Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. Theoretischer Zugange und empirische
Beobachtungen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10(2), 199-213.
Kommunikation von Lernen – theoretischer Zugang und empirische Befunde
Während Lehren in der Regel als sozialer Prozess verstanden wird, wird die Eigenlogik des Lernens
in psychischen oder neurologischen Vorgängen gesucht1. Zu einem Verständnis von Lernen als
sozial konstituiertem Phänomen gelangt man dagegen, wenn man den Umgang mit Lernen
rekonstruiert, wie er sich in Gesprächen ereignet. Die empirische Untersuchung des
kommunikativen Umgangs mit Lernen2 lässt erkennen, dass sich die Strukturen sozial bedeutsamen
Lernens gerade dadurch auszeichnen, dass sie sich von psychischen oder neurologischen Prozessen
unabhängig machen3. Sozial bedeutsames Lernen ist somit immer kommunikativ dargestelltes
Lernen und damit prinzipiell nur Verweis auf die unbeobachtbaren Bewusstseinsprozesse der
Lernenden. Kommuniziertes Lernen ist als soziale Konstruktion zu verstehen, die das Verhalten
von Personen vor dem Hintergrund eines bestimmten Musters beobachtet: des Übergangs vom
Nicht-Wissen zum Wissen4.
Um die erziehungswissenschaftliche Bedeutung einer solchen empirischen Perspektive auf Lernen
als sozial konstituiertes Phänomen deutlich zu machen, werden im Folgenden in einem ersten
Kapitel zunächst die theoretischen Überlegungen erläutert, die eine Beobachtung von Prozessen der
Kommunikation von Lernen erlauben. Im zweiten Kapitel wird dann das der kommunikativen
Darstellung von Lernen zu Grunde liegende Grundmuster erläutert und das Verfahren der
Beobachtung seiner Ausprägungen anhand eines Fallbeispiels vorgeführt. Lernen wird so als
spezifische Form des Umgangs mit (Nicht-)Wissenszuschreibungen rekonstruierbar. Wie sich
Kommunikation von Lernen von anderen Formen des Umgangs mit (Nicht-)Wissen unterscheidet,
wird im dritten Kapitel dargelegt. In pädagogischer Interaktion und Organisation beobachtbare
Phänomene können vor dem Hintergrund des Musters der kommunikativen Darstellung von Lernen
neu interpretiert werden. Es zeigt sich, dass Prozesse der organisierten Einwirkung auf Lernen auf
den Strukturen der Darstellung von Lernen aufbauen, was im vierten Kapitel ausgeführt wird. Im
fünften Kapitel schließlich werden beobachtbare Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang mit
(Nicht-)Wissen als Hinweis auf eine zunehmende Unabhängigkeit der institutionalisierten
Darstellung von Lernen von der organisierten Lehre gedeutet.
1 Kommunikation von Lernen als Beobachtung des Unbeobachtbaren
Verfahren der kommunikativen Darstellung von Lernen werden angewandt, weil individuelles
Lernen in sozialen Situationen nicht unmittelbar beobachtet werden kann. Weder das Wissen, über
1
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das Einzelne verfügen, noch die Veränderungen, die es erfährt, sind als solche der sozialen
Wahrnehmung zugänglich. Wer dennoch eigenes oder fremdes Lernen zum Thema machen will,
muss es darstellen und ist dabei auf die Mitwirkung anderer an Kommunikation Beteiligter
angewiesen. Nicht das Wissen und Lernen, über das die Einzelnen verfügen, sondern immer nur das
im Rahmen ihrer Adressierung zugeschriebene Wissen und ihre dargestellten Lernprozesse sind die
Momente, an denen sich Kommunikation orientiert bzw. orientieren kann. Die Analyse der Formen
der Kommunikation von Lernen nimmt die Intransparenz individuellen Wissens und Lernens zum
Ausgangspunkt und fragt danach, wie das prinzipiell unlösbare Problem der Beobachtung des
Unsichtbaren ‚gelöst’ wird5. Dabei werden wiederkehrende Muster erkennbar, in denen Personen
als wissend oder unwissend, lernend oder nicht-lernend charakterisiert werden.
Bei den angewandten alltäglichen Verfahren der Bearbeitung des Problems, das nicht Sichtbare
darzustellen, handelt es sich nicht um Lösungsmuster, die von den an Kommunikation Beteiligten
ad hoc zu entwickeln sind. Personen können und müssen vielmehr auf ein Repertoire von kulturell
entstandenen verständlichen Formen zurückgreifen, die als Formen der Problembearbeitung bereits
eingeführt und somit erwartbar geworden sind. Die damit verbundenen Regeln der Darstellung von
Lernen sind anhand von Gesprächsmitschnitten empirisch rekonstruierbar.
2 Das Muster der kommunikativen Darstellung von Lernen
Vor dem Hintergrund des Problems der Unbeobachtbarkeit des Lernens lässt sich das Grundmuster
der
Kommunikation
von
Lernen
als
sequentiell
organisierte
Trias
von
(Nicht-
)Wissenszuschreibungen rekonstruieren. Im Folgenden wird zunächst die innere Logik dieses
Muster aufgezeigt (2.1). Wie sich die Formen der Realisierung dieser Strukturen in konkreten
Interaktionssituationen untersuchen lassen, wird dann anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht (2.2).
