Durch das Nichts zur Fülle der Wirklichkeit
Patrick Grüneberg
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Nihilismusdebatten bilden einen integralen Bestandteil neuzeitlicher Philosophie. Nach einer noch
eher epistemologisch konnotierten nihilistischen Kritik der Fichteschen Wissenschaftslehre Fichtes
durch Jacobi, der die vermeintlich materiale Leerheit des Ich bedauerte, traten dann später explizit
nihilistische Theorien mit einer existentiellen Dimension auf den Plan, d.h. der Verneinung jeglicher rationaler Sinnhaftigkeit der Welt bzw. des menschlichen Lebens. Im Folgenden möchte ich
eine nihilistische Konzeption vorstellen, die auf einem der konkreten existentiellen Wirklichkeit des
Menschen vorgelagerten Ebene angesiedelt ist und die sich, wenn man klassifizieren wollte, als
transzendentaler oder auch genetischer Nihilismus bezeichnen ließe. Wie zu zeigen sein wird, hat
ein solcher Nihilismus eine spezifische wirklichkeitskonstitutive Funktion. Ausgangspunkt dieses
Nihilismus ist die Analyse der Existenz als der umfassenden Wissensform mit dem Resultat, daß
„[d]ie Wirklichkeit eben nicht wirklich [ist]. Als Nichts läßt sie sich ableiten, u ists.“ (37r1)1 Fichte
zeigt in der Wissenschaftslehre 1805, inwiefern die empirische Wirklichkeit trotz ihrer empirischen
Fülle bzw. Materialität in genetischer bzw. transzendentaler Perspektive2 gerade als eine Leerheit
auftreten muss, damit die Struktur des Wissens begründet werden kann.
In genetischer Perspektive wird der Untersuchungsgegenstand, hier das menschliche Wirklichkeitsbewusstsein, aus seinem logisch-begrifflichen Bedingungsgefüge entwickelt. Dazu analysiert Fichte
die Form des Beuwsstseins bzw. des Wissens. Das Bewusstsein wird hier als Wissen thematisiert,
um das subjektive Vollzugsmoment angemessen zu berücksichtigen: Bewusstsein ist kein akzidenteller Zustand, sondern das Medium, in dem sich für uns Menschen jegliche Realität als eine erfahrbare Realität konstituiert. Gegenüber dieser subjektivistischen Perspektive beinhaltet der Wissensbegriff zugleich den Bildcharakter des Wissens: Das Wissen erkennt sich auch immer als Bild, d.h.
im Wissen sind wir mit dem Kosmos, Gegenständen und anderen Subjekten konfrontiert, die nicht
aus unserem individuell-subjektiven Wissensvollzug stammen. Dennoch wissen wir von all diesen
Inhalten. Damit ergibt sich für eine genetische Theorie des Wissens die Aufgabe, dieses Wechselverhältnis von subjektiver Bezugsweise und objektiver Gegebenheitsweise zu klären. Logisch-begrifflich wird eine solche Erklärung dann, wenn sie den allen Bewusstseins- bzw. Wissensakten zugrundeliegende Form, d.h. diejenigen strukturellen Momente bestimmt, die zur Konstitution von
Wissen als einem Selbst- und Weltverhältnis führen. Das explizit genetische Moment bzw. dessen
logisch-begriffliche Explikation zielt auf die Erklärung dieses Selbst- und Weltverhältnisses, ohne
dabei ein spezifisches Weltverhältnis, wie z.B. das Verhältnis zur Natur oder das Selbstbewusstsein,
vorauszusetzen. Dass auch eine genetische Erklärung des Bewusstseins nicht voraussetzungslos arbeitet, ist im Ganzen unbestritten. Allerdings bildet es einen wichtigen Teil der Wissenschaftslehre,
genau zu eruieren, welche Voraussetzungen notwendig sind.
Entgegen des häufig existentialistisch-nihilistisch konnotierten Gebrauches des Nichts bzw. des Nihilismus möchte ich hier eine der Moderne ebenso inhärente epistemologische bzw. genauer: wissenstheoretische Interpretation vorstellen.3 Aufgrund der Komplexität der Wissenschaftslehre 1805
1
Die folgenden nur mit der Originalpaginierung und der Angabe des Absatzes nachgewiesenen Zitate stammen aus dem
Abdruck der Wissenschaftslehre 1805 in der Meiner-Ausgabe (Gliwitzky, Hamburg 1984).
2
Der Begriff „transzendental“ hat eine lange und reiche Begriffsgeschichte. Leider wird er heutzutage allzuoft mit ein seitig subjektivistisch-idealistischen Ansätzen assoziiert. Da allein schon die gemeinsame Thematisierung von Kant und
Fichte unter dem Rubrum 'transzendental' große Schwierigkeiten aufwirft, werde ich den spezifisch Fichteschen Ansatz
als einen genetischen darstellen. Zum Verhältnis der Kantischen zur Fichteschen Philosophie vgl. Asmuth, Ch., „Von
der Urteilstheorie zur Bewusstseinstheorie. Die Entgrenzung der Transzendentalphilosophie“, in: Fichte-Studien Bd. 33
(2009), S. 221-249.
