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Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung

2017, In: Zybatow, Lew; Petrova, Alena; Stauder, Andy; Ustaszewski, Michael (Hg.): Übersetzen und Dolmetschen: Berufsbilder, Arbeitsfelder, Ausbildung. Ein- und Ausblicke in ei sich wandelndes Berufsfeld der Zukunft. 70 Jahre Innsbrucker Institut für Translationswissenschaft

The paper deals with the new developments and changes on the translation market where translation technology and translation data have evolved into a fundamentally important factor with a decisive impact on quality, efficiency and costs of translation in a professional context. This leads to a new understanding of competencies as well as a revised distinction between lay and professional translators.

Sandrini, Peter (2017): Translation 4.0 -- Eine Perspektivenverschiebung. In: Zybatow, Lew; Petrova, Alena; Stauder Andy; Ustaszewski Michael (Hg.): Übersetzen und Dolmetschen: Berufsbilder, Arbeitsfelder, Ausbildung. Ein- und Ausblicke in ein sich wandelndes Berufsfeld der Zukunft. Frankfurt: Peter Lang. 139-152 Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 139 Peter Sandrini Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung Abstract: The paper deals with the new developments and changes on the translation market where translation technology and translation data have evolved into a fundamentally important factor with a decisive impact on quality, efficiency and costs of translation in a professional context. This leads to a new understanding of competencies as well as a revised distinction between lay and professional translators. 1. Dynamische Produktionsparameter Der Begriff Industrie 4.0 beschreibt das Anwenden neuer Informations- und Kommunikationstechnik in der industriellen Produktion, wobei insbesondere Internettechnologien zur Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Produkten eingesetzt werden. Durch die Bedeutung der Daten wird in den neuen Arbeitswelten 4.0 die Digitalisierung zur Querschnittstechnologie für jede Art von Produktion und zum Wettbewerbsvorteil: „Digitale Daten sind der wichtigste Rohstoff der Zukunft. Die Digitalisierung wird zunehmend zur treibenden und gesellschaftsdurchdringenden Kraft auf allen Feldern der Innovation“ (Forschungsunion 2013: 7). Durch die Digitalisierung und den aus Kosten- und Effizienzgründen unabdingbaren Einsatz der Maschine verändert sich ebenfalls der Übersetzungsprozess des Menschen. Daraus folgt nicht nur die Notwendigkeit, sich die damit verbundenen Kompetenzen durch entsprechende Qualifizierungsangebote in einem lebenslangen Lernen anzueignen, sondern auch eine Veränderung in den Entscheidungsprozessen des Übersetzers selbst, die sich aus der Funktionsweise der Translationstechnologie ergibt. Darunter versteht man die Gesamtheit an Methoden, Anwendungen und standardisierten Formaten, die durch die IKT für die Translation von Texten bereitgestellt wird, wobei jede Art von Sprach- und Translationstechnologie im Wesentlichen in zwei grundlegende Komponenten zerlegt werden kann: Auf der einen Seite das spezifische Anwendungsprogramm bestehend aus Algorithmen und logischen Befehlsabfolgen wie z. B. ein Translation-Memory-System oder ein Terminologiemanagementsystem, auf der anderen Seite die verwendeten Daten wie die gespeicherten Übersetzungen in einem Translation-Memory, die eigene Terminologiesammlung oder ein zusammengestellter Textkorpus. 