2.1 Kommunikation von Lernen als Darstellung des Übergangs einer Person vom Nicht-Wissen zum
Wissen
Alle Formen des kommunikativen Umgangs mit (Nicht-)Wissen – und damit auch alle Sequenzen
der Darstellung von Lernen – sind mit Zuschreibungen von (Nicht-)Wissen gegenüber konkreten
Personen verbunden. Bei Wissen handelt es sich nie nur um etwas, das als wahr, richtig oder
sinnvoll bewertet wird. Es wird zugleich immer auch als Eigenschaft von Personen behandelt, die
entweder darüber verfügen oder nicht (vgl. auch RUSTEMEYER 2003). Solche (Nicht)Wissenszuschreibungen
charakterisieren
Personen
im
Hinblick
darauf,
ob
diese
mit
2
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Geltungsansprüchen ausgestatteten Erwartungen entsprechen oder nicht. Ob diese prinzipiell mit
Bewertungen
verbundenen
kommunikativen
Zuschreibungen
eine
Entsprechung
in
den
Bewusstseinszuständen der Bewerteten haben, stellt für Kommunikation eine immer wieder neu zu
beantwortende Frage dar. Sie wird durch Unterstellungen, Behauptungen oder Überprüfungen
beantwortet. Wenn (Nicht-)Wissenszuschreibungen gegenüber einer Person strittig oder ungewiss
sind, dann wird über das (Nicht-)Wissen der Person explizit etwas mitgeteilt. Eine solche
Zuschreibung kann stattfinden, ohne dass ein Beleg dafür vorgewiesen wird (Behauptungen), oder
es wird versucht, das Verhalten der Person zum Anhaltspunkt für ihr (Nicht-)Wissen zu nehmen
(Überprüfungen). Die Abwesenheit expliziter Informationen über das Wissen einer Person ist
allerdings nicht gleichbedeutend mit der Abwesenheit von (Nicht-)Wissenszuschreibungen. Fehlen
explizite Zuschreibungen, so werden sie impliziert (Unterstellung).
An der Eigenschaft von Wissen, immer in Relation zu Personen zu stehen, knüpfen Sequenzen der
Kommunikation von Lernen an. Sie lassen die Personengebundenheit von Wissen in den
Vordergrund treten und organisieren die Beobachtung von Personen auf die Beantwortung der
Frage hin, ob und wie diese sich von Nicht-Wissenden zu Wissenden verändern. Dieser Prozess der
Darstellung von Lernen folgt einem immer gleichen Muster, das allerdings zahlreiche Variationen
aufweisen kann. Um die Veränderung einer Person vom Nicht-Wissenden zum Wissenden
darzustellen, müssen drei Momente unterschieden werden: die Zuschreibung eines Nicht-Wissens
vor dem Lernen, die Zuschreibung eines Wissens nach dem Lernen und die Zuschreibung einer
Personenveränderung in der Phase des Übergangs vom Nicht-Wissen zum Wissen. Über diese drei
Momente muss implizit oder explizit etwas mitgeteilt werden, wenn Lernen dargestellt werden soll.
In jedem der drei Momente des Lernprozesses erhält die Zuschreibung von (Nicht-)Wissen eine
andere Bedeutung: Am Anfang des Lernens steht die Diagnose, also die Zuschreibung eines zu
überwindenden Nicht-Wissens6 einerseits und eines die Veränderung der Person ermöglichenden
Wissens andererseits. Während das Nicht-Wissen als veränderlich verstanden wird, wird an das als
stabil betrachtete Wissen der Lernenden angeknüpft. Auch Korrekturen, also die kommunikativen
Akte, die den Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen plausibilisieren, sind Formen der
Zuschreibung von (Nicht-)Wissen. Es wird allerdings weder ein Wissen noch ein Nicht-Wissen
zugeschrieben, sondern ein ablaufender Veränderungsprozess. Die Darstellung dieser Veränderung
wird möglich, indem stellvertretend das die Veränderung auslösende Ereignis zum Thema gemacht
wird. Der Moment des Übergangs selbst bleibt im Dunkeln, weil das in den Vordergrund gestellt
3
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wird, was zur Veränderung führt. Korrekturen können sowohl Äußerungen anderer Personen sein –
dann handelt es sich um Formen der Wissensvermittlung (vgl. KADE 2004) – als auch
außerkommunikative Ereignisse, mit denen sich der Lernende konfrontiert sieht. Von der Diagnose
und der Korrektur unterscheidet sich ein drittes Moment der Kommunikation von Lernen. Es
zeichnet sich dadurch aus, dass die Wandlung der Person nun abgeschlossen ist. Dadurch wird es
möglich, das Eintreten des erwarteten Übergangs vom Nicht-Wissen zum Wissen zu überprüfen.
Das im Rahmen der Evaluation zugeschriebene Wissen oder Nicht-Wissen steht in Relation zu
vorangegangenen Diagnosen und Korrekturen. Nur so wird es als Indikator eines Lernens oder
Nicht-Lernens deutbar und nur die abschließende Darstellung eines Wissens stellt sicher, dass
Lernen und nicht etwa Nicht-Lernen stattgefunden hat (vgl. KUPER 2005a).
Diagnose, Korrektur und Evaluation ermöglichen nur als Trias die Darstellung von Lernen. Erst die
Kombination dieser drei Zuschreibungsakte erlaubt die plausible Darstellung des Übergangs einer
Person vom Nicht-Wissen zum Wissen. Erst im Verweis auf die jeweils anderen beiden
Zuschreibungsakte zeigt sich die Bedeutung des jeweiligen Moments der Kommunikation von
Lernen. Tabelle 1 stellt die Spezifika der drei Momente einander gegenüber.
<<Tabelle 1>>
2.2 Fallbeispiel
Das Muster der kommunikativen Darstellung von Lernen wurde in Auseinandersetzung mit
empirischen Daten rekonstruiert, die in Form von Tonbandmitschnitten erhoben wurden (vgl.
