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Die Sprache der Populisten

2020, POPULISMUS - Kontroversen und Perspektiven Ein wissenschaftliches Gesprächsangebot

Die menschliche Sprachfähigkeit ist eine der zentralsten evolutionären Entwicklungen unserer Spezies. Mit Hilfe von Sprache können wir Gedanken und Ideen kommunizieren, gemeinsame Aktivitäten koordinieren und Gefühle austauschen. Zugleich können wir aber mit Sprache auch lügen und verschleiern, andere manipulieren und hinters Licht führen. Als ein Beispiel für eine derartige negativ geprägte Sprache wird immer wieder populistische Sprache genannt. Populisten gelten als manipulative Rattenfänger, die „Angst schüren“, sich selbst als homogene Gruppe inszenie- ren, andere Gruppen radikal ausgrenzen und die alleinige Deutungshoheit über sämtliche Themen beanspruchen. Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es nun, der Frage nachzugehen, in- wieweit sich Populisten sprachlich tatsächlich von anderen Politikerinnen und Politikern unterscheiden. Oder anders formuliert: gibt es eine Sprache der Populisten? Darüber hinaus diskutiere ich gegen Ende des Beitrags noch die Frage, wie man denn jetzt mit Populisten reden kann, beziehungsweise soll.

Marina Fleck, Tobias Hirschmüller, Thomas Hoffmann (Hg.) POPULISMUS – Kontroversen und Perspektiven Ein wissenschaftliches Gesprächsangebot Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. AVM – Akademische Verlagsgemeinschaft München 2020 © Thomas Martin Verlagsgesellschaft, München Umschlagabbildung: © Marina Fleck Dieses Werk ist als Open-Access-Publikation unter der Creativ-Commons-Lizenz CC BYNCSA 4.0 (Namensnennung - nicht kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen) lizenziert und unter dem DOI 10.23780/9783960915669 abzurufen. Jede Verwertung außerhalb dieser Lizenz bedarf der schriftlichen Genehmigung durch den Verlag. Die Lizenzen sind einsehbar unter https://creativecommons.org/licenses/ Alle Informationen in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Weder Herausgeber, Autoren noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen. Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier (ISO 9706) ISBN (Print) 978-3-95477-118-9 e-ISBN (ePDF) 978-3-96091-566-9 AVM – Akademische Verlagsgemeinschaft München Schwanthalerstr. 81 D-80336 München www.avm-verlag.de 55 Thomas Hoffmann Die Sprache der Populisten 1. Einleitung Populistisches Sprechen schürt Angst, grenzt aus und homogenisiert die Vielfalt der Interessen und Ideen. Es erweckt den Eindruck, dass es eine Lösung gebe und damit auch „alles gesagt“ sei. (Ekkehard Felder, Interview mit Zeit Online, 5. August 20181) Die menschliche Sprachfähigkeit ist eine der zentralsten evolutionären Entwicklungen unserer Spezies. Mit Hilfe von Sprache können wir Gedanken und Ideen kommunizieren, gemeinsame Aktivitäten koordinieren und Gefühle austauschen. Zugleich können wir aber mit Sprache auch lügen und verschleiern, andere manipulieren und hinters Licht führen. Als ein Beispiel für eine derartige negativ geprägte Sprache wird, wie oben im Zitat von Ekkehard Felder, immer wieder populistische Sprache genannt. Populisten gelten als manipulative Rattenfänger, die „Angst schüren“, sich selbst als homogene Gruppe inszenieren, andere Gruppen radikal ausgrenzen und die alleinige Deutungshoheit über sämtliche Themen beanspruchen. Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es nun, der Frage nachzugehen, inwieweit sich Populisten sprachlich tatsächlich von anderen Politikerinnen und Politikern unterscheiden. Oder anders formuliert: gibt es eine Sprache der Populisten? Darüber hinaus diskutiere ich gegen Ende des Beitrags noch die Frage, wie man denn jetzt mit Populisten reden kann, beziehungsweise soll. 2. Gibt es eine ‚Sprache der Populisten‘? Vor allem im deutschen Sprachraum ist der Begriff „Populismus“ negativ konnotiert und wird zumeist als abwertende Fremdzuschreibung verwendet.2 Aus 1 Mast, Maria: „Populistisches Sprechen schürt Angst, grenzt aus und homogenisiert“, in: Zeit Online, 5. August 2018, URL: https://www.zeit.de/politik/2018-07/rhetorikpopulismus-sprache-wissenschaft-erkennen (18. Februar 2020). 2 Müller, 2016; Selk, 2020. 56 Die Sprache der Populisten politikwissenschaftlicher Sicht kristallisieren sich dabei zwei zentrale Merkmale des Populismus als „eine dünne Ideologie“ heraus3: t ein symbolischer Anti-Elitismus, der sich gegen das „abgehobene Establishment“ wendet („Populistisch heißt: gegen das Establishment.