Alttestamentliche Bilder

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HlttestllNtentlill>c Villln.

stlNimW c Mb er.
53 ausgewallte Predigten
von

' . M . Vpurgeon.

D r i t t e Auflage.

Vom Versager autorisierte Übersehung.

Verlag von I . G. Gncken Nächst. (Phil. Vickel),


rg - Morgfelbe.
1897.
Vorwort.

Wir beabsichtigen, hier eine Auswahl Predigten von Spurgeon


zu geben, in denen er alttestamentliche Personen nnd Ereignisse mit
der ihm eignen Lebendigkeit schildert, mit jenem Eingehen auf die
kleinsten einzelnen Züge, das seine Darstellungen und Charakter-
Zeichnungen so anregend macht, daß wir glaubten, diese Sammlung
„Alttestamcntli'che B i l d e r " nennen zu dürfen. Unser Augen-
merk war vorzüglich auf solche gerichtet, die zu einem tieferen Ver-
ständnis des Geschichtlichen leiten können.
Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daß iu einer auf
solche Weise ausgewählten Sammlung nichts Vollständiges, wozu
ohuchiu 52 Predigten nicht ausreichen würden, und auch uichts
systematisch Geordnetes geboten werden kann, weil es eben gar nicht
iu der Absicht des Verfassers gelegen hat, etwas dergleichen zu geben.
Soweit thunlich, wird sie einen Überblick über die Geschichte des Alten
Testaments von Adam bis Daniel gewähren, und über fast alle Haupt-
personen eine oder mehrere Predigten bringen. Doch kann es nicht
fehlen, daß der eine Leser über dieses Thema, der andre über jeues
eine Predigt vermissen wird; dahingegen wird er, wie wir glauben,
auch hier uud da eine Predigt finden, die er nicht erwartet hat uud
doch mit Interesse liest. Wir können daher nnr bitten, das Dar-
gebotene freundlich anzunehmen und sich durch den Gedanken an das
Bessere, was hätte sein können, wenn der Verfasser selber eine solche
Reihenfolge gegeben, die Freude an dem Guten, was die fremde
Hand aus dem Vorhandenen ausgesucht hat, nicht verkümmern zu
lassen. S p u r g e o n hielt überhaupt fast nie eine Folge von zusammen-
gehörigen Predigten.
Seine von der gewöhnlichen sehr abweichende Prcdigtwcise hat
in England der Predigt in mancher Hinsicht eine neue Vahu gebrochen.
Die, welche auf die Massen wirken wollen, Dissenter, wie Geistliche
der Staatskirche, predigen mehr oder minder in seiner praktischen,
ins Leben eingreifenden Weise. Allerdings hat er, namentlich zuerst,
durch manche sonst auf der Kanzel nicht gewöhnlichen Ausdrücke sehr
viel Austoß erregt, namentlich auch durch seinen Humor, der zuweilen
durchbrach. Das sehr wahrnehmbare Lächeln, das bei solchen Stellen
durch die Versammlung ging, bildete einen eigentümlichen Kontrast
zu der atemlosen Stille, die sich über die ungeheure Menschenmenge
breitete, wenn er mit seinem ganzen erschütteruden Ernste die Sünder
warnte, oder mit allem Pathos, das ihm zu Gebote stand, sie bat,
zu seinem Herrn zu kommen.
Seine Sprache war, was die Engländer pui-6 ^uAo-Znxon
nennen, die Sprache des gewöhnlichen Lebens, wie auch die der
cuglischen Bibelübersetzung; keine moderne Vüchersprache mit laugen
Sätzen und verschlungenen Perioden, sondern kurze Sätze mit einfacher,
leichter Satzverbindung, dabei durch und durch biblisch. — Wo es
irgend thuulich war, haben wir biblische Ausdrücke durch die ent-
sprechenden der deutschen Bibel wiedergegeben, zuweilen sie auch durch
Anführungszeichen bezeichnet, was Spurgeon selbst nur that, wenn
er ganze Sprüche citierte. Wo die englische Übersetzung von der
dentschcn zu abweichend war, haben wir die Stelle selbst augemerkt.
Möchte uus auch die schwierigere Aufgabe, die Einfachheit und
Klarheit seines Stils wiederzugeben, wenigstens einigermaßen gelungen
sein, uud vor allem: möchte der Segen, der die englischen Predigten
iu so reichen! Maße begleitet, auch auf diesen nun in 3. Auflage
erscheinende» Predigte» ruhen!
Celte
1. Gottes erstes Wort au den ersten Sünder. I Mose 3, !» 1
2. Noahs Flut. M t . 24, 39 16
3. Wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Verufuug. 1 Muse 12, 5 . 30
4. Nechtfertiguug durch deu Glauben — vorgebildet durch Abrahams Gerechtigkeit.
1 Mose 15, « 44
5. Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Veschueidung. 1 Mose 17, 1. 2. 60
5 Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 1 Mose 22. 2. 76
7. Gedenket an des Lots Weib. Lk. 17, 32 93
8. Familieureform, oder: Jakobs zweiter Bestich zu Bethel. 1 Mose 35, 1 . . . 110
9. Jakob betet a«, auf feiueu Stab gelehnt. Hebr. 11, 21 126
10. Josephs Gebeine. Hebr. 11, 22 141
11. Satan hat acht auf die Heilige». Hiob 1, 8 156
12. Mose durch den Glaube» verborge». Hebr. 11, 23 1.72
13. Mose Entscheidung. Hebr. 11, 24—26 188
14. Ter große Befreier. 2 Mofe 4, 22. 23; 6, 1 204
15. Krieg mit Amalek. 2 Mose 17, 8 21N
16. Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 4 Mose 16, 47. 48. 235
17. Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 4 Mose 21, 4—9 251
18. Der beste Kriegsruf; 4 Mofe 23. 21 266
19. Rahab. Hebr. 11, 3 1 ; Jak. 2, 25 281
20. Iosuas Gesicht. Iosua 5, 13—15 297
21. Iosuas Entschiedenheit. Iofua 24, 15 313
22. Eiserne Wagen. Nicht. 1, 19. 20 3H
23. Vochim, oder: Die Weinenden. Nicht. 2, 4. 5 344
24. Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. Nicht. 6, 22—24 359
25. Hände voll Honig. Nicht. 14, 8. 9 375
26. Ein Weib von traurigem Gemüt. 1 Sam. 1, 15 391
27. Eben-Ezer. 1 Tam. 7, 12 ,. . . . 407
28. Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 1 Tam. 12, 23 422
29. Davids erster Sieg. 1 Sam. 17, 50 438
30. Die Gefahr des Zweifelus. 1 Sam. 27, 1 453
31. Der Gebrauch des Vogens. 2 Sam. 1, 17. 18 468
32. Die Spottrede des Sarkasmus und die Entgegnung der Frömmigkeit.
2 Sam. 6, 20—22 . . '? 478
Seite
33. Davids Bleiben zu Jerusalem. 2 Sam. 11, 1 493
34. Treue bis aus Ende. 2 Sam. 15,, 21 506
35. Der Mann, dessen Hand an, Schwert erstarrete. 2 Eam. 23. 9. 10 . . . . 516
36. Arafnas Tenne. 1 Chron. 22, 1 527
37. Die Dromedare. 1 Kön. 4, 2 0 - 2 8 541
38. Die Herrlichkeit des Tempels. 2 Chron. 5. 13. 14; 2 Chron. 7. 1. 2 . . . . 556
39. Die Königin vom Mittag. M t . 12, 42 572
40. Nbia, oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 1 Kön. 14. 13 588
41. Eiue Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 2 Chron. 16. 9 604
42. Obadja, oder: Frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 1 Kön. 18, 12 . . . 619
43. Keine Schonung. 1 Kön. 18, 40 635
44. Die stille, saufte Stimme. 1 Kön. 19, 12. 13 651
45. Die Pfeile des Heils vom Herrn. 2 Küu. 13, 19 667
46. Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum. Jona 2. 5 683
47. Der Bilderstürmer. 2 Köu. 18, 4. 5 699
48. Hiskia uud die Gesaudten. 2 Kön. 20, 12. 13 . . . 715
49. Manasse. 2 Chron. 33, 9 - 1 3 731
50. Daniels unerschrockener Mnt. Dan. 6. 10 745
51. Der hochgeliebte Mann. Dan. 10. 19 759
52. Die Götzen abgeschafft. Hosea 14, 9 . 7 7 4
Gottes erstes W o r t an den ersten Sünder.

erstes Wort an den ersten


Sünder.
„Gott der Herr rief Adam, und sprach zu ihm: Wo bist du?"
1 Mos. 3. 9.

E s wird den Mitgliedern dieser Gemeinde interessant sein, zu wissen,


daß eine über diesen Text gehaltene Predigt es war, unter der mein ehr-
würdiger Vorgänger, D r . G i l l , zur Erkenntnis der Wahrheit, wie sie in Jesus
ist, bekehrt wurde. Da dieser Text in Gottes Hand das Mittel gewesen ist,
der Kirche Christi einen Mann zu verleihen, der kühn die Wahrheit Gottes
verteidigte und die Lehre von der Gnade mit großer Klarheit auslegte, darf
ich Vielleicht hoffen, daß hier heute wenigstens einer anwesend sein wird,
der wie J o h n G i l l das Wort hört und es mit seinem lebendigmachenden Ein-
fluß in seine Seele aufnimmt. Nein, laßt uns beten, daß nicht einer allein,
sondern daß viele die Frage Gottes hörcu mögen, wenn sie durch die Menge
tönt, und während sie das Ohr erreicht, möge sie auch das Herz erreichen, so
daß manche vor Gott gebracht werden in Antwort auf die Frage: „ W o bist
du?" und die Zusicherung der Vergebung erhalten und in Frieden ihres
Weges gehen. Es ist nicht nötig, daß ich bei der Auslegung dieses Textes in
alle Umstände eingehe, welche zu der Frage führten. Der Mensch hatte gegen
Gott gesündigt. Beachtet die Entfremdung des Herzens, welche die Sünde in
dein Sünder vernrsacht. Adam hätte seinen Schöpfer auffuchen sollen. Er
hätte durch den Garten gehen sollen und nach seinein Gott rufen: „Mein
Gott, mein Gott, ich habe gegen Dich gesündigt. Wo bist D u ? Zu Deinen
Füßen fällt Dein Geschöpf nieder und bittet um Barmherzigkeit von Deiner
Hand. Mein Vater, D u hast mich in dies liebliche Paradies gesetzt; ich habe
gottlos und eigenwillig von der Frucht gegessen, von der D n sagtest, ich solle
nicht davon essen, denn welches Tages ich davon äße, sollte ich des Todes
sterben. Siehe, mein Vater, ich unterwerfe mich der Strafe. Ich erkenne
Deine Gerechtigkeit und flehe um Deine Gnade, wenn einem solchen, wie ich
T p u r g e o n . Alttestamentliche Bilder. 1
Nlttestamentttche Bilder.

bin, Gnade erzeigt werden kann." Aber anstatt dessen flieht Adam vor Gott.
Der Sünder kommt nicht zu Gott. Go1t__kmmnt zu ihm. Es ist nicht: „Mein
Gott, wo bist D u ? " sondern der erste Nuf ist die Stimme der Gnade"
„Sünder, wo bist du?" Gott kommt zum Menschen; der Mensch sucht nicht
seinen Gott. Trotz aller Lehren, welche der stolze freie Wille fabriziert hat,
ist niemals von Adams Tagen all bis jetzt ein einziges Beispiel gefunden, da
der Sünder zuerst seinen Gott gesucht hat. Gott^miß^ihn^uerst suchen. Das
Schaf verirrt sich von selbst, aber es kommt niemals zur Herde zurück, wenn
es nicht von dem großen Hirten gesucht wird. Es ist menschlich, zu irren, es
ist göttlich, zu bereuen. Der Mensch kann Missethaten begehen, aber sogar
die Erkenntnis, daß er es gethan, und das Gefiihl der Schuld ist die Gabe
der Gnade Gottes. Wir haben und sind nichts, als was schlecht ist. Alles,
was Gott ähnlich ist, alles, was nach, Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit
strebt, kommt von dem Höchsten. ,
Und während der Text uns deutlich die Entfremdung des menschlichen
Herzens von Gott lehrt, wie der Mensch seinen Schöpfer scheut und die
Gemeinschaft mit I h m nicht wünscht, offenbart er uns auch die T h o r h e i t ,
welche die Sünde verursacht hat. Die Sünde machte den Menschen zum
Thore.n. Er war einst nach Gottes Bilde weife; jetzt, nachdem die Spur der
Schlange über seine Natur dahin gegangen, ist er ganz und gar ein Thor,
denn ist der nicht thöricht, der die Vlöße der Sünde mit Feigenblättern deaen
will? Ist der nicht ^ d ^ e i ^ M a ^ M h n w i t z i g , der vor dem allwissenden Jehovah
unter den ausgebreitete» Zweigen der Bäume sich verstecken will.? Wußte
Adam nicht, daß Gott allen Raum ausfüllt und überall wohnt, daß es vom
höchsten Himmel bis zur tiefsten Hölle nichts gibt, das vor feinem Verstande
verborgen ist? Und doch ist er so unwissend und dumm, daß er hofft, Gott
zu entgehen und die Bäume des Waldes zur Zuflucht vor den feurigen Augen
des göttlichen Zornes macht. A h ! wie thöricht sind w i r ! Wie ^med^erholen.
wir die Thorheit unfres ersten Vaters ^eden^Tag,^wenn wir suchen, die.^
Sünde vor dem dann meinen, sie sei vor Gott
verborgen; wenn winden V W der Menschen mehr,fiirchten, als das Forschen
des Ewigen, wenn wir, weil die Sünde geheim ist und nicht die Sitten und
Gewohnheiten der Gesellschaft verletzt hat, uns kein Gewissen aus derselben
machen, sondern zu Bett gehen mit dem schwarzen Zeichen an unsrer S t i r n ,
in der Meinung, weil die Menschen es nicht sähen, würde Gott es auch nicht
bemerken. O Sünde, du lassest den Menschen fragen: „Wo foll ich hinfliehen
vor Deinem Angesicht?" Und du lassest ihn vergessen, daß, wenn er zum
Himmel führe, Gott da ist, wenn er sich in die Hölle bettete, Gott da ist,
und wenn er spräche: „Finsternis möge mich decken," auch die Nacht Licht
um ihn sein muß.
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder.

Aber jetzt kommt der Herr selber zu Adam, und beachtet, wie Er
Er kommt gehend. Er hatte keine Eile, den Missethäter zn strafen. Er flog
nicht daher auf den Flügeln des Windes, Er eilte nicht mit bloßem, feurigem
Schwert, sondern g i n g in den Garten. „ D a der Tag kühl geworden war,"
— nicht in tiefer Nacht, wenn die natürlichen Schauer der Finsternis das
Entsetzen des Verbrechers vermehrt haben könnten; nicht in der ^Hitze__des.
Tages, damit er sich nicht vorstelle, Gott käme in der Hitze der Leidenschaft;
nicht, am frühen Morgen, als wenn Er großen Eifer hätte, zu töten, sondern
^am Schluß des Tages, denn Gott ist langmütig, langsam zum Zorn nnd von
großer Barmherzigkeit, erst in der AbendMhle, als die Sonne unterging über
dem letzten Tage von Edens Herrlichkeit, als die Tautropfen zu weinen be-
gannen über des Menschen Elend, als die sanften Winde mit dem Odem der
Barmherzigkeit die heiße Wange der Furcht anhauchten; als die Erde stille
war, auf daß der Mensch nachsinnen möchte, und als der Himmel seine
Abendlampen anzündete, ans daß der Mensch Hoffnuug haben möge in der
Finsternis; da, und erst da, erschien der beleidigte Vater. Adam flieht und
sucht den Gott zu vermeiden, dem er einst mit Zuversicht entgegenkam, und
mit dem er die süßeste Gemeinschaft hatte und mit I h m redete, wie ein Mann
mit seinem Freunde redet. Und nun hört die Stimme Gottes, wie Er ruft:
„Adam, wo bist du?" O, es waren zwei Wahrheiten in diesetU_kurHeu_AuZruf.
Er zeigte, daß A d a i n v e r l o r e n sei, sonst hätte Gott nicht nötig gehabt, ihn
zu fragen, wo er wäre. Bis wir eine Sache verloren haben, brauchen wir
nicht nach ihr zu fragen; aber als Gott sagte: „Adam, wo bist du?" war es
die Stimme eines Hirten, der nach seinem verlornen Schafe fragt; oder besser
noch, der Ruf eines liebenden Vaters, der sein Kind sucht, das von ihm weg«
gelaufen ist. Es sind nur drei Worte, aber sie enthalten die furchtbare Lehre
von unsrem verlornen Zustande. Wenn W ^ t t ^ragt: „Wo^bist d u ? " , so
muß der Mensch verloren fein^. Wenn Gott selber nachforscht, wo er ist, so
muß er verloren sein in einem furchtbareren Sinne, als ihr und ich noch je
völlig erkannt haben. Aber dann; es war auch Gnade hier, denn es zeigte,
daß Gott Erbarmen mit dem Menschen haben wollte, sonst hätte Er ihn ver-
loren bleiben lassen und nicht gesagt: „Wo bist du?" Die Menschen forschen
nicht nach dem, was sie nicht schätzen. Es war eine Predigt des Evangeliums,
meine ich, in diesen drei göttlichen Worten, als sie dnrch das dichte Gebüsch
drangen und das bebende Ohr der Flüchtlinge erreichten. — „ W o bist du?"
Er ist erschienen, dich zu suchen,
gerade wie Er später in der Person seines Sohnes zu erscheinen beabsichtigt,
nicht nur um zu suchen, sondern um selig zu machen das, was verloren ist.
„Wo bist du, Adam?" O, hätte Gott das menschliche Geschlecht vernichten
wollen, so hätte Er sofort seine Donnerkeile geschleudert, die Bäume verbrannt
Alttestamenttiche Bilder.

und die Asche des Sünders vor seinem zornigen Vlick liegen lassen. Er wäre
im Wirbelwind und im Sturm daher gefahren, hätte die Zedern und Granaten
mit den Wurzeln ausgerissen und gesprochen: „Hier bist du, du Empörer;
Verräter, empfange, was du verdient! Die Hölle thne sich auf vor dir nnd
verschlinge dich auf ewig." Aber nein, Er liebt den Menschen; Er trägt
Sorge für ihu, uud fragt deshalb jetzt im Tolle der Gelassenheit: „Adam,
wo bist du? wo bist du?"
Die Frage, welche der Herr an Adam that, kauu auf fünf verschiedene
Weisen ausgelegt werde». Wir sind nicht gewiß, in welchem bestimmten Sinne
der Herr sie meinte — vielleicht in alleil — denn es ist immer in den Worten
Gottes eine große „Tiefe, die unten liegt." Unsre Worte sind scholl gut,
wenn sie einen Sinn geben; aber der Herr weiß so zu sprechen, daß Er viele
Wahrheiten ill wenig Worten lehrt. W i r aeben wenia 2ll__uiel: Gott^gM.
v A in wenige Viel Worte und wenig Sinn —
bei^der^Rede^des Menschen. Wenig Worte und viel Bedeutung, — daseist
die Regel^bei^Gott. Wir geben Gold, zu Blattgold geschlagen:' Gott gibt
Goldbarren, wenn Er redet. W i r gebrauchen nur die Feilspäne der Edelsteine:
Gott läßt Perlen von seinen Lippen fallen jedesmal, wenn Er zu uns spricht,
nnd wir werden vielleicht nicht einmal in der Ewigkeit wissen, wie göttlich
Gottes Worte sind — wie gleich I h m selber, wie außerordentlich weit, wie
unendlich.

I.
Wir glauben, daß die Frage Gottes i n einem z w e c k e n d e n K i n n e .
gemeint war — „Adam, wo bist on?" Die Sünde stumpft das Gewissen ab.
sie betäubt die Seele, so daß nach der Sünde der Mensch nicht-so fähig ist,
seine Gefahr zu erkenuen, als er es vorher gewesen wäre. ' Die Sünde ist
ein Gift, welches das GewMn^MneMos durcki Absterben__tötet. Die Menschen
sterben durch die Sünde, wie sie es thnn, wenn sie auf den Alpen erfrieren
— sie sterben im Schlaf; sie schlafen und schlafen und schlafen, und schlafeu
fort, ^bis der^Tod die Siune schließt, und dann wachen sie in der Hölle^m.
Qualen auf. Eins diesen.
Schlaf zu verscheuchen^ H " aus seiner Lethargie aufzuschrecken, daß er seine
Augen öffne und seine Gefahr sehe. Eine der ersten Bemühungen des guten
Arztes ist, Empfindlichkeit in unser Fleisch hineinzubringen. Es ist kalt, tot
und erstorben; Er bringt Leben hinein, und dann ist Schmerz da; aber gerade
dieser Schmerz hat eine heilsame Wirkung auf uns. Nun meine ich, daß der
Herr Adam mit dieser Frage zum Nachdenken bringen wollte, „Wo bist du?"
Er hatte schon bis zu einem gewissen Grade wahrgenommen, in welchen Zu-
stand seine Sünde ihn gebracht, aber diese Frage sollte die Tiefen seines
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder.

Geistes aufregen und in ihm ein solches Gefühl der Gefahr erwecken, daß er
strebte, dem zukünftigen Zorn zu entrinnen. „Adam, wo bist du?" — blicke
dich jetzt a n , nackeild^ deinem Gott ein Fremder, die Gegenwart deines
Schöpfers fürchtend, elend, zu Grunde gerichtet. „Adam, wo bist du?" —
mit einem harten Herzen, mit ^mem aufrührerischen Willen, gefallen, gefallen,
gefallen von deinem hohen Stande. „Adam, wo bist du?" Verloren! ver-
loren für deinen Got^ veÄörell für das Glück, verloren für den Frieden, ver-
loren in Zeit, verloren m^ Ewigkeit. ^ S ü n d e r / wo bist du?"_ O, möchte
ich diirch die ernsten Worte, die ich nun sprechen will, einen verhärteten, sorg»
losen Sünder aufschrecke», daß er die Frage für sich selber beautwortet! ^ssaun,
wo bist du? — wo bist du hellte morgen? Soll ich's dir sagen? D u bist
in einein Zustaud, in welchen» dein eignes Gewissen dich verdamntt. Wie
viele sind da voll euch, die nie die Sünde bereut, uie all Christum geglaubt
habeu! Ich frage euch, ist euer Gewissen ruhig)' — ist es immer ruhig?
Gibt es nicht Zeiten, wo der Donner gehört wird? Gibt es nicht Stunden,
wo der Wächter sein Licht anzündet und die verborgenen Teile deiner Seele
durchsticht und deine Missethat entdeckt? Wo bist du dann? — das Gewissen
ist für Gott, was der Angelhaken für den Fischer ist. Das Gewissen ist, wie
ein Haken in deinem Munde heute, Er braucht nur die Schnur anzuzieheu und
dn bist in dem verzehrenden Feuer. Obgleich dein Gewissen dich verurteilt, so
wird doch die Gerechtigkeit weit streuger gegell dich sein, als dein armes, un-
vollkommenes Gewissen. Wenn dein Herz dich verdammt, Gott ist größer als
dein Herz und weiß alle Dinge. Dein Gewissen sagt dir, daß du unrecht
haudelst — o, wie unrecht mußt du dann handeln!
Aber, Mann, weißt du nicht, daß du deinem Gott ein Fremder bist?
Viele von euch denken selten an I h n . D u kannst Tage und Wochen zubrmneli,
olme^ seinen Namen zu nennen, ausgenommen vielleicht in irgend einer all-
täglichen 3iedensart oder einem Fluche, D u kannst »licht ohne einen Freund
leben, aber du kaunst ohne deinen Gott leben. D u issest, du trinkst, du bist
befriedigt; die Welt ist genug für dich; ihre vergänglichen Freuden genügen
deinem Geist. Wenn du Gott hier sähest, so würdest du vor I h m fliehen; du
bist sein Feind. O, ist dies der rechte Zustand für ein Geschöpf? Laß die
Frage an dich kommen — „ W o bist du?" Muß nicht das Geschöpf, das sich
vor seinem Schöpfer fürchtet, ill einer sehr bemitleidenswerten Lage sein?
Dll wnrdest gemacht, I h n zu verherrlichen; dl» wurdest gemacht, in seiner
Gegenwart fröhlich zu sein und all feiller Güte dich zu freuen. Aber es
scheint, dll liebst die Speise nicht, die doch bestimmt ist, dich zu nähren. D u
mußt krank sein — du mußt in der That krank sein! „ W o bist du?" Ge<
denke daran, der allmächtige Gott ist zornig über dich. Seine Gebote, gleich
eben so vielen Kanonen, bis zur Münduug geladen, sind alle heute morgen auf
Alttestamentliche Bilder.

dich gerichtet; nur der aufgehobene Finger des Herrn ist nötig, und sie werden
dich rasch vernichten und in Stücke reißen. Würde ein Mann sich behaglich
fühlen, wenn sein Nacken auf dem Block läge und das Beil über seinem
Haupte schimmerte? I n diesem Fall bist du heute. D u bist in der Lage des
Höflings beim Feste des Dionysins, und das Schwert über deinem Haupte
hängt, an einem einzigen Haar. Schon verdammt!! „Gott ist zornig über
den Gottlosen jeden Tag." (Ps. 7, 12.) , M i l l er sich nicht bekehren, so hat Er
sein Schwert gewetzet und seinen Bogen gespannt und zielt." Wo bist du,
Mann? O Gott, hilf dem Mann, zu sehen, wo er ist! Thue seine Augen
auf; laß die Frage ihn erschrecken. Laß ihn in seinem Schlaf unruhig werden
— nein, laß ihn erwachen und wahrnehmen, wo er ist — Deinem Zorne
preisgegeben, und der Gegenstand Deines schweren Mißfallens!
^ W o bist du?" Dein Leben ist zerbrechliche nMs^SHwächeres kann^es^
geben. Einer Spinne Gewebe ist ein Kabel, verglichen mit dem Faden deines
"Wens. Tränme sind feste Gebilde, verglichen mit dem Seifenblasenbau deines
Wesens. D u bist da, und du bist dahin. D u sitzest hier heute; ehe eine
Woche vergangen ist, magst du heulend in einer andren Welt sein. O, wo
bist du, Mann? Ohne Veraebnna. uud doch ein sterbender Mensch! Ver-
dammt, und doch sorglos in das Verderben gehend! Bedeckt mit Sünden, und
'doch eilend zu deines Richters furchtbarem Gericht. Verloren hier, und doch
vorwärts jagend, wenn jeder Augenblick auf Adlersfliigeln dich zu dem Platze
trägt, wo du ewiglich verloren fein wirst! Wie fchwer ist es, uns dahin zu
bringen, daß wir uns selbst erkennen! I m Leiblichen sucht ein Mann, wenn
er nur ein wenig krank ist, seinen Arzt, nnd will wissen, wie es mit ihm
steht; aber hier sagt er: „Friede, Friede, laß mich nur in Nuhe." Wenn wir
fürchten, daß unsre persönlichen Besitztümer in irgend welcher Gefahr sind, so
haben wir angstvolle Nächte und mühevolle Tage; aber ol nnsre Seelen —
unsre armen, armen Seelen — wir spielen mit ihnen, als wenn sie wertlose
Rechenpfennige wären, oder Scherben, die ein Kind in der Straße anfhebt nnd
wieder wegwirft! Sünder! Sünder! Sünder! Ist deine Seele ein so arm-
seliger Tand, daß du ertragen kannst, sie zu verliere!', weil du nicht deinen
Schlaf unterbrechen und deinen angenehmen Träumen Einhalt thun willst?
O, wenn eines Vrnders Herz dein Herz bewegen kann und wenn eines
Bruders Stimme deine schlafenden Augen erwecken kann, fo würde ich sagen:
„Was ist dir, o Schläfer?" Stehe auf und rufe deinen Gott an! Wache
auf! Warum fchläfst du! Wache auf und antworte auf die Frage: „ W o bist
du?" — verloren, verderbt, zu Grunde gerichtet! „ O Sünder, wo bist du?"
II.
Nun, zweitens, die Frage sollte v o n der öiinde «bevfiillvett und so
zu einein Bekenntnis leiten, Wäre Adams Herz in rechten! Zustande gewesen,
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder.

so hätte er ein volles Bekenntnis seiner Sündigkeit abgelegt. „ W o bist du?"


Laßt uns die Stimme Gottes dies zu uns sagen hören, wenn wir heute ohne
Gott und ohne Christum sind. ^,Wo bist du, Adam? Ich machte dich nach
meinem eignen Bilde, ich machte dich ein wenig niedriger denn die Engel;
ich machte^ dich zum Herrn über meiner Hände Werk, ich habe alles unter
deine Füße gethan, — die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer,
und was da im Meer gehet. Ich gab diesen ganzen Wonnegarten dir z u r / ^ ^ , ,
Heimat. Ich ehrte dich mit meiner Gegenwart, ich dachte an deine Wohlfahrt". ,^ "
und kam allen deinen Wünschen zuvor. Der Mond stach dich nicht nachts, die " ' " ' ^"
Sonne stach dich nicht des Tages. Ich milderte die Winde für dich; ich
kleidete die Bäume mit Frucht zu deiner Nahrung.. Ich ließ alle Dinge zu
deinem Glücke dienen. Wo bist du? Ich verlangte von dir nur die kleine
Sache, daß du einen Baum nicht anrühren solltest, den ich für mich behalten.
Wo bist du? Stehst du da als Dieb, als Empörer, als Verräter? Hast du
gesündigt? O Adam, wo bist du?"
Und nun, Sünder, höre mich. „Wo bist du?" Zu vielen von euch
könnte der Herr sprechen: „Ich gab dir eine gottesfürchtige^MuMr, die über
dich weinte in deiner Kindheit. Ich gab dir einen frommen Vater, der deine
Bekehrung ersehnte. Ich gab dir dieMMr^er^VoHeHuna — nie hat es d i r ^ ^ ^ ^ ,
an einem Mahle gefehlt. Ich kleidete dich. Ich führte dich in eine angenehme^ ,).^ ,
Lebensstellung. Ich half dir vom Krankenbett wieder auf. Ich übersah
zehntausend Thorheiten" Meine Gaben sind wie ein Strom dir zugeflossen.
Wenn du die Augen am Morgen öffnetest, so war es, um auf meine Güte
zu blicken,, und bis zum letzten Augenblick der Nacht war ich dein Helfer
und zog die Vorhänge mn dein schutzloses Haupt. Ich habe dich mit meinen
Fittichen bedeckt, unter meinen Flügeln hast du Zuflucht gefunden, nnd nun,
wo bist du? Hast du nicht meine Gebote vergessen, meine Person verabscheut,
meine Gesetze gebrochen, meinen Sohn verworfen? Bist du nicht bis auf diesen v ^ X,///. 5«^
Tag ein Ungläubiger, zufrieden, deinen eignen Werken zu vertrauen, aber
nicht, die vollendete Gerechtigkeit meines eingebornen Sohnes, des Heilandes
der Welt, anzunehmen? Was hast du für I h n gethan, der so viel für dich
gethan hat? Was bist du? Bist du nicht einer, der das Land hindert —
ein Baum, der den Boden aussaugt, aber keiue Früchte trägt — der den
freundlichen Regen des Himmels eintrinkt, aber keine dankbare Frucht gewährt?
Wo bist du? Bist du nicht heute im Lager meines Feindes? Bist du n i c h t s ^ / , ^ ^-'
auf Sataus Seite, trotzest dit mir nicht und hebst den winzigen Arm deiner
Empörung auf gegen den Herrn, der dich gemacht hat und der dir den Odem
in deiner Nafe bewahrt — in dessen Hand dein Leben ist nnd dessen alle deine
Wege sind? Sünder, wo bist du? Nach aller Güte Gottes — immer noch
ein Sünder!"
Alttestamentliche Bilder.

Leset die Frage wiederum so: „ W o bist du?" Die Schlange sagte, du
/ ///< / ^ t ^ / würdest ein Gott sein. D u hofftest, sehr herrlich zu werden. I s t es so,
/«//^ ? Adam? ist es so? Wo ist deine vermeintliche Erkenntnis? wo die Ehre?
wo die großen Vorzüge, welche deine Empörung dir bringen sollte? Statt der
Kleidung der Engel bist du uackend; statt Nuhm hast du Schmach, statt der
> ^«l />'< //^ Vorzüge hast du Schande. „Adam, wo bist du?" — Und Sünder, wo bist
lr^ ? du? Die Sünde sprach zu dir: ich will dir Vergnüge» geben — du hast es
gehabt; aber wie ist's mit dem Schmerz, der dem Vergnügen folgt? Die
Sünde gab dir ihren Becher voll Wein; aber wie war's mit den roten Augeu
und dem Wehe? Die Sünde sagte: „ich will dich groß machen;" aber was
hat sie für dich gethan? Trunkenbold, was hat sie für dich gethan? D i r
Lnmven und Armut gegeben. Ehebrecher, Hnrer, was hat sie für dich gethan?
^ i ^ //"' ^'« - Dein Fleisch voll Aussatz gemacht und deine Seele voll Angst. Dieb l Be»
^ ^ . / ^ , « ^ triiger! was hat sie für dich gethan? D i r Schande gebracht und dir ein
Brandmal vor den Angen der Menschen aufgedrückt. Sünder im geheimen!
Verfeinerter Sünder! was hat sie für dich gethan? Dein Süßes versauert,
deine Freuden vergiftet. Wo bist du — wo bist du? I n jedem Falle ist die
Sünde eine Lügnerin gewesen; und ohne Ausnahme wird die Empörnng ihre
verdiente Strafe bringen, wo sie es nicht schon gethan, und Sünder werden
mit ihren eignen Wegen gefüllt werden.
Und dann, um die Überführung noch zu verstärken, fragt der Herr den
// .^/ldam: „ W o bist du?" als wenn Er ihn fragte: „Wie kamst du hierher?"
Adam, du kamst hierher dnrch eigne Schuld. Wem: dn festgestanden, hätte
^"" ^ ' Eva dich nicht niedergeworfen. Eva, es war nicht die Schlange, welche die
Hauptschuld trägt, hättest du ihr nicht das Ohr geliehen, sie hätte lange ver-
suchen können, wenn du taub gewesen wärest. Und so sagt heute Gott zu
dein Sünder: „ W o bist du?" D u bist da, wohin du dich selber gebracht
hast. Daß dn gesündigt hast, ist dein eigner Fehler, und keines andern als
dein eigner. O, es hält schwer, bis ein Sünder einsieht, daß die Sünde sein
Eigentum ist. Es ist das einzige, was wir besitzen. Es gibt mir ein Ding,
was wir erschaffen haben, und das ist die Sünde, und die ist unser eigen.
Wenn ich irgend etwas zulasse, was böse ist, so muß ich bekenneu, es ist ein
Kind, das aus meinem eignen Leibe gekommen ist, es hat seinen Ursprung in
mir. Wenn wir von dein Falle reden, so wollen die Menschen ihre Sünde
auf den Vater Adam werfen. Sie sprechen von der Verderbtheit der Natur,
und dann meinen sie, entschuldigt zu sein, als wenn Verderbtheit der Natur
nicht bewiese, daß der Mensch verzweifelt böse ist, als wenn man damit nicht
sagte, daß die Sünde wesentlich des Menschen Eigenstes ist, daß er sie in
seinen Gebeinen und ill seinem Vlute hat. Wenn wir Sünder sind, so gibt
es keinerlei Entschuldigung für uns, und wenn wir als solche leben und sterben.
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder.

so wird die Schuld vor unsrer eignen Thür liegen und nirgends anders.
„Adam, wo bist du?" D u bist, wo du dich eigenwillig selbst hingestellt hast,
nnd du bleibst eigenwillig in demselben Stande der Empörung gegen Gott nnd
der Entfremdung von I h m .
Ich wollte zu Gott, daß der Sünder heute morgen nicht nur erweckt,
sondern von der Sünde überführt, würde. Es ist leichter, einen Menschen in
seinen! Schlaf zu stören, als ihn dahin bringen, daß er aufsteht und das ekel-
hafte Vett verbrennt, anf dem er schlummerte, nnd dies ist's, was der Sünder
thun muß nnd was er thun wird, wenn Gott in ihm wirkt. Er wird auf»
wncheu und sich verloren sehen; die Überführung von der Sünde wird ihm
das Bewußtsein geben, daß er sich selbst zu Grunde gerichtet hat, und dann
wird er die Sünden hassen, die er früher liebte, feine falsche Zuflucht fliehen,
seine Frenden verlassen und eine dauernde Errettung da suchen, wo sie allein
zu finden ist — im Blute Christi.

III.
Dies führt mich zu der dritten Weise, in der wir die Frage des Textes
betrachten können. Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: „Wo bist
du?" W i r können diesen Text betrachten als die S t i m m e G o t t e s , d e r
den v e r l o r n e n 3 ^ l M u d _ _ d L H _ M e n M e n b e k l a g t .
Einige haben es gewagt, das Hebräische zu übersetzen: „Ach über dich!
Ach über dich!" Es ist, als wenn Gott die Worte des Propheten spräche:
„Was soll ich aus dir machen? Soll ich dich schützen! Soll ich nicht billig
ein Adama aus dir machen und dich wie Zeboim zurichten? Aber mein Herz
ist andren Sinnes, meine Barmherzigkeit ist zu brüustig. Wo bist du, mein
armer Adam? D u redetest früher mit mir, aber jetzt bist du vor mir gefloheu.
Du warst eiust glücklich, was bist du jetzt? Nackend und arm uud elend. Du
warst einst nach meinem Bilde, herrlich, unsterblich, selig, wo bist du jetzt,'^
armer Adam? Mein Bild ist entstellt in dir, deines Vaters Antlitz ist hinweg//
genommen, und du hast dich irdisch, siimlich, teuflisch gemacht. Wo bist on
nun?" O, es ist wunderbar, zu deukeu, was der Herr für den armen Adam
fühlte! Es wird von vielen Theologen als ausgemacht angenommen, daß Gott
weder fühlen noch leiden kann. Davon ist nichts im Worte Gottes. Wenn
es gesagt werden könnte, daß Gott nicht alles uud jedes zu thnn vermöchte, so
würden wir sagen. Er sei nicht allmächtig, aber Er kann alles thun, nnd wir
haben nicht einen Gott, der nicht bewegt werden kann, sondern wir haben
einen, der fühlt uud der sich iu menschlicher Sprache beschreibt, als einen, der
eines Vaters Barmherzigkeit nnd alle Zärtlichkeit eines Mutierherzens hat.
Gerade wie ein Vater über einen aufrührerischen Sohn weint, so sagt der
ewige Vater: „Armer Adam, wo bist on?"
10 Alttestamentliche Bilder.

Und nun, habe ich hier heute morgen eine Seele, auf die der frühere
Teil des Textes einige Wirkung gehabt hat? Fühlst du, daß du verloren
bist, und siehst du ein, daß dies Verlorenfein die Folge deiner eignen eigen»
willigen Thorheit ist? Beklagst du dich selbst? Ach, dann beklagt Gott dich.
Er blickt auf dich nieder und spricht: „Ach, armer Trunkenbold, warum willst
du an deinen Bechern festhangen? I n welches Elend haben sie dich gebracht!"
Er sagt zu dir, der du jetzt über die Sünde weinst: „Ach, armes Kind, was
für Schmerz leidest du durch deine eigne eigensinnige Thorheitl" Eines
Vaters Barmherzigkeit ist brünstig, er sehnt sich, seinen Ephraim an die Brust
zudrücken. Denke nicht, Sünder, daß Gottes Herz steinern ist. D u hast ein
Herz von Stein, Gott hat es nicht. Denke nicht, daß Er schwer zu rühren
ist: du bist schwer zu rühren — E r ist es nicht; die Härte ist in dir selber.
^^/,l« Wenn du irgendwo eingeengt bist, so bist du es in deinem eignen Innern,
i / ^ " . ^ ^ ' nicht in I h m . (2 Kor. 6, 12 engt. Üb.) Seele, von der Sünde überführte*)
^ Seele! Gott liebt dich, und um zu beweisen, wie Er dich liebt, weint Er in
der Person seines Sohnes über dich und rlift: „Wenn du es wüßtest, so
würdest du auch bedenken, zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient.
Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen." Ich höre I h n zu dir sagen:
„Iernsalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie
eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht
gewollt!" Ich bitte dich, laß diese traurige, wehklagende Stimme des ewigen
Gottes in dein Ohr dringen und dich zur Buße bewegen! „ S o wahr als ich
«//.'//'^"^.lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern
daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe." O, will dein Herz
fast blechen um deiner Sünde und um des Elends willen, in das sie dich ge-
bracht hat? Sprich, armer Sünder: „Ich will mich aufmachen und zu meinem
Vater gehen und zu I h m sagen: „Vater, ich habe gesündigt in dem Himmel
und vor D i r und bin hinfort nicht mehr wert, daß ich Dein Sohn heiße." Er
sieht dich, Sünder; wenn du noch ferne von dannen bist, so sieht Er dich; hier
sind Augen der Gnade! Er läuft; hier sind Füße der Gnade! Er umfaßt
dich; hier sind Arme der Gnade! Er küßt dich; hier sind Lippen der Gnade!
Er spricht: „Thut seine Lumpen ab;" hier sind Worte der Gnade! Er kleidet
dich; hier sind T h a t en der Gnade! Wunder der Gnade — alles Gnade!

*) I n der englischen Erbauungssprache werden manche biblische Ausdrücke häufig ge-


braucht, die im Deutschen selten oder in einem andren Sinne vorkommen, dahin gehört
z. B. das convince ot sin, „von der Sünde überführen," nach I o h . 16, 8 ; das „Heilige"
im apostolischen Sinne für „Gläubige;" das „Kirche", wo Luther im N. T. „Gemeinde"
gesetzt hat, (daher englische Dissenter jede einzelne Gemeinde eine Kirche, „cliui-cil", nennen);
und vor allem das „errettet" »nved, wo Luther meistens „selig werden" gesetzt hat.
N. d. Üb. ' ^
, Gottes erstes Wort an den ersten Sünder. 11

O, wenn ihr wüßtet, welchen Empfang ein Gott der Gnade Sündern gewährt,
so würdet ihr nicht lange zögern, zu kommen. Wie J o h n V u un an fagt, wenn
der Belagerer die schwarze Fahne aushängt, dann sagen die innerhalb der
Mauern, daß sie es ausfechten wollen; aber wenn er die weiße Fahne auf»
zieht uud ihnen sagt, wenn sie ihm die Thore öffneten, wolle er ihnen Gnade
erzeigen, ja, ihrer Stadt Gerechtsame erteilen, dann sagen sie: „Macht die Thore
weit auf," und sie stürzen über die Wälle zu ihm in der Willigkeit ihres
Herzens. Seele, laß den Satan dich nicht betrügen, wenn er dir sagt, daß
Gott hart, unfreundlich, unwillig zum Vergeben sei! Versuche es, versuche es!
Gerade wie du bist — schwarz, schmutzig, selbstvenirteilt; und wenn du noch
etwas brauchst, dich dazu anzutreiben, höre wiederum des Herru klagenden Ruf,
wie er durch die Bäume Edens hallt: „Adam, armer Adam, mein eignes
Geschöpf, wo, wo bist du?"

IV.
Aber mm muß ich mich, damit die Zeit mir nicht zu kurz wird, zu einem
vierten Sinne wenden, in dem ohne Zweifel dieses Wort gemeint war. Es
ist eine erweckende Stimme, eine überführende Stimme, eiue beklagende Stimme;
aber viertens, es ist eine suchende S t i m m e . „Adam, wo bist du?" Ich
bin gekommen, dich zu finden, wo nnmer du sein magst. Ich will dich suchen,
bis die Augeu meines Mitleids dich sehen, ich will dir folgen, bis die Hand
meiner Barmherzigkeit dich erreicht; und ich will dich halten, bis ich dich zu
mir zurückbringe und dich mit mir versöhne.
Wiederum, wenn ihr fähig gewesen seid, mir durch die drei Teile der. i?
Rede zu folgen, kann ich zuversichtlich zu euch sprechen. Wenn ihr erweckt seid,
wenn ihr überführt seid, wenn ihr nach Gott verlangt, dann ist der Herr ge- '^ ""
kommen, euch zu suchen und euch heute morgen zn suchen. Was für ein Ge-^'" '""
danke ist es, daß Gott, wenn Er kommt, seine Auserwählten zu suchen, weiß, ^. ^
wo sie sind und sie nie verfehlt; sie mögen noch so weit sich verirrt haben, so
ist es doch nicht zu weit für I h n . Wenn sie zu den Pforten der Hölle ge-
gangen und die Pforten halb geöffnet wären, sie aufzunehmen, so könnte der
Herr sie selbst von da zurückholen. Wenn sie so gesündigt, daß sie sich selbst
aufgegeben hätten und wenn jeder lebende Christ sie auch aufgegeben, — wenn
Satan auf sie gerechuet hätte und sich fertig gemacht, sie zu empfangen, doch,
wenn Gott kommt, sie zu suchen, so wird Er sie finden und wird sie noch er-
reichen. I h r , die ihr verloren seid, Süuder, dem Verderben nahe, hört die
Stimme Gottes, denn sie spricht zu euch. „Wo bist du?" ich bin gekommen,
dich zu suchen. „Herr, ich bin an einem Ort, wo ich nichts für mich selber
thun kann." „Dann bin ich gekommen, dich zu suchen und alles für dich zu
thun." „Herr, ich bin an einem Ort, wo das Gesetz mir droht und die
12 Alttestamentliche Bilder.

Gerechtigkeit finster auf mich blickt." „Ich bin gekommen, dein Drohen des Ge»
setzes zn antworten und allen Zorn der Gerechtigkeit zu tragen." „Aber, Herr,
ich bin an einem Ort, wo ich nicht Vuße thnn kann, wie ich wollte." Ich bin
gekommen, dich zu suchen, und ich bin erhöhet, zu geben Buße und Vergebung der
Sünden." „Aber, Herr, ich kann nicht an Dich glauben, ich kann nicht glauben, wie
ich wollte/' „Ein zerstoßenes Rohr will ich nicht zerbrechen und ein glimmen»
des Docht will ich nicht auslöschen; ich bin gekommen, dir Glauben zugeben."
„Aber, Herr, ich bin in einem solchen Zustande, daß meine Gebete niemals
angenommen werden können." „Ich bill gekommen, für dich zu beten, und
dir dann deine Wünsche zn gewahren." „Aber, Herr, D u weißt nicht, was für
ein Elender ich bin." „ J a , ich kenne dich. Obgleich ich dich fragte, wo bist
du? so war es, damit dn wissen möchtest, wo du bist, denn ich weiß es gut
genug!" „Aber, Herr, ich bin der vornehmste der Sünder gewesen, niemand
kann seine Schuld so angehäuft haben, wie ich." „Aber, wer du auch sein
magst, ich bin gekommen, dich zn retten." „Aber ich bin von der Gesellschaft
ausgestoßen." „Aber ich bin gekommen, die Ausgestoßenen Israels zn
sammeln." „ O , aber ich habe gesündigt, so daß keine Hoffnung fiir mich ist."
„ J a , aber ich bin gekommen, hoffnungslosen Sündern Hoffnung zn geben."
„ J a , aber ich verdiene es, verloren zu fein." „ I a ^ aber ich bin gekommen,
das Gefetz herrlich und groß zu machen, und dir in der Person Christi deine
Strafe zu erteilen nnd dann dir Gnade zn erweifen um feines Verdienstes
willen." Es ist kein Sünder hier, der, wenn er sich feines verlornen Zu»
stanoes bewnßt ist, in einer Lage wäre, aus der er nicht herausgebracht werden
könnte. Ich will an die Schlimmsten der Schlimmen, an die Schändlichsten
der Schändlichen denken; wir wollen diejenigen hervorbringen, die einen hohen
Grad in des Satans Schnle erreicht haben nnd Meister in der Bosheit ge-
worden sind; dennoch wenn sie mit thrcmelwollem Ange allein anf die Wunden
Dessen blicken, der fein Blut für Sünder vergoß, fo kann Er bis znm Älnßersten
diejenigen erretten, die durch I h n zn Gott kommen. (Hebr. 7, ^5 engt. Üb.)
O, ich kann nicht heute morgen predigen, wie ich wollte, und vielleicht
könnt auch ihr nicht hören, wie ihr wünschtet; aber möge der Herr sprechen,
wo ich es nicht kann, und möge Er zu einem verzweifelnden Sünder hier
sagen: „Seele, meine Stunde ist gekommen, ich will dich aus der grausamen
Grube und aus dem Schlamm ziehen, und heute, in eben dieser Stunde will
ich deine Füße auf einen Felsen stellen, ich will ein neues Lied in deinen
Mund geben und deine Schritte gewiß machen." Gelobt, gelobt sei der Name
des Höchsten, wenn dies geschieht.
V.
Und nun zuletzt, wir sind sicher, daß dieser Text in noch einem andren
Sinne gebraucht werden kann uud gebraucht werden muß. Z u denen, welche
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder. 13

ihn verwerfen als eine Stimme der Erweckung und Überführung, zu denen, ^'. ^ " 2.^".«
welche ihn verachten als die Stimme der Barmherzigkeit, die sie beklagt, oder
als die Stimme der Güte, die sie fucht, kommt er in einer andren Weife.
Es ist die Stimme d e r G e r e c h t i g k e i t , welche sie v o r G e r i c h t f o r d e r t .
Adam war geflohen, aber Gott muß ihn vor feinen Schranken haben. „ W o
bist du, Adam? Komm hierher, Mann, komm hierher; ich muß dich richten,
die Sünde kann nicht unbestraft bleiben. Komm du, uud dein schuldiges
Weib mit dir. Komm hierher, ich muß die Fragen stellen; ich muß deine
Entschuldiguugeu hören, und da sie nichtig uud leer fein werden, muß ich dein
Urteil fällen." Denn, obgleich viel Mitleid in der Frage war, fo lag doch
auch Strenge darin. „Adam, Adam, wo bist du! Komm du hierher, um ge-
richtet zu werden." Hente hörst du nicht diesen Ruf; er ist ill Barmherzigkeit ' > ^ ^ , ^ / ^
verschoben. D u sollst ihn bald höreu, du sollst ihn zum erstenmal hören, wie
das Grollen des Donners, wenn das Wetter beginnt; wenn Krankheit dich
auf das Lager wirft, und der Tod durch feine Knocheuaugen auf dich blickt,
und dich mit feiner Geisterhand berührt und spricht: „Bereite dich, deinem
Gott zu begegnen." D u magst die Frage heute abweisen, du wirst mit ihr ' " " ^ '
zu verhaudelu haben, wenn Gott deiner Seele näher treten wird, als Er es
heute thut. Dann.werden deine Knochen wie Gallert sein, und deine Rippen
werden beben, uikd dem Herz wird in deinem Leibe zerschmelzen wie Wachs.
D u wirst zu kämpfe» haben mit den Schmerzen der Krankheit oder Seuche;
aber es wird ein Schmerz da fein, noch furchtbarer als jene. D u wirst dem
Tod ins Auge blicken; aber der Tod wird nicht das Schrecklichste aller deiner
Schrecken fein, denn du wirst hinter dem Tod das Gericht und den Urteils-
spruch sehen. D a n n wirst du die Frage hören; wenn das Zimmer stille ist,
und die Stimmen von Weib und Kind verstummt sind, wenn uur die Uhr '^ " .
noch tickt, dann wirst du den Fußtritt Gottes hören, der zu dir kommt am "^ '
Abend deines Lebens und zu dir spricht: „Wo bist du? Nun sollst dn vor
mich treteu. Gürte deine Lenden! Keine Einladungen der Gnade mehr für
dich; dein Tag der Gnade ist vorüber. Keine Warnungen mehr von dem
Prediger; nun fällst du m i r vou Angesicht zn Angesicht gegenüberstehen. Wo
bist du? Kannst du jetzt prahlen uud großsprechen, nun deine Nerven die
Wege geworden sind, auf denen die heißen Füße des Schmerzes wandern,
und deine Kraft dahin ist nnd geflohen, und du wie ein Licht bist, das im
Begriff ist, zu verlöschen? Wo nun deine Flüche? Wo nun deine Lustigkeit
und Scherze? Wo bist du uun?" D u magst dich winden und wenden; aber
du wirst nicht im staube sein, der Frage zu entgehen; du wirst versuchen, auf
dieses Leben zurückzublicken, aber du wirst gezwungen sein, vorwärts zu
schauen auf das künftige Leben oder den künftigen T o d ; uud immer noch
wird der Herr in dein Ohr flüstern: „Wo bist du? Wo bist du?" Dann
14 Alttestamentliche Bilder.

wird der letzte Kampf kommen, wo der Starke sich krümmet, wo das glänzende,
schimmernde Auge starr wird, und die Zunge am Gaumen klebt und die Hand
kraftlos auf dem Bette liegt, und die Füße den Körper nicht mehr tragen
können; wo der Puls sinkt und der klebrige Todesschweiß auf der Stirne
steht; und in diesen letzten Augenblicken wirst du immer noch die furchtbare
Stimme hören, die sich hebt mit dem nahenden Wetter, bis sie die volle Höhe
des furchtbaren Sturmes erreicht — „ W o bist du?" I n dem Jordan, ohne
/ / „ „ , / , - Gott; dem Grabe nahe, ohne Hoffnung; sterbend, aber kein Christus, dir zu
^ ^/,//- ^ helfeu; in der Ewigkeit landend, aber keine Hoffnung ewigen Heiles. Es ist
vorüber; der letzte Kampf gekämpft, und der Faden ist durchschnitten, der den
Geist an den Körper band, und du bist in eine andre Welt gegangen. Aber
die Frage folgt dir: „ W o bist dn?" Dein Geist ist nnn wach; er schläft
nicht mehr; er ist rein von dem schweren Fleisch, das ihn stumpf, starr, un-
empfindlich, tot erhielt. Nun hört er jene Stimme in Wahrheit und sie
durchschauert ihn, denn die Seele ist vor ihren Gott gebracht. „Wo bist du?
wo bist du?" ruft das lebendig gewordene Gewissen; und Gott antwortet
ihm: „Weiche voll mir, du Verfluchter!" Der Geist weicht voll Gott, nicht
um sich unter die Bäume des Gartens zu verbergen, sondern um sich in
Wogen der Angst zu stürzen. Und null sind viele Jahre vergangen, und
der Körper hat, obwohl die Seele lebendig war uud litt, im Grabe ge-
schlafen, und die Würmer haben ihn verzehrt. Aber horch! der Tag des
Gerichts, der Tag des Donners ist gekommen, schrill über allen Donnern
tönt die furchtbare Pofauue und uach der Pofaune erschallt die Stimme:
^ ^ ^ „Wachet auf, ihr Todten, und kommet znm Gericht!" Mitten in jenem
furchtbaren Tumult wird der Ruf gehört: „ W o bist d u ? " Der himm»
^ " ^ "^ ^ ll'sche Botschafter hat d e i n e n Körper gefunden, uud aus dem Grabe erhebt
sich dein Leib unter der Decke des grünen Rasens hervor. Empor fährt
er auf die Frage: „Wo bist du?" uud zu seinem Grausen kommt sein
entkörperter Geist zurück; seiue Seele, die lange gelitten, kehrt in den Auf»
erstehungsleib wieder ein, und die beiden Gefährten in der Sünde sind jetzt
Gefährten im Gericht. Der Ruf ertönt noch einmal, uud dieses selbe Ohr, das
jetzt mir zuhört, wird ihn hören: „ W o bist du?" Dann kommt der große
. weiße Thron, und diese selben Allgen werden ihn sehen, die jetzt auf mich
blicken; uud daun kommt der Allfang der fürchterlichen Gerichtssitzung, — und
" ^./i ^ dann soy gas Herz beben, das jetzt sich nicht bewegt. Dann wird dein
eignes persönliches Verhör kommen, uud, o Sünder, Sünder, es ist nicht in
meiner Macht/deinen Schrecken zu beschreibe». Ich könnte nicht einmal das
schwächste Bild von jenem Todeston geben, und von dem Tod deines un»
sterblichen Geistes, während du ihn hörst. „Ich bin hungrig gewesen, und ihr
habt mich nicht gespeiset. Ich bill durstig gewesen, und ihr habt mich nicht
Gottes erstes Wort an den ersten Sünder. 15

getränket. Was ihr nicht gethan habt einem uuter diesen Geringsten, das
habt ihr mir auch nicht gethan. Und sie werden in die ewige Pein gehen;
aber die Gerechten in das ewige Leben." „ O , Erde! Erde! Erde! höre das
Wort des Herrn," ich bitte jeden von euch, für sich selber zu hören. Ich
habe nicht von Träumen zu euch gesprochen. I h r wißt, es sind Wirklichkeiten;
und wenn ihr es jetzt nicht wißt, so werdet ihr es binnen kurzem wissen.
Ich bitte dich bei dem Blnte Dessen, der für Sünder starb — und welch ></-
stärkeren Veweggruud kann ich brauchen? — denke an die Frage: „Wo bist
du?" Möge Gott dir zeige», wo du bist. Höre die klagende Stimme Gottes, .
wenn Er mitleidsvoll über dich weint. Suche sein Antlitz, denn Er sucht dich;"/"
und dann brauchst du es nicht zu fürchten, I h n am letzten Ende sagen zu
hören: „ W o bist du?" sondern du wirst im stände sein, zu sagen: „Hier
bin ich und die Kinder, die D u mir gegeben hast. W i r haben unsre Kleider
gewaschen und sie helle gemacht im Vlute des Lammes; und Vater, hier sind
wir und hoffen, vor Deinem Angesicht zn bleiben ewiglich." O, daß ich euch
bitteu könnte, wie ein Mann um sein Leben bittet! O, daß diese Lippen
von Erde Lippen von Feuer wären, und diese Zunge nicht mehr von Fleisch,
fondern eine glühende Kohle, mit der Zange vom Altar genommen! O, daß
ich Worte hätte, die sis) ihren Weg in eure Seelen brennen wollten! O,
Sünder, Sünder, warum willst du sterben? Warum willst du umkommen?
Mann, die Ewigkeit ist etwas Fürchterliches, nnd ein zorniger Gott ist etwas
Entsetzliches, und gerichtet und verdammt zn werden, welche Zunge kann dieses
Grause» aussprechen! Errette deine Seele; siehe nicht hinter dich; stehe nicht
in dieser ganzen Ebene; ans dem Berge Golgatha errette dich, daß du nicht
umkommst. Glaube an den Herrn Iesum Christum; vertraue I h m deine Seele
an, vertraue sie I h m jetzt an, also wirst du und dein Haus errettet werden.
16 Alttestamentliche Bilder.

2.
Noahs Flut.
„ V i s die Sündflut kam, und uahm sie alle dahin." M t . 24, 39.

ir sagen gewöhnlich, daß „keine Regel ohne Ausnahme" ist, und


gewiß, bei der Negel, daß keine Regel ohne Ausnahme ist, ist selbst eine Ans-
nähme, denn die Regeln Gottes sind ohne Ausnahme. Die Regel, daß Gott
die Gottlosen strafen wird, ist ohne eine Ansuahme; die Regel, daß alle, die
außer Christo sind, verderben werden, ist eine Regel ohne Ausnahme; und die
Regel, daß alle, die in Christo sind, errettet werden sollen, ist auch ohne Alls»
nähme.