3
Vgl. Widmann, Joachim, »Existenz zwischen Sein und Nichts. Fichtes Daseins-Analyse von 1805, in: L'héritage de
Kant. (Hg.) Regnier, Marcel. Paris 1982, S. 137-151, 1982. Widmanns Analyse unterliegt dem folgenschweren Irrtum,
dass der Text „sich […] als geradezu paradigmatische Vorausnahme späterer nihilistischer und existenzphilosophischer
Entwicklungen darstellt.“ (S. 142) Sein großes Lob für Fichtes vermeintliche Entdeckung der Bedeutung des Nichts für
die Existenz wandelt sich dann auch in deutliche Kritik, wenn sich Fichtes transzendentale Konzeption des Nichts Wid-
erfolgt hier eine rekonstruktive Darstellung der entsprechenden Passagen. Ausgehend von der Analyse der absoluten Intuition bzw. der noch undifferenzierten Vernunfteinheit in der 22. und 23.
Stunde (1) wird die Disjunktion von Form und Gehalt bestimmt (2). Mit diesem für die Wissenschaftslehre zentralem Argumentationsschritt (immerhin muss Fichte bei Zugrundelegung eines einheitlichen Prinzips wie dem Absoluten das für jedes Wissen konstitutive Differenzmoment aufweisen) werden die Ausführungen der 24. Stunde vorbereitet, in der Fichte ausgehend von der absoluten Anschauung als dem Sichverstehen des Nichts zu dem Resultat gelangt, dass die Wirklichkeit
nichts sei (3). Abschließend wird der genetische Zusammenhang des Nichts der absoluten Anschauung mit der Wirklichkeit dargestellt (4).
1 Analyse der absoluten Intuition
Die absolute Intuition bestimmt Fichte in der abschließenden Nebenbemerkung zur 20. Stunde
(30r3ff.) im Zusammenhang von A, B und C als der drei Formen, die das Absolute auf sukzessive
aufeinander aufbauenden Ebenen der Darstellung bezeichnen. A stellt den „Begriff des absoluten
als solchen“ (29v1) dar, d. h. das unmittelbare göttliche Existieren, und beinhaltet das „Daß des Lebens, welches hier gar kein besonderes Wie hat.“ (29v1) Als tätiger Begriff bzw. aufgrund seines
„seine[s] intelligirenden Leben[s]“ (29v1) führt es dann auch B als die reine Anschauung des Absoluten mit sich. A als der Begriff und B als die Anschauung münden letztlich in C als der Form der
Ichheit a/a4 bzw. in der „[a]bsolute[n] formale[n] Objectivierung seiner selbst, durch die Form des
Verstehens“ (35r1). Für unsere Untersuchung jedoch sind A und C nicht unmittelbar von Bedeutung. Für A und B gilt nun gleichermaßen, dass Gott in ihnen unmittelbar existiert, d. h. dass in ihnen noch kein Moment der Vermittlung eingetreten ist wie in C.
Beide unterscheiden sich aber dadurch, dass in B das Als schon irgendwie, auf eine in den folgenden Ausführungen näher zu bestimmende Weise eingeschlossen ist, jedoch ohne zu einer expliziten
Vermittlung bzw. zu einer Spaltung zu führen, d. h. Gottes Existieren „ist […] ohne alle Vermittlung dieses Als.“ (30r3) Sein Existieren in B wird also nicht durch das Als vermittelt, sondern sein
Existieren ist gleichzusetzen mit dem Als, um daraus die absolute Anschauung als Projektion zu begründen. Diese Form des Existierens ist die absolute und unmittelbare Anschauung, da auf dieser
Stufe noch nicht der intelligierende bzw. verstandesmäßige Unterschied bzw. die Vermittlung des
Absoluten mit sich selbst wie auf Stufe C vollzogen wird.5 Zunächst geht es hier um das anschauliche Moment in nuce. Das Absolute als Absolutes ist somit Inhalt der Anschauung und nicht des
Verstehens: „Seine Form allhier ist Licht, Intuition, als absolut innerlich geschloßnes u. stehendes
Leben, dagegen das Verstehen ein fließendes Leben ist.“ (30r3) Allerdings stiftet das Als auch hier
aufgrund „seines eignen formalen Wesens“ (30r3) Relation und somit ein zweites Glied, das aber
nicht, wie gesagt, zu einer verstandesmäßigen Spaltung des Absoluten in Form und Gehalt führt, da
hier auf der Ebene der absoluten Anschauung noch die Unmittelbarkeit des Anschauens und noch
nicht die Vermitteltheit des Verstehens vorrangig ist. Demgegenüber „[werde] vermittelst desselben
[des Als; P.G.] verstanden, nicht das absolute, sondern die Anschauung des absoluten.“ (30r3) Dieses Verstehen ist hier noch völlig in der Vernunft als der Anschauung des Absoluten enthalten, so
dass Fichte die Form des göttlichen Existierens in B bestimmt als Vernunft und Verstand „in absomanns intendierter Existenzanalyse des Individuums versperrt. Die folgenden Ausführungen zeigen demgegenüber, daß
sich die genetische Konzeption des Nichts auf einer Ebene abspielt, die der existentiellen Ebene des Individuums logisch-begrifflich vorgelagert ist und demnach keine nihilistischen Implikationen mit sich führt. Siehe demgegenüber die
Übersichtsdarstellung von Falk, Hans-Peter, „Existenz und Licht. Zur Entwicklung des Wissensbegriffs in Fichtes Wissenschaftslehre von 1805“, in: Fichte-Studien Bd. 7 (1995), S. 49-57 hinsichtlich einer subjektivitätstheoretischen Interpretation des Begriffes der Existenz.
