ANDRES FURGER
KUTSCHENZEICHNUNGEN
DES FRÜHEN 19. JAHRHUNDERTS
ANDRES FURGER
KUTSCHENZEICHNUNGEN
DES
FRÜHEN 19. JAHRHUNDERTS
INHALT
Einleitung
Im Folgenden wird ein Konvolut von bisher unveröffentlichten Handzeichnungen mit
Schwergewicht der Zeit um 1830 vorgelegt, die in Basler Wagenbaufirmen im Laufe
der Zeit zusammen gekommen sind.
Einleitung
Gruppe 1: Kolorierte Handzeichnungen aus Basel
(Kauffmann?)
Gruppe 2: Album von Weishaupt in München
Gruppe 3: Handzeichnungen aus Deutschland und der
Schweiz
Gruppe 4: Handkopierte Drucke
Gruppe 5: Verschiedene Lithographien und Drucke
Literatur
Zusammenfassung
Fassung vom 5. Mai 2015
Im 19. Jahrhundert legten sich Wagenbauer Serien von meist im Massstab 1:24 ausgeführten, selbst angefertigten oder eingekauften Vorlageblättern zu. Solche Blätter dienten - oft in handkolorierter Ausführung und - einerseits als Vorlage für Kunden von
Neufahrzeugen und andererseits als Grundlage für die genaueren Baupläne einer neu
anzufertigenden Kutsche im grösseren Massstab (1:12 oder 1:10) und schliesslich im
1:1 angelegten Bauplan.
Die folgenden Dokumente können auf fünf Gruppen aufgeteilt werden und decken
den Zeitraum zwischen 1810 und 1860 ab, als das Kutschenfahren und in der Folge
der Bedarf an neuen Wagen erheblich zunahm.
Diese Arbeit setzt den Artikel von 2014 „Kutschenbau in Basel im frühen 19. Jahrhundert - Die Zeichnungen von Samuel Fininger“ fort. Nachdem dort mit Zeichnungen
des Baslers Fininger 2014 bereits erste Dokumente des frühen 19. Jahrhunderts vorgestellt werden konnten, folgt hier mit Gruppe 1 eine zweite Zeichnungsfolge, die in dieser Stadt oder in ihrer nächsten Umgebung um oder kurz nach 1830 entstanden ist.
Die darin enthaltenen Kutschenzeichnungen zeigen deutliche Verwandtschaften mit
Modellen in einem bisher unbekannten, eines in grösseren Teilen erhaltenen Albums
des Münchner Lithographen Weishaupt von zeitgleichen Wagentypen (Gruppe 2). Dazu kommen zwei Originalzeichnungen aus Gruppe 3 des deutschen Wagenfabrikanten
Clemens Reifert (Abb. 24 und 25). Im Alter von 23 Jahren war derselbe 1830 in die
väterliche Fabrik in Bockenheim bei Frankfurt eingetreten, nachdem er sich in Paris
und London weiter ausgebildet hatte.
Ein ähnlicher Werdegang mit Zusatzausbildungen in einer grossen Stadt ist auch für
die Urheber der Blätter der Gruppen 1 und 2 anzunehmen. Es ist naheliegend, die
Zeichnungen der Gruppe 1 dem führenden Carrossier der Basler Region der Zeit um
1830 zuzuschreiben, (François) Joseph Kauffmann, dem Begründer der gleichnamigen
Wagenfabrik im elsässischen Saint-Louis. Derselbe wurde 1800 als französischer Staatsbürger geboren und war ein wohl in Paris ausgebildeter Sellier-Carrossier, der 1830
seinen eigenen Betrieb vor den Toren Basels begründete, dann in die nahe Stadt verlegte und 1864 verstarb (vgl. Furger 2014a). Dessen Firma bestand bis 1960; Restbe-
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Gruppe 1: Kolorierte Handzeichnungen aus Basel (Kauffmann?)
stände von Kutschenteilen und wohl auch Archivalien dieser Carrosserie gingen an die Wagnerei Kölz, in der das Konvolut der Gruppe 1 gefunden wurde
(vgl. Furger 2014c).
Gruppe 1 besteht aus vierzehn Kartons mit technisch sehr ähnlichen, in Tusche ausgeführten Zeichnungen, die kunstvoll koloriert sind und auf denen Zirkeleinstiche und Bleistift-Vorzeichnungen zu sehen sind. Elf davon (Abb. 1 bis
11) wurden auf identischem Papier mit Wasserzeichen (... R. SCH ... IN BASEL ...) ausgeführt, das nach der Bestimmung durch Martin Kluge vom Museum Papiermühle in Basel aus Augst bei Basel stammt und zwar aus der dort
zwischen 1820 und 1840 durch Johann Jakob de Rudolf Schmid betriebenen
Papiermühle. Drei weitere Zeichnungsblätter (Abb. 12 bis 14) wurden auf dünnerem, ehemals gefaltetem Papier ausgeführt. Alle Zeichnungen sind nicht datiert und nicht signiert; Anlass genug, in „kriminalistischer“ Manier mehr über
die Hintergründe derselben zu erfahren.
Junge Wagenbauer gingen im 19. Jahrhundert üblicherweise nach der Berufslehre auf Wanderschaft und erlernten auf ihren verschiedenen Stationen nicht
nur die neuesten Techniken des Wagenbaus, sondern vor allem auch das Zeichnen von neuen Wagenmodellen mit genauen Plänen. Zur Ausbildung eines angehenden Wagenfabrikanten gehörte das Entwerfen und Reinzeichnen von Wagenmodellen der neuesten Mode. Übliche Ausbildungsstätten auf der Wanderschaft waren Carrosserien zunächst im eigenen Land, dann auch in Ländern
wie Deutschland und vor allem in Frankreich. Aus diesen Ländern, vor allem
aus Paris, stammen denn auch einige Vorlagen zu den folgenden Blättern, die
meist im Massstab 1:24 ausgeführt wurden.