I.
Ich werde heute abend eure Aufmerksamkeit auf drei Regeln zu lenken
haben, die ohne Ausnahme sind, und die erste ist die hier vorliegende —
»Zie Anndstnt kam «nd nahm sie aUe dahin."
Die Zerstörung, welche die Sündflut verursachte, war allgemein. Sie
nahm nicht nnr einige hinweg, die außerhalb der Arche waren, sondern sie
nahm sie alle hinweg. Es gab ohne Zweifel Unterschiede in jenen Tagen,
wie es sie jetzt gibt, denn niemals hat eine tote Gleichheit unter den Kindern
Adams geherrscht, seit die Menschen begannen, sich zu mehren ans Erden.
V i e l e waren i n jener Z e i t wohlhabend. Sie hatten Schätze von Gold
und Silber angehänft. Sie waren reich durch Handel, Erfindungsgabe oder
Plünderuug. Sie waren reich an Erzeugnissen des Feldes. Ihnen gehörten
große Äcker Landes. Sie hatten sich viele Bequemlichkeiten und Annehmlich«
keitcn des Lebens verschafft, aber die Flut kam und nahm sie alle hinweg.
Kein einziger reicher Mann konnte mit all seinen Schätzen entrinnen, eben-
sowenig konnte er sich das Leben erkaufen, wenn er anch all seinen Reichtum
dafür gegeben hätte, denn die Flnt kam und nahm sie a l l e dahin. Es gab
keine Flöße von teuerm Zedernholz, keine Türme von kostspieligem Mauer-
werk, die über die verheerende Flut hinausragen konnten: der Tod spottete
Nuahs Flut. 17

des Krämers und des Kaufmanns, des Millionärs und. des Monarchen —
alle, alle wurden verschlungen von den zornigen Flnten.
Es gab einige in jenen Tagen, die außerordentlich a r m w a r e n .
Sie arbeiteten schwer, nm genug zn verdienen, Leib und Seele zusammen-
zuhalten, und sie waren kanm im stände, dies zn thnn; sie hatten jeden Tag
zu leiden.
„Das Unrecht des Bedrückers, des stolzen Mannes Hohn;"
aber ich finde nicht, daß sie znm Lohn für ihre Leiden verschont wnrdcn.
Nein; als die Flut kam, nahm sie sie alle hinweg. Der Bettler außerhalb
der Arche kam ebensowohl uni wie der Fürst. Der arme und elende Bauer
starb, hinweggespült von dem Schmntz seiner Lehmhütte, wie der Monarch von
seinem Palast. Der Dürftige ohne Schuhe an seinen Füßen starb. Die
Flut hatte kein Mitleid mit seinen Lnmven. Der, welcher die Straßen fegte
und dastand, auf ein Almosen wartend, ward hinweggerissen mit den Aristokraten,
die ihn bemitleidet hatten. Die Flut kam und fegte sie alle fort; die un-
erbittlichen Wogen maßen gleiches Schicksal allen zu, die außerhalb der einen
Sicherheitsarche waren.
Und so wird es anch am letzten Ende sein. Wie der Große keine Zu»
flucht erkaufen wird durch alles, was er aufgespeichert hat, so wird auch der
Genüge uicht freigelassen werden nm seiner Armut willen. Es war ein reicher
Mann in der Hölle, wie wir lesen: arme Männer sind anch dagewesen, und
sind jetzt da. Wie der Neichtnm nicht von der Hölle erretten kann, so kann
die Armut nicht zum Himmel erheben. Die Gnade und Gerechtigkeit Gottes
sind unabhängig von Gesellschaft, Nang, Stand und Lage. Was macht es
dem Herrn ans, wie viel oder wie wenig von dein gelbell Metall du bei dir
hast! Er mißt keinen Menschen nach seiner Börse, sondern nach seiner Seele;
und der, dessen Seele keine Vergebung erlangt hat, ist verloren, mag er sich
in Reichtümern wälzen oder im Mangel schmachten. I h r müsset von neuem
geboren werden; ihr müsset an Iesum glauben; ihr müßt, mit einem Wort,
in die Arche gehen, sonst wird die Flut, wenn sie kommt, euch alle dahin
nehmen, mögt ihr so reich sein wie der reiche Mann, oder so arm wie Lazarus.
Es waren in jenen Tagen g e l e h r t e Männer in der Welt; Männer,
welche bei Nacht die Sterne beobachteten; welche die Konstellationen entzifferten;
welche in die Geheimnisse der Materie hineinspähten; Männer, welche genaue
Forschungen in der Wissenschaft angestellt hatten, und so weit wie die Menschen
damals gekommen waren (nnd wir wissen nicht anders, als daß sie sehr weit
damals gekommen) in die innersten Tiefen der Erkenntnis gedrungen waren;
aber als die Flut kam, nahm sie alle dahin. Dort sinkt der Philosoph, ihr
könnt sein Todesgurgeln hören. Dort schwimmt auf dem Strom der Kopf
eines antediluvianifchen Salomo. Die Flut hat Magister, Doktoren der Rechte
T p u r g e o n , Alttestcuneiitllche Vilder. 2
18 Alttestamentliche Bilder.

und Nabbinen der Theologie dahingerafft. Niemand war im stände, der Sünd-
flut zu entrinnen durch alles, was er je gelernt hatte. Wissen ist keine Rettungs-
boje, Logik ist kein Schwimmgttrtel, Rhetorik kein Rettungsboot. Hinunter,
hinunter sinken sie, und all ihre Wissenschaft mit ihnen, unter die uferlosen
Wellen. Und die Ungelehrten, die ohne Zweifel zahlreich waren, wie sie
es jetzt sind, die nur zählen konnten bis zur Zahl ihrer Finger, die nichts von
den Feinheiten der Gelehrsamkeit oder der Beredsamkeit wußten, als die Flut
kam, raffte sie diese alle hinweg. So daß Kenntnis, ausgenommen eine be»
sonderer Art, nämlich die Herzenskenntnis Jesu Christi, uns nicht von dem
schließlichen Untergang retten wird; und auf der andren Seite: obgleich Un»
wissenheit, wenn nicht selbstverschuldet, eine Milderung der Sünde ist, so ist sie
doch nie eine solche Entschuldigung dafür, daß die Süude um ihretwillen un»
gestraft bleibt. Es ist eine Hölle da für die, welche ihres Herrn Willen wußten
und ihn nicht thaten; und es ist auch eiue Hölle da für die, welche nicht wissen
wollten, sondern in vorsätzlicher Unwissenheit göttlicher Dinge lebten und starben.
Die Flut kam und raffte sie alle dahin: I h r Mä'uuer, die ihr orthodox iu der
Lehre seid, die ihr von Theologie reden könnt und den Anspruch macht, Meister
in Israel zu sein, wenn ihr nicht Christo angehört, so wird die Flut euch
alle dahinraffen. Und ihr, die ihr sprecht: „Was ist daran gelegen? Glaubens»
bekenntnisse, was sind die anders, als Vüudel alten Plunders? Wir studieren
nicht unsre Bibel und wollen die Lehren nicht wissen, die darin gelehrt
werden." Ich sage euch, wenn ihr Christum uicht kennt und in I h m nicht er«
funden werdet, so wird eure Unwissenheit keine hinreichende Entschuldigung
für euch sein, denn wenn die feurige Flut kommt, so wird sie euch alle dahin«
raffen.
Ich zweifle nicht, daß es unter denen, welche in der Sündflut umkamen,
viele gab, die fehr e i f r i g i n Neligionsfachen w a r e n ; vielleicht einige,
die in ihrer Familie das Amt des Priesters versehen hatten, und möglicher«
weise selbst am Altare Gottes. Sie waren kein gottloses Geschlecht in jenen
Tagen, so weit es Form und Bekenntnis betraf; sie hatten eine Religion —
selbst jene Söhne Kains hatten eine Religion; uud in der That, wenn die
Menschen im Herzen am schlimmsten sind, plappern sie gewöhnlich am ineisten
von äußerer Religion. W i r können annehmen, daß es so in Noahs Tagen
war. Aber als die Flut kam, entflohen diese Männer, ob Priester oder keine,
da sie außerhalb der Arche waren, ihr nicht; sie raffte sie alle dahin. Und
ohne Zweifel waren andre da, die ruchlos waren, die lebten, ohne sich um
Gott zu kümmern, oder trotzig ungläubige Äußeruugen über I h n thaten. Aber
die Flut inachte keinen Unterschied zwischen dem heuchlerischen Priester und
dem offenen Lästerer; als sie kam, raffte sie alle dahin. O, ihr Söhne Levis,
ihr, die ihr Priestergewänder traget und behauptet, von Gott gesandt zu sein,
Noahs Flut. 19

um andre zu lehren, mit all euren gepriesenen magischen Kräften, wenn ihr
nicht an Iesum glaubt als arme, schuldige Sünder und zu dem Krenz als zu
eurem einzigen Heil aufblickt, so wird die Flut, wenn sie kommt, euch alle
dahinraffen. D u wirst ertrinken, du Priester, trotz deiner Wiedergeburt durch
die Taufe und deiner Wirksamkeit der Sakramente! D u wirst mit einer
lügenden Absolution auf deinen Lippen hinab sinken in die unterste Hölle!
Und, o ihr, die ihr über Religion spottet und damit prahlt, daß ihr keine
Heuchler seid, ihr haltet euch ohne Zweifel für ehrlich, aber wähnt nicht, daß
eure unverschämte „Ehrlichkeit", wie's ench beliebt, sie zu nennen, euch an
dem letzten furchtbaren Tage frei machen wird, denn an jenem Tage des
Zornes wird die feurige Sündflut auch euch alle hinwegraffen. Kurzen Prozeß
wird Gott dann mit Zweiflern machen. Sie werden I h n sehen, und staunen,
und verderben, denn kurz und streng wird sein Verfahren auf der Erde fein.
Rafch wird Er mit den Heuchlern fertig werden an jenem Tage; denn obgleich
sie rufen, wird Er ihnen nicht antworten; und wenn sie anfangen, zu I h m
zu fchreien, so wird Er „ihrer lachen in ihrem Unfall, und ihrer fpotten, wenn
da kommt, das sie fürchten." Die Flut wird sie alle zuletzt hinwegraffen —
ob religiös oder rnchlos — denn sie sind nicht zu der Arche geflohen und
haben so den e i n e n , einzigen Schntz verschmäht.
Laßt mich euch in dieser Versammlung heute abend mit Ernst daran
erinnern, daß an jenem Tag der Zerstörung einige der ältesten Menschen,
die je gelebt haben, umkamen — ältere Männer als du, ob dein Haupt
auch grau oder kahl ist; ältere Frauen als du, ob du gleich Kinder genährt
und auferzogen und Enkel und Urenkel auf deinem Schöße gewiegt: sie
wurden den Strom hinabgetrieben mit andren und kamen uni, als wenn sie
nie das Licht gesehen hätten. Und die J u n g e n starben auch. Diese eine
Zerstörung nahm das kleine Kind in seiner Schönheit hinweg, und den juugen
Mann in seiner Kraft und die Jungfrau in ihrer Blüte. Die Flut nahm sie
alle dahin; so mit uns allen, die wir zu erwachsenen Jahren gelangt sind,
uud Wissen erreicht haben, so daß wir zwischen gut nnd böse unterscheiden
können; wenn wir nicht in Christo erfunden werden, so wird die Flut uns
alle dahin nehmen. Wir wissen nicht, in einem wie jungen Alter wir ver-
antwortlich sein können. Möge das Kind sich nie ans seine Jugend verlassen.
Wir haben von Narren gehört, zwanzig Jahre alt, die in unsren Gerichtshöfen
„Kindheit" als Entschuldigung geltend machten, und von allen Spitzbuben-
stücken, die durchs Gesetz sanktioniert werden, denke ich, daß die Entschuldigung
mit „Kindheit" bei jungen Männern von neunzehn und zwanzig Jahren, die
Juwelen und ich weiß nicht was gekauft haben, nm es an ihre Lüste zu
wenden — von allen Schurkenstreichen, sage ich, scheint mir dies der un-
erträglichste. Aber es wird keine solche Entschuldigung mit „Kindheit" für
2*
20 Alttestamentliche Bilder.

euch Knaben und Mädchen nnd jungen Leute geben am letzten, großen Tage.
Wenn ihr Recht von Unrecht unterscheiden nnd das Evangelium Jesu Christi
verstehen könnt, so verwerft ihr es auf eure Gefahr, so vernachlässigt ihr es
auf eure Gefahr! Nein, weder die Inngen noch die Alten werden entrinnen,
außer wem: sie zu Christo kommen. „ I h r müsset von neuem geboren werden,"
das gilt für alle gleich, für euch, die ihr jung seid und für euch, die ihr graue
Haare habt. Keine Jugend kaun entschuldigen, keine Erfahrung kann frei»
sprechen, sondern die Flut des göttlichen Zornes wird gleichmäßig über jede
menschliche Seele dahinrauschen, es sei denn, daß wir Schutz finden ill der
Arche des Gnadenbuudes, dem Werk und der Person Jesu Christi, des
blutenden Lammes Gottes.
Diese Allgemeinheit will ich noch auf andre Weise veranschaulichen.
Ich setze voraus, daß, als Noah die Arche baute — ein sehr abgeschmacktes
Ding nach allen Regeln der gesunden Vernunft, abgesehen von seinem Glauben
an G o t t — sehr viele Leute davon hörten und sich wunderten. Es
war ein sehr großes Schiff; das größte, was je gebaut war; eine Erfindung
in der Schiffahrt, die ganz und gar die Menschen seiner Zeit stutzig machte.
Als Noah dieses Fahrzeug baute, und es auf dem trockenen Lande baute, weit
entfernt von einem Fluß oder Meer, muh es sehr viel Verwunderung erregt
und allgemein viel Redens unter den benachbarten Völkern verursacht haben.
Ich denke mir, die Nachricht verbreitete sich überall hin, und manche sagten,
sobald sie davon hörten: „Ein Verrückter! Mich wuudert, daß seine Freunde
ihn nicht einsperren; was für eiu Wahnwitziger muß er sein!" Nachdem sie
dies gesagt, machten sie ein paar Spaße darüber und gewöhnten sich, über
die abgeschmackte Sache zu spotten, so daß es zum Sprichwort ward, und
man, wenn jemand etwas Dummes that, sagte: „ N u u , der ist so närrisch, wie
der alte Noah!" Gemeine Spaße war alles, was Noah von ihnen erhalten
konnte; sie verspotteten, verlachten und verachteten ihn aufs äußerste, aber die
Flut kam und nahm sie alle hinweg, uud da hatte es ein Ende mit ihren
Spaßen, ihren Sarkasmen, ihren Spöttereien. Die Flut hatte sie in sehr
wirksamer Weise zum Schweigen gebracht. So wird es mit denen unter euch
sein, die das Evangelium Christi lächerlich gemacht haben, ihr werdet an dem
großen und schrecklichen Tage des Herrn finden, daß euer Lachen keine Macht
über den Tod hat nnd keinen Aufschub der Höllenqualen erlangen kann. Es
wird kein Raum für Unglauben an jenem furchtbaren Tage sein. Gott wird
euch viel zu wirklich sein, wenn Er euch in Stücke reißt und niemand ans
seiner Hand befreien kann; und das Gericht wird viel zu wirklich fein, wenn
die Donnerschläge die Toten aufwecken und die Bücher aufgethan und bei
dem Lodern der Blitze gelesen werden, und der Urteilsspruch gefällt wird:
„Gehet von mir, ihr Verfluchten!" Hütet euch, ihr Verachtet, und wundert
Noahs Flut. 21

ench, und geht ills Verderben. Hütet euch, jetzt, so lange noch ein Tag der
Gnade ist, euch znm Himmel zu leuchten, denn gedenkt darall, er wird nicht
immer währen. Möge die ewige Liebe uns alle retten, daß wir nicht i l l
dem verzehrenden Feuer umkommen, wie Noahs Verächter in der ver-
zehrenden Flut.
Es waren ohne Zweifel andre da, die, wenn sie von Noah hörten,
sein B a u e n k r i t i s i e r t e n . Ich kann mir vorstellen, daß einige der Schiffs»
baller jener Zeit zusahen und ihm sagten, daß der Kiel nicht ganz richtig sei;
und jener sinnreiche Plan, das große Schiff von innen und von außen zu
verpichen, wurde sicherlich sehr scharf kritisiert, denn es scheint etwas ganz
Neues gewesen zu sein, keine Erfindung von Menschen, sondern eine Offen-
barung von Gott. Dann der Umstand, daß er nur ein Fenster machte —
selbst wir, die wir jetzt davon lesen, wissen nicht, was es bedeutet, und alle
Pläne, die je von Noahs Arche gezeichnet sind, scheinen nicht die davon ge»
gebene Beschreibung zu verwirklichen. „Wie," sagte der weise Schiffsbauer,
„das Ding wird nie oben auf der Flut schwimme», wenn sie zufällig kommen
sollte; und außerdem, man hat so lange daran gebaut, daß das Holz sicher
brandig werden wird." Was für weise Dinge wurden darüber gesagt! Wenn
man im stände gewesen wäre, sie in jenen Tagen zu drucke», wie viele kritische
Abhandlungen würden veröffentlicht worden sein gegen „jenen alten, hölzernen
Kasten Noahs," wie sie die Arche wahrscheinlich genannt haben! Alle diese
Kritiker hätten sie sehr viel besser geballt, daran habe ich keinen Zweifel, aber
sie bauteu überhaupt gar nicht; und obgleich sie tadelten und es so viel besser
machen konnten, als Noah es machte, dennoch, wie es denn auch zuging, sie
ertranken, und er wurde errettet. So ist es jetzt in dieser Welt, wir finden
beständig Menschen, welche die Sünden der Kinder Gottes kanen, wie sie Brot
kauen. „ O j a ; " sagen sie, „es ist etwas in der Religion, ohne Zweifel, aber
seht nur auf eure Unvollkommenheitcn nnd eure Fehler!" und, Brüder, sie
brauchen nicht lange zu sehen, um diese ausfindig zu machen. Sie können
leicht zehntaufend Punkte finden, in denen wir ein wenig vervollkommnet
werden könnten, nnd ich zweifle nicht darall, daß nnfre Kritiker in mancher
Hinsicht besser sind, als wir. Mancher weltliche Mann hat mehr Gleichmut,
als mancher echte Christ. Es thut mir leid, es zu sageu, aber ich habe Un-
bekehrte gekannt, die viel freigebiger waren, als manche, die bekehrt sind. Sie
sind ausgezeichnet in einigen Dingen, aber dennoch, dennoch, dennoch ist es
eine ernste Wahrheit, daß der schärfste und philosophischste Kritiker andrer
Leute, wenn er anßer Christo ist, hinwcggerafft werden wird, wahrend die,
welche er kritisierte und verurteilte, weun sie in demütigem Vertrauen auf
Iesum erfunden sind, durch den Glauben an I h n errettet werden. Es hängt
alles an dieser einen Sache; innerhalb oder außerhalb der Arche: innerhalb
22 Alttestllinentliche Bilder.

der Arche tausend Unvollkommenheiten, aber alle errettet; außerhalb der


Arche tausend Vortrefflichkeiten, aber alle ohne eine einzige Ausnahme er»
tranken zuletzt!
Aber auf der andren Seite mögen unter denen, welche kamen, um Vater
Noah und sein großes Schiff zu sehen, auch manche gewesen sein, die f ü r i h n
P a r t e i nahmen. Ich habe nie einen Mann gekannt, der ein so großer Narr
war, daß nicht einige seine Partei nahmen. Deshalb waren vielleicht manche
da, die sprachen: „Nun, aber seid doch nicht gar zu hart gegen ihn, er ist
ein achtungswerter Patriarch; er ist ein Mann, der seiner Überzeugung treu
ist; feine Überzeugung ist sehr abgeschmackt, daran ist kein Zweifel, aber doch
ist es eine fchöne Sache, in unfren Tagen einen Mann zu fehen, der wirklich
ausrichtig im Handeln ist; uns macht es Vergnügen, diesen Mann so ein-
genommen von seiner Idee zu finden; und wenn wir auch nicht umhin können,
zu wünschen, daß er vernünftig wäre, fo ist es doch fast besser, einen Mann
zu sehen, der unsinnig ist und seiner Überzeugung folgt, als einen, der mit
feinen Grundsätzen spielt, wie so viele es kindischerweise thuu." Mancher Herr,
der die Arche besehen hatte, ging mit wuudervoller Gewissensruhe zu Haufe,
nachdem er dies gesprochen und dachte: „ D a Hab' ich etwas sehr Gutes gesagt;
ich Hab' diesen Tadlern einen Niegel vorgeschoben; ich habe diesen guten, alten
Mann verteidigt, denn ein sehr guter, alter Mann ist er ohne Zweifel, obgleich
sehr im I r r t u m . " A h ! aber als die Flut kam, raffte sie alle diese Leute eben-
sowohl hinweg. Sie waren sehr freundlich in ihren Bemerkungen und nahmen
eine Gönnersmiene an, aber die Flut raffte sie alle dahin. Und kennt ihr
nicht jetzt noch solche Leute? Wie? Einige von ihnen sind hier heute abend.
Hört ihre artigen Reden; wie großmütig sprechen sie: „Nun ja, ich mag gern
diese christlichen Leute so ernst sehen; ich glaube wohl, daßsiesehr viel Gutes
thun; ihr wißt, ich höre gern einen Prediger offen und deutlich sprechen; ich
sehe gern diese Leute sehr eifrig, in unsrer Zeit ist es recht erquicklich, Leute
in irgend etwas eifrig zu finden, denn es gibt so viel Laxheit und Welt-
klugheit und dergleichen, daß wir gern Leute entschieden sehen, selbst wenn
wir sie für ein bißchen zu dogmatisch und bigott halten." Meine Herren, wir
danken euch für eure gute Meinung von uns, aber fo ihr euch nicht bessert,
werdet ihr alle auch also umkommen." Eure vortrefflichen Bemerkungen werden
euch nicht erretten, und eure sehr milden, artigen und freisinnigen religiösen
Ansichten werden euch nicht helfen. I h r könnt alle diese Ansichten haben, die
so tolerant uud trefflich sind, und wir sind froh, daß ihrsiehabt, und dennoch
habt ihr vielleicht keinen Anteil an dein Heile Christi. I h r seid vernünftige
Leute, daß ihr solche milden Ansichten habt, aber, vernünftig wie ihr feid,
wenn ihr nicht zu Christo geht, so werdet ihr umkommen, ebenso wie die
bigottesten Verfolger.
Noahs Flul. 23

Außerdem gab es andre, die noch mehr f ü r Noah w a r e n ; sie ent»


schuldigten und verteidigten ihn nicht nur, sondern wurden zuweilen recht warm
dabei. Sie sagten: „Vater Noah hat recht; wir sehen sein Leben, wir be-
obachten seine Sitten und seinen Wandel, und er ist ein besserer Mann, als
die, welche ihn verlachen und verachten; wir sind durch seiue Predigt überzeugt
wordeu, daß sein Zeugnis wahr ist, und wir wollen ihm helfen und ihm zur
Seite stehen; wir mögen die Spaße und die unartigen Bemerkungen nicht, die
über ihn gemacht werden; sie verletzen uns aufs tiefste." „Dann nehme ich
an, daß ihr auch in die Arche gehen wollt, nicht wahr?" „Nun, wir wissen
das selbst noch nicht, vielleicht werden wir es später; wir denken daran; wir
haben die Sache in sehr ernste Überlegung genommen, und wir halten es für
etwas sehr Passendes, für etwas sehr Richtiges, dies zu thun, aber freilich,
gerade jetzt ist es uns noch nicht gelegen, wir wollen noch etwas warten."
„Wie," fagte der eine, „ich habe noch nicht geheiratet." Und ein andrer sagt:
„Es wird an dem und dem Tage ein großes Fest gegeben; ich muß dahin
gehen; ihr wißt, wir müssen essen und trinken, und deshalb will ich noch nicht
gerade jetzt in die Arche gehen." Nun denn, diese wohlmeinenden und auf»
schiebenden Leute, die von einem Tage zum andren zögerten und warteten,
was wurde aus ihnen? Entkam einer von ihnen? Ach! nein; als die Flut
kam, nahm sie diese alle hinweg. Was, nicht einer von ihnen gerettet, von
diesen, die das Rechte gethan haben würden, wenn sie ein wenig länger Zeit
gehabt hätten? Nicht diejenigen verschont, die gute Entschlüsse in ihrer Kehle
hatten, die beinahe überredet waren, Christen zu werden? Nein, nicht einer
von ihnen; sie gingen alle unter in dem gemeinsamen Schiffbruch, und kamen
in der allgemeinen Zerstörung um, denn gute Entschlüsse retten keinen Menschen,
wenn sie nicht ausgeführt werden. Beinahe überredet, ein Christ zu werden,
ist wie der Mann, der beinahe begnadigt war, aber er wurde gehängt; wie
der Mann, der beinahe gerettet war, aber er verbrannte in dem Hause. Wie
der alte H e n r y S m i t h sagt: „Eine Thür, die beinahe verschlossen ist, ist^
offen; ein Mann, der beinahe ehrlich ist, ist ein Dieb; ein Mann, der bei-:'
nahe errettet ist, ist verdammt." O, habt darauf acht, die ihr zwischen zwei'
Meinungen schwankt! ihr Erweckten, aber nicht Entschiedenen! ihr Angeregten,
aber nicht Bekehrten! Noahs Freunde kamen um, seine liebsten Freunde, die
nicht in der Arche waren; als die Flut kam, wurden sie alle hingerafft, und
so müßt ihr es werden, ihr, unsre Söhne und Töchter, wenn ihr nicht eure
Herzen dem Herrn gebet.
Um diese Aufzählung zn schließen; man hat euch oft gefagt, daß sogar
die A r b e i t e r , die f ü r Noah a r b e i t e t e n , und die ohne Zweifel ihren
Lohn dafür bezahlt erhielten, denn sonst hätten sie nicht gearbeitet, auch um>
kamen. Sie halfen, das Holz zu sägen, den Kiel zu legen, die Volzen ein-
24 Alttestamcntliche Bilder.

zutreiben, das Werg hineinzubringen, es zu verpichen, die Spannen zu be-


festigen, aber nach allein, was sie gethan hatten, ward doch keiner gerettet.
Und so müssen der Kirchendiener, der Küster, der Älteste, der Gemeindevorsteher,
der Prediger, der Bischof, der Erzbischof, alle die, welche ein Amt in der Kirche
verwalten, welche irgend etwas zu thun haben mit dem guten, tüchtigen Schiff
des Evangeliums Christi, wenn sie nicht selber durch eiueu lebendigen Glauben in
Christo sind, umkommen, ebensowohl wie die Verächter und von der Gesellschaft
Ausgestoßenen. Hier ist also die ernste Scheidelinie: Alle außer Christo ver>
loren; alle in Christo errettet; alle Ungläubigen zu Grunde gehend; alle
Gläubigen in I h m bewahrt. Hier ist eine Regel ohne Ausnahme.
Sehr kurz wollen wir nun über eilten zweiten Gegenstand sprechen.

II.
Es scheint, daß, als die Flut kam, sie alle esseud uud trinkend, freiend
uud sich freien lassend fand, nach unsrem Text war auch dieses eine Negel
ohne Ausnahme.
Ist es nicht eine sehr ernste Sache, daß es jetzt so ist, daß ohne Aus»
nähme die große Meuge der Menschelt uoch immer ihre Seelen vernachlässigt,
sich mit ihren vergänglichen Interessen beschäftigt und gegen die ewigen
Realitäten gleichgültig ist? Es sind keine Ausnahmen von dieser Regel unter
den natürlichen Menschen. Begnadigte Menschen schätzen solche Dinge, aber
alle natürlichen Menschen sind wie diese Menschen in den Tagen Noahs. Als
ich heute nachmittag darüber nachsann, erstaunte ich. Ich sagte zu mir selber:
Was, nicht ein Mensch zn Noahs Zeit, der wünschte, in der Arche errettet zu
werdeu, — nicht einer? Die Bevölkerung der Erde war damals, wie mauche
annehmen, größer, als sie es jetzt ist. Wegen des außerordentlich hohen Alters,
das die Menschen damals erreichten, gab es weniger Todesfälle, uud die Ve-
völkeruug mehrte sich rascher, uud doch war unter alleu diesen nicht einer, der
von Natur Gott suchte — nicht einer? Es war etwas sehr Merkwürdiges,
daß nicht einer da war, der an die wiederholten Weissagungen Noahs glauben
und eine Zuflucht in der Arche suchen wollte. Aber ist es nicht noch merk-
würdiger, nur ist es merkwürdig wahr, daß von allen Unwiedergebornen, bis
sie von der göttlichen Gnade lebendig gemacht werden, nicht eiller ist, der sich
die Mühe nimmt, zu Christo zu fliehen? „ I h r wollt nicht zu mir kommen,
daß ihr das Leben haben möget," ist eine Regel von allgemeiner Anwenduug.
Die Menschen wollen nicht zu Christo kommeu, sondern lieber in ihren Sünden
verderben, als kommen und ihr Vertrauen auf I h u setzen.
Ich nehme an, daß der Grnnd davon in dreierlei liegt. Zuerst i n der
a l l g e m e i n e n G l e i c h g ü l t i g k e i t der Menschen gegen ihre S e e l e n . —
eine leichtfertige Sorglosigkeit betreffs ihres edelsten Teiles, ihres wahrsten
Noahs Flut. 25

Selbst. Aber das ist eine sonderbare Sache! Ein Mensch nimmt es immer
ernst mit seinem Leben — „Hant für Hant; und alles, was ein Mann hat,
läßt er für sein Leben." Wenn ein Mensch fürchtet, daß er in den Flammen
umkommen werde, was für Rufe wird er erheben! Welche Anstrengungen
wird er machen, ans dem Zimmer zu kommen! Wenn er dem Ertrinken
nahe ist, wie kämpft und ringt er! Wenn er krank ist, wie rasch schickt er
nach dem Arzt, und wie strebt er danach, den bestmöglichstell Rat zu be-
kommen, damit sein Leben erhalten bleibe! Und dennoch scheint ihm die Er-
haltung seines höchsten Lebens eine Sache uon gar keiner Wichtigkeit! Jeder
denkende Mensch muß fühlen, daß sein wahres Selbst sein Geist, seine Seele
ist, daß sein Körper nicht er selber ist, sondern nur eine Art Kleid, das er
trägt, ein Haus, in dem er lebt; und doch bringen die Menschen ihre Zeit
uon Morgen bis Abend damit zu, Kleidung und Nahrung für dieses äußere
Haus zu suchen, und der Bewohner desselben, der drinnen weilt, wird, armes
Geschöpf! ganz vergessen. Das ist seltsam, nicht wahr? Scheint dies nicht
zu beweisen, daß der Mensch dnrch seine Sünde zn etwas Geringerem, als
einem vernünftigen Geschöpf, herabgewürdigt ist, so daß er wie ein Tier
handelt? Wenu ein Mensch nur eine kurze Zeit in der Welt zu leben hat,
so wünscht er, glücklich ill ihr zu sein. Wenn er nur eine Stunde in einem
Wirtshause verweilt, was für einen Lärm, macht er, wenn der Ofen rancht,
wenn das Tischtuch nicht rein ist, wenn das Fleisch nicht gut gebraten ist; und
doch, obwohl er weiß, daß sein besseres Selbst auf ewig in einer andren Welt
leben muß, kümmert er sich uicht um diese Welt und darnm, ob er in ihr
glücklich sein wird oder nicht! Seltsam!
„Seltsam; höchst seltsam; wunderbar!" Es ist ein Wunder des Wahn-
sinns, daß die Menschen so gleichgültig gegen die Angelegenheiten ihrer Seele,
ihrer unsterblichen Seele, sind, daß sie schlafen gehen und nicht wissen, ob sie
aufwachen werden mit dem niemals sterbenden Wnrm, oder aufstehen, um
mit Jesu sich in dein höchsten Glanz der Ewigkeit zu erfreuen. Dennoch ist
diese Gleichgültigkeit allgemein. O Brüder, euch und mir thut es not zu
beten, daß Gott dieses tote Meer bewegen, daß er mit seiner lebendigmachendcn
Stimme sprechen und die Menschen zum Lebeu in diesen geistlichen Dingen
erwecken wolle, sonst werden sie in den Gräbern ihrer Gleichgültigkeit auf
ewig verwesen.
Der zweite Grund für diese Gleichgültigkeit lag ohne Zweifel i n d e m
a l l g e m e i n e n M n g l l U l b e n . Ist es nicht etwas sehr Sonderbares, daß nicht
einer von ihnen dem Noah glaubte? Noah war ein ehrlicher M a n n ; einige
uon ihnen hatten ihn viele Jahre lang gekannt, ja, hunderte von Jahren hatten
sie ihn gekannt, denn sie lebten damals so lange. Er sprach wie ein ehrlicher
Mann, Er predigte mit Eifer und Macht, aber nicht einer glaubte ihm, nicht
26 Alttestämentliche Bilder.

eine Seele glaubte ihm so, daß sie dem zukünftigen Zorne entfloh, nicht eine!
Nun, dies ist seltsam, denn wie ich vorhin sagte, keine Lüge war je so un-
glaublich, daß nicht der eine oder andre sie glaubte, wieviel mehr hätten
sich solche finden lassen sollen, welche die Wahrheit aufnahmen. Und hier
war cine Wahrheit, die so wahrscheinlich klang, um der Sünde der Menschen
willen, und doch fand sich niemand, der sie glaubte, sondern sie ward allgemein
verworfen. Ebenso ist es mit dem Evangelium Christi. Wir kommen und
sagen unsren Mitmenschen, daß der Sohn Gottes ins Fleisch kam, um die
Menschen zu erlösen, uud daß, wer an I h n glaubt, errettet werden soll. Aber
sie wollen es nicht glaubeu, obgleich wir es erprobt haben, Hunderte von uns,
Tausende von uns, und wir sagen ihnen, so feierlich und ernst wir können,
daß wir diese Dinge geschmeckt und mit unsren Händen betastet haben, daß
sie nicht schlau ersonnene Fabeln, sondern in Wahrheit sehr köstliche und er«
probte Realitäten sind; und dennoch ist, ohne die Gnade Gottes, nicht ein
einziger, hoch oder niedrig, reich oder arm, der so glauben will, daß er für
sich selber prüft; sondern sie schütteln die Köpfe lind gehen ihres Weges, und
leben und sterbe» im Unglaube«, wenn nicht die uuumschräukte Guade da«
zwischen tritt. Ein sonderbares Ding, ein verwnnderliches Ding! „Jesus
verwunderte sich ihres Unglaubens," und wohl mögen wir uns wundern über
die Allgemeinheit dieser Sünde.
Eine dritte Ursache dieser Gleichgültigkeit war, daß sie immer und
ganz und gar der Weltlichkeit sich hingegeben hatten. Der Text
scheint anzudeuten, daß sie nicht daran dachten, sich für die kommende Flut
vorzubereiten, weil sie mit dem niedrigen Genuß des Essens so beschäftigt
waren. Einige von ihnen waren Schlemmer, und andre, die nicht so viel
verzehrten, aßen doch recht gut, wenn sie aßen, und lecker dazu. Sie verehrten
den Gott, von dem Paulus spricht: den Bauch. Ach, Wohlleben ruiniert
viele, und Menschen graben sich ihren Weg zur Hölle mit den Zähnen. Gleich
dem Vieh, wünschen sie nur, gesättigt zu werden. Andre waren Trunkenbolde.
Ach! wie lustig waren sie bei ihren Bechern! Wie sie ein Glas Wein be-
urteilen und sein Alter bis aufs Jahr sagen konnten! Sie waren darauf
erpicht, Oxhofte köstlicher Getränke hinunter zu schlucken. Sie ertranken, wie
der Herzog Clarence, in ihren Weinfässern. Ohne Zweifel hatten sie in ihrer
Weise ihre jährlichen Festlichkeiten, und ihre Diners der Magistrate und der
Vereine, und ich weiß nicht, was mehr, und sie waren alle so beschäftigt
mit diesen Dingen, diesen schreienden Notwendigkeiten des Lebens der Schweine,
daß sie an etwas Höheres nicht dachten und nicht denken konnten. Sie freieten
und sie ließen sich freien; dies war ein ernstes Geschäft und mnßte besorgt
werden — wie konnten sie ihre Hochzeitsfeste verlassen und ihre eben ge>
heirateten jungen Frauen. Diese Dinge nahmen all ihre Gedanken ein. Und
Noahs Flut. 27

dennoch, Freunde, was nützte es, zu essen und zu trinken, wenn sie am nächsten
Tage ertränkt werden sollten? und was nützte es, zu heiraten, wenn sie am
Tage darauf ertränkt werden sollten? Wenn sie diese Dinge im Lichte des
Glanbens angesehen hätten, so würden sie dieselbell verachtet haben; aber sie
gebranchten nur die blöden Augen der Sinne, und deshalb legten sie großen
Wert auf die lustigen Dinge der Gegenwart. J a , nnd so ist es heutzutage
mit dem Gottlosen. Er wird reich, aber was nützt es, wohlhabend zu sein,
wenn er verdammt werden muß? Narr, der er ist, wenn er einen goldenen
Sarg kauft, wie kann das ihm helfen? Gesetzt, er läge auf dem Paradebett
mit einem Beutel voll Gold in jeder Hand, und einem Hallfen davon zwischen
seinen Füßen, wie würde das ihm helfen? Andre suchen Gelehrsamkeit, aber
wozu dieut Gelehrsamkeit, wenn ihr ins Verderben damit sinkt? Nehmt des
Gelehrten Schädel in die Hand, und was ist der Unterschied zwischen diesem
und dem Schädel des ärmsten Bettlers, der kaum die Buchstaben kannte?
Braunes, unanfaßbares Pnlver, sie zerbröckeln beide ill die gleichen Elemente.
I n eiller angesehenen Stellung sterben, was nützt es? Was sind ein paar
Pferde mehr vor dem Leichenwagen oder eine längere Reihe Trauerkutschen?
Werden diese das Elend des Tophet mildern? A h ! Freunde, ihr müßt
sterben. Warum euch nicht für das Unvermeidliche fertig machen? O! wenn
die Menschen weise wären, so würden sie sehen, daß alle Freuden der Erde
gerade wie die Seifenblasen sind, mit denen unsre Kinder sich vergnügen;
sie glitzern und sie scheinen und dann sind sie uerschwnnden, und es ist nicht
einmal ein Wrack übrig gelassen. O, daß sie weise wären, in die Arche ein-
zugehen, auf Christuni zu blicken, so daß sie, wenn die Fluten steigen, in I h m
sicher erfunden werden.
Hier kommt also diese allgemeine Regel, die niemals zn viel beklagt
werden kann, und die jedes Christen Herz in Kummer brechen sollte, daß all«
gemein und überall, dicht vor dem kommenden Gericht und mitten im Nachen
des Todes und der Hölle das ganze Geschlecht gleichgültig, ungläubig und
weltlich bleibt, nnd so bleiben wird, bis die Fenerfluten kommen lind sie alle
dahinraffen. So werden sie ihr Spiel treiben, bis sie verderben, wenn nicht
die ewige Liebe es verhindert.

III.
Die letzte Erwägung soll nur sehr knrz sein, aber sie ist eine sehr tröst-
liche, nämlich, d a ß alle, d i e i n d e r A r c h e w a r e n , sicher w a r e n .
Niemand siel heraus aus diesem von Gott bestimmten Zufluchtsort;
niemand wurde herausgezogen; niemand starb in demselben; niemand ward
darin gelassen, nm darin umzukommen. Alle, die hineingingen, kamen un-
verletzt heraus. Sie wurden alle darin erhalten. Sie wurden alle sicher durch
28 Alttestamentliche Bilder.

die schreckliche Katastrophe hindurch gebracht. Die Arche erhielt sie alle, und
so wird Jesus Christus alle erhalten, die in I h m sind. Wer zu I h m kommt,
soll sicher sein. Keiner von ihnen soll umkommen, noch soll jemand sie aus
seiner Hand reißen. Denkt daran, was für sonderbare Geschöpfe es waren,
die bewahrt blieben l Wie? Es gingen in die Arche unreine Tiere zu Paaren.
Möge Gott einige von euch, die wie unreine Tiere gewesen sind, zu Christo
bringen; große Schweine der Sünde, ihr seid am weitesten in dem Bösen gc<
gangen und habt euch vernnreinigt — doch, als die Schweine in der Arche
waren, da waren sie sicher, und ihr sollt es auch sein. I h r Raben, ihr
schwarzen Raben der Sünde, wenn ihr zu Christo fliegt, wird Er euch nicht
hinausstoßen, sondern ihr sollt sicher sein. Wenn die erwählende Liebe euch
aussondert und die wirksame Gnade euch zur Thür der Arche zieht, so soll sie
hinter euch sich schließen und ihr sollt errettet sein. I n der Arche war der
furchtsame Hase, aber seine Furchtsamkeit brachte ihm kein Verderben; da war
das schwäche Kaninchen, aber trotz seiner Schwäche war es in der Arche ganz
sicher. Da fanden sich solche langsamen Geschöpfe wie die Schnecke; einige das
Dunkel liebende Tiere, wie die Fledermäuse, aber sie waren alle sicher; und
die Maus war so sicher wie der Stier, und die Schnecke war so sicher wie
der Windhund, und das Eichhörnchen war so sicher wie der Elefant, und der
furchtsame Hase war so sicher wie der mutige Löwe — nicht sicher um des-
willen, wassiewaren, sondern sicher um deswillen, wo sie waren, nämlich in
der Arche. O l was für ein Gemisch ist des Herrn Volk! was für seltsame Wesen!
Einige wenige von ihnen Väter, aber nicht viele. Die große Masse von ihnen
kleine Kinder, welche, obgleich sie hätten wachsen sollen, noch immer sehr
fleischlich sind, lind nur Kindlein in Christo statt erwachsener Männer. Doch
alle sicher, alle gleich geborgen, wie verschieden sie auch sein mögen; veränder»
liches Temperament, aber unveränderliche Sicherheit; verschieden an Erfahrung,
aber gleich in der Einheit mit Christo, uud alle in I h m . „Nun wir denn
sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott,
durch nnsren Herrn Iesum Christ;" und den haben wir, ob wir groß sind
oder klein.
„Der feste Grund hat dieses Siegel:
Wer Dein ist, Herr, den kennest Du.
Laß Erd' und Himmel untergeh'n,
Dies Wort der Wahrheit bleibet steh'«."

Als der Sturm um die Arche peitschte, hätte er den Löwen eben so
wohl als die Maus vernichten können, aber er vernichtete beide nicht, weil
die Seiten der Arche den Sturm aushalten konnte»!; und als die Fluten
kamen, konnte das Schiff höher steigen, und höher, und näher dem Himmel,
je tiefer die Wasser waren. S o mit uns: laßt Stürme und furchtbare Orkane
Noahs Flut. 29

kommen, laßt unsre Sünden uns angreifen und unsre Schmerzen dazu, doch
sind wir, die wir die Schwächsten sind, ebenso sicher wie die Stärksten, weil
wir in Christo sind, und Christus wird den Sturm überleben und uns auf-
wärts tragen, näher und uäher znm Himmel Gottes.
Möge Gott uns Gnade gewähren, daß Er uns im Frieden finde am
Tage der Erscheinung des Herrn, wenn die Elemente zerschmelzen werden nnd
die Himmel zusammengerollt werden, wie ein Bnch. Wie ich schon gesagt,
alles hängt von der Frage ab: „Glaubst du an Christum?" Wenn dein
Herz Christo vertraut, bist du sicher, komme, was da wolle; aber wenn du
nicht in I h m ruhest, bist du verloren, komme, was da wolle.
Gott errette euch um Jesu willen. Amen.
30 Alttestamentliche Bilder.

3.
Die wirksame Berufung — vorgebildet
durch Abrahams Berufung.
„Sie zogen aus zu reisen in das Land Kanaan; und als sie
gekommen waren in dasselbige Land." 1 Mose 12, 5.
„Sie zogen aus zu gehen in das Land Kanaan; und in das
Land Kanaan kamen sie." (Engt. Üb.)

! V e n n ihr den Charakter eines Kindes zu kennen wünscht, so werdet ihr


wahrscheinlich viel darüber lernen, wenn ihr den Vater beobachtet. Der junge
Vogel fliegt und singt, wie sein Vater es vor ihm that. Wenn wir das Leben
des Glaubenskindes kennen lernen wollen, sollten wir uns in die Geschichte
des „Vaters der Gläubigen" hineinvertiefen. Abraham, der Glaubensmanu,
ist ein Vorbild aller Gläubigen, und der Bericht von seinein Leben ist, recht
betrachtet, ein Spiegel der Geschichte aller Heiligen Gottes. Der Anfang seiner
Glaubenslaufbahn, als er zuerst aus seiuem Vaterlande zog und in das Land
Kanaan kam, ist eine sehr lehrreiche Darstellung unsrer wirksamen Berufung,
wenn wir, durch ein Werk der allmächtige» Guade, vou der Welt ausgesoudert
werden und dem großen Gebot gehorchen: „Gehet aus von ihnen und sondert
euch ab, und rühret kein Unreines an, so will ich euch annehmen und euer
Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein." Das Leben des
Gläubigen ist, wie Abrahams Leben es war, ein abgesondertes, ein Leben,
das durch andre Neiguugen geregelt wird, als die, welche der Verwandtschaft
von Fleisch und Blut entstammen, ein Wandel in dem Unsichtbaren, in welchem
Gottes Gebot, sein Nahesein und sein Beifall das Höchste find, und der Glaube
gleich einem Steuermann, der am Nuder des Schiffes sitzt, die Seele leitet.
Abraham verleugnete das Fleisch, nahm das Kreuz auf sich, ging hinaus
außer dein Lager, wurde dem Herrn geheiligt und lebte und starb als Gottes
Freund und Fremdling unter den Menschen. Der Anfang seines abgesonderten
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 31

Lebens ist ein lebendiges Bild von dem Anfang desselben Lebens in uns.
Die Berufung Abrahams ist eine Darstellung unsrer Berufung, und ans diese
möchte ich eure ernste Aufmerksamkeit heute morgen lenken.

I.
Zuerst, die wirksame Berufung wird iu der Berufung
Abrahams veranschaulicht.
Wir haben die ganze Erzählung gelesen, und deshalb brauche ich nur
eure Erinnerung daran aufzufrischen. Leset sorgfältig die letzte» Verse des
elften Kapitels uud das gauze zwölfte, uud haltet den Faden der Geschichte
fest. Abrahams Verufuug war zuerst das R e s u l t a t der uuumfchräukteu
Gnade Gottes. Die Welt, als Ganzes, lag im Heidentum. Die Menschen
waren nach und nach uon dem einen Gott zu der Verehrung von Götzenbildern
herabgesunken. Hier und da mochte eine Ausnahme sein, wie bei einem Hiob
oder Melchisedek, aber dichte Finsternis bedeckte die Völker. Gott beschloß,
eine Familie auszuwählen, die nachher zu einer besonderen Nation werden
und die Vewahrerin des wahren Glaubens sein sollte. Warum Er Abraham
wählte, das weiß nur Er allein, denn wir wissen, daß Tharah, Abrahams
Vater, sich zur Verehrung falscher Götter verirrt hatte. „Elire Väter," sagte
Iosua im zweiten Verse seines 24. Kapitels, „wohnten vorzeiten jenseit des
Wassers, Tharah, Abrahams uud Nahors Vater, und dienten andren Göttern."
Diese Familie, wenn nicht ganz so verderbt, wie die übrige Menschheit, war
doch jedenfalls auch verderbt; uud wir finden die Teravhim (Götzen) im Hause
Labans, ihres Abkömmlings. Doch ersah die unumschränkte Gnade Gottes
das Haus des Tharah, uud aus dieser bevorzugten Familie wählte der Herr
der Heerscharen den Abraham aus. Das Warum, sage ich abermals, das
Warum bleibt iu den unerforschlichen Ratschlüssen Gottes, ist etwas, das uns
nicht geoffenbart ist, obgleich ohne Zweifel die Wahl uon dem Herrn aus den
weisesten und göttlichsten Gründen getroffen war. Abraham war ein Mann
mit Fehlern. „Auch ein Mann mit vielen Tugenden," erwidert ihr. J a ,
aber diese Tugenden waren ihm vom Geiste Gottes gegeben, uud nicht die
Ursache seiner Erwählung, sondern das Ergebnis derselben. Er ist ein Beispiel
von der uuumschränkten Macht Gottes, mit der Er seine Erklärung bethätigt:
„Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme,
des erbarme ich mich." Die Propheten sprachen oft von Abraham, als wenn
des Herrn Gnade gegen ihn zu bewundern sei, aber keineswegs schrieben sie
seine bevorzugte Stellung einem persönlichen Verdienst in dein Patriarchen zn.
„Schauet," sagt Iesaias, „deu Fels au, davon ihr gehauen seid, und das
Loch der Grube, daraus ihr gegrabeu seid. Schauet Abraham au, eure» Vater,
und Sara, von welcher ihr geboren seid. Denn ich rief ihn, da er noch
32 Sllttcstameutliche Bilder.

einzeln war, und segnete ihn und mehrte ihn." Er wird hier mit einem
Steinbruch, sozusagen, oder mit einer Grube verglichen, aus der das Volk
gegraben war, und sie werden geheißen, auf diese Grube zu schauen, als auf
einen Anblick, der sie demütigen w i r d ; also, wie ich schließe, nicht auf das
Verdienst ihrer Väter, sondern auf die Gnade Gottes. Und wiederum: „ E i n
Syrer, nahe daran, umzukommen, war euer Vater." (5 Mose 26, 5, engt. Üb.)
Ein Syrer genannt, wie um zu zeigen, daß er von Natur wie andre war;
und wie, die Syrer Götzendiener waren, so war er es auch. „Nahe daran,
umzukommen," darunter verstehe ich nicht, umkommen vor leiblichem Hunger
oder Krankheit, sondern durch geistliche Finsternis und Entfernung vom wahren
Gott. „Nahe daran, umzukommen," und doch blickte die ewige Barmherzigkeit
ans ihn und errettete ihn! J a , ob die Menschen sie annehmen oder nicht,
diese Wahrheit steht auf immer fest: „Welche Er zuvor versehen hat, die hat
Er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dein Ebenbild seines Sohnes,
auf daß derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche Er
aber verordnet hat, die hat Er auch berufen." Wirksame Berufung folgt
in allen Fällen dem ewigen Ratschlüsse; Vorherbestimmuug, nach dem gött-
lichen Wohlgefallen, ist der Urquell aller Vundessegmmgen, welche der
Gläubige genießt.
„O Wunderliebe, die mich wählte,
Vor allen: Anbeginn der Welt,
Und mich zu ihren Kindern zählte,
Für welche sie das Reich bestellt."

Die Berufung Abrahams war ferner von G o t t ausgeh eud und von
I h m nachdrücklich eingeschärft. W i r lesen nicht, daß ein Engel ihn berief,
noch ein Prophet, noch daß er von Ur in Chaldä'a aus eignen! Antrieb frei«
willig auszog. „Der Gott der Herrlichkeit erschien unsrem Vater Abraham,"
sagt Stephanus in seiner Todesrede, „da er noch in Mesopotamien war, ehe
denn er wohnete in Hnrau." Seinen» Geiste wurde eine merkwürdige Offen-
barung zu teil von dem Dasein und Wesen des einen, einzig wahren Gottes;
und dann, nachdem er erleuchtet war, so daß er in seiner innersten Seele das
Dasein uud die Herrlichkeit Iehovahs erkauute, dann kam die Votschaft, vielleicht
in hörbaren Lauten, vielleicht durch einen starken Eindruck in seiner Seele:
„Gehe von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause." Nuu merkt
euch, daß bei jedem Gnadenrufe, durch den ein Mensch wahrhaft errettet wird,
der Ruf unmittelbar von Gott selbst kommt. Mittel werden gewöhnlich ge-
braucht — der Prediger spricht, das Vibelbuch wird eine lebendige Leuchte,
die Schicksalsführung, ist eine Warnung, die nicht mißverstanden wird; aber
weder Prediger, noch Vnch, noch Schicksal können einen Menschen wirksam
berufen, ohne die direkte Bezeugung der göttlichen Kraft im Herzen jedes
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 33

einzelnen. Ach! meine Brüder, wir mögen arbeiten, Seelen zu gewinnen, aber
bis Gott seine Hand ans Werk legt, wird nichts gewirkt. Unser Nnf an die
toten Seelen läßt sie noch in ihrem Schlafe, aber die Stimme Jesu bringt
Lazarus aus dem Grabe hervor. Ich wollte, daß ihr, die ihr die Wahrheit
hört, niemals mit dem Gebrauch bloßer Mittel zufrieden wäret. Blickt auf zu
dem Gott der Mittel; bittet I h n , seinen Arm und die Macht seiner Gnade in
euch zu offenbaren. Und o l seid niemals zufrieden mit dem, was nur ans
äußere' Ohr dringt oder bloß wörtlich im Gedächtnis bleibt, fondern bittet, daß
es ins Herz kommen und in der innersten Seele bleiben möge durch die
Wirksamkeit des Heilige« Geistes. „Christus i n euch" ist die Kraft Gottes,
aber Er muß innerlich durch den Heiligen Geist aufgenommen werden, sonst ist
alles vergeblich. Es mnß ein übernatürliches Werk da sein, sonst könnt ihr
nicht errettet werden. So fehr ich wünsche, ein freies Heil zu predigen, kann
ich doch nicht vergessen, daß „ihr von neuem geboren werden müsset," und daß
niemaud zu Christo kommen kann, „es ziehe ihn denn der Vater." Die bloße
Natur, auch wo sie am besten ist, kann nicht das ewige Leben erreichen; ihr
Bogen ist zu schwach, um ius Ziel zu schießen; ihr winziger Arm zu kraftlos,
eine so göttliche Änderung hervorzubringen. Wirksame Berufung entspringt
also aus dem göttlichen Ratschluß und ergeht durch göttliche Machtäußerung.
Lieben Hörer, laßt dies euer Gebet an den Herrn sein, der euch allein
retten kann:
„Brich meines Hergens Hurtigkeit,
Schau' mich voll Mitleid an,
Brauch Neiner Liebe Allgewalt.
Der widersteh'» nichts kann."

Bei Abraham war ferner die B e r u f u n g eine persönliche und wurde


immer persönlicher. Zuerst, als Abraham iu Ur in Chaldä'a berufen ward,
dachte er wahrscheinlich, er könne Tharah, seinen Vater, und die übrigen
Familienglieder überreden, ihn zn begleiten; und dies scheint ihm bis zu einem
gewissen Grade gelungen zn sein, denn sie gingen bis Haran, aber dort blieb
die Familie aus unbekannten Gründen lange Zeit. Wie häufig ist es so mit
uus! Wenn Gott in unsrer Seele zu wirken beginnt, so möchten wir gern,
daß andre mit nns gingen, und wir machen vielleicht eine Art Vertrag mit
ihnen, daß wir ans halbem Wege stehen bleiben wollen, wenn sie so weit mit
uns gingen. W i r bilden uns vergeblich ein, daß wir sie alle dahin bringen
können, zn fühlen und zu handeln, wie wir es thnn, während doch, wenn die
Berufung nicht an sie ergeht, wie an uns, eine Scheidung stattfinden muß.
Die Liebe mag es anders wünschen, aber fleischliche Natnr und der ernenerte
Geist können nicht übereinstimmen, der Herr hat einen Unterschied gemacht;
und wir müssen erwarten, I h n einen aus einer Stadt und zwei aus einer
S p u r g e u n , Alttestamentliche Vllder. ' 3
34 Alttestamentliche Bilder.

Familie nehmen und nach Zion bringen zu sehen, während andre sich weigern,
zu kommeu. Nach einer Weile kam das Wort wiederum zu Abraham: „Gehe
v o u deiner Frenndschaft," nicht mit deiner Freundschaft, „und aus deiues
Vaters Hause;" und so ist Abraham diesmal gezwungen, Haran, den Halte»
punkt, zu verlassen, uud entschlossen und endgültig nach Kanaan vorwärts zu
gehen. Geliebte, ihr und ich, wenn wir je des Herrn sein sollen, müssen eine
bestimmte, persönliche Verufnng haben. Alles Hören des Evangeliums, bei dem
ich für andre Leute znhöre, und nur einer ans dem Haufen bin, hilft nichts;
aber wenn ich für mich selbst höre, und die Wahrheit mir ins Herz dringt,
mein Gefühl beschreibt, mein Elend enthüllt, meinen Wunsch erregt, meine
Hoffnuug entflammt, dann wird sie für meinen Geist die Kraft Gottes zur
Seligkeit. O lieber Hörer, ich bitte dich, betrachte dich als eiuen einzelnen,
versetze dich, selbst in dieser großen Versammlung, in eine geistige Einsamkeit,
und laß die Stimme Gottes zu dir kommen, gerade zu dir, wie die Bohue in
das Loch in der Erde fällt, das der Ackersmann eben für sie gemacht hat,
damit sie da schwellen und keimen nnd Frncht tragen möge. Nichts, als ein
direkter, deutlicher, persönlicher Ruf, der ins Herz und Gewissen eindringt, wird
von irgend einem Nutzen sein.
Dieser Ruf an Abraham war ein R u f zur T r e n n u n g . Die Trennung
muß ungemein schmerzlich für ihn gewesen sein, denn sie war so vollständig.
„Gehe aus deinem Vaterlande," — verbanne dich, sei ein Fremdling, ein Un-
bekannter, ein Allsländer. „Gehe von deiner Freundschaft;" laß die Bande
der Natur deu Banden der Gnade weicheu. Knüpfe neue Verbindungen und
füge dich Banden, die nicht die des Fleisches sind. „Gehe aus deiucs Vaters
Hause," dem Or4e der Ruhe und Behaglichkeit, dem Orte des Erbrechtes und
der Zuueiguug, erkenne einen andren Vater an und suche ein andres Haus.
„Gehe in ein Land, das ich dir zeigen will," das du nicht aus dir selber finden
kannst, sondern das ich dir offenbaren muß. Beachtet also, die wirksame Be-
rufung, wo immer sie zu einem Menschen kommt, ist ein trennendes Schwert,
das ihn von alten Verbindungen abschneidet. Sie macht ihn fühleu, daß diese
Welt nicht sein Vaterland ist; er lebt in ihr, wie ein Fremdling in einem
fremden Lande; er ist in der Welt, aber er ist nicht von ihr, dem: der Apostel
sagt: „Unser Bürgerrecht (Wandel) ist im Himmel." W i r werden Bürger
einer andren Stadt und sind Fremdlinge in diesen Städten der Erde. Um
Ehristi willen ist der Christ fortan gezwungen, sich in mancher Hinsicht von
denen aus seiner Familie und Freundschaft, die iu ihren Sünden bleiben, zu
trennen. Sie leben nach dem Fleische, sie suchen diese Welt; ihr Vergnügen
ist hienieden, ihre Nnhe unter dem Himmel. Der, welcher durch die Gnade
berufen ist, lebt in demfclben Hause, aber nicht uuter dem Einflüsse derselben
Beweggründe und wird auch nicht von denselben Wünschen beherrscht. Er ist
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 35

so verschieden von den andren, daß sie dies bald herausfinden; und wie Ismael
über Isaak spottete, so spotten die Söhne der Welt über die Kinder der Auf-
erstehung. Je mehr der Ruf der Gnade gehört wird, desto mehr vervollständigt
er die Trennung. Zuerst stelleil manche Gläubige sich nur teilweise dieser Welt
nicht gleich; sie sind zum Teil dem Bilde Christi gleich und zum Teil von
weltlichen Einflüssen geleitet. I n der That, dies ist bei den meisten von uns
der Fall; doch je reifer wir in göttlichen Dingen werden, desto vollständiger
wird unsre Entscheidung für Gott, desto vollkommener unser Gehorsam gegen
das Gesetz Christi, und desto größer die Scheidung zwischen uns und der Welt.
O, ich wünschte, alle Christen wollten diese große Wahrheit glanben und sie
bethätigen, daß „sie nicht von der Welt sind, wie auch Christus nicht von der
Welt war." Versuchen, ein weltlicher Christ oder ein christlicher Weltling zu
seiu, das heißt, etwas Unmögliches versuchen. „ I h r könnt nicht Gott dienen
und dem Mammon." „ I s t der Herr Gott, so wandelt I h m nach; ist es aber
Baal, so wandelt ihm nach." Gebt eure Herzen dem hin, was das Wahre
und das Rechte ist, aber versucht keinen Vergleich. Der wahre Kern des
christlichen Glaubens ist Absonderung von der Welt; nicht die Absonderung des
klösterlichen Lebens — wir sind weder Mönche noch Nonnen, und Gott will
nicht, daß wir es sein sollen. Jesus Christus war ein Mensch unter Menschen,
aß uud trank, wie andre es thaten, kein Asket, sonderte sich nicht ab vou den
übrigen, sondern war ein vollkommener Mensch unter Menschen. Doch, wie
abgesondert von den Sündern war E r ! ein Mensch, so verschieden von allen
andren, als wenn Er ein Ellgel unter einer Truppe Tenfel gewesen wäre. So
müssen ihr und ich sein. Geht auf den Acker und ins Kaufmaunsgeschäft, zur
Familie und zum Markt, aber bei all eurem Verkehr mit Menschen nehmt
nicht ihre Gruudsätze an und gehorcht nicht dem Dämon, der sie regiert. „Ich
bitte nicht," sagt unser Herr, „daß D u sie vou der Welt nehmest, sondern daß
D u sie bewahrest vor dem Übel." Bewahrt vor dem Ilbel, werdet ihr geistig
das ausführen, was Abraham buchstäblich that, ihr werdet von enrer Frennd-
schaft nnd eures Vaters Hause ausgehen unter dem Einfluß der göttlichen Be-
rufung.
Der Ruf Abrahams war in seinem Herzen und Willen wirksam gemacht,
und ich lenke eure Aufmerksamkeit einen Augenblick auf seinen Gehorsam.
Es war ein Gehorsam, d e r f ü r i h n e i n großes O p f e r einschloß.
Es muß schwer für ihn gewesen sein, sich von seinen Verwandten loszureißen.
Zuerst scheint es ihm in der That zu schwer geworden zu sein, denn er blieb
bei seinem Vater Tharah, bis dieser starb, in Harau. Brüder, es ist kein
Kinderspiel, ein Christ zu sein. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn
mich," sagt Christus, „der ist meiner uicht wert." I n vielen Fällen sind uusre
besten Freunde die größten Feinde der Religion. Mancher Mann hat die
36 Nlttestamentliche Bilder.

schlimmste Feindin seiner Seele au stillem Vllsen liegend gefunden. Manches


Kind hat gefunden, das; der Vater, der seinen Leib ernährte, sein Vestes gethan
hat, stille Seele zu verderben. „Des Menschen Feinde werden feine eignen
Hausgenossen sein," sagt Christus. Aber keine Verwandtschaft darf unfrem
Gehorsam gegen Christum im Wege stehen. Das zärtlichste Baud muß eher
zerrissen werden, als daß wir uusre Treue gegen unsren großen Herrn und
König aufgeben. Hütet euch, daß ihr keine neue Verbindung auknüvft, die
euch von I h m wegführen kann. Seid gewarnt, christliche Männer und
Frauen, ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubige», weder in der
Ehe, noch in irgend eiller Form von Genossenschaft, denn das wird euch
schweres Leid briugeu. Laßt Keime, als die, welche bei Gott in Gunst sind,
bei euch in Guust steheu; und da ihr nicht wünschen werdet, iu der Ewigkeit
vou euren Lieben getrennt zu sein, so tragt Sorge, daß ihr keine Verbindung
mit denen eingeht, die schon von Christo Jesu, eurem Herru, getrennt sind.
Aber wenn ihr, nachdem ihr bekehrt seid, euch ill Verbindung uud Verwandt«
schaft mit den Uugöttlicheu findet, wie es wahrscheinlich der Fall fein mag,
liebt sie, liebt sie mehr, als ihr es je gethan; seid freuudlicher denn je, herz»
licher denn je, damit ihr sie gewinnen möget, aber unterwerfet euch nie, um
ihnen zu gefallen, der Sünde, und befleckt nicht die Kellfchheit eures Herzeus,
das Christo allein gehört. Was es auch kosten mag, wenn ihr wahrhaft durch
die Guade berufen feid, kommt Heralls und laßt alles hinter euch.

„Wen Hab', wen such' ich neben Dir,


I m Himmel dort, auf Erden hier!
Ich will nur Gott, weg Kreatur!
Und bringe mich nicht von der Spur."

Es muß v i e l G l a u b e u iu Abraham erfordert haben, so gehorsam zu


sein. Er zog aus, ein Land zu siudeu, das er me geseheu. I h m wird uur
gesagt, welches Weges er wandern solle, und Gott will ihm zeigen, wo es ist.
Gedenkt darall, das in jenen alteil Zeiten eine Neise, wie Abraham sie unter»
nahm, etwas viel Furchtbareres war, als jetzt. Jene ehrwürdigeu Männer
waren i n dem Voden festgewurzelt, in dem sie aufgewachfen. W i r können
eine Neise nach Amerika oder Allstralien machen uud es für ein Geringes
halten; aber felbst uusre Großväter sahen es für etwas Schreckliches an, alls
der Proviuz zu gehen, in der sie lebten, und betrachteten es, als weun man
nach dem Monde ginge, wenn jemand von Auswanderung nach einem fremden
Laude sprach. Je weiter zurück ihr geht, desto größer werdet ihr die Zähigkeit
siudeu, mit der die Menschen am väterlichen Haust häugeu. Nuu, Abraham
mußte losgerissen werden, iu einem Alter von mehr als siebzig Jahren
mußte er ein Auswanderer werden. Er hätte fragen können, welche Art von
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 37

Land, aber er that es nicht: es ist ihn« genug, daß Gott die Reise bestimmt,
und fort geht der Pilger. So, Geliebte, müssen wir immer ohne Zaudern
der Führung unsres göttlichen Vaters folgen. Wenn wir von der göttlichen
Gnade berufen sind, so werden wir reichlich Gelegenheit haben, Glauben zn
üben. Wenn ihr Gottes Handeln mit euch verstehen könntet, wenn alles sanft
und eben ginge, wenn euch infolge eurer Religion alles glückte, so möchtet
ihr fürchten, daß ihr nicht auf dem Pfad der Kinder Gottes seiet, denn ihr
Pfad ist durch Trübsal bezeichnet. Durch viel Trübsal müssen sie in das
Reich Gottes eingehen. Aber wenn es auch allen Glanben fordert, den ihr
nur aufbieten könnt, und mehr, so haltet doch aus, denn die Verheißung wird
sich endlich rechtfertigen. Wenn Gott euch etwas thun heißt, ob es auch die
größte, nur denkbare Thorheit schiene, so thut es dennoch, und die Weisheit
Gottes wird sich in eurer Erfahrung verherrlichen. Ich muß eure Aufmerk-
samkeit noch ein paar Minuten länger bei Abrahams Gehorsam festhalten,
denn ich wünsche zu bemerken, daß derfelbe, obwohl er viel Verlust brachte
und ein sehr großes Maß von Glauben erforderte, doch anf eine sehr
große V e r h e i ß u n g gegründet w a r , — eine sehr ausgedehnte, eine
beispiellose Verheißung. Alle sollten gesegnet werden, die ihn segneten, und
er sollte ein Segen für die ganze Welt werden. Hier ist ein starker Antrieb
zmn Gehorchen, wenn der Glaube nur die Verheißung ergreifen kann; und,
Brüder nnd Schwestern, wenn wir um Christi willeu es wageu, den Pfad der
Absonderung zu betreten, und im Glaubeu zu wandeln, was für eine Menge
Verheißungen haben wir dann, die uns zum Vorwärtsgehen ermuntern —
„Ich will mit dir sein;" „ E r wird kein Gutes mangeln lasseil den Frommen;"
„Habe deine Lust an dem Herrn, der wird dir geben, was dein Herz
wünschet;" „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen;" „Wer an I h n
glaubt, der wird nicht zu schänden werden;" „Wer da glaubet und getauft
wird, der wird selig werden;" „Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Ehristus
aber ist Gottes." Sehet, Vrüder, die Krone, die euch vorgehalten wird! es
ist keine andre, als das ewige Leben! Sehet an eure Belohnung! es ist die
Stadt, deren Thore Perlen nnd deren Gassen Gold sind. Ener unvergleich-
liches Teil ist die unaussprechliche Seligkeit, bei Christo zu sein, mit I h m in
Wonne und Entzücken zu weilen voll Ewigkeit zu Ewigkeit. Sei also getrost,
denn alles, was du verlierst, indem du Jesu nachfolgst, wirst du hundertfältig
wieder erhalten in diesem Leben, lind in der künftigen Welt das ewige
Leben. Sei getrost; wenn du die Welt verlassest und Frennde verlierst um
der Wahrheit willen, sollst du die Freundschaft unsterblicher Geister erhalten,
Engel sollen deine Diener werden, nnd die im Vlute Neiugewascheneu sollen
deine Brüder sein, Christus selbst dein Freund nnd Gott dein Vater. Vorwärts
mögt ihr wohl gehen, wenn ihr nur an die Verheißung glauben könnt; ihr
38 Alttestamentliche Bilder.

habt alles zu gewinnen, und das, was ihr zu verlieren habt, ist im Vergleich
damit weniger denn nichts; die zeitliche, leichte Trübsal, die mit einem gott-
seligen Leben verbunden ist, ist nicht wert, verglichen zu werdeu mit der
Herrlichkeit, die in euch geoffenbart werden soll. Sehet also, Brüder, und
freuet euch, da ihr es seht, wenn wir Abrahams Schwierigkeiten haben, so
haben wir auch Abrahams Ermutigungen.
Nun, da ich euch gezeigt habe, was diese wirksame Berufung ist, und
der Gehorsam, den sie bringt, wollte ich euch nur daran erinnern, daß
Abraham nie sich ruhig niederließ, bis er wirklich in Kanaan ankam; so hat
auch ein Kind Gottes, wenn wirklich durch die Gnade berufen, nie Frieden
oder Ruhe, bis es Iesum wirklich hat und so durch den Glauben in die
Nuhe eingeht.
Abraham kann uns als Beispiel in seinem Gehorsam gegen den gött»
lichen Nus aufgestellt werden, weil er sogleich g i n g . Er hielt nicht inne,
um eine einzige Frage zu thuu; es ward ihm geheißen, nach Kanaan zu gehen;
uud nach Kanaan ging er. E r that sein Werk sehr g r ü n d l i c h : er zog
alls nach Kanaan, und nach Kanaan kam er. Nachdem er einmal Haran
verlassen, brach er, sozusagen, die Brücke hinter sich ab. Er hatte alle
Gedanken daran anfgegeben, jemals zurückzukehren. Wenn er gewünscht hätte,
umzukehreu, so hätte er es thun können, sagt uns der Apostel; aber er Halle
für immer all seine alten Verbindungen aufgegeben; er war auf das ver»
heißene Reich hingewiesen und zum Reich und znm ungesehene!: Segen wollte
er eilen. O, daß Gottes Geist jeden von uns in derselben Weise beriefe, uns
Gnade gäbe, in derselben Art zu gehorchen uud zu erklären, daß, wenn wir
alles aufzugebeu hätteu, was wir besitzen, und sogar das Leben selber, wir es
doch ohne Zauderu thun wollten, weil Jesus auf dem Wege voran geht.