4
Vgl. dazu 29v1.
5
Vgl. hierzu die Bestimmung der absoluten Anschauung als „relationsloser Wissensvollzug“ (Janke, Wolfgang, Johann
Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805’. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar.
Darmstadt 1999, S. 102). Streng genommen handelt es sich dabei nicht um einen Wissensvollzug, da ein solcher relational strukturiert ist. Aber da wir uns hier auf einer dem letztlich zu begründenden Wissensvollzug vorgängigen Stufe befinden, macht es dennoch Sinn, hier von einem relationslosen bzw. anschaulichen Wissensvollzug, also einem solchen,
der ausschließlich auf einem anschaulichen Moment beruht, zu sprechen.
luter Einheit“ (30r3), wobei der Verstand nur in Beziehung zur Vernunft steht, „so daß die Vft. nur
sich selber, als Anschauung des Absoluten verstehe, und Gott garnicht unmittelbar mit dem Verstande, sondern mit diesem nur mittelbar, vermittelst der Vft. in Beziehung käme.“ (3or3) Das gesamte zweite, durch das Als gesetzte Glied besteht zusammengefasst im „sich Verstehen, u. Nachconstruieren [der Anschauung selber]“ (30r3).
Diese absolute Anschauung unterzieht Fichte dann in der 22. Stunde als „[a]bsolute Projektion“
(33r3) einer weiteren eingehenden Analyse. Im Sinne des nicht verstandesmäßig vermittelnden,
sondern lediglich anschaulichen, d. h. nicht verobjektivierenden, Als bzw. des relationslosen Wissensvollzuges ist die absolute Projektion „zu denken, ohne Projiciens, ohne terminus a quo“ (33r3),
d. h. als reine Anschauung, in der Einheit von Blick (Projiziens) und Projektum herrscht. Fichte verdeutlicht diese nicht zu differenzierende Einheit von Projiziens bzw. Projektion und Projektum dahingehend, dass die Projektion abgesondert nur „unsichtbar: […] [als] absolut reale, u. praktische
Thätigkeit“ (33r3) zu denken wäre. Die Vernunft auf dieser Stufe ist „[r]eines wesentliches Licht,
ohne allen Zusatz“ (33r4) bzw. völlig auf sich selbst beruhend und somit ohne ein Verständnis ihrer
selbst: „Reines Licht, [von uns gedacht; P.G.] als Gottes Seyn, oder als die Urform des göttlichen
Seyns, welches aber selbst durch aus sich nicht faßt, denkt, oder objektivirt, sondern eben nur ist in
sein Seyn verlohren, u. darin aufgehend.“ (33r6) Im weiteren Verlauf der Analyse wird deutlich, inwiefern das Licht nicht denkt und damit blind ist.
Dieses Licht hat ferner „absolute durch sich selbst ein Object“ (33v1) und ist Grund erstens der Objektivität und zweitens der beiden Bestimmungen derselben, das sind die objektive Form und die
objektive innere Geschlossenheit. Diese Zuschreibung eines Objekts beruht dabei auf der Analyse
des Lichts, da dieses selbst kein Objekt im eigentlichen Sinne hat, sondern eben nur reine Anschauung bzw. die das Objekt ermöglichende Objektivität ist, die späterhin in einem konkreten Wissensakt zu einem Objekt ausgestaltet werden kann. Aber durch die Zuschreibung „eine[r] praktischen
Thätigkeit“ (33v1) können wir aus der Perspektive einer Theoretisierung des Lichts sagen, dass „es
seine eigne, ihm als solche schlechthin unmittelbare That, unmittelbar im Thun […] als stehendes
Faktum [anschaut].“ (33v1) Indem das Licht „absolute“ (33v1) projiziert, entsteht dem Licht aus
diesem Projizieren „in facto ein absolutes, u. concrescirt ihm dazu: auf eine absolut in ihm selbst
geschloßne u. vollendete Weise“ (33v1) Es ist entscheidend hierbei zu bemerken, dass das Faktum
des Absoluten nicht für das Licht selbst ein Objekt wird, sondern dass das Licht zunächst nur die
Tätigkeit umfaßt, die letztlich in facto, d. h. auf der Ebene des Wissens, zu einem Faktum wird.
