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Dreiflügeliger Kosmetik-oder Rasierspiegel

2024

Es geht um einen antiken Kosmetik-oder Rasierspiegel, der über 2 Gemälde verfügt.

Dreiflügeliger Kosmetik- oder Rasierspiegel Überseehafen mit Leuchtturm und Segelschiffen, Ölfarbendruck, ca. 23,5 x 23,5 cm, unsigniert Die Verkäuferin auf dem Dortmunder Antikmarkt wusste selbst nicht, wie sie das Ding bezeichnen sollte. Aber das sollte 300 € kosten. Ich bot ihr 100 an. Das Geschäft kam deshalb auch nicht zustande. Aber was das war? Keine Ahnung! So ein Ding hatte ich nie zuvor gesehen. Ein Ölgemälde vorne drauf? Natürlich kam ich beim Besuch des Marktes, am 11.02.2024, wiederholt an diesem Tisch vorbei. Das allgemeine Interesse an dem gerahmten Bild schien aber wohl nicht sonderlich vorhanden zu sein. Vielleicht zu dunkel? Das Ding blieb von den anderen Trödelspezialisten und eigentlich immer recht neugierigen und angrapschenden Besuchern bislang noch verschont. Na ja, mein Angebot stand ja. Ich wollte wirklich nicht mehr ausgeben. Der eigentliche Öffnungsgriff ist leider defekt. Aber eine große Büroklammer schafft leichte Abhilfe. Es ließ sich aufklappen. Dahinter versteckte sich noch ein Ölgemälde, und ein Spiegel kam zum Vorschein. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 1/8 Das Innengemälde, Fischerhafen mit Booten, Ölfarbendruck, ca. 23,5 x 23,5 cm, unsigniert Von wann könnte diese Kunst stammen? Ist das Neunzehntes oder sogar das achtzehnte Jahrhundert? Wer hat den Spiegel gemacht? Für wen war der? Zwei echte Ölgemälde für einen Kosmetikspiegel. Das ist doch etwas Besonderes! So mein erster Eindruck. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 2/8 Der dreiteilige Kosmetikspiegel verbirgt sich hinter den Gemälden, rechts mit Standfuß. Irgendwie denke ich, dass das so wertig verarbeitet worden ist, dass ich annehmen muss, dass schon die Spiegel alleine etwas Besonderes waren. Von den leichten Korrosionsschäden abgesehen, haben die eine ganz gerade Oberfläche. War das schon das Außergewöhnliche? Kamen die vielleicht aus Venedig, von denen, die schon sehr frühzeitig wussten wie das richtig ging? Zwei Beschädigungen Die Flügelspiegel und je ein Gemälde befinden sich gemeinsam jeweils in einem Messingrahmen, die gelenkig im Schmuckrahmen eingeschraubt hängen. Dieser scheint mir aus besonders schwerem Holz zu bestehen. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 3/8 Aber nein! Es sind wohl doch nur zwei handelsübliche, industriell gefertigte Schmuckleisten mit sich immer wiederholenden Mustern die um die Gemälde mäandern. Der innere, kleinere Stab, scheint ein Wellenmuster wiederzugeben. Der Äußere ist mit Eichen- und Ahornblättern geschmückt. Um die Eichenblätter schmiegt sich jeweils ein schiffsrumpfartiges Band, das ich eigentlich gar nicht richtig deuten kann. Farblich ist der Rahmen günstigst bronziert und wirkt dadurch metallen. Das unterstützt zusätzlich auch noch das hohe Gewicht, welches schon alleine die Spiegel mit sich bringen. Die Rückseite mit großem Aufsteller. In die Rückseite integrierte man einen trapezartigen Aufsteller. Als Material dazu nahm man mit dünner Belederung kaschierte Pappe, die im Wesentlichen in den Ecken mit vier großen Rundkopfnägeln von hinten in den Rahmen genagelt wurde. Die dienen beim Hinlegen auf den Rücken oder bei einer Wandanbringung gleichzeitig als Auflagefüße. Das originale Begrenzungsband für den Schrägaufsteller fehlt leider und ist behelfsmäßig durch ein Packband ersetzt worden. Doch nun, beim näheren intensiven Betrachten, glaube ich, dass dieser Spiegel wohl eher aus einer einfachen Serienfertigung stammt. Schon der Holzrahmen ist, ohne großen Aufwand, nur über Eck geschnitten. Es scheint mir auch so, als wenn die Gemälde separat aus ihrer eigenen Produktion © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 4/8 kamen. Vielleicht sind das Öldrucke? Die sind austauschbar und können mit je einem Spiegel in die Messingrahmen gesteckt werden. Für günstige Ölfarbendrucke eignen sich ganz besonders gut monochrome Darstellungen, da man sonst für jede Farbe einen neuen Druckstein erzeugen müsste. Unsere beiden Bilder erfüllen diese Forderung weitestgehend. Das Besondere an den Ölfarbendrucken ist ja, dass man im letzten Arbeitsschritt eine farblose Platte mit Strukturen der