Das Lebendige Wort - Band 02 - Abraham, Isaak, Jakob
Das Lebendige Wort - Band 02 - Abraham, Isaak, Jakob
Das Lebendige Wort - Band 02 - Abraham, Isaak, Jakob
ABRAHAM
ISAAK
JAKOB
.Mose 12-50
Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann auch einzeln bezogen
werden.
Jakob Kroeker
Abraham - Isaak
Jakob
oder
Die Grundlagen des Glaubens
1. Mose 12-50
Kroeker, Jakob:
Abraham - Isaak - Jakob
oder die Grundlagen des Glaubens :
1. Mose 12-50 / Jakob Kroeker. -
6. Aufl. - Giessen ; Basel : Brunnen-Verl. ;
Bad Liebenzell : VLM, 1989
(Das lebendige Wort ; Bd. 2)
ISBN 3-7655-5402-2 (Brunnen-Verl.) kart.
ISBN 3-88002-202-X (VLM) kart.
ISBN 3-7655-5400-6 (Gesamtw.)
6. Auflage 1989
5
b) D i e G e b u r t Ismaels 93
c) H a g a r in der W ü s t e . . . . . . 95
9. „Ich bin El»Schaddai!" (1. Mose 17) 99
a) Das Schweigen Gottes 99
b) Die neue Gottesoffenbarung 102
c) Der erneute Verheißungsbund 103
d) Das Bundeszeichen 107
e) Die Bundesverheißung 110
10. Abrahams beginnende Glaubensverheißung (1. Mose 18) . . . . 114
a) Die Glaubenswelt Abrahams 114
b) Die Welt Sodoms 118
c) Abrahams priesterliche Fürbitte 121
11. Lots Rettung und Sodoms Gericht ( i . Mose 19) 126
a) Lots Sitzen im Tore Sodoms 127
b) Sodoms Verhalten den Fremden gegenüber 129
c) Lots Rettung 132
d) Das Schicksal von Lots Weib 134
12. Die Geburt Isaaks (1. Mose 20,1—21,21) 136
a) Abrahams Versagen in Gerar 136
b) Endlich der Erbe! . . . 138
c) Ismaels Ausstoßung 142
13. Abimelechs Bund mit Abraham (1. Mose 21,22—34) 147
a) Das Bekenntnis Abimelechs . . . . . . 147
b) Der Bundesschluß 349
c) Abrahams neu gewonnene Gotteserkenntnis 152
14. Der Opferweg des Glaubens (1. Mose 22,1—19) 156
a) Des Glaubens schwerste Prüfungsstunde 156
b) Im Glaubensgehorsam nach Morija 162
15. Das Abendrot des Glaubenslebens (1. Mose 23,1—25,18) . . . . 167
a) Der Tod Sarahs 168
b) Abrahams hohes Alter 172
c) Die Mission Eliesers 174
d) Abrahams zweite Ehe und Tod 177
III. Isaak oder der Segen der Verheißung und der Kindschaft
(1. Mose 25,19—27,40) 180
1
1. Isaak und seine zwei Söhne (1. Mose 25,19—34) ^°
a) Isaaks selbständiges Glaubensleben 181
b) Esaus und Jakobs Geburt 184
c) Der Handel um die Erstgeburt 188
2. Gottes Warnung in der Versuchungsstunde
(1. Mose 26,1—11.34; 36) 189
a) Die Hungersnot im Südlande 190
b) Isaaks Niederlage in Gerar 193
c) Esaus Heirat und seine Geschlechter 195
3- Isaak, der Gesegnete des H e r r n ( 1 . Mose 26,12—33; 27) . . . . 197
a) Die Eifersucht der Philister 198
b) Isaak segnet seine beiden Söhne 201
8
Gewiß, den Vater haben auch die Patriarchen uns nicht geben können, wie
er uns gegeben worden ist durch Jesus Christus. Auch sie konnten Gott
nur insoweit sehen, als er sich ihnen als der Gott ihres Heils und ihrer
Zukunft offenbaren konnte.
Soll doch die Vergangenheit mit ihrem Gotteszeugnis zu uns reden,
so muß sie für uns aufhören, nur noch Vergangenheit zu sein. Das durch
die Geschichte festgehaltene Gottesbild muß wieder ebenso zu einer Offen=
barung der Gegenwart werden. Erst dann erlebt der Glaube ihre Kraft
und Wirkung, wie die Apostel, Propheten und Patriarchen sie erlebten.
Geschieht das nicht, so bleibt auch die Offenbarung nur Geschichte, sie
hört auf, Offenbarung zu sein.
Die Geschichte gehört jedoch dem Historiker. Er darf auf Wissenschaft*
licher Grundlage und nach wissenschaftlichen Methoden nur die imma=
nenten und innerweltlichen Geschichtsfaktoren anerkennen. Gott ist für
den Historiker kein wissenschaftliches Erklärungsobjekt. Auch der Reli=
gionshistoriker hat, wenn er die Entstehung des urzeitlichen Glaubens zu
begreifen sucht, seine Aufgabe innerhalb der psychologischen Möglich-
keiten der damaligen Menschen zu lösen. Die Aufgabe der Kirche liegt
jedoch auf einer ganz anderen Ebene. Auch ihr ist die Geschichte wertvoll,
aber in erster Linie nur insoweit, als sie in ihrer Vergangenheit Trägerin
der göttlichen Offenbarung war. Der Glaube der Gemeinde sucht daher in
der Heiligen Schrift nach jenen Persönlichkeiten, die auf Grund ihres Um-
gangs mit Gott zu Zeugen der göttlichen Offenbarung wurden. Er hebt
sie heraus aus ihrer Geschichtlichkeit, versetzt sie ins Übergeschichtliche
und hört sie auch heute zu sich reden. Sie sind ihm Typen, die ihn rufen,
das durch Offenbarung zu werden, was sie auf Grund dieser ewigen Quelle
werden konnten.
Um das Wort der Vergangenheit so gegenwartsnah wie möglich zu
gestalten, habe ich mich nicht der Allegorie, sondern der Analogie als Die=
nerin des Ewigen bedient. Unvergleichlich schön hat dies Jesus in seinen
Gleichnisreden getan. Zwar kann auch die Allegorie dienen, wenn sie
Magd und nicht Herrin der Offenbarung sein will, wie Paulus dies so
wunderbar in seinen Briefen gezeigt hat.
Ich schließe mich im wesentlichen dem Text der neuen Züricher Über»
Setzung an. Die eingesehene und benutzte Literatur ist auch in diesem
Bande wieder genannt.
Möchten alle, die sich auch heute beim Lesen und Forschen in der
Heiligen Schrift darnach sehnen, Gottes Herrlichkeit in den vielfach ver=
gessenen Persönlichkeiten und Ereignissen der biblischen Vergangenheit
zu sehen, ganz neu zu dem Johanneischen Bekenntnis gelangen: „Wir
sahen seine Herrlichkeit"! Mit diesem Wunsche grüße ich alle, die auch
in dem Inhalt dieser vergänglichen Blätter Ewiges suchen werden.
Der Verfasser
Vorwort zur 3. Auflage
Die heutige Theologie beschäftigt sich viel mit der hermeneutischen
Frage, d. h. mit der Frage, wie die biblischen Berichte und Worte nicht
nur zeitgeschichtlich zu verstehen sind, sondern auch ihre Anwendung
für den Bibelleser und in der Predigt finden. Besonders für die Geschichten
des Alten Testaments ist diese Aufgabe nicht einfach. Weder wollen die
Patriarchen, etwa Abraham oder Jakob, uns Vorbilder ihrer Frömmigkeit
oder ihres Ethos sein, noch dürfen diese Erzählungen in Allegorien und
Fabeln aufgelöst werden.
Jakob Kroeker war ein Meister der Hermeneutik für das Alte Testa=
ment. Er hat die Geschichten Abrahams, Isaaks, Jakobs und Josephs dem
Leser nicht nur in einzigartiger Weise lebendig gemacht, sondern deckt
ihre Offenbarungskraft für das eigene Glaubensleben in praktischer Weise
auf. Viele Leser haben ihm dafür gedankt.
Auch bei dieser Neuauflage ging es nicht um eine Überarbeitung des
ursprünglichen Textes. Eine gewisse Glättung des Stils der ersten Auflage
hat der heimgegangene Verfasser noch selbst vorgenommen. Geringe
Streichungen betrafen auch in diesem Bande nur einige wissenschaftliche
Fußnoten und Zitate.
Unser Wunsch ist, daß viele Leser auch dieses Bandes von Kroekers
Bibelwerk durch die Anleitung, die sie hier finden, ein neu geöffnetes
Ohr für die Sprache der Offenbarung Gottes bekommen. Die Gemeinde
unserer Zeit hat es sehr nötig, durch all den Lärm der Welt den Ruf ihres
Gottes und Erlösers zu vernehmen und zu verstehen. „Wer Ohren hat zu
hören, der höre!"
Korntal, Januar 1959
Lie. Hans Brandenburg
10
I. Die Anfänge der Patriarchen- oder Vätergeschichte
„Und dies sind die Nachkommen Tharahs: Tharah zeugte den
Abraham, den Nahor und den Haran; und Haran zeugte den
Lot. Haran aber starb bei Lebzeiten seines Vaters Tharah in
seiner Heimat zu Ur in Chaldäa." 1. Mose 11, 27 ff.
tl
Gott, wie er sich in Gericht und Gnade zum Heile einzelner und
der Völker offenbarte. Nur von Gott aus erhielten für sie Menschen.
Völker, Ereignisse und Geschichte einen höheren Sinn. Gott setzte
ihnen in ihrem Handeln und Bestehen eine zeitliche Grenze. Er war
es, der sie zwang, seinen göttlichen Heilsabsichten zu dienen.
Die Verfasser des Alten Testaments fragten daher weniger nach
Einzelheiten, z. B. im Leben eines Nimrod, eines Pharao, eines San=
herib, eines Nebukadnezar oder eines Artaxerxes. Das Licht/ das von
Gott her auf diese großen Träger der alten Geschichte fiel, war ihnen
viel wichtiger als die Personen selbst. Diese bildeten für sie zwar
den geschichtlichen Raum, innerhalb dieses Raumes war ihnen aber
das Handeln Gottes das Entscheidende. Mitten im wilden Ringen
des Völkerlebens, mitten in einer vor dem Tode sich retten wollen=
den und doch sterbenden Welt, mitten in allem Irren, Fluchen,
Lästern, Wehklagen der Menschheit wollten sie Gott in seiner Akti=
vität schauen. Sie wollten ihn erkennen, wie er zwar die Sünde und
den Tod verneint, den Menschen aber als sein Geschöpf und sein
Ebenbild bejaht und erlöst.
In dieser ihrer Einstellung will die Bibel mithin keine Geschichts=
philosophie sein. Sie beansprucht aber, auf Grund prophetischer
Geschichtsschau als Geschichtsdeutung bewertet zu werden. Sie will
nicht geschichtsphilosophisch spekulieren, sie läßt aber Gott reden
und urteilen über Menschen, Völker und Geschichte. Schlicht aus=
gedrückt:.sie beansprucht, göttliche Offenbarung zu sein. Als gött=
liehe Offenbarung beansprucht sie daher, letzte Autorität zu sein.
In ihrer Autorität erkühnt sie sich, Gottes Urteil auf alle Autoritäten
der Geschichte fallen zu lassen. Sie schrickt vor menschlichen Größen,
vor herrschenden Zuständen, vor alten Überlieferungen nicht zu=
rück. Offen spricht sie aus, was Gott in seinem Wort über sie aus=
zusagen hat.
Dieser starken Betonung Gottes will besonders auch die Deu=
rung der Vätergeschichte dienen. Manches hat in der Vergangenheit
die Kirche durch ihre Lehre und ihren Dienst dazu beigetragen, daß
man heute das Alte Testament als Wort Gottes so stark anzufechten
wagt. Die Kirche lebte in ihrer Frömmigkeit und Verkündigung oft
weit mehr in den angeblichen Vorbildern als im Geiste und in der
12
Kraft des Gottes, der in seiner Offenbarung und Barmherzigkeit
bestimmte Typen des Glaubens schuf. Der Glaube Abrams stand
ihr weit näher und war ihr weit vertrauter als der Glauben schaffende
Gott Abrahams. In dieser Frömmigkeit bewunderte man Jakob als
den Erwählten und Joseph als den unschuldig Leidenden. Auch als
Jünger Jesu nahm man oft keinen Anstoß daran, die einseitige und
menschliche — oft allzu menschliche — Frömmigkeit der alttestamenU
liehen Personen zu idealisieren, die Träger der göttlichen Offen=
barung fast ins Übermenschliche zu erheben. Allzuoft vergaß man,
daß auch der Prophet nur ein Mensch war wie wir.
Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß es falsch war, an
diesen besonders von Gott begnadeten Menschen zu zeigen, was
Gottes Barmherzigkeit aus seinem gefallenen Ebenbilde zu machen
vermag. Unsere Zeit zwingt uns aber zu einer heiligeren Besinnung,
zu einer tieferen Erkenntnis der alttestamentlichen Offenbarungsge=
schichte. Tiefer soll uns erschlossen werden, daß sie uns nicht von
frommen Menschen erzählen will. Sie will Gott bezeugen, der Men=
sehen, wie wir es sind, so zu begnadigen vermag, daß sie sich in
ihrem Leben und Dienen an ihn gebunden wissen. Die Offenbarungs=
geschickte will geschichtliche Heilsbotschaft sein auf Grund gött=
licher Heilsoffenbarung. Gott, nicht der fromme Mensch steht mithin
im Mittelpunkt auch der Patriarchenerzählungen. Nicht in erster
Linie der Glaube, die Offenbarung in ihren Kräften und Wirkungen
soll uns bei ihrem Lesen erfüllen. Nicht einmal Vorbilder können
uns die großen Väter der Vergangenheit sein. Ein Vorbild setzt
immer voraus, daß im andern die Kräfte vorhanden sind, durch die
er sich nach seinem Vorbilde zu bilden vermag. Nun verfügt aber
kein Mensch in sich über die Kräfte und Energien, um von sich aus
ebenfalls ein Leben des Glaubens zu führen, wie ein Abram es führte.
Die Glaubensväter können mithin nur Typen sein, die Jahrtausende
hindurch bezeugen, welch ein Leben des Glaubens Gott durch sein
Wort und seinen Geist in denen wirken kann, die ihm vertrauen.
Nicht an Abrahams Glauben glauben wir. Wir schämen uns
zwar dessen nicht, daß Abraham in der Heiligen Schrift der Vater
des Glaubens genannt wird. Er ist aber nicht in dem Sinne Vater
des Glaubens, als ob sein Glaube die Vaterschaft besäße, fort und
13
fort einen ihm verwandten Glauben zeugen zu können. Wir glauben
aber an den Gott Abrahams. Er vermag durch sein Wort auch heute
Glauben zu erwecken. Unser Leben wird ebenfalls einen persön=
liehen Glaubensinhalt, eine bestimmte Glaubensaufgabe und ein
göttliches Glaubensziel gewinnen, die dem Wesen und dem Geiste
nach ganz verwandt denen eines Abraham sein werden, sobald wir
uns vertrauensvoll dem Gott hingeben, durch den Abraham sich
segnen, bestimmen und leiten ließ.
In solcher Erkenntnis kommt die Kirche dann mehr und mehr
los von heiligen Personen. Sie gelangt wieder zu dem sie begna=
digenden und heiligenden Herrn selbst. Ihr Zeugnis von frommen
Personen, geweihten Orten, Heil vermittelnden Dingen verfängt heute
vielfach nicht mehr. Die Welt ist sehend geworden. Sie hat Heilig=
turner entweiht, Klöster zerschlagen, Reliquien zum Gelächter der
Massen gemacht, in ihnen aber nirgends Gott gesehen. Sie erschrak
jedoch und erwachte immer wieder in ihrem Gewissen, wenn sie
Menschen begegnete, die in ihrem Reden oder Schweigen, in ihrem
Dienen oder Kämpfen, in ihrem Leiden oder Sterben Gott in seiner
Wirklichkeit, Majestät und Offenbarung bejahten. Es ist erstaunlich,
wie klar unsere heutige Zeit erkennt, inwieweit die Kirche in ihrem
schriftlichen Bekenntnis und in ihrem mündlichen Zeugnis das
Menschliche vergöttlicht oder aber das Göttliche vermenschlicht. Ihr
bleibt völlig unverständlich, wie Gott von der Schrift oder durch die
Kirche Dinge zugeschrieben werden können, die zwar noch im Bilde
eines Menschen, nie jedoch im Bilde Gottes verstanden werden
können. Gibt es einen Gott, dann muß er wirklich auch Gott sein,
d. h. in seinem Wesen jenseits von allem Menschlichen und allem
Vergänglichen stehen. Unsere Zeit verwirft jede Gotteswirklichkeit,
in die man das Bild des Menschen hineingetragen hat.
Nun ist aber auch von den alttestamentlichen Frommen oft das
Menschliche in das Bild Gottes hineingetragen worden, wenn sie
Gott zu bezeugen suchten. Auch die Menschen des Alten Testaments
konnten nur insoweit von der wahren Gotteswirklichkeit reden, als
sie sich ihnen erschlossen hatte. Sie konnten zwar Empfänger, jedoch
niemals Schöpfer der Offenbarung sein. Nicht etwa der Glaube der
Patriarchen schuf sich auf Grund frommer Reflexion einen Offen«
14
barungsgott. Der Gott der Offenbarung schuf sich aber in den
Vätern des Glaubens menschliche Träger und Zeugen seiner gött=
liehen Offenbarung. Das konnte Gott aber nur insoweit tun, als der
Mensch Gott an seiner Offenbarung zu erkennen vermochte. Daß
dies zur Knechtschaft der alttestamentlichen Offenbarung gehört,
verstehen manche aber nicht.
Damit nun die Knechtsgestalt der Offenbarung nicht mit der
Offenbarung selbst verwechselt wird, darf sie nicht vergöttlicht wer=
den. Sonst strandet der Mensch am Buchstaben, er verliert den leben=
dig machenden Geist. Es muß daher immer wieder gesagt werden,
daß Gott auch in seiner Erwählung dem Menschen schlechthin ge=
hört, nicht etwa dem israelitischen Menschen allein. Wenn Gott im
Lauf der Geschichte zunächst auch an einem Volke zu zeigen suchte,
wozu er es erwählen und berufen wollte, so geschah dies jedoch
allein mit dem Ziel, daß auch die anderen Völker sich zu derselben
Gnade und Glaubensstellung vor Gott berufen wissen sollten. Denn
Gott ist in seiner Erwählung und Berufung völkerumspannend.
Die Kirche in ihrem innersten Wesen steht und fällt mit Christus.
Er ist ihr Haupt, der Inhalt ihres Glaubens, die Quelle ihrer Kraft,
das Ziel ihrer Hoffnung. Wie ein Staat ohne Regierung nicht denk=
bar ist, so ist noch viel weniger die Kirche denkbar ohne Christus.
Er steht mithin auch hinter der Mission und dem Zeugnis der Kirche.
Sie bleibt Zeugin seines Kreuzes, seiner Auferstehung, seines Prie=
stertums und seiner Wiederkunft. Schweigt sie, dann zerbricht sie.
Redet sie, so sieht sie sich gerechtfertigt. Nicht sie, der Herr hat sie
berufen, seine Zeugin bis an die Enden der Erde und bis zur Voll=
endung der Zeitalter zu sein.
Es ist hier nun nicht der Raum, auf die Knechtsgestalt der Hei=
ligen Schrift näher einzugehen. Sie weiß von einem geschichtlichen
Entstehen jedes einzelnen Buches. Sie nennt uns jene Menschen, die
unter der Einwirkung Gottes entweder nur gesprochen oder aber
auch geschrieben haben. Sie redet von jenen Zeitaltern, wo das Wort
der Offenbarung nur durch mündliche Tradition oder aber auf Ton=
tafeln, auf Papyrusstreifen oder auf Pergamentrollen weitergegeben
werden konnte. Sie kennt die Versuche, durch die zunächst einzelne
Bücher auf Grund mündlicher Überlieferungen oder schriftlicher
15
Aufzeichnung zusammengestellt wurden. Ihr ist nicht unbekannt, daß
solch eine Zusammenstellung der verschiedenen Bücher zum alt-
testamentlichen Kanon erst im Laufe von Jahrhunderten vollendet
werden konnte. Die Texte der einzelnen Bücher verraten ihr, daß
kein einziges Buch uns in seinem ursprünglichen Textzustand er=
halten geblieben ist. Nicht selten ist der Urtext beim Abschreiben
verstümmelt oder aber in seinem Inhalt unverständlich überliefert
worden. All dies gehört mit zur Knechtsgestalt der Heiligen Schrift.
Den Menschen blieb aber in jedem Zeitalter die Freiheit, dieser
Knechtsgestalt der Bibel gegenüber eine verschiedene Stellung einzu=
nehmen. Unendlich viele zerbrachen innerlich an solch einer Knechts*
gestalt der Schrift. Ihr Glaube an das Wort Gottes erlitt Schiffbruch.
In ihrer kritischen Stellung sahen sie im Zeugnis der Bücher des
Alten Testaments nur noch die Religionsgeschichte des israelitisch*
jüdischen Volkes. Das Buch der Bücher lag mithin für sie hinfort
auf derselben menschlichen und zeitlichen Ebene wie jedes andere
Geschichtsbuch. Es ist verständlich, daß aus diesen Kreisen die
schwersten Gegner der Bibel hervorgehen mußten.
Andere suchten sich vor dem Ineinander des Göttlichen und
Menschlichen in der Bibel dadurch zu retten, daß sie auch das Mensch=
liehe ins Göttliche erhoben. Sie vergesetzlichten den persönlichen Ver=
kehr mit Gott und töteten durch den Buchstaben den Geist der
Schrift. Aus diesen Kreisen gingen in jedem Zeitalter jene Schrift=
gelehrten hervor, die in ihrem religiösen Fanatismus Christus als
die Offenbarung Gottes schlechthin ans Kreuz schlugen. Fehlten in
einem Zeitalter erst die Stimmen der Propheten, dann redeten als=
bald solche Schriftgelehrten. Sie brachten das Volk nicht in eine
lebendige Beziehung zu Gott, stellten es vielmehr unter die Herr*
schaft des Buchstabens und der Religion.
Es gab aber auch immer wieder weiteste Kreise, die sich nicht
stießen an der Knechtsgestalt der Bibel. In ihrer Sehnsucht nach Gott
gewannen sie ein Ohr für die Sprache Gottes durch die Bibel. Trotz
deren Knechtsgestalt blieb ihr Inhalt ihnen das klarste, vom Heiligen
Geiste beglaubigte Zeugnis von Gott. Nicht etwa Ersatz für Gott
war ihnen die Bibel. Durch ihre Zeugnisse kam Gott aber immer
wieder zu ihnen, um sie zu erleuchten, zu begnadigen, zu stärken
16
und zu erlösen. Sie gehörten zu jenen Menschen, die sich wie der
Prophet jeden Morgen das Ohr des Glaubens öffnen ließen. „Gott
der Herr hat mir eines Jüngers Zunge verliehen, daß idi die Müden
durai das Wort zu erquicken wisse. Er weckt alle Morgen, weckt
mir das Ohr, wie ein Jünger zu hören. Gott der Herr hat mir das
Ohr aufgetan; ich aber habe nicht widerstrebt, bin nicht zurückge=
wichen1/'
Aus diesen Kreisen setzte sich auch im Laufe der letzten zwei
Jahrtausende die wahre Kirche Christi zusammen. Sie bekannten in
jeder Krisenzeit der Geschichte mit Petrus: „Herr, zu wem sollen
wir gehen; du hast Worte des ewigen Lebens2!" Innerhalb der wah=
ren Kirche war man sich aber auch stets der menschlichen Grenzen
im Verständnis der Schrift bewußt. Man kennt hier die Gefahr, wie
leicht auch der fromme, Gott fürchtende Mensch der Versuchung
erliegt, einen eigenen Sinn in die Schrift hineinzutragen. Hat sich
dieser Versuchung bisher doch kein Schriftausleger entziehen können,
auch die Reformatoren nicht, wenn sie auch einig in der Grund=
haltung zur Schrift waren. Wie stark wichen selbst Luther und
Calvin in der Deutung mancher Schriftworte voneinander ab! Bereits
Paulus mußte offen bekennen, daß all unser Wissen und all unser
Weissagen auch innerhalb der Kirche Christi Stückwerk sei3.
Die Erkenntnis der Kirche Christi und ihrer vielen Glieder war
nie eine ruhende Größe. Sie sah sich von Klarheit zu Klarheit, aus
Erkenntnis in Erkenntnis geführt. Denn die in der Schrift forschende
Gemeinde durfte zu allen Zeiten damit rechnen, daß der Heilige
Geist bereit ist, ihr das Wort der Schrift wirklich als ein Worf von
Gott zu erschließen. Er ist der Schöpfer der Schrift, so stark er sich
auch der Menschen bediente, um sie durch deren Mitarbeit entstehen
zu lassen. W. Vischer schreibt in seinem „Christuszeugnis des Alten
Testaments": „Der Autor hat sich in seinem Werk dergestalt ver=
borgen, daß ihn keine Auslegungskunst herausholen kann; er will
und muß sein eigener Ausleger werden, wenn ihn ein Leser finden
soll. Der Heilige Geist ist niemals eine menschliche Möglichkeit,
1
Jes.50,4f.
2
Joh. 6,68.
3
1. Kor. 13, 9.
17
Gottes habhaft zu werden, sondern die Freiheit Gottes, gegenwärtig
zu sein oder nicht da zu sein nach seinem Willen. Der Heilige Geist
ist der Mittler, aber nicht ein Mittel; die dynamis, die Kraft Gottes,
aber nicht eine geistliche Dynamik; der Weg, aber keine Methode.
Es gehört zur Heiligkeit der Heiligen Schrift, daß Gott selbst
sie so auslegen muß, daß der Leser in ihr nicht nur von fremden
Menschen und ihren Gedanken über Gott liest, sondern Gottes Ge=
danken über ihn, den Leser selbst, vernimmt, so daß er beim Lesen
fremder Lebensgeschichten hört: ,Du bist der Mann!' und ihm heute
auf den Irrwegen seines Lebens der Schöpfer und Richter seines
Lebens begegnet, der ihm sagt: ,lch bin der Herr, dein Gott. Ich
habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.' Wo das ge=
schient, da hört der Leser im Glauben das, was er sich nicht selbst
sagen kann, was nur als Wunder wahr ist, wenn es Gott jetzt und
hier zu ihm sagt. Dann hört er das Wort Gottes nicht nur als das
Wort der Zeugen, sondern als die Stimme des bezeugten Herrn, die
ihn ganz und gar beansprucht, als das Wort, das ihn in die Verant=
wortung stellt, Gott Antwort zu geben. Wer in dieser Verantwor=
rung Gott hört und ihm antwortet, der tut es im Vertrauen und
Gehorsam des Glaubens an den Christus Jesus, der Gottes Wort
an den Menschen und des Menschen Antwort an Gott ist 1 /'
Betende Menschen haben daher nie den Geist der Heiligen Schrift
verloren. Ihnen erschloß sich Gott durch die Schrift in seiner Maje=
stät, Herrlichkeit und Erlösung. Nicht fanatische Schriftgelehrte,
wohl aber von Gott erleuchtete Persönlichkeiten wurden sie, wenn
sie ehrfurchtsvoll zu hören suchten, was Gott ihnen durch die Schrif=
ten des Alten und Neuen Testaments sagen wollte.
18
testamentlichen Hebräerbriefes zu der „großen Wolke von Zeugen"1
der vorangegangenen Jahrtausende. Ihr Zeugnis wird in der Welt
gehört werden, solange es auf Erden noch eine Kirche Christi gibt.
Sie weiß: Gott hat nie in einen leeren Raum hineingesprochen. Er
sprach immer zu Menschen, durch die eine Geschichte werden sollte.
Zwar ist das Reich Gottes überzeitlich, nicht aber geschichtslos. Es
begann immer mit einem geschichtlichen Punkt, d. h. mit einer Per=
son oder einem Ereignis. Zu diesen Personen mit ihrer Geschichte
gehörten einst auch die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob. Sie
bildeten mit ihren Familien, Söhnen und Stämmen die Urgeschichte
des israelitisch=jüdischen Volkes. Sie waren der Raum in der Ge=
schichte, in dem sich Gott der Welt neu zu offenbaren suchte, um
die Absichten seines Heils kundzumachen.
Hätte nicht durch Gott und seine Offenbarung Israels Geschichte
eine heilsgeschichtliche Bedeutung empfangen, sie würde uns heute
nicht mehr interessieren, als uns die religiöse Lebenshaltung der
Assyrer, Babylonier, Ägypter oder der Inder interessiert. Gott ist
aber durch die biblischen Glaubensväter und durch deren Nachkom=
men in die Völkerwelt getreten. Er wollte und will auch zu ihr
sprechen, sie segnen, wie er einst zu Israel sprach und es segnete
und leitete. Vollendet hat er das in der Person Jesu Christi getan,
der nach dem Fleisch ein Sohn „Abrahams" und ein Sohn „Davids"
genannt wird2.
Durch die Geschichte Israels und durch die Person Jesu Christi
ist Gott auch zur christlichen Kirche gekommen. Dieses wird sie nie
verleugnen können. Sie ist zwar nicht die Fortsetzung der jüdischen
Synagoge. Sie ist auch nicht eine Wieder aufAchtung des israelitischen
Tempels. Sie ist Gottes Neuschöpfung. Sie ist die Behausung Gottes
im Geist, daher erbaut aus lebendigen Steinen. Die Kirche ist das
Geheimnis einer völlig neuen Gemeinschaft. Sie kann nur bestehen
auf Grund der Beziehung von Person zu Person, nicht auf Grund
empfangener Gesetzestafeln. Alle lebendigen Glieder der Kirche sind
schicksalsverbunden mit Christus, welcher ist das Haupt seiner Ge=
meinde.
1
Hebr. 12,1.
2
Matth. 1,1.
19
Bevor wir aber auf den Geschichtsstoff der Patriarchen selbst
eingehen, mag das Bleibende und Eigenartige der Vätergeschichte
noch besonders betont werden. Trotz ihres kindlichen Gottvertrauens
und ihres Gehorsams im Glauben hätten die Väter den nachfolgen=
den Geschlechtern keine Zukunft innerhalb der Völkerwelt zu geben
vermocht. Was Gott ihnen an Kindersegen, an Einfluß auf ihre Zeit=
genossen, an Herdenreichtum, an Knechten, Mägden und Zelten
schenken konnte, hätte niemals die Grundlage für eine Volkwerdung
der Stämme Israels werden können. Wenn auch zu allen Zeiten
wahr blieb, daß der Väter Segen den Kindern Häuser baut, das
tiefste Geheimnis der Volkwerdung lag in Gott, niàit in den Vätern.
Diese waren aber der erste geschichtliche Punkt, an dem Gott handelnd
in der Geschichte einsetzte, um ein Neues zu schaffen, und zwar auf
der Grundlage des Glaubens. Nicht die Machtfrage, nicht der Besitz,
nicht das Heldentum, nicht die große Vergangenheit wurden ent=
scheidend für die Volkwerdung der kommenden Geschlechter Abra=
hams, Isaaks und Jakobs. Die Grundlage sollte für alle Zeiten allein
deren Glaubensverhältnis zu Gott sein. Es bleibt bezeichnend für
Israels Geschichte, daß nicht etwa Lamedi mit seinem Schwertge-
sang1, daß aber Abram mit seinem Glaubensgehorsam der von Gott
berufene Urahn Israels werden konnte.
Das wollte eine spätere Zeit Israels Söhnen und Töchtern für
immer neu zum Bewußtsein bringen. Nun haben die Urväter nicht
etwa selbst ihre Geschichte geschrieben. Dann trüge die Überlie=
ferung nicht den einheitlichen und planvollen Charakter, den die
Vätergeschichten jetzt tragen. Erst in einer viel späteren Zeit ist sie
von einem Verfasser niedergeschrieben worden. Das geschah von
einem, der die im Volke fortlebende geschichtliche Überlieferung
nach der von Gott ihm gewordenen Schau und nach seiner Erkenntnis
gestaltete. Das große Geschehen im Leben der Väter war ihm der
heilige Text, den er aus Liebe zu Gott und zu seinem Volke zu deu=
ten suchte. Denn nicht von den Vätern, von Gott her sollte sich dem
Volke seine Volkwerdung erklären. Theologisch=sittlich, nicht natio=
nalpolitisch sollte man das Große bewerten, was in der Vergangen=
heit geschehen sei. Nach den Verheißungen sollten das Gedeihen und
1
1. Mose 4,23 f.
20
Fortbestehen Israels auch in Zukunft nicht auf derselben Ebene liegen,
auf der sich der Aufbau, das Starkwerden und der Ruhm der anderen
Völker vollzogen. Was der Völker nationales und geschichtliches
Heil werden konnte, mußte Israel zum Fluch und Gericht werden.
Sein völkisches Sein sollte nämlich für alle Zeiten von Gott selbst
abhängen und bestimmt werden.
Eine weitere Eigenart der Vätergeschichte ist die starke Betonung,
daß sowohl Abram und Isaak als auch. Jakob mit seinen Söhnen in
Kanaan nur Fremdlinge und Beisassen sind. Abram sah sich zwar
in ein anderes Land geführt. Es sollte aber erst den zukünftigen
Geschlechtern als „das Gelobte Land" zur Heimat werden. Das ein=
zige war, daß Abram während seiner Fremdlingschaft im Lande
Kanaans für sich und Sarah ein Erbbegräbnis erwarb. In der Nähe
von Hebron kaufte er das Grundstück des Hethiters Ephron bei
Machpela für die nicht geringe Summe von 400 Lot Silber1. So sehr
er sich auch im Laufe der Jahre an Knechten, Mägden, Zelten und
Kleinviehherden gesegnet sah, er blieb im Lande der Fremdling.
Darauf nimmt der Hebräerbrief Bezug, wenn er von Abrams Glau=
bensstellung schreibt: „Aus Glauben siedelte er sich, an im Lande
der Verheißung als in einem fremden und wohnte mit Isaak und
Jakob, den Miterben derselben Verheißung, in Zelten. Denn er
wartete auf die Stadt, die die festen Fundamente hat, deren Erbauer
und Schöpfer Gott ist2."
Zwar gelangten die Glaubensväter auf ihren Wanderungen in
die verschiedenen Landstriche von Kanaan. Sie zogen gelegentlich
bis nach Ägypten hinab. Auch hielten sie sich vorübergehend in den
Gebieten Philistäas auf. Sie wurden aber nirgends Staatsbürger.
Diese Fremdlingsstellung konnten die Patriarchen damals auf Grund
allgemeingültiger Rechtsbestimmungen einnehmen. Kanaan war
zwar ein von den Kanaanäern bevölkertes, nicht aber ein politisch
festgelegtes Land. Im Vergleich zu Ägypten war es offen auch für
fremdstämmige Herdenbesitzer mit ihren Zelten und mit ihrer Klein=
Viehzucht. Deren Existenz hing von der durch Sitte und Recht ge=»
regelten Beziehung zu den Stadtbewohnern oder aber auch zu der
1
1. Mose 23, 26 ff".
2
Hebr.ll,9f.
mehr seßhaften und bodenständigen Landbevölkerung ab. Es gab
große Wegstrecken und fruchtbare Weideländer, die diesen halb=
nomadisierenden Kleinviehbesitzern zu jeder Jahreszeit kontraktlich
offenstanden.
Nun wird verständlich, welch eines Gottvertrauens es bei den
Vätem bedurfte, um sich durch die Jahrhunderte nur als Fremdlinge
und Beisassen zu behaupten und zu bewähren. Wurden sie schwach
in ihrem Vertrauen, so griffen sie zu Mitteln und Wegen, die von
Gott niemals gerechtfertigt werden konnten. Wenn auch die Glau=
bensväter als „Fremdlinge in dem Lande, in dem sie sich jeweils
aufhielten, einen gewissen Schutz gemäß den Grundsätzen der
damaligen Landesgesetze genossen — wer aber garantierte ihnen
die Innehaltung" derselben? Hinter ihnen stand keine starke Stam=
mesregierung. Von den fremdstämmigen Fürsten hatten sie in der
Stunde der Not kaum Hilfe zu erwarten. So waren sie in ihrem
Schutz und in ihren Rechten letzthin allein auf Gott angewiesen.
In dieser Sonder= und Fremdlingstellung lebten die Väter in dem
Lande, wo der Herr dem Abram erschienen war und zu ihm ge=
sprochen hatte: „Deinem Samen will idi dieses Land geben/' Sie
lebten im verheißenen Lande und blieben dennoch. Fremdlinge.
Darin sind die Väter zu einem Prototyp für die Stellung der Kirche
innerhalb der Völkerwelt geworden. Der Aufbruch Abrams in Ur
und später in Haran umfaßte jedenfalls viele Jahre. Erst als Fünf=
undsiebzigjähriger brach er zum letzten Male in Haran seine Zelte
ab. Schon sein Vater Tharah, von dem er den Namen Abram =
„Mein Vater ist hoch" erhalten hatte, hatte den Versuch ge=
macht, mit seiner ganzen Familie von Ur in Chaldäa nach
Kanaan zu ziehen. Welche Gründe und Motive ihn bewogen, das
Erbe seiner Väter am unteren Euphrat, die Residenz Ur als den Sitz
der alten babylonischen Könige und die durch Tradition und Sitte
geheiligte Kultstätte des Mondgottes Sin zu verlassen, wissen wir
nicht. Gottes „lechJ'cha"1, das Abram später in Haran vernahm,
war es wohl nicht.
Als Tharah auf seiner Wanderung bis zu der für den Handels=
verkehr so günstig gelegenen Stadt Haran mit ihrer fruchtbaren
1
d. h.: „Madie dich auf!" — wörtlich: „Geh für dich!"
22
Umgebung im nordwestlichen Mesopotamien kam, unterbrach er
seine Reise und ließ sich daselbst nieder. Hier in Haran starb Tharah
im Alter von 205 Jahren.
Offenbar erst nach diesen Erlebnissen vernahm Abram jenes
Reden Gottes, das für ihn, seine Nachkommen und letzthin für die
Zukunft der Heilsgeschichte von so entscheidender Bedeutung ge=
worden ist. Seiner Entscheidung und seinem Gehorsam lag eine
Inspiration zugrunde: das lebendige Wort seines Gottes. Was Gott
alles in seiner vorbereitenden Gnade benutzt hatte, um in Abram
jenes Ohr zu wecken, das eines Tages zu vernehmen vermochte,
was andere nicht vernahmen, wird uns nicht erzählt. Nur in der
späteren apokryphischen Überlieferung, die zweifellos in vielem
stark legendenhaft ist, wird uns berichtet, daß Abram schon in Ur
in Chaldäa innerlich unsagbar unter dem herrschenden Götzen*
dienst seiner Umgebung gelitten hatte. Nach dem Buch der Jubiläen
wird überliefert, daß Abram eines Tages zu seinem Vater Tharah
sprach: „Was für Hilfe und Vorteil kommt uns von diesen Götzen,
die du verehrst, und vor denen du niederfällst? Denn in ihnen ist
kein Geist, sondern sie sind stumm, und eine Verirrung des Her=
zens sind sie; verehrt sie nicht! Verehrt den Gott des Himmels, der
alles auf der Erde macht und alles durch sein Wort geschaffen
hat, und von dessen Angesicht alles Leben ausgeht...!"
Auf diese Seelennot eines Abram antwortete sein Vater: „Auch
ich weiß es, mein Sohn; aber was soll ich mit dem Volke machen,
das mich gezwungen hat, vor ihnen zu dienen? Und wenn ich ihnen
die Wahrheit sage, so töten sie mich. Denn ihre Seele folgt ihnen,
daß sie sie verehren und preisen; schweig, mein Sohn, damit sie
dich nicht töten!" Diese seine Reden teilte Abram auch seinen beiden
Brüdern Nachor und Haran mit; die jedoch zürnten ihm, und so
schwieg er. In seiner inneren Not erhob sich jedoch Abram im
60. Lebensjahre und verbrannte in einer Nacht das Haus der Götzen
und alles, was im Hause war, ohne daß man erfuhr, wer es getan
hatte. Da eilte Haran herbei, um die Götzen zu retten, wobei er im
Feuer verbrannte und starb1.
1
Buch der Jubiläen 12, 2—14.
23
Inwieweit in diesen und ähnlichen Überlieferungen1 noch histo=
risches Gut nachklingt, kann kaum festgestellt werden. Zwar teilt
auch der kanonische Bericht mit: „Und es starb Haran zum Leid«
wesen2 seines Vaters Tharah in seinem Geburtslande, zu Ur in
Chaldäa." Ob aber der Tod Harans und der Schmerz Tharahs tat=
sächlich diesen historischen Hintergrund hatten, läßt sich höchstens
andeutungsweise aus dem biblischen Bericht entnehmen. Es darf
aber wohl angenommen werden, daß Abram seelisch unsagbar litt
unter dem herrschenden Götterkultus und der Weltanschauung seiner
Zeit. Trotz der Völkerzerstreuung war in Sems Hütten nicht jede
Erinnerung und Tradition an die großen Taten des Höchsten in den
Tagen Noahs erloschen. Offenbar lebte auch in Abrams Seele ein
heiliger Rest dieses Gutes fort. Vielleicht war im Familienkreise
Tharahs oft darüber gesprochen worden, was einst geschehen sei,
und daß es einen Gott des Himmels und der Erde gäbe, der über
allem steht und die Völker richtet nach Gerechtigkeit. Die Charakter=
züge aber, die auch der biblische Bericht von Tharah gibt, lassen in
ihm keinen Mann erkennen, der auf Grund höherer Erkenntnis im
Glauben die letzten Konsequenzen zu ziehen vermochte. Er war ein
Mann der Halbheit3. Er konnte daher nicht zu einem Bekenner und
1
Nach dem Buche Judith fragt Holofernes, der Heeroberste Assurs,
nach der Erhebung der Stämme Israels die Fürsten Moabs, die Feldherren
Ammons und die Satrapen der Meeresküste, was das für ein Volk ist, das
im Gebirge wohnt. Achior, der Anführer aller Ammoniter, antwortete ihm:
„Höre an, mein Herr, die Rede aus dem Munde deines Knechtes! Ich will
dir die Wahrheit kundtun über jenes Volk, welches dieses Gebirge bewohnt
nahe bei dir, und nicht soll eine Lüge aus dem Munde deines Knechtes her-
vorgehen. Diese Leute sind Nachkommen der Chaldäer. Vormals wohnten
sie in Mesopotamien. Da sie nämlich nicht den Göttern ihrer Väter folgen
wollten, die im Lande der Chaldäer lebten, fielen sie ab von der Religion
ihrer Vorfahren und dienten dem Gott des Himmels, dem Gott, den sie
kennengelernt hatten. Da vertrieben ihre Väter sie von dem Angesicht ihrer
Götter, und sie flohen nach Mesopotamien und weilten daselbst lange Zeit.
Ihr Gott aber gebot ihnen, aus ihren Wohnsitzen fortzuziehen und in das
Land Kanaan auszuwandern. So ließen sie sich daselbst nieder und wurden
reich an Gold und Silber und sehr vielen Herden."
2
l.Mose 11, 28 nach König.
3
Jüdische Tradition will wissen, daß chaldäische Astrologen Nimrod
vorausgesagt hätten, ein Sohn Tharahs würde der Herrschaft Nimrods gefähr-
lich werden, und Tharah sei genötigt gewesen, seinen Sohn Abraham dreizehn
24
Propheten des lebendigen Gottes werden. Die Geschichte des Glau*
bens begann erst mit Abram und nicht mit seinem Vater Tharah.
25
a) Gott der Berufende und seine Selbstoffenbarung
„Es sprach, aber Jahve zu Abram: Gehe für didi, hinweg aus
deinem Heimatlande und aus deiner Verwandtschaft und aus deines
Vaters Hause in das Land, das idi dir zeigen werde!" (Kap. 12,1).
Hier liegt das Geheimnis von Abrams Berufung. Nicht vom Men=
sehen her, von Gott aus will sie verstanden werden. Erst nachdem
Gott gesprochen hatte, handelte ein Mensch dem Lichte entsprechend,
das ihm von Gott geworden war. Die Welt des Glaubens ist nicht
weniger eine Schöpfung Gottes, wie die kosmische Welt Gottes
Schöpfung ist. Daher war sie in jedem Zeitalter ein Geheimnis für
Menschen ohne Gott. Sie wurde aber die geistliche Heimat aller,
die Gott reden hörten und sich von ihm wie später ein Prophet
Jeremia hatten überreden lassen.
Abram erlebte die Offenbarung Gottes zunächst als Berufung.
Durch sie wurde er hinfort das, wozu ihn die Liebe Gottes erwählt
hatte. In der Berufung kommt Gott durchs Wort zum Menschen,
um ihn in die Erwählung hineinzuziehen. Berufung war mithin
immer ein geschichtliches Erlebnis, Erwählung eine überzeitliche
Gottestat.
Die Erwählung, der Abram sich durch Berufung bewußt wurde,
war nicht eine Erwählung zum Leben, es war eine Erwählung zum
Dienst. Sie lag auf einer anderen Ebene als die, welche Paulus im
Epheserbrief so grundlegend und glaubenstärkend mit den Worten
bezeugt: „In ihm (Christus) hat er uns nämlich bereits vor Grurid=
legung der Welt auserwählt, damit wir heilig und untadelhaft vor
ihm seien. In seiner Liebe hat er uns durch Jesus Christus zur Sohn=
schaft für sich vorherbestimmt, und zwar entsprechend seinem freien
Willensentschluß, zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der
er uns im Geliebten (Sohn) begnadigt hat1."
Bei Paulus handelt es sich um die Erwählung in Christo zur Sohn=
schaft. Bei Abram geht es um eine Erwählung für einen bestimmten
Dienst innerhalb der Geschichte. Beide haben in Gott ihre Quelle,
gelangen dem Menschen durch Berufung zum Bewußtsein, weichen
aber in ihrem Umfang und Inhalt dennoch voneinander ab. Erwäh-
lung zur Sohnschaft ist unendlich viel inhaltsvoller als Erwählung
1
Eph. 1,4—6.
26
zum Glaubensdienst. Ein Knecht kann in treuer Hingabe seinem
Herrn dienen, ohne Kind und Erbe zu sein. Anders ist jedoch die
Stellung des Kindes. Auch das Kind lebt in Glaubenshingabe, aber
auf einer weit höheren Grundlage. Daher mußte in der Fülle der
Zeit durch Christus der Knecht durch das Kind, das Gesetz durch
das Evangelium abgelöst werden, Nicht durch den alttestamentlichen
Propheten und Gottesknecht, erst durch den Sohn konnte der Welt
die Frohe Botschaft von der Sohnschaft gebracht werden. Es ist eine
Verkennung der alttestamentlichen Offenbarung, in dem Zeugnis
von der Erwählung Abrams zum Glaubensdienst eine Zurücksetzung
oder gar Verwerfung der anderen Völker sehen zu wollen. Nicht
als Bevorzugter wurde Abram erwählt, er war nur der Erstling, der
sich einer göttlichen Erwählung durch Berufung bewußt werden
durfte. In seiner Erwählung und Berufung sollten auch die anderen
Völker erkennen, für welch eine Welt des Glaubens Gott auch sie
berufen und erlösen will.
Zu Abram sprach Gott: „Lech=l'cha!", d. h.: „Gehe für dich!"
Hinfort trat in der irrenden und gegenseitig sich zersetzenden Nach=
welt Noahs ein Mensch in Sicht, der als Mann des Glaubens und
als Prophet der Offenbarung jene fortschreitende Heilsgeschichte ein=
leitete, die fortan durch kein kommendes Zeitalter dauernd erschüt=
tert werden konnte. Nicht Chaldäas berühmte Kulturschöpfungen,
Abrams durch Offenbarung inspiriertes und separiertes Glaubens^
leben sind der kommenden Weltgeschichte zu einem schöpferischen
und erlösenden Evangelium geworden. Und obgleich Abrams Wiege
einst in den Zelten Sems stand, so schämen wir uns seiner nicht, der
mit seiner erlebten Gottesoffenbarung als der Vater aller Glaubenden
im unruhevollen Völkerleben dasteht.
In dieser Welt des Glaubens gilt also nicht erst Glaube und dann
Offenbarung, nicht erst Kultus und dann Gemeinschaft, nicht erst
Religion und dann Erlösung — sondern erst Offenbarung und dann
Glaube, erst Gottes Reden und dann der Auszug, erst Gottes inspi=
rierende Tat und dann der neue Mensch. Mit diesem theozentrischen
Evangelium grüßt Abrams Berufung auch die Kirche Christi der
Gegenwart. Sie hat allzuviel wieder von dem Weg der Heiden in
sich aufgenommen. Vielfach will auch sie wieder durch die Frömmig=
27
keit zur Heilsgewißheit, durch den Kultus zur Gemeinschaft, durch
die mystische Versenkung zur prophetischen Schau, durch Religion
zur Erlösung gelangen. Sie will über Gott reden, anstatt Gott zu sich
reden zu lassen. Sie will Gottes Reich begründen, anstatt sich vom
Reiche Gottes bestimmen zu lassen. Sie versucht Christus in seiner
Offenbarung zu begreifen, anstatt sich zuvor von Christus und
seinem Heil ergreifen zu lassen. Sie spricht zwar von Heil, aber
meint ihre Kirchlichkeit; sie verheißt zwar Gemeinschaft, aber bietet
den Kultus; sie predigt zwar den Glauben, aber versteht darunter
ihr Dogma und Bekenntnis.
Das ist jedoch nicht der Weg des Glaubens mit seinem erlösenden
Gotterleben. In allem heilsgeschichtlichen Geschehen, das aus der
Erlösung floß und in die Erlösung führte, war Gott stets das ursäch=
liehe Subjekt und der Mensch das empfangende Objekt. Gott berief,
und der Mensch ging aus. So wurde er ein Erwählter Gottes und ein
Fremdling in der Welt. Gott begnadigte, und der selbstgerechte
Pharisäer wurde zu einem Apostel der Barmherzigkeit Gottes. Gott
inspirierte, und der Mensch trat auf als Prophet der Offenbarung
und sprach: „Also spricht der Herr!" Gott segnete, und der Mensch
als Gottes Priester machte trotz seiner Armut dennoch viele reich.
Gott erlöste, und der Mensch ward trotz seines geschöpflichen
Wesens der Abglanz seiner Herrlichkeit und der Genosse seines
Dienstes und seiner Freude. Denn Göttliches kann nur von Gott aus*
gehen, und zu Gott vermag nur Göttliches zu führen. Heilsgeschichte
mit ihrem vielseitigen Gotterleben des Glaubens war daher nicht
des Menschen Weg zu Gott, sie war je und je Gottes Weg zum
Menschen. Das Evangelium des Heils spricht mithin nicht von des
Menschen Frömmigkeit, um erlöst zu werden, es kündet Gottes neu
schaffendes Wirken, das in der Seele des Menschen immer wieder
jenen Psalm auslöst:
Nichts hab' ich zu bringen,
alles, Herr, bist du!
So individuell sich hinfort auch das Leben Abrams und das der
anderen Glaubensväter gestaltete und vollendete, durch dieses wurde
Gott in seiner Offenbarung innerhalb der Geschichte sichtbar und
lebendig. Wir schämen uns auch heute noch nicht, den Vater der
28
Barmherzigkeit und unseres Herrn Jesu Christi als den Gott Abrams,
Isaaks und Jakobs zu bezeichnen. Nicht die Glaubensväter schufen
uns diesen Gott. Wohl aber erwählte sie Gott, um für die kommende
Geschichte Zeugen seiner Offenbarung zu werden. Wir können uns
mithin auch das Leben eines Abram, das uns weit mehr ist als eine
fromme Sage oder eine morgenländische Mythe, in seiner geschieht*
liehen Entwicklung gar nicht denken, wenn nicht zuvor in ihm durch
göttliche Offenbarung das geweckt worden wäre, was uns eines
Tages in seinen Entscheidungen und Handlungen als Glauben be=
gegnet. Warum ist denn die Entwicklung und die Zukunft eines
Abram eine so völlig andere geworden als die der anderen alten
semitischen Völker der Urzeit? In das Leben Abrams und seiner
Nachkommen trat eine höhere Macht ein, die ihn zur Entscheidung
führte, seine Entwicklung bestimmte und ihm eine andere Zukunft
gab.
Wir erkannten, daß Abram die Offenbarung Gottes zunächst als
Berufung erlebte. Gottes Berufung geht aber immer aufs Ganze:
der ganze Mensch für Gott, eine völlige Loslösung von einer hem=
menden Vergangenheit. Nicht nur eine innere Scheidung ist die
tiefste Konsequenz der göttlichen Berufung. Erst Menschen, die
innerlich und auch im praktischen Leben bis zu Gott selbst zurück=
gefunden haben, können wiederum von Gott der Welt zum Segen
geschenkt werden. Wer diesen Weg nicht findet, wird zu jeder Zeit
fähig sein, dem Nächsten auch zum Dämon zu werden. Erst zu Gott,
dann zum Volke, das ist die Grundlage göttlicher Heilsgeschichte.
Erst zum Volk und dann wider Gott, das ist Nimrodsche Dämonie,
um die Völker zu erlösen und die Zukunft zu gewinnen.
Nicht nur im hebräischen Wort, auch im deutschen Verbum
„gehe" liegt der Grundgedanke des Sichtrennens. Es bestimmt den
Menschen, den bisherigen Ort oder den eingenommenen Standpunkt
zu verlassen. Im göttlichen Berufungswort an Abram: ,,lech=l'cha"
wird diese Trennung noch näher bestimmt: „Gehe für dich!", und
zwar allein mit Gott. Was dieses Berufungswort für Abram in sich
schloß, kann man sich erst vergegenwärtigen, wenn man weiß, was
Heimat, Geschlecht und Vaterhaus für jeden Menschen bedeuten.
Bis zu welcher Tiefe Abrams Separation auf Grund freiwilliger
29
Hingabe und kindlichen Gehorsams gehen sollte, sagen uns die drei
Lebenskreise: „aus deinem Heimatlande, aus deinem Geschlecht und
aus deinem Vaterhause." Für uns Menschen des Abendlandes haben
diese Wurzelgebiete des Lebens für jeden Menschen ihren Inhalt
stark verloren. Nachdem die Welt mit bequemsten Verkehrswegen
umspannt worden ist, sind uns die Kontinente zum Heimatland
geworden. Nachdem Handel, Industrie und Verkehr die Geschlechter
einander auf der ganzen Erde näher gebracht haben, verlor sich die
Überschätzung des eigenen Geschlechts. Man begann, das/ eigene
Volk den anderen Völkern gleichzusetzen. Je mehr Söhne und Töch=
ter sich ihre eigene Existenz nur noch durch eine Auswanderung in
die Fremde zu schaffen vermochten, verlor sich für sie mehr und
mehr der von Gott bestimmte Wert des Elternhauses. Ihnen mußten
fremde Länder zum Heimatland, fremde Völker zur neuen Gemein*
schaft, der Beruf in der Fremde zum Ersatz fürs Vaterhaus werden.
In Abrams Tagen hatten die Worte „Heimatland", „Geschlecht"
und „Vaterhaus" noch einen viel inhaltsvolleren Klang. Was sie ihm
und seinen Zeitgenossen bedeuteten, beschreibt treffend Hellmuth
Frey mit den Sätzen: „Für den Menschen des Altertums haben diese
drei Worte noch wirklichere Kraft als für uns. Er verstand noch
ohne Erklärung, warum Kain sich fürchtete, in die Fremde zu gehen:
Jeder, der mich findet, wird mich totschlagen', und warum die Men=
sehen des Turmbaus bangten: ,auf daß wir nicht über die Fläche
des Erdbodens zerstreut werden'. Für jene Zeit der Unsicherheit, der
Wege» und der Rechtlosigkeit der Fremden bedeutet das Wort ,Vater=
land' noch ganz anders als heute allen Schutz. In jener Zeit, da der
Zusammenhang mit der Sippe nicht erst von der Geschlechterfor=
schung aus dem Aktenstaube ausgegraben werden mußte, hat das
Wort ,Sippe' noch unmittelbare Bedeutung fürs Leben, und das Wort
/Vaterhaus' umschließt eine wirtschaftliche, soziale und religiöse
Gemeinschaft. Beides ist eine Macht: Vaterhaus und Sippe. Die drei
Worte umschließen alles, was Halt gibt und verpflichtet, dem Leben
Sinn gibt und es reich macht. Sie umschließen das Leben1/'
Bevor nun solch ein Glaube im Leben Abrams geboren wurde,
mußte zuvor Gott in seiner Offenbarung sprechen. Zur Urschöpfung
1
Vgl. H. Frey: Das Buch des Glaubens, S. 10 f.
30
hatte Gott gesprochen: „Es werde Licht!" Alsbald hatte jenes schöpf
ferische, gestaltende und vollendende Sechstagewerk begonnen, das
eine Offenbarung der Kraft, der Weisheit und der Majestät des
Schöpfers war. Durch dieses Sechstagewerk wurde die Vorbedingung
und die Grundlage für jenen siebenten Tag der Harmonie und Ruhe
geschaffen, der als Sabbat Gottes keinen Abend sah. Ebenso sah sich
Abram bestimmt durch das Gotterleben seines Glaubens, und zwar
auf Grund ihm werdender Gottesoffenbarung.
b) A b r a m der B e r u f e n e
und seine G l a u b e n s e n t s c h e i d u n g
„Da zog Abram hin, wie ihm Jahve geboten hatte, und Lot zog
mit ihm. Abram aber war 75 Jahre alt, als er aus Haran wegzog"
(Kap. 12,4). Gott sprach, aber nur einer hörte. Das war Abram in
Haran. Für ganz bestimmte Missionen zum Heil einer kommenden
Geschichte konnte Gott je und je nur Persönlichkeiten erwählen,
die den Mut des Glaubens aufzubringen vermochten, sich ganz auf
Gottes Berufung einzustellen. Als solch eine Persönlichkeit erscheint
auch Abram. Allein auf dieser Glaubensgrundlage wurde er in seiner
Person zum Beginn der Geschichte Israels. Führte einst angesichts
des Tierevangeliums die freie Selbstentscheidung den Menschen in
einen Zustand der Sünde und des Todes hinein, so führte angesichts
der göttlichen Berufung auch eine freie Selbstentscheidung zurück
in Gottes Heil und Erwählung.
Zu solch einer Selbstentscheidung ist jedoch der Mensch erst
fähig, wenn er sich plötzlich bewußt zwei verschiedenen Welten
gegenübergestellt sieht. In der einen hatte Abram bisher gelebt.
In der Atmosphäre ihres Geistes war auch seine jugendliche Seele
im elterlichen Hause aufgewachsen. Sie war ihm nicht fremd in ihrer
Ethik, in ihrem Kultus und in ihrer Kulturbestrebung. Dies war die
Welt Nimrods,
Durch Nimrod war eine völlig neue Potenz in die Entwicklung
der Geschlechter Noahs hineingetragen worden. Er fing an, ein
gewaltiger Fürst unter seinen Brüdern zu sein. Er benutzte seine
besonderen Gaben: seine Intelligenz, seine Klugheit und seine Stärke
zur Zusammenfassung der Kräfte der Schwächeren, um seine per=
31
sönliche Macht und seinen persönlichen Einfluß zu heben und zu
befestigen. In seinem ganzen Auftreten lag System. Unter dem
Vorwand des Nationalruhms und auf Kosten des individuellen
Wohlergehens begann er die Gesamtkräfte seines Zeitalters zu
seinem eigenen Vorteil und Ruhm zu mißbrauchen. Damit schuf er
die geistigen Grundlagen jenes Babels der Weltgeschichte, das Zeit=
alter um Zeitalter Bausteine zu seinem eigenen Ruhmesbau sammelte
und doch immer wieder mit einer Völkerverwirrung endete.
Denn mit dem Turmbau zu Babel war das neue Prinzip eines
Nimrod bereits zu einer knechtenden Macht fürs Ganze geworden.
Unter dem Vorwand, einem kommenden Unglück (ähnlich dem Flut=
gericht) vorzubeugen, wurden alle Kräfte zu einem nationalen Werk
gesammelt, während der tiefe Unterton der leitenden Gedanken
nichts anderes als menschlicher Selbstruhm und die Furcht vor der
Zerstreuung waren. Was durch ein geistliches Zentrum, durch eine
seelenverwandte Gemeinschaft, durch eine gemeinsame Zukunft als
eine organische Völkereinheit nicht mehr zusammenzuhalten war,
weil man Gott, den Bruder und die Zukunft des Reiches Gottes ver=
loren hatte, das sollte unter dem Vorwand des Allgemeinwohls durch
ein nationales Unternehmen erreicht werden.
Dadurch schuf man aber die Entpersönlichung des einzelnen.
Der Mensch wurde zur Masse, die Majorität zur Beherrscherin des
Geistes und der Kultur. Was sie vertrat, mußte heilig; was sie
ordnete, mußte Kultur; was sie verwarf, mußte sündig sein. Sieht
sich ein Volk mit seinem Leben dieser Göttin ausgeliefert, die die
Gesinnung der Masse vergöttert, dann geht die Individualität und
Persönlichkeit der einzelnen Menschen verloren. Dann muß immer
wieder bei denen, die Gott in seine Berufung zu ziehen sucht,
eintreten, daß ihnen das Band, das sie mit Gott verbindet, stärker
werden muß als jenes, durch das sie mit Heimatland und Familie
verbunden sind.
In solcher Kulturwelt hatte Abram in Ur in Chaldäa gelebt. Er
fand sie auch in Haran wieder. Denn in seinem Zeitalter war bereits
überall die noachitische Tradition von der hamitischen Inspiration
und Geistesherrschaft verdrängt worden. Da trat ihm nach dem
Tode seines Vaters in der Berufung Gottes eine völlig neue Welt
32
in Sicht. Eine Welt, wie sie seine Seele wohl längst ersehnt, sein
Auge sie bisher aber nie geschaut hatte: eine Welt zwar der tiefsten
Separation, aber auch, der tiefsten Gemeinschaft und der höchsten
Segnungen. In ihr wurde Gott wieder sichtbar und der Nächste, der
Segen der Gegenwart und das Heil der Zukunft. Als die Erwählung
durch Offenbarung Abram für ein Leben dieser Welt Gottes und
des Glaubens berief, da stand er als Mensch vor der Entscheidung.
Im Glauben entschied er sich für Gott und wider Babel, für die Offen=
barung und wider den Kultus, für die Separation und wider die
Volksgemeinschaft, für die Erwählung und wider die Selbsterlösung.
So begann hinfort jene spezielle Heilsgeschichte, die mit Abrams
Berufung und Erwählung geschichtliche Wirklichkeit wurde. Um in
seiner Liebe zukünftig das Ganze retten zu können1, mußte Gott
zunächst den einzelnen gewinnen. Er mußte Abram zum Träger
seiner Heilsoffenbarung machen. Eine allmähliche Entwicklung der
ganzen Menschheitsgeschichte zum Heile hin war seit dem Fall
unmöglich geworden. Die Menschheit lebte auch nach dem Flut=
gericht wieder in einem Geiste des Widerspruchs und der bewußten
Selbsterlösung. Sie erhob die subjektive Selbstsucht und die niedrig*
sten Instinkte im Menschen zur Lebensethik und zur Staatsmoral.
So schuf sie eine Geschichte der moralischen Zersetzung und Auf=
lösung, des gegenseitigen Hasses und der Empörung, der nie enden=
den Gerichte und Katastrophen. Die Weltgeschichte wurde zum Welt*
weh, zum unbewußten und bewußten Schrei der Menschheit nach
Gottesherrschaft. Denn so sehr der Mensch je und je auch rang, von
Gott loszukommen, um sein Paradies in sich selbst und seine Ewig*
keit in seiner Kraft zu finden, das Heimweh seiner Seele nach Gott
kam niemals und nirgends zur Ruhe. Es ward um so lebendiger,
je bewußter sich der Mensch von Gott entfernte.
Es war daher Gnade, daß Gott die Gegenwart der Gesamtheit
preisgab, um auf dem Wege der Einzelerlösung die Zukunft retten
zu können. Durch die Erwählung Abrams und dessen Nachkommen
zum Träger seiner göttlichen Heilsoffenbarung hat Gott nicht etwa
die Welt hinfort sich selbst überlassen. Auch die Geschichte ist von
Gott nicht losgekommen, so bewußt der Mensch sie auch ohne Gott
1
Joh. 3,16.
33
immer wieder selbst schuf. Die Fäden der allgemeinen Weltregierung
hat Gott nie aus seiner Hand gelegt. Er bestimmte immer wieder,
wo sich die stolzen Wellen des menschlichen Schaffens und Ringens
zum Heil der Zukunft legen mußten. Auch waren nie seine Er=
wählten und Fremdlinge ein Spielball der Zeit. Sie wurden nie den
Gesetzen des allgemeinen Geschehens preisgegeben. Gott wachte
über sie, ja hütete sie wie seinen Augapfel. Er bestimmte, daß alles
zum Guten mitwirken mußte denen, die ihn liebten.
Die Verbindung mit diesem Gott der Offenbarung, der sich zu*
nächst einzelne erwählt, um sich aller zu erbarmen, hatte auch Abram
auf Grund göttlicher Berufung gefunden. Nicht nur, daß er sich
hinfort äußerlich in so vieler Hinsicht gesegnet sah, auf Grund seiner
Glaubensgemeinschaft mit Gott wurde er im Laufe der Zeit eine
für Gott ausgelöste Persönlichkeit, ein Mann, dessen Glaube nur
noch an Gott gebunden war, ein Charakter, der mit ungeteiltem
Herzen am Munde Gottes hing, eine Priesterseele, durch die der
Glanz der Ewigkeit in eine sterbende Welt getragen werden konnte.
c) G o t t e s „Ich w i l l ! " u n d s e i n V e r h e i ß u n g s w o r t
„Und ich will dich zum großen Volk machen, will dich segnen,
dir einen großen Namen machen, und du werde ein Segen! Ich
will segnen, die sich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen;
und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden"
(Kap. 12, 2 f.). Entsprechend dem Opfer, das Gott von Abram ver=
langte, war die Verheißung, die er mit der Berufung verband. Die
Berufung mutete Abram zu, daß er aufgab, was er besaß, was sein
Zeitalter erstrebte, was den Völkern Inhalt ihres Lebens war. Die
Verheißung versprach, daß Gott mit seinem Ich und seiner Aktivität
im Leben Abrams ersetzen wolle, was ihm an Kraft und Anregung
von der Welt her werden könne. Abram sollte vom eigenen Handeln
abtreten; dafür werde aber Gott durchführen, was Abram selbst nie
würde durchführen können.
Die Berufung verlangt, daß Abram sein Heimatland und das
damit verbundene Bürgerrecht opfere. Die Verheißung verspricht,
daß Gott ihn ein neues Land schauen lassen werde. Zwar wird das
Land noch nicht genannt. Auch wird der Weg nicht angedeutet, der
34
in dasselbe zu führen vermag. Hinter dem Versprechen steht aber
das Ich Gottes. Wenn Gott im Menschen einen Glauben zu wecken
sucht, so ist es immer ein Glaube an ihn, nicht ein Glaube an die
Verheißung. Er ist größer als jede Verheißung. Nur er in seiner
Aktivität kann Inhalt des Glaubens sein. Die Verheißung kündet
nur, was Gott dem Menschen sein will, der ihm vertraut. Je restloser
Abram in seinem Vertrauen sein wird, desto leichter wird es Gott
sein, durch sein Handeln Versprochenes zur geschichtlichen Wirk=
lichkeit werden zu lassen.
Die Berufung verlangt, eine von Gott gelöste Volksgemeinschaft
zu opfern. Vergötterung der Sinnlichkeit, Pflege des Sternenkults,
überspannte Huldigung der Macht, zersetzendes Genußleben — das
waren damals die großen Götter, vor denen die alten Völker in
Phönizien, Chaldäa, Assyrien und Ägypten knieten. Durch sie wurde
das damalige Leben geformt und die öffentliche Moral bestimmt.
Die Verheißung verspricht, daß aus einer Familie ein Volk werden
soll. Dieses wird berufen sein, sich durch den Glauben an Gott und
dessen Tun aufzuerbauen und zu behaupten. Widersprach auch Sarais
Kinderlosigkeit dieser Verheißung, entscheidend für die zukünftige
Volkwerdung des Samens Abrams wird Gott in seiner Aktivität
sein. „Eine zahlreiche Nachkommenschaft macht aber noch nicht ein
Volk." Damit eine Masse eine Volkseinheit bilde, dazu bedarf es
im allgemeinen Völkerleben eines gemeinsamen Bandes. Unter allen
Völkern ist dies Band das gemeinsame Land, das Zusammenwohnen
unter denselben Einflüssen, das Getragenwerden von gemeinsamen
Sitten. Abrams Nachkommen sollen zwar auch ein Volk werden,
nicht aber durch gemeinsamen Boden, sondern wiederum nur durch
Gott. „Ich will!" — an diesem werden in Zukunft auch Völker zer=
brechen, wenn sie im Bewußtsein ihrer Macht versucht sein sollten,
in das Handeln Gottes einzugreifen.
Die Berufung verlangte, die engste Blutsgemeinschaft zu opfern,
d. h. sich auch vom Vaterhause zu trennen. Gottes „Ich will!" ver=
spricht, daß Abram auch gelöst vom Elternhause zu einer Persön=
lichkeit und zu einem Segen für die Zukunft und für die Völker
werden soll. Nicht was der engste Familienkreis, Verwandtschaft,
Freunde aus ihm machen werden, wird das Geheimnis seiner Zu=
35
kunft sein. Je weniger ein Mensch sich durch Verhältnisse und Um=
gebung gestützt sah, trotzdem aber zu einem Segen für viele wurde,
um so größer war seine Persönlichkeit. Zu einer solchen will Gott
Abram innerhalb der Geschichte werden lassen. An Abrams Werden
und Zukunft soll kein Fleisch einen Anteil haben, der ihm zum
Ruhm gereichen könne. In diesem Leben will sich Gott in seinem
Walten, Wirken und Segnen allein manifestieren, damit die Welt
ihn in der Größe seines „Ich will!" erkennen mochte.
Gewiß, die Opfer waren groß, die die Berufung verlangte. Größer
sollten jedoch die Segnungen sein, die sich für Abram aus dem Han=
dein Gottes ergeben würden. Zwar sollte Abrams Glaube Gegen=
wärtiges, Sichtbares opfern, Gott garantierte ihm aber eine weit
größere und gewissere Zukunft. Verlangte auch die Berufung, daß
Abram von einer eigenen Bestimmung seines Lebens zurücktrete, so
sollte er aber erfahren, daß hinfort Gottes „Ich" sein Leben bestim=
men werde. Was sich daraus für Abram persönlich und für die Zu=
kunft seiner Nachkommen ergeben werde, das mußte jede Ahnung
und Vorstellung eines Abram sprengen und weit überschreiten. Gott
kann in seinem Handeln und in seinen Segnungen zwar geschaut,
niàit aber ermessen oder abgeschätzt werden. Gott ist Gott auch in
seinen Verheißungen. Sie wollen nur ein schwacher Ausdruck sein
von seinem für den Menschen unfaßbaren „Ich will", mit dem er
in dessen Leben tritt.
36
Gott: durch beides sollten von nun an Abrams Leben und Zukunft
bestimmt werden. Daß Abram sich dem hingab, war sein Glaubens*
gehorsam. Seine Hingabe an Gott löste in ihm die Kraft aus, hinfort
entsprechend der an ihn ergangenen Berufung zu handeln. Jede Tat
des Glaubens ist eine Frucht, die aus der Hingabe ans Wort der
Offenbarung erwächst. Gott beantwortet alsdann das ihm geschenkte
Vertrauen mit der Kraft, durch die der Mensch sich selbst und die
Welt zu überwinden vermag.
Auch Abrams Aufbruch mußte unendlich viele Hindernisse und
Hemmungen überwinden. Er selbst war bereits ein Fünfundsiebzig=
jähriger. In seinem Naturell lag keine besondere Anlage zu gewagten
Unternehmungen und zum übermütigen Heldentum. Er war jeden=
falls mehr eine beschauliche als eine tatenfrohe Natur. Sein Weib
Sarai war bisher kinderlos geblieben. Er mußte die allernächste Ver=
wandtschaft zu gewinnen suchen, falls sie ebenfalls teilhaben sollte
an der Berufung, die an ihn ergangen war. Der von Abram gefaßte
Glaubensentschluß mußte sich mithin „auseinandersetzen mit der
harten Wirklichkeit, mit den Schwierigkeiten im Alltag, die ein
solcher Aufbruch mit Weib, Gesinde und Habe mit sich.bringt".
„Da brach Abram auf" — umgeben von einer Welt, die allein durch
Glaubensgehorsam überwunden werden konnte. Es begann von nun
an für ihn ein Leben, das ihn täglich neu vor kleinere und größere
Entschlüsse stellen mußte. Vor ihm lag ein Weg, der dunkel in seiner
Zukunft, der nur licht in seinem Anfang war. Der Hebräerbrief kann
daher schreiben: „Im Glauben folgte Abram dem Ruf Gottes, in ein
Land zu ziehen, das er zum Erbe erhalten sollte. Er zog aus, ohne
zu wissen, wohin er kam1."
Das „Allein mit Gott" bedeutete für Abram jedoch nicht, daß er
sonst niemanden in die Berufung hineinziehen sollte, die an ihn
ergangen war. „Und Abram nahm sein Weib Sarai und Lot, seines
Bruders Sohn, und alle ihre Habe, die sie gewonnen, und die
Leute, die sie in Haran erworben hatten. Und sie wanderten aus,
um ins Land Kanaan zu ziehen. Und sie kamen ins Land Kanaan"
(Kap. 12, 5). So suchte Abram mit auf den Weg zu ziehen, die sidi
unter seinem Einfluß mitziehen ließen. Denn in der Welt, die sich
» Hebr. 11,8.
37
dem Glauben erschließt, vermehrt sich der Segen, den man mit
anderen teilt. Es erhöht sich die Kraft, die man zum Segen anderer
opfert. Im Reiche der Himmel, sagte Jesus Jahrtausende später, wird
dem, der sein Leben zu opfern wagt, es wiedergegeben werden; wer
es jedoch zu seiner Selbstbereicherung zu erhalten sucht, der wird
es verlieren1. Denn in der Welt Gottes lebt man nicht um des Lebens
selbst willen. In ihr soll das Leben Gott und dem Nächsten dienen,
um die Schöpfung zu einem Tempel der Anbetung Gottes zu weihen.
Hier wird die Hingabe zum Gewinn, die Gemeinschaft zum Reich=
turn, das Opfer zur Auferstehung.
„Und sie kamen nach, dem Lande Kanaan." Menschlich gespro=
chen war es höchst unklug, gerade Kanaan zur Wiege und Heimat
einer neuen und zukünftigen Heilsgeschichte zu erwählen. Einiges
sprach zwar für dieses Land. Hatte daselbst doch Malki=Zedek, der
König der Gerechtigkeit, ein Reich des Friedens begründen können.
Er wies in seinem Charakter der Gerechtigkeit und des Friedens
zurück auf das, was einst der Mensch im Paradiese verloren hatte,
und redete prophetisch von dem, was zukünftig dem Menschen als
Heil in einer kommenden Gottesherrschaft werden sollte.
Andrerseits schien das Land der ungeeignetste Boden für eine
zukünftige Offenbarung Gottes durai ein berufenes OffenbarungS'
volk zu sein. Stand es doch seinem weitesten Umfange nach im Besitz
und unter dem Einfluß eines der entartetsten Stämme der Geschlecht*
ter Noahs. „Der Kanaaniter war schon damals im Lande", bemerkt
einfach und schlicht der biblische Bericht. Und doch besagte es so
unendlich viel. Die Bemerkung beleuchtete den sittlichen Tiefstand
und den herrschenden Charakter des Landes. War es doch gerade
Harn, der Vater Kanaans, gewesen, der sich so schwer gegen Noah
versündigt hatte. Er war nicht einmal zur Besinnung gekommen, als
er sah, was seine Brüder in ihrer keuschen Scheu und Gesinnung
taten. Anstatt eine gelegentliche Schwachheit seines Vaters in kind=
licher Ehrfurcht zuzudecken, hatte er eine lächerliche, ergötzliche
Geschichte daraus gemacht2. Werden doch die Sünden der Eltern
nicht selten erst an den Kindern gerichtet. Denn-in den Kindern
1
Nach Matth. 10, 39; Mark. 8, 35; Luk. 17, 33.