Hier geht es zunächst nur um die Tätigkeit der absoluten Projektion, die darin besteht, aus sich heraus Objektivität zu produzieren. In dieser Tätigkeit bzw. im zu antizipierenden Produkt dieser Tätigkeit ist dann letztlich alles Reale durch die Objektivierung als die faktische Realität ausgesondert
und zwar „ohne Rückkehr“ (33v1), so dass hier das Licht das einzige Absolute bleibt: „Alles genannte geht hervor aus der Form des Lichts selber.“ (33v1) Mit Blick auf das Anliegen der Formlehre stellt Fichte hier die notwendige Frage, wie man aus der hier dargestellten absoluten Immanenz des Lichts als Form zu einem im Absoluten gegründeten Realen komme. Dazu gilt es, die „Bestimmtheit des inneren Wesens“ (33v1) dieser Projektion – also ganz im Sinne der Formlehre das
Licht als die Form gegenüber materialer Bestimmtheit – weiter zu explizieren.
Zwecks dieser Explikation muss eine Wechselwirkung des Absoluten mit dem Licht angenommen
werden, da das Licht selbst als reine Form mit dem Absoluten in Beziehung zu stehen hat. In dieser
Wechselwirkung des Lichts mit dem Absoluten lassen sich rein formaliter zwei Aspekte unterscheiden. (1.) Das Dass bzw. das Dasein formaliter6 des Lichts ist im Absoluten begründet: „[D]as Seyn
des Lichts wäre seine [des Absoluten; P.G.] unmittelbare, in keinem Lichte weiter zu erblickende
Existenz.“ (33v1) (2.) Das Licht ist durch das Absolute weiterhin hinsichtlich seines Wie, seiner inneren Beschaffenheit bzw. Qualität7 bestimmt und somit „Grund der Existenz Gottes in ihm.“
(33v1) Mit Blick auf den systematischen Fortschritt ist aber einschränkend festzustellen, dass in
6
7
Vgl. dazu die Ausführungen in der 19. Stunde (28r0f.).
Vgl. ebd.
dieser Wechselbeziehung der „EinigungsPunkt [von Absolutem und Licht; P.G.] […] gefunden
[ist], aber nicht als analytisches Prinzip, die ganze Disjunktion ist verlohren“ (33v2), weil Absolutes und Licht bzw. der materiale Gehalt und die Form in der Wechselbeziehung vereinigt sind und
ihr Disjunktionsprinzip durch „die Konzentration auf das absolute Existieren in der Form des reinen
Lichtes und Projizierens ohne Projiziens“ (Janke 1999, S. 106) nicht explizit ist. Dieses Disjunktionsprinzip wird aber gerade benötigt, um die „Möglichkeit der Ausscheidung“ (33v2) begründen zu
können, d.h. zu zeigen, wie die Form als Form vom materialen Gehalt getrennt werden kann. Während diese Ausscheidung hier im Verlauf der Wissenschaftslehre den methodischen Zweck hat, die
Form vom absolut Realen zu trennen, zeigt sich hier zugleich das performative Element der Fichteschen Konzeption. Mit Blick auf die Genese des Wissens wird hier nämlich nicht nur objektive das
methodische Problem der Analyse der absoluten Form des Wissens gelöst, sondern damit auch die
Struktur des Wissens genetisch nachvollzogen, da der Wissensbezug selbst als ein formales Moment gegenüber einem realen Gehalt fungiert und somit für das Wissen in toto dieselben strukturellen Verhältnisse gelten wie in der Analyse der Form des Wissens, d.h. es muss geklärt werden, wie
ein formales Einheitsmoment (im faktischen Wissen das Ich) gegenüber einem materialen Gegebenheitsmoment verortet werden kann. Auf der Möglichkeit dieser Ausscheidung sowohl in methodischer als auch in inhaltlicher Hinsicht beruht demnach „die Möglichkeit des Bewußtseyns […] und
vermittelst dies der Welt.“ (33v2)
2 Ableitung der Disjunktion von Form und Gehalt
Die Ausscheidung, die in zweierlei Hinsicht, nämlich inhaltlich als Struktur des Bewusstseins und
formal als Methodik der Wissenschaftslehre, auftritt, wird mit Blick auf die Form bzw. genauer die
reine Anschauung (B) abalysiert, und zwar inwiefern „das Eine [das Absolute; P.G.] als zwei [als
Form und Realität; P.G.] in seiner notwendigen Disjunktion, für das System“ (34r1) begründet werden kann. Der erste Schritt dieser Ableitung der Disjunktion von Form und Gehalt beginnt mit B als
der reinen Anschauung des Absoluten. Davon ausgehend, dass „sie [die reine Anschauung] das Absolute in jener Als-Form [vernimmt]“8 gilt, dass „[d]as sich gleich bleiben sollende Wesen desselben [des Absoluten; P.G.] schon an sich, als Quale in einem Intelligieren: also Verstande“ (34r4)
ist. Allerdings werden auf der Ebene von B als absoluter Anschauung der Verstand aufgrund seiner
Nicht-Ableitbarkeit und somit auch das Intelligieren negiert, so dass nur B als Anschauung bleibt.
