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Rezension von: Wolf-Holzäpfel, Werner, Kirchen Raum Kunst

2023, Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

Mit der vorliegenden Publikation hat die Erzdiözese Freiburg rechtzeitig zu ihrem Jubiläum eine großzügig anmutende und umfassende Darstellung erhalten, die den Kirchenbau in seiner Gesamtheit betrifft, also Architektur und bildende Künste gleichermaßen behandelnd. Das Werk wird lange Zeit Referenzwerk bleiben. Die Erzdiözese Freiburg war aus mehreren Diözesen des alten deutschen Reichs entlang des Rheins gebildet worden, wobei das Bistum Konstanz flächenmäßig sicher den größten Anteil im neuen Territorium hatte. Die Verlegung des Bistumssitzes von Konstanz nach Freiburg war programmatisch, denn die neuen Schwerpunkte des 1806 gebildeten Großherzogtums lagen am Oberrhein, wo dem stark katholisch dominierten Süden um Freiburg der protestantisch geprägte Norden mit Karlsruhe und Mannheim/Heidelberg gegenüberlagen. Impulse für den Bau von Kirchen und ihre Ausstattung gingen in früherer Zeit meist von den Bischofssitzen oder wichtigen Klöstern aus, so blieb es im Wesentlichen auch im ersten Jahrhundert der Erzdiözese bis zum Ersten Weltkrieg, allerdings mit einer Besonderheit: das Freiburger Münster, die neue Bischofskirche, bekam seine überragende Bedeutung als Hauptwerk der Gotik eben im 19. Jahrhundert, als der Münsterturm in deutschen Kirchen, und nicht nur katholischen (!) als Kirchturm schlechthin wahrgenommen und nachgebaut wurde; auch die historistischen Kunstwerkstätten für Glasmalerei und Kunsthandwerk hatten ihr logisches Zentrum in Freiburg. Daneben bildete sich aber ein zweiter Schwerpunkt in Karlsruhe, der Metropole des Großherzogtums, der insgesamt vielleicht wichtigere Akzente setzte, weil sich hier die Architektenausbildung konzentrierte: Ohne Friedrich Weinbrenner und Heinrich Hübsch sind auch die katholischen Kirchen des Erzbistums nicht denkbar. So wurde die Bipolarität Badens auch für den katholischen Kirchenbau maßgeblich. Im zweiten Jahrhundert der Erzdiözese, also nach dem Ersten Weltkrieg, wirkten die historischen Vorgaben zwar noch fort, hatten sich aber die Determinanten für den Kirchenbau vollkommen geändert. Wirkkräfte waren im Katholizismus die Liturgische Bewegung; in der Architektur war das moderne Bauen, wie es sich zum Beispiel im Bauhaus artikulierte, weitgehend eine Baukunst, die auf Sakralbauten verzichtete. In der Kunst ging die christliche Kunst deutlich andere Wege als die zeitgleiche moderne Kunst. Der regionale Bezug wich mehr und mehr internationalen Strömungen. Nach dem Einschnitt, den die Zeit 1933 -45 bildete, setzte sich die Moderne verstärkt bis heute fort. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023) © Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Württembergischer Geschichts-und Altertumsverein e.V.

