1/2024
zeitschrift für
medienwissenschaft
WAS UNS AUSGEHT
DREIßIG
—
INHALT
Editorial
WAS UNS AUSGEHT
35
Batterien
JAN MÜGGENBURG
A
12
ABC
37
AMA JOSEPHINE BUDGE
D I E Z F M - R E DA K T I O N
12
JOHNSTONE
Adapter
T H O M A S WA I T Z
14
Albedo-Effekt
C
40
Alter
E
NANNA HEIDENREICH
20
Arbeiter*innenkinder
43
Atemluft
L I N DA WA A C K
25
Enden
PETER BEXTE
K AT R I N K Ö P P E R T
23
Commons
S H I N TA R O M I YA Z A K I
ANNE-SOPHIE BALZER
17
Bestäubung
F
45
Aufmerksamkeit
Forschungszeit
FA B I A N S C H M I D T
PETRA LÖFFLER
27
MAREN HAFFKE
31
G
Ausgehen
48
ÖMER ALKIN
Ausschalter
TILL A. HEILMANN
Gastarbeiter*innen
50
Geduld
SUSANNE LUMMERDING
GABRIELE WERNER
B
33
Bargeld
SEBASTIAN GIEßMANN
53
Grammatik
N OA H B U B E N H O F E R
N
H
56
Halbleiter
83
JASMIN MEERHOFF
57
S T E P H A N T R I N K AU S
Hohlozän
O
MARTIN SIEGLER
60
Nichts
Horoskop
86
Overheadprojektor
KRISTOFFER GANSING
LUKAS DIESTEL
M A X I M I L I A N H E PA C H
P
G I A C O M O M A R I N S A LTA
SYBILLE NEUMEYER
88
J O N A S PA R N OW
BIRGIT SCHNEIDER
M AY E E WO N G
I
63
Pause
GLORIA MEYNEN
90
Perspektive
CHRISTOPHER LUKMAN
93
Phänomen
M A X I M I L I A N H E PA C H
Intelligenzschichten
FELIX HÜTTEMANN
R
K
66
97
Räume
JANA MANGOLD
Kanon
MAJA-LISA MÜLLER
SARAH HORN
ELISA LINSEISEN
S
LEONIE ZILCH
68
Klasse
101
MAJA-LISA MÜLLER
ANDREA SEIER
72
Klebstoff
103
106
Landschaft
T
BIRGIT SCHNEIDER
Lust
108
M
Material
F L O R I A N K R AU T K R Ä M E R
Trance
ERHARD SCHÜTTPELZ
SUSANNE HUBER
82
Solidarität
JASMIN DEGELING
L
79
Seetang
SAM NIGHTINGALE
ULRIKE BERGERMANN
76
Schreiblust
U
109
Übersicht
MAREN MAYER-SCHWIEGER
VA N E S S A G R A F
110
Universität
142
K AT H R I N P E T E R S
Verlust
Nachruf auf
MARIE LUISE ANGERER
von K AT H R I N P E T E R S
V
112
Verlustkontrolle
MARIE-LUISE ANGERER
114
Vertrauen
MAREN LEHMANN
116
TAFELN
145
I. Übersicht
MAREN MAYER-SCHWIEGER
Vielfalt
VA N E S S A G R A F
M AT T H I A S W I T T M A N N
148
N I L A N JA N B H AT TAC H A RYA
W
119
Wald
LISA CRONJÄGER
121
II. Zurückhaltung
150
III. Seetang
SAM NIGHTINGALE
Wasser
N ATA L I E
LETTENEWITSCH
123
Wissenschaftsfreiheit
ANONYM
X
126
Xerografie
K AT E E I C H H O R N
Z
129
Zeit
CHRISTINE HANKE
131
Zeitlupe
WINFRIED GERLING
F L O R I A N K R AU T K R Ä M E R
133
Zeug*innenschaft
HENRIETTE GUNKEL
136
Zimmerpflanzen
P H I L I P PA H A L D E R
138
Zurückhaltung
N I L A N JA N B H AT TAC H A RYA
154
159
160
AU T O R * I N N E N
B I L D N AC H W E I S E
IMPRESSUM
KRISTOFFER GANSING | GLORIA MEYNEN
P—
O
PAUSE In einem Wörterbuch des britischen Studienabbrechers, Privatlehrers, Juristen und späteren Einsiedlers George Crabb, English Synonyms
Explained, in Alphabetical Order (1826), steht das
Schlagwort idle gleich neben ideal, idiom und
idiot. Reiner Zufall? Freizeit wird in vielen Unternehmen nicht selten als Vorschuss ausgezahlt,
die Pause als gewinnbringende Investition betrachtet. Ein kurzer Schlaf steigere die Leistungsfähigkeit um 35 Prozent, nehmen manche an. Ist
die Pause darum Idiom und Ideal des Flows, oder
sind Menschen und Maschinen mit idle time lediglich aus der Zeit gefallen? Und was ist mit den
Inselmenschen, die sich in eine Sekunde zurückziehen – setzen sie sich geradliniger der Unterbrechung und Hemmung aus, jenem Mechanismus,
der in den Uhren zwischen dem Räderwerk und
dem Pendel, der Unrast und dem Gewicht vermittelt? Paradoxerweise sorgen ruhende Hemmungen für den präziseren Lauf der Uhren. Sie
zwingen den Uhren ihren Takt auf.
