ggf. flüssige Kost)
---Bei Befundverschlechterung oder -persistenz: Zeitnahe explorative Laparoskopie

Therapie nach Diagnosesicherung


1. Wahl: Meist laparoskopische Appendektomie
Alternative: Offene Appendektomie
Sonderfall: Antibiotikatherapie und ggf. interventionelle Abszessdrainage bei komplizierter
akuter Appendizitis mit Abszess
**Der V.a. eine Appendizitis rechtfertigt im Regelfall eine operative Therapie! „If in doubt,
take it out!“

2. Wahl: Alleinige Antibiotikatherapie (Cefuroxim+Metronidazol)


Sonderfall: Freie Perforation: Immer zeitnahe Appendektomie

*Die alleinige Antibiotikatherapie ist eine anerkannte Therapiealternative bei akuter


Appendizitis. Lediglich bei nachgewiesener freier Perforation ist eine Appendektomie
obligatorisch!

Unkomplizierte akute Appendizitis: Zeitnahe laparoskopische Appendektomie


Alter >65 Jahre oder Vorliegen von Komorbiditäten: <12 h nach Diagnosesicherung
Alter <65 Jahre ohne Komorbiditäten: <24 h nach Diagnosesicherung
Antibiotikatherapie ab Diagnosesicherung, postoperativ nicht fortführen (nur
periop;1-3 d i.v.)
Alternative: Alleinige Antibiotikatherapie (Voraussetzung: Kein Appendikolith nachweisbar)
Bei Therapieversagen: Dringliche Appendektomie

Komplizierte akute Appendizitis ohne freie Perforation: Zeitnahe laparoskopische


Appendektomie
Antibiotikatherapie ab Diagnosesicherung (1-3 d i.v.),
postoperativ/postinterventionell (anschließend 5-7 d p.o.) fortführen
Bei Abszess: Ggf. interventionelle Abszessdrainage
Alternative: Alleinige Antibiotikatherapie
Bei Therapieversagen: Dringliche Appendektomie
Bei Persistenz von Beschwerden nach initial erfolgreicher Akuttherapie:
Appendektomie im Verlauf (sog. Intervall-Appendektomie)

Komplizierte akute Appendizitis mit freier Perforation: Dringliche laparoskopische


Appendektomie
Antibiotikatherapie ab Diagnosesicherung, postoperativ fortführen

Klinischer V.a. Appendizitis ohne radiologisches Korrelat: Explorative Laparoskopie


Bei rezidivierenden/persistierenden Appendizitis-typischen Beschwerden
----Appendektomie: Bei fehlendem differenzialdiagnostischem Befund
----Spezifische Therapie nach Befund

79
CED

Als chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) werden Erkrankungen bezeichnet, bei


denen rezidivierende oder permanent aktive Entzündungen des Darms auftreten. Die
häufigsten CED sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

MORBUS CROHN (Enterocolitis regionalis, Ileitis terminalis, Crohn-Krankheit)

Der Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung unklarer Genese und
befällt meist junge Erwachsene und Kinder mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 15.
und 35. Lebensjahr. Während ein diskontinuierlicher Befall des gesamten
Gastrointestinaltrakts möglich ist, stellt das terminale Ileum einen besonders typischen
Manifestationsort dar. Klinisch zeigen sich meist Durchfälle, Gewichtsverlust und
rechtsseitige Unterbauchschmerzen. Weiterhin kann es auch zu extraintestinaler
Manifestation mit Augen-, Gelenk- oder Hautbeteiligung kommen. Die Diagnosestellung ist
meist schwierig, da kein nachweisendes Standardverfahren zur Verfügung steht: Anamnese,
klinische Untersuchung, Labordiagnostik, Bildgebung (z.B. MRT-Sellink), Endoskopie und
Histologie müssen gesammelt betrachtet werden.

Therapeutisch steht im akuten Schub die lokale oder systemische Gabe von Glucocorticoiden
im Vordergrund. Um langfristig den Bedarf von Glucocorticoiden zu senken, erfolgt je nach
Krankheitsintensität eine Remissionserhaltung mit Immunsuppressiva. Da es bei der
Erkrankung häufig zur Ausbildung von Fisteln, Abszessen und Stenosen kommt, müssen
eventuelle infektiös bedingte Komplikationen auch antibiotisch abgedeckt und
gegebenenfalls chirurgisch saniert werden. Eine Heilung ist jedoch durch den
unregelmäßigen Befall des gesamten Gastrointestinalsystems im Gegensatz zur Colitis
ulcerosa nicht möglich. Ziel der Therapie ist deswegen das Verhindern einer Progredienz und
eines Wiederauftretens entzündlicher Schübe.

Epidemiologie:
Häufigkeitsgipfel: 15-35 Lebensjahr.
10% der Erkrankungen manifestieren sich jedoch erst um das 60. Lebensjahr.

Ätiologie: unbekannt
Risikofaktoren: Nikotinkonsum, familiäre Disposition

*Für die Colitis ulcerosa gilt Nikotinkonsum dagegen als protektiver Faktor!

Hauptlokalisationen: Terminales Ileum und Kolon


*Erkrankung kann sich aber prinzipiell an jeder Stelle im Verdauungstrakt zwischen Mund
und Anus manifestieren.

Symptome/Klinik:
Intestinale Symptome:
--meist unblutige, chronische Diarrhö
--Schmerzen im rechten Unterbauch (Ileitis terminalis), evtl. subfebrile Temperaturen
--Tenesmen; schmerzhafter und teilweise von Krämpfen begleiteter Stuhldrang

80
--Konglomerattumor im Unterbauch (Entzündlich bedingte Verwachsung mit Einbeziehung
des Darms. Tastet sich als derbe Resistenz meist rechtsseitig, da der Befall des terminalen
Ileums am häufigsten ist.)
--Anale bzw. perianale Befunde; transsphinktäre/intersphinktäre Fisteln (40%), anorektale
Abszesse, Fissuren
--intestinale Stenosen und Strikturen (Gefahr eines mechanischen (Sub-)Ileus.
--intestinale Fisteln (bei 35% aller Patienten, meist enteroenteral)

*Analfisteln und anorektale Abszesse sind häufig erste Symptome des Morbus Crohn!

Malabsorptionssyndrom:
Je nach befallenem Darmschnitt variiert die Symptomatik.
--Gewichtsverlust
--Wachstumsstörungen bei Kindern
--Anämie (Vitamin-B12 und Eisenmangel)
--durch gestörte Rückresorption von Gallensäuren; Steatorrhö, Mangel an fettlöslichen
Vitameinen, Cholelithiasis, Urolithiasis

Extraintestinale Symptomatik:
--Gelenke: Enteropathische Arthritis
--Auge: Uveitis, Iritis
--Leber/Gallengänge: Primär sklerosierende Cholangitis (seltener als bei Colitis ulcerosa)
--Haut: Erythema nodosum, Pyoderma gangrenosum
--orale Manifestation: Aphthöse Ulzerationen der Mundschleimhaut, Stomatitis

81
Komplikationen bei Morbus Chron:
Fisteln, Abszesse, Fissuren, Stenosen und Strikturen des DarmsàIleus, freie
PerforationàPeritonitis, erhöhtes Karzinomsrisiko
Amyloidose, Osteoporose, Cholelithiasis, Urolithiasis

COLITIS ULCEROSA

Die Colitis ulcerosa (CU) zählt mit dem Morbus Crohn zu den chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen (CED) und tritt meist bei jungen Menschen zwischen dem 20. und 35.
Lebensjahr auf – die Ursache der Erkrankung ist unklar. Klinisch fallen als Leitsymptom meist
blutige, schleimige Durchfälle auf, zudem sind Bauchschmerzen und Fieber typische
Beschwerden. In der Diagnostik zeigen sich neben laborchemisch erhöhten
Entzündungswerten und erhöhten Autoantikörpern (pANCA) oft radiologische Auffälligkeiten
(z.B. eine sonografische Darmwandverdickung). Den Goldstandard stellt jedoch die
Koloskopie dar, in der meist das typische Ausbreitungsmuster mit Beginn im Rektum und
kontinuierlicher Ausbreitung im restlichen Dickdarm imponiert.

Die Therapie der Erkrankung erfolgt bei leichten und mittelschweren Schüben zumeist mit
Aminosalicylaten (5-ASA-Präparate), bei schwereren Schüben kommen auch Glucocorticoide
und Immunsuppressiva zum Einsatz. Bei distaler Kolitis können die Substanzen lokal (per
Klysma oder Schaum) gegeben werden, wohingegen ausgedehnte Befunde systemisch
behandelt werden müssen. Aufgrund des erhöhten Entartungsrisikos (kolorektales
Karzinom) sollten regelmäßige Kontrollkoloskopien durchgeführt werden. Beim Nachweis
von Dysplasien, aber auch bei nicht beherrschbaren Schüben oder dem Auftreten von
Komplikationen (z.B. toxisches Megakolon) kann die Erkrankung durch eine
Proktokolektomie behandelt und sogar geheilt werden.

Symptome/Klinik:
Leitsymptom: Blutige, schleimige Durchfälle
Bauchschmerzen
Tenesmen (schmerzhafter Stuhldrang)
Fieber
Extraintestinale Manifestationen;
--Leber/Gallengänge: Primär sklerosierende Cholangitis (PSC)
--Gelenke: Arthritis, Spondylitis ankylosans, Sakroiliitis
--Hautv: Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, Pyostomatitis vegetans
--Auge: Iritis, Episkleritis, Uveitis

Ätiologie: unbekannt
Häufigkeitsgipfel: 20-35. Und 60.-80. Lebensjahr
Risikofaktoren: genetische Prädisposition

Komplikationen bei CU: massive Blutungen, Eisenmangel bei chronischer Blutung im Kolon,
Toxisches Megakolon (Lebensbedrochliche Komplikation mit septischem Krankheitsbild),
Perforation, Peritonitis erhöhtes Karzinomsrisiko, Amyloidose.

82
CED-Diagnostik:
1.Basisdiagnostik;
---Blut: erhöhte Entzündungsparameter, ggf. Anämie,
ASCA (Anti-Saccharomyces-cerevisiae-Antikörper) positiv ca. 60% bei Morbus Chron
pANCA (Myeloperoxidase-AK) positiv ca. 60%-70% bei Colitis ulcerosa
---Stuhl; Calprotectin (erscheint bei intestinalen Entzündungsreaktionen im Stuhl,
Sensitivität >90% für MC), alternativ Lactoferrin (Erhöhte Werte im Stuhl zeigen
Entzündungsaktivität),
---Fäkaler okkulter Bluttest (FOBT)

2.Bildgebung;
---Sonografie: ödematöse Verdickung der Darmwand, Kokärden-Phänomen, evtl
Abszess/Fistel
---MRT des Dünndarms nach Sellink (sog. Hydro-MRT od. MRT-Enteroklysma)
---Röntgen mit Doppelkontrasteinlauf bei Colitis ulcerosa: Fahrradschlauch-Aspekt
*Bei akutem Schub besteht eine Gefahr der Perforation durch Koloskopie!
(Vor Koloskopie wird Sonografie empfohlen)

3.Endoskopie;
---Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien aus terminalem Ileum, Kolon und Rektum
---ÖGD bei Morbus Chron zur Beurteilung einer möglichen Beteiligung von Ösophagus,
Magen und Duodenum

4.Nachsorge: Regelmäßige Koloskopie zur Kontrolle aufgrund des erhöhten Risikos für ein
kolorektales Karzinom

Differenzialdiagnosen; CU, infektiöse Darmerkrankungen, Nicht-infektiöse (ischämich


nach Radiatio) Kolitis, Divertikulitis, Reizdarmsyndrom, akute Appendizitis, KRK.

Differenzialdiagnostische Morbus Chron Colitis Ulcerosa


Erwägungen
Stuhlfrequenz/-art Erhöht, selten blutig Stark erhöht, blutig-schleimig
Ernährungszustand Reduziert Meist normal
Schmerzen Meist durchgehend Meist nur oder bei Defäkation
Eher rechter Unterbauch Eher linker Unterbauch
Fisteln Häufig (V.a. im Analbereich) Sehr selten
Ausbreitungsmuster Diskontinuierlicher Befall Kontinuierlicher Befall: Beginn im
des gesamten GI-Traktes Rektum und Ausbreitung nach oral
Bevorzugte Lokalisation: Befall i.d.R. auf Kolon beschränkt
Terminales Ileum und Kolon (Heilung durch Proktokolektomie)
Endoskopischer Aspekt --Pflastersteinrelief der --Fahrradschlauch- Aspekt der
Schleimhaut Schleimhaut
--Hämorrhagische „Pinpoint“ --Kontaktblutung (im Rahmen
Läsionen medizinischer Eingriffe)

83
--Schneckenspuren Läsionen;
längliche oder
landkartenartige Ulzera
Histologie --Transmuraler Befall mit --Läsionen auf Mukosa und
tiefen Ulzerationen Submukosa begrenzt
--Granulome mit --Keine Granulome
Riesenzellen

Therapie:

Allgemein: Nikotinkarenz (bei MC), entsprechende Substitution von Vitaminen, Eiweiß usw.
Im akuten Schub: Verzicht auf Ballaststoffe, parenterale Ernährung (vor allem bei
ausgedehntem Dünndarmbefall im Rahmen einem MC)

Medikamentöse Therapie bei akutem Schub:


---Topische Glucocorticoidgabe (Budesonid als Hartkapseln), ggf. Mesalazin (5-
Aminosalicylsäure)
---Mäßige bis hohe Entzündungsaktivität, kein Ansprechen auf Budesonid, ausgedehnter
Dünndarmbefall und/oder extraintestinale Manifestationen: Systemische
Glucocorticoidgabe (z.B. Prednisolon)
---Steroid-refraktärer Verlauf: Immunosuppresiva (TNF-alfa-Hemmer)

Remissionserhaltung (und Steroid-abhängiger Verlauf): Gabe von Immunsuppressiva


Indikation zum Remissionserhalt je nach individuellem Risikoprofil
àDauertherapie mit Azathioprin, 6-Mercaptopurin oder TNF-α-Hemmern (wie Infliximab,
Adalimumab)
àReservemittel: Methotrexat

Operative oder Interventionelle Therapie:


Morbus Chron: I.d.R. sekundär, da beschränkt auf Versagen der konservativen Therapie bzw.
Komplikationen.
**Die Therapie des Morbus Crohn erfolgt primär medikamentös. Die Chirurgie sollte
zurückhaltend und nur in speziellen Situationen (z.B. Perforation, Ileus, Blutung, toxisches
Megakolon, Malignome, symptomatische Fisteln) zum Einsatz kommen. Eine Heilung durch
OP ist im Gegensatz zur Colitis ulcerosa nicht möglich!

Colitis ulcerosa: durch Proktokolektomie operativ heilbar


Indikationen für eine chirurgische Therapie der Colitis ulcerosa: gedeckte/offene Perforation,
medikamentös nicht beherrschbarer, schwerer Schub, Dysplasie/KRK, therapierefraktäre
Blutung

84
KOLOREKTALES KARZINOM

Epidemiologie: 90% nach dem 55. Lebensjahr

Lokalisation:
--Rektum 50%
--Colon sigmoideum 30%
--Colon transversum und Colon descendens 10%
--Zäkum und Colon ascendens 10%

Ätiologie:
Prädisponierende Faktoren:
----Genetisch; Familiäre Polyposis-Syndrome, Hereditäres nicht-polypöses Kolonkarzinom-
Syndrom (HNPCC)
----Lebensstil, Ernährung; Rauchen, Alkohol, Adipositas, fettreiche, ballaststoffarme
Nahrung, viel rotes oder verarbeitetes Fleisch
----Krankheiten mit erhöhtem KRK-Risiko; kolorektale Adenome, Colitis ulcerosa und
Morbus Crohn, primär sklerosierende Cholangitis, Dm-Typ 2
----Alter: > 40 Jahre

Symptome/Klinik:

àPlötzliche Veränderung des Stuhlgangs:


---Obstipation oder Diarrhö (bei Stenosen auch paradoxen Diarrhö)
---rektale Blutabgänge (sichtbar oder okkult)
---Bleistiftstühle (bandförmiger Stuhlgang)
---`falsche Freunde` (ungewollter Stuhlgang bei Flatus)
àB-Symptomatik (Unspezifische Begleitsymptomatik bestehend aus mind. einem der drei
Symptome Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust.)
à Leistungsabfall, Müdigkeit
àtastbare Raumforderung
àBlutungsanämie
àBauchschmerzen
àdauerhaft übelriechender Flatus
àSpätsymptom: Ileussymptomatik (Insb. bei Tumorlokalisation im Sigma oder Rektum)

* Altersbedingt haben etwa 50% der Patienten mit einem kolorektalen Karzinom gleichzeitig
symptomatische Hämorrhoiden. Rektale Blutabgänge sollten daher immer an ein Karzinom
denken lassen, auch bei bereits diagnostiziertem Hämorrhoidalleiden!

Metastasierung:
Lymphogene Met. à mesenteriale, paraaortale Lymphknoten
Hämatogene Met. à primär in die Leber,
weitere hämatogene Metastasierungsziele; Skelett, Gehirn, Lunge
Metastasierung auch per continuitatem: Infiltration des umgebenden Binde-/Fettgewebes,
ggf. der Nachbarorgane (Harnblase, Dünndarm etc.)

* Bei ¼ der Patienten finden sich zum Diagnosezeitpunkt bereits Lebermetastasen!

85
Diagnostik:
---Digital-rektale Untersuchung
---komplette Koloskopie mit Biopsie (Goldstandard zur Detektion kolorektaler Polypen und
Karzinome)
---Abdomensonografie und Röntgen-Thorax (zur Abklärung von Leber- und
Lungenmetastasen)
--- CEA-Bestimmung als Ausgangswert vor Therapiebeginn
---ggf. CT bei unklaren Befunden, Fernmetastasen- oder Infiltrationsverdacht
---ggf. Endosonografi4 zur Bestimmung der Infiltrationstiefe (bei lokal begrenztem Tumor)

Pathologie:
meist Adenokarzinom (90% aller Kolonkarzinome)
Sonderformen: muzinöses Adenokarzinom, Siegelringzellkarzinom, Plattenephitelkarzinom
usw.

**Entartungsrisiko des Adenoms abhängig von dessen Größe (>1 cm), Dysplasiegrad,
histologischer Typ (villös>tubulovillös>tubulär), Anzahl der Adenome (>=3), Lebensalter.

Differenzialdiagnosen: Dünndarmtumoren, Kolonpolypen, Divertikulose, chronisch-


entzündliche Darmerkrankungen.

Therapie:
Primäre OP (nach Stadien endoskopische Resektion oder radikale chirurgische Resektion)
und ggf. adjuvante Chemotherapie

* Keine Radiatio am Kolon! Kolonkarzinome sind relativ strahlenunempfindlich.

Prävention:
---Nicht-Risikopersonen;
Alter>50 J; jährlich Stuhltest auf okkultes Blut
Alter> 55J; Koloskopi+DRU (alle 10 Jahre) oder Sigmoidoskopie (alle 5 Jahre)
---Risikopersonen: Verwandte ersten Grades von Patienten mit kolorektalem Karzinom:
Komplette Koloskopie idealerweise 10 Jahre vor dem Alterszeitpunkt des Auftretens des
Karzinoms beim Indexpatienten, spätestens jedoch im Alter von 40–45 Jahren.

Kolonpolypen: Jede unklare Schleimhautvorwölbung in das Lumen des Kolons

Epidemiologie:
Bei ca. 30% der Menschen >60 Jahren
Kolorektale Polypen sind zu 70% Adenome

Ätiologie:
---Neoplastisch; häufig (70-80%), bspw. Adenom, Lipom, Karzinom
---Nicht-neoplastisch; bspw. Hamartom, entzündlicher oder hyperplastischer Poly

86
Symptome/Klinik:
Meistens asymptomatischer Zufallsbefund
Evtl. schleimiger, blutiger Stuhl
Evtl. Stuhlveränderungen (Obstipation oder Diarrhö)

Diagnostik: DRU, virtuelle Koloskopie (CT mit CO2), Rekto-/Koloskopie


*Nachweis eines Adenoms → Absuchen des gesamten Kolons!

Therapie: koloskopische Entfernung und histologische Beurteilung


Bei Malignitätsverdacht: operative Resektion

Divertikulose, Divertikelkrankheit und Divertikulitis

Divertikulose: Ausstülpungen der Mukosa und Submukosa durch muskelschwache Lücken in


der Kolonwand
---Meist Sigmadivertikulose mit erworbenen Pseudodivertikeln (bis zu 90% der Fälle)
---Selten Zäkumdivertikulose mit angeborenen echten Divertikeln

Divertikelkrankheit (symptomatische Divertikulose): Sammelbegriff für alle


symptomatischen Formen einer Divertikulose (bspw. mit Bauchschmerzen,
Stuhlunregelmäßigkeiten)

Divertikulitis: Entzündung eines Divertikels und seiner Umgebung, i.d.R. akutes


Krankheitsbild
---Komplizierte Divertikulitis: Divertikulitis mit Perforationen, Fisteln oder Abszessen
---Chronische Divertikulitis: Rezidivierende oder persistierende Entzündung, die zu weiteren
Komplikationen führen kann (insb. Fisteln und Stenosen)

*Pseudodivertikel: Prolaps von Mukosa und Submukosa ohne Muscularis.


*Echte Divertikel: Ausstülpung aller Wandschichten

Risikofaktoren:
Zunahme mit dem Lebensalter, familiäre Disposition
ungünstige Ernährung (viel rotes Fleisch, wenig Ballaststoffe), Bewegungsmangel, Adipositas,
Rauchen, Alkoholkonsum, chronische Obstipation

87
Symptome/Klinik:
Divertikulose: meist asymptomatisch, evtl. linksseitige Unterbauchschmerzen oft in
Verbindung mit Änderung des Stuhlgangs

Divertikulitis:
Akute, progrediente Schmerzen im linken Unterbauch (sog. Linksappendizitis;
Sigmadivertikulitis)
Sonderfälle: Zäkumdivertikulitis (Schmerz im rechten Unterbauch)
Fieber
Stuhlveränderungen (Obstipation/Diarrhö)
Blut im Stuhl, Flatulenz, Übelkeit, Erbrechen
KU: Evtl. lokalisierte Druckschmerzhaftigkeit mit ggf. walzenförmiger Resistenz im linken
Unterbauch
Abdomen-Sono, CT+KM
Immer Koloskopie zum Ausschluss eines Kolonkarzinoms: Im entzündungsfreien Intervall
nach Abklingen der Akutsituation (i.d.R. nach 6–8 Wochen)

* Eine Koloskopie sollte in der Akutphase einer Divertikulitis wegen der Perforationsgefahr
vermieden werden!

Klassifikation:
Stadium 0: asymptomatische Divertikulose
Stadium 1: akute unkomplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis
Stadium 2: akute komplizierte Divertikulitis
Stadium 3: chronische Divertikelkrankheit
Stadium 4: Divertikelblutung

Therapie bei Divertikulose:


Stuhlregulierung; ballaststoffreiche Ernährung, reichliche Flüssigkeitsaufnahme, ggf.
Flohsamenschalenpräparate
Körperliche Aktivität
*Eine Rückbildung der Divertikel ist durch diese Therapiemaßnahmen nicht möglich!

Therapie bei Divertikulitis:


Analgesie (Metamizol), Antibiotika (Cefuroxim+Metronidazol)
ggf. situationsadaptierte Ernährung: Bspw. ballaststoffarme oder flüssige Kost
operative Therapie je nach Stadium und Komplikation

Komplikationen: Blutung, Perforation, Fistelbildung (meist kolovesikal),


Darmstenosenàmechanischer Ileus

88
LEBERZIRRHOSE

Ätiologie:
--Toxisch:
Äthyltoxisch (Alkoholtoxischer Leberschaden; häufigste Ursache chronischer
Lebererkrankungen)
Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung
Medikamentös (Amiodaron, Zytostatika wie z. B. Methotrexat)

--Entzündlich:
Virushepatitis B, C, D
Primär biliäre Cholangitis, Primär sklerosierende Cholangitis, Autoimmenhepatitis

--Stoffwechselerkrankungen:
Hämochromatose, Morbus Wilson, Alpha1-Antitrypsin-Mangel

---kryptogene Leberzirrhose:
Leberzirrhosen, deren Ätiologie nach ausreichender Diagnostik unklar verbleibt

Klassifikation:
Anhand der Child-Pugh-Klassifikation kann die Prognose einer Leberzirrhose eingeschätzt
werden.
--Albuminkonzentration im Serum
--Bilirubinkonzentration
--Quick-Wert in % (eine Umrechnung der Thromboplastinzeit (TPZ))
--Aszites (sonografisch)
--Hepatische Enzephalopathie

Pathophysiologie:
1.Auslösende Noxe → Aktivierung/Einwanderung eines Entzündungsinfiltrats → Untergang
von Hepatozyten und überschießende, bindegewebige Reparaturvorgänge
2. Anhaltende Einwirkung der Noxe → Zirrhotischer Umbau
----Unterbrechung der Gallekanälchen sowie der Sinusoide → Portale Hypertension
----Intrahepatische Shuntbildung → Minderdurchblutung der Leber
----Leberfunktionsstörung (exokrin und metabolisch):
Gerinnungsfaktoren↓ → Blutungsneigung
Eiweiße↓ (insb. Albumin↓) → Aszites
Gallensäuren↓ → Aufnahme fettlöslicher Vitamine↓
Transportproteine↓ für Hormone
Globuline↓ (außer γ-Globuline), Cholinesterase↓
Harnstoff↓ → Ammoniak↑ → Hepatische Enzephalopathie
Gluconeogenese↓ sowie Glykogenspeicherung↓
Arzneimittelmetabolisierung /Entgiftung↓ → Kumulation toxischer Stoffe
Bilirubin-Glucuronidierung↓ → Hyperbilirubinämie, Ikterus
Gesteigerte Insulinresistenz → Hepatogener Diabetes mellitus
Hydroxylierung von Vitamin D3↓ → Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Störung des Lipid- und Lipoproteinstoffwechsels

89
Symptome/Klinik: ****

----Unspezifische Allgemeinsymptome (eine Leberzirrhose ist zu Beginn häufig symptomfrei)


Müdigkeit, Leistungsminderung
Druck- und Völlegefühl im Oberbauch (ggf. unter dem rechten Rippenbogen)
Pruritus
Ikterus
Bauchumfangszunahme

----Leberhautzeichen
Lacklippen, Lackzunge (Atrophie der Zungenpapillen)
Teleangiektasien: (Am häufigsten als Spider naevi; sternförmig erweiterte arterielle Gefäße
an lichtexponierter Haut und oberem Rumpf)
Periumbilikale Erweiterung der subkutanen Venen: „Caput medusae“
Palmar- und Plantarerythem
Milchglasnägel/Weißnägel (Trübe Weißverfärbung der Fingernägel mit Rillenbildung)
Uhrglasnägel
Dupuytren-Kontraktur
Generell: Pergamentartige Hautatrophie

----Hormonstörungen
Gynäkomastie, Bauchglatze und Brustglatze
Libido-/Potenzstörungen
Amenorrhö

90
Diagnostik

1.KU: Knotige, höckrige Leber vergrößert tastbar. In fortgeschrittenen Stadien entwickelt


sich die Leber zu einer Schrumpfleber und ist verkleinert.

2.Laborparameter bei Leberzirrhose: ****


---Leberparenchymschaden: Transaminasen↑, GLDH↑, Alkalische Phosphatase↑, γGT↑,
Evtl. Bilirubin↑, Ammoniak↑
---Lebersynthesestörung: INR↑, Quick-Wert↓, Gesamteiweiß bzw. Albumin↓,
Cholinesterase↓
---Thrombozytopenie bei Hypersplenismus infolge der Splenomegalie
---Makrozytäre Anämie durch Vitaminmangel (B12, Folsäure)
---Mikrozytäre Anämie durch chronischen Blutverlust bei Gerinnungsstörung

3.Sonografie, ggf. CT/MRT


4. ggf. Leberbiopsie bei unklarer Ätiologie

Therapie:
1.Allgemeine Maßnahmen:
----Behandlung einer auslösenden Grunderkrankung
----Alkoholabstinenz
----Vermeidung lebertoxischer Medikamente
----Ausgewogene, kalorisch ausreichende Kost, keine Eiweißrestriktion
2.Medikamentöse Maßnahmen zur Therapie der Leberzirrhose:
---Senkung des portalen Drucks bei Nachweis von Ösophagusvarizen bzw. klinischer
Erscheinung der portokavalen Anastomosen: Nicht-selektive Betablocker, z.B. Propranolol
----Aszitestherapie und Therapie der oft begleitenden generalisierten Ödeme bei
Hypalbuminämie: Spironolacton, ggf. + Schleifendiuretikum (Furosemid)
---Bei Mangel an Gerinnungsfaktoren, ggf. kombiniert mit Thrombozytopenie →
Koagulopathie mit Auftreten einer diffusen Blutungsneigung: Vitamin K substituieren
3.Interventionell: TIPS-Anlage (Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt)
4.Operativ: Lebertransplantation

Komplikationen:

Dekompensierte Leberzirrhose
Definition: Situative Verschlechterung der Leberfunktion im Rahmen einer Leberzirrhose,
klinisch fassbar durch Auftreten oder Exazerbation von Komplikationen wie Aszites, Ikterus,
Enzephalopathie oder Ösophagusvarizenblutung.