2
Näheres siehe Band 1, S. 332 ff.
38
reifen die Sünden der Eltern sehr oft zu einem Zustand aus, der
im Fluche endet. Als daher Noah von seinem Fall erwacht und zum
Propheten geworden war, hatte er gerade von Kanaan gesagt: „Fluch*
getroffen wird Kanaan, Knecht von Knechten wird er seinen Brüdern
sein1". Dieser Fluch ruhte auf den das Land beherrschenden Stäm=
men, auf den Nachkommen Kanaans. Nicht um des Fluches willen,
um der niederen Gesinnung und sittlichen Charakterlosigkeit seiner
Stämme willen, die bereits Noah als unvermeidlich zum Gerichte
führend erkannt hatte, lag daher das Land unter dem Fluche Noahs.
Kommt doch der Mensch des Glaubens auf allen seinen Wan»
derungen letzthin allein dort zur Ruhe, wo Gott sich ihm zu offen=
baren vermag. Ist dies Sichern, so sucht er Gott nicht in der Wüste
oder hinter Klostermauern. An allen Weideplätzen und Niederlas=
sungen war Abram als ein Durchziehender vorübergegangen, bis
Gott ihm in Sichern beim Haine Moreh erschien. Hier war der Herr
„dem Abram sichtbar". Hier sprach er zu ihm: „Deinem Samen gebe
ich dieses Land. Da baute er daselbst Jahve einen Altar, der ihm
sichtbar geworden war." (Kap. 12, 7).
Menschlich gesprochen konnte die Wahl kaum unglücklicher ge=
troffen werden, als sie von der göttlichen Offenbarung getroffen
wurde. War Sichern doch die bedeutendste Hauptstadt von ganz
Mittel=Kanaan und eine der ältesten und angesehensten Kultstätten,
welche die kanaanäischen Völkerstämme besaßen. Daneben befand
sich der heilige Hain Moreh. Zu welch einer Gesunkenheit und
sittlichen Fäulnis man in diesem Lande fähig war, sehen wir später
an den untergehenden Städten Sodom und Gomorra. Da war die
tierischste Gemeinheit zum sittlichen Recht, die gemeinste Scham=
losigkeit zur städtischen Moral geworden. Auch Sichern war daher
berüchtigt „als eine Gegend, die heißblütige Menschen erzeugte,
denen Mord und Totschlag nichts Seltenes war".
Auch lag Sichern auf dem Gebirge Ephraim zwischen den beiden
in ihrem äußern Charakter so gegensätzlichen Bergen: dem Ebal und
dem Garizim. Der eine „das Bild des vollendeten Gedeihens", von
unten bis oben fruchtbar und im schönsten Grün wie ein Gottes=
garten prangend, der andere das Bild des vollendeten Unsegens,
1
1. Mose 9,25.
39
unfruchtbar, baum= und vegetationslos von der Fußsohle bis zum
Scheitel. Der erste Altar des Glaubens wurde aber nicht auf dem
fruchtbaren Garizim, sondern auf dem unfruchtbaren Ebal errichtet.
Das ist Gottes Ironie der Geschickte. Er erwählt, was töricht ist
vor der Welt. Wo die Sünde mächtig geworden ist, da erweist sich
seine Offenbarung mit ihrem Heil als weit mächtiger. Gott ließ Abram
an allem im Lande vorüberziehen, bis er zum Orte Sichern mit dem
heiligen Hain Moreh kam. Hier wurde er ihm sichtbar und sprach:
„Deinem Samen gebe ich dieses Land." Da, wo Kanaan1 herrschte,
sollte am deutlichsten eine zukünftige Theokratie zu einem Zeugnis
für die Völker sichtbar werden. Da, wo der Mensch in seiner Ver»
irrung Heiliges geschaffen hatte und doch ohne den Heiligen lebte,
sollte der Prophet seinen Altar errichten und den lebendigen Gott
der Offenbarung verkündigen. Da, wo Staats= und Volksmoral einen
Tiefstand erreichten, daß das Land selbst eines Tages seine Völker
„ausspie", will Gott ein Volk erziehen, das in seiner Seele und in
seinem Kultus, in seinem Familienleben und in seinem Staatswesen
zu einem Propheten= und Priestervolk werden soll.
Von diesem geographischen Punkt, von diesem geschichtlichen
Ereignis aus will Gott hinfort mit seiner Offenbarung und mit seinen
Heilsabsichten durch Abram aber auch unter die Völker treten. Von
hier aus will er sich an jene Welt wenden, die ihn bisher noch nicht
erkannt und begriffen hat. Daß die Beschaffenheit eines Landes und
einer Heimat zwar nicht ohne Einfluß auf Anlage und Charakter
seines Volkes ist, das lehrt uns besonders die jüngere Forschung.
Aber ebensostark stellt auch die Missionsgeschichte fest, daß Gott
seine Nähe und seine Gemeinschaft nicht von dem Einfluß von Län=
dem oder aber Völkern abhängig gemacht hat. Der Hain Moreh bei
Sichern kann ebenso wie der Brite in England und der Tscherkesse
im Kaukasus, ebenso wie der Finne in Finnland und der Sachse in
Deutschland, ebenso wie der Indianer in Kanada oder der Hindu in
Indien eine Stätte der Gegenwart Gottes und seines Heils werden.
Gott ist groß genug, den Sieg seiner Offenbarung mit dem härtesten
Vollâ und auf härtestem Boden beginnen zu lassen. Seitdem ist die
1
Der Sohn Hams, der den Fludi seines Großvaters trägt (1. Mose 9,25).
2
Vgl. Jes. 51,1.
40
Offenbarung mit ihrem Heil unaufhaltsam durch die Zeitalter und
durch die Völker gegangen. Sie erfaßte alle, die sich wie Abram
ihrer Berufung hinzugeben wagten.
Nicht etwa weil Abram bei Sichern eine geweihte Kultusstätte
im Hain Moreh, eine durch alte Tradition geheiligte „Orakel=
Terebinthe"1 fand, ließ er sich hier mitten im Sitz des kultischen
und gesellschaftlichen Lebens von ganz Mittel=Kanaan nieder. Sein
Sichniederlassen wurde bestimmt durch das: „Da ward Jahve ihm
sichtbar/' Wenn auch feststeht, daß die heidnische Baumverehrung
in den späteren Zeiten, die den Geist des Glaubens eines Abram
wieder verloren hatten, auch in Israel einriß und herrschte, Abram
erwartete seine Offenbarung nicht vom Orakel einer heiligen Tere*
binthe. Er sah nicht sein Erbe in Sichern, weil dort ein durch Kultus
geheiligter Boden war. Eine allmähliche Entwicklung von der OrakeU
Terebinthe zum wahren Gottesaltar kennt die Geschichte nicht.
Stätten wahrer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit wur=
den stets nur aus der Offenbarung geboren und vom Glauben ge=
schaffen. Es starben die Götter, wo Gott sichtbar wurde; es erlosch der
Kultus2, wo erst im Herzen des Menschen das Feuer göttlicher Erleuch=
tung loderte; es trat das Heilige zurück, wo der Heilige erst wieder
mit dem Menschen als Freund mit dem Freunde verkehren konnte.
Für das ganze Glaubenserlebnis Abrams ist es tief bezeichnend,
wie stark der biblische Bericht gerade auch hier hervorhebt, daß
Abram nur der Empfangende und nicht der aktiv Schaffende war.
Es ist eine Verkennung des Charakters aller Gottesoffenbarung und
des wahren Prophetentums, wenn man alle höhere Erleuchtung und
Erkenntnis als etwas dem Menschen Immanentes: als das Produkt
menschlicher Spekulation und Begeisterung bezeichnet. Gott sprach
immer „zu" den Propheten, nicht „in" ihnen. Die wahren Gottes*
propheten waren daher zu allen Zeiten weit mehr als begeisterte
Dichter und Denker. Auch in unserem Bericht heißt es: „Da ward
Jahve dem Abram sichtbar und sprach."
1
Es war die Terebinthe, „die immergrüne Eiche, die Zypresse", die bei
den semitischen Völkern in ihrem Kultus besondere Verehrung genoß. Daher
reden die Propheten später auch von den „grünen" Bäumen, wenn sie die
Kultusbäume der Nachbarvölker oder aber in Israel selbst benennen wollen.
2
Im heidnischen Sinne, wo er vermitteln, versöhnen sollte.
41
Es ist daher eine völlige Verkennung des Wesens aller wahren
Prophétie, wenn man ihre Quelle in der eigenen Schau des Menschen
und nicht in der Offenbarung Gottes sucht. Der Prophet weckt nicht
die Stimme Gottes, er hört die Stimme, die ihn weckt. Schriftgelehrter
kann man auch, wie das Schriftgelehrtentum in den Tagen Jesu zeigt,
ohne Offenbarung sein, allein auf Grund von Exegese, Tradition und
Gelehrsamkeit, nicht aber Prophet. Seine Vollmacht liegt im Weiter*
geben des von Gott als Offenbarung Empfangenen, nicht in der
Schaffung einer Offenbarung. Propheten waren von Gott gelehrt,
daher lehrten sie je und je das Volk, wie Rabbinat und Pharisäertum
es nie zu tun vermochten.
Ohne uns hier in eine Theorie zu verlieren, wie Gott zu Abram
und den späteren Propheten gesprochen hat, wollen wir uns doch
bewußt dazu bekennen, daß nicht der Prophet, sondern daß Gott
der Quell seiner Offenbarung war. So gewiß auch damals die Er=
kenntnis von IClarheit zu Klarheit und aus Erkennen zum Erkennen
fortschritt, so gewiß erfolgte bei Abram jede tiefere Gotteserkennt=
nis immer erst auf Grund einer vorhergegangenen Gottesoffen=
barung. Ohne Gottesoffenbarung kniet der Mensch vor heiligen
Terebinthen und lauscht deren rätselhaftem Orakelrauschen.
Wir haben daher gesagt, daß mit der Entscheidung des Glaubens,
eine Weltmission verbunden sein kann. Abram traf sie und wurde
zum Propheten. Nicht der äußere Ortswechsel trug ihm diese Voll=
macht ein. Das Geheimnis lag in dem Kontakt, den seine Seele auf
Grund einer Offenbarung mit Gott gefunden hatte. An sich mußte
er Sichern so gottlos finden, wie Ur in Chaldäa gottlos gewesen war.
Das Geheimnis seiner Berufung und Erwählung war mithin nicht
eine Ortsfrage, es war vielmehr eine Offenbarungs= und Glaubens=
frage. Offenbarung und Glaube waren auch schon bei Abram die
beiden tragenden und entscheidenden Faktoren seines Heilslebens.
Und sie sind es immer noch. Abrams Auszug ohne Offenbarungen
hätte ihn nie zum Vater der Glaubenden, nie zum Propheten Gottes
in der Geschichte gemacht. Auch er hätte sich nicht über einen Bürger
Sichems und über einen Verehrer der Orakel=Terebinthe hinaus
entwickelt.
Aber mit Gott allein und im Gehorsam des Glaubens war er
42
der Welt entrückt, obgleich er mitten in der Welt lebte. Als erst das
Feuer der Anbetung in seiner Seele loderte, konnte er auch neben
dem Hain Moreh Gott einen Altar erbauen. Nachdem Gott zu ihm
gesprochen: „Deinem Samen gebe ich dieses Land", konnten auch
die feindlichen Kanaaniterstämme dem Fremdling nicht den Segen
streitig machen, den er hier finden sollte. Denn das Geheimnis seines
Segens lag wieder nicht in dem alten Kulturlande, wo er sich nieder=
ließ, es lag in der Verheißung, die hinter ihm stand. Menschen, die
die Welt erst innerlich überwunden haben, überwinden sie durch
ihren Glauben auch äußerlich. Sie machen selbst Tanz= und Theater*
säle zu einem Tempel Gottes, wo hinfort Irrende vielfach in ihrer
Seelennot das finden konnten, was sie bisher in der Welt nicht
gefunden hatten1. Gott nimmt seine Propheten nicht aus der Welt,
er sendet sie in die Welt. Er separiert sein Volk nicht durch die
Wüste, er erzieht es für sich mitten im Kultus= und Kulturleben der
Zeit. Da, wo der Geist der Welt herrscht, spricht Gott zu seinem
Abram: „Deinem Samen gebe ich dieses Land."
Diese Linie ist auch von der späteren, noch weit größeren Offen=
barung Gottes in Christus nie verlassen worden. Propheten und
Apostel der kommenden Jahrtausende bewegten sich in ihrem Glau=
ben und in ihren Missionen in dem, was hier so schlicht und doch
bereits so prophetisch angekündigt wurde. Die Propheten sehen das
Licht aufgehen über Völker, die im Dunkel sitzen, und erwarten
die Herrschaft Gottes nicht allein für Zion, sondern auch für die
Nationen der Erde. Paulus trägt ein Evangelium in seiner Seele,
von dem er weiß, daß es groß genug ist, daß er damit die ganze
Welt erfüllen könne. Ihm wartet sogar die ganze Schöpfung auf die
Erlösung, die durch das Offenbarwerden der Söhne Gottes in Herr=
lichkeit kommen soll2.
Jedoch am allertiefsten und reinsten verkörperte sich das Gottes=
evangelium, das schon hier in der Offenbarung an einem Abram die
Nacht der Menschheit durchbrach, in der Person Jesu Christi. Eins
mit dem Vater, am vollendetsten in der Separation des Glaubens
1
Man denke an die gesegneten Evangelisationen in den großen öffent-
lidien Sälen in unseren Tagen, die für das Leben mancher von entscheidender
Bedeutung geworden sind.
2
Rom. 8.19 ff.
43
lebend, setzte er sich zu den Zöllnern und Sündern, suchte er die
Verlorenen aus dem Hause Israel. Nicht Gerechte, Gottlose war er
gekommen zu suchen, um Gottes Herrschaft mit ihrem Heil in ihr
Leben zu tragen. Und als er seine Messiasmission vollendet sah
und vor dem Hingang zu seinem Vater stand, sprach er von seinen
Jüngern das große Wort: „Wie du mich in die Welt gesandt hast,
also sende auch idi sie in die Welt"1. Jünger, die erst nicht mehr
von der Welt sind, sendet er in die Welt, damit sie dort einen Altar
dem Herrn erbauen, der ihnen erschienen ist.
Zwischen Abram und Gott hatte eine Glaubensgemeinschaft
begonnen, d. h. der persönliche Gebetsumgang eines menschlichen
Ich mit dem göttlichen Du. Auf der Grundlage dieser Gemeinschaft
gelangte Abram von Offenbarung zu Offenbarung, von Erkenntnis
zu Erkenntnis, von Verheißung zu Verheißung. Sooft Gott sprach,
gehorchte Abram, und sooft Abram gehorchte, antwortete ihm Gott
mit vermehrter Offenbarung. So entstand ein Glaubensweg, auf dem
überall vom Glauben dem Herrn ein Denkmal gesetzt wurde. „Dar"
nadi brach er von dannen auf nach dem Gebirge östlich von Bethel
und schlug sein Zelt auf, Bethel im Westen und Ai im Osten; da
baute er Jahve einen Altar und betete im Namen Jahves. Da zog
Abram immer weiter nach dem Südland/' (Kap. 12, 8 f.). Denn Glau=
benswege gehen von Altar zu Altar, immer tiefer in den Verkehr
mit Gott. Ist mit Glaubenswegen auch der Charakter der Fremd=
lingschaft und der Wanderschaft verbunden, führen sie auch von
Sichern ins Gebirge, vom Norden in den Süden, so erschließen sie
dennoch immer neu Lagerplätze, wo der Mensch des Glaubens seine
Zelte aufschlagen kann, um seine Herden zu versorgen und um den
Verkehr mit Gott zu pflegen.
44
seinem Glaubensgehorsam hatte Gott den großen Durchbruch der
Offenbarung in die altsemitische Welt vollzogen. Gott war bis zu
einem Menschen durchgebrochen, Abram bis zu Gott. Das Ergebnis
war, daß Abram sich hinfort in allem: in seinem Segen, in seiner
Bewahrung und in seiner Zukunft allein auf Gott gestellt sah. War
es das Unheil der damaligen Welt, daß sich jedermann bestimmen
ließ durch den Geist der Zeit, so sollte es das Heil Abrams werden,
daß er sein Leben ordnen ließ durch den Geist der Offenbarung.
Abrams Hingabe an diese Offenbarung hatte ihn bis Sichern
und dessen südliche Nachbargebiete geführt. Seine Seele war in
ihrem Suchen zur Ruhe gekommen, wo Gott ihm erschienen war.
In Sichern hatte Gott zu ihm gesprochen: „Deinem Samen gebe ich
dieses Land." Auf diesen Boden des Glaubens sah sich Abram von
Gott gestellt. Hier allein sollten sein Segen und seine Zukunft in
der Welt liegen. Vom Hain Moreh bei Sichern war Abram aufge=
brochen und hatte seine Zelte etwas südlicher im Gebirge zwischen
Bethel und Ai aufgeschlagen. Hier erbaute er aufs neue dem Herrn
einem Altar der Anbetung und „rief den Namen Jahves an". Sein
Anrufen Gottes war der Protest seines Glaubens jener babylonischen
Welt gegenüber, deren ganze Geistes= und Lebensrichtung in das
„Laßt uns uns einen Namen machen!" aufging. Was Abram durch
Offenbarung an Erkenntnis Gottes erschlossen worden war, leuchtete
nun vom Altar in die Nacht des Aberglaubens und der Götterver=
ehrung der damaligen Zeit. Gesegnet mit einer lebendigen Gottes=
erkenntnis, segnete Abram hinfort die Welt mit dem Namen dessen,
in dem allein das Heil der Welt zu finden ist.
Und doch beginnt hier eine dunkle Seite in der Glaubensge=
schichte eines Abram. Was ihn bestimmte, immer weiter südlich zu
ziehen, wissen wir nicht. Suchte er eine Isolierung über Gottes Offen=
barung hinaus? Verstand er vielleicht nicht, daß die erste Offen=
barung, Gottes „lech=rcha: Gehe für dich allein!", auch wiederum
ihre Grenze finden sollte in der anderen: „Deinem Samen gebe ich
dieses Land"! Also nicht nur eine vorübergehende Ruhestätte, son=
dem Heimat sollte dieses Land seinen zukünftigen Geschlechtern
werden. Abrams äußere, nicht innerliche Isolierung sollte hier ihre
Erfüllung finden.
45
Eine Dürre im Südlande hat jeder der Glaubensväter durchge=
macht. Denn auch jener Boden, auf den der Glaube sich gestellt
sieht, und auf dem sein Segen und seine Zukunft liegen sollen, kann
eine Hungersnot erleben. Das Geheimnis für das sittliche und äußer»
liehe Gedeihen Abrams soll nicht in einer dauernden Fruchtbarkeit
seiner Heimat, es soll in seinem Glaubensverhältnis zur göttlichen
Offenbarung liegen. „Ich will dich segnen", schrieb die göttliche
Verheißung über die Zukunft Abrams. Dieses „Ich" machte Abrams
Leben und Segen unabhängig von den Wechselerscheinungen jenes
Landes, in das er sich verpflanzt sah. Und doch ging Abram „nach
Ägypten hinab". Er erkannte nicht die Versuchung, die in der ein=
getretenen Hungersnot für seine Glaubensstellung zur göttlichen
Offenbarung lag. Gottes Leitung hat nie eine Zukunft und einen
Weg garantiert, die ohne Prüfungen, Kämpfe, Leiden und Opfer
sein würden. Aber sie garantiert, daß der Mensch des Glaubens bei
aller Separation doch nicht allein sein werde. Sie verheißt, daß Gott
auch in der Dürre mit „Honig aus dem Veisen sättigen" werde. Nicht
Vorhandenes dem Abram nehmen, Neues seinem Glauben erschließ
ßen will die göttliche Offenbarung, wenn sie über jenes Land eine
Hungersnot kommen läßt, in dem er seine Heimat und Zukunft
finden soll.
b) A b r a m w i r d s c h w a c h im G l a u b e n
„Als er nahe daran war, nach Ägypten zu kommen, sprach er zu
seiner Trau Sarai: ,Siehe, ich weiß es doch, daß du ein schönes Weib
bist' " (Kap. 12,11). Wer den Charakter der Heiligen Schrift ver=
kennt, mag Anstoß nehmen am folgenden Bericht. Die Bibel will
aber keine Beispielsammlung von frommen Menschen sein. Sie er»
zählt Geschehenes nicht, weil es mustergültig war, sondern einfach,
weil es geschah. Sie schrickt nicht davor zurück, auch die Fehler,
Schwächen und Verirrungen der alten Glaubensväter zu erzählen.
Die kommenden Geschlechter sollen nicht an die Väter, sie sollen an
Gott glauben, der mit seiner Offenbarung und seiner Bewahrung
hinter deren Leben stand. Stünde deren Leben ungetrübt in der
Schrift, dann wäre die Vätergeschichte eine Dichtung. Wüßten wir
nicht von ihrem Fallen in Schwachheit und ihrem Auferstehen durch
46
Gnade — sie wären uns Halbgötter, nicht aber Menschen des Glau=
bens. Wäre ihr Leben ohne jegliche Leidenschaft, die spätere Fröm=
migkeit würde es dann ihrer Selbstveredelung und Selbstbeherr=
schung zugeschrieben haben, nicht aber der Gnade. Nicht moralische
Vorbilder, von Gott begnadete und zurechtgebrachte und gesegnete
Persönlichkeiten haben wir in den Glaubensvätern.
Im Urteil der Menschen war es selbstverständlich, daß Abram
angesichts der schweren Hungersnot hinab nach Ägypten zog. Schon
damals galt Ägypten mit seinen nie versagenden Fruchtfeldern an
den Ufern des Nilstromes als „die Kornkammer" der Alten Welt.
So hoffte auch Abram, hier Brot für sich, seine Knechte und Mägde
und Futter für seine Herden zu finden. So verständlich es aber vom
Standpunkt des Menschen aus war, daß Abram aus dem dürren
Südland nach Ägypten zog, so unverständlich war es vom Stand=
punkt des Glaubens aus. Denn der Glaube und sein Handeln sind
gebunden an Gott. Abram ließ sich aber in seinem Entschluß nicht
durch Gott, sondern durch den Druck der Verhältnisse und durch
die Fruchtbarkeit Ägyptens bestimmen.
Gelöst von der göttlichen Offenbarung muß aber auch der Glaube
Abrams irren und fehlgehen. Er wird fähig sein, auf selbsterwählten
Wegen seine heiligsten Güter zu verleugnen. Denn als Abram sich
den Grenzen Ägyptens näherte, sprach er zu seinem Weibe Sarai:
„Ich weiß recht wohl, daß du ein schönes Weib bist. Wenn dich
nun die Ägypter sehen, so werden sie denken: ,Das ist sein Weib',
und sie werden mich erschlagen und dich am Leben lassen. So sage
doch, du seiest meine Schwester, auf daß es mir um deinetwillen
wohl gehe und ich durch dich am Leben bleibet"
Wer sich erst um einer Hungersnot willen auf den Boden der
Versuchung begibt, gelangt daselbst aus Versuchung in Versuchung.
Auch Abrams Leben fing an, lauter Berechnung zu werden, als er
wagte, sich in seinen Entschlüssen unabhängig zu machen von Gott.
Er stellte sich auf den Boden der zeitlichen Verhältnisse, schloß sich
der herrschenden Moral und den Gepflogenheiten der Ägypter an
und suchte durch seine geistige Überlegenheit der Schwere der Ver=
suchung zu begegnen.
Angesichts der herrschenden Landessitte und Volksmoral frem=
47
den Frauen gegenüber befand sich Abram tatsächlich in einer sehr
kritischen Lage. Ob verheiratet oder unverheiratet, in beiden Fällen
war Sarais Frauenehre bedroht. Denn der zum öffentlichen, mora=
lischen Recht erhobenen Sittenlosigkeit stand sowohl in dem einen
wie in dem anderen Fall der Weg,offen zu dem fremden Weibe.
War sie verheiratet, so tötete man einfach den Mann und raubte
die Frau; war sie jedoch unverheiratet, so suchte man sich die Gunst
des sie begleitenden Bruders durch Geschenke zu gewinnen. Auf
diesem Wege war es möglich, in den Besitz der Schwester zu ge=
langen. Diese schwere Lage kam Abram zum Bewußtsein, als er sich
den Grenzen Ägyptens näherte. Vor ihm stand sein Tod oder Sarais
Schande. Wenn er auch erwartete, daß die Ägypter Sarai leben lassen
würden, so wußte er doch, wozu das geschehen würde. So kam
es, daß Abram zu seinem Weibe sprach: „Sage doch, du seiest meine
Schwester, auf daß es mir um deinetwillen wohl gehe und idi durai
dich am Leben bleibe."
Wie unsicher beginnt doch das Leben zu werden, sobald es seine
Glaubensverbindung mit Gott verloren hat! Hinfort ist die Separa*
tion des Glaubens inmitten der herrschenden Volkssitte und im
öffentlichen Leben unmöglich. Man sieht sich gezwungen, auf den-
selben Boden zu treten, auf dem der Mensch mit seiner Moral auch
ohne Gott lebt. Auf Grund der geltenden Rechte sucht er alsdann
noch zu retten, was zu retten ist. Das Leben wird hinfort der Spiel*
ball des Schicksals. Die Zukunft wird abhängig davon, ob man den
rechtzeitigen und richtigen Anschluß an die herrschende Geistes=
richtung und Lebensethik der Zeit gewinnt. Nicht Gott, der Mensch
bestimmt hinfort wieder die einzelnen Entscheidungen und Hand*
lungen des Lebens.
Daß Abram zu solch einem Fall auch als Mann des Glaubens
noch fähig sei, konnte ihm nur auf dem Wege der Versuchung zum
Bewußtsein kommen. Damit ans Licht trete, was als Weizen und
was als Spreu auch im Leben der Glaubenden fortlebt, gewährt Gott
dem Satan das Recht, daß er sie sichte, wie man auf der Tenne den
Weizen sichtet. Jede Versuchung ist in der Regel aufs engste mit dem
gewöhnlichen Geschehen unseres Lebens verwoben. Sie läßt damit
offenbar werden, inwieweit das Innen= und Geistesleben auf Gott
48
eingestellt ist und mit dessen Kraft rechnet oder nicht. Denn auch
der Mensch des Glaubens läßt sich erst von dem erlösen, was ihm
zuvor in seinem Leben als widergöttlich zum Bewußtsein gekom=
men ist.
Gewiß hätte Gott einen Abram vor dieser Stunde der Versuchung
zu bewahren vermocht. Hätte Abram auch ohne Versuchung erkannt,
daß er auch nach seiner Berufung zu solch einer niedrigen, mensch=
liehen Selbsthilfe in der Stunde der Not fähig sei, Gott hätte ihm
diese Niederlage erspart. Gott sah aber, daß in der Zukunft auf dem
Glaubenswege Abrams noch viel schwerere Konflikte des Lebens und
Stunden der Versuchung eintreten würden. In diesen würde Abram
sich aber nur dann bewähren, wenn er sich nodi weit restloser als
bisher in allen seinen Entscheidungen an Gott gebunden sehen
würde. Gottes Ziel war daher, Abram auf Grund seiner Erfahrungen
in Ägypten gelöster von sich selbst und gebundener an Gott zu
machen. Ein Glaube, der sich einerseits von Gott abhängig machen
läßt, andrerseits aber auch ohne Gott zu handeln wagt, erlangt nicht
das Ziel der göttlichen Berufung. Ihm müssen eines Tages die Stun=
den des Handelns ohne Gott zur Katastrophe gereichen.
c) G o t t w a c h t e ü b e r A b r a m
So verworren und kritisch jedoch die ganze Lage und Situation
Abrams und seines Weibes in Ägypten nun auch war, Gott wachte
doch über deren Verlauf und jedes einzelne Geschehen. Es sahen
zwar die Ägypter, daß Sarai „sehr schön sei", niemand wagte aber,
sie zu berühren. Erst als die Fürsten des Landes sie sahen, rühmten
sie ihre Schönheit vor Pharao. Da wurde Sarai in das Haus Pharaos
geholt. Gott ging jedoch mit ihr. War sie doch weit mehr die Lei=
dende als die Schuldige. Aus uns unbekannten Gründen zog Pharao
sie zunächst nicht in das engste Hofleben und in seinen Harem hin=
ein. Vielleicht sollte auch Sarai, wie später Esther am Hofe des Ahas=
veros, zuvor für ein intimeres Zusammenleben mit Pharao gesalbt
und geweiht werden. Abram gegenüber erwies Pharao jedoch seine
große Gunst. Er schenkte ihm um Sarais willen viele Knechte und
Mägde, Kamele und Rinderherden, Kleinvieh und Eselinnen. Die
49
Schrift erzählt nun nicht weiter, ob durch Krankheit oder durch
innerliche Beunruhigung Pharao sich veranlaßt sah, Sarai zu ent=
lassen und Abram unter Bewachung aus dem Lande zu befördern.
Offenbar gehörte Pharao zu jenen Persönlichkeiten der heidnischen
Welt, die trotz der herrschenden Unsittlichkeit entsprechend ihrem
Rechtsbegriff, den sie besaßen, kein Unrecht tun wollten. Er besaß
ein Gewissen, zu dem Gott wenigstens durai Gerichte reden konnte.
Denn als der Herr ihn und seinen Hof um Sarais willen mit
schweren Plagen heimsuchte, da verstand er, daß es die Sprache
Gottes sei. Er erfuhr, vielleicht durch ein Bekenntnis Sarais, daß er
falsch unterrichtet worden wäre. Da ließ er Abram rufen und sagte:
„Was hast du mir da angetan? Warum hast du miài nicht wissen
lassen, daß sie dein Weib ist? Warum hast du gesagt, sie sei deine
Schwester, so daß ich sie mir zum Weibe genommen habe? Nun,
da hast du dein Weib, nimm sie und ziehe hin!"
Abram war berufen worden, als Prophet Gottes mit dem Lichte
der göttlichen Offenbarung das Gewissen der Welt zu sein. Nun
mußte die Welt zum Gewissen Abrams werden. Es ist immer er=
schlitternd und äußerst demütigend für Gottes Berufene, wenn der
Herr ihnen nur noch durch das natürliche Rechtsgefühl der Welt das
sagen kann, was er ihnen so gern zuvor durch Erleuchtung gesagt
hätte. Da Abrams Ohr in dieser Angelegenheit nicht zart genug
gewesen war für die Sprache Gottes, so mußte Gott es wecken durch
die Sprache der Welt. So beschämend es für Abram auch war, um
ihn aber in der Zukunft vor weit Schwererem zu bewahren, konnte
Gott ihn nicht über das Schwere der Gegenwart hinwegheben. Damit
Petrus seinem Meister nicht für immer verlorenginge, ließ der Herr
dessen Verleugnung zu. Er wollte ihn hinfort auf Grund einer viel
tieferen Selbsterkenntnis zu einem dauernden Apostel seiner Kirche
und zum Hirten seiner Schafe und Lämmer begnadigen. Wen Gott
nicht ohne Versuchung, allein durch Offenbarung, in seine Erlösung
hineinzuziehen vermochte, den suchte er noch immer auf dem weit
schwereren Wege der Versuchung und des Falles zu erlösen. Selig,
wer dann die Sprache Gottes durch die Versuchung verstand! Wie oft
waren augenblickliche Gerichte im Leben des Menschen das letzte
und äußerste Mittel, das Gott in seiner Liebe anwenden mußte, um
50
für die Zukunft den zu retten, der ohne Gericht dauernd verloren*
gegangen wäre!
Gott selbst jedoch wachte über Abrams Fall. Er durfte nicht tiefer
sein, als es zunächst zur Erziehung Abrams nötig war. Denn Gott
ist es nicht um den Fall seiner Erwählten zu tun, er ringt um deren
Erlösung. Er sorgte auch dafür, daß Abram durch die Welt selbst
ausgeschieden wurde, da er als Berufener Gottes nicht mehr zur
Welt gehörte. „Und der Pharao entbot seinethalben Leute; die muß*
ten ihn und sein Weib und alles, was er hatte, geleiten." Dies war
nicht nur eine Freundlichkeit Pharaos Abram gegenüber. Es war eine
beschämende Beschränkung Abrams in seinem Entschluß und in
seiner Bewegungsfreiheit. Pharaos Leute hatten dafür zu sorgen, daß
Abram das Land verließ. Ist der Glaube Abrams schwach geworden
in seinen Entschlüssen und Handlungen, dann läßt Gott weltliche
Kräfte mitwirken, daß sein Erwählter wieder auf die richtige Fährte
kommt. Wie hat sich das in der späteren Geschichte Israels und auch
innerhalb der Kirche Christi so oft wiederholt, was Abram Grund=
sätzliches hier erlebte! Suchte Israel oder auch die Kirche in Ägypten
eine Weltvermählung, um sich vor der Hungersnot auf dem Boden
der Separation des Glaubens retten zu können, dann bestellte Gott
eines Tages die Knechte der Welt, um den aus Ägypten zu führen,
der als Fremdling nicht zu Ägypten gehörte.
Das mag schmachvoll und schmerzlich für die Kirche sein. Es ist
für sie aber Gnade im Gericht. Nicht die Kirche in ägyptischer Um=
armung und Gefangenschaft, nur die Kirche in der Glaubensabhän*
gigkeit von Gott bleibt Trägerin des Heils für die Völkerwelt. Abram
in Ägypten mußte lügen und die Mitträgerin derselben Verheißung
verleugnen. Anstatt einem Pharao zum Segen zu werden, wurde er
ihm zu einem Fluch. Ist die Kirche nicht Kirche, verleugnet sie sich
und ihre Berufung, ein Segen für die Völker zu werden, dann wird
sie das dumm gewordene Salz, das von den Füßen der Völker zer»
treten wird.
51
4. Die Trennung von Lot und des Glaubens Bewährung
1. Mose 13
In den inneren und äußeren Konflikten, in die Abram durch sein
Hinabziehen nach Ägypten kam, hatte er weder die Zeit noch den
Mut gefunden, dem Herrn einen Altar zu erbauen. Ein Glaube, der
sich unabhängig macht von der göttlichen Offenbarung und eigene
Wege zu gehen beginnt, hinterläßt keine Altäre zum Zeugnis von
dem, was er mit Gott erlebt hat. Auch Abram fand erst seine Sprache
des Glaubens wieder, als er auf seiner Rückkehr bis zu dem Orte
kam, „wo im Anfang sein Zelt gestanden hatte, zwischen Bethel und
Ai, an die Stätte des Altars, den er vordem daselbst gemacht hatte,
und dort rief Abram den Namen Jahves an". Auf selbsterwählten
Wegen wird das Gebetsleben, der Verkehr mit Gott, in der Regel
sehr arm. Als Abram sich aber erst wieder in jenem Lebensraum
bewegte, der ihm durch die göttliche Offenbarung gezogen worden
war, da wurde aufs neue in seinem Leben auch der Charakter des
Berufenen sichtbar. Selbst Propheten Gottes verlieren Sprache und
Charakter, wenn sie in Ägypten Zuflucht suchen, während Gott sie
trotz der Teurung in Kanaan segnen will.
52
selbständigen Kreis und Besitz. Lots Anschluß an Abram war jedoch
ein äußerlicher geblieben. Er teilte zwar den Segen, nicht aber die
Berufung, die mit Abrams Leben aufs engste verbunden war. Aus
der Art, wie der Text das Folgende darstellt, geht hervor, daß seine
Aufgabe nur darin bestand, seine Zelte zu vergrößern und Herden
zu gewinnen. Abrams Anrufen des Namens Gottes berührte ihn
nicht. Lot fand seine Ruhe und Befriedigung allein im Segen, nicht
im Segnenden.
Auch im Mittagslande von Kanaan, wo man aufs neue nach der
Rückkehr aus Ägypten seine Zelte aufgeschlagen hatte, konnten
Abram und Lot als Fremde nur auf herrenlosem Boden weiden. Die
verschiedenen Stämme der Kanaaniter und Peresiter bewohnten be=
reits das Land und hatten die fruchtbarsten Gegenden in Besitz
genommen. Nun „kam es zum Streit zwischen den Hirten über
Abrams Vieh und den Hirten über Lots Vieh". Der Streit entstand
um der offenen Weideplätze und der Quellen willen, die das Land
noch bot. Der wachsende Segen beider Kreise schien es mit sich zu
bringen, daß der Vorteil des einen zum Nachteil des andern gereichte.
Die Notwendigkeit der Trennung Lots von Abram erwies sich
jedoch nicht allein auf Grund der äußeren Entwicklung beider Kreise.
Sie wurde eine innerliche Notwendigkeit. Sie mußte kommen zu=
nächst um Abrams willen. Mit dem Auszug aus Haran nach Kanaan
war Abrams Berufung und Separation noch nicht abgeschlossen. Die
Isolierung auf dem Wege des Glaubens, das göttliche „led^l'cha"
mußte noch ein viel einschneidenderes im Leben Abrams werden.
Gott hatte es gestattet, daß Lot mit auf den Weg der Berufung ge=
zogen wurde, vielleicht sogar um Abrams willen. Gott läßt dem
Glauben bestimmte Stützen und Anschlüsse, wenn er zunächst zu
schwach ist, ohne solche den Weg „allein mit Gott" zu gehen.
Als Gideon einst von Gott berufen wurde, Israel von der schwe=
ren Bedrückung der Midianiter zu erretten, fürchtete er sich ange»
sichts der Stärke des Feindes vor der ihm aufgetragenen Mission.
Damit er sich aber selbst überzeugen könnte, welch eine Verwirrung
und Mutlosigkeit der Herr im Lager der Midianiter hatte entstehen
lassen, sprach er in der einen Nacht zu ihm: „Steh auf und brich ins
Lager ein; denn ich habe es in deine Hand gegeben. Fürchtest du
53
dich aber, einzubrechen, so geh mit deinem Burschen Pura hinab
zum Lager und horche, was sie reden! Dann wirst du den Mut finden,
ins Lager einzubrechen1." Gewiß bot der Knabe Pura Gideon keine
Deckung vor der Macht der Feinde. Gott aber sah, daß Gideons
Glaube mit dem Knaben den Mut finden werde, das zu tun, was er
ohne ihn nicht wagen würde zu tun.
Gott weiß weit besser als der Mensch selbst, was er dem Glauben
seiner Berufenen zumuten darf und was nicht. Offenbar hatte es auch
Abrams Entschluß, die Heimat seiner Väter und die Grabstätten
seiner Ahnen zu verlassen, erleichtert, daß Lot bereit war, mit ihm
zu ziehen. Und Gott hatte Lot hinfort teilnehmen lassen an dem
Segen, der für Abram auf dem Wege des Glaubens und des Gehor-
sams lag. Nun war aber nach all den bisherigen Erlebnissen die
Stunde gekommen, wo Abram auch ohne Lot seinen Weg des Glau=
bens entsprechend der göttlichen Berufung gehen sollte. Ein An=
Schluß, der zuerst eine Stütze gewesen war, mußte mit der Zeit zum
Hindernis und Anstoß für jenen Glauben werden, der berufen war,
mit Gott allein zu gehen.
Jedoch die Trennung mußte kommen auch um Lots willen. Auch
er sollte eine Persönlichkeit auf dem Wege der Berufung werden.
Bisher sah er sich in seinen Handlungen nur bestimmt durch Abram.
Was er bisher geworden war und empfangen hatte, war im Anschluß
an Abram geschehen. Eine persönliche Glaubensabhängigkeit von
der göttlichen Offenbarung kannte er nicht. Sein bisheriges Leben
wird durch den Satz charakterisiert: „Und Lot zog mit ihm." Durch
einen solchen rein äußerlichen Anschluß kann Lot zwar gesegnet,
niemals aber eine geistliche Persönlichkeit werden. Persönlichkeiten
des Glaubens waren immer eine Schöpfung, die nur auf dem Boden
eines persönlichen Verhältnisses zu Gott werden konnte. Unmöglich
konnte Lot Abrams ferneren Weg und Lebensführung teilen, wenn
nicht auch sein Leben in eine selbständige, individuelle Abhängig=
keit von Gott käme. Die Gelegenheit dazu sollte Lot werden, als sich
die äußere Notwendigkeit erwies, daß Abram und Lot sich um ihrer
Herden willen trennen mußten.
Bei dieser Trennungsfrage zeigte sich nun, wie unendlich viel
1
Richter 7, 9 ff.
54
Abram durch die schweren Erlebnisse in Ägypten gewonnen hatte.
Er hatte nicht vergeblich die Prüfung, die Niederlage und die demü=
tigende Zurechtweisung durch Pharao erlebt. Bewußter als je zuvor
hatte er sich auf den Weg Gottes: lech=rcha! und in die Abhängigkeit
der göttlichen Offenbarung gestellt. Das gab ihm auch die Kraft,
nicht selbst die Wahl seines Ortsbesitzes zu treffen. Im Bewußtsein
seiner Abhängigkeit von Gott konnte er die Entscheidung darüber
ganz seinem Neffen Lot überlassen. „Laß doch nicht Zank sein zwi=
sehen mir und dir, zwischen meinen Hirten und deinen Hjrten: wir
sind ja Brüder!" Leider waren sie beide nur blutsverwandt, weniger
aber geistes= und seelenverwandt. Es fehlte die gemeinsame höhere
Glaubensebene, die das Leben beider über den äußerlichen Segen mit
seinen Zelten, Hirten und Herden hinaushob.
b) Die W a h l L o t s
Dieser innere Zwiespalt zwischen Abram und Lot wirkte sich
unter den Hirten als offener Streit um die besten Weideplätze aus.
Nicht nur heute, auch damals schon war es so: Wenn Brüder zank*
ten, dann hatte die Welt immer den Vorteil davon. Abram erkannte
daher die Gefahr, die in einem dauernden Streit angesichts der Ein*
wohner des Landes sowohl für ihn als auch für Lot liege. Daher
sprach er eines Tages zu Lot: „Steht dir nicht das ganze Land offen?
So trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so gehe ich zur
Rechten; oder willst du zur Rechten, so gehe ich zur Linken." Je
zarter das Gewissen der Berufenen wird, desto mehr leiden sie unter
allem Bestehenden, das dem Wesen ihrer Berufung widerspricht. Sie
suchen sich daher selbstlos von allem zu lösen, was sich nicht in den
Geist und in den Charakter der göttlichen Berufung hineinziehen
läßt. Lieber weniger äußerlicher Segen und Erfolg als der dauernde
Zustand eines innerlichen Zwiespalts und lähmenden Zwistes zwi=
sehen Bruder und Bruder!
Hinfort mußte nun offenbar werden, welch eine Persönlichkeit
Lot im Lauf der Jahre auf Grund seiner Erlebnisse und der gemach=
ten Erfahrungen geworden war. „Da erhob Lot seine Augen und sah,
daß die ganze Jordanaue ein wasserreiches Land war . . . wie der
Garten des Herrn, wie das Land Ägypten, bis nach Zoar hin."
55
Unabhängigkeit von Gott führte den Menschen immer zu einer
überlegenden Berechnung der bestehenden Situation. Auch Lot hatte
in Ägypten viel gesehen und gelernt. Es war ihm nicht das Geheim*
nis entgangen, warum Ägyptens Nilauen von ewiger Fruchtbarkeit
waren. Er hatte verstanden, warum das Land zur Kornkammer der
ganzen Alten Welt werden konnte. Dasselbe Bild bot sich seinem
suchenden Auge nun in der Talebene des Jordan. Sie war wasser=
reich, fruchtbar wie ein Garten Gottes, wie das Land der Ägypter.
Auch hier war alles auf einen ewigen Segen festgelegt. Eine Wieder=
holung der durchlebten Hungersnot war mithin ausgeschlossen. Diese
Erwägungen bestimmten Lot in seiner Wahl. „Abram blieb im Lande
Kanaan; Lot aber ließ sich nieder in den Städten der Aue und zog
mit seinen Zelten bis gen Sodom. Aber die Leute von Sodom waren
arge Sünder und Frevler wider den Herrn."
Offenbar fürchtete Lot den Einfluß Sodoms nicht. Die Männer
von Sodom boten nichts Verlockendes für einen Menschen des Glau=
bens. Deren Grundhaltung des Lebens war gegen Gott gerichtet. Im
bürgerlichen Leben verleugneten sie jede sittliche Grundlage. Mora=
lische Verwahrlosung machte den Menschen aber noch immer rück=
sichtslos und hart gegen den Nächsten. Zügellosigkeit und Aus=
Schweifung setzen sich skrupellos über alle Rechte der Zeitgenossen
hinweg. Da Lot trotz seiner Erkenntnis des lebendigen Gottes doch
ohne Geistesverwandtschaft mit der göttlichen Berufung geblieben
war, so konnte für ihn die herrschende Geistesrichtung Sodoms kein
Hindernis sein, sich da zeitlich mitsegnen zu lassen, wo alle Welt
gesegnet wurde. Die Gemeinschaft Sodoms schien ihm lieber zu sein
als die Separation des Glaubens. Der zeitliche Segen versprach ihm
mehr als die göttliche Berufung. Die Pflege seiner Zelte stand ihm
höher als das Errichten von Altären Jahves. Er erschloß sich der Welt
und ihrem Segen, nicht aber Gott und seiner Offenbarung.
c) A b r a m s R e c h t f e r t i g u n g
Lot hatte selbst die Wahl getroffen, und zwar ohne Gott. Nun
traf Gott die Wahl, und zwar für Abram. Denn als Lot sich nicht
nur räumlich, sondern auch geistig=persönlich, wie es im Wortlaut
des Textes liegt, von Abram getrennt hatte, sprach Gott zu Abram:
56
„Hebe deine Augen auf und sdiaue von der Stätte, da du stehst,
gegen Mitternacht und gegen Mittag, gegen Morgen und gegen
Abend! Denn das ganze Land, das du siehst — dir will idi es geben
und deinen Nachkommen für ewige Zeiten." (1. Mose 13,14.15).
Nie vermag die eigene Wahl einer fleischlichen Gesinnung das
Erbe und den Segen einzuschränken, die Gott mit seiner Erwählung
für die Berufenen verbunden hat. Je gebundener die Erwählten in
ihrem Vertrauen an Gott werden, desto gelöster von den Folgen der
selbstsüchtigen Wahl der fleischlichen Gesinnung stehen sie eines
Tages da. Wird ihnen das Wählen genommen, so wählt Gott für sie.
„Hebe deine Augen auf, Abram, ob östlich, ob westlich, ob nord=
wärts, ob südwärts" — die Grenzen deines Erbes und Segens sind
menschlich nicht zu bestimmen und festzulegen —. Das war Gottes
Antwort auf Abrams Schweigen. Mit Gott kann auch die öde Wüste
Juda zu unerschöpflichen Quellen des Segens werden. Ohne Gott
führt jedoch auch die Jordanebene mit ihren Fruchtgärten und
Wasserströmen zur Knechtung und Katastrophe. Nie war die Kirche
Christi so arm, als wenn sie in ihrer fleischlichen Gesinnung nicht
mehr den Geist der Welt fürchtete, sondern in eigener Wahl deren
Erbe zu teilen suchte, um sich dauernd ihre Zukunft zu sichern.
Uneingeschränkte Segensgebiete erschließen sich ihr nur, wenn sie
dem Geiste ihrer Berufung entsprechend als Gottes Erwählte und
Prophetin den Weg der Separation des Glaubens geht und in allen
Landen Altäre als Zeugnis für Gottes Offenbarung erbaut.
Mit dieser göttlichen Wahl wurde für Abram noch eine neue
Verheißung verbunden: „Ich mache deinen Samen wie Staub der
Erde, daß, wenn jemand den Staub der Erde zählen kann, auch dein
Same gezählt werden solle." Für immer sollen die durch Gottes
Wahl bestimmten Segensgebiete auch das Erbe des Samens Abrams
werden. Diesen will der Herr selbst machen wie den Staub der Erde.
So wenig dieser zu zählen ist, so zahllos sollen auch Abrams Nach=
kommen werden. In diesen Worten liegt für jeden Exegeten eine
Schwierigkeit. Er fragt sich: Handelt es sich in diesem Bild vom
Staub der Erde um eine buchstäblich „zahllose" oder „unzählbare"
Masse oder nur um eine sinnreiche Analogie? Die Weisen Israels
betonen daher weniger „die numerische Ähnlichkeit" als vielmehr
57
„die Analogie des Bildungsprozesses und der Bedeutsamkeit Israels
mit denen des irdischen Stoffes"1.
Wie oft hat die Menschheit sich wie Lot die Jordanaue mit ihren
Fruchtfeldern und Segensquellen gesichert und dem Glauben Abrams
nur die Wüste gelassen, dem Samen Abrams Rechte um Rechte
genommen, ihnen Exil um Exil geschaffen, und doch hat bisher „die
quantitative Existenz" der Söhne Israels keine Weltmacht der Ver=
gangenheit noch der Gegenwart zu bestimmen vermocht! Israel ge=
dieh je und je auch im Exil der Völkerwelt, sah sich gesegnet, wo
andere untergingen, baute Altäre und hütete Herden, wo andere im
gegenseitigen Kampf und Streit unterlagen. Wer dieses Volk in
seiner großen Vergangenheit und in seiner weit größeren Zukunft
verstehen will, der suche Abram in seinen Erlebnissen zu verstehen.
Der Schlüssel zum Verständnis Israels liegt in Abrams Berufung
und Geschichte. In Abrams Erwählung lag nicht die Berufung zu
einer Sekte, „nicht zum Erleben einer privaten Seligkeit". Der Be=
rufene sollte zum Volk werden. Durchs Volk beabsichtigte Gott zu
den Völkern zu kommen. Durch diese Verheißung soll der Grund*
charakter der Geschichte Abrams bestimmt werden. Die Kirche sieht
den Anbruch der tiefsten Erfüllung dieser Verheißung Abrams:
„Werde ein Segen!" in der Person Jesu Christi.
Als Abram dem Auftrage Gottes gemäß nun mit seinen Zelten
und Herden das Land durchzog, kam er bis zu den Hainen Mamres,
die bei Hebron waren. Hier ließ er sich aufs neue nieder und erbaute
daselbst Jahve einen neuen Altar. So macht der Glaube immer neue
Entdeckungen. Er weiht jede ihm erschlossene Segensstätte zu einem
Tempel Gottes. Des Glaubens Anbetung und Zeugnis erlöschen niait,
weil die Offenbarung niait erlischt, durch die Abrams Leben begna=
det und bestimmt wird.
1
Bekanntlich ist der Staub das Bildungsfähigste, der Grundstoff aller
irdischen Leiblichkeit und Gestaltung. Der Bildungsstoff aller Wesen setzt
sich aus dem Staube zusammen und kehrt nach der Erfüllung seiner Aufgabe
wieder zu ihm zurück. „Und in allen Umwandlungen geht kein Körnlein
von seiner Kraft und kein Körnlein von seiner Masse verloren — also auch
Abrams Samen." Nach G. Hirsch, Genesis S. 205.
58
5. Der Kampf der Weltmächte und neue
Glaubensgefahren
1. Mose 14
Nach der so weittragenden Trennung Abrams und Lots waren
zwei Seelen äußerlich zur Ruhe gekommen: Abram auf dem Boden,
den ihm die Offenbarung Gottes gezogen hatte; Lot dagegen hatte
sich in der Talebene des Jordans, wo sich das Geistesleben der Welt
auswirkte, niedergelassen. Für beide nahte aber sehr bald eine dritte
Prüfungsstunde. Lot mußte sie zum Gericht, Abram zur Dienst»
gelegenheit seiner priesterlichen Seele gereichen.
Es gibt für den Menschen keinen gewonnenen Standpunkt und
Ortsbesitz, wo sich ihm nicht die Versuchung und Prüfung in völlig
neuer Form nahen könnten. Der Versuchung blieb selbst im Para=
diese der Weg zum Herzen des Menschen offen. Hier fand sie jene
Sprache für ihr Evangelium, die dem Menschen zum Fall gereichte.
Erst da, wo die Versuchung innerlich im Licht der Offenbarung und
im Geiste des Glaubens vom Menschen überwunden wurde, hat sie
ihren heimlichen Stachel und ihre äußere Gewalt verloren. Sie ist in
ihrem Charakter immer so angelegt, daß sie den Menschen aus einem
abhängigen Verhältnis zu Gott und aus seiner übergeordneten Stel=
lung zur Welt herauszulocken sucht. Sie will ihn unabhängig vom
Licht der Offenbarung und abhängig vom Geist der Zeit machen.
Wer ihr unterliegt, dem lohnt sie mit Knechtung und Tod. Wer sie
überwindet, dem erschließen sich vermehrter Friede und neues Leben.
a) Die V ö l k e r u n t e r sich
Diese dritte Prüfung war aufs engste verbunden mit dem Kampf
der damaligen Weltmächte. Auch die Gebiete der Talebene des Jordans
wurden von ihr erfaßt. Mit seinem schlichten Bericht bietet hier der
biblische Kanon zum ersten Male einen tieferen Einblick in das
Wesen und den Charakter jener Machtentwicklung, die schon von
Lantech so begeistert besungen und von Nimrod zum herrschenden
Kultursystem erhoben worden war. Die „Völkergeschichte" ist im
Laufe der Entwicklung bereits zur „Königsgeschichte" geworden.
Schon Nimrod hatte versucht, seinem Wirken den Charakter des
59
Königtums zu geben, ohne sich den Königstitel beizulegen. Er
nannte sich zunächst nur einen „gewaltigen Helden vor dem Ange=
sichte ]ahves". Aber er war der erste, der im Gefühl seiner materiellen
und wohl auch geistigen Überlegenheit seine schwächeren Zeitgenos=
sen, „die minder Starken und Einsichtsvollen", unterjochte. Unter
dem Vorwand des allgemeinen Nationalruhms machte er sie seiner
persönlichen Eitelkeit und seiner selbstsüchtigen Eigenliebe dienstbar.
Er schuf jene durch List und Gewalt getragenen Grundlagen des
Gesellschaftslebens, die sich später zu einer rücksichtslosen Gewalt=
herrschaft verkörperten. Sie mußten die kommende Weltgeschichte
zu einer blutigen Kriegs= und Königsgeschichte werden lassen. Denn
Nimrods geistige Grundlagen für das Stammes= und Völkerleben
gingen nicht von einer freiwilligen Unterordnung von unten nach
oben aus. Sie erhoben vielmehr die Pflege von List und Gewalt zum
moralischen und zum öffentlichen Recht des städtischen und staat=
liehen Lebens. Es wurde von oben nach unten geherrscht. So wurde
die individuelle Selbstsucht der Starken zur herrschenden Ethik den
Schwachen gegenüber.
Zu welcher Blüte diese Entwicklung im Verlauf der Zeit geführt
hatte, geht hier aus dem biblischen Bericht hervor. Er zeigt, daß
allein in der jordanischen Talebene bereits fünf Stadtkönige regier^
ten. Zu Josuas Zeiten sah sich das Land bereits von einunddreißig
Königen beherrscht. Zugleich ist es ein Beweis, zu welch einer rein
quantitativen Entwicklung die große Fruchtbarkeit des Landes Ge=
legenheit bot. So erklärt es sich, daß auch in der so üppigen Talebene
des Jordans jede kleine Genossenschaft bereits ihren eigenen König
hatte, ,die zusammen eine Pentapolis, einen Fünf=Städte=Bund,
bildeten.
Der biblische Bericht teilt nun zunächst mit, in welch eine Zeit=
période der Kampf Kedor=Laomers und seiner Verbündeten mit den
Königen von Sodom und Gomorra fiel. „Es war in den Tagen Am*
raphels1, des Königs von Sinear, Arjochs, des Königs von Elassar,
1
In Amraphel sehen die meisten Forscher den bekannten König
Chammurapi von Sinear, d. h. Babylonien, zwischen Euphrat und Tigris
gelegen.
2
Nach der Überlieferung eine ansehnliche Stadt im südlichen Assyrien.
60
Kedor=Laomersl, des Königs von Elam, und Thidals2, des Königs
von Gojim." Unter diesen vier ostasiatischen Großkönigen und in
deren Abhängigkeit hatte zwölf Jahre lang der Fünf=Städte=Bund
gestanden. Im dreizehnten hatten sich aber die Könige empört, um
die lästige Tributpflicht Kedor=Laomer und den übrigen Zwingherren
gegenüber abzuschütteln. Da machte sich Kedor=Laomer mit seinen
Verbündeten im vierzehnten Jahre auf, um eine „Strafexpedition
nach dem Jordanlande" zu unternehmen. Er wählte mit seinen ver=
bündeten Heeren die große Heerstraße von Damaskus nach dem
Süden. Denn zuerst wurde die alte Stadt der Rephaiten Astheroth=
Karnajim3 geschlagen, dann die Zuziter in Harn4, drittens die Emiter5
in Schawe Kirjatajim und viertens die Choriter6 im Gebirgslande Seir
bis zur Paran=Ebene mit ihrem Terebinthenhain, die an die große
Wüste hinanreicht. Nachdem diese starken und kriegstüchtigen Völ=
kerstämme des Ostjordanlandes geschlagen waren, kehrten die ver=
bündeten Großkönige um, zogen bis En=Mischpat7, das ist Kadesch,
und schlugen das ganze Feld der Amalekiter, „diese freien Söhne
der Wüste", und die Amoriter in Hazazon=Thamar8.
1
Kedor-Laomer = „Knecht der (elamitischcn Gottheit) Lagamar"; Elam
war eine Landschaft in Susiana mit der Hauptstadt Susan am Persischen Golf und
der östliche Nachbar von Babylon, südlich von Medien und westlich von Persien.
2
Thidal = der Ruhmreiche, Glanzvolle; Gojim bedeutet einfach Völker
und benennt ein nicht näher bestimmbares Gebiet; man wählte diesen
Namen, weil die ursprüngliche Ortsbezeichnung nicht mehr lesbar war.
3
Astheroth-Karnajim war die spätere Residenz des Königs Ogs im Ost-
jordanlande. Sie hatte ihren Namen von der Mondgöttin Astharte, die im
Bilde eines gehörnten Stierkopfes verehrt wurde.
4
Der unbekannt gebliebene Ort ist nur hier genannt, lag aber jedenfalls
auch im Ostjordanlande.
5
Die Emiter, die nach ihrem Namen „als die Schreckeneinflößenden"
(nach König) gelten, erlitten ihre Niederlage in der tiefen Talsenkung
Kirjathajim = Doppelstadt, die ebenfalls zum Urgebiet Moabs gehörte und
später dem Stamme Assur zugeteilt wurde.
6
Die Choriter waren die ältesten Bewohner des Gebirges Seir östlich
von der Araba, der Pforte Arabiens, und nach Annahme einiger Forscher
„die Grundbevölkerung" Palästinas; sie waren wahrscheinlich „Höhlen-
bewohner" und wurden später von den Edomitern ausgerottet.
7
En-Mischpat = Gerichtsquelle war eine Ortschaft in der Wüste an der
Südgrenze des Hebräerlandes.
8
Hazazon-Thamar = Palmenwald wird nach 2. Chron. 20. 2 als das
Engedi am Westufer des Salzmeeres gedeutet.
61
Nachdem die vier Verbündeten auch die Amoriter, die in ihrer
unwegsamen und geschützten Felsengegend den Angriff erwarteten,
besiegt hatten, wandten sie sich ihrem eigentlichen Ziele zu, um den
abgefallenen Fünf=Städte=Bund in der Talebene des Jordans zu züch=
tigen und zu demütigen. Im Tieftale Siddim, das damals noch viele
zutage liegende Erdpech= und Asphaltgruben1 hatte, sammelten sich
die Könige von Sodom und Gomorra mit ihren Verbündeten und
traten mutig und kampfbereit den siegreichen Ostkönigen entgegen.
Der Streit nahm jedoch für die Pentapoliten einen sehr unglücklichen
Verlauf. Völlig geschlagen suchte man sich durch die Flucht in die
Schluchten des unweiten Moabitergebirges zu retten. Auf dieser
Flucht fielen viele in die Erdpech= und Asphaltgruben und kamen
darin um. Was den Städtekönigen der Talebene als Vorteil dienen
sollte, wurde ihnen und ihrem geschlagenen Heere zum Verhängnis.
Sie hatten offenbar mit Absicht dieses für jeden, der des Ortes
unkundig war, so gefährliche Kampfterrain gewählt, um hier den
starken Gegnern entgegentreten zu können. Nach der Niederlage ge=
sdhah offenbar die Flucht in solcher Überstürzung, daß auch dem
ortskundigen Heere das gewählte Terrain zum Untergang werden
mußte.
b) L o t s V e r w i c k l u n g e n
Nun wandten sich die Sieger zum Besitz der geschlagenen Städte*
könige. Sie zogen nach Sodom und Gomorra, machten eine gewaltige
Kriegsbeute, plünderten alle Speisevorräte, schleppten die Bevölke»
rung als Gefangene mit und traten alsdann die Rückkehr an. Auch
Lot als Bürger Sodoms unterlag mit seiner Familie und seiner Habe
diesem Schicksal. Seine einstige Wahl gereichte ihm in der Stunde
des Gerichts zum Fluch. Er glaubte den Segen der Welt teilen zu
sollen, um sich für immer seine Zukunft zu sichern. Die Welt zog
ihn jedoch mit in die Kämpfe und Gerichte hinein, in die sie ver=
wickelt wurde. Der Weg der freiwilligen Separation des Glaubens
war ihm zu einsam gewesen. Nun löste ihn unfreiwillig die Welt
durch Gericht von Heimat und Herden. Sie machte ihn und seine
1
Aus diesen Gruben quoll der Lehm und Schlamm aus bodenloser Tiefe
empor; die ganze Gegend war voll von solchen Gruben.
62
Familie zu einem Sklaven der Zukunft. Mag Lot auch tausendmal
beteuert haben, daß er als eigentlicher Fremdling unbeteiligt an dem
Aufstand und Abfall der Pentapoliten sei, er hatte sich auf deren
gemeinsamen Boden gestellt und mußte deren Gericht teilen. Wäh*
rend Abram in seiner Separation Zeit hatte, dem Herrn Altäre der
Anbetung zu bauen und seine Herden zu pflegen, wanderte Lot
schutzlos den schmachvollen Weg ins Exil, das ihm für die Zukunft
nur Tränenbrot und Sklavendienst zu bieten hatte.
Wie oft hat sich dasselbe Bild in weit größerem Ausmaß in der
Geschichte der Söhne Jakobs und auch der Kirche des Neuen Bundes
wiederholt! Gingen Israel und die Kirche den Weg Abrams, blieb
man in den Grenzen der göttlichen Offenbarung, verließ man nicht
die Separation des Glaubens, in die man sich durch die göttliche
Berufung gestellt wußte, dann lebte man zwar in der Welt, war
aber doch nicht von der Welt. Man erschloß sich nicht dem Geiste
des weltlichen Heldentums. Man blieb fern von den blutigen Raub=
zügen der nimmersatten Machthaber. Man teilte aber auch nicht den
Fluch und die Gerichte, in die die Welt immer wieder in ihrer Ge=
schichte verwickelt wurde. Ja, welch ein Segen, wenn die wahren
Söhne Abrams auf ihrem vielfach sehr einsamen Wege der Separa»
tion nicht überall dabeisein müssen, wo die Welt sich zankt, ihre
Laster auslebt, ihre Machtbegierde stillt und — sich ihre Gerichte
schafft!
Wie gereichte es z. B. in der späteren Geschichte des Judentums
diesem so oft zum Segen, daß es wie Abram nur als ein Fremdkörper
unter den Nationen lebte! Man denke nur an die bekannten Juden*
gassen des Mittelalters, in die sich das Volk in den Städten verbannt
sah, an die Beschränkungen im Wohnen, im Beruf, in der Beteiligung
am öffentlichen Leben, die z. B. Rußland bis in die jüngere Vergan=
genheit dem jüdischen Volk auferlegte. Wie wenige Staaten hat es
in der Geschichte gegeben, die dem jüdischen Bürger uneingeschränkt
dieselben Rechte gewährten, wie sie jeder andere Bürger genoß! Aber
diese Einschränkungen waren vielfach in der Geschichte weit mehr
für die Juden als gegen sie. Von so manchen Übeln, die z. B. im
Mittelalter die Menschen außerhalb dieser berüchtigten Judengassen
trafen, blieben diejenigen innerhalb ihrer verschont.
63
Dasselbe gilt im Lauf der christlichen Jahrhunderte von der
„Kirche der Armen". Sie schämte sich zwar nicht, die Schmach ihres
Christus zu tragen. Bei aller rechtlichen Duldung wurde sie aber stets
als ein Fremdkörper von der Welt empfunden und bewertet. Sie war
zwar pflichtgetreu ihrer irdischen Heimat gegenüber, dennoch aber
schaute sie beständig nach einer höheren Königsherrschaft aus. Das
Gebet ihres Meisters konnte von ihr nicht vergessen werden: „Dein
Reich komme, dein Wille geschehe auch auf Erden, wie er geschieht
im Himmel!" Gewiß steht diese Kirche nicht in der Chronik einer
ruhmreichen, von Schlachten und von Helden geschmückten Welt=
geschiente. Was man aber in den Tagen des allgemeinen Glanzes für
ihre Schmach ansah, gereichte ihr in den Tagen der Gerichte zum
unberechenbaren Heil und Segen. Ihr freiwilliges Entsagen wurde
zum positiven Gewinn.
Ging jedoch im Lauf der Zeitalter Israel oder die Gemeinde den
Weg Lots, suchte sie in irgendeiner Weise das vergängliche gegen*
wärtige Erbe der Welt zu teilen, um sich ihre Existenz und Zukunft
zu sichern, dann wurde auch das Exil der Welt das Exil der Kirche.
Das Gericht der Weltmächte mußte auch das Gericht derer werden,
die berufen waren, wohl in der Welt, aber nicht von der Welt zu
sein. Obgleich die Kirche Christi dies so oft in fast erschütternder
Weise erlebte, wie wenig hat aber auch sie aus der Sprache der
Vergangenheit für das Heil ihrer Zukunft gelernt! Wie Lot kehrte
auch sie nach durchlebten Gerichten wieder zurück nach Sodom.
Obgleich Lot nach seiner Rettung durch Abram Sodom fortan für
immer hätte meiden sollen, „finden wir ihn gleichwohl später bei
der letzten Katastrophe wieder — und immer noch in Sodom".
c) A b r a m s k ü h n e G l a u b e n s t a t
Für Lot lag der Segen in dem, was er besaß, für Abram in dem,
was er war. Dort handelte es sich um den äußeren Besitz, hier um
die innerliche Glaubenshaltung. Daher war auch die Lebensfüh=
rung beider so ganz verschieden voneinander. Lot sah sich mit seiner
Familie hineingezogen in den unberechenbaren Strudel des Welt=
lebens. Dagegen baute Abram Altäre und pflegte Herden. Er wan=
64
delte nicht nur mit Gott, Gott wandelte auch mit ihm. Darin bestand
das Geheimnis von Abrams Deckung und Bewahrung. Gott hob
Abrams Leben heraus aus dem Wirrwarr der Welt. Es durfte nicht
der Spielball der jeweiligen Zeitereignisse werden. In seiner Be=
rufung waren die Grundlinien für seine Lebensführung und Zukunft
festgelegt: Ich werde dich segnen, und du wirst ein Segen sein! War
es doch auffallend, daß die siegestrunkenen vier Großkönige mit
ihren Sieges= und Raubzügen in Sodom und Gomorra plötzlich halt=
machten, während ihnen ihre Kämpfe doch so unendlich viel ein=
getragen hatten. Gott wachte über den Gang der Zeitereignisse. Er
ließ es nicht zu, daß auch jene Gebiete in den Kampf hineingezogen
wurden, wo Abram als Fremdling zeltete.
Abrams Stellung als Hebräer, als „der von jenseits des Stromes
her" Kommende oder als „der jenseits Stehende", der der Welt und
ihrem Treiben gegenüberstand, war der ganzen Gegend nicht unbe=
kannt geblieben. Wußte man sich auch nicht das Geheimnis der
Stellung des „Ausländers" zu erklären, das Faktum stand vor ihren
Augen. Offenbar hatte man sich innerlich damit abgefunden. So war
es möglich, daß Abram „in den Hainen Manures, des Amoriten,
Bruders des Eschkol und des Aner" im friedlichen Nebeneinander
wohnen konnte, ja daß die Genannten sogar die Bundesherren
Abrams waren. Die Wortwurzel, die im Hebräischen das Wohnen
Lots in Sodom ausdrückt, bedeutet „ein Ruhen, das seine Unterlage
im Boden findet, bezeichnet das völlige Aufgehen in den Ort, in
dem man sich befindet". Auch von Abram heißt es, daß er in den
Hainen Mamres, des Amoriten, wohnte. Sein Wohnen, d. h. sein
ruhiges Verharren, „bezeichnet nicht das Verhältnis zum Boden, es
drückt das soziale Verhältnis zu den Anwohnenden aus, das fried=
liehe Nebeneinanderwohnen, ohne jedoch in den Nachbar aufzu=
gehen"1. Es ist dieselbe Wortwurzel, die gewöhnlich auch von der
„Gottesnähe auf Erden" gebraucht wird, die zwar stark die Gegen=
wart Gottes betont, jedoch nie Gott im Menschen aufgehen läßt.
Das ist ja auch heute noch das Unerklärliche, daß die aus Gott
Geborenen und mit Christo in das Himmlische Versetzten2 in ihrer
1
Nach Hirsch, a.a.O.S.211.
2
Kol. 1,13.
65
Gesinnung und Erwartung nicht mehr aufgehen können im Gegen=
wärtigen. So stark sie sich in ihm auch bewegen, sie bleiben Fremd=
linge trotz ihres Bürgertums, sind Pilgrime trotz ihrer Heimat,
suchen eine zukünftige Gottesstadt trotz ihrer Zelte in der Gegen=
wart. Hineingezogen durch die Berufung und Versöhnung in die
Welt Gottes, können sie auch nur in dem zu Hause sein, was Gottes
und seines Sohnes Jesu Christi ist. Sie bleiben Jenseitsstehende allem
gegenüber, das sich dem Wesen und der Gesinnung nach Gott und
seiner Offenbarung gegenüber fremd verhält.
Solange Abram Abram ist und nicht Lot, die Kirche Kirche ist
und nicht ein „Religionstempel", hören sie in einem widergött=
liehen Zeitlauf und in einer Weltordnung ohne Gott niemals auf,
„Hebräer" zu sein. Wenn Abram auch in ein Bundesverhältnis von
den Amoriten, den Eschkol und den Aner aufgenommen war, so
hatte er sich aber niemals dieses Bundesverhältnis durch Selbstent=
kleidung seines Berufs und durch Verleugnung der Separation seines
Glaubens erkauft. Abram hatte nicht sie in sein Bundesverhältnis
aufgenommen, „sondern die Aner, Eschkol und Mamre nahmen ihn
auf in den ihrigen, sie waren die Herren des Bundes, er war der
Fremde, sie die Einheimischen".
Die Geschlagenen waren ins Gebirge geflohen. Von diesen „Ent=
ronnenen" erhielt nun Abram plötzlich die Kunde, „daß sein Ver=
wandter gefangen fortgeführt worden war; da führte er alle, die
von ihm erzogen und in seinem Hause geboren waren, dreihundert=
undachtzehn, hinaus und verfolgte (die siegreichen Heere der Ost=
könige) bis D a n 1 . . . schlug sie, und verfolgte sie bis Choba2, welches
links (nördlich) von Damaskus liegt"".
Diese kühne Tat Abrams floß nicht aus einer inneren Sehnsucht
nach Heldentum. In ihr lag auch keine innere Verwandtschaft mit
dem Machthunger der herrschenden Weltmächte. Sie hatte dem
inneren Geiste nach nichts zu tun mit den blutigen Raubzügen, die
die Starken in den Gebieten der Schwachen unternahmen. Abrams
Seele litt unter dem Schicksal Lots. Seine Tat war Frucht seiner
priesterlichen Gesinnung. Daher handelte sein Glaube im Vertrauen
1
Nach Josephus (Ant. I 10, 1) das Dan an den Jordanquellen.
2
Choba lag 20 Stunden nördlich von Damaskus.
66
auf die Hilfe Gottes. Selbst vom heroischen Standpunkt aus war es
Wahnsinn, daß Abram diese Tat wagte. Was bedeuteten seine drei=
hundertachtzehn Knechte und die Verbündeten Aner, Eschkol und
Männer von Mamre gegenüber den schlachtgeübten und siegestnuv»
kenen Heeren Kedor=Laomers!
Das aber ist mit das Geheimnisvolle und Unberechenbare des
Glaubens, daß er gelegentlich Entschlüsse fassen, Schritte tun und
Handlungen zu vollziehen vermag, über die er sich selbst kaum
Rechenschaft geben kann. Sie gehen weit über das erforderliche Maß
seiner Kraft hinaus. Er sieht sich erfaßt von einer inneren Nötigung,
stark gemacht durch Kräfte, die ihn die Welt überwinden lassen.
Wenn der Hebräerbrief in seinem Hohenlied des Glaubens im elften
Kapitel daran erinnert, „daß Männer in der Kraft des Glaubens
Königreiche bezwungen, gerechtes Gericht geübt, die Erfüllung gött°
licher Verheißung erfahren, Löwen den Rachen zugehalten und
Feuersglut ausgelöscht haben", so liegt das auf derselben Linie des
hier Berichteten. Der Glaube war stets eine im Menschen Fleisch
gewordene Gotteskraft, durch die je und je menschliche Unmöglich«
keiten zum Heil der Zeit durchbrochen und überwunden wurden.
d) Die B e g e g n u n g m i t M e l c h i s e d e k
In diesem Geiste des Glaubens hatte Abram gehandelt. Er hatte
durch seine kühne Tat alle Weggeführten, „auch Lot und dessen
Habe, sowie auch die Frauen und das Volk zurückgebracht". „Da
ging der König von Sodom ihm, nachdem er von dem Siege über
Kedor*Laomer und die Könige, die mit ihm waren, zurückgekehrt
war, in das Tal Schawe, das ist das Königstal, entgegen." Als der
König von Sodom von dem Ausgang der Handlung Abrams hörte,
erfaßte er gleich, welch ein Segen darin für ihn und auch für sein
Volk lag. Daher ging er Abram entgegen und begrüßte ihn als Sieger
und Retter im Königstal1. Er hatte zwar nichts zu bringen, aber er
kam, um von Abram etwas zu erbitten. Aber bevor er sein Begehren
1
Das Königstal oder „der" Königsgrund lag nach 2. Sam. 18, 18 ganz in
der Nähe von Jerusalem, nach Josephus etwa zwei Stadien = 6 Minuten
davon; in ihm errichtete sich später Absalom ein Denkmal.
67
äußern konnte, erfolgte zunächst die Begrüßung Abrams durch
Melchisedek, den Priesterkönig von Salem1.
Malki=Zedek2 hingegen, König von Salem, hatte Brot und Wein
hinausgebracht; er war zugleich auch Priester El Eljons ( = höchster
Gott3). Er segnete ihn und sprach: „Gesegnet sei Abram dem
El Eljon, dem Eigner von Himmel und Erde, und gesegnet sei
El Eljon, der deine Feinde in deine Hand gegeben!" Wie wesensver=
schieden war in ihrem ganzen Verlauf doch diese Begrüßung von der
des Königs von Sodom! So wenig wir auch nach dem Hebräerbrief
das ganze Geheimnis dieser für jene Zeit so seltsamen Persönlichkeit
werden lösen können, so traten in ihr doch Charakterzüge hervor,
die sie einzigartig abhoben von allen anderen Herrscherpersönlidv*
keiten, die in jener Zeit die Völker zu beglücken und zu beherrschen
suchten. Daher galt sie auch den späteren Gläubigen in ihrer Sehn=
sucht als das Ideal des erwarteten Messiaskönigs4. Der Hebräerbrief
vergleicht das Priestertum Jesu Christi mit dem des Priesterkönigs
Melchisedek5.