IDLE , ahd. îtal, nhd. eitel. Drei Heringe schlägt
Crabb in den Boden seines Wörterbuchbeitrags
88
ein, um die Bedeutungen von idle zwischen ihnen
aufzuspannen: vain, lazy und vacant.
1. VAIN, von lat. vanus, leer, unbedeutend, nichtig,
erfolglos, vergeblich. Eine Tätigkeit, schreibt Crabb,
könne entweder müßig oder eitel sein. Im ersten Fall
folge man nur der eigenen Nase – man «arbeitet, um
sich selbst zu erfreuen»; im zweiten Fall bleibe die
Arbeit ohne jeden Nutzen: unbedeutend und nichtig.
Ein Makel, schreibt Crabb, am Apparat, die Vergänglichkeit: Wenn wir rationale Wesen seien, müssten
wir alle sinnlosen Tätigkeiten einstellen, die Zeit,
die uns der Allmächtige gegeben habe, gewissenhaft
nutzen (Crabb 1826, 458). «Nichts tun. Zuschauen,
wie das Gras wächst. Sich in den Lauf der Zeit gleiten
lassen. Leben, als sei immer Sonntag», sagt Roland
Barthes 1979 in einem Interview und beteuert, dass
ihm das schlechte Gewissen das Nichtstun versage
(Barthes 2002, 367). Dass die leere Zeit überhaupt
zum Gegenstand des Gewissens werden kann, hängt
mit der Entwicklung der mechanischen Uhren zusammen. Um 920 messen die Benediktinermönche
von Cluny die Zeit noch mit der Brenndauer einer
Kerze, aber schon um 1160 werden die ersten Kirchenglocken erwähnt, und um 1330 entstehen mit der
Unruh präzisere, mechanische Uhren. Mit den ersten
Kirchenglocken wird auch eine neue Verwandtschaft
sichtbar: Das Nichtstun steht im Verdacht, eine
Schwester der Trägheit, der Todsünde acedia, zu sein.
Mit der Unrast und der immer genaueren Taktung
des Tages wandelt sich indes die leere Zeit von der
Todsünde zu einer physischen Müdigkeit. Die Arbeit
hat ihre Gegenspielerin gefunden: das Nichtstun,
den Müßiggang.
2. LAZY, von lat. lassus, ‹lässïg›. Müde sein, nichts
tun. Schmarotzer, Drohne, Tagedieb, Nichtstuer,
Müßiggänger, Faulenzer – so poltert es aus DeepL
heraus, sobald man das Wort ‹idler› eintippt. Gegen
die Faulpelze die Versuche des Herrn von Montaigne,
«Wider den Müßiggang»: «[…] ein Philosoph sollte
nicht einmal Athem holen, nämlich den Nothwendigkeiten des Körpers nicht mehr nachgeben, als was
unumgänglich nöthig ist, und sowohl ihre Seele als ihrem Körper allezeit zu vortrefflichen, großen, tugendhaften Handlungen geschickt halten»; selbst auf dem
Sterbebett müsse man immer zu großen Taten bereit
sein, schreibt Montaigne (ebd. 1992, 530). Im Alt- und
Mittelhochdeutschen kann man das Wort ‹faul› über
lat. putor, Fäulnis oder den faulen, modrigen Geruch,
direkt auf den Wundbrand zurückführen. Faulheit und
Zf M 30, 1/2024
Zeitschrift für Medienwissenschaft, Jg. 16, Heft 30 (1/2024), https://doi.org/10.14361/zfmw-2024-160133. Published by transcript
Verlag. This work is licensed under the Creative Commons Attribution CC -BY -NC -ND 4.0 DE licence.