Anmerkung 2). Eine umfassende Darstellung des dazu entwickelten Verfahrens der Analyse würde
den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Um dennoch einen Einblick in das Vorgehen bei der
empirischen Rekonstruktion des Zusammenspiels von Diagnose, Korrektur und Evaluation zu
geben, soll es im Folgenden anhand eines kurzen Ausschnittes aus einem Gespräch exemplarisch
vorgeführt werden. Das Gespräch fand im Rahmen der Einführung neuer Mitarbeiter in einem
Unternehmen statt, das unter anderem Industrieflächen vermietet und verpachtet. Zwei langjährige
Mitarbeiter des Unternehmens (M1 und M2) erläutern zwei neu eingestellten Mitarbeitern (N1 und
N2) an ihrem ersten Arbeitstag die im Unternehmen angewandten Verfahren der Verwaltung und
Dokumentation von Flächen:
M1: Wenn jetzt äh en Grundstück rausgebrochen wird als Erbpachtgelände (N1: Ja),
4
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wird das eingereicht beim Katasteramt und
N1: Müssen dann auch offiziell äh Katasteramtvermesser alles
Der für die Einführung der Neuen verantwortliche Mitarbeiter setzt damit an, das übliche Vorgehen
bei der Veränderung von Pachtverhältnissen darzustellen. Die einzuführende neue Mitarbeiterin
markiert zunächst ihr Zuhören, unterbricht dann aber den Einführenden und übernimmt die weiteren
Erläuterungen. Mit ihrem bestätigenden „Ja“ und der Fortführung der Darstellung charakterisiert sie
sowohl den Einführenden als auch sich selbst als Wissende. Beide kennen das Verfahren im
Umgang mit dem Katasteramt. Wüsste man nicht, dass es sich bei der zweiten Sprecherin um eine
mit dem Unternehmen nicht vertraute neue Mitarbeiterin handelt, würde man davon ausgehen, dass
die beiden Sprecher anderen etwas erläutern oder sich gegenseitig ihres Wissens versichern. Diese
Situation verändert sich, als deutlich wird, dass es sich bei dem von der neuen Mitarbeiterin
demonstrierten Wissen um gar kein Wissen handelt:
M1: Das macht oben dann die Vermessung im 9. Stock
N1: Hier intern
M2: Ja ja die gehörn zu uns
Der einführende Mitarbeiter widerspricht der Erläuterung der neuen Mitarbeiterin. Die
vorangegangene Demonstration beiderseitigen Wissens wird damit von ihm zurückgewiesen. Nur
er, nicht aber die Einzuführende, kennt die Vorgänge im Unternehmen. Die neue Mitarbeiterin
könnte auf diese Abwertung reagieren, indem sie darauf beharrt, dass ihre vorangegangene
Äußerung durchaus zutreffend war und so in eine Auseinandersetzung über Geltungsansprüche mit
dem Einführenden eintreten. Statt dessen bestätigt sie dessen Darstellung und expliziert die damit
implizierte Korrektur: nicht externe Vermesser werden beauftragt, sondern interne. Erneut
demonstriert sie ihr Wissen. Weil es sich dabei nun aber um neu erworbenes Wissen handelt (zuvor
hatte sie ja gesagt, die Vermessung würde durch externe Vermesser geschehen), weist die neue
Mitarbeiterin auch auf ihr Lernen hin. Dass es sich bei dieser zweiten Wissensdemonstration nun
tatsächlich um eine solche handelt und nicht wieder um den Ausdruck eines Nicht-Wissens, wird
vom zweiten für die Einführung verantwortlichen Mitarbeiter bestätigt, der sich ins Gespräch
einschaltet.
Mit dieser Bestätigung wird eine kurze Sequenz der Darstellung von Lernen abgeschlossen.
Aufgrund des Versuchs der neuen Mitarbeiterin, sich ebenso wie die Einführenden als Wissende
5
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darzustellen, wurde ihr Nicht-Wissen erkennbar (Diagnose). Nur weil es eine am Nicht-Wissen der
neuen Mitarbeiterin orientierte Erläuterung gibt (Korrektur), wird es plausibel, dass ihre Unkenntnis
überwunden wird. Dass es aufgrund der Korrektur tatsächlich zum Lernen gekommen ist, zeigt sich
in der erneuten Wissensdemonstration der neuen Mitarbeiterin (Evaluation). Erst die Bestätigung
dieser Wissensdemonstration durch den zweiten Einführenden stellt allerdings sicher, dass die
Selbstevaluation der Lernenden auch zutrifft.
Mit der Bestätigung durch den Einführenden ist diese Sequenz der Darstellung von Lernen
allerdings noch nicht abgeschlossen:
N1: Mhm, das können wir machen
M2: Wir haben im Übrigen auch direkten Zugang zum Grundbuch, also das heißt
N1: Das wär nämlich die nächste Frage gewesen, ja ja.
Die neue Mitarbeiterin schließt an die Bestätigung ihrer Wissensdemonstration an, indem sie erneut
formuliert, was alle bereits wissen. Sie untermauert damit die Charakterisierung aller Anwesenden
als Wissende. Obwohl die einzuführende Mitarbeiterin damit gezeigt hat, dass sie sich mit
Grundbucheinträgen auskennt, schließt der zweite Einführende mit weiteren Erläuterungen an.
Dabei unterstellt er, dass das Nicht-Wissen der neuen Mitarbeiterin noch nicht vollständig
überwunden wurde. Diese weiß zwar nun, dass im Unternehmen vermessen werden kann, dass das
Unternehmen zudem auch Einträge ins Grundbuch vollziehen kann, ist ihr, so die Unterstellung des
Einführenden, aber noch nicht bekannt. Diese Diagnose ergibt sich nicht wie im ersten Fall
aufgrund eines von der neuen Mitarbeiterin selbst dargestellten Nicht-Wissens. Sie wird schlicht
vorausgesetzt, ohne dass überprüft wurde, ob sie zutrifft. Erst im Nachhinein wird sie durch die
Reaktion der neuen Mitarbeiterin bestätigt. Wieder unterbricht diese den Einführenden, um auf ihr
Wissen hinzuweisen. Es gelingt ihr erneut, zugleich ihr vorhandenes Wissen und ihr darauf
aufbauendes Lernen zu demonstrieren. Die sich aufgrund der Erläuterung des Einführenden nicht
mehr stellende Frage hätte, wäre sie geäußert worden, ein Nicht-Wissen der Lernenden offenbart,
nämlich darüber, was im Unternehmen möglich ist und was nicht. Der Hinweis der neuen
Mitarbeiterin darauf, dass sich ihre Frage erübrigt hat, fungiert gleichermaßen als nachträgliche
Diagnose und als Evaluation dieses zweiten Segments der Darstellung von Lernen. An diese
Wissensdemonstration schließt keine Bestätigung durch einen Einführenden an. Hier genügt die
Behauptung der Lernenden, sie wisse Bescheid, um die Darstellung von Lernen zu plausibilisieren.