Was Melchisedek so wesentlich von allen anderen Königen ab=
hob, waren drei Charakterzüge seines Wesens und seiner Herrschaft.
Er diente erstens dem Allerhöchsten durch Gerechtigkeit, zweitens
segnete er als Priester seine Zeitgenossen, und drittens schuf seine
Herrschaft einen Friedensstaat. Das war nicht selbstverständlich im
Zeitalter Nimrods und dessen Geisteserben. Es war auch nicht das
1
Die Forschung schwankt, ob Salem für Jerusalem gehalten werden soll,
oder ob man in der Königsstadt das Salem der Jordanaue (Joh. 3, 23;
Judith 4, 4) sehen soll, das acht römische Meilen südlich von Scythopolis
gelegene Salumias, wo man zu Hieronymus' Zeit Ruinen des angeblichen
Palastes Melchisedeks zeigte. Nach König ist Salem mit Jerusalem identisch.
2
Malki-Zedek = mein König (d. h. Gott) ist Gerechtigkeit.
3
Gott wird hier nicht als der einzige, sondern nur als der „höchste"
Gott innerhalb der anderen Gottheiten bezeichnet. In der damals herrschen-
den Weltanschauung gab es einen Gott der Wollust, dem man durch Wollust,
einen Gott der Schlachten, dem man durch Kriege, einen Gott der Rache,
dem man durch Rache usw. dienen mußte. Der Allerhöchste in diesem Götter-
staate und der Monarch unter den Fürsten war jedoch der Gott der
Gerechtigkeit, dem nur durch Gerechtigkeit, d. h. durch ein gerechtes Leben
zu dienen möglich sei, und dessen Herrschaftsgebiet voller Friede war.
4
Ps. 110,4.
»Hebr.7,17.
68
Königsideal der Gewaltmenschen und ihrer Helden. Diese erhoben
später das Raubtier zum Symbol ihrer Macht. Sie gaben ihrer Schande
den Charakter eines Gottesdienstes. Sie schufen aus ihrer Herrsch»
sucht die Gesetze des öffentlichen Lebens und bezeichneten gemeinste
Verbrechen als moralisches Recht zum Wohle ihrer Zeit. So segneten
sie ihre Zeitgenossen durch Knechtung, machten die Städte zu Festun=
gen und tränkten deren Boden mit Blut und Tränen. Sie verhießen
den Frieden und brachten das Schwert. Sie raubten die Freiheit und
nannten es Herrschaft. Sie schwelgten in ihrer Wollust, aber auf
Kosten des Nächsten.
Niemals ist das Wesen dieser Machthaber und ihrer Weltreiche
wohl richtiger bezeichnet worden als in dem Monarchienbilde eines
Nebukadnezar. In ihm gab Gott nicht nur eine Geschichtsprophetie,
weit mehr noch eine Wesensprophetie. Alle Weltmacht beginnt nach
diesem göttlichen Urteil mit einem goldenen Haupt, steht auf töner*
nen Füßen und endet eines Tages mit einer Schlußkatastrophe. Diese
tritt ein, sobald das Göttliche in der Geschichte in Sicht tritt. Zwar
trägt sie äußerlich das Bild des Menschen, birgt aber in sich eine
tierische Seele1. Alle Weltmacht stieg je und je aus den Untiefen des
Meeres der Leidenschaften empor. Sie war entsprechend ungestüm
in ihrem Charakter, nicht selten widergöttlich in ihrer Gesinnung.
Nicht nur waren Macht und Leidenschaft die höchsten Attribute ihrer
Gottheit, sie mußten auch die Grundlagen der eigenen Herrschaft,
die Kräfte im Aufbau ihrer Völker und die Garantien für ihre Zu*
kunft werden.
Diese Züge sucht man jedoch vergeblich in dem Priesterkönig
Melchisedek. Seine Herrschaft war Gerechtigkeit, seine MachtentfaU
tung priesterliches Segnen, sein Staat ein Hort des Friedens. Daher
war seine ganze Erscheinung auch je und je ein Prototyp von dem,
den der Prophet Jesaja mit den Worten beschreibt: „Ein Kind ist uns
geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf dessen Schulter die Herr'
schaft ruht; sein Name lautet Wunderrat, Gottheld, Ewigvater,
Friedefürst. Seine Herrschaft wird weit reichen, und des Friedens
wird kein Ende sein auf dem Thron Davids und für sein Königreich,
1
Vgl. Dan. 2,31 ff.; 7, 1.
69
indem er es festigt und stützt durât Redit und Gerechtigkeit von
nun an bis in Ewigkeit1."
Es ist ungemein bezeichnend, daß im Bilde Melchisedeks bereits
die drei großen Wesenszüge in Sicht treten, die tatsächlich den
Charakter des ersehnten Messiaskönigs und Völkerheilands aus=
machen werden. Dies Bild hat in der Person Jesu Christi seinen voll=
endeten Ausdruck gefunden. Jesus lebte vor Gott ein Leben der
Gerechtigkeit, er wandelte unter seinen Brüdern als segnender Prie=
ster, er schuf ein Reich, dessen Grundcharakter Friede ist. Und er
zieht alle, die sich durch seinen Geist begnadigen lassen, in die=
selben Wesenszüge hinein. Aus Jüngern der Gerechtigkeit werden
segnende Priester, aus mitleidenden Priestern Stifter des Friedens.
Ob die Sehnsucht der Alten durch die Propheten sprach, ob das Zeug=
nis der Jesusjünger redete, oder ob die wartende Christusgemeinde
betete: in allem verkörperte sich bisher das Warten auf das Kommen
des Priesterkönigs nach der Ordnung Melchisedeks.
e) „Auch n i c h t e i n e n S c h u h r i e m e n ! "
Nachdem sich Abram von Melchisedek gesegnet sah, gab er ihm
den Zehnten von aller Beute. Mit dieser Opfergabe an Melchisedek
bezeugte er, daß Gott es gewesen, der ihm den Sieg über die ver*
bündeten Ostkönige gegeben hatte. Anschließend sprach der König
von Sodom zu Abram: „Gib mir die Seelen, die Habe nimm dir!"
Nach der damaligen Sitte war es selbstverständlich, daß Volk und
Siegesbeute dem Sieger als Eigentum gehörten. Dieser konnte hinfort
über sie verfügen. Der König von Sodom war nun zu dem Opfer
bereit, die ganze Siegesbeute Abram zu überlassen. Nur das aus der
Gefangenschaft erlöste Volk erbat er für sich zurück, gehörte es doch
zum wesentlichen Bestandteil seiner Herrschaft.
Das gab Abram Gelegenheit, in seiner ganzen inneren Geistes*
große hervorzutreten. Er sprach zum König von Sodom: „Ich habe
meine Hand aufgehoben zu Jahve, dem höchsten Gott (EUEljon),
dem Eigner des Himmels und der Erde, nicht von Faden bis Schuh"
riemen, nicht von allem Deinigen werde ich etwas nehmen, du sollst
nicht sagen: Ich habe den Abram reich gemacht." In diesem Bekennt=
1
Jes.9,5ff.
70
nis drückte sich die ganze Glaubensgröße aus, die Abram in seinem
bisherigen Umgang mit Gott gewonnen hatte. Seine entschlossene
Glaubenstat war nicht durch die Aussicht auf eine Siegesbeute be=
stimmt worden. Er war ausgezogen, um zu dienen; er hatte sein
Leben geopfert, um zu erlösen. Aus seiner bisherigen Lebensführung
und dem Gesamtgeschehen der letzten Tage hatte er eins erkannt:
daß die Garantien seines Segens und seines Besitzes nicht in einem
gelegentlichen Gewinn, sondern in Gott, dem Allerhöchsten, liegen.
Nicht einem weltlichen Könige, Gott allein sollte für ewige Zeiten
der alleinige Ruhm bleiben, daß Abram in der Welt ein Gesegneter
geworden sei.
Solch ein Zurücktreten von einer gewinnbringenden Gelegenheit,
solch ein Sich=abhängig=Wissen allein von Gott und solch eine Zu=
rückweisung jeglichen Segens vermag nur ein Glaube zu bekunden,
der nicht nur im Blick auf das innerliche Heil, sondern auch im Blick
auf die äußere Lebensführung in Gott selbst zur Ruhe gekommen
ist. Offenbar hatte Abram tiefer als je zuvor erfaßt, daß der Aller=
höchste nicht nur ein Gott der Natur, sondern vor allen Dingen ein
Gott der Geschichte sei. Nachdem er die Schöpfung der Natur voll=
endete, begann die Schöpfung des Glaubens in der Geschichte. Gottes
größtes Werk liegt in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Er
lenkt das allgemeine Weltgeschehen und schützt und leitet das Leben
seiner Berufenen.
Aber so völlig Abram im Blick auf sich selbst auch von dem
Angebot zurücktrat, das der König von Sodom ihm machte, so hatte
er dennoch Verständnis für die innere Stellung seiner Kampfgenos=
sen. Er sprach daher zu dem König von Sodom: „Nur was die Leute
gegessen haben und den Anteil der Männer, die mit mir gezogen
sind, Aner, Eschkol und Mamre, die mögen ihren Anteil bekommen."
Abram lag es fern, seine gewonnene Glaubensstellung zum Gesetz
für andere zu erheben. Er erwartete von Aner, Eschkol und Mamre
nicht dasselbe, wozu er selbst erst auf Grund von Berufung und
innerer Glaubenserfahrung gelangt war. Er konnte im Blick auf
seinen Gott zum König von Sodom sprechen: „Auch nicht einen
Sdiuhriemenl" Er erwartete diese Glaubenssprache aber nicht von
jenen Männern, die ohne Glauben lebten. Er wußte, daß sie es ganz
71
unverständlich finden würden, wenn sie nicht ihren berechtigten
Anteil an der Siegesbeute haben sollten. Daher sprach er: „Sie mögen
ihren Anteil bekommen."
Wie findet sich dieser wundervolle Charakterzug des Glaubens
doch auch in dem Dienst und im Leben des Apostels Paulus! Er
konnte an die Gemeinde in Philippi den so bezeichnenden Satz
schreiben: „Wenn ihr über irgend etwas anderer Meinung seid, so
wird Gott euch darüber Klarheit geben. Nur laßt uns nach derselben
Überzeugung, zu der wir gelangt sind, unbeirrt weiterwandern1!"
Paulus hatte im Vorangehenden den vollen Umfang seiner Sehnsucht
umschrieben. Er hatte gezeigt, was er alles für Schaden erachte gegen=
über der unendlich wertvolleren Erkenntnis Jesu Christi, und wie es
seine Sehnsucht war, nur Christus zu gewinnen und in der Zuge=
hörigkeit zu ihm als einer erfunden zu werden, der nicht seine eigene
Gerechtigkeit habe, die sich auf Gesetzes werke gründet, sondern die
Gerechtigkeit, die durch den Glauben an Christus kommt, die Ge*
rechtigkeit, die Gott auf Grund des Glaubens schenkt. Und doch
nimmt er diese Rücksicht auf die einzelnen Glieder der Gemeinde
in Philippi und spricht: „Wenn ihr über irgend etwas anderer
Meinung seid, so wird Gott euch auch darüber Klarheit geben."
Das ist jener Glaube, der durch die eigene Überzeugung nicht andere
knechten will. Er kann warten, bis Gott auch andere zu derselben
Erkenntnis geführt hat, die sich ihm im Umgang mit Gott erschließen
konnte.
72
Gott selbst alleinige Kraft und Quelle seines Vertrauens werde.
Damit solch ein Vertrauen in Abram geweckt würde, bedurfte er
einer neuen Gottesschau. Diese wurde ihm wiederum durch Offen»
barung.
Die göttliche Offenbarung erschöpft sich nicht. Sie gibt sich in
ihrem Reden und in ihrem Licht zur Erleuchtung und zum Heil des
Menschen nicht aus. Ihre Quelle ist unerschöpflich wie Gott selbst.
Daher ist auch ihr Reden unendlich für jedes Ohr, das ihre Sprache
zu vernehmen vermag. Sie will durch ihr Licht dem Menschen die
unendliche Heilsfülle Gottes enthüllen, damit der Glaube aus ihr zu
jeder Zeit nehme Gnade um Gnade. Jeder innere Fortschritt eines
begonnenen Glaubenslebens ist aufs engste gebunden an eine ver=
mehrte Gottesoffenbarung. Er sieht sich geweckt und bestimmt durch
das Licht derselben. Wächst er darüber hinaus, so wird er zu einer
jener Illusionen, die noch immer mit einer Enttäuschung enden
mußten.
a) Die n e u e G o t t e s v e r h e i ß u n g
Auch einem Abram hatte die Offenbarung bereits manches ent=
hüllen können, was ihn zu entscheidungsvollen Glaubensschritten
geführt hatte. Alles aber war erst der Anfang; das weit Größere
und Reichere stand noch vor ihm. Der Bericht leitet daher das neue
Gotterleben Abrams mit den Worten ein: „Nach dem bisher Erzähl*
ten ward das Wort Jahves dem Abram in der Fernschau: Fürchte
dich nicht, Abram, ich bleibe dir Schild, dein Lohn ist ungemessen!"
Diese neue Gottesoffenbarung steht uns in einem ganz verständ=
liehen Zusammenhang mit den vorangegangenen Erfahrungen und
Erlebnissen Abrams. Gott spricht im Leben eines Menschen immer
zu dessen augenblicklicher Lage. Er setzt mit seiner Offenbarung stets
bei dem Punkte ein, wo der Mensch innerlich steht, oder bei den
Verhältnissen, in die er sich gestellt sieht. Abrams Glaube in seinem
Zagen nach dem gewonnenen Sieg über Kedor=Laomer erheischte
einen neuen Zuspruch Gottes, eine tiefere Gotteserkenntnis, die ihm
nur durch eine neue Selbstmitteilung Gottes werden konnte.
Es war verständlich, daß Abram nach dem Sieg über Kedor=
Laomer und dessen Verbündete in eine innere Stimmung verfiel, die
73
ihn niederdrückte. Offenbar sagte er sich, daß die überraschten und
geschlagenen Ostkönige sich nicht mit der erlittenen Niederlage zu=
friedengeben würden. Sie würden versuchen, durch eine neue Samm=
lung ihrer Kräfte ihre Ehre und ihre Beute zu retten. Wie oft wagte
der Glaube im entscheidenden Augenblick, Schritte zu tun, die ihn
später angesichts der Ergebnisse erschütterten; denn er konnte nicht
ahnen, wozu diese noch führen könnten. Aber wo der lebendige
Glaube zagte, da griff Gott ein. Wo er stehenblieb bei der Macht
und Größe der Menschen und der Verhältnisse, da lenkte Gott ihn
auf sich selbst und sein göttliches Können. „Ich bin dir Schild" —
mit diesen Worten brachte die göttliche Offenbarung den zagenden
Glauben Abrams wieder in Gott selbst zur Ruhe. Sie gab seiner
zitternden Seele das innere Gleichgewicht wieder, das sie angesichts
der bestehenden Situation verloren hatte.
Abrams Glaubensschritt mit der folgenschweren Glaubenstat zur
Rettung Lots und der Könige von Sodom und Gomorra war aus
reinem Herzen geflossen. Nicht Heldenmut, nicht Machthunger, nicht
Siegesbeute hatten seinen Entschluß und sein Handeln bestimmt.
Er hatte sich daher sein tapferes Eingreifen in die Not der Könige
Sodoms und Gomorras auch nicht lohnen lassen. Mit den Worten
„Audi nidit einen Sdiuhriemen!" hatte er alles zurückgewiesen. Nun
erschloß der Herr ihm seinen Lohn. Er sprach zu ihm: „Dein Lohn
ist ungemessen." Mithin sollte Abram seine Garantien für alle Zu=
kunft nicht in günstigen Situationen, auch nicht im Wohlwollen
seiner Umwelt sehen, sondern allein in dem, der ihn zur Gemein=
schaft mit sich selbst berufen hatte. Nidit der Mensdi in seinem
jeweiligen Verhalten, allein Gott in seiner fortsdireitenden Offen*
barung soll der Quell sein, aus dem Abram Deckung und Segen
für alle Zukunft werden sollen. Gegen den Herrn als Schild wird
auch Kedor=Laomer vergeblich anrennen, falls er es wagen sollte,
seine Heeresmacht neu zu sammeln, um die Zelte Abrams anzu=
greifen.
„Da sprach Abram: Adona) ]ahve, was könntest du mir geben,
da ich doch als ein Kinderloser dahingehe, und der Erbe meines
Hauses wird Elieser von Damaskus sein." Die dem Abram soeben
gewordene Gottesoffenbarung: „Ich bin dir Schild, dein Lohn ist
74
ungemessen" stand für ihn im Widerspruch zu einer ganz bestimm"
ten Führung in seinem Leben. Er war kinderlos. Knechte und Mägde,
Esel und Kamele, Zelte und Herden besaß er genug. Erbe der emp=
fangenen Segnungen könne aber nur sein ältester Knecht, Elieser
von Damaskus, sein. Was könnte Gott ihm darüber hinaus noch
geben?
Gott selbst weckt durch seine Offenbarung im Menschen jene
Freimütigkeit des Glaubens, in der er eines Tages ihm auch das
offen zu sagen wagt, was er bisher wie eine Last und Sehnsucht, ja
als eine für ihn völlig unlösbare Frage auf seiner Seele trug. Es ist,
als ob Gott nur auf diesen Moment warte, wo der Mensch mit seiner
ganzen inneren Not bewußt vor ihn zu treten wagt, um ihm alsdann
mit seinem göttlichen Licht antworten zu können. Und je offener
und bestimmter der Mensch seine Fragen und Sorgen Gott nannte,
desto bestimmter und unzweideutiger war meistens auch Gottes
Antwort. „Siehe, da ward das Wort Jahves an ihn: Der wird didi
nicht beerben, sondern der aus deinen Eingeweiden stammen wird,
der wird dich beerben. Er führte ihn hinaus und sprach: Schaue doch
gen Himmel und zahle die Sterne, falls du sie zählen kannst1. Und
er sprach weiter zu ihm: So wird dein Same."
Solch eine Lösung der Frage nach einem Erben und nach einem
Träger seiner Segnungen für die Zukunft hatte Abram nicht erwar=
tet. Gottes Offenbarung eröffnete ihm Möglichkeiten, mit denen er
nie gerechnet hatte. Da sein Weib unfruchtbar war, so schien ihm
die Möglichkeit für immer genommen zu sein, durch sie und vom
eigenen Samen einen Erben zu empfangen. Gibt es doch auf dem
Boden des organischen Lebens nur das Gesetz der Mittelbarkeit, um
neues Leben verwandter Art zu erzeugen. Diesen Weg der Mittel=
barkeit, durch Zeugung und Empfängnis ein ihm seelen= und geistes*
verwandtes Leben hervorzubringen, war ihm aber durch Sarais
Unfruchtbarkeit genommen.
Da kommt die Offenbarung Abram zu Hilfe. Sie will ihm zeigen,
daß es für Gott auch noch andere Gesetze des Entstehens und des
Werdens gibt. Ist hier auf Erden alles organische Leben in seinem
Werden gebunden an das ewige Gesetz der Mittelbarkeit, so herrscht
droben in den Himmeln das Gesetz der Unmittelbarkeit. Daher heißt
75
der Herr Abram hinausgehen und seinen Blick von der Erde auf die
Sterne am Himmel richten. „Zähle die Sterne, falls du sie zählen
kannst!" Gott mußte dem Abram zuvor eine ganz neue Schau von
seinem schöpferischen Wirken geben, bevor er erwarten konnte, daß
Abram die ihm gewordene Verheißung zum Inhalt seiner Erwartun*
gen machen werde. Abram mußte zuvor erkennen, daß Gott nicht
nur einst der Schöpfer Himmels und der Erde war, sondern daß er
als der Allmächtige der Schöpfer schlechthin ist und mithin das
unfruchtbare Leben Sarais fruchtbar zu machen vermag. Der Weg
zu dieser Erkenntnis soll ihm durch das Zeugnis der Sterne werden.
Stern ist nicht aus Stern geboren, jeder einzelne ist vielmehr eine
originelle, unmittelbare Gottesschöpfung, ein Madit= und Wunder=
werk des Allmächtigen. „So" soll dein Same werden. Die kleine
Partikel „so", die den Satz „So wird dein Same" einleitet, ist nicht
so sehr eine numerische Partikel zur Bezeichnung der quantitativen
Größe als vielmehr eine Partikel der Art und Weise. Die Verheißung,
daß auch der Umfang des Samens Abrams ein unberechenbarer, zahl=
reicher sein werde, erfolgte erst später. Hier sollte Abram aber durch
den Anblick der himmlischen Welten — diese unmittelbaren Existen=
zen, die als Himmel das Werk seiner Hände rühmen — veranlaßt
werden, in seinen Erwartungen auf einen Erben alle „natürlichen
und menschlichen Berechnungen" aufzugeben. Sein Blick sollte auf
den gelenkt werden, der auch über die Gesetze der Unmittelbarkeit
herrscht und sie in den Dienst seiner Liebe und Verheißung zu stellen
vermag. Auch der Same nach der Verheißung wird nicht einfach das
natürliche Ergebnis der Empfängnis Sarais sein: er wird aber das
unmittelbare Wunder der schöpferischen Kraft Gottes sein: Leben
aus den Toten!
Das war je und je Gottes Art. Er hob den Glauben heraus aus
jenem Kreis, wo alles individuelle und geschichtliche Werden und
Wachsen allein durch „die kausalen Gesetze" der physischen und
geistigen Welt bestimmt wird. Er versetzt ihn in jene Welt Gottes,
wo allen natürlichen Voraussetzungen zum Trotz und allen erfah«
rungsmäßigen Berechnungen zum Wunder ein Neues unmittelbar
aus Gottes Willen geschieht. Ist denn nicht letzthin die ganze Ge=
sdüchte des israelitisch=jüdischen Volkes bis in die jüngste Zeit hin*
76
ein inmitten der Völkerwelt solch ein Wunder der Geschichte ge-
blieben? Welcher Historiker, welcher Staatsmann, welcher Forscher,
welcher Exeget hat dieses Volk verstanden in seiner ewigen Existenz,
wo doch andere Völker in ihren Katastrophen zugrunde gingen; in
seinem unerklärlichen Segen, wo andere doch unter denselben Ver=
hältnissen zu Sklaven und Bettlern wurden; in seinen völkischen
und seelischen Leiden, wo andere dodi unter denselben Leiden für
immer zusammenbrachen; in seiner stets sich wiederholenden Auf=
erstehung, wo andere doch endgültig durch die weltgeschichtlichen
Ereignisse begraben wurden? Ja, gleich dem ersten Samen Abrams
ist dieses Volk in seiner einzigartigen Geschichte im Verlauf der
Jahrtausende ein Wunder Gottes geblieben. Sprach auch die ganze
Welt nein, Gott sprach ja im Blick auf dieses Volk. Er machte ge=
legentlich selbst dessen tiefste Drangsalszeiten zu einem Feuerofen
Nebukadnezars, der Daniels Freunde zwar gebunden aufnahm,
unversehrt und ungebunden aber herausgeben mußte.
b) A b r a m s G l a u b e n s g e r e c h t i g k e i t
Diese Offenbarung schuf in der Seele Abrams ein Vertrauen zu
Gott, wie er es bisher nicht besaß. Nicht als ob Abram bis dahin
dem Herrn nicht vertraut hätte. Aber in der Erwartung eines Erben
wäre er nie darauf gekommen, ihn als ein unmittelbares Wunder
Gottes zu erwarten. Er hatte da auf die physischen Kräfte und natür=
liehen Anlagen seines Lebens und des Lebens seiner Sarai gehofft.
Da die versagten, gab es für ihn auf diesem Gebiet kein Hoffen
mehr. Nun eröffnete Gott aber durch seine Offenbarung dem Abram
für das Werden eines Erben ganz neue Möglichkeiten. Gott kann
durch sein schöpferisches Eingreifen in das Leben Sarais eine Sehn=
sucht Abrams verwirklichen, die bisher unerfüllt geblieben war.
Da glaubte Abram der ihm gegebenen Gottesverheißung. Es heißt
nämlich von ihm: „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er
ihm als Gerechtigkeit an." Hier macht die Bibel uns mit einem Be=
griff vertraut, der in der späteren Heilsgeschichte von grundlegender
Bedeutung geworden ist. Es ist der Begriff „Glaube". Abram glaubte
Gott. In der hebräischen Wurzel „glauben" liegt eigentlich viel Tie=
feres, als durch den alltäglichen Sprachgebrauch ausgedrückt wird.
77
Es ist weniger der Ausdruck für ein Fürwahrhalten, auch nicht die
Bezeichnung der Richtung, die der Glaube nimmt. Wir glauben z. B.
an Cäsar oder an Napoleon. Wir wissen, daß sie geschichtliche Per=
sönlichkeiten waren, die ihrer Zeit ein bestimmtes Gepräge gaben.
Damit sagen wir jedoch nicht, daß wir irgend etwas mit dem Geist
oder der Weltanschauung eines Napoleon oder eines Cäsar zu tun
hätten. Glauben im Sprachgebrauch der Schrift bezeichnet die Quelle,
aus der er fließt, die Person, die durch ihr Wort ihm den Inhalt
gegeben hat. Im Hebräischen hat „glauben" dieselbe Wurzel wie
unser deutsches Wort „Amen", mit dem wir ausdrücken: „Es ist
gewiß", „Es steht fest". Wir haben einen „Halt" gewonnen, eine
„Gewißheit" gefunden. „Und zugleich meint dies Wort etwas ganz
Persönliches, so wie unser , vertrauen'. Das ist nicht ein unperson*
liches Fürwahrhalten, nicht ein neben einer Person Stehendes, von
außen an sie Geknüpftes, aus Zuschauerhaltung Kommendes, auf
irgendeine Sache Gerichtetes, wie unser ,Ich glaube jemandem',
sondern es bedeutet: ,in der Person, der man traut, Anker werfen',
,in sie seine Gewißheit setzen', ,gewiß werden in Gott', ,in ihm
wurzeln' " (Frey). Im Munde Abrams hatte es hier die Bedeutung,
daß er sich in seinem Vertrauen voll und ganz darauf einstellte, daß
ihm sein Same unmittelbar von Gott und allein durch Gott werden
solle, wenn auch die natürlichen Voraussetzungen in Sarai nicht ge=
geben waren.
Diese Glaubensstellung rechnete der Herr ihm zur „Gerechtig=
keit". Durch Gottes Verheißung und Abrams Glaubensantwort war
etwas Entscheidendes herbeigeführt worden. Es sollte die Grund=
haltung in Abrams zukünftigem Leben und Handeln werden. Er
vertraute, wo nach der Beschaffenheit der Natur Sarais nichts mehr
zu hoffen war. Er tat es nicht etwa in einem Überschwang religiöser
Begeisterung, auch nicht auf Grund mystischer Versenkung in eine
gewonnene Idee. Er vertraute, weil Gott selbst ihm den Samen ver=
heißen hatte. Er hatte mithin den Anker seines Glaubens in Gott
selbst geworfen. Solch ein unbedingtes Vertrauen, solch ein Ver=
halten dem göttlichen Ich und dessen Verheißungswort gegenüber
will Gott rechtfertigen. Denn unmöglich kann Gott die Lebenshaltung
eines Menschen als Gerechtigkeit erklären, die gegen ihn gerichtet
78
ist. Nie kann er eine Erwartung rechtfertigen, die nicht ihn und sein
Handeln zum Quell und zu seinem Inhalt hat. Eine Glaubensgerech*
tigkeit konnte Gott weder einem Tharah in Haran noch einem Lot
in Sodom, sondern allein einem Abram zusprechen, der sich bewußt
und vertrauensvoll auf ihn und sein Wort einstellte.
Der Inhalt des obigen Verses hat später dem Apostel Paulus als
Beleg der alttestamentlichen Heilsgeschichte für jenes Rechtferti=
gungsevangelium gedient, daß nämlich die Gottesgerechtigkeit dem
Menschen nicht auf Grund seiner gesetzlichen Werke zugesprochen
wird, sondern allein auf Grund des Glaubens. Alle Gesetzeswerke
fließen aus dem Vermögen der menschlichen Kraft und aus dem
Geist einer gesetzlichen Frömmigkeit. Vor Gott ist aber jeder Mensch
infolge des Falles tot in Sünden und Übertretungen. Was daher von
dem Menschen kommt, auch die höchste moralische Leistung, bleibt
dem Geist und dem Wesen Gottes fremd, weil es aus dem Geist und
dem Wesen des von Gott gelösten Menschen floß. Daher gibt es
für Paulus keine Rechtfertigung auf Grund menschlicher Werkgerech=
tigkeit. Der Weg zur Gottesgerechtigkeit führt allein durch Erlösung,
d. h. durch den Glauben an Christus Jesus, der von Gott „um unseres
Falles willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen
auferweckt worden ist"1.
Als Menschen, die verzweifelt sind an aller naturhaften Fröm=
migkeit und aller rein menschlichen Religion, verstehen wir den
Apostel der Neuschöpfung in seinem Evangelium von der Recht=
fertigung durch den Glauben. Gott kann niemals rechtfertigen, was
dem innersten Wesen und der tiefsten Geistesrichtung nach wider
Gott ist. Auch in Abram erklärte Gott nicht etwas für Gerechtigkeit,
was er in Abram vorfand, sondern allein jenes Vertrauen, das er
durch seine Offenbarung in ihm wecken konnte. Es war nicht ein
Glaube, wie er jedem natürlichen Menschen innewohnt, den Gott
als Gerechtigkeit erklärte, sondern allein der von seiner Offenbarung
geschaffene. Nur dieser ist von der Art, daß er sich solidarisch mit
dem Wort der Verheißung erklärt, sich eins machen läßt mit der
Offenbarung und daher Gott zur Basis seines weiteren Wirkens
dienen kann.
1
Rom. 9,25.
79
Wir sind daher der Überzeugung, daß es seit dem Fall niemals
mehr einen Weg vom Menschen zu Gott gegeben hat. Nachdem der
Mensch sich durch die Inspiration der Schlange in den Ursprung und
in das Wesen dieser Tierbotschaft hinabziehen ließ, ging ihm jede
göttliche Kraft für Göttliches verloren. Sein Suchen und Schaffen
blieb rein menschlich, rein völkisch und zeitlich orientiert. Es brachte
ihm trotz aller Sehnsucht nicht das Verlorene zurück, erlöste ihn
nicht für ein Göttlich=Neues.
Zwar schuf sich der Mensch je und je eine Religion, die zwischen
Gott und Mensch vermitteln, über die unüberbrückbare Kluft hin=
überleiten sollte, die beide voneinander trennt. Jede Religion erwies
sich aber nur als der große Versuch, dem Menschen das zu geben,
was aHein Gott gehört, den Menschen auch in seiner Erlösung zum
Subjekt zu machen und Gott nur Objekt werden zu lassen. Daher
konnte nie eine Religion über eine Selbstgerechtigkeit und letzthin
Selbsterlösung hinausführen. Bei jeder Selbsterlösung bleibt aber
alles, „wenn auch nicht, wie es war, so doch dasselbe, was es war"
(Gogarten).
Vermitteln zwischen Gott und Mensch kann nur die Offenbarung.
Gott muß in seinem Wort Fleisch werden, um durch die schöpfe»
rischen Kräfte seines Geistes im Menschen ein Neues scharfen, Leben
aus den Toten rufen zu können. Das hat Gott je und je im Verlauf
der ganzen Heilsgeschichte getan. Was daher in der Menschheit als
Wahrheit, als Gemeinschaft mit Gott, als Dienst im Reiche Gottes
oder an ewigem Leben sichtbar wurde, war mithin niemals des
Menschen Weg zu Gott, es war immer Gottes Weg zum Menschen.
Der gerechtfertigte Mensch ist also nicht etwa die Frucht menschlicher
Religion, sondern das Wunder der göttlichen Erlösung.
Ihr Vollmaß und ihre Vollendung fand diese Offenbarung erst
in der Person Jesu Christi. Was das Gesetz auch bezeugte, was die
Propheten auch kündeten, erst im Sohn wurde das Gottesevangelium
von der Sohnschaft Fleisch und wohnte unter uns, damit wir, die
wir unter der Knechtschaft des Gesetzes und unserer Religionen
lebten, die Sohnschaft empfingen. Daher kennt das Rechtfertigungs*
evangelium des Apostels Paulus auch keine Erlösung, gelöst von
der Person Jesu Christi. Ihm sind Gnade, Weisheit, Gerechtigkeit,
80
Heiligung und Erlösung nicht eine sachlidi=unpersönlidie Gabe, die
Gott gelöst von dem neu schaffenden Wirken des Gekreuzigten und
Auferstandenen dem Menschen schenkte, sie sind unzertrennlich ver=
bunden mit dem Geisteswirken Christi im Menschen. Gottes große
Gabe der Barmherzigkeit zu unserer Erlösung besteht nicht in einem
Segen, sondern in der Person seines Sohnes, den er für alle dahin=
gab, damit nun alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, son=
dem ewiges Leben haben. Er allein kann möglich machen, was keiner
menschlichen Frömmigkeit möglich war. Er kann eine Gottesgerech=
tigkeit wirken auch in den Widergesetzlichen. Daher wendet sich
der Gottesruf auch ohne Unterschied an Gerechte und Gottlose. Als
Gottes Ruf an Abram erging, war er auch „noch nicht fromm, noch
nicht Patriarch, noch nicht Theokrat" (Barth). Christus will daher
in seiner ganzen Persönlichkeit jedem Menschen zu jener Gottes=
Offenbarung werden, die ihm Gottes Gerechtigkeit zu seinem Heil
und seiner Erlösung enthüllen und in ihm scharfen will.
Denn man kann keine Gottesgerechtigkeit haben ohne Gott,
keine Erlösung gewinnen ohne den Erlöser, keine Sohnesstellung ein=
nehmen ohne den Geist der Sohnschaft. Wenn der Mensch die letzte
Entscheidung für oder wider die ihm in Christo angebotene Erlösung
auch iinmer wieder selbst zu treffen hat, die Erlösung als solche
bleibt von ihren ersten Anfängen bis zu ihrer Vollendung Gottes
ureigenste Schöpfertat. Sie kann in ihren einzelnen und tiefsten
Phasen zwar vom Menschen erlebt, niemals aber erwirkt werden.
Erlösung kann daher auch nur da beginnen, wo „des Menschen
Handeln aufhört und Gottes Tun beginnt" (Gogarten). Glauben an
Christus ist mithin nichts Geringeres als ein Sich=solidarisch=Erklären
mit dem Kreuz und der Auferstehung Christi. Der Glaube an Christus
bejaht das Kreuz in seinem Gericht über alle menschliche Selbstge=
rechtigkeit, Selbsterlösung und Frömmigkeit; er erschließt sich aber
dem von Gott durch die Auferstehung gerechtfertigten Leben des
Christus.
An Christus als dem Gekreuzigten und Auferstandenen kommt
daher jeder Mensch, ob religiös oder gesetzlos, zur Entscheidung.
Wer im Glauben des Sohnes Gottes gerichtet sein läßt, was Gott
für immer durch das Kreuz verurteilt hat, und sein Leben in dem
81
findet, den Gott durch die Auferstehung für immer rechtfertigte, der
ist vom Tode zum Leben durchgedrungen. Er wagt mit Paulus zu
bezeugen: „Nicht aber lebe idi, sondern Christus lebt in mir."
a) A b r a m s F r a g e an G o t t
Darauf sprach er zu ihm: „Ich bin Jahve, der ich dich aus Ur=
Kasdim geführt habe, dir dieses Land zu geben, damit du es in Besitz
nehmest." Da sprach er: „Adonai Jahve, woran soll ich wissen, daß
ich es ererben werde?" Gott hatte Abram für die fernere Zukunft
etwas Schweres und Dunkles zu enthüllen; daher erinnerte er ihn
zunächst an die außerordentliche Errettung aus Ur in Chaldäa, die
er erlebt hatte. Abram sollte wissen: wie es Gott nicht unmöglich
war, ihn aus dem Glutofen Kasdims zu erretten, so wird es ihm
auch nicht unmöglich sein, einst den Samen Abrams aus dem Feuer=
ofen Ägyptens zu fuhren. Welche Schwankungen daher auch im
82
natürlichen Verlauf der Geschichte eintreten mögen, welchen Wider»
stand die herrschenden Weltmächte auch der dem Abram gegebenen
Gottesverheißung entgegenzusetzen wagen: „Idi habe didi aus Ur«
Kasdim geführt, dir dieses Land zu geben, es in Besitz zu nehmen."
War nun Abrams Frage: „Jahve, mein Herr, woran werde idi
wissen, daß idi es in Besitz nehmen soll?" eine Frage nach einem
Zeichen der Gewißheit, daß das Verheißene eintreten werde, oder
aber eine Frage nach dem Zeitpunkt, wann dieses große In=Besitz=
Nehmen beginnen werde? Sollte Abrams unerwarteter Sieg über
Kedor=Laomer und dessen Verbündete bereits der erste große Schritt
auf dieser Linie gewesen sein? Hätte die Besitznahme des verheiße^
nen Landes für Abram und seine Nadikommen auf dieser Linie
gelegen, so wäre seine Gesdiidite und die seines Samens niemals
ein Wunder Gottes in der Völkerwelt geworden. Er wäre auch nur
ein Held unter den vielen Helden der Geschichte gewesen. Auf dieser
Ebene hätte er niemals der Vater der Glaubenden werden können.
Er wäre nicht der Menschheit durch seine Separation und sein Ver=
trauen zu Gott zum Typus einer völlig neuen Existenzbäsis und
Heilszukunft geworden.
Vielleicht dürfen wir annehmen, daß es Abram in dieser Frage:
„Woran soll idi erkennen?" sowohl um ein Zeichen der Gewißheit,
ob die Einnahme des Landes überhaupt geschehen werde, als auch
um die Frage ging, in welchem Zeitpunkt die Besitznahme des Lan»
des geschehen werde. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er
trotz aller empfangenen Verheißungen und trotz des gewonnenen
Vertrauens doch immer wieder um neue Zusicherungen Gottes ringt.
Da Gott den Menschen in diesem seinem Ringen versteht, steigt er
in seiner Barmherzigkeit zu ihm hinab, gibt seinem Glauben immer
neue Stützen, bis er allmählich zu jener Größe heranreift, Gott audi
ohne siditbare Grundlagen zu vertrauen. Welche Zusicherungen
mußte später Mose zunächst von Gott empfangen, bevor er bereit
war, ein Prophet Gottes und der Retter seiner Brüder zu werden!
Gideon mußte zuvor Zeichen um Zeichen empfangen, bevor er tat»
sächlich im Auftrage Gottes hinging, um Israel aus der Hand der
Midianiter zu erretten. Es gehört zur Größe der Barmherzigkeit
Gottes, daß sie dem Vertrauen des Mensdien nie mehr zumutet, als
83
der Glaube zu tragen vermag. Erst vermehrt Gott die Kraft des Glau=
bens, und erst dann stellt er ihn vor entsprechende Aufgaben.
b) Der g ö t t l i c h e A u f t r a g
Wissen wollte Abram, und wissen sollte er. Damit nun sein
Glaube nicht zusammenbräche, was Gott ihm als Gewißheit zu ent=
hüllen hatte, verband Gott in eigenartiger Weise Bundesschluß und
Zukunftsenthüllung miteinander. Da sprach der Herr zu ihm:
„Nimm mir doch dreimal ein weibliches Kalb und dreimal eine Ziege
und dreimal einen Widder und eine Turteltaube und eine junge
Taube! Er nahm ihm alle diese, da zerteilte er sie in die Mitte und
legte die zerstückte Hälfte eines jeden seiner entsprechenden Hälfte
gegenüber; aber den Vogel zerteilte er nicht. Da fuhr der Raubvogel
über die Leichen nieder; Abram verscheuchte ihn."
In diesem Bundesschluß und der mit ihm aufs engste verbundenen
Zukunftsenthüllung war alles symbolisch. Gottes Offenbarung mit
ihrem Licht hüllte sich ein in bestimmte symbolische Handlungen
und Geschehnisse. Alles hat für uns auf dem Boden der Kirche
Christi und in der Welt des Abendlandes etwas völlig Fremdes.
Abram aber verstand die Sprache Gottes, die in diesen Handlungen
für ihn lag. Sie schlossen sich eng an Form und Sitte an, nach denen
in jener Zeit Bündnisse abgeschlossen wurden. Schon die ältesten
Kirchenväter sagten daher zu dieser Stelle: „Gott akkommodiert
sich in diesen Vorgängen der Sitte der Chaldäer. Denn diese hatten
den feierlichen Brauch, mit einer Fackel in der Hand zwischen die
zerschnittenen Leichname der Tiere, die einander nach bestimmter
Ordnung gegenübergelegt waren, hindurchzugehen und so die ge=
schlossenen Verträge zu weihen1/'
Um solch einen Bundesschluß auch uns verständlich zu machen,
müssen wir Kenntnis gewinnen von der ursprünglich symbolischen
Bedeutung aller Handlungen, Opfer und Erscheinungen, die mit
solch einem Bundesschluß verbunden waren. Da kann uns nur eine
gewissenhafte und wissenschaftliche Kenntnis der alten Sitten und
Verhältnisse zugute kommen. Zwar soll hier gleich zu Anfang be=
merkt werden: wenn Gottes Auftrag sich auch an den damaligen
1
Ephrem. Cpp. I, S. 162.
84
Brauch eines Bundesschlusses anschloß, so sollte es dodi niàit ein
Bund im eigentlichen und gewöhnlichen Sinne sein. Denn jeder Bund
beruhte auf einer gegenseitigen Verpflichtung und auf einem von
beiden Bundesschließenden geleisteten Schwur. Das geschah hier aber
nicht. Es ist daher nicht ein Bund im Sinne von „pactio", sondern
im Sinne von „sponsio", wie der Ausdruck auch sonst gebraucht
wird, sowohl von Gelöbnissen Gottes an Menschen (2. Mose 34,10),
als von Gelöbnissen der Menschen an Gott (Esra io, 3) (nach
Delitzsch). Hier ging der Herr, wie wir sehen werden, nur allein
durch die Opferstücke, die einander gegenüberlagen. Er hatte dem
Abram eine ganz bestimmte Verheißung gegeben, und diese will
er ihm von seiner Seite aus bestätigen. Beim eigentlichen damals
üblichen Bundesschluß gingen nämlich beide Vertragsschließenden
zwischen den zerlegten Opfertieren hindurch. Dadurch brachten sie
zum Ausdruck, daß sie wünschten, demselben Todesgeschick des
zerteilten Tieres zu verfallen, falls von ihnen der Bund durch Untreue
gebrochen werden sollte. In der ganzen Handlung lag also eine
seltene Herablassung Gottes zum Verständnis Abrams. Er sollte
begreifen, wie treu Gott zu der ihm gegebenen Verheißung stehen
werde.
Nach dem biblischen Bericht mußte Abram zunächst dreimal ein
junges Kalb, dreimal eine Ziege und dreimal einen Widder nehmen
und jedesmal das Tier dem Herrn darbringen. Durch das Zerstücken
der genannten drei lebendigen Opfertiere, auf deren Leichname sich
alsdann der gierige Raubvogel stürzen wollte, sollte nichts Geringeres
„als die Gefahr veranschaulicht werden, die über die kommenden
Geschlechter" kommen werde.
Diese Opfertiere sollten somit Sinnbilder der kommenden Ge=
schlechter Israels sein. Wenn nun gesagt wird, „daß erst das vierte
Geschlecht wieder zur Erlösung ersteht, somit drei Geschlechter von
dem verkündeten Elend betroffen werden, so ist es ebenso unmittel=
bar klar, wie das dreimalige Hingeben dieser Tiere an Gott nichts
anderes heißt als: dreimal hat sich dein Geschlecht, d. h. drei deiner
kommenden Geschlechter haben sich mir mit dem, was sie als Kalb,
Ziege und Widder sind, und als Turteltaube und junge Taube hin»
zugeben. Drei dieser Geschlechter lasse ich als Kalb, Ziege und
85
Widder gewaltsam sterben und nur als Turteltaube und junge Taube
lebendig bleiben. Als Kalb=, Ziegen= und Widderleichen werden sie
zu Boden liegen, der Raubvogel in ihnen eine willkommene Beute
erblicken, und nur du wirst sie ihm nicht zum Fräße werden lassen."
Verständlicher wird noch die ganze Sprache dieser symbolischen
Bundesschließung, wenn wir uns vergegenwärtigen, was die einzel=
nen genannten Tiergattungen „im Gebiet von Menschen* oder Völ=
kerpersönlichkeiten" bedeuten. „Daß sie überhaupt bestimmte Be=
Ziehungen von Menschenpersönlichkeiten bedeuten, bewahrheitet ein
auch nur oberflächlicher Blick auf die Opfergesetze, die eben nur diese
Tiere zulassen/'
So bedeutet das Rind oder die Rindergattung stets „das arbei*
tende — im Dienste des Herrn tätig schaffende — Tier". Es repräsen=
tiert in der Sprache der Symbolik mithin „Tatkraft", hingebende
Wirksamkeit. Der Jungstier, „Farre", in der Gattung versinnbildlicht
die Vollkraft und charakterisiert daher „im Opfer immer die öffent=
liehe Persönlichkeit", die im Dienste Gottes und in der Gesamtheit
zu wirken berufen ist, und die mit ihrem Wirken den anderen vor*
angehen soll. Das junge Kalb bezeichnet dagegen „die angehende,
in Entwicklung begriffene Tatkraft". Die Gattung des Schafes und
der Ziege ist das eigentliche Tier der Weide, daher das so häufige
Bild für die allgemeinste Beziehung des Menschen und des Volkes
zu Gott. Mensch und Volk sind die Herde, Gott ist der Hirte1. In
dieser Gattung sind aber zwei Tiere besonders charakterisiert: die
Ziege und der Widder. „Die Ziegenart, wie dies bereits der Name
bezeichnet, ist nur seinem Herrn gegenüber das gefügige Tier der
Milde; jedem Fremden aber weist es störrisch die Hörner. Es ist somit
die reinste Charakterisierung des Widerstandes, insbesondere jener
männlichen Selbständigkeit, die, taub und fest gegen jede äußere
und innere Verlockung, nur dem Pflichtgebot ihres Herrn unwandel=»
bar treu folgt. Ziege bezeichnet daher die Kraft des Widerstandes/'
„Der Widder ist das erwachsene, in seiner Kraftfülle und ver=
möge derselben der Herde vorangehende Schaf." Es charakterisiert
den Besitzenden und ist die allgemeine Bezeichnung für die Begüter«
ten und Großen eines Volkes. Im 'Opferkultus war es daher das Tier,
» Vgl. Ps. 23; Hcs. 34,31.
86
das zu jenen Opfern verwendet wurde, wo es sieh, um eine Sühne
in Beziehung auf einen Besitz oder wo es sidi um die Weihe han=
delte, die die Bereditigung zu einer größeren bevorzugten Stellung
zum Ausdrude bringen sollte. „Widder bezeichnet somit die durch
Besitz und Berechtigung ausgezeichnete Persönlichkeit."
Der reine Vogel war Abbild jenes macht= und widerstandslosen
Lebewesens, das sich allein durch seine Schwungkraft einem drohen=
den Gewaltbereich zu entziehen vermag. Er galt daher als ein Bild
„für das macht= und wehrlose und doch freie und glückliche, gebor=
gene Dasein Israels1". Im Opfer war „der reine Vogel" einerseits das
Symbol der Persönlichkeit, die sich aller Macht, Stellung und des
Besitzes entkleidet sah und sich nur noch ihres nackten Daseins
erfreute. Andrerseits war er auch der Ausdruck „des frei gewordenen
frischen Lebens", das den Banden der Krankheit und der Schwäche
entronnen war.
In dieser Gattungsart ist nun die Turteltaube der ewige Früh»
lingsbote. Mit ihrer Wiederkehr als Zugvogel kündete sie Jahr um
Jahr den anbrechenden Frühling an2. Die „junge Taube" dagegen
ist Ausdruck der völligen Abhängigkeit, da sie noch der vollen Pflege
und Obhut ihrer Eltern bedarf. Der „reine Vogel bezeichnet somit
das macht* und wehrlose, durch seinen Aufschwung sich rettende
und erhaltende Dasein", und zwar die Turteltaube das ältere Ge=
schlecht, das mit seinem Aufschwung zugleich das jüngere rettet
und birgt.
c) Die D e u t u n g des B u n d e s s c h l u s s e s
Was wollte der Herr dem Abram durch diese symbolische Sprache
sagen? Wohl nichts Geringeres als: „Stelle didi mir, oder als Stamm"
vater dein Gesdiledit in dir, dreimal mit deiner Tatkraft, dreimal
mit deiner Widerstandskraft, dreimal mit deinem Besitz und deiner
Bereditigung und mit deiner das alte und das junge Gesdiledit zum
Leben emporrettenden Sdiwungkraft zur Verfügung!" Nachdem
Abram in der Darbringung der Opfertiere diesen Auftrag erfüllt
1
Ps.68,14;Hohel.2,14.
2
Hohel. 2,12.
87
hatte, „zerstückte der Herr sie in der Mitte, brach also in drei abra»
mitischen Geschlechtern alle Tatkraft, allen Widerstand und alle
Berechtigung, und nur die nackte, innere, über das Elend sich empor»
hebende Schwungkraft ließ er ungebrochen".
Dies alles ist nun aber nichts anderes als die schwere Enthüllung
an Abram: „Wissen sollst du, daß deine Nachkommen Fremdlinge,
also unberechtigt sein sollen in einem ihnen nicht gehörenden
Lande": dies ist der zerstückte Widder. „Sie werden ihnen Sklaven
werden, also wird ihnen die freie Tatkraft gebrochen werden": dies
ist die zerstückte junge Kuh. „Man wird sie peinigen, sie werden
also alles widerstandslos erdulden müssen": das ist die zerstückte
Ziege. Das zerteilte Kalb ist mithin „Sklaverei", die zerteilte Ziege
ist „Peinigung, Mißhandlung", und der zerteilte Widder ist der
„redite und bodenlose Fremdlingsstand". Und dennoch werden die
Geschlechter für eine kommende Erlösung nicht verlorengehen. Denn
die Turteltaube und die junge Taube durften nicht zerteilt, mithin
die innere Geistes» und Schwungkraft durfte ihnen nicht genommen
werden.
Abrams Frage an den Herrn war gewesen: „Wodurch werde ich
wissen?", und nun antwortete ihm der Herr: „Wissen? Wissen sollst
du, daß Fremdling dein Same sein wird in einem ihnen niait ge-
hörenden Lande; sie werden ihnen dienen, und sie werden sie peini°
gen, vierhundert jähre. Aber auch das Volk, dem sie dienen, ridite
idi, und nadiher werden sie hinausziehen mit großer Habe. Du aber
wirst zu deinen Vätern in Frieden kommen, wirst in gutem, hohem
Alter begraben werden. Das vierte Gesdiledit wird hierher zurüde*
kehren; denn die Sünde des Amoriters ist nodi niait voll bis jetzt."
Wie verständlich wird diese Antwort Gottes, wenn man zuvor
die symbolische Sprache der vorangegangenen Opferdarbringung in
ihrer eigentlichen Bedeutung begriffen hat! Abram forschte nach
dem Zeitpunkt, wann die ihm und seinen Geschlechtern gewordene
Verheißung, das Land in Besitz zu nehmen, nach Gottes Ratschluß
in Erfüllung gehen werde. Darauf kann Gott ihm nur antworten,
daß er persönlich es nicht in Besitz nehmen werde. Auch die kom=
menden Geschlechter werden nicht gleich das ihnen verheißene Erbe
betreten. Auch wird es ihnen nicht auf dem Wege eines stets fort»
88
schreitenden Gewinnens und der rein geschichtlichen Entwicklung
werden. Erst werden drei Geschlechter als Fremdlinge hingehen,
recht= und heimatlos, in ihrem Widerstand gebrochen und unter dem
Druck des Sklavendienstes seufzend. Erst das vierte Geschlecht wird
hierher zurückkehren und das verheißene Land in Besitz nehmen.
„Der jetzige Besitzer wird erst in Üppigkeit der ihn verurteilenden
Entartung entgegenreifen, der künftige Besitzer erst in Armut,
Sklaverei und Elend für den einstigen Besitz gereift werden."
Mit Abram selbst sollte jetzt nur der Bund geschlossen und
seinem Glauben damit die Gewißheit gegeben werden, daß das von
Gott Verheißene Erfüllung werden würde. So groß die augenblick=
liehe Drangsal, so aussichtslos die fernere Zukunft, so stark der
feindliche Widerstand auch immer sein werden: ist erst die Stunde
Gottes gekommen, dann vermögen keine Armut und Ohnmacht
Israels und keine Stärke und Feindschaft der Völker aufzuhalten,
was der Herr zum Heil seiner Erwählten verheißen hat. „Vierhun=
dert Jahre" — mit diesem Zeitraum begrenzte der Herr die große
Wartezeit bis zur Erfüllung des Verheißenen. So unverständlich den
ungeduldig Wartenden die „Stunde Gottes" im Lauf der Geschichte
auch je und je war, sie kam nie zu früh, und sie verspätete nie.
Gottes Uhr stand nie still, Gottes Handeln griff nie vor, Gottes War=
ten war nie Verspätung, auch in der Geschichte Israels nicht.
„Als nun die Sonne untergegangen und Finsternis geworden
war: siehe, da war es ein rauchender Ofen und eine Feuerfackel,
was zwischen diese Stücke durchgefahren xoar." Wie oft geschah es,
wenn Abram und seine Geschlechter in ihrem Druck, in ihrer Hei=
matlosigkeit und in ihrem Frondienst vergeblich auf die Morgenröte
eines neuen Tages, auf den Anbruch der ersehnten Freiheit und
Erlösung warteten, daß eine hoffnungslose Angst und eine große
Finsternis sie überfiel und sie macht= und ratlos dahinlebten1! In
dieser Zeit geschah aber etwas Ungeahntes, nie Vorhergesehenes:
alle Leiden, alle Sklaverei, alle Enttäuschungen, alle Widerstände
der Feinde waren ihrem tiefsten Wesen nach doch nur ein „rauchen=
der Ofen", der zwar die Geschlechter Abrams läutern, jedoch nie
verbrennen konnte. Sie waren nur eine „Feuerfackel", die denen
* V. 12.
89
leuchten mußte, die in ihren Leiden klagten und in ihren Nächten
warteten.
So Geschichte zu machen vermag nur Gott allein. Während die
ganze Welt in hoffnungslose Nacht gehüllt bleibt, wird den „Fremd=
lingen" aus ihren bisherigen Leiden eine „Fackel", die ihnen leuch=
tet, bis der neue Tag anbricht. Und während alle Welt von der Glut
unaufhaltsamer Gerichte verzehrt wird, gestalten sich dieselben
Katastrophen der Geschichte für die „Auserwählten" nur als ein
„läuternder Ofen", der sie von jenen Schlacken löst, die nicht zu
ihrem eigentlichen Wesen gehören. Wie oft lag später in Israels
Gerichten im Lauf der Jahrtausende weit mehr erlösende Gnade als
letzter Untergang! Und ist nicht die messianische Schau der Prophe=
ten, das sehnsuchtsvolle Warten auf einen Messiaskönig und das
Harren auf einen vollendeten Gottesstaat in der dunkelsten Nacht
der israelitischen Geschichte geboren? Wie leuchtet diese prophetische
Fackel auch uns wieder in unserer Nacht und läßt die große Advents=
hoffnung auf den Kommenden und auf das Kommende in der Seele
einer harrenden Gemeinde nicht erlöschen! Wieviel unverlöschliche
Leuchtkraft lag nicht immer wieder für die späteren Zeitalter in der
Glaubenssprache jener Psalmen, die einst in tiefster Not von ihren
Schöpfern gesungen wurden! Fanden doch ihre Dichter erst in den
dunkelsten Nächten jene inhaltsvolle Glaubenssprache, die etwas zu
künden vermochte, was keine Zeit mehr zum Schweigen bringen
konnte. Ja, läuternder Ofen und weit leuchtende Feuerfackel muß das
Leben mit seinen Leiden, seiner Versklavung, seiner Fremdlingschaft
und seinem Warten für alle Geschlechter werden, mit denen Gott
wie mit Abram einen Bund für immer schließen konnte. Das Erleben
der kommenden Gerichte wird zwar Läuterung, der Ertrag jedoch
unvergänglicher Gewinn für alle Zukunft sein.
90
Gesdiichte verstanden werden. Das historische Geschichtsgut der
Stämme Ismaels ist weit größer, als es im nachfolgenden biblischen
Bericht von Hagar und Ismael festgehalten worden ist. Aber auch
hier ist es das Eigenartige der Schrift, daß sie beides, sowohl die
Person als auch die näheren Umstände, so zu schildern versucht,
daß sich in Hagar und in Ismael die Geschichte und die Zukunft
ihrer späteren Stämme und Völker widerspiegeln.
Als es die späteren Zeiten neben den Stämmen Jakobs auch mit
den verwandten Stämmen Ismaels zu tun hatten, sollten sie àie
göttliche Antwort darauf erhalten, warum sich zwar beide Ge=
sdilechtslinien auf einen Urahn, auf Abram, zurückführen ließen,
dabei aber doch so verschieden in ihrer Geistesrichtung und in ihrem
Schicksal waren. Auch von einem zum Glauben berufenen Abram
kann eine geschichtliche Entwicklung ausgehen, die in ihrem Aufbau,
in ihrer Beziehung zur Umwelt und in ihrem völkischen Charakter
dauernd das Bild Ismaels trägt. Leben, das Abram in Ismael der
Welt und der Zukunft als Frucht einer schwachen Stunde anvertraute,
konnte von ihm aus nie mehr in Zukunft gutgemacht werden. Wenn
Gott trotzdem auch Ismaels Geschichte in seine Verheißung hinein=
zog, so war es Gnade von Gottes Seite, nicht aber eine Rechtfertigung
der schwachen Stunde Abrams. Ist doch von der Geschichtsforschung
immer wieder erkannt worden, wie die Grundhaltung und die Taten,
die Leidenschaften und die Hoffnungen, die in den Ahnen und Vor=
kämpfern lebten, auch mitbestimmend für das Leben und das Schick*
sal ihrer Väter wurden. Das gilt auch von Hagar und Ismael und
von deren Nachkommen und Volksstämmen.
Wenn nun in der Schrift ziemlich ausführlich auf die Geschichte
Abrams mit der Hagar eingegangen wird, so geht es ihr nicht um
àie Schilderung eines Romans—sie will zwei große, entgegengesetzte
Stammesgeschichten in ihrer Quelle und Entwicklung beleuchten. In
Isaak, der auf der Grundlage des Glaubens empfangen wurde, zeigt
sie die Fortsetzung der von Gott angebahnten Heilsgeschichte, in
Ismael, der durch das Versagen des Glaubens empfangen wurde,
das Abgleiten einer begonnenen Glaubens* und Heilsgeschichte in
das naturhafte und rein völkisch bedingte Leben der Weltvölker.
91
a) Das V e r s a g e n S a r a i s
92
schwer, da Gottes Stunde abzuwarten, wo es sich um einen Segen
handelt, der allein als eine Tat Gottes ererbt werden kann. So ver=
ständlich die innere Not und seelische Spannung bei Abram und auch
bei Sarai waren, daß die bisherige Wirklichkeit der empfangenen
Verheißung widersprach, so war es doch der Versuch, durch eigene
Mittel und Wege die Spannung aufzuheben. Bald zeigte es sich aber,
daß die Spannungen des Glaubens, die zwischen der Stunde der Ver=
heißung und der Stunde der Erfüllung liegen, vom Menschen nie
aufgehoben oder in ihrer Schwere gemildert werden können. Jeder
Versuch, dies zu tun, führt den Glauben nur in desto größere Span=
nungen und Konflikte hinein.
Vielleicht liegt auch hier heute noch die größte Not Gottes mit
seiner Kirche. Auch sie glaubte immer wieder, mit ihm um den
Segen für die Zukunft zu ringen, und er rang mit ihr und ihren
fremden Kräften, durch die sie sich selbst erbauen und einen Träger
seiner Offenbarung für die Zukunft schaffen wollte. Ihr Eifer ver=
suchte, die Erfüllung des prophetischen Wortes zu beschleunigen,
und zwang Gott, mit der Erfüllung seiner Verheißungen zu warten.
b) Die G e b u r t I s m a e l s
Zwar wurde dem Abram von der Magd ein Sohn geboren, aber
nicht der von Gott verheißene. Er empfing wohl den Ismael, nicht
aber den Isaak, Die so tief empfundene Sehnsucht nach dem Kinde
fand zwar eine vorzeitige Erfüllung, vermehrte aber niàit die Freude,
den Frieden und die Hoffnung in den Zelten Sarais und Abrams.
Als Hagar merkte, daß sie empfangen hatte, änderte sie ihr Ver=
halten ihrer Herrin gegenüber. Sarai hatte sie gerufen, ihr in dem,
was dem Weibe das Allerheiligste ist, zu dienen. Nun will sie hinfort
aber nicht mehr als Leibmagd dienen, sondern als Herrin herrschen.
Es ist dies ein Charakterzug aller fleischlichen Mittel, die von dem
Glauben in seiner Ungeduld herbeigeholt wurden, um durch sie
Gottes Verheißungen in Erfüllung zu bringen. Je und je beanspruch=
ten sie, sobald sie sich scheinbar als der Sache Gottes dienlich und
unentbehrlich erwiesen hatten, im Leben und Haushalt des Glau»
bens den herrschenden Sitz. Und anstatt des Geistes Abrams und der
Sarai herrschte hinfort in den Zelten Abrams und im Aufbau der
93
Zukunft der Geist der schwanger gewordenen ägyptischen Magd.
Ja, wie oft hat auch die Kirche Christi im Laufe der Zeiten unter
jener fremden Magd geseufzt, die sie gerufen hatte, um sich in den
Tagen ihrer Unfruchtbarkeit durch sie zu erbauen und einen bleiben»
den Segen zu schaffen!
Als Abram sah, daß Sarai ihm den Vorwurf machte, daß es an
ihm liegen müsse, daß die Magd ihr neues Verhältnis zu ihr völlig
mißbrauchte, sprach er zu ihr: „Siehe, deine Magd ist in deiner
Hand; mache mit ihr, was gut in deinen Augen ist1." Da demütigte
sie Sarai, und Hagar entfloh. Sarai hatte allein unter der einen Vor=
aussetzung Hagar herangezogen, daß sie, selbst als Abrams Weib
und Mutter seines Kindes, dennoch ihre Leibmagd bleiben müsse.
Das von ihr zu gebärende Kind sollte Sarais Kind sein, völlig dem
geistigen Einfluß Hagars entzogen, um allein im Geiste Abrams und
der Sarai erzogen zu werden. Sarai hatte aber vergessen, „daß sie
ein Unmögliches gewollt, daß ein Weib Abrams und Mutter seines
Kindes nicht Sklavin bleiben könne".
„Hagar ertrug es nicht mehr", nachdem sie von Abram schwan=
ger war, „als Sklavin betrachtet zu werden". Damit ist aber kaum
das Licht erkannt, das die Schrift auf den schweren Fall in der
Glaubensgeschichte Abrams fallen lassen will. Ihr geht es letztlich
doch darum, die Verwicklungen, Konflikte und Seelennöte zu be=
tonen, die sich ganz zwangsmäßig in einer Entwicklung ergeben
mußten, die nicht mehr aus dem Gehorsam des Glaubens entstanden
war. Auch in dem Leben und in der Familie Abrams gewinnen
die unheimlichen dunklen Kräfte der Sünde Einfluß und Macht, so=
bald die Abhängigkeit von Gott preisgegeben und der Segen und die
Zukunft durch Mittel gewonnen werden sollen, die nicht aus dem
Glauben kommen. Die Schrift scheut sich nicht, ein sehr dunkles
Bild von dem künftigen Familienleben Abrams zu zeichnen. Schuldig
macht sich Sarai, schuldig wird Hagar, schuldig wird auch Abram.
Sarais Schuld, von der die erste Anregung kam, zeigte sich alsbald
darin, daß sie, wo sie von ihrer Leibmagd zurückgesetzt wurde, von
der Eifersucht, vom Stolz ihrer Herrinnenrechte erfaßt wurde und
dementsprechend ihr Verhalten der Hagar gegenüber bestimmte.
Hagar hatte es nicht ertragen können, daß sie plötzlich in den
94
Zelten Abrams das Ehebett mit dem Hausherrn hatte teilen dürfen
und damit die rechtliche Stellung einer Freien erlangt hatte. Hinfort
wurde ihre Herrin gering in ihren Augen. Denn ihre Schwangerschaft
und ihre Erwartung hatte in ihr den Stolz der Freien und das Be=
wußtsein der Mutter wachgerufen. Eine fernere Behandlung als Leib-
magd von seiten Sarais konnte sie nicht mehr ertragen.
Auch Abram versagte weiter im Glauben. Der betretene Weg
mußte ihn je länger desto tiefer zur neuen Selbsthilfe führen. Um
sich aus diesen Zwisten und Spannungen, die in seinen Zelten
entstanden waren, zu retten, sprach er zu Sarai: „Siehe, da ist
deine Leibmagd in deiner Hand! Madie mit ihr, was gut in deinen
Augen ist!"
Wie unsicher und widerspruchsvoll beginnen die Handlungen
und Entscheidungen auch der Glaubensmenschen zu werden, wenn
sie nicht mehr in der Abhängigkeit von Gott stehen! Erst nahm
Abram die Sklavin aus der Hand Sarais, damit durch sie ihm der
verheißene Erbe wurde. Nun übergibt er dieselbe Sklavin der Leiden=
schaft seiner gekränkten Gattin. Gerade und zielsichere Wege ergeben
sich zu allen Zeiten nur aus dem Gehorsam des Glaubens. Daher
betet der 17. Psalm: „Senke meine Tritte in deine Fußstapfen, damit
mein Gang nicht wankend sei!"
c) H a g a r in der W ü s t e
Das ist aber hinfort die große Tragik des Hauses Abrams und
auch der Hagar, daß trotz der beständigen Konflikte zunächst beide
doch nicht unabhängig voneinander leben können. Hagar entfloh
zwar im Gefühl ihres Rechtes, um über Beerseba nach Ägypten zu
gelangen. Sie sah sich aber von einem Boten Gottes wieder zurück
in die Zelte Sarais geführt. Denn es „fand sie ein Engel Jahves am
Wasserquell in der Wüste, an dem Quell auf dem Wege nach Schur,
und sprach: Hagar, Magd Sarais! Woher kommst du und wohin
gehst du? Sie sprach: Auf der Flucht vor meiner Herrin Sarai befinde
ich mich."
Hagar hatte sich auf die zu allen Zeiten gangbarste Straße nach
Ägypten begeben, nämlich auf den Weg nach Schur, was den 5—j
Tagereisen langen Wüstenstrich Paran einschloß. In dieser „schauer=
95
lidisten, ödesten und wasserärmsten" Gegend befand sich aber
eine Quelle, die für alle aus der Wüste kommenden und in die
Wüste ziehenden Karawanen als ein äußerst willkommener Ruhe=
platz diente. Hier fand sie der Engel des Herrn. Er trug eine neue
Wendung in ihr Leben, durch die ihre ganze Zukunft und die ihres
zu erwartenden Sohnes bestimmt wurde. „Da sprach Jahves Engel
zu ihr: Kehre zu deiner Herrin zurüde und demütige didi unter ihre
Händel . . . Viel, viel werde idi deinen Samen werden lassen, daß
er vor Menge nidit gezählt werden könne . . . Siehe, du bist sdiwan-
ger und wirst einen Sohn gebären und sollst ihm den Namen Ismael1
geben; denn Jahve hat auf deinen Notsdirei hingehört. Er wird ein
VJildesel von Mensdi sein, seine Hand wider jedermann und jeder*
manns Hand wider ihn, und im Angesidite2 aller seiner Brüder wird
er wohnen."
Drei Dinge hatte der Bote Gottes der in ihrem Rechtsgefühl
trotzenden und doch irrenden Hagar zu sagen: eine Aufforderung,
eine Verheißung und eine Charakterbesdireibung ihres zu erwarten*
den Sohnes. Zunächst forderte der Engel sie auf, zurückzukehren in
die Zelte Sarais und sich freiwillig ihrer Herrin unterzuordnen. Ist
es für sie auch ein augenblickliches Opfer, so wird es doch mehr als
aufgewogen werden durch den Segen, den sie und ihr Sohn in den
Zelten Abrams für die Zukunft finden werden. Der von ihr Ge=
borene wird unter dem Segen des geistigen Einflusses eines Abram
und der Sarai heranwachsen und, wenn audi nidit Erbe, so dodi
Miterbe der Verheißungen des Hauses Abram werden. Aber „Hagar
rührte sich nicht".
Nun vernahm sie die Verheißung: „Viel, viel werde idi deinen
Samen werden lassen/' Diese Verheißung war ganz verwandt der,
die auch dem Abram vom Herrn geworden war. Ihr Inhalt war das
Höchste, was damals einem Weibe gekündet werden konnte: zahl*
lose Nachkommenschaft. Aber auch das rührte Hagar nicht.
Jedoch Gottes Bote hatte ihr noch etwas zu sagen: ihre „Nach=
kommen werden die freiesten unter den Menschen werden". „Siehe,
du hast empfangen und gebierst einen Sohn; du sollst ihn Ismael
1
Ismael = es höret Gott.
2
D. h. im Osten oder ostwärts von seinen Brüdern.
96
nennen; denn Jahve hat auf dein Leid hingehört. Er wird ein Freier
unter den Menschen sein." Mit dem Begriff „Wildesel" oder im über»
tragenen Sinne „Freier" bezeichnete der Engel in einzigartiger Weise
den „sozialen Charakter der Ismaeliten", und zwar von ihrem ersten
Entstehen an bis in die Gegenwart hinein. In Ismael und seinen
Geschlechtern lebte je und je die ungemessene Freiheitsliebe der in
der Wüste umherschweifenden Beduinen, die sich durch kein mensch*
liches Joch binden ließen und auf alles städtische Leben mit Ver=
achtung herabsahen. In dieser Freiheitsliebe wird zwar Ismaels
„Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn" sein.
Mit niemandem wird er sich in Freundschaft alliieren können, son=
dem nach allen Seiten seinen Nachbar befehden, und dabei soll er
doch „im Angesichte aller seiner Brüder seinen Platz einnehmen"
und sich behaupten.
„Obwohl viele Eroberer", wie Baumgarten hierzu überaus tref=
fend bemerkt, „die arabische Wüste vorbeigezogen sind, so ist es
dodi keinem gelungen, dieses edle Wild einzufangen und zu zähmen.
Dagegen sind die Araber in unzählbaren Schwärmen hervorgebro=
chen und haben Persien, die Ostseite des Kaspischen Meeres, Indien,
Mesopotamien, Syrien, Ägypten, die Berberei, einen großen Teil des
inneren Afrika, Spanien und Portugal, Sizilien und Sardinien und
noch mehrere Länder überschwemmt und außerhalb ihres Stamm=
landes mehr als hundert verschiedene Throne bestiegen."
Als die unter der Abhängigkeit seelisch leidende Hagar diese in
Aussicht gestellte Ungebundenheit und Freiheit für ihren Sohn und
dessen Geschlechter aus dem Munde des Engels vernahm, da war es
ihr genug. „Um diesen Preis war sie bereit, sich unterzuordnen."
Und mit Recht empfand sie auch den Boten Gottes, der ihr in so
wenigen und knappen Zügen die Zukunft ihres Sohnes vor Augen
gestellt hatte, als eine Gegenwart des Herrn selbst und nannte ihn:
„Du bist ein Gott des Schauern." Damit wollte sie nicht sagen,
daß Gott sich schauen lasse, sondern daß seinem allsehenden Auge
der Hilflose und Verlassene auch im fernsten Winkel der Wüste
nicht entgeht. Denn sie sagte: „Habe idi dodi hier gesehen den, der
midi gesehen hat."
Das war der tiefe und gewaltige Eindruck, den Hagar bei der
97
Begegnung mit dem Fremden in der Wüste empfing. Ihr steht hinter
dem Boten Gott selbst, der auch, eine Irrende in ihrer Not und in der
Wüste zu finden vermag. Ihm ist die Angst ihrer Seele, der Schrei
ihres mütterlichen Herzens nicht entgangen. Er weiß von ihrem tief=
sten Geheimnis, von dem werdenden Leben, das sie unter ihrem
Herzen trägt. Er sieht im voraus, welch ein Schicksal mit dem Er=
warteten verbunden sein wird. Er deutet an, daß durch den Charakter
des Kindes, das von ihr geboren werden wird, der Charakter zukünf=
tiger Geschlechter bestimmt werden wird. Hagar sah sich damit vor
eine Autorität gestellt, der sie sich nicht zu entziehen vermochte,
oder der sie in ihrer Auflehnung nicht trotzen konnte. Sie beugt sich
daher unter den Rat des Fremden; denn sie weiß sich von Gott ge=
sehen und gesegnet. So wurde es ihr zum Bewußtsein gebracht, daß
man zwar den Zelten Abrams entfliehen, nicht aber sich der Gegen*
wart Gottes entziehen könne. Aus den Zelten Abrams kann man
entfliehen, um in der Wüste die Freiheit für seinen Stolz und seinen
Trotz zu finden. Gott sieht aber die Enttäuschungen und Nöte, die
sich aus solcher eigenwilligen Flucht für die Hagar und deren Ge=
schlechter ergeben müssen. Sie nannte daher den Namen Jahves, der
zu ihr gesprochen hatte: „Du bist ein Gott des Sdiauens."
Zwar hatte der Gottesbote es ihr besonders nahegelegt, daß Jahve
auf ihr Leid hingehört habe. Ihre Seele hielt jedoch „jenen Eindruck
am stärksten fest, daß man zwar Menschen, niait aber Gott entfliehen
könne". Gott ist ein überall und jedermann Schauender. „Darum
nannte sie den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, miài Schauenden.
Er ist zwischen Kadesch und Ber ed."
Was Ismael von Isaak, die arabischen Stämme von Israel immer
unterschieden hat, war die einseitige Gotteserkenntnis ohne jenes
Gesetz, welches das Leben ordnet und bestimmt, dem Leben Inhalt
und Ziel gibt. Mit den Söhnen Jakobs teilen die Araber zwar die
unzerstörbare Gewißheit von der Absolutheit, Majestät und Vor=
sehung Gottes. Sie blieben aber ohne jene Gesetzesoffenbarung, die
wie in Israel alle vorwärtsstrebenden Kräfte dés Lebens, alle gesell=
schaftlichen Beziehungen zueinander, jeden inneren und äußeren
Aufbau der Volksstämme, jede Regelung des Verhältnisses des ein=
zelnen und des Ganzen zu Gott praktisch dem sich kundgebenden
98
Willen Gottes unterzuordnen sudite. Der idealen Erkenntnis des
Geistes fehlte die praktische Weihe des Leibes: die Unterordnung aller
Kräfte, Triebe und Regungen des sinnlichen, seelischen und geistigen
Lebens unter den geoffenbarten Willen Gottes. Aber so wenig die
Frage Israels bisher von der Geschichte und der Kirche gelöst ist, so
wenig ist auch die Frage Ismaels und mit ihr die ganze Mohamme=
danerfrage gelöst. Wir warten noch darauf, daß die Lösung von dem
komme, der einen Isaak als ein Wunder seiner Schöpfermacht geben
und einen Ismael aus seiner Not in der Wüste erretten konnte.
99
Sechsundachtzig Jahre, also elf Jahre nach seiner Berufung, war
Abram, als ihm Ismael geboren wurde. Erst als er neunundneunzig
Jahre alt war, ward der Herr ihm aufs neue sichtbar, um ihm eine
tiefere Schau von seinem Wesen und seinem Können zu geben. Er
sprach zu ihm: „Ich bin EUSdiaddai! Wandle vor meinem Angesichte
und sei vollkommen!"