“ Alexander Gauland, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 6. Oktober 20184), t und zugleich eine „Idealisierung des reinen Volkswillens“5 beziehungsweise. des „gesunden Menschenverstandes“6. Soziologisch betrachtet, handelt es sich dabei also um eine klassische Gruppenidentität, die auf einer konstruierten Opposition von „uns“/„das einfache Volk“ gegen „die da oben“/„die Eliten“ basiert.7 Aufgrund dieser binären Identitätskonstruktion lässt sich erwarten, dass folgende sprachliche Merkmale in populistischer Sprache häufiger zu finden sein sollten als in vergleichbaren nicht-populistischen Texten: 2.1 Hypertropher Sprachgebrauch8 Wie Felder zeigt, führt die Annahme, „für das Volk“ (im Gegensatz zur „Elite“) zu sprechen, zu sprachlichen Anmaßungsstrategien. Dabei beanspruchen Sprecher und Sprecherinnen für sich einen antipluralistischen Alleinvertretungsanspruch und behaupten Volkes Stimme zu sein oder für das ganze beziehungsweise wahre Volk zu sprechen.9 Man inszeniert sich als die Stimme des Volkswillen und argumentiert mit dem gesunden Menschenverstand.10 Beispiele solcher sprachlicher Anmaßungsstrategien finden sich in (1)–(3): 3 Albertazzi/McDonnell, 2008; Mudde, 2004; Priester, 2012; Selk, 2020. Siehe auch die Beiträge von Veith Selk und Benjamin Krämer in diesem Band. 4 Gauland, Alexander: Warum muss es Populismus sein?, in: FAZ online, 6. Dezember 2018, URL: https://edition.faz.net/faz-edition/politik/2018-10-06/3bf95260dcc7e95bb 1086fc28bec3589/ (2. Dezember 2019). 5 Selk, 2020. 6 So bezeichnet sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm selbst als die „Partei des gesunden Menschenverstandes“. AfD: Programm für Deutschland, 2016, S. 18, URL: https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2018/01/Programm_AfD_ Druck_Online_190118.pdf (18. Dezember 2019). 7 Tajfel, 1981, 1982. 8 Felder, 2017. 9 Ebd., S. 46. 10 Ebd., S. 45. Thomas Hoffmann (1) au nom du peuple („im Namen des Volkes“; 2016 Wahlkampf-Slogan des Front National11) (2) We’ve formed our people’s army to fight the establishment … (Interview mit Nigel Farage, Vorsitzender der UK Independence Party (Ukip) 201412) (3) Wir lassen uns nicht länger belügen! Wir sind das Volk! (Transparent bei AfD-Demonstration 2015 in Rostock13) In (1) nimmt der Front National in Anspruch im Namen des Volkes zu sprechen (unter Bezug auf eine Phrase, mit der in Frankreich üblicherweise Gerichtsurteile verkündet werden14). Nigel Farage sagt in (2) dem Establishment den Kampf an, in dem er verkündet, dass seine Partei eine „Volks-Armee“ gegründet hat. Damit maßt er sich an, das ganze Volk hinter sich zu mobilisieren. (Der martialische Ton dieser und anderer populistischer Aussagen wird weiter unten noch näher beleuchtet.) In (3) schließlich wird explizit die eigene Gruppierung als das Volk bezeichnet – mit Hilfe eines Slogans, der ursprünglich bei den Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) skandiert wurde.15 Das Beispiel in (3) zeigt, dass hypertropher Sprachgebrauch nicht nur in der Sprache der Populisten zu finden ist: schon 1989 war Wir sind das Volk! eine Aussage, die zwar viele, aber mit Sicherheit nicht alle DDR Bürgerinnen und Bürger teilten. Das soll keinesfalls heißen, dass der Gebrauch von Wir sind das Volk! 1989 und in (3) politisch, historisch oder auch ethisch gleich zu bewerten sind. Im Jahr 1989 war dies der Ruf einer friedlichen Revolution nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“16 – ob diese Werte von den Demonstrierenden der Alternative für Deutschland (AfD) 2015 geteilt wurden, bleibt zumindest fraglich. Dennoch, wenn man sich auf die reine Analyse der sprachlichen Mittel beschränkt, gilt festzuhalten, dass hypertropher Sprachgebrauch nicht nur bei Populisten zu finden ist: „auch Politiker der politischen Mitte (die weder als 11 Ebd., S. 44. 12 Farage, Nigel: UKIP heading a ‘people’s army’, auf: CNBC, 26. Mai 2014, URL: https:// cnb.cx/2M6DVic (18. Dezember 2019). 13 Jansen, Frank: Verfassungsschutz soll Pegida und AfD ins Visier nehmen, in: Der Tagesspiegel, 7. Januar 2016, URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/12795692.html (18. Dezember 2019); Felder, 2017, S. 44. 14 Felder, 2017, S. 45. 15 [Anon.]: „Wir sind das Volk“, in: Die Bundesregierung, URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/wir-sind-das-volk-469010 (18. Dezember 2019). 16 Ebd. 57 58 Die Sprache der Populisten populistisch noch elitär gelten) wie zum Beispiel die Bundeskanzlerin Angela Merkel [bezeichnen] ihre Politik [des Öfteren] als ‚alternativlos‘.“17 Ebenso hypertroph einzuschätzen war zum Beispiel Merkels Aussage Wir schaffen das!18 im Hinblick auf die Flüchtlingskrise 2015 (oder Barack Obamas WahlkampfSlogan 2008 Yes, we can19). Zu beachten ist darüber hinaus, dass Parteien in demokratischen Systemen natürlich nie die Interessen aller, sondern zuerst einmal nur die einer Teilgruppe der Bevölkerung vertreten. Werden Politikerinnen und Politiker allerdings in den Deutschen Bundestag gewählt, so sind sie laut Grundgesetz „Vertreter des ganzen Volkes“ (GG 38 Art. 1). Somit könnte man argumentieren, dass gewählte Volksvertreter mit gutem Recht für das ganze Volk sprechen dürfen. Aber auch wenn hypertropher Sprachgebrauch somit kein Alleinstellungsmerkmal populistischer Sprache ist, zeigen einige neuere sprachwissenschaftliche Studien, dass Populisten derartige Vokabeln deutlich häufiger verwenden als andere politische Akteure: in den Pressemitteilungen des AfD Landesverbandes Rheinland-Pfalz 2016 lässt sich der Begriff gesunder Menschenverstand dreimal so häufig finden wie in den Pressemitteilungen der CDU (die den Begriff am zweithäufigsten verwendet).20 Darüber hinaus ergab eine Untersuchung