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Im Verlauf dieses kurzen Gesprächsausschnitts wurde nicht nur wiederholt dargestellt, dass die
neue Mitarbeiterin und die Einführenden im Umgang mit Grundbucheinträgen bewandert sind, es
wurde auch dargestellt, dass die neue Mitarbeiterin etwas dazugelernt hat, nämlich wie in diesem
spezifischen Unternehmen die konkrete Praxis aussieht. Indem die neue Mitarbeiterin ihr
vorhandenes Wissen demonstriert, erweist sie sich als Person, die für die durch sie neu besetzte
Stelle geeignet ist. Weil im Rahmen der Einführung zudem ein Lernen der neuen Mitarbeiterin
repräsentiert wird, können die Beteiligten nach dieser Einführung davon ausgehen, dass die
Mitarbeiterin in der Lage sein wird, ihr allgemeines Wissen nun auch angemessen in ihrem neuen
Aufgabenbereich einzubringen.
Das anhand dieses Beispiels erläuterte Muster der Kommunikation von Lernen kann vielfältig
variiert werden. Es ist grundsätzlich offen für die Behandlung jedes erdenklichen Themas, sofern
die Differenz zwischen Wissenden und Nicht-Wissenden dabei eine Rolle spielt. Zeitlich verläuft
das dargestellte Lernen nicht immer parallel zu dem Gespräch, in dem es dargestellt wird, wie es
hier der Fall ist. Es kann auch auf vergangenes oder zukünftiges Lernen verwiesen werden, das
außerhalb von Gesprächen stattfindet. Nicht immer wird das (Nicht-)Wissen der Lernenden
aufgrund von Demonstrationen zugeschrieben. Die für die Darstellung von Lernen notwendigen
Zuschreibungen können auch als Unterstellungen, Behauptungen oder Überprüfungen realisiert
werden.
3 Kommunikation von Lernen als Muster des Umgangs mit (Nicht-)Wissenszuschreibungen
Kommunikation von Lernen gewinnt ihre spezifische Form in Differenz zu anderen Mustern des
Umgangs mit zugeschriebenem (Nicht-)Wissen. Sie unterscheidet sich von Mustern der
fortgesetzten Wissenszuschreibung wie Geselligkeit, Aushandlung von Vereinbarungen oder
gemeinsame Problembearbeitung dadurch, dass in ihr das Nicht-Wissen von Personen zum Thema
wird. Sie unterscheidet sich von anderen Mustern des Umgangs mit Nicht-Wissenszuschreibungen
dadurch, dass nur in ihrem Zusammenhang die Veränderung von Personen als Möglichkeit der
Überwindung von Nicht-Wissen in Betracht kommt.
Wissenszuschreibungen und Nicht-Wissenszuschreibungen werden in Gesprächen nicht gleich
behandelt. Während auf Wissenszuschreibungen hingearbeitet wird und sie eine Tendenz zur
Fortsetzung aufweisen, wird versucht, Nicht-Wissenszuschreibungen zu verhindern, sie
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zurückzuweisen oder sie zu überwinden. Nicht-Wissenszuschreibungen markieren eine Dissonanz
zwischen
Geltungsansprüchen
und
Personeneigenschaften.
Diese
aufzulösen
wird
zur
vordringlichen Aufgabe der Kommunikation, sobald eine solche Zuschreibung stattgefunden hat.
Kommunikation von Lernen ist eine von mehreren möglichen Formen dieser Auflösung. Die sich
bei jedem Auftreten von Nicht-Wissenszuschreibungen stellende Aufgabe ihrer Überwindung kann
in vier Varianten bearbeitet werden, von denen nur eine auf Lernen abhebt:
a) Anstatt die Dissonanz zu überwinden kann die Markierung der Dissonanz gelöscht werden. Die
Nicht-Wissenszuschreibung wird vermieden, übergangen oder dementiert (vgl. GOFFMAN 1971).
b) Es kann bestritten werden, dass es sich bei der zugeschriebenen Eigenschaft der Person um
Nicht-Wissen handelt: dann wird der Geltungsanspruch der mit der Zuschreibung verbundenen
Bewertung in Frage gestellt. Es kommt zu Sequenzen der Aushandlung von Geltungsansprüchen
(vgl. GRUBER 1996). Eine Veränderung der als gültig angesehenen Erwartungen führt zur
Aufhebung der Nicht-Wissenszuschreibung.
c) Es kann eine Veränderung der nicht-wissenden Person dargestellt werden. So werden die
Geltungsansprüche aufrechterhalten und es kommt trotzdem zur Aufhebung der NichtWissenszuschreibung. In diesem Fall wird Lernen kommuniziert.
d) Die vierte Variante stellt insofern einen Sonderfall dar, als sie nur dann zum Tragen kommt,
wenn eine oder mehrere der anderen drei Verfahren der Überwindung von Nicht-Wissen versucht
wurden, aber erfolglos geblieben sind. Sie besteht darin, der nicht-wissenden Person eine veränderte
Position zuzuschreiben. Dass die Degradierung von Personen (vgl. GARFINKEL 1977) zur
Auflösung einer durch eine Nicht-Wissenszuschreibung signalisierten Dissonanz führen kann, rührt
daher, dass Nicht-Wissenszuschreibungen nur so lange problematisch sind, wie sie mit einer
positionsspezifischen Wissenserwartung konfligieren. Degradierungssequenzen sind im Vergleich
zu den anderen Sequenzformen nur selten zu beobachten.
Die Beobachtung von Lernen als sozial konstituiertes Phänomen macht es möglich, das Auftreten
von Sequenzen der Darstellung von Lernen dadurch zu erklären, dass es eine Alternative zu allen
anderen oben skizzierten Formen der Überwindung von Nicht-Wissenszuschreibungen eröffnet.