»Jesu, geh' voran


Auf der Lebensbahn,
Und wir wollen nicht verweilen,
Dir getreulich nachzueilen;
Führ' uns an der Hand,
Bis ins Vaterland.

Ordne unfern Gang,


Jesu, lebenslang!
Führst Du uns durch rauhe Wege,
Gib uns auch die nöt'ge Pflege;
Thu' uns nach dem Lauf
Deine Thüre auf."

Auf eine Minute bitte ich euch, den Unterschied zwischen des Herrn
wirksamem Ruf und den gewöhnlichen Rufen, die so viele empfangen.
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 39

zu beachten. Brüder/ ich fürchte, es sind viele hier, die zur Herrlichkeit und Un-
sterblichkeit berufen wurden, aber der Ruf war von Menschen und durch Menschen.
Vielleicht sind manche von uus, die sich Christen nennen, nicht durch die Gnade
Gottes berufen, sondern durch die Beredsamkeit eines Predigers oder durch
die Aufregung einer Erweckungsversammlung. Hütet euch, ich bitte euch darum,
vor dem Strome, dessen Quelle nicht am Fuße des Thrones Gottes liegt.
Nehmet euch iu acht vor dem Heil, das nicht seinen Anfang nimmt in dem
Werke Gottes, des Heiligen Geistes, denn nur das, was von I h m kommt, wird
zu I h m führen. Das Werk, das nicht aus der ewigen Liebe entspringt, wird
uns niemals im ewigen Leben landen. Der Ruf vieler Menschen ist ein
solcher, daß sie, wenn derselbe an sie ergeht, viele Fragen aufwerfeu, ob sie
gehorchen sollen oder nicht. Die Wahrheit wird ernst und eindringlich ge-
sprochen, nnd sie können nicht umhiu, etwas von ihrer Macht zu fühlen, aber
sie fragen, was sie voll ihnen fordert, und wenn sie finden, daß sie, um
Christen zu seiu, vieles aufgeben müssen, was sie lieben, so blicken sie zurück,
wie Lots Weib und kommen um. Wie „Biegsam"'^) gehen sie bis zum Sumpf
der Verzagtheit, aber sie lieben den schlammigen Weg nicht, und deshalb
fliehen sie herans, auf der Seite, die der Heimat am nächsten ist, und gehen
zurück zur Stadt des Verderbens. Viele habe ich gekannt, die eine Berufung
gewisser Art hatten, die versuchten, nach Kanaan zu gehen nnd doch in Haran
zu bleiben. Sie wollten gern Gott dienen uud doch lebeu, wie sie es gewohut
warm. Sie halten es für möglich, ein Christ zu sein und doch ein Knecht der
Welt. Sie versuchen das ganz Unmögliche, den Löwen vom Stamme I u d a
und den Löwen des Abgrundes an denselben Wagen zu spaunen nnd damit
dnrch die Straßen des Lebens zu fahren. Ah, Mann, der Ruf, der von Gott
kommt, bringt einen Menschen ganz heraus, während der Ruf, der mir zu
unsrer fleischlichen Natnr kommt, uns bei den andren Menschen läßt uud uns
da lassen wird, bis wir in dasselbe Bündel mit Sündern gebunden nnd in
dasselbe Fener geworfen werden. Viele kommen aus Ägypten heraus nnd
erreichen doch nie Kanaan, wie die Kinder Israel, die ihre Leichname in der
Wüste ließen, weil ihre Herzen nicht aufrichtig des Herrn sind. Sie machen
einen guten Anfang, aber der Geschmack des Knoblauchs und der Zwiebeln
bleibt in ihrem Ntunde nnd hält ihre Herzen fest bei den Fleischtöpfen Ägyptens.
Wie die Planeten werden sie von zwei Kräften in Vewegnng gesetzt, die eine
will sie zum Himmel ziehen, aber die andre treibt sie, sich um die Welt zu
drehe»; und so gehen sie im Kreise wie das Mühlenpferd, ohne Fortschritt zu
machen; sie fahren fort, dem Namen nach den Herrn zu fürchten und doch mit

*) I n John Vunyans Pilgerreise. Spurgeon citiert diese sehr häufig.


A. d. Übers.
40 Altteslamentliche Bilder.

der That und in ihrem Herzen andren Göttern zll dienen. Hl'ltet euch, lieben
Freunde, vor dem Rufe, der euch ausgehen, aber nicht ausharren läßt.
Betet, daß dieser Spruch von euch wahr sein möge: „Sie zogen aus, zu gehen
in das Land Kanaan, und in das Land Kanaan kamen sie." Seid nicht zu-
frieden, zu beten, daß ihr errettet werden möget, laßt euch nie genügen, bis
ihr errettet seid. Seid nicht zufrieden damit, daß ihr versucht zu glauben uud
Buße zu thun; kommt zu Christo, und thut Buße und glaubt, gönnet euren
Augenlidern keinen Schlummer, bis ihr bußfertige Gläubige seid. Macht ein
volles und ganzes Werk aus eurem Glauben. Ringet nicht, die enge Pforte
zu erreichen, sondern in sie einzugehen. Hierzu müßt ihr einen Ruf von dem
Herrn des Himmels haben. Ich kann euch rufen, wie ich viele von euch so
oft gerufen habe, und ihr seid eine kleine Strecke des Weges gegangen, und es
hatte den Anschein, als wolltet ihr den ganzen Weg gehen, aber eure guten
Regungen waren wie eine Morgenwolke und wie der frühe Tau, sie warm
bald zerstreut und sind verschwunden. Gott gebe, daß ihr noch die Berufung
seines Geistes empfangen und errettet werden möget.

II.
Es bleiben noch wenige Minuten, die ich benutzeu will, um das Thema
zu wechseln. Wenn unser Text die wirksame Berufung veranschaulicht, so
b i l d e t e r auch d a s S e l / a r r e n b i s a n s E n d e a b .
„Sie zogen aus, zu gehen in das Land Kanaan, und in das Laud
Kanaan kamen sie." Das ist wahr von jedem Kinde Gottes, das wirklich
bekehrt ist uud dm Glauben der Erwählten Gottes enlpfängt. O, jene elmde
Lehre, die fagt, daß die Heiligen nach Kanaan ausziehen, aber es nie er-
reichen! sie ist genug, das Leben eines Gläubigen zu einer wahren Hölle auf
Erden zu machen. Einerlei, wie glücklich ich auch wäre, diese Lehre würde
meinen ganzen Seeleufrieden vergiften. Die Lehre, welche leugnet, daß die
Pilger zur Herrlichkeit von Kraft zll Kraft gehen, bis ein jeder von ihnen
in Zion vor Gott erscheint, und die lehrt, daß Schafe Christi voll den Wölfen
zerrissen werden können, daß die Steine im geistlichen Tempel in die vier
Winde verstreut, daß die Glieder Christi von feinem heiligen Leibe gerissen
werden können uud die Braut Christi verstümmelt, ist meiner Vernunft, meiner
Erfahrung, meinem Glauben, meiner ganzen geistlichen Natur zuwider. Ich
glaube an das Beharren bis ans Ende bei einem jeden, in dem die wieder«
gebärende Gnade Gottes eine Änderung der Natur bewirkt hat. Wenn er von
Gott geboren ist, so kann er nicht sterben; wenn der lebendige Same in ihm
ist, so kann der Teufel ihn nicht zerstören, denn er lebet und bleibet ewiglich.
Weil Christus lebt, muß jeder Gläubige, der eins mit Jesus ist, auch leben.
Die wirksame Berufung — vorgebildet durch Abrahams Berufung. 41

Wir ziehen also aus nach dem Lande Kanaan, und, gelobt sei Gott, zu
dem Lande Kanaan werden wir kommen. Gott hat es beschlossen. Er be»
schloß, daß die vielen Kinder alle zur Herrlichkeit geführt werden sollten durch
den Herzog ihrer Seligkeit; hat Er es gesagt, und soll Er es nicht thnn? W i r
werden unsren Ruheplatz erreichen, denn der Waffenträger, der vorangeht, ist
kein andrer, als Jesus Christus, der Bundesengel, mächtig zu erretten; wir
sollen bewahrt werden, denn um uns her ist eine feurige Mauer, und über
uns ist der Schild 'des Ewige» und Unveränderlichen, Iehovahs, dessen Liebe
ewiglich währt. Der Weg soll uns nicht müde machen; unsre Schuhe sollen
Eisen und Erz, sein und wie unser Tag soll unsre Kraft sein. (5 Mose 33, 25.)
Die Rauheit des Weges soll uns nicht entmutigen; Er will uns tragen wie
auf Adlersflügeln; Er will seinen Engeln befehlen über uns, daß wir unsren
Fuß nicht an einen Stein stoßen. Die Pfeile der Hölle sollen uns nicht
schaden, denn Er gibt uns eine undurchdringliche Rüstung — es soll uns kein
Übels begegnen. Die Schlingen des Teufels sollen uns nicht fangen, denn
feine Weisheit wird einen Ausweg bereiten aus jeder Versuchung, die seinen
Kindern widerfährt. Ehre sei Gott, es ist nicht in der Macht von Erde uud
Hölle, ob sie sich auch verbinden, einen einzigen von des Herrn Pilgern auf-
zuhalten, so daß er die himmlische Stadt nicht erreicht. „Wer will uns scheiden
von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, uusrem Herrn?" „Ich bin in
guter Zuversicht, daß der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es
auch vollführen." „Der Gerechten Pfad glänzet wie ein Licht, das da fort-
geht, und leuchtet bis auf den vollen Tag."

„Nichts, nichts kann mich verdammen,


Nichts nimmet mir mein Herz;
Die Höll' und ihre Flammen,
Die find mir nur ein Scherz:
Kein Urteil mich erschrecket,
Kein Urteil mich betrübt;
Weil mich mit Flügeln decket
Mein Heiland, der mich liebt.

Sein Geist spricht meinem Geiste


Manch süßes Trostwort zu,
Wie Gott dem Hilfe leiste,
Der bei I h m suchet Ruh';
Uud wie Er hat erbauet
M i r eine neue Stadt,
Da Aug' und Herze schauet,
Was es geglaubet hat."

Wenn ihr heute uachmittag den Text wieder durchgehet, so «lochte ich,
daß ihr an diese drei Dinge dächtet: W i r sind ausgezogen nach dem
4s Älttestamentliche Bilder.

Lande K a n a a n ; w i r wissen, w o h i n n u r gehen. Denkt viel an euren


Hafen der Nuhe. Vertieft ench in jene köstlichen SHriftstetten/ die Vas neue
Jérusalem enthüllen. Seid vertraut mit den EngelhärfeN. Komnit zu 8er
Gemeine der Erstgebornen. Laßt eure Sabbätbetrachtungen über den ewigen
Sabbat sein, der so bald anbrechen wird.
Ferner wissen w i r , w a r u m w i r gehen. Wir gehen nach Kanaan,
weil Gott uns berufen'hat, zu geheu. Er gibt uns Stärke dazu, Er legt die
Lebenskraft in uns, die uns aufwärts streben läßt zur ewigen Heimat, dem
fröhlichen Hafen der Heiligen.
Und w i r wissen, daß w i r geheu; das ist eine andre Gnade. W i r
hoffen nicht, daß wir znm Himmel gehen, sondern wir wissen, daß wir dahin
gehen. Christus ist der Weg, das Vanner der Liebe führt uns, die feurige
Wolkensänle der Vorsehung leitet uns, die Verheißuug stärkt uus, der Heilige
Geist wohnt iu uns; wir sind alles dessen gewiß. Gelobt sei Gott, wir
zweifeln nicht daran.
Beachtet zwei oder drei Gedanken in diesem Tert, die des Erinnerns
wert sind. „Sie zogen aus." Energisches H a n d e l n ! Die Menschen
werden nicht im Schlaf errettet. Kein Fahren zum Himmel anf Federbetten.
„Sie zogen aus zu dem Land Kanaan." K l a r e s Verständnis! Sie
wußten, was sie thaten. Sie gingen nicht unüberlegt zu Werke, ohue zu
wissen, wassiewollten. W i r müssen Christum kennen, wenn wir in I h m er-
funden werden wollen. Es mnß uns gegeben werden, auf I h n zn sehen und
I h m zu vertrauen, nnd zu uersteheu, was dies bedeutet. Die Meuschen werden
nicht durch die Blindheit eines unwissenden Aberglaubens errettet. „Sie
zogen aus zu dem Laud Kauaan, nnd in das Land Kanaan kamen sie."
Feste Entschlossenheit! Sie konnten Rückschläge ertragen, aber sie ließen
sich von ihrem Entschluß nicht abweudig inachen. Sie meinten Kanaan, und
Kanaan wollten sie erreichen. Wer errettet werden will, muß den Himmel
mit Gewalt nehmen. „ I n das Land Kanaan." Vollkommenes A u s -
h a r r e n ! „Wer beharret bis ans Ende, der wird selig werden." Nicht ein
Sprnng und ein Ausruhen, sondern beständiges Laufeu gewiunt den Preis.
Alle diese Gedanken schließen sich an die eine Vorstellung von dem Beharren
bis ans Ende, welche der Text ausdrückt.
Aber, ah! lieben Freunde, wie viele gibt es, die ausziehen, um nach
Kanaan zu gehen, aber nach Kanaan nicht kommen! Einige lassen sich ab-
halten durch das erste Gefühl von Mutlosigkeit, das sie überkommt; wie
„Biegsam" laufen sie nach Hause mit dein Schlamm der Verzagtheit an ihren
Füßen. Andre wenden sich ab znr Selbstgerechtigkeit. Sie folgen den An-
weisungen des Herrn Weltlich-Weise, und nehmen ihre Zuflucht zum Doktor
Gesetzlichkeit oder Herrn Höflichkeit, und der Sinai fällt auf sie und zermalmt
Die wirksame Berufung -^ Vorgebildet dutch Abrahams Berufung. 43

sie. Manche wenden sich rechts ab zur Heuchelei, in der Meinung, daß
heilig scheinen ebensogut wäre, als heilig sein. Andre gehen linker Hand
znr Formalität nnd bilden sich ein, daß Sakramente und äußere Gebrauchs
ebenso wirksam seien, als innerliche Reinheit und das Werk des Geistes ill
ihren Herzen. Viele fallen nieder vor der Silbermine, wo Dentas seinen
Hals brach. Hunderte geraten in die Vurg der Verzweiflung Und lassen ihre
Gebeine dort, weil sie nicht Christo vertrauen, nnd so das ewige Leben er-
halten wollen. Manche gehen anscheinend weit, aber wie „Unwissend" gehen
sie nie wirklich, und wenn sie zum Flusse gelangen, so kommen sie noch zu
allerletzt um. Einige werden wie „Kehrum" Abtrünnige uuo werden durch
die Hinterthür i n die Hölle geschleppt, trotz ihres christlichen Bekenntnisses.
Einige werden dnrch die Löwen erschreckt, andre werden verführt durch die
„Nebenweg-Wiese." Einige wollten gern errettet werden, aber sie müssen ein
Vermögen gewinnen. Viele wollten gern errettet werden, aber sie kömien's
nicht ertragen, ausgelacht zu werden. Manche wollen wohl Christo vertrauen,
aber sie können sein Kreuz uicht erdulden. Viele wollten wohl die Krone
tragen, aber sie können die Arbeit nicht aushalten, durch welche sie erreicht
werden muß. A h ! ihr Menschenkinder, ihr werdet euch zur Seite wenden
zur Madame Üppigkeit und zur Madame Seifenblase; ihr werdet bezaubert
werden von diesem und jenem und dem andren, das euer Verderben sichert,
aber die Schönheit des Heilandes, die dauernden Freuden, das wirkliche Glück,
das Er verleiht, diese sind euch zu erhaben; sie sind hoch über euch, uud ihr
strebt nicht, sie zu erreichen, oder, wenn ihr sie eine Zeitlang sucht, so kehrt
der Hund zurück zu dem, was er gespieen, und die Sau wälzet sich nach der
Schwemme wieder in dem Kot. Der Stein, der in die Höhe geworfen wird,
steigt nicht zum Himmel auf, denn die Anziehungskraft der Erde bringt ihn
wieder zurück. O, daß es Gott gefiele, seine Gnade in unsre Herzen zu
senden, daß auch wir ausziehen möchten im Geiste demütigen Vertrauens auf
Christum und auf die Kraft des Heiligen Geistes zum Lande Kanaan und
wirklich zum Lande Kanaan kommen, dann soll aller Preis dafür des Herrn
sein! Amen.
44 Alttestamentliche Vildcr.

4.
Die Rechtfertigung durch
den Glauben — vorgebildet dnrch
Abrahams Gerechtigkeit.
„Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete Er ihm zur
Gerechtigkeit." 1 Mose 15. ss.

^)hr werdet euch erinnern, daß wir am letzten Sonntagmorgen über die
Verufnng Abrahams sprachen und über den Glauben, durch den er fähig
ward, auf das Geheiß des Höchsten das abgesonderte Leben zu beginnen. Wir
werden heute von der Betrachtung seines Berufes zu der feiner Rechtfertigung
übergehen, da diese im Verlauf seiner Geschichte das nächste Bemerkenswerte
bildet, wie sie es auch in der Lehre des Neuen Testaments ist, denn: „welche
Er aber berufen hat, die hat Er auch gerecht gemacht."
Indem wir das vorhergehende Kapitel als eine Vorrede zu nnfrem
Thema ansehen, bemerken wir, daß nach Abrahams Verufuug sein Glaube sich
als einer von fehr praktischer Art erwies. Vernfen, sich von seinen Freunden
und seinem Vaterlande zu trennen, ward er darum doch kein Einsiedler, kein
Mann von asketischen Gewohnheiten, kein Sentimentaler, nnfähig für die
Kämpfe des gewöhnlichen Lebens — nein; in der edelsten Weise wahrer
Männlichkeit zeigte er sich im stände, die häuslichen Unannehmlichkeiten und
die allgemeinen Leiden, die seiner warteten, zu ertragen. Die Hirten Lots
zankten mit den Knechten Abrahams, und mit großer Uueigennützigkeit ließ er
seinem jttngern lind weit unter ihm stehenden Verwandten die Wahl der Weide,
und gab die wasserreiche Ebene Sodoms auf, die beste Gegend des Landes.
Kurze Zeit nachher zeigte der großartige, alte Mann, der seinem Gott ver»
traute, daß er ein Krieger sein und ruhmvoll gegen furchtbare Übermacht
kämpfen könnte. Er wappnete die Knechte seines Haufes, nahm die Hilfe
Die Rechtfertigung durch den Glauben — vorgebildet durch :c. 45

seiner Nachbarn an, verfolgte die siegreichen Heere der verbündeten Könige
nnd schlng sie mit eiller so schweren Hand, als wäre er von Ingcnd ans ein
Kriegsmann gewesen. Brüder, dieser Glanbe des Alltagslebens ist der Glaube
der Erwählten Gottes. Es gibt Leute, welche sich vorstellen, der seligmachende
Glaube sei eine unfruchtbare Überzeugung von der Wahrheit gewisser ab-
strakter Lehrsätze, die nur zu einer ruhigen Betrachtung gewisser angenehmer
Gegenstände führe, oder zu einem Aufgeben alles Mitgefühls für nnsre Nebcn-
menschen; aber es ist nicht so. Der Glaube, der sich nur auf religiöse
Übungen beschränkt, ist nicht der christliche Glaube, dieser muß sich in allem
zeigen. Einen bloß religiösen Glauben mögen Männer erwählen, deren Hirn
mehr erweicht ist, als ihr Herz, die besser für das Kloster, als für deu Markt
passen; aber der christliche Glaube, den wir nach Gottes Willen üben sollen,
ist ein großes praktisches Prinzip, das sich für jeden Tag in der Woche eignet,
uns hilft, unsrem Hause in der Furcht Gottes vorzustehen und die rauhen
Kämpfe des Lebens auf dem Warenlager, dem Landgut oder der Börse zu be-
ginnen. Ich erwähne dies am Anfang der Rede, denn, wie dies der Glaube
ist, der aus Abrahams Berufung hervorging, so leuchtet er mich in seiner
Rechtfertigung und ist in Wahrheit der, welchen Gott ihm zur Gerechtigkeit
rechnete.
Doch zeigt uns der erste Vers, daß selbst ein solcher Gläubiger, wie
Abraham, des Trostes bedurfte. Der Herr sprach zu i h m : „Fürchte dich
nicht." Warum fürchtete sich Abraham? Teils war es die Reaktion, die stets
eintritt, wenn eine Aufregung vorüber ist. Er hatte kühn gefochten und
ruhmvoll gesiegt, und nun fürchtete er sich. Feiglinge zittern vor dem Kampf,
und tapfere Männer nach dem Sieg. Elias schlachtete die Vaalspriester ohne
Fnrcht, aber nachdem alles vorüber war, sank sein M u t , und er floh vor dem
Antlitz Isebels. Abrahams Furcht hatte außerdem ihren Ursprung in einem
überwältigenden Gefühl der Ehrfurcht in der Gegenwart Gottes. Das Wort
Iehovahs kam mit Macht zu ihm, und er fühlte dieselbe Erschlaffung der Kräfte,
wie Johannes, als er auf der Iusel Patmos zu den Füßen seines Herrn
niederfiel, und wie Daniel, als er am Ufer des Hiddekel empfand, daß keine
Kraft mehr in ihm sei. „Fürchte dich nicht," sprach der Herr zu dein
Patriarchen. Sein Geist war zu tief gebeugt. Gott wollte seinen Knecht
emporheben zn der Kraft, eine heilige Vertranlichkeit mit I h m zn empfinden.
Ah, Brüder, dies ist eine gesegnete Fnrcht, — laßt uns sie hegen; denn bis
sie durch vollkommene Liebe, die noch besser ist, ausgetrieben wird, mögen wir
es zufrieden sein, unser Herz von ihr beherrschen zu lassen. Sollte nicht ein
Mensch, der sich großer Schwachheiten bewußt ist, in seiner eignen Schätzung
sinken in demselben Maße, in welchem er durch Gemeinschaft mit dem erhabenen
Herrn geehrt wird?
46 Alttcstamentliche Bilder.

Als er getröstet war, empfing Abraham eine offene Erklärung feiner


Rechtfertigung. Ich bin der Meinung, geliebten Freunde, daß nnfer Text nns
nicht lehren will, Abraham fei vor diefer Zeit nicht gerechtfertigt gewesen.
Der Glaube rechtfertigt immer, wo er auch existiert, und sobald er geübt wird;
fein Resultat folgt augenblicklich, und ist kein Nachwuchs, der Monate des
Warteus erfordert. I n dem Augeublick, wo ein Menfch wirklich seinem Gott
vertraut, ist er gerechtfertigt. Doch sind viele gerechtfertigt, welche noch nicht
ihren glückliche» Zustand kennen; für deren Verständnis der Segen der Recht-
fertigung noch nicht in feiner Herrlichkeit nud seinem Reichtum an Vorrechten
erschlossen ist. Es mögen heute einige hier sein, die durch die Gnade von der
Finsternis zu dem wunderbaren Licht berufen sind; ihr feid dahin gebracht,
auf Iefum zu blicken, und ihr glaubt, daß ihr Vergebung der Sünden
empfangen habt, und dennoch wißt ihr aus Mangel an Erkenntnis wenig von
der lieblichen Bedeutung folcher Worte, wie „Angeuommen in deni Geliebten."
(Epheser l,6.) „Vollkommen in Christo Jesu." I h r seid ohne Zweifel ge»
rechtfertigt, obgleich ihr kaum versteht, was Nechtfertignug bedeutet; nud ihr
feid augenommen, obgleich ihr enre Annahme noch nicht empfunden habt; und
ihr feid vollkommen in Iefu Christo, obgleich ihr heute eiu viel tieferes Gefühl
vou eurer persönlichen Nnvollkommenheit, als von der Allgeuugsamkeit Jesu
habt. Ein Mann kann Anrecht auf ein Besitztum haben, obgleich er die Ur-
kunden nicht zn lesen vermag oder von ihrem Dasein noch nichts gehört hat;
das Gesetz erkennt Rechte und Thatsachen an, nicht unsre Begriffe davon.
Aber es wird eine Zeit kommen, Geliebte, wo ihr, die ihr berufen feid, klar
eure Rechtfertigung fühlen und euch darüber freuen werdet; ihr werdet ein
deutliches Verstäuduis derselben haben nnd hohe Wonne darüber empsiuden,
sie wird euch zu eiuer höhereu Stufe der Erfahrung hinanfheben, uud euch
fähig machen, mit festerem Schritt zu wandeln, mit fröhlicherer Stimme zu
siugeu nnd mit volleren! Herzen zu triumphiereu.
Ich will jetzt mit Hilfe Gottes zuerst die M i t t e l der Rechtfertig« ug
Abrahams betrachten, dann zweitens den Gegenstand des Glaube us,
der ihn rechtfertigte, nnd dann drittens das, was mit seiner Recht-
fertigung verbunden war.

I.
Zuerst Brüder, w i e w a r d A b r a h a m gerecht? Wir feheu iu dem
Text die große Wahrheit, die Paulns im vierten Kapitel seines Römerbriefes
so klar auseinandersetzt, daß Abraham nicht dnrch seine Werke gerecht
wurde. Der guten Werke Abrahams waren viel gewesen. Es war ein
gutes Werk, sein Vaterland und seines Vaters Halls ans Gottes Geheiß zu
verlassen; es war ein gutes Werk, sich in edler Weise voll Lot zu trennen;
D i e R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a n b e n — v o r g e b i l d e t durch :c. 47

es war ein gutes Werk, die räuberischen Könige mit unerschrockenem Mute
zu verfolgen; es war ein großartiges Werk, sich zu weigern, die Vente Sodoms
anzunehmen, und seine Hände zu Gott aufzuheben, daß er nicht einen Faden
noch Schnhriemen nehmen wolle; es war ein heiliges Werk, Melchisedek den
Zehnten von allem, was er besaß, zu geben, und den höchsten Gott zn ver-
ehren: doch nichts von diesem allen wird im Text erwähnt, und ebensowenig
wird auf andre heilige Pflichten als Grund oder Ursache oder teilweise Ur-
sache seiner Rechtfertigung vor Gott hingewiesen. Nein, es wird gesagt: „ E r
glaubte dem Herrn, und das rechnete Er ihm znr Gerechtigkeit." Gewiß,
Freunde, wenn Abraham nach Jahren heiligen Lebens nicht dnrch seine Werke
gerecht ist, sondern vor Gott nm seines Glanbens willen angenommen wird,
so muß dies viel mehr der Fall sein bei dem ungöttlichen Sünder, der,
nachdem er in Ungerechtigkeit gelebt, doch an Iesum glaubt und gerettet wird.
Wenn eine Seligkeit da ist für den sterbenden Schacher und andre, die ihm
gleichen, so kann sie nicht ans Verdienst, sondern nnr aus Gnaden sein, da
solche keine gnten Werke haben. Wenn Abraham, voll guter Werke, nicht
durch diese gerecht wird, sondern durch seinen Glauben, wieviel mehr müssen
wir, die wir voller Unvollkommenheiten sind, znm Throne der himmlischen
Gnade kommen und bitten, daß wir durch den Glauben, der in Christo Jesu
ist, gerechtfertigt und durch das freie Erbarmen Gottes errettet werden mögen!
Ferner, diese Rechtfertigung wurde Abraham ebensowenig durch
Gehorsam gegen das Zeremonialgesetz zn teil, als dnrch Erfüllung des
sittlichen Gesetzes. Wie der Apostel es so klar ansführt, Abraham war gerecht,
ehe er beschnitten war. Der Schritt, der in den ä'nßeren und sichtbaren
Vuud, so weit er zeremoniell war, einweihte, war noch nicht gethan, nnd doch
war. der Mann vollkommen gerechtfertigt. Alles, was nachher folgt, kann
nicht zu etwas beitragen, was schon vollkommen ist. Abraham, der schon ge»
recht ist, kann diese Rechtfertigung nicht seiner nachfolgenden Veschneidung ver-
danken — das ist klar genng; nnd so, Geliebte, sind in. diesem Angenblick, wenn
ihr und ich gerechtfertigt werden sollen, diese zwei Dinge gewiß: es kann nicht
sein durch die Werke des Moralgesetzes; es kann nicht sein durch Gehorsam
gegen irgend ein Zeremonialgesetz, sei es, was es wolle — das heilige Ritual,
das Aaroil gegeben ward oder das abergläubische Ritual, das behauptet, durch
allmähliche Überlieferung in der christlichen Kirche verordnet zu sein. Wenn
wir in Wahrheit die Kinder des gläubigen Abraham sind, nnd ans Abrahams
Weise gerechtfertigt werden sollen, so kann es nicht durch Unterwerfung unter
Riten oder Zeremonien irgend welcher Art sein. Merket sorgfältig hieranf,
ihr, die ihr vor Gott gerecht werden wollt: die Taufe ist^an sich eine treff»
liche, von Gott verordnete^ Handlung, aber sie kann nicht rechtfertigen^ind
nicht dazu helfen, uns zu rechtfertigen; die Konfirmation ist eine bloß mensch»
48 Alttestamelitliche Bilder.

liche Einrichtilng und könnte, selbst wenn sie von Gott befohlen war, bei der
Rechtfertigung keinen Beistand leisten; und des Herrn Abendmahl, obwohl es
eine göttliche Stiftung ist, kann in keiner Weise zu uusrer Annahme oder
Rechtfertigung dienen. Abraham hatte kein Zeremoniell, auf das er bauen
konnte; er war durch seinen Glauben gerecht, und nur durch seinen Glauben;
und das müsseu wir, ihr und ich, auch seiu, weuu wir überhaupt je vor Gott
gerecht dastehen wollen. Der Glaube war bei Abraham die einzige und
alleinige Ursache, daß er für gerecht erklärt wurde, denn, beachtet, obwohl in
andren Fällen Abrahams Glallbe Werke hervorgebracht hatte, und obgleich der
Glallbe überall, wo er echt ist, gute Werke erzeugt, so war doch das besondere
Beispiel von Glauben, das in diesem Kapitel erzählt wird, nicht von Werken
begleitet. Denn Gott ließ ihn hinausgehen unter den Sternenhimmel und hieß
ihn hinaufblicken. „Also soll dein Same werden," sagte die heilige Stimme.
Abraham that, was? Glaubte der Verheißung — das war alles. Ehe er
noch Opfer dargebracht, ehe er ein heiliges Wort gesprochen oder eine einzige
Handlung irgend einer Art vollzogen hatte, ging schon augenblicklich und so-
gleich das Wort aus: „ E r glaubte dem Herrn, und das rechnete Er ihm zur
Gerechtigkeit." Unterscheidet stets zwischen der Wahrheit, daß der lebendige
Glaube immer Werke hervorbringt, und der Lüge, daß Glaube und Werke
zusammenwirken. Um die Seele zu rechtfertigen. W i r werden gerecht gemacht
einzig durch einen Akt des Glaubens an das Werk Jesu Christi. Dieser
Glallbe, wenn er wahrhaft ist, bringt immer Heiligkeit des Lebens hervor, aber
vor Gott sind wir in keinem Maße und in keiner Hinsicht wegen unsrer Heilig»
keit in» Leben, sondern allein wegen unsres Glaubens an die göttliche Ver»
heißllng gerechtfertigt; so spricht der inspirierte Apostel: „Sein Glaube ist ihm
zur Gerechtigkeit gerechnet." Das ist aber nicht geschriebell allein um feinet»
willen, daß es ihm zugerechnet ist, sondern auch um uusertwillen, welchen es
soll zugerechnet werden, so wir glauben an Den, der unsren Herrn Iesnm auf'
erwecket hat von den Toten; welcher ist um uusrer Sünde willen dahin-
gegeben, und um unsrer Gerechtigkeit willen auferwecket."
Ich möchte euch auch darauf hinweifen, daß der G l a l l b e , der A b r a h a m
rechtfertigte, noch ein unvollkommener Glaube w a r , obgleich er i h n
vollkommen rechtfertigte. Es war vorher ein unvollkommener, denn er
hatte sich gescheut, in betreff seines Weibes die Wahrheit zu sagen und Sarai
geheißen: „Sage, du seiest meine Schwester." Es war ein nnvollkommener,
nachdem er ihn gerechtfertigt hatte, denn im nächsten Kapitel finden wir, daß
er Hagar, die Magd seines Weibes, nimmt, uni den göttlichen Ratschluß aus-
zuführen, ulld fo einen Mangel an Vertrauen auf das Wirken des Herrn
zeigt. Es ist ein Segen für euch und mich, daß wir nicht vollkommenen
Glauben brauchen, um errettet zu. werden. So ihr Glauben habt als ein
D i e R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n — Uorgebildet durch :c. ^9

Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Verge: Hebe dich von hinnen dorthin;
so wird er sich heben." Wenn du nur den Glauben eines kleinen Kindes
hast, so wird Er dich erretten. Ob auch dein Glaube uicht immer auf der-
selben Höhe ist, wie der des Patriarchen, als er „uicht schwach ward im
Glauben" an die Verheißung, dennoch, wenn er einfach und wahrhaft ist,
wenn er allein auf die Verheißung Gottes traut, — es ist traurig, daß er
nicht stärker ist, und du solltest täglich beten: „Herr, stärke meiuen Glauben" —
aber dennoch wird Er dich durch Iesum Christum rechtfertigen. Eine zitternde
Hand kann den Becher ergreifen, welcher den heilenden Trank an die Lippen
führt, die Schwäche der Hand wird die Kraft der Arznei nicht verringern.
So weit denn ist alles klar, Abraham ward weder durch Werke gerecht-
fertigt, noch durch Zeremonien, noch teilweise durch Werke und teilweise durch
Glauben, noch durch die Vollkommenheit seines Glaubens — er wird für
gerecht erklärt einfach um seines Glaubens willen an die göttliche Verheißung.
Ich muß bekennen, daß dieser Text, wenn ich genaner in ihn hinein-
blicke, nur zu tief ist, und deshalb will ich mich in den Streit, der um ihn
herumtobt, für jetzt nicht einlassen; aber eins ist mir klar: wenn der Glaube,
wie uns gesagt wird, uns zur Gerechtigkeit gerechnet wird, so ist dies nicht,
weil der Glaube an sich ein Verdienst hat, das ihn zu einem passenden Ersatz
für einen vollkommenen Gehorsam gegen das Gesetz Gottes macht, oder weil er
als Ersatz für solchen Gehorsam betrachtet werden kann. Denn, Brüder, alle
guten Handlungen sind eine Pflicht: Gott zu vertrauen ist unsre Pflicht, und
der, welcher bis zum Äußersten glaubt, hat nicht mehr gethan, als seine Pflicht.
Wer ohne irgendwelche Unuollkoinmenheit glanbte, wenn dies möglich wäre,
der hätte selbst dann Gott nur einen Teil des schnldigen Gehorsams erwiesen;
und wenn es ihm an Liebe, Ehrfurcht oder irgend etwas andrem gefehlt hätte,
so könnte sein Glaube als eiue Tugend oder ein Werk nicht dafür an die
Stelle treten. I n der That, nach dem großen Grundsatz des Neuen Testaments
rechtfertigt felbst der Glaube, als ein Werk, nicht die Seele. W i r werden gar
nicht und in keinem Sinne durch Werke errettet, fondern allein durch Gnade,
und die Weise, in welcher der Glaube uns errettet, ist nicht durch sich selbst als
eiu Werk, sondern eine andre, diesen« gerade entgegengesetzte Weise.
Der Glaube kann nicht seine eigne Gerechtigkeit sein, denn es ist eben
die Natur des Glaubens, von sich weg auf Ehristum zu blicken. Wenn
jemand fagte: „Mein Glaube ist meine Gerechtigkeit," so wäre es klar, daß
er anf seinen Glauben vertraute; aber dies ist gerade das, was vor allem
andren gefährlich sein würde, denn wir müssen ganz und gar von uns selber
hinweg blicken auf Iesum allein, sonst haben wir überhaupt keinen wahren
Glauben. Der Glaube muß auf die Versöhnung und das Werk Jesu blicken,
sonst ist er nicht der Glaube der Schrift. Sagen, daß der Glaube an und
S p u r g e o i l , Alttestamentliche Bilder. 4
50 Alttestamentliche Bilder.

für sich unsre Gerechtigkeit wird, heißt deshalb, wie mir scheint, die Eingeweide
ans dem Euangelinm herausreißen nnd den Glauben leugnen, der „einst den
Heiligen überliefert ist." (Iudä, 3.) Paulus erklärt im Gegensatz zu ge-
wissen Sektierern, welche die zugerechnete Gerechtigkeit schmähen, — daß wir
gerechtfertigt und gerecht gemacht werden durch die Gerechtigkeit Christi; in
diesem Punkt ist er deutlich und bestimmt. Er sagt uns, Rom. 5, 19: „Gleich»
wie durch eiues Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also
auch durch eines Gehorsam werden viele Gerechte." Der alttestamentliche
Vers, der heute morgen unser Text ist, gibt Ulis nur, sozusageu, die äußere
Seite der Rechtfertigung; sie wird uns durch Glauben gebracht, und die That-
fache, daß ein Mann Glauben hat, gibt ihm Anspruch darauf, für einen Ge»
rechten erklärt zu werden; in diesem Sinne rechnet Gott einem Menschen den
Glauben zur Gerechtigkeit, aber die zu Grunde liegende und verborgene Wahr-
heit, welche das Alte Testament uns nicht so klar gibt, findet sich in der Er-
klärung des Neuen Testaments, daß wir in „dem Geliebten angenommen sind,"
und gerechtfertigt um des Gehorsams Christi willeu. Der Glaube rechtfertigt,
aber nicht in und durch sich selber, sondern weil er den Gehorsam Christi er»
greift. „Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen
gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung
des Lebens über alle Menschen gekommen." Das Gleiche spricht jener Vers
im zweiten Briefe Petri alls (Kap. I , 1), welcher in uusrer Übersetzung lautet:
„Simon Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi, denen, die mit uns
eben denselben teuren Glauben überkommen haben ill der Gerechtigkeit, die
unser Gott gibt und der Heilaud Jesus Christus." Nun, jeder, der überall
mit dem Originaltext bekannt ist, weiß, daß die richtige Übersetzung lautet:
„durch die Gerechtigkeit unsres Gottes und Heilandes Jesu Christi." Die Ge-
rechtigkeit, welche dem Christen gehört, ist die Gerechtigkeit unsres Gottes und
Heilandes, der uus von „Gott gemacht ist zur Gerechtigkeit." Daher die
Schönheit des alten prophetischen Namens für den Messias: „Der Herr unsre
Gerechtigkeit." Ich will nicht hente morgen in die Streitfrage über zugerechnete
Gerechtigkeit eingehen, wir können diese Lehre ein andermal verhandeln; aber
wir sind sicher, daß dieser Text nicht bedeuten kann, daß der Glaube an sich,
als eine Gnadengabe oder eine Tugend, die Gerechtigkeit irgend eines Menschen
wird. Die Wahrheit ist, daß der Glaube uus zur Gerechtigkeit gerechnet wird,
weil er Christum in seiner Hand hat; er kommt zu Gott im Vertrauen auf
das, was Christus gethan hat, und verläßt sich auf das Sühuopfer, das Gott
verordnet hat; und Gott erklärt deshalb jeden Gläubigen für einen Gerechten,
nicht um deswillen, was er in sich selber, sondern was er in Christo ist. Er
mag tausend Sünden haben, doch soll er gerecht sein, wenn er Glauben hat.
Er mag traurig übertreten, wie Simson, er mag so sehr im Dunkeln sein,
Die Rechtfertigung durch deu Olaubeu — vorgebildet durch :c. 51

wie Ieuhtha, er mag fallen wie David, er mag fehlen wie Noah; aber dennoch,
wenn er einen wahren und lebendigen Glauben hat, so steht er unter den
Gerechtfertigtelt angeschriebell, und Gott nimmt ihn an. Während manche das
Ange nur auf die Fehler der Gläubigen heften, ersieht Golt den reinen Edel»
stein des Glaubens, der all ihrer Brust schimmert; Er nimmt sie für das, was
sie zn sein wünschen, für das, was sie im Herzen sind, für das, was sie sein
würden, wenn sie könnten, nnd, indem Er ihre Sünden mit dem versöhnenden
Blute bedeckt und ihre Person mit der Gerechtigkeit seines Sohnes schmückt,
nimmt Er sie an, da Er in ihnen den Glauben sieht, welcher immer uud überall
das Merkmal des Gerechteil ist.

II.
Laßt nns weiter gehen nnd d i e A n c h e i ß n n g betrachten, a u f d i e
sein G l a u b e sich verließ» als er gerechtfertigt ward.
Abrahams Glaube beruhte wie der uusrige auf einer V e r h e i ß u n g ,
die er direkt von G o t t empfangen. „Er soll nicht dein Erbe sein;
sondern der von deinen! Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein. Uud Er
ließ ihn hinausgehen und sprach: Siehe geu Himmel uud zähle die Sterne,
kannst dn sie zählen? Uud sprach zn ihm: Also soll dein Same werden."
Wäre diese Verheißung von irgend einem andren gesprochen, so hätte der
Patriarch darüber gespottet, aber da er sie von den Lippen Gottes erhält, so
nimmt er sie an nud verläßt sich darauf. Nun, Brüder, wenn ihr uud ich wahren
Glauben haben, so nehmen wir die Verheißung: „Wer da glaubet und getauft
wird, der wird selig werden," als ganz und gar göttlich an. Wenn eine solche
Erklärnng uns von den römischen Priestern oder irgend eitlem meuschlichen
Wesen auf eigne Autorität hin gegeben würde, so könnten wir sie nicht
für wahr Haltelt; aber da sie in dem heiligen Wort zu nns kommt, als von
Iesll Christo selber gesprochen, so verlassen wir nus darauf, nicht als auf
Menschenwort, sondern Gotteswort. Geliebte, es mag eine sehr einfache Be»
merkung sein, aber im Grunde ist sie doch nötig, wir müssen Sorge tragen,
dab unser Glanbe an die Wahrheit sich auf die Thatsache gründet, daß Gott
sie für wahr erklärt hat, nnd nicht auf die Beredsamkeit oder Überredung
irgend eitles nnsrer angesehensten Prediger oder geachtetsten Bekannten. Wenn
unser Glaube auf der Weisheit der Menschen ruht, so ist es wahrscheiulich ein
Glanbe an Menschen; nur der Glaube, welcher der Verheißung glaubt, weil
Gott sie gesprochen, ist wirklicher Glaube an Gott. Beachtet das uud prüft
euren Glauben danach.
Ferner war Abrahams Glaube ein Glaube an eine Verheißung, die sich
auf den S a m e n bezog. Es war ihm schon früher gesagt, daß er einen
Samen habet! sollte, durch den alle Völker der Erde gesegnet werden sollten.
52 Alttestamentliche Bilder.

Er erkannte hierin dieselbe Verheißung, die Eva an den Pforten des Para-
dieses gegeben war. „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe,
und zwischen deinem Samen und ihrem Samen." „Abraham sah meinen
Tag," sagt unser Herr, „er sah ihn und freute sich." I u dieser Verheißung
sah Abraham den einen Samen, wie der Apostel Gal. 3, 16 sagte: „ E r
spricht nicht durch die Samen als durch viele, soudern als durch einen,
durch deinen Samen, welcher ist Christus." Er sah Christum mit dem
Glaubensauge, uud dauu sah er die Menge, welche an I h n glauben sollte,
den Samen des Vaters der Gläubigen. Der Glaube, welcher die Seele recht-
fertigt, hat es mit Christo zu thun, und nicht mit bloßen abstrakten Wahr-
heiten. Wenn euer Glaube nur dieses uud jenes Dogma glaubt, so errettet
er euch uicht, aber wenn er glanbt, daß Gott in Christo war und die Welt
mit I h m selber versöhnte uud ihueu ihre Süude uicht zurechnete; wenn euer
Glaube sich zu Gott im menschlichen Fleische wendet uud sich mit ganzer Zu-
versicht auf I h n verläßt, dann rechtfertigt er ench, denn es ist der Glaube
Abrahams. Lieber Hörer, hast du einen solchen Glauben? Ist es Glaube
au die Verheißung Gottes? Ist es Glaube, der es mit Christo zu thuu hat
und allein auf I h n blickt?
Abraham hatte Glauben an eine V e r h e i ß u n g , von der es un-»
möglich schien, daß sie je e r f ü l l t werden könnte: Ein Sohn sollte von
seine»: Leibe kommen, aber er war fast hundert Jahre alt, nnd Sarai galt
auch schon seit Jahren für unfruchtbar. Sein eigner Leib war, fozusageu,
erstorben, uud Sarai war es, so weit Kindergebären in Betracht kam, auch.
Die Geburt eiues Sohues kounte nicht stattfinden, wenn nicht die Gesetze der
Natur aufgehobeu wurden; aber er fah dieses alles nicht an, er setzte alles bei-
seite; er sah Tod geschrieben auf dem Geschöpf, aber er nahm die Kraft des
Lebens in dem Schöpfer all, uud glaubte ohne Schwanken. Nun, Geliebte,
der Glaube, der uus rechtfertigt, muß vou derselben Art sein. Es scheint un«
möglich, daß ich jemals errettet werden könne; ich kann mich nicht selbst er-
retten; ich sehe unbedingten Tod auf den besten Hoffnungen geschrieben, die
aus meinen heiligsten Vorsätzen entspringen. „ I n mir, das ist, in meinem
Fleische, wohnet nichts Gutes;" ich kann nichts thun; ich bin erschlagen unter
dem Gesetz, ich bin erstorben durch mein natürliches Verderben, aber trotz alle«
dein, glaube ich, daß ich durch das Lebeu Jesu leben und den verheißenen
Segen ererben werde. Es ist ein kleiner Glaube, zu glaubeu, daß Gott dich
erretten will, wenn die Gnaden in deinem Herzen kräftig sind, und die Be-
weise deiner Errettung reichlich vorhanden, aber es ist ein großer Glaube,
Jesu zu vertrauen im Angesichte aller deiner Sünden und ungeachtet der An-
klagen deines Gewissens. An I h n zn glanben, der nicht nur die Gottes-
fürchtigen, fondern die Gottlosen gerecht macht. (Nöm. 4,5.) Zu glauben.
Die Rechtfertigung durch den Glauben — vorgebildet durch :c. 53

nicht an den Heiland der Heiligen, sondern an den Heiland der Sünder; und
zu glauben, daß, ob jemand sündigt, wir einen Fürsprecher bei dem Vater
haben, Iesum Christum, der gerecht ist; dies ist köstlich und wird uns zur
Gerechtigkeit gerechnet.
Dieser rechtfertigende Glaube war Glaube au eine w u n d e r b a r e , große
und erhabene V e r h e i ß u n g . Ich stelle mir den Patriarchen vor, wie er
unter dem Sternenhimmel steht uud zu den zahllosen Welten aufschaut. Er
kann sie nicht zählen. Seinem äußeren Auge, das im Lande Chaldäa lange
an mitternächtliche Beobachtungen gewöhnt war, erschienen die Sterne noch
zahlreicher als einem gewöhnlichen Beobachter. Er fchaule und schaute wiederum
mit gehobenem Blicke, und die Stimme sprach: „Also soll dein Same
werden." Nun wohl, er sagte nicht: „Herr, wenn ich der Ahnherr eines Ge-
schlechtes, der Vater eines Stammes sein darf, so bin ich wohl zufrieden; aber
es ist nicht glaubhaft, daß unzählige Heere je aus meinem unfruchtbaren Leibe
kommen werden." Nein, er glaubte der Verheißung; er glaubte ihr gerade
so, wie sie gegeben war. Ich höre ihn nicht sagen: „Es ist zu gut, um
wahr zu sein." Nein; Gott hat es gesagt, und nichts ist zu gut, so daß Gott
es nicht thun könnte. Je größer die Gnade der Verheißung, desto mehr ist
sie Gott gleich, denn gute nnd vollkommene Gaben kommen von dem Vater
des Lichts. Geliebte, nimmt euer Glaube die Vecheißnng, wie sie da steht,
in ihrer Ausdehnung an, in ihrer Höhe und Tiefe und Länge und Breite?
Kannst du glauben, daß on, ein Sünder, dennoch ein Kind, ein Sohl», ein
Erbe, ein Erbe Gottes, ein Miterbe Jesu Christi bist? Kannst dn glauben,
daß der Himmel dein ist, mit allen seinen Entzückungen der Freude, die Ewig-
keit mit ihrer eudlosen Seligkeit, Gott mit all seinen Eigenschaften der Herrlich-
keit? O, dies ist der Glaube, der gerecht macht, weitreichender, viel umfassender
Glaube, der nicht das Wort der Verheißung verkleinert, sondern es annimmt,
wie es da steht. Mögen wir mehr und mehr von diesem Glauben mit der
großen Hand besitzen!
Noch einmal, Abraham zeigte Glaubeu an eine V e r h e i ß u n g , die i h m
selber gegeben w a r . Aus seinem eignen Leibe sollte ein Samen kommen,
und in i h m und seinem Samen sollte die ganze Welt gesegnet werden. Ich
kann alle Verheißungen ill Beziehung auf andre Leute glnnben. Ich finde
das Glauben in Beziehung auf meinen lieben Freund eine sehr leichte Sache,
aber o! wenn man selber angefaßt wird, und selber feststehen soll, das ist die
Schwierigkeit. Ich könnte ineinen Frennd in zehn Nöten sehen, und glauben,
daß der Herr ihn nicht verlassen werde. Ich könnte die Lebensbeschreibung
eines Heiligen lesen, und mich nicht wundern, wenn ich fände, daß der Herr
me stillen Knecht im Stich gelassen, wenn er durch Feller und durch Wasser
54 Alttestamentliche Bilder.

ging; aber, wenn es an nns selber kommt, dann fängt die Verwunderung an.
Unser Herz ruft: „Wie kommt mir dieses? Was bin ich nnd meines Vaters
Haus, daß solche Gnade mein sein sollte?" I c h im Blute gewaschen, und
weißer als Schnee. Ist es so? K a n u es sein? Ich gerecht gemacht durch
meinen Glauben an Iesum Christum, vollkommen gerecht! O, kann es sein?
Was? Für mich die ewige Liebe Gottes, die von dem immerwährenden Quell
ausströmt? Für mich der Schutz einer besonderen Vorsehung in diesem Leben
und ein bereiteter Himmel im künftigen Leben? Für mich eine Harfe, eine
Krone, ein Palmenzweig, ein Thron? Für mich die Seligkeit, allezeit das An-
gesicht Jesu zu schauen, I h m gleich gemacht zu werden uud mit I h m zu regieren!
Es scheint unmöglich. Und doch ist dies der Glaube, den wir haben müssen,
der Glaube, der für sich selber Christum Iesnm ergreift und mit dem Apostel
spricht: „Er hat mich geliebt und sich selbst für mich dargegeben." Dies ist
der Glaube, welcher rechtfertigt; laßt uus mehr und immer mehr davon suchen,
und es wird zur Ehre Gottes gereichen.

III.
Drittens wollen wir das betrachten, w a s m i t A b r a h a m s Uecht-
fertignng verbunden w a r .
Die aufgeschlagene Bibel'-') vor euch, beachtet freundlich, daß, nachdem
geschrieben steht: „sein Glaube ward ihm zur Gerechtigkeit gerechnet," berichtet
wird, daß der Herr zu ihm sprach: „Ich bin Jehovah, der dich von Ur aus
Chaldäa geführt hat, daß ich dir dies Land zu besitzen gebe." Wenn die
Seele dnrch die Gnade befähigt ist, ihre vollständige Rechtfertigung durch den
Glauben wahrzunehmen, dann erkennt sie deutlicher ihre V e r u f u n g .
Nun nimmt der Gläubige seine bevorzugte Aussonderung wahr und erkennt,
warum er von der Sünde überführt ward, warum er von Selbstgerechtigkeit
und von den Vergnügungen dieser Welt hinweg geleitet wurde, um das Leben
des Glaubens zn führen; nun sieht er seinen hohen Beruf und den Wert des-
selben uud von dem e i n e n Segen der Rechtfertigung schließt er auf die
Seligkeit des ganzen Erbes, zu dein er berufen ist. Je klarer ein Mensch
über seine Nechtfertiguug ist, desto mehr wird er seine Verufung schätzen und
desto ernster wird er suchen, sie gewiß zu machen, indem er seine Trennung
von der Welt uud seine Gleichförmigkeit mit dem Herrn vervollständigt. V i n
ich ein Gerechtfertigter? Dann will ich nicht zurückgehen zn der Knechtschaft,
in der ich einst gehalten ward. Bin ich nun voll Gott durch den Glauben

*) Es ist englische Sitte, den Text immer in der Bibel aufzuschlagen uud ihn selbst
Zu lesen, während der Prediger ihn verliest. A. d. Üb.
D i e R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n — v o r g e b i l d e t durch :c. 55

angenommen? Dann will ich nicht mehr im Sichtbaren leben, wie ich es einst
als fleischlicher Mensch that, als ich nicht die Macht des Vertrauens auf den
unsichtbaren Gott «erstand. Eine christliche Gnade hilft der andren und eine
That der göttlichen Gnade wirft einen Glanz auf eine andre. Die Be-
rufung strahlt mit doppelter Herrlichkeit an der Seite des Zwillingsterns der
Rechtfertigung.
Der rechtfertigende Glaube n i m m t noch lebhafter die Verheißungen
an. „Ich habe dich in dieses Land geführt," spricht der Herr, „daß du es erbell
sollst." Er wurde wiederum an die Verheißuug erinnert, die Gott ihm Jahre
zuvor gegeben hatte, Geliebte, niemand liest die Verheißungen Gottes mit so
viel Freude und mit so klarem Verständnis, wie derjenige, der durch den
Glauben an Christum Iesum gerecht gemacht ist: „Denn jetzt," sagt er, „ist
diese Verheißung mein und mir gegeben. Ich habe das Pfand ihrer Er»
füllung darin, daß ich bei Gott in Gnaden bin. Ich bill nicht mehr seinem
Zorne preisgegeben; niemand kann mich beschuldigen, denn ich bin durch
Iesum Christum freigesprochen; und deshalb, wenn Er mich, als ich ein Sünder
war, gerecht machte, so wird Er jetzt, da ich gerecht bin, noch weit mehr mir
seine Verheißung halten. Wenn Er mich, da ich ein verurteilter Empörer
war, dennoch ill seiller ewigen Barmherzigkeit berief nnd mich als sein Kind
annahm, so wird Er noch weit mehr mich vor allen meinen Feinden behüten
und mir das Erbteil geben, das Er in seinem Gnadenbund verheißen hat."
Eine klare Ansicht voll der Rechtfertigung hilft euch sehr, die Verheißung zu
ergreifen, deshalb sticht sie ernstlich zum Tröste eurer Seele.
Nachdem Abraham durch den Glauben gerechtfertigt war, wurde er
d a h i n g e f ü h r t , die Macht des Opfers deutlicher zu sehen. Auf
Gottes Befehl schlachtete er eine dreijährige Kuh, eine dreijährige Ziege, einen
dreijährigen Widder und eine Turteltaube und eine junge Taube, alles Tiere,
die zum Opfer verordnet waren. Des Patriarchen Hände sind mit Blut be-
fleckt, er schwingt das Messer des Fleischers, er zerteilt die Tiere, er schlachtet
die Vögel, er legt sie in eine Ordnung, die ihm der Geist Gottes zu der Zeit
offenbart; da sind sie. Abraham lernt, daß es kein Kommen zu Gott gibt,
außer durch Opfer. Gott hat jede Thür verschlossen, ausgenommen die, über
welche das Blut gesprengt ist. Alles Nahen zu Gott muß durch eiu Ver»
söhnungsopfer sein, und Abraham sieht dies. Während die Verheißung noch
in, seinen Ohreil tollt, während die Tinte noch in der Feder des Heiligen
Geistes ist, der ihn als gerecht angeschriebell hat, muß er ein Opfer sehen,
und es dazu ill Sinnbildern sehen, welche alle Offenbarung vom Opfer ein-
begreifen, die Aaroll gegeben wurde. So, Brüder, ist es ein Seliges, wenn der
Glaube, der euch rechtfertigt, euch hilft, einen vollständigem und lebendigem
56 Alttestamentliche Bilder.

Einblick in das Versöhnungsopfer Jesu Christi zu gewinnen. Die reinste und


stärkendste Luft, die der Glaube atmen kann, ist auf Golgatha. Ich wundere mich
nicht, daß euer Glaube schwach wird, wenn ihr es unterlaßt, das fürchterliche
Opfer, das Jesus für sein Volk darbrachte, wohl zu erwägen. Leset die Be»
richte von den Leiden des Erlösers, die uns in den Evangelien gegeben
werden; beugt euch im Gebet vor dem Lamm Gottes, errötet, daß ihr seinen
Tod vergessen habt, welcher der Mittelpunkt aller Geschichte ist; betrachtet die
wunderbare That der Stellvertretung noch einmal, und ihr werdet euren
Glauben wieder belebt finden. Es ist nicht das Studieren der Theologie,
nicht das Lesen von Büchern über Streitpunkte, nicht das Forschen in ge-
heimnisvollen Weissagungen, was eurer Seele Segen bringen wird, es ist das
Blicken auf Iesum, den Gekreuzigte». Das ist die weseutliche Nahrung für
das Glaubensleben, und achtet darauf, daß ihr euch daran haltet. Als ein
schon Gerechtfertigter fah Abraham das Opfer an, den ganzen Tag lang, bis
die Sonne unterging, und scheuchte die Raubvögel davon, wie ihr alle störenden
Gedanken wegtreiben müßt. So müßt ihr auch in den Herrn Iesum euch
versenken und I h n in allen seinen Ämtern und Eigenschaften betrachten, seid
nicht zufrieden, wenn ihr nicht in der Erkenntnis und der Gnade unsres
Herrn und Heilandes Jesu Christi wachset.
Vielleicht noch wichtiger war die nächste Lehre, welche Abraham zu
lernen hatte. Er ward dahin geführt, den B u n d zu sehen. Ich nehme an,
daß die Stücke der Kuh, des Widders und der Ziege so gelegt waren, daß
Abraham in der Mitte stand und einen Teil au dieser Seite und einen an
jener hatte. So stand er als Anbeter den ganzen Tag, und beim Einbruch
der Nacht, als ein Schrecken der großen Finsternis ihn überfiel, sank er in
einen tiefen Schlaf. Wer würde nicht einen Schrecken über sich kommen
fühlen, wenn er das große Opfer für die Sünde sieht und sich selbst darin
mit einbeschlossen? Dort in der Mitte des Opfers fah er, sich feierlich be-
wegend, einen rauchenden Ofen und eine brennende Lampe (engl. Üb.), die der
Wolken- und Feuer-Säule entsprachen, welche in spätern Tagen die Gegenwart
Gottes für Israel iu der Wüste offenbarte. I l l diesen Sinnbildern ging der
Herr zwischen den Stücken des Opfers, feinem Knechte entgegen, um emeu
Bund mit ihm zu machen. Dies ist immer die feierlichste Art, einen Bund
zu schließen, gewesen; sie ist sogar von heidnischen Völkern bei Gelegenheiten
von ungewöhnlicher Feierlichkeit beobachtet worden. Das Opfer ward geteilt,
und die einen Bund Schließenden trafen zwischen den geteilten Stücken zu-
sammen. Die profane Deutung war, daß sie aufeinander den Fluch herab-
riefen, daß sie, wenn sie den Bund 'brächen, in Stücke gehauen werden
möchten, wie diese Tiere es waren; aber das ist nicht die Deutung, an der
unsre Herzen sich freueu, Es ist diese. Nur in der Mitte des Opfers kann
D i e R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n ^- v o r g e b i l d e t durch :c. 5?