Manifestationen:
-----Direkte Folgen einer portalen Hypertension:
Ösophagusvarizenblutung
Aszites und Folgezustände wie die spontane bakterielle Peritonitis
-----Metabolische Komplikationen bzw. assoziierte Organfehlfunktionen:
Ikterus bzw. dessen Exazerbation

91
Hepatische Enzephalopathie
Hepatorenales Syndrom
Hepatopulmonales Syndrom
Infektneigung (insb. SBP)
Verdünnungshyponatriämie

----Spätkomplikationen in Form maligner Tumoren: Hepatozelluläres Karzinom (HCC)

*Hepatische Enzephalopathie: Funktionsstörung des Gehirns infolge einer unzureichenden


Entgiftungsfunktion der Leber und konsekutiver Akkumulation neurotoxischer
Stoffwechselprodukte (z.B. Ammoniak). Die hepatische Enzephalopathie äußert sich in
Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma und anderen neuropsychiatrischen Auffälligkeiten
wie bspw. Konzentrationsschwäche, Dysarthrie und Asterixis (Flapping Tremor).
Therapie der hepatischen Enzephalopathie: Gabe von Lactulose

* Hepatorenales Syndrom: Potenziell reversible Nierenfunktionsstörung bei Leberzirrhose


bzw. Leberinsuffizienz mit portaler Hypertension und Aszites oder alkoholischer
Steatohepatitis.
Therapie: einzige kurative Option ist die Lebertransplantation
Nierenersatzverfahren (Dialyse) ggf. als Überbrückung bis zu einer Transplantation,
Indikationsstellung wie bei akuter Nierenschädigung.

*Hepatopulmonales Syndrom: Pulmonale Funktionsverschlechterung mit progressiver


Dyspnoe im Rahmen einer chronischen Leberkrankheit mit portaler Hypertension.
Pathophysiologisch liegen eine pulmonale Vasodilatation und arteriovenöse Shunt-Bildung
zugrunde.
Therapie: Supportiv können Sauerstoffgaben helfen, einzige kurative Option ist die
Lebertransplantation.

**MELD-Score: Priorisierung der Zuteilung einer Leber zur Lebertransplantation (Serum-


Kreatinin, Gesamt-Bilirubin, INR)

92
HERPES ZOSTER

Dem Herpes zoster (Gürtelrose oder häufig verkürzt Zoster) liegt die Reaktivierung einer
Varizelleninfektion zugrunde, da das Virus nach einer Primärinfektion im Kindesalter (in
Form von Windpocken) lebenslang in den Hirn- und Spinalganglien persistiert.
Eine Reaktivierung kann durch Stress oder Immunschwäche ausgelöst werden und tritt als
schmerzhafte unilaterale und dermatombezogene Hautrötung mit Bläschen in Erscheinung.
Durch den Einsatz von antiviralen Medikamenten (insb. Aciclovir) kommt es i.d.R. zu einer
folgenlosen Ausheilung. Mögliche Komplikationen sind eine Enzephalitis oder insb. bei
älteren Menschen eine (oft lebenslang anhaltende) schmerzhafte Post-Zoster-Neuralgie.
Befällt das Virus die Hirnnerven, kann es beim Zoster ophthalmicus zu Visusverlust und beim
Zoster oticus zu Fazialisparese und Schwerhörigkeit kommen. In diesen Fällen ist eine
schnelle Einleitung der antiviralen Therapie besonders wichtig.

Epidemiologie:
Alter: In jedem Alter möglich, insb. Menschen >50 Jahre betroffen

Ätiologie:
Erreger: Varizella-Zoster-Virus (VZV) = Humanes Herpesvirus 3 (HHV-3)
Reservoir: Mensch (einzig bekanntes Reservoir)
Primärinfektion: Windpocken mit lebenslangem Persistieren des Virus in den Spinal-
bzw. Hirnganglien
Reaktivierung: Herpes zoster infolge einer (oft passageren) Immunschwäche
Übertragung: Nur Schmierinfektion (Kontakt zu erregerhaltigem Bläscheninhalt:
direkt von Mensch zu Mensch oder indirekt über Gegenstände)
*Personen, die keine Windpockenerkrankung durchgemacht und keine Impfung erhalten
haben, können angesteckt werden und an Windpocken erkranken
*Herpes zoster bekommt man nie durch Ansteckung, sondern immer durch Reaktivierung
einer vorangegangenen VZV-Infektion (Windpocken) oder VZV-Impfung.
*Eine diaplazentare Übertragung auf das Ungeborene erfolgt bei Herpes zoster der
Schwangeren nicht.
Infektiosität: Von Exanthembeginn bis etwa 5–7 Tage danach („bis das letzte
Bläschen verkrustet ist“)
*Geringere Kontagiosität als bei der Primärinfektion mit Windpocken, da nur das
Bläschensekret infektiös ist

Mögliche Auslöser einer Immunschwäche und damit einer Reaktivierung:


Stress
Malignome
HIV-Infektion
Andere Infektionskrankheiten
Immunsuppressive Therapie

**Kein Zoster ohne vorherige Windpockenerkrankung oder VZV-Impfung!

93
Pathophysiologie:
Erstinfektion in Form von Windpocken → Wahrscheinlich gelangt das Virus neurogen von
der Haut in die Hirn- und Spinalganglien → Lebenslanges Verbleiben in den Ganglien →
Reaktivierung bei (passagerer) Immuninsuffizienz → Viren gelangen über die sensiblen
Nerven an die Hautoberfläche, vermehren sich dort und verursachen am entsprechenden
Dermatom den Herpes zoster in Form multipler uniformer Bläschen (Anders als bei der
Windpockeninfektion sind die Bläschen alle im gleichen Stadium.)

Symptome/Klinik: ******
----Reduzierter Allgemeinzustand und Fieber
----Lokalbefund dermatombezogen: Meist 1–3 Dermatome auf einer Körperhälfte
(unilateral), in 75% thorakal
----Starke Schmerzen (akute Neuritis)
----Parästhesien und Allodynie (Schmerzen bei Berührung)
----Seltener motorische Ausfälle
----Ca. 4 Tage nach Krankheitsbeginn: Erythem mit uniformen Vesikeln und Papeln

Sonderformen:
Zoster sine herpete: Fehlen von Läsionen
Zoster duplex: Beidseitiger Befall bzw. Überschreiten der Mittellinie
Zoster gangraenosus: Nekrotisieren der Läsionen
Zoster generalisatus: Generalisierte Läsionen, ggf. sekundär hämatogene Streuung und
Organmanifestationen
Zoster ophthalmicus: Zoster des Auges mit Befall des N. ophthalmicus
Zoster oticus: Zoster des Ohrs, ggf. mit Befall des N. vestibulocochlearis und/oder N. facialis
Zoster genitalis: Zoster im Genitalbereich mit Befall von regionalen Nerven

Diagnostik: ***
Typische Anamnese und Klinik i.d.R. ausreichend
KU, Labor (BB, BSG, CRP, Nierenwerte, Leberwerte), routinemäßig EKG
Ggf. Diagnosesicherung:
---- VZV-PCR: Bei Immungeschwächten und Schwangeren: Bläschensekret, bei V.a.
Enzephalitis: Liquor
----Antigennachweis aus Bläschensekret/Abstrich
----Serologie: VZV-spezifische Antikörper: Serum / Liquor, Avidität von Anti-VZV-IgG:
Unterscheidung Primärinfektion (Varizellen) vs. Herpes zoster

++++Serologie HBC, HCV, HIV und ggf. weitere Maßnahmen zum Ausschluss einer Malignität

Therapie:
Analgetische Therapie: Ibuprofen oder Paracetamol, ggf. plus Tramadol bei Erwachsenen
Antivirale Therapie: Aciclovir (800 mg p.o. 1-1-1-1-1, Dauer 7 Tage)
Bei Superinfektion: Cefuroxim p.o.

Therapiebeginn: Eine systemische antivirale Therapie sollte innerhalb von 2–3 Tagen nach
Beginn der ersten Symptome begonnen werden, um die Erkrankungsdauer und die
Schmerzen zu verringern.

94
Eine antivirale Therapie sollte immer erfolgen bei:
Personen >50 Jahre
Kompliziertem Verlauf
Chronischen Hautkrankheiten, z.B. atopischer Dermatitis
Dauertherapie mit Steroiden oder Salicylaten

Eine i.v. antivirale Therapie sollte immer erfolgen bei:


Zoster im Kopf-Hals-Bereich (insb. ältere Patienten)
Starker Ausprägung oder bei mehr als einem befallenen Segment
Viszeraler, ZNS- oder Schleimhautbefall
Immunschwäche

**Salicylate sind bei einer Varizelleninfektion im Kindes- und Jugendalter immer


kontraindiziert, da in diesem Zusammenhang das Risiko eines Reye-Syndroms erhöht ist!

Post-Zoster-Neuralgie:
persistierende Schmerzen (>3 Monate) nach Abheilung der Hauteffloreszenzen
Schmerzen bei Berührung (Allodynie)
Akute Attacken bohrender Schmerzen im Bereich des Nervens
Epidemiologie: 10-15% aller Fälle mit Herpes zoster, insb. bei älterem Menschen (>60J)
Diagnostik: Klinik+ entsprechende Anamnese
Therapie:
Anfallssuppressiva (Pregabalin, Gabapentin),
Trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitryptilin),
bei starken Schmerzen: Opioide,
TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation)

VZV-Prävention:
---Varizellen-Lebendimpfstoff (Standartimpfung im Alter von 11 und 15 Monaten)
---Zoster-Totimpfstoff (Standartimpfung ab 60 J, bei schwerer Grunderkrankung ab 50 J)

95
UROLITHIASIS
Die eiweißreiche Kost führt durch höhere Calcium-, Harnsäure- und Oxalatausscheidungen
über den Urin dazu. Weitere Ursachen sind insbesondere in pathologisch veränderten
Stoffwechselvorgängen (z.B. Hyperparathyreoidismus) zu finden.
Das potenziell äußerst schmerzhafte Krankheitsbild macht sich durch Koliken entlang des
gesamten Urogenitaltraktes bemerkbar. Einen wegweisenden Befund stellt die Hämaturie
dar. Neben der symptomatischen Therapie mit Analgetika und Spasmolytika steht die
Rezidivprophylaxe im Vordergrund. Günstig ist grundsätzlich eine reichliche
Flüssigkeitszufuhr sowie die Anpassung der Ernährung.
Bleibt ein spontaner Steinabgang aus oder ist er aufgrund der Größe oder Lage des
Konkrements unwahrscheinlich, so ist eine interventionelle Steintherapie notwendig.

Epidemiologie:
Häufigkeitsgipfel: 30.–60. Lebensjahr
Geschlecht: ♂ > ♀

Klassifikation und Ätiologie der Harnsteine:


Calciumoxalatsteine (am häufigste; ca. 75%) --- Hyperkalzämie, Oxalatreiche Ernährung
(Kaffee, Kakao, Nüsse, Rhabarber, rote Bete, Spinat)
Struvitsteine (Magnesiumammoniumphosphat, ca. 10%) --- Harnwegsinfekte
Harnsäuresteine (Urat, ca. 5-10 %) --- Hyperurikämie (Gicht)
Calciumphospatsteine ---- Hyperparathyreoidismus
Zystinsteine
Xanthinsteine

Klinik: Harnsteine (Urolithiasis) können im gesamten Urogenitaltrakt lokalisiert sein.


Niere = Nephrolithiasis
Harnleiter = Ureterolithiasis
Harnblase = Zystolithiasis
Harnröhre = Urethralithiasis

** Beginn der Symptome häufig nach Übertritt des Steines in den Ureter.

Allgemeine Symptomatik:
Unruhe,
Fieber, Dysurie, ggf. Schüttelfrost àDringender V. a. komplizierte Urozystitis!
Ggf. Makrohämaturie (Infolge von Schleimhautverletzungen durch scharfkantige
Konkremente)

Abdominelle Symptomatik:
Kolikartige Schmerzen (Flanke und Abdomen)
Mögliche Schmerzausstrahlung in Unterbauch, Leiste, Labien oder Hoden
Ggf. klopfschmerzhafte Nierenlager
Übelkeit und Erbrechen
Paralytischer Subileus möglich (reflektorisch)

96
Diagnostik:
KU, Labor Untersuchung, Urindiagnostik (Mikrohämaturie, Hinweise auf Harnwegsinfekt wie
Leukozyturie, positives Nitrit)
Bildgebung: Obligat bei V.a. Urolithiasis *****
1. Sonografie (klinisch meist Methode der 1. Wahl): Darstellung von Konkrementen
und sekundärer Stauung, Ausschluss von Differenzialdiagnosen
-----Nierensteine: Echoreich, echofreier Schallschatten
-----Harnleitersteine: Meist nicht direkt darstellbar (bis auf nahe der Blase und nahe der
Niere gelegene Konkremente), jedoch indirekte Hinweise (Stauung)

2. Nativ-CT: bei V.a. Harnleitersteine und bei unklaren Befunden


CT mit KM: bei Indikation zur interventionellen bzw. operativen Therapie

3. Röntgen (Abdomenübersichtsaufnahme); wird häufig der CT der Vorzug gegeben


----Röntgenpositiv (schattengebend): Calciumhaltige Steine
----Schwach röntgenpositiv: Struvitsteine, Zystinsteine
----Röntgennegativ: Harnsäuresteine, Indinavirsteine, Xanthinsteine

Differenzialdiagnosen:
Akute Appendizitis (wichtig!), Divertikulitis
Adnexitis, Extrauteringravidität
Pyelonephritis, Urozystitis

Therapie:

1.Konservative Therapie:
Indikation: Bei Uretersteinen ≤5 mm kann bei komplikationslosem Verlauf unter
konservativen Maßnahmen ein spontaner Abgang abgewartet werden.
Maßnahmen:

----Analgesie:
Metamizol i.v. (1.Wahl bei starken Schmerzen),
Diclofenac (bei moderaten Schmerzen)

----Supportive medikamentöse Therapie für Spontanabgang (Medical Expulsive Therapy):


Alphablocker (z.B. Tamsulosin) à Eine Senkung des adrenergen Einflusses auf die glatte
Muskulatur des Harnleiters kann einen spontanen Steinabgang fördern und auch Schmerzen
reduzieren (Off-Label-Therapie).

----Erhöhung der Trinkmenge (Mindestens 2.5 L pro Tag)


----Ernährung kochsalzarm, ausgewogen und ballaststoffreich
----Körperliche Bewegung

97
2.Interventionelle Therapie

---Harnableitung (Retrograde Harnleiterspiegelung (Ureterorenoskopie) und Einlage eines


Doppel-J-Katheters oder perkutane Nephrostomie)
Indikation: Hochgradige Obstruktion mit Harnstauungsniere oder postrenalem
Nierenversagen oder infizierte Harnstauungsniere.
ggf. antibiotische Therapie bei infizierter Harnstauungsniere

---Steinentfernung (Ureterorenoskopie mit Steinentfernung, perkutane Nephrolithotomie,


ESWL)
Indikation: Niedrige Wahrscheinlichkeit eines Spontanabgangs, ausgeschöpfte Analgesie,
anhaltende Obstruktion.

* Sowohl nach konservativer als auch nach operativer Therapie sind radiologische
Verlaufskontrollen indiziert!

Komplikationen:
--Pyelonephritis und Urosepsis
--Harnstauung mit möglicher Infektion des gestauten Urins (infizierte Harnstauungsniere)
--Fornixruptur: Einreißen des Nierenbeckens durch Druckerhöhung im Kelchsystem mit
Austritt von Urin (Diagnostik: Steinnachweis sowie retroperitoneale, perirenale
Flüssigkeitsansammlung in der Abdomen-CT)

HARNWEGSINFEKTIONEN
Einteilung der Harnwegsinfektionen (HWI):
Nach Lokalisation bzw. Organbeteiligung; ***
---Obere Harnwegsinfektion: Pyelonephritis
---Untere (oder ableitende) Harnwegsinfektion
Urozystitis: Entzündliche Infektion der Harnblase (häufigste Lokalisation einer HWI)
Urethritis: Entzündungen der Harnröhre

Nach Dringlichkeit einer diagnostisch-therapeutischen Zuwendung:


---Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Infektion der Harnwege ohne relevante funktionelle
oder anatomische Anomalien, Nierenfunktionsstörungen oder Begleiterkrankungen, die eine
Harnwegsinfektion bzw. Komplikationen begünstigen

---Komplizierte Harnwegsinfektion: Alle Harnwegsinfektionen, die die Kriterien einer


unkomplizierten Harnwegsinfektion nicht erfüllen

---Rezidivierende Harnwegsinfektion: ≥2 Infektionen/Halbjahr oder ≥3 Infektionen/Jahr

98
Urozystitis:
Erreger: E.coli ca. 80% der Erreger
(weitere; Proteus, Klebsiella, Enterokokken, Staphylokokken, Ureaplasma)
Prädisponierende Faktoren: weibliches Geschlecht (kurze Harnröhre), Geschlechtsverkehr,
transurethraler Dauerkatheter, Diabetes mellitus, Anomalien des Harntrakts
Symptom: Dysurie, Algurie, Strangurie,Pollakisurie, Hämaturie
Ungewollter Urinverlust durch Drangsymptomatik möglich
Suprapubische Schmerzen
Diagnostik: Urin-Stix (Leukozyturie, Hämaturie, Nitrit positiv), Urin-Mikroskopie,
ggf. Urinkultur (Jeder Verdacht einer HWI außer Frauen mit unkomplizierter Zystitis)
ggf. Sonografie, Zystoskopie (bei komplizierter Zystitis)
Therapie: erhöhte Trinkmenge, Antibiotika
---unkomplizierte Urozystitis bei nicht-schwangeren Frauen:
1. Wahl: Fosfomycin-Granulat (einmalig)
2. Wahl; Nitrofurantoin oder Fluorchinolone
---Urozystitis in der Schwangerschaft: Cefuroxim, Amoxicillin
---Empirische Therapie komplizierter HWI: Amoxicillin od. Cefuroxim + Gentamicin
Komplikationen: Pyelonephritis, Epididymitis, Prostatitis

PYELONEPHRITIS
Eine Pyelonephritis ist die bakterielle Entzündung der Nierenbeckenstrukturen und geht
i.d.R. mit Fieber, Flankenschmerzen und Nierenlagerklopfschmerz einher.

Epidemiologie:
Geschlecht: ♀ > ♂
* Frauen sind aufgrund der anatomischen Verhältnisse (kurze Harnröhre) bei Zystitis und
Pyelonephritis häufiger betroffen.
*Meist gehen bakterielle Infekte der Harnblase (Urozystitis) voraus.

Erreger: Escherichia coli (ca. 70% der Fälle), Proteus mirabilis, Klebsiellen

Symptome/Klinik:
Fieber, Schüttelfrost (Undulierendes Fieber unter/trotz antibiotischer Therapie)
Flankenschmerzen, meist einseitig
Dysurie (erschwerte und ggf. schmerzhafte Blasenentleerung)

Diagnostik:

1.Körperliche Untersuchung: Nierenklopfschmerz


**Nierenklopfschmerz ist ein Schmerz, der bei der Perkussion des Nierenlagers auftritt. Er
kann Hinweis auf entzündliche Veränderungen der Niere sein. Der Untersucher steht schräg
seitlich hinter dem Patienten. Er schlägt mit der Handkante leicht in den Bereich des
paravertebralen Nierenlagers, ca. 3 - 4 Querfinger oberhalb des Beckenkamms. Dabei wird
auf Ausweichreaktionen und Schmerzäußerungen im Seitenvergleich geachtet.

99
2.Laboruntersuchungen
----Urin-Stix: Meist Leukozyturie und Mikrohämaturie
----Urinkultur zum Keimnachweis mit Resistogramm
----Blutuntersuchung: Entzündungsparameter, Retentionsparameter (Kreatinin,Harnstoff,
Harnsäure, Cystatin C), Blutkultur

3.Sonografie der Nieren und der Harnblase: vergrößerte, im Parenchym aufgelockerte, gut
atemverschiebliche Niere

* Im Rahmen von Entzündungen zeigen sich typischerweise Schwellungen durch vermehrte


Wassereinlagerung → dies führt zur vergrößerten und im Parenchym aufgelockerten Niere.
Nur bei chronischen Prozessen sind Verwachsungen zu erwarten, sodass bei einer akuten
Pyelonephritis die Niere gut atemverschieblich bleibt.

4.Ergänzende Diagnostik bei unklarer Genese:


Kontrastmittel-CT des Abdomens, Miktionsurethrogramm (Vesikoureteraler Reflux),
Urodynamik (neurogene Harnblase).

Differenzialdiagnosen: akute Cholezystitis, Appendizitis, Sigmadivertikulitis, Adnexitis,


Pankreatitis, Urolithiasis

Pathologie:
Destruktive interstitielle Nephritis: Eitrige Entzündung des Interstitiums mit Destruktion des
Parenchyms, der Nierentubuli und manchmal des Nierenbeckens.

Therapie:
**Die Diagnosestellung einer Pyelonephritis rechtfertigt immer den Einsatz einer
antibiotischen Therapie!
Fluorchinolone (Ciprofloxaxin/Levofloxacin)à 1. Wahl der unkomplizierten Pyelonephritis
Cefotaxim oder Ceftriaxson (unkomplizierte Pyelonephritis mit schwerem Verlauf)
Amoxicillin/Clavulansäure+Gentamicin (komplizierter Infektion)
Darreichungsform: Je nach Schweregrad der Infektion p.o. oder i.v.

**Supportive Therapie mit Flüssigkeitssubstitution (Vollelektrolytlösungen)

**Bei Harnverhalt, Restharn oder Pyurie: Einlage eines transurethralen Dauerkatheters zur
sicheren und prompten Harnableitung

Komplikationen:
Chronifizierung;
---Rezidivierende bakterielle Pyelonephritiden
---Schrumpfniere (Nephrosklerose)
---Terminale Niereninsuffizienz bei beidseitigem Befall, Einzelniere oder anderer Pathologie
der kontralateralen Niere
Urosepsis: Lebensbedrohliche Organdysfunktion infolge einer dysregulierten Immunantwort
auf eine Harnwegsinfektion.

100
HYPERURIKÄMIE UND GICHT
Gicht gehört zu den Kristallarthropathien und ist eine Wohlstandserkrankung. Bei hohen
Harnsäurespiegeln (Hyperurikämie) lagert sich das Salz der Harnsäure in Form von
Uratkristallen insbesondere in den Gelenken ab. Die Wahrscheinlichkeit eines Gichtanfalls
steigt dabei mit der Höhe des Harnsäurespiegels im Blut. Hauptmanifestationsort des sehr
schmerzhaften akuten Gichtanfalls ist das Großzehengrundgelenk (Podagra). Medikamente
der 1. Wahl im akuten Gichtanfall sind NSAR zur Entzündungs- und Schmerzreduktion, im
weiteren Verlauf Allopurinol zur Harnsäuresenkung.

Hyperurikämie: Erhöhter Wert der Serum-Harnsäure ≥6,5 mg/dL (390 μmol/L) gemäß
biochemischer Definition.

Gicht: Klinische Manifestation einer Hyperurikämie mit Ausfällung von Salzen der Harnsäure
(Uratkristalle) an verschiedenen Körperstellen (symptomatische Hyperurikämie)

Epidemiologie: Mit dem Alter zunehmend


Geschlecht: ♂ > ♀

* Insb. prämenopausal sind Frauen aufgrund der höheren Östrogenspiegel deutlich seltener
betroffen. Östrogene fördern die renale Harnsäureausscheidung und schützen somit vor
einer Hyperurikämie.

Ätiologie:
*Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen, das zu 80% über die Nieren ausgeschieden
wird. Purine werden über die Nahrung aufgenommen oder entstehen beim Zerfall
körpereigener Zellen.

1.Primäre Hyperurikämie: ist genetisch determiniert und in ca. 90% der Fälle
ursächlich für eine Hyperurikämie.
----Störung der tubulären Harnsäureausscheidung (ca. 99% der primären Hyperurikämien)
Genetische Disposition
Manifestation bei purinreicher Ernährung, Überernährung und vermehrtem Konsum
von Alkohol und fructosehaltigen Getränken
Oft in Verbindung mit metabolischem Syndrom
---Überproduktion von Harnsäure (ca. 1% der primären Hyperurikämien)
Aufgrund eines Enzymmangels (Lesch-Nyhan-Syndrom)
* Die primäre Hyperurikämie ist eine genetische Erkrankung, die durch Fehlernährung
aggraviert wird!

2.Sekundäre Hyperurikämie: Unter einer sekundären Hyperurikämie versteht man


eine Hyperurikämie, die im Rahmen einer anderen Grunderkrankung auftritt. Sie ist
in ca. 10% der Fälle ursächlich für eine Hyperurikämie.
---Verminderte Harnsäureausscheidung
Medikamente, bspw. ASS, Diuretika, Pyrazinamid
Nierenerkrankungen
Ketoazidose (Fasten, Coma diabeticum) und Lactatazidose

101
---Vermehrte Harnsäurebildung durch Zelluntergang
Rascher Zerfall von Tumorzellen (Tumorlysesyndrom)à vor allem bei Leukämie
Hämolytische Anämie
Systemerkrankungen wie Psoriasis
Chirurgische Eingriffe

Pathophysiologie:
Plötzlicher Anstieg der Harnsäurekonzentration oder Überschreiten der Löslichkeitsgrenze
von Harnsäure → Ausfallen von Uratkristallen → Einwandern von neutrophilen Granulozyten
→ Phagozytose der Uratkristalle und Freisetzung lysosomaler Entzündungsmediatoren und
Anreichern von Lactat → Kristallinduzierte Synovitis und pH-Wert↓ → Löslichkeitsgrenze
von Harnsäure↓ → Uratkristalle fallen vermehrt aus.

Häufige Auslöser für eine symptomatische Hyperurikämie:


Stark purinhaltige Nahrungsmittel (bspw. Fleisch, Innereien, Hülsenfrüchte, Fisch,
Meeresfrüchte)
Alkoholexzess
Fasten
Lokale Unterkühlung

*** Eine Hyperurikämie ist für das Auftreten eines akuten Gichtanfalls nicht obligat. Es
genügt auch ein plötzlicher Anstieg der Harnsäurekonzentration!

Symptome/Klinik:
1.Akuter Gichtanfall (Arthritis urica)
***Klinik: schmerzhafte Monarthritis (oft Ruheschmerz) mit Ergussbildung und lokalen
sowie ggf. systemischen Entzündungszeichen
---Podagra: Entzündung des Großzehengrundgelenks (etwa 60% der Fälle)
---Sprunggelenk und Fußwurzel (15%)
---Gonagra: Entzündung des Knies (10%)
---Chiragra: Entzündung der Hand-und Fingergelenke, insb. des Daumengrundgelenks (5%)
Weitere Lokalisationen: Übrige Zehengelenke, Handgelenk, Ellenbogengelenk
Verlauf:
Typischerweise nachts auftretend
Abklingen nach wenigen Tagen
Im Verlauf rezidivierend mit beschwerdefreien Intervallen

2.Chronische Gicht
Heutzutage seltenes Krankheitsbild, das nur auftritt, wenn keine adäquate Therapie erfolgt.
---Chronische Gichtarthropathie: Wiederkehrende Gichtanfälle und die Ablagerung von
Uratkristallen in Gelenknähe führen zu einer fortschreitenden Gelenkdestruktion
---Gichttophi: Uratablagerungen innerhalb und außerhalb der Gelenke
Weichteiltophus: Uratablagerung in Ohrmuschel, Subkutis, Sehnenscheiden und
Schleimbeuteln (Multiple, schmerzlose, harte, weißlich durchschimmernde Knoten)
Knochentophus: Uratablagerung im Knochen
---Renale Manifestationen: Urat-Nephrolithiasis, Uratnephropathie

102
Diagnostik:
*Die Diagnose eines Gichtanfalls wird in der Regel anhand der Anamnese und Symptomatik
gestellt.
----Gelenkpunktion mit Synovialanalyse
Indikation: Verdacht auf akuten Gichtanfall, insb. bei unklarer Differenzialdiagnose
Befunde: Leukozytose, Nachweis negativ doppelbrechender Natriumuratkristalle in der
Polarisationsmikroskopie
----Bildgebung;Konventionelles Röntgen
Indikation: Gelenkpunktion nicht möglich, weitere Sicherung der Diagnose,ggf. Feststellung
von Gelenkschädigungen bei chronischen bzw. rezidivierenden Formen
Akuter Gichtanfall: Unauffällig
Chronische Gicht: Röntgendichte Weichteilschatten (Uratablagerungen in Weichteilen),
Lochdefekte (Osteolysen) und Tophusstachel
---- Bestimmung der Serumharnsäurespiegel
Bei ⅓ der Patienten im akuten Anfall nicht erhöht
Falls erhöht: Zusätzlicher diagnostischer Hinweis auf Gicht als Ursache der Beschwerden

THERAPIE
Allgemeine Maßnahmen bei Hyperurikämie:
----Normalisierung des Körpergewichts
----Purinarme Kost (<300 mg Purin pro Tag)
----Reduktion des Alkoholkonsums und fructosehaltiger Getränke
----Ausreichend hohe Flüssigkeitszufuhr (mind. 1,5 Liter pro Tag)
----Ggf. medikamentöse Harnsäuresenkung

Therapie des akuten Gichtanfalls:


Medikamentöse Maßnahmen
----Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) oder Prednisolon
----Kombination aus NSAR und Prednisolon in den angegebenen Dosierungen;
Insb. bei schweren Entzündungen (zusätzlich Magenschutz mit PPI)

-----Colchicin: Mitosespindelgift mit Hemmung der Phagozytose von Uratkristallen


Bei Nichtansprechen unter bzw. Kontraindikationen für NSAR und Prednisolon in niedriger
Dosierung
Nebenwirkungen von Colchicin: Schwere Diarrhöen, Nephrotoxizität, Myelosuppression

-----Lokale Kryotherapie: Kälte ist zwar ein Risikofaktor für das Ausfallen von
Harnsäurekristallen und damit für das Auftreten eines Gichtanfalls, in der Akuttherapie
überwiegt jedoch deutlich der Nutzen der Kälteanwendung, die eine Herabsetzung der
nervalen Aktivität (Schmerzhemmung) sowie eine Hemmung der Ödembildung bewirkt.