Lecture, gehalten beim Workshop Kunst und Musik mit
dem Tageslichtsprojektor, Moltekerei Köln, 25.08.2007,
www.derstrudel.org/tageslicht/tageslichtprojektor.html
(28.11.2023). · Mansoux, Aymeric u. a. (2023): Permacomputing Aesthetics: Potential and Limits of Constraints
in Computational Art, Design and Culture (Konferenzbeitrag), in: Ninth Computing within Limits, doi.org/10.21428/
bf6fb269.6690fc2e (17.11.2023). · Schumpeter, Joseph A.
(1994 [1942]): Capitalism, Socialism and Democracy, London.
· Schuppli, Susan (2020): Material Witness. Media, Forensics, Evidence, Cambridge (MA), London. · Traversal
Network of Feminist Servers (Website der Gruppe), www.
ooooo.be/atraversalnetworkoffeministservers (28.11.2023).
· Tsing, Anna Lowenhaupt (2019): Der Pilz am Ende der
Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus, Berlin.
OVERHEADPROJEKTOR | PAUSE
Verwesung hinterlassen ihre Spuren auf den Körpern.
Die Negation der Arbeit ist bei Strafe verboten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat
der weiße Atem der Dampfmaschinen die leere Zeit
rehabilitiert. Müde sein ist keine Todsünde mehr.
Pausis, das Aufhören. Respiratio, der Verzug im
Reden, um Atem zu schöpfen. Intermissio, der Zustand, wenn etw. auf einige Zeit aufhört, überh., der
Ruhepunkt. Die Unterbrechung, das Schweigen in
der Musik. Noch ehe Paul Lafargue mit dem Ohr
an der Dampfmaschine ein «Recht auf Arbeit» fordert, erwähnt Crabb das Nichtstun: Faulpelze sind
nicht zwangsläufig müde oder träge. Sie neigen nicht
zum Nichtstun, sondern lediglich zur Hemmung.
«Still, blass und mechanisch» treffe diese Haltung
meist jene Angestellten, die fremdbestimmt arbeiten:
«[D]iejenigen, die arbeiten sollten, sind oft am
wenigsten gewillt, sich überhaupt zu bewegen, […]
da die Triebfeder fehlt, die sie zum Handeln bewegen
sollte.» Die «Bediensteten und arbeitenden Klassen»
zeichne womöglich lediglich eine Abneigung gegen
körperliche Tätigkeiten, aber nicht gegen das Denken» aus (Crabb 1826, 458).
3. VACANT , frei. Crabb unterscheidet zwischen
Freizeit, leisure, und Vakanz. Die Freizeit komme von
leasure, to lease, release – lösen, loslassen, befreien.
Die Freizeit befreit uns von der Arbeit. Die Vakanz
bezeichnet daneben die Unterbrechung der Arbeit.
Doch nicht unbedingt. Die Freizeit, schreibt Crabb,
können wir selbst bestimmen, aber wir können auch
notgedrungen frei haben, d. h. wider Willen ohne
Arbeit sein (Crabb 1826, 459). Im Fall von leisure
gestalten wir selbst die freie Zeit, im Fall der Vakanz
erleiden wir sie. Die Freizeit beschreibt Crabb aus
der Perspektive der Menschen, die Vakanz dagegen
aus der Perspektive des Amts. Die Arbeit nimmt Urlaub vom Menschen. Die Vakanz bezeichnet zunächst
die Ruhetage. Das Licht geht aus. Die Werkstätten,
Kontore, Manufakturen atmen auf.
Endlich frei. Die Pause aus der Perspektive der
Arbeit betrachten auch die Brüder Schnelle aus
Quickborn, als sie Ende der 1950er Jahre die Bürolandschaften erfinden. Sie ordnen die Schreibtische
im freien Rhythmus im Großraumbüro an, nachdem
sie die Büros von Vorzimmern, Türen, Korridoren
und Wänden befreit und die menschengemachte
Verwaltung dem digitalen Fluss der Belege unterworfen haben. Mit den Bürolandschaften wurden auch
die Pausenräume erfunden. Der Geruch von Kaffee
und Stulle ist die stumme Aufforderung und Erlaubnis zur Pause, jederzeit und immer. Curd Alsleben,
WAS UNS AUSGEHT
der Architekt des Großraumbüros, notiert, dass die
Angestellten auch in den Pausen über nichts anderes
als die Arbeit reden – das gemeinsame Nichtstun fördere die Arbeit. Nahezu zeitgleich führte der Wiener
Peter Drucker die Zielvereinbarungen ein, die das
Nichtstun der Arbeit unterordnen. Die leere Zeit
wird dabei nicht nur als Teil der Arbeit betrachtet. Sie
ist die Unrast im Uhrwerk der Arbeit. Die Hemmung
hilft dabei, nicht aus dem Takt zu fallen, die Vorgaben
in vielen Fällen sogar überzuerfüllen.