realen Gemäldeoberfläche, also die Leinwandansichtigkeit, und die Pinselschrift des Künstlers aufpresst. Mit einer abschließenden Firnisübermalung, lässt sich diese Reproduktion dann nur noch schwer von einem echten Gemälde unterscheiden. Außerdem kann, wie hier gefordert, auch die Baudicke des Bildes in Grenzen an die Einschubmaße des Messingrahmens angepasst werden. Die Messingrahmen, die übrigens nur geschnitten und geknickt sind, dienen hier natürlich als hervorragende Kantenschützer für das Paar aus Flügelspiegel und Gemälde. Es war dadurch nicht erforderlich, dass die Malerei auf dem Glas selbst ausgeführt wurde. Die Technik der Ölfarbendrucke erfand übrigens der Engländer George Baxter schon im Jahre 1836. Damit kann dieses Verfahren wohl auch erst ab 1850 allgemein zur Verfügung gestanden haben. Das achtzehnte Jahrhundert fällt also für den Kosmetik- oder Rasierspiegel völlig aus dem Rennen. Die Rückseite, mit ihrer ledern kaschierten Pappe, lässt bei mir zusätzlich die Erinnerung an die Technik alter Fotoapparate aufkommen, die es ja auch erst um 1860 oder 1870 in dieser Oberflächenausführung gab. Darum glaube ich, dass der Dreierspiegel irgendwann genau dazu sehr zeitnah im Neunzehnten Jahrhundert gefertigt wurde, wahrscheinlich wirklich so ab 1860 bis 1880, um möglichst schnell den Neuheiteneffekt auszunutzen. Die Erfindung der Ölfarbendrucke und der Markt für solche Spiegel ist, allein wegen der maritimen Darstellungen, dann doch wohl ursprünglich in England zu sehen. Da wird man sie häufiger finden. Aber was ist schon sicher? Die Scharniere am Trapezaufsteller. Zur Reparatur des abgerissenen Aufstellerbegrenzungsbandes müsste man die Scharniere abschrauben. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 5/8 Der ausgeklappte simple Aufstellfuß am rechten Spiegel und der ebenso einfache Sperrriegel zur Festsetzung des Trapezaufstellers. Die Rückseite mit eingeklapptem Trapezaufsteller. Das nachträglich angebrachte Packband suggeriert mir, dass der Spiegel noch längere Zeit tatsächlich in Gebrauch war. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 6/8 Im Oberholm des Rahmens befinden sich noch zwei Schraublöcher für eine mögliche Wandaufhängung. Zu denen gehören die Rundkopfnägel auf der Rückseite als entsprechende Wandanlage. Von unterhalb des Oberholms sieht man die beiden Schrauben, die die Flügelspiegellagerungen in ihrer jeweiligen Position halten. Der untere Schenkel des Messingrahmens des Außenbildes zeigt einen Bruch. Der läuft allerdings nur durch diesen vorderen Schenkel. Der Untergurt und der hintere Schenkel sind davon nicht betroffen. Ich denke, dass das ein Fabrikationsfehler ist. Zusätzlich sieht man hier einen Ausschnitt der Struktur der originalen Malerei und die Muster des Holzrahmens. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 7/8 Letztendlich, bei meinem finalen Durchlauf durch die Messehalle, probierte ich es noch einmal an besagtem Trödeltisch. Und tatsächlich konnte ich das, bei uns seltene Stück, nun endlich doch für 100 € in meine Tasche stecken. Es interessierte sich sonst halt niemand dafür. Allerdings muss ich dazu sagen, dass sich dieser Kunstgewerbegegenstand mir anfangs auch völlig verschloss. Es befindet sich nirgendwo eine Signierung, nicht vom Maler und auch nicht vom Hersteller. Bisher konnte mir auch noch niemand etwas zu dem sehr historischen Teil sagen. Ich halte den mittlerweile für einfache Kaufhausware aus der Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts, allerdings nur mit geringer Marktdurchdringung, denn billig war der garantiert nicht. Mehr Schein als Sein kostet auch Geld. Nur weil ich so einen Spiegel überhaupt noch nie sah und damit wahrscheinlich auch gar nicht so alleine bin, nehme ich von diesem abwertend pauschalierenden Gedankengang jetzt doch lieber wieder Abstand. Aber günstig gefertigt werden sollte der in jedem einzelnen Punkt wohl sein! Ich könnte mir auch vorstellen, dass es zu diesem eigentlich sehr aufwändigen Kosmetik- oder Rasierspiegel ein bekanntes älteres Vorbild gibt, das wirklich hochwertig gefertigt und mit echten Ölgemälden ausgestattet war. Vielleicht diente, als ein mögliches Muster, der Kapitänsspiegel von einem berühmten Seefahrer oder sogar etwas Königliches? 13.05.2024 Ralf Behrens © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 8/8