der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2017, dass zum Beispiel die Vokabeln Volk, Bevölkerung, oder Volkssouveränität signifikant häufiger im Programm der AfD auftauchen als in denen der anderen Parteien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/ Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. (CSU), Freie Demokratische Partei (FDP), DIE LINKE, und der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD).21 In einer Studie zum britischen Politikdiskurs, konnte Stefanowitsch darüber hinaus zeigen, dass Theresa May als Britische Regierungschefin in ihren Reden deutlich mehr populistische Merkmale verwendete als andere Premierminister und führende Oppositionspolitiker vor ihr22: so tauchen bei May hypertrophe Wendungen wie our people, the British people oder the will of the people signifi17 Felder, 2017, S. 48. 18 Kaiser, Alfons: Angela die Baumeisterin „Yo, wir schaffen das!“, in: FAZ online, 12. Oktober 2015, URL: https://www.faz.net/-gum-88wtv (18. Dezember 2019). 19 Obama, Barack: New Hampshire Primary Speech, in: nytimes.com, 8. Januar 2008, URL: https://nyti.ms/2k5LlSz (18. Dezember 2019). 20 Scharloth, 2017. 21 Kranert, 2019. 22 Stefanowitsch, 2019. Thomas Hoffmann kant häufiger auf.23 Da aber zugleich bei May andere populistische sprachliche Merkmale (wie etwa die Elitenkritik; siehe unten) fehlen, sieht sie Stefanowitsch nur als „widerwillige Populistin“: „One is left with the impression that May remained agnostic with respect to the Brexit process and that she became a reluctant populist in order to argue for something that she herself never believed in and that she did not see as having any substantial merits.“24 Aktuelle sprachwissenschaftliche Studien, wie etwa die eben genannten von Kranert, Scharloth oder Stefanowitsch, verwenden Methoden der modernen Korpuslinguistik25, um die Sprache von Populisten zu analysieren. Dabei werden geschriebene und/oder gesprochene Texte (zum Beispiel Reden, Parteiprogramme, Twitternachrichten, et cetera) von Individuen oder Parteien als ein elektronischer Korpus gespeichert und quantitativ bezüglich diverser linguistischer Merkmale mit einem Referenzkorpus (von ähnlichen Texten) verglichen. Diese Methode stellt somit einen Zugang zu sprachlichen Daten dar, der es erlaubt, empirisch und objektiv zu prüfen, ob sich die Sprache der Populisten tatsächlich signifikant vom Sprachgebrauch anderer Politikerinnen und Politiker unterscheidet. Eine relativ häufig verwendete korpuslinguistische Analyse ist dabei die sogenannte Schlüsselwortanalyse (englisch keyword analysis).26 Mit Hilfe dieser statistischen Methode lassen sich diejenigen Wörter identifizieren, die eine untersuchte Gruppe signifikant häufiger verwendet als eine vergleichbare Referenzgruppe. Auf diese Weise kann man zum Beispiel relativ einfach das AfDWahlprogramm der Bundestagswahl 2017 mit den Programmen der Parteien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU, FDP, DIE LINKE, und der SPD vergleichen. Nachdem die Programme als pdf-Dateien heruntergeladen und in einfache Textdatein (.txt) verwandelt wurden, kann man mit einem Open Access-Softwareprogramm wie etwa Antconc27 statistisch prüfen, welche Wörter im AfD-Wahlprogramm signifikant häufiger auftauchen als in denen der anderen Programme. Eine derartige Analyse ergibt, dass die folgenden zehn Wörter am stärksten mit dem AfD-Programm (im Gegensatz zu den anderen Partei- 23 Ebd., S. 247–253. 24 Ebd., 2019, S. 247–262. 25 Biber/Reppen, 2015; Bubenhofer, 2017, 2018. 26 Scott, 1997; Stefanowitsch, 2019, S. 240–241. 27 Anthony, 2014. 59 60 Die Sprache der Populisten programmen) assoziiert sind (Keyness ist dabei ein statistischer Signifikanzwert; alle Wörter in Tabelle 1 sind hochsignifikant p < 0,000128): Rang Frequenz Keyness (loglikelihood) Keyword 1 113 558,778 afd 2 19 77,926 zuwanderung 3 29 75,781 fordert 4 680 71,380 der 5 46 63,326 deutschen 6 14 60,876 gender 7 11 57,060 bevoelkerungsentwicklung 8 127 48,456 durch 9 9 46,686 volk 10 10 45,326 willkommenskultur Tab. 1: Top 10 Keywords des Bundestagswahlprogramms 2017 der AfD (verglichen mit den Programmen der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU, FDP, DIE LINKE, SPD) Korpuslinguistisch werden Texte normalerweise „bereinigt“, so werden in vielen Studien zum Beispiel Funktionswörter ignoriert (da diese wenig eigene Semantik besitzen und damit als kaum aussagekräftig für Texte gelten) oder Wörter ausgeschlossen, von denen auszugehen ist, dass sie nahezu ausschließlich in einem Korpus vorkommen (wie zum Beispiel Parteinamen). Für die einfache Analyse in Tabelle 1 wurde nur die Groß- und Kleinschreibung ignoriert (deshalb sind alle Begriffe kleingeschrieben), damit die unterschiedliche Schreibung von Adjektiven oder Verben (groß am Satzanfang und klein im Satzinneren) keine Rolle spielt. Dabei zeigt sich natürlich, dass der eigene Parteiname (AfD) im AfD-Programm deutlich häufiger vorkommt als in den anderen 28 Der Log-Liklihood-Wert erreicht eine Signifikanz von p < 0,05 ab Werten von >3,81. Alle Werte in Tabelle 1 sind deutlich höher als 15,13, was