140 Peter Sandrini Abbildung 1: typische Komponenten der Translationstechnologie Die steigende Bedeutung von Daten jeder Art führte zu dem medialen Schlagwort Big Data, wobei darunter nicht nur große Datenmengen gemeint sind, sondern vielmehr ihre unmittelbare Verfügbarkeit aus unterschiedlichen Quellen in großen Mengen, ausgedrückt mit „3V: volume, variety, velocity“. Die Auswirkungen dieser „datafication“ führten im Alltag zu Sorgen und Bedenken, wenn es um das massenhafte Erfassen und Quantifizieren jeder Form menschlicher und maschineller Aktivität in vielen Alltagsbereichen geht. Im Bereich der Wissenschaft eröffnen sich dadurch jedoch neue Möglichkeiten der Erforschung menschlichen Verhaltens. Auch für die Translation ergeben sich neue Sichtweisen und Herausforderungen. Während vor der Digitalisierung und vor dem allgegenwärtigen Einsatz der Translationstechnologie Translation ausschließlich auf die persönliche und individuelle kommunikative und vor allem sprachliche Kompetenz des Translators abstellte, kommen nun zwei weitere Aspekte hinzu: Einmal die individuelle Kompetenz, mit Translationsdaten umgehen zu können, sowie darüber hinaus die Kompetenz, mithilfe der zur Verfügung stehenden Daten zu übersetzen bzw. die Daten in den Translationsprozess mit einzubeziehen. Ersteres betrifft das Speichern, Verwalten und Organisieren der anfallenden Datenbestände, letzteres das Einbinden bzw. kontextbezogene Evaluieren, Selektieren und Bearbeiten der Daten, um potentielle Übersetzungslösungen aus diesen gewinnen zu können. Darauf verweist Pym (2013), wenn er die Auswirkungen der Datennutzung auf den Translationsprozess für einen zunehmenden Übergang von der Produktion möglicher Übersetzungslösungen hin zu einem Selektionsprozess aus vorhandenen bzw. angebotenen Lösungen und ihrer Anpassung an den spezifischen Kontext verantwortlich macht: “much of the translator’s skill-set and effort was previously invested in identifying possible solutions to translation problems (i.e., the generative side of the cognitive Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 141 process), the vast majority of those skills and efforts are now invested in selecting between available solutions, and then adapting the selected solution to target-side purposes (i.e. the selective side of the cognitive processes)” (Pym 2013: 493). In diesem Sinne können wir von einer „datafication of translation“ bzw. einer Datafizierung des Übersetzens sprechen: Translation stellt demnach nicht mehr nur die Produktion eines Zieltextes auf der Grundlage der individuellen sprachlichen Kompetenz des Übersetzers dar, sondern präsentiert sich als eine kreative Neugestaltung eines Textes basierend auf einem Input aus Ausgangstext, Daten, Auftragsspezifikation und Translationskontext mit einem entsprechenden Output, das aus Zieltext und neuen Übersetzungsdaten (Translation-Memory, Terminologiedaten) besteht. Dieser Überlegung folgend zielt der Übersetzungsprozess auf eine Variation des Ausgangstextes ab, die durch begründete und kontextspezifische Selektion, Rekombination und Adaptation von bestehenden Übersetzungslösungen aus zur Verfügung stehenden Daten erreicht wird. Die Fähigkeit der Selektion rückt damit in den Vordergrund und bedarf einer stärkeren Berücksichtigung in der Ausbildung, im Sinne des Vermittelns von Kriterien zur Auswahl und Evaluierung von Übersetzungsdaten: „una imprescindible formación en criterios para elegir“ (Diaz–Fouces, 2011: 14). Zusätzlich zu tragfähigen Selektionskriterien bedarf es des fallspezifischen und kontextsensitiven Bearbeitens und Anwendens von Translationsdaten, was wiederum nur auf der Grundlage eines handlungsgeleiteten und dienstleistungsorientierten Translationsbegriffs erfolgen kann. Qualität ist demnach die Erfüllung der vom Kunden gewünschten Auftragsspezifikation, so dass der Zieltext seine Funktion optimal erfüllen kann, die Norm DIN EN 15038 nennt dies „Zwecktauglichkeit“. Für das professionelle Übersetzen ergibt sich daraus, dass die wichtigen Parameter Qualität, Effizienz und Kosten entscheidend von den im Einzelfall zur Verfügung stehenden Übersetzungsdaten abhängen. Offensichtlich ist dies bei allen translationstechnologischen Anwendungen, die mit Datenbeständen arbeiten: Statistische Maschinenübersetzungssysteme, Translation-MemorySysteme, Terminologiedatenbanken, Korpusanalysetools können jeweils nur so gut sein wie die Qualität der Datenbestände, auf die sie zugreifen. Qualität, Effizienz und Kosten einer Übersetzung bilden demnach eine Funktion der dem Übersetzer während des Übersetzungsprozesses zur Verfügung stehenden Translationsdaten. Die Veränderungen im Translationsprozess sind weniger offensichtlich und bedürfen noch genauerer Untersuchung, vor allem wegen ihres Einflusses auf die gesamte Translationsindustrie sowie auf die Translationsdidaktik und das Vermitteln der nötigen Kompetenzen. 