-----medikamentöse Harnsäuresenkung:
Indikation:
àmind. ein gesicherter Gichtanfall
àchronische Gichtarthritis
àanamnestisch Gichtanfälle + Hyperurikämie
Therapeutisches Ziel: klinische Remission, Serumhernsäure < 6 mg /dL

103
1.Wahl: Urikostatika wie Allopurinol, Febuxostat
2.Wahl: Urikosurika wie. Benzbromaron, Probenecid
*Bei Therapiebeginn medikamentöser Harnsäuresenkung ist die Auslösung eines Gichtanfalls
möglichà Zu Beginn Anfallsprophylaxe mit Colchicin in niedriger Dosierung

**Bei einem akuten Gichtanfall sind NSAR wie Diclofenac, Indometacin, Ibuprofen oder
Naproxen indiziert, nicht jedoch Salicylate (wie ASS), da diese die renale Uratausscheidung
verringern!

*Rasburicase (rekombinante Uratoxidase): bei Prophylaxe einer Hyperurikämie (z.B. bei


Tumorlysesyndrom)

Komplikationen:
----Urat-Nephrolithiasis
----Gichtnephropathie (chronische Uratnephropathie): Chronische interstitielle Nephritis
durch Ablagerungen von Natriumurat-Kristallen im Interstitium
Klinik: Hypertonie, Gefahr der progredienten Niereninsuffizienz
----Akute Uratnephropathie: Akute Verlegung der Nierentubuli und Ureteren durch große
Mengen Harnsäure
Ätiologie: Rasche Erhöhung der Serumharnsäure bzw. rascher Anstieg der renalen
Harnsäureausscheidung bspw. im Rahmen eines Tumorlysesyndroms oder zu Beginn einer
urikosurischen Therapie.
Klinik: Akute Nierenschädigung
----Erhöhtes Risiko für:
Metabolisches Syndrom
Diabetes mellitus
Arterielle Hypertonie
Chronische Niereninsuffizienz
Vermutlich kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität

DD: Pseudogicht, Rheumatoide Arthritis, Reaktive Arthritis, Septische Arthritis

**Chondrokalzinose (Pseudogicht):
Anfallsartige Gelenkentzündung durch Ablagerung von Calciumpyrophosphatkristallen
Ätiologie: Größtenteils idiopathisch im Alter auftretend, mitunter familiäre Genese
Sekundäre Form: Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose
Klinik: Häufig asymptomatisch
----Akut: Pseudogichtanfall mit akuter Mono- oder Polyarthritis
----Chronisch: Gelenkschmerzen ähnlich einer rheumatoiden Arthritis/Arthrose
Hauptmanifestationsort: Knie- und Handgelenk, aber auch Hüfte und Sprunggelenk
Diagnostik:
Röntgen: Verkalkung des Knorpels im betroffenen Gelenk
Polarisationsmikroskopie: Nachweis von CPPD-Kristallen
Therapie: Symptomatisch (NSAR, Glucocorticoide, Colchicin)

104
HYPOTHYREOSE

Epidemiologie:
Geschlechterverhältnis: ♀ > ♂ (4:1)
Prävalenz: Ca. 1% der Bevölkerung
Prävalenz der latenten Hypothyreose: 3–10%, ♀ > ♂
Inzidenz: Mit dem Alter zunehmend, insb. ≥50 Jahre

Ätiologie:
1. Primäre Hypothyreose
Häufigste Ursache: Autoimmune Genese (i.d.R. Hashimoto-Thyreoiditis)
Iatrogen (Radioiodtherapie, Thyreostatika, Amiodaron, Lithium)
Extremer Iod- oder Selenmangel (äußerst selten in Deutschland)
2. Sekundäre Hypothyreose
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz → Mangel an TSH
3. Tertiäre Hypothyreose
Hypothalamische Insuffizienz (TRH-Mangel)

****Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Ursache für eine Hypothyreose!

Pathophysiologie:
1. Primäre Hypothyreose: Periphere Störung (Bildungsstörung oder Sekretionsstörung)
→ T3/T4↓ (fehlende Bildung) → TSH↑ (kompensatorischer Anstieg)
2. Sekundäre Hypothyreose: Hypophysäre Störung → TSH↓ → T3/T4↓
3. Tertiäre Hypothyreose: Hypothalamische Störung → TRH↓ → TSH↓ → T3/T4↓

105
Symptome/Klinik:
*Die Symptomatik der Hypothyreose ist relativ unspezifisch und entwickelt sich i.d.R.
schleichend.
-----Allgemeinsymptome:
Gesteigerte Ermüdbarkeit, schnelle Erschöpfung, Verlangsamung
Antriebsarmut, Teilnahmslosigkeit, Depressivität
Kälteintoleranz (Grundumsatz↓ → Wärmeproduktion↓)
Gewichtszunahme
Obstipation
-----Haut, Haar und Gesicht:
Kühle, trockene Haut
Brüchiges, trockenes Haar, Haarausfall
Hypohidrose
----Kardiologisch: Bradykardie, ggf. Herzinsuffizienz
----Neurologisch: Neuromuskuläre Erregbarkeit↓
Hyporeflexie und verlangsamte Erholung der Reflexe
(Gut zu prüfen anhand des Achillessehnenreflexes!)
----Gynäkologisch: Sekundäre Amenorrhö bzw. Zyklusanomalien
(TRH führt zur Freisetzung von Prolaktin)
----Generalisiertes Myxödem
Auftreten: Bei schwerer Hypothyreose
Pathogenese: Einlagerung von Glykosaminoglykanen in Haut, Subkutis und Muskulatur
Symptomatik: Teigige Schwellung der Haut (nicht eindrückbar) und Schleimhäute
Hauptmanifestationsorte: Initial häufig prätibial, Augenlider, Lippen, Zunge, Hände und Füße
Ggf. Beteiligung der Stimmbänder: Heiserkeit durch ödematös verdickte Stimmbänder bzw.
raue Stimme, langsame und mühsame Sprache
Ggf. kardiale Beteiligung: Myxödemherz mit Kardiomegalie, Bradykardie, Herzinsuffizienz

Diagnostik:
----Schilddrüsendiagnostik:
TSH, fT4, (fT3)
Schilddrüsenantikörper bei latenter Hypothyreose (TPO-AK, Tg-AK)

*fT3 ist für den Nachweis einer Hypothyreose nicht besonders aussagekräftig. Durch eine
verstärkte Konversion von fT4 zu fT3 kann fT3 trotz Hypothyreose normwertig sein.
* Ein normaler TSH-Spiegel schließt eine Hypo- oder Hyperthyreose mit hoher
Wahrscheinlichkeit aus und ist damit der entscheidende diagnostische Parameter!

Manifeste Hypothyreose:
àPrimäre Hypothyreose: TSH↑, fT4 ↓
àSekundäre/ tertiäre Hypothyreose: TSH↓, fT4↓

Latente Hypothyreose: TSH↑, fT3 und fT4 normal


*Durch eine stärkere TSH-Produktion bei latenter Hypothyreose „peitscht“ die Hypophyse
noch ausreichend Hormone aus dem verbliebenen Schilddrüsengewebe.

*TSH-Referenzbereich: 0.4-4.0 mU/L (altersunabhängig)

106
----begleitende Stoffwechseldiagnostik: Blutzucker, Elektrolyte; Lipidparameter
----Schilddrüsen-Sonografie
----ggf. Schilddrüsenszintigrafie

Differenzialdiagnosen:
Low-T3-Syndrom (Euthyroid-Sick-Syndrom): Nicht-schilddrüsenbedingte Störung der
Schilddrüsenhormonkonzentration, i.d.R. mit vermindertem fT3 bei normalem (oder seltener
erniedrigtem) TSH einhergehend.
TSH normal/↓, fT3↓,
fT4 kann normal oder bei langem Krankheitsverlauf erniedrigt sein.
Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, keine Substitution von Schilddrüsenhormonen
erforderlich.

Therapie einer Hypothyreose:


Manifeste Hypothyreose: Generelle Indikation zur L-Thyroxin-Substitution (z.T. lebenslang)
Latente Hypothyreose: Indikationsstellung abhängig von TSH-Wert, Alter und Symptomatik
TSH >= 20 à Therapieindikation
TSH 10-20 und <75 Jahre à i.d.R. Therapieindikation

Myxödemkoma:
*Diese extrem seltene Dekompensation des bestehenden Schilddrüsenhormonmangels kann
u.a. durch Infekte, Operationen und Traumen ausgelöst werden.
Vigilanzminderung bis Koma
Hypothermie
Hypoventilation mit Hyperkapnie
Hypotonie und Bradykardie
Hypovolämie, Elektrolytstörungen
Hyporeflexie
Myxödem (muss nicht vorliegen!)
Schocksymptomatik
Therapie: Intensivmedizinische supportive Behandlung mit balancierter Zufuhr von
Flüssigkeit, Elektrolyten und ggf. Ernährungstherapie
---L-Thyroxin i.v.
---Glucocorticoide
---Langsame Erwärmung

107
HYPERTHYREOSE

Ätiologie:
----Morbus Basedow (Graves`disease) :TSH-Rezeptor-Autoantikörper (TRAK) wirken
stimulierend auf die Schilddrüsenhormonproduktion und führen zur Hyperthyreose.
Geschlecht:♀ > ♂ (5:1)
Alter: ⅔ der Fälle nach dem 35. Lebensjahr

----Hyperthyreose infolge einer funktionellen Schilddrüsenautonomie: Mit zunehmendem


Alter steigt die Inzidenz

Seltenere Ursachen;
----Iatrogen
Hyperthyreosis factitia durch exogene Zufuhr von Schilddrüsenhormonen bzw. Iod
(insb. iodhaltige Röntgenkontrastmittel)
Einnahme von Amiodaron
----Entzündlich
Passager bei subakuter Thyreoiditis de Quervain
Passager bei Hashimoto-Thyreoiditis (sog. Hashitoxikose)
----Neoplasie
Schilddrüsenkarzinome
Gesteigerte TSH-Produktion bei Hypophysenadenom
Paraneoplastische TSH-Produktion

108
Symptome/Klinik:
----Schilddrüse: Struma
----Vegetativ:
(Indirekte sympathomimetische Wirkung durch gesteigerte Sensibilität auf Katecholamine)
Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Angina pectoris, arterieller Hypertonus,
Wärmeintoleranz, Hyperreflexie, Tremor und Schwitzen
Diffuser Haarausfall
----Neuropsychiatrisch:
Psychomotorische Unruhe und Reizbarkeit, aber auch Apathie
Schlafstörungen und rasche Ermüdbarkeit
----Gastrointestinal: Evtl. erhöhte Stuhlfrequenz/Diarrhö, aber nicht zwingend
----Metabolisch:
Heißhunger, Gewichtsabnahme (meist trotz gesteigerter Kalorienaufnahme)
----Muskuloskelettal: Myopathie oder Osteopathie, es kann zur Adynamie in Kombination
mit Schmerzen in den Beinen (vorwiegend Oberschenkel) kommen

***Spezielle Symptome bei Morbus Basedow: Merseburger Trias ***


1.Struma
2.Tachykardie
3.Exophthalmus (endokrine Orbitopathie in etwa 60% der Fälle)
*Frühzeichen: Schwellung der lateralen Augenbrauen, Fremdkörpergefühl
* Liegt neben allgemeinen Symptomen der Hyperthyreose auch eine endokrine
Orbitopathie vor, so ist dies nahezu pathognomonisch für einen Morbus Basedow.

Diagnostik:

----Schilddrüsendiagnostik (TSH, fT3, fT4) und Schilddrüsenantikörper

* Bei Verdacht auf Hyperthyreose müssen immer auch T3 und T4 bestimmt werden, da es
auch isolierte T3-Erhöhungen gibt!

Manifeste Hyperthyreose: TSH basal↓, fT3↑ und/oder fT4↑


Latente Hyperthyreose: TSH basal↓, fT3 und fT4 normal (Insb. vor Einnahme iodhaltiger
Medikamente bzw. Kontrastmittel zu beachten!)

Schilddrüsen-Antikörper bei Morbus Basedow:


TSH-Rezeptor-Autoantikörper (TRAK) in >90% der Fälle nachweisbar
Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO-AK) in etwa 70% der Fälle nachweisbar
Thyreoglobulin-Antikörper (Tg-AK) in etwa 20% der Fälle nachweisbar

----Dopplersonografie
Typische Befunde: vergrößerte Schilddrüse, vermehrte Vaskularisation

----Schilddrüsenszintigrafie: Technetium-Uptake erhöht

109
Differenzialdiagnosen: Drogenabusus (Kokain, Amphetamine), unbehandelter Diabetes
mellitus, Phäochromozytom.

Therapie:
Allgemeine Therapieprinzipen:
----Thyreostatika-Therapie: Bei allen Formen der Hyperthyreose zur Einstellung einer
euthyreoten Stoffwechsellage
----Symptomatische Therapie: Symptomatische und supportive Behandlung von Symptomen
der Hyperthyreose
----Unselektive Betablocker, z.B. Propranolol (Hemmung der Konversion von T4 zu T3)
----Kausale Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, bspw. Absetzen auslösender
Medikamente
----Operative bzw. interventionelle Verfahren: Die Indikationsstellung richtet sich nach der
Grunderkrankung
Radioiodtherapie: Totale oder subtotale Ablation des Schilddrüsengewebes nach
Applikation von radioaktivem Iod
Schilddrüsenchirurgie: Resektion der Schilddrüse

Therapie bei Morbus Basedow:


-----Thyreostatische Therapie über 12–18 Monate,
1.Wahl: Thionamiden (Thiamazol, Carbimazol= Hemmung der Thyreoperoxidase)
2.Wahl: Propylthiouracil: Bei Unverträglichkeit gegenüber Mitteln der 1. Wahl und bei
Hyperthyreose in der Schwangerschaft
Initialdosis der Thyreostatika je nach klinischem Bild
Remission unter der Therapie in 50% der Fälle
Dosisreduktion bei Erreichen der Euthyreose, sonst Verschlimmerung der endokrinen
Orbitopathie!

Verlaufskontrolle: Kontrolle der TRAK-Spiegel nach 6 Monaten:


Bei Werten >10 IU/L → Remission unwahrscheinlich, Operation bzw. Radioiodtherapie
indiziert

-----Bei Rezidiv/persistierender Erkrankung: OP oder Radioiodtherapie


Operation (Schilddrüsenchirurgie): Eine totale Thyreoidektomie ist der subtotalen
Thyreoidektomie bzgl. der Hyperthyreose-Kontrolle überlegen.
Radioiodtherapie: Ablatives Konzept; bei Morbus Basedow mit hohem Behandlungserfolg,
jedoch hohe Hypothyreoserate mit lebenslanger Levothyroxin-Substitution.

110
Thyreotoxische Krise:

Definition: Akute lebensbedrohliche Exazerbation einer Hyperthyreose


Ätiologie: Für eine thyreotoxische Krise besonders gefährdet sind Patienten mit nicht oder
nur unzureichend behandelter Hyperthyreose.
Die thyreotoxische Krise kann spontan auftreten oder durch folgende Faktoren ausgelöst
werden:
----Schwere Erkrankungen (Infektionen, kardiale Notfälle)
----Iodexposition (i.v. KM)
----Absetzen thyreostatischer Medikamente
----Schilddrüsen-OP in hyperthyreotem Zustand

Klinik der Thyreotoxische Krise:


*Stadium I:
Tachykardie, oft absolute Arrhythmie (VHF)
Fieber, Erbrechen, Durchfälle → Exsikkose
Adynamie, Muskelschwäche
Tremor, Agitation
*Stadium II:
Symptome aus Stadium I sowie Bewusstseinsstörungen (Somnolenz, Stupor),
Desorientiertheit und psychotische Zustände
*Stadium III:
Symptome aus Stadium I + II sowie Koma und Kreislaufversagen mit
Nebennierenrindeninsuffizienz

Therapie der Thyreotoxische Krise


1.Symptomatische Therapie:
Intensivstationäre Überwachung
Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution, parenterale bzw. enterale Ernährung
Betablocker → Senkung des Tremors und der Agitation (Propranolol oder kardioselektive
Betablocker wie z.B. Bisoprolol, Metoprolol)
Glucocorticoide, bspw. Prednisolon (wegen relativer Nebennierenrindeninsuffizienz und
Hemmung der Konversion von T4 zu T3)
Fiebersenkende Medikamente, z.B. Ibuprofen oder Paracetamol
Thromboseprophylaxe
2.Kausale Therapie:
Thyreostatische Therapie
----Thiamazol hochdosiert (Hemmung der Schilddrüsenhormon-Synthese)
----Natrium-Perchlorat (Hemmung der Iodidaufnahme in die Schilddrüse)
Bei bedrohlicher thyreotoxischer Krise: Plasmapherese oder Notfall-Thyreoidektomie

**MR-Untersuchungen sind bei Hyperthyreose-Patienten unproblematisch, da als


Kontrastmittel nicht Iod, sondern Gadolinium eingesetzt wird!

111
112
AKUTE LEUKÄMIEN
*Akute Leukämien umfassen maligne Neoplasien der lymphatischen und myeloischen
Zellreihe, bei denen es zur übermäßigen Proliferation unreifer, nicht funktionstüchtiger
Blasten im Knochenmark kommt, ggf. mit Freisetzung ins Blut.
*Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste maligne Tumorerkrankung im
Kindesalter, die akute myeloische Leukämie (AML) betrifft v.a. Erwachsene. Beide sind u.a.
mit Trisomie 21 und der exogenen Schädigung des Knochenmarks assoziiert, z.B. durch
Strahlen, Benzol oder Chemotherapie. Klinisch führt die Verdrängung der physiologischen
Leukopoese, Erythropoese und Thrombopoese zu Infektneigung, Anämie und
Gerinnungsstörungen. Leukämien können mit erhöhten, erniedrigten oder normalen
Leukozytenzahlen im Blut einhergehen, daher ist der Nachweis von Blasten im Knochenmark
mitunter entscheidend für die Diagnosestellung.
*Die Chemotherapieschemata bei akuten Leukämien beinhalten grundsätzlich
Hochdosiszyklen zur massiven Reduktion der Tumorzellzahl sowie anschließende
Niedrigdosiszyklen zur Erhaltungstherapie. Je nach Risikoprofil wird ggf. eine
Stammzelltransplantation durchgeführt. Abhängig von zyto- bzw. molekulargenetischen
Befunden können zusätzlich auch monoklonale Antikörper oder Proteinkinaseinhibitoren
zum Einsatz kommen.

Epidemiologie:
Akute lymphatische Leukämie:
Inzidenz: Gesamtinzidenz 1/100.000 pro Jahr
Häufigkeitsgipfel im Kindesalter (ca. 5/100.000 bei <5-Jährigen) und im hohen
Erwachsenenalter (ca. 2/100.000 bei >80-Jährigen)
Medianes Erkrankungsalter: Ca. 5 Jahre
Häufigste maligne Tumorerkrankung des Kindesalters
Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (1,4:1)

Akute myeloische Leukämie:


Inzidenz: Gesamtinzidenz ca. 4/100.000 pro Jahr
Häufigkeitsgipfel im höheren Erwachsenenalter (>100/100.000 bei >70-Jährigen)
Medianes Erkrankungsalter: Ca. 70 Jahre

Ätiologie:
----Exogene Faktoren
àUmweltfaktoren: Myelotoxische Chemikalien (Benzol, Chloramphenicol), Ionisierende
(Radioaktive) Strahlung
Weitere: Rauchen, Mineralölprodukte, Farben, Ethylenoxiden, Herbizide, Pestizide, Viren
àIatrogene Faktoren: Zytostatika, Inhibitoren, Strahlentherapie, Radioiodtherapie

----Endogene Faktoren
àGenetische Faktoren: Trisomie 21, weitere Chromosomenaberrationen (z.B. Translokation
t(15;17) bei der akuten Promyelozytenleukämie), angeborene Störung der DNA-
Reparaturmechanismen (z.B. Ataxia teleangiectatica)
àHämatologische Erkrankungen: Myelodysplastische Erkrankungen, Primäre Myelofibrose,
Chronische myeloische Leukämie

113
Klassifikation der ALL: (anhand immunologischer Charakteristika):
----B-Linien-ALL (bei 75% der Erwachsenen mit ALL)
àVorläufer-B-ALL (Pro-B-ALL, Common-B-ALL und Prä-B-ALL)
àReifzellige B-ALL

----T-Linien-ALL (bei 25% der Erwachsenen mit ALL)


àFrühe T-ALL
àThymische (bzw. intermediäre) T-ALL
àReife T-ALL

FAB-Klassifikation der AML:


M0: AML mit minimaler Differenzierung
M1: AML ohne Ausreifung
M2: AML mit Ausreifung
M3: Akute Promyelozytenleukämie
M4: Akute myelomonozytäre Leukämie
M5: Akute monozytäre Leukämie
M6: Akute Erythroleukämie
M7: Akute Megakaryoblastenleukämie

Pathophysiologie:
----Allgemein: Genetische Aberration (bzw. Akkumulation mehrerer Aberrationen) →
Unkontrollierte Proliferation eines malignen Klons (ausgehend von einer lymphatischen Zelle
(ALL), oder myeloischen Zelle (AML)) → Verdrängung der normalen Hämatopoese
(Zytopenien) und ggf. Befall von Organen.

114
Symptome/Klinik: *****

---B-Symptomatik (Unspezifische Begleitsymptomatik bestehend aus mind. einem der


drei Symptome Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust.)

----Symptome der gestörten Hämatopoese *****


àLeukozytopenie: Infektanfälligkeit, Fieber, grippeähnliche Symptome
*Es besteht ein Mangel an immunkompetenten(!) Leukozyten, speziell Granulozyten.)
Die labortechnisch gemessene Leukozytenzahl kann dabei normal, erhöht oder erniedrigt
sein. „Nur“ in ca. 60% der Fälle sind Leukozyten zum Zeitpunkt der Erstdiagnose erhöht.
àAnämie: Schwäche,Müdigkeit, Blässe, Belastungsdyspnoe, Schwindel, Tachykardie
àThrombozytopenie: Petechiale Spontanblutungen, Hämatome, Nasenbluten,
Zahnfleischbluten, Menorrhagien

----Ggf. Symptome leukämischer Organinfiltrationen


--Meningeosis leucaemica (v.a. bei ALL): Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie,
Nackensteifigkeit, Nervenausfälle (insb. Hirnnerven), Querschnittsymptome
--Splenomegalie, Hepatomegalie (Die starke Vermehrung der Blasten im
Knochenmark führt zur Verdrängung der normalen Hämatopoese und zu extramedullärer
Blutbildung insb. in der Milz oder auch in der Leber): Viszerale Schmerzen
--Hodenschwellung
--Hautinfiltrate
--Exophthalmus, Visuseinschränkung, Sicca-Syndrom (Infiltration der Tränendrüsen,
okulärer und retrobulbärer Strukturen)

----Ggf. Komplikationen der akuten Leukämien:


--Leukostasesyndrom: beschreibt eine Adhäsion von Leukozyten an der Gefäßwand;
beim Leukostasesyndrom drohen neurologische Komplikationen und zerebrale Blutungen.
--Tumorlyse-Syndrom:
Schwere Elektrolytstörungen und akutes Nierenversagen unter neoplastischer (zumeist
Chemo-)Therapie. Ursache ist der rasche Zerfall von Tumorzellen und die vermehrte
Freisetzung von Zellinhalten

----Spezifische Symptome bei ALL:


Häufig Meningeosis leucaemica
Ggf. Knochenschmerzen durch Knocheninfiltration: Arthralgie, Ödem, Rubor, Functio laesa
Ggf. indolente Lymphknotenschwellung (Lymphadenopathie)
Ggf. Stridor und Atemnot durch Thymusinfiltration (sog. Mediastinaltumor, insb. bei T-ALL)

----Spezifische Symptome bei AML in Abhängigkeit vom Subtyp:


--Akute Promyelozytenleukämie (APL): Ggf. DIC und Hyperfibrinolyse mit bedrohlichen
Blutungen in Gehirn, Gastrointestinaltrakt, Lunge, Haut und Schleimhäuten
--Akute myelomonozytäre Leukämie: Häufiger Organinfiltrationen wie bspw.
Gingivahyperplasie und Meningeosis leucaemica
--Akute Megakaryoblastenleukämie: Häufiger Knochenmarkfibrose mit Panzytopenie

115
Diagnostik:
----Differenzialblutbild (Leukozytose, normale Leukozytenzahl oder Leukopenie,
Thrombozytopenie, Anämie) ****
----Durchflusszytometrie: zur Immunphänotypisierung
----Gerinnungsdiagnostik (Quick, PTT, Fibrinogen, D-Dimere)
----erhöhter Zellzerfall: LDH, Harnsäure
----Leberwerte: Transaminasen, gamma-GT, AP, Bilirubin, INR
----Nierenwerte: Kreatinin, Harnstoff (Wichtig zur Therapieplanung)
----Elektrolyte
----Blutausstrich: Nachweis unreifer Zellen (Blasten) ****

** Die Leukozytenzahlen sind kein sicheres Diagnosekriterium! Wegweisender Befund sind


unreife Zellen (Blasten) im Blutausstrich!

----Knochenmarksuntersuchung *****
**Die Diagnose einer akuten Leukämie wird durch die Knochenmarkzytologie und -histologie
gesichert (Aspirat, ggf. Stanzbiopsie). Die Diagnose sollte möglichst referenzpathologisch
bestätigt werden.
àMorphologie, Zytologie und Zytochemie: Hyperzelluläres Knochenmark, monomorphes
Zellbild mit überwiegend Blasten
ALL: >25% Blasten
AML: >20% Blasten
àImmunphänotypisierung: Zum Nachweis spezieller Oberflächenproteine (Unterschied
zwischen B und T Lymphozyten)
àZytogenetik bzw. FISH: Nachweis von Chromosomenaberrationen
àMolekulargenetik: Nachweis von Mutationen oder Genumlagerungen

----Liquordiagnostik: Standartdiagnostik bei ALL, V.a. ZNS-Befall bei AML


----Röntgen-Thorax
----Sonografie-Abdomen
---- Serologie HBV, HCV und HIV
----EKG, Echokardiografie und Lungenfunktion
----ggf. CMV vor geplanter Stammzelltransplantation

Therapie: Systemische Chemotherapie, Stammzelltransplantation: i.d.R. allogen

Komplikationen: Tumorlyse-Syndrom, Leukostasesyndrom.

116
CHRONISCHE MYELOISCHE LEUKÄMIE
Alter: meist >60 J
Ätiologie: BCR-ABL-Genfusion (Philadelphia-Translokation bei >95% der Erkrankten positiv!)
(Assoziiert mit ionisierender Strahlung, Benzolexposition)

Symptom:
1.chronische Phase:
Die chronische Phase dauert bis zu zehn Jahre und ist klinisch meist inapparent. Häufig wird
die Diagnose als Zufallsbefund nach einer Blutentnahme gestellt.
---Hochgradige Splenomegalie (extramedulläre Blutbildung): Li. Oberbauchbeschwerden
---Chronische Müdigkeit
---B-Symptomatik
---Eher keine Lymphknotenschwellung
---Ggf. Leukostasesyndrom
----Eher keine Infektanfälligkeit (Da die Granulozyten ausreifen und funktionstüchtig sind!)
2.Akzelerationsphase: Progress der CML
Erhöhter Blastenanteil, Verdrängung anderer Zellreihen im Knochenmark und Myelofibrose
--Anämie: Müdigkeit, Schwäche, Blässe
--Thrombozytopenie: Petechiale Spontanblutungen
--extreme Leukozytose: Infektneigung, Leukostasesyndrom (Bildung leukämischer
Thromben; Milzinfarkt, MI, Zentralvenenverschluss der Retina, Leukämischer Priapismus)
3.Blastenkrise: Endstadium der CML (Blastenanteil >20% im peripheren Blut)
Stark reduzierter Allgemeinzustand mit Symptomen wie bei einer AML oder ALL

Diagnostik: Diff-BB (ausgeprägte Leukozytose; bis zu 500.000 /uL!!!), Blutausstrich,


Knochenmarksuntersuchung, Zytogenetik
Therapie: Tyrosinkinaseinhibitoren, Chemotherapie, allogene Stammzelltransplantation

CHRONISCHE LYMPHATISCHE LEUKÄMIE


*Niedrig-malignes B-Zell-Lymphom mit lymphozytärer Leukozytose im Blutbild
Alter: Median 70-72 J (Die CLL ist eine Erkrankung des hohen Lebensalters!)
Häufigste Leukämieform *
*Die CLL verläuft meist über einen langen Zeitraum asymptomatisch und wird erst spät
oder nur zufällig diagnostiziert.
Mögliche Symptome:
---B-Symptomatik, Indolente LAP, Spleno- und/oder Hepatomegalie
---Dermatologische Symptome: chronischer Pruritus, chronische Urtikaria
---Einschränkung der Immunabwehr: Häufigste Todesursache!
àB-Zelldefekt mit Antikörpermangelsyndrom, Granulozytopenie,
àschwere bakterielle Infektionen (z.B. Erysipel mit nekrotisierendem Verlauf),
Mykosen, virale Infektionen (Herpes zoster)
---Mikulicz-Syndrom: Paraneoplastische, schmerzlose Schwellung der Tränen- und
Ohrspeicheldrüse

Diagnostik: Diff-BB (Leukozytose mit absoluter Lymphozytose), Blutausstrich,


Knochenmarksuntersuchung, Lymphknotenbiopsie (zur differenzialdiagnostischen
Abgrenzung vom Morbus Hodgkin)
Therapie: Chemotherapie, allogene Stammzelltransplantation, Tyrosinkinaseinhibitoren.