einem Signifikanzwert von p < 0,0001 entspricht; vergleiche Rayson, Paul: Log-likelihood and effect size calculator, 2016, URL: http://ucrel.lancs.ac.uk/llwizard.html (18. Dezember 2019). Thomas Hoffmann Programmen. Darüber hinaus sind mit Volk und Bevölkerungsentwicklung zwei hypertrophe Begriffe unter den zehn Wörtern, die die AfD signifikant häufiger verwendet als die anderen Parteien in ihren Programmen: (4) Das Volk muss wieder zum Souverän werden (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 10) (5) Derzeit wird der Bundespräsident in der Bundesversammlung vorgeschlagen und gewählt. Die Auswahl des Kandidaten findet hinter verschlossenen Türen durch Absprachen der Parteien statt. Diese Kungelei beschädigt die Würde des Amtes und schmälert die Akzeptanz des Staatsoberhaupts durch das Volk. Wir wollen den Bundespräsidenten deshalb direkt durch das Volk wählen lassen. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 12) Der Wille „des Volkes“ wird in (4) implizit, und in (5) explizit als im Konflikt stehend mit den anderen Parteien dargestellt: die anderen Parteien, die bisherige Elite, betreiben Kungelei und wählen ihre Bundespräsidentenkandidaten hinter verschlossenen Türen durch Absprachen. Davon grenzt sich die AfD ab, und stellt sich auf die Seite „des Volkes“, das sie verspricht, wieder (es wird also impliziert, dass dies aktuell nicht mehr der Fall ist) zum Souverän zu machen. (Inwieweit die AfD Absprachen in Hinterzimmern tatsächlich ablehnt, bleibt nach der umstrittenen Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen im Februar 2020 allerdings doch mehr als fraglich.29) 2.2 „Eliten“-Kritik30 Das Beispiel in (5) zeigt dabei auch, wie die eigene Identitätszuschreibung (als Vertreter des „wahren Volkswillens“) mit einem Anti-Elitismus kombiniert wird. Als Gegner des Volkes werden die Eliten identifiziert, die den Volkswillen absichtlich „ignorieren“. Diese Eliten werden als eine homogene Gruppe konstruiert, die entweder aufgrund ihres Reichtums, ihrer Bildung und/oder ihrer Ethnizität nicht mehr zum „einfachen Volk“ gehören und stattdessen ihre 29 Meisner, Matthias: „Die AfD in Thüringen schickt Schockwellen durch Deutschland“, in: Der Tagesspiegel, 5. Februar 2020, URL: https://www.tagesspiegel.de/ politik/wahl-von-ministerpraesident-kemmerich-die-afd-in-thueringen-schicktschockwellen-durch-deutschland/25510902.html (28. Februar 2020). 30 Mudde/Kaltwasser, 2013, S. 502–503; Kranert, 2019; Stefanowitsch, 2019, S. 237. 61 62 Die Sprache der Populisten eignen Interessen verfolgen und das eigene Volk verraten31 (zum Beispiel Die alten Parteien haben ihr eigenes Volk verraten!, Twitter-Nachricht von Uwe Junge (AfD), 8. November 201932). Als Teil der Elite werden dabei die etablierten Parteien (vergleiche Altparteien33) und auch die öffentlich-rechtlichen Medien gesehen (vergleiche Lügenpresse34). Statt sich um das eigene Volk zu kümmern, werden diese Eliten beschuldigt, eine Politik der Zuwanderung (vergleiche Tabelle 1) von Fremden voranzutreiben, die keinerlei Bezug zur Kultur des Volkes haben, weshalb angeblich eine kulturelle Überfremdung35 droht. (6) Die Grenzen müssen umgehend geschlossen werden […]. Wir brauchen über mehrere Jahre diesbezüglich eine Minuszuwanderung. Vorrang vor Zuwanderung haben familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen, insbesondere eine „aktivierende Familienpolitik“, aber auch die Reduzierung der Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Deutschland. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 38) Wie in (6) vorgeschlagen, soll die Zuwanderung von Fremden nach Deutschland gestoppt werden, und stattdessen eine Willkommenskultur für Kinder des eigenen Volkes eingeführt werden (vergleiche den Slogan Willkommenskultur für Kinder: Familienförderung und Bevölkerungsentwicklung, der mehrmals als Überschrift im Parteiprogramm der AfD vorkommt; Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 48 ff.). Darüber hinaus wird von den Fremden, die dennoch nach Deutschland kommen, die Anpassung an die Kultur des deutschen Volkes als Bringschuld gefordert: (7) Jeder Migrant oder Einwanderer, dem wir ein dauerhaftes Bleiberecht zugestehen, hat eine Bringschuld, sich seiner neuen Heimat und der deutschen 31 Albertazzi/McDonnell, 2008, S. 3; Mudde, 2004; Stefanowitsch 2019, S. 236– 237. 32 Junge, Uwe: Tweet, in: twitter.com, 9. November 2019, URL: https://twitter.com/ Uwe_Junge_MdL/status/1193072121355870208 (18. Dezember 2019). 33 [Anon.]: Jörg Meuthen in Hamburg. AfD-Forderungen werden von Altparteien aufgenommen, in: Afdkompakt.de, 2016, URL: https://afdkompakt.de/2016/12/09/joergmeuthen (18. Dezember 2019). 34 Scholz, Kay-Alexander: AfD: Von „Lügenpresse“ bis „Newsroom“, in: dw.com, 2018, URL: https://www.dw.com/de/a-43696773 (18. Dezember 2019). 