Marina Fleck, Tobias Hirschmüller,
Thomas Hoffmann (Hg.)
POPULISMUS –
Kontroversen und Perspektiven
Ein wissenschaftliches Gesprächsangebot
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Thomas Hoffmann
Die Sprache der Populisten
1. Einleitung
Populistisches Sprechen schürt Angst, grenzt aus und homogenisiert
die Vielfalt der Interessen und Ideen. Es erweckt den Eindruck,
dass es eine Lösung gebe und damit auch „alles gesagt“ sei.
(Ekkehard Felder, Interview mit Zeit Online, 5. August 20181)
Die menschliche Sprachfähigkeit ist eine der zentralsten evolutionären Entwicklungen unserer Spezies. Mit Hilfe von Sprache können wir Gedanken und
Ideen kommunizieren, gemeinsame Aktivitäten koordinieren und Gefühle austauschen. Zugleich können wir aber mit Sprache auch lügen und verschleiern,
andere manipulieren und hinters Licht führen. Als ein Beispiel für eine derartige negativ geprägte Sprache wird, wie oben im Zitat von Ekkehard Felder, immer wieder populistische Sprache genannt. Populisten gelten als manipulative
Rattenfänger, die „Angst schüren“, sich selbst als homogene Gruppe inszenieren, andere Gruppen radikal ausgrenzen und die alleinige Deutungshoheit über
sämtliche Themen beanspruchen.
Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es nun, der Frage nachzugehen, inwieweit sich Populisten sprachlich tatsächlich von anderen Politikerinnen und
Politikern unterscheiden. Oder anders formuliert: gibt es eine Sprache der Populisten? Darüber hinaus diskutiere ich gegen Ende des Beitrags noch die Frage,
wie man denn jetzt mit Populisten reden kann, beziehungsweise soll.
2. Gibt es eine ‚Sprache der Populisten‘?
Vor allem im deutschen Sprachraum ist der Begriff „Populismus“ negativ konnotiert und wird zumeist als abwertende Fremdzuschreibung verwendet.2 Aus
1
Mast, Maria: „Populistisches Sprechen schürt Angst, grenzt aus und homogenisiert“,
in: Zeit Online, 5. August 2018, URL: https://www.zeit.de/politik/2018-07/rhetorikpopulismus-sprache-wissenschaft-erkennen (18. Februar 2020).
2
Müller, 2016; Selk, 2020.
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Die Sprache der Populisten
politikwissenschaftlicher Sicht kristallisieren sich dabei zwei zentrale Merkmale
des Populismus als „eine dünne Ideologie“ heraus3:
t ein symbolischer Anti-Elitismus, der sich gegen das „abgehobene Establishment“ wendet („Populistisch heißt: gegen das Establishment.“ Alexander Gauland, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 6. Oktober 20184),
t und zugleich eine „Idealisierung des reinen Volkswillens“5 beziehungsweise. des „gesunden Menschenverstandes“6.
Soziologisch betrachtet, handelt es sich dabei also um eine klassische Gruppenidentität, die auf einer konstruierten Opposition von „uns“/„das einfache
Volk“ gegen „die da oben“/„die Eliten“ basiert.7 Aufgrund dieser binären Identitätskonstruktion lässt sich erwarten, dass folgende sprachliche Merkmale in
populistischer Sprache häufiger zu finden sein sollten als in vergleichbaren
nicht-populistischen Texten:
2.1 Hypertropher Sprachgebrauch8
Wie Felder zeigt, führt die Annahme, „für das Volk“ (im Gegensatz zur „Elite“) zu sprechen, zu sprachlichen Anmaßungsstrategien. Dabei beanspruchen
Sprecher und Sprecherinnen für sich einen antipluralistischen Alleinvertretungsanspruch und behaupten Volkes Stimme zu sein oder für das ganze beziehungsweise wahre Volk zu sprechen.9 Man inszeniert sich als die Stimme des
Volkswillen und argumentiert mit dem gesunden Menschenverstand.10 Beispiele
solcher sprachlicher Anmaßungsstrategien finden sich in (1)–(3):
3
Albertazzi/McDonnell, 2008; Mudde, 2004; Priester, 2012; Selk, 2020. Siehe
auch die Beiträge von Veith Selk und Benjamin Krämer in diesem Band.
4
Gauland, Alexander: Warum muss es Populismus sein?, in: FAZ online, 6. Dezember
2018, URL: https://edition.faz.net/faz-edition/politik/2018-10-06/3bf95260dcc7e95bb
1086fc28bec3589/ (2. Dezember 2019).
5
Selk, 2020.
6
So bezeichnet sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm selbst als die „Partei des
gesunden Menschenverstandes“. AfD: Programm für Deutschland, 2016, S. 18, URL:
https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2018/01/Programm_AfD_
Druck_Online_190118.pdf (18. Dezember 2019).
7
Tajfel, 1981, 1982.
8
Felder, 2017.
9
Ebd., S. 46.
10
Ebd., S. 45.