Die Datierung der Zeichnungen kann aufgrund der abgebildeten Modelle, die
am Übergang von der C-Federung zur Druckfederung stehen, in die Zeitspanne um 1830/40 gesetzt werden. Genauere Anhaltspunkte liefern der Stil der
abgebildeten Wagenkästen im Vergleich zu datierten Bildserien, wie diejenige
von Joseph Dinkel aus dem Jahre 1837. Unsere Modelle sind etwas älter und
gehören in den Rahmen der von Bickes 1829 publizierten Modelle. Demnach
ist eine Datierung um oder kurz nach 1830 anzunehmen.
Auf die Zeichnungen von Kauffmann (?), die Lithographien von Weishaupt
und die Blätter von Reifert schliessen im Folgenden weniger geschlossene Zeichnungsserien aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich an, die in den Zeitraum zwischen circa 1810 und 1850 datiert werden können. Den Abschluss
bilden Drucke aus bereits bekannten Blattserien, wie solche von Guillon, sowie
nicht genau zuweisbare Blätter.
Die feine, geübte Ausführung der Zeichnungen und das Spektrum der abgebildeten Modelle, vor allem Stadt- und Reisewagen gehobenen Niveaus, aber ohne Galawagen und fürstliche Modelle, spricht für eine grössere Wagenbaufirma. Dafür kommt für den Raum Basel für die Zeit um 1830, wie erwähnt, die
neu gegründete Carrosserie Kauffmann in Frage, mit Abstand die damals renommierteste Firma im Raume Basel.
Im Wagen-Atlas von 2004 wurde in Anhang 2 eine Übersicht der bekannteren
Wagen-Entwerfer gegeben, wie sie hier auch vertreten sind (vgl. Furger 2014).
Die abgebildeten Modelle stehen am Übergang von den für den Beginn des
19. Jahrhunderts typischen schlichten Modelle „à l‘anglaise“ mit schiffsförmigem Kasten zu solchen mit Kastenformen in der Art der Pritschkas mit Einzügen vorne und hinten (so genannte Carrickform) oder nur einem Einzug vorne
oder hinten. Das Modellspektrum passt damit bestens zu der Modellpalette,
wie es schon in der Basler Zeichnungsserie von Fininger anzutreffen war. Jene
Zeichnungen zeigen allerdings eine deutlich andere „Handschrift“.
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Wagenmodelle, wie sie die vier ersten Modelle zeigen, gehörten zum Grundbestand des Fuhrparks eines wohlhabenden, in einer Stadt wohnenden Patriziers:
eine Berline für den Winter und eine Kalesche für die bessere Jahreszeit, entweder in zwei- oder einspänniger Ausführung.
schlicht gestaltete Wagen, einen Stil, den man in Frankreich auch „à l‘anglaise“
nannte. Dazu gehörten vor allem Modelle mit Wagenkasten in Schiffsform;
auch das Modell der Pritschka kam aus England, wie die Legende zu Abbildung 18 („englischer Reisewagen“) belegt.
Solche Stadtwagen, die auch für kürzere Reisen eingesetzt werden konnten,
wurden in der Zeit um 1830 noch mehrheitlich in C-Federn aufgehängt. Vor
allem Reisewagen begann man damals indessen schon mit der robusteren
Druckfederung zu bauen (vgl. Abb. 11 und 12). Fast alle Wagen zeigen im Radzentrum Vierkantmuttern, waren also noch nicht mit Patentachsen ausgerüstet. Nur die beiden leichten Wagen Abbildung 11 und 13 dürften schon Patentachsen aufgewiesen haben.
Weil bislang keine Entwurfserien der Zeit um 1830 aus Paris oder London systematisch publiziert sind, ist eine Rückführung der Zeichnungen auf eine bestimmte Vorlageserie oder einen Zeichner der Blätter aus Gruppe 1 noch nicht
möglich. Dafür kommt - neben dem Pariser Baslez - vor allem ein Entwerfer
namens Gunn in Frage, wohl ein Engländer (vielleicht Sohn eines Londoner
Coachbuilders), der in Paris an der Rue de la Madeleine 51 tätig war. Von ihm
sind kolorierte Kartons ebenso bekannt wie spätere Drucke (von Huguet).
Gunn ist schriftlich in Zusammenhang mit Drucken von Kutschen ab 1837 in
Paris fassbar. Von ihm stammt die folgende gekonnt ausgeführte und handkolorierte Federzeichnung (mit Aufleger wie Abb. 7), einer achtfach gefederten
Pritschka (Britschka), die in der Darstellungsart den folgenden Bildern nahe
kommt. Solche Zeichnungen kommen als Vorbilder für die Gruppe 1 in Frage.
Als Zubehör sind bei den dargestellten Wagen Laternen und hinten angebrachte Koffer auszumachen. Interessanterweise fehlen Lakaibrücken ganz (vgl.
Abb. 32); in reformierten Städten wie Basel gab es noch im frühen 19. Jahrhundert Luxus-Restriktionen, die hinten stehend mitfahrende Diener in reichen
Livreen untersagten. Dienersitze hingegen waren erlaubt, solche sind denn
auch belegt und vor allem hintere Aufstiegstritte, so dass anstelle der Gepäckkiste auch ein Dienersitz montiert werden konnte.
Wie im Album von Weishaupt (Gruppe 2) gibt es auch in Gruppe 1 ähnliche
Modelle in verschiedener Ausführung, entweder als schwererer Zweispänneroder als leichterer Einspännerwagen. Letztere wurden meist von innen von der
Herrschaft selbst gefahren und wiesen deshalb keinen Kutschbock auf.
Die Serie der noblen Stadtwagen wird ergänzt durch verschiedene Varianten
von Reisewagen und einem ländlichen Modell, dem Berner Wagen, sowie einem einfachen Schlitten (vgl. Abb. 13 und 14).