142 Peter Sandrini 2. Profi vs. Amateur Neben veränderten Produktionsbedingungen lässt sich in den letzten zwei Jahrzehnten durch die globale Vernetzung und die Zunahme der weltweiten Kommunikation eine konstante Erweiterung des Übersetzungsmarktes beobachten. Die verstärkte Nachfrage nach Translationsdienstleistungen führte zu einer zunehmenden Spezialisierung, so dass die Translation heute in unterschiedliche, hoch spezialisierte Bereiche zerfällt. Der Klarheit halber können auf einer abstrakteren Ebene und in Zusammenfassung all dieser Spezialisierungstendenzen grosso modo drei grundlegende Arten von Translation unterschieden werden: 1) Ein philologisch-akademischer Bereich, dessen Gegenstand das Übersetzen von Literatur, philosophischen und wissenschaftlichen Texten ist. Dieser Bereich ist dadurch gekennzeichnet, dass sehr hohe Anforderungen an Sprache und kulturellem (Allgemein-)Wissen gestellt werden, die Beschäftigung damit aber fast ausschließlich in Nischenbereichen (akademische Welt, Verlagswesen) möglich ist. Gekennzeichnet ist diese Art des Übersetzens durch geringen ökonomischen Druck, wenig bis keine technischen Anforderungen sowie kaum Prozessdokumentation. 2) Ein kooperativer Bereich der offenen bzw. freien Translation, die auf Zusammenarbeit und freiwilligen Leistungen beruht und von Anwender- oder Fan-Communities durchgeführt wird. Translation durch Benutzer oder Anwender bestimmter Produkte oder Dienstleistungen, das sogenannte Crowdsourcing, ist in der Wirtschaft als das Konzept vertikaler Kooperation bekannt: „Der 'Wertschöpfungspartner auf der Nachfrageseite', wie es im Ökonomenjargon heißt, also die Anwenderin, wird zur 'Koproduzentin': Die freie Mitwirkung ist etwas, was praktisch wie eine Epidemie durch die gesamte dienstleistende und wissensintensive Industrie hindurchgeht“ (Grasmuck 2004: 332). Dies betrifft vor allem kommerzielle Produkte und Dienstleistungen, wie beispielsweise die Fälle Facebook und Twitter mit der Übersetzung der Benutzeroberfläche durch die Anwender selbst veranschaulichten. Ein weiteres Beispiel der offenen und freien Translation lässt sich im Bereich der frei verfügbaren Güter und Produkte nachweisen, wobei insbesondere das freiwillige Übersetzen von Open-Source-Anwendungen bzw. die Softwarelokalisierung freier Applikationen eine große Rolle spielt und auch durch eine gute technische Infrastruktur (Gettext, PO) unterstützt wird. Schließlich zählt dazu ebenso die freiwillige Untertitelung von Fernseh- oder Kinofilmen durch Fans oder das Übersetzen von Comics durch FanCommunities im Internet. Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 143 3) Ein gewerbsmäßiger Bereich der Translation, wobei entsprechende Dienstleistungen auf dem Markt angeboten und nachgefragt werden. In diesem Bereich sind die ausgebildeten, professionellen Translatoren tätig, die ihren Lebensunterhalt mit Translation bestreiten. Effizienz, Kostenminimierung sowie „etablierte Prozeduren oder dokumentierte Abläufe“ (Risku 2004: 29) sind hier von zentraler Bedeutung, wie es u. a. die internationalen Normen für Übersetzungsdienstleistungen (DIN EN 15038, ISO 17100) aufzeigen. Das, was Translation ausmacht und welche Voraussetzungen dafür nötig sind, hängt mit der gesellschaftlichen Vorstellung und dem allgemeinen Verständnis von Translation eng zusammen: „Thus, translation competence is connected with