Aufgrund der spezifischen Leistungen der Kommunikation von Lernen im Umgang mit (Nicht)Wissenszuschreibungen lässt sich ihr Vorkommen in unterschiedlichen Kontexten des Umgangs
mit Wissen erklären. Die Kommunikation von Lernen stellt die einzige Möglichkeit dar, im
Umgang mit Nicht-Wissenszuschreibungen Geltungsansprüche aufrechtzuerhalten und dennoch
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Degradierungen zu verhindern, sofern man die Zuschreibung von Nicht-Wissen nicht gänzlich
vermeiden
oder
übergehen
will7.
Da
es
die
Darstellung
von
Lernen
ermöglicht,
Wissenszuschreibungen zu erzeugen, stellt sie zudem eine Möglichkeit dar, die Voraussetzungen für
Sequenzen der Anwendung fortgesetzt zugeschriebenen Wissens zu schaffen.
4 Kommunikation von Lernen als Konstitutivum absichtsvoller Einwirkung auf Lernen
Kommunikation von Lernen ist keine pädagogische Erfindung sondern eine auch ohne absichtsvolle
Einwirkung auf Lernen mögliche Variante des Umgangs mit (Nicht-)Wissen, aber ohne
Kommunikation von Lernen sind Versuche der Einwirkung auf Lernen undenkbar. Das Muster der
kommunikativen
Darstellung
von
Lernen
ist
der
kommunikativen
Verfolgung
von
Veränderungsabsichten vorausgesetzt und wird in ihrem Rahmen in spezifischer Weise genutzt. Im
Überblick über bestehende Befunde wird deutlich, dass pädagogische Interaktion im Rahmen
organisierter Lehre auf dem Sequenzmuster der Kommunikation von Lernen basiert, wobei sich
dieses Muster je nach institutionellem Kontext unterschiedlich ausprägt (4.1). Auch auf der Ebene
pädagogischer Organisation kommt der Darstellung von Lernen eine strukturelle Bedeutung zu. Sie
ermöglicht die Verstetigung von Einwirkungsbemühungen und schafft die Voraussetzungen für
eine Verknüpfung des pädagogischen Umgangs mit (Nicht-)Wissen mit dem Umgang mit (Nicht)Wissen in anderen gesellschaftlichen Bereichen (4.2).
4.1 Darstellung von Lernen als Grundmuster pädagogischer Interaktion
Versteht man die beobachtbaren Formen der Interaktion im Rahmen organisierter Einwirkung auf
Lernen nicht als Reaktionen auf das Problem der Beeinflussung, sondern in erster Linie der
Darstellung von Lernen, so lassen sich Befunde über die Eigenheiten der Kommunikation in
pädagogischen Institutionen neu interpretieren. Vor dem Hintergrund eines Verständnisses von
Lernen als sozial konstituiertem Phänomen lassen sich so die unterschiedlichen Muster von LehrLern-Settings neu beschreiben und aufeinander beziehen. Es wird deutlich, dass in
unterschiedlichen Bereichen organisierten Lernens die Lernenden in unterschiedlichen Graden an
der Darstellung ihres Lernens beteiligt werden. Im Schulunterricht stattfindende Lehrgespräche
bestehen ausschließlich aus Überprüfungssequenzen. In ihnen findet parallel zum Gespräch eine
fortschreitende Darstellung des Wissensstandes der Lernenden unter deren Beteiligung statt (vgl.
MEHAN 1979, KALTHOFF 1995 und 2000). Sequenzen mehrerer solcher Lehrgespräche werden
durch regelmäßige Überprüfungsarrangements segmentiert (vgl. BREIDENSTEIN 2006).
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Verdeckter geschieht eine parallel zur Lehre stattfindende Kontrolle des Wissensstandes auch im
Rahmen von Kursen der Erwachsenenbildung. Meist übernehmen hier die Lernenden selbst die
Aufgabe der Demonstration ihres Wissens. Explizite Nicht-Wissenszuschreibungen werden
vermieden, was notwendig die Verwendung von Formen impliziter Nicht-Wissenszuschreibungen
nach sich zieht (vgl. NOLDA 1996).
Im Rahmen von Vortragsveranstaltungen oder Formen der medialen Lehre (vgl. NOLDA 2005) wird
das Lernen lediglich unter Rückgriff auf unbelegte Behauptungen und Unterstellungen inszeniert
oder stellvertretend vorgeführt.
Dass die pädagogische Interaktion konstituierende Strukturen der Kommunikation von Lernen
erziehungswissenschaftlich bislang wenig Beachtung gefunden haben, mag daran liegen, dass ihren
Momenten Diagnose, Korrektur und Evaluation im Rahmen pädagogischer Kommunikation
Funktionen zukommen, die über die reine Darstellung von Lernen hinausgehen. Sie können in
diesem Zusammenhang als Momente pädagogischen Handelns (vgl. PRANGE/STROBEL-EISELE
2005) interpretiert werden, als Hilfsmittel der Versuche, die Wahrscheinlichkeit der Darstellung
von Lernen im Unterschied zur Darstellung von Nicht-Lernen zu erhöhen: Diagnosen ermöglichen
es, geeignete Korrekturen für den Lernenden auszuwählen, mit Korrekturen kann dem Lernenden
verdeutlicht werden, welche Veränderungen von ihm erwartet werden. Evaluationen dienen nicht
nur der unmittelbaren Überprüfung des Lernerfolgs, sondern ermöglichen es auch, Korrekturen auf
ihre Wirksamkeit hin zu bewerten (vgl. KUPER 2005b). Insofern erfahren die Momente der
Darstellung von Lernen im Rahmen pädagogischer Interaktion eine doppelte Nutzung: sie sind
Mittel pädagogischen Handelns und sie stellen zugleich die Voraussetzung dafür dar, dass die
Veränderung von Personen überhaupt plausibel sozial inszeniert werden kann, denn nur diese
sozialen Repräsentationen des Lernens lassen kommunikative Versuche der Einwirkung auf Lernen
überhaupt als etwas Sinnvolles erscheinen, was auch in kommunikationstheoretischen
Beschreibungen des Pädagogischen gesehen wird: „Als Operation pädagogischer Kommunikation
ist Vermitteln direkt auf kommunikative Aneignung bezogen. Insofern läuft deren Feststellung und
Überprüfung mit der Operation des Vermittelns immer mit“ (KADE 2004, S. 208). Eine noch
ausstehende Rekonstruktion der komplexen Dynamik, die sich aus der Verzahnung von
kommunizierter Lehre und kommuniziertem Lernen ergibt, verspricht, zu einem tieferen
Verständnis der Strukturen pädagogischer Interaktion beitragen.