Das Modellspektrum der Gruppe1 ist demjenigen im Album Weishaupt (Gruppe 2) sehr ähnlich. Die Übereinstimmungen gehen bis in Details, wie etwa bei
der eigenartigen Darstellungsart der Klappen unter dem Kutschersitz, der
Form der Laternen oder der nicht allgemein üblichen Art der Trommel, auch
Haarbeutel oder Tambour genannt (im Profil nicht gerundet, sondern leicht
eckig). Wer hat hier wem abgekupfert? Oder gab es gemeinsame Vorbilder?
Letzteres ist wohl am ehesten anzunehmen. In erster Linie kommen Vorlagen
aus London oder Paris in Frage. Englische Coachbuilder und Entwerfer waren
um 1830 im Wagendesign noch vor Frankreich führend. Sie bevorzugten
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Abb. 1
Berline in C-Federn der Zeit um 1830. Der tiefe Kasten mit engen Rundungen, wie bei den beiden folgenden Abbildungen, weist hinten eine Trommel
(Staufach) auf. Seitlich sind neben dem Fenster Scheinsturmstangen angebracht. (Ein Landauer ist wohl auszuschliessen, sonst wären die beiden Verdecke ähnlich wie beim Halbverdeck der folgenden Abbildung koloriert worden.)
Der zweispännig gefahrene Wagen (Docken ersichtlich) weist vorne einen mitschwebenden Bock und hinten eine Gepäckkiste auf. Anstelle der Gepäckkiste
konnte ein Dienersitz montiert werden, wie die hinteren Aufstiegstritte und die
Halteriemen am Berlinenaufbau zeigen (vgl. Abb. 10). Unter der Türe ist ein
Ausklapptritt angeschlagen, am leicht geschweiften Langbaum ein Haken für
einen Radschuh angeschraubt. Der noble Stadtwagen ist mit Laternen ausgerüstet. Das Modell passt gut in die Zeit um 1830 und folgt Modellen, wie sie
Ackermann und Ginzrot schon um 1820 publiziert hatten. Das Papier zeigt
das angeschnittene Wasserzeichen „iMP.“ in ähnlichen Lettern wie das der Abbildungen 3 und 4. Wie bei allen Zeichnungen der Gruppe 1 sind die kolorierten Paneelflächen mit Eiweiss „lackiert“.
Abb. 2
Viersitzige, zweispännige Kalesche mit Kasten in Schiffsform. Das Modell ist
fast identisch mit der Berline von Abb. 1, weist aber einen offenen Kasten mit
Halbverdeck auf. Der noble Wagen zeigt bis zu den Beschlägen (Türgriff) eine
ähnliche Disposition wie die Berline. Das Gestell mit C-Federn weist einen
leicht geschweiften Langbaum auf. Die Galerien des Bocksitzes und der vorderen Sitzbank sind mit Leder umwickelt. Die seitlichen Galerien der vorderen
Sitzbank konnten offenbar wie die Rückenlehne umgelegt werden, so dass die
letztere einen Deckel bildeten. Die aussen daran fixierte Lederrolle konnten zu
einem Fusssack ausgerollt werden. Das Papier zeigt das angeschnittene Wasserzeichen „ii dl R.SC....“ in ähnlichen Lettern wie das von Abb. 4. Im Album
von Weishaupt ist eine sehr ähnliche Kalesche samt Bespannung abgebildet
(vgl. Abb. 15).
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Abb. 3
Abb. 4
Ähnliche Kalesche wie Abb. 2, aber ohne Bocksitz und vordere Sitzbank. Nach
der leichteren Bauweise und den fehlenden Docken (aber Waagscheit im
Schnitt dargestellt) handelt es sich hier um ein Einspännerfahrzeug (vgl. Abb.
16 und 17. Die Laternen sind hier seitlich am Kasten und die Schwangriemen
zwischen Kasten und Langbaum weiter hinten montiert. Das angeschnittene
Wasserzeichen in ähnlichen Lettern wie das von Blatt Abb. 2 lautet hier „... iN
BASEL“. Das abgebildete Modell weist Ähnlichkeiten mit einer Zeichnung
von Finiger auf (vgl. Furger 2014b, Abb. 33).
Leicht gebaute, einspännige Kalesche mit Einzug im hinteren Kastenbereich.
Das Gestell weist einen geraden Langbaum auf. Am Kasten ist hinten ein Gepäckbrett montiert. Das Seitenpaneel zeigt die Initiale A mit Krone darüber.
Die Zeichnung ist mit einem Massstab versehen; meist wurde unter Wagenbauern als Mass der Pariser Fuss (franz. pied du roi = 32, 48 cm) verwendet. Das
für die Zeichnung verwendete Papier zeigt das angeschnittene Wasserzeichen
„ii dl R.SC....“ für Rudolf Schmid (vgl. S. 3).
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Abb. 6
Einspännige Kalesche mit Einzug im vorderen Kastenbereich. Das Halbverdeck weist einen Vorfall auf, ein Fusssack schützt die beiden Insassen zusätzlich. Hinten ist ein Koffer angebracht. Der Wagen ist dunkelblau bemalt mit
hellblauer Linierung. Zum Modell gibt es Parallelen bei Fininger (vgl. Furger
2014b, Abb. 42). Ein sehr ähnliches Modell, aber ohne vorderen Einzug im vorderen Kastenbereich findet sich im Album Weishaupt (vgl. Abb. 16). Das für
die Zeichnung verwendete Papier zeigt das angeschnittene Wasserzeichen „...
iN BASEL“, identisch mit dem Blatt von Abb. 3.
Abb. 5
Kalesche ähnlicher Art wie Abb. 4, aber für zweispänniges Fahren eingerichtet
und mit Laternen versehen. Die Kolorierung des Kastens und des Gestells ist
hier dunkelblau ausgeführt, die Ausstaffierung hellblau. Das Seitenpaneel zeigt
ein Wappen und ein darüber gesetztes Einhorn-Protomen. Möglicherweise
wurde dieses Modell für einen speziellen Kunden entworfen und dessen Wappenfarben übernommen, wie dies allgemein üblich war.