35 Wilhelm, Günther: Dirk Driesang (AfD): Warnung vor „kultureller Überfremdung“, in: nordbayern.de, 31. August 2017, URL: https://www.nordbayern.de/1.6564293 (18. Dezember 2019). Thomas Hoffmann Leitkultur anzupassen, nicht umgekehrt. (Programm für Deutschland, AfDProgramm für die Bundestagswahl 2017, S. 42) Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Anti-Elitismus auf Xenophobie zu reduzieren. Die Elite wird nicht nur kritisiert, weil sie eine Ideologie des „Multikulturalismus“ (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 63) vorantreibt. Es wird auch kritisiert, dass die Elite Elfenbein36-Politik betreibt, die vollkommen an den Wünschen und Idealen „des Volkes“ vorbeigeht. Als Beispiel wird dafür immer wieder das Konzept „Gender“ (vergleich Tabelle 1) herangezogen, welches im Gegensatz zum biologischen Geschlecht die sozial konstruierte Geschlechteridentität bezeichnet. Dieses Konzept wird mit Vehemenz abgelehnt: (8) Für ein klares Familienbild – Gender-Ideologie ist verfassungsfeindlich (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 42) (9) Bund und Länder dürfen keine Mittel für die „Gender-Forschung“ mehr bereitstellen und keine „Gender-Professuren“ mehr besetzen. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 42) 2.3 Sprachliche Distanzierungsstrategie37 In (9) findet sich auch eine klassische sprachliche Distanzierungsstrategie: Anführungszeichen können zum einen dafür genutzt werden, um die direkte Rede anderer wiederzugeben oder um neue Begriffe einzuführen, die nicht allen Leserinnen und Lesern bekannt sind, und deshalb noch definiert werden müssen. Sie werden aber auch genutzt, um sich von bereits eingeführten und bekannten Begriffen zu distanzieren (andere mögen einen Begriff als selbstverständlich sehen; durch die Anführungszeichen distanziert man sich metasprachlich von dem Begriff und den Inhalten, für die er steht). In (9) finden sich mit „Gender-Forschung“ und „Gender-Professuren“ gleich zwei Beispiele für diese Verwendung. Eine weitere metasprachliche Distanzmarkierung ist das Wort sogenannte(r/n), mit dem sich ein Sprecher oder eine Sprecherin ebenfalls 36 Vgl. Peschel, Frank: SPD-Minister Dulig regiert selbstherrlich im Elfenbeinturm, in: afd-fraktion-sachsen.de, 2019, URL: https://afd-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/spd-minister-dulig-regiert-selbstherrlich-im-elfenbeinturm.html (18. Dezember 2019) oder AFD Kreisverband Ansbach-Weissenburg: Politik aus dem Elfenbeinturm, in: facebook.com, 12. August 2019, URL: https://www.facebook. com/487540035373906 (18. Dezember 2019). 37 Ebling u. a., 2013; Scharloth, 2017. 63 64 Die Sprache der Populisten von einem Konzept distanziert. Für die Pressemitteilungen der Landesverbände der Parteien in Rheinland-Pfalz 2016 konnte Scharloth zeigen, dass derartige metasprachliche Distanzmarkierungen vor allem von der NPD und der AfD verwendet wurden (mit deutlichem Vorsprung vor allen anderen Parteien).38 Im 2017 Bundestagswahlprogramm der AfD lassen sich sechs Beispiele für metasprachliche Markierungen finden, in denen sogennante(r/n) einem Begriff vorangeht, der zusätzlich noch mit Anführungszeichen versehen ist: (10) Die Alternative für Deutschland tritt für die Gleichheit vor dem Gesetz ein. Deshalb lehnen wir sogenannte „Quotenregelungen“ ab. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 15) (11) Die sogenannte „neue Lernkultur“, die den klassengeführten Unterricht durch selbstgesteuertes, kompetenzorientiertes Lernen ersetzt, hat zu massivem Leistungsabbau bei den Schülern geführt. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 57) Im Programm der Partei DIE LINKE taucht das Wort sogennante(r/n) mit 22 Belegen am Häufigsten in allen untersuchten Wahlprogrammen auf, aber in nur einem Fall handelt es sich dabei um eine metasprachliche Markierung, bei der das folgende Nomen auch in Anführungszeichen gesetzt wurde: (12) Wir lehnen es ab, die Arbeitgeber im Rahmen kapitalgedeckter betrieblicher Altersvorsorge und sogenannter „Zielrenten“ aus der Haftung zu entlassen. (Sozial. Gerecht. Frieden. Für Alle, Die Linke-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 23) Die inhaltliche Distanz zu Ideen und Konzepten „der Eliten“ führt also dazu, dass derartige metasprachliche Distanzstrategien tatsächlich häufiger in populistischen Texten zu erwarten sind. 2.4 Skandalisierende und polarisierende Vokabeln Das Beispiel (2) von Nigel Farage (We’ve formed our people’s army to fight the establishment) weist noch ein weiteres sprachliches Merkmal auf, das den Populismus als einen skandalisierenden und polarisierenden Politikstil charakterisiert: die „Inszenierung von Konflikten, negativem Framing und Emotionalisierung“39. Farage verwendet eine aggressive Rhetorik, die den politischen Konflikt mit Hilfe von militärischen Vokabeln (form an army, to fight) dramatisiert und emotionalisiert. Ähnlich martialisch war Alexander Gaulands 38 Scharloth, 2017. 