Dieser Schritt ist notwendig, „weil wir ihn [den Verstand; P.G.] nicht abzuleiten vermögen“ (34r4),
da es wiederum unmöglich ist, von der Verstandesform zu abstrahieren, diese aber auf der transzendentalen Ebene der absoluten Anschauung gerade nicht gelten soll, weil die Verstandesform allererst im genetischen Gang entwickelt werden muss. Ähnlich wie beim relationslosen Wissensvollzug
zeigt sich auch hier anhand der nicht zu abstrahierenden Verstandesform die Ambivalenz, dass das
als reine Anschauung konzipierte B dennoch bereits schon die intelligierende Als-Form enthält,
weil diese im Verhältnis des Absoluten zu sich, auf dem das Wissen basiert, von vornherein angelegt werden muss. Ansonsten droht das Problem, dass die disjungiernde Als-Form von einem außerhalb des Absoluten liegenden Verstand eingespeist wird, was jedoch unmöglich ist, solange das Absolute absolut bleiben soll.
Aber auch, wenn B zunächst relationslos gesetzt ist, gilt es dennoch im zweiten Schritt, den Verstand bzw. das Als zu berücksichtigen, da ansonsten die Schwierigkeit einer ausschließlich anschaulichen und relationslosen Einheit besteht, auf deren Basis die für das Wissen notwendige Differenz nicht mehr begründbar wäre: „Diese reine Anschauung ist nothwendig selbst Verstand u. setzet Verstand, als ein nothwendiges u. unabtrennliches Ingrediens ihrer selber.“ (34r5) Zwei Voraussetzungen sind dabei in bezug auf den Verstand zu machen. (1.) Verstand ist „Wesensbeschreibung,
u. Nachconstruktion“ (34r5); (2.) da es sich hier aber um reine Anschauung handelt, die absoluter
Immanenz unterliegt, muss es Verstand der Anschauung selbst sein, d. h. das „Setzen der Form, zur
Relation“ (34r5) tritt in die Anschauung ein. Nun gilt aber auch, dass unmittelbar in der reinen Anschauung bzw. im absoluten Anschauen absolute Einheit, d. h. keine Objektivierung bzw. Projekti8
Janke 1999, S. 107.
on des Anschauens durch sich selbst und kein Verstehen in dieser Objektivität herrscht. Gefordert
wird auf der Ebene von B also Verstehen „ohne alles Objektiviren“ (34r5). Dieses Sichverstehen ist
materialiter Projektion bzw. in sich Verstand seiner selbst; formaliter gilt, dass es sich selbst (im
Gegensatz zum Ich) nicht voraussetzt: „absolute, u. wesentlich sich verstehen, ist was es ist, weil es
sich also versteht, u. versteht sich also weil es also ist.“ (34r5)
Im dritten Schritt werden schließlich das rein anschauliche Moment und das Verstehensmoment
synthetisiert. Ausgangspunkt dieser Synthese ist die intellektuelle Anschauung des B, nämlich „daß
das absolute in der Als Form, durchaus, u. schlechthin leer sey“ (34r8), da es als „[n]umerische
Wiederholung“ (34r8) in einem „bloßen leeren Repräsentanten, ohne allen Gehalt“ (34r8) abgebildet ist. Wenn Anschauung nun „Leerheit […] [als] Absatz ihrer selbst“ (34r9) mit sich bringt, so
schließt Fichte, dann versteht sich die absolute Anschauung als „absolutes Nichts, da sie in ihrem
Produkte nichts zu leisten bekennt.“ (34r9) Das zweite Resultat dieser Synthese liegt aufgrund der
materialen Leerheit der Anschauung in der Aussonderung des Absoluten aufgrund dieses Sichverstehen als Nichts. Somit ist die Disjunktion von Form als des Sichverstehens der absoluten Anschauung und Gehalt als dem Absoluten mittels dieses Sichverstehens der Anschauung als Nichts
begründet und somit vorgreifend auch die Erklärung von Vorstellung als eben der Duplizität des
leeren Als und dem Absoluten als dem Inbegriff alles Materialen, da Vorstellung grundlegend aus
einer Repräsentation eines Gehaltes besteht.
Zusammenfassend lässt sich das Verstehen im Rahmen der absoluten Anschauung wie folgt bestimmen: Dieses Verstehen ist formaliter ein Sichverstehen in Wechselbestimmung mit einem Sichsetzen, also ein „absolut immanenter Verstand“ (34v0); materialiter ist es ein Sichverstehen als
Nichts, d. h. es hat keinen Gehalt außer der Tätigkeit des absoluten Anschauens, die aber aufgrund
der materialen Leerheit der Als-Form das Absolute als den einzig möglichen realen Gehalt aussondert. Das Verstehen „ist also wie es sich versteht […] Nichts, drum aussondernd das Was, u. die
Spur seines Nichts ihm lassend.“ (34v0) Das Was steht dabei für den materialen Gehalt (d. h. das
ausgesonderte Absolute), dem allerdings letztlich in der Vorstellung immer der Charakter des
Nichts, d. h. der Projektivität bzw. Bildhaftigkeit der Vorstellung anhaftet. Das Resultat dieser Ableitung lautet somit: „Die Form in ihrer Einheit ist, soweit wir sie bis jetzt verstehen, das absolute
sich selbst verstehen des Nichts, als Nichts“ (34v1), d.h. die Form versteht sich als materialiter leer.