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Abb. 8
Leichte Pritschka ohne Bock. Der Wagen ist ähnlich wie der der vorangehenden Abbildung konzipiert, mit Fusssack und Fenster im Halbverdeck. Das Fahrzeug ist aber reicher bemalt, und weist eine goldene Linierung. auf Das Modell
ist sehr ähnlich der Abb. 16 aus dem Album Weishaupt.
Abb. 7
Kalesche mit vorderem Einzug ähnlich Abb. 6, aber etwas schwerer gebaut
und für zweispänniges Fahren eingerichtet. Zur Ausrüstung gehören ein
Kutschbock, eine Gepäckkiste sowie ein abnehmbares Vorderverdeck (illustriert durch einen hochklappbaren Aufleger). Solche Kaleschen nannte man
französisch auch Wourch oder deutsch Wurst. Das Vorderverdeck wurde üblicherweise im Winter montiert. Sonst schützte ein Fusssack und ein hochklappbares Fenster die Insassen vor der Witterung. Das Papier zeigt das Wasserzeichen „IMP.“
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Abb. 9
Abb. 10
Zweispännige Pritschka mit Bock. Der Kasten ist schwarz bemalt, die Ausstaffierung in Blau gehalten. Wie beim Wagen Abb. 2 kann die Rückenlehne der
vorderen Sitzbank abgelegt werden. Der Wagen weist hinten Aufstiegstritte
auf. Zur Ausrüstung gehören Laternen und ein Radschuhhaken am Langbaum. Das Modell zeigt Verwandtschaften mit einem Modell von Finiger (vgl.
Furger 2014b, Abb. 44).
Pritschka mit Kutschbock und Dienersitz als Reisewagen. Hier ist der Kasten
bis unter den Bock gezogen um grössere Staumöglichkeiten zu schaffen. Hinten ist ein Dienersitz fest angebaut. Das Luxusmodell ist bereits mit Druckfedern ausgestattet. Die Tür ziert ein Emblem in Form eines Greifen. Das Modell ist dem Reisewagen von Abbildung 18 ähnlich.
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Abb. 11
Abb. 12
Leichter Reisewagen. Der geräumige Kasten mit integriertem Staufach hinten
ist auf querliegenden Druckfedern vorne und Längsfedern hinten gelagert und
weist einen geraden Langbaum auf. Eine Besonderheit ist die Bemalung der
Paneele mit einem modischen Karomuster. Hier scheinen bereits Patentachsen
mit runden Kapseln vorzuliegen.
Kleiner Reisewagen ähnlich Abbildung 11. Der geräumige Kasten ist auf
Querfedern und einem Gestell mit geradem Langbaum aufgebaut. Wie beim
vorangehenden Modell kann die Rückenlehne der vorderen Bank als Deckel
abgelegt werden. Die eingerollte Lederdecke kann zu einem Fusssack ausgerollt werden. Solche Selbstfahrer dienten vor allem Handelsreisenden als bequemes Reisefahrzeug, in dem Musterkollektionen mitgeführt werden konnten.
Die Zeichnung wurde wie die beiden folgenden Vorlageblätter auf dünnerem,
ehemals gefaltetem Papier ausgeführt.
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Abb. 14
Abb. 13
Schlitten mit Schwanenkopf. Das einfache Modell mit zwei Plätzen und abklappbarem Kindersitz ist dunkel bemalt und mit Goldlinierung versehen.
Schweizer- oder Bernerwagen (vgl. Abb. 22). Dieses typische Kombinationsfahrzeug mit auf der mit Korbgeflecht versehenen Unterkasten gesetzter Bank
für zwei Personen und kleiner Ladebrücke hinten für Sachentransport repräsentiert einen typischen ländlichen Wagen, wie er in der Schweiz schon um
1800 belegt ist. In der Disposition erinnert das Fahrzeug mit seinem seitlichen
Auftritten an einen Stuhlwagen des 18. Jahrhunderts im Kleinformat. Zur Ausrüstung gehören ein Fusssack und eine Abdeckplane hinten Der langgezogene
Kasten mit Korbgeflecht ruht auf zwei Druckfedern. Das Fahrgestell weist einen gestreckten Langbaum auf. Dieses Blatt zeigt als einzige Darstellung der
Gruppe 1 auch eine Rückansicht, die auch die Art der Querfederung deutlich
macht.
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Gruppe 2: Album von Weishaupt in München
Die folgenden Blätter sind Teilbestand eines gehefteten Albums mit Blättern
im Format circa A 5 und zwei zusammengefalteten grossen Blättern, die neben
dem Fahrzeug auch die zugehörigen Gespanne zeigen (Abb. 15 und 23). Es
handelt sich um Kreidelithographien, die mit wenigen Ausnahmen rechts unter dem Massstab signiert sind mit „Weishaupt fecit“. Damit stammen diese
Steindrucke wahrscheinlich vom 1810 geborenen Heinrich Weishaupt in München, einem bekannten Zeichner, Lithographen, Autor und Spezialisten für
Steindrucke und der Chromolithographie. Allenfalls kommt auch dessen Vater
Franz Weishaupt in Frage, ebenfalls ein Pionier der Lithographie. Die Vorlagen selbst gehen sicher nicht auf Weishaupt zurück, sondern er setzte bestehende Zeichnungen in Lithographien um und fügte in eleganter Schrift Legenden
dazu.
Abb. 15
Von den Modellen und der Art der Wiedergabe besteht eine frappierende Verwandtschaft der folgenden Zeichnungen mit denen der ersten Gruppe, etwa
bei der etwas ungelenken, schrägen Darstellung der Klappe unter dem Kutschbock. In der Einleitung zur Gruppe 1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass
beide Zeichnungsserien auf gemeinsame Vorlagen aus London oder Paris zurückgehen dürften. In diese Richtung weisen hier auch Formulierungen in den
Legenden wie „auf die neueste Art aufgenommen“ (vgl. Abb. 15). Das schnelle
Abkupfern von eben erst publizierten Zeichnungen ohne Nennung der Quelle
war in jener Zeit durchaus üblich.