Das war Gottes Antwort auf Abrams unfruchtbar gewordenen
Glaubenszustand. Sein Glaubenswachstum und seine Glaubensge*
schichte hatten eine dreizehnjährige Unterbrechung erlebt, die vom
Menschen aus nicht mehr behoben werden konnte. Abram war in
Ismael zur Ruhe gekommen, alles weitere Hoffen war erloschen. Das
im Umgang mit Gott stehende Glaubensleben ist jedoch nie ein
ruhender Zustand. Es ist vielmehr eine Bewegung mit der Inner*
gesetzlichkeit, von Klarheit zu Klarheit, aus Erkenntnis zu Erkennt=
nis und von Kraft zu Kraft zu gelangen. Abrams Leben aber hatte
aufgehört, Bewegung zu sein. Es war Zustand geworden. Es ist nun
das ungemein Demütigende auch für den Menschen des Glaubens,
daß er aus solch einem Zustand von sich aus nicht mehr herauszu-
kommen vermag. Erst muß wieder die Offenbarung sprechen, bevor
der Glaube die Kraft zu neuen Entscheidungen und Handlungen zu
gewinnen vermag. Ein Leben des Glaubens bleibt auf jedem Gebiet
abhängig von dem Wort, durch das der Herr zu ihm spricht. Muß
jedoch wie im Leben Abrams nach der Geburt Ismaels der Herr
schweigen, so schweigt hinfort auch das fortschreitende Erleben des
Glaubens.
YJie reich an wahrem Gotterleben waren die elf Jahre vor der
Geburt Ismaels gewesen, wo Abram trotz seines gelegentlichen Ver=
sagens dennoch immer wieder Gott vertraut hatte! Es erfolgte Offen=
barung um Offenbarung von Gottes Seite, und Abram sah sich durch
sie von Fall zu Fall begnadet, in ihrem Lichte seine Entscheidungen
zu treffen. Wie arm an direktem Verkehr mit Gott ward jedoch sein
Leben im Laufe von dreizehn Jahren, wo der Herr ihm nichts zu
sagen hatte! Abram hatte durch seine Zuflucht zu Hagar geredet;
und solange er redete, mußte Gott schweigen. Es zeigte sich, daß
er sich in seinen eigenen Kräften und Reserven nicht ausgegeben
hatte. Der Mensch eilt aber auch in dem Heiligen und Allerheiligsten
100
Gott zu Hilfe, solange er über einen Rest von eigenen Kräften und
Mitteln verfügt. Anstatt durch die Gabe eines Isaak sich von Gott
begnadigen zu lassen, sucht er sie sich in Ismael selbst zu schenken.
Isaak kann aber nur als Geschenk Gottes und zwar vom Glauben
empfangen werden. Niemals kann er die Frucht menschlichen Kön=
nens sein. Solange also Abram über eigene Reserven der Kraft ver=
fügt, kann Gott auf dieser Linie nicht zur Erfüllung bringen, was
allein auf der Linie des Glaubens erfüllt werden kann, selbst wenn
der Herr auch dreizehn und mehr Jahre mit der Erfüllung seiner
Verheißung warten muß.
Wie verständlich werden in diesem Lichte jene an Offenbarung
so armen Zeiten, von denen das Leben einzelner und auch das der
Kirche Christi gelegentlich so voll sein können! Gott schweigt, weil
der Mensch redet. Isaak konnte nicht geboren werden, weil Abram
noch einen Ismael zeugen konnte. Und wie war man zunächst be=
friedigt durch den vorzeitigen Segen, den man sich durch die Selbst=
erfullung einer göttlichen Verheißung erwirkte! Wo man aber zu=
frieden war mit dem Erwirkten und Empfangenen, da hatte die
Offenbarung keine Botschaft. Ihr Evangelium galt je und je nur den
Müden, Kranken, Durstigen, Bankrotten. Für solch ein Evangelium
erwies sich Abram aber erst nach dreizehn Jahren zugänglich. Wieviel
Zeit brauchte doch vielfach der Mensch, bis er in bezug auf die Er=
füllung göttlicher Zusagen das Vertrauen zu sich selbst aufzugeben ver=
mochte! Hier liegt eine Klippe, an der Abram nicht allein gestrandet
ist. Wir strandeten und stranden an ihr, bis Gottes Schweigen uns un=
erträglich geworden und die Offenbarung wieder zu uns reden kann.
Abram wäre niemals aus diesem Zustand herausgekommen,
wenn nicht Gott wieder geredet hätte. Die Berufung hätte mit einem
Ismael, der dauernde Zwietracht, Wildheit und Enttäuschung in die
Zelte der erwählten Familie trug, einen tragischen Abschluß in der
kommenden Geschichte gefunden. Denn Ismaels Gesinnung konnte
nie Erbin der Segnungen Abrams werden und nie Prophetin der
Offenbarung unter den Völkern sein. Aber der Gott der Offenbarung,
der einen Abram berief, war auch der Gott der Geduld und der
Barmherzigkeit, der Abram wieder auf den Boden der Berufung und
in die Bewegung des Glaubens zu führen vermochte.
101
b) Die n e u e G o t t e s o f f e n b a r u n g
Der alleinige Weg war wiederum nur der der Offenbarung. Diese
setzte bei Abram da ein, wo er versagt hatte. Sie sprach: „Ich bin
EUSchaddai." Durch sie werden dem Abram zunächst ganz neue Blicke
für Gottes Allmacht und Können erschlossen. Aus der vermehrten
Gotteserkenntnis sollte alsdann vermehrtes Gottvertrauen geboren
werden. Die hebräische Wurzel von „Schaddai" bezeichnet Gott als
den „Voll=Genügenden"/ den alles Vermögenden.
In diesem Lichte hatte Abram Gott zunächst nicht gesehen. Das
göttlich Mögliche war ihm durch das menschlich Unmögliche verdun=
kelt worden. Er hatte nicht begriffen, daß sich Gottes Verheißung stets
auch mit dem Können Gottes deckt. Ihm war Gott in seiner Zusage,
d. h. in seinem Wort, nicht genug. Er suchte Gottes Kräfte zu ver=
stehen, um zu vertrauen, daß Gott Versprochenes Wirklichkeit wer=
den lassen könne. Daher hatte er versucht, durch Hagar Gottes Ver=
heißung zur Erfüllung zu bringen. Gottes Offenbarung mußte dem
Glauben Abrams erst wieder eine neue Gotteserkenntnis geben,
bevor er aus dem zum Stillstand gekommenen Zustand herauszu=
kommen vermochte. Und nachdem das geschehen, gab Gott ihm den
Auftrag: „Wandle vor meinem Angesichte und sei vollkommen!"
Damit wollte Gott ihm sagen, daß er sich hinfort von dem Lichte
dieser Gotteserkenntnis in seinem ganzen Verhalten bestimmen und
leiten lassen sollte. Die Schrift bezeichnet solch ein Leben oder solch
ein Verhalten, das der empfangenen Erkenntnis gemäß vor Gott
wandelt, als ein vollkommenes. Dem Abram war durch die neue
Offenbarung das absolute Können Gottes erschlossen worden. Mit=
hin sollten sich seine zukünftigen Erwartungen, sein alltägliches
Handeln und sein freiwilliger Glaubensgehorsam auf dieses Können
Gottes einstellen. Vor dem Angesichte Gottes als des Allmächtigen,
Allgenugsamen soll hinfort der Lebensraum sein, in dem sich Abrams
Zukunft bewegen soll.
Das ist Radikalismus des Glaubens auf Grund göttlicher Offen"
barung; Einseitigkeit der Berufenen, die Erben der Verheißung wer=
den sollen; Separatismus der an Gott Gebundenen, die als Gesegnete
eines Tages die Welt segnen werden. Abram stand daher nach dieser
102
Gottesoffenbarung wiederum vor einer Entscheidung. Diese war für
ihn vielleicht nicht leichter als jene, vor der er bei seiner Berufung
in Haran stand, griff sie doch noch viel tiefer in sein Allerinnerstes
ein. Wurde ihm doch zugemutet, völlig auf sich selbst zu verzichten,
wo es sich um den Empfang einer Gabe Gottes handelte. Nur auf
diesem Wege konnte Gottes Verheißung Erfüllung und Abrams Be=
rufung für den Wandel des Glaubens vollendet werden.
c) Der e r n e u t e V e r h e i ß u n g s b u n d
Erst auf der Grundlage dieses Verhältnisses des unbedingten
Vertrauens zu Gott konnte nun auch Gottes Bund zum Bunde Abrams
erneut werden. Von Gottes Seite stand die dem Abram gegebene
Verheißung fest. Sie konnte in ihrer Erfüllung durch keine Zeit=
ereignisse und durch keine menschlichen Unmöglichkeiten gehindert
werden. Ebenso absolut sollte nun Abrams Hingabe an die ihm ge=
wordene Offenbarung, die Unterordnung unter das uneingeschränkte
Können Gottes sein. Daher sprach der Herr zu Abram: „Ich möchte
meinen Bund zwischen mich und dich geben und dich im äußersten
Maße mehren."
Mit dieser Bundesverheißung erschloß Gott dem Abram die Welt,
in der sein Glaube seine allgemeine Heimat und Zukunft finden
sollte. Zugleich sehen wir in diesen wunderbaren Zügen der Vor*
bereitung Abrams für die Geburt Isaaks — wo alles allein auf die
Verheißung und das Können Gottes eingestellt war — das eigentliche
Geheimnis der zukünftigen israelitisch=jüdischen Geschichte. „Die
jüdische Bestimmung wächst nicht aus den natürlichen Ereignissen
hervor; eine pragmatische Geschichte der Juden im gewöhnlichen
Sinne ist unmöglich. Auf natürlichem Wege wäre nie der erste Jude
entstanden und gäbe es längst keinen Juden mehr. Isaak, der ge=
wohnlichen Berechnung eine lächerliche Unmöglichkeit, das ist der
Typus der jüdischen Erscheinung. Beides, beiderseits: d. h. zwischen
mir und dir, die von mir dir zu gewährende geschichtliche Existenz,
sowie die von dir mir zu leistende Hingebung soll Bund sein, von
allen äußerlichen Verhältnissen, Bedingungen völlig abgelöst, völlig
unabhängig."
Dasselbe gilt auch von der neutestamentlichen Gemeinde. Wie?
103
Isaak ist auch sie in ihrem Geiste der Sohnschaft ein Rätsel der Ge=
saliènte, weil sie niait vom Geist der Geschichte gezeugt und aus der
Entwicklung der Geschichte heraus geboren ist. Die Kirche Christi
im paulinischen Evangelium ist Gottes Werk, eine Neuschöpfung
innerhalb der alten. Sie ist der gegenwärtige Tempel des Heiligen
Geistes, der berufen ist, erfüllt zu werden mit der Majestät Gottes
und der Herrlichkeit Christi. Hier wird das Leben nicht auf Grund
natürlicher Gesetze, hier ist alles in seinem Werden und Wachsen
gebunden an das dauernde Wirken dessen, der allein Wollen und
Vollbringen zu geben vermag. Ihre Erscheinung und Existenz sind
daher nicht abhängig vom Gang der Geschichte, werden nicht be=
stimmt durch die Gunst oder den Widerspruch der Zeitströmungen,
sind nicht gebunden an menschliche Machtmittel und politische Ein=
flüsse, ihr Fundament und ihre Zukunft ruhen allein in dem Gnaden=
bunde, der zwischen Gott und ihr besteht. Wie die Welt auch über
dieses Geheimnis orakeln mag, sie löst es nicht, weil die Geschichte
der Kirche Christi nicht dem Wesen ihrer Geschichte entspricht. Sie
bleibt ihr ein Geheimnis, wie Gott selbst und seine Offenbarung in
der Person Jesu Christi ihr ein Geheimnis sind.
Da warf Abram sich auf sein Angesicht, und Gott sprach mit
ihm und teilte ihm mit: „Idi schließe meinen Bund mit dir, daß du
ein Vater vieler Völker werden sollst." Auf Gottes Offenbarung er=
folgte nun Abrams Antwort, indem er sich auf sein Angesicht nie=
derwarf. Seine Unterwerfung und Hingabe sagten mehr, als Worte
hätten sagen können. Sie waren das Nein zu seinem bisherigen
Können und das Ja zu dem Können Gottes: die bedingungslose Hin=
gäbe an Gottes Allmacht und Verheißungswort. Auf diesem Boden
konnte nun auch die Erfüllung der göttlichen Zusage liegen: „ . . . daß
du ein Vater vieler Völker werden sollst/' Wenn hier von Völkern
die Rede ist, so haben wir kaum an jene Völker zu denken, die später
einmal ihre Abstammung einem Abram verdanken sollten. Daß
Abram auch der Vater zahlreicher israelitischer Stämme und vieler
Könige werden sollte — diese Verheißung wurde ihm erst nachher
gegeben. Abram sollte aber durch seine prophetische Mission zu einer
geistigen Vaterschaft, zu einem neuen, erhaltenden Lebensprinzip
der wogenden Völkerwelt werden.
104
Das sollte durch die nun erfolgende Namensänderung zum Aus=
druck kommen. „Und nicht mehr soll man dick ,Abrarri nennen,
sondern ,Abraham' soll dein Name sein. Denn ich mache dich zum
Vater vieler Völker. "
Wir können uns tatsächlich nicht ausdenken, was aus dem Völ=
kergewoge im Laufe der Jahrtausende geworden wäre, wenn nicht
durch Abrahams Glaubenssprache, durch Moses Gesetzesoffenbarung,
durch der Propheten Heilsbotschaft und durch die Zeugnisse der
Psalmen jene erhaltenden Ewigkeitskräfte in die Welt getreten
wären, durch die sie vor einer völligen Zersetzung und Auflösung
bewahrt wurde. War doch Gottes Offenbarung, deren Träger Abra=
harn und seine Geschlechter wurden, nichts Geringeres als der Zucht=
meister bis auf Christus hin, in dem, als die Zeit erfüllt war, alsdann
die ganze Heilsfülle in die Geschichte trat, um denen zur Erlösung
zu werden, die da glauben würden.
Abraham hatte mit seinem Niederwerfen auf sein Angesicht die
Aufgabe seiner Selbständigkeit und seine Hingabe an die Abhängig=
keit von Gott bekundet. Gottes Antwort war: „Siehe, mein Bund ist
nun mit dir!" Mit der von Gott ausgehenden Namensänderung
fand das bisherige Leben „Abrams" seinen entscheidenden Abschluß.
Es begann hinfort das Leben „Abrahams" : die prophetische Mission
und die geistige Vaterschaft des Berufenen für eine wogende Völker^
weit. Mit „Abram" schloß eine große Vergangenheit ab, in der es
der göttlichen Offenbarung gelungen war, den Berufenen in die
bewußte und freiwillige Abhängigkeit von Gott zu bringen. Mit
„Abraham" begann hinfort eine noch weit größere Zukunft, in der
durch den Geist des Glaubens und durch die empfangene Gottes=
offenbarang auch die wogende Völkerwelt zu ihrem Heil gesegnet
werden sollte. Erst als Gesegneter konnte Abraham segnen, erst als
Gebundener an Gott wurde er Prophet.
Durch Berufung war Abraham in die Welt des Glaubens mit ihrer
Separation versetzt worden. In ihr gewinnt er jedoch die Verheißung,
daß seine Nachkommen Völkern zu einem Segen werden sollen. Je
mehr der Weg des Glaubens in ein Alleinsein mit Gott führt, desto
mehr sieht sich die Frucht des Glaubens zum Segen für die Welt
gesetzt. Jünger des Meisters sahen sich begnadigt, Zeugen innerhalb
105
der Völkerwelt zu werden. Erst Mensdien, die wie Paulus von Christo
Jesu ergriffen worden sind, haben Vollmacht, die Welt mit dem
Evangelium Christi zu erfüllen. Selbst Könige treten in Abrahams
Verheißung in Sicht. Nun hat sich zwar an keinem der späteren
Könige Israels die von Gott gegebene Verheißung in ihrem vollen
Umfange erfüllt. Das von Gott gegebene Verheißungswort wies mit=
hin prophetisch über alle Könige Israels hinaus auf den Einen, der
in den Tagen seines Fleisches in königlicher Autorität diente. In der
Reichsgottesgeschichte ist seitdem alles auf eine kommende, vollen=
dete Gottesherrschaft in Christo Jesu angelegt. Alle Heilsoffenbarung
beginnt als Erwählung in der Ewigkeit, steigt als Berufung zur Erde
hinab, zieht Menschen und Völker in ihre Erlösung hinein und endet
mit der kommenden Gottesherrschaft auf Erden.
Dem Geschehenen fügt Gott nur noch die Versicherung hinzu:
„Aber auch dich selbst werde ich im äußersten Maße fruchtbar
machen, werde dich selbst zu Völkern werden lassen, und Könige
sollen von dir stammen; und ich werde meinen Bund zwischen deinen
Nachkommen nach dir für ihre Geschlechter zum ewigen Bunde auf"
rechterhalten, dir und deinen Nachkommen nach dir Gott zu sein."
Das waren Glaubensperspektiven für die Zukunft, wie sie nur Gott
allein zu geben vermag. Von Gottes Seite wird das tiefste Wesen
des Bundes darin bestehen: „Ich will dir Gott sein" und: „Ich will
deinem Samen nach dir Gott sein." Welche Schwankungen auch im
Laufe der kommenden Zeiten eintreten mögen, welche Mächte und
Völkergruppierungen sich auch vollziehen werden, welche Versdiie=
bung in der Stellung deiner Geschlechter auch eintreten mag: „Ich"
will Israel sowohl in seinen Glanz= als auch in seinen Gerichtszeiten
Gott sein. Von meiner Seite wird sich das Volk nie verlassen sehen.
Es wird nur verlassen sein, wenn es von seiner Seite das Bundes=
Verhältnis bricht und seine Götter suchen und finden wird außer mir.
Welch eine Glaubensgewißheit und Glaubensruhe gewinnt doch
auch heute immer wieder der Mensch, sobald Gott ihm wirklich Gott
sein kann, wenn Gott ihn erquicken kann mit seinem göttlichen
Tröste in den Nächten und Stürmen des Lebens, wenn er ihn leiten
darf mitten in den Wirrnissen und Irrungen der Zeit! Wem Gott
wirklich Gott sein kann, der kommt je länger, desto tiefer auch in
106
Gott zur Ruhe. Er lernt warten, wo Gott wartet, und er wagt zu
handeln, wo Gott handelt; er segnet, wo Gott segnet, und er
schweigt, wo Gott schweigt. Wer aber erst in Gott zur Ruhe gekom=
men, kann auch andere zu derselben Ruhe führen; wer Gottes Herr=
lichkeit in dessen einzelnen Handlungen gesehen, der trägt wieder
eine Prophetenbotschaft von dem Können Gottes für alle Müden in
seiner priesterlichen Seele.
d) Das B u n d e s z e i c h e n
So klar einerseits in der Berufung und in der bisherigen Lebens*
führung Abrahams auch sichtbar wurde, daß allein Gott in allen
Glaubensangelegenheiten und Heilserlebnissen das ursächliche Sub*
jekt sein kann und der Mensch nur das empfangende Objekt bleibt,
so wurde von der göttlichen Offenbarung jedoch nie der Wille und
die freie Entscheidung des Menschen ausgeschaltet. Auch in seinem
gefallenen Zustande hat der Mensch als das Ebenbild Gottes selbst
die Wahl zwischen Leben oder Tod zu treffen. Die Offenbarung tritt
zwar mit ihrer Berufung und ihrem Evangelium an den Menschen
heran, sucht ihn durch ihren schöpferischen Geist zu begnadigen und
ihm eine höhere Kraft mitzuteilen. Sie zwingt ihn aber nie, sich
wider seinen Willen für die Erlösung zu entscheiden, die sie bringen
will. Denn solch eine Erlösung würde Knechtschaft, nicht aber Er=
lösung im Geiste der Kindschaft sein. Gott sucht aber nicht durch
seine Barmherzigkeit ein Reich von Sklaven oder Knechten zu schaf=
fen, sondern von Menschen, die im Geist der Sohnschaft rufen:
„Abba, Vater!"
Klar hatte Gott nach der Namensänderung Abrahams bekundet,
wie er sein gegebenes Bundesverhältnis sowohl an ihm als auch an
den kommenden Geschlechtern seines Samens erfüllen wolle. Diesem
„Ich, siehe was mich betrifft ..." in Vers 4 sollte nun das „Aber
auch du" von Vers 9 entsprechen. „Da sprach aber Elohim zu Abra=
harn: Aber auch du mußt meinen Bund hüten, du und dein Same
nach dir (zum Zeugnis) für ihre Geschlechter." So stark und so einzig
die große Heilszukunft einerseits auch von Gottes Bundestreue ab=
hängig sein würde, so klar und bestimmt bezeugte aber auch die
Offenbarung, daß ohne eine entsprechende Glaubenshingabe Abra=
107
hams und seines Samens an den Bund Gott das im Bunde Verheißene
nie zur Erfüllung bringen könne. Wenn der Mensch sich nicht aus
seinem fleischlichen Zustand herausheben und in einen geistlichen
versetzen läßt, kann Gott ihn niait zu einem Dolmetscher der Offen*
barung und zu einem Verwalter seiner göttlichen Geheimnisse be=
gnadigen. Dem natürlichen Menschen fehlt das Ohr für die Sprache
der Offenbarung, und es fehlt ihm der Mund, Künder der Geheim*
nisse Gottes zu sein. Ohne Glaubenshingabe Abrahams an Gottes
Bund kann nie ein Isaak nach der Verheißung und im Geiste der
Sohnschaft geboren werden.
Dieser tiefe, innerliche Vorgang des gegenseitigen Bundesverhält=
nisses sollte durch das Zeichen der Beschneidung festgehalten werden.
Das bisher nur gesprochene Wort sollte Abraham im Bundeszeichen
auch zu einem sichtbaren werden. Erlischt auch für Abrahams Ohr
die Stimme der Offenbarung, soll deren Verheißung im Bundeszei=
then dauernd weiterreden. Sie soll die Hoffnung und Erwartung in
Abraham lebendig erhalten, daß Gottes freiwilliger Heilsratschluß
in seinem Leben und im Leben seiner Nachkommen Erfüllung wer=
den wird.
Denn nicht etwa Gott bedurfte dieses Bundeszeichens, sondern
Abraham, der Mensch, dem es um seiner Schwachheit willen zur
Stärkung seines Vertrauens gegeben wurde. Es war nicht die Be=
schneidung, durch die Gott sich bestimmen ließ, treu zu seiner Ver=
heißung zu stehen. Durch sie sollte aber Abraham seine innerlich
vollzogene Hingabe an die ihm gewordene Verheißung bekunden.
Nicht der Akt der Beschneidung selbst war diese Hingabe, sie konnte
nur ein äußerliches Zeichen derselben sein. Die Hingabe war viel=
mehr ein innerlicher Glaubensvorgang. Geistliche Zustände des In=
nenlebens können niemals vom Menschen durch symbolische Hand*
hingen gewonnen werden. Wohl Symbol, niemals Wesen der Hin=
gäbe konnte mithin die Beschneidung sein. Es ist daher ganz ver=
ständlich, daß spätere Zeiten in der Geschichte der Geschlechter Abra=
hams, die nicht mehr im Geiste und in der Glaubenshingabe Abra=
hams lebten, das Symbol zum Wesen erhoben. Was ihnen durch die
Tradition von ihren Vätern überliefert werden konnte, das war die
äußere Handlung, nicht aber der innerliche Vorgang. Glaubenserleb=
108
nisse können zwar von der Tradition bezeugt, niemals aber über=
tragen oder vererbt werden. Leider ist das auch von der Kirche des
Neuen Bundes allzuoft vergessen worden. Man kann auch ein Be=
schnittener sein, ohne in der Glaubenshingabe Abrahams an die
empfangene Bundesoffenbarung zu leben.
Um das Wesen dieser Hingabe als einen innerlichen Vorgang und
Akt des Glaubens noch etwas tiefer zu verstehen, müssen wir auf
die eigentliche Sprache dieses Bundeszeichens etwas näher eingehen.
„Dies ist mein Bund, den ihr hüten sollt zwischen mir und euch und
deinem Samen nach dir: Beschnitten soll bei euch jeder Männliche
werden, so daß ihr beschnitten werdet an dem Fleische eurer Vorhaut
und dies zum Bundeszeichen werde zwischen mir und euch." Die
hebräische Wurzel, aus der der Begriff Beschneidung gebildet ist,
heißt nicht bloß „schneiden" oder „beschneiden", sondern drückt in
verbaler Form ein „Entgegentreten", ein „Einschränken" aus. Der
Sinn des äußerlichen Beschneidens ist innerliche Einschränkung, Be=
grenzung, sittliche Zucht. Vorhaut am Fleische bezeichnet nun jenen
Zustand, wo der Mensch nicht den Gegenstand beherrscht, über den
zu herrschen er berufen ist. Jedes Menschen eigentliche Bestimmung
ist, daß nicht das Fleisch mit seinen Neigungen, Trieben, Anlagen
herrsche über den Geist, sondern sein Geist herrsche über das
Fleisch. Ein rein natürliches Instinktleben führt das Tier. Es findet
darin sein Glück, seine Existenz und seine Zukunft. Niemals jedoch
der Mensch! Sobald bei ihm das Fleisch mit den ihm innewohnenden
Trieben herrscht, leidet seine geistige Persönlichkeit. Sein Leben und
seine Zukunft werden entsittlicht und entheiligt. Nicht Herr, nur
Diener seines Geistes sollen beim Menschen alle Anlagen, Kräfte und
Neigungen seines Leibes sein.
„Das Fleisch eurer Vorhaut" bezeichnet mithin einen innerlichen
Zustand, in dem der Mensch nicht die Herrschaft über seinen Leib
hat. In solch einem Zustande konnte Abraham aber nicht der Vater
eines Isaak und die geistige Vaterschaft der wogenden Menge der
Völker werden. Geistige und sittliche Kräfte zur Erhaltung und Be°
fruchtung der Völker können nur von geistigen und sittlichen Per*
sönlichkeiten ausgehen. Das Fleisch kennt in seinen Trieben nur die
Mittelbarkeit und ist daher unfähig für den Empfang der unmittel*
109
baren Kräfte und Energien Gottes. Der Geist des Menschen dagegen
kann empfänglich sein für göttliche Einwirkungen und vermag sich
abhängig machen zu lassen von der göttlichen Offenbarung und
deren höheren Lebensenergien. Daher kann der Leib zwar Diener,
jedoch niemals Herr des geistlichen Menschen, Tempel, niemals aber
Herr des Tempels sein.
Unterstellt der Geist sich nun bewußt der Offenbarung Gottes,
dann hebt er auch den Leib aus seiner Abhängigkeit von seinem rein
triebhaften Naturzustand heraus und stellt ihn mit in die Abhängig=
keit von Gott. So fließt aus einem Gott geheiligten Geistesleben dann
auch ein entsprechend geheiligtes Leibesleben. Nicht vernichtet,
durch den Geist geheiligt sollen die Kräfte und Fähigkeiten des
Leibes werden. Mithin wollte Gott auch dem Abraham durch das
Bundeszeichen der Beschneidung nahelegen, daß ein in der Glaubens=
hingäbe an Gott vollzogenes Geistesleben sich nur äußern könne
durch ein entsprechend geheiligtes Leibesleben. Im Geiste Gott und
mit dem Leibe dem Teufel dienen — das gibt keine Väter des Glau=
bens und keine Erben der Verheißung.
Das war für Abraham das Bundeszeichen der Beschneidung.
Diese Sprache hat Abraham ganz gewiß nicht von jenen Nachbar=
Völkern erhalten, von denen man annimmt, daß sie schon vor Abra=
harn die Beschneidung gepflegt haben. Was sie dem Glauben Abra=
hams sein sollte, war sie jedenfalls diesen Völkern nicht. Die Offen*
barung erhob die äußerliche Handlung zum Bundeszeichen eines vor=
angegangenen inneren Vorgangs: die nur innerlich zu erlebende
Hingabe des Glaubens an Gott sollte nach außen bezeugt werden
durch die Beschneidung der Vorhaut am Heische. Zu einer Sprache
des Glaubens können mithin Symbole nur dann werden, wenn hinter
ihnen die Hingabe des Glaubens an die göttliche Offenbarung steht.
e) Die B u n d e s v e r h e i ß u n g
Gottes Gnadenbund mit Abraham soll das Siegel der gegebenen
Verheißung sein. Durch Erwählung und Berufung hat Gott seine
Hand auf Abrahams Leben und auf das seiner zukünftigen Ge=
schlechter gelegt, und als Bundeszeichen soll die Beschneidung dienen.
Sie soll als ein sichtbar gemachtes Wort, als ein „verbum visibile"
110
den Nachkommen dauernd künden, daß Gott das ganze Volk als
sein Eigentum beansprucht. Es soll dem Herrn der Lebensraum inner=
halb der Geschichte sein, um von da aus mit seinem Heil zu den
Völkern kommen zu können. Denn das Bundeszeichen soll sich nicht
etwa nur auf Abraham als den ursprünglichen Empfänger der Ver=
heißung beschränken. Als Besdineidung soll dieses sichtbar gemachte
Wort reden von Geschlecht zu Geschlecht. Schon als Kind soll alles
Männliche beschnitten werden, mithin in die dem Abraham gegebene
Bundesverheißung mit einbezogen werden. Alle Geschlechter aus
dem Samen Abrahams sollen zu allen Zeiten wissen, zu welch einer
Berufung auch sie in Abraham erwählt worden sind, und welch eine
Glaubensstellung der Inhalt auch ihres Lebens werden soll. Es bleibt
für alle Zeiten ein Gnadenbund, ein Geschenk der Barmherzigkeit.
Daher durfte das Bundeszeichen bereits am Kinde vollzogen werden.
Er umschloß alle Geschlechter und alle Zukunft. Es bedurfte nicht
eines Verdienstes, um in ihn einzutreten. Er verlangte nur eine glau=
bensvolle Hingabe, sobald der israelitische Mensch zu solch einer
Bejahung des Bundes fähig war. Entzog man sich solch einer Hin»
gäbe, dann verlor man den Segen, der mit dem Ja des Glaubens ver=
bunden war. Ablehnung des Bundeszeichens kam daher gleich einer
Ablehnung der Bundesverheißung und der damit verbundenen Bun=
desverfassung.
Nach diesem Bundesschluß erfolgte nun auch die Namensände=
rung Sarais. Wie durch eine solche die prophetische Aufgabe Abra=
hams festgehalten werden sollte, so auch durch den neuen Namen
„Sarah". Es sprach Elohim ferner zu Abraham: „Dein Weib Sarai
sollst du nicht Sarai nennen; denn Sarah ist ihr Name."
Die Deutungen des Namens sind schwankend. König bemerkt:
„Der Sinn (Fürstliche oder Fürstin) blieb derselbe. Nur konnte er in
der neuen Form klarer ins Bewußtsein treten." Andre erklären den
Unterschied beider Namen dahin, daß „Sarai" eine PronominalbiU
dung sei und „meine Fürstin" heiße, d. h. daß sie allein für Abra=
harn, ihren Gatten, eine Bedeutung hätte; „Sarah" sei jedoch eine
Nominalbildung und bedeute „Fürstin" schlechthin; mithin sollte
durch diese Namensänderung angedeutet werden, zu welch einer Be=
deutung Sarai als Sarah für die Allgemeinheit werden sollte.
111
Nach dieser Namensänderung wiederholt der Herr auch der Sarah
den Segen, den er zuvor mit der Namensänderung Abrahams ver=
bunden hatte. „Idi werde sie segnen und habe dir auch, schon von
ihr einen Sohn bestimmt. Idi werde sie segnen, sie wird zu Völkern
werden, Könige der Völker werden von ihr werden." Der Zusam=
menhang des hier Mitgeteilten betont sehr stark, daß nicht von
irgendeiner Frau, die dazu bereit wäre, dem Abraham ein Isaak als
Sohn der göttlichen Verheißung geboren werden konnte. Dies könne
allein von dem Weibe geschehen, das sich in dasselbe Bundesver=
hältnis zu Gott hineinziehen ließe, in dem auch Abraham lebte.
Einen Ismael kann Abraham auch mit einer Hagar zeugen; ein Isaak
kann ihm aber nur von der Sarah geboren werden.
Gottes Verheißung an Sarah enthielt jedoch etwas, das Abraham
so überraschte, daß „er auf sein Angesidit fiel und ladite; und er sagte
in seinem Herzen: Sollte einem Hundertjährigen nodi geboren wer*
den oder Sarah, eine Neunzigjährige, gebären?" Obgleich Abraham
auch diesmal sich der göttlichen Offenbarung unterwarf und auf sein
Angesicht niederfiel — begreifen und verstehen konnte er den Inhalt
der Offenbarung nicht. Es erschien ihm einfach lächerlich, daß Sarah
als Neunzigjährige noch gebären sollte. Und als Gott in späterer Zeit
dieselbe Verheißung wiederholte, da lachte auch Sarah. Es kann der
Mensdi mithin in einem ganz bestimmten Bundesverhältnis zu Gott
stehen und es dodi für unmöglich halten, wenn Gott beginnt, seine
Bundesverheißungen praktisch zur Erfüllung zu bringen. So bewußt
man sich auch zu dem Können Gottes bekennt — geht dies jedoch
über alles bisher Erfahrungsmäßige hinaus, dann lacht auch ein
Abraham, obgleich er vor Gott auf seinem Angesichte liegt.
Letzthin hat sich in diesem Lachen, d. h. in dem Namen Isaak für
alle Zeiten nur das verewigt, was die kommende Geschichte Israels
ausmachen würde. Nicht nur Isaak, der ganze Anfang des jüdischen
Volkes ist lächerlich: seine Geschichte, seine Erwartungen, seine Hoff=
nungen; „sein von diesen Hoffnungen getragenes ganzes Leben
erscheint dem nur die gewöhnlichen, natürlichen Kausalitätsverhält=
nisse berechnenden Verstand als die ungeheuerlichste, lächerlichste
Prätention. Sie wird nur vernünftig, ja sie gewinnt den allerhöchsten
berechtigten Ernst, wenn sie die erste und höchste Kausalität aller
112
Kausalitäten, wenn sie das tief eingreifende, frei allmächtige Wollen
und frei allmächtige Vollbringen eines frei allmächtigen Gottes zur
Basis der Beurteilung nimmt."
Im Lichte der völkergeschichtlichen Entwicklung blieb jedes neue
Werden dieses Volkes eine völlig unerklärliche Lächerlichkeit. Auch
Abrahams Glaube verstand zunächst nicht, sich auf diese Gottesmög=
lichkeit einzustellen, und er sprach daher: „Möchte doch Ismael vor
deinem Angesichte leben! Da sprach Elohim: Nicht so, deine Frau
Sarah gebiert dir einen Sohn, und den sollst du Isaak nennen. Mit
ihm (allein) werde ich mein Bündnis aufrechterhalten zu einem
ewigen Bündnis für seinen Samen nach ihm."
Wie schwer vermag doch der Mensch, selbst wenn er in einem
so bewußten Glaubensverhältnis zu Gott steht wie Abraham, das
loszulassen, was Gott nicht rechtfertigen und nicht in seine Verhei=
ßung hineinziehen kann! Auch Abraham begriff immer noch nicht,
daß Erbe und Träger der göttlichen Verheißungen nur ein Sohn sein
könne, der in demselben Geiste des Glaubens und der Hingabe vor
Gott wandeln würde, wie er selbst es bisher getan hatte. Gott wußte
aber, daß Ismael sich auch als Sohn Abrahams diesem Geiste nie
erschließen würde. Daher konnte er nie Erbe der großen Mission
Abrahams und Träger der göttlichen Offenbarung für die Zukunft
werden. Göttliche Werte können der Welt zu ihrem Heil nur durch
ein göttliches Leben vermittelt werden. Im Blick auf die göttliche
Berufung Abrahams blieb Ismael daher der Verworfene und wurde
nie Erbe derselben Berufung.
Was Ismael als Sohn Abrahams jedoch miterleben konnte, das
war der rein äußerliche Segen. Daher sprach der Herr auch im Blick
auf Ismael: „Was aber Ismael betrifft, habe ich dich erhört. Siehe,
ich habe ihn bereits gesegnet und werde ihn fruchtbar machen und
ihn im Übermaß vermehren; zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich
werde ihn zu einem großen Volke bestimmen. Meinen Bund jedoch
werde ich mit Isaak aufrechterhalten, den dir Sarah zu dieser Zeit
im nächsten Jahre gebären wird." Insoweit es Gott möglich war,
zog er auch Ismael in die Segnungen Abrahams hinein. Bundeserbe
konnte jedoch allein ein Isaak sein. Das hat die spätere Gesinnung
dieser beiden Söhne Abrahams und die geschichtliche Entwicklung
113
ihrer Nachkommenschaft sehr klar bestätigt. Gott wußte, warum er
Ismael niemals für eine geschichtliche Aufgabe erwählen könne, für
die Isaak sich jedoch würde begnadigen lassen.
Daß Abrahams Niederfallen vor dem Angesichte des Herrn nicht
nur eine äußerliche, formale Handlung gewesen war, das bewies er
nun durch seinen Glaubensgehorsam. Nachdem er die Offenbarung
über die Beschneidung und deren Bedeutung als bleibendes Bundes*
zeichen empfangen hatte, ging er hin und tat, was Gott ihm auf=
getragen hatte. Glaubenshingabe an die göttliche Offenbarung äußert
sich im praktischen Leben als Glaubensgehorsam.
114
mittein sollte, entsprechender Natur sein. War er bis zu Gott gekom=
men, so sollte er andere wiederum bis zu Gott führen. Hatte die
Offenbarung zu ihm sprechen können, so sollte er der Zeuge und
Dolmetscher dieser Offenbarung an die Welt sein. Konnte die Offen=
barung erst einzelne in das Heil und in das Licht Gottes hinein*
ziehen, so suchte sie stets von diesen aus mit ihrem Segen das Ganze
zu erfassen. „Der Herr, Herr redet, und wer wird niait Prophet
sein1?"
Nach der Beschneidung, die Abraham an sich, an seinem Sohne
Ismael und an seinen Knechten vollzogen hatte, saß er eines Tages
vor dem Eingang seines Zeltes, als der Tag glühte. „Da ward Jahve
ihm sichtbar unter den Bäumen Mamres; während er vor der Tür
seines Zeltes saß ... hob er seine Augen auf und sah — und siehe
da — drei Männer auf ihn gerichtet stillestehen. Und als er es sah,
lief er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen, bückte sich zur Erde
und sprach: Mein Herr, falls ich Gnade in deinen Augen gefunden
habe, so entziehe dich doch nicht deinem Diener!" Es entsprach der
Frömmigkeit und den herrschenden Rechtsbegriffen der damaligen
Zeit, daß Fremdlinge auf ihren Wegen freundlich in die Zelte der
herumziehenden und nomadisierenden Herdenfürsten aufgenommen
wurden. Es ist verständlich, daß solch eine Aufnahme eine besondere
Wohltat für Fremdlinge bedeutete, die dürstend und ermattet an
ruhenden Zelten vorbeikamen. Auch Abraham nahm solche vorbei»
eilenden Männer auf, ohne zu ahnen, daß er himmlische Boten, ja
den Herrn selbst aufnehmen durfte.
Wer wie Abraham den inneren Kontakt mit Gott gefunden hat
und wer wie er vor dem Herrn zu wandeln sucht, für den bedarf es
keiner besonderen Gelegenheiten, keiner heiligen Orte, um Gott neu
in seiner Offenbarung zu erleben. Denn nicht etwa heilige Stätten
heiligen den Menschen und vermitteln ihm Gottes Gegenwart und
Offenbarung, sondern heilige Menschen heiligen durch ihr Sein und
Leben jeden Ort zu einer Stätte göttlicher Nähe und Offenbarung.
Auch der Eingang ihres Zeltes wird ihnen zu einer Stätte der Begeg=
nung mit Gott und des priesterlichen Dienstes. Von seinem Zelt aus
gewann Abraham eine Begegnung mit Gott, und während der Mit«
1
Arnos 3, 8b.
115
tagshitze wurde er bekannt mit dem Gottesgericht, das sich Sodom
und Gomorra nahte. Gottes Liàit und Gottes Nähe waren in ihrer
Offenbarung immer unabhängig von Raum und Zeit, und zwar für
Menschen, deren Leben zu einem Lebensraum für Gott geworden war.
Diese Erkenntnis ist von wesentlicher Bedeutung zum Verständ=
nis jedes wahren Prophetentums. Es gehörte niemals in das Gebiet
der Schwärmerei, der Ekstase, des rein Visionären, der mystischen
Versenkung. Wo Verwandtes auch bei den biblischen Propheten in
die Erscheinung trat, war es immer das rein Menschliche, .das vom
Propheten mit in die Offenbarung hineingezogen wurde. An sich
hatte es aber mit dem Wesen des Prophetseins nichts zu tun. Man
hat sich leider durch solche Begleiterscheinungen, wie sie da und dort
von den biblischen Propheten berichtet werden, irreleiten lassen und
sie als zum Wesen des Prophetseins gehörig bezeichnet. Nicht nur
in jüdisch=philosophischen/ sondern auch in manchen christlichen
Kreisen ist man oft zu der Vorstellung gelangt, als ob „zur Gottes»
Offenbarung räumliche und geistige Abstraktion, Vereinsamung des
Menschen und des Gedankens führe. Und doch, welche Kluft liegt
zwischen all dem und der wirklichen, wahrhaftigen Prophétie! Nicht
der abstrakte Gedanke, das frisch pulsierende, Gott treue Leben ge=
winnt die Gottesnähe/'
So wurde auch Abraham zu einem Gottespropheten mitten in
seinem Alltagsleben. Am Eingang seines Zeltes, bei der Aufnahme
von Fremdlingen, am Tage, wo die Sonne glühte: „da ward Gott
ihm siditbar." Zwar ist Gottes Gegenwart überall, sie wird nur nicht
von jedem geschaut, sein Reden wird nicht von jedem vernommen.
Das war ja das Neue, das Gottes Offenbarung bei Abraham bisher
schaffen konnte, daß er ein Auge gewann für Gottes Gegenwart und
ein Ohr für das Reden Gottes. Er sah mitten im alltäglichen Leben,
was andere nicht sahen; er hörte, was andere nicht hörten. Es ist
zwar nicht anzunehmen, daß Abraham in den drei Männern gleich
den Herrn erkannte. Sie galten ihm zunächst als Fremdlinge, denen
er eine Rast in seinen Zelten während der schwülen Mittagshitze
gewähren wollte. Seine Separation des Glaubens hatte ihn niemals
bestimmt, seine Zelte dem Nächsten zu verschließen. Sein Wandel
mit Gott hatte ihn nie dazu geführt, den Fremdling etwa zu ver=
116
achten. Wer erst Ehrfurcht vor Gott gewinnt, der gewinnt auch
Achtung vor dem Nächsten und öffnet ihm Zelt und Seele, um ihm
zu dienen. Und wie oft geschah es, daß wir zunächst nur Menschen
unsere Zelte öffneten, hernach aber durch sie Gott selbst zu uns
redete! Wir beherbergten Fremdlinge und erlebten bei deren Auf=
nähme Gottes Gegenwart.
Als sich die Fremdlinge bereit erklärten, unter den schattigen
Bäumen bei Mamre zu ruhen, wo Abrahams Zelte noch immer stan=
den, da holte Abraham Wasser für ihre Füße, lief ins Zelt Sarahs
und ließ Kuchen backen, richtete ein schönes Mahl zu und setzte es
seinen Gästen vor. „Er aber stand bei ihnen unter dem Baume, und
sie aßen. Da sprachen sie zu ihm: ,Wo ist Sarah, deine Frau?' Er
erwiderte: ,Siehe, im Zelte!' Darauf sagte er: ,Gerade wie diese
lebendige Zeit (wiederkehrt), so kehre ich zu dir wieder, und siehe,
dann hat Sarah, deine Frau, einen Sohn!' Sarah aber hörte alles am
Eingang des Zeltes; dieser aber war hinter ihm." Redet Gott, so
spricht er immer zur Lage. Erscheint er, so lichtet sich Gegenwart
und Zukunft. Sarah soll im kommenden Jahre in den Mittelpunkt
der Glaubenswege Abrahams treten. Daher fragt der geheimnisvolle
Besuch: „Wo ist Sarah?" Durch sie will Gott um ein Jahr Verheißenes
Erfüllung werden lassen. Heute ist sie zunächst nur Abrahams Weib,
um ein Jahr wird sie eines Sohnes Mutter sein.
Da lachte Sarah in ihrem Innern; denn wie sollte ihr im Alter
das gewährt werden, was ihr in ihrer Jugendkraft von der Natur
versagt worden war? So bewußt sich der Glaube auch der ihm wer=
denden Offenbarung unterwirft, in ihrer Erfüllung zu fassen vermag
er sie erst, wenn Isaak tatsächlich geboren ist. Verständlich, daß in
Sarah das Natürlich=Menschliche gegen das Wunder erwachte, das
zwar als eine schöpferische Tat Gottes vom Glauben geglaubt werden
konnte, angesichts des Alters Sarahs jedoch unvorstellbar war. Goff
kennt kein Wunder. Er kennt nur ein souveränes Handeln, zwar
nicht wider die Natur, jedoch über die zeitlichen Gesetze der Natur
hinaus. Ein Glaube, der bereit ist, sich auf Gottes schöpferisches Tun
einzustellen, erlebt alsdann Gottes schöpferisches Handeln als ein
Wunder. Denn alles, was der Mensch in seiner Ohnmacht der Ver=
heißung gegenüber zu tun vermag, ist allein, daß er sich Gott als
117
Gefäß hergibt, damit Gott zu seiner Zeit vollbringe, was dem Men»
sehen zu tun für immer unmöglich bleibt. „Ist denn Gott Jahve etwas
zu wunderbar? Zur bestimmten Zeit kehre ich zu dir wie diese leben=
dige Zeit zurück, und dann hat Sarah einen Sohn", war die Antwort
des Fremdlings auf Sarahs Lachen. Und wie oft wurde auch unserem
Glauben eine bereits empfangene Verheißung mit noch größerer Be=
stimmtheit und Klarheit gegeben, wenn Gott sah, daß unser Lachen
nicht aus prinzipiellem Widerspruch unseres Herzens gegen seine
Offenbarung, sondern aus Mangel an Verständnis für deren Erfül=
lung floß!
b) Die W e l t S o d o m s
„Da erhoben sich die Männer von dort und senkten ihren Blick
auf die Gegend von Sodom. Abraham ging noch mit ihnen, sie zu
geleiten. Und Jahve sagte: Sollte ich Abraham unenthüllt lassen,
was ich tue? Abraham soll ja auch zu einem großen und mächtigen
Volke werden, und alle Volker der Erde sollen durch dieses gesegnet
werden. Denn ich habe ja nur deshalb mein Augenmerk auf ihn
gerichtet, damit er seine Kinder und sein Haus nach sich verpflichte,
daß sie den Weg Jahves innehalten, Gerechtigkeit und Rechtsbestim=
mungen zu üben, damit Jahve über Abraham bringe, was er über
ihn ausgesprochen."
Von der Glaubenswelt Abrahams wandten sich die drei Männer
um zur sündenbelasteten Welt Sodoms. Ihr galt ja ihre eigentliche
Mission. In welch einem Gegensatz mit dem von ihnen soeben
Durchlebten lag Sodoms Welt vor ihnen! Sahen sie bei Abraham
alles ausreifen zum Empfang eines Isaak und für die zukünftige
Erfüllung gegebener Verheißungen, so war hier alles reif für ein
nicht mehr aufzuhaltendes Gericht. Dies konnte auch Abraham nicht
unenthüllt bleiben. Nicht, um ihn zu warnen vor dem Geist und der
Gesinnung Sodoms und Gomorras — er lebte bereits im prinzipiellen
Gegensatz zu sodomitischer Gesinnung und sodomitischer Lebens»
haltung. Wer im Geiste des Glaubens und vor dem Angesichte El
Schaddais (d. h. des allmächtigen Gottes) wandelt, bedarf es nicht,
durch den Untergang der Welt vor dem Geist der Welt gewarnt
zu werden.
118
Bisher hatte Gott Abraham von Fall zu Fall in seine Heilsoffen=
barung hineingezogen. Ihn kann er jetzt auch hineinziehen in seine
Gerichtsoffenbarung. Sein Glaube wird angesichts des Gerichts nicht
zerbrechen, nicht irre werden an Gottes Barmherzigkeit, wenn er
auch Gottes souveränes Walten im Gerichte sieht. Je tiefer sich der
Glaube in die Gemeinschaft mit Gott hineingezogen sieht, um so
tiefer erfaßt er auch die letzten Motive, durch die Gottes Handlungen
bestimmt werden. Scheinbar sich widersprechende Handlungen Got=
tes innerhalb der Geschichte sind ihm nicht auch Widersprüche oder
Spannungen in Gott selbst. Die Offenbarung seiner Liebe und das
Walten seiner Gerechtigkeit fließen ihm aus ein und derselben Quelle.
Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern er will, daß er sich
bekehre und lebe. Daher steigt auch hier Gott herab, „um zu sehen,
ob das Geschrei über Sodom und Gomorra" wirklich so groß sei, daß
deren Untergang zu einer moralischen und geschichtlichen Notwen=
digkeit geworden sei.
Gerade die Überfülle des Naturreichtums der Jordanebene hatte
es möglich gemacht, daß hier die Sünde und Widergesetzlichkeit am
ersten zum Gericht des Ganzen ausreifen konnten. Schon als Lot sich
in der Talebene niederließ und seine Zelte bis nach Sodom hin auf=
schlug, waren die Leute „böse und leichtsinnig Gott gegenüber über
alles Maß''. Ihren Handlungen fehlte jedes sittliche Prinzip, ihre
Schlechtigkeit war das Ausmaß des Möglichen geworden, ihr Leben
war die Verkörperung der durch Gewalt geschützten individuellen
und gesellschaftlichen Selbstsucht. Infolge ihres Reichtums und ihrer
Fülle hatten sich ihre moralische Gesunkenheit und ihre gesellschaft=
liehe Üppigkeit entfaltet. Dank ihrer Stärke waren sie hart, lieblos
und rücksichtslos geworden; die Frucht ihrer Gesetzlosigkeit war,
daß sittenlose Freiheit und tierische Gemeinheit als öffentliches Recht
herrschten. Zu einer inneren Hebung hatten auch der Überfall Kedor=
Laomers und Abrahams Glaubenstat nichts mehr beigetragen. Das
Leben Sodoms und Gomorras hatte einen Tiefstand erlangt, wo es
unempfänglich für jede Warnung geworden war.
Diese Welt Sodoms und die seiner Nachbarstädte lag vor den
Blicken der Fremdlinge. Bevor sie nun ihre letzte Mission an ihr
zu erfüllen hatten, sollte auch Abraham noch einmal darauf geführt
119
werden, von welch einem ganz anderen Charakter, Inhalt und Be=
Stimmung seine Welt und deren Zukunft sein solle. Was Abraham
aus seinem Umgang mit Gott seinem Hause und seinen Kindern
für alle Zeiten hinterlassen soll, wird im stärksten Gegensatz zu dem
stehen, was sich in der Welt Sodoms vollendet hatte. Er wird seine
Kinder und sein Haus nach ihm verpflichten, Gottes Wege zu hüten
und Gerechtigkeit und Rechtsordnungen zu pflegen. Nur auf dieser
Grundlage wird es Gott möglich sein, auch in den kommenden
Zeiten alle Bundesverheißungen zur Erfüllung zu bringen.
Der Glaube vermag zwar nicht „Gottes Wege" zu machen, er
vermag sie aber innezuhalten, dem von Gott empfangenen Lichte
entsprechend auf ihnen zu wandeln. Denn Gott geht seinen Weg
und läßt sich durch keine Zeitströmungen und Machtmittel, die wider
ihn sind, seine göttlichen Ziele verrücken. Der Glaube weiß, daß
Gottes Wege gerecht und heilig sind. Daher bittet er mit dem Psal=
misten: „Setze meine Tritte in deine Fußstapfen, damit (auch) mein
Gang nicht wankend sei1!" Er fürchtet sich, Gott vorauszueilen, da
ja dann doch nur ein Ismael geboren wird. Er fürchtet sich aber auch,
hinter Gott zurückzubleiben und Gottes Stunde zu versäumen. Im
Bewußtsein seiner Ohnmacht in allen göttlichen Dingen möchte er
in steter Abhängigkeit von Gott bleiben. Er sucht zu ruhen, wo Gott
ruht; zu handeln, wo Gott handelt; zu schweigen, wo Gott schweigt;
zu reden, wo Gott redet. Gerade diese Abhängigkeit des Glaubens
von den erkannten Wegen seines Gottes stellt den Menschen des
Glaubens aber nicht selten in einen offenen Gegensatz zu der Welt
seiner Umgebung, die ihre eigenen Wege wandelt und sich durch
ihren eigenen Geist in ihren Wünschen und Zielen bestimmen läßt.
Lebt aber der Mensch in solch einem Geist des Glaubens, dann
gestaltet sich sein Leben praktisch zu einer bewußten Pflege von
„Gerechtigkeit" und zu einem praktischen Wandel in göttlichen
Rechtsbestimmungen. Aus solch einem lauteren Wandel vor Gott
kann alsdann auch ein Leben geboren werden, das in einem sitten=
reinen und gerechten Verhältnis zum Nächsten steht. Das war ja
das große Gottesevangelium, das bereits schon die Thora enthielt,
daß sie durch ihre Gesetze immer zunächst das Verhältnis des Men'
* Ps. 17,5.
120
sehen zu Gott zu regeln suchte und alsdann auch das Verhältnis des
Menschen zum Menschen ordnete. Wer Gott fürchtet, ehrt auch den
Nächsten. Wessen Geist offen ist für Gottes Offenbarung, dessen
Seele verschließt sich nicht gegen die Not seines Bruders. Eine soziale
Zukunft kann daher nur ein Volk haben, das aus seinem Verhältnis
zu Gott heraus göttliche Gerechtigkeit und sittliche Rechtsordnungen
pflegt, welche die Grundlage für jeden öffentlichen Verkehr von
Mensch zu Mensch sind. Ein Geschlecht, das sittlich zugrunde geht,
die nackteste Selbstsucht durch staatliche Rechte heiligt und jede
zuchtlose Sinnlichkeit zur öffentlichen Moral erhebt, vermag keine
soziale und menschenwürdige Zukunft zu schaffen. Es ist die Ge=
rechtigkeit der Weltgeschichte, daß in ihrem Verlauf immer wieder
alles im Gericht zusammenbrach und unterging, was sich in seinem
Aufbau, in seinen Wünschen und in seinen Zielen löste von den
Grundlagen der sittlichen Gerechtigkeit und deren sozialen Rechts*
bestimmungen.
Daß Abraham seine Kinder und sein Haus nach ihm verpflichte,
auf dem Wege Gottes zu bleiben, Gerechtigkeit und Rechtsgrund=
sätze zu pflegen, das bewog den Herrn, sein besonderes Augenmerk
auch bei dieser Gelegenheit auf ihn zu richten und ihn erneut auf
seine große Sendung aufmerksam zu machen. Sollte doch seine Mis=
sion dazu beitragen, daß in seinen Nachkommen ein Volk in Sicht
trete, das sich in seiner Existenz und Zukunft von höheren Gesetzes=
bestimmungen getragen und begnadet sah, als sie in Sodom und
Gomorra gepflegt wurden. Die Zukunft von Abrahams Volk konnte
nicht in der Welt Sodoms, sie konnte allein in der Welt des Glau=
bens liegen.
c) A b r a h a m s p r i e s t e r l i c h e F ü r b i t t e
In Rechtsbüchern Sodoms suchte die Menschheit bisher vergeblich
nach jenem gesellschaftlichen und staatlichen Evangelium, das ihr
dauernd eine Zukunft zu geben vermochte. Dieses Evangelium wurde
erst sichtbar in dem Gnadenbunde, den Abraham als Offenbarung
empfangen und seinen Geschlechtern zu vererben hatte. Die sittliche
und soziale Zukunft der Menschheit kann nur von Menschen gelöst
werden, die nicht durch äußere Verwaltungsmaßregeln und Juris=
121
diktionen, nidit durdi Weltersdiütterungen und Revolutionen die
Zukunft gewinnen wollen. Erst Persönlichkeiten, die den Mensdien
vor Gott stellen, ihm Gottes Gerechtigkeit zur Norm des sittlichen
Lebens und Gottes Rechtsordnungen zur Grundlage für den Verkehr
mit Volk und Staat machen, geben der Menschheit die Grundlage
einer bleibenden Zukunft.
Nachdem dies dem Abraham, der seine scheidenden Gäste
begleitete, nochmals enthüllt worden war, sprach Jahve zu ihm:
„Wenngleich das Geschrei Über Sodom und Gomorra bereits groß
ist und ihre Versündigung sehr schwer lastet, so will ich doch noch
hinabsteigen und sehen, ob das Geschrei des Geschreis bereits eine
Vernichtung erwirkt hat; wenn nicht, will ich einzelne erkennen/'
Dieses Wort gehört zum Schönsten und Tiefsten jener Stellen des
Alten Testaments, die das wunderbare Zusammenwirken von Gericht
und Gnade andeuten. Gottes Stunde für die Gerichtskatastrophen
J n der Geschichte kann immer erst dann kommen, wenn Gottes
Mittel zur Abwendung der Gerichte erschöpft sind. Noch einmal soll
der Besuch Sodom und Gomorra gelten, noch eine letzte Gelegenheit
zum Erwachen soll den von ihrer Sinnlichkeit, Üppigkeit und Kultur»
Seligkeit Trunkenen gegeben werden. Vielleicht, so drückt sich die
göttliche Barmherzigkeit in menschlicher Sprache aus, entsprechen
das Geschrei über die sozialen Verbrechen und die Kunde von der
sittlichen Fäulnis des öffentlichen Lebens doch nicht der Haltung des
ganzen Volkes, so daß eine Rettung noch möglich ist. Gott in seinem
souveränen Walten richtet nicht etwa um des Gerichts willen. Die
Gerichte der göttlichen Gerechtigkeit sind immer sittlich fundiert,
sind immer ein Sprechen Gottes zur geschichtlichen Lage.
Um dieses zu untersuchen, steigt der, der alles wëitë, und vor
dessen Augen nichts verborgen bleibt, in seinen zwei Boten in die
Talebene von Sodom und Gomorra hinab. Diese Sendung geschah
gewiß nicht, damit ihm durch sie erst die richtige Kunde über den
wahren Zustand Sodoms und Gomorras werde. In diesem Besuche
sollte sich aber offenbaren, ob sich Sodoms und Gomorras Volk noch
zu einer inneren Wendung entschließen könne oder nicht. Wenn ja,
so „zoili ich gern einzelne erkennen", d. h. die einzelnen bestrafen,
damit das Ganze vor weiterer Zersetzung und Vernichtung bewahrt
122
bleibe. Wenn jedoch nein, so muß ich das Gericht gewähren lassen,
das sich als letzte Frucht von Sodoms Leben auswirken will. Denn
eines Tages empört sich selbst die Natur gegen tierische Gemeinheit
und sodomitische Lasterhaftigkeit, und der Boden selbst speit seine
entarteten Bewohner aus.
Diese Worte, die soeben sein Ohr vernommen, hatten in Abra=
hams Seele ein entsprechendes Mitleid geweckt, wie das göttliche,
aus dem sie geflossen waren. Während zwei der Boten sich nach
Sodom begaben, blieb Abraham vor dem Herrn stehen. Gott hatte
aus seiner Barmherzigkeit heraus über Sodom mit Abraham, seinem
Freunde, geredet. Nun muß dieser in verwandter Liebe über dasselbe
Sodom mit Gott reden. So sehr es auch aus dem nun Mitgeteilten
den Anschein hatte, als ob die Barmherzigkeit des Vermittlers, d. h.
Abrahams, größer wäre als die des Allmächtigen, so floß dessen
Fürbitte doch einzig und allein aus jener Liebe, die zuvor auch in
Abrahams Seele eine verwandte Liebe geweckt hatte. Jede heilige
Vermittlung zwischen Mensch und Gott war niemals größer als die
Liebe Gottes, die zunächst eine solche Vermittlung der Liebe weckte.
Alles wahre Mittlerrum, in welcher Form es auch vor Gott trat, um
Menschen vor dem Gericht zu bewahren, floß immer aus dem Herzen
Gottes.
Wohl nie hätte auch Abraham die Freimütigkeit und den Inhalt
für seine priesterliche Fürbitte gefunden, wenn sie nicht durch die
Sprache Gottes und deren Offenbarung in seiner Seele geweckt wor»
den wäre. Zwei Möglichkeiten der kommenden Gerichtskatastrophen
hatte Abraham aus dem Worte Gottes herausgehört. Entweder
„völlige Vernichtung'7 oder „Bestrafung der Schuldigen beim Fort=
bestand des Ganzen". Da ringt sein priesterliches Mitleid nach einer
Form und findet zuletzt den Ausdruck in einer sechsmal wiederholten
Fürbitte, die sich nach jeder Zusage Gottes mit neuer Kühnheit an
den Gott aller Barmherzigkeit wendet.
„Da trat Abraham hin und sprach: Solltest du denn auch mit in
den Untergang hineinreißen den Gerechten mit den Schuldigen? Vieh
leicht sind fünfzig Gerechte inmitten der Stadt, solltest du da die
mitstrafen wollen und nicht der Gegend verzeihen zum Besten der
fünfzig Gerechten, die sich in ihr befinden?" In diesen Worten ver*
123
körperte sich zunädist, was Gottes Offenbarung in Abrahams ge=
rechter Seele gezeugt hatte. Gott wußte, von weldi entscheidender
Bedeutung es für Abraham selbst sein würde, wenn sein Wort und
Geist in ihm das wecken konnten, was in seinem eigenen Gottes=
herzen lebte. Eine priesterliche Gesinnung, wie sie in Abrahams Für=
bitte Fleisch wurde, ist nur ein Beweis, wie sehr Gott Abraham in
die Mitarbeit seines eigenen Geistes hineinzuziehen suchte. Konnte
die zukünftige Mission Abrahams doch nur darin bestehen, Mit=
arbeiter Gottes zu sein, d. h. das an die Welt weiterzugeben, was
Gott selbst an Heil für die Welt in seinem Herzen trug. Das war je
und je wahres Prophetentum, wenn durch den Propheten das Herz
Gottes sprach..
Wenn Abraham nun fragte, ob der Herr wirklich die Gerechten
mit den Schuldigen in den Untergang hineinreißen wolle, so lag
dieser Frage niemals der Gedanke zugrunde, als ob Gott zu ungerecht
sein könne, die Gerechten mit dem gleichen Gericht zu bestrafen,
dem die Gottlosen anheimfallen mußten. Wie oft haben zwar auch
Gerechte das Gericht der Ungerechten mit durchleben müssen, wie
Noah das Flutgericht! Sie durchlebten als Gerechte aber die Gerichte
immer anders, als die Welt sie durchlebte. Wer zuvor innerlich dem
entrückt war, was zum Gericht führte, für den bedeutete es vielfach
weit mehr Erlösung als Gericht. Gerechte können ein Weltgericht
durchleben und doch nicht gerichtet werden. Es war gewiß auch bei
Abraham nicht Zweifel an Gottes Gerechtigkeit, was ihn bewog,
diese Frage an den Herrn zu richten. Denn er sagte: „Zu töten den
Gerechten mit dem Schuldigen, daß der Gerechte wie der Schuldige
sei, ein solches zu tun, das — weiß ich — wäre Entweihung dir. EnU
weihung wäre es dir; wie sollte der Richter der ganzen Erde nicht
Recht ausüben!" (V. 25.)
Wenn wir den Geist der Fürbitte Abrahams richtig verstehen,
dann lag doch der Schwerpunkt in der Frage: „Solltest du nicht der
Gegend verzeihen zum Besten der fünfzig Gerechten?" Denn finden
sich in der Stadt noch fünfzig Gerechte, die der Geist der Zeit noch
nicht anstecken konnte, die bisher auch in ihrer ganz anderen Gei=
stesrichtung und Lebenseinstellung geduldet wurden, die noch nicht
mit untergegangen waren im Strudel des öffentlichen Sündenlebens,
124
sollte dann das Maß der Sünden der ganzen Stadt bereits so voll
sein, daß du sie samt den Gerechten untergehen läßt? Ließe nicht
gerade das Vorhandensein der fünfzig Gerechten die Hoffnung zu,
daß sie mit ihrem Einfluß eines Tages doch so stark sein könnten,
die ganze Stadt vor einem völligen Untergang zu bewahren? Denn
Abraham konnte sich keine Gerechten denken, die nicht all ihren
Einfluß aufbieten sollten, der Stadt, in der sie wohnten, so zu dienen,
daß sie vor ihrem Untergang bewahrt bliebe.
„Da sprach Jahve: Finde ich in Sodom fünfzig Gerechte inmitten
der Stadt, so verzeihe ich der ganzen Gegend um ihretwillen." Wie
verstand Gott durch die ganze Zwiesprache dem Abraham zum Be=
wußtsein zu bringen, daß seine Gerichte niemals Willkürakte, nie
Härten sind, die zugelassen werden, wo noch ein Rest berechtigter
Hoffnung ist, daß die Gerechten inmitten einer sodomitischen Ent=
artung dem Ganzen zum Heil werden dienen können! Nein, sind
fünfzig Gerechte mitten in Sodom noch nicht untergegangen, dann
ist auch für Gott noch nicht die Möglichkeit verloren, durch die fünf=
zig zu dem ganzen Volke zu kommen, um es durch seine Einwirkun=
gen zur Buße zu führen. Es ist alsdann für ihn noch nicht die Stunde
gekommen, sich völlig zurückzuziehen und die Stadt ihrem eigenen
Geiste und ihrem Schicksal zu überlassen.
Als Abraham sah, daß der Herr auf seine Bitten einging, „dingt
er von der Zahl fünfzig fünf und wieder fünf und dann zehn und
wieder zehn und noch einmal zehn herunter, so daß Jehovah zusagt,
Sodom, sofern auch nur zehn Gerechte sich darin finden, nicht zu
verderben". Abraham ging in seiner Fürbitte bis an die Grenze, die
Gott es noch möglich machte, seine Hilfe dem Ganzen werden zu
lassen. Findet er auch nur zehn Gerechte in der Stadt, so will er doch
durch diese zehn die Stadt weiter so zu beeinflussen suchen, daß ihre
Zukunft ihr nicht zum Verderben, sondern zum Leben gereichen
möge. So groß diese Freimütigkeit Abrahams vor Gott einerseits
auch war, so fühlte er andrerseits doch den vollen Abstand zwischen
sich und Gott. „Siehe", spricht er, „ich habe nun einmal angefangen,
zu meinem Herrn zu reden, und ich bin doch Staub und Asche!"
Je freimütiger der Umgang der Gerechten mit Gott wurde, je offener
sie über das Weh ihrer Zeit mit Gott redeten, desto tiefer kam ihnen
125
ihre eigene Nichtigkeit und Unwürdigkeit zum Bewußtsein. Männer,
die wie Elia und Jeremia im öffentlichen Leben und im Kampf mit
der Welt als unerschrockene und unbeugsame Persönlichkeiten stan=
den, an denen sich alle feindlichen Wellen brechen mußten, lagen in
ihrer Ohnmacht im Staub, wenn sie im Allerheiligsten die Nöte ihres
Volkes mit Gott besprachen.
Aber so sehr der Mensch, der den inneren Umgang mit Gott
gefunden hat, auch „Staub und Asche" ist, so lebt in ihm dennoch
ein Leben, das unendlich mehr als nur „Staub und Asche" ist. Durch
Gottes Offenbarung selbst ist in ihm ein Leben, ein Mitleid, ein
Rechtsempfinden, eine Freimütigkeit gewirkt worden, in denen er es
wagt, vor Gott zu treten. Als solch eine Persönlichkeit stand auch
Abraham vor dem Herrn und redete mit ihm nicht über eine Not
seiner Seele oder seiner Zelte und Herden, sondern über die Mög=
Iichkeit der Rettung Sodoms und Gomorras. Wer wie Abraham für
eine Weltmission berufen worden ist, lernt mehr und mehr auch ein
Weltweh auf seinem Herzen zu tragen. Die Welt öffentlich zu segnen
vermag nur, wer im Verborgenen für die Welt beten kann. Wahrer
Prophetendienst floß daher immer aus einer mitleidenden Priester*
und Prophetenseele und begann mit einem der Welt verborgenen
Stehenbleiben vor dem Herrn.
126
Mensch an Göttlichem oder Widergöttlichem, an Gerichtsstoffen oder
an Ewigkeitswerten in sich trug. Weltgerichte waren daher immer
letzte Auswirkungen jener Kulturschöpfungen, die zuvor aus der
Seele der Völker geboren wurden. Als solche wurden sie von ihnen
großgezogen und als ihr alleiniges Heil bis zu dem Augenblick ge*
pflegt und angebetet, wo sie sich von den eigenen Schöpfungen ver=
schlungen sahen. Das ist ja das Geheimnis aller Gerichte, daß sie
sich in den kritischen Augenblicken der Geschichte aus einem bis=
herigen scheinbaren Segen plötzlich in einen unerwarteten Fluch ver=
wandelten.
Dem Wesen nach gilt das auch von Sodoms und Gomorras Unter»
gang. Wenn auch die letzte Katastrophe durch gewaltige und erschüt=
ternde Naturereignisse herbeigeführt wurde, das Gericht als solches
war im Leben von Sodoms und Gomorras Volk begründet. Und doch
wurden etliche Seelen gerettet: Lot und seine Töchter.
a) L o t s S i t z e n im T o r e S o d o m s
Nachdem die beiden Engel um den Abend von den Zelten Abra=
hams gen Sodom kamen, „saß Lot im Tore Sodoms. Als Lot sie sah,
stand er auf, ging ihnen entgegen und bückte sich mit dem Angesicht
zur Erde und sprach: ,Sehet doch, meine Herren, kehret doch zum
Hause eures Dieners, übernachtet und waschet eure Füße; ihr steht
dann frühe auf und zieht eures Weges.' Sie aber sprachen: ,Nein,
wir wollen auf der Straße übernachten.' " Mit diesem hohen Besuch
wird der biblische Bericht über Sodoms und Gomorras Untergang
eingeleitet. Die erste Begegnung, welche die beiden Boten Gottes in
Sodom hatten, war die mit Lot, der um die Abendzeit noch im Tore
der Stadt saß.
Dieses Sitzen Lots im Tore der Stadt zeigte, welch ein öffentliches
Vertrauen er bereits innerhalb der Bürgerschaft Sodoms genoß. War
doch in jenen Zeiten das Tor nicht etwa der Sitz der gewöhnlichen
Bürger, es war das öffentliche Forum des Rechts und des staatlichen
Lebens. Im Tore saßen die Könige, Richter und die ersten Würden=
träger1 der Stadt, von denen das Volk seine Rechtsentscheidungen
und seine Leitung erwartete. Was dem einzelnen Familiengliede die
1
Vgl. 2. Sam. 15, 2ff.;19, 9; Jer. 39, 7; Ruth 4, 1 ff.
127
Familie ist, das sollte das Tor den Bürgern der Stadt sein. „Im Tor
soll jeder einzelne das finden, was ihm fehlt: die Waise ihren Vater,
der Vereinsamte seine Brüder, der Blinde sein Auge, der Elende seine
Hilfe", die Übervorteilten ihr Recht, die Streitenden ihren Frieden.
Wie Lot zu dieser Ehrenstellung in Sodom gelangt war, teilt uns
die biblische Überlieferung nicht mit. Wenn Sodom je und je einmal
auf ihren ersten Posten Raum auch für die „Gerechten" hatte, so
geschah es in der Regel um einen hohen Preis. Nur wenn Gottes
Auserwählte erst selbst Welt wurden und ihre Prophetenmission, zu
der sie berufen worden waren, verloren, fürchteten die Bürger
Sodoms sich nicht mehr, auch Lot einen Ehrenplatz im Tor ihrer
Stadt zu gewähren. Schweigt Lot erst als Prophet zu Sodoms Sünden,
dann kann er eines Tages auch zum Volke Sodoms als Richter reden.
Nachdem sein Leben aufgehört hat, ein unbestechliches Gewissen
inmitten der herrschenden Staatsmoral zu sein, laßt auch Sodoms
Volk sich Lots Rechtsprechung gefallen. Denn wer erst angesichts
widergöttlicher Weltsitten die innere Separation des Glaubens verlor,
dem bot sich gar bald auch die Gelegenheit zur öffentlichen Weltver=
mählung. Und wahrscheinlich ist Lot diesen Weg gegangen. Die
Weisen Israels nehmen einfach an, daß Lot zu all der tierischen
Versunkenheit und zu der zu Recht bestehenden sodomitischen
Volksmoräl geschwiegen hat, so daß man ihn sogar zum Richter
über die Bürger der Stadt gemacht hatte.
Denn daß Sodom Lot in seiner allgemeinen Not gerufen hätte,
ist auf Grund der Schilderung des Gesamtzustandes Sodoms nicht
anzunehmen. Es hat zwar später in der Geschichte öfter Zeiten ge=
geben, wo die Welt in ihrer Not die Gerechten suchte und fand und
ihnen in schicksalsschwerer Stunde die höchsten Dienste anvertraute.
Man suchte sie nicht, weil die Gerechten ihr Zeugnis und ihr Gewis=
sen verloren hatten, sondern weil sie beides besaßen und man daher
von ihnen jene Rettung erwartete, die man sich selbst nicht mehr
zu geben vermochte. So kam es, daß Männer wie Joseph, Daniel,
Nehemia u. a. in die höchsten Dienste der Staaten ihrer Zeit gezogen
wurden, wo sie gerade infolge ihrer klaren Einstellung zu Gott in
einer Weise zum Segen des Ganzen wirken konnten, wie es ihnen
ohne eine solche hohe Beamtenstellung nie möglich gewesen wäre.
128
Wie oft ist dasselbe später auch im Lauf der christlichen Jahrtausende
geschehen, und zwar bis in unsere jüngste Zeit hinein!
Lot war jedenfalls aber nicht infolge allgemeiner Not und innerer
Ratlosigkeit der Bürger Sodoms zum Richter ihrer Stadt berufen
worden, sondern weil sie in dem öffentlichen Verhalten Lots und
dem ihrigen keinen Unterschied mehr gefunden hatten. So sehr Lot
innerlich auch unter manchen Erscheinungen des öffentlichen Lebens
gelitten haben mag, äußerlich hatte er sich ganz dem herrschenden
Geistesleben angeschlossen. Trotz seiner hohen Ehrenstellung hatte
er sich unfähig erwiesen, im öffentlichen Leben eine Wandlung zum
Guten herbeizuführen. Lot besaß zwar noch göttliches Leben genug,
daß er selbst im entscheidenden Augenblick errettet werden konnte.
Er besaß aber nicht mehr die Kraft, die Städte vor dem Untergang
zu bewahren. Um selbst wie ein Brand ans dem Feuer errettet zu
werden, genügt es, ein Lot zu sein; wer aber auch andere retten und
ihnen zum Segen werden will, muß ein Abraham werden. Laue haben
nie die Welt warm gemacht, innerlich gebrochene Persönlichkeiten
haben nie die Sprache zum Heil ihrer Zeit gefunden.
b) S o d o m s V e r h a l t e n den F r e m d e n g e g e n ü b e r
Daß in Lot noch etwas vom Geiste Abrahams lebte, zeigte die
freundliche Aufnahme, die er den beiden Gottesboten bereitete. Zwar
blieb er bei der Bewirtung der Gäste allein. Selbst die eigenen Fami=
lienglieder konnten von ihm nicht in seinen Dienst hineingezogen
werden. Die Beweglichkeit in der Gastfreundschaft, wie sie sich in
den Zelten Abrahams zeigte, suchen wir vergeblich im Hause Lots.
Während die Aufnahme der Fremdlinge in die Zelte Abrahams den
Eindruck machte, daß aus allen Schritten und Handlungen die Wärme
des Herzens, der reine Dienst der Liebe, die tiefe Hochachtung dem
Fremden gegenüber flössen, fehlten diese anmutigen Züge bei der
Aufnahme durch Lot. Der höheren Sitte entsprechend handelte auch
er korrekt und freundschaftlich. Dem Ganzen fehlte jedoch der Hauch
heiliger Gesinnung, die Weihe einer mit Gott wandelnden Persön=
lichkeit.