In Bezug auf die Vorstellung kann also insofern vom Nichts gesprochen werden kann, als dass sich
die grundlegende Anschauung des Absoluten als ein Nichts versteht, da sie mittels der Als-Form
das Absolute nur formal (in numerischer Wiederholung) und nicht materialiter repräsentiert. Dieses
Verstehen ihrer selbst rührt ferner daher, daß aller materiale Gehalt durch die verobjektivierende
Tätigkeit des Lichts abgespalten wird und im Licht auf der Ebene der Anschauung und der damit
einhergehenden Immanenz nur noch diese Tätigkeit, die keinen realen Gehalt hat, angeschaut bzw.
in ihrer Nichtigkeit, der zufolge sie nur abbildet, verstanden wird.
Im Folgenden muss vorbereitet werden, wie es vom Nichts dieser absoluten Anschauung zum
Nichts der Wirklichkeit kommt. Zunächst fasst Fichte im weiteren Gang der Wissenschaftslehre
1805, also in der 23. Stunde, einige wichtige Resultate zusammen, die wir kurz überblicken wollen.
Die „Voraussetzung, u. der damalige terminus a quo unsrer Beweißführung“ (34v4) war das nichtobjektivierende bzw. relationslose Sichverstehen des Lichts auf der Ebene der absoluten Anschauung mit dem Ergebnis, dass „[d]as blosse Verstehen lediglich die Nachconstruktion zu dem seyenden inneren Wesen [ist].“ (34v6) Weiterhin ist erwiesen, dass das Licht „[sich] findet, u.
[wahr]nimmt als Nichts“ (35r2), da das lediglich nachkonstruierende Als das Absolute nur numerisch wiederholt, diesem aber qualitativ nichts hinzufügt.
Anknüpfend an diese Bestimmungen des Sichverstehens erfährt dann das bereits analysierte Sichverstehen als Nichts eine weitere Spezifizierung: „Etwas verstehen als solches ist nur möglich durch
Gegensatz, das Verstehen des Nichts aber nur durch den Gegensatz des Etwas der Realität.“ (35r3)
In der Selbstanschauung des Lichts als Nichts steht diesem also ein Etwas bzw. Realität gegenüber,
die es weiter zu bestimmen gilt. Auf Basis der Immanenzbewegung, insofern nur Licht ist, folgert
Fichte weiter: „Das Eine ursprüngliche Reale was hier [also im Licht; P.G.] liegt ist das Verstehen.“
(35r4) Wird dann vom ‚sich’, d. h. vom Sichverstehen im Hinblick auf die Prädikation, die sich als
Nachkonstruktion des vorausgesetzten inneren Wesens versteht, abstrahiert, bleibt lediglich ein
„Construiren“ (35r4) übrig. Es gibt nämlich keine andere Realität, die das Verstehen im Hinblick
auf die Objektivierung von sich absetzen könnte als die des Konstruierens selbst, da dieses die einzige Realität im Licht ist. Auf der Ebene des reinen Verstehens (als abstrahiert vom Sichverstehen)
ist die Realität „Construktion“ (35r4), d. h. einerseits „thätige Mannigfaltigkeit in der Einheit ihrer
Thätigkeit, ein Quale“ (35r4) und andererseits „dieses Reale in der Verstandesform, die in Beziehung auf den Gegensatz [mit der Realität; P.G.] ein durch, also absolute durch sich, von sich, aus
sich“ (35r4) ist. Gegenüber diesem Realen der Konstruktion schaut sich das Licht selbst als Nichts
an und ist in dem Sinne bloße Anschauung, dass es sich selbst „als […] diese Anschauung nicht
durch sich, sondern durch das reale selber, welches durch eigne Kraft sich in ihm abbildet“ (35r5),
findet und somit „in Beziehung darauf nichts, d. i. bloß u. lediglich leidend“ (35r5) ist. Hier konkretisiert sich also das Sichverstehen des Nichts dahingehend, dass es sich faktisch als ausschließlich
formale und somit material leere Abbildung derjenigen Realität versteht, die es in transzendentaler
Hinsicht von sich abgesetzt hat, nämlich der seines eigenen Konstruierens, wobei dieses Konstruieren selbst ja wiederum unmittelbar das Absolute in der Existenzform ist.9
3 Von der absoluten Anschauung zur Wirklichkeit
Die Zergliederung der absoluten Intuition im Sinne des Sichverstehens als Nichts mit Blick auf die
Struktur dieser Anschauung bereitet die weitere Analyse vor, der zufolge die Wirklichkeit nichts ist.