„Zweispänige Caletsche ohne den Kutscherbock zu 4 Personen nebst allen Bequmlichkeiten zur Stadt und Reiss und auf die neueste Art aufgenommen ist.“
Der Wagen ist sehr ähnlich wie die Kalesche Abb. 1, weist hier aber einen demontablen Vorbau auf. Die Zeichnung zeigt mehr Perspektive (Auftritte). Die
Pferdegeschirre sind nach englischer Art mit leichten Kummeten gefertigt. Dazu gehören Hintergeschirre und Aufzäumungen.
Das Modellspektrum der folgenden Blätter ist neben den Kaleschen und
Pritschkas, wie sie bereits in Gruppe 1 vorgestellt wurden, erweitert durch einen Jagdwagen und zwei „Trotschken“. Das Modell der auf russische Modelle
zurückgehenden Drotschke (später Synonym für einen Mietwagen) war in
Deutschland weiter verbreitet als in Frankreich und der Schweiz.
Die schwereren Wagen der folgenden Gruppe weisen in den Radmitten Vierkantmuttern auf, also Schmierachsen, die leichteren Fahrzeuge eher runde
Muttern, wohl bereits Patentachsen.
Das Album von Weishaupt dürfte um oder kurz nach 1830 entstanden sein.
Bislang ist kein zweites Exemplar dieser Zeichnungsfolge bekannt.
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Abb. 16
„Einspänige - Caletche“.
Abb. 17
Der Wagen zeigt die klassische und weit verbreitete Form der leichten Kalesche des frühen 19. Jahrhunderts. Das Modell ist bis in die Details ähnlich wie
der Wagen von Abb. 6, weist hier aber keinen Einzug im vorderen Kastenbereich auf.
„Einspänige Pritschka“.
Dieses Fahrzeug ist eng verwandt mit dem vorangehenden Modell, hier ist
aber der Kasten als Pritschka ausgeführt (mit Einzügen im vorderen und hinteren Bereich). Das Modell zeigt deutliche Ähnlichkeiten zu dem von Abb. 8.
13
Abb. 18
Abb. 19
„Zweispanige Pritschka oder englischer Reisewagen zu 4 bis 8 Personen und
nach der neuesten Bauart aufgenommen worden ist.“
„Jagdwagen oder doppelte Pritschka.“
Die Form des Oberkastens gaben den Modellen ihren Namen. Hier sind die
beiden Bänke im hinteren Bereich mit einem carrickartigen Einzug, wie bei
der Pritschka, versehen, deshalb der Name „doppelte Pritschka“. Das Fahrzeug
diente offenbar als Jagdwagen. Für geländegängige Kutschen (und Reisewagen, vgl. Abb. 10) wurde die Druckfederung früher übernommen als bei den
Stadtwagen; hier handelt es sich offenbar um eine doppelte Plattformfederung.
Dieser Wagen repräsentiert ein herrschaftliches, achtfach gefedertes Wagenmodell. Der viersitzige Kasten weist ein Halbverdeck und vorne eine Zusatzbank
auf, deren Rückenlehne abgelegt werden kann (vgl. Abb. 2). Unter dem hohen
Kutschbock mit einklappbarem Fussbrett befindet sich ein Magazin. Hinten ist
eine mitschwebende Dienerbank angesetzt; am Gestell sind Aufstiegstritte zu
erkennen. Den Einstieg in den Kasten erleichtert ein ausklappbarer Deckeltritt.
14
Abb. 20
Abb. 21
„Zweispänige Trotschke.“
„Einspänige Trotschke“.
Das Merkmal der Trotschke oder Drotschke/Droschke war der im Einstiegsbereich nach unten gezogene Kasten mit langen und breiten Kotflügeln, meist
kombiniert mit einem Halbverdeck und Vorbau (ähnlich der Wurst, vgl. Abb.
7). Wie in der ersten Gruppe ist hinten ein Aufstiegstritt für einen Dienersitz
angebracht, der statt der Gepäckkiste aufgeschraubt werden konnte.
Der Wagen ist leichter gebaut als das ähnliche Modell von Abbildung 20. Es
fehlen der Kutschbock und die Gepäckkiste, aber ein Gepäckbrett ist vorhanden.
15
Abb. 23
„Ein Zweispäniger Schlitten ohne den Bock zu 5 Personen, der vordere Theil
ist zum Drehen oder Ränken, wodurch man umsoweniger ein Unglück zu befürchthen hat.“
Hier handelt es sich um ein frühes Luxusmodell eines mehrplätzigen Vis-à-visSchlittens mit Drehschemel. Vorne ist ein hoher Bock angebracht, hinten ein
tiefer Dienersitz. Das Gespann weist im Gegensatz zu dem von Abbildung 15
Brustblattgeschirre auf, mit Schellenbändern, Rückendecken und Geläuten.
Abb. 22
„Schweizer oder Berner Geferthe.“
Zum typischen Aufbau des Berner oder Schweizer Wagens gehörten ein langer
Kasten mit Korbgeflecht und eine darauf gesetzte Bank mit Fusssack vorne
und Plane hinten (vgl. Abb. 13). Die Bank mit „Keller“ darunter ist hier, wie
bei den älteren Stuhlwagen, mittels Lederriemen schwebend an den oberen
Holmen des Unterkastens aufgehängt. Das Gestell mit geradem Langbaum
weist keine Federung oder nur eine Querfederung auf, was aus der Zeichnung
nicht ganz klar hervorgeht.
16
Gruppe 3: Handzeichnungen aus Deutschland und der Schweiz
Diese Zeichnungen sind deshalb interessant, weis sie einen Einblick in die gegen die Jahrhundertmitte anwachsende Typenvielfalt von in der Schweiz gebräuchlichen Kutschen geben. Die Zeichnungen stammen offensichtlich aus
kleineren Wagenbaubetrieben. Dementsprechend sind die Blätter nicht so gekonnt ausgeführt wie die der Gruppen 1 und 2.