the perceived nature of translation and translation quality“ (Melby/Koby 2013: 177). Daher ist die Begriffsunterscheidung zwischen einem Profi und einem Amateur nicht immer eindeutig und unterliegt unterschiedlichen Parametern. Eine mögliche Differenzierung zwischen einem Laienübersetzer und einem professionellen Übersetzer leitet sich aus der ökonomischen Art seiner Tätigkeit ab: Bestreitet er mit dem Übersetzen seinen Lebensunterhalt, könnte er als ein professioneller Übersetzer angesehen werden; alle anderen wären demnach Laienübersetzer. Unabhängig davon könnte zweitens die Ausbildung als Kriterium der Unterscheidung herangezogen werden: Mittlerweile hat sich die akademische Übersetzerausbildung weitgehend durchgesetzt und wurde in den Kanon universitärer Fächer integriert. Ein akademisch ausgebildeter Übersetzer grenzt sich damit durch seine spezifische Vorbereitung von anderen, nicht ausgebildeten Übersetzern ab. Damit zusammenhängend könnte drittens ein professioneller Übersetzer vom Laien durch sein spezifisches Kompetenzprofil unabhängig von ökonomischem Status oder Ausbildung unterschieden werden (Zou 2015). Wird das Übersetzen als ein selbstverständlicher Bestandteil der Sprachkompetenz gesehen, bedarf es dazu keinerlei Ausbildung: „Translation is not a learned skill, such as learning a foreign language in school, but, rather, it is a skill which is developed from a natural and existing base“ (Malakoff/Hakuta 1991: 144). Diese Auffassung wird von der Translationswissenschaft kritisch gesehen, zumindest aber durch eine Unterscheidung zwischen natürlichem Übersetzen und begründetem, rationalen Übersetzen relativiert. Pym (2003) stellt der angeborenen natürlichen Translationskompetenz eine professionelle Translationskompetenz gegenüber, indem er diese auf zwei funktionale Kompetenzen reduziert: – The ability to generate a series of more than one viable target text (TT 1 , TT2 … TTn) for a pertinent source text (ST); – The ability to select only one viable TT from this series, quickly and with justified confidence (Pym 2003: 489) 144 Peter Sandrini Ein professioneller Übersetzer ist imstande, mehrere mögliche zielsprachliche Varianten des Ausgangstextes zu generieren, und hat darüber hinaus die Fähigkeit, auf der Grundlage verschiedener Kriterien (Kontext, Auftragsspezifikation, Zielpublikum, etc.) aus diesen möglichen Varianten schnell, und vor allem auch begründet, die einzige im Einzelfall passende auszuwählen. Das unterscheidet ihn vom Amateurübersetzer, der meist intuitiv und ohne rationale Begründung übersetzt, und für den seine Sprachkompetenz die einzige Voraussetzung darstellt. Für die akademische Translationsausbildung kann eine noch so gute Sprachausbildung nicht im Mittelpunkt stehen – diese ist selbstverständlich und gehört zum Grundgerüst – sie ist aber allein nicht genug für eine professionelle Berufsausübung und muss durch das Vermitteln spezifischer Translationskompetenz sowie Zusatzkompetenzen ergänzt werden. Für einen Übersetzer, der sich erfolgreich durchsetzen und seinen Lebensunterhalt mit Übersetzen bestreiten will, liegt die Zukunft darin, die Prozesse der Mehrsprachigkeit, die Anforderungen der zahlenden Kunden (= Unternehmen) sowie die dafür notwendige Technologie zu kennen und umsetzen zu können. Dieses Know-How stellt seine Kernkompetenz dar und die Ausbildung muss sich darauf konzentrieren, solche Experten für das Umsetzen und Anwenden der Mehrsprachigkeit auszubilden. Damit steht nicht mehr das konkrete Übersetzen eines Textes im Mittelpunkt – Google Translate übernimmt das bereits kostenlos mit einer im Vergleich zu früheren Versuchen der Maschinenübersetzung erstaunlichen Qualität –, sondern das Planen und Durchführen des gesamten Übersetzungsprozesses, der Einsatz entsprechender Technologie, das Rekrutieren von Sprachdienstleistern sowie die Qualitätssicherung. Technologie spielt dabei eine wesentliche