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In Spaniens Arena

2013, Politik & Kommunikation

"The Spanish Civil War (1936-39) was an international media and propaganda war. In the thick of it: German expatriate Willy Brandt. GERMAN / DEUTSCH Der Spanische Bürgerkrieg (1936-39) war ein internationaler Medien- und Propagandakrieg. Mittendrin: der deutsche Exilant Willy Brandt. KEYWORDS / SCHLAGWÖRTER Auslandskorrespondent, Bürgerkrieg, Demokratie, Faschismus, Fotojournalismus, Gewalt, Journalismus, Kampagne, Katalonien, Kommunismus, Krieg, Marxismus, Medien, Nationalismus, Norwegen, Öffentliche Meinung, Presse, Propaganda, Propagandaministerium, Radio, Radio fantasma, Rechtsextremismus, Revolution, Rundfunk, Sozialismus, Spanien, Sport, Sowjetunion, Symbolik, Terrorismus, Volksfront, Wahlkampf, Zeitungen ORGANISATIONEN: Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit (POUM), CDU, CSU, Internationale Brigaden, Legion Condor, Olimpíada Popular, Norwegische Arbeiterpartei, POUM, Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), SPD PERSONEN: Willy Brandt, Antony Breevor, Herbert Frahm, Felix Franke, Francisco Franco, Gunnar Gaasland, Joseph Goebbels, Günter Grass, Ernest Hemingway, Adolf Hitler, Dolores Ibárruri, Benito Mussolini, Hans Namuth, George Orwell, Georg Reisner, Josef Stalin, Hugh Thomas PUBLIKATIONEN: BBC, EAQ, Radio Moskau, Radio Nacional, Sozialistische Jugend

His torie In฀Spaniens฀Arena฀ Der Spanische Bürgerkrieg (1936-39) war ein internationaler Medien- und Propagandakrieg. Mittendrin: der deutsche Exilant Willy Brandt. P&K HISTORIE – TEIL 23 DER SERIE roten Revolution. Gräuel in von Franco beherrschten Gebieten blieben dank straffer Kontrolle vorläufig im Dunkeln. Vor der Welt setzte sich der General in Szene als Beschützer von Katholiken, Kultur und Ordnung. „Ein schrecklicher Schlag für die Republik“, meint der Historiker Antony Beevor. Die Verteidiger „verpassten einen kritischen Moment“. Das Blatt drehte sich erst, als Hitlers und Mussolinis Eingreifen offenbar wurde. Deutsche Bomben auf Guernica, so Beevor, besorgten den „größten Sieg der Republikaner im Propagandakrieg“. „¡No pasarán!“ I m Juli 1936 reisten Tausende Sportler nach Barcelona. Hitlers Propagandamaschine war dabei, den Olympischen Traum zu stehlen. Aber Spanien sollte ein Zeichen setzen: Aus 22 Ländern meldeten sich 6000 Athleten an, meist von Gewerkschaften, Linksparteien und Arbeitersportklubs entsandt, um der Nazishow Paroli zu bieten. Barcelona gegen Berlin: Es ging um die Integrität der Olympia-Idee. Und es ging um Spanien als Symbol. Arm und rückständig, aber neben Frankreich das einzige Land Europas, in dem eine gewählte Regierung aus Linken und Liberalen, toleriert von Kommunisten, als Bollwerk gegen die rechte Gefahr stand: eine „Volksfront“. Kurz vor der Eröffnung putschte das Militär. Die „Olimpíada Popular“ fiel aus, der Krieg begann und schlug in Katalonien zu. In Panik reisten fast alle Athleten ab. Doch Hunderte blieben und strömten zu den Milizen. Ihr Sport-Propagandakrieg war nun ein echter. Mit ihnen blieben die Reporter, die ihr Glück über die Sensation kaum fassten. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sofort lieferten Fotojournalisten wie die Deutschen Hans Namuth und Georg Reisner, gerüstet mit den neuesten schnellen 35mm-Kameras von Leica und Rolleiflex, für Europas Magazine eine Flut eindringlicher Bilder, die man so noch nicht gesehen hatte. „Wir blieben nicht in Spanien, weil wir Pressefotografen waren“, so Reisner später. „Wir blieben, weil Franco unser Feind war und dies auch unser Krieg.