Gott killen Bund «lit dem sündigen Menschen eingehen. Gott kommt in seiner
Herrlichkeit wie eine Fenerflamme, aber gedämpft nnd gemildert fiir uus, wie
in einer Rauchwolke in der Person Jesu Christi, und Er kommt durch das
blutige Opfer, das ein für allemal von Jesu Christo am Kreuz dargebracht
ward. Der Mensch kommt mit Gott zusammen in der Mitte des Opfers
Christi. Nun, Geliebte, ihr, die ihr gerechtfertigt seid, versucht heute das
Vorrecht zu erlangen, das euch besonders an diesem Punkte eurer geistlichen
Geschichte gehört. Wißt und versteht, daß Gott in Banden des Buudes mit
euch ist. Er hat eiuen Gnadeubund mit euch gemacht, der niemals gebrochen
werden kann. „Die gewissen Gnaden Davids" sind euer Teil. Der Bund
lautet so: „Ich will euch ein neues Herz uud einen neuen Geist in euch
geben. Sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein." Dieser Bund
ist mit euch geschlossen über dem getöteten Leibe des Sohnes Gottes. Gott
und ihr reicht euch die Hände über I h m , der große Blutstropfen schwitzte,
die zur Erde fielen. Der Herr nimmt uns au, und wir treten in das heilige
Bündnis uud die Freundschaft mit I h m ein, über den, Opfer, dessen Wunden
und Tod den Vertrag bekräftigen. Kann Gott einen Bund mit solcher Be-
stätigung vergessen? Kann ein so feierlich besiegeltes Bündnis je gebrochen
werden? Unmöglich. Der Mensch ist nur zuweilen seinem Eide treu, aber
Gott ist es immer; und wenn dieser Eid zur Stärkung unsres Glaubens
durch das Blut des Eingebornen bestätigt ist, so ist Zweifel daran Verrat und
Lästerung. Gott helfe uns, nachdem wir gerechtfertigt sind, Glauben all den
Vulid zu haben, der mit Blut besiegelt und bekräftigt ist.
Unmittelbar nachher machte Gott dem Abraham (und auch hier trifft die
Analogie zu) eine Enthüllung, daß all der verheißene Segeil, obgleich er ihm
sicher war, doch nicht ohne eine Zwischenzeit der Not kommen würde. „Dein
Same wird fremd sein in einem fremden Lande, das nicht fein ist; uud da
wird man sie zu dieuen zwingen lind plagen vierhundert Jahre." Wenn ein
Mensch zu Christo gebracht wird, so ist er zuerst oft so unwissend, daß er
denkt: „Nun ist alle meine Not vorüber; ich bin zu Christo gekommen und
ich bin errettet: von diesem Tage an werde ich nichts mehr zu thun haben,
als Gott zu lobsingen." Ach, ein Kampf bleibt noch. W i r müssen ganz sicher
wissen, daß die Schlacht jetzt beginnt. Wie oft geschieht es, daß der Herr,
um sein Kind für künftiges Leiden zu erziehen, die Zeit wählt, wo ihm seine
Rechtfertigung am klarsten ist, und ihm da zeigt, daß es Leiden zu erwarten
hat! M i r fiel dieses auf, als ich neulich abends zu meinem eignen Trost
das fünfte Kapitel im Römerbrief l a s ; es heißt da: „Nun wir denn sind
gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott, durch
unsren Herrn Iesum Christ, durch welchen wir auch einen Zugang haben im
Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen; und rühmen uns der Hoffnung
58 Alttestllmentliche Bilder.

der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll." Seht, wie sanft es scheint,
die Rechtfertigung gießt das Öl der Frende ans des Gläubigen Haupt. Aber
wie lalltet der nächste Vers? — „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen
uns auch der Trübsale; dieweil wir wisseu, daß Trübsal Geduld bringt," :c. :c.
Rechtfertigung sichert uns Trübsal. O j a ! der Bnnd ist euer, ihr sollt das
gute Land und den Libanon besitzen, aber, gleich allem Samen Abrahams,
müßt ihr nach Ägypten ziehen und unter der Last dort seufzen. Alle Heiligen
müssen leiden, ehe sie lobsingen; sie müssen das Krenz tragen, ehe sie die
Krone tragen. D u bist ein Gerechtfertigter, aber dn bist nicht vom Leiden
befreit. Deine Sünden waren auf Christum gelegt, aber du hast immer noch
Christi Krenz zu tragen. Der Herr hat dich von dein Fluche freigesprochen,
aber nicht von der Züchtigung. Lerne, daß du der Zucht der Kinder unter«
worsen wirst an demselben Tage, da du in die Kindschaft eintrittst.
Um das Ganze zu schließe», der Herr gab dem Abraham eine Z u »
sichern« g endlichen E r f o l g e s . Er wollte seinen Samen in das ver-
heißene Land bringen nnd wollte das Volk richten, das sie geplagt hatte. So
möge es als eine liebliche Offenbarung zu jedem Gläubigen hellte morgen
kommen, daß er am Ende triumphieren soll, nnd daß die Übel, die ihn jetzt
bedrücken, unter seine Füße geworfen werden sollen. „Der Herr wird in
kurzem den Satan unter eure Füße treten." Wir mögen eine Zeitlaug iu
Ägypten Sklaven fein, aber wir sollen ausziehen mit Überfluß an wahren
Reichtümern, besser als Silber und Gold. W i r sollen beglückt werden durch
unsre Trübsal und bereichert durch unsre Leiden. Deshalb laßt uns guten
Mutes sein. Wenn die Sünde vergeben ist, so können wir wohl Trübsal er-
tragen. „Schlage, Herr," sagte Lnther, „mm meine Sünden hinweggenommen
sind, schlage so hart D u willst, wenn die Übertretung uur zugedeckt ist." Unsre
leichten Trübsale, die nur für eine Zeitlang sind, sind nicht wert der Herr-
lichkeit, die an uns soll geoffenbart werden. W i r wollen es zum Hauptpunkt
unsrer Sorge machen, mit Abrahams Samen gerechtfertigt zu sein, nnd ob
wir dann in Ägypten als Fremdlinge weilen oder den Frieden Kanaans ge-
nießen, macht wenig aus: wir sind alle sicher, wenn wir nnr gerechtfertigt
sind durch dm Glauben, der in Christo Jesu ist.
Lieben Freunde, dieses letzte Wort, nnd ich sende euch heim. Habt ihr
an Gott geglaubt? Habt ihr Christo vertraut? O, daß ihr es heute thun
«lochtet! Z u glauben, daß Gott Wahrheit spricht, sollte nicht schwer sein!
und wenn wir nicht sehr böse wären, so würde man uns nicht dazu anzu-
treiben brauchen, wir sollten es von Natur thun. Glaubeu, daß Christus im
stände ist, uns zu erretten, scheint mir leicht genug, uud es würde so sein,
wenn unsre Herzen nicht so hart wären. Glaube deinem Gott, Mann, und
halte es für nichts Geringes, diesen thuu. Möge der Heilige^Geist^dich'zu
D i e R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n — v o r g e b i l d e t durch :c. 59

einem wahren Vertrauen leiten. Dies ist das Werk Gottes, daß ihr an Iesum
Christnm glaubt, den Er gesandt hat. Glaube, daß der Sohn Gottes erretten
kann, und vertraue dich I h m allein an, und Er wird dich erretten. Er ver»
langt nichts, als Glauben, und sogar diesen gibt Er dir; und wenn du ihn
hast, so sollen alle deine Zweifel und Sünden, deine Leiden und Trübsale,
zusammengenommen, dich nicht vom Himmel ausschließen. Gott wird seine
Verheißung erfüllen, und dich sicher iu das Laud bringen, in dem Milch uud
Honig fließt.
60 Alttcstamentliche Bilder.

5.
Weihe für Gott — vorgebildet durch
Abrahams Beschueidung.
„Als nun Abraham neunnudnennzig Jahre alt war, erschien
ihm der Herr, und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtisse Gott,
wandle vor mir und sei fromm. Und ich will meinen Vund zwischen
mir und dir machen; und ich will dich fast sehr mehren."
1 Mose 17, 1. 2.

I D i r begannen unsre Auslegung von Abrahams Leben mit seiner Be-


rufung, als er aus Ur in Chaldäa geführt und für den Herrn in Kanaan
ausgesondert ward. W i r gingen dann weiter zu seiner Rechtfertigung, als er
Gott glaubte, und ihm das zur Gerechtigkeit gerechnet ward; und nun werdet
ihr Nachsicht mit mir haben, wenn wir denselben Gegenstand noch eine Stufe
weiter «erfolgen und es versuchen, die vollere Entwickelnng der lebendigen
Gottseligkeit Abrahams in der offenen und klaren Darlegung seiner Weihe für
Gott zu beschreiben. I n dem uns vorliegenden Kapitel sehen wir, wie er dem
Herrn geheiligt, zu seinem Dienste ordiniert nnd als ein für den Gebrauch des
Meisters geeignetes Gefäß gereinigt wird. Alle Verufeuen werden gerecht»
fertigt, und alle Gerechtfertigten werden durch ein Werk des Heiligen Geistes
geheiligt, und tüchtig gemacht, hernach mit Christo verherrlicht zu werden.
' Laßt mich euch an die Ordnung erinnern, in der diese Segnungen
kommen. Von Heiligung oder Weihe sollten wir nicht sprechen, wie wenn sie
das Erste wäre, sondern wie von einer Höhe, die mir dllrch die vorhergehenden
Staffeln zu erreichen ist. Vergeblich behaupten Menschen, Gott geweiht zn
sein, ehe sie von Gottes Geist berufen sind; solche haben noch erst zu lernen,
daß keine Kraft der Natur hinreichen kann, dem Herrn in rechter Weife zu
dienen. Sie müssen lernen, was es bedeutet: „ I h r müsset von neuem ge-
boren werden," denn, gewiß, ehe die Menschen durch die wirksame Berufung
des Heiligen Geistes zum geistlichen Leben gebracht sind, kann mall all ihr
Weihe f ü r Gott -^ vorgebildet durch Abrahams Veschueidililg. 61

Reden vom Dienste Gottes mit den Worten Iosuas beantworten: „ I h r


könnet dem Herrn nicht dienen." Ich spreche uon Weihe, aber nicht, als wenn
sie das Erste oder auch nur das Zweite wäre, der Mensch muß gerechtfertigt
sein durch den Glauben, der in Christo Jesu ist, sonst kann er nicht die Gnade
besitzen, welche die Wurzel aller wahren Heiligkeit ist; denn die Heiligkeit
erwächst aus dem Glauben an Iesnm Christum. Gedenkt daran, Heiligkeit
ist eine Blume, nicht eine Wnrzel; es ist nicht die Heiligung, welche errettet,
sondern die Errettung, welche heiligt. Ein Mensch wird nicht dnrch seine
Heiligkeit errettet, aber er wird heilig, weil er schon errettet ist. Null er
gerechtfertigt ist durch den Glauben und Friede mit Gott hat, wandelt er nicht
mehr nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste, und in der Kraft des Segens,
den er dnrch Gnade empfangen hat, widmet er sich dem Dienste seines gnädigen
Gottes. Beachtet also die richtige Ordnung der himmlischen Gaben, die Weihe
folgt der Berufung und der Rechtfertigung.
Indem ich eure Gedanken auf Abrahams Geschichte zurücklenke, laßt mich
euch daran erinnern, daß dreizehn Jahre verflossen waren seit der Zeit, wo
Gott gesagt hatte, daß sein Glaube ihm zur Gerechtigkeit gerechnet sei, und
diese dreizehn Jahre waren, so weit wir aus der Schrift entnehmen können,
durchaus uicht so voll von kühnem Glauben und edlen Thaten, wie wir es
hätten erwarten mögeil. Wie gewiß ist jene Wahrheit, daß die besten Menschen
im besten Falle nur Menschen sind, denn derselbe Mann, der Gottes Ver»
heihuug angenommen und nicht dnrch Unglauben darall gezweifelt hatte,
bekam weilige Monate oder vielleicht wenige Tage nachher einen Anfall uon
Unglauben, und brauchte auf Anstiften seines Weibes Mittel, die nicht zu
rechtfertigen waren, um den verheißenen Erben zu erlangen. Er nahm seine
Zuflucht zu Mitteln, die für ihn nicht so lasterhaft gewesen sein mögen, als
sie es für Männer neuerer Zeit wären, die aber doch durch ungläubige Klug»
heit eingegeben lind voll von Übel waren. Er nahm Hagar zum Weibe. Er
konute es nicht Gott überlassen, ihm den verheißenen Samen zu geben; er
konnte es nicht Gott überlassen, seule Verheißung zu seiller Zeit zu erfüllen,
sondern hielt es für angemessen, sich vom schmalen Pfad des Glaubens ab-
zuwenden, lim durch zweifelhafte Methoden das auszuführen, was Gott selber
verheißen und auszuführen unternommen hatte.
Wie alles Glanzes beranbt steht Abraham da, wenn wir von ihm lesen:
„Abraham gehorchte der Stimme Sarais!" Diese Sache mit Hagar gereicht
dem Patriarchen zum großen Mißkredit und macht ihm und seinem Glauben
durchaus keine Ehre. Seht auf die Folgen seines nnglänbigen Verfahrens.
Elend folgte rasch. Hagar verachtet ihre Herrin; Sarai wirft alle Schuld auf
ihren M a n n ; die arme Magd wird so hart behandelt, daß sie flieht. Wie«
viel wirkliche Grausamkeit unter dem Ausdruck „hart behandeln" (engt. Üb.)
62 Alttestameutliche Bilder.

zll verstehen ist, kann ich uicht sagen, aber man staunt, daß ein Manu wie
Abraham es gestattete, daß eine, die in ein solches Verhältnis zll ihm gebracht
war, rücksichtslos alls dem Hanse gejagt wurde, während sie in einem Zu-
stande war, der Sorge und Freundlichkeit erheischte. W i r belliuudern die
Wahrhaftigkeit des Heiligen Geistes, daß es I h m gefallen hat, die Fehler der
Heiligen zll berichten, ohne sie zu beschönigen. Die Lebensbeschreibungen der
Frommen sind in der Schrift mit strengster Lauterkeit geschrieben, ihr Vöses
wird ebensowohl berichtet, wie ihr Gutes. Diese Fehler sind nicht geschrieben,
damit wir sagen »lochten: „Abraham that dies und das, deshalb dürfen wir
es thlln." Nein, Brüder, das Leben dieser frommen Männer ist ebensowohl
eine Warnuug für uns wie ein Beispiel, und wir müssen sie beurteilen, wie
wir uns selbst beurteilen sollten, nach den Gesetzen voll Recht und Unrecht.
Abraham that Unrecht, sowohl darin, daß er Hagar zum Weibe nahm, als
darin, daß er gestattete, daßsieschlecht behandelt ward.
I n späteren Jahren spottete das Kind der Magd über das Kind der
Freien, und die Austreibung beider, Mutter und Kind, war uotweudig. Es
war tiefer Schmerz in Abrahams Herzen, uuausfprechlich tiefer Schmerz.
Vielweiberei, obgleich unter dem alten Bunde geduldet, wurde nie gebilligt;
sie wurde uur ertrage» um der Herzenshärtigkeit der Menschen willen. Sie
ist böse, nur böse, uud das bestäudig. I n Familienverhältnissen kann für die
Menschenkinder keine reichere und fruchtbarere Quelle des Elends eröffnet
werden, als Mangel an Keuschheit iu dem mit einem Weibe geschlossenen
Ehebllnde, verberge man diese Unkeuschheit, uuter welchem Namen man wolle.
Alle diese dreizehn Jahre lang hatte Abraham, so weit die Schrift uns
Kunde gibt, keinen einzigen Besuch von seinem Gott. W i r finden keinen
Bericht davon, daß er irgend etwas Denkwürdiges gethan oder auch nur eine
Unterredung mit dem Höchsten gehabt habe. Lernt hieraus, daß wir, wenu
wir einmal die Spur des einfachen Glaubens verlassen, einmal aufhören, nach
der Reinheit zu wandeln, welche der Glaube verlangt, uusren Pfad mit
Dornen bestreuen, Gott veranlassen, uns das Licht seines Antlitzes zu entziehen
und Ulisre Herzen mit viel Schmerzell durchbohren.
Aber beachtet, Geliebte, die außerordentliche Gnade Gottes. Das Mittel,
ihn voll seinem Rückfall wieder zurecht zu bringen, war eine Erscheinung des
Herrn, deshalb lesen wir in uusrem Text, daß Abraham, als er neuliuud'
neunzig Jahre alt war, mit einer neuen Offenbarung des Höchsten begnadigt
ward. Dies erinnert mich an die Worte in der Ossb. I o h . über die Gemeinde
zll Laodicea: „ D u bist weder kalt noch warm: Ach, daß du kalt oder warm
wärest! Weil du aber lau bist, und weder kalt noch wann, werde ich dich
ausspeien aus meinem Muude" — eine sehr ernste Erklärung, aber was folgt?
„Siehe, ich stehe vor der Thür, und klopfe an. So jemand meine Stimme
Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Veschueidung. 63

hören wird nnd die Thür aufthun, zu dem werde ich eingehen, nnd das
Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir," was eben dieses bedeutet, daß
es kein Mittel zur Wiederherstellung aus dem schrecklichen Zustande der Schlaff-
heit und Lanheit gibt, als das Kommen Jesu Christi zu der Seele in naher
uud vertraulicher Gemeinschaft. Wahrlich, es war so bei Abraham. Der
Herr wollte ihn aus seinem Zustand des Mißtrauens und der Entfernung von
I h m in einen von hoher Würde und Heiligkeit bringen, nnd Er that dies,
indem Er sich ihm offenbarte, denn Er redete mit Abraham.

„ I n dunkler Nacht, seh' ich den Herrn,


So bricht der Tag mir a n ;
Er ist der Seele Morgenstern,
Der Sonne Aufgang mir."

Senfzt ein Gebet hinauf, meine Brüder und Schwestern: „Herr, offenbare
Dich meiner armen, rückfälligen, matten Seele, Belebe mich, o Herr, denn
ein Lächeln von Dir kann meine Wüste blühend machen wie die Nofe."
Bei dieser gnadenvollen Offenbarung gefiel es Gott, für Abraham das
zu thun, was, meine ich, für uns ein bewundernswertes nnd lehrreiches Bild
ist von der völligen Weihe uusrer erlösten Seele zu feinem Dienste. Ich werde
heute morgen mit Gottes Hilfe euch zuerst dahiu führen, das Muster des
geweihten Lebens zu betrachten; zweitens, die Natur des höhereu
Lebens; uud drittens, feine Nefultate.

I.
Zuerst alfo, laßt uns in den Worten Gottes an Abraham das Muster
des geheiligten oder geweihten Lebens betrachten
Hier ist es: „Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei
vollkommen." (Engl. Üb.) Wenn ein Mensch völlig für des Meisters Dienst
geheiligt werden foll, so muß er zuerst die Allmacht, Allgenugsamkeit
und Herrlichkeit Gottes in ihrer ganzen Stärke empfinden. Brüder,
der Gott, dem wir dienen, erfüllet alles uud hat alle Gewalt uud alle Reich-
tümer. Wenn wir klein voll Ihm denken, fo werden wir Ihm wenig Ver-
trauen darbringen, und folglich wenig Gehorsam, aber wenn wir große Begriffe
von der Herrlichkeit Gottes haben, fo werden wir lernen, Ihm grüudlich zu
vertrauen, fo werden wir reiche Gnaden von Ihm empfangen und Ihm mit
großer Beständigkeit dienen. Die Sünde hat sehr oft ihren tiefsten Ursprung
in niedrigen Gedanken von Gott. Nehmt Abrahams Sünde; er konnte nicht
einsehen, wie Gott ihn zum Vater vieler Völker machen könnte, wenn Sarai
alt und unfruchtbar war. Daher sein Irrtum mit Hagar. Aber wäre er
dessen eingedenk gewesen, was Gott ihm jetzt ill Erinnerung bringt, daß Gott
64 Alttcstamentlich!: Bilder.

, der Allgenngsame ist, so würde er gesagt haben: „Nein, ich will


Sarai tren bleiben, denn Gott kann seine Zwecke ausführen, ohne daß ich
krumme Wege einschlage, um sie zu erfüllen. Er ist allgenugsam in sich selbst
und nicht von der Kraft des Geschöpfes abhängig. Ich will geduldig hoffen
und ruhig warten, bis ich die Erfüllung der Verheißungen des Herrn sehe."
Nun, wie mit Abraham, so mit euch, meine Vrüder und Schwestern. Weun
eiu Mann Schwierigkeiten im Geschäft hat und glaubt, daß Gott allgenugsam
ist, ihm über dieselben hinweg zu helfen, so wird er keinen von den gewöhn-
lichen Handelskniffen brauchen nnd nicht zu der Verschmitztheit herabsinken, die
so häufig unter Kaufleuteu sich findet. Wenn ein Mann, der arm ist, glaubt,
daß Gott eiu genügsames Teil für ihn ist, so wird er die Reichen nicht be-
neiden nnd mit seiner Lage nicht unzufrieden werden. Der Mann, der fühlt,
daß Gott ein allgenugsames Teil für seine Seele ist, wird nicht Vergnügen
in den Bestrebungen der Eitelkeit finden, er wird nicht der leichtsinlngen Ntenge
zu ihrer eitlen Lust folgen. „Nein," sagt er, „Gott ist mir erschienen als ein
Gott, der allgenngsam für meinen Trost und meine Freude ist. Ich bin zu»
frieden, so lange Gott mein ist. Mögen andre aus löchrichten Brunnen
trinken, wenn sie wollen, ich wohne bei der überströmenden Quelle und bin
vollkommen zufrieden." O Geliebte, was für herrliche Namen führt unser
Herr uud mit welchem RechtI Bei welchem seiner Namen ihr auch einen Angen»
blick verweilt, was für eine Tiefe von Reichtum und Bedeutung erschließt er
ench l Hier ist der Name , M ßdaääni;" „ N I , " das heißt der „Starke," denn
unendliche Macht wohnt in Jehovah. Wie schnell können wir, die wir schwach
sind, mächtig werden, wenn wir von I h m nehmen! Und dann „8dliäclm,"
das heißt „der Unwandelbare, der Unbesiegbare." Was für einen Gott haben
wir alfo, der keine Veränderung kennt, nicht den Schatten eines Wechsels,
gegen den niemand stehen kann! „ N , " stark; „skaääai," unveränderlich in
seiner Stärke; daher immer stark, zu jeder Zeit der Not bereit, sein Volk zu
verteidige», und im stände, es vor all seinen Feinden zu bewahren. Komm,
Christ, mit einem solchen Gott wie diesen, warum brauchst du dich zu er-
niedrigen, um das gute Wort des Gottlosen zu gewinnen? Warum schwärmst
du umher, irdische Freuden zu finden, wo die Rosen stets mit Dornen geinengt
sind? Warum brauchst du deine Zuversicht auf Gold und Silber zu sehen
oder auf die Stärke deines Körpers, oder auf irgeud etwas uuter dein Monde?
Dn hast M 8dac1l!u,i, der dein ist. Deine Kraft zur Heiligkeit wird zum
großen Teil davon abhängen, daß dn mit aller Energie deines Glanbens
die ermntigende Wahrheit ergreifst, daß dieser Gott dein Gott auf ewig ist,
dein tägliches Teil, dein allgenugsamer Trost. D u darfst nicht, kannst nicht,
willst nicht auf die Wege der Sünde dich verirren, wenn du weiht, daß folch
eiu Gott dein Hirte und dein Führer ist.
Weihe für Gott — vorgeliildet durch Abrahams Veschneidttng. 65

Wenn wir weiter dies Bild des geweihten Lebens verfolgen, so sehen
wir als die nächsten Worte: „wandle vor mir." Dies ist dasjenige Leben,
welches wahre Heiligkeit kennzeichnet; es ist ein Wandeln vor Gott! A h !
Brüder, Abraham hatte vor Sarai gewandelt; er hatte ungebührliche Rücksicht
ans ihre Ansichten nnd Wünsche genommen; er hatte auch vor seinen eignen
Angen und den Neigungen seines eignen Herzens gewandelt, als er sich mit
Hagar verband; aber jetzt rügt ihn der Herr sanft mit der Ermahnung:
„Wandle vor mir." Es ist bemerkenswert, daß bei der früheren göttlichen
Erscheinung (die wir letzten Sonntag auszulegen versuchten) des Herrn Wort
war: „Fürchte dich nicht." Er war damals noch, sozusagen, ein Kind in geist«
lichen Dingen, und der Herr gab ihm Trost, denn er hatte ihn nötig. Er
ist jetzt zum Manne erwachsen, und die Ermahnung ist praktisch und voll
Energie: „wandle." Der christliche Mann foll die Kraft und Gnade, welche
er empfangen hat, brauchen und anwenden. Der Kern der Ermahnung liegt
in den letzten Worten: „Wandle v o r m i r , " worunter ich ein beständiges
Gefühl der Gegenwart Gottes verstehe, oder ein Thun des Rechten und eine
Scheu vor dem Unrechten aus Ehrfurcht vor dem Willen Gottes; eine Rücksicht-
nahme auf Gott in allen öffentlichen wie Privathandlungen. Brüder, ich be»
daure es tief, wenn ich christliche Männer, sogar in religiösen Gesellschaften,
bei ihren Berechnungen den größten Posten in der ganzen Berechnung aus-
lassen sehe — nämlich, das göttliche Element, die göttliche Macht und Treue.
Von den meisten Menschen kann ich, ohne tadelsüchtig zu sein, sagen, daß,
wenn es keinen Gott gäbe, ihre Handlungsweise nicht anders sein würde, als
sie jetzt ist, denn sie werden weder zurückgehalten noch angetrieben durch ein
Gefühl der göttlichen Gegenwart. „Es ist von Gruud meines Herzens von
der Gottlosen Wesen gesprochen, daß keine Gottesfurcht bei ihnen ist." Aber
dies ist das Kennzeichen des wahrhaft geheiligten Gottesmenschen, daß er an
jedem Orte lebt, als wenn er im Audienzzimmer der göttlichen Majestät stände;
er handelt in dem Bewußtsein, daß das Auge, welches uimmer schläft, stets
auf ihn geheftet ist. Seines Herzens Wunsch ist, niemals aus Rücksicht auf
weltliche Größe Unrecht zu thun, und niemals das Rechte zu vergessen, weil
er in böser Gesellschaft ist, sondern stets daran zu gedenken, daß er, da Gott
überall ist, beständig in einer Gesellschaft sich befindet, wo es unverschämte
Empörung sein würde, zu sündigen. Der Heilige fühlt, daß er nicht übertreten
muß und darf, weil er immer vor dem Angesichte Gottes ist. Das ist das
Bild eines geheiligten Charakters, der Mensch hat ein tiefes Gefühl von dem,
was der Herr ist, und handelt wie in der unmittelbaren Gegenwart eines
heiligen und eifrigen Gottes.
Die nächsten Worte sind: „und sei vollkommen." Brüder, ist hiermit
absolute Vollkommenheit gemeint? Ich will nicht den Glauben einiger bestreiten,
S p u r g e o n . Alttestllmentliche Bilder. 5
66 Alttestamentliche Bilder.

daß wir absolut vollkommen auf Erden feilt mögen. Willig gebe ich zu, daß
das Vorbild der Heiligung Vollkommenheit ist. Es wäre mit Gottes Wesen
nicht übereinstimmend, wenn Er uns etwas andres, als ein vollkommenes
Gebot und einen vollkommenen Maßstab gäbe. Kein Gesetz als das absoluter
Vollkommenheit konnte von einem vollkommenen Gut kommen; uns ein Muster
aufstellen, das nicht absolut vollkommen wäre, hieße, uns überreichliche Nn-
vollkommenheiten sichern und uns eine Entschuldigung dafür geben. Gott gibt
feinen Knechten keine Regel von dieser A r t : „Seid so gut, als ihr könnt,"
sondern diese: „Seid vollkommen, wie auch eiler Vater im Himmel vollkommen
ist." Hat je ein Mensch dieses erreicht? Gewiß, wir haben es nicht, aber
dennoch strebt jeder Christ danach. Ich wollte viel lieber, mein Kind hätte
eine vollkommene Vorschrift, obwohl es ihr nie gleich schreiben mag, als daß
es eine unvollkommene vor sich hätte, denn dann würde es überhaupt nie eine
gute Hand schreiben lernen. Unser himmlischer Vater hat uns das voll-
kommene Bild Christi als unser Beispiel gegeben, sein vollkommenes Gesetz zu
unsrer Regel, und es ist all uns, ill der Kraft des Heiligen Geistes nach dieser
Vollkommenheit zu streben, und wie Abraham auf unfer Allgesicht zu fallen in
Scham und Verwirrung, wenn wir uns erinnern, wie weit wir dahinter zurück-
geblieben sind. Vollkommenheit ist das, was wir wünschen, wonach wir
schmachten und was wir zuletzt erhalten sollen. W i r wollen nicht das Gesetz
zu unsrer Schwachheit herabgestimmt habeil. Gelobt sei Gott, wir haben
Freude an der Vollkommenheit dieses Gefetzes. Wir sagen mit Paulus: „Das
Gesetz ist heilig, recht und gut, aber ich bin fleischlich, unter die Sünde ver-
kauft." Der Wille Gottes ist das, mit dein wir in Übereinstimmung sein
möchten; und wenn wir nur einen Wunfch hätten, und dieser uns sofort ge-
währt werden könnte, so sollte es dieser sein, daß Gott uns fertig mache in
allem guten Werk, zu thun feinen Willelt, und in uns zu schaffen, was vor
I h m gefällig ist. Indes, das Wort „vollkommen," wie ich scholl gesagt, hat
gewöhnlich die Bedeutung von „aufrecht" oder „aufrichtig" — „wandle vor
mir und sei aufrichtig." Keine Doppelzüngigkeit darf bei dem Christen sein,
keine Betrügereien gegen Gott und Menschen: keine heuchlerischen Bekenntnisse
oder falschen Grundsätze. Er muß so durchsichtig wie Glas sein; ein Manu,
in dem kein Falsch ist, ein Mann, der Betrug in jeder Form vonsichgeworfen
hat, der ihn haßt und verabfcheut, und vor Gott wandelt, ein Mann, der
alles mit Aufrichtigkeit ansieht und ernstlich wünfcht, in allen Dingen, großen
und kleinen, gewissenhaft wie vor dem Angesicht des Höchsten zu handeln.
Brüder, hier ist das Muster des geweihten Lebens. Sehnt ihr euch
nicht, es zu erreichen? Ich bin gewiß, jede Seele, ill der Gottes Gnade wirk-
sam ist, wird es thun. Aber wenn eure Empfindung dabei dieselbe ist, wie
die meine, so wird es gerade die Abrahams in dem Text fein: „ D a fiel
Weihe f ü r G o t t — v o r g e b i l d e t durch A b r a h a m s Veschneidunq. 67

Abraham auf sein Augesicht." Neun, o, wie wenig haben wir dies noch er»
reicht! W i r haben nicht immer an Gott als allgenugsam gedacht; wir sind
ungläubig geweseu. W i r haben hier an I h m gezweifelt und dort an I h m
gezweifelt. W i r sind nicht in dieser Welt zu Werk gegangen, als wenn wir
die Verheißuug glaubten: „Ich will dich nicht verlassen noch versäume»." W i r
sind es nicht zufrieden gewesen, zu leiden oder arm zu fein; wir haben uns
nicht daran genügen lassen, seilten Willen zu thuu, ohne Fragen zu stellen.
Uus hätte oft der Verweis treffen können: „Ist denn die Hand des Herrn
verkürzt? I s t sein Arm zu kurz geworden? Sind seine Ohren dick geworden,
daß Er nicht hören kann?" Brüder, wir haben nicht immer vor dem Herrn
gewandelt. Wenn einer für die übrigen sprechen darf, wir fühlen nicht immer
die Gegenwart Gottes als eine Schranke für uns. Es sind vielleicht zornige
Worte bei Tische; es ist Unrechtthun im Geschäft; es ist Sorglosigkeit, Weltlich,
keit, Stolz, und ich weiß nicht, was noch für Vöfes mehr, was die Arbeit des
Tages verunstaltet hat; und wenn wir abends zu Hause kommen, haben wir
zu bekennen: „Ich bin irre gegangen wie ein verlornes Schaf, ich habe meines
Hirten Gegenwart vergessen. Ich habe nicht immer gesprochen und gehandelt,
als wenn ich fühlte, daß D u beständig auf mich blicktest." So ist es ge-
schehen, daß wir nicht vollkommen gewesen sind. Ich fühle mich geneigt zu
lachen, nicht mit dem Lachen Abrahams, fondern mit dem des gründlichen
Spottes, wenn ich Leute davou reden höre, daß sie absolut vollkommen seien.
Sie müssen von ganz andrem Fleisch und Blut sein, wie wir, oder vielmehr,
sie müssen große Thoren fein, voller Dünkel und gänzlich ohne Selbstkenntnis;
denn wenn sie nur eine einzige Handlung ansähen, so würden sie Flecken
darin finden; und wenn sie nur einen einzigen Tag prüfte», so würden sie
etwas bemerken, worin sie zu kurz kamen, falls nichts da war, worin sie über»
traten. I h r feht euer Vorbild, Brüder, studiert es ill den, Leben Christi, und
dann jaget ihm nach mit dem Eifer des Apostels, der da sprach: „Nicht, daß
ich es schon ergriffen habe oder fchon vollkommen fei; ich jage ihm aber nach,
ob ich es auch ergrcifeu «lochte, nachdem ich voll Christo Jesu ergriffen bin."
Meine Brüder, ich schätze mich selbst »loch »licht, daß ich es ergriffen habe.
Eins aber sage ich: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem,
was da vorne ist, und jage nach dein vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod,
welches vorhält die hiinmlische Berufung Gottes in Christo Jesu."

II.
Zweitens, die U a t n v dieser Weihe, wie sie in diesem Kapitel dar.
gestellt wird. Über jeden Punkt kurz.
Echte geistliche Weihe beginnt m i t Gemeinschaft mit Gott.
Beachtet den dritten Vers: „Da fiel Abraham auf sein Angesicht, und Gott
5*
68 Alttestameiltliche Bilder.

redete weiter mit ihm." Dadurch, daß wir auf Christum Iesum blicken, wird
sein Bild auf unsrer Seele photographiert, und wir werden umgewandelt von
Herrlichkeit zu Herrlichkeit, (2 Kor. 3, 18),, wie durch die Gegenwart des
Herrn. Entfernung von Gottes Gegenwart bedeutet immer Sünde: heilige
Vertrautheit mit Gott erzeugt Heiligkeit. Je mehr ihr an Gott denkt, je mehr
ihr über seine Werke nachsinut, je mehr ihr I h n preiset, je mehr ihr zu Ihm
betet, je beständiger ihr mit Ihm redet, nnd Er mit euch durch den Heiligen
Geist, desto sicherer seid ihr auf dem Wege zu einer völligen Weihe für seine
Sache.
Der nächste Punkt bei der Weihe ist dieser, daß sie durch weitere
Einblicke in den Gnadenbund gefördert wird. Leset weiter: „Siehe,
ich bin's und habe meinen Bund mit dir, und du sollst ein Vater vieler
Völker werden." Dies ist gesagt, um Abraham zu helfen, vor Gott zu
wandeln und vollkommen zu sei», woraus wir schließen, daß der Mensch, um
in der Heiligkeit zu wachsen, in Erkenntnis zunehmen muß und in der
Festigkeit des Glaubens, womit er den Vuud ergreift, den Gott mit Christo
für sein Volk gemacht hat, der „ewig nnd wohl geordnet" ist. (2 Sam. 23,5.)
Die offene Bibel vor euch, bemerkt wohl, wie Abrahams eigner persönlicher
Anteil an dem Bunde ihm wiederum frisch vor die Seele gestellt ward.
Beachtet, wie das Fürwort der zweiten Person wiederholt wird: „Siehe, ich
bin's und habe meinen Bund mit d i r , und du sollst ein Vater vieler Völker
werden." Nehmt den sechsten Vers: „Und will dich fast sehr fruchtbar macheu,
und will von dir'Völker machen; und sollen auch Könige von d i r kommen.
Und ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und d i r , und deinem
Samen nach d i r , . . . . daß ich dein Gott sei, uud deines Samens nach
dir." So wird der Bund Abraham nahe gebracht; er fühlt, daß er Teil
und Anteil daran hat. Wenn ihr je für den Dienst Gottes geheiligt werden
sollt, so müßt ihr eine volle Versicherung eures Anteils an allen Bundesgütern
haben. Zweifel sind wie die wilde» Eber des Waldes, welche die Blumen
der Heiligung in dem Garten eures Herzeus aufwühlen; aber wenn ihr in
eurer Seele eine Gott gegebene Versicherung eures Anteils an dem kostbaren
Blute Jesu Christi habt, dann sollen die Füchse, welche die Weinberge ver-
derben, zu Tode gejagt werden und eure zarten Trauben sollen süßen Geruch
geben. Ruft zu Gott, geliebte Brüder uud Schwestern, um eiuen starken
Glauben, „euer Anrecht an die Wohnungen im Himmel klar zu lesen."*)
Eine große Heiligkeit muß aus großem Glaube» entspringen. Der Glaube ist
die Wurzel, Gehorsam der Zweig, und wenn die Wnrzel verfault, kann der
Zweig nicht grünen. Bittet um die Gewißheit, daß Christus euer ist uud daß

*) Aus einem englischen Gesänge.


Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Befchneidung. 69

ihr fein feid; denn hier werdet ihr eine Quelle finden, die eure Weihe feuchtet
und macht, daß sie Frucht für Christi Dienst trägt. Einige Christen handeln,
als wenn es nicht fo wäre. Sie pflegen ihre Zweifel und Befürchtungen, um
die Heiligkeit zu vervollkommnen. Ich habe Christen gekannt, die, wenn sie sich
bewußt werden, daß sie nicht gelebt haben, wie sie es hätten sollen, gleich be»
ginnen, ihren Anteil an Christus. zu bezweifeln, und, wie sie sagen, sich
demütigen, um völligere Heiligung des Lebens zu erlangen. Das heißt, sie
hungern, um kräftig zu werdeu; sie werfen ihr Gold aus dem Fenster, um
reich zu werden; sie reißen den Grundstein ihres Hanses heraus, um es sicher
stehen zu machen. Lieber Gläubiger, Sünder, der du bist. Rückfälliger, der
du bist, glaube immer noch an Iesum, laß kein Gefühl der Sünde deinen
Glauben an I h n fchwächen. „Er starb für Sünder, Christus ist für uns
Gottlose gestorben." Klammere dich an das Kreuz an: je wütender der Sturm,
desto mehr thut die Schwimmboje not — laß sie nie los, sondern halte sie
um so fester. Vertraue allein auf die Kraft jenes kostbaren Blutes, denn fo
allein wirst du deiue Sünden töten, und in der Heiligkeit fortschreiten. Wenn
du in deinen! Herzen sprichst: Jesus kann nicht einen solchen, wie ich bin, er-
retten; wenn ich Zeichen und Zengnisse hätte, daß ich Gottes Kind sei, dann
könnte ich auf Iesum hoffen, fo hast du dein Vertrauen, welches eine große
Velohnuug hat, weggeworfen, du hast deinen Schild von dir geschleudert, und
die Pfeile des Versuchers werden dich furchtbar verwunden. Klammere dich
an Iesum, selbst wenn es die Frage ist, ob du ein Körnchen Gnade in deinen:
Herzen hast. Glaubt, daß Er für euch starb, uicht, weil ihr geweiht oder ge-
heiligt feid, sondern daß Er für euch als Sünder starb und euch als Sünder
errettete. Verliert nie ener einfaches Vertrauen anf den Gekreuzigten, denn
nur durch das Blut des Lammes könnt ihr die Sünde überwinden und zum
Werk des Herrn geschickt werden.
Beachtet beim Lefen dieser Stelle, wie dieser Vnnd dein Abraham ganz
besonders als ein Werk göttlicher Macht o f f e n b a r t w i r d . Merkt daranf,
wie es heißt: „ich w i l l meinen Bund zwifchen mir und dir machen." „Ich
w i l l dich fast sehr mehren." „Ich w i l l aufrichten meinen Bund." „Ich
w i l l dir geben." „Ich w i l l ihr Gott sein," u. f. w. O, diefes herrliche
„ w i l l " und „soll." Brüder, ihr könnt den« Herrn nicht mit einem voll-
kommenen Herzen dienen, bis euer Glaube mit fester Hand dies göttliche
„ w i l l " uud „soll" erfaßt. Neun meiu Heil auf meinem kleinen, winzigen
Arm, auf meinen Entfchlüssen, meiner Lauterkeit und meiner Treue beruht, so
leidet es Schiffbruch auf immer; aber wenn mein ewiges Heil auf dem großen
Arm ruht, der das Wellall trägt, wenn meiner Seele Sicherheit ganz und gar
in jener Hand liegt, welche die Sterne in ihren Kreisen dreht, dann, gelobt
sei sein Name, ist sie sicher und geborgen; und null will ich aus Liebe zu
70 Alttestamcntlichc Bilder.

einem solchen Heiland I h m von ganzem Herzen dienen. Ich will „gern dar-
legen und dargelegt werden" (2 Kor. 12, 15) für I h n , der sich so für mich
dahingegebell. Merkt dies, Brüder, seid sehr klar darüber, und bittet, daß das
göttliche Werk enrer Seele sichtbar werde, denn das wird euch helfen, Gott
geweiht zu sein.
Ferner, Abraham erhielt einen Einblick i n die Ewigkeit des Bundes.
Ich erinnere mich nicht, daß das Wort „ewig" früher in bezug auf diesen
Bund gebraucht war, aber in diesem Kapitel haben wir es mehrmals. „Ich
will meinen Bund aufrichten, daß es ein ewiger Bund sei." Hier ist eine
jener großen Wahrheiten, welche viele Kindlein in der Gnade noch nicht ge>
lernt haben, nämlich, daß die Segnnngen der Gnade nicht solche sind, die
hente gegeben und morgen zurückgenommen werden, sondern ewige Segnungen.
Das Heil, das in Christo Jesu ist, ist kein Heil, das uns auf wenige Stnnden
zugehört, so lange wir treu sind, und dann von uns genommen wird, so daß
wir dem Verderbelt überlassen bleiben. Gott verhüte, „Gott ist nicht ein
Mensch, daß Er lüge, noch ein Menschenkind, daß I h n etwas gereue." „Ich
bin der Herr," sagt Er, „der nicht lüget. Und es soll mit euch Kindern
Jakobs nicht gar aus sein." Wenn wir uns in die Hände Christi geben, so
setzen wir nicht unsre Zuversicht auf einen Heiland, der uns vielleicht verderben
läßt, fondern wir bauen auf einen, der gesagt hat: „Ich gebe meinen Schafen
das ewige Leben; und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird
sie mir ans meiner Hand reißen." Anstalt, daß die Lehre von der Sicherheit
der Heiligen zur Nachlässigkeit im Leben führt, werdet ihr finden, daß sie im
Gegenteil, wo sie durch die Kraft des Heiligen Geistes völlig in das Herz auf«
genommen ist, ein so heiliges Vertrauen auf Gott, eine fo flammende Dank-
barkeit gegen I h n erzengt, daß sie einer der besten Antriebe zur Weihe ist.
Behaltet diese Gedanken in eurem Gedächtnis, lieben Brüder, und wenn ihr
in Gnade und in der Ähnlichkeit mit Christo wachsen wollt, so bemüht euch,
euren persönlichen Anteil an dem Bunde, die göttliche Macht, welche seine Er-
füllung verbürgt, und die ewige Dauer desselben zu erkennen.
Bei der Betrachtung der Art dieser Weihe möchte ich ferner bemerken,
daß die, welche G o t t geweiht f i n d , a l s neue Menschen angesehen
werden. Der neue Mensch wird bezeichnet durch die Veränderung des
Namens, er heißt nicht mehr Abram, sondern Abraham, und sein Weib ist
nicht mehr Sarai, sondern Sara. I h r , Geliebte, seid neue Kreaturen in
Christo Iesll. Die Wurzel und Quelle aller Weihe für Gott liegt in der
Wiedergeburt. W i r sind „wiederum geboren," ein neuer uud unvergänglicher
Same ist in uns gelegt, der „da lebet und bleibet ewiglich." Der Name
Christi ist über uns genannt worden: wir heißen nicht mehr Sünder und
Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Veschneidung. 71

Ungerechte, sondern wir werden die Kinder Gottes durch den Glauben, der in
Christo Jesu ist.
Beachtet weiter, daß die N a t u r dieser Weihe dem A b r a h a m durch
den R i t u s der Beschneidung abgebildet w a r d . Es würde durchaus
nicht geziemend für uns sein, in irgend eine Einzelheit bei diesem geheimnis-
vollen Ritus einzugehen, es wird genügen, zn sagen, daß er „das Abthun des
Unflats am Fleisch" bedeutete. W i r haben des Apostel Paulus eigne
Deutuug iu den Versen, die wir vor der Predigt in seiner Epistel an die
Kolosser lasen. Die Beschneidung deutete dein Samen Abrahams an, daß eine
Unreinigkeit des Fleisches im Menschen sei, die immer hinweg genommen
werden müsse, sonst würde er unrein und außerhalb des Vnndes mit Gott
bleibell. Nun, Geliebte, um durch Ehristmn geheiligt zu werden, müssen wir
Dinge, die uns so lieb sind, wie unser rechtes Auge und unsre rechte Hand,
aufgeben, mit Schmerzen darauf verzichten. Das Fleisch mit seinen Lüsten
und Begierden muß verleuguet werden. W i r müssen unsre Glieder töten. Es
muß Selbswerleugmmg da seiu, wenn wir in den Dienst Gottes treten wollen.
Der Heilige Geist muß das Urteil des Todes uuo des Abschneidens über die
Leidenschaften und Neigungen der verdorbenen menschlichen Natur sprechen.
Vieles mnß fort, was die Natnr behalten möchte, aber sterben muß es, weil
die Gnade es verabscheut.
Beachtet auch, daß die Veschneidung unbedingt geboten war für alles,
was männlich war in dem Geschlechte Abrahams, und wo sie unterlassen ward,
folgte der Tod. So ist das Aufgebe» der Sünde, das Aufgeben „des fund-
lichen Leibes im Fleisch" notwendig für jeden Gläubigen. Ohne Heiligung
soll niemand den Herrn sehen. Selbst das Kindlein in Christo soll ebensosehr
den Tod geschrieben sehen ans dem sündlichen Leib im Fleisch, wie ein Mann,
der gleich Abraham ein vorgerücktes Alter erreicht hat und znr Reife in geist-
lichen Dillgen gekommen ist. Es ist hier kein Unterschied zwischen dem einen
und dem andren. „Ohne Heilignng soll niemand den Herrn sehen;" und wo
vermeintliche Gnade nicht die Liebe zur Sünde hinwegnimmt, da ist es über-
haupt nicht die Gnade Gottes, sondern der anmaßende Dünkel unsrer eignen
eitlen Natur.
Es wird oft gesagt, daß der Ritus der Taufe dem der Veschneidung
analog sei. Ich will über diesen Punkt nicht streiten, obwohl die Behauptung
in Frage gestellt werden kann. Aber gesetzt, es sei so, laßt mich bei jeden:
Gläubigen hier darauf dringen, daß er in seiner eignen Seele die geistliche
Bedeutung sowohl der Veschneiduug als der Taufe fühle, und dann die äußeren
Riten betrachte; denn das Bezeichnete ist ungemein viel wichtiger, als das
Zeichen. Die Tanfe bildet weit mehr ab als die Veschneidung. Diese ist das
Abthun des Unflats am Fleisch, aber die Taufe ist das gänzliche Begraben
72 Alttestamentliche Bilder.

des Fleifches. Die Taufe spricht nicht: „Hier ist etwas, was hinweggenommen
werden muß," sondern alles ist tot, nnd muß mit Christo in seinem Grabe
begraben werden, nnd der Mensch muß von neuem mit Christo aufersteheu.
Die Taufe lehrt nns, daß wir durch den Tod in das neue Leben übergehe!,.
Wie Noahs Arche durch den Tod der alten Welt hindurchging, und dann in
einer neuen Welt auftauchte, so stellt die Taufe in einem ähnlichen Bilde unsre
Errettung durch die Auferstehung Christi dar; eine Taufe, von der Petrus
sagt, sie ist „nicht das Abthun des Unflats am Fleisch, sondern der Bund
eines guten Gewissens mit Gott." I n der Taufe erkennt der Mensch es vor
sich selbst und vor andren an, daß er durch den Tod in das neue Leben
kommt, nach den Worten des Heiligen Geistes: „daß ihr mit I h m begraben seid
durch die Taufe, in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben,
den Gott wirket, welcher I h n anferwecket hat von den Toten." Das, was am
meisten Wert dabei hat, ist die geistliche Bedeutung, und durch diese erfahren
wir, was es heißt, für die Welt tot sein, tot und begraben mit Christo, und
dann mit Ihn» auferstehen. Dennoch, Brüder, ward es Abraham nicht ver«
stattet, zu sagen: „Wenn ich das habe, was er im Geistlichen bedeutet, so
kann ich den äußern Ritus entbehren." Er hätte tausend Gründe dagegen
vorbringen können, fehr viel stärkere, als die, welche von Zaudernden gegen
die Taufe geltend gemacht sind, aber er nahm den Ritus an, sowohl wie das,
was durch denselben bedentet wurde, und ward sofort beschnitten; und so er-
mahne ich euch, Männer und Brüder, der Vorschrift über die Taufe zu ge-
horchen, ebensowohl als auf die Wahrheit zu merken, welche durch sie ab-
gebildet wird. Wenn ihr in der That mit Christo begraben uud auferstanden
seid, so verachtet nicht das äußere und lehrreiche Zeichen, wodurch dies dar»
gestellt wird. „Wohl," sagt der eine, „hier entsteht eine Schwierigkeit betreffs
eurer Ansichten," denn aus diesem Kapitel wird oft der Beweis geführt, „daß,
so wie Abraham all seinen Samen beschneiden mußte, wir all unsre Kinder
taufen müssen." Nun, beachtet den Ritus, und legt ihn nicht nach dem Vor-
urteil aus, fondern nach der Schrift. I n dem Vorbild wird der Same
Abrahams beschnitten; ihr zieht den Schluß, daß alle, die durch den Samen
Abrahams vorgebildet sind, getauft werdeu sollen, und ich mäkle an dein
Schlüsse nicht; aber ich frage euch, wer ist der wahre Same Abrahams?
Paulus antwortet Rom. 9, 8: „Nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem
Fleisch Kinder sind, sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen ge-
rechnet," alle, die an den Herrn Iesum Christum glauben, ob sie Juden oder
Heiden sind, sind Abrahams Same. Ob acht Tage alt in der Gnade, oder
mehr oder weniger, ein jeder von dem Samen Abrahams hat ein Recht auf
die Taufe. Aber ich gebe nicht zu, daß die Unwiedergebornen, ob Kinder
oder Erwachsene, vom geistlichen Samen Abrahams sind. Der Herr wird/
Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Beschneidung. 73

hoffen wir, viele von ihnen durch seine Gnade berufen, aber bis jetzt sind sie
noch „Kinder des Zorns, gleichwie auch die andren." Dann, wenn der Geist
Gottes den guten Samen in ihre Herzen säen wird, sind sie Abrahams
gläubiger Samen, aber nicht, so lange sie in Ungötllichkeit und Unglauben
leben, oder noch unfähig zum Glauben und zur Buße sind. Derjenige, welcher
dem Typus des Samen Abrahams entspricht, ist, wie jedermann einräumt,
der Gläubige; und der Gläubige sollte, da er mit Christo geistlich begraben ist,
diese Thatsache durch seine öffentliche Taufe im Wasser, nach des Heilands
Vorschrift und Beispiel, anerkennen. „Also," sprach Christus, „gebühret es
uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen," als Er znm Flusse Jordan hinabging.
Ward Er am Jordan besprengt? Warum an einen Fluß gehen, um besprengt
zu werden? „Uns." Meinte Er Kindlein? War Er ein Kindlein? Sprach
Er nicht, als Er „uns" sagte, von den Gläubigen, welche in I h m sind?
„Also gebühret es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen," d. h. allen seinen
Heiligen. Aber wie erfüllt die Taufe alle Gerechtigkeit? Sinnbildlich so:
Es ist das Bild des ganzen Werkes Christi. Hier ist sein Untertauchen ins
Leiden; sein Tod und sein Begräbnis; sein Heraufsteigen aus dem Wasser
stellt seilte Auferstehung dar; sein Hinaufgehen am Ufer des Iordaus stellt
seine Himmelfahrt dar. Es ist eine sinnbildliche Darstellung davon, wie Er
alle Gerechtigkeit erfüllte, und wie die Heiligen sie ill I h m erfüllten. Aber,
Brüder, ich beabsichtigte nicht, so weit in das äußere Zeichen hineinzugehen,
weil meiner Seele tiefster Wunsch dieser ist, daß, wie Abraham durch das
äußere Zeichen gelehrt wurde, daß es ein Abthun des Unflats am Fleisch
gab, das stattfinden mußte, wenn nicht der Tod folgen sollte, so wir durch die
Taufe gelehrt werden mögen, daß es einen wirklichen Tod für die Welt und
eine Auferstehung mit Christo gibt, die bei jedem Gläubigen stattfinden müssen,
wie alt oder wie juug er auch sei, sonst hat er keinen Teil oder Anteil an
der Weihe für Gott, oder in Wahrheit, an dem Heile selbst.

III.
Ich habe einen dritten Teil, aber meine Zeit ist abgelaufen, und deshalb
nur noch diese Winke Die Ztesnltate solcher Weihe.
Unmittelbar nachdem Gott dein Abraham erschienen war, ward feine
Weihe ersichtlich, zuerst i n s e i n e m G e b e t f ü r seine F a m i l i e . „Ach,
daß Ismael leben sollte vor D i r ! " Männer Gottes, wenn ihr in der That des
Herrn seid, uud fühlt, daß ihr seiu seid, beginnt jetzt, für alle zu beten, die
euch angehören. Seid niemals zufriedeu, bis auch sie errettet siud; und wenn
ihr einen Sohn habt, einen Ismael, betreffs dessen ihr viele Furcht uud viel
Angst habt, so gewiß ihr selbst errettet seid, hört nie auf, den Ruf hinauf»
zuseufzen: „ O , daß Ismael leben sollte vor D i r ! "
74 Alttestamentliche Bilder.

Das nächste Resultat der Weihe Abrahams war, daß er sehr gastfrei
gegen seine, M i t m e n s c h e n w a r d . Seht das nächste Kapitel an. Er
sitzt vor der Zeltthür und drei Männer kommen zu ihm. Der Christ ist der
beste Diener der Menschheit in einem geistlichen Sinne. Ich meine, daß er
um seines Herrn willen versucht, den Menschenkindern Gutes zu thun. Er ist
von allen Menschen der erste, der die Hungrigen speiset und die Nackenden
kleidet, und so weit es an ihm liegt, Gutes thut an jedermaun, allermeist
aber an des Glaubens Genossen.
Das dritte Resultat war, Abraham bewirtete den H e r r n s e l b e r ,
denn unter jenen drei Engeln, die zu seinem Hause kamen, war der König
der Könige, der Unendliche. Jeder Gläubige, der seinem Gott dient, gibt, so»
zusagen, dem göttlichen Geiste Erquickung. Ich meine dies: Gott hatte große
Freude an dem Werk seines lieben Sohnes. Er sagte „Dies ist mein lieber
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe," und Er hat auch Freude an der
Heiligkeit seines ganzen Volkes. Jesus sieht etwas von dem, wofür feine
Seele gearbeitet hat, und hat Lust all den Werken der Gläubigen; und ihr,
Brüder, wie Abraham dem Herrn etwas zur Bewirtung brachte, so bringt ihr
dem Herrn Jesu eure Geduld und eureu Glauben, mit eurer Liebe und eurem
Eifer, wenn ihr I h m völlig geweiht seid.
Noch eins. Abraham wurde der große Fürsprecher f ü r andre.
Das nächste Kapitel ist voll von seinen Bitten für Sodom. Er war vorher
nicht fähig gewesen, so zu bitten, aber nach der Veschneidnng, nach der Weihe
wird er des Königs Erinnerer (2 Sam. 8, 16 nach dem Engt.), er wird ill
das Amt eines Priesters eingesetzt und steht da, rufend: „Willst D u nicht die
Stadt retten? Willst D u denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?"
O, Geliebte, wenn wir nur Gott geweiht werden, völlig geweiht werden, wie
ich den schwachen Versuch gemacht habe, es zu beschreiben, so werden wir
mächtig bei Gott in unsren Fürbitten sein. Ich glaube, e i u heiliger Mann
ist eill größerer Segen für die Welt, als ein ganzes Regiment Soldaten.
Fürchtete man nicht mehr die Gebete von J o h n Knox, als die Waffen von
zehntausend Mann? Ein Mann, der beständig in Gottes Nähe lebt, ist wie
eine große Wolke, von der immer fruchtbarer Regen herabtröpfelt. Dies ist
der Mann, der sagen kann: „Das Land zittert, und alle, die darinnen wohnen;
aber ich halte seilte Säulen fest." Frankreich hätte nie eine so blutige Revolution
gesehen, wären Männer des Gebets da gewesen, um es zu schützen. England
wird ullter den Bewegungen'''), die es Hill- und herschütteln, doch festgehalten,
weil das Gebet der Gläubige» unaufhörlich empor steigt. Die Flagge des
alten Englands ist au seinen Mast genagelt, nicht von den Händen seiner

') Die Predigt ist aus dem Jahre 1868.


Weihe für Gott — vorgebildet durch Abrahams Veschueidung. 75

Seeleute, sondern von den Gebeten der Kinder Gottes. Diese, die Tag und
Nacht Fürbitte thun, und umhergehen, geistliche Hilfe zu spenden, diese sind
es, um deretwillen Gott Völker verschont, nm deretwillen Er die Erde noch
bestehen läßt; und wenn ihre Zeit vorüber ist, nnd sie hinweggenommen sind,
und damit das Salz von der Erde genommen, dann werden die Elemente
zerschmelzen vor Hitze, und die Erde und die Werke, die darinnen sind, werden
verbrennen; aber nicht eher, als bis die Heiligen hillgerückt sind, dem Herrn
entgegen in der Luft, soll diese Welt vergehen. Er will sie schonen um der
Gerechten willen. Strebt nach dem höchsten Grad der Heiligkeit, meine lieben
Brüder und Schwestern, sucht I h n , mühet euch um I h n ; nnd während ihr auf
den Glanben allein eure Rechtfertigung baut, seid nicht träge im Wachstum
in der Gnade, trachtet nach dem Höchsten, was erreicht werden kann, und
Gott gebe es euch, um seines Sohnes willen. Amen.
76 Alttestamentliche Bilder.

ß.
Gereifter Glaube — dargestellt durch
Abrahams Aufopferung Isaaks.
„Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einigen Sohn, den du
lieb hast, und gehe hin in das Land Morija; und opfere ihn daselbst
zum Vrandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."
1 Mose 22, 2.

^)ch beabsichtige nicht, in die Beziehung einzugehen, welche diese Er»


Zählung auf unsren Herrn hat, obgleich wir hier eins der berühmtesten Vor»
bilder des Eingebornen haben, den der Vater für die Sünden seines Volkes
aufopferte. Vielleicht behandeln wir das Thema heute abend. Aber da ich,
wie einige von euch sich erinnern werden, ench schon drei Predigten über
Abraham gegeben habe, die seilte Vernfnng, seine Rechtfertigung und feine
Weihe veranfchanlichten, so wollen wir nun die Neiheufolge vervollständigen,
indem wir bei dem Triumph feines Glaubens verweilen, da, als fein geistiges
Leben den höchsten Punkt der Neife erreicht hatte.
Wenn ihr dies Kapitel in eurer Bibel aufschlagt, bitte ich euch, die
Zeit zu beachten, da Gott Abraham mit dieser schwersten seiner vielell Proben
versuchte. Es war „nach diesen Geschichten," das heißt, nach neun großen
Prüflingen, deren jede tief eindringend lind fehr merkwürdig war. Nachdem
er durch viele Leidenskä'mpfe hiudurch gegangen und dadurch gestärkt und ge-
heiligt war, ward er berufe», eine noch härtere Probe zu bestehen. Es ist
gllt, alls dieser Thatsache zu lernen, daß Gott schwere Bürden uicht auf
schwache Schnltern legt, und nicht Proben, die nur für erwachfeile Männer
passen, denen zuerteilt, die noch Kindlein sind. Er erzieht uusreu Glaube»,
indem Er ihn durch Leiden prüft, die allmählich wachfen in dem Verhältnis,
wie unser Glaube wächst. Manneswerk zu thun uud Mannesleiden zu er»
dulden, erwartet Er nur von uns, wenn wir die Kindheit zurückgelegt und
das vollkommene Mannesalter in Christo Jesu erreicht haben. Erwartet also,
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 77

Geliebte, daß eure Leiden sich mehren werden, je näher ihr dem Himmel
kommt. Denkt nicht, daß der Pfad ebener unter euren Füßen und der
Himmel heiterer über eurem Haupte werden wird, je mehr ihr in der Gnade
wachset. I m Gegenteil, rechne darauf, je mehr Gewandtheit als Krieger Gott
dir gibt, in desto hitzigere Gefechte wird Er dich senden; und je völliger Er
deine Varke ausrüstet, dem Sturm und den Wogen zu trotzen, auf desto un-
gestümere Meere uud auf desto läugere Reisen wird Er dich schicken, damit du
I h u ehrcu, und noch ferner in heiliger Zuversicht wachse» mögest. I h r hättet
gedacht, daß Abraham nun ill das Land „Veulah" gekommen sei, daß er in
seinem Alter, nach der Geburt Isaaks und besonders nach der Austreibuug
Ismaels, eine Zeit vollkommener Nutze gehabt haben würde. Laßt dies uns
eine Warnung sein, daß mir niemals darauf rechnen dürfen, diesseits des
Grabes von Trübsal frei zu bleiben. Nein, die Trompete bläst immer noch
zum Kriege. I h r dürft noch nicht niedersitzen und den Siegeskranz um eure
Stirne flechteu, für euch sind noch keine Lorbeerzweige uud Triumphlieder; ihr
habt noch den Helm zu trageu und das Schwert zu halteu uud zu wachen
uud zu beteu uud zu kämpfen in der Erwartuug, daß vielleicht eure letzte
Schlacht die schlimmste sein wird, und daß das heftigste Feuer des Feindes
bis zum Ende des Tages aufbehalten sein mag.
Nachdem wir so die Zeit beobachtet haben, wo es Gott gefiel, das große
Vorbild der Gläubigen zu versuche», wollen wir jetzt a u f die Versuchung
selber blicken; danach wollen wir auf A b r a h a m s V e r h a l t e n u n t e r
derselben sehen; uud dann, zum Schlüsse, ein wenig dabei verweilen, den
L o h n zu betrachten, der i h m zu t e i l wurde infolge feiner Ausdauer.

I.
Die Versuchung selber.
Jede Silbe des Textes ist bedeutsam. Wenn George H e r b e r t davon
spräche, würde er sagen, die Worte sind ein Vesteck voll Messer, die in
Abrahams Seele schneiden. Es ist kaum eine einzige Silbe in der Anrede
Gottes beim Anfang dieser Versuchung, die nicht bestimmt scheint, den
Patriarchen bis ins Innerste zu durchbohren. Seht her. „Nimm deinen
S o h n . " Was! Ein Vater seinen Sohn schlachte»! War nichts in Abrahams
Zelt da, was Gott haben wollte, als sein Sohn? Er würde I h m freudig
Hekatomben von Stieren nnd Herden von Schafen gegeben haben. Alles
Silber uud Gold, das er besaß, hätte er mit eifriger Freude gespendet. W i l l
nichts dem Herrn genügen, als Abrahams Sohn? Wenn ein menschliches
Wesen geopfert werden muß, warum nicht Elieser von Damaskus, der Vogt
seines Hauses? Muß es sein Sohn sein? Wie zerreißt dies die Fasern des
78 Alttestamentliche Bilder.