Rolle, denn wie ein Übersetzer sich bei der Bewältigung eines Übersetzungsauftrags verhält und welche Wege er zur Lösungsfindung bei Problemen einschlägt, hängt nicht nur von seiner ‘Kompetenz an sich’, sondern auch von seinen Arbeitsbedingungen, seinem Arbeitsumfeld und der Situation ab. Eine ‘Kompetenz an sich’ gibt es streng genommen auch gar nicht, denn unsere kognitiven Prozesse und damit auch unsere Kompetenz werden von unseren Arbeitsbedingungen und unserem Arbeitsumfeld mit determiniert (Göpferich 2008: 13). Damit übereinstimmend und mit Verweis auf neuere kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse betont auch Krüger (2016) die Bedeutung des Umfeldes, in dem Translationsleistungen abgerufen und durchgeführt werden, also des Ökosystems, in dem Translation eingebettet ist: Die translatorische Kompetenz ist also ebenso wie die Wissensrahmen des Übersetzers nicht in der Person isoliert, sondern befindet sich in permanenter Wechselwirkung mit den Umgebungsfaktoren des translatorischen Ökosystems. (Krüger 2016: 296). Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 145 Der Einsatz geeigneter Technologie und damit das Herstellen eines effizienten Arbeitsumfeldes bzw. des bestmöglichen translatorischen Ökosystems kann damit zu einem weiteren Unterscheidungskriterium zwischen Profis und Amateuren werden. Der Bereich der Amateure entspricht aber nicht unbedingt dem nicht kommerziellen Übersetzen, da viele ausgebildete Übersetzer auch freiwillige Übersetzungsleistungen erbringen. Bestes Beispiel dafür ist die Rekrutierung von professionellen Übersetzern und Laien durch NGO-Netzwerke wie beispielsweise Translators without Borders, The Rosetta Foundation u.a., die meist die Aufgabe des Projektmanagements und des Bereitstellens der nötigen technischen Infrastruktur übernehmen und dadurch eine professionelle Dienstleistung ermöglichen. Durch das Web als Plattform kann Übersetzungsarbeit global verteilt, die Übersetzer mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet und der gesamte Workflow strukturiert werden. Dadurch wird entsprechende Technologie auch den freiwilligen Übersetzern zur Verfügung gestellt und das gewerbsmäßige Übersetzen verschwimmt im Zuge der Digitalisierung zumindest in dieser Hinsicht zunehmend mit dem offenen und freien Übersetzen. 3. Aufgabenfelder und Kompetenzen Traditionellerweise zeichnet sich das amateurhafte Übersetzen meist durch das weitgehende Fehlen einschlägiger Kompetenzen der Translationstechnologie aus: Translation-Management-Systeme, Translation-Memory, Qualitätsüberprüfungstools, Lokalisierungstools, Maschinenübersetzung, Terminologiemanagement-Systeme oder Projektmanagementsoftware waren und sind meist dem professionellen Bereich vorbehalten. Vielfach können aus diesen Kompetenzen der Translationstechnologie zusätzliche Dienstleistungen erbracht werden: Die Übersetzungsdienstleistungsnormen Din EN 15038 und ISO 17100 sprechen von Mehrwertdienstleistungen bzw. „value added services“ und zählen u.a. auf: Lokalisierung, Internationalisierung, Globalisierung, Erstellen und Verwalten einer Terminologiedatenbank, Terminologiekonsistenzprüfung, Alignment für Translation-Memory, Pre- und Postediting, Untertitelung, Voice-Over, Transkription, Transliteration, DTP, Grafik- und Internetseitengestaltung, Berücksichtigung der nationalen Gesetzgebung, Adaptation, Rewriting bzw. Umschreiben, Aktualisierungen, Druckvorlagen, technische Redaktion, Sprach- und Kulturberatung, fachliche Prüfung und/oder Korrekturlesen fremder Übersetzungen, Rückübersetzung. Eine noch breitere Auflistung von zusätzlichen Dienstleistungen bietet Adams (2013), die zwischen linguistischer und nicht linguistischer Diversifikation der 146 Peter Sandrini angebotenen Dienstleistungen unterscheidet, wobei die linguistischen Zusatzdienstleistungen mehr oder weniger jenen der DIN EN- und der ISONorm entsprechen, die übrigen jedoch neue