Die folgenden Handzeichnungen bilden eine uneinheitlichere Gruppe als die
beiden vorangehend vorgestellten Serien und decken den Zeitraum von 1829
bis um 1850 ab.
Die dargestellten Modelle, wie etwa das Blatt von Abbildung 29, zeigen auch
Übergänge zu eher ländlichen Typen wie der Chaise. Offenbar wurden die
Zeichnungen für interessierte Kunden geschaffen und dementsprechend mit
Bleistift alternative Lösungen einskizziert.
Ein besonderer Fund sind die beiden ersten Blätter des Jahres 1820 mit der Signatur „Clemens Reifert“. Dieser Wagenbauer aus Bockenheim bei Frankfurt
durchlief eine für seine Zeit typische Laufbahn, die dank dem Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Niederseelbach“, dem Geburtsort dessen Vaters bekannt
ist. Demnach war Clemens Reifert der Sohn des Johann Konrad Reifert
(1781–1856), einem Wagnermeister aus Niederseelbach. Derselbe gründete
um 1800 in Frankfurt am Main eine »Chaisenfabrik«. 1820 wurde der Betrieb
in die junge Stadt Bockenheim vor den Toren der freien Reichsstadt Frankfurt
am Main verlegt. Als nach zehn Jahren 1830 der aus Suhl in Thüringen stammende Geschäftspartner Johann Ernst Wagner starb, trat der Sohn Clemens
Reifert (1807-1878) Sohn in die Firma ein. Er hatte sich darauf unter anderem
durch den Besuch ähnlicher Betriebe, auch in Paris und London, auf seine Arbeit vorbereitet. Clemens Reifert erweiterte die Fabrik und führte Dampfmaschinen ein. Die Firma baute bald auch Eisenbahnwagen und hatte bis ca.
1877 300 Mitarbeiter. Durch die Gründerkrise in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts musste die Firma schließen. Im Museum Achse, Rad und Wagen in
Wiehl gibt es eine Zeichnung von Clemens Reifert mit vier Kaleschen). Soweit
die Zusammenfassung des Wikipedia-Eintrags.
Die weiteren Zeichnungen der Gruppe 3 stammen vor allem von frühen
Schweizer Wagenbauern namens Stelzner, Rebsamen und Schmidlin, die bisher unbekannt waren. Sie zeigen nach 1830 weiter entwickelte Modelle wie ein
Gig, verschiedene Char-à-bancs, eine Kalesche und einen Mylord.
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Abb. 24
Abb. 25
Kalesche, gezeichnet von Clemens Reifert im Jahre 1829. Die sehr sorgfältig
ausgeführte, lavierte Federzeichnung zeigt eine in C-Federn hängende Kalesche mit flachem schiffsförmigen Kasten und angebautem tiefem Kutschbock.
Hinten ist ein Gepäckkoffer angebracht, der mit einem Dienersitz ausgetauscht
werden konnte.
Pritschka, gezeichnet von Clemens Reifert im Jahre 1829. Das Gestell dieses
Wagens ist nahezu identisch mit der vorangehenden Abbildung. Der Kasten
hingegen weist die Pritschkaform auf und ist vorne etwas stärker in die Länge
gezogen, so dass sich der Kutscher auf den Vorderteil des Kastens setzen konnte und der Bockanbau somit entfiel. Hinten ist lediglich ein Gepäckbrücke angebracht.
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Abb. 26
Nicht signierte Zeichnung eines Zweirads. Die lavierte Federzeichnung zeigt
mit dem hochklappbaren Aufleger einen Gig mit Druckfedern in zwei Varianten.
Das linke Bild gibt die offene Version wieder, mit Kotflügeln auf der pritschkaförmig ausgestalteten Bank und angebautem Dienersitz in Fahrtrichtung.
Das rechte Bild zeigt die geschlossene Ausführung mit Halbverdeck und Fusssack. Hier weist der Wagen ein kleines, mit Plane abgedecktes Magazin auf.
Das Modell weist starke Ähnlichkeiten mit von Rudolph Ackermann in London zwischen 1818 und 1827 publizierten Gigs auf, teils als „Guige à la Getting“ bezeichnet, einem bekannten französischen Wagenbauer. Die Zeichnung
dürfte in der Zeit um 1830 entstanden sein.
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Abb. 28
Char-à-bancs mit hinten angebrachtem Halbverdeck. Die etwas ungelenk ausgeführte Federzeichnung ist wie das folgende Blatt von J. Stelzner, einem Wagner aus der Stadt Bern, signiert. Das Modell zeigt Ähnlichkeiten mit dem
vorangehend vorgestellten Modell, ist aber in provinzieller Manier mit geschweiften Zierelementen ausgestattet. In Bleistift ist eine Variante mit zusätzlichem Dienersitz einskizziert. Die Zeichnung gehört wohl in den Zeitraum zwischen 1840 und 1850 oder etwas später.
Abb. 27
Char-à-bancs mit Halbverdeck. Unter der Bodenlinie ist die lavierte Federzeichnung signiert mit „Dessiné par Robham“, einem bislang nicht identifizierten Wagenbauer oder Dessinateur (aus Frankreich?). Das Modell mit zwei identischen Sitzbänken wurde in Paris auch als Char-à-bancs-Phaéton bezeichnet.
Die Bänke konnten zuweilen ausgetauscht werden (franz. sièges mobiles), je
nachdem ob der Herr selbst fuhr (Halbverdeck vorne) oder hinten Platz nahm
(Halbverdeck hinten), wenn er sich vom Kutscher fahren liess. Ganz hinten ist
ein wohl einklappbarer Dienersitz angebracht. Der auf Druckfedern gelagerte
Wagen gehört wohl in die Zeit um 1840 und stellt eine Weiterentwicklung des
Modells von Abbildung 19 dar.
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Abb. 30
Kalesche mit abnehmbarem Vorbau. Die etwas grob ausgeführte, leicht kolorierte Tuschzeichnung stamm nach der Signatur unten rechts vom bisher nicht
bekannten Schweizer Wagenbauer namens J.B. Rebsamen. Sie zeigt eine Kalesche mit Vorderverdeck, wie sie mit ihrem geschweiften und verschnörkeltem
Kasten um 1850 beliebt war.