Vaterherzens l Sein Sohn, der Sprößling seiner Lenden, soll ein Vrandopfer
werden? Will Gott mit keinem Beweis seines Gehorsams znfrieden sein, als
mit der Hingabe der Frncht seines Leibes? Das Wort „einig" wird besonders
nachdrücklich dadurch, daß Ismael auf Gottes Befehl ausgetrieben war. Zu
Abrahams großem Kummer war das Kind der Magd verbannt worden.
„Treibe diese Magd aus mit ihrem Sohne, denn dieser Magd Sohn soll nicht
erben mit meinen! Sohn Isaak;" so sprach Sara, und Gott hieß den
Patriarchen der Stimme seines Weibes gehorchen, so daß nun Isaak sein
einiger Sohn war. Wenn Isaak sterben soll, so ist kein andrer Abkömmling
übrig, uud keiue Wahrscheinlichkeit, daß ein andrer ihm folgen wird; das
Licht Abrahams wird ansgelöscht und sein Name vergessen sein. Sara ist
sehr alt, er selbst ist auch alt, keines Kindleins Schrei wird wiederum das
Zelt fröhlich machen; und Isaak ist sein einziger Sohn, ein einsamer Stern
der Nacht, der einzige Sohn, die Leuchte des Alters für feinen Vater. Und
dies ist nicht alles: „Nimm I s a a k , deinen einigen Sohn." Was für eine
Menge Erinnerungen weckte dieses Wort „Isaak" in Abrahams Seele auf.
Dies war das Kind der Verheißung, einer gnädig gegebenen Verheißung,
einer Verheißung, deren Erfüllung sehnlich erwartet worden war, aber lange,
lange, lange sich verzogen hatte. Isaak, der seiner Eltern Herzen lachen ge-
macht, das Kind des Bundes, das Kind, das der Mittelpunkt aller Hoffnungen
seines Vaters war, denn es war ihm zugesagt worden: „ I n Isaak soll dir
der Same genannt werden." Was! muß nach all diesem die Gabe Gottes
zurückgenommen werden? Muß der Bund Gottes für nichtig erklärt und der
Strom göttlicher Segnungen auf ewig aufgetrocknet werden? O Prüfung der
Prüfungen l „Dein Sohn," „dein einiger Sohn," „Isaak, dein einiger Sohn."
Doch war noch hinzugefügt: „den dn lieb hast." Muß er au seine Liebe zu
seinem Erben erinnert werden, eben zu derselben Zeit, wo er ihn verlieren
soll? O, strenges Wort, in dein kein Eingeweide der Barmherzigkeit zu sein
scheint. War es nicht genug, den Teuren hinweg zu nehmen, ohne zu
gleicher Zeit alle Zuneigung zn erwecken, die so ranh verletzt werden sollte?
Isaak ward mit Recht von seinem Vater geliebt, denn zu den Banden der
Natnr und dem Umstand, daß er die Gnadengabe Gottes war, kam noch,
daß er einen sehr liebenswürdigen Charakter hatte. Sein Verhalten bei seiner
Opferung zeigt, daß in feinem Gemüt eine Fülle von Demut, Gehorsam, Er«
gebung uud Sanftmut war, in der That, von allem, was die Schönheit der
Heiligkeit ausmachen kann; und ein solcher Charakter hatte sicherlich die Ve-
wnnderung Abrahams gewonnen, dessen geistliches Auge sehr fähig war, die
Vorzüge wahrzunehmen, die in seinem geliebten Sohn leuchteten. Ah, warum
mußte Isaak sterben? und sterben dazu- durch seines Vaters Hand! O
Prüfung der Prüfungen! Betrachtende Einbildungskraft und mitfühlende Er-
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 79

regung können besser des Vaters Schmerz zeichnen, als ineine Worte es zn
thun vermögen. Ich werfe einen Schleier, wo ich kein Vild malen kann.
Aber beachtet, nicht mir sollte dieser zärtliche Vater den besten der
Söhne verlieren, sondern er sollte ihn in der furchtbarsten Weise verlieren.
Er mußte geopfert werden — er mußte durch den V a t e r selber geopfert
werden. Wenn der Herr gesagt hätte i „Sprich mit Elieser, und befiehl ihm,
deinen Sohn zu opfern," so würde es die Prüfung gemildert haben; aber so
weit Abraham das Gebot verstehen konnte, schien es zu sagen, du, Abraham,
du mußt der Priester sein; deine eigne Hand muß das Opfermesser ergreifen,
und du mußt dastehen mit brechendem Herzen, das Messer in die Brust deines
Sohnes stoßen, und ihn verzehren sehen, bis er zu Asche auf dein Altare wird.
All dieses schien ihm in dem Worte Gottes zu liegeu, obgleich der Herr es
nicht so meiute, sondern den Willen für die That annehmen wollte. Alles war
bestimmt, die Prüfung schwerer zu machen. Der Freund Gottes wurde in einer
Weise geprüft, wie es wahrscheinlich keinem Menschen vor oder nach ihm auferlegt
ward. Neben dem Opfern wnrde Abraham noch befohlen, ans einen Berg zu
gehen, den Gott ihm zeigen wollte. Es ist leicht, im Nu des Augenblicks und
unter dem Einfluß eines heiligen Antriebes hastig eine heldenmütige That der
Selbstaufopferung zu vollbringen; aber es ist nicht so leicht für Menschen von
Leidenschaften, wie die unsrigcu es sind, die Opfer zn überlegen, die von uns
verlangt werden. Aber Abraham mnß drei Tage haben, um diese bittere
Pille zu kauen, die in der That schon zum Verschlucken hart genug war, und
um so unschmackhafter, wenn man den Wermut und die Galle einzeln kennen
lernte: er muß weiter ziehen und diesen teuren Sohn den ganzen Tag vor
Augen haben, auf die Stimme horchen, die so bald verstummen soll, und in
diese glänzenden Auge» blickeu, die so bald iu Thränen schwimmen und im
Tode sich trüben sollen; in ihm seiner Mutter Freude und seine eigne Wonne
allschauen, und die gauze Zeit über an jenen tödlichen Streich denken, den,
so weit er es wußte, Gott von ihm forderte. O, wenn wir fo belagert werden
durch langes und sorgfältiges Verrammen, das ist's, was uns prüft, einen
scharfen Angriff könnten wir besser ertragen. Schnell zu Tode verbrannt werden
auf dem lodernden Scheiterhaufen, ist vergleichungsweise ein leichtes Märtyrer-
tum, aber iu Ketteu hängend an einem langsamen Feller röstend, das Herz
Stunde auf Stunde wie in einen Schranbstock gepreßt zu fühlen, das ist es,
was den Glauben prüft; und dies war es, was Abraham drei lange Tage
hindurch erduldete. Nur Glaube, mächtiger Glaube kounte ihm beistehen,
der furchtbaren Prüfling, die jetzt über ihn kam, ills Angesicht zu blicken.
Der Patriarch ward ohne Zweifel nicht uur durch Worte, die Gott
hörbar zu ihm sprach, bewegt und geprüft nnd geübt, sondern auch durch
natürliche und schmerzliche Eingebungen, die, wie schnell sie auch zurückgewiesen
8l) Mtestameutliche Bilder.

sein mögen, doch, wie es uns scheinen will, sicher aufsteigen mußten. Er
hätte sagen können: „ I c h werde berufen, eine That zu vollführen, die jedem
Instinkt meiner Natur Gewalt authut. Ich soll mein Kind aufopfern!
Schrecklich! Mörderisch! Ich soll »nein geschlachtetes Kind verbrennen, als
eine religiöse Handlung — entsetzlich, barbarisch, abscheulich! Ich soll es
selbst mit Bedacht auf den Altar legen. Wie kann ich das thun? Wie kann
Gott von mir verlangen, etwas zu thun, was mit der Wurzel jede Neigung
ausreißt, die Er selbst in mich gepflanzt hat, was meinem edelsten menschlichen
Gefühl zuwider läuft? Wie kann ich dies thun?"
Brüder und Schwester«, wir wollen auf uns selber blicken und versuchen,
dies auf uns persönlich anzuwenden, auch wir mögeu durch das Wort Gottes
zu Thaten berufen werden, die all uusren natiirlichen Neigungen Gewalt an<
zuthuu scheinen. Den Christen wird es zuweilen befohlen, mit der Welt zu
brechen durch entschiedene Handlungen, die den Haß derer, die ihnen am
nächsten und liebsten sind, erwecken. Nun, weun sie Gott lieben, so werden
sie im Vergleich mit I h m weder Vater noch Mutter, noch Gatten, noch Bruder,
oder Schwester lieben; und obgleich die Christen immer zu den weichherzigsten
Menschen gehören werden, so werden sie doch dafür halten, daß ihre Treue
gegell Gott sie verpflichtet, alles um feinetwillen aufzugeben, und eher jede
natürliche Zuneigung zu verleugnen, als das göttliche Gesetz zu brechen.
Vielleicht leidest du hellte uuter eiller Trübsal, die alle Kräfte deiuer Natur
niederdrückt; dem Herrn hat es gefallen, dir einen zu nehmen, der dir teurer
als das Leben war, für den du gern gestorben wärest. O, lerne mit Abraham,
die Nute zu küssen; stelle nicht Isaak über Gott. Laß Isaak teuer sein, aber
laß ihn lieber sterben, als daß du Gott mißtrautest. Beuge dein Hanvt nnd
sprich: „Nimm, was D u willst, mein Gott; töte mich, oder nimm alles, was
ich habe, ich will dennoch Deinen heiligen Namen loben." Dies war ein
wesentlicher Teil von Abrahams Prüfung, daß sie die. zartesten Empfindungen
seines Herzens rauh zu zertreten schien.
Und es mag sich ihm auch aufgedräugt haben, daß er durch die Tötung
seines Sohues alle Verheißungen Gottes vereiteln würde. Eine sehr schwere
Prüfung dies, denn in dein Maße, wie ein Mensch die Verheißung glaubt
und wertschätzt, wird er sich auch fürchten, etwas zu thun, was sie unwirksam
macht. Brüder, es gibt Zeiten für uns, wenn wir zu einer Handlungsweise
berufen werden, die aussieht, als wolle sie uusre höchsten Hoffnungen in Ge-
fahr bringen. Ein christlicher Mann ist zuweilen dllrch seine Pflicht genötigt,
eine Haudluug zu vollziehen, die allein Anschein nach seine künftige Wirksam-
keit vernichten wird. Ich habe oft Männer als Gruud dafür, daß sie in
einer verderbten Kirche bleiben, geltend machen hören, daß sie einen Einfluß
ill ihr erlangt hätten durch ihre Stellung, den sie verlieren könnten, wenn sie
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopfcruug Isaaks. 81

ihrem Gewissen folgten nnd Gott treu wären. Sie sind verpflichtet, all ihren
vorausgesetzten Einfluß zu verlieren und ihre scheinbar vorteilhafte Stellung
aufzugeben, eher als daß sie das Geringste wider ihr Gewissen thu»; ebenso
verpflichtet, dies zu thuu, wie Abraham verpflichtet war, Isaak aufzuovferu,
in dem alle Verheißungen sich vereinten. Es ist weder eure Sache, »och die
meiue, Gottes Verheißung zu erfüllen, oder das kleinste Unrecht zu thuu, uni
das größte Gute zu bewirken. Vöses thuu, auf daß Gutes herauskomme,
ist falsche Sittlichkeit und gottlose Politik. Unsre Sache ist, unsre Pflicht zu
thun, Gottes Sache ist die Erfüllung seiner eignen Verhcißuug uud die Er-
haltung unsrer Wirksamkeit. Ob Er gleich meinen Ruf ill Stücke zerbricht
uud meine Wirksamkeit in die vier Winde streut, deuuoch, weuu die Pflicht
ruft, darf ich keine eiuzige Sekunde zauderu, denn in diesem Zögern werde ich
meinem Gott ungehorsam. Auf das Geheiß Gottes muß Isaak geopfert
werdeu, ob die Himmel auch fallen, und der Glaube muß alle Eingebungen
der Klugheit mit der Versicherung beantworten, daß das, was Gott befiehlt,
niemals in feinem schließlichen Ausgange etwas andres, als Gutes hervor«
bringen kann; Gehorsam kann niemals Segnuugeu gefährden, den» Gebote
sind nie in wirklichem Widerspruch mit Verheißungen, Gott kann Isaak auf«
erwecken und seinen eignen Ratschluß vollführen.
Ferner, dem Abraham mag — man sollte denken, m uß — der Gedanke
gekommen sein, daß der Tod Isaaks die Vernichtuug all seines Trostes sei.
Das Zelt wird für Sara verdunkelt sein, uud die Ebene von Mamre uu-
fruchtbar wie eine Wüste für ihr jammerndes Herz. Ach! der arme Vater,
der die Hossnuug feines Alters und die Stütze feiner Gebrechlichkeit verloren
hat. Die Sonne wird schwarz am Mittag, und der Mond verfinstert sich in
der Nacht, wenn Isaak stirbt. Besser, daß alle andren Unglücksfälle sich er>
eigneten, als daß dies teure Kind hinweggenommen würde! Er muß so ge-
fühlt haben, aber dies machte ihn nicht schwankend. Zuweilen mag der Lauf
der Pflicht gerade über den toten Körper uufres liebsten Trostes und unsrer
glänzendsten Hoffnuug geheu. Es mag unfre Pflicht fein, das zu thu», was eine
fast endlose Folge von Leiden herbeiführeu wird. Aber du mußt recht thnn,
komme, was da wolle. Wenn der Herr es dich heißt, so mußt du Glauben
suchen, es zu thun, ob auch vou dem Augenblick an nie eine andre Freude
dein Herz fröhlich machte, bis du völlig für den Verlust von allem entschädigt
wirst, wenn du zuletzt in die Freude deines Herrn eingehst.
Es muß auch, sollte ich même», Abraham in den Sinn gekommen sein,
obgleich er es nicht in die Wagschale fallen ließ, daß er sich von der Zeit an
viele Feinde machen würde. Viele würde» seiuem Charakter mißtrauen. Viele
würden ihu für eiueu ganz Elendell halten; er würde finde», daß, wohi» er
auch ginge, er als der Mörder seiues eignen Kindes gemieden würde. Wie
T p u r g e o n , Alttestameutliche Bilder. 6
82 Nlttestamentliche Bilder.

sollte er es ertragen, Sara wieder gegenüber zu treten? „Wo ist mein Sohn?
Gewiß, du bist mir ein Blutbräutigam," würde sie sagen, mit viel größerer
Wahrheit, als Zipora zu Mose. Wie konnte er seinen Knechten wieder gegen-
über treten? Wie konnte er ihre Blicke ertragen, die zu ihm sprechen würden:
„ D u hast deinen Sohn erschlagen, deine Hände sind mit dem Blut deines
eignen Sprößlings befleckt!" Wie konnte er Abimelch und den Philistern
wieder ins Auge sehen? Wie würden die wandernden Stämme, welche um
sein Zelt herumstreiften, alle von diesem seltsamen Morde hören und schaudern
bei dem Gedanken an das Ungeheuer, das die Erde verunreinigte, wo es sie
betrat. Und doch, beachtet die heilige Sorglosigkeit dieses Gott ähnlichen
Mannes in betreff dessen, was man von ihm sagen oder denkeil mochte. Was
kümmerte es ihn? Laßt sie ihn einen Teufel nennen; laßt ein allgemeines
Zischen ihn in die unterste Hölle des Hasses und der Verachtung verweisen:
er achtet es nicht. Gottes Wille muß gethan werden. Gott wird für den
Ruf seines Knechtes Sorge tragen, oder wenn Er es nicht thut, so muß sei»
Knecht die Folgen um seines Herrn willen ans sich nehmen. Er muß ge-
horchen; kein andrer Weg steht ihm offen: er will nicht an Ungehorsam denken.
Er weiß, daß Gott recht hat, und er muß Gottes Willen thun, komme, was
da wolle.
Dies, merkt euch, ist einer der großartigste,» Punkte an den: Glauben
des Vaters der Gläubigen; und wenn ihr und ich berufen werden, solchen
Glauben zu beweisen, mögen wir nie zu leicht erfunden werden, sondern Ver-
leumdung und Schande mit fröhlichem Sinn in Kraft des Heiligelt Geistes
ertragen. Wie müssen L u t h e r s Lippen zuerst gezittert haben, als er zu sagen
wagte, daß der Papst der Antichrist sei. Wie, Mann, wie kannst du wagen,
so zu sprechen? Die Millionen beugen sich vor ihm danieder; er ist der
Stellvertreter Gottes auf Erden. Verehren sie nicht unsren Herrn Gott, den
Papst? „Doch ist er der Antichrist, und ein wahrer Teufel," sagt L u t h e r ;
und zuerst muß er gefühlt haben, daß seine Ohren brannten und seine Wangen
rot wurden bei einem solchen Wort scheinbarer Gottlosigkeit. Und als er
fand, daß die Geistlichen ihn mieden, die einst Doktor M a r t i n L u t h e r s Gesell«
schaft gesucht, und als er das allgemeine Geheul hörte, das aufstieg, selbst vom
Abschaum der Menschheit, daß der Mönch ein Trunkenbold sei, und weil er
eine Nonne heiratete, daß er voll Lüste und dem Satan verkauft sei, und ich
weiß nicht, was sonst noch; es muß ein Großes gewesen sein, wenn L u t h e r
fühlen konnte: „Sie mögen mich heißen, was sie wollen, aber ich weiß, daß
Gott zu meiner Seele die große Wahrheit gesprochen hat, daß der Mensch
durch den Glauben all Iesum Christum selig wird, und nicht durch die
Zeremonien, die der Papst befiehlt, oder den Ablaß, den er verleiht; und wenn
mein Name dem Limbus der Hölle überwiesen wird, so will ich doch die
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 83

Wahrheit aussprechen, die ich weiß, und in Gottes Namen will ich meinen
Mnnd nicht halten." W i r müssen dahin gebracht werden, daß wir willig sind,
das Urteil unsrer Zeit und das der Vergangenheit und Zukunft beiseite zu
setzen, und wenn es not thnt, allein zu stehen inmitten einer heulenden uud
wütenden Welt, um das Gebot Gottes zn ehren, was die einzige Notwendigkeit
für uns ist, und dem zu gehorchen unsre Schuldigkeit ist, selbst wenn es uns
Schande oder Tod bringen sollte.
Hier also wurde Abrahams Glauben vollkommen gemacht, da er, als die
äußeren Verhältnisse schwer, uud die Eingebungen, die daraus entstanden, ganz
besonders beunruhigend waren, doch alles beiseite setzte und allen Übeln Trotz
bot, um ohne Zögern und Unschlüssigkeit seines Herrn Willen in seiner ganzen
Ausdehnung zu erfüllen, in dem festeil Glauben, daß kein Schade daraus eut»
stehen, sondern daß er selbst nur um so mehr gesegnet und Gott um so mehr
geehrt werden würde.

II.
Wir wollen nun den P a t r i a r c h e n u n t e r d e r P r ü f u n g betrachten.
I n dem Verhalten Abrahanis während dieser Probe ist alles bewunderns-
wert. Indem ich versuche, jede Einzelheit zu erwähnen, fürchte ich, der
Wirkung des Ganzen zu fchaden. Sein Gehorsam ist ein Vild aller Tugenden
in einer, in wunderbarer Harmonie miteinander verbunden. Es ist nicht
sowohl ein Punkt, in dem der große Patriarch sich auszeichnet, sondern in
denl Ganzen seiner heiligen That.
Zuerst beachtet die U n t e r w e r f u n g Abrahams unter diese Versuchung.
Seine Unterwerfung, sage ich, denn ihr werdet bemerken, daß nichts berichtet
ist von irgend einer Antwort, die Abraham Gott gegeben, mit Worten oder
in einer andren Form. Ich nehme deshalb an, daß keine da war. Sonder-
bares und erschreckendes Gebot: „Nimm deinen einigen Sohn uud opfere ihn
zum Vrandopferl" Aber Abraham streitet nicht darüber. Es ist natürlich, zu
erwarten, daß er gesagt: „Aber, Herr, beabsichtigst D u das wirklich? Kanu
ein Menschenopfer D i r jemals annehmbar sein? Ich weiß, es kann nicht. D u
bist Liebe und Freundlichkeit: kannst D u deshalb Freude haben an dem Blut
meines lieben Sohnes? Das kann nicht sein." Aber es ist kein Wort der
Gegenrede da; nicht eine einzige Frage, die auch uur wie Schwankell aussieht.
„Gott ist Gott," scheint er zu sprechen, „und es ziemt mir nicht. I h n zu fragen,
warum? oder eiue Ursache für fein Geheiß zu fuchen. Er hat es gesagt: ich
will es thun." Es scheint kein Wort der Bitte oder des Gebets stattgefunden
zu haben. Ein Gebet um Abwendung eiller fo furchtbaren Prüfung möchte
nicht sündig gewesen sein; wenn der Mann ein geringerer Mann gewesen,
wäre es vielleicht uicht uur natürlich, sondern recht von ihm gewesen, zu sagen:
84 Alttestameutliche Bilder.

„ O mein Gott, schone mein Kind! Lege mir eine andre Prüfung auf, aber
nicht diese, so sonderbare, so geheimnisvolle. Mein Herr, um Saras willen
und um Deiner Verheißung willen, versuche mich nicht so." Ich sage, daß
ein solches Gebet von einem gewöhnlichen Manne vielleicht nicht sündig ge-
wesen wäre, es hätte vielleicht sogar tugendhaft und lobenswert sein können;
aber von diesem großartigen Geiste ist kein solches da. Er bittet nicht um
Schonung; er betet nicht, davon befreit zu werden, wenn er einmal Gottes
Willen weiß. Viel weniger ist auch nur ein Schein von Murren da. Der
Mann geht an die ganze Sache, als wenn ihm nur befohlen, ein Lamm zu
opfern, das wie gewöhnlich von der Herde genommen wäre. Es ist eine kühle
Überlegung darin, die nicht beweist, daß er ein Stoiker war, die aber beweist,
daß er gigantisch in seinem Glauben war. „Nicht schwankend" (Nöm. 4, 20),
sagt der Apostel; und das ist das rechte Wort. I h r und ich, wenn wir das
Rechte gethan, hätten es in einer schwankenden, zögernden Weise gethan; aber
er! nicht ein Nerv bebt, nicht eine Muskel ist gelähmt. Er weiß, daß Gott
es geboten hat, und mit furchtbarer Strenge, und doch mit kindlicher Einfalt
geht er an das Opfer. Die Lehre, die ich hieraus entnehme (und wir mögen
wohl diese Lehren sammeln, im Gehen, wie Ährenleser die Ähren, wenn sie
die Furchen entlang gehen) — die Lehre ist dies: wenn ihr eure Pflicht kennt,
so bittet nie, davon freigesprochen zu werden, sondern geht hin und thut sie
in Gottes Namen, in der Kraft des Glaubens. Sobald ihr klar eures Meisters
Willen seht, beginnt nicht, ihn zu bestreiten oder auf bessere Gelegenheiten zu
warten u. s. w . ; thut ihn sogleich. Ich weiß nicht, wie vieler Freude und
Ehre manche von euch verlustig gegangen sind durch die böse Gewohuheit, sich
mit, ihrem Gewissen abzufinden. Es ist eine sehr schreckliche Sache, wenn man
anfängt, das Gewissen hart werden zu lassen, denn es wird bald verschlossen
wie mit einem heißen Eisen. (1 Tun. 4, 2.) Es ist wie das Gefrieren eines
Teiches. Der erste Überzug von Eis ist kaum wahrnehmbar: haltet das
Wasser in Bewegung, und ihr werdet das Eis hindern, es hart zu machen;
aber laßt es erst überziehen und so bleiben, so wird es auf der Oberstäche
dichter und immer dichter, und zuletzt ist es so fest, daß ein Wagen über das
feste Wasser fahren kann. So ist es mit dem Gewissen, es überzieht sich all«
mählich, und zuletzt wird es unempfindlich und kann ein großes Gewicht von
Missethat tragen. A h ! wir dürfen nicht den Gehorsam hinausschiebe» uuter
dem Vorwande des Gebetes, sondern müssen pünktlich in unsrem Dienste sein.
Ich bin zuweilen erstaunt und stutzig geworden über christliche Leute, die
sagten, z. V . in betreff der Taufe: „ich bin überzeugt, daß es meine Pflicht
als Gläubiger ist, mich taufen zu lassen, aber es ist mir nie aufs Gewissen
gefallen." Nie auf dein Gewissen gefallen! D u weißt, daß Gott es befiehlt,
und doch wagst du, zu bekennen, daß dein Gewissen so schlecht geworden ist.
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Ifaaks. 85

daß du es nicht als deine Pflicht empfindest, zu gehorchen! „ O , ich habe aber
nicht gefühlt, daß es sich mir nahe gelegt hat." Gefühlt! Und soll das
Gefühl der Maßstab deiner Treue gegen Gott sein und Gottes Gesetz zurecht
schneiden und stutzen? Wenn dn es für recht erkennst, so bitte ich dich bei der
Treue, die du deinem Herrn schuldest, gehorche. O Christen, diese Welt ist
in einen traurigen Zustaud geraten durch die Kunstgriffe, welche die Menschen
mit ihrem Gewissen sich verstatten. Dies ist die Ursache von all jenen un-
natürlichen Deutungen, welche die Leute Bibelsprüchen und Glaubensbekennt'
nissen geben; dies ist der geheime Grund, weshalb die Religion Englands,
das behauptet, protestantisch zu sein, bis ins Mark papistisch wird, weil
evangelische Männer zu eiuem papistischeu Katechismus geschworen und ihn:
einen andren S i n n untergelegt haben; und austatt eine verderbte Kirche zu
verlassen, mit ihrem Gewissen getändelt, und so durch ihr Handeln ihr Predige»
unwirksam gemacht und die Menschen lügen gelehrt haben.^) Kein großes
Wunder ist es, daß Kaufleute stehleu und betrügen, wenn Männer, die sich
als gottesfürchtig bekennen, Worte in einem S i n n gebrauchen, den sie für
unsophistische Gemüter niemals haben können. Wenn Vekenner Christi uur
eifersüchtig für die Ehre Gottes wären, und genau und pttuktlich iu ihrem
ganzeu Wandel vor dem Höchsten, so würden sie mehr von der Ehre, mehr
von dem Segen Abrahams haben und ihr Einfluß auf die Welt würde mehr
dem Salze gleichen, und weniger dem bösen Sauerteig, der die Masse verdirbt.
Aber wir müssen weiter gehen, um Abrahams K l u g h e i t zu beachten.
Klugheit kann, wie einige von uus letzte Woche hörten, eine große Tugend
sein, wird aber oft eins der niedrigsten und bettelhaftesten der Laster. Die
rechte Klugheit ist eiue tressliche Magd des Glaubens; die Klugheit Abrahams
sehen wir darin, daß er Sara nicht um Nat fragte bei dem, was er zu thuu
im Begriff war. Natürliche Klugheit, wie wir es nennen, hätte gesagt:
„Dies ist ein sonderbarer Befehl; du thätest besser, mit weisen Lenten darüber
zu beraten, du glaubst, daß er von Gott kommt, aber dein Eindruck mag eiu
irriger sein. Wenigstens bist du es Sara schuldig, daß sie eiuen solchen
Anteil an ihrem eignen Kinde hat, ihr Urteil i n ' diesem Falle zu hören;
überdies ist dieser gute Elieser da, der dir oft in einer Verlegenheit geholfen
und beigestanden hat; du thätest besser, die Sache mit ihn: zu besprechen."
„ J a , " aber Abraham dachte wahrscheinlich: „diese Lieben mögen mich schwächer
machen, aber sie können nicht ineinen Entschluß stärken oder meine Pflicht
ändern;" und deshalb besprach er, gleich Paulus, sich nicht darüber mit Fleisch'

' ) W i r finden uns nicht veranlaßt, an diefer Stelle etwas zu ändern, obwohl sie,
so wie sie ist, nur auf die englischen Zustände geht; die Anwendung auf die deutschen liegt
nahe genug. A. d. Überf.
86 Alttrstllmeutliche Bilder.

und Blut. I m Grunde, meine Brüder, wozu nützt das Besprechen, wenn wir
des Herrn Willen wissen? Wenn ich zu der Bibel gehe u»d da sehr deutlich
sehe, daß dies oder jenes meine Pflicht ist, so ist es Verrat gegen die
Majestät des Himmels, wenn ich mich mit Menschen bespreche, ob ich Gott
gehorchen soll oder nicht. Es ist schändlich, wenn wir uns mit Menschen be-
raten, wo wir das klare Gebot Gottes haben. Denkt ench einen Offizier
uutercn Ranges, der, wenn er in der Stuude der Schlacht kommandiert wird,
einen Angriff zu leiten, sich zu einem Kameraden kehrt und ihn nm seine
Meinung über die Ordre fragt, die er vom General empfangen hat! Laßt
den Mann vors Kriegsgericht gestellt oder auf dem Felde erschossen werden;
er ist ganz illoyal; kein offener Akt ist nötig, der Gedanke ist Meuterei, die
Worte der Nachfrage eine offenbare Empörung. Wenn Gott befiehlt, bleibt
uns nichts übrig, als zu gehorchen. Besprechungen mit Fleisch und Blut sind
scharlachrote Sünden.
Beachtet ferner Abrahams B e r e i t w i l l i g k e i t . Er stand des Morgens
frühe auf. O, die meisten von uns würden sich einen langen Schlaf ver»
stattet haben, oder wenn wir nicht hätten schlafen können, hätten wir wenigstens
bis zur Mittagszeit gelegen und uns ruhelos hin- nnd hergeworfen. „Was,
meinen Sohn erschlagen, meinen einzigen Sohn Isaak? Der Befehl bestimmt
nicht die Stunde; es ist kein ausdrückliches Wort da über die Zeit des Beginns
der furchtbaren Reise. Wenigstens wollen wir sie hinausschieben, so lange wir
können, um des teuren Jünglings willen; laß ihn so lange wie möglich leben."
Aber, nein. Verzögerung kam dem Patriarchen nicht in den Sinn. Ist es
nicht erhaben? Der heilige Mann steht frühe auf; er will seiuen Gott sehen
lassen, daß er I h m vertrauen kann und daß er sein Geheiß ohne Widerstreben
erfüllen will. O, Gläubige, thut immer rasch, was Gott euch gebietet. Zaudert
nicht. Der wahre Kern eures Gehorsams liegt darin, daß ihr eilet, und nicht
säumet, des Herrn Gebot zu halten. Er zeigte wiederum seine Willigkeit
dadurch, daß er das Holz selbst bereitete. Es wird ausdrücklich gesagt, daß
er „das Holz spaltete." Er war ein Scheik, und ein mächtiger Mann in
seinem Lager, aber er wurde ein Holzfvalter, er hielt keine Arbeit für gering,
wenn sie für Gott gethan wurde, und sie war ihm zu heilig für andre Hände.
M i t zerrissenem Herzen spaltete er das Holz. Holz zum Verbrennen seines
Erben! Holz für das Opfer seines eignen, lieben Kindes! Hierin seht ihr
die Vereitwilligkeit Abrahams, und mögen wir Gott mit so bereitem Eifer ge-
horchen, daß man in jedem kleinen Umstand bei unsrem Gehorsam es sieht,
daß wir nicht unwillige Sklaven sind, ans Nuder der Pflicht gefesselt und
zum Dienste gepeitscht durch die Drohungen des Gesetzes, sondern liebende
Kinder eines Vaters, dem zu dienen wir für unsre höchste Freude halten,
selbst wenn dieser Dienst das Opfer unsres liebsten Isaaks einbegreifen sollte.
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 87

Ferner muß ich euch bitten, Abrahams Vorsorge zu bemerken. Er


wünschte nicht, sein Thuu unvollendet 5U lasse». Nachdem er das Holz ge-
spalten, nahm er das Feuer mit sich und alles andre, was nötig war, um das
Werk zu vollführen. Einige Leute haben gar keine Vorsorge, wenn sie Gott
dienen, und sobald dann ein kleiner Haken kommt, so schreien sie, daß dies
eine Fügung sei, und machen es zur Entschuldigung, von der unangenehmen
Aufgabe freizukommen. O, wie leicht ist es, wenn ihr keine Lust habt, eine
Unannehmlichkeit auf euch zu nehmen, zu meinen, daß ihr irgend einen Grund
seht, um es nicht zu thun. „ I h r wißt," sagt der eine, „man muß leben."
„ A h , " sagt ein andrer, „warum sollte ich meine Stelle aufgeben um einer
kleinen Gewissenssache willen? I n der That, es kam gerade ein Umstand
dazu, der mich fast zwingt, gegen meine Überzeugung zu handeln, wenigstens
für eine Zeitlang; wirklich, die Vorsehung zeigt mir klar, daß ich bleiben soll,
wie ich bin. Ich weiß, die Bibel sagt, daß ich anders handeln sollte, aber
ihr wißt wohl, wir müssen die Umstände in Erwägung ziehen, und wenn sie
auch nicht gerade die Gebote ändern, so können sie ja doch eine Entschuldigung
für das Aufschieben des Gehorsams sein." Abraham, der weise, bedachtsame
Knecht Gottes, trägt Sorge, soweit als möglich allen Schwierigkeiten vor-
zubeugen, die ihn hindern könnten, recht zu thun. „Nein," spricht er, „es ist
kein Unterlassen für mich möglich, meine Pflicht ist klar. Befiehlt Gott es?
Ich will für alles sorgen, was nötig ist, seinen Willen zu vollziehen. Ich
verlange keine Entschuldigung, um zurückzuweichen, denn zurückweichen will
ich nicht, komme, was wolle."
Beachtet ferner Abrahams Ausdauer. Er setzt drei Tage seine Reise
fort, die Neise nach dem Orte, wo er ebensosehr sich selbst, als sein Kind
opfern sollte. Er hieß seine Knechte bleiben, wo sie waren, vielleicht fürchtend,
daß das Mitleid sie bewegen würde, das Opfer zu hindern. Nun, ihr und
ich würden gewünscht haben, uns mit einem Freunde zu versehen, der hindernd
dazwischen treten und die Verantwortlichkeit von unsren Schultern abnehmen
möchte. Aber nein, der fromme Mann setzt alles beiseite, was ihn hindern
könnte, bis ans Ende zu gehen. Dann legt er das Holz auf Isaak. O, was
für eine Last nahm er anf sein eignes Herz, als er diese Bürde ans den ge-
liebten Sohn legte! Er trug das Feuer im Rauchfaß an seiner Seite, aber
was für ein Feuer verzehrte sein Herz l Wie scharf war die Prüfung, als der
Sohn arglos sagte: „Mein Vater, siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist
aber das Schaf zum Brandopfer?" War keine Thräne da zum Abwischen für
den Patriarchen? Er gab nur eine kurze Antwort. W i r haben allen Grund
zu glauben, daß andre Antworten folgten, die nicht berichtet sind, in denen er
seinem Sohn erklärte, wie die Sache stand, und was es war, das Gott ver-
langte; denn es ist schwer anzunehmen, daß Isaak blindlings sich unterworfen
Alttestamentliche Bilder.

hätte, wenn nicht erst eine Erklärung gegeben wäre, daß dieser Befehl von der
höchsten Autorität gekommen sei und daß ihm gehorcht werden müsse. O, die
Traurigkeit der Seele des Vaters, aber laßt mich lieber sagen, die Majestät
seines Glaubens, er unterdrückt alle seine Gefühle, und obgleich die Natur
spricht, so spricht der Glaube doch lanter, nnd wenn die Tiefe seines Leidens
lallt ruft, so ruft der tiefere Glaube an seinen Gott noch lauter. Nuu, seht
ihn! Seht den heiligen Mann, wie er die losen Steine aufsammelt, die auf
dem Berge Morija liegen! Seht ihn, wie er sie nimmt und mit Hilfe seines
Sohnes einen alls dell andren legt, bis der Altar gebaut ist. Seht ihr ihn
danach das Holz auf dein Altar in Ordnung legen? Kein Zeichen von
hastiger Bewegung oder voll Beben. Seht ihn seinen Sohn mit Strickeil
binden! Er legt seilten Sohn auf den Altar, als wenn er ein Opfer wäre!
N u n zieht er das Messer aus der Scheide, und ist im Begriff, die That zu
thiln, aber Oott ist zufrieden; Abraham hat wahrhaft seinen Sohll ill seinem
Herzen aufgeopfert, und der Befehl ist erfüllt. Beachtet deu Gehorsam dieses
Freundes Gottes, es war kein Spielen mit der Hingabe seines Sohnes; er
that es wirklich. Es war kein Reden von dem, was er thun könnte und
vielleicht thun wollte, sondern sein Glaube war praktisch und heroisch. Ich
mache alle Gläubigen hierauf aufmerksam. W i r müsseu nicht nur Golt so
lieben, daß wir Hoffell, wir würden bereit sein, alles für I h n Hinzugebell,
sondern wir müssen buchstäblich uud wirklich bereit sein, es zu thuu. W i r
müssen um mehr Glauben bitten, damit wir, wenn die Prüfling kommt, nicht
als bloße aufgeblafeue Prahler oder wortreiche Schwätzer erfunden werden,
sondern in Wahrheit treu gegell Gott. „ A h , " sagte neulich abeud jemand, „ich
dachte, ich hätte großen Glauben, aber null ich von Schmerzen gefoltert werde,
fillde ich, daß ich kaum irgend welchen habe." „ O , " könnten manche von nils
fagen, „mein Gott, ich dachte, ich hätte Glauben an Dich, aber nun ich dies
Leiden ertragen soll, das D u mir auferlegst, möchte ich wider den Stachel
locken, und kann nicht sprechen: „Dein Wille geschehe." A h ! wie viele Namen-
christen lieben Gott, bis es dahin kommt, daß sie ihre Pfennige und ihre
Thaler verlieren. Sie wollen Gott gehorchen, bis dies Armut und Dürftigkeit
mit sich bringt; sie wollen Gott treu sein, bis es zu Spott und Schande
kommt, und dann ärgern sie sich bald uud beweisen dadurch, wer ihr Gott ist,
denn sie wenden sich hinweg vom Unsichtbaren, und suchen das, was sie die
Hauptsache nennen, die zeitlichen Interessen, ihren eignen Vorteil und ihr
eignes Vergnügen. Gott ist nicht ihr Gott, ausgenommeu, daß sie von I h m
reden. Laßt Christi Gebote leicht fein, und die Menschen nehmen sie an; laßt
sie ein wenig zu schwer drücken, und sie wenden sich ab; denn im Grnnde
dienen die meisten, die sich Christen nennen, Gott bis zu einein gewissen Punkte,
aber nicht weiter, und zeigen so, daßsieGott überhaupt nicht lieben.
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Isaaks. 89

Ich habe nur sehr schwach den Gehorsam Abrahalns ins Licht gestellt.
Ich darf indes das Vild nicht verlassen, bis ich das genannt habe, was allein
zu Grunde lag. Paulus sagt uns im elften Kapitel des Hebräerbriefes, daß
Abraham dnrch den G l a u b e n Isaak opferte. Null, was war der Glaube,
der Abraham fähig machte, dies zu thuu? Obgleich viele Ausleger nicht so
denken, so halte ich es mit der Meinung, daß Abraham in seiner eignen Seele
fühlte, daß Gott nicht tilgen und Gottes Wort nicht fehlen könnte, und daß
er deshalb hoffte, Isaak von den Toten erweckt zu fehen. „Wohl," sprach er
bei sich selbst, „ich habe eine ausdrückliche Verheißung gehabt, daß in Isaak
mein Same sein soll; und wenn ich berufen werde, ihn zu töten, so muß die
Verheißung doch erfüllt werden, und vielleicht wird Gott ihn von den Toten
erwecken. Selbst wenn sein Körper zu Asche verbraunt wird, kann der Herr
meinen Sohn wieder ins Leben rufeu." Es wird uns im Neuen Testament
gesagt, daß er glaubte, Gott könne ihn auch wohl von den Toten erwecken,
daher er ihn auch zum Vorbilde wieder nahm. Einige haben gesagt: „Aber
dieses verringert die Prüfung." Zugestanden, wenn ihr wollt, aber es ver»
ringert nicht den Glauben, und es ist der Glaube, der am meisten zu be»
wundern ist. Er ward unter der Prüfung aufrecht gehalten durch die Über-
zeugung, daß es Gott möglich sei, seinen Sohn voll den Toten zu erwecken,
und so seine Verheißung zu erfüllen. Aber darunter, in der tiefsten Tiefe,
lag ill Abrahams Herzen die Überzeugung, daß durch irgeud eiu, weuu nicht
durch dieses Mittel, Gott ihn rechtfertigen würde, weun er thä'te, was er thun
sollte; daß es niemals Unrecht sein könnte, zu thuu, was Gott befohlen; daß
Gott ihm nichts Unrechtes gebieten könnte, und daß er deshalb, indem er es
thä'te, unmöglich der Verheißung verlustig gehen könnte, die ihm in bezug auf
Isaak gegeben war. I n der einen oder andren Weise würde Gott für ihn
sorgen, wenn er nur treu an Gott hielte. Und ich denke, je undeutlicher
Abrahams Vorstellung von der Art, wie Gott seine Verheißung erfüllen könnte,
gewesen sein mag, desto glorreicher war der Glaube, welcher daran festhielt,
daß nichts die Verheißung zunichte machen könne, uud daß er seine Pflicht
thun wolle, was auch danach käme. Geliebte Brüder in dem Herrn, glaubet,
daß euch alle Dinge zum Besten dienen, und daß, wenn eller Gewissen und
Gottes Wort euch befehlen, etwas zu thun, was euch zu Vettlern macht oder
euch in Unehre bringt, es doch kein wirklicher Schade für euch sein w i r d ; es
muß alles recht sein. Ich habe Männer arbeitslos werden sehen, weil sie den
Sabbat hielteil, und andre haben eine Zeitlang keine Stelle gehabt, weil sie
nicht die Kniffe im Handel mitmachen wollten, und haben deshalb gelitten;
aber ach! einige von ihnen haben nach einer Weile den M u t verloren und
dem Bösen nachgegeben. O, daß wir den Glauben hätte», der nie, unter
keiner Überredung nnd keinem Zwange, vom Felde flieht. Wenn die Menschen
90 Alttestamentliche Bilder.

Stärke genug hätten, zu sagen: „Wenn ich sterbe und verfaule, so will ich
nicht sündigen; wenn sie mich hinauswerfen zu den Aas fressenden Krähen, so
soll doch nichts mich dahin bringen, daß ich mein Gewissen verletze, das thue,
was Gott nur befiehlt, nicht zu thlln, oder unterlasse, was Gott mir zu thun
befiehlt!" Dies ist der Glande Abrahams! Wollte Gott, daß wir ihn
hätten! Wir würden ein herrliches Geschlecht von Christen haben, wenn das
der Fall wäre.

III.
Ich habe mir nur wenige Minuten für den letzten Teil übrig gelassen,
der war: laßt u n s den Aegen betrachten, der A b r a h a m dnrch
die P r ü f u n g seines Glaubens zn t e i l w n r d e . Der Segen war
siebenfach.
Zuerst, die P r ü f u n g ward aufgehoben. Isaak war uuverletzt. Der
uächste Weg zum Ende der Trübsal ist, sich in dieselbe zu ergeben. Gott
wird dich nicht prüfen, wenn du vollständig jede Prüfuug tragen kannst. Gib
alles auf, uud du sollst alles behalten. Gib deinen Isaak auf, uud Isaak
braucht nicht aufgegeben zu werden; aber wenn du dein Leben erretten willst,
so wirst du es verlieren.
Zweitens, Abraham hatte den ausdrücklichen B e i f a l l Gottes. „Nun
weih ich, daß du Gott fürchtest." Der Mann, an dessen Gewissen der Heilige
Geist sich bezeugt, genießt großen Frieden, und dieser Friede wird ihm, weil
er sich uuter jener Prüfuug als ein echter und treuer Knecht bewiesen hat.
O, Brüder und Schwestern, wenn wir nicht die Prüfungen dieses Lebens be»
stehen können, was werden wir dann am Tage des Gerichts thun? Wenn
wir zu leicht erfuuden werden in der gewöhnlichen Wage, welche die Hand der
Vorsehnng hält, was werden wir thun vor jenem großen, weißen Thron, wo
jeder Gedanke vor das Gericht des Höchsten gebracht wird? Wie wollt ihr
„mit den Neutem laufen" am letzten Ende, wenn ihr jetzt nicht mit denen
laufe» könnt, die zu Fuß gehen? Wenn wir uns fürchten vor ein wenig
Verlust und ein wenig Spott, was hätten wir in den Märtnrertagen thnn
sollen, wo die Menschen ihr Leben nicht teuer achteten, damit sie Christum ge>
winnen möchten!
Abraham hatte dann weiter einen klarer« Blick auf Christum, als
er je zuvor gehabt — kein kleiner Lohn. „Abraham sähe meinen Tag,"
sagt Christus. „Er sähe ihn nnd freuete sich." Selbst bereit, seinen Sohn
zu opfern, hatte er ein Bild von Jehovah, der feines eignen Sohnes nicht
verschonte. I n dem Widder, der an Isaaks Statt geschlachtet ward, hatte er
ein Bild des großen Stellvertreters, der starb, auf daß die Menschen leben
möchten.
Gereifter Glaube — dargestellt durch Abrahams Aufopferung Ifaaks. 91

Mehr als dies uoch, Gottes Name ward A b r a h a m v ö l l i g e r ge>


offenbart an jenem Tage. Er nannte ihn Jehovah »jireh, ein Schritt
hinaus über alles, was er vorher gewußt hatte. „ S o jemand will seinen
Willen thun, der wird die Lehre erkennen." (Ioh. 7, 17.) Je mehr ihr die
Probe des Leidens bestehen könnt, desto besser sollt ihr in göttlichen Dingen
unterwiesen werden. Es ist Licht jenseits, wenn die Gnade dir hilft, durch das
Schwere hindurch zu dringen.
Für Abraham wurde au diesem Tage der B u n d durch einen E i d be»
stätigt. Der Herr schwor bei sich selber. Brüder, die Gnade Gottes wird
euch nie so bestätigt werden, als wenn ihr eure Treue gegen I h n dadurch be-
wiesen habt, daß ihr I h m auf jede Gefahr hin gehorsam gewesen seid; ihr
werdet dann finden, wie wahr die Verheißungen sind, wie tren Gott dem
Gnadenbuud ist. Der schnellste Weg zur vollen Gewißheit ist vollkommener
Gehorsam. Während die Gewißheit euch helfen wird, zu gehorchen, wird der
Gehorsam euch helfen, gewiß zu werden: „ S o ihr meine Gebote haltet, so
bleibet ihr in meiller Liebe, gleichwie ich meines Vaters Gebote halte, und
bleibe in seiner Liebe."
Abraham hatte auch eiue vollere Verheißung i n bezug auf den
S a m e n . Von zehn Verheißungen, die Abraham empfing, gehen die erstell
hauptsächlich auf das Land, aber die letzten beziehen sich nur auf den Samen.
Je mehr wir deni Willen des Herrn uns hingeben, desto mehr kommen wir
dahin, Christum zu lieben und zu schätzen, I h n besser zu sehen und zu verstehen.
Und zu allerletzt, Gott sprach über Abrahams Haupt einen Segen
aus, dessen gleichen nie einem Menschen vorher gegeben war, und wie? wenn
ich sagte, daß nie einem einzelnen im Verlauf aller Zeiten, bestimmt uud persön-
lich, ein solcher Segen gegeben worden ist, wie Abraham an diesem Tage
empfing! Voran in der Prüfung, ist er auch vorau im Segen; voran in der
Treue gegen Gott, steht er auch vorau in den süßen Belohnungen, welche die
Treue stets erhält. Brüder und Schwestern, laßt uns Gott bitten, uns gleich
Abraham zu seiuen wahren Kindern zu machen, damit wir solchen Lohn ge«
winnen, wie er ihn erhielt; möge Er uns helfen, I h m heute morgen in
uusrem Herzen alles zu übergebe!,, was wir haben, die liebsten Gegenstände
uusrer Zuueiguug. Mögen wir durch den Glauben heute alles auf deu
Altar lege» und willig sein, es aufzugeben, wenn der Herr es will. Mögen
wir hellte den Geist des vollkommenen Glaubens fühlen, gewiß, daß Gottes Ver-
heißungen gehalten werden müssen, ob auch äußere Unistände und sogar unsre
eignen inneren Empsinduugeu dein sichern Worte Gottes zu widersprechen scheinen.
Laßt uus streben, die Realität des Glanbenslebens zu empfinden. Mögen
wir Gott in derselben buchstäblichen Weise glauben, wie unsren Freunden —
nur in einer noch höhern und gewisser« A r t ; laßt uns voll heute an Gott so
92 Altlestamentliche Bilder.

glauben, daß wir niemals eine Frage nach den Folgen thun, sobald wir die
Überzeugung von unsrer Pflicht haben. Mögen wir niemals stille stehen, zu
fragen, ob dies uns reich oder arm machen wird, geehrt oder verachtet, ob
dies uns Frieden oder Angst bringt, sondern vorwärts, immer vorwärts,
als wenn Gott uns von dem ewigen Bogen geschossen hätte, laßt uns
immer geradeaus gehen in der vollen Überzeugung, daß, wenn auch zeitweilig
Dunkelheit da ist, sie doch in ewigem Lichte enden muß. Wenn gegenwärtig
Verlust da ist, so muß er in ewigen Gewinn sich wandeln. Laßt uns uuser
Siegel darauf drücken, daß Gott wahrhaftig ist, daß Lohn für die Gerechten
und wahrer Friede für die Gehorsamen ist, und daß es am Ende unser höchster
Gewinn sein muß, Gott zu dienen, wenn anch dieser Dienst für jetzt schmerz»
hnfteu Verlust mit sich bringt. O, daß in diesen« Hause ein Geschlecht von
Gläubigen herangebildet würde, das viel ertragen kann, viel Hartes, aber keine
Sünde ertragen kann.
Möget ihr, meine Brüder, eurer Überzeugung gehorchen, so beständig
wie die Körper dem Gesetz der Schwere gehorchen, uud mögt ihr uie eure
Erstgeburt für das eleude Linsengericht der Welt verkaufen. Könnte dieses
Haus voll solcher Männer und Frauen werden, so würde London unter dem
Fußtritt nnsres Heeres erbeben, dieser ganze Staat würde wahrnehmen, daß
eine neue Macht in del» Lande aufgekommen sei, Wahrheit und Gerechtigkeit
würden ihr Horn erhöhen, und dann würde Betrug im Handel, und Gier
nach Gold, und jesuitisches Verdrehen der Worte, dieses Kokettieren mit der
papistischen Hure ein für allemal ein Ende haben. O, daß die Fahne der
Wahrheit uud Gerechtigkeit vou eiuer tavfern Schar entfaltet würde, denn
dieses Banner wird am Tage des letzten Triumphs wehen, wenn die Fähnlein
der Erde in Blut gewälzt sein werden. Möge unser Gott uns so segnen, und
alle Enden der Erde sollen I h n fürchten. Der Herr mache uns zu treuen
Männern, wie Abraham, treu, weil gläubig, und möge Er uns helfen, unser
alles zu opfern, wenn es sein muß, um Jesu willen. Amen.
Gedenket an des Lots Weil,. 93

7.
Gedenket an des Lots Weib.
„Gedenket an des Lots Weib." Lk. 17. 32.

(3s war der Ratschluß Gottes, immer ein Zeugnis für Wahrheit und
Gerechtigkeit inmitten dieser ungöttlichen Welt aufrecht zu halten. Zu diesem
Ende sonderte Er sich vor alters eine Familie aus, mit der Er Gemeinschaft
hatte. Abraham war der Mann, den Gott erwählte, daß in ihm und seinem
Hause das Zeugnis bewahrt bleibe. Diese erwählte Familie ward berufen,
von ihren Vorfahren getrennt und abgesondert, um vilgerud im Lande Kanaan
zu weilen. Sie sollte nicht in die Städte gehen und sich nicht mit andren
Nassen vermischen, sondern als ein besonderer Stamm in Zelten wohnen, auf
daß nicht ihr Charakter besteckt und ihr Zeugnis stumm werden möge. Es war
des Herrn Absicht, daß das Volk „besonders wohnen und nicht unter die Heiden
gerechnet werden" sollte. Als Abraham berufen ward, gehorchte er und ging
aus, und wußte uicht, wo er hiukäme. Sein abgesondertes Leben war eine
große Übung für seinen Glauben und stärkte diesen so, daß er zu eiuer
ruhigeu, unerschütterlichen Sicherheit wurde; und dies machte ihn fähig, sich
eines ruhigeu, erhabenen, glücklichen Lebens zu erfreue», von Gott allein ab»
hängig, ebenso hoch über, als getrennt von den Menschen. M i t ihm war sein
Neffe Lot, der auch Haran auf den göttlichen Ruf verließ und mit dein
Patriarchen auf feiuen Wauderungen in Kanaan und in Ägypten war. Er war
kein Mann von so edlem Gemüt, aber er wurde sehr beeinflußt durch die
stärkere Seele seines Oheims Abraham. Er war ohne Zweifel aufrichtig und
wird mit Recht der gerechte Lot genannt, aber er eignete sich mehr zu eiuem
Nachfolger, als zu einem Führer. Er wohnte auch iu Zelten uud führte das
abgesonderte Leben, bis es notwendig für ihn wurde, eiu uuabhängiger
Häuptling zu werden, weil die Schaf« und Rinderherden der beiden Familien
sich so vermehrt hatten, daß sie nicht wohl zusammen gehalten werden konnten.
Da trat die schwächere Seite in Lots Charakter hervor. Er ließ nicht Abraham
die Wahl der Schafweide, sondern wie alle schwache Naturen zog er selbst-
94 Alttestamentliche Bilder.

süchtig seinen eignen Vorteil zu Nate, und entschloß sich, in die Gegend am
Jordan zn gehen, wo wasserreiche Weiden im Überfluß waren. Dies führte
dazu, daß er nahe bei den Städten an der Ebene wohnte, wo das Ver-
brechen den äußerNeu Punkt entsetzlicher Elitartung erreicht hatte. W i r lesen
daß er „seine Hütten gen Sodom setzte;" er fand es bequem, nahe bei au«
sässigen Leuteu zu wohueu, und freundschaftliche Verbiudungen einzugehen,
obgleich er gewußt haben muß, wie die Männer von Sodom waren, denn das
Geschrei von ihren Sünden war weit und breit erschollen. So begann er,
den abgesonderten Pfad zu verlassen. Nach einer Weile ging er weiter, denn
ein Schritt führt zum andren. Er liebte die Gemächlichkeit und deshalb gab
er das Zeltleben mit feinen vielen Unbeqllelnlichkeiten auf, und ging hin, bei
den Stadtleuten von Sodom zu leben: etwas, worüber man sich ebenso sehr
wundern, als es beklagen muß. Er hörte nicht auf, eiu guter Mann zu sein,
aber er hörte auf, ein treuer Zeuge seines Gottes zu sein; und Abraham
scheint ihn von dem Tage an ganz und gar aufgegeben zu haben, denn wir
finden, daß der edle Patriarch den Herrn nach feinem Erben fragt und spricht:
„Herr, Herr was willst D u mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder; uud
mein Hansvogt, dieser Elieser von Damaskns, hat einen Sohn." Und der
Herr sprach: „ E r soll nicht dein Erbe sein." Nun, diese Frage wäre un>
nötig gewesen, wenn Lot noch zu dem erwählten Samen gerechnet worden
wäre, denn voll Natur war Lot der Erbe Abrahams, aber er verwirkte diese
Stellung und gab seinen Anteil an dem Erbe des erwählten Hauses auf,
dadurch, daß er das abgesonderte Leben verließ. Lot, obwohl er ill Sodom
wohnte, war dort nicht glücklich, uud wurde auch uicht so verderbt, daß er
Vergnügen an der Gottlosigkeit des Volkes hatte. Petrus sagt: „Gott hat
den gerechten Lot erlöset, welchem die schädlichen Lente alles Leid thaten mit
ihrem unzüchtigen Wandel." Er versuchte, seinen Protest einzulegen an diesem
Orte, und das schlug ihm ganz und gar fehl, ivie das bei allen der Fall sein
mllß, die ihm nachahmen. Sein Zeugnis für Reinheit wäre viel mächtiger
gewesen, wenn er sich voll ihnen fern gehalten hätte, denn dies ist der Protest,
den Gott von uns verlangt, wenn Er sagt: „Gehet aus von ihnen, sondert
euch ab."
I n der Mitte der Welt, welche im Argen liegt, lebte Lot weiter, nicht
ohne geistlich sehr zu sinken, bis die Könige kamen und ihn gefangen fortführten.
Dann wurde er durch die Dazwischenkunft Abrahams ans der Gefangenschaft,
die ihm drohte, befreit und zurückgebracht. Dies war eine ernste Mahnung,
und man hätte gedacht, Lot würde gesagt haben: „Ich will zu Abrahams
Lebensweise zurückkehren, ich will wieder ein Pilger mit Gott werden. Sodoms
Mauern ohne Gott sind weit weniger sicher, als ein leichtes Zelt, wenn Gott
eine feurige Maller darum her ist." Sein Leidwefen über den Wandel der
Gedenket an des Lots Weib. 95

ausschweifenden Städter hätte ihm Sehnsucht erwecken sollen nach der frischen
Luft des wilden Landes: aber nicht so, er läßt sich wiederum in Sodom
nieder, und vergißt die heilige Gemeinde, die sich uni das Zelt Abrahams
lagert. D a er immer noch ein Mann Gottes war, konnte es ihm nicht ver-
stattet werden, in solcher Gesellschaft zu sterben: es war nicht zu dnlden,
daß der „gerechte Lot" seine Gebeine in den Vegräbnisort des schmutzigen
Sodoms legen sollte. Wenn Gott einen Menschen erretten will, muß Er ihu
aus der Welt herausholen; er kann nicht ein An- und Zugehöriger einer
gottlosen Welt bleiben uud doch Gottes Erwählter sein, denn des Herrn eignes
Wort zu dem Feind an der Pforte Edens ist dies: „Ich will Feindschaft
setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen."
Sprach Er nicht auch zu Pharao: „Ich will eine Scheiduug setzen zwischen
meinem Volk und deinem Volk." (2 Mose 8, 23.) Der Herr wird eher die
ganze Stadt niederbrennen, als Lot fortfahren lassen, sich mit ihren Ver-
brechen zu vergesellschaften und durch ihren bösen Einfluß herabgezogen zu
werden. Und so geschah es, daß Lot gezwungen ward, herauszugeheu; er
ward so in die Enge getrieben, daß er entweder eilen mußte, sein Leben zu
retten oder in dem allgemeiuen Brande umkommen. Ein Glück wäre es für
ihn gewesen, wenn er die ganze Zeit über in der heiligen Abgeschlossenheit
Abrahams gelebt hätte; er würde dann weder das Erbe für seiueu Samen
verloren haben, noch unter einer dunkeln, befleckenden Wolke dahingeschwunden
sein, uud hätte auch seinen Platz unter den Glaubenshelden nicht eingebüßt,
von denen Paulus i u dem bekaunten Kapitel an die Hebräer schreibt: „Diese
alle sind gestorben im Glauben, und haben die Verheißung nicht empfangen,
sondern sie von ferne gesehen und sich der vertröstet, uud wohl begnügen
lassen, und bekannt, daß sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind."
Hier muß ich innehalten, sonst werdet ihr denken, daß ich meinen Text
falsch gelesen habe und über die Worte predige: „Gedenket an Lot," und in
der That, es könnte nützlich sei», wenn ich es thäte, denn die Geschichte Lots
enthält viel Waruung. Weuu christliche Männer so unweise sind, sich der
Welt gleichzustellen, obsieauch ihren christlichen Charakter in einigem Maße
aufrecht halten, werden sie doch durch die weltliche Verbiudung nichts ge>
winnen, als Leidwesen über den Wandel der Ungöttlichen, und an ihrer
eignen Seele werden sie- viel verlieren: ihr Charakter wird verdunkelt, ihre
ganze Geftihlsweise niedriger und sie selber werden elendiglich schwach uud un<
glücklich werden. Gleichstellung mit der Welt wird sicher früher oder später
schlecht enden: für den Mann selbst ist sie schädlich, und für seine Familie ist
sie verderblich.
Aber der Text sagt: „Gedenket an Lots W e i b , " uud deshalb muß ich
den Mann fahren lassen und eure Aufmerksamkeit auf die lenken, welche, in
96 Alttestamentliche Bilder.

diesem Falle, seine „schlechtere Hälfte" ist. Als die Zeit zur Trennung kam,
konnte Lots Weib sich nicht von der Welt losreißen. Sie war immer in ihr
gewesen und hatte sie geliebt, und Freude daran gehabt; und obgleich mit
einem frommen Mann verbunden, verriet sie doch, als die Zeit zur Entscheidung
kam, ihren wahren Charakter. Fliehen, ohne auch uur zurück zu blickeu, ward
von ihr verlaugt, aber dies war zu viel; sie sah zurück, und bewies dadurch,
daß sie genug Vermessenheit in ihrem Herzen hatte, Gottes Gebot zu trotzen,
und ihr Alles zu wagen, um einen zögernden Liebcsblick auf die verurteilte
uud schuldige Welt zu werfen. Durch diesen Blick kam sie um. Das ist das
Thema unsrer Rede. Die Liebe der Welt ist Tod. Die, welche an der Sünde
hängen, müssen umkommen, wer sie auch sein mögen.
Unterlaßt nicht, den Zusammenhang des Textes zu beachteu, deun darin
befiehlt unser Herz uns, die Welt lose in der Hand zu halten, und immer
bereit zu sein, sie ganz aufzugeben. Wenn wir dazu berufen werden, follen
wir bereit sein, auszugehen ohne das Geringste in unsrer Hand. „ A n dem»
selben Tage, wer auf dein Dache ist, uud sein Hausrat in dem Hause, der
steige nicht hernieder, dasselbe zu holen. Desselben gleichen, wer auf dein
Felde ist, der wende nicht um uach dem, das hinter ihm ist." Das Leben
selbst sollten sie nicht teuer achten, sondern bereit sein, es um seinetwillen hin-
zugeben; denn Er sprach: „Wer da suchet, seine Seele zu erhalten, der wird
sie verlieren; uud wer sie verlieren wird, der wird ihr zum Leben helfen."
Von der Welt, ihren Besitzungen, ihren Grundsätzen, ihren Beweggründen gc<
schieden sein, ist das Zeichen eines Jüngers Christi, und um das Gefühl des
Abgesondertseins unter seinen Nachfolgern aufrecht zu halten, hieß unser Herr
sie an Lots Weib gedenken. Sie soll uns allen eine Warnung sein, deun
Gott will mit uns handeln, wie mit ihr, wenn wir sündigen, wie sie es that.
„Was ist es, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen w i r d " : wenn
uusre Herzen an der Welt kleben, so sollen wir mit der Welt umkommen;
wenn unsre Wünsche und Freuden nach der Seite hingehen und wir unsren
Trost in ihr finden, so sollen wir unsre ganze Habe uerzehrt sehen und follen
selbst mit ihr verzehrt werden, am Tage des Zornes Gottes. Absonderung ist
die einzige Art des Eutrinuens. W i r müssen die Welt fliehen, oder mit ihr
umkommen. „Weichet, weichet, ziehet aus, von dannen, nnd rühret kein Un«
reines a n ; gehet aus vou ihr, reiuiget euch/die ihr des Herrn Geräte tragt."