117
HODGKIN-LYMPHOM
*Das Hodgkin-Lymphom (früher: Morbus Hodgkin) ist ein B-Zell-Lymphom, das häufig junge
Erwachsene betrifft. Typisch für die Erkrankung sind indolente Lymphknotenpakete, die
meist zervikal auftreten. Das Vorhandensein einer B-Symptomatik kann auch bei der
Therapiewahl eine wichtige Rolle spielen. Die Diagnose wird anhand einer positiven
Histologie nach Entnahme eines kompletten Lymphknotens gesichert, wobei auch der
histologische Subtyp bestimmt wird. Im Präparat sind meist mehrkernige Reed-Sternberg-
Zellen und einkernige Hodgkin-Zellen nachweisbar.

Epidemiologie:
Geschlecht: ♂ > ♀ (3:2)
Alter: 2 Häufigkeitsgipfel; 20.–30. Lebensjahr und >55. Lebensjahr

Assoziierte Faktoren:
*Die genauen Ursachen sind unbekannt. Es werden jedoch einige Faktoren mit der
Entstehung des Hodgkin-Lymphoms in Verbindung gebracht:
---Virusinfektion mit EBV
---Immundefizienz durch z.B. HIV

Symptome/Klinik: ****

-----B-Symptomatik: Bei Vorhandensein von ≥1 der Symptome


*Die Symptomatik sollte nicht anderweitig erklärbar sein, als durch die Erkrankung selbst.
àFieber: Wird dann als B-Symptomatik gewertet, wenn es nicht anderweitig als durch die
Erkrankung erklärbar ist.
àNachtschweiß: Übermäßiges Schwitzen in der Nacht, wodurch ein Wechsel der
Nachtwäsche (Bekleidung) notwendig wird.
àGewichtsverlust: Ungewollter Gewichtsverlust >10% des Körpergewichts in den letzten 6
Monaten.

----- Lymphknotenschwellung
Persistenz: >4 Wochen
Palpationsbefund: Derb, gummiartig, indolent
Lymphknotenpakete (Konglomeratbildung): Lokale Vermehrung und Verschmelzung
Häufigste Manifestationsorte: Zervikal (70%), Mediastinal (60%)

-----Pruritus
-----Abgeschlagenheit

----- Seltene, aber Hodgkin-charakteristische Symptome:


àPel-Ebstein-Fieber: Abwechselnd Fieberintervalle (3–7 Tage) und fieberfreie Intervalle
àAlkoholschmerz: Schmerzen in den befallenen Lymphknoten nach Alkoholkonsum

118
Ann-Arbor-Klassifikation ****
Stadium I: Lokaler Befall
IN: Eine lokale Lymphknotenregion
IE: Ein lokalisierter extranodaler Herd (bspw. Lunge)

Stadium II: Eine Seite des Zwerchfells befallen (oberhalb ODER unterhalb des Zwerchfells)
IIN: >= 2 Lymphknotenregionen
IIE: Ein lokalisierter extranodaler Herd und Lymphknotenbefall

Stadium III:Beide Seiten des Zwerchfells befallen(oberhalb UND unterhalb des Zwerchfells)
IIIN: >= 2 Lymphknotenregionen
IIIE: Ein lokalisierter extranodaler Herd und Lymphknotenbefall

Stadium IV: Disseminiert


Disseminierter Befall mind. eines extralymphatischen Organs (unabhängig von LAP)
Befall der Leber und/oder des Knochenmarks

*** Die Milz ist ein lymphatisches Organ, weshalb ihr Befall nicht als extranodal, sondern
als nodal gewertet wird!

N = Nodaler Befall (lymphatisches System) E = Extranodaler Befall


A = Ohne B-Symptomatik. B = Mit B-Symptomatik

***Zum lymphatischen System werden Lymphknoten, Milz, Thymus, Waldeyer-


Rachenring, Blinddarm und Peyer-Plaques gezählt.

***Lymphknotenregionen:

*** Bestandteile des Waldeyer-Rachenrings:


Tonsilla pharyngealis (Rachenmandel)
Tonsilla tubaria (Tubenmandel)
Tonsilla palatina (Gaumenmandel)
Tonsilla lingualis (Zungenmandel)
119
Diagnostik:
1. Histologische Diagnosesicherung
----Lymphknotenextirpation: Vollständige chirurgische Lymphknotenentfernung, keine
Feinnadelaspiration. (Eine Lymphknotenzytologie nach Feinnadelaspiration reicht i.d.R.
nicht aus, um ein Lymphom ausschließen bzw. die Diagnose sichern zu können, da die
Tumorzellen im Infiltrat in zu geringer Anzahl vorkommen.)
2. Staginguntersuchung
----Anamnese: B-Symptomatik, Begleiterkrankungen
----Körperliche Untersuchung: indolente LAP, Hepatosplenomegalie
----Blutuntersuchung:
Blutbild: Häufig absolute Lymphozytopenie (<1000/uL) und Eosinophilie
Häufig erhöhte BSG, LDH
----Bildgebung:
àRöntgen-Thorax in 2 Ebenen: Beurteilung von Lunge, Herz und eines etwaigen großen
Mediastinaltumors
àPET-CT: Zum initialen Staging und zur Therapieplanung bzw. Bestrahlungsplanung nach
Chemotherapie
àCT mit Kontrastmittel: Hals, Thorax, Abdomen
Befund: Häufig im vorderen Mediastinum lokalisiertes, homogenes, muskelisodenses
Lymphknotenkonglomerat, sehr selten Nekrosen
àMRT (bei Kontrastmittelallergie oder -unverträglichkeit)
àAbdomensonografie
àKnochenmarkpunktion: Bei fehlendem oder positivem PET-CT-Befund

*Bei einem negativen Knochenmarkbefund im PET-CT (negativ-prädiktiver Wert: 99%) kann


auf eine Punktion verzichtet werden. Bei positivem PET-CT-Befund kann die Läsion zur
Sicherung punktiert werden.

Histologische Klassifikation:
1. klassisches HL (95%)
einkernige Hodgkin-Zellen: maligne monoklonale B-Lymphozyten
mehrkernige Reed-Sternberg-Zellen: Entstehung durch Fusion mehrerer Hodgkin-Zellen
àSubtypen:
Noduläre Sklerose (65%, häufigste Form)
Mischtyp
Lymphozytenreiche Form
Lymphozytenarme Form

2. nodulär Lymphozyten-prädominantes HL (5%): Noduläres lymphozytenreiches


Infiltrat, LP-Zellen

120
***Differenzialdiagnose Lymphknotenschwellung:
---Infektiös: meist weiche Konsistenz, druckdolent und verschieblich gegenüber dem
umliegenden Gewebe
Genese: CMV, EBV, HIV, Listeriose, Leptospirose, Bartonellose (Katzenkratzenkrankheit),
Tuberkulose

**Bei der Tuberkulose zeigen die Lymphknoten hingegen eine eher derbe Konsistenz und
sind meist nicht druckschmerzhaft.

---Nicht infektiös: meist derbe Konsistenz, indolent und nicht verschieblich (bei Infiltration
des umliegenden Gewebes durch ein Malignom)
Genese: HL, NHL, Metastasen, Sarkoidose

Standarttherapie des Hodgkin-Lymphoms:


Die Therapie basiert meist auf einer Kombination aus systemischer Chemotherapie und
lokaler Bestrahlungstherapie.

*Der Therapieansatz ist unabhängig vom Stadium kurativ!

*Nach kombinierter Radio-Chemotherapie steigt das Risiko für Zweitneoplasien (z.B.


AML/MDS, NHL, Mamma- oder Schilddrüsenkarzinom)!

NON-HODGKIN-LYMPHOME
Bei den Non-Hodgkin-Lymphomen handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe
maligner Erkrankungen, die von den Zellen des lymphatischen Systems (B- und T-Zellen)
ausgeht.

Ätiologie:
Zahlreiche Faktoren sind bekannt, die das Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen
begünstigen;
----Infektionen
HIV → Aggressive B-Zell-Lymphome (z.B. primäres ZNS-Lymphom, Burkitt-Lymphom)
EBV → Burkitt-Lymphom (HIV-assoziiert und endemisch)
Helicobacter pylori → MALT-Lymphom
HTL-Viren → Endemisches (Japan, Karibik) adultes T-Zell Lymphom (=ATLL)
----Zellschädigung
Toxische Substanzen: Aromatische Kohlenwasserstoffe (z.B. Benzol)
Immunsuppressive und zytostatische Therapie in der Anamnese
Radiatiotherapie

121
Klassifikation: Es gibt zwei Kriterien, nach Non-Hodgkin-Lymphome eingeteilt werden:
Zelltyp und Malignität.

B-Zell-Lymphome T-Zell-Lymphome
Niedrigmaligne:
Chronische lymphatische Leukämie Mycosis fungoides
Haarzellleukämie
Morbus Waldenström (Immunozytom) T-Zonen-Lymphom
Multiples Myelom
Follikuläres Lymphom NK-Zell-Leukämie
Extranodales MALT-Lymphom Angioimmunoblastisches T-
Zell-Lymphom
Weitere: Zentrozytisches (Mantelzelllymphom), Pleomorph-kleinzellig

Hochmaligne (aggressiv)
Anaplastisch, lymphoblastisch, Anaplastisch, lymphoblastisch, immunoblastisch
immunoblastisch
Burkitt-Lymphom
Diffus-großzelliges B-Zell-Lymphom

Allgemeine Symptome/Klinik:
B-Symptomatik
Lymphknoten: Persistierende oder in der Größe zunehmende, schmerzlose Lymphknoten
Splenomegalie
Verdrängung des Knochenmarks: Anämie, Blutungen, Infekte

Diagnostik:
---Anamnese und körperliche Untersuchung: B-Symptomatik vergrößerte Lymphknoten
----Histologie:
Lymphknotenexstirpation
Biopsien aus anderen verdächtigen Geweben, z.B. Magen, Haut, etc.
Knochenmarkbiopsie (Beckenkamm): Histologie und Zytologie
----Blutuntersuchung: BB, Entzündungszeichen,
Immunhistochemie (B-Zell-Lymphome: CD20+, T-Zell-Lymphome: CD3+)
----Bildgebung
Thorax-Röntgen, CT-Untersuchung
Sonografie des Abdomens
Ggf. PET-CT

*** Beim Hodgkin-Lymphom lassen sich in befallenen Lymphknoten und Organen


sogenannte Reed-Sternberg-Riesenzellen nachweisen. Alle bösartigen
(malignen) Lymphome, die diese Zellen nicht aufweisen, werden als Non-Hodgkin-
Lymphomebezeichnet. Eine Unterscheidung zwischen Hodgkin und Non-Hodgkin-
Lymphome ist nur durch eine Gewebeuntersuchung möglich.

Therapie: Chemotherapie und Strahlentherapie je nach dem Lymphom-Typ.

122
BASALZELLKARZINOM

Das Basalzellkarzinom (BCC; veraltet: Basaliom) ist das häufigste Malignom in Mitteleuropa
und betrifft v.a. hellhäutige Menschen höheren Lebensalters. Neben der UV-Exposition als
Hauptrisikofaktor erhöhen u.a. chemische Noxen sowie genetische Erkrankungen (bspw.
Basalzellkarzinomsyndrom) das Erkrankungsrisiko. Klinisch zeigt sich eine Plaque oder ein
Nodus (in der gleichen Farbe wie die umgebende Haut oder erythematös) mit klassischem
perlschnurartigen Randsaum und Teleangiektasien, das Erscheinungsbild ist allerdings sehr
variabel. Der Tumor kann im Verlauf durch lokal destruierende Ulzeration funktionell
wichtige Strukturen zerstören (z.B. Knochen, Blutgefäße oder Auge). Therapeutisch wird
meist chirurgisch exzidiert. Bei kleineren, oberflächlichen Basalzellkarzinomen stehen aber
auch bspw. topische Medikamente zur Verfügung.

Epidemiologie:
Häufigster maligner Tumor in Mitteleuropa, >80% aller Hauttumoren
Alter: Erkrankung des höheren Lebensalters, im Mittel >70 Jahre
Geschlecht: ♂ > ♀

Risikofaktoren:
UV-Exposition
Heller Hauttyp, männliches Geschlecht
Genetische Erkrankungen(Albinismus, Xeroderma pigmentosum, Basalzellkarzinomsyndrom)
Chemische Noxen, insb. Arsen.
Medikamente: insb. HCT
Ionisierende Strahlung
Chronische Wunden und Entzündungen (bspw.Ulcus cruris venosum), verhärtete und
verwachsene Narben (z.B. nach Verbrennung)

Symptome/Klinik:
----Erscheinungsbild: Sehr variabel; vom kleinen Knötchen bis großen, ulzerierenden Tumor

----Häufigste Merkmale:
àPlaque oder Nodus, scharf begrenzt mit perlschnurartigem Randsaum, zentraler
Einsenkung und Teleangiektasien
àIn der gleichen Farbe wie die umgebende Haut bis erythematös, Oberfläche häufig mit
perlmuttartigem Glanz
àIm Verlauf Ulzeration mit Blutungsneigung und Krustenbildung möglich

----Lokalisation:
Entstehung nur an Hautarealen mit Haarfollikeln (Dementsprechend können sie nicht primär
an Schleimhäuten, Handinnenflächen oder Fußsohlen auftreten.)
Vor allem sonnenexponierte Areale betroffen, in absteigender Häufigkeit
àGesicht, insb. Nase (Hauptsächlich sind die oberen 2/3 des Gesichts betroffen.)
àRestlicher Kopf und Hals
-àRumpf und Extremitäten
**Die meisten Basalzellkarzinome entstehen an sonnenexponierten Stellen!

123
----Ausbreitung:
Meist langsames Wachstum über Monate bis Jahre
Lokal destruierend: Einwachsen in umgebende Strukturen möglich
Sehr selten Metastasierung: Primär in regionale Lymphknoten, Muskulatur oder
hämatogen in Lunge und/oder Knochen

Subtypen des Basalzellkarzinoms:


--Noduläres BCC (häufigste Typ!)
--Superfizielles BCC
--Sklerodermiformes BCC
--Pigmentiertes
--Ulzeriertes
--Destruierendes
--Fibroepitheliales

Diagnostik des Primärtumors:


---Anamnese: insb. NMSC in der Vorgeschichte, UV-Exposition, Immunsupression
---KU;
Inspektion: Läsion und Haut des gesamten Körpers, inkl. Kapillitium (Behaarte Kopfhaut) und
angrenzender Schleimhäute
Palpation: Läsion und Lymphknoten
----Dermatoskopie (Auflichtmikroskopie) : Diagnostisches Verfahren zur Beurteilung von
Hautveränderungen (insb. Pigmentformationen, aber auch NMSC, Infektionen und
Entzündungen). Eine Darstellung der Strukturen gelingt mittels Flüssigkeit zwischen einer
Glasplatte und dem zu untersuchenden Hautareal sowie optischer Vergrößerung und ggf.
polarisiertem Licht.
----Probenentnahme:
Indikation: Bei V.a. Basalzellkarzinom zur Sicherung der Diagnose, Ausschluss von
Differenzialdiagnosen und geeigneten Therapiewahl
Bei eindeutigem klinischem Bild: Direkt komplette Exzision möglich
----Ausbreitungsdiagnostik: Schnittbildgebung, bevorzugt MRT
Indikationen: Bei V.a. Knocheninfiltration, intrakranielle/intraorbitale Ausbreitung,
perineurales Wachstum, Metastasen, Basalzellkarzinomsyndrom

Pathologie: Basaloide Tumorzellen


Ursprung: Epitheliale Stammzellpopulationen der Haarfollikel und interfollikulären Epidermis

Differenzialdiagnosen:
Malignes melanom (hochmaligner, von den Melanozyten ausgehender Tumor der Haut)
Dermaler Nävus
Trichoepitheliom (weiß-gelbliche Papel im Gesicht, selten vorkommend, benigne)
Spinaliom (Spinozelluläres Karzinom=Plattenephitelkarzinom)

*Nicht-melanozytärer Hauttumor (NMSC): Zusammenfassung aller von Epithelzellen


ausgehenden Tumoren, Melanozyten ausgenommen. Am häufigsten tritt das
Basalzellkarzinom auf, gefolgt vom Plattenepithelkarzinom der Haut.

124
Therapie des Basalzellkarzinoms:
-----Chirurgische Therapie (1. Wahl)
-----Strahlentherapie: bei lokal-fortgeschrittenem Basalzellkarzinom, Kontraindikationen
oder Ablehnung gegenüber chirurgischer Therapie
-----Topische Medikamente (Imiquimod, 5-Fluoruracil): bei superfiziellem Basalzellkarzinom
mit niedrigem Rezidivrisiko, Kontraindikationen gegenüber chirurgischer Therapie,
Patientenwunsch
----Kryochirurgie oder Laserverfahren: bei superfiziellem Basalzellkarzinom mit niedrigem
Rezidivrisiko, wenn chirurgische Therapie oder topische Medikamente kontraindiziert sind.

Malignes Melanom

*Die Entstehung des malignen Melanoms erfolgt zu 2/3 de novo (auf zuvor gesunder Haut)
und zu 1/3 aus Vorläuferläsionen ((bspw. präexistierende kongenitale oder atypische
Nävuszellnävi, Lentigo maligna).

**Kriterien für Malignität (ABCDE-Regel) bei Malignes melanom:


Klinischer/dermatoskopischer Befund der melanozytären Läsion
A (Asymmetry)àAsymmetrie
B (Border)àBegrenzung: Unregelmäßig oder unscharf
C (Color)àFarbveränderung: Schwarze, graue oder rote sowie abgeblasste Anteile
D (Diameter)àDurchmesser: >5 mm bzw. Größenzunahme
Differenzialstruktur (Dermatoskop): Unregelmäßiges Pigmentnetz, Schollen, Streifen,
Regression, Gefäße
E (Evolution)àErhabenheit, Veränderung in den letzten 3 Monaten
Weitere Faktoren; Juckreiz oder Blutung aus dem Naevus

Einteilung nach Melanomtyp:


Superfiziell spreitendes Melanom
Noduläres Melanom
Lentigo-maligna Melanom
Akrolentiginöses Melanom

Diagnostik:
Komplette Primärexzision (mit kleinem (ca. 2mm) Sicherheitabstand) und Histopathologie
Ausbreitungsdiagnostik: Abdomen-Sono, Rö.-Thorax, Ganzkörper-CT/MRT, PET-CT

*Wenn möglich, sollte bei melanomverdächtigen Hautläsionen immer eine komplette


Exzision im Gesunden erfolgen!

Klassifikation: TNM
*Besonders häufig metastasiert der Tumor in die Haut, Lunge, Leber, Gehirn, Nieren und
Knochen.

Therapie; operative Entfernung des Primärtumors, ggf. Radiotherapie und/oder adjuvante


Chemotherapie, ggf. Lymphadektomie.

125
SCHLAGANFALL (APOPLEX CEREBRI)
1.Ischämischer Schlaganfall (ca. 80–85% aller Schlaganfälle)
2.Hämorrhagischer Schlaganfall
---Intrazerebralen Blutung (ca. 10–15% aller Schlaganfälle): Einblutung in das Hirnparenchym
---Subarachnoidalblutung (ca. 5% aller Schlaganfälle): Einblutung in den liquorgefüllten
Subarachnoidalraum

ISCHÄMISCHER SCHLAGANFALL
Ätiologie:
----Kardiale Embolien (Thromboembolie bei VHF, Paradoxe Embolie bei ASD, Septische
Embolien bei infektiöser Endokarditis, Ventrikelthromben infolge von KHK, MI)
----Atherosklerose (Makroangipathie, Mikroangiopathie)
----Dissektion eines hirnversorgenden Gefäßes
----Weitere Ursachen:
Zerebrale Vaskulitis, Thrombophilien, Koagulopathien, Iatrogen (Mikrothromben,
Fettembolien, Luftembolien)

----Kryptogene Schlaganfälle: Bei ca. 20–25% aller ischämischen Schlaganfälle bleibt die
Ursache unklar.

Risikofaktoren:
----Beeinflussbare Risikofaktoren:
Arterielle Hypertonie (am wichtigsten)
Vorhofflimmern
Adipositas, Bewegungsmangel, Rauchen
Diabetes mellitus
Hyperlipidämie
Alkoholmissbrauch
Stenose der A. carotis interna
Psychosoziale Belastungsfaktoren
Weitere kardiologische Erkrankungen mit Embolierisiko, bspw. MI, Kardiomyopathien,
Klappenvitien, Endokarditis, Herzrhythmusstörungen

----Nicht-beeinflussbare Risikofaktoren:
Alter
Männliches Geschlecht
Genetische Disposition
Alle Zustände/Erkrankungen mit erhöhtem Thromboserisiko, z.B. Thrombophilien,
Gerinnungsstörungen, Hämatokriterhöhung, Schwangerschaft, Einnahme oraler
Kontrazeptiva, Hormonersatztherapie
Migräne
Kokainabusus
***Die wichtigsten Risikofaktoren für den ischämischen Schlaganfall sind die arterielle
Hypertonie und das Vorhofflimmern!

126
Klassifikation der Ischämietypen nach Verlauf:

1.Transitorische ischämische Attacke (TIA): Plötzlich aufgetretene, vorübergehende


Episode neurologischer Dysfunktion infolge einer passageren fokalen Durchblutungsstörung
des ZNS ohne Anhalt für zugrundeliegende bleibende Gewebsschädigung
*Kein Läsionsnachweis in diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen
*Dauer meist einige Minuten, im Einzelfall länger möglich

**Das Kriterium „Zeit“ ist in der Definition der TIA nicht länger maßgeblich. Früher hatte
man die max. Dauer einer TIA willkürlich auf 24 Stunden festgelegt. In der Mehrzahl der Fälle
mit Symptomatik über 30 Minuten können jedoch in diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen
bereits ischämische Läsionen nachgewiesen werden. Auch bei kürzer anhaltender
Symptomatik können ursächliche Infarkte in der Bildgebung sichtbar sein. Im Einzelfall
können aber auch passagere neurologische Defizite über Stunden anhalten, ohne dass es in
der Bildgebung Hinweise auf einen Infarkt gibt.

**Ischämierisiko nach TIA:


90-Tage-Risiko für Ischämie nach TIA: Ca. 10%
Besonders starke Risikoerhöhung in ersten Tagen/Wochen nach TIA

2.Ischämischer Schlaganfall: Episode neurologischer Dysfunktion infolge eines fokalen


Infarktes des ZNS (Gehirn, Retina, Rückenmark)
---Klinisch stummer Infarkt: Befunde (Bildgebung, Pathologie) vereinbar mit
zurückliegendem Infarkt, anamnestisch keine Hinweise auf entsprechende Symptomatik

----Minor Stroke: Schlaganfall mit gering ausgeprägter Symptomatik und ohne behindernde
neurologische Defizite

----Progressive Stroke: Neurologische Defizite nehmen im Verlauf weiter zu (meist innerhalb


von Stunden)

Symptome/Klinik:
Akutes fokal-neurologisches Defizit (Leitsymptom des Schlaganfalls)
---Plötzlicher Symptombeginn (von einer Sekunde auf die andere)
---Neurologische Defizite, die sich einem bestimmten arteriellen Versorgungsgebiet
zuordnen lassen
*Art und Ausprägung des Defizits hängt von Lokalisation und Größe der Läsion ab.
---Klassisch: Hemiparese, Hemihypästhesie, Sprach-, Sprech- oder Sehstörungen (z.B.
verwaschene Artikulation, Wortfindungsstörungen oder Hemianopsie)
Aber: Auch unspezifische Symptome möglich, bspw. Bewusstseinseintrübung und Schwindel

* A. cerebri media (Mediainfarkt): Häufigste Infarktlokalisation

127
Diagnostik:

---Fokussierte Anamnese: Exakte Bestimmung des Symptombeginns, Art und Verlauf


der Symptome, Medikamenteanamnese, insb. Antikoagulantien und
Thrombozytenaggregationshemmer (auch der letzmalige Einnahmezeitpunk!)

---Basismaßnahmen:
àÜberprüfung und Sicherung der Vitalfunktionen
àMonitoring der Vitalparameter: 12-Kanal-EKG (mit Befundung!), Herzfrequenz, Blutdruck,
Atmung, spO2, Körpertemperatur
àIntravenöser Zugang: Mind. einen stabilen i.v. Zugang
àBGA inkl. BZ-Messung
àBasis-Labordiagnostik bei Schlaganfall: Kleines Blutbild, CRP, Blutzucker, Elektrolyte (Na+,
K+), Lactat, Kreatinin, Harnstoff, GFR, Bilirubin, ALT, AST, γGT, Troponin, CK, TSH, INR, pTT,
Ethanol

---Fokussierte neurologische Untersuchung (BE FAST!)


FAST (Neurologie): Als schnelles Screening
F („Facial Expression“): (Meist einseitige) veränderte bzw. verminderte Mimik
A („Arm Weakness“): Unfähigkeit oder Schwierigkeit, einen Arm angehoben zu halten
S („Speech Difficulties“): Gestörtes Sprachverständnis oder Sprachproduktion
T („Time is Brain“): Bei Hinweisen auf einen Schlaganfall (= eines der 3 oberen Kriterien trifft
zu) ist schnelles Handeln notwendig → Zügige Einweisung bzw. Bildgebung veranlassen!

Ggf. auch in erweiterter Form als BE-FAST mit zwei zusätzlichen Items
B („Balance“): Gangunsicherheit/Gleichgewichtsstörungen oder Schwäche eines Beins
E („Eye“): Sehstörungen oder Störungen der Augenbewegungen

---Bildgebende Diagnostik
*** Bei V.a. Schlaganfall muss schnellstmöglich eine (CT-) Bildgebung erfolgen! Anamnese
und Untersuchung sollten bei Patient:innen, die potenziell im Thrombolyse- oder
Thrombektomiezeitfenster sind, nur wenige Minuten in Anspruch nehmen!

1. Schnellstmöglich Nativ-cCT: immer bei V.a. akuten Schlaganfall zum


Ausschluss einer Hirnblutung
Akute Blutung: Hyperdense Raumforderung
Ischämischer Apoplex:
Frühzeichen (nach 2-6 St.): Verstrichene Sulci, Verlust der Mark-Rinden-Grenze und
unscharfe Abgrenzung grauer und weißer Substanz, Hyperdenses Mediazeichen
(Thrombus in der Mediaarterie),
Nach 12-24 St.: Demarkierung (Hypodensität im Infarktgebiert, ggf. Ödembildung

2. CT-Angiografieà V.a. proximaler Gefäßverschluss, der potenziell für eine


mechanische Thrombektomie zugänglich wäre
3. Perfusions-CT à Alle Patient:innen im Zeitfenster >4,5 h: Einschätzung des
Verhältnisses zwischen bereits infarziertem Gewebe und Penumbra

128
*Penumbra: Hirngewebe, das bei einem ischämischen Schlaganfall durch eine relative
Hypoxie funktionell gestört ist, aber durch Reperfusionsmaßnahmen (Thrombolyse oder
Thrombektomie) noch vor dem Zelluntergang bewahrt werden kann („time is brain!“).
à Bei klinisch uneindeutigen Fällen: Direkter Nachweis von Perfusionsstörungen
schon in der Akutphase

*NCT+CTA+PCT = Multimodale CT

4. Alternative zum CT: Kraniale Magnetresonanztomografie (cMRT) (FLAIR,


Diffusions-MRT (DWI; frühere Darstellung von Infarktgewebe), Perfusions-MRT)

---- Echokardiografie (vorzugsweise als TEE): Zur Suche einer Emboliequelle, insb. kardiale
Thromben oder PFO
---- Lumbalpunktion: Bei V.a. SAB ohne Blutungsnachweis im CT

Differenzialdiagnosen:
Stroke-Mimics: Erkrankungen oder Zustände, in deren Rahmen es zu einem plötzlichen fokal-
neurologischen Defizit kommt, bei denen es sich aber nicht um einen Schlaganfall handelt.
----Hypoglykämie
----Migräne mit Aura (gesichtsfeldausfälle, Sprachstörungen)
----Epileptischer Anfall (bspw. postiktal Paresen)
----Schwere Infektion/Sepsis (Vigilanzminderung)
----Periphere Nervenschädigung (Paresen, Sensibilitätsstörungen)
----neuritis vestibularis (Drehschwindel: Bewegungsillusion der Umwelt wie in einem
Karussell, Nystagmus: unwillkürliche, rhythmisch oszillierende Augenbewegung,
Augenzittern)
----Alkoholintoxikation (bspw. verwaschene Sprache oder Gangstörungen)
----Funktionelle Störung (Mögliche Hinweise auf eine funktionelle Störung können
„Triggerfaktoren“ wie eine vorangegangene stark emotionale Situation sein.)