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4.2 Darstellung von Lernen als Moment pädagogischer Organisation
Auch im Rahmen pädagogischer Organisation kommen den Momenten der Darstellung von Lernen
eine strukturelle Bedeutung zu. Im Vordergrund steht hier vor allem die Evaluation des Lernerfolgs.
Lern(miß-)erfolge werden in Noten, Zeugnissen und Zertifikaten schriftlich dokumentiert. Dabei
erfüllen Arrangements der Überprüfung von (Nicht-)Wissen (vgl. KALTHOFF 1996, NOLDA 1990)
eine zentrale Funktion. In diesen Prüfungen müssen die Lernenden zeigen, ob sie erfolgreich gelernt
haben oder nicht. Wurde Lernen demonstriert, werden die ehemals Lernenden im entsprechenden
Gebiet fortan als Wissende behandelt. Damit sie eine solche Behandlung auch durch Personen
erfahren, die selbst an den Prüfungen nicht beteiligt waren, werden die Ergebnisse schriftlich
dokumentiert. Die dabei entstehenden (Nicht-)Wissenszuschreibungen werden formalisiert
dokumentiert und miteinander verrechnet (vgl. INGENKAMP 1971, ZIEGENSPECK 1999). Diese
Wissensbelege werden in einem komplexen System aufeinander bezogen, das das organisatorische
Rückgrat des Bildungswesens ausmacht (vgl. KELL 1982; bezogen auf das Lernen Erwachsener vgl.
KADE 2005). An sie kann mit weiteren Sequenzen der Kommunikation von Lehren und (Nicht)Lernen angeschlossen werden. Sie werden zudem gezielt so dokumentiert, dass die damit
verbundenen (Nicht-)Wissenszuschreibungen auch außerhalb von Bildungseinrichtungen rezipiert
werden können. Geht man davon aus, dass die Darstellung von (Nicht-)Lernen ein Konstitutivum
jeder Form der Lehre darstellt, werden die meist als dem Bildungssystem äußerlich angesehenen
Formen der formalisierten Bewertung der Lernenden als Moment der strukturellen Kopplung
zwischen der der Erziehung zuzurechnenden Darstellung von (Nicht-)Lernen und anderen Formen
des Umgangs mit (Nicht-)Wissen zuzurechnenden sozialen Selektion erklärbar.
5 Bedeutungswandel der Kommunikation von Lernen
Der Blick auf die Formen der Darstellung von Lernen ermöglicht nicht nur neue Beschreibungen
für bekannte Phänomene im Bereich organisierter Erziehung und Bildung. Er eröffnet auch
empirische Beobachtungen zu Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang mit Lernen, die über
die Grenzen organisierter Bildung und Erziehung hinausgehen. Ihre hohe gesellschaftliche
Bedeutung
kommt
der
kommunikative
Darstellung
von
Lernen
aufgrund
der
Einwirkungsmöglichkeiten auf Personen zu, die sie eröffnet. Kommunikation von Lernen wird
insbesondere in Verbindung mit organisierter Lehre Beachtung geschenkt. In jüngster Zeit ist
allerdings eine zunehmende Ablösung der Kommunikation von Lernen von der kommunizierten
Lehre zu beobachten. Die historisch bedeutsame Kopplung institutionalisierten Lernens an das
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institutionalisierte Lehren wird sowohl auf der Ebene gesellschaftlicher Diskurse als auch im
Rahmen alltäglicher Interaktion gelockert.
Im Zusammenhang des erziehungswissenschaftlichen Diskurses zum Lebenslangen Lernen wird
das Augenmerk verstärkt auf die Formen des Lernens gelegt, die unabhängig von
Einwirkungsversuchen zu beobachten sind. Es wird der Umgang mit Lernen in den Vordergrund
gerückt und die pädagogische Einwirkung auf Lernen lediglich als eine Variante dieses Umgangs
beschrieben. Im Rahmen dieser Programmatik eines „Lebenslangen Lernens aller“ (vgl. DOHMEN
2001) wird damit pädagogischen Organisationen und der pädagogischen Profession das Monopol
auf die legitime Kommunikation von Lernen abgesprochen. Das Lernen wird aus der
pädagogischen Betreuung entlassen und den Einzelnen als Aufgabe übertragen. Lernen wird in
diesem Zusammenhang als Möglichkeit der selbstbestimmten und erfahrungsbasierten Entfaltung
von Wissenspotentialen beschrieben. Dabei wird verdeckt, dass es sich auch beim informellen und
selbstgesteuerten Lernen um kommuniziertes Lernen handelt, dass damit auch diese Formen der
Logik des dargestellten Lernens folgen8. Eine vom Lehren partiell entkoppelte Darstellung des
(Nicht-)Lernens aller ist aber keineswegs nur mit gesteigerten Freiheitsgraden der Lernenden
verbunden. Die mit ihrer Entkopplung vom expliziten Lehren zunehmende gesellschaftliche
Verbreitung der Kommunikation von Lernen macht vielmehr die an Geltungsansprüchen orientierte
Veränderung von Personen verstärkt verhandelbar. Dies ist verbunden mit der zunehmenden
Erwartbarkeit von Diagnosen, Korrekturen und Evaluationen auch außerhalb pädagogisch
verantworteter (Schon-)Räume. Die Programmatik einer partiellen Abkopplung des Lernens vom
Lehren wird im Rahmen gouvernementalitätstheoretischer Überlegungen zum Lebenslangen Lernen
als Strategie der Subjektivierung gedeutet (vgl. WRANA 2006). Im Rahmen der Reflexion eines
veränderten gesellschaftlichen Umgangs mit Wissen wird sie als Verdrängung der Figur des
zielgerichteten Lerners durch die Darstellung permanenter Lernbereitschaft beschrieben (vgl.