Businessstrategien, Einkommen aus neuen Produkten und spezielle Dienstleistungen für andere Übersetzer umfassen. Auch wenn durch Translationstechnologie neue Aufgabenbereiche entstehen, so haben ihre Entwicklungsschritte historisch gesehen dazu geführt, dass dem menschlichen Übersetzer einzelne Teilaufgaben von der Maschine abgenommen wurden. Positiv formuliert hat die Maschine den Menschen von monotonen Aufgaben und lästigen Arbeitsschritten befreit: Memorisierung von Fachterminologie durch Terminologiedatenbanken, Suchen und Auffinden von Äquivalenten in umfangreichen Textkorpora durch Terminologiextraktion, Suchen und Wiederverwenden von Wiederholungen durch TranslationMemory-Anwendungen, Rechtschreibprüfung, Durchsuchen von Paralleltexten, etc. All dies kann heute sehr einfach und mit geringerer Fehleranfälligkeit von der Maschine übernommen werden. Negativ formuliert hat die Maschine den Menschen in Teilbereichen ersetzt und für diese überflüssig gemacht. Durch das Fortschreiten der technischen Entwicklung wurden diese Bereiche bzw. von der Maschine übernommene Teilaspekte des Translationsprozesses immer mehr, so dass wir in diesem Zusammenhang von einem Translatoren-Obsoleszenz-Zyklus (von lat. Obsolescere‚ sich abnutzen, alt werden, aus der Mode kommen, an Ansehen, an Wert verlieren) sprechen können, der grafisch umgesetzt folgendermaßen dargestellt werden kann: Abbildung 2: der Translatoren-Obsoleszenz-Zyklus Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 147 Im spiralförmig sich verengenden Obsoleszenz-Zyklus kommt es immer wieder zu technologischen Veränderungen bzw. Entwicklungen, die dem Translator einzelne Aufgabenbereiche abnehmen und ihm dadurch die Arbeit erleichtern bzw. ihn für diesen Teilbereich ersetzen. Diesen Entwicklungen folgt zeitlich eine Entlastung bzw. eine Reduktion seiner Kompetenzen, dargestellt in der Grafik durch das Minuszeichen nach Translatoren: Translatoren -1 bedeutet demnach eine Kompetenz weniger, die von der Maschine übernommen wurde. So schreitet der Zyklus voran hin zu immer neuen Entwicklungen der Translationstechnologie, wobei natürlich auch ein paralleles Nebeneinander von Maschine und Mensch möglich wäre, was aber in der Grafik der Klarheit halber nicht ausgedrückt wurde. Im kommerziellen Bereich gewinnt jedoch durch den hohen Effizienzdruck längerfristig die Automatisierung das Übergewicht. Ein Verlust an Kompetenzen zieht auch einen Verlust an gesellschaftlicher Relevanz bzw. an Status nach sich. Dieser Obsoleszenz-Zyklus, der die negative oben erwähnte Formulierung aufgreift, basiert auf der Prämisse, dass der menschliche Übersetzer sich nicht weiter entwickelt und sich nur auf das reine Übersetzen beschränkt. Die damit vorgetragene These lautet: Sich zurückziehen auf das reine Übersetzen ohne nach links und nach rechts zu schauen bedeutet angesichts der translationstechnologischen Entwicklungen einen Verlust an Aufgaben verbunden mit einem Verlust an Bedeutung, Einkommen und Status. Zugrunde liegt aber ebenfalls die Annahme, dass der Translator niemals vollständig durch die Maschine abgelöst wird: Der Obsoleszenz-Zyklus dreht sich theoretisch immer weiter, wobei das reine Übersetzen immer mehr an Bedeutung verliert und in der Spirale unten zu einem kleinen schwarzen Fleck tendiert. Das Ansehen des Übersetzers im allgemeinen und die Sichtweise der Lokalisierungsindustrie auf das Übersetzen (LISA 2003) sowie die stattgefundenen Entwicklungsschritte unterstreichen diese Annahme: Der reine Übersetzer findet sich stets am Ende der Wertschöpfungskette und hat kaum Verdienstmöglichkeiten und damit einen geringen sozialen Status, während hingegen die Aufgaben in hoch spezialisierten Bereichen sowie im so genannten „Translation Support“ bzw. in der Konzeption und Planung des Einsatzes von Translationstechnologie zunehmen. Der Arbeitsmarkt wird sich zunehmend aufspalten in eine große Masse an