Therapie des ischämischen Schlaganfalls:


----Überwachung der Vitalparameter (EKG, Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz,
Sauerstoffsättigung, Temperatur) und des Blutzuckers
----Anlage eines venösen Zugangs (möglichst 2)
----Bedarfsgerechte Sicherung/Stabilisierung der Vitalfunktionen
àSauerstoffgabe ab spO2 <95% (Ziel: Normoxämie)
àArterielle Hypertonie:
**Bei Werten ≥220 mmHg systolisch oder ≥120 mmHg diastolisch: Vorsichtig titrierend
senken (max. um 15%)
** Die Perfusion der Penumbra hängt vom mittleren arteriellen Druck (MAP) ab. Daher ist
das vorrangige Ziel, plötzliche Blutdruckabfälle zu vermeiden.
àArterielle Hypotonie: Ursachenforschung (Herzrhythmusstörungen, reduzierte
Auswurfleistung oder Hypovolämie), ggf. Volumengabe (kristalloide Lösungen),ggf.
Noradrenalin

129
---- Rekanalisierende Therapie des ischämischen Schlaganfalls
Ziel: Reperfusion minderperfundierter Areale (sog. Penumbra), da hier der Zelluntergang
noch verhindert werden kann („Time is brain!“).
Therapieoptionen: Thrombolysetherapie und/oder Mechanische Thrombektomie

1. Thrombolysetherapie *****
Indikation: Ischämischer Schlaganfall innerhalb von 4,5 h nach Symptombeginn
(„Thrombolysezeitfenster“)
Wirkprinzip: Gabe von Alteplase → Aktivierung von Plasminogen → Bildung von Plasmin
→ Auflösung von Fibrin im Thrombus → Thrombolyse → Reperfusion vormals
verschlossener Gefäße
Wirkstoff: Alteplase (rt-PA, rekombinanter gewebespezifischer Plasminogenaktivator)
Blutdrucksenkung auf <180/105 mmHg vor Beginn der Thrombolysetherapie

Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie:


Insb. bei erhöhtem Blutungsrisiko;
--Aktive oder anamnestisch stattgehabte intrazerebrale Blutung
--Gerinnungsparameter: Thrombozyten <100.000/μL, INR >1,7, Quick <50%
--Wirksame antikoagulative Therapie (Off-label-use bei INR<1.7, normale
Gerinnungstests oder keine Einnahme innerhalb der letzten 48h)
--Erkrankungen mit erhöhtem Blutungsrisiko (Malignom, akute Pankreatitis,
Ösophagusvarizen)
--Gewebedefekte: OP oder Trauma innerhalb der letzten zwei Wochen
--Schwangerschaft/Entbindung/Wochenbett
--Nicht kontrollierbare arterielle Hypertonie >180/105 mmHg
--Bakterielle Endokarditis
--Symptomatischer epileptischer Anfall

Nach Thrombolysetherapie:
Erneute cCT-Untersuchung 24 h nach Thrombolysetherapie (Kontroll-CT zum
Blutungsausschluss),
Regelmäßige Blutdruckkontrollen
**Keine gerinnungshemmenden Substanzen innerhalb von 24 h nach Thrombolysetherapie!

2. Interventionelle Therapie des Schlaganfalls (mechanische Thrombektomie)


Indikationen:
--Akuter Verschluss der größeren hirnversorgenden Gefäße des vorderen Kreislaufs mit
klinisch relevantem neurologischem Defizit
--Bis 6 h nach Symptombeginn, im Einzelfall auch darüber hinaus
--Kombination mit einer vorherigen intravenösen Thrombolysetherapie bei
Symptombeginn <4,5 h
*Thrombektomie mittels Stent Retriever: Arterieller Zugang über A. femoralis
Komplikationen der Thromboktemie: Gefäßperforation, Intrazerebrale Blutung,
Subarachnoidalblutung, Arteriendissektion, Verschleppung von Emboli, Vasospasmen

Komplikationen eines ischämischen Schlaganfalls:


Sekundäre Blutungen (Iatrogen als Folge einer Lyse oder mechanischer Thrombektomie oder
Postoperatives zerebrales Hyperperfusionssyndrom)

130
Hirnödeme, Maligner Media-Infarkt
Dysphagie, Aspirationspneumonie
Epileptische Anfälle
TVT und LE
Post-Stroke-Depression, Post-Stroke-Delir, Vaskuläre Demenz

INTRAZEREBRALE BLUTUNG; ICB

Einteilung nach Ätiologie:


1.Nicht-traumatische ICB:
Hypertensive ICB (häufigste Ursache, insb. zwischen 40 und 70 Jahren)
Zerebrale Amyloidangiopathie (häufigste Ursache >70 Jahre)
Hämorrhagische Diathese
Gefäßfehlbildungen

*Nicht-traumatische ICBs zählen neben den subarachnoidalen Blutungen zu den


hämorrhagischen Schlaganfällen.

2.Traumatische ICB
*ICB durch Schädel-Hirn-Trauma sind definitionsgemäß sekundäre ICB und zählen nicht
zu den hämorrhagischen Schlaganfällen.

Symptome/Klinik:
---Meist plötzlich auftretende Symptomatik und Progression der Symptomatik infolge
Hämatomausdehnung möglich
---Kopfschmerzen
---Epileptische Anfälle (können auch die Initialsymptomatik einer intrazerebralen Blutung
darstellen.)
---Neurologische Defizite (abhängig von Ort und Größe der Blutung)
Stammganglienà Kontralaterale Hemiparese, Aphasie
Thalamus à Vigilanzminderung, Kontralaterale sensomotorische Hemisymptomatik
Kleinhirn (Cerebellum) à Erbrechen, Ataxie, Schwindel, Spontannystagmus, Dysarthrie
PonsàKoma und Tetraparese, Kontralaterale Hemisymptomatik
LobärblutungàSymptomatik abhängig von Ausdehnung und betroffenem Lappen;
Fokale sensible oder motorische Defizite
Neurokognitive Defizite (Aphasie, Apraxie)
Okzipital: Kontralaterale homonyme Hemianopsie
Konjugierte Blickdeviation zur Läsionsseite (sog. Déviation conjuguée)

**Eine sichere klinische und anamnestische Unterscheidung zwischen einer intrazerebralen


Blutung und einem ischämischen Schlaganfall ist nicht möglich!

Diagnostik:
---Notfallmäßig CT (Goldstandart)
Mögliche Befunde: Hyperdense, meist rundliche intrazerebrale Blutung, perifokales
Ödem um Blutung, ggf. Zeichen der Raumforderung
131
---MRT: In Akutdiagnostik der CT diagnostisch gleichwertig
Nachteil: Längere Untersuchungsdauer, Patienten-Monitoring eingeschränkt und
aufwändiger
Vorteil: Bessere Diagnostik von Mikroblutungen (<10 mm) und chronischen Blutungen

---ggf. MRT mit KM, CT-Angiografie (zur Identifikation ursächlicher Läsionen)


DD: ischämischer Schlaganfall, Subarachnoidalblutung

**Die wichtigste Differenzialdiagnose der intrazerebralen Blutung ist der ischämische


Schlaganfall. Die Unterscheidung in der Akutsituation mittels Bildgebung ist aufgrund der
unterschiedlichen Therapiestrategien von außerordentlicher Bedeutung!

ICB-Therapie: Konservative Maßnahmen


---Aufnahme auf Stroke-Unit oder Intensivstation
---Kontinuierliche Überwachung und bedarfsgerechte Versorgung
---sofort Absetzung von Antikoagulanzien bzw. Thrombozytenaggregationshemmer
---Vitamin-K-Antagonisten und erhöhte INR: Vitamin K und Prothrombinkonzentrat (PPSB)
---Hirndrucksenkung
---Operative Therapie (Hämatomevakuation): Immer eine Einzelfallentscheidung

Komplikationen:
Sekundäre intraventrikuläre Blutung (Therapie: externe Ventrikeldrainage bzw.
ventrikuloperitonealer Shunt)

Prognose: Hohe Letalität


30-Tage-Letalität: 40%
1-Jahres-Letalität: >60%

SUBARACHNOIDALBLUTUNG (SAB)
SAB: Einblutung in den liquorgefüllten Subarachnoidalraum.

*Der liquorgefüllte Raum zwischen Arachnoidea und Pia mater wird als Subarachnoidalraum
bezeichnet. Hier verlaufen die großen arteriellen Gefäße des Gehirns, u.a. auch der Circulus
arteriosus Willisii.

*Subarachnoidalblutung, Epidural- und Subduralhämatom sind als intrakraniell-


extrazerebrale Blutungsformen von den intrazerebralen Blutungen abzugrenzen.

Einteilung nach Ätiologie:


1.Nicht-traumatische SAB (spontane Aneurysmaruptur)
---Aneurysmatische SAB (ca. 85%)
--- Nicht-aneurysmatische Subarachnoidalblutung (ca. 15%)
2.Traumatische SAB: im Rahmen schwerer SHT

132
Symptome/Klinik:
---Akute Leitsymptome: **
àPlötzlicher Vernichtungskopfschmerz, der sich über den gesamten Kopf ausbreitet
(holozephal) und in den Nacken und Rücken ausstrahlt
(Anamnestisch: Stärkster Kopfschmerz wie noch nie!!)
àVegetative Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch, Störungen der
Kreislauffunktion
àBeeinträchtigung der Vigilanz (somnolent bis komatös)
àMeningismus (Nackensteifigkeit)

---spezifische neurologische Symptome; Okulomotoriusparese, Sehstörungen, Parese


anderer Hirnnerven, Hemi- oder Tetraparese, Aphasie, Neglect

* Subarachnoidalblutungen können auch mit weniger starken und/oder sich langsamer


entwickelnden Kopfschmerzen einhergehen!

Diagnostik:
---Notfallmäßig cCT nativ
---CT-Angiografie
---Liquordiagnostik: Nur, wenn die cCT nicht eindeutig ist und keine Zeichen einer
Hirndrucksteigerung vorliegen (Gefahr der Einklemmung bei Liquorpunktion!)
---Aneurysmadarstellung: Digitale Subtraktionsangiografie (DAS)

DD: ICB, zerebrale Sinus- und Venenthrombose, Meningitis

Therapie:
---intensivmedizinische Überwachung und Stabilisierung
---bedarfsgerechte Versorgung (Analgosedierung (gleichzeitige Verabreichung von
Analgetika und Sedativa), Intubation)
---Oberkörperhochlagerung zur Hirnödem Prophylaxe
--- Vasospasmusprophylaxe: Calciumantagonist Nimodipin ab Aufnahme
--- Blutdrucksenkung bis zur Aneurysmaversorgung auf 60–90 mmHg
--- Neuroprotektive Basismaßnahmen:
Normoglykämie anstreben
Fiebersenkung mit dem Ziel der Normothermie (<37,5 °C)
Normovolämie anstreben, Substitution isotoner Lösungen
Ausgleich von Elektrolytstörungen (insb. Hyponatriämie)
---Aneurysmaversorgung (innerhalb 72 h) : Coiling, Clipping
---Komplikationsmanagement (bspw. Antikonvulsiva, ventrikuloperitonealer Shunt)

Komplikationen:
Rezidivblutung, Hydrozephalus, Vasospasmen und sekundäre Ischämien, Elektrolytstörungen
(insb. Hyponatriämien), epileptische Anfälle, Arrhythmien.

Prognose: Hohe Letalität


Bis zu 15% der Patienten sterben vor Krankenhausaufnahme
30-Tage-Letalität: Insgesamt etwa 35–40%

133
EPILEPTISCHE ANFÄLLE UND EPILEPSIEN

Epileptischer Anfall: Vorübergehende elektrophysiologische Dysfunktion von Nervenzellen


und Nervenzellverbänden der Hirnrinde aufgrund synchroner und hochfrequenter
Entladungen, die sich auf benachbarte Kortexareale ausbreiten kann.

-----Akuter symptomatischer Anfall (syn.: Provozierter Anfall, veraltet: Gelegenheitsanfall):


Epileptischer Anfall als Akutsymptom einer Störung des Gehirns ohne vorherigen Nachweis
einer generell erhöhten Anfallsbereitschaft.
Sonderfall: Erster epileptischer Anfall nach Schlafentzug

-----Reflexanfall: Epileptischer Anfall, der in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem


somatosensorischen Reiz auftritt. (bspw. Photostimulation)

-----Unprovozierter epileptischer Anfall: Epileptischer Anfall, der ohne erkennbaren


Zusammenhang zu einem Provokationsfaktor auftritt.

Epilepsie: Erkrankung des Gehirns, die durch eine andauernde Prädisposition für
epileptische Anfälle, also eine anhaltend erhöhte Anfallsbereitschaft des Gehirns
gekennzeichnet ist
Kriterien: Mind. 1 der folgenden Faktoren
---≥2 unprovozierte Anfälle oder Reflexanfälle, zwischen denen mehr als 24 Stunden liegen
---1 unprovozierter Anfall oder Reflexanfall in Kombination mit einem 10-Jahres-Risiko für
weitere Anfälle, das mit dem allgemeinen Rückfallrisiko (≥60%) nach 2 unprovozierten
Anfällen vergleichbar ist.
---Diagnose eines Epilepsiesyndroms

Epilepsiesyndrome: Unterformen der Epilepsie, die durch typische Epidemiologie,


Symptomatik und diagnostische Befunde gekennzeichnet sind, z.B.
---Strukturelle Epilepsie: Erhöhte Anfallsbereitschaft, die auf eine bleibende Strukturstörung
des Gehirns zurückzuführen ist. (Bspw. strukturelle Epilepsie nach Hirnischämie, -blutungen
oder bei bekannter Hippokampussklerose)
---Genetisch bedingte Epilepsie
---Idiopathische Epilepsie

Ätiologie:

1.Triggerfaktoren epileptischer Anfälle:


----Substanzabhängige Trigger
àEinnahme von Drogen (bspw. Alkohol, Ecstasy, Amphetamine, Kokain)
àEinnahme von Medikamenten, welche die Anfallsschwelle senken, bspw.
Antidepressiva (Amitriptylin, Clomipramin, Maprotilin, Bupropion, Amoxapin)
Antipsychotika (Clozapin, Olanzapin, Haloperidol)
Antibiotika (insb. hochdosiertes Penicillin, seltener Carbapeneme, Cephalosporine,
Norfloxacin, Ciprofloxacin)
Analgetika (Alfentanil, Indometacin, Tramadol)
Antiemetika (Metoclopramid, Ondansetron)
àEntzug: Insb. Alkoholentzug (häufigste Ursache bei Erwachsenen), Medikamentenentzug

134
----Trigger im Rahmen anderer pathologischer Zustände
Fieber (häufigste Ursache bei Kindern)
Elektrolytentgleisungen (bspw. Hyper- und Hyponatriämie, Hypokalzämie,
Hypomagnesiämie)
Hypoglykämie (v.a. durch Insulinüberdosierung)
Hypoxie, Hyperventilation
Eklampsie
Epilepsie nach ischämischem Schlaganfall
----Situationsabhängige Trigger
àExzessive körperliche Verausgabung, Extremer psychischer Stress, Stroboskop-Licht
(Flackerlicht), Schlafentzug

*Situationsabhängige Triggerfaktoren können i.d.R. nur bei einer entsprechenden


Prädisposition zu einem epileptischen Anfall führen. Schlafentzug und Stroboskop-Licht
können zwar bei gesunden Menschen zu einem einmaligen epileptischen Anfall führen,
jedoch ist das Risiko eines weiteren epileptischen Anfalls (und damit der Diagnose einer
Epilepsie) im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht.)

2.Ursachen einer erhöhten Epileptogenität:


Eine Epilepsie kann ggf. mehr als einer dieser ätiologischen Kategorien zugeordnet werden,
bspw. im Fall genetisch bedingter neuroanatomischer (d.h. struktureller) Veränderungen.
Die Einordnung hängt damit immer auch vom klinischen Kontext ab.
----Strukturell: Bspw. bei zerebralem Tumor, Metastasen, Hirnabszess, arteriovenöser
Malformation oder Narben
----Genetisch: Bspw. bei Veranlagung zu neuroanatomischen Fehlbildungen wie der
Hippocampussklerose.
----Infektiös: Bspw. im Rahmen einer viralen Enzephalitis
----Metabolisch: Bspw. bei Hypoglykämie, Urämie, oder im Rahmen eines Alkoholentzugs
----Immunvermittelt: Bspw. bei Bildung von Antikörpern gegen körpereigene intrazelluläre
Antigene im Rahmen einer paraneoplastischen Enzephalitis.
----Unbekannt: Falls keine ätiologische Einordnung möglich ist.

ILAE-Klassifikation:
1.Schritt: Angabe des Anfallsbegins (fokal/generalisiert/unbekannt)
2.Schritt: Möglichst Angabe weiterer Anfallsmerkmale:
Bewusst erlebt oder nicht bewusst erlebt (Angabe nur bei fokalem Beginn) und/oder
Beschreibung der ersten (motorischen oder nicht-motorischen) Anfallssymptome
Ggf. Angabe weiterer, im Verlauf aufgetretener Anfallszeichen

1.Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn: Anfälle, bei denen die epileptogene Aktivität
(zumindest zu Beginn) nur in einer der beiden Hemisphären auftritt.
Bewusst erlebt / Nicht bewusst erlebt
Motorische Phänomene (Automatismus, Atonisch, Klonisch, Spasmen, Tonisch.
Myoklonisch, Hyperkinetisch)
Nicht-motorische Phänomene (Autonom, Kognitiv, Emotional)

135
2.Epileptische Anfälle mit generalisiertem Beginn: Anfälle, bei denen die epileptogene
Aktivität in einem auf beide Hemisphären verteilten Netzwerk beginnt, also von Beginn an
bilateral ist
Motorisch (Tonisch-klonisch, Klonisch, Tonisch, Myoklonisch-tonisch-klonisch, Myoklonisch-
atonisch, Atonisch, Mit epileptischen Spasmen)
Nicht-motorisch (Absence): Epileptischer Anfall, der durch eine kurze Bewusstseinspause
charakterisiert ist. Die Betroffenen halten in der Bewegung inne, haben einen starren Blick
und reagieren i.d.R. nicht auf Ansprache. Manifestation zumeist im Kindesalter.

3.Epileptische Anfälle mit unbekanntem Beginn: Anfälle, bei denen der Beginn des Anfalls
nicht beobachtet wurde oder nicht sicher zuzuordnen war.
Motorisch (Tonisch-klonisch, Mit epileptischen Spasmen)
Nicht-motorisch (Innehalten)
Nicht klassifiziert

*Beispiel: Ein Familienangehöriger beobachtet bei einem Patienten plötzlich einsetzende,


rasche Muskelzuckungen der rechten Körperseite. Der Patient reagiert nicht auf Ansprache.
Ein solches Ereignis würde unter Verwendung der ILAE-Basisklassifikation als „nicht bewusst
erlebter Anfall mit fokalem Beginn und motorischen Symptomen“ bezeichnet werden.

*Gegenüberstellung neuer und alter Begriffe zur Klassifikation epileptischer Anfälle


Fokal (Partiell)
---Bewusst erlebt fokal (Einfach partiell)
---Nicht bewusst erlebt fokal (Komplex partiell)
Absence (Petit mal)
Tonisch-klonisch (Grand mal); Immer mit Angabe des Beginns, also:
---Fokal mit Übergang zu bilateral tonisch-klonisch (Sekundär generalisiert) oder
---Generalisiert beginnend tonisch-klonisch oder
---Tonisch-klonisch mit unbekanntem Beginn

Symptom/Klinik
----Allgemeine Symptomatik eines epileptischen Anfalls
*Abhängig davon, von welchen Bereichen des Kortex die abnorme elektrische Aktivität
ausgeht, kann es prinzipiell zu einem breiten Spektrum motorischer, sensorischer, sensibler,
vegetativer und psychischer Phänomene kommen.
*Plötzliches, unwillkürliches Auftreten
*Meist kurze Dauer (≤2 min) und verlangsamte Reorientierung nach dem Ereignis
*I.d.R. selbstlimitierend, aber Übergang in Status epilepticus möglich

----Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn: Symptome vom Ort der Störung
abhängig.
Orale Automatismen: Temporallappenanfälle
Komplexe Bewegungsabläufe: Frontale Anfälle
Visuelle Halluzinationen: Okzipitallappenanfälle
*Ablauf mit oder ohne Bewusstseinsstörung möglich

136
*Übergang in einen bilateral-tonisch-klonischen Anfall möglich
*Zusätzlich ggf. Aura: Sehstörungen, Sprachstörungen, motorische Erscheinungen, Déjà-vu-
und Jamais-vu-Erlebnisse

----Epileptische Anfälle mit generalisiertem Beginn: Klinische Präsentation dieser


Anfälle ist variabel, jedoch treten immer Bewusstseinsstörungen auf.
*Mögliche Bestandteile der Anfälle sind:
Absencen: Kurze Bewusstseinspausen
Myoklonische Phasen: Ruckartige, unsystematische Muskelzuckungen (Myoklonien)
Klonische Phasen: Rhythmische Muskelzuckungen
Tonische Phasen: Anspannen der Muskulatur
Atonische Phasen: Plötzlicher Tonusverlust der Haltemuskulatur
Postiktale Phase: Terminalschlaf, Verwirrtheit

*** Bilateral-tonisch-klonischer epileptischer Anfall:


Häufigste Form, Synonym: Grand-mal-Anfall (veraltet)
Formen: Fokal (mit Übergang) zu bilateral-tonisch-klonisch oder Generalisiert tonisch-
klonisch
Typische Symptomatik: Bewusstseinsverlust und rhythmisches Zucken
Klassischer Ablauf:
àGgf. Aura bei fokalem Beginn (dauert Sekunden bis Minuten)
àTonische Phase: Heftige Tonuserhöhung aller Muskeln (Phase dauert Sekunden)
Tonuserhöhung kann zu Initialschrei und lateralem Zungenbiss führen
Arme eleviert, Beine leicht angewinkelt, Lider geöffnet, Pupillen lichtstarr und weit, Apnoe
àKlonische Phase:
Vibrieren → Rhythmisches Zucken → Unregelmäßiges, grobes Zucken → Erschlaffung (Phase
dauert Sekunden bis Minuten)
àPostiktale Phase: Terminalschlaf, Amnesie und Desorientiertheit (Phase dauert Minuten
bis Stunden)
*Weitere mögliche Symptome: Schaum vor dem Mund, Urin- und/oder Stuhlabgang

EEG:
--Im Anfall: Hochfrequente Spikes in der tonischen Phase, Spikes mit folgender
Nachschwankung in der klonischen Phase, postiktal verlangsamter Grundrhythmus
--Im anfallsfreien Intervall: Abhängig von der Ursache des Anfalls

Differenzialdiagnostische Einordnung und Basisdiagnostik


---Eigen- und Fremdanamnese (Anfallssemiologie, Trigger, potenziell ursächliche
Vorerkrankungen und Vormedikation)
--- Neurologisches Notfall-Labor (BGA inkl. pH und Lactat, kleines BB, BZ, CRP, Elektrolyte,
Kreatinin, Harnstoff, GFR, Bilirubin, ALT, gamma-GT, Troponin, CK, TSH, INR, pTT, Ethanol)
---notfallmäßige kranielle CT indiziert bei;
Z.n. Status epilepticus
Sturz mit SHT
postiktal persistierende Bewusstseinsstörung, fokal-neurologisches Defizit, Kopfschmerzen
Klinischer V.a. Meningitis/Enzephalitis
137
---frühzeitig EEG nach erstmaligem epileptischem Anfall, idealerweise inkl. Provokation
durch Hyperventilation und visuelle Reize, ggf. auch als Kurzschlaf-EEG.
---kranielle MRT: zur Suche nach potenziell epileptogenen, zumeist kortikalen Läsionen

*Das erstmalige Auftreten eines Anfalls mit fokalem Beginn (mit oder ohne Ausweitung zu
einem bilateral-tonisch-klonischen Anfall) bei Erwachsenen spricht für einen
symptomatischen Anfall und bedarf einer gründlichen Abklärung!

Therapie im Anfall:
---Vitalparameter überwachen (insb. Oxygenierung mittels Pulsoxymetrie)
---Patient vor Verletzungen schützen
---Medikamentöse Anfallsdurchbrechung: Nur bei nicht selbstlimitierendem Verlauf, d.h. erst
wenn ein Status epilepticus vorliegt.

*Epileptische Anfälle werden innerhalb der ersten 5 min nicht medikamentös behandelt,
weil die allermeisten Anfälle innerhalb dieser Zeit spontan sistieren und so die Nachteile der
Sedierung vermieden werden können. Erst ab 5 min spricht man von einem Status und
beginnt die Behandlung dann ohne Verzögerung!

Anfallsprophylaxe
Die Prophylaxe weiterer Anfälle beinhaltet:
---Bei symptomatischen Epilepsien: Beseitigung der Ursache
---Medikamentöse Anfallsprophylaxe
---Vermeidung von Triggerfaktoren epileptischer Krampfanfälle (z.B. Alkohol, Schlafentzug,
Flackerlicht)

Medikamentöse Prophylaxe epileptischer Anfälle


*Das Gefährdungsrisiko wird durch unterlassene medikamentöse Anfallsprophylaxe
gesteigert. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber ggf. darauf verzichtet werden (<2
Anfälle/Jahr, unauffälliges Provokations-EEG, normaler psychischer Befund und keine
hereditäre Prädisposition).

Therapieprinzip: Anfallssuppressiva erhöhen die pathologisch erniedrigte Krampfschwelle.

Indikation: ****
---≥ 2 Anfälle/6 Monate
---Nach erstem Anfall nur, wenn MRT oder EEG zur Klinik passende, spezifische Befunde
zeigen (Ammonshornsklerose, Spike-Wave-Muster)

Durchführung:
àbei Anfällen mit fokalem Beginn
1. Wahl: Lamotrigin, Levetiracetam
2. Wahl: Carbamazepin, Gabapentin, Valproat, Oxcarbazepin, Pregabalin, Topiramat.
àbei Anfällen mit generalisiertem Beginn
1. Wahl: Valproat
2. Wahl: Lamotrigin, Topiramat
Bei nicht ausreichender Wirkung ist eine Kombinationstherapie indiziert; Retigabin, Tiagabin,
Pregabalin, Gabapentin.

138
Absencen: Valproat, Ethosuximid

*Zunächst Monotherapie, bei Unwirksamkeit: Umsetzen auf Monotherapie mit anderem


Medikament.
*Therapieende: Individuell abwägen; grundsätzlich nach 2–5 Jahren Anfallsfreiheit und bei
unauffälligem EEG möglich

Nicht-medikamentöse/interventionelle Therapie (bei Pharmakoresistenz)


---Operative Intervention
Voraussetzungen: Medikamentös therapierefraktäre Epilepsie, bevorzugt bei läsionellen
Ursachen (meist Temporallappenepilepsie, hier auch höchste Erfolgsquote)
Durchführung:
Resektive Verfahren (Resektion pathologischer Veränderungen/Herde) oder
Nichtresektive Verfahren → Kallosotomie (Durchtrennung des Corpus callosum): Zunächst
partielle (i.d.R. der vorderen ⅔), bei weiterer Persistenz auch vollständige Durchtrennung
---Stimulationsverfahren (z.B. Nervus-vagus-Stimulation, tiefe Hirnstimulation des
Hippocampus)
* Pharmakoresistenz: Versagen von zwei anfallssuppressiven Medikamenten einzeln oder in
Kombination.

Fahrtauglichkeit nach epileptischem Anfall oder bei Epilepsie


für PKW-Führerschein;
àBei erstmaligem Anfall ohne Hinweis auf erhöhte Epileptogenität;
Unprovozierter Anfall: Rückerhalt der Fahrerlaubnis nach sechs Monaten Anfallsfreiheit
Symptomatischer/provozierter Anfall: Rückerhalt der Fahrerlaubnis nach drei Monaten
àBei Epilepsie: Fahrerlaubnis nach einem Jahr Anfallsfreiheit (unabhängig vom
Therapieverlauf und der Therapieart)
àBei persistierenden epileptischen Anfällen: Keine Fahrerlaubnis, solange ein wesentliches
Risiko für weitere Anfälle besteht.

Status epilepticus
Drei klinische Situationen können einen Status epilepticus definieren:
---≥5 Minuten anhaltender bilateral-tonisch-klonischer Anfall
---≥10 Minuten anhaltender fokal beginnender Anfall (mit oder ohne Bewusstseinsstörung)
bzw. Absence
---Rezidivierende epileptische Anfälle in kurzer Abfolge, ohne eine vollständige Remission
zwischen den Anfällen

Therapie:
1.Sofortmaßnahmen:
---Schutz des Patienten vor Verletzungen (ggf. umlagern, polstern, Gefahrenquellen
entfernen)
---Freihalten der Atemwege
---Monitoring der Vitalparameter (Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG)
---Legen mind. eines i.v. Zugangs in anfallssicherer Lage (bspw. in der Mitte des Unterarms,
aber nicht in der Ellenbeuge!)
---Ggf. O2-Gabe, Atemwegssicherung und kontrollierte Beatmung

139
2.Unterbrechung des Status epilepticus: Anfallssuppressive Therapie
Stufenschema zur Therapie des bilateral-tonisch-klonischen Status epilepticus (des
Erwachsenen)
Stufe 1 (schnellstmöglich): Benzodiazepin
1. Wahl: Lorazepam i.v.
2. Wahl: Clonazepam i.v., Midazolam i.v. oder Diazepam i.v.
Stufe 2 (etablierter Status epilepticus): Aufsättigung mit Levetiracetam, Valproat,
Fosphenytoin, Phenytoin, Phenobarbital oder Lacosamid

Stufe 3 (refraktärer Status epilepticus): Eskalation auf Intensivstation mit Narkotika


wie Propofol, Midazolam oder Thiopental

***Der Status bilateral-tonisch-klonischer Anfälle ist ein lebensbedrohlicher Notfall! Zur


Durchbrechung muss das o.g. Stufenschema schnell und in ausreichender Dosierung
angewendet werden!