NOLDA 2004).
Dass eine Entkopplung der Kommunikation von Lernen von der dargestellten Einwirkung auf
Lernen nicht nur in Programmatiken gefordert wird, sondern sich auch im alltäglichen sozialen
Umgang niederschlägt, zeigt sich bei der Beobachtung von Gesprächen außerhalb von
Bildungseinrichtungen (vgl. DINKELAKER 2007). Kommunikation von Lernen wird zum
konstitutiven Bestandteil auch von Settings, als deren Zweck nicht die Veränderung, sondern die
Anwendung von Wissen im Vordergrund steht. Die in solchen Settings auftretenden Sequenzen der
Kommunikation von Lernen ergeben sich nicht aus einem an einer pädagogischen Absicht
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Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. Theoretischer Zugange und empirische
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orientierten Lehrplan, sondern aus situativen Notwendigkeiten eines Umgangs mit (Nicht-)Wissen.
Lernen erscheint als Mittel zur Erreichung anderer Zwecke. Solche Formen des Umgangs mit
Lernen könnte man als beiläufiges Lehren bezeichnen (zum beiläufigen Lernen vgl.
WATKINS/MARSICK 1992, REISCHMANN 1995). Obwohl Absichten verfolgt werden, die sich von der
Absicht des Lehrens unterscheiden, ergeben sich in diesem Rahmen Sequenzen der bewertenden
Darstellung von (Nicht-)Lernen. Settings, in denen solche vom absichtsvollen Lehren entkoppelten
Formen der Darstellung von Lernen erwartbar werden, sind dadurch gekennzeichnet, dass sich in
ihnen die Logik der Kommunikation von Lernen mit den Logiken der Anwendung und
Aushandlung von (Nicht-)Wissen vermischen. Die Etablierung solcher hybrider Settings (vgl.
KADE/LÜDERS/HORNSTEIN 1991) ist die Voraussetzung dafür, dass sich Formen des Umgangs mit
Lernen jenseits organisierter Lehre institutionalisieren.
Im Rahmen solcher hybrider Settings sind die Adressaten zugleich (Nicht-)Wissende und Lernende.
Wissende werden zu Personen, denen die Aufgabe der Aufrechterhaltung der ihnen
entgegengebrachten Wissenszuschreibungen aufgetragen wird, obwohl sie mit der prinzipiellen
Ungewissheit jeden Wissens (vgl. HELSPER/HÖRSTER/KADE 2003) konfrontiert sind. Ihre Fehler
werden nicht taktvoll übersehen (zur Bedeutung des Takts in pädagogischen Settings vgl.
LUHMANN 1996). Es ist vielmehr legitim oder gar geboten, sie auf ihr Nicht-Wissen anzusprechen.
Dies geschieht nicht mit dem Ziel, ein dauerhaftes Nicht-Wissen aufzudecken (zumindest wird es
nicht so dargestellt), sondern im Gegenteil mit dem Ziel der Überwindung dieses Nicht-Wissens.
Indem Wissende zugleich als verantwortliche Experten und als verbesserungsbedürftige Lernende
angesprochen werden, kann ihnen einerseits zugemutet werden, selbst entscheiden zu müssen, was
sie in einer ungewissen Situation für richtig halten, und andererseits können sie dennoch für diese
Entscheidungen kritisiert werden. Der zur Überwindung eines so aufgedeckten Nicht-Wissens
notwendige Prozess des Lernens muss nicht angeleitet werden. Es muss lediglich das Lernen bzw.
Nicht-Lernen dargestellt werden. Der Lernende hat selbst dafür zu sorgen, dass der Eindruck
aufrechterhalten bleibt, er habe den Bereich unter Kontrolle, für den er verantwortlich gemacht wird
(vgl. auch MASSCHELEIN/SIMONS 2005).
Nicht-Wissende wiederum werden in solchen hybriden Settings nicht nur als Nicht-Wissende
adressiert, die aufgrund ihrer mangelnden Eignung an bestimmten Formen der Umgangs mit
Wissen nicht beteiligt werden können. Ihnen wird auch die Erwartung entgegengebracht, sich
entsprechend durchgesetzter Geltungserwartungen zu verändern. Die Darstellung ihres Lernens
eröffnet ihnen die Chance, ihre gesellschaftliche Marginalisierung zu überwinden, bringt es aber
13
Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. Theoretischer Zugange und empirische
Beobachtungen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10(2), 199-213.
auch mit sich, dass fortgesetztes Nicht-Wissen als Nicht-Lernen gedeutet wird, woran je nach
Kontext wieder mit neuen Lernerwartungen oder mit neu legitimierten Ausschließungen
angeschlossen werden kann (vgl. auch STEINERT 2003).
Diese Umwandlung Wissender und Nicht-Wissender in Lernende geschieht im Rahmen des
Einwanderns von Formen der Darstellung von (Nicht-)Lernen in Anwendungs- und
Aushandlungskontexte. Es wird möglich, in ihrem Rahmen „just in time“ störendes oder
hemmendes Nicht-Wissen von Personen darzustellen und zu überwinden. Ein solcher Umgang mit
Lernen
jenseits
von
Bildungseinrichtungen
beginnt
lange
vor
der
Darstellung
von
Einwirkungsabsichten in dem Moment, in dem Lernen zum Gegenstand von Kommunikation wird.
Die Institutionalisierung lebenslang kommunizierten Lernens lässt erwartbar werden, dass (Nicht)Wissenszuschreibungen expliziert und mit Überprüfungen verbunden werden. Formen der
Beobachtung von (Nicht-)Wissen treten verstärkt in den Vordergrund der Kommunikation, was
nicht nur die Möglichkeiten eines Übergangs vom Nicht-Wissen zum Wissen, sondern auch neue
Gefahren der Degradierung vom Wissenden zum Nicht-Wissenden mit sich bringt, insbesondere
wenn sich die Nicht-Wissenden als Nicht-Lernende erweisen sollten.