Wir werden dazu nun abschließend dem Argumentationsgang der 24. Stunde folgen. Ausgangspunkt ist das ideale Moment: „Das absolute scheidet durch sein Seyn in der Als Form absolute sich
von sich selbst aus“ (36r2), so dass zwischen dem Absoluten und der Form eine absolute Differenz
bzw. die Form unabhängig vom Absoluten besteht. Die Form „ist eben unmittelbar Trennung“
(36r2), wobei ihr formaler Status der Trennung mit dem vorher explizierten materialen Status der
Leerheit zusammenfällt. Dieses ideale Moment wird dann bekanntermaßen realistisch eingeholt:
Das Absolute existiert in dieser Form, so dass „[b]ei aller Selbstständigkeit dieser Form es doch der
Urheber derselben [bleibt].“ (36r3) Urheber bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als
„Grund des daß, bloßes reines Gesez, daß eine solche Form sey.“ (36r3) Somit wird durch die idealrealistische Dialektik vermieden, dass die Argumentation in einen absoluten Idealismus einer ausschließlich realitätsleeren Form abgleitet. Gegenüber einem absoluten Realismus muss aber betont
werden, dass die Realität auch jetzt nicht der Form vorhergeht, sondern vielmehr in der Formierung
selbst liegt. Faktisch ist die Objektivität nicht aufzulösen, d. h. faktisch liegt immer ein objektives
Absolutes als die letztliche Realität unterschieden von dessen Form des Existierens vor. Aber genetisch bzw. transzendental kommt man „zur Einsicht ihres [der Objektivität; P.G.] Ursprunges“
(36v1): Es darf der Objektivität keine andere mehr vorausgesetzt werden, d. h. dem Existieren des
Absoluten darf kein so seiendes Absolutes vorausgestellt werden, wie es der Realismus bzw. das
faktische Bewusstsein verlangt. Demgegenüber ist das Absolute immer schon in der Form des Existierens (im Einheitsmoment von Existenz und Form) und lediglich von der Formseite her als ein
solches abgespalten. Das gängige, alltägliche bzw. das realistische Vorstellen bestimmen sich also
durch den Objektbezug, während sich das genetische bzw. transzendentale Vorstellen des objekti9
Den Zusammenhang zwischen der faktischen und transzendentalen Ansicht im Hinblick auf das Sichverstehen hat
Fichte zuvor spezifiziert, um den epistemischen Status der Nachkonstruktion zu klären. Unter Zugrundelegung des regulativen Satzes, dass alles nur unter Voraussetzung des Sichverstehens gelten soll, beinhaltet die transzendentale Ansicht, dass „das Licht absolute nur im sichselbstverstehen [ist], u. es sich nur durch dieses selbst verstehen [sezt]“
(35r0), so dass dem Licht auch kein weiteres Sein vorausgesetzt wird. In der faktischen Ansicht ist das Licht ein „in sein
Verstehen verschmolzene[s] sichverstehen“ (35r0) unter der Voraussetzung eines von diesem Verstehen unabhängigen
inneren Wesens. Gegenüber der transzendentalen Ansicht (mit Priorität der Tathandlung bzw. des factum fiens) ist dieses Wesen durch das Verstehen „ursprünglich u. schöpferisch […] als vorausgesetzt“ (35r0) gesetzt bzw. hat dadurch
für das Verstehen, nicht aber an sich einen objektiven (realen) Status.
vierenden Vorstellens über den Bezug auf die Tätigkeit des Vorstellens bzw. Formierens bestimmt.
Die faktisch unhintergehbare Objektivität des Absoluten liegt demnach begründet in der notwendigen Existenzform des Absoluten bzw. in dem explizierten Gesetz, das sich spezifizieren lässt als
das Gesetz der Existenz des Absoluten: „[F]alls es [das Absolute; P.G.] existirt, so ist dies zufolge
seines inneren Wesens“ (36v2) und eben nicht aufgrund einer dazukommenden idealen Form, die
das Absolute als das Reale dann zum Wissen bzw. zur Wirklichkeit formt: „Sein Wesen ist ihm sonach in ihm selber Gesez eines objektiven Seyns in der Intuition“ (36v2; Hervorhebung P.G.), d.h.
die Vorstellung eines objektiven, realen Seins, das subjektunanhängig existiert, ist notwendige Konsequenz der Form des Absoluten. Das faktisch bzw. realistisch konstatierte Sein bildet damit seinerseits das genetische Produkt der Wissensbildung und geht dem Wissen nicht voraus. Durch dieses
im Absoluten liegende Gesetz tritt das Absolute in ein Selbstverhältnis ein: „Dieses sein inneres absolutes Verhältniß zu ihm selber ist der Grund“ (36v2; Hervorhebung P.G.) des Dass der Form und
damit der faktischen Vorstellung
Mit Blick auf das Sichverstehen des Nichts muss dieses Gesetz nun weiter analysiert werden. Eine
solche Analyse gründet sich wie bisher auf eine Abstraktion zugunsten der Form. Abstrahiert man
von allem materialen Gehalt des Gesetzes, nämlich „daß objectivirende Intuition des Absoluten
seyn soll“ (36v3), gelangt man zur Auffassung des Gesetzes „als ein reines daß.“ (36v3) Hinsichtlich der Folge dieses Gesetzes, also dem Inhalt des Dass, gilt formaliter, dass „diese Folge absolute