Archäologie, Bau- und Kunstgeschichte 431 Methodisch zeigt Hersches Zugriff, welche weiterführenden Forschungsmöglichkeiten eine umfassende, auch auf archivalischen Forschungen beruhende Kunstdenkmälerinventarisation bietet. Das Hauptproblem einer systematischen Erforschung des Kirchenbaus in der Barockzeit (und später) ist nicht die bloße Anzahl der Kirchenbauten, sondern die Zugänglichkeit der lokalen Kirchenarchive. Mittlerweile sind in manchen katholischen Diözesen, wie beispielsweise Würzburg, zahlreiche Pfarrarchive im Diözesanarchiv zentral zusammengeführt und erschlossen worden, was im Sinne der ausgesprochen anregenden Untersuchung von Peter Hersche ganz neue Forschungsperspektiven eröffnet. Enno Bünz Werner Wolf-Holzäpfel, Kirchen Raum Kunst – Sakrale Architektur und Kunst im Erzbistum Freiburg 1821 – 2021. Regensburg: Schnell & Steiner 2021. 312 S., 344 Abb. ISBN 978-3-7954-3661-2. Geb. € 40,– Mit der vorliegenden Publikation hat die Erzdiözese Freiburg rechtzeitig zu ihrem Jubiläum eine großzügig anmutende und umfassende Darstellung erhalten, die den Kirchenbau in seiner Gesamtheit betrifft, also Architektur und bildende Künste gleichermaßen behandelnd. Das Werk wird lange Zeit Referenzwerk bleiben. Die Erzdiözese Freiburg war aus mehreren Diözesen des alten deutschen Reichs entlang des Rheins gebildet worden, wobei das Bistum Konstanz flächenmäßig sicher den größten Anteil im neuen Territorium hatte. Die Verlegung des Bistumssitzes von Konstanz nach Freiburg war programmatisch, denn die neuen Schwerpunkte des 1806 gebildeten Großherzogtums lagen am Oberrhein, wo dem stark katholisch dominierten Süden um Freiburg der protestantisch geprägte Norden mit Karlsruhe und Mannheim/Heidelberg gegenüberlagen. Impulse für den Bau von Kirchen und ihre Ausstattung gingen in früherer Zeit meist von den Bischofssitzen oder wichtigen Klöstern aus, so blieb es im Wesentlichen auch im ersten Jahrhundert der Erzdiözese bis zum Ersten Weltkrieg, allerdings mit einer Besonderheit: das Freiburger Münster, die neue Bischofskirche, bekam seine überragende Bedeutung als Hauptwerk der Gotik eben im 19. Jahrhundert, als der Münsterturm in deutschen Kirchen, und nicht nur katholischen (!) als Kirchturm schlechthin wahrgenommen und nachgebaut wurde; auch die historistischen Kunstwerkstätten für Glasmalerei und Kunsthandwerk hatten ihr logisches Zentrum in Freiburg. Daneben bildete sich aber ein zweiter Schwerpunkt in Karlsruhe, der Metropole des Großherzogtums, der insgesamt vielleicht wichtigere Akzente setzte, weil sich hier die Architektenausbildung konzentrierte: Ohne Friedrich Weinbrenner und Heinrich Hübsch sind auch die katholischen Kirchen des Erzbistums nicht denkbar. So wurde die Bipolarität Badens auch für den katholischen Kirchenbau maßgeblich. Im zweiten Jahrhundert der Erzdiözese, also nach dem Ersten Weltkrieg, wirkten die historischen Vorgaben zwar noch fort, hatten sich aber die Determinanten für den Kirchenbau vollkommen geändert. Wirkkräfte waren im Katholizismus die Liturgische Bewegung; in der Architektur war das moderne Bauen, wie es sich zum Beispiel im Bauhaus artikulierte, weitgehend eine Baukunst, die auf Sakralbauten verzichtete. In der Kunst ging die christliche Kunst deutlich andere Wege als die zeitgleiche moderne Kunst. Der regionale Bezug wich mehr und mehr internationalen Strömungen. Nach dem Einschnitt, den die Zeit 1933 – 45 bildete, setzte sich die Moderne verstärkt bis heute fort. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023) © Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein e.V. ISSN 0044-3786 (Print) und 2749-1277 (Online) 432 Buchbesprechungen Im Unterschied zum Buchtitel müsste die Publikation vielleicht besser als das Werk von zwei Autoren bezeichnet werden; die Fotografien sind nämlich einer eigenen Erwähnung und Würdigung wert. Der Autor des Textes, Werner Wolf-Holzäpfel, hätte für den Inhalt kaum besser gewählt sein können. Als Leiter des Erzbischöflichen Bauamtes Heidelberg hat er seit 1987 den Kirchenbau in Nordbaden maßgeblich mitbestimmt. Über seine Funktion als Architekt hinaus ist er als Architekturhistoriker ausgewiesen; seine Arbeit über St. Bernhard in Karlsruhe, ein Hauptwerk des badischen Kirchenbaus, und den Architekten Max Meckel (1847 – 1910) setzte Maßstäbe. Sein Text geht zu großen Teilen auf eine ältere Darstellung desselben Themas von 2008 zurück, wurde aber für den neuen Band aktualisiert und erweitert. Für die Leserschaft besonders wichtig ist, dass Literatur nach wie vor mit Details und nicht nur summarisch wiedergegeben wird. Der Fotografin Dorothea Burkhardt, heute in Walldorf ansässig, kommt das Verdienst der ausgezeichneten Bebilderung zu. Großformatige Aufnahmen, ins rechte Licht gerückt, in gutem Sichtwinkel: alle Bilder wirken wie selbstverständlich, doch jede Person, die nicht nur knipst, sondern selbst Fotos macht, weiß um die Größe der Aufgabe. Sie fertigte ihre Aufnahmen eigens für diesen Band, der auch dadurch sehr einheitlich wirkt. Die einheitliche Bebilderung forderte auch Verzicht, nämlich auf die Darstellung früherer, inzwischen verlorener Zustände. St. Stephan in Karlsruhe wird eben als Bau des 20. bzw. sogar 21. Jahrhunderts gezeigt und kaum als Hauptbau Weinbrenners aus der Gründungszeit des Erzbistums. So ergeht es praktisch allen älteren Bauten. Um diese in ihrem alten Aussehen und ihrer ursprünglichen Bedeutung kennenzulernen, ist dann doch der Einstieg in die ältere Literatur notwendig. Der Bildteil setzt die vielen, vielfach großartigen Kirchenbauten ins Licht, zu Recht. Denn die Erzdiözese hat einige hochrangige Kirchenbauten aufzuweisen, die in ihrer Region oder sogar überregional von großer Bedeutung sind. Wenn die Kirchenbauten in ihrem heutigen Aussehen bildlich dokumentiert werden, bedeutet das, dass sie nach den vielfältigen Umbaumaßnahmen der letzten 50 Jahre gezeigt werden, dass also schon viele Umbrüche im Kirchenbau dargestellt werden, und zwar in liturgischer, in künstlerischer und bauorganisatorischer Hinsicht. Der Umbau in liturgischer Hinsicht betrifft zum einen die weithin bekannte Liturgiereform, die sich in der Stellung des Altars im Kirchenraum manifestiert (der Altar rückt zur Gemeinde hin), zum anderen aber auch die veränderte Aufstellung des Taufbeckens (nicht mehr im Eingangsbereich, sondern meist „in der Mitte der Gemeinde“) oder das Verschwinden der Beichtstühle, die entweder ersatzlos gestrichen oder durch Gesprächsräume ersetzt wurden. Auch der teilweise sehr großzügige Abbau der Kirchenbänke ist hier zu erwähnen. Die Sprache der Kunst änderte sich radikal; neue Kunstwerke (dazu gehört auch die Gestaltung der liturgischen Ausstattungsstücke) nehmen weniger Bezug auf die vorhandene Ausstattung, sondern setzen sich oft in brutalen Gegensatz zu ihr. Schließlich ist die Bauorganisation zu nennen. Während früher, vereinfachend gesagt, Kirchenbauten von den Bauämtern für die Nutzung durch die Gemeinden errichtet wurden, werden in jüngerer Zeit die Kirchenbauten oder Umbauten in enger Abstimmung mit den Gemeinden projektiert; ausgiebige Beratungsgespräche und Diskussionsrunden binden die Kirchgemeinden früh in den Entwurfsprozess ein und führen zu neuen Lösungen. Dabei geht die Initiative auch immer wieder von den Kräften vor Ort aus. Die Kirche in Kehl-Goldscheuer zum Beispiel war bereits zum Abriss vorgesehen und wurde durch örtliche Initiativen gerettet und mit Graffitikunst neu ausgestaltet, so dass die Kirche eine neue Attraktivität gewonnen Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023) © Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein e.V. ISSN 0044-3786 (Print) und 2749-1277 (Online) Archäologie, Bau- und Kunstgeschichte 