Abb. 29
Variante zum vorangehenden Modell des Berner Wagners J. Stelzner. Der Wagen zeigt mit dem vorderen Kindersitz Anlehnungen an die weit verbreitete
Schweizer Chaise. Das Gestell ist traditionell mit geschweiftem Langbaum,
Querfederung vorne und elliptischer Federung hinten ausgeführt. Die BleistiftEintragungen hinten zeigen den Dienersitz in aufgeklappter Position. Auch diese Zeichnung gehört wohl in den Zeitraum zwischen 1840 und 1850 oder etwas später.
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Gruppe 4: Kopierte Handzeichungen
Die vier Zeichnungen dieser heterogenen Gruppe 4 zeigen vor allem handkopierte Zeichnungen von publizierten Vorlageblättern. Die ersten beiden Blätter
dieser Gruppe sind detailliert nachgezeichnete Darstellungen aus dem in Paris
1808 erschienenen Werk „Dessins de voitures par D.M. Duchesne“. Duchesne
war ein bekannter Pariser Wagenbauer und Zeichner, der seine Entwürfe auch
in der Untersicht publizierte.
Ähnliche Zeichnungskopien gibt es auch von Fininger (vgl. Furger 2014b). Sie
wurden wohl vor allem in der Lehrzeit von jungen Wagenbauern auf der Wanderschaft angefertigt, zumal der Kauf von gedruckten Werken sehr teuer war,
und das Kopieren die jungen Handwerker im Zeichnen schulte.
Abb. 31
Früher Mylord. Die Zeichnung zeigt rechts unten die Signatur „d. Schmidlin.“
wohl für del. Schmidlin, also von diesem gezeichnet. Der frühe Mylord der
Zeit nach 1850 ist maroon bemalt und mit roten Filets versehen. Der Kasten
weist eine Klappdeckel auf, wie dies vor allem im Osten Frankreichs an verschiedenen Modellen häufig vorkam (vgl. Abb. 41). Konstruktive Details sind
unklar gezeichnet oder fehlen, wie die Verbindung zwischen vorderer Federung und Kasten mit dem Drehkranz.
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Abb. 33
Kasten einer Kalesche und Gig. Dieses Blatt ist ebenfalls eine Kopie einer älteren Vorlage, wohl auch auf Duchesne zurückgehend. Das Gig rechts der Zeit
um 1810 hängt hinten in C-Federn, der Dienersitz ist mittels S-Federn separat
abgefedert. Links ist ist ein Kaleschekasten mit dem inneren Aufbau abgebildet.
Abb. 32
Frühe Kalesche mit Halbverdeck. Diese recht sorgfältig ausgeführte Zeichnung
mit noch leicht erkennbaren Bleistift-Hilfslinien wurde von einem unbekannten Zeichner exakt von einem Blatt des Pariser Wagenbauers Duchesne kopiert. Das abgebildete Modell zeigt typische Merkmale eines Wagens der Zeit
um 1810: Gestell mit stehenden C-Federn und geschweiftem Langbaum und
Kasten mit vorderem Einzug. Unter dem hohen Kutschbock befindet sich ein
nicht mitschwebendes Magazin und hinten über dem Achsstock eine
Lakaibrücke.
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Abb. 35
Perspektivische Ansicht eines Schlittens. Hier wurde ein Kasten in der Art der
Phaëtons auf Kufen gesetzt. Unter der Fahrerbank befindet sich ein Magazin,
hinten ein Dienersitz. Der Schlitten weist ein Drehgestell auf und dürfte in die
Zeit um 1850 gehören.
Abb. 34
Diese in Tusche ausgeführte Zeichnung mit Bleistiftvorzeichnungen zeigt das
Gestell eines Wagens mit C-Federn in der Seitenansicht und im halben Grundriss.
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Gruppe 5: Verschiedene Lithographien und Drucke
In der Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen in Paris und anderen grossen
Städten zunehmend lithographierte Zeichnungsserien von neuen Kutschenmodellen, auch als Beilagen zu Fachzeitschriften. Diese wurden von interessierten
Wagenbauern in ganz Europa abonniert und sorgfältig aufbewahrt, um den
interessierten Kunden eine breite Modellpalette vorlegen zu können.
Zu den bedeutendsten Pariser Entwerfern, die meist selbst auch Wagenbauer
waren, gehörte zwischen circa 1840 und 1860 Guillon, dem die ersten drei
Blätter zugeordnet werden können. Sie stammen aus frühen, durchnummerierten Serien.
In der Folge entstanden seit der Zeit um 1850 auch in anderen Ländern ähnliche Editionen; dazu gehört Abbildung 39.
Bei den anschliessenden drei Blättern ist nicht ganz klar, ob es sich um handkolorierte Lithographien oder um Handzeichnungen handelt.
Den Abschluss der Gruppe 5 bildet ein gedrucktes Blatt, wie sie in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreich herausgegeben wurden.
Abb. 36
„Briska“ oder Pritschka. Der exklusive Reisewagen weist hinten auf dem Dienersitz und vorne je zwei Zusatzkoffer auf. Das von Lesenne lithographierte
und handkolorierte Blatt mit der Nummer 119 stammt aus einer frühen Zeichnungsserie des französischen Wagenbauers und Entwerfers Guillon der Zeit
kurz vor 1850. Er hat den Wagen hier, wie einst Duchesne (vgl. Abb. 32), auch
von der Unterseite her aufgerissen und mit einem Kommentar über die Bauart
des Vorderwagens mit der Passage versehen.
25
Abb. 38
Drittes Blatt von Guillon mit dem Modell eines grossen Break. Diese frühe Darstellung mit der Nummer 38 aus der Zeit um 1845 zeigt einen besonders bunt
bemalten Wagen vom Typ Break de chasse, wie er in ähnlicher Art lange Zeit
populär blieb.