39 Ebd. Thomas Hoffmann Aussage nach der Bundestagswahl 2017, als er verkündete „Wir werden Frau Merkel jagen“40. Dies wurde auf linksradikaler Seite mit der Aussage „Wir, die außerparlamentarische Linke, werden die AfD jagen“41 beantwortet. Aus kognitionslinguistischer Sicht sind derartige Äußerungen durchaus kritisch zu sehen: jede sprachliche Kodierung lässt Rückschlüsse auf die kognitive Interpretation der Sprecherin beziehungsweise des Sprechers zu.42 Die Einstellung einer Sprecherin oder eines Sprechers zeigt sich dabei nicht nur darin, ob die große Zahl von Menschen die 2015 nach Europa strömten als Asylbewerber, Flüchtlinge oder Migrantenpack bezeichnet werden. Jedes Wort in unserem Gehirn ist mit enzyklopädischen Wissensstrukturen verbunden, die in der Fachliteratur als „Frames“ bezeichnet werden.43 Die Wörter kaufen, verkaufen und kosten sind beispielsweise mit dem Frame „Handel_kaufen (FN: Commerce_ buy)“ verbunden: „Dieser Frame betrifft Wörter, die ein grundlegendes Handelsgeschäft beschreiben, an dem ein Käufer und ein Verkäufer beteiligt sind, die Geld und Waren austauschen. Der Handel wird aus der Sicht des Käufers betrachtet. Die Wörter variieren individuell bei den Mustern der Realisierung von Frame-Elementen, die sie zulassen. Zum Beispiel ist das typische Muster für das Verb KAUFEN: Käufer kauft Waren vom Verkäufer gegen Geld.“44 Jedes Wort fokussiert nun einzelne Elemente eines Frames: kaufen stellt den Käufer und die Waren in den Vordergrund, die dann notwendigerweise realisiert werden müssen (Er_KÄUFER kaufte ein rotes Auto_WARE.). Im Gegensatz dazu betont kosten die Ware und das Geld (Das Auto_WARE kostete 20.000€_GELD.). Aber auch wenn Wörter nur einzelne Elemente explizit hervorheben, gilt zu beachten, dass bei ihrer Verwendung immer der ganze Frame mitaktiviert und mitgedacht wird. (Deshalb kann zum Beispiel jemand, der den Satz Er kaufte ein rotes Auto gehört hat, direkt nachfragen von wem, also von welchem Verkäufer, das 40 Sydow, Christoph: Gauland über AfD-Erfolg. „Wir werden Frau Merkel jagen“, in: Spiegel online, 24. September 2017, URL: https://www.spiegel.de/politik/ deutschland/a-1169598.html (18. Dezember 2019). 41 Eder, Sebastian: Radikale Linke nach der Wahl. „Wir werden die AfD jagen“, in: FAZ online, 27. September 2017, URL: https://www.faz.net/-hpp-928ed (18. Dezember 2019). 42 Lakoff, 2016; Lakoff/Wehling, 2018. 43 Fillmore, 2006; Fillmore/Baker, 2010. 44 „Frame: Handel_kaufen“ (noch nicht veröffentlicht). URL: https://gsw.phil.hhu.de/ framenet/frame?id=171 (18. Dezember 2019). 65 66 Die Sprache der Populisten Auto denn erworben wurde.) Spricht man nun davon, dass „man jemand jagen wird“, dann aktiviert das natürlich einen Jagd-Frame – aber wie sieht dieser genau aus? Das Englische FrameNet gibt dazu folgende Definition (im Deutschen FrameNet ist der Begriff bisher noch nicht angelegt): „The act of seeking out animal food by way of tracking and chasing with a hoped final result of a successful kill.“45 Auch wenn man es also nicht explizit erwähnt, schwingt beim Wort jagen aufgrund des aktivierten Frames immer die Absicht mit, das gejagte Tier zum Schluss zu töten. Damit wird klar, warum eine solche Äußerung als höchst problematisch zu sehen ist, und warum damit die politische Diskussion vergiftet wird.46 Skandalisierende Ausdrücke, verbale Tabubrüche und stark emotionalisierende, negative Begriffe gelten als Anzeichen populistischer Sprache.47 Wie Scharloth zeigen konnte, lassen sich, verglichen mit den Meldungen anderer Parteien, derartige negative sprachliche Merkmale deutlich häufiger in den Pressemitteilungen des AfD-Landesverbandes Rheinland-Pfalz finden: sowohl Kommunikationsverben, die auf Konflikte verweisen (zum Beispiel kritisieren oder diffamieren), skandalisierte Vokabeln (zum Beispiel Bloßstellung, Unrecht oder Skandal) als auch negativ wertende Adjektive treten deutlich häufiger in den AfD-Pressemeldungen auf als im Vergleichskorpus der anderen Parteien.48 Die populistische Tendenz zu Wörtern, die vor allem negative Emotionen hervorrufen, wurde auch in anderen Studien bestätigt: bei einem Vergleich der Wahlkampfreden des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2016 zeigte sich, dass Donald Trump deutlich mehr negativ besetzte Wörter verwendete als seine Konkurrentin Hillary Clinton.49 Methodologisch wurden die Wahlkampfreden dabei mit Hilfe einer automatischen Sentimentanalyse untersucht, die Wörter nach den mit Ihnen assoziierten Emotionen klassifiziert.50 Dabei zeigte sich, 45 „Frame: Hunting“ auf URL: https://framenet2.icsi.berkeley.edu/fnReports/data/lu/ lu14766.xml?mode=lexentry (18. Dezember 2019). 46 Willner, Anja: Er will Merkel „jagen“: Gauland-Aussage lässt Schlimmes für Bundestag befürchten, in: focus online, 24. September 2017, URL: https://www.focus. de/7632697 (18. Dezember 2019); SYDOW, Christoph: Gauland über AfD-Erfolg. „Wir werden Frau Merkel jagen“, in: Spiegel online, 24. September 2017, URL: https:// www.spiegel.de/politik/deutschland/a-1169598.html (18. Dezember 2019). 47 Ebling u. a., 2013. 48 Scharloth, 2017. 