freiberuflich tätigen Übersetzern, die von Projekt zu Projekt herangezogen werden und geringe Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten haben, und hochspezialisierten Mehrsprachigkeits- und Lokalisierungsmanagern mit besseren Jobchancen und weitaus höheren Einkommen. Das Einkommen von Übersetzern hängt zudem von Faktoren ab wie Mitgliedschaft in Berufsverbänden, Berufserfahrung, Gender-Unterschieden, zusätzlicher Ausbildung, dem 148 Peter Sandrini Anbieten von Dolmetschleistungen, den Sprachenkombinationen sowie dem Einsatz von Translationstechnologie (vgl. EC DGT 2012). Ein Ausbrechen aus dem Obsoleszenz-Zyklus und seinen fatalen Folgen ist nur möglich, wenn Translatoren sich die neuen Entwicklungen zu eigen machen und dadurch neue Aufgabenbereiche erschließen. Statt sich zurückzuziehen und auf das reine Übersetzen zu beschränken, können Translatoren den Bereich der Translationstechnologie offensiv angehen, sich an den Entwicklungen beteiligen, den Einsatz planen und organisieren, Benutzerberatung und -schulungen durchführen, etc., ohne das Feld Technikern oder Informatikern ohne Verständnis für das Übersetzen zu überlassen. Die Ausbildungsziele haben sich analog zu dieser Entwicklung auseinander entwickelt, wobei dem allgemeinen Übersetzer in der Praxis immer weniger Raum bleibt und Spezialisten spezifische Segmente des Marktes erfolgreich abdecken. Die Ausbildungsinhalte überschneiden sich dabei kaum noch: Weblokalisierung, Softwarelokalisierung, Terminologieplanung und -management, Untertitelung, Rechtsübersetzen, Lokalisierung von Videospielen, Fachübersetzen, Projektmanagement, mehrsprachige technische Dokumentation, literarisches Übersetzen, usw. verlangen alle nach spezifischen Kompetenzprofilen, die weder von einem hypothetischen allgemeinen Übersetzer noch von Fremdsprachenkorrespondenten abgedeckt werden können. Abbildung 3: Spezialisierung als Zukunftsträger Das Überwinden des Translatoren-Obsoleszenz-Zyklus wird somit erst durch das Aneignen zusätzlicher Kompetenzen bzw. Spezialisierungen und dem Anbieten von Mehrwertdienstleistungen möglich, dargestellt in dieser Abbildung Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 149 durch konzentrische Kreise rund um das reine Übersetzen herum, das hier nicht zunehmend verkleinert wird, da der durch neue translationstechnologische Entwicklungen bedingte Aufgabenverlust durch Spezialisierung und zusätzliche Dienstleistungen aufgehoben und im besten Fall sogar erweitert wird. Die Tendenz zur immer engeren Spezialisierung mit immer spezifischeren Kompetenzen hat für die Translation dazu geführt, dass das reine Übersetzen bzw. der innerste Kreis dieser Abbildung kaum mehr als eigenständige Dienstleistung existiert: Entweder dümpelt es am Ende der Wertschöpfungskette mit geringem Status und noch geringerem Einkommen vor sich hin – der Rückgriff vieler Übersetzungsagenturen auf unzählige nebenberufliche, oft nicht ausgebildete Übersetzer ist dafür typisch – oder das reine Übersetzen wird zum notwendigen Bestandteil umfassenderer Dienstleistungen und bleibt nur mehr als oftmals unwesentlicher – oder zumindest als unwesentlich angesehener – Teil anderer höher geachteter Dienstleistungen erhalten, z. B. eingebettet in die Web- oder Softwarelokalisierung, in Voice-Over, Untertitelung u.a. 4. Translationsmanagement Soll Translation als eine professionelle Aufgabe möglichst effizient durchgeführt werden, bedarf es des richtigen Umfeldes und einer zielführenden Planung, um auf die nötigen Ressourcen zugreifen zu können. Abgesehen von der individuellen Planung jedes Auftrages, bedarf es vor allem der Planung und Organisation der Translationstechnologie, oder anders ausgedrückt: Zur optimalen Gestaltung der Translation in einem spezifischen Umfeld, sei dies nun eine Organisation, ein Unternehmen, eine Institution oder gar eine mehrsprachige Region braucht es eine sinnvolle Translationspolitik, die