Thomas Hoffmann
(1) au nom du peuple („im Namen des Volkes“; 2016 Wahlkampf-Slogan des
Front National11)
(2) We’ve formed our people’s army to fight the establishment … (Interview mit
Nigel Farage, Vorsitzender der UK Independence Party (Ukip) 201412)
(3) Wir lassen uns nicht länger belügen! Wir sind das Volk! (Transparent bei
AfD-Demonstration 2015 in Rostock13)
In (1) nimmt der Front National in Anspruch im Namen des Volkes zu sprechen
(unter Bezug auf eine Phrase, mit der in Frankreich üblicherweise Gerichtsurteile verkündet werden14). Nigel Farage sagt in (2) dem Establishment den
Kampf an, in dem er verkündet, dass seine Partei eine „Volks-Armee“ gegründet
hat. Damit maßt er sich an, das ganze Volk hinter sich zu mobilisieren. (Der
martialische Ton dieser und anderer populistischer Aussagen wird weiter unten
noch näher beleuchtet.) In (3) schließlich wird explizit die eigene Gruppierung
als das Volk bezeichnet – mit Hilfe eines Slogans, der ursprünglich bei den Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) skandiert wurde.15
Das Beispiel in (3) zeigt, dass hypertropher Sprachgebrauch nicht nur in der
Sprache der Populisten zu finden ist: schon 1989 war Wir sind das Volk! eine
Aussage, die zwar viele, aber mit Sicherheit nicht alle DDR Bürgerinnen und
Bürger teilten. Das soll keinesfalls heißen, dass der Gebrauch von Wir sind das
Volk! 1989 und in (3) politisch, historisch oder auch ethisch gleich zu bewerten
sind. Im Jahr 1989 war dies der Ruf einer friedlichen Revolution nach „Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit“16 – ob diese Werte von den Demonstrierenden der
Alternative für Deutschland (AfD) 2015 geteilt wurden, bleibt zumindest fraglich. Dennoch, wenn man sich auf die reine Analyse der sprachlichen Mittel
beschränkt, gilt festzuhalten, dass hypertropher Sprachgebrauch nicht nur bei
Populisten zu finden ist: „auch Politiker der politischen Mitte (die weder als
11
Ebd., S. 44.
12
Farage, Nigel: UKIP heading a ‘people’s army’, auf: CNBC, 26. Mai 2014, URL: https://
cnb.cx/2M6DVic (18. Dezember 2019).
13
Jansen, Frank: Verfassungsschutz soll Pegida und AfD ins Visier nehmen, in: Der
Tagesspiegel, 7. Januar 2016, URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/12795692.html
(18. Dezember 2019); Felder, 2017, S. 44.
14
Felder, 2017, S. 45.
15
[Anon.]: „Wir sind das Volk“, in: Die Bundesregierung, URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/wir-sind-das-volk-469010 (18. Dezember 2019).
16
Ebd.
57
58
Die Sprache der Populisten
populistisch noch elitär gelten) wie zum Beispiel die Bundeskanzlerin Angela
Merkel [bezeichnen] ihre Politik [des Öfteren] als ‚alternativlos‘.“17 Ebenso hypertroph einzuschätzen war zum Beispiel Merkels Aussage Wir schaffen das!18
im Hinblick auf die Flüchtlingskrise 2015 (oder Barack Obamas WahlkampfSlogan 2008 Yes, we can19). Zu beachten ist darüber hinaus, dass Parteien in
demokratischen Systemen natürlich nie die Interessen aller, sondern zuerst einmal nur die einer Teilgruppe der Bevölkerung vertreten. Werden Politikerinnen
und Politiker allerdings in den Deutschen Bundestag gewählt, so sind sie laut
Grundgesetz „Vertreter des ganzen Volkes“ (GG 38 Art. 1). Somit könnte man
argumentieren, dass gewählte Volksvertreter mit gutem Recht für das ganze
Volk sprechen dürfen.
Aber auch wenn hypertropher Sprachgebrauch somit kein Alleinstellungsmerkmal populistischer Sprache ist, zeigen einige neuere sprachwissenschaftliche Studien, dass Populisten derartige Vokabeln deutlich häufiger verwenden
als andere politische Akteure: in den Pressemitteilungen des AfD Landesverbandes Rheinland-Pfalz 2016 lässt sich der Begriff gesunder Menschenverstand
dreimal so häufig finden wie in den Pressemitteilungen der CDU (die den
Begriff am zweithäufigsten verwendet).20 Darüber hinaus ergab eine Untersuchung der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2017, dass zum Beispiel die
Vokabeln Volk, Bevölkerung, oder Volkssouveränität signifikant häufiger im
Programm der AfD auftauchen als in denen der anderen Parteien BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN, Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/
Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. (CSU), Freie Demokratische Partei
(FDP), DIE LINKE, und der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD).21
In einer Studie zum britischen Politikdiskurs, konnte Stefanowitsch darüber hinaus zeigen, dass Theresa May als Britische Regierungschefin in ihren Reden
deutlich mehr populistische Merkmale verwendete als andere Premierminister
und führende Oppositionspolitiker vor ihr22: so tauchen bei May hypertrophe
Wendungen wie our people, the British people oder the will of the people signifi17
Felder, 2017, S. 48.
18
Kaiser, Alfons: Angela die Baumeisterin „Yo, wir schaffen das!“, in: FAZ online, 12.
Oktober 2015, URL: https://www.faz.net/-gum-88wtv (18. Dezember 2019).
19
Obama, Barack: New Hampshire Primary Speech, in: nytimes.com, 8. Januar 2008,
URL: https://nyti.ms/2k5LlSz (18. Dezember 2019).
20
Scharloth, 2017.
21
Kranert, 2019.
22
Stefanowitsch, 2019.