“ Vom ersten Tag an war der Bürgerkrieg ein internationales Medienereignis. Von der Innenpolitik wussten die fremden Reporter meist nichts. Spanisch sprachen sie selten. Aber es war die „goldene Epoche des Auslandskorrespondenten“ (Hugh Thomas). Augenzeugenberichte, hautnahe Reportagen prägten einen neuen Stil. Bald waren 1000 ausländische Presseleute im Land, die viel über zehntausende Ausländer berichteten, die in Internationalen Brigaden dienten: der militärisch irrelevante, aber im Kampf um die Weltmeinung zentrale Trumpf der Republik. Die erste Runde ging an Franco Die erste PR-Runde ging an Franco. Die öffentliche Ordnung kollabierte, linksextreme Kommandos meinten nun, Revolution machen zu können. Der taumelnden Zentralregierung entglitt die Kontrolle. Was Reporter zunächst hörten und sahen, waren Flüchtlingswellen und brutale Überfälle auf Gutsbesitzer, Unternehmer, Beamte, Priester und Kirchen. Francos Nationalisten streuten Meldungen über Massaker, vergewaltigte Nonnen und eine halbe Million moskautreuer Marxisten auf dem Weg zur 64 Der Mann, der Gunnar Gaasland war Im Februar 1937 reiste ein neuer Auslandskorrespondent an, um aus Barcelona zu berichten: der 23-jährige Norweger Gunnar Gaasland, so nannte ihn sein Pass. Eigentlich hieß er Herbert Frahm, ein Deutscher. Er publizierte als Felix Franke oder Willy Brandt. Der Mann mit den vier Namen hatte seine Sporen bei norwegischen Linksblättern und der Exilpresse verdient. Nun zog er an die Aragonfront. „Kurz vor fünf geht es los. Unsere Grenaderos haben die Attacke eingeleitet. Sie belegen die Spitze des Hügels mit Handgranaten“, schrieb er im März 1937 vor Huesca. „Fünfpol i t ik & kommu nikation | D ezemb er 2013 / Ja nu a r 2014 Foto: Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung V ON MA R C O A LT H A U S Gut die Hälfte der Spanier konnte nicht oder kaum lesen. Darum wurden die Straßen mit gewaltigen Postermengen volltapeziert, und das Radio wurde zum dominanten, aber dezentralen Medium. In den ersten Tagen wiegelte die Regierung über den Äther ab, sie sei „Herrin der Lage“, der Aufstand werde „binnen Stunden“ zu Ende sein. Wenig später war sie nicht mal mehr Herrin des Staatsfunks. Studios wurden von Milizen, Parteien und Regionalregierungen besetzt. Dolores Ibárruri, die Ikone der Kommunisten, kaperte in einer Mitternachtsaktion die Mikrofone in Madrid. Ernest Hemingway setzte ihren Funkreden in „Wem die Stunde schlägt“ ein Denkmal. „Die Faschisten kommen nicht durch“, rief sie. Ihr Radioslogan wurde Legende: „¡No pasarán!“ Ein Ätherkrieg mit internationaler Dimension entstand. Die staatliche Kurzwelle EAQ funkte auch auf Französisch und Englisch. Im Einsatz für den Bürgerkrieg wurde Radio Moskau (noch vor dem BBC World Service) zum ersten großen mehrsprachigen Europaprogramm. Franco bekam Hilfe aus Berlin. Goebbels ließ ein Beraterteam des Propagandaministeriums einfliegen; dank mobiler Reichspostsender auf Wehrmacht-LKW brach „Radio Nacional“ das Staatsmonopol. Franco machte den Gegner zudem mit Tarnsendern konWilly Brandt (1913-92) erlebte den Spanischen Bürgerkrieg 1937 als fus, die als Republikradio tönJournalist und Parteifunktionär. ten. Wellen aus Portugal, Italien, dem Vatikan und Deutschland stützten Franco von außen. Beide Kriegsparteien ließen „Radios fantasmas“ (Geisterstationen) und Störsender funken. Alle Radiotaktiken des Zweiten Weltkriegs hatten so ihren Probelauf. Fotos: David Seymour / Magnum Photo / Agentur Focus Sie nannten sie La Pasionaria, die Passionsblume: Die flammenden Reden der Kommunistin Dolores Ibárruri (1895-1989) waren legendär. 1939 floh sie in die Sowjetunion. Erst 1977, nach Francos Tod und 38 Jahren Exil, kehrte sie zurück und gewann erneut den Parlamentssitz, den sie 1933 besetzt hatte. zig Mann der faschistischen Truppen müssen ins Gras beißen.