3. Therapie kausaler Ursachen (wenn möglich)

Komplikationen:
--Entwicklung eines Hirnödems
--Kardiopulmonale Dysregulation (bspw. hypertensive Entgleisung, Herzrhythmusstörungen)
--Folgen exzessiver Muskelarbeit;
Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie, Hyponatriämie)
Metabolische Azidose (Lactatazidose) oder/und respiratorische Azidose
Hyperthermie
(Wirbel-)Frakturen
Rhabdomyolyse, akute Nierenschädigung

140
MIGRÄNE

*Bei der Migräne handelt es sich um einen rezidivierend auftretenden, meist einseitig
lokalisierten Kopfschmerz, welcher oftmals mit Übelkeit, Erbrechen, Phono- oder
Photophobie einhergeht. In etwa 10–30% der Fälle kommt es dabei zu Auraphänomenen.
Damit werden reversible fokale neurologische Ausfälle, wie z.B. Gesichtsfeldausfälle
(Flimmerskotome) oder Paresen, bezeichnet, die nicht länger als eine Stunde anhalten.

Epidemiologie:
Geschlecht: ♀>♂ (3:1)
Alter: Erstmanifestation meist zwischen dem späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter

Ätiologie:
Familiäre Disposition
Über die pathophysiologische Ursache der Erkrankung gibt es viele Theorien, aber keine
eindeutigen Erkenntnisse

Mögliche Triggerfaktoren:
---Wetterwechsel, Kälte
---Bestimmte Genuss- und Nahrungsmittel: Alkohol, Nikotin, Milchprodukte, Glutamat
---Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Zeitverschiebungen
---Nach einer anstrengenden, stressigen Zeit (sog. „Feiertagsmigräne“)
---Bei Frauen zusätzlich; Menstruation, Hormoneinnahme (hormonelle Kontrazeptiva)

141
Symptome/Klinik:

***Prodromi (fakultativ, etwa bei einem Drittel der Betroffenen): Vorboten Stunden bis 2
Tage vor der Migräneattacke
---Stimmungsveränderung
---Heißhunger oder Appetitlosigkeit
---Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen
---Vermehrtes Gähnen
---Erschöpfung, Hypo- oder Hyperaktivität
---Polyurie, Polydipsie

***Kopfschmerzen:
Lokalisation: Ca. 60% einseitig (kann auch während eines Anfalls die Seite wechseln), insb.
frontal, frontotemporal, retroorbital
Dauer: 4–72 h
Verlauf: Langsam zunehmender Schmerz
Charakter: Pulsierend, bohrend, hämmernd
Verstärkung durch körperliche Tätigkeiten

***Begleitphänomene:
Phonophobie (Lichtscheu; erhöhte, schmerzhafte Empfindlichkeit gegenüber Licht)
Photophobie (Lärmscheu)
Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen,Geruchsüberempfindlichkeit
Leichtes Augentränen (Parasympathikusaktivierung)

***Migräne mit Aura (früher Migraine accompagnée)


Anfallsweise auftretende, reversible fokale neurologische Symptome <60 min Dauer
Migränetypische Kopfschmerzen sind dabei nicht obligat (Migraine sans migraine)
---Kortikale Symptomatik, insb. mit Beteiligung der Sehrinde (früher Migraine ophtalmique)
Flimmerskotom von parazentral nach peripher wandernd
Negatives Skotom (Gesichtsfeldausfall)
Positives Skotom: Gezackte Linien
Photopsien (Lichtblitze)
Grelle Farbwahrnehmungen
Sensibilitätsstörungen, Parästhesien
Aphasie
Hirnstamm- bzw. Kleinhirnsymptomatik (Dysarthrie, Ataxie, Schwindel, bds.
Gesichtsfeldausfälle, Doppeltsehen)

***Sonderformen:
---Aura ohne Kopfschmerz
---Migräne mit Hirnstammaura (früher; Migräne vom Basilaristyp)
---Ophtalmoplegische Migräne (Paresen eines oder mehrerer Nerven für die Okulomotorik
(Hirnnerven III, IV, VI) → Doppelbilder)
---Verstibuläre Migräne (Häufigste Ursache spontan rezidivierender Schwindelattacken im
mittleren Lebensalter; meist Drehschwindel und Lagerungsnystagmus)

142
Klinische Diagnose der klassischen Migräne ohne Aura:
*Anamnestisch mind. fünf Attacken, die folgende Kriterien erfüllen und nicht auf eine
andere Erkrankung zurückzuführen sind.
Dauer (ca. 4–72 h)
Mind. zwei der folgenden Kriterien bzgl. der Kopfschmerzen werden erfüllt
---Lokalisation (meistens einseitig)
---Pulsierender Charakter
---Mittlere bis starke Intensität
---Verstärkung durch körperliche Tätigkeiten
Auftreten von mind. einem der folgenden Begleitsymptome
---Übelkeit und/oder Erbrechen
---Photophobie und Phonophobie

Allgemeine Untersuchung
beim Leitsymptom Kopfschmerz zum Ausschluss anderer Ursachen;
---Neurologischer Status und detaillierter Hirnnervenstatus
---Trigeminale Nervenaustrittspunkte (zum Ausschluss einer Trigeminusneuralgie)
---Bulbusdruck- und Bewegungsschmerz
---Beweglichkeit der HWS, Druckschmerzhaftigkeit der perikraniellen Muskulatur (Hinweis
auf Spannungskopfchmerz)
---Klopf- und Druckschmerz der Kalotte (diffuser Klopfschmerz; Meningitis)
---Schmerzen bei Kieferöffnung
---Beurteilung der Schleimhäute, Zahnstatus
---Ertasten der A. temporalis superficialis (Hinweis auf Arteriitis Temporalis)
---Messung des Blutdrucks (art. HT bzw. hypertensive Krise)

Zusatzdiagnostik: MRT, VEP (Visuell evozierte Potenziale; i.d.R. Normalbefund im Intervall


bei einer Migräne)

Differenzialdiagnosen:

143
Therapie
----Allgemeine Maßnahmen zur Behandlung von Migräneattacken
Reizabschirmung
Ruhe, Schlaf
Kühlen von Schläfen und Stirn

----Akuttherapie einer Migräneattacke


Medikamentöse Maßnahmen
Möglichst früh und hochdosiert behandeln
Bei ausbleibender/unzureichender Befundbesserung: Therapie anpassen
Beachte: Risiko für Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch

Leichte bis mittelstarke Migräneattacke


1. Wahl: NSAR (Auflistung mit abnehmender Evidenz)
Acetylsalicylsäure (ASS) p.o. (<12J ist ASS wegen Risiko für Reye-Syndrom kontraindiziert!)
Ibuprofen p.o.
Diclofenac-Kalium p.o.
ASS + Paracetamol + Koffein (Kombinationspräparat) p.o.
Naproxen p.o.

Bei Kontraindikation gegen NSAR (Auflistung mit abnehmender Evidenz):


Phenazon p.o.
Metamizol p.o.
Paracetamol p.o.

Mittelschwere bis schwere Migräneattacke


1. Wahl: Triptane (bspw. Sumatriptan, Almotriptan)
Ggf. in Kombination mit NSAR (insb. Naproxen): Indiziert bei Personen mit langen oder
wiederkehrenden Migräneattacken

Wirkung: Agonist des 5-HAT-1-Rezeptors à Hemmung der perivaskulären, aseptischen


Entzündung im Bereich der Duraarterien, Vasokonstriktion

Nebenwirkungen:
Passagerer Blutdruckanstieg (häufig), koronare Ischämien (selten)
Parästhesien und Kältegefühl der Extremitäten
Schwindel, Müdigkeit, Flush
Kopfschmerzen bei zu häufiger Anwendung (Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch)

Kontraindikationen:
Ischämische Herzkrankheit
Myokardinfarkt in der Anamnese
Prinzmetal-Angina
pAVK
Ischämischer Schlaganfall oder TIA in der Anamnese
Arterielle Hypertonie
Schwere Leberfunktionsstörung

144
* Bei Migräne mit Aura sollten Triptane jedoch erst nach Beginn der Kopfschmerzen, also
nicht während der Aura, eingenommen werden!

* Die subkutane Applikation von Sumatriptan ist die schnellste und wirksamste
Akutbehandlung einer Migräneattacke!

Bei Übelkeit oder Erbrechen: Antiemetika; Metoclopramid p.o.


*Aufgrund der bei Migräneattacken häufig auftretenden Übelkeit mit ggf. Erbrechen ist die
gastrointestinale Resorption von Medikamenten (bspw. NSAR p.o.) nicht besonders
zuverlässig. Der Einsatz von Antiemetika empfiehlt sich nicht nur zur Linderung der
Beschwerden, sondern steigert auch die Magenperistaltik und somit die Resorption oral
eingenommener Medikamente. Einige Quellen empfehlen deswegen die Gabe 10 min vor
Einnahme der Analgetika.

Migräne-Notfallmedikation: Nach erfolgloser Einnahme oraler Medikation


ASS als schnell wirksames Lysinat i.v. oder Sumatriptan s.c.
Alternative: Metamizol i.v.
Ergänzend: Metoclopramid i.v.

Komplikationen:
----Chronische Migräne: Kopfschmerzen an ≥15 Tagen/Monat über ≥3 Monate, ohne dass
ein Medikamentenübergebrauch besteht. Dabei an ≥8 Tagen/Monat typische
Migränesymptomatik.
----Status migraenosus: Migräneattacke, die länger als 3 Tage anhält.
Therapie: Glucocorticoide p.o., einmalig Prednison oder Dexamethason
----Migränöser Infarkt: Persistierende Migräne mit Aurasymptomen in Kombination mit
einem Infarktgeschehen (z.B. klinisch fokal-neurologische Ausfälle).
Persistenz der Aura über mind. 60 min
Nachweis eines Infarktgeschehens (in einem relevanten Hirnareal) in der Bildgebung (mittels
MRT oder cCT)
Der ischämische Infarkt ist nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen
----Persistierende Aura ohne Hirninfarkt: Dauer der Aurasymptome >1 Woche, aber kein
morphologisches Korrelat für einen Hirninfarkt in der Bildgebung.
----Epileptischer Anfall: Getriggert durch eine Migräneattacke

Prävention:
Nicht-medikamentöse Migräneprophylaxe:
---Lebensstiländerung (Vermeidung von Stress)
---Ausdauersport (3×/Woche Schwimmen, Fahrradfahren, Joggen)
---Verhaltenstherapeutische Interventionen
---Neuraltherapie, bspw. okzipitale Nervenblockade (in Ausnahmefällen), Akupunktur
Medikamentöse Migräneprophylaxe: Betablocker (insb. Metoprolol und Propranolol),
Flunarizin (Calciumkanalblocker), Amitriptylin, Topiramat
Indikationen:
---≥3 Attacken/Monat
---Migräneattacke >72 h oder langanhaltende Auraphänomene
---Nicht-Ansprechen oder nicht-tolerierbare Nebenwirkungen der Akuttherapie
---Z.n. migränösem Hirninfarkt

145
DISKUSPROLAPS (Bandscheibenvorfall)

Diskusprotrusion: Verlagerung des Nucleus pulposus in einen Riss des Anulus fibrosus mit
resultierender Vorwölbung des Anulus fibrosus und ggf. des hinteren Längsbandes

Diskusprolaps: Austritt von Bandscheibenmaterial (meist Nucleus pulposus) aus dem


Anulus fibrosus (= Herniation)
Nach mediolateral (90% der Fälle): Austritt am hinteren Längsband (Lig. longitudinale
posterius) vorbei

Diskussequester: Bandscheibengewebe, das seine Verbindung zur ursprünglichen


Bandscheibe verloren hat.

Anatomische Grundlagen der Bandscheibe


Aufbau: Faserknorpeliger Anulus fibrosus-Ring und gallertartiger Nucleus pulposus-Kern
Funktion: Gleichmäßige Verteilung der axialen Belastung auf die Deck- und Bodenplatten
der Wirbelkörper

Epidemiologie:
Alter: Häufigkeitsgipfel: 30.–50. Lebensjahr
Nach dem 50. Lebensjahr: Seltener aufgrund des abnehmenden Expansionsdrucks des
Nucleus pulposus
Lokalisation:
Lumbaler Bandscheibenvorfall: Häufig (meist L4/L5 (95%) und L5/S1)
Zervikaler Bandscheibenvorfall: Selten (meist C5/C6 oder C6/C7)
Thorakaler Bandscheibenvorfall: Sehr selten
Pathophysiologie des Bandscheibenvorfalls

146
Pathophysiologie des Bandscheibenvorfalls:

1---Degenerativer Bandscheibenvorfall
àRückbildung der Gefäßversorgung der Bandscheibe ab dem 20. Lebensjahr und
Veränderung der strukturellen Zusammensetzung des Anulus fibrosus
àAnulus fibrosus wird anfälliger für Verletzungen
àMikrotraumata führen zur Rissbildung im Anulus fibrosus
àStark verlangsamte oder fehlende Ausheilung aufgrund der reduzierten
Nährstoffversorgung
àEindringen des Nucleus pulposus in die Risse bei Belastung (Bagatelltraumata)
àVorwölbung (Protrusion) des Nucleus pulposus bis hin zum Vorfall von Kernanteilen aus
dem Anulus fibrosus (Prolaps)

2---Traumatischer Bandscheibenvorfall: Extrembelastungen der Bandscheibe führen


zeitgleich zu einem Riss des Anulus fibrosus sowie zu einer direkten Herniation von Anteilen
des Nucleus pulposus

Symptome/Klinik
-----Schmerz
Dauer: Akut (<6 Wochen), subakut (6–12 Wochen), chronisch (>12 Wochen)
Qualität: Oft stechend, einschießend
Lokalisation und radikuläre Reizungen:
àZervikaler Bandscheibenvorfall: Schmerzausstrahlung in die Arme (Brachialgie)
àThorakaler Bandscheibenvorfall: Schmerzen im Verlauf sowohl des oberen Rückens
(Dorsalgie) als auch der Rippenbögen (Interkostalneuralgie)
àLumbaler Bandscheibenvorfall: Schmerzen des unteren Rückens (Lumbalgie),
Schmerzausstrahlung in die Beine im Verlauf des N. ischiadicus (Ischialgie) und
Schmerzausstrahlung im Verlauf des N. femoralis (Femoralgie)
-----Sensibilitätsstörungen: Missempfindungen, Kribbelparästhesien, Taubheitsgefühl
-----Paresen: Inkompletter Funktionsausfall eines Muskels
-----Reflexminderung: Ggf. auch Ausfall
-----Myelopathie: Neurologische Funktionsausfälle durch Kompression des Rückenmarks

* Als Warnzeichen für das Absterben eines Nervens gilt ein plötzliches Nachlassen der
Schmerzsymptomatik bei gleichzeitig zunehmender Parese. In einem solchen Fall droht ein
Wurzeltod!

Häufige radikuläre Syndrome:


Syndrom Kennmuskel/Parese Dermatom (Sensibilitätsstörung/ Reflex(-minderung)
Schmerzausstrahlung)
C3/4- Kennmuskel: Diaphragma Hals und Schulter
Syndrom

C5- Kennmuskel: M. deltoideus Dorsal: Übergang vom Nacken zu


Syndrom den Schultern
Frontal: Oberster Anteil des Thorax
und Palmarseite von Ober- und
Unterarm (lateraler Anteil)

147
C6- Kennmuskel: M. biceps Lateraler Oberarm, radialseitiger Bizepssehnenreflex
Syndrom brachii Unterarm, Daumen (BSR)
M. brachioradialis Brachioradialisreflex
Bei Parese: Armbeugung (BRR) =
geschwächt Radiusperiostreflex
(RPR)

C7- Kennmuskel: M. triceps Dorsal: Nacken, dorsaler Ober- und Trizepssehnenreflex


Syndrom brachii Unterarm sowie Zeige- und (TSR)
M. pectoralis major Mittelfinger
Thenarmuskel Palmar: Zeige- und Mittelfinger
sowie mittlere Anteile der
Handfläche

C8- Kennmuskel: Ulnare Seite des Unterarms Trömner-Reflex


Syndrom Hypothenarmuskulatur Finger IV–V Trizepssehnenreflex
(TSR)

L3- Kennmuskel: M. quadriceps Vorderseite des Oberschenkels und Patellarsehnenreflex


Syndrom femoris mediale Seite des Knies (schräg von (PSR)
M. iliopsoas kraniolateral nach kaudomedial)
Adduktoren

L4- Kennmuskel: M. quadriceps Oberschenkelaußenseite über Patellarsehnenreflex


Syndrom femoris (insb. M. vastus Patella zur Unterschenkel- (PSR)
medialis) Innenseite und Tibiavorderkante
M. iliopsoas Medialer Fußrand

L5- Kennmuskel Dorsolateraler Oberschenkel Tibialis-posterior-


Syndrom M. extensor hallucis longus Knieaußenseite und vorderer, Reflex (TPR)
Bei Parese: lateraler Unterschenkel
Großzehenheberschwäche Mittlerer Fußrücken, inkl. Anteilen
M. tibialis anterior der Großzehe
Bei Parese:
Fußheberschwäche,
geschwächter Hackengang
M. gluteus medius

S1- Kennmuskel Außen- und Rückseite des Ober- Achillessehnenreflex


Syndrom M. triceps surae und Unterschenkels (ASR)
Bei Parese: Äußerer Malleolus und laterale
Fußsenkerschwäche, Fußkante
geschwächter Zehengang
M. gluteus maximus
M. biceps femoris

148
Sonderformen:
Das Konus- und das Kaudasyndrom stellen schwerwiegende Verlaufsformen eines
Bandscheibenvorfalls dar. Beide Syndrome können isoliert, aber auch kombiniert auftreten.
Das Konus-Kauda-Syndrom, die Kombination beider Syndrome, ist oft durch eine sehr große
Raumforderung (bspw. posteromedialer Vorfall, Tumor) bedingt, welche eine massive
Kompression des Rückenmarks und der Spinalnerven bewirkt.

* Cauda equina: Fasergeflecht aus sensiblen und motorischen Nervenwurzeln unterhalb des
Rückenmarks
----Cauda equina- Syndrom: Asymmetrisch, eher beinbezogen
Sensibilitätsstörungen der unteren Extremität, u.a. Reithosenanästhesie
Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen, Sexualfunktionsstörungen
Schlaffe Paresen der unteren Extremität

*Conus medullaris: Kaudales Ende des Rückenmarks


----Conus medullaris- Syndrom: Symmetrisch, eher im Sakralbereich
Reithosenanästhesie (Sensibilitätsausfall in den Dermatomen S3–S5. Betrifft die Region um
den Anus, die Genitalien sowie die Innenseite der Oberschenkel)
Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen. Sexualfunktionsstörungen
Keine Paresen der unteren Extremität

149
Diagnostik:

-----Aktuelle Anamnese
àBeginn und Verlauf der Symptomatik, ggf. auslösendes Ereignis
àLokalisation und Art der Schmerzen, siehe auch: Schmerztherapie, Sektion Schmerz
und Schmerzformen
àNeurologische Symptomatik: Missempfindungen, Kribbelparästhesien,
Taubheitsgefühl

-----Körperliche Untersuchung
àInspektion: Schonhaltung (Häufig Lateralflexion des Rumpfes und Entlastung des
betroffenen Beines), Form und Verlauf der Wirbelsäule
àPalpation: Paravertebraler Hartspann, Klopf- oder Druckschmerz über der Wirbelsäule
*Valleix-Druckpunkte: Punkte über dem N. ischiadicus, die im Falle einer Nervenreizung
druckschmerzhaft sein können. (Beispiele: tiefe Palpation des M. gluteus maximus, der
Poplitea oder des Peroneusansatzes)
àFunktionsuntersuchung: Neurologische Untersuchung insb. mit Prüfung der
Sensibilität, Kraft der Kennmuskeln, Muskeleigenreflexe, Wurzeldehnungszeichen

-----Bildgebende Diagnostik
*Bei akutem Rückenschmerz und fehlenden Hinweisen für Risikofaktoren ist eine
bildgebende Diagnostik initial nicht routinemäßig indiziert!

àRöntgen
Indikation: Starker Schmerz (inbs. nach Trauma)
Befund: Intervertebrale Höhenminderung, veränderte Knochenstrukturen (bspw. bei
Frakturen, Tumoren, Osteoporose), degenerative Prozesse

àMagnetresonanztomografie
Indikation: Bildgebung der Wahl
Befund: Sklerosierte, dehydrierte Bandscheiben bei Bandscheibendegeneration,
Diskusprolaps als Herniation von Bandscheibengewebe mit umgebendem Ödemsaum,
entzündliche Infiltrate

àComputertomografie
Befund: Bspw. von ventral in den Spinalkanal drängende, vom Zwischenwirbelraum
ausgehende Raumforderung, veränderte Knochenstrukturen, degenerative Prozesse

Differenzialdiagnosen: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (=Spondylosis


deformans; bspw. Sypondylarthrose, Osteochondrose), Wirbelkörperfraktur, Tumoren

150
***Wurzeldehnungszeichen:

1. Lasègue-Test:
Untersuchung des betroffenen Beines in Rückenlage
Anheben des gestreckten Beines durch den Untersucher
àLasègue-Zeichen positiv: Schnell einschießende Schmerzen in das ipsilaterale Bein mit
Ausbreitung im motorischen/sensiblen Areal der betroffenen Nervenwurzel bei einem
Beugungswinkel im Hüftgelenk von meist 40–60°
Hinweis auf: Wurzelreizung im Bereich L4–S1, Reizung des N. ischiadicus oder meningeale
Reizung

2. Bragard-Test (Wirbelsäule)
Durchführung des Lasègue-Tests, bis der Schmerz einsetzt
Anschließend Absenken des Beines, bis der Schmerz gerade verschwunden ist
Halten der Position und passive Durchführung einer schnellen Dorsalextension des Fußes
durch den Untersucher
àBragard-Zeichen positiv: Schnell einschießende Schmerzen in das ipsilaterale Bein mit
Ausbreitung im motorischen/sensiblen Areal der betroffenen Nervenwurzel
Hinweis auf: Wurzelreizung im Bereich L4–S1, Reizung des N. ischiadicus oder meningeale
Reizung

151
3. Kernig-Zeichen
----Variante 1
Passives Anheben des gestreckten Beines in Rückenlage durch den Untersucher
Kernig-Zeichen positiv: Einschießende Schmerzen ab einem bestimmten Beugungswinkel
des Hüftgelenks sowie reflektorische Beugung des Beines im Kniegelenk durch den Patienten
zur Schmerzreduktion

----Variante 2
Passive Beugung des Beines in Hüft- und Kniegelenk um je 90° beim Patienten in
Rückenlage, anschließend erfolgt eine langsame, passive Streckung im Kniegelenk
Kernig-Zeichen positiv: Einschießende Schmerzen bei Streckung des Kniegelenks mit
fühlbarer Abwehrspannung, typisch ist das Auftreten von Schmerzen bzw. einer
Abwehrspannung bei einem Streckungswinkel <135°.
Hinweis auf: Wurzelreizung im Bereich L4–S1, Reizung des N. ischiadicus oder meningeale
Reizung

Therapie:
----Konservative Therapie
Indikation: Therapie der 1. Wahl
Multimodales Therapiekonzept
àFrühzeitige medikamentöse Schmerztherapie nach WHO-Stufenschema
àPeriradikuläre Therapie: Injektion von Lokalanästhetikum und/oder Glucocorticoide an die
Nervenwurzel (bspw. Ropivacain)
àPhysiotherapie: Bspw. Krankengymnastik, Wärmetherapie, Massage
àBewegungstherapie: Fortführung der täglichen Aktivitäten, keine Bettruhe
àPatientenedukation
àVerhaltenstherapie

152
----Operative Therapie
Absolute OP-Indikation: Konussyndrom oder Kaudasyndrom (notfallmäßige Intervention),
progrediente oder akut auftretende schwere motorische Ausfälle (Kraftgrad <3/5), zentrale
Ausfälle (z.B. pathologische Fremdreflexe) unabhängig vom Schweregrad

Komplikationen:
Persistierende Wurzelschädigung und Wurzeltod:
---Motorischer Funktionsverlust: Paresen, Kraftverlust, Bewegungseinschränkung
---Sensibilitätsstörungen
---Pathologische Reflexe
Rezidiv
Komplikationen bei Bandscheibenoperationen:
---Rezidiv bei Teilnukleotomie
---Iatrogene Wurzel- oder Duraläsion
---Epidurales Hämatom
---Pseudolisthese: Pathologische Überbeweglichkeit im betroffenen Segment mit
Wirbelgleiten
---Postdiskektomie-Syndrom (Persistierende Beschwerden nach OP)

Prävention:
---Gewichtsreduktion
---Steigerung der körperlichen Aktivität
---Rückengerechtes Lastenheben und -tragen (Lasten aus der Hocke mit gestrecktem Rücken
heben und nah am Körper tragen
---Forciertes Aufbautraining der Rücken- und Bauchmuskulatur im Sinne einer Rückenschule

153
POLYTRAUMA

Polytrauma: Verletzungen mehrerer Körperregionen, bei denen mindestens eine oder die
Kombination mehrerer Verletzungen lebensbedrohlich ist. ***

Primäre Behandlungsziele:
Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der Vitalfunktionen (ggf. Reanimation)
Diagnostik, Einschätzung und Akutbehandlung von Verletzungen lebenswichtiger Organe

Diagnostik: ****

1.Erstuntersuchung:
----Komplette körperliche Untersuchung: Zeitbedarf so gering wie möglich halten
Gefahr der Auskühlung durch Entkleiden beachten
Begutachtung der Körperrückseite: Vorsichtige Drehung insb. bei Verletzung des
Achsenskeletts

----Etablieren des Basismonitorings


EKG, Pulsoxymetrie, Nicht-invasive Blutdruckmessung

-----Ultraschalldiagnostik (eFAST) ****


Routinemäßiger Einsatz empfohlen
Untersuchte Regionen: Abdomen, Perikard und Pleura
----Anlage eines Blasenkatheters:
Zur Beurteilung der Urinproduktion und zur kontinuierlichen Temperaturmessung. Zudem
können über einen Blasenkatheter Blutungen im Bereich der ableitenden Harnwege
frühzeitig erkannt werden.

2.Radiologische Diagnostik:
----Ganzkörper-Computertomografie (Polytrauma-CT) ***
Goldstandard zur detaillierten Diagnostik des Verletzungsmusters bei Polytrauma
Zeitnahe Durchführung empfohlen
Durchführung auch bei unauffälligem eFAST-Befund empfohlen sowie bei
Störung der Vitalparameter (Atmung, Kreislauf, Bewusstsein)
Hochenergetischem Trauma (bspw. Sturz aus großer Höhe, Verkehrsunfall mit hoher
Geschwindigkeit)
Relevanter Verletzung ≥2 Körperregionen
Untersuchungsumfang: Native CT des Schädels, CT von Kopf bis einschließlich Becken mit
Kontrastmittelgabe
Alternativ: CT-Schädel, CT-Thorax, CT-Abdomen als Einzeluntersuchung bei isoliertem
Trauma

----Röntgen-Thorax-Untersuchung
Einzelfallentscheidung, falls keine CT durchgeführt wird
----Weitere radiologische Untersuchungen leitsymptom- bzw. bedarfsadaptiert

154
3. Labordiagnostik
----Blutgasanalyse (bevorzugt arteriell) ***
Beurteilung insb. von Gasaustausch, Elektrolyt- bzw. Säure-Basen-Haushalt und möglicher
Transfusionsindikation
Überprüfung und ggf. Anpassung der therapeutischen Maßnahmen (bspw. Beatmung,
Volumentherapie)
----Gerinnungsparameter ***
Quick-Wert bzw. INR, aPTT, Fibrinogen und Thrombozytenzahl
----Blutgruppenbestimmung und Antikörpersuchtest ***
Möglichst vor Transfusion von Fremdblut
Gleichzeitige Durchführung eines Bedside-Tests
----Weitere Parameter nach Klinikstandard, bspw. Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, LDH, CK,
γGT, GOT, GPT

Therapie:
1.Basistherapie
----Stabilisierung der Vitalparameter, ggf.Intubation
----Optimierung der Rahmenbedingungen der Gerinnung
àNormothermie durch Einsatz von erwärmten Infusionslösungen, Wärmematten und
Heißluftgebläse
àVermeidung von Hypoperfusion und Hypoxie, ggf. Gabe von Natriumbicarbonat zum
Azidoseausgleich
àNormokalzämie durch Calciumsubstitution bei Hypokalzämie

----Spezifische Maßnahmen (abhängig vom Verletzungsmuster)


àTransfusion von Erythrozyten, Plasmakonzentraten und/oder Thrombozyten
àAnlage einer Thoraxdrainage (bei Pneumothorax)
àNeuroprotektive Maßnahmen (insb. bei SHT, siehe: Konservative Hirndrucksenkung)
àPermissive (induzierte) Hypotonie bei starken Blutungen (Durch die Maßnahme sollen ein
unnötiger Blutverlust sowie eine potenziell kontraproduktive Volumensubstitution
vermieden werden. Bei Schädelhirntrauma ist die Durchführung kontraindiziert.)

***Bei einem Polytrauma werden akut lebensgefährliche Störungen der Vitalfunktionen


bzw. Verletzungen grundsätzlich zuerst versorgt („treat first what kills first“)!