433 hat. Dieser hier angedeutete Prozess ist mithin umfangreicher und radikaler als die eher langatmige Entwicklung der Jahrzehnte zuvor. Jeder Leserin, jedem Leser ist heutzutage allerdings auch die aktuelle Lage der Kirche und des Kirchenbaus in Deutschland bewusst, genauer der „großen“ Kirchen. Gemeint sind damit immer die katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen, ob sie nun wie früher „Amtskirchen“ oder „Volkskirchen“ genannt werden oder als „große Kirchen“ heutzutage, wenn ihr Anteil an der Bevölkerung nur noch ungefähr 50 % ausmacht. Die Bilder in dieser Publikation gehen darüber hinweg, so scheint es. Aber in dem Band findet sich auch dazu vieles. In den letzten Kapiteln (S. 223 – 270: Neuere Entwicklungen …; S. 271 – 298: Sakrale Architektur und Kunst in den ersten Jahrzehnten des 21. Jh.s) geht Wolf-Holzäpfel auch darauf ein. Für ihn beginnt die Krise des Kirchenbaus bereits 1968, als viele moderne Entwicklungen – wie Ökumenische Zentren – noch gar nicht gebaut waren. Ursachen und Auswirkungen werden klar benannt. Auch die Transformation sakraler Räume wird behandelt, wenn auch dieses Thema in Südwestdeutschland noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in anderen Regionen Deutschlands oder Europas. Das Thema der Transformation, das sowohl in der Erzdiözese Freiburg als auch in der badischen Landeskirche für den Zeitraum 2020/30 angekündigt ist, wird nicht nur die Sakrallandschaft, sondern auch den Städtebau und damit das Aussehen des ganzen Landes in naher Zukunft beschäftigen. Auch in dieser Beziehung ist diese Bestandsaufnahme von größtem Wert. Jürgen Krüger Gotteszelt und Großskulptur. Kirchenbau der Nachkriegsmoderne in Baden-Württemberg (Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege, Arbeitsheft 38). Ostfildern: Thorbecke 2019. 248 S., 459 Abb. Brosch. € 30,– Um es vorweg zu sagen: Es ist ein in mehrfacher Hinsicht bedeutendes Thema, dessen diese Publikation des Landesamts für Denkmalpflege des Regierungspräsidiums Stuttgart sich annimmt. Auf keinem Feld, in keiner Aufgabenstellung konnte die Architektur in der Kulturgeschichte sich so dezidiert entfalten und als eigene Kunstgattung zur Geltung bringen wie im Sakralbau: im Bau von Tempeln, Kathedralen, Moscheen, Kirchen. Für die Architektur als Kunstgattung eröffneten gerade die modernen materiellen und technischen Mittel des Bauens mit Stahl und Beton – Sichtbeton als ästhetisches Moment im inneren und äußeren Erscheinungsbild von Bauten – zuvor ungeahnte Möglichkeiten. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Entmaterialisierung der Wände, sie als reine Flächen aus Glas und damit aus Farbe und Licht bieten zu können. In den Berliner Vorlesungen von G.W.F. Hegel war die Architektur in seiner Einteilung der Künste die „Symbolische Kunstform“ schlechthin. Die Entwicklung der modernen Möglichkeiten des formbaren Betons auf der einen Seite und die tiefe Verankerung der Deutung des Kirchenbaus in der Symbolsprache der Heiligen Schrift, wo von Christus als Eckstein und Grundstein die Rede ist, von den Aposteln und Glaubenden als „lebendigen Steinen“ oder vom „Zelt Gottes unter den Menschen“, wurden nun seit 1950er Jahren konsequent und expressiv in die Außen- und Innengestalt sakraler Bauwerke umgesetzt, wodurch gerade im christlichen Sakralbau der Spätmoderne Architektur als symbolische Kunstform, als Bedeutungsträger zur Wirkung und Wirklichkeit kommt. Eine Hochkonjunktur gerade des Kirchenbaus in Deutschland brachte die Ära nach dem Ende des verheerenden 2. Weltkriegs, in den Jahrzehnten nach 1950. In dieser historischen Phase der jüngeren Geschichte wurden allein in Baden-Württemberg mit den beiden katho- Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023) © Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein e.V. ISSN 0044-3786 (Print) und 2749-1277 (Online)