Abb. 37
„Calèche à Pincette“ oder Kalesche mit elliptischer Federung. Dieses zweite
Blatt von Guillon mit der Nummer 28 aus der Zeit um 1845 zeigt eine vornehme Kalesche, die im Winter mit einem Vorderverdeck (Aufleger) ausgerüstet
werden konnte.
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Abb. 40
Die drei folgenden, fein handkolorierten Blätter auf weiss gestrichenem Papier
zeigen keine Bleistiftvorzeichnungen, aber Einstiche in den Radzentren. Handzeichnungen sind nicht ganz ausgeschlossen. Das Modell der Zeit um 1850
zeigt ein mittels abgekröpfter Hinterachse tief gesetztes Coupé ungewöhnlicher Form. Dabei könnte es sich mit den eigenartigen Fenstern und der bunten
Bemalung um eine Bestellung aus dem Orient gehandelt haben.
Abb. 39
Selbstfahrer der Zeit um 1850. Der leichte, zweiplätzige Wagen mit Halbverdeck entspricht vom Modell her der Chaise und wurde wohl auch Phaëton genannt. Die modischen, flachen Laternen ähneln stark denjenigen von Abbildung 37. Die handkolorierte Lithographie ist links und rechts der Bodenlinie
folgendermassen signiert: „Dessinée par S. Hirzel“ und „Réduit au 24èm. Lith. Amstein Frères“. Der zweite Teil der Bildunterschrift ist leichter aufzulösen (Massstab 1:24 und lithographiert von den Gebrüdern Amstein). Geht der
Name S. Hirzel auf dem aus Zürich stammenden Salomon Hirzel zurück
(1804-1877), der in Leipzig erfolgreich als Verleger wirkte?
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Abb. 42
Abb. 41
Gig oder Tandemwagen mit grossem Unterkasten. Das Modell der Zeit um
1850 weist im Magazin eine vergitterte Öffnung, so dass Jagdhunde mitgeführt
werden konnten. Es handelt sich um einen Wagentyp, mit dem auch im Tandem zur Jagd gefahren werden konnte.
Reisewagen mit grossem Magazin. Solche Selbstfahrer mit Halbverdeck und
grossem angebauten Koffer wurden auch „Phaéton de voyageur genannt (vgl.
Abb. 31). Vorne weist der Kasten einen schützenden Deckel auf (vgl. Abb. 31).
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Literatur
Bickes 1829
Friedrich Adolph Bickes
Anleitung zur Kenntnis aller Arbeiten von Equipagen oder Darstellung der Kutschenfabrikation.
Freiburg 1833 (zweite Auflage)
Dinkel
Josepl Dinkel, Wagenmoden im Biedermeier. Erläutert und mit einem Nachwort von Rudolf H. Wackernagel.
Dortmund 1981
Furger 2004
Andres Furger, Wagen-Atlas - Kutschen Europas des 19. und 20 Jahrhunderts,
Band 2.
Abb. 43
Hildesheim - Zürich - New York 2004
„Coupé Trois-Quarts“ oder 3/4-Coupé. Dieser klassische Stadtwagen weist im
Kastenbereich eine Vorwölbung auf, so dass eine zweite schmale Bank für Kinder im Inneren Platz fand. Der Farbendruck mit der Nummer 333 ist rechts
signiert mit „Publication C.J.A. Dick 25 Avenue d‘Antin Paris“. Demnach
stammt die Zeichnung aus der Zeit um 1860/70 von einem Deutschen namens
Dick, wohl einem Sohn des Begründers der bekannten Kutschenfabrik Dick
und Kirschten in Offenbach am Main, der sich nach dem Verkauf der väterlichen Fabrik in Paris eine neue Existenz aufgebaut hatte.
Furger 2014a
Andres Furger, Von der Chaise zum Cabriolet - Die Basler Carrosserie.
Kauffmann, Reinbolt & Christe (e-Paper unter academia.edu)
Furger 2014b
Andres Furger, Kutschenbau in Basel im frühen 19. Jahrhundert - Die Zeichnungen von Samuel Fininger. (e-Paper unter academia.edu)
Furger 2014c
Andres Furger, Wagenbau Kölz in Basel. (e-Paper unter academia.edu)
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Zusammenfassung
31 Handzeichnungen der Zeit um und nach 1830 geben neue Einblicke in das
frühe Kutschenbauwesen der Schweiz und Deutschlands. Es handelt sich um
Vorlageblätter für Kunden von neuen Wagen und die Grundlagen für genauere Baupläne von neu anzufertigenden Kutschen durch Wagenbauer.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung und Wiedergabe auf jegliche Weise
(grafisch, elektronisch und fotomechanisch sowie der Gebrauch von Systemen
zur Datenrückgewinnung) - auch in Auszügen - nur mit schriftlicher Genehmigung von
Die erste Gruppe der handkolorierten Zeichnungen mit einer Berline, mehreren Kaleschen und Pritschkas sowie zwei Reisewagen und einem Schlitten ist
wohl (François) Joseph Kauffmann zuzuschreiben, dem Begründer einer grösseren Wagenfabrik in Saint-Louis bei Basel, der später seinen Betrieb in die
Stadt Basel verlegte. Die zweite Gruppe besteht aus Lithographien von Weishaupt in München, die aus einem bisher unbekannten Album mit ähnlichen
Kutschenmodellen stammen. Dazu kommen zwei Originalzeichnungen des
deutschen Wagenfabrikanten Clemens Reifert aus Bockenheim bei Frankfurt
und Zeichnungsserien aus der Schweiz, Deutschlands sowie Frankreichs, die in
den Zeitraum zwischen circa 1810 und 1860 datiert werden können. Den Abschluss bilden Drucke aus bereits bekannten Blattserien vor allem aus Paris,
wie solche von Guillon, sowie nicht genau zuweisbare Blätter.
Andres Furger
9 rue verte,
F-68480 Oltingue
0033 756 11 79 20
www.andresfurger.ch
Der Autor nimmt gerne weitere Hinweise entgegen:
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