2.Operative Therapie
àOperative Phase I: Abhängig von Hämodynamik bzw. klinischer Gesamtsituation
Stabil: Zeitnahe definitive Versorgung anstreben
Instabil: Notfallmäßige Erstversorgung akut lebensbedrohlicher Verletzungen (Bspw. mittels
Notfalllaparotomie, Notfallthorakotomie, Notfallkraniotomie)
Stabilisierungsphase: Stabilisierung der Vitalfunktionen
Durchführung auf der Intensivstation
Optimierung der Bedingungen für Folgeeingriffe
àOperative Phase II: Second Look (i.d.R. frühestens nach 24 h und spätestens nach 72 h)
Weitere Behandlung erstversorgter Verletzungen
Behandlung bisher unversorgter (nicht akut lebensbedrohlicher) Verletzungen
àWeitere operative Phasen: Abhängig vom Verletzungsmuster und Heilungsverlauf

155
SCHÄDELHIRNTRAUMA

Verletzung des Schädels mit konsekutiver Funktionsstörung und/oder struktureller


Schädigung des Gehirns.
Ggf. verbunden mit einer Prellung bzw. Verletzung der Kopfschwarte, des Schädelknochens,
der intra- und extrakraniellen Gefäße oder der Dura mater

Einteilung nach Zustand der Dura mater:


---Gedecktes SHT: Geschlossene Verletzung des Gehirns bei intakter Dura mater
---Offenes SHT: Verletzung von Kopfhaut, Schädelknochen und Dura mater, Verbindung des
intrakraniellen Raums mit der Außenwelt

Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS****


Anhand der Summe aus den 3 Teilscores (Augenöffnen, verbale und motorische Reaktion)
der GCS werden 3 Schweregrade definiert:
---Leichtes SHT: GCS 13–15 Punkte (Veraltet; Commotio cerebri, Gehirnerschütterung)
---Mittelschweres SHT: GCS 9–12 Punkte (Veraltet; Contusio cerebri, Gehirnprellung)
---Schweres SHT: GCS ≤8 Punkte (Veraltet; Commotio cerebri, Gehirnquetschung)

Glasgow Coma Scale:


---Augenöffnen: (4)
Spontan 4
Auf Ansprache/Geräusch 3
Auf Schmerzreiz 2
Keine Reaktion 1
---Verbale Reaktion: (5)
Orientiert zu Person, Ort und Zeit 5
Desorientiert, aber konversationsfähig 4
Unzusammenhängende, aber verständliche Wörter 3
Unverständliche Laute 2
Keine Reaktion 1
---Motorische Reaktion: (6)
Befolgt Aufforderungen 6
Reagiert gezielt auf Schmerzreiz 5
Reagiert ungezielt auf Schmerzreiz 4
Reagiert mit abnormaler Beugereaktion des Arms auf Schmerzreiz 3
Reagiert mit Streckung des Arms im Ellenbogen auf Schmerzreiz 2
Keine Reaktion 1

Symptome/Klinik:
----Quantitative Bewusstseinsstörungen von Somnolenz über Sopor bis zum Koma
----Weitere ZNS-Funktionsstörungen, bspw.
Amnesie
Qualitative Bewusstseinsstörungen (bspw. Posttraumatische Verwirrtheit, Desorientiertheit)
Fokal-neurologische Defizite (bspw. Sprach-, Sprech-, Koordinations-, Hirnnervenstörungen)
Epileptische Anfälle

156
----Äußere Verletzungszeichen, bspw.Riss- und Platzwunden, Austritt von Blut, Liquor oder
Hirngewebe durch Mund, Nase oder Ohr
----Subjektive Beschwerden, insb.
Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Benommenheitsgefühl, Sehstörungen (insb.
Diplopie), Schwerhörigkeit, Licht- und Geräuschüberempfindlichkeit
----Begleitverletzungen:
Verletzungen der hirnversorgenden Gefäße
Beim Polytrauma: Insb. kritische Blutungen anderer lebenswichtiger Organe, Verletzungen
des Respirationstrakts etc.
Verletzung der Wirbelsäule oder des kraniozervikalen Übergangs
Kopfplatzwunde: Aufplatzen der Haut über der Schädelkalotte

Diagnostik:

1.Anamnese: Als Notfallanamnese


àInformationen zum Unfall, aktuelle Beschwerden inkl. Symptomverlauf und
Schmerzanamnese, medizinische Vorgeschichte und Medikamentenanamnese
àKörperliche Untersuchung: Kraniokaudaler Trauma-Check mit Fokus auf äußere
Verletzungszeichen von Kopf und Hals, z.B. Riss- oder Platzwunden, Prellmarken oder
Deformität des Schädels, Hämatome, Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe aus Mund,
Nase oder Ohren
àRegelmäßige GCS-Bestimmung

2. Bildgebung: Notfall-CT: Goldstandard (Native cCT) ****


--Häufige Befunde:
Kontusionsblutungen und andere intrakranielle Blutungen
Masseneffekte durch intrazerebrale Hämatome oder Ödeme
Schädelfrakturen: Sichtbare Frakturlinien
Lufteinschlüsse als Hinweis auf ein offenes SHT
---ggf. MRT, FAST-Sonografie

Erst- und Basismaßnahmen bei dem SHT


Stabilisierung der Vitalparameter:
àAusschluss kritischer Blutungen
àSicherung der Atemwege
Bei GCS ≤8: Indikation zur endotrachealen Intubation!
àAufrechterhaltung der kardiopulmonalen Situation
àMögliche HWS-Verletzung beachten
àRegelmäßige Evaluation des neurologischen Status inkl. Prüfung der Wachheit mittels GCS

Differenzialdiagnosen:
Schädelprellung: Verletzung des Kopfes ohne Funktionsstörung und/oder struktureller
Schädigung des Gehirns
Sekundäres SHT: SHT als Folge eines anderen Zustands (neurologisch oder nicht-
neurologisch), der zu einer quantitativen Bewusstseinsstörung (Vigilanzminderung,
Wachheitsstörung) und dadurch zu einem Sturz mit SHT führt.

157
PNEUMOTHORAX: Luftansammlung im Pleuraspalt zwischen Lunge (Pleura visceralis) und
Brustwand (Pleura parietalis).

Einteilung und Definition unterschiedlicher Pneumothoraxformen:


----Nach Lokalisation/Anatomie
àGeschlossener Pneumothorax: Keine direkte Verbindung zur Außenluft, bspw. durch
Ruptur einer Emphysemblase
àOffener Pneumothorax: Direkte Verbindung zur Außenluft, bspw. durch Läsion der
Thoraxwand

----Nach Ätiologie
àSpontanpneumothorax: Innerer Pneumothorax, der ohne erkennbare äußere Ursache
auftritt. Durch einen Defekt der Pleura visceralis tritt Luft aus dem Inneren der Lunge in den
Pleuraspalt über;
Primärer Spontanpneumothorax (PSP) bei lungengesunden Patienten
Sekundärer Spontanpneumothorax (SSP) bei Patienten mit Vorerkrankungen der Lunge
àTraumatischer Pneumothorax: Pneumothorax nach Trauma
Stumpfe Gewalteinwirkung (z.B. Autounfall mit Aufprall des Thorax auf das Lenkrad,
Rippenfraktur)
Scharfe Gewalteinwirkung (z.B. Messerstichverletzung)
àIatrogener Pneumothorax: Pneumothorax nach medizinischem Eingriff (Pleurapunktion,
Perkutane (Lungen-) Biopsie, Punktion der V. subclavia (bspw. bei der Anlage eines ZVK,
Herzschrittmachers, Shaldon- oder Portkatheters)

----Nach Erscheinungsbild
àSpitzenpneumothorax: Pneumothorax im Bereich der Lungenspitze, also des Lungen-Apex
àMantelpneumothorax: Schmaler Luftsaum um das Lungengewebe
àPneumothorax mit Mediastinalflattern: Pneumothorax mit atemabhängiger Bewegung des
Mediastinums

158
Pathophysiologie:
*Die Lunge besitzt aufgrund ihrer elastischen Fasern sowie der Oberflächenspannung des
alveolären Flüssigkeitsfilms grundsätzlich das Bestreben, sich zusammenzuziehen →
Unterdruck im Pleuraspalt hält die Lunge entfaltet.
*Eintritt von Luft in den Pleuraspalt → Verlust des Unterdrucks im Pleuraspalt → Die Lunge
gibt dem Zug ihrer elastischen Fasern nach und fällt in sich zusammen.
*Beim Spannungspneumothorax kommt es zusätzlich zum Auftreten eines
Ventilmechanismus.

Allgemeine Symptome
---Plötzlich einsetzender, stechender, atemabhängiger Schmerz im Brustkorb der
betroffenen Seite, Husten (Folgen der Pleuraverletzung)
---Dyspnoe, Tachypnoe, Tachykardie, ggf. Zyanose
---Insb. bei lungengesunden Patient:innen mit Spontanpneumothorax auch symptomloser/-
armer Verlauf möglich
Bei traumatischem Pneumothorax zusätzlich
---Begleitverletzungen (z.B. Rippenfrakturen)
---Ggf. Hautemphysem
Bei Ausbildung eines Spannungspneumothorax zusätzlich ***
---Angst, Panik, Unruhe
---Druckbedingte Behinderung der Blutzirkulation und Herzfunktion
---Obere Einflussstauung
---Hämodynamische Instabilität, Schocksymptomatik ***

*Die Klinik des sekundären Spontanpneumothorax (bei zugrundeliegender


Lungenerkrankung) ist meist ausgeprägter als die des primären Spontanpneumothorax.

NOTFALL: SPANNUNGSPNEUMOTHORAX ****


Spannungspneumothorax: Pneumothorax mit Ventilmechanismus, wodurch sich im
Pleuraraum ein Überdruck ausbildet und es zu Kreislaufversagen kommen kann.
(Zunehmende Ansammlung von Luft im Thoraxraum, die zu einer Mediastinalverschiebung
führt)

Beim Spannungspneumothorax handelt es sich um eine lebensbedrohliche Form des


Pneumothorax!!!

159
Ätiologie:
Kann bei jeder Form des Pneumothorax auftreten.
Aufgrund eines Ventilmechanismus baut sich ein Überdruck (Spannung) auf.

Pathophysiologie:
Riss in der Pleura mit Ventilmechanismus → Luft kann nur in eine Richtung strömen → Bei
jeder Inspiration strömt mehr Luft in den Pleuraspalt, bei der Exspiration kann die Luft
jedoch nicht entweichen → Überdruck im Pleuraraum entsteht → Mediastinalverlagerung
sowie erhöhter Druck auf Lunge, Herz und Gefäße

Symptome/Klinik:
Starke Ruhedyspnoe und Tachypnoe
Kreislaufinstabilität: Tachykardie, Hypotonie
Schocksymptomatik
Zyanose, gestaute Halsvenen bis hin zur Einflussstauung
Angst, Panik, Unruhe

***Bei Vorliegen eines Spannungspneumothorax muss notfallmäßig eine Entlastung durch


Pleurapunktion (ggf. bereits außerhalb der Klinik) erfolgen!

(Präklinische) Versorgung des Spannungspneumothorax****


à Nadeldekompression: Schnellste Therapieform, jedoch mit hoher Misserfolgsrate
Material: Kanüle/Hohlnadel mit ausreichender Länge und Durchmesser
Wahl des Punktionsortes:
Bülau-Position: 4.–5. ICR zwischen vorderer und mittlerer Axillarlinie
Monaldi-Position: 2. ICR in der Medioklavikularlinie
Durchführungsprinzip: Punktion am Rippenoberrand senkrecht zum Hautniveau und unter
Aspiration, bis Luft aspiriert werden kann

àThoraxdrainage als definitive Versorgung: Methode zur Wiederherstellung der


Druckverhältnisse im Thorax, indem Flüssigkeiten oder Luft über Drainagesysteme aus dem
Pleuraspalt befördert werden.
Auch nach Nadeldekompression immer zeitnahe Anlage einer Thoraxdrainage

160
Pneumothorax-Diagnostik
1.Körperliche Untersuchung *****
----Atemmechanik:
Asymmetrische Thoraxexkursion → Betroffene Thoraxhälfte „hinkt nach“
----Perkussion/Auskultation:
Befunde der betroffenen Thoraxhälfte sind:
àFehlendes oder abgeschwächtes Atemgeräusch
àHypersonorer Klopfschall
----Palpation
àKein Stimmfremitus
àGgf. instabiler Thorax bzw. Krepitationen der Rippen bei Rippenfraktur
àGgf. Hautemphysem
----Kreislaufparameter: ggf. Hypotonie und Tachykardie
*Bei Spannungspneumothorax fallen Kreislaufinstabilität und ggf. zusätzlich eine Zyanose,
eine Einflussstauung (gestaute Halsvenen) und/oder ein Hautemphysem auf!
* Die klinische Untersuchung ist nicht ausreichend, um einen Pneumothorax auszuschließen,
und dient nur als erste Orientierung!
2.Blutgasanalyse: zur Einschätzung der Hypoxämie, Hyperkapnie
3.Röntgen: Thorax p.a. im Stehen und in Inspiration *****
Typische Befunde im Röntgen:
----Spannungspneumothorax ***
àLunge meist komplett kollabiert
àZwerchfelltiefstand auf der betroffenen Seite
àErweiterung der Interkostalräume
àVerlagerung des Mediastinums nach kontralateral (Tracheal-, Gefäß- und
Herzverlagerung)
----Pneumothorax
àAbbruch der Gefäßzeichnung
àVermehrte Strahlentransparenz bzw. Transparenzsprung
* Im Bereich der Luftansammlung zeigt sich eine vermehrte Strahlentransparenz, der Bereich
ist also „schwärzer“. Das Lungengewebe hingegen ist partiell kollabiert und weist daher eine
verminderte Strahlentransparenz auf, ist also „heller“.
àPneulinie: Pleura visceralis als feine Haarlinie sichtbar
Ggf. subkutanes Emphysem und/oder Pneumomediastinum (insb. nach Trauma oder
Intervention)
4.Ggf. CT (nicht Teil der Standarddiagnostik)
Indikationen:
---Unklarer Befund im Rö-Thorax
---Bei Polytraumadiagnostik
---V.a. sekundären Pneumothorax
---Komplizierende Befunde: Hämatopneumothorax, Weichteilemphysem
---Klärung einer OP-Indikation
---Beurteilung der Rezidivwahrscheinlichkeit eines Pneumothorax
5. Sonografie: Bei erfahrenem Untersucher als Alternative zum Röntgen
Differenzialdiagnosen: Angina pectoris, Aortendissektion, Lungenembolie, Pleuritis,
Pneumonie, Ösophageale Ursachen.

161
Therapie:
1. Erstmaßnahmen
---Bedarfsgerechte Sauerstoffgabe, bspw. über eine Nasensonde (4–6 L/min) bzw. eine
Maske mit Reservoir (bis zu 10 L/min)
---Oberkörperhochlagerung zur Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches
2.Konservativer Therapieversuch:
Indikation:Nur bei primärem Spontanpneumothorax zu erwägen
--Kleiner Mantel-/Spitzenpneumothorax (<2–3 cm breiter Saum) und
--Keine/geringe Dyspnoe
Durchführung: Symptomatische Therapie
Verlauf: Häufig selbstständige Resorption der Luft, Röntgen-Thorax-Kontrolle
3.Interventionell: Thoraxdrainage
Indikation: Ein Spannungspneumothorax und ein beidseitiger Spontanpneumothorax sind
Notfallindikationen
---Primärer Spontanpneumothorax: Je nach Ausdehnung und klinischer Beeinträchtigung der
betroffenen Personen
---Sekundärer Spontanpneumothorax: Interventionelle Therapie durch Thoraxdrainage i.d.R.
erforderlich, da Erfolgsaussichten einer konservativen Therapie geringer
àLokalisation des Zugangs:
---Bülau-Position: Standardzugang für die meisten Indikationen ***
4.–5. ICR zwischen vorderer und mittlerer Axillarlinie, sog. Safe Triangle
---Monaldi-Position: Anwendung eher in Ausnahmefällen
2. ICR in der Medioklavikularlinie
àZugang zur Thoraxhöhle: Minithorakotomie in Lokalanästhesie--Platzierung des
Drainagenendes (Kontrolle mit Röntgen***) ---Annaht: Fixierung des Drainageschlauches an
der Thoraxwand
Optimale Einstellung: -10 bis -20 cm H2O
4.Operative Versorgung
---Indikation:
Rezidiv eines Spontanpneumothorax
Nachgewiesene Bullae
Spannungspneumothorax (auch Erstereignis)
Persistierendes Luftleck und/oder mangelnde Reexpansion trotz Drainagebehandlung
Dislozierte Rippenfraktur
Hämatothorax
---Zugangswege: Empfehlung zur videoassistierten Thorakoskopie (VATS)
Alternativ: Offene Thorakotomie

Komplikationen:
àDurch Pneumothorax:
----Totalkollaps der Lunge → Respiratorische Insuffizienz
----Spannungspneumothorax → Kardiale Insuffizienz
----Mediastinalflattern bei offenem Pneumothorax → Hämodynamische Instabilität
----Hämatothorax bei Trauma
----Rezidive
àDurch Spannungspneumothorax:
Herz-Kreislauf-Stillstand

162
àNach Drainage/Operation
----Verletzung von Interkostalnerven und -gefäßen
----Blutung bis hin zum Hämatothorax
----Reexpansionsödem
----Keimverschleppung/Infektion

DISTALE RADIUSFRAKTUR (Speichenbruch)

Die distale Radiusfraktur ist eine der häufigsten Frakturen des Menschen.
Verletzungsmechanismus ist meist ein Sturz auf die abstützende, extendierte Hand, die
dabei eine Extensionsfraktur („Colles-Fraktur“) erleidet. Andere wichtige Formen der
Radiusfraktur sind die Flexionsfraktur („Smith-Fraktur“) und die Radiustrümmerfraktur.

Dislozierte Frakturen werden i.d.R. in der Notaufnahme reponiert und durch einen
retinierenden Unterarmstützverband ruhiggestellt.

Ist also der Versuch der geschlossenen Reposition insuffizient oder erweist sich die Fraktur
als instabil, werden operative Verfahren angewendet wie bspw. die Plattenosteosynthese
oder K-Draht-Osteosynthese.

Klassifikation: ***
àExtensionsfrakturen: Sturz auf die extendierte (ausgestreckte) Hand (typische
Abstützbewegung)
Colles-Fraktur (Fraktur loco typico): Dislokation des distalen Fragments nach dorso-radial
àFlexionsfrakturen: Sturz auf die flektierte (gebeugte) Hand
Smith-Fraktur: Dislokation des distalen Fragments nach palmar und radial
***Im Anamnesegespräch: Sind Sie auf die ausgestreckte oder die gebeugte Hand gefallen?

163
*Besonderheit der distalen Radiusfraktur: Potentiell zwei Gelenke betroffen
--Radiokarpalgelenk
--Distales Radioulnargelenk

*Begleitverletzungen:
---Karpale Begleitverletzungen (häufig)
Fraktur oder Luxation der Handwurzelknochen
Bandverletzungen
---Sonstige Begleitverletzungen: Abrissfraktur des Proc. styloideus ulnaeNerven-, Gefäß-,
Sehnenverletzungen

Diagnostik:
1.Untersuchung auf klinische Frakturzeichen und Überprüfung der pDMS

***Standardmäßig sollten bei der körperlichen Untersuchung periphere Durchblutung,


Motorik und Sensibilität (pDMS) überprüft werden

164
***Frakturzeichen: Klinische und radiologische Hinweise auf eine Fraktur.
Es werden sichere von unsicheren Frakturzeichen unterschieden.

àZu den sicheren Frakturzeichen gehören: ****


Achsenabweichung, Fehlstellung
übersteigerte Beweglichkeit,
offene Fraktur,
Stufenbildung, Knochenlücke,
Krepitationen
radiologischer Nachweis

àZu den unsicheren Frakturzeichen gehören: ****


Rötung (Rubor), Schwellung (Ödem), Schmerzen (Dolor) und Funktionseinschränkungen
(Fuctio laesa).

2. Apparative Diagnostik
Röntgenaufnahme des Handgelenks in zwei Ebenen: p.a./a.p. und streng seitlich ****
àNachweis einer (evtl. intraartikulären) Frakturlinie und Beurteilung des Frakturverlaufs
(und ggf. einer Trümmerzone)
àVeränderter Böhler-Winkel des distalen Radius: Radioulnare oder Palmare
Inklination/Gelenkflächenneigung

Differenzialdiagnosen:
---Prellung oder Distorsion
---Karpale Verletzungen: Bspw. Kahnbeinfraktur oder skapholunäre Dissoziation
---Luxationsfrakturen mit kompletter Instabilität des distalen Unterarms;
àMonteggia-Fraktur (Proximale Ulnafraktur mit meist ventraler Luxation des Radiuskopfes)
àGaleazzi-Fraktur (Radiusschaftfraktur mit Ulnaluxation im distalen Radioulnargelenk und
Zerreißung der Membrana interossea.)

Therapie:
1.Frühzeitig geschlossene Reposition der distalen Radiusfraktur
Indikation: Alle dislozierten Frakturen, die nicht notfallmäßig operiert werden müssen
Mögliche Verfahren zur Analgesie: Systemische Opioidgabe, Bruchspaltanästhesie

2.Konservative Therapie
àRuhigstellung im fixierenden Unterarmverband für 4–6 Wochen
àRegelmäßige Verlaufs- und Röntgenkontrollen
àFortführen der schmerzadaptierten Analgesie
àPhysiotherapie
3.Operative Therapie: Spickdrahtosteosynthese (bspw. bei Kindern),
Schraubenosteosynthese, Winkelstabile Plattenosteosynthese, Fixateur externe (bspw. bei
Trümmerfrakturen)

165
4.Nachbehandlung:
àJe nach Verfahren postoperative Ruhigstellung, bspw. in dorsaler Unterarmgipsschiene
àThromboseprophylaxe: Basismaßnahmen wie Frühmobilisation und Bewegungsübungen
*Laut aktueller Leitlinie sind nach Eingriffen an der oberen Extremität generell nur
Basismaßnahmen empfohlen, da das Risiko für thromboembolische Komplikationen sehr
gering ist. Lediglich bei individuellen Risikofaktoren oder nach Implantation einer
Schultergelenkprothese nach Trauma sollten weitere Prophylaxemaßnahmen erwogen
werden. (bspw. Heparin)
àRegelmäßige Wund- und/oder Pinkontrollen
àSchwellungsprophylaxe durch Hochlagerung und Kühlung
àSchmerzadaptierte Analgesie mit NSAR
Ibuprofen 600 mg 3x/d (Maximal Dosis: 2400 mg/d)
Bei Kontraindikationen: Metamizol 500–1.000 mg p.o. bis zu 4×/d (Max.dosis 4.000 mg/d)
àRöntgenkontrollen: Intraoperativ und im Verlauf je nach Verfahren
àPhysiotherapie abhängig von der Therapie und der postoperativ erreichten Stabilität
(Aktive und passive Beübung des Handgelenks ohne Belastung--- Beginn mit
Belastungsaufbau (Teilbelastung) --- Unlimitierte Bewegung und Belastung---
Uneingeschränkte Sportfähigkeit)

Komplikationen:
1.Allgemeine Komplikationen:
Verletzung von umliegenden/umgebenden Strukturen (Sehnen, Nerven, Gefäße),
Thrombose, Embolie, Blutung, Hämatom, Infektionen

2.Spezielle Komplikationen
----Sekundäre Dislokation, Heilung in Fehlstellung, Posttraumatische Arthrose,
Pseudoarthrose (Ausbleiben der Frakturausheilung)
----Sehnenruptur (v.a. Sehne des M. extensor pollicis longus)
----Implantatfehllage, Implantatlockerung/-wanderung/-bruch nach Operation
----Instabilität des Handgelenks (v.a. bei Begleitverletzungen wie bspw. SL-Bandruptur)

-----Kompartmentsyndrom (Muskellogensyndrom): Häufigste Lokalisationen: Unterschenkel


und Unterarm, selten an Fuß, Ober-schenkel oder Oberarm
*Funktionsstörung innerhalb eines anatomischen Kompartimentes aufgrund einer
Druckerhöhung. Eine Zunahme des Volumens innerhalb des Kompartimentes oder Druck
von außen führen dabei zu einer Mikrozirkulationsstörung mit Minderperfusion von
Gewebe und ggf. irreversiblen Schäden. Betroffen sein kann neben den Muskellogen der
Extremitäten auch das abdominelle Kompartiment. (Therapie: Dermatofasziotomie)

166
----Akutes posttraumatisches Karpaltunnelsyndrom:
****Das Karpaltunnelsyndrom bezeichnet eine chronische Kompression des Nervus
medianus unter dem Retinaculum musculorum flexorum im Karpaltunnel. Die Symptome
ergeben sich aus der Funktion des N. medianus peripher des Karpaltunnels. Früh zeigen sich
nächtliche Schmerzen in Zeige- und Mittelfinger sowie im Daumen. Im Verlauf kommt es zu
einer Atrophie des Daumenballens.

---- Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS, Sudeck-Dystrophie, Morbus Sudeck):


****Posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, das mit starken chronischen
Schmerzen und motorischen, autonomen oder sensorischen Störungen einhergeht. Man
unterscheidet hierbei zwei Typen, je nachdem ob eine größere periphere Nervenläsion an
der betroffenen Extremität vorliegt (Typ II) oder nicht (Typ I=Morbus Sudeck). Bei CRPS
sollte frühzeitig eine multimodale Therapie eingeleitet werden.

MILZRUPTUR

*Verletzungen der Milz werden meist durch stumpfe Bauchtraumen verursacht. Selten kann
es auch zu Spontanrupturen im Rahmen infektiöser, entzündlicher oder hämatologischer
Erkrankungen kommen.
**Man unterscheidet die akute, einzeitige Ruptur von der zweizeitigen Ruptur, die nach
einem symptomfreien Intervall von mehreren Tagen bis Wochen eintreten kann.
*Da eine Milzruptur zu massiven intraabdominellen Blutungen führen kann, gilt sie bis zur
eindeutigen Abklärung des Verletzungsausmaßes stets als Notfall.
*Je nach Ausmaß der Schädigung, Begleitverletzungen und patientenabhängigen Faktoren
kann unter engmaschiger Kontrolle eine stationäre konservative Therapie erfolgen, bspw.
bei hämodynamischer Stabilität und fehlender aktiver Blutung.
*Oft ist jedoch ein operatives Vorgehen notwendig. In diesem Fall wird bevorzugt eine
milzerhaltende Operation durchgeführt, bei ausgedehnten Verletzungen und Beteiligung
des Milzhilus ist dagegen eine Splenektomie indiziert.

Ätiologie:
----Traumatische Milzruptur
àStumpfes (geschlossenes) Bauchtrauma: Hauptursache Verkehrsunfälle
àDirektes (penetrierendes) Bauchtrauma, bspw. Messerstich, Schussverletzung
àLinksseitiges Thoraxtrauma (nur bei Vorliegen von Rippenfrakturen)
àIatrogen, bspw. bei Operationen, Koloskopie
----Spontane Milzruptur: Splenomegalie, bspw. im Rahmen von
Malaria, Mononukleose, Hämatologischen Erkrankungen

167
Klassifikation: ****
Grad I: Keine aktive Blutung, subkapsuläres Hämatom; nicht progredient, <10% der
Oberfläche
Grad II: Aktive Blutung, subkapsuläres Hämatom, nicht progredient, 10-50 % der
Oberfläche
Grad III: Aktive Blutung mit >3 cm tiefe Lazeration oder Verletzung von Trabekelgefäßen,
subkapsuläres Hämatom, progredient, >50 % der Oberfläche
Grad IV: Verletzung von Segment- oder Hilusgefäßen, ausgedehnte
Durchblutungsstörungen, intraparenchymales Hämatom; rupturiert mit aktiver Blutung
Grad V: Vollständige Zerstörung der Milz, Abriss der Hilusgefäße, aufgehobene
Durchblutung

Pathomechanismus: ****
----Traumatische Milzruptur
àEinzeitig: Verletzung der Milzkapsel und ggf. des Milzparenchyms → Akute
intraabdominelle Blutung
àZweizeitig: Verletzung des Milzparenchyms bei zunächst noch intakter Milzkapsel →
Zentrales oder subkapsuläres Hämatom → Symptomfreies Intervall → Anschließend Ruptur
der Kapsel mit intraabdomineller Blutung
----Spontane (atraumatische) Milzruptur: Bei Erkrankungen mit Splenomegalie (Diese
Prädisposition kann eine spontane Ruptur verursachen, aber auch bei leichtem Traumen
eine Verletzung begünstigen.)

Symptome/Klinik: ****
----Einzeitige Milzruptur: Klinische Symptomatik variabel (V.a. abhängig vom Blutverlust)
àKreislauf: Stabil oder nicht stabil, bis zum hämorrhagischen Schock (mit Tachykardie und
Blutdruckabfall)
àDiffuse leichte bis starke Schmerzen insb. im linken Oberbauch
àGgf. Abwehrspannung (bis zum Oberbauchperitonismus)
àGgf. Schmerzausstrahlung in die linke Schulter (Kehr-Zeichen) oder Druckschmerz an der
linken Halsseite (Saegesser-Zeichen)
àSchmerzbedingte Schonatmung
àGgf. Symptome begleitender Verletzungen

----Zweizeitige Milzruptur
àDirekt nach Trauma beschwerdefreies Intervall über Stunden bis Wochen
àPlötzlich einsetzende Schocksymptomatik, linksseitige Oberbauchschmerzen sowie
weitere Symptome der einzeitigen Milzruptur
*Bei zweizeitiger Ruptur ist eine verzögerte bzw. abgeschwächte Symptomatik typisch!