I.
„Gedenket an Lots Weib": und unser erster Ruf soll sein: G e d e n k e t
d a v l M , daß sie ^ o t s W e i b w a r . Sie war das Weib eiues Maunes,
der mit all seinen Fehlern doch ein gerechter Mann war. Sie war m i t ihm
durch das engste, n u r mögliche B a n d v e r e i n t , und doch kam sie um.
Gedenket an des Lots Weib. 97

Sie hatte nnt dein heiligen Abraham in Zelten gewohnt, und schien an allen
Vorrechten des abgesonderten Volkes teil zu haben, und doch kam sie um.
Sie war einem teuer, der dem Vater der Gläubigen teuer gewesen war, uud
dennoch kam sie in ihrer Sünde um. Diesen Warnungston möchten wir sehr
laut anschlagen, denn, alltäglich wie die Wahrheit ist, muß sie doch oft wieder-
holt werden, daß Vande des Mutes keine Bürgschaften der Gnade sind. D u
kannst das Weib des heiligsten Mannes Gottes und doch eine Tochter Velials
sein; du kannst der Gatte einer der Töchter des Königs, und doch selbst ein
Verworfener sein. D u kannst das Kind eines Propheten sein, und doch mag
der Fluch des Propheten Gottes auf dich falleu; du kannst der Vater einer
sehr frommen Familie, und doch ein Fremdling in dein Reiche Israels sein.
Es ist nicht möglich, daß irgend eine irdische Verwandtschaft uns helfen kann,
wenn wir persönlich des geistlichen Lebens ermangeln. Unsre erste Geburt
Nützt uus nichts für das Reich Gottes, denn was vom Fleische geboren ist,
auch wo es am besten, ist Fleisch, und geneigt zur Sünde, und wird sicherlich
verderben. W i r müssen wiedergeboren werden, denn nur die ueue Geburt, die
vom Geiste und von oben ist, wird uus in die Vande des Vuudes bringen.
O, ihr Kinder gottcsfürchtiger Eltern, ich bitte euch, sehet zu, daß ihr nicht
von eurer Mutter Seite hinab in die Hölle getrieben werdet. O, ihr Ver°
wandte derer, die von Gott begnadigt sind, ich bitte euch, sehet zu, daß ihr
nicht sterbet, den Himmel in Sicht, trotz aller euch gewährten Vorteile. I n
dieser Sache gedenket an Lols Weib.
Denket daran, daß sie, da sie Lots Weib war, seit ihrer Heirat m i t
Lot seine Reisen, Geschicke uud Leiden geteilt hatte. Wir können
nicht geuau sage», wann sie Lots Weib wurde, aber wir siud geneigt, zu
glauben, daß es war, nachdem er Haran verlassen hatte, denn als Abraham
Harau verließ, lesen wir, daß er „sein Weib Sarai und Lot, seines Bruders
Sohu," nahm, aber wir lesen nichts von Lots Weib. Der Name von Abrahams
Weib wird genannt, aber von Lots Weib wird gar nichts erwähnt. Weiter
lesen wiri „Also zog Abraham herauf aus Ägypten, mit seinem Weibe, und
mit allem, das er hatte, und Lot auch mit ihm, gegen den Mittag." „Lot
aber, der mit Abraham zog, der hatte auch Schafe und Rinder uud Hütten,"
aber davon, daß er ein Weib gehabt, wird nichts gesagt. Sie muß eine
Person von sehr wenig Bedeutung gewesen sei»,, denn sogar da, wo es gewiß
ist, daß Lot verheiratet war, damals, als er gefangen genommen und nachher
von Abraham befreit wurde, ist alles, was wir finden: „Und Abraham brachte
alle Habe wieder, dazu auch Lot, seinen Bruder, mit seiner Habe, auch die
Weiber und das Volk." W i r nehmen an, daß Lots Weib unter dem Wort
„die Weiber" mit einbegriffen ist. Nun spricht der Heilige Geist nie von guten
Weibern nnt Geringschätzung: in Verbindung mit ihren Männern werden sie
S p u r g e o n . Alttestamentliche Bilder. 7
98 Alttestamentliche Bilder.

gewöhnlich mit Ehren genannt, und in diesem, ersten Buch Moses ist dies ganz
besonders der Fall. Sara und Nebekka und Nahel haben jede ein ehrenvolles
Denkmal, und da Lots Weib nicht erwähnt wird, mögen wir daraus schließen,
daß sie der Erwähnuug nicht wert war. Sie konnte kaum eine Einwohnerin
von Sodom gewesen sein, wie die jüdische Überlieferung behauptet, wenn sie
nicht, wie diese sagt, eine Witwe war und die erwähnten Töchter aus einer
früheren Ehe stammten, denn bei der Zerstörung Sodoms hatte Lot heirats-
fähige Töchter, und es scheint kaum, als wenn er viele Jahre von Abraham
entfernt gewesen. Zwar mögen die Weiber von Sodom in früheren! Alter
geheiratet haben, als dies bei der Familie Abrahams der Fall war, und wenn
das, so mag Lots Weib aus Sodom gebürtig gewesell sein, denn möglich ist
es, daß er da zwanzig Jahre lang wohnte. Wahrscheinlicher indes ist es, daß
Lot entweder in Kanaan oder in Ägypten eine Kananiterin oder Ägypterin
heiratete, eine Person, die ganz unwürdig war, in die heilige Familie mit auf-
genommen zu werden, und daß deshalb die Heirat nicht berichtet ist. Es war
die Sitte dieser erwählten und abgesonderten Familie, wie ihr wißt, nach
Mesopotamien zurückzusenden, um dort eine Tochter aus demselben Hause zu
holen, damit der reine Stamm bewahrt bleiben und keine Verbindung mit den
Heiden sein möge. Es war Abrahams Wnnsch für Isaak, und er gab seinem
Hausvogt den Auftrag, ihn auszuführen, indem er sprach: „Schwöre mir bei
dem Herrn, dem Gott des Himmels und der Erde, daß du meiuem Sohne kein
Weib nehmest von den Töchtern der Kananiter, unter welchen ich wohne;
sondern daß dn ziehest in mein Vaterland und zu meiner Freundschaft, und
nehmest meinem Sohne Isaak ein Weib." Das war auch Isnaks Wunsch für
Jakob, denn wir lesen: „ D a rief Isaak seinen Sohn Jakob, und segnete ihn,
und sprach zu ihm: „Nimm nicht ein Weib von den Töchtern Kanaans,
sondern mache dich ans, und ziehe in Mesopotamien zu Vethuels, deiner
Mutter Vaters Hans, und nimm dir ein Weib daselbst von den Töchtern
Labans, deiner Mutter Bruders." Es scheint mir, daß Lot ein heidnisches
Weib geheiratet hatte, und deshalb ihr Name ausgelassen ist. Ob es so war
oder nicht, gewiß ist es, daß sie mit Lot die Eroberung der Stadt Sodom er-
lebt hatte; sie hatte das unbarmherzige Schwert die Einwohner erschlagen sehen,
und sie selbst war mit ihrem Manne unter den Gefangenen gewesell und durch
das gute Schwert Abrahams befreit worden. So hatte sie an ihres Mannes
Leiden und Errettungen teilgenommen, und doch ging sie verloren. Es wird eine
traurige, traurige Sache seiu, wenn eine ewige Scheidung zwischen denen eintritt,
die durch das Band der Ehe verbunden sind: daß wir zusammen leben und zu-
sammen arbeiten und zusammen leiden, und durch Gottes Vorsehung manches M a l
zusammen voll Not befreit werden, und uusre Kinder zusammen aufwachsen sehen,
und dennoch zuletzt voneinander gerissen werden sollten, um niemals wieder
Gedenket au des Lots Weib. 99

zusammen zu kommen, das ist etwas, das wir nicht auszudenken wagen. Zittert,
ihr, deren Liebe nicht in Christo ist, denn eure Vereinigung wird ein Ende
haben. Was sagt der Heiland? „Ich sage euch, in derselben Nacht werden
zwei auf einem Vette liegen; einer wird angenommen, der andre wird ver»
lassen werden. Zwei werden' mahlen miteinander; eine wird angenommen,
die andre wird verlassen werden. Zwei werden auf dem Felde sein; einer wird
angenommen, der andre wird verlassen werden." Es macht nichts aus, wie
enge die Verbindung, der Ungläubige muß von dem lebendigen Kinde Gottes
geschieden werden. Wenn du an der Welt hängst und deinen Vlick darauf
zurück wirfst, so mußt du in deiner Sünde sterben, wenn du auch mit den
Kindern Gottes gegessen und getrunken hast uud in so naher Verwandtschaft
zu ihnen gestanden, wie das Weib zum Manne oder das Kind zum Vater.
Dies macht die Erinnerung an Lots Weib zu einer sehr ernsten Sache für die,
welche durch Bande der Verwandtschaft mit dem Volk Gottes verbunden sind.
Lots Weib hatte auch an ihres M a n n e s Vorrechten teil«
genommen. I h r Mann hatte nicht seine Vergesellschaftung mit Abraham
vergessen, und konnte nicht unterlassen haben, seiue Erkenntnis ihr mitzuteilen.
Der eine Gott ward verehrt, uud Lots Weib war zugegeu. Sie wußte von
dem gnädigen Bund, den Gott mit seinem abgesonderten Volk gemacht hatte,
und sie wußte, daß ihr Mann einer von der Familie war. Sie hatte sich
scheinbar dein erwählten Volke Gottes angeschlossen, obwohl ihr Herz nicht
dabei war, und sie vereinte sich mit ihnen in geweihtem Gesang und heiligem
Gebet. Sie sah die tägliche Sorge, die Gott für sein Volk bewies, und die
Freude, die Abraham hatte, indem er unter dem Schatten des Allmächtigen
wohnte. Sogar i n Sodom hielt ihr Mann so viel Absonderung aufrecht, wie
er es an einem so bösen Ort konnte, und sie sah, wie gut er mit all seinen
Irrtümern doch war. Als Eodom zerstört werden sollte, kamen die Engel zu
ihrem Haufe, und sie selbst half sie bewirten. Sie empfing ebensowohl wie
ihr Mann die gnadenvolle Warnung, zu entrinnen, und sie ward ebensosehr
wie er angetrieben, dein so nahen Zorn zu entfliehen. So ist es mit vielen
von euch, die alle christlichen Vorrechte genießen und doch nicht errettet sind.
I h r kommt zum Tische des Herrn uud eßt und trinkt von den Denkzeichen
seines Leibes und Blutes, und dennoch bleibt ihr uuerrcttet. I h r scheint zur
Kirche Gottes zu gehören, und wenn dort irgend ein Vorrecht oder ein Vor>
teil ist, so wird euch ein Anteil davon gegeben, wenn irgend eine Gemeinschaft
dort ist, seid ihr nicht ausgeschlossen, wenn irgend eine Freude da ist, so wird
sie euch nicht versagt. I h r werdet am letzten Ende sagen müssen: „Herr,
Herr, wir haben vor D i r gegessen und getrunken, und auf den Gassen hast
Du uns gelehret," und o, wie elend wird es sein, I h n sagen zu hören: „Ich
kenne euch nicht; weichet alle von mir, ihr Übelthäter." Es muß so sein,
7*
100 Alttestamentttche Bilder.

wenn eure Seele an der Sünde hängt, und ihr einen sehnlichen Blick auf die
nngöttliche Welt werft. Es muß fo fein, wenn ihr einen Beweis wollt, so
„gedenkt an Lots Weib."
Lots Weib hatte t e i l gehabt an ihres M a n n e s I r r t ü m e r n . Es
war ein großer I r r t u m von seiner Seite, das äußerlich abgesonderte Leben zu
verlassen, aber sie war darin mit ihm gegangen, und war vielleicht die Ursache,
daß er es that. Ich vermute, daß er dachte, er könne geistlich über der Welt
leben und doch sich unter ihre Anhänger mischen, ebenso wie manche jetzt
denken, die sich in ungöttliche Gesellschaft begeben, und doch hoffen, im Geist
mit Gott zu wandeln. Er sagte zu sich selbst: „Es ist sehr unbequem, allein
in dieser öden Wüste zu wandern nnd in diesen Zelten stets hier- und da zu
wohnen, ich wollte, ich hätte einen festern Wohnsitz und könnte auf friedlichem
Fuße mit denen um mich her verkehren." Er hörte auf, „auf eine Stadt zu
warten, die einen Grund hat, welcher Baumeister und Schöpfer Gott ist," und
wollte hienieden Bürgerrecht erwerben. Mich sollte es nicht wundern, wenn
sein Weib ihn hierin beeinflußt hätte. Er war ein Mann von schwachem
Gemüt; so lange sein Oheim ihn unter seinen Flügeln hatte, war er gut
geuug, ausgenommen, daß er selbst da das hatte, was ein Schriftsteller eine
„Anlehne-Religion" nennt; er konnte nicht allein stehen, sondern lehnte sich an
Abraham an. Als er verheiratet war, ist es wahrscheinlich, daß seine Frau
das Regiment in die Hände bekam und den Weg seines Lebens leitete. Sie
begann zu denken, es sei schade, daß die Familie in solcher Abgeschlossenheit
lebte, so wenig nach der Mode, so strenge und eigentümlich n. s. w. Sie
schüttelte den Kopf nnd rief: „Wirklich, man muß in der Gesellschaft leben
und nicht so altmodische, engherzige Sitten aufrecht halten. Man kann ebenso«
wohl tot sein, als vom Leben ausgeschlossen." Als ihr Mann eine Gelegenheit
hatte, von dieser strengen Lebensart loszukommen, da er seinen Oheim verließ,
sagte sie, sie möchte gern nach der Gegend von Sodom ziehen, weil es schön
für die Töchter wäre, und ihnen eine Probe von etwas Liberalem und Ge-
bildetem geben würde. Die alte Lebensweise sei sehr gut für ein so altertüm-
liches Paar, wie Abraham uud Sara, aber Lot und sie selber gehörten einer
jüngern Generation an, und es wäre ihre Pflicht, etwas Umgang zu suchen
und passende Partien für ihre Töchter zn finden. Es würde gut für sie sein,
wenn sie lernten, sich besser zu kleiden, als sie dies könnten, »renn sie immer
herumstreiften wie Zigeuner. Abraham und die Seinen kümmerten sich ja
gar nicht um die Moden und wären eine sehr vulgäre Art von Hirten, die
keine Idee von Bildung und Schliff hätten, und es wäre schade, daß Leute
von Lots Lebensstellung immer mit bloßen Schafscherern, Ochsentreibern u. dergl.
verkehren sollten. Wenn sie nach Sodom zögen, so würden da hübsche Gesell»
schaften, Tänze und derartige Dinge sein. Zwar wären die Leute da leicht«
Gedenket an des Lots Weib. 101

sinnig und etwas locker; sie gingen zu Spielen, wo die Sittsamkeit verletzt
würde, und scharten sich bewundernd um Künstler, deren Leben offenkundig
liederlich fei; aber man müßte doch die Mode mitmachen und bei vielem ein
Auge zudrücken; man könnte nicht erwarten, daß alle Leute Heilige seien, und
ohne Zweifel hätten sie auch ihre guten Seiten. Durch dergleichen Reden
gewann Frau Lot ihren Mann für ihre Meinung. Sie beabsichtigten nicht
gerade in die schlechteste Gesellschaft Sodoms zu gehen, fondern wollten eine
sorgfältige Auswahl treffen und nur ein klein wenig mitmachen. Sicher konnte
Ulan erwarten, daß sie wissen würden, wo sie inneznhalten hätten. So schlugen
sie ihr Zelt gen Sodom auf, von wo die Stadt leicht zu erreiche» war, eiu
wenig abgesondert, aber nicht viel. Wenn irgend etwas vorfiel, was sehr
schlecht sei, könnten sie fortziehen, uud es wäre kein Schaden gethan; aber bis
sie den Schaden gesehen, liebten sie die Nachbarschaft und die Sitte der Städter.
Es fei ohne Zweifel weife, sagten sie, nach Sodom zu gehen und die Leute
kennen zu lernen, denn es würde lächerlich sein, zu verurteilen, wassienicht
gesehen hätten; sie wollten es deshalb versuchen, und den jungen Leuten einen
Begriff davon geben, was die Welt sei. Sehr süß wurde ihnen das Stadt-
leben. Die freien und leichten Manieren Sodoms waren ihnen angenehm.
Nicht der grobe Teil von dein Leben ill Sodom, den konnte Lot nicht er-
tragen, und auch Frau Lot fühlte sich dabei mitunter ungemütlich, aber der
liberale Geist, das feine, freie Benehmen der Leute, ihre Heiterkeit und ihre
.künstlerische Kultur, die waren ganz nach ihrem Sinn, und so war sie recht
froh, als ihr Mann das alte Zelt abbrach, die Schafe verkanfte und als ein
vom Geschäft zurückgezogener Viehzüchter im vornehmen Stadtviertel sich
niederließ.
Ich glaube uicht in der Vermutuug zu irren, daß Frau Lots Einfluß
ihren Mann dorthin brachte, dann ihn in die besten Familien eiuführte, und
Bewerber für die Töchter, die völlig die freien Ideen des Ortes eingesogen
hatten, zu finden wußte. Jedenfalls, was auch feine Fehler waren, sie nahm
daran teil: sie war mit ihm, als er die Ebene des Jordans wählte, mit ihm,
als er sein Zelt gen Sodom fetzte, mit ihm, als er sich ganz in Sodom nieder-
ließ, und ich könnte fast hoffen, mit ihm, wenn er gegen die schändlichsten
Sünden Protest erhob, so gut er es vermochte, — aber gewiß mit ihm in
dein Aufgeben der Strenge und Genauigkeit des abgesonderten Lebens.
Dennoch ward sie znlctzt auf ewig von ihm getrennt; denn feine Irrtümer
zerstörten trotz des fchwercn Schadens, den sie ihm thaten, doch nicht gänzlich
das Leben Gottes in seiner Seele; sie indes hatte niemals geistliches Leben,
und null, da sie berufen wird, Sodom zu verlassen, zeigt sie ihre Liebe für
dasselbe durch bestimmten Ungehorsmn gegen Gott und ein offenes Sichwenden
zu der verurteilten Stadt, und fo kommt sie um. O ihr, die ihr Christen
1s)2 Alttestamentliche Bilder.

seid, weil eure Freunde Christen sind, ihr, die ihr euch mit uns verbindet,
weil es zufällig die Weise ist, in der ihr auferzogen seid, die Zeit wird
kommen, wo die geheime Anhänglichkeit eures Herzens an eine leichtfertige
Welt sich sehr klar zeigen wird, und in einem verhängnisvollen Moment
werdet ihr einen Liebesblick auf die Sünde werfen, der beweisen wird, daß
ihr nicht zum Volke Gottes gehört. Danu wird euch geschehen nach dem
Wort des Apostels: „Es wäre ihnen besser, daß sie den Weg der Gerechtig'
keit nicht erkannt hätten, denn daß sie ihn erkennen und sich kehren von dem
heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist."

Und mm, zweitens: „Gedenket all Lots Weib," und erinnert euch, daß
sie a u f d e m W e g e z u r E r r e t t u n g eine Strecke g i n g . Frau Lot
glaubte an die Votschaft von der Zerstörung der Stadt so weit, daß sie auf»
geschreckt ward. Sie stand frühe auf, wie ihr Mann es that, und sie bereitete
sich, das Haus zu verlassen. Sie lief die Straßen hinab, sie eilte durch das
Stadtthor, sie erreichte die offene Ebene mit ihrem Manne. Sie war eine
Zeitlang willig, mit ihm zu fliehen und seinem Beispiel zu folgen; sie that es
bis zu einer beträchtlichen Entfernung, bis sie begann, darüber nachzudenken,
was sie that, und zu erwägen, was sie verließ, und dann wurde ihr Schritt
langsamer und sie blieb etwas zurück. Gedenkt also daran, daß sie einen
Teil des Weges zum sicheren Vergungsort ging, und daß sie doch umkam: und
so mögen viele einen Teil des Weges zu Christo hingehen, und eine Strecke
ails der Welt hinaus, aber wenn ihr Herz immer noch bei den« Ungöttlichen
weilt, so werden sie umkommen trotz alles dessen. Es ist ein sehr ernster Ge-
danke da, und das ist dieser, daß eines Ellgels Hand ihre Hand ergriffen hatte.
Als sie sprachen: „Mache dich auf," und Lot, verzog, — ergrissen die Männer
ihn und sein Weib bei der Hand. So wird ausdrücklich gesagt. Eines Engels
Hand hatte ihr Handgelenk gepreßt, um sie fort, in Sicherheit zu ziehen, und
sie war unter diesem heiligen Zwang eine kleine Strecke gegangen; und dennoch
kam sie llnl. Bei einigen uon euch mag Herz und Gewissen geistlich angefaßt
worden sein, und ihr werdet dies niemals ganz vergessen können, und die
Verantwortlichkeit dafür wird auf euch ruheu bleibell, ob ihr auch von der
Gottseligkeit abgewichen seid, und eller Herz nach Eitelkeit schreit und nach
seinen Götzen gelüstet.
Dieses Weib war thatsächlich alls Sodom heraus, und sie war beinahe in
Zoar, der Zufluchtsstätte, und dennoch kam sie um. Wie nahe sie der kleinen
Freistadt war, kann ich nicht sagen, aber sie war sicherlich beinahe da, und
dennoch kam sie um. V e i u a h e errettet, aber uicht gauz. Laßt mich
diese Worte wiederholen, denn sie beschreiben einige von euch, die zu dieser
Gedenket an des Lots Weib. 103

Stunde gegenwärtig sind, und sie können eure Grabschrift werden, wenn ihr
nicht acht habt auf das, was ihr Hut: „Beinahe errettet, aber nicht
ganz." Der schändlichsten Form der Sünde entflohen, aber nicht wahrhaft
in Christo; das Herz nicht von feinen Götzen entwöhnt, die Missethat nicht
im Innern aufgegeben, obgleich vielleicht im äußern Thun. O, ihr, die ihr
beinahe errettet seid, aber nicht ganz, „Gedenket an Lots Weib."

III.
Dies bringt mich zu einem dritten Punkt des Gedankens, der dieser ist:
gedenkt daran, daß, obwohl sie eine Strecke Wegs ging, um zu entfliehen,
sie doch thatsiichlich durch Annde umkam. Die erste Sünde, die sie
beging, war, daß sie etwas zurückblieb. Mose sagt uns: „Lots Weib
hinter ihm sah zurück." (1 Mose 18, 26 engl. Üb.) Der gute alte Mann
eilte, so sehr er konnte; aber sie, obgleich sie zuerst an seiner Seite gelaufen
war, blieb hinten zurück — ich denke mir, der eine Ellgel hatte den einen
an der rechten und die andre an der linken Hand, während der andre Engel
die zwei Töchter hinter ihnen führte, aber Lots Weib ging zuletzt doch lang-
sameren Schrittes und blieb zurück. Das- ist die erste Süude bei den meisten,
die sich zur Religion bekennen, aber nicht wahrhaft Gottes eigen sind; sie be-
ginnen den Rückfall, indent sie sehr langsam vorwärts kriechen, sie sind nicht
halb so eifrig, wie sie zu sein pflegten, sie schleppen hinten nach. E i n Gottes-
dienst am Tage ist genügend, sehr kurzes Vibellesen stellt sie zufrieden; sie
geben nicht ganz den Schein des Gebetes auf, aber es ist doch sehr wenig
davon da; sie sehen nicht ein, wozu es nützt, in solcher Raserei bei der
Religion zu sein; sie sehen nicht ein, weshalb sie irgend eine heilige Gewalt
brauchen sollten, um das Himmelreich an sich zu reihen. Sie zögern. Es ist,
weil im Grunde doch die Welt die Herrschaft in ihrem Herzen hat; wenn sie
es nur wagten, würde» sie ebenso weltlich und ungöttlich wie andre sein, und
sie beweisen ihren wahren Charakter dadurch, daß sie ihren Schritt langsamer
werden lassen.
Nachdem sie angefangen, langsamer zu gehen, war das nächste, daß sie
dem nicht g landte, was ihr gesagt war. I h r müßt daran gedenken, daß
ihre Flucht aus Sodom eine Glaubensthat sein sollte, denn der Engel sprach:
„Siehe nicht hinter dich." Daß Sodom zerstört würde, schien durchaus nicht
wahrscheinlich, denn es war ein Heller Morgen. Sie sollten fliehen mit solcher
Eile, als wenn sie den Feuerregen fallen sähen, aber sie sollten ihn nicht sehen,
sie sollten zur Flucht nur durch den Glauben an der Engel Worte getrieben
werden. Der Glaube kann sowohl dnrch Nicht-Sehen als durch Sehen gezeigt
werden. Glaube ist ein Sehen auf Christum, aber er ist ein Nicht-Sehen auf
das, was dahinten ist. Lots Weib sah die Sonne aufgehen, so wird uns
104 Alttestamcntliche Bilder.

gesagt: „Die Sonne war aufgegangen auf Erden, da Lot gen Zoar einkam."
Sie sah die gläuzeude Morgenröte und alles davon erleuchtet, und der Gedanke
durchflog ihre Seele: „Es kann nicht wahr sein, die Stadt wird nicht zer-
stört werden. Was für ein lieblicher Morgen! Warum laufen wir fo weg,
von Haus, Gütern, Freunden und allein andren an einem so hellen, klaren
Morgen, wie dieser ist?" Sie traute nicht wahrhaft, es war kein wirklicher
Glaube in ihrem Herzen, und deshalb war sie dem Gesetz ihrer Sicherheit
ungehorsam und wandte ihr Gesicht gen Sodom. Doch, merkt euch, sie hatte
die Engel in ihr Halls aufgenommen, sie hatte sie den gottlosen Pöbel vor
ihrer Thür mit Blindheit schlagen sehen, sie hatte ihre majestätischen Worte
der gewissen Überzeugung gehört und ihren freundlichen Zwang gefühlt: sie
hatte reichlich Beweise, daß Gott sprach, aber sie zweifelte an der Wahrheit
seines Wortes, uud hier war das eigentliche Wesen ihrer Sünde. Wie, wenn
einige von ench, die sich unter die Gottesfttrchtigen mischen, zu ihnen gezählt
worden sind, und an ihrem Gottesdienst teilgenommen haben, dennoch das Ziel
verfehlten um ihres Unglaubens willen! Es ist dnrchans nicht unwahrscheinlich,
denn von allen, die alls Ägypten heraufzogen, waren nur zwei, die nach
Kanaan kamen. Sie konnten nicht hinein kommen um ihres Unglaubens
willen, ihre Leiber verfielen in der Wüste. Möge es nie bei einigen von uns
so sein, daß wir unsre Leiber außerhalb der ewigen Hoffnnng lassen, weil anch
wir nicht an Den glauben, der unsichtbar ist, sondern durchaus demgemäß
wandeln wollen, was unsre Angen sehen. — Nachdem sie so weit gekommen,
daß sie zögerte und zweifelte, lliar ihre nächste Vewegnng ein direkter Akt der
Empörung, — sie wandte ihren Kopf: es war ihr geheißen, nicht zu scheu,
aber sie wagte, zu sehen. Emvörnng zeigt sich ebensosehr in dem Vrnch
eines scheinbar kleinen Gebotes, wie in der Verletzung einer großen Vorschrift.
Unser Fall kam znerst durch das Pflückeil einer verbotenen Frucht, und dieses
Weibes Tod kam durch einen Blick! Hütet euch vor kleinen Dingen. Es ist Leben
in einem Blicks, und hier ist ein Fall, wo Tod in einem Blick war. Sie
blickte, aber warnm blickte sie? Ich nehme an, daß dies es war: ihr Herz
war dort. Sie liebte Sodom; und das abgesonderte Leben verabschente sie.
Sie halte ihren Mann und ihre Kinder weggeführt von dem besonderen Volke-
Gottes, denn sie wollte lieber unter der verworfenen Menge sein, als unter
den auserwählten Wenigen. Sie war nicht des Geistes, der mit Gott allein
wandeln konnte, sie hing an der weltlichen Gesellschaft und der Sünde. Ob-
gleich sie lief, um ihr Leben zu retten, dachte sie doch an ihr Hans mit seinen

*) Anspielung auf einen bekannten engt. Gesang, der anfängt: „ I k e r « >« liku iu
look nt ttw Oi-uoiKeli. Ouo," Es ist Leben in einem Blick auf den Gekreuzigten.
A. d. Übers.
Gedenket an des Lots Weib. 105

Sachen und an die Gemächlichkeit Sodoms, uudsiesah mit sehnendem Auge


zurück, weil sie wünschte, dort zu sein; und es kam dahin, daß, wie ihr Auge
zurückging, ihr ganzer Leib zurückgegangen wäre, wenn sie die Zeit dazu gehabt
hätte. Sie zögerte schon, sie würde bald umgekehrt sein. Dieser eine Blick
verriet, welches Weges ihre Seele ging: eine Kleinigkeit bei denen, die
Christnm bekennen, kann uns zeigen, was sie sind, und wir können leicht die
innere Richtung der Seele verraten durch eiue That, die ebenso einfach ist,
wie das Umwenden des Halses, um nach Sodom zu sehen. Dies war ihre
Sünde.
Nun, lieben Freunde, laßt uns an Lots Weib gedenken, indem wir,
jeder von uns, eine persönliche Lehre leinen. Hier ist ein Hartes: wir müssen
entweder ans dem Lager hinausgehen, oder gänzlich unsren Weg verfehlen.
Könnt ihr das Leben Gottes aufrecht halten und mit Christo wandeln, und
von der Welt abgesondert sein? Viele von euch können es nicht; ihr mögt
vorgeben, es zu thun, aber ihr könnt es nicht; es ist zu hoch für euch. Ich
fürchte, die Zahl wahrer Christen in der Welt ist sehr viel geringer, als wir
annehmen. W i r sind beschwert mit einem Heer von Lenten, die sich Christen
nennen, aber ebensosehr voll der Welt sind, wie andre Leute, deren Erbe in
der Welt ist, deren Vergnügen in der Welt ist, deren Sprache weltlich ist, und
die ganz und gar voll der Welt sind; und weil sie von der Welt sind, so hat
die Welt das Ihre lieb; und deshalb ist wellig oder gar kein Kampf zwischen
ihnen und der Welt. Ach, ich fürchte, die Kirche ist sich selber nicht treu, und
deshalb beginnt die Welt, sie zu lieben. Sie spricht: „ I h r seid gekommen,
mit Ulis zu lebeu, und zu thuu, wie wir thun, uud ihr legt nicht mehr diese
unangenehmen Proteste ein, wie ihr es früher pflegtet, uud darum brauchen
wir euch nicht zn verbrennen, wie eure Väter. I h r seid gut Freund mit nns,
und deshalb wollen wir euch freundlich behandeln." Laßt uns nur leben,
wie Christus lebte, so werden wir finden, daß die Hunde dieser Welt uns
anheulen, wie sie es bei unsren Vorvätern gethan haben. Meine Hörer, könnt
ihr das abgesonderte Leben führen? Wenn ihr es könnt, so helfe euch Gott
und segne euch darin, aber wenn ihr es nicht könnt, so erinnert euch: obwohl
ihr nicht so in Sodom hineingeht, daß ihr euch seinen gröberen Sünden hin-
gebet, so zeigt doch schon der bloße Blick dahin, der Wunsch dahin und das
Verlangen, dort zu sein, wo euer Herz ist, lind eures Herzeus Neigung ist
euer wahrer Charakter. I h r werdet gerichtet werden nach dein, wohin euer
Herz geht. Wenn euer Herz nach dem Verge zu geht, um zu entfliehen, und
wenn ihr eilt, «lit Christo wegzngehen als seine abgesonderten Nachfolger, fo
werdet ihr errettet werden: aber wenn eller Herz nach dem Vösen und der
Süude geht, so seid ihr die Kuechte dessen, dem ihr gehorcht, und von eurem
bösen Herrn sollt ihr euren schwarzen Lohn empfangen.
106 Alttestamentllche Bilder.

IV.
Hier kommt unser Gedenken an Lots Weib in der vierten uud sehr
ernsten Weise, und die ist: gedenkt daran, d a ß i h r Schicksal fürchterlich
w a r . „Gedenket an Lots Weib." Gedenket daran, daß dasselbe Schicksal
über sie kam, wie über die Einwohner von Sodom und Gomorra, aber
dieses Schicksal ereilte sie an den T h o r e n von Zoar. O, wenn ich
verdammt werden muß, so möge es mit der Masse der Gottlosen sein, als
einer, der immer zu ihr gehört hat; aber bis an die Thore des Himmels zu
gelangen, und dort umzukommen, das wird ein Furchtbares seiul M i t dem
Volke Gottes gelebt haben, unter dasselbe gezählt worden sein, durch Bande
des Vlntes mit ihm verbuudeu gewesen sein, und dann am Ende doch uin»
zukommen, das wird in der That entsetzlich sein. Das Evangelium gehört
habeu, das Evangelium auch gefühlt habe« bis zu eiuem gewissen Maße, sein
Leben un» deswillen gebessert haben, den» schmutzigsten Verderben der Welt
entflohen sein, sittlich gilt, liebenswürdig und trefflich geworden sein, und doch
nicht von der Welt entwöhnt, nicht ganz von der Sünde geschiedeil sein, und
so umkommen — der Gedanke ist unerträglich. Derselbe Schwefel und das»
selbe Salz, das auf die Einwohner der vier Städte fiel, ereilte Lots Weib.
Sie war gerade an der äußersten Grenze des Feuerregens, und als er fiel,
ward sie mit Feller gesalzen uud in eine Salzsäule verwandelt, da, wo sie
stand. Furchtbares Schicksall An der Schwelle der Barmherzigkeit von der
Gerechtigkeit erschlagen zu werden; am Rande der Errettung das Opfer des
ewigen Zorns zu werden!
Dies überkam sie plötzlich. Was für ein Vildl Sie steht still, als sie
auf der Flucht ist,siewendet den Kopf! Sie sieht nnr eben Hill! Der Vlick
ist nicht lang genug, um ihr eignes Halls zu crkeunen — und seht, sie ist ill
eine Sällle verwandelt! Das Feuer-Salz ist auf sie gefalleu! Sie wird sich
nie wieder bewegen! Sie hatte nicht Zeit zum Gehen oder Umdrehen, und
mit ihrem Hals, gerade wie sie ihn gewandt, steht sie da als eine Salzsäule,
eine Warnung für alle, welche des Weges kamen. Ich nehme nicht an, daß
Lots Weib jetzt noch dasteht, wie einige Reisende sich eingebildet haben; die
Säule war nicht einmal zu Christi Zeit da, denn wenn dies der Fall ge-
wesen, so würde unser Herr, wie V e n g e l sehr richtig bemerkt, gesagt haben:
„Sehet Lots Weib!" aber weil sie nicht da war, sagte er: „Gedenket" an sie.
I h r Schicksal kam plötzlich, ohne fernere Warnung oder eines Augenblicks Zeit
zur Erwägung. Wie, wenn ein plötzlicher Tod einige voll euch in diesem
Augeublick dahin raffte? I h r Christen, die ihr noch die Welt liebt, wie, wenn
ihr jetzt tot niederfielet? I h r , die ihr euch Christen nennt, uud euch unter
die Ungöttlichen schleicht, um eiuen Schluck aus dein Becher ihrer Freudeu zu
thun, gesetzt, ihr würdet eines dieser Tage im Theater vom Tode getroffen!
Gedenket an des Lots Weib. 107

I h r , die ihr behauptet, Christen zu sein, und die Tanzsäle besucht, gesetzt, ihr
fielet dort tot nieder! Es würde nichts Neues unter der Sonne sein, denn
Gott handelt strenge mit denen, welche behaupten, in seinen Bund einzutreten;
er hat eifersüchtige Gesetze für diejenigen, welche Glieder seiner Kirche werden
uud doch nicht die Gnade Gottes in ihrem Herzen haben. Diese Menschen
sterben nicht, wie alle Menschen sterben, sondern werden oft von strengen
Strafgerichten ereilt, auf daß die Welt sehe, daß der Herr eine feurige Mauer
um seine Kirche gezogen hat, welche niemand, bei Gefahr seines Lebens, durch-
brechen darf., Ananias uud Sapphira traten in die Gemeinde ein, abersiekonnten
da nicht leben; ein Blick vom Auge des Petrns, uud sie fielen tot vor ihm
nieder. Solche Gerichte reinigen noch immer die Reihen der bekennenden Ge>
meinde, wie alle Beobachter wissen müssen, denn der Herr will „geheiligt werden
von denen, die zu I h m nahen." „Darum," sagt der Apostel, „sind auch so viele
Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen," weil die Zucht
Gottes in der Mitte seiner sichtbaren Gelneinde fortgesetzt wird. Er läßt die Welt
in Ruhe, bis der Feuerregen kommt, aber für die, welche behaupten, sein Volk
zu sein, ist Er immer ein eifersüchtiger Gott*). Ich spreche starke Dinge, aber
starke Dinge thun not in diesen Tagen der Kompromisse. Möge der Heilige
Geist diese gewichtigen Thatsachen in enrer aller Herzen eindrücken.
Der schlimmste Punkt bei dein Umkommen von Lots Weib liegt vielleicht
darin, daß sie i n dem Augenblick, wo sie die S ü n d e beging, umkam,
und ihr kein Raum zur Vnße gegeben ward. I l l dem Moment, wosieden
Kopf wandte, ward sie znr Salzsäule. Es ist etwas Furchtbares, in der
sündigen That zu sterben, voll der Gerechtigkeit Gottes dahingerafft zu werden,'
während die Übertretung begangen wird. Doch mag so etwas geschehen, und
mögen diejenigen, welche behaupten, Christen zu sein, und doch mit der Sünde
unterhandeln, an Lots Weib gedenken, und darall, wie ein schnelles Gericht
Gott über die Christen kommen läßt, die seinen heiligen Namen und seine
Sache verraten.
Ich kann es nicht unterlassen, auf den selbstgemachten Text zurück«
zukommen, mit dem ich anfing: „Gedenket an Lot." Obwohl Lot selbst ein
gerechter Mann war und dem Schicksal der gottlosen Stadt entging, so kann
ich doch nicht umhin, den Tod seines Weibes in gewissem Maße auf ihn
selber zurückzuführen. Wenn ein Mann mit Gott wandelt und Gott nach»
ahmt, so wird er ein großer Charakter — das ist Abraham. Wenn ein
Mensch mit einem heiligen Menschen wandelt und i h m nachahmt, so mag er
dahin kommen, ein guter Charakter zu werden, aber er wird ein schwacher

*) Sfturgeon sagt an andren Stellen seiner Schriften, daß er in seiner eignen Ge»
meinde ähnliche Erfahrungen gemacht hat. A. d. Üb.
108 Alttestamentliche Bilder.

sein — das ist Lot. Aber wenn jemand mit Lot, dem schwachen Charakter,
wandelt und mir ihm nachahmt, so wird das Resultat ein Fehlschlagen sein —
das ist Lots Weib. Es ist wie das Vorschriftsbuch des Knaben. Wenn er
die oberste Reihe nachschreibt, so macht er eine Abrahams-Neihe; aber wenn er
das nächste M a l nicht auf die oberste Reihe sieht, sondern die zweite nach»
ahmt — das macht eine Lots'Neihe, bei weitem nicht so gut wie die erste.
Wenn er darauf Nummer zwei, die Lots'Neihe, nachschreibt, so wird das
Resultat ein sehr armseliges sein — das ist Lots Weib. Geliebte, wir sollen
im Leben den großen Vater uns zum Beispiel uehmeu, auf I h u blicken und
seinen Fußstapfen nachfolgen; wenn wir dies mit Hilfe des Heiligen Geistes
thun, so werden wir einen großen, edlen, Abraham.artigen Charakter erreichen.
Aber gesetzt, dit fängst an, irgend einem guten Manne nachzuahmen, und der
ist dein Maßstab, so wirst du ein Christ zweiten Ranges werden, es wird ein
schwächliches Ding sein, gleich Lot. Und dann, wenn dein Weib und deine
Kinder d i r nachahmen, o, der Schaden, der daraus entstehen muß! Lot hätte
fester, beständiger, gründlicher sein sollen. Er hatte nichts in Sodom zu thun.
Wenu er zu seiner Frau gesagt hätte: „Neiu, meiue Frau, wir gehören zu
einer auserwählten Familie. Gott berief uns aus Harau und hinweg von
den Göttern unsrer Väter, damit wir eiu abgesondertes Leben führen möchten,
und hier werde ich bleiben, und du mußt mit mir bleiben," so hätte sie ge-
horchen müssen, und selbst wenn sie es nicht gethan, so durfte Lot nichts Böses
thun, seinem Weibe zu Gefallen. Sie hätte nicht die Weife Sodoms zu lernen
uermocht, sie hätte mit ihrem Herzen immer noch an der Welt hängen können,
aber sie hätte sich nicht so ganz mit ihr vermischen, uud ihre Töchter hättcu
nicht so unsittlich sein könuen, wenn er sich entschlossen hätte, fern von den
Städtern zu leben. Ich glaube, daß Väter und Ehemänner das Regiment in
ihren Familien führen sollen, und daß Eltern verpflichtet sind, ihren Haushalt
in gottesfürchtiger Art zu orduen. Sagt nicht: „ O , wir können nnsre
Familien nicht regieren." I h r müßt es thuu. E l i fehlte hierin, uud anstatt
fest zu sein, sagte er schlichtem: „Thut uicht so, meine Söhne." Armer,
lieber, alter Eli, er wollte nicht gern Unannehmlichkeiten mit seinen Söhnen
haben dadurch, daß er sie tadelte. Aber was kostete ihn seine Weichheit? Der
Herr schlug seine Kinder, weil er sein Haus nicht ill rechter Ordnung gehalten.
Wenn christliche Männer ihren Familien erlauben, zu lhun, was ihnen gefällt,
so werden sie bald finden, daß der Herr mit ihnen rechten wird; nnd wenn
Kinder und Weib am Ende umkommen, so wird es ein schrecklicher Gedanke
für das Haupt des Hauses fein, felbst wenn es ein Erretteter ist, daß es seil;
schlechtes Beispiel war, das ihr Verderben verursachte. Es war zum Teil
Lots eignes Thun, daß sein Weib ward, wassiewar. Wenn Lot nie nach
Sodom gegangen wäre, so wäre sein Weib nicht nahe dabei umgekommen.
Gedenket an des Lots Weib. 109

Habt acht auf euch selber, daß ihr nicht andre irre führt. Haltet euch nahe
zu Gott, so werdet ihr gesegnet sein und andren zum Segen werden. Abraham
hatte nicht solche Not mit Sara, und Isaak nicht mit Nebekka, denn sie
wandelten mit Gott und ihr Einfluß ward in ihren Zelten gefühlt. Lebt nahe
bei Gott uud laßt euer eignes Leben nach dein Gebot sein, das Gott dem
Patriarchen gab: „Wandle uor mir und sei vollkommen," und ihr werdet
sehen, daß ihr eurem Hause zum Segeu seid und euren Kindern nach euch;
aber wcuu ihr nicht so vor dem Herrn wandelt, werdet ihr an Lots Weib
zu gedenken haben. Möge Gott seinen Segen zu diesen Worten geben, um
Jesu willen. Amen.
110 Alttestamentliche Vilder.

8.

Familienreform; oder: Jakobs zweiter


Besuch zu Bethel.
„Und Gott sprach zu Jakob: Mache dich auf, und ziehe gen
Vethel, und wohue daselbst." 1 Mose 35. 1.

E s gibt kritische Zeiten in den meisten Familien: Zeiten, wo viel Ent»


schiedenheit des Charakters von feiten des Vaters nötig ist, um die Sachen
richtig zu leiten. M a n sagt, es sei ein Skelett in jedem Hause, und wenn
das, so »lochte ich hinzufügen, daß gelegentlich der ruhelose Geist den Haus-
halt zu stören anfängt uud gebannt werden muß. Es gibt Zeiten, wo das
Vöse in den Herzen der Kinder und in der Natur der Eltern besonders that-
kräftig wird und Schwierigkeiten uud Verlegenheiten veranlaßt, so daß, wenn
ein falscher Weg eingeschlagen würde, das fnrchtbarste Unheil entstände; und
doch, wenn Gnade in den Herzen einiger oder aller Familienglieder ist, kann
eine starke und fromme Hand am Helni des Schisses es tapfer durch die
Brandling stenern nnd es sicher aus den Gefahren herausbriugen, fo daß es
seine Neise künftig weit glücklicher fortsetzt. Nuu, eine solche Krisis war in
Jakobs Familie eingetreten: die Sachen waren in einen traurigen Zustand ge-
raten, und etwas mußte gethan werden; alles schien aus dem Geleise ge-
kommen, und die Dinge konnten nicht länger so bleiben, wie sie waren. Das
Ganze war in Unordnung, und drohte noch schlimmer zu weiden. Selbst die
Heiden draußen begannen den schlechten Geruch der zerrütteten Familie
Jakobs zu spüren, und die eine Wahl war: wenden oder enden.
Das Haupt der Familie mußte einen festen Standpunkt einnehmen.
Es mußte eine Reform im Hause sein und eine Belebung der Religion in der
ganzen Familie. Wenn ihr es bemerkt, Jakob selbst war auf schlechtem Wege.
Seine Sache war es, in Kanaan ein bloßer Pilger zu bleiben, der in Zelten
wohnte, nicht einer von dein Volke, sondern unter ihm umherziehen und zu
bezeugen daß er auf „eine Stadt wartete, die einen Grund hat, welcher Bau-
Fllmilienreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel.

meister und Schöpfer Gott ist." Er erwartete, das Land zu ererben, aber für
jetzt sollte er ein Fremdling und Pilger sein, wie seine Väter Abraham und
Isaak es gewesen. Doch in Suchoth, lesen wir, baute er Hütten — kaum
Hänser, nehme ich an, aber mehr als Zelte. Es war ein Kompromiß, und
ein Kompromiß ist oft schlimmer, als ein direkter und offener Ungehorsam
gegen das Gebot. Er wagt nicht, ein Haus zu errichten, aber er baut eine
Hütte, und zeigt so sein Verlangen nach einem ansässigen Leben; und obgleich
es nicht uusre Sache ist, den Ankauf des Landes in Sichem zn richten, so
sieht es doch ähnlich aus. Jakob versucht, eine Rnhestätte zn finden, wo
Abraham uud Isaak keine hatten. Ich will nicht zu bestimmt sprechen, aber
des Patriarchen Handlungen haben den Anschein, als wenn er wünschte, ein
Haus für sich zu finden, wo er rnhen könnte und auf freundschaftlichem Fuße
mit den Einwohnern des Landes zu sein. Nun, der Herr, sein Gott, wollte
es nicht so haben. Die erwählte Familie sollte nach dem göttlichen Ratschlüsse
allein wohnen uud einen eigentümlichen, abgesonderten Wandel führen. Der
Same Abrahams war verordnet, im höchsten Sinne ein nonkorformistischer
Stamm, ein Geschlecht von Separatisten zu sein. I h r Gott wollte, daß sie
ein besonderes Volk wären, ganz getrennt von allen Völkern, unter denen sie
wohnten; und das mußten sie sein, aber die Neigung, ihren Nachbarn gleich
zn werden, zeigte sich sehr deutlich in Jakobs Familie.
Der Zauber von Esans Größe hatte ohne Zweifel Einflnß auf Jakobs
Angehörige gehabt: sie hatten, vom Patriarchen selber bis hinab znm jüngsten
Kinde, sich sehr willig geneigt vor „meinem Herrn Esau," und die dargebrachte
Huldlguug war nicht ohne ihre Wirkung geblieben. Jenes Neigen war
eine Handlung, die wir von manchen Gesichtspunkten aus uicht verurteilen
können, aber es war kaum geziemend für einen, der ein Fürst bei Gott war.
(1 Mose 32, 28: „Als ein Fürst hast du Macht bei Gott und bei Menschen
und bist obgelegen," engl. Übers.) und erwählt von dein Höchsten; und die
Wirkung davon konnte nicht veredelnd sein. Die Söhne scheinen sehr gern
dem profanen Esau Huldigung dargebracht zu haben, obgleich sie nicht kleine
Kinder, sondern junge Männer waren; sie neigten sich vor ihrem vornehm aus»
sehenden Onkel mit seiner großen Kriegerschar, und waren vielleicht geblendet
vom Zauber eines so kriegerischen Gliedes der Familie, dessen Söhne Fürsten
uud Große im Lande waren. Es gab den Hirten mehr Gewicht, zu fühlen,
daß sie mit einem großen Häuptling verwandt seien. Nnn, da sie nach
Sichem gekommen und ihr Vater da ein Stück Land gekauft und Hütten
gebaut hatte, fühlten sie sich von einiger Bedeutung und mußten Hingeheu und
Vesnche machen, denn jedermann liebt Umgang. Und null kommt das Uuheil.
Jakobs einzige Tochter muß einen Besuch beim Fürsten des Landes machen.
Die Tochter Israels wird eingeladen zu den Tänzen und Gesellschaften der
112 Alttestamentliche Bilder.

höchsten Kreise des Landes. Der Vater drückt möglicherweise ein Auge dabei
zu, und die Brüder helfen, und treiben dazu an. Sie ist oft in dem Wohn-
ort des Sichem, des feinen, jungen, hevitischen Prinzen, eines sehr respektablen
Herrn in der That, mit schönem Haus und Ländereien; aber da kommt eine
böse Sache, die nicht genannt werden kann. Darauf stürzeu ihre Brüder sich
in ihrem heißen Zorn in eine Sünde, die ganz so böse war, wie Sichems Ver-
brechen; als Schadenersatz für ihrer Schwester Befleckung erschlagen sie mit
feiger Verräterei alle Einwohner der Stadt und bringen so die Schuld des
Mordes auf eiue Familie, die da hätte „Heiligkeit des Herrn" sein sollen.
Kinder Gottes können sich nicht ohne Unheil mit der Welt verbinden.
Die Welt thut uns Schaden und wir ihr, wenn wir einmal beginnen, von der
Welt, und ihr gleich zu sein. Es ist eine unpassende Partie. Feller lind
Wasser waren nie bestimmt, sich miteinander zu vermische». Der Same des
Weibes darf sich nicht mit dem Samen der Schlange verbinden. Als die
Söhne Gottes nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren,
uud zu Weibern nahmen, welche sie wollten, da kam die Sündflut und raffte
die Bevölkerung der Erde dahin. Sehr viel Übel entsteht daraus, wenn man
zusammenfügt, was Gott geschieden hat. Die Leichen der Sichemiten und der
Zorn aller, die von der faulen That hörten, waren die direkte Folge des Ver-
suches, Israel mit Kauaan zu verbiuden. Und nun ist Jakobs Halls voller
Furcht, und der alte Mann selber — ein großartiger Mann und ein Gläubiger,
aber sehr weit davou entfernt, vollkommen zu sein — ruft feinen Söhnen zu
in großer Traurigkeit: „ I h r habt mir Unglück zugerichtet, daß ich stinke vor
den Einwohnern dieses Landes, den Kananitern und Pheresitern; und ich bin
ein geringer Haufe. Wenn sie sich nun versammeln über mich, so werden sie
mich schlagen^ Also werde ich vertilget saint meinem Hause?" Hierauf er-
widerten die Söhne nur: „Sollten sie denn mit uusrer Schwester als mit
einer Hure handeln?" — sie nahmen diesen Verweis in rauher Art auf und
zeigten durchaus kein Gefühl der Scham. Sie scheinen nicht die schlimmsten
seiiler Söhne gewesen zu sein, und doch war ihre Wut uud ihre Grausamkeit
entsetzlich; und als ihr Verbrechen ihnen vorgehalten ward, rechtfertigten sie es.
Elend war in der That der Zustaud von Jakobs Hause!
Diese Familie war schlecht eingerichtet vom ersten Anfang an. Die
Schrift brauchte die Vielweiberei uicht mit den Worten zu verurteilen, weil die
Proben, die sie davou gibt, alle so gründlich schlecht sind, daß niemand
daran zweifeln kann, daß die Sache, auch in ihrer mildesten Form, von Grund
aus lasterhast ist. Sie hatte viel Anstößiges zur Folge bei Jakob. Sein
Weib Nahel, die er so sehr liebte, halte, fürchte ich, in der Familie den Götzen-
dienst in Form der Teraphim, oder Snmboluerehrlmg eingeführt. Sie hatte
dies von ihrem Vater Laban gelernt und setzte es im geheimen fort; und
Familieureform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Vcthel. 113

wenn Jakob es halb und halb wußte, so mochte er ihr, seinem Liebling, der
Kölügill seines Herzens, doch nichts sagen. Jene glänzenden Angen, die ihn
vor Jahren so entzückt hatten, wie konnte er sie dnrch Thronen trüben? Die
Kinder Leas standen auf ihrer Mutter Seite, die Söhne der Mägde nahmen
für diese Partei, lind das verursachte oft Not. Die vielen Mütter der Familie
gaben Alllaß zll Schwierigkeiten und Verwirrungen aller Art, so daß der Haus»
halt schwer einzurichten und in Ordnung zll halten war. Er war nicht, was
eill glällbiger Hallshalt sein sollte, und es ist nicht zum Verwundern, daß die
Sachen so gründlich schief gingen, daß es schien, als wenn sogar das Salz
dumm würde, und der gute Same stürbe, ehe er in die Erde gesäet werdeil
uild Frucht tragen konnte. Ein Halt mußte gelllacht werden. Etwas mußte
gethan werden, und Jakob mußte es thun. Der Herr tritt dazwischen und
spricht mit Jakob, lind da sein Herz aufrichtig all Gottes Geboten hing, so
brauchte der Herr nur zll sprechen, und er gehorchte. Die Zügel wurden straff
angezogen, er mußte nachsehen, wie die Sachen standen, und sein Haus iu
Ordnuug bringen, und er that es mit jener Entschlossenheit des Charakters,
die an Jakob hervortritt, wenn er in die Enge getrieben wird, die aber zu
andren Zeiten llicht wahrzunehmen ist.
Wir wollen heute diesen Vorfall betrachten, und möge Gott geben, daß
wir mit Hilfe seines Heiligeil Geistes darin praktische Lehren finden, für uns
selber und für unsre Familien.
Bemerkt zuerst, was, nachdem Gott Jakob erschienen war, zu t h u n
w a r , zweitens, was während des T h u n s geschah, und drittens, was
d a r a u f folgte.

I.
Zuerst also, w a s w a r zu t h u n ?
Das erste war eiue entschiedene Abkehr. Gott sprach zu Jakob:
„Mache dich alls, und ziehe gen Vethel, und wohne daselbst." Du mußt
hinwegeilen voll Sicheln, mit seinen fruchtbaren Ebenen, und eine Vergreise
gen Vethel machen und dort wohnen. D u bist lange genug in der Nähe
dieser Sichemiten gewesen; Unheil ist darans entstanden, daß du so gute
Freundschaft mit der Welt hattest. D u mußt einen Graben ziehen zwischen
dir und den Verbindungen, die du angeknüpft hast, und du mußt hinanf nach
Vethel ziehen und dort eine Weile bleiben. J a , dann und wann, liebe
Brüder und Schwestern, werden wir es nötig sindeil, zu uns und unsrer
Familie zu sagen: „ W i r müssen von den Weltlingen ausziehen, wir müssen
abgesondert sein. W i r schließen Verbindungen, die uns schädlich sind, und
müssen die trügerischen Bande zerreißen. W i r geraten in Gewohnheiten und
Sitten bei der Führung unsres Hausstandes, die nicht so sind, wie Gott sie
S p u r g e o n , Alttestamentliche Bilder. g
114 Alttestamentliche Bilder.

billigen würde. W i r thun dieses, um uns die Gunst des einen zu sichern,
und thun jenes, um der Mißbilligung des andren zu entgehen, und wir
wandeln nicht aufrecht vor dem Herrn, uud deshalb, um wieder festen Anker»
grund zu bekommen, müssen wir ganz weggehen und nach Vethel ziehen, nach
dem Ort, wo Gott uns zuerst erschien. W i r müssen zu diesem ersten Ve-
gegnungsort zurückkehren und unsren Herr wieder finden, koste die Reise, was
immer: obwohl einige es als ein Kreuz empfinden mögen, müssen wir doch
wieder anfangen und nach der alten Weise handeln. Zurück zu unsrem alten
Puritanismus und unsrer Genauigkeit müssen wir kommen und unsre Gelübde
erneuern. Laßt uns ganz weggehen uon aller Weltlichkeit, uud zum Vethel
der Absonderung gelangen und Gott wiederum nahen. Habt ihr nie gefunden,
Geliebte, wenn ihr sehr tief in Geschäften oder viel in der Welt gewesen seid,
daß euer Herz beginnt, sich krank zu fühlen, und daß ihr ruft: „Es geht uicht,
ich muß hier heraus; ich muß in eine heilige Einsamkeit mich zurückziehen
und etwas ruhige Gemeinschaft mit Gott genießen?" Habt ihr nicht in betreff
eurer Familie zuweilen gefühlt: „ W i r dienen dem Herrn nicht recht, wir
werden nicht heiliger oder hingebender, alles scheint bergab zu gehen. W i r
müssen nach der andren Seite steuern. W i r müssen im Namen Gottes diesem
Sinken Einhalt thuu, sonst können wir nicht auf seinen Segen hoffen." Ich
weiß, daß ihr in solche Lage gekommen seid und euch entschlossen habt, einen
eutschicdeuen Schritt zu thun. Möge der Herr uus alleu helfeu, wenn wir
klar sehen, daß etwas zu thun ist. Mögen wir Gnade haben, sündiges
Zauderu zu enden, und auf alle Gefahr hin die Hand ans Bessern legen.
Nun mußten sie alte E r i n n e r u n g e n neu beleben. „Ziehe gen
Bethel, uud wohne daselbst, und mache daselbst einen Altar dem Gott, der
dir erschien, da du flohest vor deinem Vruder Esau." Eine Neubelebung alter
Erinnerungen ist uns oft sehr nützlich, besonders das Andenken an unsre Ve»
kehruug neu zu belebeu. Die Erinnerung an die „Liebe der Verlobung, da
wir deni Herrn in die Wüste folgten" und ganz zufrieden waren, voll allen
verleuguct uud verkannt zu werden, wenn wir nur in feiner Nähe weilen
durften — diese Erinueruug ist sehr wohlthä'tig für uns. Es ist gut, jeuer
heiligen Stunde zu gedenken, wo wir znm erstenmal einen Hausaltar er»
richteten und mit unsren Lieben uns vor dem Herrn beugten; da fühlten wir,
daß der abgesonderte Platz ein sehr lieblicher sei, und wir waren recht froh,
ganz von der Welt wegzugehen und mit Christus und in Christus und für
Christus und wie "Christus zu lebeu. W i r können nicht umhin, zu erröten,
wenn wir jener ersten Tage gedenken. W i r dachten nicht, daß wir soweit
hinter uusrem Ideal zurückbleibe» würden. Laßt also die Erinneruug au
Vethel über uns kommen, damit wir an die Freundlichkeit des Herrn gedenken
und über unsre geistliche Abnahme trauern. Singt ihr:
Familienreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Vethel. 115

„Vater, ich bin irr' gegangen,


Komm doch wieder hin zu Dir
Mit ganz sehnlichem Verlangen.
Vater, gib, ach, gib doch mir
Wieder, was verloren ist,
Weil Du ja mein Vater bist."

Dann müßt ihr zurückkehren zu den ersten Stunden der Gemeinschaft.


Wo ihr enre Freude verloren habt, werdet ihr sie finden, denn sie bleibt, wo
ihr sie ließet. Wenn ihr das Vetkämmerlein vernachlässigt habt, wenn ihr
aufgehört habt, im Worte Gottes zn forschen, wenn ihr vom Wandel in
Christi Nähe abgewicheil seid, nnd wenn ihr nnd enre Familien in einen so
niedrigen Znstand gesunken seid, daß Fremde, die hineinblicken, kanni wissen,
ob eller Haus ein gottesfürchtiges sei oder nicht — wenn es so ist, dann geht
trauernd und seufzend nach Vethel zurück und betet, daß die alten Empfindungen
in euch neu belebt werden. Gott gebe, daß es geschieht. Und mögt ihr dann
dahingebracht werden, zn rufen: „Wie konnte ich so weit von dem lebendigen
Gott abweichen? Wie konnte ich so thöricht sein, so hernmznstreifen, während
ich noch jetzt hätte in Frieden ruhen köunen, wenn ich in Gottes Nähe gelebt
hätte?" Dies also war das Werk, das Jakob zu thun hatte, zuerst eine ent>
schiedene Abwehr, und zweitens ein Neubeleben alter Erinnerungen: habt ihr
einen Ruf zu gleicher Handlungsweise? Wenn das, so sehet wohl zu.
Aber nun ferner, Jakob mußte ein altes Gelübde e r f ü l l e n . Ich
erinnere mich nicht genau, wie viele Jahre dies Gelübde alt war, aber ich
nehme all, ungefähr dreißig oder so; dennoch hatte er es nicht erfüllt. Er
war viel jünger, da er niederkniete und sprach: „ S o Gott wird mit mir
sein u. s. w.," „nnd dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu ciuem M a l , soll
ein Gotteshans werden;" nnd er hatte dieses Gelübde vergessen, oder wenigstens
hatte er es nicht erfüllt all diese Jahre lang. Seid sehr langsam, Gelübde
zu thun, Vrüder — sehr langsam. Sie sollten nur sehr selten dargebracht
werden, weil ihr so wie so schon verpflichtet feid, alles, was ihr könnt, für
Gott zu thun; nnd ein Gelübde ist oft ein Überfluß an Aberglauben. Aber
wenn das Gelübde gethan ist, so laß es nicht über seine Zeit hinaus warten
nnd dich bei deinem Gott verklagen. Ein altes nnd vergessenes Gelübde wird
faulen und in deinem Herzen ernste Vennrnhignng erzeugen; zuerst wird es
an deinem Gewissen nagen, nnd wenn dein Gewissen znletzt hart wird, so
werden aildre deiner Kräfte denselben Versteinernngsvrozeß erleiden. Überdies,
ein vergessenes Gelübde wird dir Züchtigung bringen, und vielleicht wird die
Nnte auf deine Familie fallen. Die Verbindung zwischen Jakobs Nicht-nach-
Vethel-Gehen und dein Unheil, das seiner Tochter Dina widerfuhr, nnd der
Sünde seiner Söhne Simeon nnd Levi mag nicht deutlich zu verfolgen sein,
116 Alttestamentliche Bilder.

aber ich bin überzeugt, daß eine solche Verbindung da war, — die Unter^
lassnngssünde des Vaters führte zn den Vegehungssttnden der Söhne. M i t
den Sünden seiner Kinder züchtigte der Herr Jakob für den Bruch seines Ver»
sprechend Beachtet, daß der Herr Jakob nicht an sein Unrecht erinnert, noch
ihn dafür schilt, aber Er bringt ihn in eine Lage, in der er sich selbst daran
erinnern wird. Es ist so milde — ich hätte fast gesagt, so höflich von nnfrem
Gott; Er ist so milde, so sanft, daß Er lieber wollte, sein Knecht sollte selbst
an das Gelübde denken, als daß es ihm deutlich in Worten gesagt würde.
Seht also, Jakob ist verbunden, zu gehen und nach seinem feierlichen Gelöbnis
zu thun. Nun, lieber Freund, es mag sein, daß ein Teil dessen, was
du uud ich zu thun haben, um unsre Familien in die rechte Ordnung zu
bringen, ist, an etwas zu gedenken, wovon wir vor Jahren sagten, daß wir
es thun wollten, aber es nicht gethan haben. W i r haben die Fähigkeit dazu
schon lange gehabt, aber es hat an der Willigkeit gefehlt; laßt uns jetzt uns
aufraffen und unser Gewissen in dieser Sache erleichtern. Gott allein weiß
davon: laßt nicht diese geheime Sache in unsrem Herzell liegen und schwären
und den Heiligen Geist betrüben. Ich spreche, glaube ich, sehr ins Herz hinein
zu einigen meiner Hörer. Vielleicht ist die Votschaft deutlich genug und ich
thue besser, nicht mehr davon zu sagen, sondern es euren Herzell zu über»
lassen, sich an vernachlässigte Versprechungen zu erinnern.
Es erschien dann zunächst Jakob notwendig, wenn er sein Gelübde er-
füllen sollte, sein ganzes Haus zu r e f o r m i e r e » ; denn er konnte nicht dem
Herrn dienen und andre Götter verehren. Er sagte zu allen, die mit ihm
waren — zu seinen Söhnen zuerst und dann zu seinen gemieteten Knechten
und den übrigen: „Thut von euch die fremden Götter, so unter euch sind."
Ja, dahin nniß es kommen. Wenn ich zu meiner alten Stellung zu Gott
zurückkehren soll, muß ich meine Götzen zerbrechen.
„Ist etwas, das ich neben Dir
I n aller Welt sollt' lieben,
So nimm es hin, bis nichts in mir,
Als Dn sei überblieben."