Thomas Hoffmann
kant häufiger auf.23 Da aber zugleich bei May andere populistische sprachliche
Merkmale (wie etwa die Elitenkritik; siehe unten) fehlen, sieht sie Stefanowitsch
nur als „widerwillige Populistin“:
„One is left with the impression that May remained agnostic with respect to the Brexit
process and that she became a reluctant populist in order to argue for something that
she herself never believed in and that she did not see as having any substantial merits.“24
Aktuelle sprachwissenschaftliche Studien, wie etwa die eben genannten von
Kranert, Scharloth oder Stefanowitsch, verwenden Methoden der modernen
Korpuslinguistik25, um die Sprache von Populisten zu analysieren. Dabei werden geschriebene und/oder gesprochene Texte (zum Beispiel Reden, Parteiprogramme, Twitternachrichten, et cetera) von Individuen oder Parteien als ein
elektronischer Korpus gespeichert und quantitativ bezüglich diverser linguistischer Merkmale mit einem Referenzkorpus (von ähnlichen Texten) verglichen.
Diese Methode stellt somit einen Zugang zu sprachlichen Daten dar, der es erlaubt, empirisch und objektiv zu prüfen, ob sich die Sprache der Populisten tatsächlich signifikant vom Sprachgebrauch anderer Politikerinnen und Politiker
unterscheidet.
Eine relativ häufig verwendete korpuslinguistische Analyse ist dabei die sogenannte Schlüsselwortanalyse (englisch keyword analysis).26 Mit Hilfe dieser
statistischen Methode lassen sich diejenigen Wörter identifizieren, die eine
untersuchte Gruppe signifikant häufiger verwendet als eine vergleichbare Referenzgruppe. Auf diese Weise kann man zum Beispiel relativ einfach das AfDWahlprogramm der Bundestagswahl 2017 mit den Programmen der Parteien
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU, FDP, DIE LINKE, und der SPD vergleichen. Nachdem die Programme als pdf-Dateien heruntergeladen und in
einfache Textdatein (.txt) verwandelt wurden, kann man mit einem Open Access-Softwareprogramm wie etwa Antconc27 statistisch prüfen, welche Wörter
im AfD-Wahlprogramm signifikant häufiger auftauchen als in denen der anderen Programme. Eine derartige Analyse ergibt, dass die folgenden zehn Wörter
am stärksten mit dem AfD-Programm (im Gegensatz zu den anderen Partei-
23
Ebd., S. 247–253.
24
Ebd., 2019, S. 247–262.
25
Biber/Reppen, 2015; Bubenhofer, 2017, 2018.
26
Scott, 1997; Stefanowitsch, 2019, S. 240–241.
27
Anthony, 2014.
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Die Sprache der Populisten
programmen) assoziiert sind (Keyness ist dabei ein statistischer Signifikanzwert;
alle Wörter in Tabelle 1 sind hochsignifikant p < 0,000128):
Rang
Frequenz
Keyness (loglikelihood)
Keyword
1
113
558,778
afd
2
19
77,926
zuwanderung
3
29
75,781
fordert
4
680
71,380
der
5
46
63,326
deutschen
6
14
60,876
gender
7
11
57,060
bevoelkerungsentwicklung
8
127
48,456
durch
9
9
46,686
volk
10
10
45,326
willkommenskultur
Tab. 1: Top 10 Keywords des Bundestagswahlprogramms 2017 der AfD (verglichen
mit den Programmen der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU, FDP, DIE LINKE,
SPD)
Korpuslinguistisch werden Texte normalerweise „bereinigt“, so werden in vielen Studien zum Beispiel Funktionswörter ignoriert (da diese wenig eigene
Semantik besitzen und damit als kaum aussagekräftig für Texte gelten) oder
Wörter ausgeschlossen, von denen auszugehen ist, dass sie nahezu ausschließlich in einem Korpus vorkommen (wie zum Beispiel Parteinamen). Für die
einfache Analyse in Tabelle 1 wurde nur die Groß- und Kleinschreibung ignoriert (deshalb sind alle Begriffe kleingeschrieben), damit die unterschiedliche
Schreibung von Adjektiven oder Verben (groß am Satzanfang und klein im Satzinneren) keine Rolle spielt. Dabei zeigt sich natürlich, dass der eigene Parteiname (AfD) im AfD-Programm deutlich häufiger vorkommt als in den anderen
28
Der Log-Liklihood-Wert erreicht eine Signifikanz von p < 0,05 ab Werten von >3,81.
Alle Werte in Tabelle 1 sind deutlich höher als 15,13, was einem Signifikanzwert von
p < 0,0001 entspricht; vergleiche Rayson, Paul: Log-likelihood and effect size calculator, 2016, URL: http://ucrel.lancs.ac.uk/llwizard.html (18. Dezember 2019).
Thomas Hoffmann
Programmen. Darüber hinaus sind mit Volk und Bevölkerungsentwicklung zwei
hypertrophe Begriffe unter den zehn Wörtern, die die AfD signifikant häufiger
verwendet als die anderen Parteien in ihren Programmen:
(4) Das Volk muss wieder zum Souverän werden (Programm für Deutschland,
AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 10)
(5) Derzeit wird der Bundespräsident in der Bundesversammlung vorgeschlagen und gewählt. Die Auswahl des Kandidaten findet hinter verschlossenen
Türen durch Absprachen der Parteien statt. Diese Kungelei beschädigt die
Würde des Amtes und schmälert die Akzeptanz des Staatsoberhaupts durch
das Volk. Wir wollen den Bundespräsidenten deshalb direkt durch das Volk
wählen lassen. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 12)
Der Wille „des Volkes“ wird in (4) implizit, und in (5) explizit als im Konflikt
stehend mit den anderen Parteien dargestellt: die anderen Parteien, die bisherige Elite, betreiben Kungelei und wählen ihre Bundespräsidentenkandidaten
hinter verschlossenen Türen durch Absprachen. Davon grenzt sich die AfD ab,
und stellt sich auf die Seite „des Volkes“, das sie verspricht, wieder (es wird also
impliziert, dass dies aktuell nicht mehr der Fall ist) zum Souverän zu machen.