168
Diagnostik
1.Anamnese und körperliche Untersuchung: Zügig, fokussiert auf Unfallhergang
Insb. achten auf ;
--Penetrierende Verletzung
--Prellmarken oder Hämatome
--Palpable Raumforderung im linken Oberbauch
--Druck- und Klopfschmerz im linken Oberbauch
--Abwehrspannung
2.Vitalparameter und Monitoring
3.FAST (Sonografie):
Goldstandard zur Diagnosesicherung, engmaschige Verlaufskontrollen obligat ****
àHämatom in der Milz oder subkapsulär
àFreie intraabdominelle Flüssigkeit ****
Koller-Pouch (Recessus splenorenalis)
Morison-Pouch (Recessus hepatorenalis)
♀: Douglas-Raum (Excavatio rectouterina)
♂: Proust-Raum (Excavatio rectovesicalis)
4. Labor: Blutbild, ggf. Hb-Abfall, Nieren- und Leberwerte, Elektrolyte,
Gerinnungsparameter, Kreuzblut und Bestimmung der Blutgruppe
5. Fakultative apparative Diagnostik
----CT Abdomen (mit KM)
Indikation: Stabiler Patient mit Polytrauma, unklare Befunde
Befunde: Scharfe Begrenzung der Milz aufgehoben, Lazeration (Hypodenses oder
inhomogenes Parenchym), ggf. Raumforderung im Sinne einer Blutung sichtbar
----Röntgen-Thorax: Ggf. Rippenserienfraktur
----Röntgen-Abdomen: Im Rahmen eines Polytraumas bzw. zum Ausschluss freier Luft bzw.
einer Hohlorganperforation

****Der klinische V.a. eine Milzruptur ist ein Notfall! Im Vordergrund steht die
Diagnosesicherung durch FAST, weiterführende Diagnostik sollte kritisch gegenüber dem
Zeitverlust abgewogen werden!

* Bei penetrierendem Trauma darf der Gegenstand nicht präoperativ entfernt werden, da
sonst unkontrollierbare Blutungen drohen!

169
Therapie:

Therapeutisches Vorgehen: ****


Richtet sich nach der Klassifikation sowie der Kreislaufstabilität
àHämodynamisch stabil Grad I: Konservativ
àHämodynamisch stabil Grad II-III: Konservativ, unter intensivmedizinischer Überwachung
àHämodynamisch instabil Grad I-II-III: Operative Therapie, möglichst milzerhaltend
àGrad IV-V: Splenektomie

*** Wenn der Kreislauf instabil ist oder unter Volumentherapie nicht stabilisiert werden
kann, muss operiert werden!

1.Konservative Therapie
Indikation: Goldstandard bei AAST-Grad I
Stationäre, ggf. intensivmedizinische Überwachung
Engmaschige Sonografie- und Laborkontrollen
2.Interventionelle Therapie: Angiografie und Embolisation von Milzgefäßen
Indikation: Z.n. zahlreichen Voroperationen (Adhäsionen im Bauchraum wahrscheinlich),
Leberzirrhose oder portale Hypertension mit schweren Umgehungskreisläufen
Durchführung: Angioembolisation mittels Schaum oder Coils, Einsetzen von Metallstents
3.Operative Therapie (Laparotomie)
Indikation: AAST-Grad >I, hämodynamisch instabiler Patient, gestörte Blutgerinnung
àMilzerhaltende Verfahren
---Splenorrhaphie: Blutstillung ohne Resektion (Koagulation, Laser, Fibrinkleber usw.)
---Gefäßligatur
---Partielle Milzresektion
àOffene Splenektomie
Indikation: Hilusrupturen oder vollständige Berstung
Lebensgefährliche Komplikationen meist innerhalb der ersten 24 h

Komplikationen:
----Hämorrhagischer Schock
----Intraoperative Komplikationen: Lebensbedrohliche Blutungen, Verletzung von
Pankreasschwanz, Magen, Kolon

170
----Postoperative Komplikationen
Pulmonal: Basaler Pleuraerguss, Lungenatelektase links-basal, Pneumonie
Im OP-Gebiet: Infektion des Milzbettes, Pseudozysten, Pseudoaneurysmen der Milzarterie, --
Pankreasfisteln, subphrenischer Abszess, Pankreatitis
Immunologisch: Nach Splenektomie erhöhte Infektanfälligkeit, erhöhte Sepsisanfälligkeit,
OPSI
Hämatologisch: Passagere Thrombozytose, thromboembolische Komplikationen

*Nach Splenektomie kann das meist tödlich verlaufende OPSI-Syndrom auftreten!


OPSI; Overwhelming-postsplenectomy-infection: Schwere bakterielle oder parasitäre
Infektion, die bei Fehlen bzw. fehlender Funktion der Milz auftreten kann. Nach ambulanter
Infektion, z.B. mit Pneumokokken, entwickelt sich eine fulminante Sepsis mit hoher Letalität.
Zur Prophylaxe werden Impfungen gegen Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus
influenzae (sowie Influenza) empfohlen.

Prävention nach Splenektomie: ****


----Sportkarenz für mind. 3–6 Wochen, je nach Sportart
----Thromboseprophylaxe: Mit NMH mind. 4 Wochen lang
(Postoperativ besteht ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen, bspw.
Mesenterial- und Pfortaderthrombose.)
----Antibiotikaprophylaxe bei Kindern und Patienten mit hohem OPSI-Risiko
Penicillin V (Alternativ; Amoxicillin, Macrolide)
----Immunisierung innerhalb von ca. 2 Wochen nach dem Eingriff
(nach Stabilisierung des Allgemeinzustandes)
Haemophilus-influenzae-Typ-b-, Meningokokken- sowie Pneumokokken-Impfung
----Jährliche Influenza-Impfung aufgrund des Risikos für bakterielle Superinfektionen (insb.
Pneumokokken)
----Frühzeitige Antibiotika-Therapie bei fieberhaften Infekten

171
PATELLAFRAKTUR

*Patellafrakturen sind relativ selten und entstehen meist durch eine Gewalteinwirkung auf
das gebeugte Kniegelenk, häufig im Rahmen eines Verkehrsunfalls.
*Klinisch fällt neben starken Schmerzen und einer Schwellung meist eine Aufhebung der
aktiven Beweglichkeit im Kniegelenk auf.
*Ein konventionelles Röntgenbild in 2 Ebenen (wenn möglich in 3 Ebenen) reicht zur
Diagnosestellung meist aus, jedoch wird das Frakturausmaß in vielen Fällen erst in einer CT-
Untersuchung offensichtlich und hat dann Einfluss auf die Art der operativen Versorgung.
*Die sog. Zuggurtungsosteosynthese ist momentan in Deutschland noch das am häufigsten
verwendete Osteosyntheseverfahren, jedoch wurde in den letzten Jahren insb. bei
Mehrfragmentfrakturen auch vermehrt die Plattenosteosynthese eingesetzt.
*Ziel jeder Therapie ist die Wiederherstellung des Streckapparates und die
Wiederherstellung der Gelenkfläche.

Ätiologie:
----Typischer Entstehungsmechanismus (80%): Anpralltrauma auf das gebeugte Knie im
Rahmen eines Unfalls (Dashboard injury)
-----Seltenere Entstehungsmechanismen:
Begleitverletzung im Rahmen einer Patellaluxation
Komplikation einer operativen Versorgung im Bereich des Kniegelenks (bspw. bei bzw.
nach Knieendoprothese, Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments sowie
Ersatzplastik des vorderen Kreuzbandes mit autologer Patellarsehne)

Begleitverletzungen:
Verletzung der Bursa prae- und infrapatellaris, Ruptur des Reservestreckapparates, hintere
Kreuzbandruptur, zusätzliche Frakturen der unteren Extremität bspw. Acetabulumfraktur
oder Schenkelhalsfraktur, Hüftluxation

172
Symptome/Klinik: ****
----Allgemeine Frakturzeichen
àTastbare oder sichtbare Fehlstellung (Bei Dislokation kann eine Vertiefung getastet
werden.
àHämatom oder Schwellung (Typisch wäre eine ventrale, fast ballonartige Schwellung.)
àSchmerzen (Bewegungsschmerz besonders bei Extension/Flexion, aber auch
Ruheschmerz)
àKrepitation (Es wird empfohlen, auf eine aktive Überprüfung zu verzichten, da Gefahr der
(weiteren) Dislokation und stark schmerzhaftes Prozedere.)
----Spezifische Symptome
àGelenkerguss (Hämarthros)
àInstabilitätsgefühl
àBewegungseinschränkung:
Aktive Extension des Kniegelenkes kaum oder schwer möglich
(Bei undislozierten Frakturen oder intaktem Reservestreckapparat kann eine Extension noch
möglich sein!)
Flexion oft schmerzbedingt vermindert
àSensibilitätsstörungen

Vorgehen in der Notaufnahme: ****


1. Anamnese und körperliche Untersuchung mit Fokus Knie
Fokus auf Unfallhergang: Art der Gewalteinwirkung, Sturz/Unfallursache

Orthopädische Untersuchung des Knies:


àInspektion und Palpation des Knies
Inspektion der Haut: Äußere Verletzungen, Prellmarken, Hämatome, ggf. bereits
vorbestehende Narben
Inspektion der Weichteile: Schwellung typischerweise ventral, ballonartig
Palpation der Ansätze des Lig. patellae und der Seitenbänder (Lig. collaterale tibiale und Lig.
collaterale fibulare)
àInspektion des Muskelapparates der unteren Extremität (im Seitenvergleich)
àBeweglichkeitsprüfung des Knies (soweit schmerzbedingt möglich)
Aktive und passive Beweglichkeit, Untersuchung der Stabilität der Bänder
àUntersuchung der Patella
* Dies sollte möglichst behutsam erfolgen. Bei einer Dislokation kann ggf. eine Vertiefung
getastet werden. Dagegen ist bei einer Fraktur das Zeichen der tanzenden Patella (als
Hinweis auf einen intraartikulären Erguss) klinisch nicht durchführbar!
àpDMS distal der Verletzung

173
2. Venöser Zugang und Monitoring (falls nicht bereits präklinisch durchgeführt): EKG,
Pulsoxymetrie (Auf Kreislaufstabilität achten!)
3. Schmerzadaptierte Analgesie: Unter Berücksichtigung bereits erhaltener
Medikamente
----Bei leichten Schmerzen und Vormedikation mit Opioiden: Basisanalgesie, bspw.
Paracetamol 1000 mg i.v. / Ibuprofen 600 mg p.o., alternativ Metamizol 1000 mg i.v.
Bei starken Schmerzen: Opioide, bspw. Piritramid (mit engmaschiger Überwachung!)
Ggf. Behandlung einer opioidinduzierten Übelkeit: Dimenhydrinat
4. Anordnung einer Thromboseprophylaxe
Mind. für den Zeitraum der gelenkübergreifenden Immobilisation
Bspw. mit NMH wie Certoparin (3000IE s.c. 1x/d), alternativ Enoxaparin (20-30 mg s.c. 1x/d)
5. Röntgen: Obligat zur Diagnosesicherung, Therapieplanung, Ausschluss knöcherner
Begleitverletzungen oder Luxationen ****
Knie in zwei Ebenen
Ggf. in 3 Ebenen: noch beidseitige tangentiale Aufnahme der Patella (soweit
schmerzbedingt möglich) ***
Ggf. Becken und Hüftgelenk bei Hochrasanztrauma
6. Laboruntersuchung
inkl. Serologie HBV, HCV, HIV (besteht für die operierende Person ein erhöhtes
Verletzungs- und damit Infektionsrisiko)
7. Fakultative Diagnostik:
àMRT: Insb. zum Ausschluss von Stressfrakturen, osteochondralen Frakturen
(bspw. nach Patellaluxation) und Begleitverletzungen (bspw. Knorpelschäden des
Kniegelenks, hintere Kreuzbandruptur)
àCT: Insb. bei Mehrfragment- oder Trümmerfrakturen sowie bei unklaren Befunden
im Röntgenbild
àSonografie: Zum Nachweis einer Fraktur sowie zur Beurteilung der Patellarsehne,
der Quadrizepssehne, des medialen und lateralen Halteapparats und zur Detektion
eines Gelenkergusses
8. Weitere Maßnahmen:
àRuhigstellung, bspw. in einer Lagerungsschiene
àAbschwellende Maßnahmen, ggf. Kühlen
àBei offener Fraktur: Unverzügliche OP-Vorbereitung (Nüchternzeit, EKG, Labor, BGA,
Homöostase (i.v. Volumenersatz, Elektrolytausgleich), perioperative Thromboseprophylaxe,
Bereitstellung von Blutkonserven), Antibiotikagabe nach vorherigem Wundabstrich und ggf.
Tetanusprophylaxe
àBei ausgeprägtem Hämarthros: Gelenkpunktion (nur in Ausnahmefällen)
àBei Fällen der gesetzlichen Unfallversicherung: Berufsgenossenschaftliche Aufnahme

174
Differenzialdiagnosen:
---Patellaluxation, Knieluxation
---Patellarsehnenruptur, Quadrizepssehnenruptur
---Verletzungen der Kniebinnenstrukturen (Seitenband- oder Kreuzbandrupturen,
Meniskusrupturen)

***Luxation (Ausrenkung): Gelenkverletzung mit vollständigem Kontaktverlust der sonst


miteinander artikulierenden Gelenkflächen. Die häufigste Luxation ist die
Schultergelenkluxation, gefolgt von Luxationen des Ellenbogengelenks. Wichtigste
therapeutische Maßnahme ist die zeitnahe Reposition (Einrenkung) unter Beachtung der
Kontraindikationen.

Therapie:
1. Konservative Therapie
Indikation:
Keine relevante Dislokation der Fragmente
Keine relevante Stufenbildung der Gelenkfläche (<2 mm)
Allgemeine Kontraindikation für Operation
Stressfraktur
Aktive Extension bzw. Streckhebefähigkeit des Kniegelenkes möglich
Durchführung:
---Abschwellende Maßnahmen (Hochlagerung, vorsichtige Kühlung)
---Bedarfsgerechte Analgesie
---Gehhilfen
---Thromboseprophylaxe: Medikamentöse Prophylaxe bis zur Entfernung des fixierenden
Verbandes
---Physiotherapie und ggf. Lymphdrainage (Physikalisches Verfahren der
Entstauungstherapie durch spezielle Massage- und Grifftechniken)
---Funktionelle Behandlung über ca. 6 Wochen, ggf. mit limitierender Sperrorthese
Möglichst Vollbelastung in Extension
Sukzessive Steigerung der Flexion
Vermeidung aktiver Extension
---Ggf. CPM (continuous passive motion=“kontinuierliche passive Bewegung”)-Schiene
---Regelmäßige und engmaschige Kontrolle der Frakturstellung
---Nach 6 Wochen: Radiologische Kontrolle der knöchernen Durchbauung
---Woche 6–8: Physiologisches Bewegungsverhalten
---Woche 8–10: Vollbelastung unter Alltagsbedingungen
---Anschließend: Trainingsstabilität

175
2. Operative Therapie
Indikation:
Offene Verletzung
Relevante Dislokation der Fragmente (≥2 mm)
Relevante Stufenbildung in der Gelenkfläche (≥2 mm)
Keine aktive Extension bzw. Streckhebefähigkeit des Kniegelenkes möglich
Osteochondrale Frakturen
Notwendigkeit zur gleichzeitigen Versorgung kniegelenksnaher Verletzungen

Zeitpunkt:
àOffene Fraktur: Notfallmäßig
àGeschlossene Fraktur: Möglichst frühzeitig oder nach Konsolidierung der Weichteile

Vorbereitung:
Chirurgische Aufklärung und anästhesiologische Aufklärung
Ggf. Perioperative Antibiotikaprophylaxe
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie, Kombinationsanästhesie oder Regionalanästhesie
(bspw. Femoralisblockade in Kombination mit Ischiadikusblockade)

Durchführung:
---Intraoperative Überprüfung der Kreuzbänder und Seitenbänder des Kniegelenkes
---Zugang: Medianer/lateraler Längsschnitt (parapatellar) oder Miniarthrotomie von lateral
---Verfahren: Osteosynthese
Insb. Zuggurtungsosteosynthese
Schraubenosteosynthese, Plattenosteosynthese
**** Osteosynthese: Die Osteosynthese beschreibt die operative Versorgung von
Knochenfrakturen und -verletzungen mittels Einbringung von Fremdmaterial (z.B.
Schrauben, Metallplatten)
****Zuggurtungsosteosynthese
Indikation: Knochenfragmente, die aufgrund des Zuges über Muskelsehnen
auseinandergezogen werden (z.B. Patella-Querfraktur, Olecranon-Querfraktur)
Prinzip: Dynamische Kompression (Durch Umwandlung der Zugkräfte in Druckkräfte
über eine Metallschlinge)
---Rekonstruktion des parapatellaren Streckapparates

176
Nachsorge:
---Thromboseprophylaxe
Dauer der medikamentösen Thromboseprophylaxe: Mind. 7 Tage, bis zur Abnahme des
ruhigstellenden/fixierenden Verbandes
--- Frühzeitige Mobilisation unter physiotherapeutischer Anleitung
---Zunächst Teilbelastung, dann Übergang in schmerzadaptierte Vollbelastung
Vollbelastung; ab. 16 Woche postoperativ
---Wund- und Laborkontrollen
---Regelmäßige Röntgenkontrollen bis zum Abschluss der Knochenheilung

Komplikationen:
---Frühkomplikationen:
Wundheilungsstörung, Gelenkinfektion, Gelenkerguss, Bursitis praepatellaris,
Phlebothrombose und Embolie, Sensibilitätsausfall im Operationsgebiet,
Knorpelschaden, Stufenbildung im Gelenk, Sekundärer Repositionsverlust,
Implantatdislokation, Schmerzen, CRPS
---Spätkomplikationen:
Implantatversagen, Weichteilirritation durch Implantate, Pseudarthrose,
Arthrose, Bewegungseinschränkung, Funktionseinschränkung, Kraftminderung,
Schmerzen, bspw. durch Hyperkompressionssyndrom der Patella

177
SPRUNGGELENKSFRAKTUR

Sprunggelenke:
*Die zwei Sprunggelenke bilden die Hauptgelenke des Fußes. Es werden oberes und unteres
Sprunggelenk unterschieden. Das obere Sprunggelenk bildet die Verbindung zwischen
Unterschenkel und Fußwurzel, das untere Sprunggelenk ist eine Verbindung der
Fußwurzelknochen untereinander.

àOberes Sprunggelenk (Articulatio talocruralis, OSG)


Das obere Sprunggelenk ist das proximale der Sprunggelenke und verbindet die
Malleolengabel mit dem Sprungbein (= Talus)
Funktion: Plantarflexion/Dorsalextension

àUnteres Sprunggelenk (Articulatio talotarsalis, USG)


Das untere Sprunggelenk ist das distale der Sprunggelenke und verbindet Talus, Calcaneus
und Os naviculare miteinander
Funktion: Pronation (= Eversion)/Supination (= Inversion)
Durch das Lig. talocalcaneum interosseum in zwei anatomisch eigenständige Gelenke
getrennt
Vordere Kammer (= Art. talocalcaneonavicularis)
Hintere Kammer (= Art. subtalaris)

*Die Sprunggelenksfraktur ist die häufigste Fraktur der unteren Extremität und wird durch
Supinations- oder Pronationstraumata hervorgerufen.
*Bei der verbreiteten Einteilung des Außenknöchelbruchs nach Weber wird die Höhe der
Fraktur in Bezug auf die Syndesmose berücksichtigt.
*Weiterhin werden verschiedene Begleitverletzungen wie die Fraktur des Volkmann-
Dreiecks (hintere Tibiakante) sowie Kombinationsbrüche mit Beteiligung des Innenknöchels
oder der Gelenkfläche beobachtet.
*Therapeutisch können undislozierte Frakturen konservativ unter Entlastung und
Ruhigstellung therapiert werden, während bei Beteiligung der Syndesmose oder
Dislokation der Fragmente operative Verfahren zum Einsatz kommen.

Ätiologie: Supinations- oder Pronationstrauma („Fußumknicken“) ***


àTrauma durch Supination/Adduktion:
Eher Außenknöchelfrakturen vom Typ Weber A oder Innenknöchelfrakturen
àTrauma durch Pronation/Abduktion:
Eher Außenknöchelfrakturen vom Typ Weber B oder C

178
Einteilung der Außenknöchelfrakturen nach Weber: *****
àWeber A: Fraktur des Außenknöchels unterhalb der Syndesmose (intakte Syndesmose)
àWeber B: Fraktur des Außenknöchels in Höhe der Syndesmose (mit möglicher Läsion der
Syndesmose)
àWeber C: Fraktur des Außenknöchels oberhalb der Syndesmose (mit möglicher
rupturierter Syndesmose und Membrana interossea)
Maisonneuve-Fraktur:
--Ruptur der Syndesmose, gleichzeitige Zerreißung der Membrana
interossea,hohe/subkapitale Weber-C-Fraktur
--Mögliche Begleitverletzungen: Innenknöchelfraktur oder Riss des Lig. deltoideum

Mögliche Begleitverletzungen von Weber-Frakturen:


àBei allen Weber-Frakturen: Fraktur des Innenknöchels (Malleolus medialis), Ruptur des
Lig. deltoideum (Verbindung zwischen Malleolus medialis und Calcaneus, Talus, Os
naviculare)
àVor allem bei Weber-B- und C-Frakturen: Fraktur der unteren Schienbeinfläche mit
Abbruch der hinteren Tibiakante (Volkmann-Dreieck)

179
Sonderformen:
---Pilon-tibiale Fraktur: Fraktur der distalen Tibiagelenkfläche
---Trimalleoläre Fraktur: Fraktur von Innen- und Außenknöchel sowie Abscherfraktur der
hinteren Tibiakante (Volkmann-Dreieck)
---Sprunggelenkluxationsfraktur: Bimalleoläre Fraktur mit völliger Instabilität aufgrund der
Sprengung der Sprunggelenksgabel

180
Symptome/Klinik:
---Lokale Schwellung und Hämatom
* Bei sehr starker Schwellung kann die Haut so stark überdehnt werden, dass Blasenbildung
und Nekrosen auftreten. In diesem Fall müssen die Weichteile schnellstmöglich entlastet
werden!
---Schmerzhaft eingeschränkter Bewegungsumfang
---Bei Sprengung der Sprunggelenksgabel → Fehlstellung: Fuß im Vergleich zum
Unterschenkel seitlich versetzt

Vorgehen in der Notaufnahme:


----Anamnese und körperliche Untersuchung
àNotfallanamnese, Unfallhergang
àBei vermutetem Arbeitsunfall: Meldung an die gesetzliche Unfallversicherung bzw.
Vorstellung bei einem Durchgangsarzt (zur BG-lichen Aufnahme)
àKurzes Bodycheck zur Untersuchung auf Begleitverletzungen (von Kopf bis Fuß)
àFrakturzeichen mit Fokus auf Fehlstellung (ggf. im Seitenvergleich), Schwellung, offene
Wunden und pDMS überprüfen
à Syndesmosedruckschmerz (= Squeeze-Test): Ist die Syndesmose gerissen, treten bei
Komprimierung des Unterschenkels im distalen Drittel Schmerzen im Bereich der
Malleolengabel auf.
àFrick-Test: Bei Außenrotation in leichter Dorsalextension treten Schmerzen auf, wenn eine
Verletzung der Syndesmose vorliegt.
àGgf. frühere Verletzungen des betroffenen Sprunggelenks erfragen

----Venöser Zugang und Blutentnahme (präoperativ je nach Krankenhausstandard benötigt:


kleines Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, CRP, bei Verdacht auch Alkoholspiegel)
----Monitoring nach Opioidgabe (Pulsoxymetrie, Blutdruck und EKG)
----Schmerzadaptierte Analgesie: Unter Berücksichtigung bereits erhaltener Analgesie und
Analgosedierung

----Röntgen des Sprunggelenks in zwei Ebenen: a.p. und seitlich Aufnahme (lateral), ggf. in
3 Ebenen (auch Mortise; a.p. mit 20°)

----Weitere (therapeutische) Maßnahmen:


Bei offener Fraktur: Antibiotikaprophylaxe (Cefuroxim, Ampicillin/Sulbactam)
Tetanusschutz: Je nach Impfstatus auffrischen
Frühzeitige Verständigung des OP-Teams bei notfallmäßiger Primärversorgung

181
Fakultative Diagnostik:
---Röntgen Unterschenkel in zwei Ebenen: Bei V.a. hohe Fibulafraktur
---Gehaltene Röntgenaufnahmen: Zur Prüfung der Syndesmose

---Doppleruntersuchung: Bei V.a. periphere arterielle Gefäßverletzung oder pAVK

---Computertomografie (CT): Zur OP-Planung bei komplexen Frakturen oder bei


röntgenologischem Hinweis auf ein Volkmann-Dreieck

---Magnetresonanztomografie (MRT) ***


àZur Beurteilung von Weichteilen und Knorpel (bspw. ligamentäre Verletzungen, isolierte
Syndesmoseruptur)
àZum Ausschluss einer Stressfraktur
*Stressfraktur (Überlastungs- oder Marschfraktur):
Ursache: Tanzen, Laufsport (insb. Marathon), lange Märsche
Mechanismus: Subtraumatische, jedoch intensive und wiederholte gleichförmige
mechanische Belastung
Klinik: Belastungsabhängiger Schmerz
Betroffene Regionen: Meist untere Extremität, insb. im Mittelfußbereich
àBei V.a. eine pathologische Fraktur
*Pathologische Fraktur: Spontan ohne adäquates Trauma
Auftreten bspw. bei Knochentumoren, Knochenmetastasen oder Osteoporose

Differenzialdiagnosen:
---Isolierte ligamentäre Verletzungen
---Isolierte Fibulafraktur nach direktem Trauma
---Ermüdungsbruch der distalen Fibula
---Alter knöcherner Bandausriss
---Frakturen der Fußwurzel- oder Mittelfußknochen (Röntgen-Fuß in 3 Ebenen)

---OSG-Distorsion („Verstauchung“)
*Eine typische Sportverletzung ist das Umknicktrauma mit OSG-Distorsion und
Bandverletzung („verstauchter Knöchel“), wozu es häufig durch das Wegknicken über den
Außenknöchel kommt. Durch ein solches Supinationstrauma können die Außenbänder
reißen, oft ist das Lig. talofibulare anterius betroffen.
Die weitere Therapie (sofern eine Fraktur ausgeschlossen wurde) besteht i.d.R. in der
Ruhigstellung des Sprunggelenks für mind. fünf Wochen.

182
Konservative Therapie:
àIndikationen: Undislozierte Frakturen (Typ Weber A oder B) ohne Verletzung der
Syndesmose
àRuhigstellung: Mittels Unterschenkelgips oder Vakuumschiene in Neutralposition (90*
Flexion) etwa 6 Wochen lang
àBelastung: Teilbelastung mit Unterarmgehstützen
àPhysiotherapie: Frühzeitiger Beginn mit Gangschulung
à nicht-medikamentöse Thromboseprophylaxe: Basismaßnahmen bspw.
Bewegungsübungen, frühzeitige Mobilisation, ausreichende Flüssigkeitszufuhr
àRöntgenkontrollen: Bspw. nach 1, 3 und 6 Wochen

Spezifische Komplikationen bei konservativer Therapie:


---Druckstellen im Stützverband
---Einsteifung des Sprunggelenks mit unter Umständen bleibenden
---Bewegungseinschränkungen
---Thrombose und Lungenembolie
---Muskel- und Knochenatrophie
---Sekundäre Dislokation

Operative Therapie:
àIndikationen:
---Instabile und dislozierte Frakturen (V.a. Weber-B und C)
---Maisonneuve-Verletzung/Maisonneuve-Fraktur oder isolierte Syndesmoserupturen
Möglichst innerhalb der ersten 6–8 h

àNotfallindikation: Offene Fraktur, Luxationsfraktur (v.a. bei ausgeprägter


Reluxationstendenz nach Reposition), starke Weichteilschwellungen bzw. -schäden

àPerioperative Antibiotikaprophylaxe
àPostoperative Ruhigstellung im Unterschenkelgips für etwa 6 Wochen
àPhysiotherapie mit Gangschulung und dosiertem Belastungsaufbau
20 kg Teilbelastung für die ersten 6 postoperativen Wochen
Anschließend Belastungsaufbau bis zur Vollbelastung

àThromboseprophylaxe: Bis zu einer Teilbelastung von 20kg, Abnahme des fixierenden


Verbandes und einer erreichten Beweglichkeit von min. 20° im OSG
Niedermolekulare Heparine
Bei Kontraindikationen: UFH

183
Häufigste Verfahren:
Offene Reposition und innere Stabilisierung der Fraktur
Direkte Bändernaht oder Implantation einer temporären Stellschraube
Fixateur externe

OP-spezifische Komplikationen:
---Infektion
---Implantatlockerung und -ausbruch
---Sekundäre Dislokation
---Verzögerte Knochenheilung bis hin zur Pseudarthrose
---Allergie gegen das Implantat
---Thrombose und Lungenembolie

Behandlungsunspezifische Komplikationen:
---Nervus-peroneus-communis-Läsion oder Nervus-saphenus-Läsion
---Knorpelabscherungen des Talus („Flake Fracture“)
---Abrissfraktur des Volkmann-Dreiecks
---Kompartment-Syndrom
---Posttraumatische Arthrose
*Die Arthrose des oberen Sprunggelenks ist – im Gegensatz zur Arthrose in Hüft- und
Kniegelenk – in den meisten Fällen posttraumatischer Genese.

184

Das könnte Ihnen auch gefallen