Der biblische Bericht erzählt uns nun, wie die den Staat ver=
tretenden Bürger diese Aufnahme der Fremdlinge durch Lot beurteil*
129
ten. „Kaum wollten sie sich (d. h. die beiden Gottesboten) nieder«
legen, so hatten die Männer der Stadt, die Männer von Sodom sich,
um das Haus zusammengetan, von jung und alt, das ganze Volk,
von jedem Ende und riefen Lot zu und sagten ihm: ,Wo sind die
Männer, die diese Nacht zu dir gekommen; gib sie uns heraus, daß
wir sie erkennen!'" Soeben war durch eine Handlung etwas von
dem Geiste Abrahams im Leben Lots offenbar geworden, und als=
bald darnach erfolgte der einmütige Protest Sodoms. „Es war nicht
etwa fremdes Gesindel, es waren Einheimische, und zwar die den
Staat vertretenden Bürger, die dem unerhörten Angriff auf die alten
herkömmlichen Gesetze und Gerechtsame der Stadt entgegentraten."
Audi die Welt kennt eine Einheit des Geistes, sobald die gemein=
samen Interessen ihrer Bürger auf dem Spiele stehen. Unter Sodoms
Volk waren die Jungen und Alten, die Hohen und Niedrigen, „das
ganze Volk von jedem Ende" vertreten, als es galt, den Angriff
Lots abzuwehren, um die zur Macht gewordene Staatsmoral zu retten.
Die Ausübung der Gastfreundschaft Lots Fremden gegenüber war
nämlich etwas so Unerhörtes und der herrschenden Volkssitte gegen-
über solch ein politisches Verbrechen, daß sich alle von einer Ver=
geltungspsychose gepackt sahen, die vor keinem Mittel zurück*
schreckte. „Wo sind die Männer, die diese Nacht zu dir gekommen;
gib sie heraus —/" Das war die einheitliche, von der dämonischen
Leidenschaft eines Volkes getragene Forderung. „Wir wollen sie
erkennen", d. h. sie der Entehrung und Schande preisgeben.
Das ist die Welt in ihrer Reife. Gott wollte den Bürgern Sodoms
eine letzte Gelegenheit bieten, um durch die beiden Boten eine Be=
gegnung mit ihm zu haben. Er suchte noch einmal den Weg zum
Herzen des Volkes zu finden, um es vor dem Untergang zu bewahren
und ihm eine neue Lebensrichtung zu geben. Auch Sodoms Bürgern
gegenüber bewies sich Gott als der Vater der Barmherzigkeit, der
sie als seine Söhne und Töchter nicht verloren hatte, wenn diese
innerlich auch fern vom Vaterhause und in den Leidenschaften ihrer
Sünde lebten. Trotz ihrer Schuld und Bosheit erhob er dennoch An=
spruch auf ihr Leben, das sein Ebenbild trug. Sodoms Bürger aber
reiften an diesem letzten Versuch Gottes aus zu einer letzten Tat.
Sie wollten in den Fremdlingen niàit Gott begegnen, zwangen viel=
130
mehr Gott, daß er durch die Boten in ihren ganzen unheilbaren Zu-
stand und in ihre moralische Verkommenheit hinabsteigen mußte.
Eine letzte Gelegenheit zur Entscheidung für Gott machten sie zu
einer Entscheidung wider Gott. Wahrlich, wiederum nur ein kleiner
Ausschnitt aus der Geschichte! Wie beleuchtet er aber blitzartig die
großen antigöttlichen Entscheidungen, die in der Weltgeschichte
immer wieder getroffen wurden! Bereits Sodoms Verhalten den Boten
Gottes gegenüber wies daher prophetisch hin auf jene weltgeschicht=
liehe Stunde, wo man in Jerusalem in Jesus, dem Propheten von
Nazareth, Gott selbst verwarf. Und bis heute verwarf die Welt be=
wüßt oder unbewußt von Fall zu Fall jene Kirche, durch die Gott zu
ihr kommen wollte, um ihr Leben für sich zu erlösen.
Nun verstehen wir das bereits Bemerkte, daß mit dem Besuch
der Boten Gottes der letzte Versuch verbunden war, zu erkennen,
ob Sodoms Bürger zu einer sittlichen Sinnesänderung noch fähig
wären oder nicht. Sodoms Volk fand Gelegenheit, seine innerliche
Reife an moralischer Verderbtheit und Fäulnis offen zu bekunden.
Es benutzte daher diese letzte Gelegenheit, jede höhere Moral den
schutzlosen Fremden gegenüber zu verleugnen. Man sah seine Zu=
kunft und den Bestand des öffentlichen Volks= und Staatslebens nur
in der weiteren Pflege der Unmenschlichkeit und in dem Ausleben
viehischer Wollust jedem Fremden gegenüber. So zeigte sich, welch
eine Höhe und allgemeine Ausdehnung das Verderben in Sodom
erreicht hatte. Man suchte vergeblich nach den zehn Gerechten, mit
denen man noch hätte die Hoffnung verbinden können, daß sie als
„Salz der Erde" das Ganze vor einer völligen Fäulnis und Zersetzung
hätten bewahren können.
In Lot sprach zwar noch eine schwache Gewissensstimme zum
Volk, sie sprach aber vergebens. Denn „Lot ging zu ihnen hinaus
zum Eingang, die Tür hatte er aber hinter sich geschlossen, und
sprach: ,Handelt doch niait, meine Brüder, so schlecht!' " Dies war
der letzte Appell an Sodoms Bürger. Innerlich war die Entscheidung
aber bereits gefallen. Nun mußte sie auch äußerlich fallen. Selbst das
Opfer, das Lot in der Preisgabe seiner zwei Töchter zu bringen
bereit war, nützte nichts mehr. Man schritt zur Tat. Die versammel=
ten Bürger sprachen:/, ,Rückt weiter hinan!' und sprachen ferner:
131
,Der eine ist zum Aufenthalt gekommen und hat sich da schon zum
Richter aufgeworfen. Nun, dir wollen wir noch Übleres tun als
ihnen/ Da drängten sie mit aller Gewalt in den Mann, in Lot, und
rückten hinan, die Tür zu erbrechen." Man hatte die Wahrheit ver=
worfen, nun verwarf man auch den Träger der Wahrheit. Das war
je und je die letzte Tat, die ein Volk in seiner Ausreifung zum
Gericht vollzog. Wer erst nicht mehr die Sprache jener Wahrheit zu
ertragen vermag, die das öffentliche Leben und die herrschende
Volksmoral zu richten wagt, der kennt gegen den Träger der Wahr=
heit nur noch die brutale Gewalt. Von Kains Brudermord an bis in
unsere jüngsten Tage hinein ist die Welt nie einen anderen Weg
gegangen. Sie schuf dem Gerechten das Kreuz, sich selbst aber das
Gericht. Erschlug man aber erst im Bruder das redende Gewissen,
dann trug man hinfort das Brandmal des Fluches und des Todes
auf dem Antlitz seines Lebens. Anstelle des Gewissens redete dann
das Gericht.
c) L o t s R e t t u n g
Lot rettete sich nicht, er wurde gerettet, und zwar durch das
Eingreifen jener Boten Gottes, die er im Geiste Abrahams in sein
Haus aufgenommen hatte. „Da streckten die Männer ihre Hand
hinaus und brachten Lot zu sich ins Haus, die Tür hatten sie aber
geschlossen. Und die Leute, welche am Eingang des Hauses sich
befanden, hatten sie von klein bis groß mit Blindheit geschlagen;
sie mühten sich vergebens ab, den Eingang zu finden." Das war je
und je das Geheimnisvolle in der Geschichte, daß Gott die herrschende
Gewalt, sobald sie sich in den Dienst der Brutalität stellte, mit Blind=
heit schlug. Welche Dummheiten und Verrücktheiten sind nicht von
den mächtigsten Regierungen im Lauf der Geschichte zur Beschleu=
nigung ihres eigenen Untergangs begangen worden, wenn Gott sie
erst um ihrer Ungerechtigkeit willen preisgegeben hatte! Daß dies
so war, darin lag das Heil der Zukunft. Wäre es anders gewesen,
dann hätte eines Tages die brutalste Gewalt über die ganze Welt
geherrscht und sie in ihr Gericht hineingezogen. Eintretende Blind"
heit einer bestehenden Macht leitete noch immer den Anfang ihres
Untergangs ein.
132
Gottes Boten wollten aber nicht nur Lot allein in die Rettung
aus dem Untergang Sodoms hineinziehen. Sie suchten auch jene zu
erfassen, die bisher unter dem Einfluß Lots gestanden hatten. Daher
sprachen sie zu Lot: „Wen hast du sonst nodi hier? Schwiegersohn,
deine Söhne und Töchter und alle, die in der Stadt dir angehören —
führe sie aus der Gegend heraus!" Mit dieser Aufforderung zogen
die Fremdlinge den Kreis so groß, wie es ihnen nur möglich war. An
der Rettung sollten alle Anteil haben, die sich durch das Wort Lots
würden bestimmen lassen. Dieser Kreis war jedoch sehr klein. Wohl
hatte sich Lot durch Sodoms Reichtum segnen lassen, aber er hatte
nicht auf Grund seiner reichen Erfahrungen an der Seite Abrahams
Sodom gesegnet. Und als er nun mit der Botschaft zu seinen Eidamen
hinaustrat, die seine Töchter geheiratet hatten, und sprach: „ Machet
euch auf und gehet aus dieser Gegend hinaus; denn Jahve vernichtet
die Stadt', da war er wie ein Spaßmacher in den Augen seiner
Schwiegersöhne." So wertete man die Worte eines Lot, der in der
letzten Stunde Prophet sein wollte, aber im Leben nicht Prophet
gewesen war. So ernst die Augenblicke und die Botschaft auch waren,
selbst von Lots Eidamen wurde Lots Dienst nur als ein Scherz auf=
genommen. Und war es später in der Geschichte und selbst im Dienst
der Kirche Christi je anders? Mag eine Kirche im letzten Augenblick
noch wie ein Gottesprophet reden, hat sie aber bis dahin als ein
Gottesprophet geschwiegen, wird sie in den Augen ihres Volkes
trotz des Ernstes der Stunde wie ein „Spaßmacher" erscheinen und
den Untergang ihres Volkes miterleben. Hat sie sich nicht durch ihr
Leben das Vertrauen ihrer Zeit erworben, dann glaubt man ihr auch
nicht in der Stunde der Not, so wahr ihre Botschaft auch immer
sein mag.
Lots Mission blieb vergeblich; selbst in seinem eigenen Hause
löste sie keinen Entschluß aus. Am nächsten Morgen „drängten die
Engel in Lot: ,Auf fetzt, nimm deine Frau und deine beiden Töchter,
die bei dir sind; du könntest sonst mit hineingerissen werden in die
Sünde der Stadt.' Und da er noch zögerte, ergriffen die Männer ihn,
seine Frau und seine beiden Töchter bei der Hand; da fahve sich
über ihn erbarmte, führten sie ihn hinaus und ließen ihn außerhalb
der Stadt." So gestaltete sich selbst Lots Rettung fast zu einem Ge=
133
waltakt. Ihm fehlte der innere Gehorsam des Glaubens, den wir bei
Abraham nach jeder empfangenen Gottesoffenbarung finden. Abra=
harn ließ sich in den einzelnen Entscheidungen und Handlungen
seines Lebens bestimmen durch die ihm werdende Offenbarung.
Daher floß sein Leben aus dem Innern heraus, wurde getragen durch
den freien Entschluß seines Willens. Lot zögerte, obgleich die Boten
Gottes drängten. Er mußte durch das Eingreifen der Engel in seinem
Entschluß und Handeln bestimmt werden, wenn er nicht in der
nahenden Katastrophe umkommen sollte. Wie oft mußte Gott in
seinem Erbarmen im Leben einzelner in irgendeiner Form hart ein=
greifen, um sie im letzten Augenblick noch vor dem Verderben retten
zu können!
d) Das S c h i c k s a l v o n Lots W e i b
Wie verhängnisvoll es aber werden kann, wenn die Errettung
nicht mit der freiwilligen Hingabe des Menschen verbunden ist, das
sehen wir an Lots Weib. Die Boten hatten ausdrücklich gesagt, nach=
dem sie Lot, sein Weib und seine beiden Töchter, die noch im Hause
waren, aus der Stadt geführt hatten: „Jetzt rette dich selbst! Schau
niait zurück! Steh nicht still in der ganzen Gegend!" Sie nannten
Lot auch die Richtung, wohin er fliehen sollte: „Zum Gebirge hinan
rette dich!" Als er sich jedoch anstatt des Gebirges die Stadt Zoar
als Zufluchtsort erbat, wurde er auch in diesem Wunsche erhört. Da
schaute aber seine Frau hinter sich und „ward zu einer Salzsäule".
Gewiß war es für sie als Mutter schwer, Kinder und Enkelkinder in
Sodom zurückzulassen. Sie hatte aber ihre Kinder in Sodom verloren,
längst bevor sie in Sodoms Gericht mit untergingen. So wurden die
zurückgelassenen Kinder und die zurückgelassene Habe für Lots
Weib im letzten Augenblick noch zum Verhängnis. Die Rettung aus
dem Gericht der Welt ist in der Regel mit einem Ernst verbunden,
der keine Kompromisse mit der Welt zuläßt: entweder völlige Lösung
von Sodom oder Untergang mit Sodom! So schwer es auch war, Kin=
der und Habe zurückzulassen, jetzt konnte auch das Zurückbleiben
der Mutter Kinder und Habe nicht mehr retten. Weltgerichte können
ungemein hart, konsequent und unerbittlich sein.
Das war die erschütternde Tragik, die selbst noch mit der Ret=
134
rung Lots verbunden war. Alles ging in Sodom unter, nur er selbst
mit seinen zwei Töchtern sah sich wie ein Brand aus dem Feuer
errettet. Der Ertrag eines ganzen Lebens, der Gewinn aller Segnun=
gen an der Seite eines Abraham, das Glück seines bisherigen Fami=
lienlebens — alles ging verloren in jener Welt, in der Lot für
immer seine Zukunft zu finden glaubte. Sodom wurde zur Wüste, die
Jordanaue zum Salzmeer. Ja, selbst seine zwei geretteten Töchter
wurden ihm noch zum Verhängnis. Wohl waren sie äußerlich dem
Gericht Sodoms entronnen, den Geist Sodoms hatten sie aber mit=
genommen. Ihr moralisches Vergehen, das sie mit ihrem Vater be=
gingen, zeigt, wie tief auch sie bereits mit ihrer Seele und in ihren
Lebensauffassungen in dem sodomitischen Lasterleben wurzelten
(V. 30—38). Sie empfanden offenbar keine Scham darüber, ihren
Vater trunken zu machen und sich von ihm im trunkenen Zustande
befruchten zu lassen. Die moralischen Grenzen von Erlaubtem und
Nichterlaubtem waren auch ihnen völlig verlorengegangen. Auch in
diesen entscheidenden Fragen des Lebens kannten sie nur noch den
tierischen Instinkt. So kam es, daß beide Töchter von ihrem Vater
schwanger wurden. Als die Ältere gebar, nannte sie ihren Sohn
Moab1, und als die Jüngere einen Sohn empfing, nannte sie ihn Ben=
Ammi2, der später der Stammvater der Ammoniter wurde.
Welche unabsehbaren Folgen können doch mit einer Entscheidung
der menschlichen Seele verbunden sein! Abraham entschied sich für
die göttliche Offenbarung, und mit dieser Entscheidung war für ihn
die Zukunft mit einer Weltmission verbunden. Lot entschied sich für
die gartenreiche Jordanaue, und sein Zelten bis nach Sodom hin war
für ihn und seine Familie mit der erschütterndsten Tragik seines
Lebens verbunden. Beide zogen aus, aber wie verschieden war ihre
Zukunft! Der eine war ein Wrack, das sich noch im letzten Augen=
blick aus der Brandung des Gerichts gerettet sah; der andere reifte
aus zu einem Freund Gottes und Propheten des Glaubens, der durch
sein Leben zu einem Programm und Zeugnis für alle Glaubenden
der Zukunft wurde.
1
Moab = Samen des Vaters, d. h. vom eigenen Vater erzeugt, ursprüng-
lich mit der übertragenen Bedeutung: Erwünschter, Ersehnter.
2
Ben-Ammi = Sohn meines Blutsverwandten.
135
12. Die Geburt Isaaks
1. Mose 20,1—21,21
a) A b r a h a m s V e r s a g e n in G e r a r
Nach dem erschütternden Gericht an den beiden Städten Sodom
und Gomorra mit ihrer so überaus fruchtbaren Umgegend zog Abra=
harn mit seinen Zelten weiter ins Südland. Hier ließ er sich zwischen
Kadesch und Schur nieder. Dies war eine der verkehrsärmsten und
ödesten Ortschaften im Mittagslande. Nur gelegentlidi suchte er auch
Gerar, die alte Hauptstadt der Philisterkönige, auf. Offenbar glaubte
er, dies ohne Gefahr für sich und sein Weib Sarah tun zu können.
Denn er hatte sein schweres Erlebnis in Ägypten noch nicht ver=
gessen. Auch mußte vor seiner Seele das erschütternde Ereignis
stehen, das Lot soeben in Sodom durchlebt hatte. Wahrscheinlich
glaubte Abraham aber, daß er nach all den vielen Segnungen, die
er seit seinem bitteren Erlebnis in Ägypten empfangen hatte, stark
genug sein würde, auch in Gerar leben zu können. Jede erlebte
Niederlage kann zur Warnung vor einer neuen Niederlage werden.
Wer sich jedoch über die Stimme der Warnung hinwegzusetzen sucht,
muß zu seinem Schmerz erleben, daß auch die größten Segnungen
der unmittelbaren Vergangenheit über eine neue Gefahr und Ver'
suchung nicht hinweghelfen können. Nur wer sich nach jedem Ver=
sagen des Glaubens um so abhängiger machen läßt vom Herrn, ge=
winnt die Kraft, sich auch in einer neuen Prüfungs= und Versuchungs»
stunde zu bewähren.
Bald zeigte es sich, daß Abraham in Gerar dieselbe Gefahr drohte
wie einst in Ägypten. Daß der Bericht über Abrahams Versagen in
Gerar so ähnlich ist dem, der uns sein Versagen in Ägypten erzählt,
darf uns nicht bestimmen, anzunehmen, daß es sich um ein und den=
selben Vorgang handle, der uns verschieden wiedergegeben worden
sei. Wie oft erlebte der Mensch erneut ganz verwandte Niederlagen,
sobald er nicht im Gehorsam des Glaubens blieb und seine Kraft in
Stützen sah, die nicht der Herr selbst waren! Als der Blick Abime»
lechs, des Philisterkönigs zu Gerar, auf Sarah fiel, mußte Abraham
136
wiederum von ihr sagen: „Sie ist meine Schwester"1. Als solche holte
er sie zu sich. Jedoch Gott griff auch diesmal wieder ein und rettete
Sarah. Entsprechend dem inneren Lichte, das Abimelech hatte, war
er offenbar ein gerechter und edelmütiger Fürst. Denn als Gott mit
ihm nachts im Traume um Sarahs willen sprach, antwortete er:
„Herr, wirst du denn auch ein gerechtes Volk umbringen? Hat denn
nicht er selbst gesagt: ,Sie ist meine Schwester', und hat nicht sie,
auch sie mir gesagt: ,Er ist mein Bruder'? In Unschuld meines Sinnes
und in Reinheit meiner Hände habe ich dies getan." (Kap. 20,4ff.)
Das war auch Abimelech klar, daß Sodom und Gomorra ihren Unter*
gang um ihrer Ungerechtigkeit willen erlebt hatten, und daß die
erschütternden Ereignisse ein Gottesgericht gewesen waren. Er hatte
die warnende Sprache Gottes verstanden, die im Gericht Sodoms auch
für die Nachbarstädte lag. Sodoms Gerichtssprache hatte auf ihn
einen tiefen Eindruck gemacht. Daher seine Frage: „Herr, wirst du
denn auch ein gerechtes Volk umbringen?" Er mit seiner Staats» und
Volksmoral hatte sich von dem sodomitischen Leben bewußt distan=
ziert. Im Unterschied zu Sodoms Bürgern glaubte er mit seinen
Untertanen ein gerechtes Volk zu sein.
In bezug auf Sarah, die Abimelech als Weib zu sich genommen
hatte, empfand er keine Schuld. Nach der herrschenden Sitte der Zeit
besaß er zu solch einer Handlung ein moralisches Recht. Daß der
Wert einer äußeren Handlung jedoch allein durch eine reine Gesin=
nung bedingt wird — das hatte er noch nicht erkannt. Da er sich
zu der Tat durch das bestehende Recht berechtigt sah, so hatte er
nicht nach den Motiven gefragt, aus denen seine Handlung geflossen
war. Denn eine schlechte und daher Gott mißfällige Tat wird dadurch
noch keine gerechte, wenn sie in Unschuld der Gesinnung getan
worden ist. Jede Handlung ist nur insoweit gut, als, sie im Einklang
mit dem Willen Gottes steht. So stark Abimelech sich daher auch im
1
Das war eine beabsichtigte Irreleitung. Sarah war zwar Abrahams
Schwester gewesen, bevor sie dessen Weib wurde. Die Weisen Israels nehmen
nämlich an, daß Sarah identisch mit Jiska. der Tochter des früh verstorbenen
Haran, sei, dessen Kinder nach 1. Mose 11, 31 offenbar im Hause des Groß-
vaters Tharah erzogen wurden. Somit war Sarah im Geiste seines väter-
lichen Hauses mit erzogen worden und mit Abraham in einem geschwister-
lichen Geiste herangewachsen.
137
Lichte seiner Zeit vor Gott zu rechtfertigen suchte und sein Volk
als ein „gerechtes Volk" bezeichnete, im Lichte Gottes war er nicht
gerechtfertigt. Solange ein Volk durch seine Sitten und Lebensauf=
fassungen noch solche Vorgänge heiligt, die an sich in Gottes Augen
und dem Nächsten gegenüber ein schreiendes Unrecht sind, kann es
auch nicht ein Volk von wahren Gerechten sein.
Auf Gottes Geheiß hin entließ Abimelech jedoch gleich Sarah,
und zu Abraham selbst sprach er: „Was hast du uns getan, und was
habe ich dir gesündigt, daß du über mich und mein Reich eine so
große Sünde gebracht hast? Dinge, die nicht geschehen sollten, hast
du gegen mich verübt." (Kap. 20, 9.) Es ist ungemein bitter und
demütigend, wenn eines Tages das Gewissen der Welt zarter ist als
das der Gerechten und Abimelech dem Abraham sagen muß: „Dinge,
die nicht geschehen sollten, hast du gegen mich verübt/' Weit mehr,
als man zu ahnen vermag, empfindet die Welt, was sich in dem
Verhalten der Gerechten und der Kirche Christi zu dem öffentlichen
Leben und den bestehenden Volkssitten schickt und was nicht. Wie
oft geschah es bis in unsere Tage, in Volksversammlungen und Paria*
mente hinein, daß die Welt mit ihrem rein menschlichen Empfinden
der Kirche Christi und deren Gliedern zum Gewissen werden mußte,
anstatt daß die Kirche mit ihrem Leben und Zeugnis zum Gewissen
der Welt wurdet Abraham entschuldigte sich zwar vor Abimelech
und sprach: „Ich sagte mir: es ist keine Gottesfurcht in dieser Gegend,
und man wird mich um meines Weibes willen töten." Wie falsch
hatte er Abimelech und dessen Volk in Gerar eingeschätzt! Die Folge
war, daß er selbst versagte und eines Tages eine so demütigende
Zurechtweisung durch Abimelech erfahren mußte. Sobald die Be=
rufenen aufhören, ihre Mission an der Welt zu erfüllen, hat eines
Tages die Welt eine Mission an den Berufenen zu erfüllen, so
schmerzlich und demütigend es für sie auch immer sein mag.
b) E n d l i c h d e r E r b e !
„Und Jahve hatte Sarah bedacht, wie er es gesagt, und Jahve
vollbrachte Sarah nun, wie er gesprochen." Nur Gott kann die Dinge
im Leben des Menschen so ausführen, wie er es versprochen hat.
Alles Vorgreifen und jede selbständige Handlung des Menschen
138
führte immer wieder nur zur Geburt Ismaels, nicht aber zu der des
verheißenen Isaak. Alles menschliche Eingreifen in Gottes Pläne,
jeder Einsatz eigener Kräfte, Verheißenes geschichtliche Wirklichkeit
werden zu lassen, wirkte sich immer weit mehr als Verzögerung denn
als Förderung für Gottes Gedanken und Ziele aus. Auch der Versuch
Abrahams, selbst die Spannung zwischen der empfangenen Verhei=
ßung und deren wahren Erfüllung zu durchbrechen, schuf nur neue
Hindernisse, die von Gott wieder hinweggeräumt werden mußten.
Um Verheißenes vollbringen zu können, bedarf es von Fall zu Fall
der besonderen Begnadigung von Gott aus. Sarah konnte erst emp=
fangen und gebären, als Gott sie „bedachte". In dem Ausdruck
„bedenken" liegt im Hebräischen der Sinn: jemanden in Beziehung
mit seiner eigentlichen Bestimmung setzen oder mit einem Amt oder
einer Vollmacht bekleiden. Gottes Vorsehung hatte bestimmt, daß
der Erbe Abrahams nur von der Sarah geboren werden könne. Daher
bezeichnet hier der Ausdruck „bedacht": Gottes spezielles Eingreifen
in aas bisherige unfruchtbare Leben Sarahs, um sie fähig zu machen,
die Aufgabe zu erfüllen, wozu sie durch die Verheißung berufen
worden war.
So kam es, daß auch die Unfruchtbare in ihrem Alter noch emp=
fing und dem Abraham einen Sohn schenkte, und zwar „zur be=
stimmten Zeit, welche Gott ausgesprochen hatte". Gott stand noch
nie am Ende seiner göttlichen Möglichkeiten, wenn der Mensch sich
auch längst in seinen natürlichen Kräften ausgegeben hatte. Nach den
Gesetzen des natürlichen Entstehens und Werdens hatte Gott sich in
seinem Handeln und Eingreifen in dem Leben Sarahs verspätet. Gott
entgleiten aber nicht die Möglichkeiten, wenn eine Sarah auch alt
und grau geworden ist. Er verspätet sich nie. Zur bestimmten Zeit,
die Gott ausgesprochen hatte, konnte Sarah dem Abraham einen
Isaak schenken, den sie in ihrem jugendlichen Alter ihm nicht ge=
baren konnte. Der Mensch kann Gottes Zeiten nie beschleunigen,
er kann aber die Stunde Gottes innehalten. Will er Göttliches emp=
fangen, so muß er Gottes Handeln abwarten können und in der
Hingabe an Gottes Handeln stehen.
Und doch handelt Gott wiederum nicht ohne den Menschen. Er
benutzt das Hoffnungslose und macht es zum Mittel, durch das er
139
seine Verheißung erfüllt. Isaak war nicht in dem Sinne ein Wunder=
kind, daß er ohne Zeugung durch Abraham und ohne Geburt durch
Sarah in die Zelte der auserwählten Familien eintrat. Wie oft voll*
zog sich in der Geschichte die Erfüllung des Verheißenen auf sehr
natürlichem Wege! Nicht ignorieren, sondern mit hineinziehen will
Gott den Menschen in sein göttliches Wirken. Dies kann aber nur
geschehen, wenn der Mensch Gottes Zeiten innehält. Tut er es nicht,
dann zerarbeitet er sich auch im Erstreben der höchsten Güter in der
Menge seiner eigenen Wege.
Abraham war bereits hundert Jahre alt, als ihm sein Sohn von
der Sarah geboren wurde, und er nannte ihn Isaak (d. h. „man wird
lachen") und beschnitt ihn am achten Tage, „wie ihm Gott geboten".
Sarah aber sprach nach der Geburt zu Abraham: „Ein Lachen hat
Elohim mir bereitet; wer es höret, lachet mein. Sie fügte jedoch hin*
zu: Wer hat Abraham davon ein Wort gesagt: es hat Sarah Söhne
gesäugt! Denn ich habe ihm einen Sohn für sein Alter geboren."
Steigt Gott zu seiner Stunde erst hinab in ein Leben, dann lösen sich
beim Menschen alle Spannungen seines Glaubens. Ein Erfüllen gött*
lieber Versprechungen, das dem Glauben verständlich ist, versetzt
die Welt in ein „Lachen". Da sie alles Geschehen nur nach den Ge=
setzen des natürlichen Werdens und Vergehens beurteilt, kann sie
die Geburt Isaaks in den Zelten Abrahams nicht begreifen. So groß
für Abraham und Sarah auch die Freude war, den Neugeborenen
endlich als eine Gabe Gottes empfangen zu haben — die Welt sah
sich mit der Geburt Isaaks vor neue Rätsel und Widersprüche des
Lebens gestellt. So tief sie auch das Leben begreift, so genau die
Menschen die Natur auch erforschen, so vertraut sie sich auch mit
den Kräften der Schöpfung machen, Gottes Reden und Handeln sind
für sie dauernd Paradoxien, die in ihr zwar ein Lachen, nicht aber
ein letztes Verstehen auslösen.
Wahrscheinlich drückt hier das hebräische Wort „Gelächter"
jenes „willkürliche, spottende Lachen" aus, das im Leben anderer
in der Regel ganz spontan da hervorbricht, wo bei einem Menschen
das Wollen viel größer ist als das Können, wo er den Anschein
erweckt, daß er seine Absicht nie wird verwirklichen können durch
die Tat. Durch die Geburt Isaaks bekundete Sarah, daß sie doch die
140
Absicht habe, dem Hause und dem Geiste Abrahams eine Zukunft
zu geben. Das mit Abraham begonnene Glaubens» und Geistesleben
sollte in Isaak einen Träger und eine Fortsetzung finden. Aber wie
mußte alles, was doch so eng mit der Geburt und dem späteren
Werden eines Isaak an Hoffnung und Erwartung verbunden war,
für die übrige, danebenstehende Welt als ein „Gelächter" erscheinen!
Mußte man nicht vom Standpunkt der Geschichte und des völkischen
Geschehens aus sagen, daß das Wollen und die Absichten dieser
Abraham=Familie viel größer seien, als das Vollbringen je werden
könne? Waren doch alle Hoffnungen für die Zukunft aufs engste
mit einem zarten, im hohen Alter erst geborenen Kinde verbunden.
„Ein Stoß, und die ganze Hoffnung ist auf ewig in ihrem ersten
Anfang begraben."
Aber wem von den Zeitgenossen das ganze Geschehen und die
damit verbundenen Erwartungen in der Familie Abrahams als Ge=
lächter erschienen, der sah nicht, daß Gott dieses „Gelächter" der
Sarah bereitet hatte. Gott band seine größten Dinge für die Zukunft
je und je an sehr sdiwadie und zarte Anfänge. Bereits beim ersten
Sohne eines zukünftigen Israel sollte vor aller Welt sichtbar werden,
daß es sich im Werden und Bestehen dieses Volkes nicht um welt=
historische Anmaßungen, sondern um eine Schöpfung des lebendigen
Gottes handle. Israels Sein wurde durch Gott begründet, Israels
Werden durch Gott gestaltet, Israels Zukunft durch Gott verbürgt.
Welches Gespött die Völker in ihrer Macht später auch mit diesem
Volke trieben, Israel wuchs trotz dieses Gespötts, sah sich gesegnet
trotz seiner Aussperrung, ging nicht unter trotz seiner Leiden. Und
es kommt ganz gewiß die Zeit, wo Israel einmal aufhören wird, ein
Gelächter der Völker zu sein. Wenn wieder „zur bestimmten Zeit,
weldie Gott ausgesprodien" hat, Gottes „Bedenken" beginnen wird,
dann wird der Mund Zions voll Jubel1 und die Zunge Israels voll
Rühmens sein, und unter den Völkern wird es heißen: „Der Herr
hat Großes an ihnen getan." So stark man auch innerhalb der Ge=
schichte Zions Volk zur Tränensaat zwang — „die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten".
Von dieser Heils= und Zukunftserwartung war einst die Schau
1
Ps. 126.2 ff.
141
und die Sehnsucht der Propheten erfüllt. Und was die Propheten
im Blick auf ihr Volk erflehten und herbeisehnten, ist auch Inhalt
der Eschatologie der Kirche Christi geworden. Ist Christus auch bis
heute für die Welt ein „Gelächter" geblieben, teilt auch die Kirche
selbst in ihrer geschichtlichen Erscheinung mit ihm als ihrem Haupte
dasselbe Schicksal, sie weiß, daß mit Christus ein Einbruch in die
Zeit geschehen ist, dessen Zukunft einmal eine vollendete Gottes*
herrschaft auf Erden sein wird. Mag auch noch so viel dem wider*
sprechen, der Verheißung Gottes gilt der Triumph und die Zukunft.
Daher schämt sich die Kirche dieser Zukunftserwartung nicht. Sie
zweifelt nicht an ihrer Verwirklichung. Ihre Hoffnung ist fundiert
in Gott, der über alles Erwarten des Fleisches hinaus zu seiner Stunde
einzulösen vermag, was er im Sohn und durch den Sohn ver=
heißen hat.
c) I s m a e l s A u s s t o ß u n g
Mit all der Hoffnung, die durch Gottes Verheißungen im Blick
auf den wahren Erben geweckt worden war, wurde nun Isaak von
der Liebe Abrahams und der Sarah in ihren Zelten gepflegt und
erzogen. Am Tage, da der Knabe entwöhnt war, machte Abraham
sogar seinen Knechten und Mägden ein großes Gastmahl, um allen
gegenüber der Freude Ausdruck zu geben, die er angesichts seines
Erben empfand.
Eines Tages jedoch sah Sarah „den Sohn der Ägypterin Hagar,
welchen sie dem Abraham geboren hatte, mit ihrem Sohne Gespött
treiben. Da sagte sie zu Abraham: Entlasse diese Magd und ihren
Sohn; denn es soll nicht der Sohn dieser Magd mit meinem Sohne,
mit Isaak, erben." Sarah hatte wohl, rein menschlich geurteilt, an
Hagar die schwersten Enttäuschungen erlebt. War sie es als Weib
Abrahams doch selbst gewesen, die das schwere Opfer gebracht und
Abraham die Magd gegeben hatte, damit ihr durch sie ein Sohn und
Erbe geschenkt werde. Aber seit der Stunde, wo die Ägypterin
merkte, daß sie schwanger geworden war, hatte Sarah nur Verdruß
und Herzeleid mit Hagar erlebt. Nun mußte sie außerdem noch
sehen, wie auch Ismael als halberwachsener Knabe Gespött mit Isaak
trieb. Mütterliche Leidenschaft und dunkle Vorahnung erregten
142
Sarahs Seele und ließen in ihr den Entschluß ausreifen, daß sowohl
Hagar als auch Ismael aus den Zelten Abrahams entlassen werden
müßten. Ob ihr bereits klar bewußt oder nicht, sie sah im voraus,
daß es sich, in den beiden Knaben um zwei so verschiedene Welten
für die Zukunft handle, daß sie nie auf die Dauer zusammengehen
und Träger eines gemeinsamen Erbes sein könnten. Vielleicht hatte
sie seinerzeit geglaubt, daß ihr Einfluß stark genug sein würde,
Ismael ganz im Geiste Abrahams und entsprechend den göttlichen
Verheißungen erziehen zu können. Galt Ismael doch als ihr Sohn,
wenngleich er auch von der Hagar dem Abraham geboren worden
war. Dies war ihr nicht gelungen. Auf Grund von Erziehung allein
kann Ismael nie ein Isaak und damit ein Erbe und Träger der gött=
liehen Verheißungen werden.
Im Sohne der Ägypterin rangen nämlich jene zwei ganz ver=
schiedenen Naturen, die Ismael auf Grund seiner Geburt ererbt hatte.
Das wilde und ungebundene Temperament, das im Blute der hami=
tischen Ahnen seiner Mutter lag, war offenbar das überwiegende und
beherrschende in Ismaels Verhalten und Wesen. In ihm lebte nicht
Abrahams Geist, sondern hamitischer Freiheitsdrang und Übermut.
Isaak gegenüber äußerte sich dies eines Tages in einem Gespött.
Ismael spottete, Isaak litt: zwei Typen innerhalb der Zelte Abra=
hams, die keine spätere Zeit je aus der Geschichte hinwegzuwischen
vermochte.
Es darf wohl angenommen werden, daß diese Beobachtung Sarah
in der Erkenntnis mitbestimmte, daß der Sohn dieser Magd nicht mit
Isaak zusammen Erbe der Berufung und der Aufgaben Abrahams für
die Zukunft sein könne. Wie so oft das Weib für gewisse Dinge ein
zarteres und richtigeres Vorempfinden und Verstehen hat als der
Mann, so auch hier Sarah. Daher bat sie auch Abraham: „Entlasse
diese Magd und ihren Sohn!" Im Begriff „entlassen" liegt hier nicht
nur der Sinn eines räumlichen Entfernens, „sondern ein Entlassen",
durch das hinfort jeder Zusammenhang mit dem Hause aufhört. Die
Bitte war hart; dennoch war sie die einzige Konsequenz, die aus
dem Verhalten Ismaels und auf Grund der bestehenden Verhältnisse
gezogen werden mußte. Das rechtliche Verhältnis Ismaels zum Hause
Abrahams mußte gelöst werden, damit ein freundschaftliches zu
143
Ismael für die Zukunft gerettet werden konnte. Es gibt nicht selten
Bindungen im Leben, die in Zukunft unbedingt mit einer Katastrophe
enden müssen, wenn nicht rechtzeitig ein Bruch mit ihnen vollzogen
wird. Hat Ismael erst nichts rechtlich zu fordern, so kann sich Abra*
hams Verhältnis zu ihm so freundschaftlich und freigebig wie mög=
lieh gestalten. Aber Ismaels Einfluß auf Isaak und auf die Zukunft
der Zelte Abrahams muß völlig aufgehoben werden. Das war bei
der ganzen inneren Einstellung Ismaels hier das Entscheidende. Bruch
bedeutete für die Zukunft hier weit mehr Heil als Härte; das Opfer
war nicht Verlust, sondern Gewinn.
„Die Sache mißfiel jedoch sehr in den Augen Abrahams um seines
Sohnes willen. Da sprach Elohim zu Abraham: ,Laß es in deinen
Augen nicht böse sein um den Knaben und um deine Magd, alles,
was dir Sarah sagt; gehorche ihrer Stimme, denn in Isaak wird dir
Samen genannt werden.' " Abrahams Stellung in dieser Frage ist
bezeichnend, wie schwer es auch Menschen des Glaubens werden
kann, sich innerlich von jenen fleischlichen Dingen zu lösen, die sie
in ihrer Ungeduld in den Aufbau des Reiches Gottes hineingezogen
haben. Wer festhalten will, was zunächst unbrauchbar für Gott ist,
muß eines Tages durch Gericht von dem gelöst werden, was er nicht
opfern wollte, falls er nicht selbst zugrunde gehen soll. Daher sprach
Gott auch zu Abraham: „Laß es in deinen Augen nicht böse sein!"
Mit der Frage der Lösung hing die ganze Zukunft der höheren
Berufung Abrahams zusammen. Hier war nicht das augenblickliche
Gespött Ismaels und das innerliche Gekränktsein Sarahs das Ent=
scheidende, entscheidend war die innere Gesinnung des Sohnes der
Magd und die Zukunft der Berufung Isaaks. Wenn Ismael auch
manches Materielle und Geistige von Abraham als seinem Vater
hatte, Sohn im Sinne der göttlichen Verheißung und Erbe im Sinne
der göttlichen Berufung konnte er bei seiner Gesinnung und Geistes=
richtung niemals werden.
Die Weisen Israels nehmen an, daß Gott dem Abraham sagen
wollte: „Laß es dir nicht allzuschwer und hart fallen, einen Sohn
auszuscheiden; auch von Isaak werden nicht alle deinem geistigen
Erbe verbleiben." Wie stark das in der späteren Geschichte Israels
der Fall war, davon legen alle Propheten und Apostel ein Zeugnis ab.
144
Wie sehr es sich also in der ganzen Frage um das Tiefste in der
Berufung Abrahams handelte, geht auch aus den weiteren Worten
des Herrn hervor: „Und auch den Sohn der Magd werde ich zu einem
Volke machen; denn er ist dein Same." Rein völkisch und wirtschaft=
lieh sollte auch Ismael teilhaben an dem Segen Abrahams. Von der
geistlichen Mission des Glaubens mußte er jedoch auf Grund seiner
Gesinnung ausscheiden. Damit durch seinen Einfluß nicht diese Mis=
sion auch bei Isaak für die Zukunft gefährdet werde, mußte er aus
dem rechtlichen Verband der Familie Abrahams ausgewiesen werden.
Es gibt immer wieder innere Lebensnotwendigkeiten um des Fort=
bestandes des Glaubens und des Reiches Gottes willen, die sich nicht
durch Halbheiten und durch Kompromisse lösen lassen.
Nachdem Gott gesprochen hatte, gehorchte Abraham, so schwer
es seiner Seele auch im Augenblick wurde. Er stand am nächsten
Morgen frühe auf, „nahm Brot und einen Wasserschlauch, gab's der
Hagar, legte es auf ihre Schulter, und auch das Kind, und schickte
sie fort. Sie ging und verirrte sich in der Wüste Beer=Seba." Wie
ganz anders hätte sich die fernere Zukunft Hagars und womöglich
auch die ihres Sohnes gestaltet, wenn Hagar sich als Magd im Laufe
der Zeit ganz dem Geiste in den Zelten Abrahams erschlossen hätte!
Daß ihr dazu die Gelegenheit geboten werden sollte, geht aus ihrem
Erlebnis hervor, das sie seinerzeit auf der Flucht vor Sarah gemacht
hatte. Als der Bote Gottes sie damals an einem Quell auf dem Wege
nach Schur traf, sprach er zu ihr: „Kehre zu deiner Gebieterin zurück
und demütige dich unter ihre Hände!" Wieviel Weh und Herzeleid
wäre ihr erspart geblieben, wenn im Laufe der Zeit ihre Stellung
in den Zelten Abrahams sich so gewandelt hätte, daß aus ihrer
pflichtmäßigen Unterordnung eine freiwillige Hingabe und eine
glaubensvolle Mitbeteiligung an der Berufung Abrahams erwachsen
wäre! Hätte sie in dieser Gesinnung dann auch Ismael beeinflußt
und erzogen, dann hätte vielleicht nie diese Demütigung und Ent=
rechtung für sie und ihr Kind erfolgen müssen.
Daß sie aber nur wenig vom Geiste des Glaubens in sich auf*
genommen hatte, zeigte nun ihr Verhalten in der Stunde der äußer=
sten Not. Als ihr das Wasser auf dem Wege ausging, da ging sie in
ihrer Verzweiflung hin und „warf das Kind unter ein Gewächs, ging
145
und setzte sich fern gegenüber, stài entfernend wie ein Bogenschuß;
denn sie hatte gesagt: ,lch will nicht das Sterben dieses Kindes mit
ansehen', darum setzte sie sich fern gegenüber und erhub ihre
Stimme und weinte". Das war nicht eine Tat des Glaubens, die selbst
in der Not „dennoch" dem Herrn vertraut. Es war vielmehr die
Handlung einer Seele, die jeden Halt im Leben verloren hatte, und
die darob selbst der allernächsten Mutterpflichten vergaß.
Und doch sah sie sich von Gott nicht preisgegeben. Wenn Gott
sie auch nicht in die Berufung Abrahams hineinziehen konnte, so
blieb auch sie ein Objekt seiner Barmherzigkeit und Liebe. In dieser
„hörte er die Stimme des Knaben, und ein Engel Elohims rief Hagar
vom Himmel zu und sagte zu ihr: ,Was ist dir, Hagar? Fürchte dich
nicht! Denn Elohim hat schon die Stimme des Knaben erhört, da wo
er ist. Erhebe dich, nimm den Knaben auf und kräftige deine Hand
an ihm; denn zu einem großen Volke werde ich ihn machen.' Da
öffnete Elohim ihr die Augen, und sie sah einen Wasserbrunnen.
Sie ging und füllte den Schlauch mit Wasser und tränkte den
Knaben.''
Wahrlich, wiederum leuchtet an einem kleinen, wenn auch noch
so tragischen Schicksal zweier Personen, an Mutter und Kind, das
Ende aller jener Wege in der Geschichte auf, die nicht aus dem
Glauben flössen! Das Kind, dem Untergang preisgegeben, und die
Mutter, von der Verzweiflung zerrissen, innerlich hadernd mit all
dem Erlebten in der Vergangenheit — das war die trostlose Lage der
Ägypterin und ihres Ismael, den sie dem Abraham geboren hatte.
Von der Hagar aus gab es keinen Ausweg aus dieser seelischen Nacht
und aus diesem Zusammenbruch ihres Lebens. Gott aber in seiner
Barmherzigkeit und Treue war größer als Hagars Leid und Ismaels
Sterben. „Was ist dir, Hagar?" fragte er die Ringende in der Wüste,
„Fürchte dich nicht! Gott hat die Stimme des Knaben schon gehört,
und zwar da, wo er ist." Hatte auch ein Mutterherz sich in seiner
Verzweiflung und Zukunftslosigkeit von seinem Kinde getrennt,
Gottes Ohr hatte den Schrei eines Ismael gehört. Er wußte, wo er
dem Verderben preisgegeben war. „Stehe auf, nimm den Knaben
und kräftige deine Hand an ihm!"
Auf solch einem düsteren Hintergrunde menschlicher Geschichte
146
wurde Gott sichtbar. Er gab Hagar und auch Ismael trotz ihrer Aus*
stoßung aus den Zelten Abrahams dennoch eine Zukunft. Dem Glau=
ben eröffnet sich aus dieser Begebenheit aufs neue die ganze Größe
Gottes, die da segnet, soweit sie segnen kann, und soweit der Mensch
für bestimmte Segnungen empfänglich ist. Er ließ die Irrende nicht
in ihrer Verzweiflung. Er zeigte ihr, daß sie nicht eine Verstoßene
schlechthin und ihr Kind nicht ohne Zukunft sei. Er erschloß ihren
Augen den Blick für den Brunnen, den sie in ihrem Schmerz und in
ihrer Verzagtheit nicht gesehen hatte, und ermutigte sie, ihre Mutter=
pflichten an Ismael weiter zu erfüllen. Denn am Dienst an ihrem
Kinde würden ihre eigenen Hände erstarken; im Versuch, das Kind
zu retten, würde sie sich selbst retten. Und indem sie es tat, merkte
sie bald, daß „Elohim mit dem Knaben war"; denn er wuchs auf,
wurde groß und ließ sich in der Wüste Paran nieder, wo er als
guter Bogenschütze wohl hauptsächlich von der Jagd und als freier
Sohn der Wüste lebte. Nachher nahm „seine Mutter ihm eine Frau
aus dem Lande Ägypten", und so wurden die Grundlagen für die
Zukunft der nachmaligen Stämme Ismaels geschaffen.
a) Das B e k e n n t n i s A b i m e l e c h s
So stark nun beides, die Offenbarung Gottes und die Hingabe
des Glaubens, auch innerliche Vorgänge zwischen Gott und dem
Menschen sind, das Ergebnis wird Leben und tritt als solches in die
147
Geschichte. Es kann niemals verborgen bleiben. Wenn Gott mit uns
ist und wir mit Gott sind, so ist das immer eine Erscheinung, die
von dem gewöhnlichen Lauf der Welt abweicht. Es war einst auch
dem Philisterkönig Abimelech zu Gerar nicht entgangen, daß Gott
mit Abraham war. „Es war in dieser Zeit, da sprach Abimelech und
sein Feldherr Pichol zu Abraham: Elohim ist mit dir in allem, was
du tust." Seit dem Tage der ersten Begegnung mit Abraham hatte
der Philisterfürst Gelegenheit gehabt, das Leben dieses Fremdlings
zu beobachten, dessen Verhalten im Verkehr zu prüfen, dessen Zu=
rückgezogenheit und Stellung zu verfolgen und jene Segnungen zu
sehen, von denen Abrahams Zelte und Herden begleitet waren.
Diese Beobachtung hatte auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht.
Sie ließ in ihm die Gewißheit ausreifen: „Elohim ist mit dir in allem,
was du tust." Es konnte ja auch nicht anders sein. Denn bei einem
wahren Gottespropheten spricht ja nicht allein der Altar, den er
seinem Gott erbaut, nicht allein sein Separatismus, in dem er in der
Welt lebt, da spricht alles: sein Familienleben und seine Zelte, seine
Knechte und seine Herden, seine Zurückgezogenheit und sein Ver=
kehr — alles spricht von einem Umgang mit dem Gott, der sich ihm
durch Offenbarung kundgetan hat. Zwar waren mit diesem Gesamt=
eindruck auch sehr unangenehme Erinnerungen an Abraham zurück*
geblieben. Unmöglich hatte Abimelech die dunkle Geschichte mit
Sarah vergessen. Nicht als ein Mann, der mit seinen Handlungen
vor Gott steht, hatte sich Abraham ihm gegenüber in kritischer
Stunde benommen. Der Gesamteindruck jedoch, den er von Abra=
hams Leben und Ergehen bisher gewonnen hatte, war so übermächtig,
daß in ihm die Gewißheit ausreifte: „Gott ist mit dir in allem, was
du tust." Mit wem aber Gott ist, dem gehört die Zukunft. Mag er
augenblicklich auch der Fremdling und Schwächere im Lande sein,
wie leicht kann er unter dem Segen des Allmächtigen zum Stärkeren
und zum Besitzenden des Landes werden! Denn je länger Abimelech
mit Abraham zusammen war, so stark beide sich mit ihren Herden
auch berührt hatten, um so mehr waren sein Vertrauen und seine
innerliche Hochachtung Abraham gegenüber gewachsen. Abraham
war ihm nun das Bild eines Gesegneten Gottes.
148
b) D e r B u n d e s s c h l u ß
149
Zelte ausgewiesen worden. Isaak, den Einzigen, hatte man erst eben
von der Brust seiner Mutter entwöhnt. Er war ein zarter Knabe, der
in sich nichts Heroisches und Weltüberwindendes verriet. „Das
künftige Volk wird noch in der Wiege geschaukelt, und schon sieht
Abraham eine Verwirklichung der Verheißung. An Isaaks Wiege
schon war der Landesfürst herangetreten, um in der Erwartung der
künftigen Volksgröße ein Bündnis für die spätere Zukunft zu er=
langen — da tritt Gott an Abraham hinan und spricht: Opfere mir
diesen einzigen Sohn und mit ihm die ganze Zukunft1!"
Was war auf solch einer Grundlage aus der Glaubensfamilie
Abrahams heraus für eine kommende Volksgröße zu erwarten? War
es nicht auch wieder eine „Lächerlichkeit", mit diesem noch ganz
fraglichen Volksgebilde schon für Generationen im voraus einen
Bund der Freundschaft und des Friedens zu schließen? Diese Er=
wägungen bewiesen nur, welch einen tiefen Eindruck Abimelech von
dem Leben Abrahams erhalten hatte. Hier liegt eine Zukunft — das
stand ihm fest. Sein Wunsch war nun, daß diese Zukunft für die
seiner eigenen Geschlechter nicht zu einer Gefahr werden möchte.
Denn daß solch eine Gefahr entstehen könne, dem konnte sich
Abimelech trotz seines tiefen Eindrucks von Abraham nicht ent=>
ziehen. Wie treulos hatte sich Abraham ihm gegenüber seinerzeit
benommen! Nun will Abimelech durch einen Bund Abraham für alle
Zukunft verpflichten, daß weder er selbst noch seine Nachkommen
treulos an Abimelech, an seinem Hause und an seinem Lande han=
dein werden. Daher seine Bitte um ein Bündnis.
Für Abraham selbst war jedoch das ganze Erlebnis eine seltene
Glaubensstärkung. So klein und unscheinbar zunächst die vorhan=
denen Anfänge der Erfüllung der verheißenen Zukunft an sich auch
waren, sie wurden jedoch von dem Philisterfürsten bereits aufs
höchste gewertet. Daher zögerte Abraham auch keinen Augenblick
und antwortete: „Idi schwöre!" Denn auch, für Abraham lag die ihm
gewordene Berufung und Weltmission nicht etwa in einer Bekämp-
fung der Völker, sondern im Segnen der Völker. Er wußte sich als
Gottes Prophet berufen, als Gesegneter zu segnen, als Erleuchteter zu
dolmetschen, als Begnadeter priesterlich zu dienen. Wenn nun durch
i
Nadi S. R. Hirsch.
150
seinen Schwur für Generationen der Friede zwischen den Geschlech=
tern Abimelechs und seinen eigenen Nachkommen gesichert werden
konnte, so lag das ganz in seiner prophetischen Mission, zu der er
sich berufen wußte.
Während des Bundesschlusses wurde auch eine Angelegenheit
besprochen, die das Verhältnis Abrahams zu Abimelech stark getrübt
hatte. Abimelechs Hirten hatten ohne Wissen ihres Fürsten Abraham
einen Brunnen geraubt. Solch eine Beraubung der herumziehenden
Herdenfürsten durch die Einheimischen und Landesbürger war zwar
nichts Seltenes. Sie gehörte mit zu den Leiden der nomadisierenden
Fremdlinge, die mit ihren kleineren oder größeren Herden und Zelten
überall nur die Geduldeten, nicht aber die Besitzenden im Lande
waren. In den Nutzrechten der freien Weideländer waren sie
dauernd abhängig von der mehr oder weniger edlen Gesinnung der
sich ihrer Stärke und ihrer Besitzrechte bewußten Landesbürger. Die
Entdeckung einer lebendigen Quelle auf dem Ländergebiet Abime=
lechs mußte fast zwangsläufig zu einem Streit zwischen den Hirten
des Philisters und den Hirten Abrahams führen.
Daß Abraham als Halbnomade und als der Schwächere unter
solch einem Zustand der Rechtlosigkeit innerlich gelitten hatte, geht
aus den Worten hervor, mit denen er die Brunnenangelegenheit vor
Abimelech zur Sprache brachte. Und je mehr seine Seele litt, desto
stärker mußte wiederum in ihm die Spannung des Glaubens werden,
die zwischen einer ihm gewordenen Verheißung und deren Erfüllung
lag. Über seinem Leben und über seiner Fremdlingschaft stand die
Verheißung: „Dies Land will ich dir und deinem Samen geben ewig=
lieh." In Wirklichkeit lagen die Besitzrechte dieses ihm verheißenen
Landes immer noch bei den alten, seßhaften Landesbürgern. Er blieb
ein Fremdling, und zwar in jenem Lande, das nach der Verheißung
einmal seine Heimat werden sollte.
Als Abraham die Brunnenangelegenheit berührte, sprach Abime=
Iech: „Ich habe nicht gewußt, wer dieses getan, auch du hast es mir
nicht gesagt, und ich habe es auch heute erst vernommen." Da er-
kannte Abraham, daß Abimelech an der Sache völlig unbeteiligt war.
Daher erfüllte er gleich die damals übliche Form des Bundesschlusses
und gab Abimelech die Zahl von Schafen und Rindern, die er als der
151
Schwächere zur Errichtung des Bundes zu schenken hatte. Und man
nannte den Ort hinfort zur Erinnerung an den soeben vollzogenen
weihevollen Akt: „Beer=Seba", d. h. Schwurbrunnen.
152
Ausdruck, daß er diesem Gott der Offenbarung einen Altar, eine
Stätte der Anbetung errichtete. War er selbst zunächst auch nur ein
Fremdling im verheißenen Lande, sein Altar sollte kommenden Ge=
schlechtem bezeugen, daß der Herr als El=Olam zu seinem Ver*
heißungswort in jedem Zeitalter stehen werde.
Wie eng vermehrte Gotteserkenntnis und wachsender Glaubens"
gehorsam zusammenhängen, das geht aus den verschiedenen Gottes=
namen hervor, mit denen Abraham bisher vertraut gemacht wurde.
Nicht sein Glaube schuf sich etwa je länger, desto bewußter eine neue
Gottesschau. Gott offenbarte sich neu seinem Freunde Abraham, und
in ihm wurde alsdann eine entsprechende Glaubenshingabe geweckt.
Es ist von grundlegender Bedeutung, daß es in der Heilsgeschichte
nie hieß: Glaube und Offenbarung, sondern immer erst Offenbarung
und alsdann Glaube. In den ersten Zeiten seines Glaubenslebens
kannte Abraham den Herrn nur als „Jahve", als den Gott der
Offenbarung, der da ist, was er ist, oder der da sein wird, der er
sein will. Durch dessen Offenbarung sah er sich berufen; durch ihn
wußte er sich ins Land Kanaan geführt; durch ihn wurde er aus der
Gefahr in Ägypten gerettet; durch dessen sichtbaren Segen vermehr=
ten sich seine Zelte und Herden. Daher baute er ihm von Fall zu Fall
einen Altar und verkündete ihn als den Herrn, „der ihm erschienen
war". In Jahve hatte Abraham im Gegensatz zu den polytheistischen
Völkern seiner Zeit einen lebendigen, sich offenbarenden Gott ge=
funden, der nicht fernab vom Menschen und dessen Schicksal lebt,
sondern bei denen wohnt, die zerschlagenen Herzens und gedemü»
tigten Geistes sind. Gottes Offenbarung hatte ihn hineingezogen in
Gottes Gemeinschaft und seinem Leben den Stempel der göttlichen
Berufung und Erwählung gegeben. Kein Heiligtum und keine Kul=
tusstätte seiner Zeit hätten seiner Seele das erschließen und seinem
Leben jene Wendung und Bestimmung geben können, wie sie ihm
durch Gottes Offenbarung gegeben wurde. Und weil Abraham so
Unendliches von Jahve erschlossen wurde, hatte er seiner Zeit auch
so viel von ihm zu sagen.
Nach dem Sieg über Kedor=Laomer hatte Abraham eine Begeg-
nung mit Melchisedek, dem König von Salem, gehabt. Bei der Ge=
legenheit lernte er Jahve verstehen als „EUEljon", als Gott, den Aller»
153
höchsten. Diesem Gott war das Leben Melchisedeks als Priester ge=
weiht. Abraham erkannte: wo der Allerhöchste zu gebieten und das
Leben zu bestimmen hat, da wird gegenwärtig schon die Stätte zu
einem Bereich des Friedens und zu einer Wohnung des Heils und
das Leben der Menschen zu einem Dienst der Gerechtigkeit und der
Versöhnung. Melchisedek konnte als König der Gerechtigkeit nur
Herr einer Friedensstadt und Priester des Allerhöchsten sein. Von
ihm sah sich nun Abraham ebenfalls demselben Allerhöchsten und
für dieselben Aufgaben auf Erden geweiht. Denn Melchisedek seg=
nete Abraham und sprach: „Gesegnet sei Abraham dem EUEljon,
dem Eigner von Himmel und Erde, und gesegnet sei EUEljon, der
deine Feinde in deine Hand gegeben1!"
Als später Abraham vom Herrn die Zusicherung empfing: „Idi
bin dir Schild, dein Lohn ist ungemessen2!", da hatte er die Frei»
mütigkeit gewonnen und gefragt: „Was willst du mir, Herr, nodi
geben? Idi gehe kinderlos dahin." Bei der Gelegenheit verhieß der
Herr dem Abraham einen Erben von seinem eigenen Samen und
erschloß ihm, daß die Geschlechter seines eigenen Samens in Zukunft
das verheißene Land in Besitz nehmen sollten3. Als aber nach dieser
Verheißung dem Abraham der Erbe trotzdem nicht geboren wurde,
nahm er auf den Rat seines Weibes seine Zuflucht zu Hagar. Sie
gebar ihm den Ismael. Dreizehn Jahre nach der Geburt dieses Kna=
ben, in dem Abraham die Erfüllung seiner Hoffnungen sah, wurde
der Herr ihm wieder sichtbar und sagte ihm: „Idi bin EUSdiaddai,
wandle vor meinem Angesidite und werde vollendet!" Nun lernte
Abraham Jahve verstehen als den „Allgenugsamen" und „Allver=
mögenden". Er mußte erkennen, daß nicht Ismael bereits die Er=
füllung der gegebenen Verheißung sei, sondern daß dieser Same
zunächst noch ausstehe und allein von Jahve als dem Allvermögen=
den gegeben werden könne.
Als dann später Abraham eines Tages um die Mittagszeit vor
der Tür seines Zeltes unter den schattigen Bäumen Mamres saß, sah
er drei Männer vorübergehen. Er lief ihnen entgegen und erkannte
1
Kap. 14,19 ff.
2
Kap. 15,1.
3
Kap. 15, 8 ff.
154
in dem einen „Adonai", d. h. seinen Herrn, von dem er sich bisher
so wunderbar geführt und gesegnet sah. Und indem er sich diesem
seinem Herrn zur Verfügung stellte, wurde er von ihm in dessen
tiefstes Vertrauen hineingezogen.. Abraham erhielt Kunde von dem
bevorstehenden Untergang Sodoms und Gomorras. Die Frucht dieser
Begegnung war, daß Abraham zu jenem Priester wurde, der über die
Rettung Sodoms mit Gott redete, bevor Sodom selbst auch nur eine
Ahnung von dem bevorstehenden Gericht hatte.
Was will uns jedoch dieser kurze Rückblick in Verbindung mit
der letzten gewonnenen Gotteserkenntnis Abrahams mit „EUOlam"
sagen? Doch nichts Geringeres, als daß Abrahams Erkenntnis nur
gewonnen werden konnte auf Grund bestimmter vorangegangener
Gottesoffenbarungen. Abrahams immer reicher werdendes Gottes=
bild war nicht die Frucht der Spekulationen und Meditationen seines
Geistes, sondern der geistige Niederschlag empfangener Offenbarun=
gen in seiner erschlossenen Seele. Er erlebte Gott; daher schaute er ihn
in der Mannigfaltigkeit seiner Größe und Majestät, seines Heils und
Könnens. Nur das gab Abrahams Leben immer wieder neue Voll=
machten, dauernd Neues von Gott zu verkündigen, daß er dauernd
neu Gott erlebte und mit den Herrlichkeiten seines Wesens und
seiner Wirkungen vertraut wurde. So war es ihm möglich, angesichts
all der bestehenden Rätsel in der Welt, ihn doch als El=Olam, d. h.
als den Regierer und Lenker aller Geschicke und Kräfte im Leben
des einzelnen und der Völker zu verkündigen. Abraham gewann
daher mit jeder neuen Gotteserkenntnis einen neuen, unerschütter=
liehen Felsen mitten im Gewoge der Zeit. Er gelangte in der Flut
der sich bekämpfenden Ereignisse je länger, desto mehr in Gott selbst
zur Ruhe. Das machte ihn in seiner Weltanschauung und Botschaft,
in seinen Entschlüssen und Handlungen unabhängig von der Welt
und band ihn dauernd an Gottes Selbstmitteilung, d. h. Offenbarung.
Von welch einer entscheidenden Bedeutung diese gewonnene
Gotteserkenntnis mit der daraus entstandenen Glaubensgewißheit
für die nächstliegenden Prüfungen und Erlebnisse Abrahams sein
sollte, das wird uns erst im nächsten Kapitel erzählt. Vor Abraham
lagen in der Zukunft Glaubenswege, die er ohne die Gewißheit,
daß Gott auch der Gott der zukünftigen Zeitalter sein werde, nie
155
hätte gehen können. Es zeigte sich auch hier wieder, wie der Herr
nie vom Glauben einen Gehorsam oder ein Opfer verlangt, wozu
ihm nicht vorher die Kraft geworden wäre. Gottes Aufträge sollen
den Menschen nicht drücken und unglücklich machen, sie sollen ihm
vielmehr Gelegenheit geben, im Leben jene höheren Kräfte zu be=
tätigen, die ihm zugleich mit der göttlichen Offenbarung geschenkt
werden. Bevor Jesus von Martha erwartete, daß sie ihm vertraue,
wenn es sich darum handeln würde, den verstorbenen Lazarus aus
dem Grabe zu führen, sprach er zu ihr: „Ich bin die Auferstehung
und das Leben1/' Das unterscheidet das Evangelium Gottes jedesmal
vom Gesetz und von aller gesetzlichen Frömmigkeit, daß es erst
segnet und dann segnen heißt, erst erleuchtet und dann Wege des
Glaubens gehen heißt, erst höhere Kräfte mitteilt und alsdann er=
wartet, Handlungen zu vollbringen, die außerhalb des gewöhnliche
Könnens des Menschen liegen.
156
Gottes. Gott sprach, und trotz des gelegentlichen Versagens war in
Abraham doch immer neu ein Glaube geweckt worden, der Gottes
Sprechen zum Inhalt seiner Hingabe und seines Gehorsams gemacht
hatte. Gottes Reden und Abrahams Glaubensgehorsam hatten ge=
meinsam zu jenen vielen Begebenheiten geführt, die dem Leben
Abrahams den reichen Inhalt gegeben hatten.
Nicht unerwartet kam zwar für Abraham ein abermaliges Reden
Gottes. Er war im Lauf der Jahrzehnte durch den Umgang mit Gott
für solch ein wiederholtes Reden Gottes erzogen worden. Ohne be=
reits zu wissen, worin der Inhalt des erneuten Gottesrafes bestehen
werde, antwortete er daher: „Hier bin ich!" Nicht knechtische Furcht,
vertrauensvolle Hingabe ließ den Glauben Abrahams diese Sprache
führen. In dem einen Wort „Hier bin ich!" lag stets jener tatbereite
Glaube, dem Gott letzte Autorität geworden ist.
An diese Begebenheiten knüpft nun der Bericht über die Opfe=
rung Isaaks an. Die überleitenden Worte besagen, daß unerwartet
„innerhalb einer größeren Komposition ein überraschender Um=
schwung" beginne. Durch diesen wurde wieder alles bisherige, mit
so viel Glaubenshingabe verbundene Geschehen in Frage gestellt.
Alle Hoffnungen für die Zukunft waren an ein erst unlängst ent=
wöhntes Kind gebunden. Dies Kind war der vom Glauben empfan=
gene Isaak. Denn Ismael, der Sohn der Magd, war mit Hagar, seiner
Mutter, aus den Zelten Abrahams entlassen worden. Er konnte auch
für Abraham im Blick auf die Berufung, die Gott in sein Leben
gelegt hatte, nicht mehr in Frage kommen. Nachdem nun der ver=
heißene und langersehnte Erbe in Isaak endlich da war, mußte er=
wartet werden, daß sich nach göttlicher Verheißung hinfort alles
normal und ohne Erschütterungen entwickeln würde. Glaubenswege
sind jedoch innerhalb der Geschichte nie so gradlinig und ordnungs*
gemäß, wie man es erwarten könnte. Bald sind es die Menschen und
Verhältnisse in der Welt, bald die Träger des Glaubens selbst, die
Gott veranlassen, daß er in seiner Souveränität und Gnade ganz
neu mit seinem Wort und seiner Führung eingreifen muß. Er muß
ihnen neu die von ihm bestimmte und gewollte Richtung geben.
Darum folgte von Gottes Seite ein Auftrag, eine so unfaßliche
Zumutung, daß Abrahams Glaube leicht an ihr hätte zerbrechen
157
können. Der Auftrag lautete: „Nimm deinen Sohn, den einzigen,
den du Hebst, den lsaak, und geh nach dem Lande Morija und
bringe ihn dort hinauf für ein Ganzopfer auf einem Berge, den idi
dir sagen werde!" Nun stand vor der Seele Abrahams Offenbarung
gegen Offenbarung. Alles, was Gott bisher mit Abraham erreicht
hatte, alles, worauf dessen Hoffnungen sich bisher zu stützen ver-
mochten, schien mit diesen Worten des Herrn umgeworfen zu wer*
den. Wort Gottes stand gegen Wort Gottes, eine Offenbarung hob
die andere auf. Das mußte — und muß auch heute noch — eine auf
Gottes Offenbarungswort eingestellte Seele in die allertiefsten inner=
liehen Konflikte führen. Vor den Glaubensblicken Abrahams lag eine
Nacht, wie sie nicht dunkler sein konnte. Der Empfangene und
Einzige, lsaak, sollte geopfert werden. Abraham sah sich trotz all
der ihm gewordenen Verheißungen wieder allein stehen, wie er
allein war, als er sich in Ur in Chaldäa oder in Haran von Gott
berufen sah. LechJ'cha, „Geh für dich allein!", hatte Gott damals
am Anfang seines Glaubenslebens zu ihm gesprochen. Er sprach es
wieder, wo Abraham am Ende seines Lebens stand. Ja, wie unver=
ständlich und voller Konflikte und Rätsel kann ein auf Gott einge=
stelltes Leben werden, das zwischen diesem Anfang und diesem
Ende liegt!
Aber Offenbarung hebt Offenbarung niemals auf. Hat es zu=
nächst auch den Anschein, erblickt der Glaube zunächst auch keine
Lösung, sie folgt um so herrlicher und überwältigender, je unlös=
barer die Situation zu sein scheint. Auch für Abraham kam die
Lösung, wenn auch erst am Ende des schweren Opferweges. Der
Glaube mußte auch diesen Weg gehen, ohne zu sehen, wo er enden
würde, und ohne zu wissen, wie Gott die Prüfung lösen würde.
Erst als er den Weg ging, wurde er schließlich licht und endete in
Herrlichkeit. Erst mußten — in weit späteren Zeiten — die Priester
im Glauben mit der Bundeslade in den Jordan treten, bevor die
Fluten standen und Israel trockenen Weges in sein Erbe einziehen
konnte. Nicht etwa, was der Glaube sieht, vielmehr das Wort, das
ihn inspiriert, ist das Geheimnis seiner Kraft. Daher kann er handeln,
ohne zu sehen, erlebt er Gottes Herrlichkeit, indem er handelt. Denn
es ist die Kraft Gottes, die durch ihn handelt. Er weiß aber nie vor=
158
her, wann und wie diese Herrlichkeit Gottes zum Durchbruch kom=
men wird. Das einzige, das ihn trägt und ihm Kraft zum Handeln zu
geben vermag, ist Gottes Auftrag: Lech=l'cha, d. h. gehe für dich
allein ins Land Morija und bringe ihn dort hinauf für ein „Ganz=
opfer"! Nur zweimal finden wir dieses bedeutsame Lech=rcha im
Leben Abrahams. Das erste Mal bedeutete es die Scheidung von
seinen Eltern, das letzte Mal die von seinem Sohne. Dort die Los=
lösung von der Vergangenheit, hier von der Zukunft.
Gewiß war es einst schwer gewesen, das Vaterland mit seiner
reichen Vergangenheit, die Freundschaft mit all ihren Beziehungen
und das Vaterhaus mit all seiner Tradition und Familiensitte zu
verlassen. Gewiß war es schwer gewesen, sich, eines Tages von dem
einzigen Neffen, von Lot, zu lösen, der den Mut aufgebracht hatte,
mit Abraham den Weg des Glaubens zu gehen und mit ihm die
Ungewisse Zukunft zu teilen. Gewiß war es schwer gewesen, Ismael
mit Hagar, seiner Mutter, für immer zu entlassen und ohne Rück=
sieht aus dem Familienverbande auszuscheiden. War er doch immer*
hin Abrahams Sohn, wenn auch von einer Ägypterin geboren. Un=
endlich schwerer war jedoch der Weg nach Morija, auf dem Abraham
auch von Isaak, der höchsten und letzten Frucht und Hoffnung seines
Lebens, gelöst werden sollte.
Nun wird verständlich, welch eine entscheidende Bedeutung es
für Abraham haben mußte, daß er vorher Gott als El=Olam, als den
Gott auch der ferneren Zukunft erkannt hatte. Ohne diese Erkenntnis
Gottes wäre er vielleicht nie zu dem Gehorsam für den Opferweg
des Glaubens fähig gewesen. Zur höchsten Tat des Gehorsams ist
der Glaube erst immer nach entsprechender, vorhergegangener höch-
ster Erkenntnis Gottes fähig. An eine Zukunft seiner Berufung zu
glauben, wenn ihm alle greifbaren Stützen und Mittel für diese
genommen werden, vermag er nur, wenn er den Gott der Zukunft
erkannt hat. Denn Gottes Zukunft ist nicht gebunden an das, was
er gab, sondern an das, was er geben wird; nicht an das, was er schuf,
sondern an das, was er schaffen wird. Opfert in Gottes Auftrag der
Glaube Gegenwärtiges, dann liegt für ihn hinter diesem Opfer um
so gewisser die Auferstehung mit ihrer Zukunft.
Und Gott gegenüber muß alles zum Opfer werden, auch das
159
Liebste. Nicht in Isaak, in El=Olam sollte Abraham auch im Blick
auf die Zukunft völlig zur Ruhe kommen. Nicht in einer gegen*
wärtigen Gabe, in Gottes ewigem Wirken sollten Abrahams Hoff=
nungen ruhen. Soll Gegenwärtiges und Empfangenes nicht mit der
Gegenwart untergehen, dann muß es vom Glauben aus der Zeitlich»
keit herausgehoben und der Ewigkeit als ein Opfer dargebracht
werden. In dem jüdischen Begriff „Ganzopfer" drückt sich der wun=
derbare Gedanke aus, daß das Irdische, Materielle als Opfer von
dem Opfernden aus seiner Niedrigkeit herausgehoben und zu Gott
hin erhoben wird. Es ist das Opfern, das Hinwegheben des Opfers
aus „den irdischen Existenzen und die Hingebung an eine höhere
Bestimmung". Sollte Gottes Zukunft auch lsaaks Zukunft werden,
dann mußte Isaak in dieser „Erhebung" zu Gott hin vor Abraham
stehen. Denn nicht Abrahams, sondern nur Gottes Anspruch auf
Isaak konnte diesem eine Zukunft geben. Wohl empfängt der Glaube
die Gabe als ein göttliches Geschenk, jedoch allein zu dem Zweck,
damit sie zur rechten Stunde wieder ein Opfer für Gott werde.
Denn selbst ein Isaak bleibt für die Welt ohne jede Bedeutung und
vergeht mit den vergänglichen Zelten Abrahams, wenn sein Leben
nicht als ein vom Glauben dargebrachtes Opfer dauernd zu einer
wirklichen Erhebung zu Gott hin wird.
Daß der Auftrag Gottes lauten würde, Isaak als ein Ganzopfer
nach Morija zu bringen, wußte Abraham zunächst nicht. Für ihn
bedeutete er völlige Abgabe der höchsten Gabe, Hingabe des emp=
fangenen Segens an Gott für einen ihm verhüllten Zweck. Die Zu=
mutung Gottes an den Glauben Abrahams kann überhaupt nur ver=
standen werden, wenn sie unter dem einen Wort steht: „er ver=
suchte", „prüfte" den Abraham. Zweck solcher Prüfung des Glau=
bens war nicht etwa die Prüfung selbst. Durch sie sollte nur offenbar
werden, zu welch einer Glaubenshingabe Gott Menschen erziehen
kann. Ist Gott solchen Glaubensmenschen letzte Autorität oder nicht?
— vor diese Frage wurden sie je und je durch solch eine Zumutung
gestellt. Gott gegenüber darf auch die größte Gabe des Glaubens
nicht zurückgehalten werden. Unter der schöpferischen Gnade reift
mithin in solchen Opfern der Glaube zu einem seiner hödisten und
schönsten Bekenntnisse heran.
160
Es war niait Gott in letzter Instanz, der Abraham versuchte.
Er gestattete aber die Versuchung einem seiner himmlischen Diener.
Daß wir es hier nicht unmittelbar mit Gott selbst zu tun haben, geht
bereits aus Vers 32 dieses Abschnitts hervor. Da spricht nicht Gott
selber, es wendet sich der Engel Jahves an Abraham und spricht zu
ihm: „Strecke deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nicht
das Geringste1." Auch haben wir im Auftrage selbst, der an Abra=
harn erging, nicht das artikellose „elohim", das im hebräischen
Sprachgebrauch der Name für Gott ist, sondern das mit dem Artikel
versehene „haelohim". Damit wird ganz ähnlich wie in 1. Kön. 22,21
die für dieses Amt vorhandene und bestimmte Person bezeichnet.