(Inwieweit die AfD Absprachen in Hinterzimmern tatsächlich ablehnt, bleibt
nach der umstrittenen Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen im Februar 2020 allerdings doch mehr als
fraglich.29)
2.2 „Eliten“-Kritik30
Das Beispiel in (5) zeigt dabei auch, wie die eigene Identitätszuschreibung (als
Vertreter des „wahren Volkswillens“) mit einem Anti-Elitismus kombiniert
wird. Als Gegner des Volkes werden die Eliten identifiziert, die den Volkswillen absichtlich „ignorieren“. Diese Eliten werden als eine homogene Gruppe
konstruiert, die entweder aufgrund ihres Reichtums, ihrer Bildung und/oder
ihrer Ethnizität nicht mehr zum „einfachen Volk“ gehören und stattdessen ihre
29
Meisner, Matthias: „Die AfD in Thüringen schickt Schockwellen durch Deutschland“, in: Der Tagesspiegel, 5. Februar 2020, URL: https://www.tagesspiegel.de/
politik/wahl-von-ministerpraesident-kemmerich-die-afd-in-thueringen-schicktschockwellen-durch-deutschland/25510902.html (28. Februar 2020).
30
Mudde/Kaltwasser, 2013, S. 502–503; Kranert, 2019; Stefanowitsch, 2019,
S. 237.
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Die Sprache der Populisten
eignen Interessen verfolgen und das eigene Volk verraten31 (zum Beispiel Die
alten Parteien haben ihr eigenes Volk verraten!, Twitter-Nachricht von Uwe Junge (AfD), 8. November 201932). Als Teil der Elite werden dabei die etablierten
Parteien (vergleiche Altparteien33) und auch die öffentlich-rechtlichen Medien
gesehen (vergleiche Lügenpresse34). Statt sich um das eigene Volk zu kümmern,
werden diese Eliten beschuldigt, eine Politik der Zuwanderung (vergleiche Tabelle 1) von Fremden voranzutreiben, die keinerlei Bezug zur Kultur des Volkes
haben, weshalb angeblich eine kulturelle Überfremdung35 droht.
(6) Die Grenzen müssen umgehend geschlossen werden […]. Wir brauchen
über mehrere Jahre diesbezüglich eine Minuszuwanderung. Vorrang vor
Zuwanderung haben familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen,
insbesondere eine „aktivierende Familienpolitik“, aber auch die Reduzierung der Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Deutschland. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017,
S. 38)
Wie in (6) vorgeschlagen, soll die Zuwanderung von Fremden nach Deutschland gestoppt werden, und stattdessen eine Willkommenskultur für Kinder des
eigenen Volkes eingeführt werden (vergleiche den Slogan Willkommenskultur
für Kinder: Familienförderung und Bevölkerungsentwicklung, der mehrmals als
Überschrift im Parteiprogramm der AfD vorkommt; Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 48 ff.). Darüber hinaus
wird von den Fremden, die dennoch nach Deutschland kommen, die Anpassung an die Kultur des deutschen Volkes als Bringschuld gefordert:
(7) Jeder Migrant oder Einwanderer, dem wir ein dauerhaftes Bleiberecht zugestehen, hat eine Bringschuld, sich seiner neuen Heimat und der deutschen
31
Albertazzi/McDonnell, 2008, S. 3; Mudde, 2004; Stefanowitsch 2019, S. 236–
237.
32
Junge, Uwe: Tweet, in: twitter.com, 9. November 2019, URL: https://twitter.com/
Uwe_Junge_MdL/status/1193072121355870208 (18. Dezember 2019).
33
[Anon.]: Jörg Meuthen in Hamburg. AfD-Forderungen werden von Altparteien aufgenommen, in: Afdkompakt.de, 2016, URL: https://afdkompakt.de/2016/12/09/joergmeuthen (18. Dezember 2019).
34
Scholz, Kay-Alexander: AfD: Von „Lügenpresse“ bis „Newsroom“, in: dw.com, 2018,
URL: https://www.dw.com/de/a-43696773 (18. Dezember 2019).
35
Wilhelm, Günther: Dirk Driesang (AfD): Warnung vor „kultureller Überfremdung“,
in: nordbayern.de, 31. August 2017, URL: https://www.nordbayern.de/1.6564293
(18. Dezember 2019).
Thomas Hoffmann
Leitkultur anzupassen, nicht umgekehrt. (Programm für Deutschland, AfDProgramm für die Bundestagswahl 2017, S. 42)
Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Anti-Elitismus auf Xenophobie zu reduzieren. Die Elite wird nicht nur kritisiert, weil sie eine Ideologie des „Multikulturalismus“ (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl
2017, S. 63) vorantreibt. Es wird auch kritisiert, dass die Elite Elfenbein36-Politik
betreibt, die vollkommen an den Wünschen und Idealen „des Volkes“ vorbeigeht. Als Beispiel wird dafür immer wieder das Konzept „Gender“ (vergleich
Tabelle 1) herangezogen, welches im Gegensatz zum biologischen Geschlecht
die sozial konstruierte Geschlechteridentität bezeichnet. Dieses Konzept wird
mit Vehemenz abgelehnt:
(8) Für ein klares Familienbild – Gender-Ideologie ist verfassungsfeindlich
(Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017,
S. 42)
(9) Bund und Länder dürfen keine Mittel für die „Gender-Forschung“ mehr
bereitstellen und keine „Gender-Professuren“ mehr besetzen. (Programm
für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 42)
2.3 Sprachliche Distanzierungsstrategie37
In (9) findet sich auch eine klassische sprachliche Distanzierungsstrategie:
Anführungszeichen können zum einen dafür genutzt werden, um die direkte
Rede anderer wiederzugeben oder um neue Begriffe einzuführen, die nicht allen Leserinnen und Lesern bekannt sind, und deshalb noch definiert werden
müssen. Sie werden aber auch genutzt, um sich von bereits eingeführten und
bekannten Begriffen zu distanzieren (andere mögen einen Begriff als selbstverständlich sehen; durch die Anführungszeichen distanziert man sich metasprachlich von dem Begriff und den Inhalten, für die er steht). In (9) finden
sich mit „Gender-Forschung“ und „Gender-Professuren“ gleich zwei Beispiele
für diese Verwendung. Eine weitere metasprachliche Distanzmarkierung ist das
Wort sogenannte(r/n), mit dem sich ein Sprecher oder eine Sprecherin ebenfalls
36
Vgl. Peschel, Frank: SPD-Minister Dulig regiert selbstherrlich im Elfenbeinturm,
in: afd-fraktion-sachsen.de, 2019, URL: https://afd-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/spd-minister-dulig-regiert-selbstherrlich-im-elfenbeinturm.html (18.