Die Götzen der Familie: die Thaten und Handlungen der jungen Leute,
welche Gott betrüben, das Thun der Alteren, das nicht vereinbar ist mit dem
Glanben an Iesnm, die bösen Launen, denen man freien Lauf gelassen, die
Teilung des Herzens, die in der Familie entstanden, und alles, was sündig
und unliebenswert ist, muß fort, weun wir wieder in den rechten Stand zurück-
kehren sollen. Es muß ein allgemeines Zerbrechen und Begraben der Götzen
da sein, sonst können wir den Gott von Bethel nicht verehren.
Und darauf sprach er: „uud reiniget euch." Es sollte ein allgemeines
Waschen stattfinden, das eine Reinigung des Herzens bedeuten sollte, indem
Familienreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel. 117

man bußfertig zu Gott kam uud Vergebung suchte. Jakob sagte auch: „Ändert
eure Kleider." Dies war ein Sinnbild einer gänzlichen Erneuerung des
Lebens, obwohl ich fürchte, sie wurden nicht alle erneuert. Jedenfalls ist es
das, was durch das Ändern der Kleider abgebildet werden sollte. Ach, es ist
leichter, dies zu unsren Familien zu sageu, als sie dahin bringen, es zu thun.
Und wunderu wir uns dessen? Da es doch so viel leichter für uus selbst ist,
es zu sagen, als zu thun. Dennoch, Geliebte, wenn euer Wandel in Gottes
Nähe sein soll, wenn ihr mit dem Gott uon Bethel Gemeinschaft haben sollt,
so müßt ihr gereinigt werden. Der Herr kann nicht Gemeinschaft mit uns
haben, fo lange wir in Sünden wandeln. „Was für Geineinschaft hat Christus
mit Velial?" Die Sünde mnß abgethan werden. Der beste Gläubige, der
lebt, muß seine Füße waschen, wenn er sich Gott nahen soll, wie er es vor-
zeiten gethan hat. Alles dieses mußte Jakob unternehmen, lind für ihn, der
fo lax in seinem Hause geworden, war es nichts Geringes, seinen M u t zu-
sammenzuraffen, und zu Nahel und ihnen allen zu sage» : „Thut vou euch die
fremden Götter, so unter ench sind, und reiniget euch, und ändert eure Kleider."
Wohlan, das weitere nnd letzte, was sie zu thun hatten, war, einen
besonderen Gottesdienst zu feiern. „Lasset uns ans sein und gen Bethel
ziehen, daß ich daselbst einen Altar mache dem Gott, der mich erhöret hat zur
Zeit meiiler Trübsal, und ist mit mir gewesen auf dem Wege, den ich ge-
zogen bill." Wenn wir auf unrechte Wege kommen und fühlen, daß eine
entschiedene Änderung stattfinden muß, fo müssen wir besondere Zeiten der
Andacht ansetzen. W i r müssen zu uusrer Seele sagen: „Seele, Seele, du hast
in letzter Zeit so wenig Nahrung gehabt. Diese deine Magerkeit kommt von
dem Versänmen geistlicher Feste. Komm, du mußt dich demütigen; du mußt
dich vor Gott tief beugen, und dem Herrn mit Ehrfurcht nahen und I h n
bitten, dich mit seiller Gegenwart zu erquicken. D u mußt mehr Zeit dazu
ansetzen, um dich von Ehristo und seinem Worte zu nähren, und nie ruhig
sein, bis du wieder voll Gnade und voll des Heiligen Geistes wirst." I n
Familien ist es oft gilt, wenn man sieht, daß die Sachen verkehrt gehen, die
Hausgenossen zusammen zn rufen und zu sagen: „ W i r müssen uns Gott mit
besonderem Ernste nahen, denn wir gehen irre. W i r haben die Hansandacht
nicht aufgegeben, aber wir müssen sie nun speziell machell und mit doppelten!
Eifer Gott nahen." Ich fürchte, einige von euch vernachlässigen die Haus-
andacht. Wenn ihr es thut, so bin ich gewiß, es wird Böses in eurem Haus-
halt bewirken. Die Sitte der Hausandacht ist die Burg des Protestantismus.
Es ist das große Vollwerk gegen alle Allgriffe einer Priesterkaste, die ihre
Tempel errichtet, und uns befiehlt, dort zu beten, und mit ihren Gedanken zu
beten. Nein, uusre Häuser sind Tempel und jeder Mann ist ein Priester iu
seinem eignen Hause. Dies ist eiue eherne Mauer der Verteidigung gegen
118 Nlttestamentliche Bilder.

Aberglauben und Pfaffentum. Hausandacht ist die Nahrung der häuslichen


Frömmigkeit, und wehe denen, die sie aufhören lassen. Ich las neulich von
Eltern, die sagten, sie könnten keine Hansandacht haben, und jemand that die
Frage: „Wenn ihr wüßtet, daß eins der Kinder krank würde durch Ver-
säumung der Hausandacht, würdet ihr sie dann nicht halten? Wenn eins der
Kinder jeden Morgen, wo ihr das Gebet uuterließet, vom Fieber ergriffen
würde, wie dann?" O, dann würden wir sie halten. „Und wenn es ein
Gesetz gäbe, daß ihr fünf Mark Brüche bezahlen solltet, wenn ihr nicht zum
Gebet zusammeukämt, würdet ihr Zeit dazu finden?" Ja. „Und, wenn
hundert Mark allen gegeben würden, die Hausandacht hielten, würdet ihr nicht
auf irgend eine Weise es so einrichten, daß ihr sie hättet?" Ja. Und der
Fragende fuhr weiter mit lloch andren Fragen fort, und schloß zuletzt: „Dann
ist es nur eine leere Entschuldigung, wenn ihr, die ihr euch als Diener Gottes
bekennt, sagt, daß ihr keine Zeit und Gelegenheit zur Hausandacht habt!"
Sollten eitle Entschuldigungen Gott seiner Ehre und unsre Familien eines
Segens berauben? Beginnt, mit eurer Familie zu beten, und besonders, wenn
etwas ins unrechte Geleise gekommen ist, bringt es wieder ills rechte, dadurch,
daß ihr euch Gott noch bestimmter nahet. Hörte ich euch sagen: „Wir wollen
keine Formalisten sein." Nein, mir ist nicht bange, daß ihr es werdet. Mir
ist bange, daß ihr etwas vernachlässigt, das znm Wohle eures Hauses und zu
euren» eignen geistlichen Wachstum dieut, und deshalb bitte ich euch, vertraget
euch mit Gott, lind habet Frieden. Nahet euch dem Herrn wiedernm, gründ-
licher, als ihr es zuvor gethan, denn dies ist die einzige Weise, von der man
annehmen darf, daß dadurch die Rückfälle voll einzelnen wie voll Familien
zurechtgebracht werden. Gott gebe diesen Wortell seinell Segen durch die Kraft
des Heiligen Geistes.

II.
Und nun komme ich zu meinem zweiten Punkt. — W a s geschal/,
während es gethan w a r d ?
Wohl, manche Dinge geschahen, und ein oder zwei davon waren über-
raschend. Das erste war, daß alle von Herzen auf das Werk der
Reform eingingen. Ich bin sicher, daß sie es thaten, weil der vierte Vers
sagt: „Da gabeil sie ihm alle Götter, die uuter ihren Händen waren" —
alle — „und ihre Ohrensuangen." Er hatte nichts von Ohrenspangen gesagt.
War irgend etwas Schädliches in ihren Ohrringen? Wenn eine Frau einen
Ohrring trägt, das ist nicht etwas so Schreckliches, nicht wahr? Vielleicht nicht,
aber ich setze voraus, daß diese Ohrringe Zaubermittel waren und bei ge-
wissen Beschwörungsformeln und heidnischen Sitten gebraucht wurden. Es
muß für Jakob, der selbst dergleichen nicht hätte ertragen können, eine sehr
Familienreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel. 119

traurige Entdeckung gewesen sein, zu finden, daß gottloser Aberglaube i n seine


Zelte eingedrungen war und durch seine Nachsicht bei den Teraphim. Das
Übel hatte im geheimen Fortschritte gemacht, und obwohl geargwöhnt, war
es doch nicht wirklich unter Jakobs Augen. Ich vermute, er war nicht ganz
gewiß, daß die Teraphim im Zelt waren, und wollte nicht ganz gewiß sein,
weil es ja Rahel war, die sie hatte, und sie — nun, sie war Rahel — und
ihre Erziehung war so verschieden von der seinigen gewesen, daß er vielleicht
dachte, er müßte sie in diesem Punkte nicht zu sehr drängen. Vielleicht sagte
er zu sich selber: „Wenn ich mit ihr spreche, scheint sie durchaus uicht ab»
göttisch; ich glaube, sie ist eine fromme Frau, und ich muß daran denken, wie
sie erzogen ist, uud da sie aus einer hochkirchlichen ^) Familie stammt, muß
ich ihr ihre kleinen Symbole lassen; ich weiß nicht bestimmt, daß sie einen
Teraph hat; ich habe ihn nie wirklich gesehen," — aber er war da und er
war der Kern, um den sich der Aberglaube herum bildete. Sie und ihre
Umgebung waren von den: Aberglaube» der Heiden angesteckt worden, uud
diese Ohrringe waren die Anzeichen ihres abergläubischen Gefühls, wenn nicht
die Werkzeuge der Wahrsagerei.
Nun, sobald Jakob spricht, geben sie alle ihre Götzen und ihre Ohrringe
hin. Dies gefällt mir. Es ist eine gesegnete Sache, wenn ein Mann Gottes
einen festen Standpunkt einnimmt, und spricht, uud findet, daß seine Familien«
glieder alle bereit sind, zu folgen. Vielleicht war es die Furcht, in der sie
gerade damals waren, die Furcht vor den umwohnenden Völkern, die sie so
gehorsam inachte. Ich bin nicht gewiß, daß es ein Werk der Gnade war;
aber doch, so weit es den äußeren Anschein betraf, gaben sie willig alles auf,
was den Herrn betrübt haben konnte. Und ihr werdet euch zuweilen freuen,
christliche Freunde, wenn die Sachen verkehrt gegangen sind, uud ihr ent-
schlossen seid, sie zurecht zu bringen, zu sehen, wie andre eurer Entschlossenheit
nachgeben. I h r solltet hierans M u t schöpfen. Vielleicht wird gerade derjenige,
den ihr am meisten fürchtetet, am bereitwilligsten sein, nachzugeben, und am
eifrigsten, zu helfeu. D u bist bauge vor Nahel gewesen, aber sie hat solche
Liebe für dich, daß sie alles für dich thut und sogleich ihre Teraphim hingibt.
Die Söhne, die so rauh gegen dich waren, als du in deinem eignen Namen
und von dir selber sprachst und sagtest: „ I h r habt nur Unglück zuge-
richtet" u. s. w., werden sehr viele anders antworten, wenn du in Gottes
Namen sprichst. Es wird eine solche Kraft mit dem Worte Gottes sein, daß sie
freiwillig uud von Herzen nachgeben werden. Sie thaten es hier in diesem
Falle. Alle gaben ihre Götzen auf, uud begruben sie in der Erde uuter der Eiche.

*) Hochkirchlich „llixll ^durcll" wird die katholisierende Partei der englischen Staats«
tirche genannt. A. d. Übers.
120 Alttestamcntliche Bilder.

Wollte Gott, ein Tag käme für das alte England, wo alle Kruzifixe nnd
Priestergewänder, und alle Symbole und Embleme des Aberglaubens unter
einer großen, alten Eiche des Evangeliums begraben würden, um nie wieder
ausgegraben zu werden. Wenn wir dies nicht bei dem Volke sehen, wollen
wir es wenigstens in uusren eignen Häusern uus sichern.
Ein andrer Umstand ereignete sich nämlich, daß i h m Schutz gewährt
w u r d e , unmittelbar und vollständig. „Sie zogen aus. Und es kam die
Furcht Gottes über die Städte, die um sie her lagen, daß sie den.Söhnen
Jakobs nicht nachjagten." Auf ihrem Wege lagen sehr viele Städte, sie waren
fest davon umschlossen, nnd die Leute hätten herauskommen und den kleinen
Stamm Israels ill Stücke hauen können, aber eine Votschaft war von dem
Herrn der Heerscharen ergangen: „Tastet meine Gesalbten nicht an, und thut
meinen Propheten kein Leid;" und so reisten sie ill Sicherheit. „Wenn
jemandes Wege dem Herrn Wohlgefallen, so macht Er anch seine Feinde mit
ihm zufrieden;" und nun, da Jakob entschlossen war, alles in das rechte Ge»
leise zu bringen, wandelt er, ohne daß ihm etwas zu Leid geschieht. I h r
wißt nicht, wieviel persönliche Not, die ihr jetzt zn tragen habt, aufhören
wird, sobald ihr euch erschließt, fest zu Gott zu stehen. I h r wißt nicht, wie-
viel Schwierigkeiten in der Familie, die ench jetzt mit Furcht erfüllen, ver-
schwinden werden, wenn ihr selber den Herrtl gefürchtet habt und entschieden
und entschlossen aufgetreten seid, um das Rechte zn lhun. Keine Gefahr soll
dem Mann nahen, der mit Gott wandelt, denn mit einem folchen Gefährten
atmet die Malaria Gesuudheit, und Flüche werden Segen; aber ihr wißt nicht,
wohin ihr geht, und in welche dichteil Wälder ihr euch stürzt, wenn ihr
einmal den Herrn verlaßt und seinem Sinne zuwider wandelt. Der Herr
dein Gott ist ein eifersüchtiger Gott, und wenn du nicht seilte Eifersucht ehrst,
und vor I h m mit heiliger Furcht wandelst, so wirst du seinen Zorn fühlen
müssen. Weil Er „aus allen Geschlechtern auf Erden ench allein erkannt" hat,
gerade darum will Er euch auch heimsuchen in eurer Missethat. Dieser Plage
der Übel wird gewehret werden, wenn ihr eure Götzen abthut, aber uicht eher.
Ferner ward das Gelübde vollzogen. Sie kamen nach Vethel, und
ich könnte fast die dankbare Freude Jakobs malen, als er auf jene großen
Steine blickte, unter denen er sich zum Schlafen niedergelegt hatte, ein ein-
samer Mann. Vielleicht suchte er noch den Stein aus, der sein Kissen ge-
wesen war; wahrscheinlich stand er noch aufrecht als Teil des Mals, das er
zum Gedächtnis der Güte Gottes und des Gesichtes, das er gesehen, errichtet
hatte. Es war viel Bedauern, viel Bekennen, viel Danken zu Vethel. „ M i t
meinem Stab kam ich an diesen Ort, und uun bill ich zwei Heere geworden.
Seht her, meine Söhne, sieh'^ Nahel l Seht alle her: dies ist die Stelle, wo
ich mich niederlegte, als ich vor Esan floh mit nichts als meinem Stab
Familieureform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel. 121

und meiner Reisetasche, und wo der Herr mir erschien; und Er hat mich
mein ganzes Leben lang behütet. Kommt, helft mir, die unbehauenen Steine
aufeinander zu legen, um einen Altar zu machen; und diefer große Stein, seht,
wir wollen Ö l oben darauf gießeu, und wir wollen zusammen lobsingeu dem
N I — l)6tk — oi — dem Gott des Hauses Gottes, dem Gott, der ein Haus
für seiu Volk ist, dem Gott, der einen Haushalt hat, vou dem wir einen Teil
bilden, dem Gott, unter dessen Flügclu wir Zuflucht snchen." Ich zweifle
nicht, daß Jakob und sein Haus eine sehr glückliche Zeit zu Vethel verlebte»,
mo Trauer die Dankbarkeit milderte, und Freude die Buße versüßte, wo jede
heilige Leidenschaft in des Patriarchen Seele ihrcu Ausdruck faud uud sich vor
dein Herrn ergoß. Er dachte der Vergangenheit, freute sich der Gegenwart,
und hoffte für die Zukunft, deuu nnn war er dahin gekommen, mit Gott zu
fein und sich I h m zu nahen.
Aber was geschah sonst noch? Nuu, es k a m e i n T o d u u d e i n
B e g r ä b n i s , Debora, der Nebekka Amme, starb. I h r Name bedenkt eine
Vieile. Und wir haben selbst alte Dienerinnen gehabt, nicht wahr, die wie
fleißige Vienen in unsrem Haushalte gewesen sind? Die alte, liebe Debora
wartete unsre Mutter, und wartete uns uud ist noch stets willig, uusre Kiuder
zu warte». Jetzt wachset die Art vou Dienern nicht mehr, sagt man mir.
Ich fürchte, dieselbe Art von Herren uud Herriuucu wachset nicht mehr, die
wir ill früheren Jahren zu haben pflegten. Ich bin dessen nicht gewiß, aber
ich glaube, wenn es mehr Rebekkas gäbe, würden mehr Deboras sein.
Ich denke, im allgemeiuen werden wir uugcfähr ebenso gut behandelt, wie wir
andre behandeln, uud mau gibt uns meist dasselbe Maß in uusren Schoß,
das wir selbst ausmessen. Es mögen Ausnahmen sein, uud es sind solche,
aber dies ist die allgemeine Regel. Wohl, die liebe, alte Debora hatte Labans
Halis verlassen uud war mit Jungfrau Rebekka gegangen, als sie in das ferne
Land zog, um verheiratet zu werden; uud sie hatte die beide» Knaben ihrer
Herri», Esau und Jakob, in ihre Obhut genommen, und ihr Herz hing an
demselben Knaben, den die Mutter so sehr liebte, sie hatte »lit Nebekka ge-
trauert, als er, uachdem er erwachse», gezwungen war, aus seines Vaters
Hause zu fliehen, um sein Leben zu retteu. Ich kaun nicht sagen, wann sie
zu Jakob kam. Vielleicht schickte Nebekka sie zu dem Hause ihres Lieblings-
sohues, weil sie dachte, es seieu so viele in der Familie, daß jemand nötig
wäre, um uach ihuen allen zu sehen — eine alte'uud besoune»e Person, um
zwischen Jakob und die beständige» Mißhclligkeiten seines Hauses zu treten.
Ohne Zweifel faud Jakob es oft augeuehm, die gute, alte Seele zur Ver-
trauten in feinen Nöten, zu machen. Und »uu stirbt sie, uud sie begraben sie
unter der Eiche, die sie die Klageiche — ^ U o n — dnodut, ueuuen. I s t es
nicht sonderbar, daß, wenn ihr versucht, besser zu werden, ein großer Schmerz
122 Alttestamentliche Bilder.

kommt? Nein, es ist nicht sonderbar; denn ihr versucht, den alten Sauerteig
auszufegen, und der Herr will euch helfen. I h r versucht, alles mit I h m in
den rechten Stand zu bringen, und Er kommt und nimmt einen der Besten in
eurem Hause hinweg, der euch am meisten half, einen der bewährtesten alten
Christen, die ihr je gekannt, von dem ihr gewünscht hättet, er möge für immer
leben, und Gott thut es nicht, um euch in eurer Arbeit zu hindern, sondern
euch zu helfen. Er weiß es am besten; der Wcinstock Israels brauchte
gerade einen Schnitt mit dem Messer, um mehr Frucht zu tragen. Die gute
Amme starb, als man ihrer am meisten zu bedürfen schien, aber es war besser
für sie, jetzt zu sterben, als wenn sie geschieden wäre, da Dinas Schande und
Simeons Verbrechen das Haus verdunkelt hatten. Es war besser, daß sie es
erlebte, sie alle von Götzen gereinigt, und auf dem Wege zu ihren: alten Herrn
Isaak zu sehen, denn nun fühlte sie, als ob sie sprechen könnte: „Nun lassest
D u Deine Dienerin in Frieden fahren, wie Du gesagt hast, denn meine Augen
haben Dein Heil gesehen." Die Moral des Zwischenfalls ist, daß der Herr die
Hitze des Feuers vielleicht um so mehr verstärken wird, wenn Er den Läuterungs-
prozeß vor sich gehen sieht, und wir müssen das fernere Leiden als ein Zeichen
der Liebe und nicht des Zorns annehmen, falls Er nns schwer schlägt, wenn
wir redlich nns bemühen, sein Angesicht zu suchen.

III.
Dies ist es, was geschah, während sie es thaten. Nuu schließen wir mit
dem dritten Teil, w a s d a r a u f f o l g t e .
All dieses Abthun der Götzen und das Ziehen nach Bethel — kam etwas
daraus? J a ! Zuerst, es w a r eine neue Erscheinung Gottes da. Leset
den neunten Vers. „Und Gott erschien Jakob abermal, nachdem er ails
Mesopotamien gekommen war, und segnete ihn." Dies war eine neue Er-
scheinung Gottes. Einige von euch werden nicht verstehen, was ich sage, aber
ich überlasse es denen, welche den Herrn kennen: es gibt Zeiten, wo Gott
uns sehr nahe ist, ich wünschte, es wäre immer so; aber manche von uns
können Epochen in unsrer geistlichen Geschichte bezeichnen, wo wir uns wunder»
bar bewußt waren, daß Gott uns nahe kam. W i r fühlten seine heilige
Gegenwart, nnd waren froh. Der Herr fchien uns in eine Felsenkluft zu
stellen, und seine Herrlichkeit all uns vorübergehen zu lassen. Ich habe solche
Zeiten gekannt. Wollte Gott, ich kennte sie häufiger! Es ist der Mühe wert,
uus reinigen und läutern zu lassen uud uns allein zu unterwerfen, um mit
einein jener göttlichen Besuche begnadigt zu werden,, in denen wir fast mit
Panlns ausrufen möchten: „Ob in dem Leibe oder außer dem Leibe, ich weiß
es nicht, Gott weiß es." Ein klarer Blick auf Gott in Christo Jesu und ein
Familienreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel. 123

lebhaftes Gefühl von Jesu Liebe ist ein süßer Lohn für zerbrochene Götzen und
Vethel'Neformationen.
Das Nächste, was darauf kam, war eine Bestätigung seines Fürsten»
t i t e l s , die der ganzen Familie eine Würde verlieh. Wenn der Vater ein
Fürst ist, so adelt dies das ganze Geschlecht. Gott verleiht ihnen eine andre
Würde und einen Adel, den sie vorher nicht gekannt hatten, denn ein heiliges
Volk ist ein edles Volk. I h r , die ihr in Gottes Gegenwart lebt, seid der
Adel des Himmels. „ E r hebet auch den Dürftigen aus dein Staube, uud
erhöhet den Armen aus dem Kot, daß Er ihn setze unter die Fürsten, ja,
unter die Fürsteu seines Volkes." Er macht sie zuerst zu Fürsten, und dann
zu Fürsten der Fürsten, denn, wenn-all die Seinen Fürsten sind, so folgt
daraus, daß die, welche Fürsten uuter seiuem Volke sind, Fürsten uuter den
Fürsten sind. Der Herr verleiht hohe geistliche Würden denen, welche suche»,
ihr Haus recht zu ordnen, und ihre Herzen rein uud keusch vor I h m zu er-
halten. Solche Ehre haben alle Heiligen, welche dem Herrn völlig folgen.
Gott helfe uns, in Jesu Nähe zu bleiben und tägliche Gemeinschaft mit I h m
zu genießen.
Und dann ferner wurde Jakob uud seiller Familie eine große Verheißung
gegeben, die in gewissem Grade eine Erweiterung der Verheißuug war, die
Abraham uud Isaak früher gegeben war: „Ich bin der allmächtige Gott, sei
fruchtbar uud mehre dich; Völker und Völkerhaufen sollen von dir kommen,
uud Könige sollen aus deinen Lenden kommen." Ich erinnere mich nicht, daß
zu Abraham etwas gesagt ward vou Völkerhaufeu oder von Königen, die aus
seinen Lenden kommen sollten, aber aus den Lenden Israels, eines Fürsten,
können Fürsten kommen. Gott gibt seiner Verheißung eine gewisse Frische der
Weite und Unendlichkeit, nun Jakob sich I h m genaht hat. Brüder, Gott wird
uns keine neuen Verheißungen geben, aber Er wird die alten Verheißungen
wunderbar neu aussehe» machen. Er wird unser Gesicht erweitern, so daß
wir sehen sollen, das wir nie zuvor sahen. Habt ihr je ein Gemälde gehabt,
das vernachlässigt in einem Hinterzimmer hing? Kam euch eines Tages der
Gedanke, es einrahmen und in gutem Lichte aufhäugen zn lassen? Wenn ihr
es dann an der rechten Stelle saht, rieft ihr da nicht ans: „ O ! ich beachtete
das Bild früher uie. Wie wundervoll macht es sich m m ! " Und mauche und
manche Verheißung im Worte Gottes wird niemals von euch beachtet werden,
bis sie in einen neuen Nahmen der Erfahrung gefaßt ist. Dann, wenn sie
vor euren Augen aufgehängt ist, werdet ihr euch in Bewunderung verlieren.
Die Sünde macht die Verheißungen deu alteu Gemälden gleich, die mit
Schmutz überzogen sind. W i r müssen uns reinigen, und dann wird dies einer
sorgfältigen Neiuigung des Gemäldes gleichen, bei der keine der Farben leidet,
sondern alle neuen Glanz erhalten. Gott wird seine Bibel euch als ein neues
124 Atttestamentliche Bilder.

Buch erscheinen lassen. I h r werdet Freude mtf jeder Seite finden, und eure
Seele wird vor Freuden tanzen, wenn ihr die großen Dinge seht, die Gott
für ench bereitet hat, ja, und auch für enre Kinder, wenn sie in der Wahrheit
wandeln, denn „unser und unsrer Kinder ist die Verheißung, und aller, die
ferne sind, welche Gott, nuser Herr, herzurufen wird." Dein Jakob wnrde
durch die nene Erscheinung das Erbe bestätigt, denn so lautet das Wort:
„Das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, will ich dir geben,
und will es deinein Samen'nach dir geben." So, lieben Frennde, soll der
ganze gesegnete Gnadenbund mit allem, was dazu gehört, deutlich uud klar
euer werdeil, wenn ihr nach Bethel geht und mit heiliger Entschiedenheit euch
dein Herrn, eurem Gott, uahet.
Ich will euch uicht länger aufhalten, außer um zu sagen, daß ihr sehr
v e r t r a u l i c h e Gemeinschaft erwarten könnt. Beachtet den dreizehnten Vers:
„Also fuhr Gott auf von ihm, vou dem Ort, da Er mit ihm geredet hatte"*).
Geredet m i t i h m ! Es ist ein fo vertrauliches Wort. Gott mit Menschen
redend. O, die Herablassung Gottes, wenn Er zu uns in vertraulichen Tönen
von seiner großen Liebe in Christo Jesu spricht. Es gibt eiue Art des
Gesprächs mit Gott, die keine Zunge erklären kann. Nur diejenigen kennen
sie, welche sie genossen haben. Brüder, es gibt eine Gemeinschaft mit Gott,
von der eine große Zahl Christen gar keine Vorstellung hat. Er, der sich
beugt, um das zu sehen, was im Himmel und auf Erden ist (Psalm 113, 6,
engt. Üb.), wohnet bei den Demütigen. Götzen zerbrochen, und Kleider ge-
wechselt, uud Altäre geballt, uud die Seele ill Gottes Nähe gehalten, dann ist
„das Geheimnis des Herrn mit denen, so I h n fürchten, und seinen Buud läßt
Er sie wissen." Dies ist ein so unaussprechlich köstliches Gut, daß ich euch au«
treibe, es zu suchen, und mich selbst am meiste» antreibe.
Das Kapitel schließt mit dein Tode Nahels, und so mag vielleicht, wenn
wir Gott am nächsten sind, ein andres Leiden kommen. Die alte Überlieferung
war, daß kein Mensch Gottes Allgesicht sehen uud leben könne. Dies war
nicht wahr, aber es enthielt eine Wahrheit, denn kaum vermag ein Mensch in
„den verborgenen Ort des Donners" M a l m 8 1 , 8) einzugehen, und mit Gott
Gemeinschaft zu haben ohne eine besondere Prüfung. J a , so ist es, denn
„unser Gott ist ein verzehrendes Feller." Er thut die Frage: „Wer ist, der
bei der ewige» Glut wohnen möge?" und die Antwort ist: „Wer Unrecht
hasset samt dem Geiz, und seine Hände abziehet, daß er nicht Geschellt nehme,
wer seine Ohren zustopfet, daß er nicht Blutschuldeu höre :c., der wird in der
Höhe wohnen." Wenn wir dahin kommen, bei I h m zu wohnen, der Feuer ist,

*) Das Wort in der englischen Bibel ist „wlklxl," weit vertraulicher als unser
„reden." A. d. Übers.
Familieilreform; oder: Jakobs zweiter Besuch zu Bethel.

so niuß das Fener brennen, und wir müssen es fühlen. Jene heilige Flamme
wird vieles verzehren, was unser unheiligcs Fleisch gern behielte, und es wird
keine Glut da sein, ohne daß wir scharfe Pein und Schmerz erdnlden. „Gottes
Herd ist in Zion und sein Fener in Jerusalem. Er wird die Söhne Levis
läutern, wie das Silber geläutert wird." „Wer wird aber den Tag seiucr
Zukunft erleiden mögen? Denn Er ist wie das Feuer eines Goldschmiedes,
und wie die Seife der Wäscher." Doch ist dies gerade, was wir wünschen,
wenn wir im rechten Znstande sind. O, daß nnsre Sündigkeit ganz verbrannt
würde! .-Leiden ist willkommen, wenn die Sünde nnr überwunden wird.
Sogar Nahel mag sterben, wenn Jesus desto mehr in uns lebt. Herr, gib
uus Gnade uud Deine Gegenwart, selbst wenn wir infolge davon tansendmal
durch den Feuerofen gehen müssen. Höre uns, uni Jesu willen. Amen.
126 Alttestamentliche Bilder.

Jakob betet an, auf semen Stab


gelehnt.
„Durch den Glauben segnete Jakob, da er starb, beide Sühne
Josephs, und neigte sich gegen seines Zepters Spitze." Hebr. I I , 2 l .
(Durch den Glauben segnete Jakob, da er im Sterben war,
beide Söhne Josephs, und betete an und lehnte sich auf die Spitze
seines Stabes. Engl. Üb.)

„ 3 a er im Sterben war." Der Tod ist eine gründliche Probe des


Glaubens. Unter der Berührung des Knochenfingers lösen sich Täuschungen
in di'mne Luft auf, und nur die Wahrheit bleibt, wenn nicht wirklich ein
kräftiger I r r t u m gegeben worden ist; und alsdann ist der Allblick eines ver»
messenen Süuders, der in seinen Sünden dahiufährt, ein solcher, über den
Engel weinen könnten. Es ist schwer, sehr schwer, in den letzten ernsten
Augenblicken eine Lüge aufrecht zu erhalten; das Ende des Lebens ist ge-
wöhnlich der Schluß der Selbsttäuschung. Es gibt einen nachgemachten
Glaubeu, eiue falsche Sicherheit, die unter jeder gewöhnlichen Hitze der
Prüfnug aushalten; aber diese verdunsten, wenn die Feuer des Todes sie um»
geben. Manche Menschen haben Ruhe und Frieden in ihrem Gewissen, sie
ersticken jede Regung desselben, sie weisen alle Selbstvrüfung zurück, sie halten
ein redliches Mißtrauen in sich selbst für eine Versnchung des Teufels, rühmen
sich ihrer nnnnterbrochenen Seelenruhe uud gehen von Tag zn Tag mit voll-
kommener Zuversicht dahiu; aber wir möchten nicht von ihrer Art sein. Ihre
Angen sind geblendet, ihre Ohren sind dick und ihr Herz ist verstockt. Ein
Sirellengesang bezaubert sie, aber er lockt sie auch ills Verderbeil. Entsetzlich
wird ihr Erwachen sein, wenn sie im Sterben liegen: wie ein Traum wird
ihr falscher Friede schwinden uud wirkliche Schrecken werden sie überfallen.
Der Allsdruck: „ D a er im Sterben war," erinnert mich an viele Totenbetten;
aber ich werde jetzt nicht von ihnen sprechen, weil ich wünsche, daß ein jeder
von euch sich die Szene seines eignen Abscheidens vergegenwärtigt, denn bald
J a k o b betet a n , a u f seinen S t a b gelehnt. 127

wird von jedem eine Geschichte erzählt werden, die beginnt: „ D a er im


Sterben war." Ich möchte, daß jeder von ench seine Gedanken ein wenig in
die Zukunft gehen ließe bis auf die Zeit, wo er seine „Füße zusammen thun
muß aufs Bette," sein letztes Lebewohl sagen uud den Geist aufgeben. Vor
eurent wirklichen Abscheiden wird euch wahrscheinlich, wenn ihr nicht plötzlich
mit einem Schlage dahingerafft werdet, eine kleine Zeit zugemessen werden, von
der es heißen wird: „ E r war im Sterbeil." Vielleicht ist es etwas Wünschens-
wertes, einige Wochen lang im Abscheiden zuzubringen, bis die Seele durch
die Pforte eingegangen und schon in der Herrlichkeit zu fein scheint, wahrend
der Leib hier noch verweilt; aber da wir keine Erfahrung davon gehabt haben,
sind wir kaum im stände, uus eiu Urteil zu bilden. Vieles läßt sich zu
gunsten jenes plötzlichen Todes sagen, der plötzliche Herrlichkeit ist; aber
dennoch möchte man es vorziehen, Zeit genug und hinreichende Klarheit des
Geistes zu haben, um in die Ewigkeit hineinzublicken, und so mit dem Ge»
danken an das Abscheiden aus dem Körper vertraut zu werden. Es scheint
fast wünschenswert, die Furcht uud den ersten Schrecken vor dem kalten Strom
zu verlieren und völlig ruhig an den Ufern des Jordans zu werden, dort zu
sitzeu, die Füße bis au die Knöchel im Strom, und dann allmählich in die
größeren Tiefen hinabzusteigeu uud zu siugeu, singen, singen, singen und auf
der Erde schon das ewige Lied zu beginnen, das immerdar auf der andren
Seite des geheimnisvollen Stromes gehört wird. Solches Sterben ist ein
passendes Ende für ein Leben voll echter Frömmigkeit und zeigt und beweist
die Wahrheit derselben. Jakob war im Sterben, und in seinem Sterben sehen
wir den Mann.
Der Text sagt uns, daß der Glaube des Patriarchen fest war, während
er im Sterben lag, so daß er kein Murren laut werden ließ, sondern reiche
Segnungen, als er beide Söhne Josephs segnete. Möge euer Glaube und
der meinige anch ein solcher sein, daß er, wenn wir im Sterben liegen, irgend
eine herrliche That thnt, auf daß die Gnade Gottes in uns bewundert werde.
Paulus sagt nichts über Jakobs Leben, sondern erwählt die Sterbeszene. Es
waren viele Beispiele von Glauben ill Jakobs Leben, aber ihr erinnert euch,
daß Paulus ill der Epistel an die Hebräer durch die Geschichte geht und hier
eine Blume und da eine Blume pflückt und klagt, daß die Zeit ihm sogar
dazu zu kurz würde, so fruchtbar ist der Garten des Glaubeus. Ich zweifle
indessen nicht, daß er alls jeder Ledcnsgeschichte das Beste entnahm; uud
vielleicht war das Schönste in dem Leben Jakobs der Schluß desselben. Er
war königlicher zwischen den Vorhängen seines Bettes als in der Thür seines
Zeltes, größer i n der Stunde seiner Schwachheit als am Tage seiller Kraft.
Mauche Tage siud feucht und neblig vom Morgen bis fpät am Nachmittag,
aber gerade vor Sonnenuntergang ist eine ruhige, helle Stunde, und die Sonne
Alttestamcntliche Bilder.

geht ill solcher Herrlichkeit unter, daß man die Trübe des Tages vergessen
kann. Wiewohl der frühere Teil desselben gewöhnlich genug war, so ist doch
die letzte Stunde mitunter so voller Pracht, daß ihr euch des Tages um seines
Sonnenuntergangs willen erinnert und ihn in enrem Tagebuch als eiuen
merkwürdigen bezeichnet. I n dem Tode Jakobs war sicher so viel herrlicher
Glaube, daß der Apostel wohl daran that, ihn für die besondere Erwähnung
auszuwählen.
Der alte Mann von hundert und siebenundvierzig Jahren hätte um
der Schwachheiten des Alters willen gern zum Abscheiden bereit sein können,
aber doch hatte er vieles, was ihn hienieden festhalten und wünschen lassen
konnte, so lange als möglich zu leben. Nach einem sehr unruhigen Leben hatte
er siebzehn Jahre außerordentlicher Bequemlichkeit genossen, so viel, daß, wenn
wir au seiner Stelle gewesen wären, wir wahrscheinlich begonnen hätten, in
dem Voden Gosens einzuwurzeln und den bloßen Gedanken an Weggehen zu
fürchten; doch der ehrwürdige Patriarch sitzt da, mit der Hand auf seinem
Stabe, zum Gehell bereit, sucht keinen Aufschub, sondern wartet auf das Heil
Gottes. Nachdem er so viel hin- und hergeworfen, so lange ein Pilger ge»
wesen war, muß es ihm augenehm vorgekommen sein, sich in einen: fetten
Lande niederzulassen, mit all seinen Söhnen und Enkeln und Urenkeln um ihn
her, alle gut versorgt, uud Joseph an der Spitze des ganzen Landes —
Premierminister von Ägypten — der seinem alten Vater Ehre verlieh und
Sorge trng, daß es keinem in der Familie an etwas fehlte. Der letzte Gang
bei dem Festmahl seines Lebens war bei weitem der süßeste, und dem alte»
Mann hätte es schwer fallen können, sich von einem so ausgesuchten Tische zu
entfernen. Die Kinder Israels waren eine Art fremder Aristokratie im Lande
und kein Hund wagte es, sie anzubellen, aus Furcht, daß der berühmte Joseph
seine Hand ausstrecken möchte. Diese siebzehn Jahre müssen für den alten
Mann glänzend und voll Ruhe gewesen sein. Aber Sinnlichkeit hatte feinen
Glauben nicht getötet, der Luxus hatte nicht seinen geistlichen S i n n vernichtet;
sein Herz ist immer noch in den Zelten, wo er als Pilger Gottes gewohnt hat.
I h r könnt sehen, daß er mit keiner einzigen Faser seiner Seele in Ägypten
gewurzelt war. Sein erstes Anliegen ist, Sorge zu tragen, daß nicht einmal
seine Gebeine in Gosen liegen sollten. Durch seinen Auftrag, ihn in Mamre
zu begraben, lehrte er seine Nachkommen thatsächlich, daß sie nicht zu fest an dem
guten Lande, das sie in Gosen besaßen, hangen sollten, denn ihr Erbe lag
uicht an den Ufern des Nils, sondern jenseits der Wüste in Kanaan, nnd sie
mußten immer bereit sein, dorthin zu ziehen. Der Segen^ den er den Söhnen
Josephs gab, war nur eiue Äußerung des festen Glaubens an den Bund,
welcher das Land ihm und seinem Samen gab. Er war ihm eingegeben von
diesem seinein Glauben, der das Gegenwärtige fahren ließ uud das Zukünftige
I a k u b betet a n , auf seinen S t a b gelehnt. 129

ergriff, dem Zeitlichen entsagte und das Ewige festhielt, die Schätze Ägyptens
zurückwies und sich an den Vnnd Gottes anklammerte.
Dreierlei führt der Text uns vors Auge. Das erste ist der S e g e n ;
das zweite ist das Anbeten; nnd das dritte ist die S t e l l u n g ; denn er
betete an und „lehnte sich auf die Spitze seines Stabes," was eine Bedeutung
haben mich, sollst wäre es nicht niedergeschrieben.

I.
Zuerst also, sein A r g e n . Er segnete die zwei Söhne Josephs. Wollt
ihr Geduld mit nur haben, während ich versuche, zu zeigen, daß sein Segnen
der Söhne Josephs eine Handlung des Glaubens war, zuerst, weil der alte
Mann nur durch den Glauben irgend jemand einen Segen geben konnte?
Seht ihn all. Er ist zu schwach, sein Bett zn verlassen. Als er, durch Kissen
gestützt, aufrecht sitzet auf dem, was das „Haupt" des Bettes genannt wird,
verlangt er seinen zuverlässigen Stab, um sich darauf zu lehnen und im stände
zu seul, die Hände auszustrecken und die Stimme zn gebrauche». Er hat keine
Kraft und die Augen sind trübe, so daß er nicht sehen kann, wer Ephraim
und wer Mailasse ist. Die meisten seiner Fähigkeiten versagen ihm: an allem
könnt ihr sehen, daß er ein abgelebter alter Mann ist, der nichts für die Kinder
thlin kann, die er liebt. Wenn er fähig ist, einen Segen zu verleihe«, so
kann es nicht durch die Kraft der Natur seül; uud oeunoch kann er sie segnen
und segnet sie, uud deshalb siud wir sicher, daß ein innerer Mensch in jenem
schwachen, alten Jakob sein mnß; es muß ein geistlicher Israel in ihm ver»
borgen sein, ein Israel, der dnrch das Obsiegen bei Gott als ein Fürst einen
Segen erhalteil hat uud fähig ist, ihn all andre ausznteilen. Und so ist es;
nnd mit einem halben Blick sehen wir es. Er erhebt sich zur Würde eines
Königs, eines Propheteil und eines Priesters, als er beginnt, einen Segen
über feine zwei Enkel auszusprechen. Er glaubte Gott. Er glaubte, daß Gott
durch ihu redete; nnd er glaubte, daß Gott jedes Wort rechtfertigen würde,
das er ansfpräche. Er glanbte an den Gott, der Gebet hört; sein Segen
war ein Gebet; nnd als er die Segenswünsche über seine Enkel sprach, fühlte
er, daß jedes Wort eine Bitte sei, die der Herr erhörte. Sie wnrdcn ge-
segnet, nnd sie sollten gesegnet sein, nnd er nahm dies durch den Glanben
wahr. S o , sehen w i r , legte er seinen Glauben an den T a g , indem er
gläubiges Gebet darbrachte und einen znuersichtlichen Segen aussprach. Lieben
Freunde, ob wir leben oder ob wir sterben, laßt nns Glanben an Gott haben.
Wann immer wir das Evangelium lehren oder predigen, laßt nils Glauben
haben; denn ohne Glauben werden wir vergeblich arbeiten. Wenn ihr religiöse
Bücher verteilt oder Kranke besucht, ihut es im Glauben, denn der Glaube
ist das Lebensblnt all nusres Dienstes. Wenn ein sterbender Jakob nur durch
T p u i g e o n , Alttestamentliche Bilder. 9
130 Nlttestllmentliche Bilder.

den Glauben feine Nachkommen segnen kann, so können wir nur durch den
Glauben die Menscheilkinder segnen. Habt Glauben an Gott, so wird die
Lehre, die ihr gebt, wirklich erbauen, die Gebete, die ihr darbringt, werden
Ströme der Gnade herniederziehen, und enre Bemühungen um eure Söhne
und Töchter werdeu gedeihen. Gott will segnen, was im Glauben gethan
wird; aber wenn wir nicht glauben, wird unser Werk nicht gefördert werden.
Glaube ist Mark und Rückgrat in der Kraft des Christen, Gutes zu thun: wir
sind schwach wie Wasser, bis wir durch den Glauben mit Gott in Verbindung
treten, uud daun sind wir allmächtig. W i r können nichts thun, um das geist»
liche und ewige Wohl unsrer Mitmenschen zu fördern, wenn wir ill dem
wandeln, was unfre Augen sehen; aber wenn wir ill die Kraft Gottes hinein
gelangen und seine Verheißuug durch kühne Zuversicht ergreifen, dann empfangen
wir die Kraft zu segueu.
I h r werdet auch beachte», daß nicht n u r die K r a f t zu segnen ihm
durch den G l a u b e n w a r d , sondern daß die Segnuugen, die er seinen
Enkeln zuerteilte, derselben A r t waren. Seine Vermächtnisse waren
alles Segnungen, die er nur durch den Glauben besaß. Er gab Ephraim
und Manasse jedem ein Teil: aber wo und was? Nahm er einen Bellte!
aus einer eisernen Kiste und sprach: „Hier, ihr juugcn Männer, ich gebe euch
dieselbe Summe baren Geldes wie meinen Söhnen!"? Nein, es scheint nicht
eill einziger Seckel im Kastell gewesen zu sein. Verlangte er die Karte der
Familienbesitztümer und sagte: „Ich gebe euch, meine Kinder, meine Güter in
diesem Distrikt uud mein Grundeigentum in jenem?" Nein, nein, er gab
ihnen keinen Besitz in Gosen, aber jeder hatte seinen Allteil in Kanaan.
Gehörte ihm dieses? J a , in einem Sinne, aber in einem andren nicht.
Gott hatte es ihm verheißen, aber er hatte noch keinen Fuß breit Boden darin.
Es wimmelte von Kananitern im Lande; sie wohnten in Städten, die bis an
den Himmel vermauert warm, und hatten das Land nach dein Recht des Be»
sitzes, das nenn Zehntel des Eigentumsrechtes ausmacht. Aber der Greis
spricht voll Kanaan, als wenn es ganz sein eigen wäre, und sieht die Stämme
zu Völkern erwachsen, als wenn sie schon im wirklichen Besitz des Landes
wären. Er hatte thatsächlich weder Haus noch Land in Palästina, und dennoch
rechnet er das Ganze für sein Eigentum, weil ein treuer Gott es seiuen Vätern
verheißen hat. Gott hatte zu Abraham gesprochen: „Hebe deine Augeu auf,
und siehe von der Stätte an, da du wohnest, gegen Mitternacht, gegen den
Mittag, gegen den Morgen, gegen den Abend. Denn alles Land, das du
stehest, will ich dir geben." Und Jakob betrachtet diese Gabe Gottes als Frei-
brief ltlld Vesitzurklmde, und handelt danach, indem er sagt: „Dies ist für
Ephraim; dies ist für Manasse," obwohl ein höhnender Ungläubiger, der dabei
gestanden, gesagt haben würde: „Hört, wie der alte Mann faselt und irre
Jakob betet an, auf seinen S t a b gelehnt.

redet und weggibt, was er nicht hat!" Der Glaube ist das Wesen der
Dinge, die man hofft (Hebr. 11, 1), nnd handelt ernsthaft und in geschäftlicher
Weise mit dem, was er sich verwirklicht: die blinde Vernunft mag spotten,
aber der Glaube wird von all seinen Kindern gerechtfertigt.
Geliebte, in dieser Art segnen wir die Kinder der Menschen, nämlich
durch den Glauben. W i r beten für sie, und wir sagen ihnen von dem Guten,
das noch zukünftig ist, das von dem Auge nicht gesehen und von den Sinnen
nicht wahrgenommen werden kann, aber unbegreiflich gut ist — was Gott
denen aufbehalten hat, die I h n lieben, was das Teil unsrer Kinder und unsrer
Frennde sein soll, wenn sie an den lebendigen Gott glauben. Durch den
Glauben hoffen wir auf das, was wir noch nicht gesehen haben. W i r be-
kennen, daß wir wie Abraham, Isaak und Jakob Fremdlinge hienieden sind
und nach einem Orte pilgern, von dem Gott zu uns geredet hat: „eine Stadt,
die einen Grnnd hat, welcher Baumeister und Schöpfer Gott ist." W i r haben
gelernt, von der Krone zu reden, die der Herr für uns aufbewahrt hat, und
uicht allein für uns, sondern für alle, die seine Erscheinung lieb haben; und
es ist uusre Freude, andren zu sagen, wie sie diese Krone gewinnen können.
Wir weisen sie hin auf die enge Pforte und den schmalen Weg, diesiebeide
nicht sehen können, und ans das Ende des schmalen Pfades, zu den Gipfeln
der Verge, auf denen die ewige Stadt stehet, wo die Pilger des Herrn wohnen
sollen immerdar nnd eines ewigen Lohnes genießen. Der Glaube ist nötig,
damit wir im stände sind, Menschen auf das Ewige und Unsichtbare hin-
zuweisen; weun wir dies nicht thnn können, wie vermögen wir sie zn segnen?
Wir müssen glauben für die, die wir lieben, und Hoffnung für sie haben;
dann werden wir bei Gott für sie obsiegen und sie segnen. O, ihr weltlichen
Väter, ihr mögt euren Söhnen geben, welch Erbteil ihr könnt, und unter eure
Töchter so viel Reichtümer verteilen, wie es euch gefällt, aber was uns an-
langt, unfre Sehnsucht ist's, unsre Kinder uud unsrer Kinder Kinder mit den
Gaben begabt zu sehen, die von oben kommen. Wenn sie einen Anteil in
dem noch ungesehenen Lande jenseit des Jordans gewinnen und jetzt einen
Teil in Christo Jesu haben, so wollen wir froh sein — unendlich froher, als
wenn sie die Reichsten unter den Menschen wären. Unsre Vermächtnisse an
uusre Söhue sind die Segnungen der Gnade und unsre Mitgift an unsre
Töchter sind die Verheißungen des Herrn.
Es ist wohl unsrer Beachtung wert, daß der ehrwürdige Patriarch
i n seinem Segen den B u n d besonders erwähnt. Sein Glaube, wie
der Glaube der meisten Kinder Gottes machte den Bund zu dein Gezelt, wo
er voll Freuden wohnte, zum Turm seiner Schutzwehr und zur Rüstkammer
für den Krieg. Kein füßeres Wort war ans seiner Zunge, als der Bund, und
kein reicherer Trost erquickte sein Herz. Er sprach zu Joseph: „Der allmächtige
9*
132 Alttestamentliche Bilder.

Gott erschien mir zu Lus im Lande Kanaan, und segnete mich und sprach zu
mir: „Siehe, ich will dich wachsen lassen und mehren." Seine Zuversicht
ruhte auf der Verheißung des Herrn und auf der göttlichen Treue: das war
die Wahrheitsquelle, aus der er die Inspiration schöpfte, die ihn seine Enkel
segnen ließ. Und bemerkt anch, wie er bei dem Namen seines Vaters Abraham
und seules Vaters Isaak verweilt, mit denen der Bund vormals errichtet war:
das Andenken an die'Vnndesliebe ist kostbar und jedes bestätigende Zeichen ist
aufbewahrt und wird genannt. Sterbende schwatzen nicht Unsinn. Sie er-
greifen etwas Festes, und der ewige Bund, der mit ihren Vätern gemacht uud
all ihnen selbst bestätigt worden ist, ist einer von den großen Dillgell gewesen,
über den sterbende Heilige sich auszusprechen pflegen. Erinnert ench, wie
David sagte: „Obwohl mein Haus nicht so mit Gott ist, hat Er mir doch
einen Bund gesetzt, der ewig, lind alles wohl geordnet und gehalten wird."
Während wir hier sitzen, können wir die Sache kühl besprechen, aber wenn
der Todesschweiß kalt auf der Stirne liegt, und der Puls stockt, und das
Atmen immer schwerer wird, so wird es selig sein, das Auge auf deu treuen
Verheißenden zu richten und einen Frieden in der Seele zu fühlen, den selbst
die Todesschmerzen nicht stören können, weil wir dann auszurufen vermögen:
„Ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiß, daß Er kann mir meine
Beilage bewahren bis an jenen Tag." Meine lieben Hörer, wenn ihr keinen
Glauben habt, so könnt ihr euch nicht auf den Bund berufen, und gewiß, wenn
ihr ihn nicht selbst geltend machen könnt, so könnt ihr es nicht für enre Söhne
und Enkel, wenn ihr Gott um Segen für sie bittet. Durch den Glauben an
den Blind segnete der ehrwürdige Jakob die zwei Söhne Josephs, und ohne
Glauben können wir niemand segnen, denn wir sind selbst nicht gesegnet. Der
Glaube ist der Priester, der den Segen ohne Furcht verkündet.
Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf einen Punkt lenkeil, der, wie ich
meine, den Glauben Jakobs ungemein veranschaulicht. Indem er diesen zwei
Enkeln seine Segnungen für die Zukunft austeilt, nimmt er sie ganz von
Joseph weg und sagt: „Gleichwie Nuben und Simeon sollen sie mein sein."
Wißt ihr, wer diese beiden juuge Herren waren? Denkt eine Weile nach,
und ihr werdet sehen, daß sie an Rang, Stand, Verwandtschaft und Aussichten
im Leben sehr verschieden voll den Söhnen Jakobs waren. Jakobs Söhne
waren als arbeitende Männer, ohne Kenntnis feiner Gesellschaft oder gelehrter
Künste erzogen worden. Sie waren Landleute, bloße Beduinen, herumziehende
Hirten und weiter nichts; aber diese zwei jnnge Herren stammten von einer
Fürstin ab uud waren ohne Zweifel aufs beste erzogen. Pharao hatte Joseph
eine Tochter Potipheras, des Priesters zu On, gegeben, und die Priester
Ägyptens waren die höchste Klasse von allen — der Adel des Landes. Joseph
selbst war der erste Minister, und diese nahmen an seinem Range teil. Die
Jakob betet an, auf seineu Stab gelehnt. 133

Söhne Rubens und Simeons galten nichts in den feinen Kreisen Ägyptens —
sehr gnte, anständige Leute, Ackerbauer und Viehzüchter, aber durchaus nicht
von dem hohen Stande des Herrn Barons Manasse und seines Bruders Ephraim.
I n der That, jeder Hirte war den Ägyptern ein Greuel, und deshalb.nicht
znlä'ssig znm Adel Ägyptens: aber Manasse nnd Ephraim waren von höherer
Kaste und juuge Herren von Nang und Vermögen. Aber Jakob zeigte
seinen G l a n b e n dadurch, daß er weltliche U r t e i l e f ü r seine Enkel
unbeachtet ließ. Er sagte zn Joseph: „Sie sollen nicht dein sein. Ich
kenne sie nicht als Ägypter, ich vergesse ihrer Mutter Nang und Familie ganz.
Die jungen Leute haben anziehende Aussichten vor sich; sie können Priester des
Göhentenlpels werden und zu hoher Würde unter den Ägyptern emporsteigen;
aber all diesen Flitter weisen wir für sie zurück, und zum Zeichen davon nehme
ich sie als meine eignen Söhne an; sie sind mein; wie Simeon und Nnben
sollen sie mein sein. Für alles Gold Ägyptens möchtest du nicht, daß sie einem
Götzen dienten, denn ich weiß, daß du deines Vaters Gott und deines Vaters
Glauben treu bist." Und so nimmt er die beiden ganz hinweg, seht ihr,
von all ihren glänzenden Aussichten nnd verleiht ihnen das, was dem fleisch-
lichen Sinn wie ein Vesitz in einem Tranmlnnd, ein Luftschloß, etwas Unfühl-
bares nnd Nicht'Werlvolles scheint. Dies war eine That des Glaubens, nnd
selig sind die, welche sie nachahmen können und lieber die Schmach Christi für
ihre Söhne wählen als alle Schätze Ägyptens. Die Freude dabei ist, daß
diese jungen Männer den Tansch annahmen und die goldenen Besitztümer
Ägyptens fahren ließen, wie Mose später es that. Mögen nnsre Erben und
Nachfolger derselben Gesinnung sein, und möge der Herr von ihnen sagen:
„Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gernfen;" und wiederum: „ D a Israel
jung war, hatte ich ihn lieb, und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten."
So ist es, wie der Glaube uns dahin führt, unsro Kinder zu segnen. W i r
denken in dieser Sache ebenso wie Jakob. W i r wollten lieber nnsre Kleinen
begraben, als daß sie leben sollten, um unter die reichsten und berühmtesten
Männer gezählt zu werden nnd doch ihres Vaters Gott nicht kennen, noch I h m
dienen; besser, daß wir sie still in solche Erde legen, wie unsre christlichen
Brüder sie uns zu Gräbern für nnsre ungetansten Kindlein verstatten; besser,
daß sie sicher daheim zur Rechten Gottes geborgen sind, als daß sie aufwachsen,
um sich in Ausschweifungen zu stürzen oder falscher Lehre zu folgen nnd ohne
Ehristum zu verderben. J a , ja, der fromme, alte Mann war zufrieden, daß
seine Familie so arm sein sollte, wie er es ill Kanaan gewesen, so lange sie
nur einen Vesitz in dem verheißenen Lande hatten.
Seht ihr also nicht, wie Jakob dnrch den Glauben die zwei Söhne
Josephs segnete, ihre weltlichen Aussichten beiseite setzte und ihnen den
Segen verlieh, der den Kindern der Verheißung gehört?
134 Alttcstllmeiitliche Bilder.

Wir sind noch nicht fertig, denn wir beachten, daß Jakob seinen
Glauben dadurch zeigte, daß er Josephs Söhne i n der O r d n u n g
Gottes segnete. Er stellte Ephraim vor Manasse. Es war nicht nach der
Regel der Natur, aber er fühlte sich dazu getrieben, und sein Glaube wollte
nicht der göttlichen Führung widerstehen: blind, wie er war, wollte er der
Vorschrift seines Sohnes nicht nachgeben, sondern kreuzte seine Hände, um der
göttlichen Mahnung zu gehorchen. Der Glaube ist entschlossen, das Rechte auf
die rechte Weise zu thun. Einiger Leute Glaube briugt sie dahin, das Rechte
auf verkehrte Art zu thuu, aber reifer Glaube folgt der Ordnung, die Gott
vorschreibt. Wenn Gott Ephraim zuerst haben will, hadert der Glaube nicht
mit seinem Ratschluß. Wir mögen wünschen, ein Lieblingskind mehr gesegnet
zu sehen als ein andres, aber die Natur muß ihre Wahl aufgebe», denn der
Herr muß thuu, was I h n gut deucht. Der Glaube zieht die Guade dem
Talent vor und die Frömmigkeit der Klugheit; er legt seine rechte Hand, wo
Gott sie hinlegt, und nicht, wo Schönheit der Person oder Schärfe des Ver-
standes dazu veraulasseu könnten. Unser bestes Kind ist das, welches Gott das
beste nennt; der Glaube berichtigt die Vernunft uud nimmt das göttliche
Urteil an.
Bemerkt, daß er feinen Glauben durch deutliche Vezuguahme
auf die Erlösung kundgab. Der alleiu, der Glauben hat, wird um die
Erlösung seiner Kinder beten, besonders wenn sie keine Zeichen der Knechtschaft
an den Tag legen, sondern hoffnungsvoll uud liebenswürdig sind. Der Greis
betete: „Der Engel, der mich erlöset hat von allem Übel, der segue die
Knaben." Laßt euren Glauben auf eure Kinder einen Anteil an den
Segnungen der Erlösung bringen, denn sie müssen erlöset werden, eben wie
andre. Wenn sie in dem Vlute Jesu gewaschen sind, wenu sie mit Gott durch
das Blut seines Sohnes versöhnt sind, wenn sie Zugang zu Gott durch das
Vlut des Sühnopfers haben, dann könnt ihr zufrieden sterben; denn was gibt
es, das ihnen fchaden kann, wenn einmal der Engel, der euch erlöset hat, sie
auch erlöset hat? Voll Sünde, vom Satan, vom Tod, von der Hölle, vom
Selbst — „von allem Übel" macht unser Erlöser uns frei; und dies ist der
größte aller Segenswünsche, den wir über unsre teuersten Kinder aussprechen
können. Geliebte Hörer, so möchte ich für euch bitten — möge der erlösende
Engel euch von allem Übel befreien.
Jakob zeigte seineu Glauben durch die Zuversicht, daß G o t t
mit seinem Samen sein würde. Wie ermutigeud ist des alteu Mannes
Wort im Sterben, das sich nicht nur auf diese Knaben, sondern auf seine
ganze Familie bezog. Er sprach: „Siehe, ich sterbe, uud Gott wird mit euch
sein." Das ist sehr viel anders als die Klagen mancher guten, alten Prediger,
wenu sie sterben. Sie scheinen zu sagen: „Wenn ich sterbe, so wird das Licht
J a k o b betet a n , a u f f e i n e n S t a b gelehnt.

Israels ausgelöscht sein. Ich werde sterben, und die Leute werden von der
Wahrheit abweichen. Wenn ich dahin bin, so ist der Bannerträger gefallen
und der Wächter auf der Mauer ist tot." Viele fürchten im Tode für den
Wageil Israels und seine Reiter; und zuweilen reden wir, die wir in guter
Gesundheit sind, so ziemlich in derselben Art, als wenn wir ungemein not-
wendig für den Fortschritt der Sache Gottes wären. Ich habe einige von
unsren Gemeindegliedern in dieser Manier sprechen und sie fragen hören:
„Was sollten wir thun, wenn Herr So und So stürbe! Wenn unser Pastor
dahinschiede, was würde die Gemeinde thun?" Ich will euch sagen, was ihr
ohne uns thun werdet: ich will den Fall setzen, daß ich selbst im Begriff zn
sterben wäre: „Nun sterbe ich, aber Gott wird mit euch sein." Wer auch
hinübergeht, der Herr wird bei seinem Volke bleiben, und die Kirche wird sicher
sein. Die große, alte Sache hängt nicht von einem oder zweien von uns ab.
Gott verhüte! Die Wahrheit war mächtig im Lande, ehe der beste Mann,
der lebt, geboren wurde, und wenn sein Leichenzug, laugsam uud traurig, ihn
zu seiuer letzten Ruhestätte bringt, wird die Wahrheit nicht mit ihm begraben
werden, sondern wird in ihrer eignen, unsterblichen Ingend immer noch mächtig
sein; ja, und neue Anwälte werden auftreten, voller von Leben und Kraft, als
wir es sind, und größere Siege werden gewonnen werden. Wenn ihr jene
alte Eiche umhaut, die null mit ihrem Schatten eineil so weiten Raum bedeckt,
mögen ein Dutzend Bäume aufschießen, die sonst von dem Riesen überschattet
uud in ihrem Wachstum, gehindert worden wären: die Hinwegnahme eines
Mannes ist oft die Gelegenheit für das Aufsprießen vieler andrer, die gleiche
Dienste thun. Es ist großartig, mit Jakob zu sprechen: „Nun sterbe ich, aber
Gott wird mit euch seilt." Solche Sprache ehrt Gott und verrät eine Seele,
die voll Vertrauen ist und ganz vou jenem Dünkel befreit, der sich wichtig,
wo nicht notwendig, für die Sache Gottes wähnt. Mögen wir so sterben im
Vertrauen ans den Herrn, und mögen wir mittlerweile so leben, indem wir
uns auf die göttliche Kraft verlassen.
So viel über Jakobs Segeussprüche. Durch den Glauben segnete er die
zwei Söhne Josephs.

II.
Uns wird ferner gesagt, daß der Greis „anbetete" — anbetete d u r c h
den G l a u b e n . Diese Handlung kann niemand recht vollziehen, außer durch
den Glauben, „denn wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß Er sei,
und denen, die I h n suchen, ein Vergelter sein werde." Der Schwerpunkt ist
hier, daß er in seiner Todesstunde anbetete, und anbetete, indem er seine zwei
Enkel segnete. Sehr kurz laßt mich euch sageu, welche Anbetung er, wie ich
denke, darbrachte.
136 Alttestamcntliche Bilder.

Zuerst brachte er im Sterben die Anbetung der Dankbarkeit dar.