“ Erschienen in dem in Tschechien gedruckten deutschen Blatt „Sozialistische Jugend“, ist diese eine der wenigen Kampfreportagen Brandts. Die Lust auf Gefechtsfeldlyrik verging ihm bald. Noch einen „grotesken Kampf um eine Anhöhe“ wollte er nicht mehr erleben. Er wurde Zeuge, wie eine Kugel George Orwell, mit dem er im selben Hotel wohnte, den Hals durchbohrte. Brandt duckte sich unter MG-Feuer deutscher Stukas der Legion Condor. Er sah zu, wie Milizionäre einen Priester ermordeten, den sie bei Franco-Soldaten aufgegriffen hatten. „Mit dem Bajonett wurde ihm der Bauch aufgeschlitzt“, notierte er und sann, „dass der Krieg die Bestie im Menschen herauslockt.“ Brandt war mehr schreibender Funktionär als Nachrichtenprofi. In Oslo stand er dem winzigen Exilantenkreis der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) vor sowie ihrem Jugendverband, für den er quer durch Europa gereist war. Seine Depeschen gingen auch an die Norwegische Arbeiterpartei und ihr Spanien-Hilfskomitee. Den Genossen im Norden und der SAPEuropazentrale Paris sollte er erklären, was in Spanien los ist. Sein Auftrag lautete, mit der Bruderpartei POUM zusammenzuarbeiten, der „Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit“. Das wurde kompliziert. Das im Ausland propagierte Schwarzweißbild antifaschistischer Einheit gegen Franco wich einem grauen Brei. Brandt sortierte mühsam, wer wer ist und gegen wen. Sozialisten, Anarchosyndikalisten, stramme Stalinisten und Moskau-Dissidenten wie die POUM zankten um Führungsansprüche und was wichtiger sei: Demokratie oder soziale Umwälzung, Krieg oder Klassenkampf, Volksbetriebe oder Volksfront. „In Barcelona werden zu viele schlechte Diskussionen geführt“, maulte Brandt. Die POUM hielt er für „ultralinks und sektiererisch“. Sie habe „in fast jeder praktischen Frage eine falsche Position“. Brandt, selbst Gesandter einer Splitterpartei, versuchte zu vermitteln, bezog aber nur selber Prügel. Die stärksten Strippen, merkte er, zogen moskautreue Kommunisten. Ihr Einfluss wuchs, da die Sowjets Waffen lieferten und die Trommel für internationale Solidarität rührten. Doch Stalins Agentennetz bereitete Säuberungen vor wie in Russland. Brandt sah „Dreckkübel der KP-Presse“ über der POUM niederpol i t i k & kommu nikation | D ezemb er 2013 / Ja nu a r 2014 gehen und zuletzt, wie seine Genossen „von Stalinschergen stranguliert wurden“. Brandt wurde der Boden zu heiß. Im Juni 1937 flüchtete er vor der Hexenjagd zurück nach Skandinavien. „Rotfront“ aus der „Rumpelkammer“ 20 Jahre später. In Berlin ist Brandt auf dem Weg, Regierender Bürgermeister zu werden. Gegner in der SPD stechen zur Presse durch, Brandt sei im Bürgerkrieg „Rotfrontkämpfer“ und Interbrigadist gewesen. Er reagiert mit einer Unterlassungsklage. 1961 wird Brandt Kanzlerkandidat; seine moderne Kampagne im USStil führt ihn als kennedyesken Mann der Mitte ein. Die SPD baut auf Sympathietouren, Revueschlager und Personalisierung. „Die Rumpelkammer der sozialistischen Ideologie, ihrer Symbole und Prinzipien, blieb hermetisch verriegelt“, so der „Spiegel“. Doch die Union hebelt die Tür auf. In einem CSU-Heft „Wer ist Willy Brandt?“ und im CDU-Rednerdienst wird sein Eintreten für die spanische „Volksfront“ thematisiert. Ein Wort, das im Kalten Krieg die Wähler verschreckt. Sowjetagent sei er gewesen, kolportiert die Presse. Die Union gräbt Exiltexte über Spanien aus, in denen Sätze stehen wie „Ein reinigender Sturm hat die Kirchen und Klöster gesäubert.“ Brandt muss sich umständlich zur Religion, zur POUM und zu seinem diffusen Job in Barcelona erklären. Er verwirrt Medien und Wähler mit historischen Ausführungen. Das inspiriert Günter Grass später zum komischen Einakter „POUM oder die Vergangenheit fliegt mit“. Nur einmal wird Brandt wirklich deutlich: „Ich würde mich nicht schämen, wenn ich, wie es einige meiner Freunde taten, mit der Waffe in der Hand verteidigt hätte, was sich mir als die Sache der legalen spanischen Republik und der europäischen Demokratie darstellte.“ Marco Althaus ist Professor für Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin. 65