Wenn Nichtstun Arbeit ist, kann auch die Arbeitslosigkeit zur Ressource von Arbeit werden. Die ersten Entwürfe, die längere Pausen in die Arbeit integrieren, entstehen um 1982 in der Autostadt Flint
in Michigan im Schatten einer Krise. Um Entlassungen zu vermeiden, solle die Arbeitszeit halbiert, die
Freizeit mit selbstbestimmter Arbeit gefüllt werden:
sechs Monate Arbeit, sechs Monate Freizeit. Man
feiert die Teilzeitarbeitslosigkeit – den Hausbau, die
Selbstversorgung, die Permakultur, das Urban Gardening – als Rückbesinnung auf eine «Arbeit, die wir
wirklich, wirklich wollen» (Bergmann 2020, 323) und
rehabilitiert so die Arbeit, an der man sich nur selbst
erfreut, die Crabb noch als nichtiges Tun beschrieben hat. Mit der Arbeit an der Pause wirbt Frithjof
Bergmann, der Erfinder von New Work. Bergmann
hatte Philosophie in Princeton gelehrt, war unzufrieden und kündigte. Das «wahre Leben» wollte er
auf den Spuren Henry David Thoreaus (1995, 59) in
den Wäldern von New Hampshire finden: mit dem
Anbau von Mais, Kohl, Kartoffeln und 20 anderen
Gemüsesorten sich die Pause selbst verdienen. Aber
das Low-Tech-Leben in den Wäldern war ihm wie
schon Thoreau zu mühsam. Ohne Strom und Motorsäge fiel zu viel Zeit auf die Selbstversorgung. Bergmann träumte darum von einer «High-Tech-EigenProduktion» (Bergmann 2020, 22), von Apparaten,
Materialien, Maschinen und Herstellungsarten, die
es einer kleinen Gruppe ermöglichen, das Lebensnotwendige zu 60 bis 80 Prozent selbst herzustellen.
Das ging nicht auf. Doch viele Entwürfe des bedingungslosen Grundeinkommens haben die Pause in
ähnlicher Weise fortgedacht: die Nichtarbeit als Teil
der Arbeit begriffen. Das unbedingte Grundeinkommen im Globalen Norden ist ein Leben an der Existenzgrenze, das mit Billigproduktionen im Globalen
Süden rechnet – die Freiheit von Arbeit entkommt
der Ökonomie nicht.
«Blass, unscheinbar, bedauernswert anständig und
rettungslos verloren, das war Bartleby». Er «saß in
89
P
P
seiner Einsiedelei über der eigenen Arbeit, blind
für alles andere» (Melville 2010, 15 f.). Er arbeitete
Tag und Nacht, machte niemals Pause bis zu jenem
Satz, der uns seitdem unaufhörlich auf Anstecknadeln, Stoffbeuteln, T-Shirts und Kaffeetassen
entgegeneilt: «Ich möchte lieber nicht.» Die Abschriften, die Herman Melvilles Schreiber Bartleby
bis zuletzt dem Bürovorsteher schuldet, verweisen
auf keine Etymologie, aber auf einen Namenszwilling: «ein Säckchen von Leinwand, mit Kohlen-,
Kreide- oder Rötelstaub gefüllt, das der Maler, die
Stickerin etc. durch eine durchstochene Zeichnung klopft, um dadurch die Zeichnung der Umrisse auf den Malgrund, den Stoff, etc. zu bringen
(durchpausen, durchstäuben, kalkieren)» – das ist
die Pause. «P. heißt auch eine mittels durchscheinenden Papiers von der Zeichnung genommene
Kopie» (Meyer 1906, 521). Was faul ist an der
Pause, kann man diesem Lexikoneintrag gut entnehmen. Die Pause entspringt keiner anderen Zeit.
Sie ist keine Utopie, sondern Negativ und Kopie
der Arbeit. «Die Abschriften! Die Abschriften!
[…] Ich möchte lieber nicht» (Melville 2010, 19).