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Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. Theoretischer Zugange und empirische
Beobachtungen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10(2), 199-213.
1
Obwohl dieser innerpsychische Prozess als etwas verstanden wird, was nicht unmittelbar zu beobachten ist,
werden dennoch weitreichende Aussagen über die Strukturen des im Verborgenen ablaufenden Vorgangs gemacht.
Psychologische Messverfahren werden als besonders geeignet zur Eröffnung eines empirischen Zugangs zum Lernen
erachtet. Dem Problem der Unbeobachtbarkeit wird hier mit einer Technisierung der Beobachtung begegnet. Dies soll
es ermöglichen, von einer verlässlichen Messung zu sprechen (vgl. z.B. KLIEME 2004, KUPER 2005a, zur dezidierten
Kritik an einer solchen Vorstellung vgl. KALTHOFF 1996). Gegen eine solche am Effekt orientierte Beobachtung von
Lernen richten sich Ansätze, die die subjektive Perspektive der Lernenden auf den sich in ihnen ereignenden
Lernprozess hervorheben (vgl. LUDWIG 2000). Die von der Logik des Lehrens unterscheidbare Eigenlogik des Lernens
hebt ein individual-konstruktivistischer Ansatz hervor (vgl. SIEBERT 1998). Obwohl sich effektmessende,
lernsubjektrekonstruierende und individual-konstruktivistische Lernmodelle voneinander unterscheiden, sehen sie doch
alle den Ursprung und Prozess des Lernens im Einzelnen, verstehen ihn in irgendeiner Weise als organischen,
neuronalen oder psychischen individuellen Veränderungsvorgang.
2
In der diesem Aufsatz zu Grunde liegenden Studie „Lernen Erwachsener in hybriden Settings. Eine empirische
Studie über Muster der Zuschreibung von (Nicht-)Wissen in der Interaktion mit Klienten in der Hilfeeinrichtung und
mit Führungskräften im Unternehmen“ (DINKELAKER 2007) wurden anhand von Tonbandmitschnitten die Strukturen
der Darstellung von Lernen in Gesprächen außerhalb von Bildungseinrichtungen mit Hilfe konversationsanalytischer
Verfahren rekonstruiert. Die Auswahl der untersuchten Settings orientierte sich zweifach am Prinzip der
Kontrastierung. Ein Setting aus einem institutionellen Kontext, in dem Wissende adressiert werden – eine Sitzung von
Führungskräften in einem Unternehmen –, wurde einem Setting aus einem institutionellen Kontext gegenübergestellt, in
dem Nicht-Wissende adressiert werden – Betreuungsgespräche in einer Obdachlosenhilfeeinrichtung. Den beiden für
die Felder Unternehmen und Obdachlosenhilfe typischen Settings wurde je ein Setting gegenübergestellt, das für den
institutionellen Kontext eher untypische Zuschreibungen aufweist – eine Einführung neuer Mitarbeiter im Unternehmen
und die Redaktionssitzung einer Straßenzeitung. Der Vergleich der in diesem Sampling einander gegenübergestellten
Settings ermöglicht es, sowohl alle Settings übergreifende als auch institutions- und settingspezifische Muster der
Umgangs mit (Nicht-)Wissen zu rekonstruieren. In allen untersuchten Settings zeigen sich Formen der Kommunikation
von Lernen. Differenzen treten darin auf, wie diese sich realisieren und wie sie mit anderen Formen des Umgangs mit
(Nicht-)Wissen verzahnt sind.
3
Der Blick auf die Formen der kommunikativen Darstellung von Lernen schließt an Ansätze an, die das Soziale
als Kommunikation beobachten und erklären (vgl. LUHMANN 1984, SACKS 1984, BAECKER 2005). Während bezogen
auf die Kommunikation von Lehren bereits zahlreiche Überlegungen und Befunde vorliegen (vgl. MEHAN 1979, NOLDA
1996, LUHMANN 2002, KADE/SEITTER 2007), sind Zugänge, die Lernen als sozial konstituiertes Phänomen beobachten,
erst im entstehen (vgl. WIESEMANN/AMMAN 2002). Bislang blieb insbesondere offen, wie Lernen als spezifische
Kommunikationsform bestimmbar ist.
4
Zur Differenz von Nicht-Wissen und Wissen als konstitutivem Merkmal der Erziehung vgl. RUSTEMEYER
2005, BÄCKER 2006; zum Wissen als Schlüsselkategorie im Lerndiskurs vgl. SCHMIDT 2005, S. 113ff; zum NichtWissen als erziehungswissenschaftliche Kategorie vgl. TREML 1994, KADE 1997.
5
Zu einer ähnlich gelagerten, für die erziehungswissenschaftlichen Diskussion sehr fruchtbaren
Ausgangsüberlegung vgl. die Debatte zum Technologiedefizit der Pädagogik, zuletzt EHRENSPECK/LENZEN 2006; zur
‚Unsichtbarkeit des Lernens’ vgl. PRANGE 2005, S. 90f.
6
Dem Umgang mit Fehlern als für Lernen strukturell bedeutsames Moment wird zunehmend Aufmerksamkeit
geschenkt. Dabei wird allerdings die Bedeutung des wahrgenommenen Fehlers für innerpsychisch ablaufende
Lernprozesse, nicht für die Strukturen der Kommunikation von Lernen in den Mittelpunkt gestellt (vgl. z.B.
OSER/SPYCHIGER 2005).
7
Hieraus resultiert eine unauflösbare Nähe der Erziehung zu Prozessen der Erzeugung gesellschaftlicher
Ungleichheit: „Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß Selektion sich nicht vermeiden lässt, wenn Erziehung sich als
gute Absicht vorstellt und das Richtige markiert“ (LUHMANN 2002, S. 63).
8
Auf die Notwendigkeit einer gesellschaftlich beobachtbaren Darstellung von Lernen wird interessanterweise
im Rahmen von Versuchen der Aufwertung des Lernens außerhalb von Bildungseinrichtungen hingewiesen (vgl.
BJØRNÅVOLD 2001).
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