Dezember 2019) oder AFD Kreisverband Ansbach-Weissenburg: Politik aus
dem Elfenbeinturm, in: facebook.com, 12. August 2019, URL: https://www.facebook.
com/487540035373906 (18. Dezember 2019).
37
Ebling u. a., 2013; Scharloth, 2017.
63
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Die Sprache der Populisten
von einem Konzept distanziert. Für die Pressemitteilungen der Landesverbände
der Parteien in Rheinland-Pfalz 2016 konnte Scharloth zeigen, dass derartige
metasprachliche Distanzmarkierungen vor allem von der NPD und der AfD
verwendet wurden (mit deutlichem Vorsprung vor allen anderen Parteien).38
Im 2017 Bundestagswahlprogramm der AfD lassen sich sechs Beispiele für
metasprachliche Markierungen finden, in denen sogennante(r/n) einem Begriff
vorangeht, der zusätzlich noch mit Anführungszeichen versehen ist:
(10) Die Alternative für Deutschland tritt für die Gleichheit vor dem Gesetz
ein. Deshalb lehnen wir sogenannte „Quotenregelungen“ ab. (Programm
für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 15)
(11) Die sogenannte „neue Lernkultur“, die den klassengeführten Unterricht
durch selbstgesteuertes, kompetenzorientiertes Lernen ersetzt, hat zu massivem Leistungsabbau bei den Schülern geführt. (Programm für Deutschland, AfD-Programm für die Bundestagswahl 2017, S. 57)
Im Programm der Partei DIE LINKE taucht das Wort sogennante(r/n) mit 22
Belegen am Häufigsten in allen untersuchten Wahlprogrammen auf, aber in nur
einem Fall handelt es sich dabei um eine metasprachliche Markierung, bei der
das folgende Nomen auch in Anführungszeichen gesetzt wurde:
(12) Wir lehnen es ab, die Arbeitgeber im Rahmen kapitalgedeckter betrieblicher Altersvorsorge und sogenannter „Zielrenten“ aus der Haftung zu
entlassen. (Sozial. Gerecht. Frieden. Für Alle, Die Linke-Programm für die
Bundestagswahl 2017, S. 23)
Die inhaltliche Distanz zu Ideen und Konzepten „der Eliten“ führt also dazu,
dass derartige metasprachliche Distanzstrategien tatsächlich häufiger in populistischen Texten zu erwarten sind.
2.4 Skandalisierende und polarisierende Vokabeln
Das Beispiel (2) von Nigel Farage (We’ve formed our people’s army to fight
the establishment) weist noch ein weiteres sprachliches Merkmal auf, das
den Populismus als einen skandalisierenden und polarisierenden Politikstil
charakterisiert: die „Inszenierung von Konflikten, negativem Framing und
Emotionalisierung“39. Farage verwendet eine aggressive Rhetorik, die den politischen Konflikt mit Hilfe von militärischen Vokabeln (form an army, to fight)
dramatisiert und emotionalisiert. Ähnlich martialisch war Alexander Gaulands
38
Scharloth, 2017.
39
Ebd.
Thomas Hoffmann
Aussage nach der Bundestagswahl 2017, als er verkündete „Wir werden Frau
Merkel jagen“40. Dies wurde auf linksradikaler Seite mit der Aussage „Wir, die
außerparlamentarische Linke, werden die AfD jagen“41 beantwortet.