Es ist die „haruach" (d. h. der Geist), die den König Ahab betören
sollte, und von der es heißt: „Da trat der Geist vor und stellte sidi
vor Jahve und sprach: ,Ich will ihn betören/ Jahve fragte ihn: fo-
miti' Er antwortete: ,Ich will hingehen und zum Lügengeiste werden
im Munde aller seiner Propheten/ Er sprach zu ihm: ,Du magst ihn
betören und wirst es auch zustande bringen. Gehe hin und tue also!' "
Unter Gottes Zulassung soll auch hier einer der himmlischen Diener
die Prüfung vornehmen, ob Gott dem Abraham höher steht als Isaak,
ob seinem Glauben die Hingabe an den Geber mehr ist als der Be=
sitz der empfangenen Gabe. Erst wenn die Frage entschieden ist:
Gott oder Isaak, besitzt hinfort der Glaube den Isaak als einen
Segen, der nicht ihm, der Gott für alle Zukunft allein gehört.
Verwandtes wird sowohl von Bileam als auch von dem Propheten
Sacharja erzählt. Wie unbegreiflich mußte es in der Bileam=Erzählung
erscheinen, daß Gott einerseits dem Bileam gestattete, mit dem Boten
des Moabiterkönigs Balak zu gehen, und andrerseits seinen Zorn
über Bileam entbrennen ließ, da er dem Ruf Balaks folgte1!
Der Prophet Sacharja berichtet von einer Schau, in der er den
Hohenpriester Josua stehen sah vor dem Engel des Herrn. Neben
Josua zur Rechten steht jedoch der Satan, damit er ihm um seiner
unreinen Kleider willen widerstehe. Erst als im Auftrage des Engels
andere Untergebene Gottes kamen und dem Hohenpriester Feier=
kleider anlegten und einen reinen Hut auf sein Haupt setzten, sah
sich Josua berechtigt, vor dem Herrn zu stehen. Auch hier sind es
1
4. Mose 22,15—22.
161
wieder die b'ne elohim, die himmlischen Untergebenen, von denen
die Handlungen ausgehen, und die die Schau des Propheten Sacharja
ausfüllen1.
Nach dem Urteil des Apostels Paulus ist sogar das alttestament=
liehe Gesetz durch Engel als Gottes Untergebene einem Mose gegeben
worden, damit es durch ihn als Mittler seinem Volke weitergegeben
werde2. Von dieser biblischen Gesamtschau aus muß auch die Opfe=
rung Isaaks bewertet werden. Hier handelte es sich nie um einen
blutdürstigen, unbarmherzigen Gott, der etwa nur von Opfern lebte,
ähnlich den heidnischen Gottheiten. Es handelt sich auch hier in der
größten Glaubensprobe Abrahams allein um den Gott der Offen*
barung, der in seiner Barmherzigkeit auch das Letzte vom Menschen
fordert, damit er ihm alles sein könne. Auch ein Isaak als größte
Gabe darf nicht zwischen dem Menschen und Gott stehen, und zwar
um des Heiles willen, das Gott seinen Berufenen schenken will. Es
muß auch im Zeugnis der Kirche Christi noch viel klarer und ent=
scheidender zum Ausdruck kommen, daß alles, das von Gott her
als Gebot, Opfer, Auftrag, Befehl an Menschen ergeht, im Heils=
und Erlösungsinteresse für den Menschen geschieht, nicht aber um
einer Selbstbefriedigung Gottes willen. Nicht knechten, erlösen will
Gott den Menschen durch jede Offenbarung, durch die er in dessen
Leben treten kann.
b) Im G l a u b e n s g e h o r s a m n a c h M o r i j a
Daß das Opfer für Abraham nur eine Prüfung sein sollte, wußte
Abraham zunächst nicht. Für ihn bedeutete es völlige Abgabe der
höchsten Gabe, Hingabe an Gott für einen ihm verhüllt gebliebenen
Zweck. Nur jene Gewißheit konnte in etwas die schweren Konflikte
und inneren Spannungen seiner Seele zur Ruhe bringen, daß Gott
als El=Olam ihm den Geopferten auch aus den Toten wiedergeben
könne3. Abraham sprach daher auch nicht von dem, was in seiner
Seele vorging. „Da erhub sich Abraham früh am Morgen und sattelte
seinen Esel und nahm seine beiden Leute mit sich und Isaak, seinen
1
Sa*. 3,1ff.
« Gai. 3,19 ff.
3
Hebr. 11,17 ff.
162
Sohn. Darauf spaltete er Opferholz, machte sich auf und ging dem
Orte zu, welchen ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage, als Abra*
harn seine Augen aufhob, sah er den Ort von ferne."
Es gibt Kämpfe der Seele, die der Glaube in ihrer ganzen Schwere
nur allein auszukosten vermag. Jedes Sprechen darüber würde die
an sich fast unerträgliche Last nur noch vermehren. Und wollte der
Glaube sprechen, so fände er doch kein Verständnis für seinen
Morija=Weg. Nicht Sarah, auch nicht die ihn begleitenden Knechte
konnten Verständnis für den Auftrag haben, der auf Abrahams
Seele brannte. Sie hatten nicht Gottes zweites Lech=rcha an Abra=
harn vernommen. Mithin konnten sie auch nicht seinen Opferweg
teilen. Morija=Wege sind einsame Wege. Als der Eine ihn ging,
der in seiner Person der Opfernde und das Opfer zugleich war, da
verließen ihn auch seine treuesten Jünger.
Als Abraham erst Morija sah, da sprach er zu seinen Leuten:
„Bleibet ihr hier bei dem Esel; ich und der Knabe, wir wollen etwa
bis dahin gehen; wir beten dort an und kehren dann zu euch zurück."
Am Fuße des Morija scheiden sich die Wege zwischen dem Opfern=
den, hinter dem ein höherer Auftrag steht, und den Knechten, die
nur mitfolgen. Nach Morija selbst kann der Glaube mit seinem
Opfer nur allein gehen. Nur eine Brust, in welcher der Ruf der
Offenbarung das „Siehe, hier bin ich!" geweckt hatte, vermag auch
im schwersten Schritt des Glaubens, im Opfern, die Anbetung zu
finden. Denn wir wollen uns dort nur „bücken", beugen, anbeten,
hatte Abraham zu seinen Knechten gesagt. Damit hatte er ausge=
sprachen, was er in diesem Opfer sah. Der Opfernde sah sich mit
seinem Opfer als eine Einheit an. Abraham spricht seine Absicht
zu opfern mit dem Begriff „niederwerfen", „niederbücken" aus und
nennt das „Anbetung". Denn nicht das Opfer, „sich" opfert er: sein
Leben, seine Kraft, sein Auge, seine Brust, seine Hand, seinen Fuß,
sein ganzes lebendiges Wesen legt er im Opfer auf Gottes Altar,
sich wirft er ganz vor Gott hin als ein Opfer. Ein Bileam läßt einen
Balak aufrecht stehen neben seinem Opfer1. Sein Opfer ist keine
sittliche Tat, keine Sprache der Seele, die ihrer Hingabe einen Aus=
1
4. Mose 23, 3: „Und Bileam sprach zu Balak: Tritt zu deinem Brand-
opfer!"
163
druck zu geben sucht. Es ist nur der menschliche Versuch, durch ein
geschlachtetes Opfer die Gottheit in ihren Entschlüssen und Hand=
lungen magisch zu bestimmen.
So war Abraham mit Isaak zuletzt ganz allein geblieben. Als
„beide so zusammen gingen", da fragte Isaak plötzlich: „Wo ist das
Lamm zum Brandopfer? Da sprach. Abraham: Elohim wird sich das
Lamm zum Opfer ersehen, mein Sohn!" Abraham fühlt, daß ihm
dort oben so oder so die höchste Offenbarung zuteil werden wird,
und so will er mit seinem Opfer und Gott ganz allein sein. Opfer=
wege des Glaubens lösen sich dem Opfernden immer nur insoweit,
als er sie geht und ihm von Gott eine letzte Lösung gegeben wird.
Abraham vermochte zunächst auch Isaak keine Antwort zu geben,
wie Gott die Frage nach dem Opferlamm lösen werde. Aber im
Glaubensgehorsam an den ihm gewordenen Auftrag erbaute er den
Altar. Die göttliche Lösung der Frage nach dem Opferlamm erlebte
er erst während seines Handelns. „Da rief ihm ein Engel Jahves vom
Himmel zu und sprach: Abraham! Abraham! Er sprach: Hier bin
ich! Da sprach er: Strecke deine Hand nicht an den Knaben und tue
ihm nicht das Geringste; denn jetzt habe ich erkannt, daß du gottes°
fürchtig bist und hast mir deinen Sohn, deinen einzigen Sohn, nicht
verweigert."
Das war eine Lösung der Spannungen und Konflikte, eine Auf=
hebung der Gegensätze innerhalb der Offenbarung, wie allein Gott
sie zu geben vermag. Jetzt begriff auch Abraham, daß es von Gottes
Seite nur eine Prüfung, von seiner Seite jedoch eine erlebte Hingabe
gewesen war. Diese hatte Gott erreichen wollen. Nicht ein Menschen*
opfer, nicht den Isaak als blutiges Opfer verlangte Gott. Daß Gott
nicht Isaak als wirkliches Opfer haben wollte, ging bereits aus dem
Auftrag hervor, den er indirekt dem Abraham durch einen seiner
himmlischen Diener geben ließ. Im Auftrage fehlt nämlich das ent=
scheidende Wörtchen „mir". Der Text lautet nur: „ . . . und bringe
ihn dort hinauf für ein Ganzopfer auf einem der Berge!" Gott hätte
solch eine Prüfung nie zulassen können, wenn er nicht gewußt hätte:
Abraham wird meinem Worte unbedingt gehorchen. „Hier bin ich!"
hatte er gesprochen, als ihm der Auftrag wurde. „Hier bin ich!"
sprach er, als durch einen zweiten Auftrag der erste aufgehoben
164
wurde. Welch ein Unheil wäre geschehen, wenn Abraham nicht in
solcher unbedingten Glaubenshingabe an die göttliche Offenbarung
gestanden hätte, und zwar auch da, wo eine zweite Offenbarung
die erste aufheben mußte! Nicht etwa das Blut Isaaks, Gehorsam
an sein Wort wollte Gott als reifste Frucht im Glaubensleben Abra=
hams erzielen. Ging dem ersten Menschen auf Grund seines Unge=
horsams gegen das Wort seines Schöpfers die Gemeinschaft mit Gott
verloren, so fand Jesus als der zweite Adam seine Gemeinschaft
mit dem Vater allein im vollendeten Gehorsam gegenüber dem
Willen seines Vaters. Jedes freiwillige Eingehen auf den Willen
Gottes bedeutete daher für den Menschen eine Rückkehr zur Ge=
ineinschaft mit Gott als seinem Schöpfer und seinem Vater. Auf
dieser Linie liegt die Erlösung, zu der wir Menschen des Glaubens
durch Jesus begnadet werden sollen.
Als Abraham erst den sichtbaren Erweis erbrachte, daß der
Glaube auch das Letzte und Teuerste Gott als Ausdruck der Huldi*
gung und Anbetung zu bringen vermochte, da sorgte Gott selbst für
das eigentliche Opferlamm. Als Abraham nach diesem göttlichen
Eingriff in seine Opferhandlung seine Augen aufhob, sah er einen
Widder, der durch ein Dorngestrüpp an seinen Hörnern festgehalten
wuide. Da ging er hin und opferte das Tier an seines Sohnes Statt.
Isaak empfing er jedoch wieder, und zwar als eine Gabe, die er hin*
fort nicht mehr selbst besaß, die für immer Gott geopfert war. Und
die Geschichte Israels wird nicht eher zur Ruhe kommen, bis Gott
dieses Ziel auch mit dem ganzen Volk erreicht haben wird. Die
Hingabe des Höchsten und Letzten stand am Ende der Glaubenswege
Abrahams. Sie steht auch am Ende der Geschichte Israels. Erst wer
Abraham verstanden hat, versteht auch Gottes Absichten mit diesem
Volk. Wohl irrt es heute. Was wird es sein, wenn Gott wieder mit
diesem Volk beginnen und es so erlösen wird, daß es auch den Weg
nach Morija geht und in der Opferung seiner letzten und höchsten
Gaben einen Ausdruck der Anbetung sieht! So steht die Opferung
Isaaks am Ende der Geschichte Abrahams und wirft ihr prophetisches
licht über die dunklen Jahrtausende des jüdischen Volkes und läßt
am Ende seiner Geschichte jenen Tag sichtbar werden, wo das ganze
Volk sich selbst Gott als ein Ganzopfer darbringen wird.
165
Denn wozu Völker erlöst werden sollen, dazu wird Israel als
Erstgeborener zuvor erlöst worden sein. Wenn die Offenbarung
davon spricht: „In ihrem Lichte1 werden die Völker wandeln, und
die Könige der Erde werden ihr die herrlichsten Geschenke bringen.
Tagsüber — denn Nacht wird es dort nicht geben — sollen ihre Tore
nie geschlossen werden, so daß man fort und fort die kostbarsten
Schätze der Völker in ihre Mauern bringen kann", so muß Israel
als Erstgeborener und als von Gott zunächst Berufener dazu erlöst
werden. Was wird das für eine Finanzverwaltung der Völker sein,
wenn ihre Schätze und Kostbarkeiten nicht mehr dem Moloch ihrer
Machtgelüste und dem Wahn ihrer Selbstvergötterung geopfert wer»
den, sondern in ihrer Hand auch zu einem Opfer geworden sind,
in dem sich ihre Anbetung und Hingabe an Gott ausdrückt!
Was Wunder, wenn die Kirche des Neuen Bundes je und je in
diesem Opfer ein Vorbild auf das größte aller Opfer gesehen, das
Jesus als das Opferlamm schlechthin Gott dargebracht hat. Über
seinem Kommen, Dienen und Leiden stand das Wort Abrahams:
„Siehe, hier bin ich!" Und als er erkannt wurde, wies der große
Gottesbote an den Ufern des Jordans auf ihn hin mit den Worten:
„Siehe, das ist Gottes Lamm!" In seinem Leben war alles Hingabe
an den Vater, alles Dienst unter den Brüdern, alles Leiden für die
Welt. Ohne sichtliches Eingreifen in den Verlauf der Geschichte schuf
er doch ein so völlig Neues, legte er den Anfang zu einem Reich
nicht von dieser Welt, wie es durch das Eingreifen Nebukadnezars,
Xerxes' und Alexanders in das geschichtliche Geschehen ihrer Zeit
niemals erreicht worden war. Die Wirkungen dieser Größen der
damaligen Weltgeschichte verliefen „horizontal", die Wirkungen Jesu
„vertikal", bemerkt sehr treffend Paul Jäger in seinem Buch „Wege
zu Christus". Bei Jesus handelte es sich um „eine Verfassung der
Seele", um eine völlige neue Stellung allem Geschehen gegenüber. Er
kam von Gott aus zum Menschen und führte daher den Menschen wie=
der zurück zu Gott. Er sprach vom Vater, daher sahen die Menschen
auch in Gott einen Vater, und zwar „voller Gnade und Wahrheit".
Und um diese seine prophetische Heilandsmission ganz zu erfüllen,
1
Nämlidb im Lichte des neuen Jerusalems, dessen Leuchte Gott und das
Lamm sein werden (Offb. 21, 24 ff.).
166
konnte er leiden und sterben, um der Welt die frohe Botsdiaft ihrer
Erlösung bringen zu können. Die Welt, die ihn kreuzigte, verließ er
mit den Worten: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie
tun!" Zum Propheten wurde er durch sein Wort, zum Priester durch
sein Leiden, zum Heiland der Welt durch seine Auferstehung.
„Da nannte Abraham den Namen dieses Ortes: ,Jahve schaut!',
welches heute also auszusprechen ist: ,Auf Jahves Berg wird man
geschaut.'" In diesem neuen Gottesnamen drückte Abraham die
ganze Tiefe und Fülle des von ihm Erlebten aus. Er hatte einen
neuen Wesenszug in der Majestät seines Gottes entdeckt: „Auf
Jahves Berg wird man geschaut." Keine Tiefen unseres Seelenlebens,
keine Beweggründe unserer Handlungen, keine Äußerungen unserer
Liebe und Hingabe bleiben hier dem Auge des Allmächtigen ver=
borgen. Wer sich auf Morija mit seinem Opfer meldet, wer da bereit
ist, das Teuerste seiner Seele als Opfer Gott zu bringen, der sieht
sich hinfort in seinem Leben von Gott verstanden wie nie zuvor.
Wie hinfort die Welt das Opfer auch beurteilen mag, welch eine
Sprache selbst im engsten Jüngerkreise über solch ein Nardenopfer
einer Mariaseele geführt wird — man ist von Gott geschaut worden.
Der Glaube steht mit seiner Handlung im Frieden des göttlichen
Urteils. Man zittert nicht vor Gott ob zurückgehaltener, geheim
gebliebener Lebensgebiete. Denn man kann vor seinem Auge nichts
verbergen, und man hat nichts zu verbergen. Wer sich in seiner
teuersten Gabe selbst geopfert, solch einer Seele ist es weit wert"
voller, daß Gott sie besitzt, als daß sie bestimmte Gaben von Gott
besitzt. Von Christus ergriffen, sucht sie Christus selbst zu ergreifen,
weil hinfort der Seele keine Gabe seine Person ersetzen kann. Die
Gaben schwinden, ohne ihren Wert und ihre Bedeutung für die
Welt zu verlieren; Gott selbst aber wird größer und größer in der
ganzen Majestät seiner sich offenbarenden Persönlichkeit.
167
konflikte solch ein Opferweg auch die Glaubenden führen kann.
Schien doch mit dem Opfer der Zusammenbruch aller empfangenen
Verheißungen und der ganzen Zukunft verbunden zu sein. Aber
Gottes Zukunft ist nie an eine Gabe gebunden, sondern an sein
dauerndes Geben und Wirken. Das Können Gottes erschöpfte sich
nicht mit der Geburt Isaaks, es reichte hinein in die Auferstehung
Isaaks. Heimkehrend mit Isaak als einer von Gott erneut empfan=
genen Gabe begann für Abraham das Abendrot seines Glaubens*
lebens. Was hinfort noch den Tag beleuchtete, war der Abendschein
der Erinnerungen an hinter ihm liegende Erlebnisse mit Gott. Denn
für das Glaubensleben Neues trat nicht mehr hinzu. Was sich in
seinem Leben hinfort noch begab, waren bereits die Schatten einer
nahenden Nacht.
a) D e r Tod S a r a h s
„Es war das Leben Sarahs hundert Jahre und zwanzig Jahre und
sieben Jahre. Da starb Sarah in Kirjath Arba, das ist Chebron im
Lande Kanaan, und Abraham zog sich zurüde, um um Sarah zu
klagen und sie zu beweinen." Bei der Hervorhebung der durch Gottes
Offenbarung geweckten Grundsätze des Glaubens im Leben Abra*
hams ist Sarah sehr stark zurückgetreten. Und doch war sie in allen
großen Entscheidungen und Handlungen die sich voll und ganz Mit=
beteiligende. Ohne Sarah wäre auch Abraham nicht der Vater der
Glaubenden und Ahnherr des berufenen Volkes geworden. Der Ver»
such, ohne Sarah göttliche Ziele zu erreichen, führte in Ismael zu
einem Geschlecht, das kein Verständnis für den Geist Abrahams
hatte. Auch die Kinder der Ketura, die dem Abraham noch nach dem
Tode Sarahs geboren wurden, konnten später von Gott nicht in das
geistige Erbe seines Berufenen hineingezogen werden.
Diese einzigartige Stellung Sarahs als Weib in den Zelten Abra=
hams ward begründet durch ihr inneres Einssein mit dem Geiste
des Glaubens ihres Mannes. War Abraham auch immer der zuerst
Empfangende, so war Sarah doch stets die innerlich Mitempfan»
gende. Ihr Mitgehen war unendlich tiefer als das eines Lot. Daher
war sie auch mitbeteiligt an den Verheißungen, wie Lot es nach
seiner Einstellung nie hätte sein können.
168
Überaus feinsinnig spricht daher die jüdische Weisheit von ihr:
„Solange Sarah lebte, schwebte eine Wolke der Gottesgegenwart
über dem Zelte; sobald sie gestorben war, wich diese Wolke; mit
Rebekkas Eintritt kehrte sie wieder." In den Worten kommt nur
die Wertschätzung des Weibes zum Ausdruck, wenn dieses wirklich
Genossin der Berufung und Mitträgerin der göttlichen Mission ihres
Mannes ist. Wie manche Berufung eines Mannes scheiterte eines
Tages an seinem Weibe, weil es nicht eine Sarah, sondern nur eine
Hagar oder eine Ketura war! Mutter zu werden vermag auch eine
Hagar; dem Abraham aber einen Isaak zu gebären, vermag nur eine
Sarah, die im Geiste der Berufung ihres Mannes lebt.
Zwar war Sarah die Schwächere, aber dodi die stets Mitbeteiligte.
Gelegentlich erfaßte sie die einzelnen Situationen weit richtiger als
Abraham, so z. B. bei der Ausstoßung Ismaels. So hart dieser Akt
an sich zunächst auch war, so hing doch die Zukunft Isaaks davon
ab. Dieses Leben erlosch nun mit hundertundsiebenundzwanzig
Jahren. Der biblische Bericht nennt uns die Zahl getrennt in drei
einzelnen Stufen: „Es war das Leben Sarahs hundert Jahre und
zwanzig Jahre und sieben Jahre." Von hinten beginnt der Bericht
und bezeichnet zunächst das Frauen= und Greisenalter, dies umfaßte
hundert Jahre; dann das reife Jungfrauenalter, dies zählte zwanzig
Jahre, und zuletzt das zarte Kindesalter von sieben Jahren.
Das macht doch erst ein Leben reich und inhaltsvoll, wenn der
in der Vergangenheit gewonnene Segen als bleibendes und fort*
wirkendes Gut mit in die Zukunft hinübergenommen wird. Dann
sind die einzelnen Lebensphasen kein verrauschender Traum, der
nichts zu hinterlassen hat. Dann beweint man nicht das verlorene
unschuldige Kindesalter, wenn die reiferen Jahre mit dem Ernst und
den Pflichten eines Weibes und einer Mutter kommen. Dann trauert
man nicht im Greisenalter um die Unschuld der Jugendjahre, die
man als Weib und Mutter etwa verloren hätte. Denn jede spätere
Lebensstufe war an sich rein, an sich heilig und an sich schön, und
erst alle zusammen machten die „Jahre des Lebens Sarahs" aus.
Es ist verständlich, daß Abraham den Verlust seiner Sarah so
schwer empfand. Es gab für ihn nur eine Sarah, und es konnte
auch nur eine für ihn geben. Und schaut die jüdische Nation heute
169
nodi mit soldier Hodiaditung auf den Stammvater ihres Gesdiledits,
sie darf es mit nidit geringerer auf Sarah, die Mutter des jüdischen
Volkes, tun. Ein Volk, das soldie Mutter hat, wird im Verlauf der
Gesdüdite niemals Gelegenheit haben, sidi ihrer zu sdiämen. Wie
tief Abraham den Tod Sarahs empfand, erkennen wir aus seiner
Klage um sie: „Und Abraham zog sich zurück, um um Sarah zu
klagen und sie zu beweinen/' Es gibt Klagen, die auf der Straße nidit
zu hören sind. Denn wahrer Schmerz sudit nidit die öffentlidikeit,
er zieht sidi zurück, um mit Gott allein zu sein. Die tiefsten Lösun*
gen seines inneren Wehs erlebt der Mensch nur in der Stille vor
Gott. Hier lernt er audi das Sdiwerste in einem Lidite sehen, wie
Menschenworte es niemals beleuchten konnten. Hier gewinnt die
Seele das innere Gleichgewicht wieder, eine neue Glaubenshaltung
zu den unabwendbaren Geschehnissen, in der sie mit Paulus zu spre=
dien vermag: „Denen, die Gott liebhaben, müssen alle Dinge zum
Guten, d. h. zum Heil, mitwirken."
Offenbar erst, nachdem er sich von Gott getröstet sah, „erhob
Abraham sich aus der Gegenwart seines Toten und sprach zu den
Söhnen Chets also: Fremdling und Beisasse bin ich bei euch; ge-
währt mir ein Grabeigentum bei euch, damit ich meinen Toten aus
meinem Anblick begrabe!" Gottes Berufung hatte Abrahams Leben
mit dem Ledi=I'cha, dem Gehe=für=dich=allein, für immer den Cha=
rakter eines Fremdlings und Beisassen gegeben. Der Grund war ein
innerlicher. Solange Abrahams Glaube nicht auch den Boden, den
er bebaute, und die Umgebung mit ihren Verhältnissen, in der er
lebte, mit in den Geist des Glaubens hineinziehen konnte, blieb er
ein Fremdling unter seinen Zeitgenossen. Wer selbst in einem Geiste
lebt, alles Empfangene im Opfer zu einer Anbetung vor Gott werden
zu lassen, kann niemals in einem Geschlecht und in einem Zeitalter
heimisch werden, wo sich der Mensch in seinen Handlungen und
Kulturschöpfungen bestimmt sieht durch den Geist der Selbstsucht
und der Selbstverherrlichung.
Da ließen die Söhne Chets dem Abraham sagen: „Höre uns,
mein Herr, ein von Elohim Geadelter bist du in unserer Mitte; in
dem erlesensten unserer Gräber begrabe deinen Toten; keiner von
uns wird dir sein eigenes Grab entziehen wollen, deinen Toten zu
170
begraben." Das jahrelange Zelten Abrahams neben den Hethitern
war nicht ohne tiefen Eindruck auf diese geblieben. Man hatte eine
innerliche Hochachtung vor dem Fremdling gewonnen, der im Frie=
den neben ihnen seine Herden auf den freien und unbenutzten
Weideplätzen gehütet hatte. Sie nannten Abraham einen „Geadelten
Gottes" und sprachen damit eine tiefe Wahrheit aus, wenn es in
ihrem Munde vielleicht auch nur eine morgenländische Höflichkeits=
form war. Denn bald stellte es sich während der ganzen Verhandlung
heraus, daß man doch nicht ohne eine entsprechend hohe Kaufsumme
das von Abraham erbetene Erbbegräbnis abtreten wolle. „Der
schlaue Hethiter sagt der Form nach ,ja', in der Sache ,nein', oder
nur um einen sehr hohen Preis."
Auch Abraham wollte sich um keinen Preis das Erbbegräbnis
schenken lassen. Seine Annahme als Geschenk hätte ihm allen
Respekt, den er bei den Hethitern besaß, wieder genommen. Auch
durfte man nicht, wie David später sagte, als der Tempel erbaut
werden sollte, mit Geschenktem opfern1. Und das Grab war so
heilig wie der Altar. Außerdem war es auch Liebe zu Sarah, die ihn
bewog, das Grundstück als Erbbegräbnisstätte zu erwerben. Sie sollte
auf eigenem Besitz begraben werden. Neben ihr wollte auch er
später seine Ruhestätte finden, und zu Sarah und zu ihm sollten auch
Isaak und seine Söhne versammelt werden. Als endlich der Kauf mit
den Söhnen Chets vor den Augen aller, die sich vor dem Stadttor
versammelt hatten, abgeschlossen war, „begrub Abraham seine Frau
Sarah in der Höhle des Feldes des Madipela vor Mamre, das ist
Hebron, im Lande Kanaan".
So ging das Höhlenpaar Machpela über in den Besitz Abrahams.
Es wurde hinfort als Erbbegräbnis der abrahamitischen Familie auch
von den Hethitern heilig gehalten. Denn eine durch Kauf erworbene
Grabstätte wurde von ihnen wie ein Heiligtum respektiert und be=
handelt. Und hier in seinem rechtmäßigen Eigentum, im Erbe seiner
zukünftigen Geschlechter, bestattete Abraham das Liebste, das ihm
das Leben hatte geben können: Sarah, die Genossin seiner Berufung,
die Freundin seines Lebens, die Mutter des verheißenen Geschlechts,
dem die Zukunft gehören sollte. Abraham verband mit dem Ganzen
1
2. Sam. 24,24.
: 171
mithin auch die Erwartung, daß das Land einmal Eigentum seiner
Nachkommen werden würde. Seinem Glauben und seiner Erwartung
gehörte es bereits jetzt, und zwar auf Grund einer empfangenen
Verheißung, seinen Nachkommen jedoch erst nach vielen Jahrhun»
derten. Welchen Inhalts eine göttliche Verheißung auch immer ist,
ihre Erfüllung sieht die Geschichte immer erst dann, wenn Gottes
Stunde gekommen ist. Für Abraham und seine unmittelbaren Nach=
kommen konnte diese Verheißung noch nicht ihre Erfüllung finden;
denn „noch ist nicht voll die Schuld des Amoriters".
172
in seinen Erscheinungen war, für die Ewigkeit sich aber berufen
weiß, das altert nicht. Schon die alten Weisen Israels sagten: „Alt
ist, wer beide Welten erobert."
Wahrlich, der hat nicht vergeblich gelebt, „der mit seinem gegen*
wärtigen Dasein beide Welten erworben, die diesseitige für die zu=
künftige, indem er der hieniedigen oder gegenwärtigen Welt den
Stempel des Göttlichen aufdrückte". Ein Leben, das wie das eines
Abraham in Gott selbst zur Ruhe gekommen und im Umgang mit
Gott seine verborgenen Kraftquellen gefunden, ist durch die Zeit
nicht verbraucht worden, hat im Dienst seine Kraft nicht eingebüßt,
ist im Kampf nicht zusammengebrochen. Was in solch einem Leben
im Alter erschlafft, oder was dunkel werden will, das sind die rein
physischen Kräfte, das ist der stoffliche Organismus, in dem die
eigentliche geistige Persönlichkeit des Menschen sich auswirkt. War
das Leben auch reich an Dienst und Kampf, brachen in ihm auch
manche Stützen und Hoffnungen zusammen, ging es auch durch
manche Irrungen und Entmutigungen hindurch — alles trug nur mit
dazu bei, daß die im Umgang mit Gott stehende Persönlichkeit zu
jenem Alter ausreifte, das zwei Welten gewonnen hat.
Solchen „Alten" wird nicht erst der Tod zu einer Pforte zur
Ewigkeit, bereits das Leben war ihnen zu einer solchen Pforte ge=
worden. Ihnen bricht im Tode nicht alles Gewonnene zusammen,
sie nehmen das Unvergängliche mit, das ihnen bereits im Leben
durch den Verkehr mit Gott wurde. Nicht das Leben bricht ihnen
beim Sterben zusammen, nur das irdene Gefäß, die stoffliche Zelt=
wohnung, mit der das Leben in der diesseitigen Welt zusammen=
hing, erliegt dem Tode. Eine liebe alte Freundin, die ihre letzten
Jahre noch in den Franckeschen Stiftungen in Halle verlebte, sandte
uns durch ihre sie pflegende Schwester von ihrem Sterbebette aus
den Gruß: „Grüße mir die Sterbenden, ich gehe heim zu den Leben=
den!" Ihr mit Christo in Gott verborgenes Leben hatte nicht gealtert,
es brach nicht im Tode zusammen. Es verließ nur das Unvollkom=
mene, um in das Vollkommene und Vollendete einzutreten. Wessen
Leben durch Offenbarung wie das eines Abraham in den Charakter
des ewigen Lebens hineingezogen werden konnte, dem wurde schon
die Erde zu einer Stätte des Göttlichen, zu einem Tempel des Höch=
173
sten, in dem er die Gegenwart und Herrlichkeit des unsichtbaren
Gottes sah. Daher bezeugt der Sänger des 92. Psalms von den Ge=
rechten, die „gepflanzt sind im Hause des Herrn": „Nodi im Alter
tragen sie Frucht, sind saftig und frisai, zu verkündigen, wie treu
Jahve ist, mein Fels, und daß nidits Unrechtes an ihm sei1."
Es ist daher auch in unserem Bericht sehr bezeichnend, daß es
von Abraham nicht heißt: er ging aus den Tagen seines Lebens
hinaus, sondern „war hineingekommen in die Tage". Die Tage
hatten nicht ihn überwunden, er hatte sie durchschritten, sie waren
ihm „die Meilenzeiger zur Ewigkeit", die Erntetage seiner Segriun*
gen, die zeitlichen Hüllen für Gottes Herrlichkeiten. Was er in Gott
gefunden, war ihm durch die einzelnen Tage geworden; was ihn
in seinem Leben so reich gemacht hatte, waren die einzelnen Seg*
nungen, die mit jedem Tage verbunden gewesen waren.
Abraham schaute nicht auf verlorene Tage zurück. Ihm war das
Leben nicht ohne bleibenden Gewinn gewesen. Er hatte vielmehr aus
allem einen Segen von Gott gewonnen. Das machte sein Alter reich
und schön, voller Friede und Reife. Denn der wahre Segen eines
Lebens besteht nicht in dem, daß einem Menschen alles gelungen
ist, er viel geschaffen und gewonnen hat, von körperlicher Gesund»
heit und von Lebensmut getragen wurde, sondern daß ihm in allem
Erlebten ein Segen von Gott werden konnte. Mancher lebt scheinbar
im äußeren Glück und fühlt sich doch wie in einer Hölle. Manchem
scheint alles gelungen zu sein, und er beweint doch sein Leben als
verlorene Tage. Was jedoch die Gerechten an Segen besitzen, das
drückt sie nicht, sondern erfreut sie und gibt ihrem Herzen immer
wieder die Inspiration zur Anbetung Gottes im Geist und in der
Wahrheit: „Gepriesen sei der Herr! Er trägt uns Tag für Tag, der
Gott unseres Heils! Dieser Gott erwies sich stark zu unserem Heil;
Jahve, der Herr, hat Auswege aus dem Tode2."
c) D i e M i s s i o n E l i e s e r s
In dieser Mission handelte es sich um die Werbung eines Weibes
für Isaak. Abraham wußte, was ihm Sarah gewesen war, und daß
1
?s. 92,13 ff.
2
Ps. 68,20 ff.
174
nur von ihr ihm ein Sohn hatte werden können, der der geistliche
Erbe der göttlichen Verheißungen für die Zukunft werden konnte.
Sollte sich Gottes Berufung weiter auswirken, dann müsse auch Isaak
nicht nur irgendein Weib haben, das ihm Söhne und Töchter schen=
ken könnte. Auch ihm müsse eine Genossin seiner Berufung ge=
schenkt werden, die begnadet sei, im Geiste einer Sarah die Seg=
nungen und Pflichten zu teilen, die mit dem Leben Isaaks verbunden
sein würden. Abraham behandelte daher auch diese Frage allein vom
Standpunkt des Glaubens aus. Er tat es, damit Gott mit der Familie
Isaaks zum Heil der Welt fortsetzen könne, was er mit seiner Familie
begonnen hatte.
Welch einen heiligen Ernst Abraham dem Suchen nach einer
Braut für Isaak beilegte, geht aus dem ausführlichen Bericht hervor,
der uns die Brautwerbung durch Elieser, den ältesten Knecht in den
Zelten Abrahams, schildert. „Da sprach Abraham zu seinem Knechte,
dem ältesten seines Hauses, der über alles Seine waltete: Lege doch
deine Hand unter meine Hüfte! Ich will dich bei Jahve, dem Gott
des Himmels und dem Gott der Erde, schwören lassen, daß du für
meinen Sohn keine Frau von den Töchtern des Kanaaniters nehmest,
in dessen Mitte ich wohne; vielmehr sollst du zu meinem Lande und
meiner Verwandtschaft gehen und eine Frau für meinen Sohn, für
Isaak, nehmen ... Jahve, der Gott des Himmels, der mich von meines
Vaters Hause und von dem Lande meiner Geburt genommen, der
über mich ausgesprochen und der mir geschworen hat also: Deinem
Samen gebe ich dieses Land, der wird seinen Engel vor dir hersenden,
und du wirst ein Weib von dort für meinen Sohn nehmen. Wenn
aber die Frau nicht einwilligen wird, dir nachzufolgen, so bist du
frei von diesem meinem Eide, nur meinen Sohn bringe dorthin nicht
zurück!"
Diese Worte Abrahams an den ältesten Knecht seines Hauses
beweisen, wie ernst Abraham seine göttliche Berufung und die damit
verbundenen Segnungen und Aufgaben erfaßt hatte. Als Elieser
fragte, was er tun solle, falls ihm das Weib nicht würde folgen
wollen, antwortete Abraham mit großer Entschiedenheit: „Hüte dich,
daß du meinen Sohn dorthin zurückbringst!" Das ist Radikalismus
des Glaubens, Einseitigkeit der Berufenen, Treue einer vollzogenen
175
Hingabe: Auf dem Wege der Rüdekehr konnte nie die Zukunft Isaaks
liegen. Berufene kehren nicht zu der Welt zurück, die sie auf Grund
göttlicher Berufung verlassen haben. Sie haben eine höhere Aufgabe.
Sie wissen sich begnadet, die Welt auf den Boden ihrer Berufung zu
ziehen. Nicht die Kirche kann Welt werden; denn dann hört sie auf,
Kirche zu sein; die Welt soll vielmehr durch ihre Mission Kirche
werden. Denn Abraham sah sich nicht etwa nur vorübergehend aus
dem Geiste seiner Umgebung herausgeführt, sondern innerlich, dem
Wesen nach. Eine Rückkehr Isaaks wäre ein Verlassen der bisherigen
Offenbarungslinie und ein neues Sich=Erschließen. dem Geiste der
Welt gewesen. Auf dieser Ebene konnten sich jedoch niemals die
gegebenen Verheißungen erfüllen. Falls die Frau nicht dem Rufe
Eliesers folgen wolle, so soll der Knecht frei sein von dem Eide,
den er Abraham gegeben hatte. Das ist entweder Fanatismus in
höchster Ausprägung oder Entschiedenheit des Glaubens, herausge*
boren aus tiefstem Verantwortungsbewußtsein Gott gegenüber.
Elieser schwor dem Abraham, zog nach Mesopotamien, kam
unter Gottes sichtlicher Führung ins Haus Bethuels, des Sohnes der
Milka, und warb um Rebekka1, die Tochter des Hauses. Denn als
sie bei seiner Ankunft die Kamele tränkte, da hatte Elieser gemerkt,
daß diese Jungfrau die sei, die Gott für den Sohn seines Herrn
erkoren habe. Nachdem er dem ganzen Hause erzählt hatte von
dem Reichtum und dem Segen Abrahams, und wie Isaak der einzige
Erbe sei, und welch eine Mission ihm geworden war, da antworteten
alle in Bethuels Hause: „Von Jahve ist die Sache ausgegangen, wir
können dir nichts Böses oder Gutes sagen. Hier ist Rebekka vor dir,
nimm sie und gehe, sie werde Frau dem Sohne deines Herrn, wie
Jahve gesprochen!"
Als daraufhin Rebekka gerufen und ihr die Frage vorgelegt
wurde: „Willst du mit diesem Manne gehen?", antwortete sie in gro=
ßer Entschlossenheit: „Ich will mit ihm gehen." Darauf nahm Elieser
sie und ihre Mägde und zog mit seinen Kamelen zu seinem Herrn
zurück. Eines Abends, als Isaak hinausgegangen war aufs Feld, „da
hob er seine Augen auf und sah, siehe da, kommende Kamele! Da
hob auch Rebekka ihre Augen auf und sah Isaak, da Heß sie sich
1
Die Fesselnde (durch ihre Schönheit).
176
vom Kamel hinab." Als nach dieser Begegnung Elieser die wunder*
bare Führung Gottes während seiner ganzen Reise erzählt hatte,
da brachte Isaak sie ins Zelt seiner Mutter Sarah. „Er heiratete
Rebekka, sie ward ihm zum Weibe, und er liebte sie, und da erst
tröstete sich Isaak um seine Mutter."
Welch ein zarter Hauch ist über die ganze Begebenheit ausge=
gössen! Wo es unter so sichtbarer Gottesführung zu einer Ehe
kommt, „da ist die Hochzeit nicht Blütengipfel, sondern Wurzelkern
der Liebe". Und erst mit dem Eintritt Rebekkas in das Zelt Sarahs
sah sich Isaak getröstet ob des Verlustes seiner Mutter. Wer in solch
einer Liebe die Mutter schätzt, wird auch sein Weib schätzen und
seine Liebe auf sie übertragen. Abraham jedoch sah in allem wunder=
bar die Frage gelöst, die ihn in bezug auf die Zukunft Isaaks tief
bewegt hatte. Der Geist und die Willigkeit Rebekkas, dem Manne
zu folgen, war ihm eine Garantie, daß sie sich unter dem Einfluß
Isaaks auch in jene Berufung würde hineinziehen lassen, der das
Leben und die Zukunft Isaaks gehörte.
d) A b r a h a m s z w e i t e Ehe u n d Tod
„Abraham nahm wieder eine Frau, und die hieß Ketura1." Mit
dieser Wiederheirat Abrahams sind verschiedene Schwierigkeiten
verbunden, die nicht einfach zu lösen sind, die man vielmehr in
ihrem Umfang stehenlassen muß. Nach Kap. 17,17 fiel Abraham
auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: „Soll
mir, dem Hundertjährigen, ein Kind geboren werden und Sarah, die
Neunzigjährige, gebären?" Der vorliegende Bericht erzählt nun, daß
Abraham noch fünfunddreißig Jahre mit der Ketura gelebt habe und
sie ihm noch sechs Söhne schenkte. Man hat nun in Fachkreisen
darauf aufmerksam gemacht, daß: „nahm wieder eine Frau" nicht
heißen kann: „er heiratete wieder nach dem Tode der ersten Frau",
sondern voraussetzt, daß Sarah noch lebte. Der Abschnitt liegt also
zeitlich vor Kap. 23 und selbst vor Kap. 17 oder schon vor Kap. 14.
Wie es undenkbar ist, daß sich unter den siebzig Seelen Jakobs nur
eine Tochter und nur eine Enkelin (Kap. 46,17: Serach) befunden
habe, so wäre es höchst unwahrscheinlich, daß Abraham bei der
1
Der Wohlgeruch, die Duftende, der Weihrauch.
177
langen Unfruchtbarkeit Sarahs nicht mit Kebsweibern, gegen die
kein Bedenken bestand, Kinder gezeugt habe. Denn daß auch er
„unfruchtbar" gewesen sei, ist nirgends gesagt. Abraham muß auch
bei zahlreichen außerisraelitischen Stämmen als Stammvater gegolten
haben. Da nun der Plan der Thora eine frühere Mitteilung verbot,
so ist sie an das Ende gesetzt, und es werden hier die Stämme auf=
gezählt, deren Ahnin die Ketura war.
Wenn wir das Gesagte annehmen dürfen, dann löst sich manches
auch in der Ketura=Frage. Die Heilige Schrift wollte ja nicht alle
Einzelheiten aus dem reichen Leben Abrahams berichten. Ihr galt
es, nur jene Ereignisse als ein Zeugnis festzuhalten, die irgendwie
in Beziehung zu Gott und seinem Wirken im Leben Abrahams stan°
den. Denn wie manche Begebenheiten, wie auch die im Bericht von
der Ketura, haben letzthin nichts zu tun mit der göttlichen Berufung,
in die Abrahams Leben hineingezogen worden war! Auch in dem
begnadeten und reichen Glaubensleben Abrahams gab es manches,
was niait aus dem Glauben geboren war und daher unter der Ver=
gebung stehen mußte. Gott rechtfertigte es nicht für jene höheren
Aufgaben, für die er allein das auf Grund des Glaubens empfangene
Leben eines Isaak begnadigen konnte. Er stellte es aber unter seine
vergebende Barmherzigkeit. Was er durch seine Gnade im Leben
Abrahams erreichen konnte, war ihm wertvoll und heilig genug,
daß er es um des Unerreichten willen nicht verwarf.
Denn nach dem biblischen Bericht muß man doch den Eindruck
gewinnen, als ob mit dem Opferweg nach Morija Abrahams Glau*
ben das Höchste erreicht hatte, was die göttliche Offenbarung in
ihm zu wirken vermochte. Außer dem Auftrag an Elieser hatte alles
noch Folgende keine besondere Bedeutung mehr für die Zukunft.
Es schwiegen die göttlichen Offenbarungen, und auch Abrahams
Leben gestaltete sich letzthin nicht anders, als das Leben anderer
Zeitgenossen sich gestaltete. Für eine höhere Berufung und für eine
Segens» und Weltmission vermochte Abraham die Söhne der ge=
nannten Ketura nicht mehr zu erziehen. Unmöglich konnten sie daher
Mitträger jener Aufgaben werden, die mit dem Leben Isaaks in
Verbindung standen. Das erkannte Abraham, daher „gab er alles
Seine dem Isaak; den Kindern aber der Nebenfrauen gab er Ge-
178
schenke und schickte sie, noch während er lebte, fort von seinem
Sohne Isaak, ostwärts zum Lande des Ostens", d. h. in die syrisch=
arabische Wüste.
Wohl in der klaren Erkenntnis, daß der Einfluß der Ketura=Söhne
nicht zum Segen für Isaak sein würde, entschloß Abraham sich für
diese räumliche Scheidung. Es war eine seiner letzten Taten, die mit
seiner Berufung in Verbindung standen. Sein Dienst war getan, die
Fortsetzung mußte im Leben Isaaks liegen. Als Abraham hunderte
fünfundsiebzig Jahre alt war, starb er, und seine beiden Söhne Isaak
und Ismael begruben ihn in der Machpela=Höhle, wo auch Sarah
begraben lag.
Selten reich und selten groß war das Leben geworden, das sich
in Haran oder bereits in Ur in Chaldäa von Gott berufen sah, den
Weg des Glaubens und Gehorsams zu gehen, um ein Segen für die
Welt zu werden. Abraham war gefolgt, und Offenbarung um Offen*
barung war ihm geworden. Sie hatten ihn in seinen Entschlüssen
bestimmt und ihn in seinen Handlungen geleitet. Das Ergebnis war
ein Wandel mit Gott, der aus einer untergehenden Weltordnung
hinausführte und eine neue für die Zukunft einleitete. Wie tief auch
die Kirche Christi je und je fühlte, was sie diesem Leben des Glau=
bens mit seinem Zeugnis verdankt, kommt darin zum Ausdrude,
daß in der späteren Geschichte Gott als „der Gott Abrahams" ge=
nannt wurde. Alle Glaubenden der bisherigen Jahrtausende haben
sich nie geschämt, Abraham als den Vater der Gläubigen zu bezeich»
nen. Wenn sein Leben auch auf Erden mit hundertfünfundsiebzig
Jahren schloß, der geistliche Ertrag seines Lebens wirkt sich immer
noch aus, selbst in unserer allermodernsten Zeit und Kultur. Abra=
harn stand mit der Ewigkeit in Verbindung, daher hinterließ er
unvergängliche Werte Und wies die kommenden Zeitalter und Ge»
schlechter über sich selbst hinaus zu dem Gott der Offenbarung, der
zu ihm gesprochen hatte: „Ich will dich segnen! Werde du ein
Segen!"
179
III. Isaak oder der Segen der Verheißung und der Kindschaft
(1. Mose 25,19—27,40)
180
alle drei Glaubensväter verkörperten in ihrem Charakter und in
ihrer Lebensführung prophetisch das, was Israel in seinem Gesamt=
bestand in der Welt sein sollte. Abraham mit seinem Offenbarungs=
leben sollte Israel in der Völkerwelt zu einem Offenbarungsträger
machen. Isaak in seinen reichen Segnungen ließ erkennen, daß Israel
trotz allem Neid der Völker doch der von Gott Gesegnete werden
würde. Jakob in seinen schweren Dienstjahren zeigte im voraus, daß
Israel zeitweilig ein Knecht der Völkerwelt sein werde. Joseph, Jakobs
zweitjüngster Sohn, mit seinen dunklen Leidenswegen, beschrieb
wiederum prophetisch Israels schwere Leidenszeiten. Es gibt nichts
Entscheidendes und Charaktervolles in dem Leben dieser Väter, das
nicht in weit größerem Ausmaße in der Geschichte und im Leben
Gesamt=Israels wiederkehrte. Ihr Leben war eine Prophétie von der
kommenden Geschichte des berufenen und begnadeten Gottesvolkes.
a) I s a a k s s e l b s t ä n d i g e s G l a u b e n s l e b e n
Wir haben gesehen, welche Sorge Abraham erfüllt hatte, als er
für Isaak ein Weib suchen ließ. Nur eine vom Geist des Glaubens
erfüllte Gattin konnte Mutter jenes Geschlechts werden, das Träger
und Dolmetscher der großen Verheißungen Abrahams für die Zu=
kunft werden sollte. Trat nun in Isaaks Glaubensleben auch nicht
etwas unerwartet Neues ein, so begegnet uns in ihm doch von An=
fang an eine bestimmte Selbständigkeit der einzelnen Glaubens*
handlungen. Nicht allein in der Tradition, im Geiste seines Vaters
lebte Isaak. Das machte auch sein Leben zu einem Original. Unter
der Pflege der Tradition allein fehlt dem Leben das Schöpferische.
Ohne die Kraft eines schöpferischen Geistes fehlt aber jeder Gegen*
wart die Vollmacht zur Schaffung einer neuen Zukunft. Geschieht"
liehe Offenbarung muß erlebte Offenbarung werden, wenn sie in der
Gegenwart dasselbe bewirken soll, was sie in der Vergangenheit
bewirkte. Isaak konnte nicht von den Segnungen Abrahams leben.
Sie mußten von ihm neu erlebt werden, wenn sie als Erbe sein
geistiges Eigentum werden sollten, um es alsdann der Zukunft
weiterzuvererben.
Sein erstes Erlebnis war eine sehr klare Gebetserhörung. Isaak
war vierzig Jahre alt, als er Rebekka, die Tochter des Aramiten
181
Bethuel aus Padan=Aram, zur Frau erhalten hatte. Allein trotz der
göttlichen Verheißungen an Abraham war auch Rebekka unfruchtbar.
Zwanzig Jahre ließ Gott Isaak auf einen Samen warten. Denn auch
die Fortsetzung der israelitischen Geschichte sollte auf Erhörung
beruhen. Israel ist nicht eine natürliche Selbstverständlichkeit in der
Völkergeschichte, sondern eine alle Welt überraschende Gottes*
Schöpfung.
„Da flehte Isaak zu Jahve in betreff seiner Trau; denn sie war
unfruchtbar1/' Das ist stets die Art des Glaubens, daß er in seiner
Ohnmacht seine Zuflucht zu Gott nimmt und seine Nöte zum Gegen=
stand des Gebets macht. Er weiß, daß, wo er nicht mehr kann, Gott
immer noch kann, und daß er seine Angelegenheiten zu Angelegen*
heiten Gottes machen darf. Im Leben der Glaubenden gibt es keine
so kleinen Dinge, daß sie in Gottes Augen wertlos wären. Isaaks
Angelegenheit hatte jedoch einen sehr schweren Inhalt. Er wußte,
daß er berufen sei, die von Abraham empfangene Verheißung einem
Sohn von der Rebekka weiterzugeben.
Gott antwortete Isaak auf sein anhaltendes Flehen. Rebekka
wurde schwanger. „Da stießen sich die Kinder heftig in ihrem Mut=>
terschoße. Und sie sprach: ,Wenn dem so ist, warum bin ich da?'
Und sie ging hin, Jahve zu befragen/' Die Entdeckung, daß sie
Zwillinge in ihrem Schöße trug und diese sich heftig stießen, machte
Rebekka schwere innere Not. Nach damaliger Vorstellung war das
ein schlimmes Vorzeichen vom späteren Streit der Kinder. Außerdem
kannte sie ihre Bestimmung, Mutter eines Erben der Verheißung zu
werden. „Wozu bin ich dann das Weib Isaaks geworden? Was habe
ich dann noch für einen Lebenszweck?" Um aus diesem inneren
Konflikt herauszukommen, entschloß sie sich, hinzugehen, um den
Herrn zu fragen. Denn Isaak lebte damals mit seinen Zelten und
Herden in der Nähe jenes Hagar=Brunnens, der auf Grund des
bekannten Erlebnisses der ägyptischen Magd auf ihrer Flucht vor
Sarah den Namen trug: „Brunnen des Lebendigen, der nach mir
schaut2." Der Name legte dauernd Zeugnis davon ab, wie wunderbar
Gott in Hagars Not eingegriffen hatte. Warum sollte dieser Gott
i Kap. 25,21.
* Kap. 24,62.
182
nicht auch ihr helfen, die sie unter der Frage innerlich litt, was in
Zukunft aus den beiden Kindern unter ihrem Herzen werden würde?
Diese Zuversicht hatte offenbar Rebekka bestimmt, hinzugehen und
Gott zu fragen.
„Da ließ Jahve.ihr sagen: Zwei Völker in deinem Schöße und
zwei Nationen, von deinem Innern an werden sie sich scheiden; die
eine Nation wird mächtiger werden als die andere, und der Stärkere
wird dem Schwächeren dienen." Rebekkas Sorgen wurden für Gott
zu einer Gelegenheit der Offenbarung. Ohne diese Grundlage in der
Seele der Rebekka wäre das, was Gott ihr enthüllen wollte, wohl
kaum verstanden worden. Die Ewigkeit wird es einst enthüllen, wie
Gottes Offenbarungen in der Regel erst dann erfolgen konnten, wenn
die Seele des Menschen zu deren Empfang vorbereitet worden war.
Es war ein sehr gewöhnliches und natürliches Erlebnis einer Mutter,
an das Gott seine Offenbarung knüpfen konnte. Unzählige Mütter
vor Rebekka und nach ihr haben unter gleichen Umständen dasselbe
erlebt. Wie wenige haben aber gefragt, was sie fragte! Daher haben
auch so wenige von einer ähnlichen Gottesantwort zu sagen ver=
mocht, wie sie sie erlebte. Nicht das unterscheidet die Glaubenden
von anderen Menschen, daß sie sich anders und besser durch die
Welt geführt sehen, sondern daß sie die Dinge des Alltags mit Gott
durchleben, und daß durch diese Gott ihnen etwas zu sagen vermag.
Rebekka fragte: „Warum bin ich da?" Aus Gottes Antwort treten
zwei große Zukunftsbilder vor ihre mütterliche Seele. Das von ihr
geborene Leben der Zwillinge wird in der Zukunft „zwei verschie=
dene soziale Gestaltungen repräsentieren": eine Nation, die ihre
Größe auf das Göttliche im Menschen erbaut; eine andere, die ihre
Größe in Schlauheit und Macht suchen wird. Geist und Macht, Sitt*
lichkeit und Gewalt werden einander gegenüberstehen. Eine Nation
wird immer mächtiger sein als die andere. Die Schale wird fort=
während schwanken zwischen Gemeinde und Staat. Die ganze Ge=
schichte ist nichts als ein Kampf, ob Geist oder Schwert, ob — wie
das Wort der (jüdischen) Weisen diesen Gegensatz später ausdrückte
— Jerusalem oder Cäsarea das Herrschende sein soll1.
1
Es ist das Casarca in Juda, das der Sitz der römischen Macht in
Palästina war.
183
Nach dem hebräischen Texte heißt es nicht: „Der Ältere wird
dem Jüngeren dienen." Denn der Ausdruck für „Ältere" bedeutet
nicht „der Ältere", sondern „der an Zahl und Macht Größere". Und
dennoch wird dieser in Zukunft eines Tages dem Schwächeren und
Geringeren untergeordnet werden. Der Glaube sieht hier wie in einer
Fernschau, daß in der Geschickte niàit die mit Schlauheit vermählte
brutale Gewalt, sondern die vom Geist getragene und geleitete sitt*
lidie Kraft den endlichen Sieg davontragen wird. Nicht der Gewalt,
dem Geiste gehört die Zukunft; nicht der Schlauheit, der Erkenntnis
beugt sich das Leben; nicht der ungebundenen Sinnenlust, der sitt=
liehen Kraft gehört der Aufbau der Völker. Aus diesem Kampf ist
die Welt auch heute noch nicht herausgekommen: Esau und Jakob
ringen im Schöße der Gegenwart um die Vorherrschaft in der Zu*
kunft. Der Kampf wird nicht schweigen, bis der in seiner Liebe siegt,
dem gegeben worden ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
184
und Lebensäußerungen bei Neugeborenen vielfach charakteristisch
sind für ganz bestimmte Wesenszüge in ihrem späteren Leben.
Im Prinzip lag bereits in dieser Geburtsgeschichte die kommende
Entwicklung und Zukunft der beiden Zwillingsbrüder vorgezeichnet.
Das spätere Leben von Esau und Jakob war nur eine Exegese dazu.
Schon die nächsten Verse bestätigten das, wenn sie berichteten: „Als
nun die Knaben heranwuchsen, da war Esau ein Mann, der den Fang
verstand, ein Mann des Feldes, und Jakob ein schlichter Mann, der
in Zelten wohnte. Da liebte Isaak den Esau, denn Wildbret war in
seinem Munde; Rebekka aber liebte den Jakob/' Hier bereits wird
sichtbar, wie äußere Lebensäußerungen meistens nichts anderes sind
als Symptome innerer Lebensgesinnung. Beide führten ein ganz ver=
schiedenes Innenleben; daher gestaltete sich auch ihre äußerliche
Lebensart so verschieden. Dürfen wir bereits hier in der Sprache
eines Apostels Paulus reden, dann tritt uns in Esau mehr der Cha=
rakter einer „fleischlichen" und in Jakob mehr der Charakter einer
„geistlichen" Gesinnung entgegen.
Dies Auseinandergehen erfolgte, obgleich beide Brüder Söhne
desselben Isaak und derselben Rebekka waren. Gehört das doch bis
heute mit zum Allerschwersten, sowohl für die einzelnen Glieder als
auch für die Gesamtkirche Jesu Christi, daß lange nicht alles Leben,
das sie äußert, lange nicht alle Frucht, die sie zeitigt, ja lange nicht
alle Erwartungen, die sie für die Zukunft hegt, wirklich geistlichen
Charakters sind. Wie vieles von ihrem Leben und Dienst, ihrem
Lehren und Hoffen wurde nicht weniger von Gott verworfen, als
Esau im Blick auf die Mission Abrahams ein Verworfener wurde!
Er konnte ebensowenig von Gott für die geistlichen Aufgaben des
Glaubens herangezogen werden wie vor ihm Ismael, der Sohn der
Hagar. Es war nicht eine sinnlose göttliche Gnadenwahl, die Ismael
und Esau für eine prophetische Aufgabe des Glaubens verwarf und
Isaak und Jakob für diese erwählte — das Geheimnis lag in deren
späteren inneren Stellung zur göttlichen Offenbarung. Ismael und
Esau lebten ohne sie, Isaak und Jakob durch sie, trotz allem Mensch=
liehen, das auch ihr Leben an sich trug. Das wurde von Gott vor=
hergesehen.
Esaus innere Gesinnung machte ihn erstens zu einem Manne
185
listiger Betätigung. Er war ein Mann, „der den Fang verstand", und
in dieser Hinsicht ganz verwandt mit Nimrod. „Der Jäger muß es
verstehen, äußerlich ganz unschuldig zu erscheinen und den Gedan=»
ken des Verderbens still im Herzen zu verbergen/' Von diesem
Charakterzug wurde die ganze Lebenshaltung und Zukunft Esaus
bestimmt. Aber das war überhaupt das Bestimmende und Typische
in der damaligen alten Welt. Es war das geistige Erbe, das sie von
Lamech und Nimrod übernommen und zur Grundlage ihrer Existenz,
ihrer Kultur und ihrer Staaten gemacht hatte. Aus dieser Geistes*
Sphäre war Abraham aber herausgerufen worden. Er sah sich erwählt,
auf einer völlig neuen Lebens= und Zukunftsbasis seine Zukunft
aufzubauen, auf der der Offenbarung und des Glaubens. Esaus Geist
und Abrahams Glaube waren zwei ganz verschiedene Weltanschau*
ungen, die in der Geschichte nie zu einer Einheit verschmolzen wer"
den konnten.
Weiter machte seine Gesinnung ihn zu einem Manne ungebun*
dener Freiheit. Als „einen Mann des Feldes" bezeichnet ihn hier der
Bericht. Die ungebundene Freiheit galt ihm mehr als die Gebunden»
heit in einem geordneten Zelt= und Familienleben. Und es ist wieder*
um charakteristisch für die ganze Welt* und Kulturgeschichte der
Völker, die ohne das Licht der Offenbarung und den Geist des Glau=
bens auszukommen suchen. Bei ihnen geht listige Selbstbehauptung
meistens Hand in Hand mit einem ungebundenen Freiheitsdrang.
Und in geordneten Staaten durchbrach man unter dem Schrei nach
Freiheit vielfach in den Revolutionen der Geschichte die Fesseln be=
stehender, gesetzlich geordneter Gebundenheiten, um dem begehr»
liehen Individualismus ein freies Betätigungsfeld zu verschaffen. Erst
wenn man erkannte, daß jede Gesetzlosigkeit auch die Gesetzlosen
mitbegräbt, war man nach und nach bereit, auch das neue Freiheits*
leben neuen gesetzlichen Bestimmungen zu unterstellen.
Welch eine innere Gebundenheit atmete dagegen der Geist des
Glaubens eines Abraham! Je länger, desto mehr machte er sein
Leben abhängig von der göttlichen Offenbarung. Gebundenheit Gott
gegenüber macht den Menschen aber auch gebunden dem Nächsten
gegenüber. Niemals hätte Esau wie Abraham jahrzehntelang neben
dem Philisterfürsten zu Gerar mit seinen reichen Herden auf be=
186
schränkten Weideplätzen zelten können, ohne mit Abimeledi Streit
anzufangen. Ist doch Esaus späteres Heldentum ein Beweis, wie bald
er versuchte, die ganze Gegend des Gebirges Seir zu seinem unein=
geschränkten Herrschaftsgebiet zu machen. In Esaus Freiheitsdrang
und in Abrahams Gebundenheit tritt eine so verschiedene Lebens=
ethik in Sicht, die in der Geschichte dem Wesen nach niemals ver=
söhnt werden konnte. Wenn christliche Staaten in den verflossenen
Jahrhunderten es dennoch versucht haben zu tun, so starb unter der
Herrschaft der einen immer der Geist der andern.
Völlig anders lautet der Bericht über Jakob. Dies geschieht nicht
etwa aus Sympathie zum Jüngeren und Schwächeren. Die Schrift
verschweigt Jakobs Sünden nicht. In seiner Grundeinstellung traten
aber Wesenszüge in Sicht, die so völlig anders waren als die seines
älteren Bruders. Jakobs Gesinnung zeigt ihn uns zunächst als einen
Mann der innerlichen Hingebung. Nicht auf dem Felde, im häus=
liehen Zelte fand er seine Betätigung und seine Lebensaufgaben.
Ihm war der Familienkreis, der Umgang mit Menschen, wenn ein
solcher auch Beschränkung und Pflichten mit sich brachte, lieber als
die Wildnis der Steppe mit ihrer Freiheit und Ungebundenheit. Und
wahrlich, die prophetische Weltmission seines Vaters und seines
Großvaters Abraham gehört dem Menschen, der Familie, dem Volke.
Hier liegt ihr Betätigungsfeld, hier hat sie ihre Zukunft im Dienst
der Erlösung. Denn Hingebung an Gott führt zum Dienst am
Nächsten. Wessen Ohr für die Sprache Gottes erschlossen ist, der
hört auch die Sprache des Menschen. Denn es ist unmöglich, bis zu
Gott zu kommen, ohne von Gott aus auch wieder zum Menschen
zu kommen. Im Umgang mit den Menschen, im Dienst des Näch=
sten, in der Hingabe an die Not des Volkes, im Leiden für die Brüder
werden Werte gewonnen, wie sie ein Jagdleben Esaus in der Wild=
nis nie einbringen kann.
Der „in Zelten wohnt", heißt es im Bericht über Jakob. In dieser
seiner Gesinnung war er auch ein Mann äußerlicher Zurückgezogen*
heit. Ein Leben, das aus innerlichen Gründen nicht an allem teil=
nehmen kann, worin das Trachten und Suchen der Zeit besteht,
wird immer einen gewissen Separatismus betätigen. Es waren zwei
ganz verschiedene geistige Höhenlagen, in denen sich die beiden
187
Brüder bewegten. Das kam auch in ihrem äußeren Leben zum Aus=
druck. Ein Leben der Innerlichkeit, des Horchens auf Gott, des
Sinnens über die Verheißungen Abrahams liegt nicht auf Esaus
Wegen und Esaus Gefilden. Auf diesen wird die Seele von ganz
anderen Segnungen erfüllt. Esan will jagen und gewinnen, Jakob
horchen und segnen.
Diese Innerlichkeit und Zurückgezogenheit Jakobs wurde von
Rebekka viel tiefer erfaßt als von Isaak. Es heißt im biblischen
Bericht: „Da Hebte Isaak den Esau, denn Wildbret war in seinem
Munde; Rebekka aber liebte den Jakob/' Man hätte erwarten dürfen,
daß gerade Isaak, der vom Opfertode Wiedererstandene, der sich aus
„der Nähe des bewegten Menschenverkehrs" mit seinen Zelten
zurückgezogen hatte und in öder Gegend am Brunnen „des Leben=
digen, mich Schauenden" lebte, besonderes Verständnis für Jakob
haben würde. Das war jedoch nicht der Fall. Er liebte Esaus Wesen
mehr denn Jakobs, wahrscheinlich auch um des schönen Wildbrets
willen, das Esau heimbrachte. Anders war Rebekka. Ihr trat offenbar
in Jakobs Wesen ein Bild entgegen, und sie sah in ihm ein Leben
aufblühen, wie sie es in den Zelten ihres Vaters und an ihrem
Bruder Laban nicht gesehen hatte. Ihre Seele stand offen für das
Höhere, das in Jakob sichtbar wurde.
c) Der H a n d e l um die E r s t g e b u r t
Wie wenig Verständnis Esau für das geistige Erbe und die gött=
liehe Berufung hatte, die auf seinem Vater Isaak von Abraham her
ruhten, das zeigte auch seine leichtsinnige Art, mit der er eines Tages
seine Erstgeburt verschacherte. Er kam müde vom Felde und roch
das rote Linsengericht, das Jakob bereitet hatte. Da sprach er zu
Jakob: „Laß miài dodi von diesem so Roten essen; denn idi bin
matt! ... Da spradi Jakob: ,Verkauf e mir dodi heute deine Erst"
geburt!' Esau erwiderte: ,Siehe, idi gehe zum Sterben; wozu ist mir
da die Erstgeburt?' Da sagte Jakob: ,Sdiwöre mir aber erst!' Da
sdiwur er ihm und verkaufte seine Erstgeburt dem Jakob." Das Ent-
scheidende in dieser Mitteilung ist nicht, wie dieser Verkauf der
Erstgeburt geschah, sondern daß er überhaupt geschehen konnte.
Es wurde in dem Verlauf der Verhandlung wieder die gänzlich
188
voneinander verschiedene innere Einstellung und Gesinnung offen*
bar. So viel Knabenhaftes und Unüberlegtes dem Ganzen auch an=
haftete, so zeigte sich doch, wie leicht Esau um eines augenblicklichen
Genusses willen seine höchsten Güter verkaufte. Er wußte, welch
eine Verheißung mit der Erstgeburt verbunden war. Der augen=
blidcliche Genuß des Linsengerichts war ihm aber wertvoller als die
geistliche Aufgabe, die mit der göttlichen Berufung verbunden war.
Solch ein Charakter kann nie Erbe höherer Güter, nie Prophet des
Höchsten werden. Sein Leben steht unter stets wechselnden Stim=
mungen, nicht aber unter der Leitung und Führung der göttlichen
Offenbarung.
Zwar zeigte die Art, wie Jakob die Gelegenheit ausnutzte, sich
das Erstgeburtsrecht von seinem Bruder zu erhandeln, ebenfalls von
einem Charakter, von dem Gott ihn erst durch schwere Führungen
lösen mußte. Sein Sehnen nach der Erstgeburt floß aber aus seinem
Verständnis für die göttliche Berufung und die damit verbundenen
Verheißungen. Sein Ohr hatte von dem Segen und der Zukunft
vernommen, die auf der Linie des Glaubens seines Großvaters Abra=
harn lagen und nun auf einen Träger warteten. Jakobs Mittel waren
verwerflich, seine Sehnsucht jedoch aus seiner Glaubensstellung den
Verheißungen gegenüber geboren. Ihr konnte Gott daher auch zu
seiner Stunde antworten. Denn in Wahrheit besaß er erst dann das
Erbe und die Verheißungen, die mit dem Erstgeburtsrecht in den
Zelten Abrahams und Isaaks verbunden waren, als Gott ihn mit dem
Segen des Erstgeborenen begnadigen konnte. So waren Esaus Ver=
werfung und Jakobs Annahme für die Berufung Abrahams nicht
eine Tat göttlicher Machtbestimmung, sie waren sittlich begründet
durch die Verschiedenheit der inneren Stellung der beiden Brüder
der göttlichen Offenbarung gegenüber. Esau folgte der Sprache der
Wildnis, Jakob horchte auf die Offenbarung, die durch alles Erlebte
in den Zelten Abrahams und Isaaks auch zu ihm sprechen wollte.
189
genheit auch immer an einem wahren Erleben Gottes war, die geist=
liehen Werte und Segnungen solch eines Erlebens können von
späteren Zeiten nur dann erworben werden, wenn sie durch dasselbe
Erleben Gottes geboren worden sind. Ewige Werte können niemals
nur vererbt werden, auch nicht von einem Abraham auf Isaak. Nun
geschah es, daß sich in den Tagen Isaaks dieselbe Hungersnot im
öden Südlande von Kanaan wiederholte, wo er seine Zelte am
Brunnen „des Lebendigen, mich Schauenden" aufgeschlagen hatte,
wie sie in den Tagen seines Vaters Abraham geherrscht hatte.
a) Die H u n g e r s n o t im S ü d l a n d e
Die klimatischen Verhältnisse im Südlande mußten leicht zu
einer ähnlichen Hungersnot führen, wie sie bereits Abraham kennen=
gelernt hatte. Was berichtet werden soll, ist jedoch die Verschieden»
heit, wie sie durchlebt wurde. An sich war Kanaan in seinem nörd=
liehen Teile das Land, wo Milch und Honig floß. Es war seit alten
Zeiten von solcher Natur, daß der Boden jedes Jahr seinen reichen
Ertrag zu geben vermochte. Hören die regelmäßigen Früh= und Spät=
regen auf, dann nährt sich die Vegetation von dem reichen Tau, der
des Nachts vom Mittelmeer aus über die Felder und Fluren nieder*
geht. Nur eine Vorbedingung besteht: der Boden muß gelockert,
kultiviert werden. Er versagt, sobald sein Bewohner versagt. Daher
„spie" gerade dieses Land immer wieder seine Völker aus, sobald
sie sich von einer friedlichen Bebauung der Erde lösten und zu Kriegen
und Raubzügen übergingen. Zu solchen Zeiten blieb der Acker
unbearbeitet. Er konnte mithin nicht den Tau der Nächte zu seiner
Befruchtung in sich aufnehmen, und die nächste Zeit war eine
Hungersnot. Es gibt bis heute wohl kaum ein zweites Land der Erde,
das in seinem Gedeihen so von „der Sittlichkeit und Rechtschaffen*
heit seiner Bewohner" abhängig ist wie Kanaan. Das Land antwortet
mit seinem Segen und seiner Fruchtbarkeit nur einem sittlichen und
friedlichen Volke.
Inwieweit auch die Hungersnot in den Tagen Isaaks durch solch
einen Umstand hervorgerufen wurde, erzählt der Bericht nicht. Um
sich und seine Herden vor der eingetretenen Not zu retten, zog Isaak
zunächst zu Abimelech, dem Philisterfürsten zu Gerar. Hier hatte
190
er nichts zu befürchten. Das Bundesverhältnis, das Abimelech mit
Abraham gesucht hatte, schützte ihn vor jeder Befehdung. Aber
offenbar hatte Isaak die Absicht, noch weiter nach Ägypten zu
ziehen. Denn es heißt: „Da erschien ihm Jahve und sprach: ,Gehe
nicht nach Ägypten hinab; wohne in dem Lande, das ich dir sagen
werde! Gaste in diesem Lande, so werde ich mit dir sein und dich
segnen.' "
Ähnlich wie Abraham wollte auch Isaak sich in der Stunde der
Prüfung einen eigenen Ausweg suchen. Ein Leben des Glaubens ver=
trägt jedoch keine Abweichungen von der göttlichen Offenbarung.
Eigene Wege lösten niemals bestehende Schwierigkeiten und Span=
nungen des Lebens. Sie brachten nie Rettung aus eingetretenen
Nöten und Konflikten. Sieht der Glaube sich ohne eigene Verschul=
dung in Verhältnisse und Nöte versetzt, wie sie mit einer Hungers=
not verbunden sind, dann darf er damit rechnen, daß sie für ihn
nicht zum Untergang, sondern zu einer Gelegenheit werden müssen,
neue Gottesherrlichkeit in Gottes erneuten Handlungen zu sehen.
Und steht der Glaube in solchen Probezeiten und Prüfungsstunden
in der Gefahr, ungewollt eine Torheit zu begehen, dann kommt
Gott ihm durch sein Wort der Warnung zu Hilfe.
Das geschah auch hier. Das Erlebnis seines Vaters Abraham
genügte nicht, um Isaak von der Absicht, hinab nach Ägypten zu
ziehen, abzubringen. Es gehört ja das mit zur großen Tragik der
Glaubensmenschen, daß die Söhne oft so wenig zu lernen verstehen
aus den Fehlern ihrer Glaubensväter. Gott ist aber um seine Be=
rufenen besorgt, und zwar weit mehr, als sie um sich selbst besorgt
sind. „Gehe nicht nach Ägypten!" sprach daher der Herr zu Isaak.
Er will sie vor dem Fall bewahren, der in einer nahenden Versuchung
für sie liegen kann. Mit sehr klaren Worten bezeugte der Herr bei
dieser Gelegenheit, daß er auch mit Isaak dasselbe Bundesverhältnis
und dessen Verheißungen aufrechterhalten werde, wie er es mit
Abraham getan hatte. „Gaste in diesem Lande, so werde ich mit dir
sein und dich segnen."
Ganz verwandt ist hier die dem Isaak werdende Gottesverhei=
ßung der, die auch Abraham zu Beginn seines Glaubenslebens wurde.
Durch sie wurde Abraham aufgefordert, sein Heimatland zu ver=
191
lassen. Isaak wird jedoch gebeten, in dem Lande weiter zu gasten,
in das sein Vater sich einst nach dem Auszuge geführt sah. Isaaks
Sohn Jakob dagegen wird später aufgefordert, nach Ägypten zu
ziehen1. Das Geheimnis wahrer Glaubenswege liegt mithin in der
Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Offenbarung. Jedem
der Erzväter wurde zur rechten Stunde eine göttliche Wegweisung.
Allein im Gehorsam gegen die empfangene Offenbarung lag für sie
der Segen der Zukunft.
Das an Isaak gerichtete Jahvewort enthielt zwei sehr wesentliche
Zusicherungen. Mag das Wohnen im Philisterlande als Fremdling
auch mit manchen Spannungen und schweren Erlebnissen verbunden
sein, Gott wird Isaak und dessen Zelte schirmen, und er wird für
das Land ein Segen sein. Denn mit Gott muß auch die Hunger*
steppe zu einem Gartenland für die Berufenen werden. Ohne Gott
wird selbst die Kornkammer Ägyptens zu einem Gerichtsboden, wo
auch die Begnadetsten wie Lot den Segen der Vergangenheit ver=
lieren. Der Berufenen Segen und Zukunft liegen mithin allein in
der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott. Jede Abweichung von
ihr führt in jene Welt zurück, aus der sie sich zu ihrem Heil durch
Offenbarung herausgerufen sahen. „Es werden sich durât deinen
Samen alle Völker der Erde segnen als Folge davon, daß Abraham
auf meine Stimme gehört und wahrte mein zu Wahrendes, nämlich
meine Gebote, meine Satzungen und meine Weisungen."
In diesen Worten faßt Gott zusammen, was in seinen Augen
der wahre Ertrag des Glaubenslebens Abrahams war. Dies sollte
Isaak ermutigen und stärken, mit derselben Entschlossenheit und
Einseitigkeit den Weg der Abhängigkeit von der göttlichen Offen»
barung zu gehen. Denn wenn Gott hier von „Geboten", „Satzun=
gen" und „Weisungen" spricht, die er Abraham zu hüten anvertraut
habe, so waren es nur drei verschiedene Seiten derselben Gottes=
Offenbarung, und zwar für die verschiedenen Aufgaben des Lebens.