zu einem wesentlichen Teil auch aus einer Translationstechnologiepolitik besteht. Sprachpolitik beinhaltet nach Spolsky (2009) drei wesentliche Bereiche: Vorstellungen und Ideologie, Planung und Management sowie gelebte Praxis. In diesem Sinne verstehen wir unter einer Translationspolitik den gesamten Bestand an Überzeugungen, Gewohnheiten, Richtlinien und Maßnahmen, die in einer spezifischen Gesellschaft zur Translation vorhanden sind. Der Begriff der Translationspolitik inkludiert damit nicht nur die Translationskultur im Sinne von Prunč ein Set von gesellschaftlich etablierten, gesteuerten oder steuerbaren Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen, Wertvorstellungen und habitualisierten Verhaltensmustern aller in der jeweiligen Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartner (Prunč 2007: 331), 150 Peter Sandrini sondern ebenso das konkrete Ausgestalten, Planen und Organisieren von Translation im gesellschaftlichen Rahmen. Damit kommen wir auf die eingangs erwähnte Unterscheidung zwischen Profis und Amateuren zurück und definieren professionelle Translation u.a. auch über eine dezidierte und längerfristig angelegte Translationspolitik, die einen möglichst effizienten Einsatz der Translationstechnologie gewährleistet. Dazu zählt beispielsweise ein breit angelegter Einsatz von TranslationsMemory-Systemen, eine geordnete Terminologiearbeit mit zugänglichen Terminologiedatenbanken, ein überlegter Einsatz von Maschinenübersetzung sowie das Speichern und Zugänglichmachen von Translationsdaten, um die oben erwähnten neuen effizienten Produktionsbedingungen der Translation 4.0 ermöglichen zu können. Zusammenfassung Neue Arbeitsbedingungen können für das Übersetzen analog zur allgemeinen Entwicklung der Industrie aufgrund der zunehmenden Digitalisierung und damit der wachsenden Bedeutung digitaler Daten festgestellt werden. Immer mehr bestimmt Technologie den Berufsalltag, wobei Translatoren nicht nur reine Anwender und Konsumenten entsprechender Technologieprodukte sein müssen, sondern sich auch in den Entwicklungsprozess und vor allem in die Planung und Organisation des Technologieeinsatzes einbringen können. Der Umgang mit immer neuer Technologie und den dazu gehörenden digitalen Daten wie Terminologieeinträge, TranslationMemory-Units, MÜ-Lexika u.a. bedürfen einer ständigen Wartung sowie eines überlegten Managements. Die dafür notwendigen neuen Kompetenzen führen zu einem veränderten Berufsbild, bedingen aber darüber hinaus ein lebenslanges Lernen und Anpassen der eigenen Ausbildung an die neuen Bedingungen. Diese Umwälzung, in diesem Aufsatz als Translation 4.0 bezeichnet, führen zu einer Perspektivenverschiebung sowohl was die Definition des Übersetzens und die Unterscheidung zwischen Profis und Amateuren betrifft als auch was die Aufgaben und die Ausbildung professioneller Übersetzer angeht. Eine solche Verschiebung des Fokus ist keineswegs fakultativ zu sehen, sondern stellt für die moderne Translation eine Notwendigkeit dar. Literatur Adams, Nicole Y. (2013): Diversification in the language industry: success beyond translation. Australia: NYA Communications. Diaz Fouces, Oscar (2011): ¿Merece la pena introducir el software libre en la formación de traductores profesionales?. In: de Vic, Universitat (ed.): Anais das XI Translation 4.0 – Eine Perspektivenverschiebung 151 Jornadas de Traducción y Lenguas Aplicadas - Congreso Internacional “Didáctica de las lenguas y la traducción en la enseñanza presencial y a distancia” CDROM Language and Translation Teaching in FacetoFace and Distance Learning (2011).. Facultat de Ciències Humanes, Traducció i Documentació de la Universitat de Vic. DIN EN 15038 (2006): Übersetzungs-Dienstleistungen: Dienstleistungsanforderungen; Deutsche Fassung. EC-DGT (2012): The status of the translation profession in the European Union. 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