Aus kognitionslinguistischer Sicht sind derartige Äußerungen durchaus kritisch zu sehen: jede sprachliche Kodierung lässt Rückschlüsse auf die kognitive
Interpretation der Sprecherin beziehungsweise des Sprechers zu.42 Die Einstellung einer Sprecherin oder eines Sprechers zeigt sich dabei nicht nur darin, ob
die große Zahl von Menschen die 2015 nach Europa strömten als Asylbewerber,
Flüchtlinge oder Migrantenpack bezeichnet werden. Jedes Wort in unserem Gehirn ist mit enzyklopädischen Wissensstrukturen verbunden, die in der Fachliteratur als „Frames“ bezeichnet werden.43 Die Wörter kaufen, verkaufen und
kosten sind beispielsweise mit dem Frame „Handel_kaufen (FN: Commerce_
buy)“ verbunden:
„Dieser Frame betrifft Wörter, die ein grundlegendes Handelsgeschäft beschreiben, an
dem ein Käufer und ein Verkäufer beteiligt sind, die Geld und Waren austauschen. Der
Handel wird aus der Sicht des Käufers betrachtet. Die Wörter variieren individuell bei
den Mustern der Realisierung von Frame-Elementen, die sie zulassen. Zum Beispiel ist
das typische Muster für das Verb KAUFEN: Käufer kauft Waren vom Verkäufer gegen
Geld.“44
Jedes Wort fokussiert nun einzelne Elemente eines Frames: kaufen stellt den
Käufer und die Waren in den Vordergrund, die dann notwendigerweise realisiert werden müssen (Er_KÄUFER kaufte ein rotes Auto_WARE.). Im Gegensatz dazu
betont kosten die Ware und das Geld (Das Auto_WARE kostete 20.000€_GELD.). Aber
auch wenn Wörter nur einzelne Elemente explizit hervorheben, gilt zu beachten, dass bei ihrer Verwendung immer der ganze Frame mitaktiviert und mitgedacht wird. (Deshalb kann zum Beispiel jemand, der den Satz Er kaufte ein rotes
Auto gehört hat, direkt nachfragen von wem, also von welchem Verkäufer, das
40
Sydow, Christoph: Gauland über AfD-Erfolg. „Wir werden Frau Merkel jagen“,
in: Spiegel online, 24. September 2017, URL: https://www.spiegel.de/politik/
deutschland/a-1169598.html (18. Dezember 2019).
41
Eder, Sebastian: Radikale Linke nach der Wahl. „Wir werden die AfD jagen“, in: FAZ
online, 27. September 2017, URL: https://www.faz.net/-hpp-928ed (18. Dezember
2019).
42
Lakoff, 2016; Lakoff/Wehling, 2018.
43
Fillmore, 2006; Fillmore/Baker, 2010.
44
„Frame: Handel_kaufen“ (noch nicht veröffentlicht). URL: https://gsw.phil.hhu.de/
framenet/frame?id=171 (18. Dezember 2019).
65
66
Die Sprache der Populisten
Auto denn erworben wurde.) Spricht man nun davon, dass „man jemand jagen
wird“, dann aktiviert das natürlich einen Jagd-Frame – aber wie sieht dieser genau aus? Das Englische FrameNet gibt dazu folgende Definition (im Deutschen
FrameNet ist der Begriff bisher noch nicht angelegt): „The act of seeking out
animal food by way of tracking and chasing with a hoped final result of a successful kill.“45 Auch wenn man es also nicht explizit erwähnt, schwingt beim
Wort jagen aufgrund des aktivierten Frames immer die Absicht mit, das gejagte
Tier zum Schluss zu töten. Damit wird klar, warum eine solche Äußerung als
höchst problematisch zu sehen ist, und warum damit die politische Diskussion
vergiftet wird.46
Skandalisierende Ausdrücke, verbale Tabubrüche und stark emotionalisierende, negative Begriffe gelten als Anzeichen populistischer Sprache.47 Wie
Scharloth zeigen konnte, lassen sich, verglichen mit den Meldungen anderer
Parteien, derartige negative sprachliche Merkmale deutlich häufiger in den
Pressemitteilungen des AfD-Landesverbandes Rheinland-Pfalz finden: sowohl
Kommunikationsverben, die auf Konflikte verweisen (zum Beispiel kritisieren
oder diffamieren), skandalisierte Vokabeln (zum Beispiel Bloßstellung, Unrecht
oder Skandal) als auch negativ wertende Adjektive treten deutlich häufiger in
den AfD-Pressemeldungen auf als im Vergleichskorpus der anderen Parteien.48
Die populistische Tendenz zu Wörtern, die vor allem negative Emotionen
hervorrufen, wurde auch in anderen Studien bestätigt: bei einem Vergleich der
Wahlkampfreden des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2016 zeigte sich, dass
Donald Trump deutlich mehr negativ besetzte Wörter verwendete als seine
Konkurrentin Hillary Clinton.49 Methodologisch wurden die Wahlkampfreden
dabei mit Hilfe einer automatischen Sentimentanalyse untersucht, die Wörter
nach den mit Ihnen assoziierten Emotionen klassifiziert.50 Dabei zeigte sich,
45
„Frame: Hunting“ auf URL: https://framenet2.icsi.berkeley.edu/fnReports/data/lu/
lu14766.xml?mode=lexentry (18. Dezember 2019).
46
Willner, Anja: Er will Merkel „jagen“: Gauland-Aussage lässt Schlimmes für Bundestag befürchten, in: focus online, 24. September 2017, URL: https://www.focus.
de/7632697 (18. Dezember 2019); SYDOW, Christoph: Gauland über AfD-Erfolg.
„Wir werden Frau Merkel jagen“, in: Spiegel online, 24. September 2017, URL: https://
www.spiegel.de/politik/deutschland/a-1169598.html (18. Dezember 2019).
47
Ebling u. a., 2013.
48
Scharloth, 2017.
49
Hoffmann, 2018
50
Mohammad/Turney 2010, 2013.
Thomas Hoffmann
dass Trump signifikant häufiger Wörter verwendete die mit Angst, Ekel, Trauer
und Wut assoziiert sind.
2.5 Mobilisierung und Inszenierung durch Schlachtrufe
Zuletzt zeichnen sich populistische Bewegungen natürlich auch dadurch aus,
dass sie erfolgreich größere Menschenmengen mobilisieren und auf ihre Seite
ziehen. Dabei spielen auch knappe Slogans und Schlachtrufe eine zentrale Rolle.