Alle Gottesoffenbarung will weit mehr uns dienen, als wir ihr dienen
können. Ihre Mission war nie eine andere, als den Menschen in das
Wesen ihres eigenen Ursprungs hineinzuziehen. Das bedeutete aber
für den Menschen immer eine bestimmte Seite seiner Erlösung.
1
Kap. 46,5.
192
Gebot oder Auftrag geht sowohl auf ein Einmaliges als Dauerndes.
Satzung ist ein Gesetz, das für jede Zeit Geltung hat. „Es hat seinen
Grund lediglich in dem Willen des Gesetzgebers und den von ihm
stammenden Ordnungen der Schöpfung/' Ebendeswegen ist es un=
verbrüchlich. Es bezieht sich mehr auf die Bestimmungen des leib=
liehen Lebens. In ihm treten die göttlichen Normen in Sicht, durch
die das gesamte Sinnenleben mit seinen natürlichen Trieben und
Neigungen in einer gottgewollten Zucht gehalten werden soll. Denn
eine Heiligung des Geistes ohne eine entsprechende Heiligung des
Leibes war auf der Linie des Glaubens niemals denkbar. Heiliges
Innenleben wohnt nur in einem heiligen Leibesleben. Abrahams
Geist pflegen und in Sodoms Sünden leben — das hat bisher kein
Sterblicher zu tun vermocht.
Das dritte Wort „Weisung" geht auf die Weisungen Gottes, die
aus einem besonderen Verhältnis zu ihm fließen. Es steht daher im
Gegensatz zu den Sitten und Rechten der heidnischen Umgebung.
Auch bezieht es sich sowohl auf das sittlich=soziale wie auch auf das
kultische Leben. Seine Wurzel bedeutet: „einen Keim in sich auf*
nehmen"; in der Hiphilform: „einen Keim in jeden hineinlegen".
Die „Thora" will als Gottesoffenbarung mithin Kraftmitteilung und
niait Forderung, Samenkorn eines neuen Lebens und nicht äußere
Gesetzesvorschrift sein. Sie will Gottes Gedanken zur innerlichen
Norm unseres Lebens, Gottes Kraft zur Energie unserer Seele, Gottes
Segnungen zu den Quellgebieten unseres Heils, Gottes Zukunft zum
Inhalt unserer Sehnsucht und Hoffnung machen. Durch die Thora
will Gott zunächst in den Menschen hineinlegen, was er aus dem
Menschen machen will. Wie eine Blume ihren Duft und ihr Leben
dem erschließt, der Geschmack an ihrer Schönheit gefunden, so will
sich die Thora mit der ihr innewohnenden Gotteskraft dem erschlie»
ßen, der in seiner seelischen Verarmung in der Welt schreit nach
Gott, dem lebendigen Gott.
b) I s a a k s N i e d e r l a g e in G e r a r
Gott hatte nicht vergeblich gesprochen. Isaak zog nicht nach
Ägypten, er blieb in Gerar. Aber auch Gerar war nicht ohne Ver=
suchung für ihn. Für Menschen des Glaubens gibt es in der Welt
193
keinen Boden, der ihnen nicht zur Versuchung werden könnte. Das
Geheimnis und die Kraft ihrer Bewahrung liegen allein in ihrer
Abhängigkeit von Gott und dessen Offenbarung. Jene Niederlage,
vor der Gott Isaak in Ägypten bewahren wollte, erlebte er in
Gerar. Denn als die Leute der Umgebung ihn fragten, wer Rebekka
sei, sprach auch er von ihr, sie sei seine Schwester.
„Es war jedoch, als er dort bereits längere Zeit gewesen, schaute
Abimelech1, der König der Philister, durch das Fenster und sah, wie
Isaak mit Rebekka, seinem Weibe, liebkoste." Es ist Gnade, daß
gerade bei Gottes Berufenen das Falsche in ihrem Leben so schnell
offenbar wird. Andere können ihr Leben in Lüge und Schande zu=
bringen, ohne daß es ans Licht kommt. Sobald aber Isaak die Um=
gebung über sein wahres Verhältnis zu seinem Weibe Rebekka hin=
wegtäuschen will, wird er gesehen und zur öffentlichen Verantwor=
rung gezogen. „Da sagte Abimelech: ,Was hast du getan? Wie leicht
hätte der eine unter dem Volke deiner Frau beigewohnt, und so
hättest du eine Verschuldung über uns gebracht!' Darum befahl
Abimelech dem ganzen Volke also: ,Wer diesen Mann und seine
Frau berührt, wird getötet werden/ "
Wie fein doch die Welt empfindet, ob Menschen des Glaubens
sich in dem bewegen, was den göttlichen Rechtsnormen entspricht
oder nicht! Da Isaak nicht wachte, mußte er sich diese Zurechtweisung
vom Philisterkönig Abimelech holen. Sobald der Berufene der inner*
liehen Leitung Gottes gegenüber versagt, erfolgt immer eine
schmerzliche Zurechtweisung durch Menschen. Wie dankbar konnte
Isaak sein, daß es Abimelech gesehen hatte, daß Rebekka sein Weib
war! Menschlich gesprochen wurde dadurch ein schweres Unheil von
seinen Zelten abgewendet. Wie leicht hätte Rebekka ein Opfer der
damals herrschenden Sitte des öffentlichen Lebens werden können!
Aber Gott wachte auch in der Stunde der Versuchung und Nieder*
läge über Isaaks Leben. Diese durfte nicht schwerer sein, als es zur
inneren Gesundung Isaaks nötig war. Denn Gott hat kein Interesse
1
Isaak wohnte jedenfalls ganz in der Nähe des Palastes der Philister-
fürsten, vielleicht zu seinem Schutze innerhalb der Mauern des Palasthofes.
Ob es noch derselbe Fürst war, der mit Abraham einen Bund geschlossen
hatte, wird nicht gesagt. „Abimelech" war Titel aller Philisterfürsten.
194
am Fall seiner Berufenen und Begnadeten. Lassen sie sich aber nicht
von dem lösen, was ihrer göttlichen Berufung widerspricht, dann
muß er sie zu ihrem Heil auf den Weg der Versuchung führen. In
ihr kommt alsdann auch ihnen zum Bewußtsein, was in ihrem Leben
wider Gott und dessen Offenbarung spricht. Mithin nicht zum Tode,
sondern zur Gesundung und zum Leben soll die Versuchungsstunde
den Berufenen dienen.
c) E s a u s H e i r a t u n d s e i n e G e s c h l e c h t e r
Der biblische Bericht setzt hier bereits mit einer Mitteilung ein,
die ihre eigentliche Fortsetzung erst in Kapitel 36 findet. Er erzählt
Esaus Heirat mit den Hethiterinnen. An jeder Handlung und an der
Zukunft Esaus sollte offenbar werden, warum er trotz seiner Erst=
geburt dennoch der Verworfene und Jakob der Berufene blieb. Dies
geschah nicht, weil etwa Gottes Vorherbestimmung Esau verworfen
hatte. Die Erwählung hatte ihn von Anfang an verworfen, weil sie
im voraus wußte, daß er sich nie für die Glaubenshingabe eines
Abraham begnadigen lassen würde. Nicht Gott, Esau selbst be=
stimmte seinen Weg. Er entschied auch über die Wahl seiner Weiber.
„Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er ein Weib Judith (Jehu=
dith, Tochter des Hethiters Beeris) und Basmat (Basemat, Toch*
ter des Hethiters Elon)/' Von beiden wird am Schluß des nächsten
Kapitels gesagt, daß sie Töchter des Landes wären. Esau konnte es
bei der sorgfältigen Tradition, die damals das Buch und die schrift=
liehe Chronik ersetzen mußte, nicht unbekannt geblieben sein, wie
sich sein Großvater Abraham bemüht hatte, seinem Sohne Isaak eine
ihm geistesverwandte Rebekka zuzuführen. In den Zelten des Glau=
bens kann keine Fremde Mutter eines Sohnes werden, der der Erbe
der Glaubensgemeinschaft Abrahams und der damit verbundenen
Verheißungen werden soll. Für solche geistlichen Zusammenhänge
innerhalb der Geschichte zeigte Esau jedoch kein Verständnis. Er
konnte auch Töchter des Landes als Weiber in seine Zelte nehmen.
Bald zeigte es sich aber, wie fremd in Sitten, Leben und Verhalten
die Hethiterinnen dem Geiste in den Zelten Isaaks waren. „Sie ma<h=
ten beide Isaak und Rebekka eitel Herzeleid."
195
Ein Sich=gegenseitig=Finden war unmöglich. Die Wege der
Hethiterinnen waren von denen des Glaubens in Isaaks Zelten nicht
nur verschieden, sie waren direkt entgegengesetzt. Rebekka sprach
daher eines Tages zu Isaak: „Mir ekelt vor meinem Leben wegen
der Töchter Heths. Wenn Jakob ein Weib nimmt von den Töchtern
Heths wie diese, von den Töchtern des Landes, was soll mir das
Leben1?" Alles trug nun mit dazu bei, daß Jakob mit dem Segen
seines alten Vaters nach Padan=Aram zum Hause Bethuerls zog.
Auch Esau war es nicht entgangen, wieviel Bitterkeit seine Wei=
ber seinen alten Eltern bisher bereitet hatten. „Als er nun sah, daß
Isaak Jakob gesegnet hatte und abgefertigt nach, Mesopotamien, daß
er daselbst ein Weib nehme ... auch sah er, daß Isaak, sein Vater,
nicht gern die Töchter Kanaans hatte, so ging auch er hin zu Ismael
und nahm zu den Weibern, die er zuvor hatte, Mahalath, die Todi*
ter Ismaels, des Sohnes Abrahams, die Schwester Nebajots, zum
Weibe2/' Auch Esau konnte sich nicht ganz dem Geiste entziehen,
der in seines Vaters Zelten herrschte. Ein zweiter Schritt sollte sich
versöhnend auf seine Erben legen. Aber auch eine Tochter Ismaels
konnte nicht Mutter von Söhnen werden, die heimisch im Geiste des
Verheißungsbundes sein würden. Das zeigt die Geschlechts« und
Stammesgeschichte Esaus.
Im Kapitel 36 tragen die genannten Frauen Esaus und auch deren
Väter andere Namen als in den vorangegangenen Berichten. Daraus
ist nicht zu schließen, daß Esau noch weitere Töchter des Landes
geheiratet hätte. Im 36. Kapitel werden uns jene Namen genannt,
die Esaus Frauen nachher erhielten. „Und Esau nahm seine Frauen
und seine Söhne und seine Töchter und alle Personen seines Hauses
und seine Herden und all sein Vieh und all seinen Besitz, den er im
Lande Kanaans gewonnen hatte, und ging davon in ein Land vor
seinem Bruder Jakob ... Und Esau ließ sich nieder auf dem Gebirge
Seir, das ist Edom?." Der Name Edom als Volksbegriff wurde dem
Gebirge Seir erst durch die Söhne und Frauen Esaus gegeben. Denn
in den nächsten Generationen setzte sich die Vermischung mit den
* Kap. 27,46.
2
Kap. 28,7 ff.
3
Kap. 36, 6—8.
196
Einheimischen vom Gebirge, den Horithern oder Höhlenbewohnern,
ohne innere Hemmungen weiter fort. Esaus Sohn Eliphas nahm sich
von den Ureinwohnern auch ein Kebsweib, das ihm einen Sohn
gebar, dem er nach den Ureinwohnern den Namen Amalek gab1.
Im Leben der Nachkommen Amaleks wurde später besonders offen*
bar, welch einen heimtückischen Charakter sie besaßen. Nach einem
Wort des Herrn, das Mose in der Wüste wurde, soll Amalek völlig
ausgerottet werden. „Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch und
schärfe es Josua ein: Ich will das Andenken Amaleks ganz und gar
austilgen unter dem Himmel2." Andererseits wurde Israel angewie»
sen, die Söhne und Nachkommen Esaus, also die Edomiter, weder
zu beeinträchtigen noch zu hassen oder aber für einen Greuel zu
halten3.
Die schwere und komplizierte Geschlechtslinie Esaus schließt dann
mit einer ausführlichen Aufzählung der Könige, die in Edom regier*
ten. Es waren derselben bereits acht, während aus den Geschlechtern
Jakobs noch kein König hervorgegangen war.
Von der Gesamtoffenbarung der Schrift her kann nur gesagt
werden, daß zu allen Zeiten das Fleisch sich in der Geschichte viel
schneller zur Herrschaft entwickelte als der Geist des Glaubens.
Dieser mußte dauernd auf die Stunde Gottes warten, um sich mit
seinem Leben und mit seinem Einfluß stärker zu erweisen als das
Fleisch. „Esau=Edom hat früher Könige gehabt als Jakob=Israel, aber
sie waren nicht von Gott verheißene aus dem Samen Abrahams und
Sarahs." Reichsgottesgeschichte war in ihrem Werden in jedem Zeit*
alter abhängig von der Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte.
197
lichkeit haben, sie aus ihrem Fall wieder herauszuheben. Sie sind
trotz ihres Versagens empfänglich geblieben für seine wiederher=
stellende Gnade. Ihre Grundeinstellung blieb Gemeinschaft mit Gott
nicht Widerspruch gegen Gott. In dieser Gemeinschaft haben sie ein
Ohr gewonnen für das Sprechen Gottes. Daher kann Gott zu ihnen
auch in ihrem Fall hinabsteigen und sie zurechtweisen. Das gereicht
den Gefallenen alsdann zur Wiederaufrichtung.
Auch Isaak erlebte es. Nach dem für ihn so demütigenden Er=
lebnis mit dem Philisterfürsten Abimelech säte er in jenem Lande
und erntete hundertfältig. So segnete der Herr ihn. Gott verliert
seine Berufenen nicht um eines Falles willen, falls ihr Leben grund=
sätzlich auf ihn gerichtet ist. Hat er sie erst wieder in die richtige
Stellung zu ihm bringen können, so sehen sie sich mit neuem Segen
begnadet. Von Isaak erzählt der Bericht: „Und der Mann vergrößerte
sich und wurde größer, bis er sehr groß war." Bildet Gottes Segen
den Inhalt eines Lebens, dann wird es immer inhaltsvoller und
reicher. Zwar waren es im Leben Isaaks irdische Güter, die den
Segen bildeten. Sie erwiesen sich aber als ein Segen Gottes. Daher
zeugten sie von der Gnade, die hinter Isaaks Leben stand. „Es wur=
den ihm Herden von Schafen und Herden von Kindern und zahl-
reiches Gesinde. Es beneideten ihn aber die Philister."
198
Isaaks Knechte gruben, stritten die Knechte Abimelechs, und daher
nannte Isaak ihn Sitna2. Erst den dritten überließ man ohne
Widerspruch und Zank den Hirten Isaaks. In seiner Freude darüber
nannte er ihn Rechoboth2; denn er sprach: „Jetzt hat Jahve uns
Raum geschafft, nun können wir in dem Lande gedeihen."
Wie bezeichnend ist auch diese Erfahrung für die Erlebnisse, die
der Glaube je und je in der Geschichte erlebt hat! Segen von seiten
Gottes sdiuf ihm Leidenszeiten von seiten der Welt. Die Welt kann
es nicht ertragen, wenn Menschen als Träger der göttlichen Ver=
heißung von Gott auf ihren Wegen des Glaubens und der Abhängig=
keit mehr gesegnet werden als sie. Um ihren Unwillen kundzugeben,
greift sie dauernd zu den Mitteln der Gewalt. Wo ihr Geist versagt,
suchte sie sich durch ihre Faust zu rechtfertigen. Daher schuf die
Welt den Gesegneten des Herrn auch immer wieder einen neuen
Leidensweg. Sie erhob Anspruch auf jene Segensgebiete, die sich
dem Glauben aus dem Erbe der Väter und in seinem Wandel mit
Gott erschlossen hatten.
Wenn aber die Welt um unseres Glaubens willen wider uns ist
dann ist Gott für uns. Denn nachdem Abimelech mit Isaak gespro=
chen hatte, sprach Gott mit ihm: „Ich bin der Gott deines Vaters
Abraham, fürchte dich nicht; denn ich bin mit dir und werde dich
segnen und deinen Samen vermehren um meines Knechtes Äbra°
harn willen. Da baute er dort einen Altar und rief den Namen Jahves
an und schlug sein Zelt auf, und die Knechte Isaaks gruben dort
einen Brunnen3". Müde des Streites, hatte Isaak auch den Brunnen
Rechoboth und die Umgebung von Gerar verlassen und war nach
Beer=Seba gezogen. Hier sprach Gott mit ihm. Abimelechs Verhalten
ihm gegenüber hatte sich trotz des Bundesverhältnisses sehr bedenk*
lieh gestaltet. Isaak war nicht ohne Sorge. Da rief Gott ihm zu:
„Fürchte dich nicht! Ich bin mit dir, und ich werde dich segnen/'
Bewegen sich die Gesegneten des Herrn in der Welt auf jenen
göttlichen Linien, auf die sie sich von Anfang an durch Offenbarung
gestellt sahen, dann ist im Laufe der Geschichte Gott selbst ihr
1
Sitna = Hinderung.
2
Redioboth = Räumlichkeit, Weite, d. h. freie Plätze.
3
Kap. 26,24.
199
Anwalt. Nimmt ihnen die Welt auch vorhandene Quellgebiete, Gott
führt sie auf weit reichere. Sie hätten diese vielleicht nie entdeckt,
wenn nicht Vorhandenes ihnen genommen worden wäre. Noch hat
die Welt jene Machtmittel niàit erfunden, um Menschen des Glau»
bens dauernd die Quellgebiete ihrer Segnungen zu nehmen. Auf
neuen Lebensgebieten entstanden plötzlich auch neue Altäre und
redeten von dem reichen Segen, der dem Glauben aufs neue er=
schlossen worden war. „Da baute er dort einen Altar und spannte
dort sein Zelt aus, und die Knechte Isaaks gruben dort nach einem
Brunnen."
Dies war auch dem Philisterfürsten Abimelech nicht entgangen.
Er hatte Isaaks Ergehen verfolgt und kam nun unerwartet zu Isaak,
um mit ihm den Bund mit Abraham zu erneuern. Isaak sprach zu
ihm und seinen Begleitern: „,Warum seid ihr zu mir gekommen?
Ihr habt mich doch gehaßt und schicktet mich von euch fort!' Sie
sprachen: ,Wir haben doch wiederholt gesehen, daß Jahve mit dir
ist; da sagten wir: möge doch ein Eid zwischen uns sein, zwischen
uns und dir; so möchten wir ein Bündnis mit dir schließen: daß du
uns nichts Böses tust, wie wir dich nicht berührt haben, und wie
wir dir nur Gutes erzeigt und dich doch in Frieden haben ziehen
lassen; du bist fürwahr ein Gesegneter Jahves!'1" Ohne Isaak mit
seinem reichen Segen auszuplündern, hatte ihn Abimelech ziehen
lassen. Das rechnete er sich nun als besonderes Verdienst an. Nach
der damals herrschenden Moral war es auch etwas Ungewöhnliches,
daß der Schwächere seinen Segen vor der Raublust des Stärkeren
zu behaupten vermochte. Abimelech war offenbar, wie früher bereits
bemerkt wurde, einer der edelsten Fürsten jener Zeit. Auch hatte er
erkannt, daß Isaaks sichtbarer Segen auf eine höhere Ursache zurück-
geführt werden müsse: „Wir haben doch wiederholt gesehen, daß
Jahve mit dir war." Wie oft konnten der Welt erst Leidenswege der
Gerechten das künden, was Worte und Altäre ihr nicht hatten sagen
können! Auch von der Kirche Christi sind die entscheidendsten Zeug=
nisse des Glaubens immer wieder erst dann abgelegt worden, wenn
ihr in der Welt von allen Seiten widersprochen wurde.
Isaak fiel es nicht schwer, den Bund des Friedens zu erneuern.
1
Kap. 26, 27 ff.
200
Er hatte versucht, den Frieden zu wahren audi ohne Bund. Menschen
des Glaubens bedürfen nicht eines Bundes, um die Ordnung in der
Welt und den Frieden mit dem Nächsten zu sichern. Daher bereitete
Isaak ihnen, d. h. Abimeledi und seinem Feldherrn Pichol, auch ohne
weitere Verhandlungen und Auseinandersetzungen ein Friedens=
mahl. Am nächsten Morgen schwuren sie gegenseitig und schieden
alsdann in Frieden voneinander. Das Erlebnis mit Abimelech war
wohl mit der schönste Höhepunkt im Glaubensleben Isaaks. Gott
fügte es, daß Isaaks Leidenszeiten nur mit dazu beitragen mußten,
Abimelechs Blick dafür zu öffnen, daß Isaak ein Gesegneter Gottes
sei. Mithin sei es weit besser, mit ihm in Frieden zu leben, als ihn
zu befehden.
b) I s a a k s e g n e t s e i n e b e i d e n S ö h n e
Nach dem großen Erlebnis mit Abimelech trat in die Zelte Isaaks
und Rebekkas schweres Herzeleid ein. Esau heiratete zwei Hethi=
therinnen, die nichts von dem wahren Geist des Glaubens in sich
trugen. Sie erwiesen sich daher bald als ein „vollendetes Widerspiel
gegen den Geist, der in Isaak und Rebekka lebte". Mit seiner Heirat
bewies Esau wiederum, wie ungeeignet er war, der geistige Träger
und Dolmetscher jener Berufung Gottes für die Zukunft zu sein,
die von Isaak auf einen neuen Erben übertragen werden sollte.
Aber trotz dieser Erscheinung hatte Isaak dennoch die Absicht,
nicht Jakob, sondern Esau zu segnen. Als er alt geworden war, rief
er seinen ältesten Sohn zu sich und sprach: „ ,Mein Sohn!' Er sprach
zu ihm: ,Hier bin ich!' Er sprach: ,Siehe, ich bin ja doch bereits alt
geworden, weiß nicht den Tag meines Sterbens. Und nun ... gehe
aufs Feld und jage mir einmal ein Wildbret! Und bereite mir ein
Schmeckendes, wie ich es liebe, und bringe es mir, damit ich es esse,
damit dich meine Seele segne, bevor ich sterbe!' "
Das war schwerstes Versagen des Glaubens im Alter Isaaks. Eine
noch so gesegnete Vergangenheit vermag die Berufenen nicht vor
dem Versagen zu schützen, wenn sie nicht von Fall zu Fall in den
einzelnen großen Entscheidungen ihres Lebens abhängig bleiben von
der göttlichen Offenbarung. Gott hatte bisher in allem sehr klar
geredet, daß Esau als Erstgeborener nicht Erbe der Verheißungen
201
des Glaubens sein könne. Denn wo es sich um das Erbe der Be=
rufung und des Glaubens handelt, entscheidet nicht die Zeit der
Geburt, dort gilt allein die Empfänglichkeit des Herzens. Wenn nicht
alles andere, so hätte wenigstens Esaus Heirat Isaak die Augen
dafür öffnen müssen, daß der Erstgeborene völlig unwürdig sei, der
künftige Träger und Führer des abrahamitischen Hauses zu werden.
Als Rebekka von dem Entschluß Isaaks erfuhr, da wurde auch
in ihrer Seele ein falscher Schritt geboren. Unrecht erzeugt Unrecht,
und der Fall des Stärkeren führt in der Regel auch zum Fall des
Schwächeren. Es wäre Aufgabe Isaaks als des Stärkeren gewesen,
in dieser Frage ein offenes Ohr für die Sprache Gottes zu bewahren.
Er verschloß sich jedoch in seiner fleischlichen Liebe zu Esau vor dem,
was er gesehen und was er gehört hatte. Seine Absicht, Esau zu
segnen, verriet, wie wenig Sorge es ihm innerlich machte, daß der
bisherige Segen Abrahams auch im Geiste Abrahams der Welt weiter
überliefert werde. Sah auch er vielleicht bereits, wie es später so oft
auch in der Kirche Christi geschehen ist, die Garantie für die Zukunft
weit mehr im Segen des überlieferten Erbes als in dem Geiste des
Glaubens, der den Segen Abrahams immer neu zu empfangen
vermag?
Wenn auch die Motive richtig waren, die Rebekka dazu bewogen,
Jakob den Rat zum Betrug seines Vaters zu geben, so waren der Rat
und die erwählten Mittel dennoch verwerflich. Das Erbe Abrahams
läßt sich nicht durch fleischliche oder rein menschliche Mittel ge=
winnen. Es ist geistiger Natur und kann nur vom Geiste erlebt
werden. In dem Versuch selbst, auf einem betrügerischen Wege den
Segen der Erstgeburt von seinem Vater zu erlangen, war Jakob mehr
der leidende als der schuldige Teil. Er sprach zu seiner Mutter: „Siehe,
Esau, mein Bruder, ist ein haarichter Mann, und ich bin ein glatter
Mann, vielleicht wird mein Vater mich betasten, so werde ich in
seinen Augen ein Betrüger sein, und so werde ich auf mich Fluch
und keinen Segen bringen."
Aus diesen Worten Jakobs spricht klar die Erkenntnis, wie tief
er es als ein Unrecht vor seinem erblindeten Vater empfand, was
ihm seine Mutter zu tun empfohlen hatte. So stark sein Verlangen
nach dem Segen der Verheißung auch war, auf solch einem Wege
202
wollte er ihn nicht gewinnen. Er ging jedoch hin und tat> was ihm
befohlen ward, als seine Mutter zu ihm sprach: „Über midi komme
dein Fluch, mein Sohn; nur gehorche meiner Stimme und gehe und
hole mir!" Jakobs kindliches Rechtsempfinden mußte sich dem durch
mütterliche Autorität gestützten Unrecht beugen. So kam er dann
zu seinem Vater mit dem von seiner Mutter zubereiteten Mahl und
sprach: „,Mein Vater!' Er antwortete: ,Hier bin ich! Wer bist du,
mein Sohn?' Da sagte Jakob zu seinem Vater: ,Ich bin Esau, dein
Erstgeborener, ich habe getan, wie du zu mir gesprochen; stehe auf
und setze dich und iß von meinem Wildbret, damit mich deine Seele
segne!' "
Isaak wunderte sich, daß Esau so schnell vom Felde zurüde war
und .nun mit dem zubereiteten Wildbret vor ihm stand. Jakob jedoch
erklärte ihm, daß Gott es so gefügt habe, daß er so schnell ein Wild
erjagen konnte. Daraufhin bat Isaak den Jakob, doch näher zu treten,
damit er erkennen möge, ob er wirklich Esau sei. Als Jakob nun
näher trat und Isaak Jakobs Hände betastete, sprach er: „Die Stimme
ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände/' In dieser
innerlichen Ungewißheit fragte Isaak daher noch einmal den Jakob:
„ ,Du bist's, mein Sohn Esau?' Er sprach: ,lch bin's!' "
Die Stimme und auch die Redeweise erkennt Isaak als Jakobs
Stimme und läßt sich doch durch eine solche einzelne Äußerlichkeit
wie die haarichte Hand täuschen. So mag es wohl auch im ganzen
Leben gewesen sein. Der Totaleindruck Esaus auf Isaak war. gewiß
auch kein günstiger, und dennoch ließ er sich durch einzelne erkün=
stehe Äußerlichkeiten irreleiten. Isaak hatte mit sehenden Augen
nicht gesehen. Nun wurde er mit Blindheit gestraft, damit er mit
blinden Augen das täte, was er mit sehenden nicht getan hätte.
Nachdem nun Isaak gegessen und getrunken hatte, sprach er:
„ ,Tritt doch näher und küsse mich, mein Sohn!' Da trat er hin und
küßte ihn. Da rodi er den Duft seiner Kleider und segnete ihn und
sprach: ,Siehe, der Duft meines Sohnes ist wie der Duft eines Feldes,
welches Jahve gesegnet! So gebe dir Elohim von dem Tau des Him-
mels und von den Fettigkeiten der Erde und eine Fülle von Korn
und Most! Völker werden dir dienen und Nationen sich dir beugen
— werde aber ein Mann deinen Brüdern, daß deiner Mutter Söhne
203
dir sich beugen! Wer dir fludit, dem wird dann geflucht; wer dich
segnet, wird gesegnet.' "
Das war wohl der Segen der Erstgeburt, nicht aber der Segen
Abrahams. Der lag auf einer ganz anderen Höhenlage. Isaak roch
den Duft des Feldes und wünschte seinem Sohne die Fettigkeiten
der Erde, den Ertrag an Korn und Most in Fülle. Zwar sollen Völker
ihm dienen — aber auch einem Nimrod und Kedor=Laomer dienten
Völker, ohne daß sie damit auch Abrahams Berufung und Segen
teilten. Seine Brüder sollen sich vor ihm als Erstgeborenen beugen,
er soll ihnen gegenüber wie ein Mann, ein Held sein. Aber auch
dieser Segen gehörte dem allgemeinen Leben der damaligen Zeit an.
Er hatte an sich nichts mit jener geistigen Vollmacht zu tun, in der
Abraham zu einem neuen, höheren Lebensprinzip im Gewoge der
Völkerwelt werden sollte. Mit Abrahams Berufung zum Wandel mit
Gott, zum Separatismus des Glaubens, zum Propheten mitten in der
Völkerwelt — damit hatte Isaaks Segen sehr wenig oder nichts zu
tun. Und wie sollte Isaak prophetisch einen Jakob segnen, wo er
selbst so stark den Blick für die Berufung zum Propheten verloren
hatte? Unser Mund kann nicht mehr sagen, als unsere Seele schaut,
unsere Seele nicht mit Höherem segnen, als sie in sich trägt. Hätte
der Herr später nicht selbst den Segen Abrahams auch einem Jakob
schenken können, er wäre nie in dem Sinne auch ein Gott Jakobs
geworden, wie er ein Gott Abrahams und Isaaks war.
Isaak hatte Jakob in der Annahme gesegnet, daß Esau vor ihm
kniee. Daher empfing dem Wesen nach Jakob auch nur einen Segen,
der eher in das Leben Esaus als in das Leben Jakobs hineingehörte.
„Völker und Staaten beugen sich nicht der geistigen, beugen sich nur
der machtpolitischen und materiellen Größe." Isaaks Seele war von
dem Wunsche erfüllt, daß Esau als Erstgeborener sich mitten im
Ringen der Völkerwelt auf Grund seiner materiellen Fülle an Macht
und Segen behaupten möge. Er war daher höchst erschrocken, als
bald nachher auch Esau vor ihm stand und den versprochenen Segen
erwartete. Nun erkannte Isaak, wie er durch seinen Jüngsten über=
listet worden sei, und sprach: „Dein Bruder ist mit List gekommen, und
er hat deinen Segen genommen." Da sprach Esau zu seinem Vater:
„1st dies dir denn der einzige Segen? Segne mich auch, mein Vater!"
204
Nicht seine bisherige innere Stellung, sondern den Verlust des
Segens beweinte Esau. Jedoch jetzt blieb Isaak fest und hob nicht
auf, was er getan hatte. Jakob kam, wenn auch mit List, und „er
soll gesegnet bleiben", sprach Isaak zu seinem Erstgeborenen. Das
ganze Erlebnis hatte Isaak offenbar das innere Auge geöffnet. Nun
übersah er die ganze eingetretene Situation und erkannte im ganzen
Geschehen letzthin Gottes Fügung. Denn als er auch Esau segnete,
da zeigte sich in seinem Segen weit mehr der Blick eines Gottes=
propheten als vorher. Isaak war erwacht, und nun konnte er segnen,
wie es dem Charakter und der Zukunft seines Sohnes entsprach.
„Da antwortete sein Vater Isaak und sprach zu ihm: ,Siehe, der
Erde Fettigkeiten wird dein Wohnsitz sein, und von des Himmels
Tau von oben; auf deinem Sdiwerte wirst du leben, und deinem
Bruder wirst du dienen; erst wenn du dich demütigst, löst du sein
Joch von deinem Halse/ "
Das war prophetisch geredet. Esaus Segen liegt nicht auf der
Linie des Glaubens. Auch Isaak sah keine Stellung mehr für Esau
im Hause Abrahams. Sein Segen kann nur auf der Linie „der natür=
liehen Ordnung der Dinge" liegen, nämlich in materiellem Reichtum
und in der Macht der Waffe. Sein Schwert soll der Schöpfer seines
Geschickes sein. Das war seit Lamechs Tagen der gewöhnliche Ver=
lauf der Weltgeschichte gewesen. In diesem Kreislauf des Geschehens
konnte auch Esau Erbe werden. Die natürliche Veranlagung dazu
besaß er. Und bei der inneren Einstellung Esaus konnten dessen
Wünsche für die Zukunft auch letzthin nur die sein, die in dem
Segen seines Vaters ausgesprochen wurden.
Bei allem Segen der Erde muß jedoch ein Neues im Leben Esaus
eintreten: die Beugung. Diese war ihm bisher fremd geblieben. Erst
wenn sie eintreten wird, wird er als Gleichgestellter und Gleich=
berechtigter begnadet werden, das Joch seines jüngeren Bruders von
sich abzuwerfen. Der wahre Ausgleich zwischen Bruder und Bruder
liegt nur auf der Linie einer wahren Beugung. Wie fremd sie jedoch
zunächst dem Herzen Esaus war, bezeugen seine Worte nach emp=
fangenem Segen: „Laß nur die Trauertage um meinen Vater heran-
kommen, so werde ich schon meinen Bruder Jakob erschlagen."
Mag Esau auch noch so oft beabsichtigen, seinen Bruder als
205
Träger einer göttlichen Berufung und Segnung zu erschlagen, den
Segen des Erstgeborenen findet er auf diesem Wege nicht. Der Ver=
lauf der bisherigen Weltgeschichte war nur die Exegese dazu. Sie
enthüllte stets neu, was sich bereits in den beiden Söhnen Isaaks
in so typischer Weise abschattete. Jakobs Segen läßt sich eben nicht
mit Machtmitteln gewinnen, er kann nur im Glauben erlebt werden.
Gott sorgte dafür, daß in Esaus Seele zunächst Hemmungen blieben,
die ihn von seiner dämonischen Absicht zurückhielten. Auch war
Jakob als Berufener Gottes nicht einfach ein Freiwild, über dessen
Leben oder Tod Esau bestimmen durfte. Sein Leben stand in Gottes
Hand. Es lag nicht in der Hand eines Bruders, der da glaubte, über
seine Handlungen selbst bestimmen zu können.
206
gleicht man beide miteinander in ihrem rein äußerlichen Leben, dann
könnte uns Esau in mancher Hinsicht weit mehr gefallen als Jakob.
In ihm begegnet man etwas Starkem, Schönem, Männlichem, das
sich seine Wege bahnt, Schwierigkeiten überwindet und sich von
seiner Hände Werk zu nähren vermag. Es war daher einerseits ver=
ständlich, wenn von Isaak gesagt wird: „Und er liebte Esau." In
Jakobs Leben dagegen begegnet uns etwas Schwächliches, Zurück=
gezogenes und sogar Listiges, das fähig ist, sich ohne harten Kampf
und besondere Mühe einen Segen zu verschaffen.
Der Mensch jedoch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht
das Herz an. Bald zeigte das Leben der beiden Brüder, wie Gott
sich in seiner Wahl nicht getäuscht hatte. Hinter der unsympathischen
Außenseite eines Jakob schlug ein Herz, das Gott in die Berufung
Abrahams hineinziehen konnte. Für Gottes Erwählung ist niàit ent=
scheidend, was der Mensch zunächst an sich ist, sondern was er
durch Gnade und Offenbarung zu werden bereit sein wird. Ob ohne
Gott oder ob durch Gott der Mensch den Aufbau seines Lebens und
den Dienst seines Geistes bestimmen will — das leitet Gott in seiner
Gnadenwahl und Vorherbestimmung zwischen Esau und Jakob.
a) J a k o b s d u n k l e E r l e b n i s s e im E l t e r n h a u s e
Dunkle Schatten hatten sich auf die Zelte Isaaks gelegt. Sie
kamen nicht von außen, sie gingen vom Leben innerhalb der Zelte
hervor. Die Art, wie Rebekka versucht hatte, dem Jüngeren den
Segen des Erstgeborenen zu gewinnen, wirkte sich sehr bald unheil=
voll aus. Unheilige Mittel schufen im Leben stets auch unheilige
Zustände. Es entging auch Rebekka nicht, welch ein tiefer Groll sich
in Esau gegen Jakob festsetzte. Zudem machten ihr die beiden Hethi=
terinnen, die Weiber Esaus, viel Herzeleid. Das alles ließ in ihrer
Seele einen neuen Plan ausreifen. Sie überredete Jakob, nach Haran
zu ihrem Bruder Laban zu ziehen, bis sich der Zorn Esaus gelegt
habe. Zu Isaak sprach sie: „Ich habe Unlust an meinem Leben vor
den Töchtern des Chittiters; wenn Jakob eine Frau von den Töchtern
des Chittiters wie diese, von den Töchtern des Landes, nimmt, wozu
mir (dann) das Leben1?"
1
Kap. 27, 46.
207
Diese Motive verstand auch Isaak. Auch seine Seele litt unter
dem Geiste der beiden Schwiegertöchter, die dauernd so fremd dem
Leben in seinen Zelten gegenüberstanden. Daher rief er Jakob zu
sich und sprach zu ihm: „Du sollst keine Frau von den Töchtern
Kanaans nehmen. Madie dich auf und gehe nach Padan=Aram zum
Hause Bethuels, des Vaters deiner Mutter, und nimm dir dort eine
Frau von den Töchtern Labans, des Bruders deiner Mutter! Und
EUSchaddai (der Allgenügende) wird dich segnen und dich fruchtbar
machen und dich vermehren, daß du zu einer Versammlung von
Völkern wirst. Er wird dir den Segen Abrahams geben, dir und
deinem Samen bei dir, daß du das Land deiner Fremdlingschaft
erbest, welches Elohim dem Abraham gegeben."
Dieser Segen Isaaks atmete weit mehr den Geist Abrahams als
der, den Jakob durch Betrug von seinem Vater empfangen hatte.
Aus den Worten sprach die Sorge eines betagten Vaters, der inner=
lieh um das geistliche Wohl und die Zukunft seines Sohnes rang.
Bestimmt durch diesen Auftrag seines Vaters, zog Jakob hinfort
nach Padan=Aram. Was er in die Zukunft mitnahm, war nichts als
der soeben vernommene Segen. Die Erinnerungen an das Erlebte
konnten ihn wenig erquicken und heben. Alles hatte sich wie ein
schwerer Druck auch auf seine jugendliche Seele gelegt. Die Hoff=
nung, seinen greisen Vater je wieder zu sehen, konnte er kaum mit=
nehmen. Den großen Reichtum seines Vaters an Zelten und Herden
mußte er seinem ältesten Bruder zurücklassen, obgleich er auf Grund
des Erstgeburtssegens nicht Esau, sondern ihm gehörte. So sah sich
Jakob genötigt, alles, alles zurückzulassen. Was ihm blieb, war allein
der Segen, der ihm noch unbekannt war. Dieser kam jedoch von Gott
und wog schwerer als alles, was zurückblieb. Denn entscheidend für
die Zukunft eines Menschen ist nicht der Segen, den er besaß, son=
dem der ihm werden soll. So ging Jakob von Beer=Seba nach Haran,
eine dunkle Vergangenheit zurücklassend, einer Ungewissen Zukunft
entgegen.
b) J a k o b s O f f e n b a r u n g s t r a u m auf d e r L a n d s t r a ß e
Welch ein innerlicher Kampf sich in der Seele Jakobs abspielte,
als er einsam seinen Weg ging, wissen wir nicht. Nur Gottes Offen=
208
barung, die ihm in der ersten Nacht wurde, läßt ihn uns ahnen.
War doch je und je Gottes Offenbarung eine Antwort auf das Fragen
und Sehnen der menschlichen Seele. Als Jakob sich am Abend des
ersten Tages an einem bestimmten Ort niederlegte, träumte er:
„Siehe da, eine Leiter, gestellt zur Erde, und ihre Spitze reicht in
den Himmel; und siehe da, Engel Gottes steigen hinauf und steigen
hinab zu ihm; und siehe da, Jahve steht bei ihm und spricht: ,Ich
bin Jahve, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks;
das Land, auf dem du schläfst, gebe ich dir und deinem Samen.
... Und siehe, ich bin mit dir und werde dich schützen in allem,
wo du gehst, und werde dich zu diesem Boden zurückbringen; denn
ich werde dich nicht verlassen, bis daß ich vollbracht habe, was ich
dir verheißen/ "
Das waren bekannte Worte, wie Jakob sie in den Zelten seiner
Mutter so oft aus dem Leben seines Großvaters Abraham und auch
aus dem Leben seines Vaters gehört hatte. Aber bisher waren sie
ihm nur Überlieferung gewesen. Sein Leben hatte sie noch nicht
vernommen. Sollte das wirklich wahr sein, was Gott durch den
Traum ihm versprach? Dann mußte ja auch in seinem Leben alles
Verheißene sich so erfüllen, wie es sich im Leben Abrahams und
Isaaks erfüllt hatte. Diese Überzeugung mußte die Offenbarung in
der Seele Jakobs wecken. War der ganze Traum letzthin doch nichts
Geringeres als eine Berufung Jakobs für dieselbe Gemeinschaft mit
Gott, zu der sich einst auch Abraham in Haran berufen sah. Die
Form der Offenbarung war zwar eine andere, ihr Wesen war jedoch
dasselbe. Wenn es sein mußte, dann wurde das ewige Wort Fleisch
auch in einem Traum und übermittelte dem Menschen Gottes Be=
rufung zum Leben. Im Falle Jakobs mußte Gott offenbar zunächst
diesen Weg gehen, um überhaupt in persönliche Gemeinschaft mit
ihm zu kommen. War es doch das erste bewußte Erlebnis des Glau=
bens, durch das der Herr auch Jakob in die göttliche Erwählung und
in die prophetische Mission eines Abraham hineinzuziehen suchte.
Die Offenbarung mußte zunächst auch zu ihm sprechen, bevor in
ihm jener Glaube lebendig werden konnte, durch den er sich in seinen
einzelnen Entscheidungen und Handlungen bestimmen lassen sollte.
„Da erwachte Jakob von seinem Schlaf und sprach: ,In Wahrheit:
209
Jahve ist an diesem Ort! Und ich habe es nicht gewußt!' Und er
fürchtete sich und sprach: ,Wie furchtbar ist dieser Ort! Nichts
anderes ist dies als Gottes Haus! Und dies ist eine Pforte zum Him=
mei!' " Gottes Offenbarung — wenn zunächst auch nur durch einen
Traum — hatte nicht vergeblich geredet. In Jakobs Seele war ein
Leben geweckt worden, das entscheidend werden sollte für seine
ganze Zukunft. Ihm war eine Erkenntnis geworden, wie er sie nie
in sich getragen, eine Erleuchtung, in der er das Leben in einem völlig
neuen Lichte sah. In einer unnennbaren seelischen Vereinsamung
hatte er das Elternhaus verlassen. Die Offenbarung jedoch zeigte
ihm: Siehe, Gott steht neben dir! Und als er erwachte, bekennt er:
„In Wahrheit, Gott ist an diesem Ort!" Nun verstand Jakob und
gewann den Glauben, daß der Mensch nie so einsam und so ver=
lassen sein kann, als daß Gott nicht mit ihm sein könne. Denn es
gibt keinen so öden Ort und keinen so einsamen Weg, wo Gott
nicht auch wäre. Was bedeutet es aber für den Menschen, wenn er
tatsächlich in allen Geschehnissen seines Lebens wirklich Gott zu
sehen beginnt! Dann lernt er auch das Schwerste seiner Seele mit
Gott zu durchleben. Hinfort steht ihm alles in Verbindung mit
Gottes Führung, und sein Glaube gewinnt jene höhere Synthese für
die unlösbaren Widersprüche seines Lebens, die ihm kein Mensch
hätte enthüllen können.
„Ich habe es nicht gewußt", erklärt Jakob nach seinem Erwachen.
Wie oft ist Gott dem Menschen gerade da am nächsten, wo er ihn
am wenigsten erwartete, und sucht Gott gerade dann mit dem
Menschen zu sprechen, wenn dieser sich vor ihm am schuldigsten
fühlt! Denn noch lag die ganze Schuld der verflossenen Tage schwer
auf Jakobs Seele. Ihm war es unmöglich, sie zu ordnen und Ge=
schehenes ungeschehen zu machen. Was Gott jedoch erwartet, um
seine Gegenwart und sein Heil offenbaren zu können, sind zunächst
nicht reine, sondern offene Menschen, die sich durch Gnade in seine
Erwählung und in das damit verbundene Heil hineinziehen lassen.
Wenn der Mensch aber erst Gott an jedem Ort seines Lebens
zu sehen vermag, dann erklärt er auch jeden Ort zu einem Gottes»
haus. Selbst die einsame Landstraße wird ihm zu einer Pforte des
Himmels. In solch einer Erkenntnis sucht der Mensch alsdann Gott
210
nicht mehr an diesen oder jenen heiligen Orten. Denn das Leben
mit seinen einzelnen Erscheinungen ist ihm zu einem Beth=El, d. h.
zu einem Gottestempel, geworden. Hier sieht er jene Leiter, die von
der Erde bis in den Himmel hineinragt, und auf der die Boten
Gottes zum Segnen bereit auf= und niedersteigen. Eine Seele, der
sich die ganze Tiefe dieses Geheimnisses erschloß, sieht nicht in
besonderen heiligen Handlungen die einzelnen Sprossen, auf denen
sie zu Gott hinaufsteigen kann, sie findet diese in den gewöhnlichen
Alltäglichkeiten des Lebens. Hier findet sie Stufe um Stufe, durch
die alles Irdische mit dem Himmlischen vermählt werden kann:
Alles ein Gotteshaus! Alles eine Pforte zum Himmel!
An sich war in der äußeren Lage und in der inneren Verkettung
der Verhältnisse alles geblieben, wie es auch vor dem Traume war.
Es hatte sich nichts geändert, nur Jakobs Erkenntnis hatte sich ge=
ändert. Darin aber liegt das Geheimnis der Weltüberwindung. Auf
Grund der empfangenen Gottesoffenbarung sah er das Leben mit
seiner dunklen Zukunft und öden Umgebung in einem neuen Lichte.
Er hatte Gott und dessen Offenbarung und Gegenwart auf der ein*
samen Landstraße erlebt. Nun war er begnadet, selbst den einfachen
Stein, auf dem sein Haupt während der Nacht geruht hatte, zu
einem Altar des Dankes zu weihen. Denn unter dem tiefen Eindruck
stehend, den seine Seele durch dies Gotterleben gewonnen hatte,
setzte er diesen „zum Denkstein, und er goß öl auf dessen Spitze
und nannte den Namen dieses Ortes Beth=El; denn früher war der
Name der Stadt Lus1."
So verklärt sich einer Seele auch die äußere Welt, wenn sie erst
eine lebendige Verbindung mit Gott gefunden hat. Die Erfahrungen
ihres Glaubens werden zu einer unübersehbaren Reihe von einzelnen
Denksteinen, von denen ein jeder ein besonderes Erlebnis mit Gott
zu erzählen vermag. Im neu gewonnenen Lichte verklärt sich hier
hinfort die ganze Welt: aus einer Haselnußstadt wird für sie ein
Beth=El, d. h. ein Gotteshaus. Das heißt letzthin nichts anderes, als
daß das Leben mit seinen einzelnen Erscheinungen so geweiht wird,
daß alles zu einer Offenbarung der Gegenwart Gottes wird.
1
Haselnußstadt, nadi den vielen Haselnußsträudiern, von denen die
Stadt umgeben war.
211
Nachdem Jakob erkannte, daß Gott zu ihm gesprochen, sprach
auch er zu Gott. Gottes Offenbarung löst die Zunge unserer Seele
und gibt uns die Inspirationen zum Gebet. „Da tat Jakob ein Ge=
lübde, indem er sprach: Wenn Elohim mit mir sein wird und midi
auf diesem Wege, den idi gehe, bewahren und mir Brot zu essen
und Gewand zur Bekleidung geben wird und idi in Frieden zu dem
Hause meines Vaters wiederkehren werde, so soll ]ahve mir Gott
sein." Die Bedeutung dieses Gelübdes bestand nicht in den Worten,
die es enthielt, sondern in dem heiligen Entschluß, den es bekundete.
So mangelhaft Jakob es auch auszudrücken verstand, grundsätzlich
hatte er sich aber entschieden, daß der Gott Abrahams und Isaaks
auch sein Gott sein solle. Sein Leben war trotz all der Schuld der
Vergangenheit, trotz aller Einseitigkeit und Schwachheit, trotz seiner
Anlage und seines Charakters hinfort offen für Gott. Nun hatte
Gott Gelegenheit, auch Jakobs Leben mit einem Inhalt und einer
Mission zu erfüllen, die auch ihn zu einem Träger der göttlichen
Offenbarung für die Zukunft machen sollten.
a) Der D i e n s t um L a b a n s T ö c h t e r
Nach kaum einer Tageswanderung gelangte Jakob bei einem
Brunnen des Feldes in Haran an. Bald sammelten sich um diesen
zahlreiche Herden mit ihren Hirten und warteten miteinander auf
212
die gemeinsame Tränke. Auf seine Frage hin erfuhr er, daß die
Hirten mit ihren Herden aus Haran seien, und daß auch Rahel, die
Tochter Labans, mit ihren Schafen gleich zur Tränke käme. Als nun
Rahel kam und Jakob sie sah, da küßte er sie, „erhob seine Stimme
und weinte"1. Offenbar überwältigte es ihn innerlich so tief, im
Anblick der Rahel eine Tochter des Bruders seiner Mutter sehen zu
dürfen, daß er zu weinen begann.
Als Laban Kunde davon erhielt, daß Jakob, der Sohn seiner
Schwester Rebekka, angekommen sei, „lief er ihm entgegen, um=
armte ihn und küßte ihn und brachte ihn in sein Haus". Nun
erzählte Jakob seinem Onkel Laban alle seine Erlebnisse, und daß
er nur mit einem Stabe in der Hand angekommen sei. Ganz anders
war einst Elieser, Abrahams ältester Knecht, bei Labans Vater
Bethuel erschienen, als er gekommen war, um Rebekka, Jakobs
Mutter, zu werben. Auch wußte Laban, daß Isaak sehr reich an
Knechten und Mägden, Zelten und Herden sei. Isaaks Sohn stand
aber arm vor ihm. „Dennoch bist du mein Bein und mein Fleisch",
sagte jedoch Laban, nachdem Jakob ihm alle Begebenheiten erzählt
hatte.
Nach Verlauf eines Monats sagte Laban zu Jakob: „Wenn du
auch mein Verwandter bist, solltest du mir deshalb umsonst dienen?
Sage mir, was ist dein Lohn?" Diese Frage gab Jakob Gelegenheit
zu erklären, daß er bereit sei, sieben Jahre um Rahel, die jüngste
Tochter Labans, zu dienen. Denn Jakob liebte die Rahel. Darauf
antwortete Laban: „Es ist besser, daß ich sie dir als einem anderen
Manne gebe; bleibe bei mir!" Hinfort diente nun Jakob um Rahel,
und die sieben Jahre erschienen ihm wie einige Tage, so liebte er
Rahel.
Jedoch als die sieben Jahre um waren, gab Laban dem Jakob
nicht die Rahel, sondern führte ihm nach einem großen Hochzeits=
mahl Lea, seine ältere Tochter, zu. Jakob sah sich schwer betrogen,
und er gab seinem Unwillen Laban gegenüber mit den Worten
Ausdruck: „Was hast du mir getan? Habe ich nicht um Rahel bei
dir gedient? Warum hast du mich betrogen?" Laban wußte sich und
seine Handlung auf Grund der herrschenden Landes= und Volks*
1
Kap. 29,11.
213
sitte zu rechtfertigen. In seinen Augen war es nicht ein Betrug,
sondern er besaß das öffentliche Recht und die väterliche Pflicht,
so zu handeln, wie er gehandelt hatte. Daher antwortete er auch
dem Jakob: „So geschieht nicht in unserem Orte, daß man die
Jüngere vor der Älteren gebe." Als daraufhin Laban dem Jakob für
weitere sieben Dienstjahre auch die Rahel versprach, da beruhigte
sich Jakob und erhielt nach der beendeten Hochzeitswoche1 mit Lea
auch Rahel zur Frau. So mußte Jakob auf dem zartesten Lebens=
gebiet, das es für Menschen gibt, am ersten erleben, wie häßlich
und verhängnisvoll jene Sünde wirkt, die er selbst gegen seinen
Vater begangen hatte.
b) D e r K i n d e r s e g e n J a k o b s
Am schwersten litt unter dem ganzen Geschehen aber Lea. Hatte
Jakob sich auch dem bestehenden Recht untergeordnet und sie zur
Frau genommen, so zog er Rahel doch ihr gegenüber vor. Lea war die
Mindergeliebte. Aber Gott segnete sie, und sie gebar dem Jakob
einen Sohn. In ihrer Freude über die Rechtfertigung, die ihr von
seiten Gottes wurde, nannte sie ihn „Rüben2; denn sie sagte: ,Jahve
hat in mein Leiden gesdiaut. Jetzt wird mein Mann midi lieben/"
Leas Freude war aus einer reinen Frauenseele geboren. Sie liebte
Jakob nicht weniger, als Rahel, ihre Schwester, ihn liebte. Da sie
jedoch nur die Mindergeliebte war, hoffte sie durch dies höchste
Geschenk, das ein Weib dem Manne zu geben hat, auch Jakobs
ungetrübte Liebe zu gewinnen, hatte sie ihm doch den ersten Bau=
stein zum Aufbau seiner Zukunft geschenkt. Aber offenbar wurde
1
Die Hodizeitswodie wurde gewöhnlich ganz durchgefeiert, und sie heißt
noch jetzt bei den heutigen Syrern die Königswoche, weil die jungen Ehe-
leute als König und Königin begrüßt werden. (Nach König.)
2
„Seht, ein Sohn!" Ruben war mithin Jakobs Erstgeborener, dem auf
Grund seiner Erstgeburt das Herrscherrecht seines Stammes gehörte, der
jedoch später um seiner schweren Sünde willen an dem Kebsweibe semes
Vaters diese Würde verlor; als Ersatz wurde Joseph in dessen Rechte ein-
gesetzt. Rubens Söhne waren auch mitbeteiligt bei der Empörung der Rotte
Korahs. Seinen Sitz hatte später der Stamm Ruben im Ost jordanlande nörd-
lich vom Arnon, und sein Gebiet grenzte westlich vom Jordan an das
Stammgebiet Dans.
214
Leas Freude aufs neue getrübt. Sie sah sich in ihrer Erwartung ge=
täuscht. Dies kam zum Ausdruck, als ihr zweiter Sohn geboren
wurde. Ihr dankerfülltes Herz nannte ihn „Simeon"1. Denn sie
sprach: „Jahve hat gehört, daß ich die Mindergeliebte bin; darum
gab er mir diesen."
Aber ihre reine, weibliche Seele, die mit der Hingabe all ihrer
Kräfte die Liebe Jakobs auch für sich gewinnen wollte, sah sich aufs
neue getäuscht. Jedoch hoffte sie weiter und verriet damit, wie stark
das weibliche Gemüt im Tragen und Warten mitten unter den
schwersten Verhältnissen sein kann. Und wie oft haben Frauen durch
diese ihre unsichtbare Stärke den Sieg über den Mann davongetra=
gen, wie auch Lea letzthin Jakob gewann! Denn als ihr der dritte
Sohn geboren wurde, sprach sie: „Nun endlich wird mein Mann sidi
mir anschließen; denn ich habe ihm drei Söhne geboren." In dieser
ihrer Erwartung nannte sie ihn „Levi"2.
Als Lea später der vierte Sohn geboren wurde, da war offenbar
ihr so heißer Wunsch bereits erfüllt. Denn sie nannte ihn „Juda"3.
Sie dankte durch den Namen nunmehr Gott, der ihre Sehnsucht
gestillt hatte. In diesem Namen spricht nichts mehr von einem neuen
Schmerz ihrer Seele, sondern er ist nur der Ausdruck ihres tiefemp*
fundenen Dankes. Nun hörte sie auf zu gebären.
In bezug auf die höchste Aufgabe, die ein Weib ihrem Manne
und ihrem Geschlecht gegenüber hat, nicht nur Weib, sondern auch
1
Simeon = Erhörung. Der zweite Sohn Jakobs von der Lea wurde
seiner heißen Radie wegen (l.Mose 49, 5—7) mit Levi zusammen zur Zer-
streuung unter Israel verurteilt. Sein Stamm ging durch schwere Gerichte
hindurch und lehnte sich an den starken Stamm Juda an und wurde teil-
weise von diesem aufgesogen. Er besaß kein selbständig abgegrenztes Erbteil
und teilte sich mit Juda in den Süden; auch wird Simeon im Mose-Segen
(5. Mose 33) nicht erwähnt.
2
Levi = Anhänger, Sichanschließender. Der Drittgeborene Jakobs von
der Lea wurde der Stammvater des späteren Levitengeschlechts; um seines
Dienstes willen am Heiligtum besaß der ganze Stamm kein eigenes Erbteil,
denn der Herr selbst sollte Levis Erbteil sein. Vgl. Hes. 44, 28; 4. Mose 18,20.
3
Jnda = Gelobter (ist Jahve), der vierte Sohn Jakobs von der Lea und
der Ahnherr des später so bedeutsamen Stammes; seine höhere Bedeutung
verdankte der Stamm den Siegen Davids und der Erhebung Jerusalems zur
Residenz. Sein Stammgebiet lag im Südlande Palästinas und grenzte östlich
bis ans Tote Meer, westlich bis an die Grenzen der Philister, deren Haupt-
städte an der Küste des Mittelmeeres lagen.
215
Mutter zu sein, trat Rahel ganz hinter ihrer Schwester Lea zurück.
Sie war unfruchtbar. Jedoch anstatt sich in ihrem Schmerz direkt an
Gott zu wenden, wandte sie sich an Jakob mit den Worten der Ver=
zweiflung: „Schaffe mir Kinder! Wenn niàit, so sterbe idi." Das
erregte starken Unwillen in Jakobs Seele, und er antwortete ihr:
„Bin idi an Elohims Stelle, der dir die Frudit des Leibes versagt
hat?" Auch Jakob machte mithin diese Angelegenheit nicht zu einem
Gebet, während er doch wußte, wie er und sein Bruder Esau erst
nach langem Flehen seines Vaters seiner Mutter Rebekka geschenkt
worden waren.
In ihrer Sorge um ein Kind verfiel Rahel jedoch auf einen ahn»
liehen Ausweg wie einst Sarah. Sie gab Jakob ihre Leibmagd
„Bilha"1, damit sie durch diese auch gebaut würde. Als ihr von
dieser tatsächlich ein Sohn geboren wurde, da sprach sie: „Elohim
hat midi geriditet und hat audi mein Weinen erhört." Und sie nannte
den Geschenkten „Dan""2. Aber später wurde ihr von derselben
Magd noch ein zweiter Sohn geboren, und sie sprach: „Kämpfe
Elohims habe idi mit meiner Sdiwester gekämpft und habe audi
gesiegt." Darum nannte sie ihn „Naphthali"3. Rahel nennt ihre
durchlebten Seelenkämpfe ein Ringen Gottes; denn was sie erstrebte,
waren göttliche Ziele. Um auch von ihrer Seite Miterbauerin des
Hauses Jakob zu werden, hatte sie das schwere Opfer gebracht und
1
Bilha = die Zarte, Bescheidene.
2
Dan = Gott ist Riditer oder: der Redit schafft, der fünfte Sohn Jakobs,
der ihm von Raheis Leibmagd geboren wurde, und Stammvater seines Ge-
schlechts, dessen Erbgebiet westlich von Benjamin lag, im Südosten an Juda
und im Norden an Ephraim grenzte. Bereits vor der Königszeit verlor jedoch
der Stamm seine ursprüngliche Bedeutung und wurde weiter nach dem
Norden des Landes verdrängt. Hier gründeten die Daniten das Heiligtum
Dan und stellten in ihm ein Gottesbild auf, das sie unterwegs aus einem
ephraimitischen Heiligtum geraubt hatten. Dieses Heiligtum wurde nach der
Reichsspaltung eines der großen königlichen Heiligtümer des Nordreiches.
„Von Dan bis Beerseba" wurde später der stehende Ausdruck für die Nord-
und Südgrenze des Erbteils der Söhne Jakobs.
8
Naphthali = mein Erkämpfter, Jakobs sechster Sohn, ebenfalls von
Bilha geboren. Naphthalis Stammgebiet war sehr quellenreich und fruchtbar
und lag am Westrande vom See Genezareth und nördlich an den Ufer-
streifen des Jordans hinauf bis an den Merom-See. Durch das Gebiet führte
die große Handelsstraße vom Mittelländischen Meer durch die fruchtbare
Ebene Jesreel bis nach Damaskus hin.
216
ihre Leibmagd Jakob gegeben, damit sie alsdann an deren Kindern
die Mutterpflichten soweit als möglich erfüllen könne. Sie beurteilte
mithin ihr Ringen nicht als gemeine Eifersucht, wie sie in diesem
Falle so leicht denkbar war, sondern vielmehr als ein Ringen um
heiligste Güter.
Als jedoch Lea sah, daß sie Jakob keine Kinder mehr schenkte,
folgte sie dem Beispiel ihrer jüngeren Schwester und gab auch ihre
Leibmagd namens „Silpa"1 Jakob. Als diese einen Sohn gebar, sprach
sie: „Da ist ein Glück gekommen, und nannte ihn Gad."2 Später
schenkte die Magd Jakob noch einen Sohn, und Lea sprach: „Ich
Glückliche! Ja, glücklich werden mich die Frauen preisen, und nannte
ihn Asser. " 3 Aber auch Lea selbst wurde wieder schwanger und gebar
ihren fünften Sohn und sah diesen als einen Lohn von Gott an,
daß sie ihre Magd dem Jakob gegeben hatte. Daher nannte sie ihn
„Isaschar"4. Danach schenkte sie Jakob noch den sechsten Sohn, und
in ihrer Freude über die Fülle ihres Segens sprach sie: „Elohim hat
mich mit einem guten Teil beschieden, jetzt wird mein Mann bei
mir wohnen, denn ich habe ihm sechs Söhne geboren; sie nannte
ihn daher Sebulon/'5 Später gebar sie dem Jakob noch eine Tochter,
die nannte sie „Dina"0.
Nach jahrelangem Warten und vielen innerlichen Seelenkämpfen
wurde endlich auch Rahel schwanger, und sie gebar Jakob auch einen
Sohn. Nun atmete ihre müde Seele auf, und sie sprach: „Gott hat
1
Silpa = Nähe, Vertrautheit.
2
Gad = Glüdc war der siebente Sohn Jakobs, dessen Stammgebiet
später in Gilead im Ost jordanlande lag und im Süden an Ruben und im
Norden an den halben Stamm Manasse grenzte.
3
Asser = Glüdcbringer war Jakobs achter Sohn; das Erbe seines
Stammes lag im Norden zwischen Dan und Sebulon und grenzte westlich an
die Gebiete von Achsib im Süden und Tyrus im Norden.
4
Isaschar = Er (Gott) bringt Lohn oder: Mann des Lohnes, der neunte
Sohn Jakobs, dessen Stammgebiet später das obere Kisontal war, nämlich
der östliche Teil der Ebene Jesreel bis an den Jordan hin.
5
Sebulon = Geschenkter (Gottes) oder Wohnung, der zehnte Sohn
Jakobs, dessen Stamm später das Gebiet zwischen dem See Genezareth und
dem Mittelmeer bis an den Berg Karmel bewohnte; er unterhielt rege
Handelsbeziehungen mit den Phöniziern, vermischte sich aber auch sehr bald
mit den angrenzenden Heidenvölkern.
• Dina = die Gerächte oder: gerichtliche Entscheidung.
217
meine Schmach hinweggenotnmen. Sie nannte ihn aber Joseph1, um
damit zu sagen: Gott gebe mir noch einen anderen Sohn!" Nachdem
Jakob diese so lange auch von ihm ersehnte Freude geworden war,
glaubte er, daß er lange genug in Haran gelebt und Laban gedient
habe. Er bat seinen Schwiegervater, ihn mit seinen Weibern und
Kindern zu entlassen. Dieser hatte aber erkannt, wie Gott ihn durch
Jakob im Laufe von 14 Jahren gesegnet hatte, und mit welcher
Treue er ihm diente. Daher bat er ihn, noch weitere Jahre bei ihm
zu bleiben. Nach längeren Lohnverhandlungen entschloß Jakob sich
dazu und weilte noch länger bei Laban, indem er ihm hinfort diente
um Herdenlohn.
c) Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n m i t L a b a n
Die Dienstjahre bei Laban um Herdenlohn gestalteten sich je
länger, desto trüber. Immer wieder wurden die vereinbarten Lohn=
bestimmungen von seiten Labans geändert, was wiederum auch
Jakob durch List bei der Deckung der Schafmütter auszugleichen
suchte. So entstand zuletzt eine so schwere Spannung in dem Ver=
hältnis zueinander, daß Jakob die Söhne Labans eines Tages sogar
sagen hörte: „Jakob hat alles, was unserem Vater gehört, sich an=
geeignet; und von dem, was unserem Vater gehört, hat er all diese
Herrlichkeit geschaffen. Auch Labans Gesicht sah Jakob, und siehe,
der war auch nicht mehr mit ihm wie gestern und vorgestern."
Während Jakob unter diesem innerlichen Druck stand, sprach
Gott zu ihm: „Kehre zu dem Lande deiner Väter und zu deinem
Geburtsort zurück, und ich werde mit dir sein!" Diesen Auftrag teilte
er auf dem Felde seinen Frauen mit, und diese erklärten: „Alles, was
dir Elohim gesagt hat, das tue!" So unternahm Jakob eines Tages
mit Lea und Rahel, seinen Kindern und seiner ganzen Habe die
Flucht, ohne Laban davon wissen zu lassen. Dieser befand sich ge=
1
Joseph = Er (Jahve) füge hinzu; als Erstgeborener Raheis war Joseph
der Liebling Jakobs und sein elfter Sohn. Josephs beide Söhne, die ihm von
der Ägypterin geboren wurden, Ephraim und Manasse, gehörten später mit
zu den Stämmen Jakobs und erhielten ihre Stammgebiete an den beiden
Seiten des Jordans, nördlich von Gad im Ostjordanlande und nördlich von
Benjamin im Westjordanlande.
218
rade bei der Schafschur, mit der gewöhnlich fröhliche Festlichkeiten
verbunden waren.
Erst am dritten Tage erfuhr Laban, daß Jakob entflohen sei. Nun
nahm er seine Knechte und setzte Jakob nach und erreichte ihn am
Gebirge Gilead. Aber in der Nacht vor der Begegnung sprach Gott
zu Laban im Traume: „Hüte dich, daß du mit Jakob nicht sprechest
vom Guten bis zum Bösen!" Als Laban dann am nächsten Morgen
Jakob und seine Töchter erreichte, machte er diesem schwere und
doch einerseits berechtigte Vorwürfe. Aber Jakob hatte Laban ken=
nengelernt und hatte nichts Gutes von ihm als einem durch und
durch selbstsüchtigen Aramäer zu erwarten. Unter diesem Eindruck
hatte er den an sich verwerflichen Schritt getan. Jedoch der Traum
in der Nacht hatte auf Laban so tief eingewirkt, daß dieser zu Jakob
sagte: „Meine Hand ist zwar in der Kraft, auch Böses zu tun, aber
der Gott eures Vaters hat verwichene Nacht zu mir also gesprochen:
Hüte dich, mit Jakob von Gutem bis zu Bösem zu reden1!"
Aus diesem Bekenntnis Labans mußte Jakob erkennen, wie der
Herr ihn decke und seine Heimkehr überwache. Daß Rahel die Göt=
zenbilder ihres Vaters gestohlen hatte, wußte Jakob nicht. Er war
daher entrüstet, als Laban nach diesen suchte2. Die schweren Aus=
einandersetzungen endeten jedoch zuletzt mit einem gegenseitigen
Bunde. Zum Gedächtnis daran wurden nun sowohl von Jakob und
seinen Genossen als auch von Laban und dessen Genossen zwei sich
gegenüberliegende Steinhaufen zusammengetragen. Zwischen beiden
setzte man einen Denkstein. Den Steinhaufen Labans nannte man
„Galed", d. h.: „Der Steinhaufe ist Zeuge", und den des Jakob
„Hamizpa", d. h.: „die Schaustätte" oder „Warte". Zum Zeichen der
Freude und des Dankes über diesen Bundesschluß machte Jakob noch
auf dem Gebirge ein Mahl und lud auch alle Genossen Labans dazu.
Am nächsten Morgen verabschiedete sich Laban von all seinen Söh=
nen und Töchtern, indem er sie küßte, segnete und alsdann in Frie=
den ziehen ließ.
Manche Enttäuschungen hatte Jakob während der zwanzig Jahre
in Haran durchlebt. Alles Durchlebte hatte aber nur mit dazu bei=
1
Kap. 31,24.
2
Kap. 31,31—37.
219
getragen, daß in ihm die Sehnsucht nach seiner Heimat nicht erlosch.
Denn seine Zukunft lag nicht in Haran und in der Geistesgemein«
schaft mit den Aramäern. Wohl hatte ihn Gott in Aram gesegnet.
Aber nicht, damit er daselbst durch Weiber und Kinder, durch Zelte
und Herden zurückgehalten würde. Als Erbe der Berufung und der
Segnungen Abrahams wies alles in seinem Leben zurück nach Beth=
El und Beer=Seba. Wen aber Gott gehen heißt, dem muß auch jener
Weg licht werden, auf dem zunächst die dunklen Schatten Esaus
ruhen.
220
auf einer Leiter auf= und niedersteigen, als er vor zwanzig Jahren
die Heimat und die Zelte Rebekkas und Isaaks verlassen hatte. Sie
erschienen ihm auch jetzt bei dem neuen Wendepunkt seines Lebens
wieder. Er sieht sie wie ein Heerlager, d. h. wie eine Heeresmacht
Gottes. Machanajim, d. h. Doppellager, nennt Jakob daher den Ort.
Denn es haben sich hier zwei Lager begegnet: das Lager Jakobs und
das Lager der Gottesboten, um hinfort gemeinsam den ferneren Weg
zu gehen. Das ist Glaubensstärkung, wie Menschen sie zur rechten
Stunde erleben, deren Seele offensteht für die Sprache Gottes.
a) E s a u s b e w a f f n e t e r Aufzug
Von Machanajim aus sandte Jakob Boten zu Esau, damit diese
ihm erzählen sollten, was Jakob während der zwanzig Jahre in der
Fremde erlebt habe. Wenn Esau ihn mit seiner reichen Familie, seinen
vielen Knechten und Mägden und mit seinen großen Herden sehen
würde, so sollte er wissen, daß Jakob sich das alles durch eigenen
Dienst erworben hätte. Als die Boten zurückkamen, berichteten sie
jedoch: „Wir sind zu deinem Bruder, zu Esau gekommen, er geht
dir auch entgegen; aber vierhundert Mann sind mit ihm."
Es ist verständlich, daß Jakob sich fürchtete. Nun war noch ein
neues Heerlager in Sicht getreten: Esau mit seiner bewaffneten
Macht. Sie stand Jakobs Lager gegenüber. Zwei geschichtliche Grö=
ßen, aber wie grundverschieden waren sie in ihrem innersten Wesen
voneinander! Dort Esau als der „Gemachte", der starke Mann, der
„von seinem Schwerte"1 lebte und über vierhundert Bewaffnete ge=
bieten konnte. Hier Jakob mit seinem Familienleben als Fremdling,
als Heimatsuchender, der sich zwar in seinem Dienst durch Gott
gesegnet sah, schutzlos aber den Weg des Lebens ging. Dennoch
sollte der Kampf entscheiden, wer von beiden das Leben und die
Zukunft gewinne. Wer vermag hier nicht jene zwei Prinzipien zu
sehen, deren Ringen miteinander der Inhalt der Weltgeschichte ge=
Wesen ist! Hier in Jakob das Glück eines reichen Familienlebens,
der Reichtum eines gesegneten Dienstes, der Glaube an die Gegen=
wart der schützenden Heerlager Gottes. Dort in Esau der Glanz einer
1
Siehe Kap. 27, 40.
221
sich selbst bewußten Macht, der starke Wille zu ungebundener Frei*
heit, das klare Ziel einer skrupellosen Herrschaft, der sich alles
Menschliche und Materielle im Leben und im Aufbau unterwerfen
müsse. Hier Jakobs Dienst, dort Esaus Schwert — wem soll die Zu=
kunft gehören?
222
der Kraft Gottes, die zu retten vermag. Vom Angesicht seines Gottes
kommend, ging nun Jakob hin und sonderte ein in drei Herden ge=
teiltes Geschenk für seinen Bruder Esau aus. „In getrennten Herden
übergab er es den Knechten und sprach zu seinen Knechten: Gehet
vor mir her und lasset einen Zwischenraum zwischen Herde und
Herde! Er befahl dem ersten also: Wenn dich mein Bruder Esau
trifft und fragt dich also: Wessen bist du, und wohin gehst du, und
wessen sind alle vor dir Gehenden, so sagst du: deines Dieners
Jakob; es ist ein Esau, meinem Herrn, gesandtes Geschenk, und siehe,
auch er selbst folgt hinter uns1/'
Nach dieser wohlüberlegten Anordnung des Geschenks für Esau
führte er seine Weiber und Kinder nebst all seiner Habe nachts über
die Furt des Jabbok. Er selbst aber blieb diesseits des Flusses allein.
„Da rang ein Mann mit ihm, bis der Morgen heraufzog. Als er sah,
daß er ihn nicht bezwingen konnte, schlug er ihn auf das Hüftgelenk.
Dadurch wurde Jakobs Hüftgelenk während seines Ringens mit ihm
verrenkt." In diesem geheimnisvollen Kampf spiegelte sich letzthin
das ganze bisherige Leben Jakobs wieder. Jakob glaubte mit Gott zu
ringen, und Gott rang mit ihm. So vieles im Leben Jakobs hatte
zwar den Anschein, als ob alles wider ihn wäre. Vor der Drohung
Esaus hatte er arm das Elternhaus verlassen müssen. Während Esau,
sein ältester Bruder, im Frieden uneingeschränkt den Segen von dem
Reichtum seines Vaters genießen durfte, mußte er sich durch eigenen
Dienst bei Tag und Nacht, bei Kälte und Hitze, bei Entsagungen
und Gefahren eine völlig neue Existenz und Zukunft schaffen. Laban
hatte ihn nicht nur durch Lea betrogen, sondern in seiner Selbstsucht
auch soundso oft den vereinbarten Herdenlohn geändert. Anstatt
einer mehr und mehr zunehmenden Freundschaft war zwischen dem
Hause Labans und ihm eine Spannung eingetreten, die ihn bestimmt
hatte, mit seiner Familie und seiner Habe heimlich zu entfliehen.
Nun stand Esau mit seiner ganzen Macht vor ihm. Das Leben mit
seinen Verhältnissen war mithin wider ihn, so klar Jakob sich auch
andrerseits von Gott gesegnet und geleitet sah.
Offenbar haderte Jakobs Seele innerlich mit Gott, während sein
Leben mit den aus der Lage sich ergebenden Verhältnissen rang.
1
Kap. 32,17 ff.
223
Und doch war alles nichts anderes als Gottes Ringen mit Jakob. Gott
selbst stand hinter den einzelnen Begebenheiten und ordnete die
vielfach so unverstandenen Erlebnisse in Jakobs Lebensführung.
Durch alle erlittene Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Ungerechtigkeit,
Feindschaft und Enttäuschung hindurch sollte in seinem Leben etwas
erreicht werden, was Gott durch seine wiederholte Offenbarung
allein nicht erreichen konnte. Hatte Jakob doch so unendlich vieles
erlitten, das er durch seine eigene Kraft und durch sein eigenes
Handeln verschuldet hatte. In solch einem Zustand konnte er unmög=
lieh dem Angesicht Esaus begegnen und obsiegen. Der Segen Abra=
hams lag auch für ihn auf einer höheren Ebene. Diese hatte er zwar
gelegentlich gesehen, sich jedoch nicht dauernd auf sie eingestellt.
Damit dies geschehe, dazu sollte ihm dieser nächtliche Kampf mit
dem unbekannten Manne dienen.