49 Hoffmann, 2018 50 Mohammad/Turney 2010, 2013. Thomas Hoffmann dass Trump signifikant häufiger Wörter verwendete die mit Angst, Ekel, Trauer und Wut assoziiert sind. 2.5 Mobilisierung und Inszenierung durch Schlachtrufe Zuletzt zeichnen sich populistische Bewegungen natürlich auch dadurch aus, dass sie erfolgreich größere Menschenmengen mobilisieren und auf ihre Seite ziehen. Dabei spielen auch knappe Slogans und Schlachtrufe eine zentrale Rolle. Ähnlich wie Fußballgesänge helfen, Fangruppenidentitäten bei Fußballspielen herzustellen und zu festigen,51 tragen auch kurze Slogans wie Wir sind das Volk! in (3) oder (13) dazu bei Menschenmengen bei populistischen Aktionen zusammenzuschweißen: (13) Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!52 (Demonstration in Chemnitz) Beim gemeinsamen Skandieren der Slogans offenbart das Individuum nicht nur eine Selbstaussage53 (Wer bin ich? Was gebe ich über mich Preis?). Darüber hinaus wird gemeinsam eine Gruppenidentität (wir, das Volk, et cetera) ausgedrückt und zugleich durch das Skandieren nicht nur hergestellt, sondern auch immer wieder aktualisiert. Wie dies funktioniert, lässt sich anhand des Beispiels in (14) illustrieren: (14) The new platform of the Democrat Party is radical socialism and open borders [CROWD JEERING] and I won’t allow the United States of America to become the next Venezuela that’s what they want to do [CHANTING: Build that wall!] (Donald J. Trump, Wahlkampveranstaltung in Las Vegas 2018, 26:30–27:20)54 Die Ankündigung eine Grenzmauer zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Mexiko zu errichten, war eines der zentralen Wahlversprechen von Donald Trump bei seinem Wahlkampf 2016.55 Wie das Beispiel 51 Hoffmann, 2015. 52 Mrmarxismo: #Chemnitz – „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ – AfD, Lutz Bachmann & Co., auf: YouTube, 2018, URL: https://www.youtube.com/ watch?v=PoW5HFhvXpA (18. Dezember 2019). 53 Schulz von Thun, 1981. 54 Trump, Donald J.: President Trump Rally in Las Vegas, auf: c-span.org, 20. September 2018, URL: https://www.c-span.org/video/?451687-1 (18. Dezember 2019). 55 „Build the Wall“ auf Wikipedia, URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Trump_ wall#Build_the_Wall (18. Dezember 2019). 67 68 Die Sprache der Populisten in (14) zeigt, musste Trump bei seinen späteren Auftritten diesen Slogan nicht einmal mehr selbst erwähnen. Alleine die Behauptung, dass die Demokraten offene Grenzen wollen, bewegt die anwesenden Anhänger seinen Schlachtruf Build that wall! zu initiieren, und so ihre gemeinsame Gruppenidentität auszudrücken. Beispiele wie (14), in denen populistische Schlachtrufe spontan von Zuhörerinnen und Zuhörern initiiert werden, können als Beleg gelten, dass Populisten (zumindest bei ihrem Zielpublikum) auch tatsächlich populär sind. Wiederum ist es aber so, dass das Skandieren derartiger Schlachtrufe kein exklusives Merkmal populistischer Redner und Rednerinnen ist. Im Jahr 2008 wurde der Slogan Yes, we can! zum Schlachtruf der Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Zum ersten Mal verwendete Obama diesen bei einer Wahlkampfrede in Nashua, New Hampshire, 2008:56 (15) for when we have faced down impossible odds when we’ve been told we’re not ready or that we shouldn’t try or that we can’t generations of Americans have responded with a simple creed that sums up the spirit of a people yes we can yes we can yes we can [CHANTING: Yes, we can!] (Barack Obama, Wahlkampfrede in Nashua, New Hampshire 2008)57 Wie im verlinkten Video zu (15) zu hören,58 stimmt die Menge kurz nach dem dritten Yes, we can ein, und skandiert den Slogan. Auch zu späteren Zeitpunkten, wenn Obama den Slogan aufgreift (etwa bei Minute 11:35: Yes we can to justice and equality59), beginnt das Publikum wieder den Slogan als Schlachtruf zu skandieren. Wenn größere Ansammlungen von Menschen also Schlachtrufe skandieren und so ihre Gruppenidentität und Zustimmung signalisieren, kann daraus nur geschlossen werden, dass eine Rednerin beziehungsweise ein Redner populär scheint und er/sie erfolgreich seine/ihre Anhängerschaft mobilisieren kann. Dies ist allerdings ein rein formaler Blick auf die Ausdruckseite dieser sprachlichen Handlungen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gilt es aber natürlich 56 „Yes We Can“ auf Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Yes_We_Can (18. Dezember 2019). 57 Obama, Barack: Yes We Can, auf: YouTube, 2008, URL: https://youtu.be/ Fe751kMBwms?t=608, Minuten 10:08–10:40 (18. Dezember 2019). 58 Ebd., URL: https://youtu.be/Fe751kMBwms?t=628, Minuten 10:28–10:40 (18. Dezember 2019). 59 Ebd., URL: https://youtu.be/Fe751kMBwms?t=694, Minuten 11:35–11:47 (18. Dezember 2019). Thomas Hoffmann auch die Inhaltsseite der Schlachtrufe zu berücksichtigen. Und hier zeigt sich erneut, dass Populisten zu negativen (Lock her up!60) und ausgrenzenden (Build that wall! oder Deutschland den Deutschen!) Rufen tendieren – während Obamas Slogan eine positivere Ausrichtung hat (Yes, we can!). 