Ähnlich wie Fußballgesänge helfen, Fangruppenidentitäten bei Fußballspielen
herzustellen und zu festigen,51 tragen auch kurze Slogans wie Wir sind das Volk!
in (3) oder (13) dazu bei Menschenmengen bei populistischen Aktionen zusammenzuschweißen:
(13) Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!52 (Demonstration in Chemnitz)
Beim gemeinsamen Skandieren der Slogans offenbart das Individuum nicht
nur eine Selbstaussage53 (Wer bin ich? Was gebe ich über mich Preis?). Darüber
hinaus wird gemeinsam eine Gruppenidentität (wir, das Volk, et cetera) ausgedrückt und zugleich durch das Skandieren nicht nur hergestellt, sondern auch
immer wieder aktualisiert. Wie dies funktioniert, lässt sich anhand des Beispiels
in (14) illustrieren:
(14) The new platform of the Democrat Party is radical socialism and open borders [CROWD JEERING] and I won’t allow the United States of America
to become the next Venezuela that’s what they want to do [CHANTING:
Build that wall!] (Donald J. Trump, Wahlkampveranstaltung in Las Vegas
2018, 26:30–27:20)54
Die Ankündigung eine Grenzmauer zwischen den Vereinigten Staaten von
Amerika (USA) und Mexiko zu errichten, war eines der zentralen Wahlversprechen von Donald Trump bei seinem Wahlkampf 2016.55 Wie das Beispiel
51
Hoffmann, 2015.
52
Mrmarxismo: #Chemnitz – „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ –
AfD, Lutz Bachmann & Co., auf: YouTube, 2018, URL: https://www.youtube.com/
watch?v=PoW5HFhvXpA (18. Dezember 2019).
53
Schulz von Thun, 1981.
54
Trump, Donald J.: President Trump Rally in Las Vegas, auf: c-span.org, 20. September
2018, URL: https://www.c-span.org/video/?451687-1 (18. Dezember 2019).
55
„Build the Wall“ auf Wikipedia, URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Trump_
wall#Build_the_Wall (18. Dezember 2019).
67
68
Die Sprache der Populisten
in (14) zeigt, musste Trump bei seinen späteren Auftritten diesen Slogan nicht
einmal mehr selbst erwähnen. Alleine die Behauptung, dass die Demokraten
offene Grenzen wollen, bewegt die anwesenden Anhänger seinen Schlachtruf
Build that wall! zu initiieren, und so ihre gemeinsame Gruppenidentität auszudrücken.
Beispiele wie (14), in denen populistische Schlachtrufe spontan von Zuhörerinnen und Zuhörern initiiert werden, können als Beleg gelten, dass Populisten
(zumindest bei ihrem Zielpublikum) auch tatsächlich populär sind. Wiederum
ist es aber so, dass das Skandieren derartiger Schlachtrufe kein exklusives Merkmal populistischer Redner und Rednerinnen ist. Im Jahr 2008 wurde der Slogan
Yes, we can! zum Schlachtruf der Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama. Zum ersten Mal verwendete Obama diesen bei einer Wahlkampfrede in Nashua, New Hampshire, 2008:56
(15) for when we have faced down impossible odds when we’ve been told we’re
not ready or that we shouldn’t try or that we can’t generations of Americans
have responded with a simple creed that sums up the spirit of a people yes
we can yes we can yes we can [CHANTING: Yes, we can!] (Barack Obama,
Wahlkampfrede in Nashua, New Hampshire 2008)57
Wie im verlinkten Video zu (15) zu hören,58 stimmt die Menge kurz nach dem
dritten Yes, we can ein, und skandiert den Slogan. Auch zu späteren Zeitpunkten, wenn Obama den Slogan aufgreift (etwa bei Minute 11:35: Yes we can to
justice and equality59), beginnt das Publikum wieder den Slogan als Schlachtruf
zu skandieren.
Wenn größere Ansammlungen von Menschen also Schlachtrufe skandieren
und so ihre Gruppenidentität und Zustimmung signalisieren, kann daraus nur
geschlossen werden, dass eine Rednerin beziehungsweise ein Redner populär
scheint und er/sie erfolgreich seine/ihre Anhängerschaft mobilisieren kann.
Dies ist allerdings ein rein formaler Blick auf die Ausdruckseite dieser sprachlichen Handlungen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gilt es aber natürlich
56
„Yes We Can“ auf Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Yes_We_Can (18.
Dezember 2019).
57
Obama, Barack: Yes We Can, auf: YouTube, 2008, URL: https://youtu.be/
Fe751kMBwms?t=608, Minuten 10:08–10:40 (18. Dezember 2019).
58
Ebd., URL: https://youtu.be/Fe751kMBwms?t=628, Minuten 10:28–10:40 (18. Dezember 2019).
59
Ebd., URL: https://youtu.be/Fe751kMBwms?t=694, Minuten 11:35–11:47 (18. Dezember 2019).
Thomas Hoffmann
auch die Inhaltsseite der Schlachtrufe zu berücksichtigen. Und hier zeigt sich
erneut, dass Populisten zu negativen (Lock her up!60) und ausgrenzenden (Build
that wall! oder Deutschland den Deutschen!) Rufen tendieren – während Obamas Slogan eine positivere Ausrichtung hat (Yes, we can!).
3. Zusammenfassung und Ausblick
Wie der vorliegende Beitrag zu zeigen versuchte, gibt es nicht „die Sprache der
Populisten“. Zahlreiche sprachliche Merkmale, die mit populistischen Rednerinnen und Rednern assoziiert werden, lassen sich auch bei Politikerinnen und
Politikern finden, die normalerweise nicht zu den Populisten gezählt werden.