Der Mann jedoch überwand Jakob nicht. Erst als er ihn auf das
Hüftgelenk, d. h. auf den Sitz der männlichen Kraft, schlug, gab
Jakob den Kampf auf. Im Gefühl seiner gebrochenen Kraft und im
Bewußtsein seiner Ohnmacht sprach er nun: „Ich lasse dich nicht,
ehe du mich gesegnet hast!" In der Ohnmacht fand Jakob seinen
Sieg, im Gebet weltüberwindende Kraft, in der Abhängigkeit vom
Sieger die Rettung und Zukunft seines Lebens. Auf diesem Boden
stehend, durfte er hinfort auch Esau begegnen. Solange er sich auf
derselben geistigen und innerlichen Höhenlage bewegte, auf der
auch Esau lebte, durfte er diesen nicht sehen. Da hätte die Begegnung
für ihn Untergang bedeutet. Erst nachdem Jakob als ein von Gott
Überwundener seinem Bruder entgegentreten konnte, war Gottes
Stunde gekommen, beide Brüder miteinander so zu versöhnen, daß
sie einander duldeten und sich nicht im gegenseitigen Kampf auf=
rieben. Dies Geistesgesetz besteht bis heute in der Geschichte. Erst
wenn die Kirche Christi der Welt nicht auf dem Boden verwandter
und gleicher Macht begegnet, sondern vom Angesicht Gottes kom*
mend nur in Demut und Schwachheit dienen und segnen will, darf
sie ohne Furcht Esaus Angesicht sehen. Ein Stück Weltgeschichte lag
mithin in diesem nächtlichen Ringen Jakobs mit dem ihm unbekann=
ten Manne an der Furt Jabboks.
Da sprach der Mann, der mit ihm rang: „Was ist dein Name?
224
Er sprach: Jakob. Da sprach er: Nicht Jakob soll mehr dein Name
gesprochen werden, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit
Menschen gekämpft und hast überwunden/' Ja, Jakob hatte mit Gott
gehadert und mit Menschen und Verhältnissen gekämpft und über=
wunden. Er siegte, als er sein Ringen Gott gegenüber aufgab und
sich in seiner Ohnmacht im Gebet von Gott abhängig machte. Er
siegte auch über Esau und die sich wider ihn erhebenden Verhält»
nisse des Lebens, als er bewußt wirklich den Boden von Bethel zur
Grundlage seiner Zukunft machte. Daher soll sein Name hinfort
nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, d. h.: Gott ist der Über*
windende. Denn Israel heißt ja wörtlich eigentlich: „Gott ist der
Überragende, der alles andere an Macht und Größe Überwältigende."
Das soll in Wahrheit die Bedeutung des Zustandes sein, der durch
Jakobs Leben und Dienst zu einem Zeugnis vor allen Völkern kund=
werden soll. Gott siegt in Jakob, daher siegt Jakob in der Welt und
zieht sie hinein in das Heil Gottes, in dem er selbst zur Ruhe ge*
kommen ist.
Vergeblich forschte auch Jakob nun nach dem Namen dessen,
der mit ihm gerungen hatte. Für Jakobs Zukunft war nicht der Mann
und dessen Name wichtig. Wichtig war allein, daß er hinter dem
nächtlichen Kampf Gott gesehen hatte. Mögen hinfort Mann und
Name der Geschichte und der Vergänglichkeit verfallen, das Blei=
bende ist für Jakobs Leben und Zukunft: „Ich habe Elohim von
Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch am Leben geblieben."
Wer erst lernt, auch im Angesicht des Unbekannten und mit ihm
Ringenden das Angesicht Gottes zu schauen, dem gehört die Zu=
kunft, selbst wenn auf ihr zunächst auch noch der dunkle Schatten
Esaus ruht. Daher nannte Jakob den Ort Pniel, d. h. Gottes Ange=
sieht, und es ging ihm die Sonne auf, als er den Ort verließ.
c) Die A u s s ö h n u n g d e r b e i d e n B r ü d e r
Wer Frieden in sich trägt, entwaffnet auch den, der kampfbereit
ihm entgegenzieht. Als Esau am nächsten Tage den drei Herden,
die ihm als Geschenk dienen sollten, und auch Jakob mit seinen
Weibern und Kindern, Knechten und Mägden, Zelten und Herden
begegnete, sah er keine bewaffnete Macht, er sah nur einen demü=
225
tigen und zu jedem Frieden bereiten Brader vor sich. Er mußte
finden, daß Jakobs Segen ihm nicht zur Erwerbung und zum Auf=
bau einer Macht gedient hatte, um sich einem feindlichen Brader
gegenüber behaupten zu können. Ihm galt alles nur als eine Gabe
Gottes, die in seiner Hand auch zu einer Gabe für den Brader wer=
den konnte.
Als Esau dieses Bild vor seinen Augen sah, da sprach nicht das
Schwert in seiner Hand, da sprach der Bruder in seiner Seele: „Da
lief Esau ihm entgegen, umarmte ihn, warf sich um seinen Hals
und küßte ihn; und sie weinten/' „Dieser Kuß und diese Tränen
lassen uns auch in Esau den Nachkommen Abrahams erkennen",
fügt S. R. Hirsch fein zu diesem Verse hinzu. Und wenn so unendlich
vieles in der Geschichte dieser beiden Brüder typisch und prophetisch
für den Inhalt der Weltgeschichte geworden, darf der Glaube dann
nicht auch auf diese Stunde warten, wo der Starke dem Schwachen
waffenlos um den Hals fallen und ihn küssen wird, weil beide
Brüder miteinander sind?
Nach der Begrüßung wollte einer den andern an Dienst über=
bieten, und schließlich zog Esau wieder in das Gebirge Seir zurück,
während Jakob in die Nähe von Sichern zog und daselbst einen
Altar zum Denkstein erbaute, den er „El Elohe Israel", d. h.: „Ein
Mächtiger ist der Gott Israels", nannte.
a) Die E n t e h r u n g D i n a s
Trotz der Beendigung der Dienstjahre bei Laban und der Aus=
söhnung mit seinem älteren Brader Esau gestaltete sich das Leben
Jakobs ferner voller Sorge und Kummer. Es hatte nicht das ruhige,
stille und friedliche Gleichmaß des Lebens Isaaks. Jakobs Leben
wurde dadurch aber viel reicher an bewußtem Erleben Gottes als das
seines Vaters Isaak. Er mußte erfahren, daß sich Fehler und Sünden
derer, die im bewußten Umgang mit Gott stehen, viel schwerer aus=
226
wirken als bei denen, deren Leben an sich nichts anderes als eine
zusammenhängende Kette von Sünden und Übertretungen ist. Er
hatte bei Laban in Padan=Aram von Gott den Auftrag erhalten:
„Kehre zu dem Lande deiner Väter und zu deinem Geburtsort zurück,
und ich werde mit dir sein1!" Trotz dieser klaren Weisung ging
Jakob nach der Aussöhnung mit Esau jedoch hin und kaufte im
Angesichte der Stadt Sichern von den Söhnen Chamors, deren Vater
der Fürst der Ortschaft war, ein Feld2. Hier baute er für sich selbst
ein Haus und für seine Knechte und Herden Hütten.
Der Schritt wurde für Jakob und seine Familie zu einer schweren
Versuchung und zu einem dunklen Verhängnis. Er führte zunächst
dazu, daß sich nicht nur sein äußeres Leben, sondern auch das innere
seiner Kinder ganz den herrschenden Sitten von Sichern anschloß.
Wenn es von Jakob heißt: , , . . . und lagerte im Angesichte der Stadt
Sichern3", so drückt das Verbum im Hebräischen, das man hier mit
dem feinen Ausdruck „lagerte" wiedergibt, nichts Geringeres aus
als die vollendete Harmonie und vollkommene Übereinstimmung
des äußeren Lebens mit dem inneren, in diesem Fall also mit dem
Leben Sichems. Das war die schwere Versuchung und konnte nicht
ohne entsprechend schwere Folgen bleiben. Jakob setzte seine ganze
Familie Versuchungen aus, denen diese nicht gewachsen war. Sichems
Sitten gereichten Jakobs Hause zum Fall und Fluch.
Eines Tages ging Dina, Leas Tochter, in die Stadt und verkehrte
mit den Töchtern des Landes. Bei solch einer Gelegenheit sah
Schechem sie, der der älteste Sohn Chamors, des Fürsten des Landes,
war. In Liebe entbrannte er gegen sie, ging hin und entehrte sie.
Da er jedoch Dina wirklich liebte, so besprach er sich mit ihr und
ging alsdann zu seinem Vater und bat ihn: „Nimm mir dieses Mäd=
dien zum Weibe*!" Nach der bestehenden Sitte in Sichern lag in dem
ganzen Vorgang nichts Entehrendes. Jedoch was in den Gassen
Sichems öffentlidie.Sittlidikeit und anerkanntes Recht war, das mußte
in den Zelten Abrahams und seiner Geisteserben Entweihung und
1
Kap. 31,3.
2
Kap. 33,17 ff.
3
Kap. 33,18.
4
Kap. 34,4.
227
Vergewaltigung der heiligsten Güter sein. Hier wird das Ehe= und
Familienleben auf einer ganz anderen sittlichen Ebene und Grund=
läge auferbaut. Es sieht sich von den Rechtsbegriffen der Reinheit
und Heiligkeit bestimmt und getragen.
So kam es, daß eines Tages Chamor von Sichern zu Jakob und
seinen Söhnen kam und sprach: „Sdiediems, meines Sohnes, Seele
hat Lust an eurer Tochter; gebet sie ihm dodi zum Weibe und ver*
sdiwägert euch doch mit uns, eure Töchter gebet uns, und unsere
Töchter nehmet auf, und bei uns möget ihr wohnen bleiben; das
ganze Land soll vor euch offen sein; bleibet, bereiset und siedelt euch
darin an!" Diese Werbung enthielt die schwerste Versuchung für
die ganze Familie Jakobs und deren Zukunft. Jakobs Berufung und
Dienste lagen außerhalb der Grenzen Sichems. Der Geist des Glau=
bens wies ihn aus der Gesinnung und der Lebenssphäre Sichems
hinaus, nicht aber hinein. Chamors Mission wollte aber eine ewige
Geistesvermählung von zwei Welten herbeiführen, die nach gött=
licher Bestimmung und Berufung zum Heil der Völker nie eintreten
durfte. Jakob würde aufhören, Auserwählter Gottes und berufener
Prophet für die Völkerwelt zu sein, sobald sein Leben bereit wäre,
eine Geistesehe mit dem Geiste der Völker zu pflegen. Sein Heilig*
stes gehörte Gott und nicht dem Geiste der Zeit. Heiliger Dienst in
unheiligen Zelten und innerhalb unheiliger Volkssitten kann nur
dann in Vollmacht und im Segen geschehen, wenn er aus einem
heiligen Umgang fließt.
Schechem selbst kam auch noch zu Jakobs Söhnen und sprach:
„Möge ich Gunst in euren Augen finden1. Was ihr mir sagen werdet,
will ich tun. Leget mir sehr viel Ehegut und Geschenke auf; ich will
es geben, wie ihr mir sagen werdet, und gebet mir das Mädchen
zum Weibxl" Solch ein Schritt Schechems hätte vor der Entehrung
Dinas geschehen müssen. Er hatte aber Jakob und seine Söhne vor
eine vollendete Tatsache gestellt. Erst nachher kam er und bat um
deren formelle Zustimmung. Das war aber Herrschaft der Gewalt
über die Ohnmacht des Schwachen. Sie entsprach dem Geiste Sichems,
nicht aber dem Geiste des Glaubens in den Zelten Abrahams.
1
Kap. 34,11 ff.
228
b) Das B l u t b a d d e r S ö h n e J a k o b s
Leider lebten auch Jakobs Söhne nicht mehr in dem Geiste ihres
Ahnen Abraham. Sie atmeten bereits Sichems Geist, bevor Chamor
und dessen Sohn um eine engste Geistes= und Lebensgemeinschaft
baten. So berechtigt die innere Betrübnis der Söhne Jakobs auch
darüber war, daß ihre Schwester Dina entehrt worden war, so ver=
werflich waren die Schritte und Mittel, die sie als Vergeltung unter=
nahmen. Sie mißbrauchten die Beschneidung, die Abrahams Glauben
Symbol und Ausdruck der innerlichen Loslösung von allen fleisdi=
liehen Mitteln gewesen war, um Macht über die Männer Sichems zu
gewinnen. Denn sie sprachen zu Schechem, dem Sohne Chamors:
„Wir können dies nicht tun, unsere Schwester einem Manne zu
geben, der eine Vorhaut hat; denn das ist uns eine Schmach. Jedoch
dadurch werden wir euch zu Willen werden, wenn ihr werden wollt
wie wir, daß unter euch alles Männliche beschnitten werde1." Nichts
ist widerlicher in der Welt, als wenn heilige Dinge nur noch als
Umhüllung dienen müssen, die Häßlichkeit einer dämonischen Seele
zu verdecken. Unter dem Vorwand, daß sie sich schämten, ihre
Schwester einem Unbeschnittenen zum Weibe zu geben, bereiteten
sie eine Tat vor, die weit schändlicher war als die des Sohnes eines
Chamor. Der Sichemite besaß nicht die hohe Erkenntnis, die Jakobs
Söhne auf Grund der bisherigen Erlebnisse mit Gott in den Zelten
ihres Vaters besitzen mußten. Schechem sündigte ohne Gott, Jakobs
Söhne jedoch wider Gott. Um so verurteilungswürdiger war ihr Ver=
brechen, das sie an den Männern Sichems begingen.
Denn als Schechem und die Männer von Sichern auf den Vor=
schlag eingingen, sich beschneiden zu lassen, und sie alle am dritten
Tage in ihrem Schmerze saßen, „da nahmen zwei der Söhne Jakobs,
Simeon und Levi, Dinas Brüder, jeder sein Schwert, kamen über
die in Sicherheit ruhende Stadt und erschlugen alle Männlichen.
Chamor und seinen Sohn Schechem hatten sie mit dem Schwerte
erschlagen, nahmen Dina aus Schechems Haus und gingen2/'
Gewiß war es eine verbrecherische Tat an den Zelten Jakobs,
daß Schechem dessen Tochter in seinem sicheren Raubverlies ge=
1
Kap. 34,14 ff.
2
Kap. 34,25 ff.
229
fangenhielt. Verständlich war daher auch die innerliche Empörung
Simeons und Levis. Niemals lassen siati jedoch, verbreàierisàie Taten
durch, heilige Motive rechtfertigen, weder im kirchlichen nodi im
bürgerlichen oder politischen Leben. Nicht nur, daß Dinas Brüder
Chamor und Schechem erschlugen, sie töteten auch alles Männliche
des Ortes. Hernach raubten sie mit den anderen Brüdern zusammen
die Stadt aus, entführten die Weiber und die Kinder als Sklaven
und eigneten sich Sichems Güter und Herden als Besitz an. Um solch
einer Mission willen hätte Abraham nie aus Vaterland, Freundschaft
und Vaterhaus hinauszugehen brauchen. Die kannte die Menschheit
auch ohne den Geist der Offenbarung und des Glaubens. Wer er=
littenes Unrecht als Vorwand ausnutzt, ein weit größeres Verbrechen
am Nächsten zu begehen, und die Gelegenheit ausnutzt, seine Be=
gehrlidikeit nach fremden Gütern zu befriedigen, dem fehlt die wahre
Geistesverwandtschaft mit der Berufung Abrahams und dessen Glau=>
bensweg innerhalb der Völkerwelt.
Als Jakob die Tat seiner Söhne erfuhr, betrübte es ihn sehr.
Noch sterbend denkt er später an die Schandtat und spricht: „Fluch
ihrem Zorn1!" Außerdem brachte das Verbrechen Jakob und seine
Söhne vor den Bewohnern des Landes in den übelsten Verruf. Wie
leicht konnte es geschehen, daß sich alle sammelten, um vereint das
Haus Jakobs zu vernichten! Simeon und Levi sprachen zwar zu
Jakob, der ihnen sagte, wie sehr sie ihn durch ihre Tat betrübt
hätten: „Soll er denn wie eine Buhlerin unsere Schwester be=
handeln?" Allein kein noch so tief erlittenes Unrecht kann durch
ein noch weit größeres Unrecht gesühnt werden. In dieser Moral
lebte der Geist Lamechs, nicht aber der des von Gott zu einer
höheren Mission berufenen Abraham.
c) B e n j a m i n s G e b u r t u n d R a h e i s Tod
Um Jakob aus seiner Umgebung zu führen, die ihm und seinem
Hause zu solch einer schweren Katastrophe geworden war, sprach
der Herr zu ihm: „Mache dich auf, ziehe hinauf nach Bethel und
weile dort, und errichte dort einen Altar dem Gott, der dir sichtbar
1
Kap. 49, 7.
230
geworden ist, als du vor deinem Bruder Esau flohst1!" Es ist nie
ratsam, im Angesichte Sichems zu wohnen, wenn man nicht im
Geiste Abrahams lebt.
Wieviel gradliniger wäre Jakobs Glaubensleben gewesen, und
wieviel Herzeleid hätte er sich erspart, wenn er das Versprechen
gehalten hätte, das er auf seiner Flucht vor Esau dem Herrn gab!
Er hatte zwar nach der Rückkehr und der Versöhnung mit Esau
dem Herrn einen Altar gebaut, aber im Angesichte Sichems2. Wer
jedoch zunächst innerlich nicht stark genug ist, dem Geiste Sichems
zu widerstehen, den deckt auch ein Altar nicht vor der innerlichen
und äußerlichen Versuchung und Katastrophe in Sichern.
Jakob verstand diese Sprache Gottes, die ihm nach all dem Durch*
lebten und Schweren der letzten Wochen wurde. Er ging zu seinen
Frauen und zu allen, die in seinem Hause waren, und sprach:
„Schaffet die Götter der Fremde fort, die unter euch sind, reinigt
euch und wechselt eure Kleider! Wir wollen uns aufmachen und nach
Bethel gehen."
Das war die Glaubenssprache, wie sie nur im Geiste einer höheren
Berufung gesprochen werden konnte. Hätte Jakob sie doch bereits
vor Sichern geführt! Denn Lea und Rahel, die beiden mütterlichen
Trägerinnen seines Hauses, nebst ihren beiden Leibmägden hatten
sich bisher noch immer in den Augenblicken schwerwiegender Ent«
Scheidungen von Jakob leiten lassen. Sie wären bereit gewesen, auch
vor Sichern zu tun, wozu sie erst nach Sichern aufgefordert wurden.
„Sie gaben Jakob alle Götter der Fremde, die in ihrer Hand, und
die Ringe3, welche in ihren Ohren waren", und Jakob vergrub sie
unter einer Eiche bei Sichern. Das bedeutete Bruch mit einer Ver=
gangenheit, die nicht in die Zukunft einer von Gott berufenen
Familie hineingehörte. Auf BetheUBoden ist kein Raum für die
Götzenbilder Arams und die Amulette Sichems.
Als Jakob nach Bethel kam und dort dem Herrn einen Altar
erbaute, erschien ihm wiederum der Herr und sprach zu ihm:
1
Kap. 35,1.
2
Kap. 33,20.
3
Die Ohrringe hatten wie die Götterbilder irgendeine religiöse Be-
deutung; sie waren offenbar mit einem Göttersymbol verziert und wurden
als Amulette oder Zaubermittel von ihren Verehrerinnen getragen.
231
„Elohim bin idi, EUSdiaddai (der Allmäditige), werde fruchtbar und
vervielfältige didi; ein Volk, und zwar eine Versammlung von
Völkern, soll von dir werden; Könige sollen aus deinen Lenden
stammen, und das Land, das idi dem Abraham und Isaak gegeben,
dir werde idi es geben, und deinem dir nadifolgenden Samen werde
idi das Land geben1."
Nicht nur Abraham, auch Jakob wurde nach versagter eigener
Selbsthilfe daran erinnert, daß Gott El=Schaddai, d. h. der Allesver=
mögende, der Allgenügende, sei. Durch diese Offenbarung wollte
Gott in der Seele seines Berufenen jenes Vertrauen wecken, das von
Gott die Erfüllung jeder empfangenen Verheißung erwartet. Auch
Jakobs Seele sollte im göttlichen Können zur Ruhe kommen, damit
er von den vergeblichen Mühen und Sorgen seiner eigenen Wege
erlöst werde.
Als Jakob nach diesen Erlebnissen von Bethel weiter nach Ephrath
zog, da gebar ihm Rahel noch einmal. Sie litt aber schwer bei der
Geburt. Ihre Wehemutter suchte sie, indem sie ihr das Kind nach
der Geburt zeigte, mit den Worten zu trösten: „Fürdite didi nidit;
denn audi dieses hier ist dir ein Sohn2." Rahel jedoch nannte ster=
bend ihr Kind „Benoni", das ist: „Sohn meiner Trauer oder meines
Hinscheidens". Jakob aber in seiner Freude, von seiner Rahel noch
einen Sohn erhalten zu haben, nannte ihn „Benjamin"', d. h.: „Sohn
der Rechte oder Sohn der Kraft". Rahel hatte dem Jakob zwar noch
den Benjamin geschenkt, sie selbst wurde ihm jedoch genommen.
Sie hatte viel Schweres mit Jakob geteilt; aber das noch Schwerere
im Leben Jakobs, das zunächst noch im Schöße der Zukunft lag,
blieb ihr erspart. Auf dem Wege nach Ephrath in Beth=Lechem
(Brothaus) begrub Jakob das Liebste, was er hatte, und setzte da»
selbst seiner Rahel ein Grabdenkmal.
d) I s a a k s Tod u n d B e g r ä b n i s
Nicht allzulange nach dieser Trauer in den Zelten Jakobs starb
auch Isaak, sein Vater, und zwar im Alter von einhundertachtzig
Jahren. All die Jahre hindurch, von dem Weggang Jakobs an bis
1
Kap. 35,11 ff.
2
Kap. 35,17.
232
jetzt, hatte Isaak zwar den Segen seines äußeren Erbes genossen,
aber geistige und bleibende Beiträge zum Heil für die Zukunft hatte
sein Leben nicht mehr geliefert. Wieviel reicher, wenn auch durch
viel Leiden geläutert, war dagegen später der Heimgang Jakobs!
Isaak war zwar durch seine Blindheit gehindert worden, am Leben
regen Anteil zu nehmen. Aber gerade Jakobs Alter bewies, daß Gott
nicht durch Leiden behindert wird, ein Leben reich zu machen an
innerer Schönheit und prophetischer Seelengröße, wenn es seine
Erleuchtung und Kräfte aus Gott schöpfte.
Die große Freude hatte Isaak jedoch vor seinem Tode noch erlebt,
daß seine beiden Söhne wieder Brüder geworden waren. Als er nun
starb, begruben Esau und Jakob gemeinsam ihren alten Vater.
233
wer einst mit Ghristus herrschen will, muß zuvor mit Christus leiden
können. Denn die königliche Macht wird Gott einst in die Hände
derer legen, die auf Erden unter den Völkern priesterlich leiden
konnten.
a) J o s e p h s L e i d e n s w e g u n t e r s e i n e n B r ü d e r n
Die ganze Schöne und Tiefe der Überlieferung erschließt sich uns
auch hier erst, wenn wir Joseph und seine Brüder als zwei ganz
verschiedene Typen der Gesinnung innerhalb der Glaubensfamilie
Jakobs verstehen lernen. Diese zwei Typen ergeben sich von selbst.
In Joseph begegnet uns je länger, desto ausgeprägter eine geistliche
Gesinnung, in seinen Brüdern dagegen eine ausgesprochen fleisch.*
lidie. Auch sie gehörten zwar nicht zur heidnischen Welt. Als Söhne
Jakobs lebten auch sie auf dem Boden der Verheißung. Auch sie
zählten mit Joseph zu jener Auswahl, die Gott segnen und zum
Segen der Völker setzen wollte. In ihnen regierte aber zunächst nicht
der Geist, es herrschte das Fleisch. Nicht der Glaube Abrahams,
Isaaks und Jakobs lebte in ihnen, sie lebten vielmehr in einer sich
von Gott unabhängig haltenden eigenen Gesinnung. Daher war auch
ihre Lebensführung so völlig verschieden voneinander. Fleischliche
und geistliche Gesinnungen konnten in der Gesalichte wohl einander
dulden, jedoch nie dauernd in Geistesgemeinschaft miteinander
gehen, auch in der Kirche Christi nicht. Das Fleisch gelüstete zu allen
Zeiten wider den Geist.
So sah sich einst auch Joseph von seinen eigenen Brüdern gehaßt
und schließlich ausgestoßen und verkauft. Nicht in der Welt, unter
den fleischlich gesinnten Brüdern begann in der Regel der große
Leidensweg für geistlich gerichtete Menschen. Es waren wohl drei
Gründe, durch die sich Jakobs Söhne in ihrem Verhalten Joseph
gegenüber bestimmen ließen: das innige Verhältnis, das zwischen
Jakob und Joseph bestand, dann das Geschenk, das Joseph vor
allen anderen Brüdern empfing, und zuletzt seine geheimnisvollen
Träume.
„Israel aber Hebte Joseph mehr als alle seine Söhne, denn er war
ihm ein Sohn des Alters; und er pflegte ihm einen verbrämten Rock
zu machen. Als nun die Brüder sahen, daß ihr Vater gerade ihn
234
mehr als alle seine Brüder liebte, da haßten sie ihn, und sie konnten
nicht mit ihm in Frieden sprechen1." Daß Joseph dem Jakob im
Alter geboren worden war, war offenbar nicht der einzige Grund,
daß er ihn mehr liebte als seine anderen Söhne. Nach all dem
Schweren, das Jakob mit seinen Söhnen bisher durchlebt hatte, war
es verständlich, daß sich seine Seele innerlich weit mehr mit der
Gesinnung und Lebensführung Josephs verbunden fühlte als mit
der seiner anderen Söhne. So war im Lauf der Zeit zwischen Vater
und Sohn ein gegenseitiges Vertrauen und Verhältnis entstanden,
das dazu führte, daß Joseph die bösen Geschwätze seiner älteren
Brüder dem Vater überbrachte.
Andrerseits schenkte Jakob seinem Sohn einen verbrämten Rock.
Das war jedenfalls eine Auszeichnung, „die ihn als einen zu einer
besonderen Bestimmung Auserwählten erscheinen ließ". Denn die
Verbrämung der Säume eines Gewandes galt in jenen Zeiten immer
als eine besondere und ehrenvolle Hervorhebung der betreffenden
Person vor allen anderen. Daß diese Handlung verderblich auf seine
anderen Söhne wirken und zu schweren Folgen für Joseph führen
mußte, damit hatte Jakob offenbar nicht gerechnet. Entgegengesetzte
Extreme erzeugen und steigern sich gegenseitig: „Die Liebe des
Vaters erzeugte den Haß der Brüder."
Die innere Spannung zwischen den Brüdern stieg jedoch aufs
höchste, als Joseph eines Tages seine ihm gewordenen Träume er=
zählte. „Da sagten ihm seine Brüder: Willst du wohl König über
uns werden oder jetzt schon uns beherrschen? Da haßten sie ihn
um so mehr wegen seiner Träume und wegen seiner Reden2." Kom=
men innere Spannungen nicht auf friedlichem Wege zu einer Ent=
Spannung, so führen sie unbedingt zu einer Explosion und Kata=
strophe. Bei Joseph und seinen Brüdern hätte die Entspannung nur
kommen können durch einen Ausgleich der inneren Gesinnung.
Diese trat jedoch nicht ein. Jakobs Söhne glaubten vielmehr, in ihres
Bruders Träumen dessen Gedanken und Pläne für die Zukunft sehen
zu müssen. In ihrem gespannten Verhältnis wurde auch das Un=
schuldigste des Bruders falsch beurteilt und einseitig bewertet. Offen*
1
Kap. 37,3 ff.
2
Kap. 37, 8.
235
bar waren auch durch den verbrämten Rock in Josephs Seele ver=
wandte Gedanken geweckt worden, wie sie von seinen Brüdern
vermutet wurden. Sie hatten seiner jugendlichen Seele die Unschuld
geraubt. Denn es schien, als ob Joseph gern von seinen Träumen
sprach. Als er sie auch seinem Vater erzählte, sprach dieser zu ihm:
„Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Sollen wohl
gar wir: ich, deine Mutter und deine Brüder kommen, um uns vor
dir zur Erde zu beugen1?" Ein Beweis, wie stark sie ihn innerlich
erfüllten.
Aber auch diese ernsten Worte an Joseph führten nicht zur
Entspannung. Und gewiß wäre tatsächlich die ganze Zukunft der
Brüder bedroht gewesen, „wenn Josephs Stellung eine solche hätte
werden sollen, wie sie ihnen unter dem Begriff eines Königtums
vorschwebte". Was sie bisher an Königtum in der Geschichte ge=
sehen hatten, bedeutete für sie nur die Versklavung der Gesamtheit
zugunsten des einzelnen. So viel begriffen jedoch auch sie von der
göttlichen Berufung Abrahams, daß ihre Zukunft auf Grund der
überlieferten Verheißung auf weit höherer Ebene liegen solle. Zu
welch einer Verkettung des Lebens und zu welchen Bindungen die
Verschmelzung mit einem herrschenden Königtum führen mußte,
konnten sie ja an dem Leben Esaus, des Bruders ihres Vaters, auf
dem Gebirge Seir sehen. Jedoch so richtig auch das Empfinden der
Brüder über die erzählten Träume war, so falsch war dennoch ihr
Haß und ihre Feindschaft Joseph selbst gegenüber. Solange ein
Unrecht im Leben des Nächsten in unsrer Seele noch ein weit grö*
ßeres Unrecht zu wecken vermag, sind wir zunächst unfähig, als
Stärkere den Schwächeren zu ihrem Heil zu dienen.
Nun begab es sich, daß Jakobs Söhne in die Gegend von Sichern
zogen, um dort die Schafe ihres Vaters zu weiden. Nach geraumer
Zeit sandte Jakob auch Joseph zu ihnen. Er wollte durch ihn erfahren,
wie das Wohlbefinden seiner Söhne und auch seiner Schafe sei2.
Endlich fand Joseph seine Brüder in Dothan. Als diese ihn kommen
sahen, sprachen sie: „Siehe, da kommt der Meister der Träume!"
und beschlossen, ihn zu töten. Als jedoch Ruben das hörte, sprach
1
Kap. 37, 10.
2
Kap. 37,14 ff.
236
er: „Wir werden ihn niait erschlagen ... Vergießt kein Blut, werfet
ihn in diese Grube, die in dieser Wüste ist, aber Hand leget nicht
an ihn!" Diesen Vorschlag gab Ruben, um Joseph aus der Hand
seiner Brüder zu erretten und ihn zu seinem Vater zu senden. Als
nun Joseph zu ihnen kam, zogen sie ihm den umbrämten Rock aus
und warfen ihn in eine leere Zisterne. So legten sie Protest ein gegen
das, was er geträumt hatte. Damit er aufhöre, von Einfluß, Macht=
Stellung und sogar Herrschaft zu träumen, raubten sie ihm den
letzten Rest der Freiheit, des Dienstes und des Umgangs unter
seinen Brüdern. Darnach setzten sie sich, um zu essen und zu trinken.
Während Joseph weinte, konnten sie fröhlich sein. Audi das Gewis=
sen derer, die des Vaters Herden hüten, kann gelegentlich sehr hart
ihrem Bruder gegenüber werden.
Unterdes zogen ismaelitische Kaufleute vorüber, die mit ihrer
Karawane von Gilead herkamen, und deren Kamele mit Tragakanth1,
Mastig2 und Ladanum3 beladen waren. Sie wollten mit ihren Kost=
barkeiten nach Ägypten hinabziehen. Da sprach Juda: „Kommt, wir
wollen ihn an die lsmaeliten verkaufen; unsere Hand aber soll nicht
an ihn rühren, denn er ist doch unser Bruder1." Außer Ruben, der
nicht zugegen war, stimmten alle diesem Vorschlag zu. Sie verkauf=
ten Joseph für 20 Silberlinge. Obgleich die Söhne Jakobs von Joseph
erklären mußten: „Er ist doch unser Bruder", konnten sie ihn doch
um einen sehr geringen Preis an Fremde ausliefern. Es machte ihnen
keine Gewissensskrupel und bedeutete für sie in ihrem Leben keinen
Verlust, sich von dem Leben zu lösen, mit dem sie doch durch Blut,
Erziehung und Verheißung organisch verbunden waren.
Sie sahen ihren Bruder weinend ziehen. Leben, das sie mit dem-
selben Vater verband, gaben sie ab', verfluchte Silberlinge erhielten
sie. Das Vergängliche war ihnen wertvoller geworden als eine
Bruderseele. Werden sie ihn wiedersehen, dessen Flehen und Tränen
in ihnen keine Antwort fanden? Früher, als sie ahnten! Als Sklaven
sahen sie ihn ziehen; als Herrscher über das Pharaonenreich werden
1
Gummi vom Astragalusstrauch, in Ägypten zum Einbalsamieren ver-
wendet.
2
Balsamisches Harz.
3
Wohlriechendes Schleimharz.
237
sie ihn wiedersehen. Entkleidet, ohnmächtig und weinend haben sie
ihn ausgestoßen. Gekrönt, mit Herrlichkeit und Macht bekleidet,
werden sie ihn aufnehmen und darin die Rettung ihrer Zukunft
finden.
Um ihre Schuld dem Vater gegenüber zu verdecken, schlachteten
nun Jakobs Söhne einen Ziegenbock, zerrissen den umbrämten Rock,
tauchten ihn ins Blut und sandten ihn zu ihrem Vater mit der Frage:
„Dies haben wir gefunden; erkenne dodi, ob es der Rode deines
Sohnes ist oder niditl" Jakob erkannte den Rock und sprach: „Meines
Sohnes Rode! Ein wildes Tier hat ihn gefressen — zerrissen, zerrissen
ist Joseph worden!" Vor Schmerz zerriß Jakob nun auch seine Klei=
der. Er legte einen Sack um seine Lenden und hüllte sich in tiefste
Trauer um seinen Sohn. Da machten sich alle seine Söhne und
Töchter auf, „um ihn zu trösten"1.
So vermag die fleisdilidie Gesinnung ihre blutbefledeten Hände
und ihr belastetes Gewissen vor der öffentlidikeit in den Sdiein der
Unsdiuld und der tröstenden Liebe zu kleiden. Währenddessen klebt
eigene Schuld und selbstvergossenes Blut an dem zerrissenen Rock
des Bruders. Nicht ein böses Tier hat ihn zerrissen, nicht Träume
haben ihn verdorben, ein kaltes Bruderherz hat ihn verkauft, und
eine harte Bruderhand hat ihn an Fremde ausgeliefert.
Hinfort wurde jedoch in der Öffentlichkeit und in der Geschichte
berichtet: „Ein böses Tier hat Joseph zerrissen/4 Denn nidit Joseph,
das skrupellose Gewissen der Brüder hatte dem Vater Beridit er*
stattet. Wie oft ist seitdem im Verlauf der Geschichte die öffent=
lichkeit ähnlich irregeleitet worden, wenn geistlich gerichtete Per=
sönlichkeiten von ihren fleischlichen Brüdern um einen sehr geringen
Preis an die Welt ausgeliefert wurden! Die offizielle Berichterstat*
tung sprach, sie wurde zur Geschichte, während die Auserwählten
wie Christus schweigend zur Schlachtbank geführt und als Übel=
täter gerichtet wurden. Zu seiner Stunde redet aber Gott. Alsdann
rechtfertigt er jene, die einst sich selbst nicht rechtfertigen konnten.
Er legt Ehre ein für ihre Schmach, führt sie aus der Grube in die
Freiheit und hebt sie aus dem Kerker auf den Thron.
1
Kap. 37,35.
238
b) J o s e p h s L e i d e n s w e g in Ä g y p t e n
239
Wer ein reines Gewissen hat und unschuldig ist, leidet immer anders
als die Schuldigen. Nun begab es sich, daß auch der Oberschenk und
der Oberbäcker Pharaos als Gefangene im Gefängnis waren. Beide
hatten in einer Nacht einen Traum, der sie am nächsten Tage sehr
beunruhigte. Als Joseph sie so bedrückt sah, fragte er sie:
„Warum sind heute eure Gesichter so trübe?" Daraufhin erzählte
jeder ihm seinen Traum, und sie fügten hinzu: „Aber es ist kein
Deuter für ihn da/' Das bedrückte sie; denn beide standen unter
dem Eindruck, daß der Traum ihnen etwas sagen wolle. Darauf
erwiderte Joseph: „Sind doch Gottes die Deutungen! Aber erzählet
sie mir doch1!"
Beide Gefangenen Pharaos erzählten nun ihren Traum, und Gott
begnadete Joseph, ihnen die Träume zu deuten. Dem Oberschenk
durfte er eine Botschaft des Lebens, dem Oberbäcker jedoch eine
Botschaft des Todes mitteilen. Denn wie Joseph es auf Grund der
Träume gesagt hatte, so geschah es. Der Oberschenk wurde nach
drei Tagen wieder in sein altes Amt eingesetzt, während der Ober=
backer an demselben Tage gehängt wurde. Hat die Welt auch je und
je Gottes Lieblinge unter ihren Kehricht geworfen, sie muß sie doch
in der Stunde der Not als unschätzbare Perlen wiederfinden.
Als Joseph dem obersten Mundschenk in dessen schwerster
Stunde mit dem göttlichen Licht gedient hatte, da hoffte er, daß auch
dieser ihm dienen könnte. Er erzählte ihm seine schweren Erleb=
nisse, und daß er unschuldig im Gefängnis säße, und bat ihn:
„Wenn es dir gut geht, so tue Barmherzigkeit an mir und empfiehl
mich dem Pharao, damit er mich aus diesem Hause entlasse!" Der
Obermundschenk versprach, ihm zu helfen. Als er jedoch erst wieder
in seinem Dienst vor Pharao stand, da vergaß er ihn. Erst nach
zwei Jahren, als auch Pharao Träume hatte und sich niemand fand,
der sie zu deuten vermochte, gedachte der Obermundschenk an Joseph
und an das Versprechen, das er ihm gegeben hatte.
c) J o s e p h s E r h ö h u n g zum R e t t e r Ä g y p t e n s
Weder Pharao noch seine Leute verstanden die Sprache Gottes,
die durch die Träume zu ihnen reden wollte. Gottes Sprache versteht
1
Kap. 40,8 ff.
240
nur, wer sie im Umgang mit Gott erlernt hat. In dieser Ohnmacht
der empfangenen Gottesoffenbarung gegenüber dachte die Welt an
den Joseph, den sie im Kerker gefangenhielt. Der Obermundschenk
sprach zu Pharao: „Ich gedenke heute an meine Sünde1" und er=
zählte seine Erlebnisse mit Joseph im Gefängnis, Nun wurde Joseph
schleunigst vor Pharao gebracht. Nie wäre Joseph von der Welt ge=
sucht worden, wenn er ihr nicht auch in seinem Leiden gedient hätte.
Hätte er sich zur Zeit, wo die Ungerechtigkeit und die Macht der
Welt über ihn triumphierte, in sich selbst zurückgezogen und Pharaos
Hofbeamten im Gefängnis ihrem Schicksal und ihrer Ohnmacht über=
lassen, er wäre nie das geworden, was er jetzt werden durfte. Nur
jener Glaube gelangte auf dem Weg der Schmach und der Leiden
zu einer königlichen Stellung, der sich sowohl unter fleischlichen
Brüdern als auch unter der Ungerechtigkeit der Welt im Dienste der
Liebe bewährte.
Nachdem Pharao Joseph die Träume erzählt hatte, sprach dieser
zum Herrscher Ägyptens: „Elohim hat dem Pharao angezeigt, was
er zu tun gedenkt. Es werden jetzt sieben Jahre mit großem Uber=
fluß im ganzen Lande Ägypten kommen; aber nach diesen werden
sieben Hungerjahre eintreten, so daß aller Überfluß im Lande Ägyp*
ten vergessen sein wird; und die Hungersnot wird das Land ver=
zehren2/' Mit diesen Worten kündete Joseph dem Pharao sowohl die
Gnadenzeit, alsdann aber auch Gerichtszeit an, die über das ganze
Land hereinbrechen würde. Damit nun niemand in den Zeiten
schwerster Heimsuchung umkomme, riet Joseph dem Herrscher
Ägyptens, während der Jahre des reichen Überflusses rechtzeitige
Vorsorge zu treffen, damit man auch die darnach folgenden Jahre
der Not überwinden könne.
Josephs Worte machten auf den Herrscher jener alten Welt einen
so tiefen Eindruck, daß Pharao zu seinen Hofbeamten und Fürsten
sprach: „Können wir einen Mann finden wie diesen, in welchem der
Geist Elohims ist?" Darauf wandte sich Pharao an Joseph und sprach
zu ihm: „Nachdem Elohim dir dies alles geoffenbart hat, gibt es
keinen, der so einsichtig und weise wie du wäre. Du selber sollst
1
Kap. 41, 9 ff.
2
Kap. 41, 29 ff.
241
über mein Haus gesetzt sein, und deinen Befehlen soll mein ganzes
Haus sich fügen; nur den Besitz des Thrones will idi vor dir voraus*
haben. ... Hiermit setze idi dial über ganz Ägyptenland/'
Darnach gab Pharao Joseph den Titel Zaphnath=Paneah, d. h.:
„der das Leben Ernährende". Audi schenkte er ihm Asnath1, die
Tochter Potipheras, des Priesters zu On, zum Weibe. Gott hatte
gesprodien und jenes Leben ger editfertigt, das von den Brüdern ver=
worfen und verkauft und von der Welt ausgestoßen und vergessen
worden war. Nun stand es da, um durch seinen Dienst zum Retter
der Welt und deren Zukunft zu werden.
a) Die A u f n a h m e im L a n d e G o s e n
Nicht nur Gott und die Welt fanden den Joseph, der im Kerker
Ägyptens saß, audi seine Brüder fanden ihn. Auch sie sahen sich
genötigt, in ihrer Not den zu suchen, den sie einst in ihrer Kraft
so billig verkauft hatten. Denn als die siebenjährige Teuerung ein=
trat, herrschte auch im Lande Kanaan eine Hungersnot. Als nun
Jakob und seine Söhne hörten, daß Gott Ägypten einen großen
Retter gegeben habe, da kamen auch Josephs Brüder nach Ägypten
hinab, um Getreide zu kaufen.
Die Brüder ahnten jedoch nicht, daß es ihr Bruder sei, als sie
dem jungen Mitregenten vom Pharaonenland gegenüberstanden.
Auch Joseph gab sich nach der ersten Begegnung nicht zu erkennen.
Obgleich sein Herz in Liebe zu seinen Brüdern brannte, stellte er
sich doch zunächst hart ihnen gegenüber. Er wollte erkennen, ob sich
ihre innere Stellung gewandelt hätte. Einst war ihnen ein „Bruder"
sehr wenig wert gewesen. Über das Leid ihres alten Vaters hatten
sie sich skrupellos hinwegsetzen können. Ihre ganze Handlungsweise
1
Asnath: der Neith, einer ägyptischen Gottheit, Geweihte. Ihr Vater
war Oberpriester zu On, d. h. in Heliopolis, etwas nordöstlich von Memphis;
durch die Ehe wurde auch Joseph in den Pricsteradel Ägyptens erhoben.
242
hatte weder eine Lücke in ihrer Mitte, noch eine Wunde in ihrer
Seele zurückgelassen.
Als Joseph jedoch nach manchen harten Proben, die er für seine
Brüder schuf, erkannte, daß sie sich in ihrer Gesinnung geändert
hatten, gab er sich schließlich zu erkennen und sprach zu ihnen:
„Ich bin Joseph; lebt mein Vater noch1?" Weinend fiel er seinen
Brüdern um den Hals und küßte sie. Darnach sprach er zu ihnen:
„Und nun betrübet euch nicht ..., daß ihr mich hierher verkauft
habt; denn zur Lebenserhaltung hat mich Gott vor euch hierher
geschickt . . . " Nach dieser Begrüßung ließ er wiederum die Säcke
der Brüder mit Getreide füllen und gab ihnen kostbare Geschenke
für seinen alten Vater mit und sprach zu ihnen: „Eilet hinauf zu
meinem Vater und saget ihm: So hat dein Sohn Joseph gesprochen:
Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gemacht; komme doch
zu mir herab und säume nicht2!"
Mit dieser Botschaft Josephs kamen Jakobs Söhne zu ihrem alten
Vater zurück. Als dieser die Kunde vernahm, sprach er: „Es ist zu°
viel! Joseph, mein Sohn, lebt! Ich gehe hin und will ihn sehen, bevor
ich sterbe3." In Anbetung brachte Jakob dem Herrn in Beer=Seba
noch ein Dankopfer dar und brach alsdann auf und zog hinab nach
Ägypten zu seinem Sohne Joseph, und zwar mit allen seinen Kin=
dem, Knechten und Mägden, Zelten und Herden.
Nach der herzerschütternden Begegnung mit seinem längst ver-
loren geglaubten Sohne lebte Jakob mit seinen Kindern noch sieb=
zehn Jahre in den reichen Gefilden des Gebietes Gosen. Denn hier
hatte er sich mit seinen Söhnen und Herden nach dem Geheiß
Pharaos niedergelassen. Von Gosen aus konnte er im Abendglanz
seines Lebens noch den gesegneten Dienst Josephs verfolgen. Sein
tiefes Herzeleid war zuletzt in Wonne verwandelt. Aus den Torheiten
und Sünden seiner Söhne hatte Gott in seiner Barmherzigkeit eine
Rettung für die Zukunft geschaffen. Das ist Gottes Art, Geschichte zu
machen zum Heil der Welt: seine Liebe triumphiert über die Schuld
des Menschen und seine Barmherzigkeit über deren Gerichte.
1
Kap. 45,3 ff.
2
Kap. 45,5 ff.
3
Kap. 45, 28 ff.
243
Ein selten stark bewegtes Leben lag hinter Jakob. Er hatte es
aber mit Gott durchlebt. Mit seinem Wesen und Charakter hatte
er Gott zwar unendlich viel mehr Mühe gemacht als sein Vater Isaak.
Da aber Gott durch seine Offenbarung immer wieder siegen konnte
auch in seinem Leben, so wurde es selten reich an innerer Schönheit
und prophetischem Blick. Das zeigte sein Segen, den er für seine
Söhne in seinem Herzen trug.
Siebzehn Jahre hatte Jakob noch im tiefsten Frieden im reichen
Gosen wohnen und zu seiner Freude die Entwicklung und den Segen
seiner Söhne und deren Geschlechter miterleben können. Es war licht
geworden an seinem Abend. Trotzdem war ihm aber der Blick für
die eigentliche Berufung seiner Söhne nicht verdunkelt. Er wußte,
daß diese nicht in Ägypten liegen könne. So reich seine Söhne
augenblicklich auch durch Ägypten gesegnet wurden, ihre Zukunft
könne nur in jenem Lande liegen, in das Abraham sich von Gott
geführt sah. In dieser lebendigen Hoffnung rief Jakob, als er fühlte,
daß sein Ende nahe, seinen Sohn Joseph und sprach zu ihm: „Wenn
idi Gunst in deinen Augen gefunden habe, so lege doch deine Hand
unter meine Hüfte und übe an mir Liebe und Wahrheit: begrabe
midi dodi niait in Ägypten! Idi werde midi zu meinen Vätern legen,
dann trage midi hinauf von Ägypten und begrabe midi in ihr Be=
gräbnis1!"
Wenn Jakob auch für sein Leben den Tod nahen sah, die Hof£=
nung auf die Erfüllung der Abraham und Isaak gewordenen Ver»
heißungen brach ihm nicht zusammen. Er hatte in seinen so bewegten
Tagen Gott erlebt. Nun konnte er Gott vertrauen auch in dem, was
noch nicht die ersehnte Erfüllung gefunden hatte. Von diesem Geiste
der Hoffnung und des Vertrauens wurden daher auch noch seine
letzten Worte und Handlungen bestimmt und getragen.
244
El=Sdiaddai ihm erschienen sei, ihn in allem gesegnet und ihm ver=
sprochen habe, ihm und seinem Samen das Land Kanaan zum ewigen
Besitz zu geben. Darauf sprach Jakob: „Und nun deine beiden Söhne,
die dir im Lande Ägypten geboren sind, bevor ich zu dir kam, sind
mein: Ephraim und Manasse sollen mir wie Ruben und Simeon
gehören1/'
Als daraufhin Joseph seine beiden Söhne näherführte, küßte
und umarmte Jakob sie und sprach: „Dein Angesicht zu sehen, habe
ich nicht mehr für möglich erachtet, und nun hat mich Elohim selbst
deinen Samen sehen lassen. Da streckte Israel seine rechte Hand und
legte sie auf Ephraims Haupt, und der war doch der jüngere, seine
Linke auf Manasses Haupt, und der war doch der Ältere. Er legte
seine Hand mit Bedacht; denn Manasse war der Erstgeborene. Er
segnete Joseph und sprach: Der Gott, vor dem meine Väter sich
geführt, Abraham und Isaak —, der Gott, der mich weidete von
meinem Dasein bis auf diesen Tag —, der Engel, der mich erlöst
aus allem Übel, segne die Knaben, daß in ihnen mein Name und
meiner Väter Name, Abraham und Isaak, genannt werde und sie
— den Fischen gleich — ähnlich zur Menge gedeihen mitten auf
Erden!"
Dieser Segen war eine Glaubenstat. Menschlich geurteilt, lag die
Zukunft der Söhne Josephs am Hofe Pharaos und in Ägyptenland.
Jakob hob sie jedoch aus dieser ihrer Zukunft heraus und zog sie
mit in die göttliche Berufung hinein, zu der er sich und seine Ge=
schlechter erwählt wußte. Charakteristisch ist aber, daß auch hier
wieder der Jüngere den Vorzug erhält vor dem Älteren. Joseph hatte
zwar versucht, Jakobs gekreuzte Hände in die richtige Stellung zu
bringen, damit die rechte Hand auf Manasse, dem Erstgeborenen,
läge. Jakob aber gestattete es nicht.
Dieser eigentümliche Zug geht durch die ganze alte Offen=
barungsgeschichte hindurch. Das hat offenbar eine vielsagende Be=
deutung. Der Erstgeborene war das Sinnbild der menschlichen und
jugendlichen Kraft, die erste Frucht des herangereiften Mannes und
Weibes. Er blieb der bevorzugte und anerkannte Vertreter der
Familie im öffentlichen Leben. In ihm repräsentierte sich die völ=
1
Kap. 48,5 ff.
245
kische und materielle Macht seines Hauses und Geschlechts, und
daher war er der Mund der Zeiten.
Alles in sich selbst Starke kämpft aber in der Weltgeschichte
gegen das sich offenbarende Göttliche. Es genügt sich selbst wie
Kain, es baut seine Zukunft auf durch eigene Kraft wie Esau. Es
bedarf nicht der göttlichen Offenbarung; denn es wandelt im eigenen
Lichte. Es ist nicht abhängig von der Hilfe und dem Segen Gottes;
denn es hilft und segnet sich durch die eigene Faust. Was jedoch
stark ist in den eigenen Augen, erweist sich auf die Dauer verwerf*
lieh für die Erlösung und Ziele Gottes. Wohl läßt Gott das Starke
und Gewaltige immer wieder vorübergehend bestehen und herr=
sehen. Die eigentliche Zukunft baute und segnete er aber durch das
Schwache, das sich in seine Offenbarung hineinziehen und durch
seinen Geist inspirieren ließ. Darin liegt das Geheimnis, daß der
Erstgeborene in Gottes Augen zurücktreten mußte vor dem Jün=
geren und diesem bei all seiner Schwachheit dennoch der Segen und
die Zukunft gehörten.
c) J a k o b s S e g e n für s e i n e S ö h n e
Nachdem Jakob Ephraim und Manasse durch Adoption und Segen
mit hineingezogen hatte in seinen eigenen Familienstamm, ließ er
seine Söhne zusammenkommen und sprach zu ihnen: „Sammelt euch
alle in einem! Ich möchte euch ansagen, was euch begegnen wird in
künftigen Tagen. Haltet zusammen und höret, Söhne Jakobs! Und'
höret auf euren Vater Israel!" Diese Abschiedsworte waren das
geistige Vermächtnis an alle Söhne Jakobs. Sie enthielten die Auf»
forderung, sich auf ein Ziel gemeinsam einzustellen, brüderlich zu=
sammenzuhalten und zu hören, was Gott und die Väter ihnen zu
sagen hätten. Von diesen drei geistigen Potenzen sollte die Geschichte
und Zukunft Israels getragen werden. Zunächst: „Sammelt euch alle
in einem!" Der hebräische Ausdruck für „Sammelt euch" hat die
Bedeutung: „etwas aus dem Kreise oder der örtlichkeit, wo es
eigentlich nicht hingehört, dorthin aufnehmen, wohin es gehört".
Es liegt darin immer die Verwandtschaft mit dem Begriff „lösen",
d. h. ein Sich=Loslösen von allem Fremden und Ungehörigen. Jakobs
Testament forderte daher seine Söhne auf, sich dem Wesen nach von
246
allem Fremden und Ungehörigen zu lösen, das niàit in Abrahams
Berufung und prophetische Mission hineingehöre. Sie sollten sich
alle aufnehmen lassen in die göttliche Bestimmung und Erwählung
Abrahams: „Idi will dial segnen! Werde du ein Segen!" Dies sollte
ihr gemeinsames Ziel sein, trotz der charakteristischen Verschieden
heit ihres Geistes und ihrer Anlagen. Daher lehren seitdem die
jüdischen Weisen: „Erst muß ein Sinn alle Söhne der Jakobsfamilie
durchdringen, ehe das Ende der Tage" und damit das zukünftige
Zeitalter komme.
Sodann: „Haltet zusammen1/' Im prophetischen Geiste sah Jakob
die Gefahren, die für seine Söhne nahten: Gefahren äußerlicher und
innerlicher Natur. Feindschaft der Völker würde ihre nationale Ein=
heit zu zerreißen drohen, Entfremdung von Gott die geistige Einheit
der Stämme untereinander auflösen. Das bedeutete jedoch Zerfall:
ein Herausfallen aus der göttlichen Berufung und Zukunft Israels.
Daher drittens: „Und höret, Söhne Jakobs! Und höret auf euren
Vater Israel!" „Höret!", das soll ein besonderes Merkmal der
Stämme Jakobs für alle Zukunft sein. Es ist das Charisma der Führer,
Propheten und Lehrer. Sie „hören", daher können sie zum Auf=
horchen und zum Gehorsam ermutigen. Jederzeit war die Thora in
der Geschichte des zukünftigen Volkes ein „Höre, Israel!" Denn eine
dauernde Einheit und ein gemeinsames Ziel gewinnt ein Volk nur
durch eine gemeinsame Geisteshaltung. Diese sollte Israel allein
durch die Offenbarung, durch das lebendige, ewige Wort seines
Gottes werden. Ohne den Geist der Offenbarung lebte auch Israel
wie die anderen semitischen Nachbarvölker im eigenen Geiste. Israels
Stärke und Zukunft sollte aber nicht in seiner nationalen Größe,
sondern allein in seiner prophetischen Mission liegen. Ein Gottes*
prophet ist aber niàit denkbar ohne ein Ohr für die Sprache Gottes,
ohne Hingabe an den Geist der Offenbarung. Daher legte Jakob ster=
bend seinen Söhnen ans Herz: „Habt ein Ohr", habt Sinn fürs
Geistige, „dürstet nach Geistigem" und Ewigem, wie das Wort in
seiner Tiefe heißt, „schöpfet, trinkt gern Geist", indem ihr höret,
aus der euch von Gott werdenden Offenbarung! Sie spricht zu euch
auch aus den Worten eures Vaters, dessen Name Israel für euch
eine einigende Bedeutung und „das moralische Gewicht" hat. Denn
247
auch diese wollen Zeugnis davon ablegen, was Gott denen zu sagen
vermag, die wie Abraham, Isaak und Jakob zu hören wagen, wenn
Gott spricht. Das war das gemeinsame Testament an Jakobs Söhne.
Nun folgte, was Jakob dem einzelnen seiner Söhne noch beson=
ders zu künden hatte. Ähnlich wie einst Noah schaute auch er im
prophetischen Geiste in den verschiedenen charakteristischen Wesens»
zügen seiner Söhne deren Zukunft. Er wendet sich erstens an Ruben:
„Ruben, mein Erstgeborener bist du, meine Kraft und der erste
meiner Habe, bevorzugt an Würde und bevorzugt an Macht. —
Jedodi eine dem Wasser gleiche Haltlosigkeit (deines Charakters)
läßt den Vorzug nicht zu; denn du hast das Lager deines Vaters
bestiegen; damals hast du entweiht das Bett — mein Lager hat er be°
stiegen1/' Äußerlich besaß Ruben alle Vorzüge, der Fürst seiner
Brüder und das geistige Oberhaupt und der Leiter der Stämme
Israels in der kommenden Geschichte zu sein. Er war als Erstge*
borener bevorzugt an Würde und auch an Macht vor allen seinen
Brüdern. Ihm hätten die Stellung des Erstgeborenen, das Priester*
turn und die Königsherrschaft zufallen müssen. Sein Charakter war
jedoch beweglich und fließend wie das Wasser: ihm fehlte die innere
Festigkeit und Zielbewußtheit. Die Stürme und Versuchungen von
außen waren stärker als seine Grundsätze und seine Kraft im Innern.
Er war fähig, in der Stunde der Versuchung das Heiligste zu opfern,
um das Schandbarste zu genießen. Das hatte er bewiesen, als er in
völliger Pietätlosigkeit das Bett seines Vaters bestiegen hatte2. Wer
jedoch selbst im Sturm nicht steht, kann andere in den Stürmen der
Zukunft nicht führen. Nicht äußere Vormachtstellung, sondern aus
der Offenbarung Gottes gewordene Vollmacht und Charakterstärke
geben die Autorität, geistiger Führer der Schwächeren zu sein.
Die spätere Geschichte Rubens hat Jakobs prophetische Schau
gerechtfertigt. Rubens Stamm sah sich nie befähigt, den Glauben
und den Geist seiner großen Ahnen zu vertreten und vorbildlich
inmitten seiner Bruderstämme zu leben. „In der mosaischen Zeit läßt
er sich als mißvergnügter Adel, dem die Herrschaft versagt ist, von
* Kap. 49,3.4.
2
Kap. 35,22 ff.
248
dem Demagogen Korah ins Schlepptau nehmen1." Bei der Einnahme
des Ostjordanlandes sicherte er sich seinen Besitz und erklärte sich
bereit, den anderen Stämmen zu helfen, damit auch sie zu ihrem
Erbteil gelangten. In der Notzeit der Richterin Debora entzieht er sich
jedoch seinen Verpflichtungen. Während seine Bruderstämme im
Westen schwer um ihre Freiheit ringen, pflegt er seine wohlgenährten
Herden und verliert sich in Träumereien, im Plänemachen und in der
Tatenlosigkeit. Die Geschichte Israels weiß von keinem Richter,
keinem König, keinem Propheten, der aus Rubens Stamm hervor=
gegangen wäre. „Ein schlechter Sohn konnte von den Brüdern keinen
Gehorsam verlangen, der Unbeherrschte taugte nicht zum Herrschen."
Alsdann sprach Jakob zu den nächsten zwei Söhnen Simeon und
Levi: „Simeon und Levi, Brüder sind's, Werkzeuge der Gewalttat
sind ihre Bewerbungen. In ihren Rat darf meine Seele nicht kommen,
in ihrer Versammlung meine Ehre sich nicht anschließen; denn in
ihrem Zorn haben sie an Menschen Mord geübt, während sie zuvor
durch ihre Freundlichkeit deren Stiereskraft lähmten. Fluch darum
ihrem Zorne, da er so gewalttätig, und ihrer Ausschreitung, da sie so
grausam war! Verteilen will ich sie in Jakob und sie zerstreuen in
Israel2." Diese Zukunftsperspektiven aus dem Munde des sterbenden
Vaters waren hart, aber sie entsprachen der Härte der Handlungen
im Leben dieser beiden Brüder. Ihre geistige Einheit hatte sich als
eine Macht erwiesen, die das Heilige (die Beschneidung) in den
Dienst des gemeinen Betruges und des Verbrechens stellte, um die
Stierkraft, d. h. die Verteidigungskraft der Männer von Sichern zu
lähmen. Alsdann hatte ihr Zorn sie zu Ausschreitungen geführt, die
jenes Verbrechen weit überboten, das zu sühnen sie sich als Brüder
ihrer entführten Schwester berufen sahen. „Während Ruben zu
wenig Selbständigkeit, zu wenig inneren Halt hatte, war in ihnen das
Bewußtsein der Kraft zu heiß und kannte, wo es das Gesamtwohl
galt, keine Rücksicht3." Sie erwiesen sich daher ebenso untauglich
zur geistlichen Führung innerhalb ihrer Brüder wie Ruben. Denn
fuhren in Israel sollte nur, wer in jenem Geiste Abrahams leben
1
4. Mose 16.
2
Kap. 49, 5 ff.
8
S. R. Hirsch.
249
würde, dem auch im Blick auf das Gesamtleben nicht nur die Ziele,
sondern auch die Mittel und Wege heilig und rein sein müssen.
Als vierter stand Juda vor seinem sterbenden Vater und hörte
ihn sprechen: „Juda, du bist es, dir werden deine Brüder huldigen.
Deine Hand sitzt im Nacken deiner Feinde. Dir beugen sich die Söhne
deines Vaters. Eine Löwenbrut ist Juda, vom Raube bist du, mein
Sohn, aufgestiegen; aber lagert er, reckt sich wie ein Leu und wie
eine Löwin ~ wer möchte ihn aufscheuchen? Nicht wird weichen
Herrscherstab von Juda und Gesetzesgriffel zwischen seinen Füßen
hinweg, bis daß Schilo kommt, dem werden die Völker zufallen1."
Vergeblich hatte Jakob bisher auf den gewartet, dem die geistige
Führung innerhalb seiner Söhne für die Zukunft werden solle. Als
nun Juda kam, da erhob sich seine prophetische Seele, und er sprach:
„Juda, du bist es! Dir werden deine Brüder huldigen." „In einem
Gemälde, das mit so wenigen Pinselstrichen ein Bild von der bedeut=
samsten Dimension hinhaucht, ist man berechtigt, die leiseste Nuance
zu beachten." In Juda werden zwei Wesenszüge sich harmonisch ver=
einigen, die ihm die Überlegenheit nach außen und die Achtung
innerhalb seiner Brüder verschaffen werden. Seine Hand wird im
Nacken seiner Feinde sitzen. Was ihn überlegen machen wird im
Angesichte der anderen Völker, ist nicht die Faust am Schwert,
sondern die Hand an der Sichel. Denn die Hand ist Symbol des
friedlichen Dienstes, der fruchtbringenden Arbeit und des priester=
liehen Segnens. Der Führer Israels im Geiste Abrahams lebt nicht
im Geiste Lamechs, pflegt nicht Nimrods Politik, baut nicht Babels
Türme und behauptet sich nicht durch Esaus Schwert.
Zwar erscheint auch er im Bilde des Löwen, wahrscheinlich aber
nur, um seine achtunggebietende Größe zu veranschaulichen. Seine
Inspirationen sind nicht jugendliche Begeisterung, leidenschaftlicher
Enthusiasmus, wilde Kampfeslust, sondern der Geist der Orfen=
barung, der sich in Besonnenheit und Nüchternheit auswirkt. Sein
Alter ist nicht Schwäche, seine Ruhe nicht Müdigkeit, seine Beute
nicht Raubbesitz, sondern der Gewinn eines starken Lebens. Sein
1
Kap. 49, 8 ff. Der riditige Sinn des Textes ist sehr schwer wieder-
zugeben, da die Ausleger je nach ihrer Stellung und Auffassung ganz ver-
schiedene Begriffe mit den einzelnen Textworten verbinden.
250
Lebensadel wird aus innerem Seelenadel fließen und seine Madit
sich mit Ruhe verbinden, sein Reichtum die Frucht friedlicher Arbeit
sein.
Daher wird auch nicht der Herrscherstab und der Schreibgriffel
des Gesetzes und des Befehlshabers zwischen seinen Füßen hinweg=
genommen werden. Herrscherstab und Schreibgriffel waren beide
ein Symbol der herrschenden Macht. Das Szepter ist Bild „der aus=
übenden Gewalt, die die Dinge in die gehörige Ordnung bringt und
darin erhält"; der Schreibgriffel galt als Bild der Geistesautorität,
indem er die Worte und Befehle des Führers als Gesetze in Tontafeln
schrieb, damit sie dem Volke als unvergeßliche Unterweisung dienen
konnten. Diese Thora für das Volk ist aber von der Seele seines
Führers aus der Offenbarung Gottes gewonnen worden.
Solch eine geistige Führung soll dauern, bis „Schilo" kommt.
Denn unter Schilo versteht Jakob den letzten Sprößling, den er von
sich und seinem Sterbebette aus in dunkler Zukunft in der Geschichte
zukünftiger Geschlechter kommen sieht, scheinbar als ein letztes
Aufleuchten der Flamme eines untergehenden Volkes. Aber in Schilos
Schwachheit wird ungeahnte Kraft, in dessen Unscheinbarkeit nie
dagewesener Seelenadel und völkerbefreiende Geistesgröße liegen.
Daher werden ihm die altersschwachen und müdgetobten Völker zu=
fallen.
Alsdann kann Schilo „sein Füllen an den Weinstock, an die edle
Rebe seiner Eselin Sohn binden; er hat in Wein sein Gewand ge=
badet, im Traubenblut seinen Mantel; glühend sind seine Augen
von Wein, weiß seine Zähne von Milch1". Das ist ein Bild des Frie=
dens und nicht des Kampfes und der Raublust. Der Führer Israels
erscheint nicht auf stolzem Schlachtroß, wird nicht gedeckt durch eine
glänzende Leibgarde, sondern reitet auf dem Tier friedlicher Arbeit.
War es doch später — offenbar auf Grund dieser Jakobsworte — den
israelitischen Königen verboten, Marställe zur Pflege von Kriegs=
rossen zu halten2. Schilos Reich ist ein Reich des Friedens und des
Segens, der Ruhe und der Fruchtbarkeit. Der Weinstock gedeiht in
solcher Fülle, daß der Fürst sein Gewand in Wein badet und seinen
1
Kap. 49, 11. 12.
2
Vgl. 5. Mose 17,16; Ps. 20, 8; Spr. 21,31; Sadi. 9,10.
251
Mantel färbt in Traubenblut. Seine Augen glänzen, funkeln vor
Reinheit und Klarheit wie der perlende Wein, und seine Zähne sind
weiß von Milch.
Es ist verständlich, daß sowohl von Mose und den Propheten als
auch von der Synagoge und der Kirche diese Worte von alters her
auf den erwarteten Gesalbten des Herrn: auf den Messiaskönig
Israels und den Heiland der Welt gedeutet worden sind. Denn es
kann niemand anders sein, den Jakob in seiner prophetischen Fern*
schau als Schilo kommen sah, als der König der Menschheit, der die
alternden Völker durch Gerechtigkeit und Frieden erlösen wird. Wer=
den doch in diesen Worten Jakobs bereits all jene Wesenszüge des
erwarteten Heilskönigs und ersehnten Völkerheilandes angedeutet,
die später von den Propheten mit klaren, anschaulichen Worten
beschrieben wurden. Kann der Prophet Sacharja doch im Blick auf
diesen von Gott gesalbten Friedenskönig seine Freudenbotschaft in
die Worte zusammenfassen: „Frohlocke laut, Tochter Zion! Brich in
Jubel aus, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir; ge=
recht und sieghaft ist er, demütig, und reitet auf einem Esel, und
zwar auf einem Füllen, dem Jungen einer Eselin. Dann will ich die
Kriegswagen aus Ephraim ausrotten und die Kriegsrosse aus Jerusa=
lem.; auch die Kriegsbogen sollen vernichtet werden. Und er wird den
Heidenvölkern Frieden gebieten, und seine Herrschaft reicht von
Meer zu Meer und vom Euphratstrom bis an die Enden der Erde1."
Wird erst dieser Gottesgesalbte die Geschicke der Völker in seine
Hand nehmen können, dann erlöst er die Welt nicht durch Blut und
Tränen, dann unterwirft er die Seufzenden nicht zu ewigem Fron=
dienst, dann färbt er seinen Mantel nicht im Blut des Nächsten. Durch
seinen Geist der Gerechtigkeit und des Friedens sollen Völkerwelt
und Natur so erlöst werden, daß selbst auf den Schellen der Rosse
die Prägung stehen wird: „Heilig dem Herrn2!"
Nach Juda erschien Sebulon, und Jakob sprach: „Sebulon wird an
einer Hafenbucht der Meere wohnen und am Gestade der Schiffe,
und sein äußerstes Gebiet wird an Sidon reichen." Jakob sieht mithin
in Sebulon einen Handelsstamm entstehen, der an einer Hafenbucht
1
Sadi.9,9ff.
2
Sadi. 14,20.
252
wohnen wird, um die Produkte und den Reichtum des Landes an die
Handelsschiffe abzusetzen, die seinen Hafen aufsuchen werden. Zum
Welthandel wird er nicht gelangen, sondern seine Grenze reicht nicht
über Sidon, „diese bedeutendste Handelsgröße der Alten Welt",
hinaus.
Im Gegensatz zu Sebulons Beruf steht der des Isaschar. Nach den
Worten Jakobs wird er „ein starkknochiges Lasttier sein, das zwi=
sehen den Geräten ruht. Er hat gesehen, daß die Ruhe das Gute sei,
und daß der Acker dem entspreche; darum hat er seine Schultern
zum Tragen geneigt und sich zum Frondienst des Ackerbaues hin»
gegeben."1 Sebulons Seele kennt nicht den Reiz nach „Kriegerruhm",
nach „Handelsgewinn", nach Machtbesitz. Er sieht andere Gewinne
und Schätze, die durch die Kraft hingebender Arbeit gewonnen wer=
den können. Daher unterstellt er seine Schulter dieser Arbeit und
überläßt Juda den „Führerstab" und Sebulon die „Kaufmannsflagge"
und findet seinen Wohlstand im häuslichen Kreise, wo er während
der Feierzeiten zwischen seinen Ackerbaugeräten ruht.
Dem Dan verkündete Jakob, daß er „das Recht seines Volkes ver*
treten" werde wie irgendeiner der anderen Stämme Israels. Er wird
„eine Schlange an der Heerstraße, eine Natter am Pfade" werden, die
den vorüberziehenden Rossen der Fremden in die Ferse sticht, so daß
der Reiter von dem sich plötzlich aufbäumenden Rosse rücklings hin=
unterstürzt. Seine Waffe wird nicht äußere Macht, sondern Schlau=
heit sein, und durch diese wird er sein Land zu brandschatzen suchen.
Seinen Ausspruch an Dan begleitete Jakob alsdann mit dem tiefen
Seufzer seiner Seele: „Auf deine Hilfe hoffe ich, Jahve!"
Ähnlich wie Dan wird auch Gad sich vor feindlichen Eindring=
lingen zu schützen versuchen; denn er wird „wie ein Keil" in sie
hineinfahren, ja wie „ein Keil wird er in ihre Ferse" fahren und so
die Kraft der eingedrungenen und plündernden Freischaren lähmen.
Die beiden nächsten Söhne Jakobs, Asser und Naphthali, sollen
ihre Eigentümlichkeit mehr in der Pflege des inneren Lebens sehen.
„Asser hat Brot im Überfluß, und Königsleckerbissen liefert er",
und „Naphthali ist ein rehgleicher Bote, und er läßt schöne Reden
(oder Lieder) vernehmen".
1
Kap. 49,14,15.
253
Joseph war dem Herzen Jakobs „eine junge Fruchtrebe, eine junge
Fruchtrebe an der Quelle". „Dieser Quell, in welchem und aus wel=
ehern Joseph den Adel der Gesinnung sog, war wohl kein anderer
als seine Mutter Rahel, deren Gedächtnis ja Jakob in seinen letzten
Tagen besonders erfüllte." Josephs Gesinnungs= und Geistesadel war
so voller Kraft, daß „seine Zweige über die Mauern kroàien" und er
durch die Frucht seines Lebens auch die Ägypter segnete. Wohl wurde
er von feindlichen Pfeilen heftig beschossen, „sein Bogen jedoch,
bleibt fest, und gelenkig sind seine Arme und Hände infolge der
Hilfe des starken Gottes Jakobs, von dort her, wo der Hirt, der
Felsen Israels, ist, von dem Gott deines Vaters — er helfe dir! —
und mit dem Beistand des Allmächtigen, der dich segnen möge mit
S egens fülle".
Mancher äußere und innere Kampf war durch Josephs Seele ge=>
gangen. Manche Leiden, Enttäuschungen und Bitterkeiten hatten sein
Leben bedroht. Aber seine Seele war stark geblieben, da ihm Hilfe
geworden war von dem starken Gott Jakobs, der ihm half, als seine
Brüder ihn skrupellos verkauften; der ihn segnete, als er im Hause
Potiphars diente; der mit ihm war, als er im Kerker Pharaos saß;
der ihm den Geist der Weisheit und Besonnenheit gab, als er ganz
Ägyptenland in den Jahren der Teurung zu retten hatte. Josephs
Führung und erlebte Gotteshilfe überwältigten Jakobs Seele immer
wieder so stark, daß sie in Anbetung überfloß, und sterbend wünscht
er noch, daß alle Segnungen, die auch sein eigenes Leben so reich
gemacht haben, kommen möchten auf „den Scheitel des Gekrönten
unter seinen Brüdern".
Zuletzt wandte sich Jakob noch dem Benjamin, dem Spätgebore=
nen, zu und sprach: „Benjamin wird den Wolf zerreißen, am Morgen
schon zehrt er ein Stück, aber am Abend wird er ihn zerteilen."
Nach späterer jüdischer Überlieferung soll Amalek, dieser ewige
Erzfeind der Jakobsherde, nicht durch Juda, sondern durch den
schwächsten und kleinsten der Söhne Raheis vernichtet werden. Nach
Jakobs Worten soll dies jedoch erst am Abend, am Ende der Ge=
schichte der Söhne Israels, geschehen; denn dann wird Benjamin
den erlegten Wolf, der den ganzen Tag die Herde bedrohte, als
Beute unter seinen Brüdern verteilen.
254
d) J a k o b s Tod u n d B e g r ä b n i s
255
Literaturnadiweis
D. Otto Procksch: Die Genesis.
Samson Raphael Hirsch: Die Genesis.
Arnold B. Ehrlich: Randglossen zur hebräisdien Bibel, Band I.
D. Eduard König: Die Genesis.
Dr. Franz Delitzsch: Genesis.
D. Hermann Gunkel: Die Genesis.
D. K. Barth: Römerbrief. 3. Aufl.
D. Paul Jäger: Festland II: Wege zu Christus.
D. Friedrich Gogarten: Von Glauben und Offenbarung.
D. Friedrich Gogarten: Die religiöse Entscheidung.
D. Wilhelm Vischer: Das Christuszeugnis des Alten Testaments,
Band I : Das Gesetz.
B. Jakob: Das erste Buch der Thora.
D. Otto Weber: Bibelkunde des Alten Testaments.
256
DAS LEBENDIGE WORT
Diese Auslegungsreihe will die heilsgeschichtlichen Zu-
sammenhänge und die Lebensprinzipien des Alten Testa-
ments für den Bibelleser heute aufschließen und verständ-
lich machen.
Bei den meisten alttestamentlichen Texten wird dabei vers-
weise und unter Benutzung einer eigenen Übersetzung aus
dem Grundtext vorgegangen. Das erleichtert den Gebrauch
der Auslegungsreihe für den Mitarbeiter im Verkündigungs-
dienst. Andere biblische Bücher werden stärker im Über-
blick und mit Hinweis auf die geschichtliche Situation der
Umwelt dargestellt.
Jeder Band ist in sich abgeschlossen und auch einzeln
erhältlich.
»Das lebendige Wort« will zum Bibelstudium anleiten. Es ist
ein wertvolles Hilfsmittel für Mitarbeiter in der Gemeinde, im
Haus- und Jugendkreis.
BRUNNEN VERLAG
ISB N 3-7655-5402-2