Wir wissen, wie das endet. «I would prefer not to»
ist kein Protest, sondern nur «ein Säckchen von
Leinwand, mit Kohlen-, Kreide- oder Rötelstaub
gefüllt»: ein Spiegel, der jedem Satz unmittelbar
seine Negation vor Augen hält.
Wie kann man also die Freiheit finden, etwas
ausgehen oder sein zu lassen? Indem wir dem
Gras beim Wachsen zuschauen? – Nicht gießen!
Die Hemmung wächst mit den Don’t-do-Listen.
Nicht fliegen. Nicht tanken. Nicht kaufen. Nicht
wachsen. Nicht lügen. Die Schwierigkeit, nein zu
sagen, ist «ein Problem der Sprache im Zustand
der Sprachlosigkeit», schreibt Klaus Heinrich.
Protestari bedeute, vor Gericht das Schweigen zu
brechen, damit das Schweigen nicht als Zustimmung gedeutet werden könne (2020, 43, 109).
«Wo wird aus der Verweigerung Revolte, aus der
zufälligen Blockade der organisierte Generalstreik?«, fragt Milo Rau (2023, 89).
Aus Heinrichs Zustand, dem Wann und Wie
des Protests, wird bei Rau ein konkreter Ort der
90
Utopie in der Gegenwart und in Melvilles A Story of Wall Street ein Problem der Zustellung. Über
den toten Bartleby erzählt der Bürovorsteher rückblickend, er habe als kleiner Angestellter im Büro
für unzustellbare Briefe gearbeitet. «Tote Briefe!
Klingt das nicht wie tote, nicht zugestellte Menschen?» (Melville 2010, 64) Die Briefe verstummten, bevor sie ihr Ziel erreichen konnten, die Revolte wurde nicht zugestellt. Am Fenster stehen, zur
kahlen Wand hinüberträumen. Das Briefeschreiben lieber gleich sein lassen? Es fällt schwer, nein
zu sagen – für das, was uns ausgeht, eine Perspektive zu finden. Das Nichtstun oder die leere Zeit
stehen weniger für den Sonntag: die lange oder
vermeintlich unendliche Weile. Die aufgebrauchte
Zeit ist in vieler Hinsicht kein Haben, sondern ein
Soll. Das Phlegma des Seinlassens kann nur überwinden, wer nicht nichts tut.
GLORIA MEYNEN
Lit.: Barthes, Roland (2002): Mut zur Faulheit, Christine
Eff, Le Monde Dimanche, 16. September 1979, in: ders.:
Die Körnung der Stimme, Interviews 1962 – 1980, Frankfurt / M., 367 – 374. · Bergmann, Frithjof (2020):
Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg. · Crabb, George
(1826): English Synonyms Explained, in Alphabetical Order,
with Copious Illustrations and Examples Drawn from the
Best Writers, New York. · Heinrich, Klaus (2020):
Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen, Freiburg,
Wien. · Melville, Herman (2010 [1856]): Bartleby,
The Scrivener. A Story of Wall Street, New York, London.
· Meyer, Hermann Julius (1906): Meyers Großes Konversationslexikon, Bd. 15, Leipzig, Wien. · Rau, Milo
(2023): Die Rückeroberung der Zukunft. Ein Essay, Hamburg. · Montaigne, Michel de (1992): Wider den
Müßiggang, in: ders.: Essais. (Versuche) nebst des Verfassers Leben nach der Ausgabe von Pierre Coste, Bd. 2, Zürich,
527 – 535. · Thoreau, Henry David (1995 [1854]):
Walden; or, Life in the Woods, New York.
PERSPEKTIVE In den Principia philosophiae stellt
sich René Descartes das System der Wissenschaften als einen Baum des Wissens vor. Aus einigen
metaphysischen Prinzipien, die als Wurzeln tief in
die Erde hineinragen und dem Gebilde ein stabiles
Fundament geben, wächst der Stamm der Physik,
Zf M 30, 1/2024
Zeitschrift für Medienwissenschaft, Jg. 16, Heft 30 (1/2024), https://doi.org/10.14361/zfmw-2024-160134. Published by transcript
Verlag. This work is licensed under the Creative Commons Attribution CC -BY -NC -ND 4.0 DE licence.
GLORIA MEYNEN | CHRISTOPHER LUKMAN
Repositorium für die Medienwissenschaft
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)
Was uns ausgeht
2024
https://doi.org/10.25969/mediarep/22001
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Teil eines Periodikums / periodical part
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Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Was uns ausgeht, Jg. 16 (2024),
Nr. 1. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/22001.
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