Es lassen sich also keine Merkmale finden, die eine kategorische Einordnung
in populistische und nicht-populistische Sprache erlauben. Zugleich zeigt sich,
dass die oben diskutierten Merkmale (hypertropher Sprachgebrauch, „Eliten“Kritik, sprachliche Distanzierungsstrategien, skandalisierende und polarisierende Vokabeln, sowie die Mobilisierung und Inszenierung durch Schlachtrufe)
quantitativ häufiger bei populistischen Politikerinnen und Politikern aufzutreten scheinen. Außerdem scheinen populistische Aussagen in der Tendenz
deutlich negativer und ausgrenzender zu sein, als dies bei anderen Oppositionsparteien der Fall ist.
Zuletzt noch ein kleiner, persönlicher Ausblick: immer wenn „die Sprache
der Populisten“ das Thema eines Vortrags ist, kommt vom Publikum danach die
Frage, wie man denn jetzt mit den Populisten und ihren Anhängerinnen und
Anhängern reden soll. Soll man emotional dagegenhalten und auch auf eine negative Rhetorik zurückgreifen? Auch wenn man stets wehrhaft die Demokratie
verteidigen sollte, ist davon meines Erachtens vor allem beim Gespräch mit Anhängerinnen und Anhängern von Populisten abzuraten. Damit verhärten sich
nur die Fronten, was Politikerinnen und Politikern zur Schließung der eigenen
Reihen dienen mag – ein echter, aufrichtiger Austausch von Meinungen wird
dadurch nur verhindert. (Als Beispiel sei hier Hillary Clinton angeführt, die
Anhängerinnen und Anhänger Donald Trumps als ein „basket of deplorables“
60
CNN: Audience to Trump: Lock her up, auf: YouTube, 2017, URL: https://youtu.be/etUhjXgMbA?t=36, Minuten 0:36–0:46 (18. Dezember 2019); ein Schlachtruf, mit
dem Trump gefordert hatte, dass seine Konkurrentin Hillary Clinton wegen der Nutzung privater Server beim Versenden offizieller Emails verhaftet werden sollte; vergleiche. [Anon.]: Hillary Clinton email controversy, in: Wikipedia, 11. Dezember 2019
(last edited), URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Hillary_Clinton_email_controversy
(18. Dezember 2019).
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70
Die Sprache der Populisten
(„ein Korb von Bedauerlichen“) bezeichnete – eine Aussage, die einzig und allein zu einem Verhärten der Fronten führte61).
Soll man stattdessen kühl und logisch argumentieren und die Aussagen der
Populisten so entzaubern? Dieser Ansatz wiederum überschätzt, meiner Einschätzung nach, die Rationalität des Menschen – denn wie Kahneman in seinem Bestseller Thinking, Fast and Slow betont:
„To a psychologist, it is self-evident that people are neither fully rational nor completely
selfish, and that their tastes are anything but stable.“62
Die Gebiete unseres Gehirns, die instinktiv und emotional reagieren, funktionieren schnell und automatisch.63 Unser bewusstes und logisches Denken dagegen werden nur langsam aktiviert und brauchen mehr Zeit.64 Was bedeutet das
für das Gespräch mit Anhängerinnen und Anhängern von Populisten? Nun,
wie wir oben gesehen haben, ist die Sprache der Populisten oft stark emotionalisiert und negativ. Ihr Erfolg scheint also darauf zu beruhen, bestehende Ängste
und Sorgen von Menschen anzusprechen, die sich dann verstanden fühlen und
den Populisten folgen. Sobald man aber emotionalisiert ist – und das schließt
Sie und mich ein – ist man nicht mehr (so) empfänglich für logische und sachliche Argumente.
Welchen Weg soll man dann wählen? Den einzigen, der zu einem echten
und langfristig erfolgreichen Gespräch führt: man muss seinem Gegenüber mit
Wertschätzung und Respekt begegnen, man muss zuhören und den jeweils Anderen erst einmal seine Sorgen und Nöte verbalisieren lassen. Das klingt Ihnen
zu esoterisch? Nun, es mag Sie überraschen, aber das ist auch die Methode, die
das Federal Bureau of Investigation (FBI) bei Geiselnahmen und Verhandlungen mit Terroristen einsetzt.65 Das FBI hegt dabei natürlich keinerlei Sympathie
für Geiselnehmer oder Terroristen, aber aufgrund jahrelanger Erfahrung hat
sich gezeigt, dass „taktische Empathie“ der Schlüssel ist um Krisensituationen
zu entschärfen.66 Bevor Ihnen irgendjemand zuhört – egal ob Sie diese Person
mögen oder nicht, müssen Sie ihm oder ihr signalisieren, dass Sie zuhören kön61
„Basket of deplorables“ auf Wikipedia, URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Basket_of_
deplorables (18. Dezember 2019).
62
Kahneman, 2011, S. 269.
63
Ebd.
64
Ebd.
65
Voss/Raz, 2016.
66
Ebd., S. 49–73.
Thomas Hoffmann
nen und Ihr Gegenüber wertschätzen. Nur so haben Sie eine Chance jemand zu
überzeugen – egal ob Sie mit Terroristen oder Ihren Kindern verhandeln, ob Sie
mit Fremden oder Freunden diskutieren, ob Sie sich mit jemand streiten, der
Ihre Parteifreundin/Ihr Parteifreund oder eine Anhängerin/ein Anhänger von
Vereinigungen sind, die Sie nicht gutheißen. Einfach ist dieser Weg vermutlich
nicht immer – aber es ist letztlich der einzig Erfolgversprechende.
4. Literaturverzeichnis
4.1 Quellen
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Alternative für Deutschland (AfD), Berlin, URL: https://afdkompakt.de.
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www.nordbayern.de/.
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Die Sprache der Populisten
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