3. Zusammenfassung und Ausblick Wie der vorliegende Beitrag zu zeigen versuchte, gibt es nicht „die Sprache der Populisten“. Zahlreiche sprachliche Merkmale, die mit populistischen Rednerinnen und Rednern assoziiert werden, lassen sich auch bei Politikerinnen und Politikern finden, die normalerweise nicht zu den Populisten gezählt werden. Es lassen sich also keine Merkmale finden, die eine kategorische Einordnung in populistische und nicht-populistische Sprache erlauben. Zugleich zeigt sich, dass die oben diskutierten Merkmale (hypertropher Sprachgebrauch, „Eliten“Kritik, sprachliche Distanzierungsstrategien, skandalisierende und polarisierende Vokabeln, sowie die Mobilisierung und Inszenierung durch Schlachtrufe) quantitativ häufiger bei populistischen Politikerinnen und Politikern aufzutreten scheinen. Außerdem scheinen populistische Aussagen in der Tendenz deutlich negativer und ausgrenzender zu sein, als dies bei anderen Oppositionsparteien der Fall ist. Zuletzt noch ein kleiner, persönlicher Ausblick: immer wenn „die Sprache der Populisten“ das Thema eines Vortrags ist, kommt vom Publikum danach die Frage, wie man denn jetzt mit den Populisten und ihren Anhängerinnen und Anhängern reden soll. Soll man emotional dagegenhalten und auch auf eine negative Rhetorik zurückgreifen? Auch wenn man stets wehrhaft die Demokratie verteidigen sollte, ist davon meines Erachtens vor allem beim Gespräch mit Anhängerinnen und Anhängern von Populisten abzuraten. Damit verhärten sich nur die Fronten, was Politikerinnen und Politikern zur Schließung der eigenen Reihen dienen mag – ein echter, aufrichtiger Austausch von Meinungen wird dadurch nur verhindert. (Als Beispiel sei hier Hillary Clinton angeführt, die Anhängerinnen und Anhänger Donald Trumps als ein „basket of deplorables“ 60 CNN: Audience to Trump: Lock her up, auf: YouTube, 2017, URL: https://youtu.be/etUhjXgMbA?t=36, Minuten 0:36–0:46 (18. Dezember 2019); ein Schlachtruf, mit dem Trump gefordert hatte, dass seine Konkurrentin Hillary Clinton wegen der Nutzung privater Server beim Versenden offizieller Emails verhaftet werden sollte; vergleiche. [Anon.]: Hillary Clinton email controversy, in: Wikipedia, 11. Dezember 2019 (last edited), URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Hillary_Clinton_email_controversy (18. Dezember 2019). 69 70 Die Sprache der Populisten („ein Korb von Bedauerlichen“) bezeichnete – eine Aussage, die einzig und allein zu einem Verhärten der Fronten führte61). Soll man stattdessen kühl und logisch argumentieren und die Aussagen der Populisten so entzaubern? Dieser Ansatz wiederum überschätzt, meiner Einschätzung nach, die Rationalität des Menschen – denn wie Kahneman in seinem Bestseller Thinking, Fast and Slow betont: „To a psychologist, it is self-evident that people are neither fully rational nor completely selfish, and that their tastes are anything but stable.“62 Die Gebiete unseres Gehirns, die instinktiv und emotional reagieren, funktionieren schnell und automatisch.63 Unser bewusstes und logisches Denken dagegen werden nur langsam aktiviert und brauchen mehr Zeit.64 Was bedeutet das für das Gespräch mit Anhängerinnen und Anhängern von Populisten? Nun, wie wir oben gesehen haben, ist die Sprache der Populisten oft stark emotionalisiert und negativ. Ihr Erfolg scheint also darauf zu beruhen, bestehende Ängste und Sorgen von Menschen anzusprechen, die sich dann verstanden fühlen und den Populisten folgen. Sobald man aber emotionalisiert ist – und das schließt Sie und mich ein – ist man nicht mehr (so) empfänglich für logische und sachliche Argumente. Welchen Weg soll man dann wählen? Den einzigen, der zu einem echten und langfristig erfolgreichen Gespräch führt: man muss seinem Gegenüber mit Wertschätzung und Respekt begegnen, man muss zuhören und den jeweils Anderen erst einmal seine Sorgen und Nöte verbalisieren lassen. Das klingt Ihnen zu esoterisch? Nun, es mag Sie überraschen, aber das ist auch die Methode, die das Federal Bureau of Investigation (FBI) bei Geiselnahmen und Verhandlungen mit Terroristen einsetzt.65 Das FBI hegt dabei natürlich keinerlei Sympathie für Geiselnehmer oder Terroristen, aber aufgrund jahrelanger Erfahrung hat sich gezeigt, dass „taktische Empathie“ der Schlüssel ist um Krisensituationen zu entschärfen.66 Bevor Ihnen irgendjemand zuhört – egal ob Sie diese Person mögen oder nicht, müssen Sie ihm oder ihr signalisieren, dass Sie zuhören kön61 „Basket of deplorables“ auf Wikipedia, URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Basket_of_ deplorables (18. Dezember 2019). 62 Kahneman, 2011, S. 269. 63 Ebd. 64 Ebd. 65 Voss/Raz, 2016. 66 Ebd., S. 49–73. Thomas Hoffmann nen und Ihr Gegenüber wertschätzen. Nur so haben Sie eine Chance jemand zu überzeugen – egal ob Sie mit Terroristen oder Ihren Kindern verhandeln, ob Sie mit Fremden oder Freunden diskutieren, ob Sie sich mit jemand streiten, der Ihre Parteifreundin/Ihr Parteifreund oder eine Anhängerin/ein Anhänger von Vereinigungen sind, die Sie nicht gutheißen. Einfach ist dieser Weg vermutlich nicht immer – aber es ist letztlich der einzig Erfolgversprechende. 4. Literaturverzeichnis 4.1 Quellen Alternative für Deutschland (AfD), Berlin, URL: https://afd.de. Alternative für Deutschland (AfD), Berlin, URL: https://afdkompakt.de. Alternative für Deutschland, Fraktion im Sächsischen Landtag, Dresden, URL: https://afd-fraktion-sachsen.de/. Consumer News and Business Channel (CNBC), Washington, District of Columbia, URL: https://cnbc.com. Cable-Satellite Public Affairs Network (C-SPAN), Washington, District of Columbia, URL: https://www.c-span.org/. 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