Selbstschöpfung“ (36v3) ist bzw. „[d]as Gesez, als ein blosses absolutes daß, Selbstständigkeit seiner Folge [sezt]“ (36v3), da ansonsten die Folge nicht vom Absoluten unterscheidbar wäre. Mittels
des Gesetzes soll letztlich das Sichverstehen als Nichts und daraus die Objektivität begründet werden. Weiterhin gilt, dass dieses Sichverstehen ein „inneres Seyn“ (36v3) setzt, aber nicht das des
Absoluten oder das Absolute selbst, da die durch das Gesetz gesetzte Folge ja gerade selbständig
ist. Das innere Sein des Sichverstehens soll ja Resultat des Gesetzes sein, und so – in formaler Hinsicht – „[liegt] in diesem nur das Gesez“ (36v3) des reinen Dass, welches in bezug auf das Sichverstehen als Nichts zu präzisieren ist als „Gesez eines absoluten sich machens [factum fiens; P.G.] aus
dem reinen, u. absoluten Nichts zum bleibenden, u. absoluten Nichts.“ (36v3)
4 Der genetische Zusammenhang des Nichts der absoluten Anschauung mit der Wirklichkeit
Eine Anmerkung (36v4-37r1) erläutert schließlich in genetischer bzw. transzendentaler Hinsicht das
Verhältnis des Absoluten (Gott) zur Welt bzw. Wirklichkeit. In realistischer Hinsicht besteht Einheit: „Gott ist Weltschöpfer: Nein: denn es giebt keine Welt, u. kann keine geben; denn nur das absolute ist, das absolute kann aber nicht realiter u. wahrhaftig aus ihm selber heraus gehen.“ (36v4)
Damit ist bereits in wissenskonstitutiver Hinsicht die materiale Nichtigkeit der Wirklichkeit festgesetzt, da nur das Absolute bzw. Gott als Realität möglich ist. Die Differenz zwischen Gott und Welt
wiederum ist lediglich auf der Formseite begründet: „Aber in Gottes innerm, rein geistigen Wesen
liegt es, daß das Nichts ihm gegenüber sich als Nichts verstehe, und in diesem Verstehen eben, u.
lediglich durch daßelbe zu einem scheinbaren Etwas [d. i. die Welt bzw. die empirische Wirklichkeit; P.G.] sich selbst gestalte u. erschaffe, u. so das absolute, in einer ewig leer bleibenden Anschauung anschaue, deren ganze Realität nur die oben erwähnte ist, daß in dem göttlichen Wesen
innerlich die Nothwendigkeit dieser seiner Anschauung liege.“ (36v4)
Das Verhältnis von Absolutem und Welt lässt sich somit auf Basis einer Synthese des idealen und
realen Moments präzisieren als das Verhältnis von Gott und der gesetzmäßigen Anschauung. Die
Anschauung Gottes ist „[d]as absolut durch sich selbst u. um sein selbst willen existirende, u absolut, gleich dem absoluten selbst nothwendige.“ (36v4) Die Anschauung ist demnach kein zur Realität des Absoluten hinzukommendes selbst materiales Moment. Es muss lediglich auf der Formseite
die Bedingung der Möglichkeit dieser Anschauung berücksichtigt werden, nämlich „[d]ie absolute
sich selbst Erschaffung des Nichts“ (36v4). Die entscheidenden Momente hier sind (1.) die Notwendigkeit der Anschauung begründet im inneren Wesen Gottes (realiter), d. h. nicht als zufällig Gott
zugeschrieben bzw. diesem willkürlich verfügbar, und (2.) die Selbständigkeit des in der Anschauung Gesetzten (idealiter) im Sinne des Dass. Der formale Status des Nichts als Möglichkeitsbedin-
gung der Selbstanschauung Gottes, aus der heraus letztlich die Wirklichkeit abgeleitet werden soll,
begründet damit die Wirklichkeit als Nichts: „Die Welt daher erschafft schlechthin sich selber
[ideale Selbständigkeit der Form; P.G.], und in diesem Erschaffen, dieser Genesis aus dem Nichts
liegt die unaustilgbare Spur ihres Nichts [nämlich dass sie lediglich das Absolute in einer formalen
und insofern leeren Anschauung abbildet; P.G.], denn aus Nichts wird Nichts.“ (36v4) Als notwendig durch das Gesetz des Dass und somit als Nicht-Folge10 gesetzt tritt die Anschauung zwar als
selbständiges Moment und somit als erstes Moment der Erschaffung der Wirklichkeit auf, kann
aber wiederum nur, wie dargelegt wurde, die eigene Nichtigkeit gegenüber dem Absoluten anschauen. Darin, in diesem Setzen der eigenen Nichtigkeit, liegt aber gerade das notwendige ideale Differenzmoment, das notwendig ist, damit überhaupt eine Duplizität und damit Vorstellung als ein
selbstbezügliches Repräsentationsverhältnis möglich wird. Die Wirklichkeit ist also insofern nichts,
als dass die genetische Möglichkeit der Welt bzw. der Wirklichkeit letztlich auf der hier explizierten Selbstanschauung des Absoluten gründet: „[A]us Nichts wird Nichts; Nichts bleibt ewig Nichts.
[…] Die Wirklichkeit ist eben nicht wirklich. Als Nichts läßt sie sich ableiten, u. ists.“ (37r1)
10
Vgl. zum Theorem der Nicht-Folge Asmuth, Ch., „Fichtes Theorem der Nicht-Folge: Der Anfang transzendentaler
Freiheit“, in: Fichte-Studien Bd. 34 (2010), S. 47-64.