Wie lieblich ist der Vorfall im zehnten und elften Vers beschrieben: „Denn
die Augen Israels waren dunkel geworden vor Alter nnd konnten nicht wohl
sehen. Und er brachte sie zu ihm. Er aber küßte und herzte sie. Und sprach
zu Joseph: Siehe, ich habe dein Angesicht gesehen, das ich nicht gedacht hätte;
und siehe, Gott hat mich auch deinen Samen sehen lassen." O ja, wir werden
oft zu sagen haben: „ O Herr, ich ljatte nicht gedacht, daß D u so viel thun
würdest, als dieses, aber D u bist weit über das hinans gegangen, was ich je
bat oder dachte." Ich hoffe, es wird unter unsren Sterbercden und Be-
kenntnissen sein, daß ulls nicht die Hälfte gesagt worden ist, daß nnser guter
Herr den besten Wein bis zuletzt behalten hat, und daß das Ende des Festes
auf Erden, das nur der Veginn des ewigen Festes im Himmel ist, die Krone
von allem war. Laßt uns von unsrem Herrn erklären, daß wir I h n besser
und besser und besser und besser fanden, bis wir in seine Ruhe eingingen. Er
ist zuerst besser gewesen als unsre Befürchtungen, dann besser als uusre Hoff-
nungen und zuletzt besser als unsre Wüusche. Einem so guten, so hochgelobten
Gott dienen wir, daß Er durch seine Gnadenthaten immer uusre größten Er-
wartungen übertrifft. Was für Ursachen haben wir znr Anbetnng des dank-
baren Preises; laßt uns nicht träge sein, sie darzubriugeu. Jakob betete durch
Worte »der Dankbarkeit an.
Brachte er nicht auch die Anbetung des Zeugnisses dar, wenn er
Gottes Güte gegelt ihn sein ganzes Leben hindurch anerkannte? Er sagt:
„Gott, der mich mein lebenlang ernähret hat," nnd gesteht so, daß er immer
abhängig, aber immer versorgt gewesen ist. Er war ein Hirte gewesen, und
er gebraucht hier ein Wort, welches bedeutet: „Der Gott, der mich gehütet
hat — der mir ein Hirte war mein lcbenlnng." Es war ein Zengnis für
die Fürsorge und Freuudlichkeit Iehouahs. Jakob murrt jetzt nicht und erklärt
nicht, daß alles über ihn geht. Nnn hadert nnd trauert er nicht mehr und
thut keine raschen Aussprüche; nun macht er nicht einmal mehr einen Handel
mit Gott, sondern ruft: „Der Gott, der mich mein lebenlang ernähret hat."
Ja, und ich hoffe, auch wir werdeu unser Leben schließen mit dem Rühmen
der Güte Gottes. Sei dies unser Zeugnis: „ E r nährte mich mein lebenlang.
Ich war manchmal in Verlegenheit und wußte nicht, woher der nächste Bissen
Brot kommen sollte; aber wenn Er auch keinen Raben sandte und keine Witwe
fand, un: für mich zu sorgen, so hat Er mich auf die eine oder andre Weise
doch mein ganzes Leben hindurch ernährt. Er ging seinen eignen weisen
Weg, so daß ich niemals Mangel hatte, denn der Herr war mein Hirte
mein lebenlang." So seht ihr, daß Jakob, als es mit ihm zum Sterben
kam, durch das Zeugnis des Glaubens anbetete, und dies nimmt der Herr
gern an.
Jakob betet au, auf seineu Stab gelehnt. 137

Beachtet auch, wie ehrerbietig er den Bundesengel nennt mit der All«
betung ehrfurchtsvoller Liebe. Er spricht von dem „Engel, der mich er«
löset hat voll allem Übel." Er denkt an den Engel, der mit ihm rang und an
den Engel, der ihm erschien, als er zu Bethel im Schlafe lag. Dies ist der
Ellgel, nicht ein gewöhnlicher Engel, sondern der wahre Erzeilgel — Jesus
Christus — der Gesendete des Bundes, in dem wir uus freuen. Er ist es,
der uns voll allein Übel befreit hat durch sein erlösendes Blut, denn kein
andres Wesen hätte eine so vollständige Erlösung bewirken können. Erinnert
ihr euch, als Er persönlich zu euch kam und mit euch rang und eure Selbst'
gerechtigkeit hinwegriß und euch an eurer Hüfte hiukeu machte? Dies war
vielleicht eure erste Bekanntschaft mit I h m . I h r saht I h n bei Nacht und hieltet
I h u zuerst eher für einen Feind als einen Freund. Erinnert ihr euch, als Er
clire Kraft hillwegnahm und euch dann zuletzt errettete, weil ihr in der äußersten
Schwäche, nahe daran, zu Boden zu fallen. I h n ergrifft und sagtet: „Ich lasse
Dich nicht, D u segnest mich denn," und so einen Segen von I h m verlangtet?
I h r hattet vorher gedacht, daß ihr Kraft in euch selber hättet, aber jetzt lerntet
ihr, daß ihr die Schwachheit selber wäret und daß ihr nnr ill dem Maß, wie ihr
euch eurer Schwäche bewllßt würdet, wirklich stark werden könntet. I h r lerntet,
von euch selbst hinweg alls I h n zn blicken, und preist ihr I h n nicht dafür,
daß Er euch dieses gelehrt hat? Werdet ihr «licht, wenn ihr im Sterben
liegt. I h n preisen für das, was Er damals und eller ganzes Leben lang für
euch that? O, meine Brüder, wir dankell alles dem erlösenden Ellgel des
Blindes. Die Übel, die Er von uns abgehalten hat, sind über allen Begriff
entsetzlich, und die Segnungen, die Er uns gebracht, sind über alle Vorstellung
reich. W i r müssen I h n allbeten, und obgleich wir I h n nicht sehen, müssen
wir illl Leben und im Tode I h n mit demütiger Liebe verehren.
Wenn ihr die ganze Beschreibung des Todes Jakobs leset, so werdet
ihr ferner wahrnehmen, wie er mit ernster Sehnsucht anbetete, denn gerade,
nachdem er einen Segen über den Stamm Dan allsgesprochen, scheint der
alte Mann ganz erschöpft und nach Atem zn ringen, aber anstatt ohnmächtig
zu werden, anstatt einen Schrei des Schmerzes lind der Schwäche auszustoßen,
ruft er feierlich aus: „Herr, ich warte auf Dein Heil!" Es ist eine heilige
Äußerung, in die Mitte einer Weissagung hineingeschoben — „Herr, ich warte
alls Deiil Heil;" als wollte er sagen: „Ich sehne mich zu gehell. Mein Herz
ist ganz bei Dir. Zögere nicht, o mein Gott. Stärke mich, noch diese eine Auf-
gäbe zu erfüllen, die Zukunft meinen Söhnen zu verkünden und hilf mir, mein
letztes Gebet für ihr Wohl darzubringen, und dann, Herr, laß Dein Heil kommen."
So habt ihr ein Vild von dem Greise gehabt, der dnrch den Glauben
segnete und durch den Glauben allbetete: der Glaube war die Hauvtquelle
dieser beiden Handlungen, ihr Wesen, ihre Seele und ihre Krolle.
138 Nlttcstamelltliche Bilder.

III.
Das letzte, wovon wir sprechen wollen, ist seine S t e l l u n g . Er „betete
an und lehnte sich auf die Spitze seiucs Stabes." Die Nomanisteil haben
schönen Ilnsug mit diesem Text getrieben, denn sie haben ihn gelesen: „ E r
betete die Spitze seines Stabes an," und ihre Vorstellung ist vermutlich die
gewesen, daß ein hübscher, kleiner Gott auf der Spitze geschnitzt war — das
Vild eines Heiligen oder ein Kreuz oder ein andres Symbol, und daß er
dieses Sinnbild emporhielt uild so die Spitze seines Stabes anbetete. W i r
wissen, daß er nichts dergleichen that, denn es ist keine Spur in AbrahnM>
Isaak oder Jakob von irgend etwas wie Vilderverehrung: obgleich die Ver-
ehrung der Teraphim in ihren Familien noch zurückgeblieben, war es nicht
mit ihrer Einwilligung. Sie waren keine vollkommenen Menschen, aber sie
waren vollkommen frei von Götzendienst und beteten nie ein Vild an. Nein,
nein, nein; sie beteten Gott allein an. Er betete an auf der Spitze seines
Stabes, — sich darauf lehnend, sich auf denselben stützend. I m ersten Buch
Mose lesen wir, daß er „sich neigte auf das Haupt des Bettes." Es ist ein
sehr sonderbares Ding, daß das Wort für Vett und das Wort für Stab im
Hebräischen sich so außerordentlich gleich sind, daß, wenn nicht die kleinen
Punkte gebraucht worden sind, die vermutlich in alten Zeiten nie gebraucht
wurden, es schwer sein wird, zu sagen, ob das Wort „Vett" oder „Stab" ist.
Ich deilke indes, daß weder Mose noch Paulus unrecht haben kann. Jakob
machte sich stark und saß auf seinein Vette nnd lehnte sich auch auf feilten Stab.
Es ist sehr leicht, sich eine Stellnng zu vergegenwärtigen, in der beide Ve-
schreibnngen gleichmäßig wahr sein würden. Er konnte auf seinem Vette
sitzen und sich zugleich auf die Spitze seines Stabes lehnen.
Aber weshalb lehnte er sich auf seinen Stab? Warum that er dies?
Ich denke, anßer dem natürlichen Bedürfnis einer Stütze, das er seines Alters
wegen hatte, that er es sinnbildlich. Erinnert ihr euch nicht, daß er sagte:
„ M i t meinem Stabe ging ich über den Iordau?" Ich glaube, er behielt
diesen Stab sein lebenlang als Andenken. Es war sein Lieblingsstab, den er
mit sich ans seine erste Reise nahm, und er lehnte sich darauf, als er sich zur
letzten allschickte. „ M i t meinem Stab ging ich über den Jordan," hatte er
früher gesagt, und null geht er mit diesem Stab ill der Haud über den
geistlichen Jordan. Dieser Stab war sein Lebensgefährte, fein Zeuge voll der
Güte Gottes, wie einige von uns eine alte Vibel oder ein Messer oder einen
Stuhl haben mögen, die mit denkwürdigen Ereignissen in unsrem Leben ver-
knüpft sind.
Aber was zeigte dieser Stab all? Laßt uns hören, was Jakob zu einer
andren Zeit sagte. Als er vor Pharao stand, rief er aus: „ D i e Z e i t meiner
W a l l f a h r t ist hundert und dreißig Jahre." Weshalb brauchte er das Wort
Jakob betet a n , auf seinen S t a b gelehnt. 139

„Wallfahrt"? Nun, weil in seinein Geiste immer die Vorstellung war, daß
er ein Pilger sei. Er war dies buchstäblich gewesen während der früheren
Zeit seines Lebens uud war hier» und dorthin gewandert; und jetzt, obwohl
er nun siebzehn Jahre in Gosen gewesen ist, behält er den alten Stab und
lehnt sich darauf, um zu zeigen, daß er immer ein Pilgrim und ein Fremd-
ling wie seine Väter gewesen und daß er noch stets so ist. Während er sich
auf diesen Stab lehnt, spricht er mit Joseph und sagt: „Laßt nicht meine
Gebeine hier liegen. Ich bin nach Gottes Leitung hierher gekommen, aber
ich gehöre nicht hierher. Dieser Stab zeigt an, daß ich nur ein Fremdling
bin und mich sehne, zu gehen. Ich bin in Ägypten, aber nicht von Ägypten.
Nimm meine Gebeine hinweg. Laß sie nicht hier liegen, denn sonst werden
meine Söhne und Töchter sich mit den Ägyptern vermischen, und das darf
nicht sein, denn wir sind ein abgesondertes Volk. Gott hat uns fürsichselbst
gewählt und wir müssen nils getrennt erhalten. Um meine Kinder dies sehen
zu lassen, sterbe ich mit meinem Pilgerstab in der Hand." „Gib mir meinen
Stab," scheint der alte Mann zu sagen, „ich will mit ihm in der Hand sterben.
Ich protestiere dagegen, daß ich hier ansässig sei, ich weile nur eine Zeitlang.
Ich will mich darauf stützen uud zum letztenmal Gott anbeten in der Stellung
eines, der sich sehnt, auf- und davonzugehen." Nun, christlicher Vrnder, ich
möchte, du lebtest in demselben Geiste und fühltest, daß hier nicht deine Nuhe
und nicht dein Heimatland ist. Hier ist nichts, das deiner würdig ist. Deine
Heimat ist drüben, jenseit der Wüste, wo Gott dir dein Teil zugemessen hat.
Christus ist hingegangen, dir die Stätte zu bereiten, und es würde dir schlecht
anstehen, kein Verlangen dahin zu haben. Je länger du lebst, desto stärker
laß den Gedanken in dir werden: „Gib mir meinen Stab. Ich muß davon.
Arme Welt, du bist keine Ruhestätte für mich; ich bin keins von deinen
Kindern, ich bin ein Pilger und ein Fremdling. Mein Bürgerrecht ist im
Himmel. Ich nehme mein Teil an Ägyptens Politik und Ägyptens Arbeit,
ja, nnd an Ägyptens Leiden, aber ich bin kein Ägypter, ich bin ein Fremder,
der nach einem andren Lande pilgert." Vete an auf der Spitze deines Stabes
und singe:
„Es wird nicht laug' mehr währen,
Halt' noch ein wenig ans;
Es wird nicht lang' mehr währen, .
So kommen wir nach Hans."

Sonderbar genug ist es, daß jeder Nachkomme Jakobs zuletzt dahin kam,
ans der Spitze seines Stabes anzubeten, denn in der Nacht des Passah, als
das Vlut auf die Schwelle und die Pfosten gesprengt war, aß jeder von ihnen
das Lamm nnd hatte dabei seine Lenden gegürtet und einen Stab in der Hand.
Das Mahl war ein Fest der Anbetnng, und sie aßen es, sich auf ihren Stab
140 Alttestamentlichc Bilder.

lehnend als solche, die eiligst ihr Haus verlassen wollten, nm eine Pilgerschaft
durch die Wüste anzutreten.
Brüder und Schwestern, laßt uns Jakob in dein Glauben seiner Todes-
stunde nachahmen. Möge der Heilige Geist in der Kraft unsres Herrn Jesu
ench fähig machen, durch den Glauben zu leben. Lebt, uni andre zu segnen,
besonders eure eignen Nachkommen; lebt, um Gott allezeit zu dienen; und
lebt mit eurer Hand auf eurem Stabe, immer sagend: „Dies ist nicht unsre
Ruhestätte, deun sie ist befleckt."
Meine lieben Hörer, dieser Nat ist nicht für euch alle, denn nicht jeder
von euch ist ein Jakob, ihr gehört nicht alle zn dem gläubigen Samen. Ich
kann euch nicht heißen, euren Stab nehmen, denn wenn ihr euren Stab
nähmet und hinweg ginget, wohin würdet ihr gehen? I h r habt kein Teil in
der künftigen Welt, kein verheißenes Land, kein Kanaan, in dem Milch und
Honig fließt. Wohin wollt ihr gehen? I h r müßt verbannet werden von dem
Angesichte des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Macht. Wehe euch!
I h r könnt nicht anbeten, denn ihr kennt Gott nicht; ihr könnt nicht andre
segneu, denn ihr seid selber nicht gesegnet worden. Möge der Herr euch zu
seinem lieben Sohne Jesu Christo bringen, und euch dahiu leiten, I h m zu
vertrauen, uud dann werde ich hoffen, daß ihr, wenn ihr errettet seid, durch
den Glauben Jakob uachahmen werdet, die Menschen segnen, Gott anbeten,
nnd mit eurem Stab iu der Hand warten, bereit, ill die ewige Ruhe einzu<
gehen. Der Herr sei mit euch, um Christi willen. Amen.
Josephs Gebeine. 141

10
Josephs Gebeine.
„Durch den Glauben redete Joseph von dem Auszug
der Kinder Israels, da er starb, und that Befehl von seinen
Gebeinen." Hebr. 11, 22.

können nicht leicht sagen, welcher Handlung in einem frommen


Leben Gott am meisten Wert beimißt. Der Heilige Geist wählt in diesen,
Kapitel alls dem Leben fro'mmer Männer die glänzendsten Beispiele ihres
Glaubens alls. Ich hätte kaum erwartet, daß Er die Sterbeszene von Josephs
Leben als den erhabensteil Beweis seines Glaubens an Gott genannt hätte.
Jenes ereignisreiche Leben — vielleicht mit Ausnahme eines das interessanteste
in der Heiligen Schrift — ist reich an Vorfällen, von denen der Heilige Geist
durch seinen Dieller Paulus hätte sagen können: „Durch den Glauben that
Joseph dies und das," aber nichts wird genannt, als die Schlußszene. Be-
sonders der Sieg seiller Kenschheit nntcr wohlbekannter und außerordeutlich
schwerer Versuchung hätte sehr passeud der Kraft femes Glaubens zugeschrieben
werden können, aber er wird Übergängen, und die Thatsache, daß er voll
seinen Gebeinen Befehl that, wird als der höchste Beweis seines Glaubens
hervorgehobeil. Sagt dies uns »licht, lieben Brüder und Schwestern, daß miser
Urteil über das, woran Gott am meisten Freude haben wird, ein sehr un-
genügendes ist? Wahrscheinlich gefallen wir Gott am bestell, wenn wir uns
selber ani wenigsten gefallen. I l l jenem Gebet, über das wir seufzten imd es
für gar kein Gebet hielten, mag mehr wahrhaftes Flehen gewefen fein, als in einer
andren Fürbitte, von der wir weit höher dachten. Jene Predigt, über die wir
in der Bitterkeit unsrer Seele jammerten, weil wir glaubten, daß sie so schwach
gewesen, mag vor Gottes Allgen köstlicher gewesen sein, als manche geläufige
Rede, um deretwillen wir nils Glück wünschen. Jenes Leiden, das wir, wie
wir meinten, mit so viel Ungeduld ertrugen, mag vor Gott ein Beweis wahrer
Gedllld gewesen seil», als Er tief in unsre Seele hineinblickte. Die Prüfsteine,
an denen wir uns prüfen, sind sehr ungenau. Es mag sein, daß wir, wenn
142 Alttestamentliche Bilder.

wir unsre Lebensbeschreibung im Lichte der Ewigkeit lesen, überrascht sein


werden, zn bemerken, daß Gott das hoch gelobt hat, worüber wir weinten,
während vieles, dessen wir uns rühmten, weggeworfen wird wie schlechtes Silber.
Der Herr stehet nicht, wie ein Mensch stehet, denn der Mensch blickt auf die
äußere Erscheinung, aber Gott auf das Herz, und sein Blick dringt bis ins
Innerste. Der Herr wäget die Geister: Er schätzt nicht nach Farbe, Form und
Schimmer, sondern nach wirklichein Gewicht, und Er gab deshalb, als Er den
Charakter Josephs wog, das größte Gewicht einem Vorfall, in dem der Glaube
sich wirklich in großer Kraft zeigt, aber nicht dem oberflächlichen Beobachter.
Es mag überraschend scheinen, daß der Auftrag Josephs in betreff seines
Leichnams als ein bemerkenswerter Akt des Glaubens genannt wird, und uicht
der ähnliche Auftrag, den Jakob gab; denn that nicht auch Jakob Befehl von
seinen Gebeinen? „Und er gebot ihnen, uud sprach zu ihnen: Ich werde
versammelt zu meinem Volk, begrabet mich bei meinen Vätern in der Höhle ans
dem Acker Evhrons, des Hethiters, in der zwiefachen Höhle, die gegen Mamre
liegt, im Lande Kanaan, die Abraham kaufte famt dem Acker von Evhron,
dem Hethiter, zum Erbbegräbnis. Daselbst haben sie Abraham begraben, und
Sara, sein Weib. Daselbst haben sie auch Isaak begraben, und Nebekka,
sein Weib. Daselbst habe ich auch Lea begraben." Er befahl ihnen, seinen
Leib nach jenen» teuern Mausoleum der Familie in Machpelah zu bringen, wo
seine Väter ruhten. Warum war dies nicht eine Handlnng des Glaubens von
Jakob eben so sehr als von Joseph? W i r können nicht immer mit Bestimmt'
heit von diesen Sachen sprechen, aber wir meinen, daß ein sehr ausgesprochener
Unterschied zwischen beiden ist. I h r werdet bemerken, daß Jakobs Wunsch, in
Machpelah zu liegen, nach seiner eignen Beschreibung hanvtsächlich auf dem
Gruude natürlicher Zuneigung beruhte. Er spricht von seiner Verwandtschaft
mit Abraham, Ifaak, Lea u. f. w., und mit jenem natürlichen Gefühl, das
außerordentlich lobenswert, aber kein Werk der Gnade ist, wünscht er, bei
seinen eignen Blutsverwandten begraben zu werden. Wenn seine Seele zu
seinem Volke versammelt wäre, wollte er, daß sein Leib an der Seite seiner
Angehörigen ruheu sollte. Dieser Wunsch war wahrscheinlich eben so sehr aus
der Natur wie aus der Gnade hervorgegangen. Selbstverständlich hätte die
natürliche Zuneigung Joseph dahin geführt, ein Gleiches zu wünschen, aber er
gibt diesen Grund nicht an. Überdies bemerkt ihr, daß Jakob seinen Söhnen
befiehlt, mit seinen Gebeinen zu thun, was sie leicht thuu konnten; sie sollten
ihn nach Machpelah bringen nnd ihn da sogleich begraben. Er wußte, daß
sein Sohn Iofeph Macht in Ägypten hatte, und daß deshalb alles, was für
sein Begräbnis nötig war, beschafft werden würde: der ägyptische Hof war,
wie es sich zeigte, bereit genug, ihm das prachtvollste Begräbnis zu gewähren.
Sie trugen sogar siebzig Tage Leid um ihn und thatell dadurch kund, daß er
Josephs Gebeine. 143

ein Mann war, der in hohen Ehren von ihnen gehalten wurde. Jakob befahl
deshalb nichts, als was leicht gethan werden konnte; es war kein bemerkens-
wertes Zeichen von Glauben, wenn er ein sofortiges Begräbnis befahl, was
Josephs kindliche Liebe ihm leicht sichern konnte. Er nimmt sofort Besitz von
seinem Grabe in Kanaan und verlangt aus sehr guten Gründen nicht un-
begraben zu bleibe», bis seine Nachkommen im Besitz Kanaans sind. Jakob
sucht sofortiges Begräbnis, aber Joseph schiebt seine Beerdigung auf, bis die
Vundesverheißuug erfüllt ist. Joseph wünscht uicht nur, in Machpelah be-
graben zu werden, was Natur war, sondern er wollte nicht begraben werden,
bis sie das Land in Besitz genommen hatten, was ein Zeichen der Gnade des
Glaubens war. Er wünschte, daß sein unbegrabener Leib mit dem Volke
Gottes die Gefangenschaft uud die Rückkehr teilen sollte. Er war so gewiß,
daß sie aus der Gefaugeuschaft herauskomme» würden, daß er fein Begräbnis
bis zu diesem frohen Ereignis verschob, uud so das, was sonst nur ein natür-
licher Wunsch gewesen wäre, zum Ausdruck eiues heiligeu, frommen Vertrauens
auf die göttliche Verheißung machte. Es war Glaube bei Jakob, aber es war
bemerkenswerter Glaube bei Joseph; und Gott, der nicht nur auf die Handlung
sieht, sondern auf die Beweggründe derselben, hat es nicht gefallen, Jakob als'
ein Veifpiel des Glaubens in dieser Sache, die seine Gebeine betraf, zu
nennen, sondern Joseph das Lob zn erteilen, daß er im Tode einen denk-
würdigen Grad von Zuversicht auf die Verheißung bewiesen. Wahrscheinlich
übertraf Jakobs Glaube, den er in andren Dingen auf dem Sterbebette bewies,
feinen Glauben bei der Anordnung feines Begräbnisses, während in seinem
Lieblingssohne diese Sache der Hauptbeweis seines Glaubens war.
Wir werden nun etwas auf die Einzelheiten bei diesen» Vorfall eingehen,
mit» darin wertvolle Lehren finden. Möge der Heilige Geist sie in unsre
Herzen schreiben.
Ich meine, ich sehe zuerst in diesem Worte Josephs auf dem Sterbebette
die Macht des G l a u b e n s ; ich fehe zweitens das W i r k e n des G l a u b e u s ,
die Formen, in welchen diefe köstliche Gnade sich verkörpert; und drittens sehe
ich darin ein B e i s p i e l f ü r uufren G l a u b e n , wenn es m i t uns zum
S t e r b e n kommt.

I.
Ich beobachte in dem Text ein Veifpiel d e r M a c h t des G l a u b e n s ;
die Ausdauer wahren Glaubens unter drei merkwürdigen Arten von Prüfungen.
Zuerst, die Macht des Glaubens über weltliches Wohlergehen.
„Nicht viele Große nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige sind erwählt" —
wahr genug ist dies Wort. Aber es ward niemals gesagt: „Keiue Großen,
keine Gewaltigen sind erwählt." Gott hat einige, die Reichtum, Macht und Ein-
144 Alttestamentliche Bilder.

fluß besaßen, erwählt, die Glauben im Herzen hatten, und das in außerordent-
lichem Grade. Unser Herr sagte uns: „Es ist leichter, daß ein Kamel durch
ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme," aber
Er fügte hinzu: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott mög»
lich." Beachtet also die Schwierigkeiten, welche Joseph umgaben, und bedenkt
dann, wie groß der Glaube gewesen sein muß, der über sie alle triumphierte!
Josephs Stellung war, nachdem er durch seine ersten Leiden in Ägypten Hill»
durchgegangen, eine sehr hervorragende. Er besaß ungemessene Reichtümer;
er war der Vizekönig des gauzen Landes, und Pharao hatte zu ihm gesprochen:
„Allein des kömglichen Stuhls will ich höher sein, denn du." Er war in
jeder Hinsicht, ausgenommen dein Namen nach, der absolute Herr jenes
großen Volkes; er konnte gerade thun, was er wollte, er war uon allem
königlichen Pomp umgeben; und wenn er in seinem Wagen durch die Straßen
fuhr, riefen die Herolde vor ihm aus: „Beugt das Knie!" Doch hinderte all
dieses nicht, daß Joseph Glauben an Gott besaß, und einen Glauben, der bis
aus Ende beharrete. Meine lieben Brüder, die Prüfungen des Glaubens sind
gewöhnlich die der Armut, und herrlich bewährt sich der Glaube, wenn er auf
den Herrn vertraut und Gutes thut und ernährt wird, selbst im Lande der
Hungersnot; aber es ist möglich, daß die Probe des Glückes weit schwerer ist,
und daß es daher ein größerer Triumph des Glaubens ist, wenn der Reiche
nicht sein Herz an die Ungewissen Reichtümer hängt, und nicht den dicken Lehm
dieser Welt seine Pilgerschaft zum Himniel hindern läßt. Es ist schwer, einen
vollen Becher in fester Hand.zu tragcu, gewöhnlich gießt man etwas über,
aber wo die Guade bewirkt, daß reiche Männer und Männer in hoher
Stellung, von Macht und Ansehen, geziemend und fromm handeln, da wird
die Gnade Gottes sehr verherrlicht. I h r , die ihr reich seid, solltet eure Gefahr
sehen: aber laßt Joseph euch zur Ermutigung dienen. Gott wird euch helfen,
sucht feinen gnädigen Beistand. Es ist nicht notwendig, daß ihr weltlich seid;
es ist nicht notwendig, daß ihr den Israeliten in dem Ägypter untergehen
laßt. Gott kann euch aufrecht Halle», wie Er Hiob aufrecht hielt, so daß ihr
aufrichtig und vollkommen seid und doch ungemein reich an Besitztümern. Wie
Joseph könnt ihr zu gleicher Zeit reicher und besser als eure Brüder sein.
Es wird sehr schwer halten, und ihr werdet sehr, sehr viel Gnade nötig haben,
aber der Herr, euer Gott, wird euch helfen, und ihr werdet wie Paulus
lernen, übrig zu haben; und wie Iofevh von Arimathia werdet ihr beides sein,
ein reicher Mann und ein frommer Jünger.
Denken wir auch daran, daß Joseph nicht nur durch Reichtümer geprüft
wurde, sondern, daß diese Prüfung durch ein langes Leben andauerte, fast von
feinen jungen Tagen bis zum Schlüsse feiner Laufbahn. Ich nehme an, daß
er wenigstens sechzig oder siebzig Jahre lang in der hohen Stellung eines
Josephs Gebeine. 145

Vizekönigs von Ägypten stand, mit allem Reichtum dieses großen Volkes zu
seilten Füßen, und dennoch blieb er die ganze Zeit über im Herzen dem Gott
seiner Väter treu. Möge Gott euch, die ihr an hohen Plätzen steht, die gleiche
Treue geben. Möget ihr «»erschüttert bleiben unter noch so lang anhaltender
Versuchuug. Gedenkt überdies daran, daß die Gesellschaft, in welche Joseph
durch seiue Stellung m Ägypten gebracht ward, voll der allerschlimmsten Art
war, so weit es geistliche Religion anlangt, denn die Ägypter waren allesamt
Götzendiener und verehrten alle Arten lebender Tiere und kriechender Wesen.
Ein Satyriker sagt voll ihnen: „ O , glückliche Leute, die ihre Götter in ihren
eignen Gärten ziehen," denn sie verehrten sogar Lauch und Zwiebeln: sie
waren ein sehr abgöttisches Volk; und obgleich in Zivilisation ihren Nachbarn
weit voraus, standen sie in der Religion auf einer sehr niedrigen Stufe. W i r
meinen hier und da Spuren in Joseph davon zu sehen, daß er durch ägyptische
Sitten und Gewohnheiten etwas Schaden genommen, aber doch nicht so viel,
wie man hätte erwarten können, und durchaus uicht so, daß wir seine Treue
gegeu den einen Gott in Verdacht ziehen könnten. Es muß eine große, echte
Tiefe der Heiligkeit ill dem jungen Mann gewesen sein, sonst wäre er nimmer
im stände gewesen, am Hofe zu leben, und an einem götzendienerischen Hofe
dazu, und doch seine Lauterkeit und seinen Glauben an Jehovah, den Gott
Israels, zu bewahren. Vergeht nicht, daß während eines großen Teils dieser
Zeit Joseph keinen einzigen hatte, mit dein er verkehren konnte, der seines
eignen Glaubens war. Denkt darall, was für eine Prüfuug dies für ihn ge»
wesen fein muß! Ich habe Leute gekannt, die ein fehr warmes Herz für die
Religion hatten, so lange sie mit eifrigen Christen zufammen lebten, und sehr
thätig waren, so lange sie lebendiger Predigt zuhörten, die aber, wenn sie aus
der christlichen Gesellschaft hinweg versetzt oder gezwungen wurdeu, unter kalter
Predigt zu sitzen, geistlich Schiffbruch erlitten. Ach! ich traure über einige,
die, als sie in härteren Voden verpflanzt wurden, so ausarteten, daß es schwer
zu sagen wäre, ob sie Bäume sind, welche die rechte Hand des Herrn gepflanzt
hat oder nicht. Joseph war an einen Ort gebracht, wo kein Gebet im Hause
war, kein Freund, kein gottesfürchtiger Lehrer, mit dem er ein Wort sprechen
konnte, keiner, der etwas von Jehovah wußte, oder vou dem Bund, den Er
mit Israel gemacht; er war ganz allein, allein, allein, in der Mitte eines
götzendienerischen Volkes, mit allen Versuchungen Ägyptens vor sich, im Besitz
seiller Reichtümer und Schätze, und in Versuchung, zu leben, wie die andren
lebten, in aller Art von Heidentum, und dennoch hielt er sich an Den, den er
nicht sähe, als sähe er I h n , und starb zuletzt voll zuversichtlichen, freudigen
und gottseligen Glaubens an den Gott feiner Väter. A h ! dies ist ein großer
Triumph des Glaubens, und ich möchte alle meine lieben Vriider hier, die
wirklich den Herrn lieben, drängen, dahin zu streben, daß das Werk der
S p u r g e o n , Alttestamentltche Bllder. , 10
146 Alttestamentliche Bilder.

Gnade in ihnen so tief, so wahr, so gründlich sein möge, daß, wenn Gott
Könige aus ihnen machte, sie uicht stolz würden; wenn Gott sie ganz weg von
allen christlichen Verbindungen senden sollte, sie I h n doch uicht vergessen
würden; uud wenn sie allen Versuchungen der Welt auf einmal ausgesetzt
wären, sie ihnen allen widerstehen würden. Die Macht von Josephs Glauben
bewies sich, wie ihr seht, reichlich in ihrem Triumph über seine weltlichen Ver«
Hältnisse.
Zweitens, ihr seht hier die Macht seines Glaubens in ihrem Triumph
über den T o d . Er sagt, wie ihr im letzten Kapitel des ersten Vliches Mose
leset: „Ich sterbe, und Gott wird euch heimsuchen;" oder wie unser Text es
gibt: „ E r redete vom Auszug der Kiuder Israels." Der Tod ist ein großer
Prüfstein für die Aufrichtigkeit eines Menschen, und ein großer Niederbrecher
wankender Mauern und schwankender Umzäunungen. Manche haben geglaubt,
es stünde alles gut mit ihuen, aber wenn der Jordan um sie anschwoll, so
haben sie es ganz anders gefunden. Hier sehen wir Joseph so gelassen, so
ruhig, daß er des Bundes gedenkt, sich darauf verläßt und sich darüber freut.
Er spricht vom Sterbe», als weuu es nur ein Teil vom Leben wäre, und ver>
gleichungsweise etwas Geringes für ihn. Er gibt kein Zeichen irgend welcher
Zaghaftigkeit, keine Furcht peinigt ihn; sondern er legt seil» letztes Zeugnis von
der Trene Gottes und der Unfehlbarkeit seiner Verheißung ab vor den Brüdern,
die sich um sein Bett versammeln.
Überdies, wenn ich alls dein Text entnehmen soll, daß der Heilige Geist
das glänzendste Beispiel von Glaubeu in dem ganzen Leben Josephs aus»
gewählt hat, so ist es schön zu beachten, daß der großartige, alte Mann in
seiller letzten Stunde am herrlichsten wird. Der Tod trübte nicht das Gold
in seinem Charakter, sondern machte es eher noch strahlender. Alls seinem
Sterbebett, uoch mehr als in seinem ganzen übrigen Leben, vergoldet sein
Glaube gleich der untergehenden Sonne alles rings umher mit seiuem Glänze;
nun, da Herz und Fleisch ihm versagen, wird Gott mehr als je die Kraft
seines Lebens, wie er bald sein Teil auf ewig werdeu soll. Ist es »licht eil»
Großes, wenn ein Christ seine allerbeste Handlung zuletzt thut und am stärksten
in der göttlichen Kraft ist, wenn seine eigne Schwachheit am höchsten ist?
W i r sollten wünschen, Gott in der Iugeud, in Gesundheit uud Kraft zu dienen,
mit aller Macht, die wir habeil, aber es mag uus geschehe», wie Simsoll, daß
Ullsre letzte That die größte ist. Mancher gute Mauu seufzt über sein Leben,
daß es, nachdem er alles gethan hat, was er kann, noch uubefriedigeud ist;
aber vielleicht beabsichtigt der Herr, ihm bei seinem Ende eiue Gnade zu geben,
die alles krönt, und den Ort seines Abscheidens zum Schauplatz seines herr-
lichsten Sieges zu machen, so daß er in den Himmel eingeht mit den Lor-
beeren des Glaubens, um sie dort zu des Heilandes Füßen uiederzuwerfen.
Josephs Gebeine. 147

Joseph ist jedenfalls ein edles Beispiel von dem Sieg des Glaubens über
den Tod.
Noch eins, hier ist ein Beweis von der Macht des Glaubens, der der
Unmöglichkeiten spottet. Wenn man darüber nachdachte, so schien es etwas
höchst Unwahrscheinliches, daß die Kinder Israel aus Ägypten herauf ziehen
würden. Vielleicht schien zu der Zeit, als Joseph starb, keine Ursache da zu
seiu, weshalb sie es thun sollten. Sie hatten sich in Gosen niedergelassen,
mau hatte ihnen diesen Teil des Landes gegeben; die Weisheit Josephs hatte
den fruchlbarsteu Teil des Nil-Delta als Weide für ihre Herden ausgesucht.
Warum sollten sie zu gehen wünschen? Sie hatten alle Annehmlichkeiten, welche
die Erde ihnen gewähren konnte, warum sollten sie wünschen, Ägypten zu ver«
lassen, um nach Kanaan zu ziehen, wo die Kananiter ihnen jeden Zoll des
Bodens streitig machen würden, wo wenige, wenn überhaupt einige Vorteile
im Vergleich mit Ägypten waren, und viele Nachteile? Gesetzt, Joseph hätte,
wie er es vielleicht that, nut prophetischem Vorausblick geseheu, daß eine andre
Dynastie auf die des Pharao, der ihu geehrt hatte, folgeil uud daß Israel
Unterdrückt werden würde, so muß er gefühlt haben, wenn er die Wahrscheinlich-
keiten abwog, daß es im äußersten Grade uuwahrschciulich war, daß die Kinder
Israel, wenn zu^ Sklaverei herabgesunken, je im stände sein würden, sich
ihren Weg durch Ägypten zu bahnen, um das verheißene Land zu errcicheu.
Jeder Urteilsfähige hätte, wenn er nach dem wahrscheinlichen Ausgang eines
Konfliktes zwischen den zwölf Stämmen und den Heeren der Ägypter gefragt
worden wäre, geantwortet: Israel würde sofort niedergetreten werden wie
Stroh für den Dunghaufen uud in beständiger Knechtschaft bleiben. Aber
Josephs Auge war auf die mächtige Verheißung gerichtet: „Sie aber sollen
uach vier Mauueslebcu wieder hierher kommen." Er wußte, daß, wenu die
vierhundert Jahre um waren, Abrahams Gesicht von dem rauchenden Ofen
und der brennenden Lampe erfüllt werden würde uud das Wort bestätigt:
„Aber ich will richten das Volk, dem sie dienen müssen. Dauach sollen sie
ausziehen mit großen! Gut." Obgleich er uoch nicht wissen konnte, daß Mose
sagen würde: „ S o spricht der Herr: Laß mein Volk ziehen," obgleich er noch
nicht die Wuuder am Note» Meer vorhergesehen haben mag, und wie Pharao
uud seine Wagen da verschlungen wurden; uud obgleich er nicht die Wüste
und die feurige Wolkcnsänle uud das Tröpfelll des Mauua vom Himmel vorher
verkündete, fo war sein Glaube doch fest, daß durch irgend welche Mittel der
Vllud erfüllt werden würde: Unwahrscheittlichkeiten waren ihm nichts und
Unmöglichkeiten galten ihm eben so wenig. Gott hat es gesagt, und Joseph
glaubt es. Auf dem Sterbebett, wo Einbildung verschwindet, der eiserne Griff
starker Täuschung erschlafft, da erhebt sich der wahre, sichere Glaube des
Mannes Gottes zu seiller Höhe und wirft gleich dem Abendstern einen fanften
148 Alttestamentliche Bilder.

Glanz über die Szene. Mögen wir, meine Brüder, den Glauben besitzen,
der über alle Verhältnisse trimuphiert, über die Schmerzen des Todes nnd
über jede Unwahrscheinlichkeit, die mit dem Worte Gottes verbunden ist.

II.
I l l unsrem zweiten Teil wollen wir versuchen, d a s W i r k e n de«
G l a u b e n s euch zu zeigen.
Joseph thut hier Befehl von seinen Gebeinen. Die erste Frucht des
Glaubeus in Joseph war dies — er w o l l t e nicht ein Ägypter sein. Er
war nicht gebeten worden, ein Ägypter uuter den» Joche zu sein, jeder hätte
das abschlagen können; er war nicht gebeten worden, ein Ägypter der Mittel»
klaffe zu sein, das hätte von einem weltlichen Staudpunkt aus wünschenswert
sein können; er hatte die Gelegenheit, ein Ägypter des höchsten Standes zu
sein. Er war.thatsächlich zu fast königlichem Nang erhoben und hätte ein
eingebürgerter Ägypter werden können und seine Kinder auch. I n der Vor»
sehuug Gottes ward er berufen, die Ehren und Eiuküufte eiues Amtes von
hoher Würde anzunehmen, aber dennoch wollte er kein Ägypter sein, auch nicht
unter den besten Bedingungen. Sein Sterbebett gewährte ihm einen Wende»
punkt, eine Gelegenheit, zu bezeugen, daß er ein Israelite war und keineswegs
ein Ägypter. Er zanderte nicht, seine Wahl hatte nie geschwankt. Ohne Zweifel
würde er ein sehr prachtvolles Grab in Ägypten gehabt haben; aber, nein, er
will nicht da begraben werden, denn er ist kein Ägypter. I n Sakhara, nahe
bei der großen Pyramide des Pharao Avovhis, steht noch hellte das Grab eines
Fürsten, dessen Name uud Titel in Hieroglyphen geschrieben sind. Der Name
ist „Eitsuph," und von seinen vielen Titeln wählen wir zwei: „Verwalter
der Kornhäuser des Königs," und den andren, einen ägyptischen Titel: ,,^.brood."
Nun, dieses letzte Wort findet sich in der Schrift, und ist das, was übersetzt
ist: „Der ist des Landes Vater." Es ist mehr als wahrscheinlich, daß dies
Monument für Joseph bereitet war, aber er lehnte die Ehre ab. Obgleich
seine Ruhstätte an der Seite eines der größten Monarchen Mizraims gewesen
wäre, so wollte er nicht die Ehre annehmen, er wollte kein Ägypter fein. Dies
ist eine der sichersten Wirkungen des Glaubens in einem Manne von Reichtum
und Rang; wenn Gott ihn in Verhältnisse setzt, wo er ein Weltling ersten
Ranges sein könnte, so sagt er, wenn sein Glaube echt ist: „Nein, ich will
nicht einmal um diesen Preis zur Welt gezählt werden." Er fürchtet über
alle Dinge, daß er sein Teil in diesem Leben haben könne. Wenn ihr einen
Christen auf den Thron setzen könntet, so würde die erste Fnrcht, die er hätte,
diese fein: soll ich mit eiller irdischen Krone abgefunden werdeil und des
himmlischen Diadems verlustig gehen? Stellt ihn am Hofe an, seine große
Frage wird sein: Wie soll ich zeigen, daß ich nicht einer der Bürger dieser
Josephs Gebeine. 149

Welt bin? Umgebt ihn mit weiten Ackern, einem schönen Hause und großen
Besitztümern, so sagt er doch: „Ich nehme dies dankbar von Gott an, aber,
o, ich wollte es nicht haben, wenn es unter der Bedingung wäre, daß ich zu
den Nachfolgern des Mammon gezählt würde; und nun ich Reichtum erlangt
habe, soll mein tägliches Gebet zu Gott sein: „Herr, hilf mir, meinen Besitz
so zu gebrauchen, daß ich nicht dieser bösen Welt damit diene, sondern Deinem
armen I s r a e l ein Vater sein möge. Wenn es zu einer Wahl zwischen der
Schmach Christi und del» Schätzen Ägyptens kommt, so will ich die Schmach
Christi auf mich nehmen und den Schätzen entsagen; ich kann nicht ein Ägypter
sein." O, ihr Reichen macht dies zu einem Hauptpunkt eurer Sorge, beweiset,
daß ihr nicht Weltlinge seid. I h r habt auf die Börse zu gehen, die Bank zu
besuchen, über große Summen Geldes zu verfügen, aber wählt nicht nach
Geld, scharrt nicht Gold zusammen; seid nicht geizig oder gierig. Beweiset,
daß, obgleich in Ägypten, ihr doch keine Ägypter seid. Laßt dies euer Gebet
sein: „Möge Gott geben, daß ich nie so lebe, daß man mich für einen Mann
dieser Welt hält, der fein Teil in diesem Leben hat. Mein Teil ist droben.
Was ich auch hienieden genieße, der Himmel ist mein Erbteil."
Bemerkt ferner, daß sein G l a u b e i h n z w a n g , Gemeiuschaft m i t
dem Volke G o t t e s zu haben. Nicht nur weigert er sich, ein Weltling zu
sein, soudern er bekennt sich als Israeliten. I h r sagt mir vielleicht, daß er
nur Gemeinschaft mit ihnen hatte, als er tot war. Doch denkt hierüber nicht
zu leicht. Er gab das Begräbnis auf, das Ägypten ihm gewährt haben würde,
um lange Jahre zu warten, bis sein Leichenbegräbnis von seinem eignen Volke
gefeiert werden konnte. Aber ich möchte euch daran erinnern, daß es nicht
das erste M a l war, daß Joseph Gemeinschaft mit seinen Brüdern gezeigt hatte;
es war nur der Schluß eines ganzen Lebens der Gemeinschaft mit ihnen.
Zwar stieg er nicht herab zu ihrer Armut, es war keiue Notwendigkeit dafür
da, aber er ließ sie au seinem Reichtnm teilnehmen. Gott hatte es in seiner
Vorsehung so verordnet, daß Joseph ein Mann von Neichtnm, Rang und
Stand sein sollte, und er zeigte seine Gemeinschaft mit Israel, indem er seinen
Vater und feine Brüder nach Gosen brachte, dort für sie sorgte und stets bereit
war, für sie zu sprechen und sein Bestes zu thun, um ihre Interessen zu
fördern. Nun, ein Zeichen des Glaubens in einem Christen ist dies: wenn
er arm ist, so nimmt er freudig semen Platz unter dem armen Volke Gottes
an, aber wenn er reich ist, so hält er dafür, daß er in eine hohe Stellung
verfetzt ist, um feinen Brüdern besser zu helfen, und hat Gemeinschaft mit
ihnen durch seine beständige Freundlichkeit gegen sie. Wenn es je nötig wäre,
um seine wahre Gemeinschaft zu beweisen, daß er seilte Stellung ganz und gar
aufgäbe, so würde er es freudig thun, auf daß er unter das verachtete Volk
Gottes gezählt würde. Joseph, scheint mir, schämte sich nie, seinen Stamm
150 Alttestamentliche Bilder.

anzuerkennen, und verfehlte nie, zu allen geeigneten Zeiten den Ägyptern zu


sagen: „Ich bin nicht einer von euch; dort in Gosen ist meine Familie." Da
er wußte, daß später die Seinen verachtet und verfolgt werden würden, so
sprach er zu ihnen: „Bewahret meine Gebeine, so daß, wenn sie euch herab-
würdigen, sie auch mich herabwürdigen — ich will bei euch bleiben in all
euren künftigen Leiden, denn ich bin einer von ench." Wahrer Glaube läßt
ein Kind Gottes sagen: ?,Ich bin einer von dem Volke Gottes, meine Seele
ist mit demselben verbunden in all seinen Zustanden." „Wohin du gehst,
dahin will ich gehen; wo du wohnest, will ich wohnen; dein Volk soll mein
Volk sein, und dein Gott mein Gott; wo du stirbst, da will ich sterben, und
da will ich begraben werden."
Josephs Glaube führte ihn zu einem offnen Bekenntnis feiner
Zuverficht auf die V e r h e i ß u n g Gottes. Ans seinem Totenbett sagte
er: „Ich sterbe, aber Gott wird euch heimsuchen nnd aus diesem Lande
führen." Er fagte anch: „ E r wird euch in das Land bringen, das Er
Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat." Der Glaube kann nicht stumm
sein. Ich habe zuweilen seine Zunge aus Schüchternheit schweigen sehen, aber
zuletzt war sie gezwungen, zu reden; und, meine Brüder, warum sollte nicht
euer Glaube öfter sprechen, denn seine Stimme ist süß und sein Antlitz lieb-
lich? Keine Zunge ist süßer vor dem Ohre Christi oder mächtiger über die
Herzen der Menschen, als die Zuuge des wahren Glaubens. Wenn euer
Glaube wirklich ist, ob ihr auch eine Weile euer Licht unter einen Scheffel
verbergt, so werdet ihr doch nicht im stände sein, es lange zu thun, sondern
euch gezwungen fühlen, zu sagen: „Ich glaube an das Evangelium Christi;
ich glaube an die Verheißung Gottes; Er wird seinen Vnnd halten, und ich
bekenne mich als einen, der an seine Wahrheit glaubt." Joseph, nachdem er
so seinen Glauben bekannt hatte, zeigte praktisch, daß sein Bekenntnis ihm
Ernst war, daß es keine Sache der Form, sondern Sache des Herzeus war.
Ich weiß uicht, auf welche Art er besser seinen Glauben, daß Gott das Volk
aus Ägypten herausführen werde, hätte zeigen können, als dadurch, daß er
sagte: „Behaltet meiue Gebeine hier, begrabt sie niemals, ehe ihr selbst nach
Kanaan geht, nachdem ihr Ägypten auf immer verlassen und das Bundesland
in Besitz genommen habt." Wer an Gott glaubt, wird praktische Wege finden,
seinen Glauben zu beweisen; er wird ihn dnrch offnes Bekenntnis erklären,
aber er wird ihn auch dadurch zeigen, daß er eine Form des Dienstes wählt,
in der sein Glaube auf die Probe gestellt wird; oder wenn Gott ihm Trübsal
auferlegt, so wird er sie freudig annehmen, in der Hoffnung, daß Gott ihm
Kraft geben wird, die der Last gleichkommt, und so wird sein Glaube i l l dem
Leiden triumphieren. Der Glaube, der sich nie durch Werke beweist, ist ein
Glaube, der zu fürchten ist. Wenn dein Glaube niemals dich veranlaßt, für
Josephs Gebeine. 151

Gott zu sprechen oder I h m zu dienen, so ist es ein Bastard«Glaube, eine An»


maßung von niedriger Herkunft, der deine Seele ruinieren w i r d ; er kam nie
voll Gott, und wird dich nicht zu Gott führen. Aber Joseph ist sehr praktisch,
so praktisch, wie die Umstände es nur verstatteten.
Überdies beachtet, da er selbst Glauben hatte, so w o l l t e er den
G l a u b e n a n d r e r e r m u t i g e n . Von keinem Menschen kann gesagt werden,
daß er wirklichen Glauben besitzt, dem nicht daran liegt, daß dieser Glaube in
den Herzen seiner Nebenmenschen gefunden werden möge. „Aber," sagt ihr,
„was that Joseph, um den Glaubelt andrer zu ermutigen?" Nun, er hinter-
ließ seine Gebeine als eine stehende Predigt für die Kinder Israel. Wir
lesen, daß sie einbalsamiert und in einen Sarg gelegt wurde», in Ägypten,
und so bliebeu sie in der Aufbewahrung der Stämme. Was sagte dieses?
Jedesmal, wenn ein Israelit an die Gebeine Josephs dachte, so dachte er:
„ W i r werden eines Tages aus diesem Lande fortziehen." Vielleicht war er
ein Mann, dem es in seinem Geschäft glückte, der sich etwas zurücklegte ill
Ägypten; aber er sprach zu sich selbst: „Ich werde mich davon zu trennen
haben; Josephs Gebeine müssen hinauf getragen werden; ich soll hier nicht
für immer bleibell." Und während er als Warnung wirkte, diente fein
Leichnam auch zur Ermutigung, denn als die Frohnvögte das Volk zu drücken
begannen, und die Zahl ihrer Ziegel vermehrt ward, sagte der verzagte
I s r a e l i t : „ I c h werde nie aus Ägypten heraufkommen." O, aber die andren
sprachen: „Joseph glaubte, daß wir es würden; da sind seine Gebeine, immer
noch unbegraben. Er hat uns die Versicherung seines Vertrauens hinterlassen,
daß Gott zu seiner Zeit sein Volk aus diesem Hause der Knechtschaft heraus-
bringen würde." M i r fcheint es, daß Iofeph an diesen Plan gedacht hatte,
als all das beste, was er thun könnte, um bei den Israeliten beständig die
Erinnerung daran wach zu halten, daß sie Fremdlinge und Pilger seien, uud
sie in dem Glauben zu ermutigen, daß sie zu seiner Zeit aus dem Hause der
Knechtschaft befreit und in das Land, da Milch und Honig stoß, gebracht
werden würden. Der wahre Glaube sucht sich in den Herzen andrer fort-
zupflanzen. Er ist ernst, eifrig, darauf erpicht, durch irgendwelche Mittel eine
Handvoll heiligen Samens auszustreuen, der in guten Voden fallen und Gott
Ehre bringen möge. Es ist ein guter Beweis eures eignen Glaubens, wenn
ihr euch anstrengt, den Glauben andrer zu fördern.
Bemerkt auch, daß Iofephs Glaube machte, daß er ein A u g e f ü r die
geistlichen G ü t e r des B u n d e s hatte. Joseph hatte nichts Irdisches dabei
zu gewinnen, daß er seine Gebeine lieber in Kanaan, als in Ägypten be-
graben haben wollte, das kann einem Sterbelldell wenig ausmachen. Natür-
lich möchten wir gern bei unsren Verwandten begraben werden, aber wir
würden dann vorziehen, daß es bald nach unsrem Tode geschähe. Niemand
152 Alttestamentliche Bilder.

von uns würde aus freien Stücken wünschen, seine Gebeine ein paar hundert
Jahre über der Erde zu lassen, damit sie endlich ins Familienbegräbnis kämen.
Ich glaube, er blickte nicht auf die äußerlichen Segnungen des Bundes, sondern
auf die geistlichen, die in Jesu, dem großen Samen Abrahams, geoffenbart
sind. Dies ließ ihn sagen: „Ich bin kein Ägypter, ich bin einer von dem
Samen, den der Herr erwählt hat; ich suche den kommenden Messias. Ich
habe Teil und Anteil unter dem erwählten Volke Gottes; ich will den bean»
spruchen, nicht für mich selbst, sondern für meine Söhne und meinen Haus»
halt." Er war nach Gottes Vorsehung, ohne seine eigne Schuld mit einem
ägyptischen Weibe verheiratet worden. Manasse und Ephraim waren darum
halb ägyptisch, und wenn der Vater in Ägypten begraben worden wäre, so
hätten die Söhne all Ägypten hängen und sich von Israel treuuen können.
Er scheint zu sagen: „Nein, meiue Kiuder, ihr seid keine Ägypter, ihr seid,
gleich eurem Vater, Israeliten; begrabt nicht meine Gebeine in Ägypten, ich
beschwöre euch, begrabt sie gar nicht, bis ihr sie in dein alten Grabe unsres
Geschlechts niederlegen könnt. Seid Israeliten bis ins Mark, durch und durch,
denll das beste Besitztum ist nicht, was ich euch in Ägypten hinterlassen kann,
das vergängliche, sondern das Erbe, auf das ich euch hinweise, das geistliche
Erbe, von den» ich wünsche, daß ihr es besitzen möget. Meine Gebeine sollen
euch beschwören, Manasse lind Ephraim, euch nicht zu Ägyptern zu machen,
euch nicht der Welt gleichzustellen oder eure Ruhe hier zu suchen, sondern laßt
eures Vaters Gebeine euren Sinn nach Kanaan lenken, ruht nie, bis ihr fühlt,
daß ihr Anteil an den geistlichen Segnungen des Bundes habt.
Noch eius, mir scheint, daß Josephs Glaube in bezug auf feine un«
begrabenen Gebeine sich darin zeigte, daß er w i l l i g w a r , Gottes Zeit f ü r
den verheißenen Segen zn erwarten. Er spricht: „Ich glaube, daß ich
in Mamre begraben werde und daß mein Volk aus Ägypten Heraufziehen wird.
Ich glaube, und ich bin willig zu warte»." Jeder Mensch wünscht, wenn er
stirbt, bald anständig begraben zu werden. Wer wünscht, daß seine Gebeine
umhergeschleppt werden? Aber dieser Mann will warten, auf sein Begräbnis
warten — warten, wie lang auch die Zeit der Gefaugenheit Israels sein mag.
Es ist etwas Großes, wartenden Glaubeu zu haben. „Stehet still und seht
das Heil Gottes," ist leichter gesagt, als gethan. „Wer glaubet, der wird
nicht eilen." (Ies. 28, 16, engt. Üb.) W i r sind meistens in eiller kindischen
Hast. W i r möchten gern morgen im Himmel sein; wenn wir weise wären, so
würden wir froh sein, daraus wegzubleiben, bis Gott uns herein läßt. W i r
würden gern morgen die Auferstehung haben, und viele sind bekümmert, weil
das Kommen Christi nicht sogleich stattfindet. Warte auf des Herrn bestimmte
Zeit, o du ungeduldig Murrender; sei ruhig im Geiste und gelassen im Herzen,
die Weissagung wird nicht verziehen. Sei willig, zu warten. Sei willig.
Josephs Gebeine. 153

deine Gebeine im Staube schlummern zu lassen, bis die Posaune der Auf»
erstehung ertönt, und falls du die Wahl haben könntest, so gib die Wahl
deinem Herrn im Himmel wieder zurück, denn Er weiß, was recht und am
besten für dich ist. Ich liebe den Gedanken an einen Mann, der nicht im
Leben warten konnte, denn er mußte sterben, aber der den wartenden S i n n
seines Geistes dadurch beweist, daß er seine Gebeine warten läßt, bis sie in
Kanaan eingesenkt werden konnten. I h r werdet beachten, daß Josephs Wunsch
erfüllt ward, denn als Israel aus Ägypten heraufzog, findet ihr im fünfzehnten
Kapitel des zweiten Buches Mose, daß Mose Sorge trug, die Gebeine Josephs
nlit sich zu nehmen; und was sonderbar ist, diese Gebeine wurden nicht be>
graben, sobald sie nach Kanaan kamen, sie wurden nicht begraben während
der langen Kriege Iosuas mit deu verschiedenen Stämmen; sondern in den
letzten Versen des Buches Iosua, als fast das ganze Land erobert und unter
die zwölf Stämme verteilt war und sie es in Besitz genommen hatten, lesen
wir, daß sie die Gebeine Josephs in dem Feld zu Sichem begruben; als wenn
Josephs Gebeine nicht begraben werden durften, bis sie das Land gewonnen,
bis alles in Ordnung und der Bund erfüllt war; dann mußte er begraben
werden, aber nicht eher. Wie gesegnet ist der wartende Glaube, der Gott
seiue Zeit lassen kann, und warten, an I h n glauben, habe er auch noch so
lange zu warten.

III.
Ich muß mit dem dritten Punkt schließen. Ich denke, wir haben in
unsrem Text, geliebte Freunde, eitt B e i s p i e l f ü r «nsven G l a u b e n , u m
danach zu handeln, wenn auch fur uns die Zeit des Tode«
kommt.
W i r wollen sie uns als sehr nahe vorstellen, und diese Annahme wird
buchstäblich wahr für einige, und in einem bestimmten Grade für uns alle
wahr sein. Woher soll ich meinen Trost nehmen, wenn es mit mir zum
Sterben geht? Komm, laß mich meine letzte Rede vorbereiten. Nun denkt
darüber nach. Zuerst möchte ich Joseph nachahmen, indem ich Trost aus dem
Bunde entnehme, denn das that er. Der Befehl von seinen Gebeinen wurde
nur gegeben, weil er glaubte, daß Gott seinen Bund dem Volke halten und
sie aus Ägypten bringen würde. Mögen ihr und ich mit David sprechen
können: „Obwohl mein Haus nicht so mit Gott ist, hat Er mir doch einen
Bund gesetzt, der ewig, und alles wohl geordnet und erhalten wird." Ahl
meine Seele, dies ist nicht sterben, sondern nur von der Erde zum Himmel
übergehen. Jesus, der selber der Bund ist, macht das Sterbebett seinen
Heiligen leicht. Ein Neger, der eine Nacht bei seinem Prediger gewacht, um
ihn zu pflegen, ward gefragt: „Wie geht es deinem Herrn?" Er sagte: „ E r
154 Alttestamentliche Bilder.

stirbt voller Leben." Es ist ein Großes, wenn man den Bund hat und daran
denken kann. Dann könnt ihr voller Leben sterben, ihr könnt aus diesem
niedrigen Leben weggehen und mit dein ewigen Lebeil erfüllt sein, ehe das
zeitliche Leben noch ganz vergangen ist, so daß ihr'niemals ganz ohne Leben
seid, sondern das Leben der Gnade in das Leben der Herrlichkeit übergeht,
wie der Fluß in den Ozean.
Joseph kann uns darin ein Beispiel sein, daß er seinen Trost aus der
Zukunft seines Volkes entnahm. „Gott wird euch heimsuchen und euch aus
diesem Lande führen." Sehr oft beuuruhigt sich der sterbende Christ mit
Gedanken über den Zustand der Gemeinde Christi. Er fürchtet, daß dunkle Tage
für sie kommen. Ist er ein Prediger, so fragt er ängstlich: „Was wird meine
Gemeinde thun, nun ich sie nicht länger führen und weiden kann? Wird sie
nicht wie eine Herde ohne Hirt sein?" Aber hier wird der Trost kommen;
es sind bessere Tage für die Gemeinde Gottes da. Obgleich die Väter schlafen —

„Alle Worte Gottes weisen


Auf die tünft'ge Gnadenzeit."

Ob wir gleich einer nach dem andren dahin gehen werden, so sind doch
keine dunklen Tage für unsre Nachkommen zu fürchten, sondern Tage des
Glanzes sind im Anzüge. „Zeige Deinen Knechten Deine Werke nnd Deine
Ehre ihren Kindern." Er muß aber herrschen, bis daß Er alle seine Feinde
unter seine Füße lege. Die Könige der Inseln sollen noch seine Herrschaft
anerkennen nnd die Wanderer der Wüste sollen sich vor I h m beugen. Jesus,
der Christ Gottes, muß König über die ganze Erde sein, denn Gott hat es
geschworen und gesprochen: „Alles Fleisch wird den Heiland Gottes sehen."
„Die Herrlichkeit des Herrn soll geoffenbaret werden; und alles Fleisch mit»
einander wird sehen, daß des Herrn Mund redet." M i t solchen Gedanken wie
diese in nnsrem Herzen mögen wir wohl unsre Augen im Tode schließen nnt
einem Gesang auf den Lippen.
Und dann, meine Brüder, haben wir eine andre uud glänzendere Hoffnung,
mit der wir sterben, wenn wir, ehe sie erfüllt ist, sterben müssen, uud das ist
diese, Christus Jesus, der Sohlt Gottes, wird sein Volk heimsuchen. Brüder,
die frohe Hoffnung auf die zweite Zukunft unfres Herrn Jesu Christi kann
das Sterbezimmer erhellen. Wie Joseph sagte: „Gott wird euch heimsuchen."
Die Zeit kommt, wo der Herr nnt einem Feldgeschrei nnd Stinune des Erzengels
und Posaune Gottes hernieder kommen wird vom Himmel. Laßt unser Zeugnis
im Sterben dies sein, daß Er bald kommt nnd sein Lohn mit I h m . W i r haben
nicht soin die Zukunft zu blicken, wie der Jude es that; er erwartete die erste
Zukunft, und wir sehen nach der zweiten aus. Dies wird uns selbst beim
Josephs Gebeine. . 155

Abscheiden erheitern, denn wenn wir sterben, ehe Er kommt, sollen wir doch an
der Herrlichkeit teilnehmen, weil die Toten in Christo auferstehen sollen.
W i r mögen zu all diesem eine Hoffnung betreffs nnsrer Gebeine hinzu»
fügen. W i r können nnsre weinenden Verwandten, wenn sie sich um uuser
Vett versammeln, bitten, uusren Gebeinen eiu anständiges Grab zu geben;
sie brauchen nicht unsreu Namen auszuposaunen oder unsre eingebildeten
Tugenden ans Stein zu schreiben; aber wir wollen ihnen sagen, daß wir
wiederum auferstehen werden nnd daß wir uns in die Hände nnsres Vaters
uud unsres Gottes befehlen, mit der vollen Überzeugung, daß unser Staub
neu belebt werden wird.
„Dieser meiner Augen Licht
Wird I h n , meinen Heiland, kennen;
Ich, ich selbst, kein Fremder nicht,
Werd' in seiner Liebe brennen;
Nur die Schwachheit nm und an
Wird von mir sein abgethan."

Ich weiß nicht, wann ein Zeugnis von der Auferstehung süßer klingt,
als von den Lippen eines Heiligen, der gerade im Begriff ist, diesen sterblichen
Leib zu verlassen und in die Freude seines Herrn einzugehen. Es ist gut zu
sagen, wenn ihr von diesen Händen und Füßen und Angen uud allen Gliedern
dieser sterblichen Hülle Abschied nehmt: „Leb' wohl, armer Leib, ich werde zu
dir zurückkehren; du wirst in Schwachheit gesäet werden, aber du wirst auf-
erstehen in Kraft; du bist der treue Freund uud Diener meiner Seele gewesen,
aber du wirst noch geeigneter für meinen Geist sein, wenn die Posaunen
ertönen und die Toten auferstehen werden." Mögen wir Sorge tragen, daß
uusre letzte Handlung ein Triumph des Glanbens sei, die That, die unsrem
Leben die Krone aufsetzt. Gott helfe uns, daß es fo sein möge!
Geliebte, es ist eine traurige Betrachtung da, nämlich, daß wir nicht
hoffen können, triumphierend zu sterben, wenn wir nicht gehorsam leben. W i r
können nicht erwarten, Glauben in den Augenblicken des Todes zu zeigen, wenn
wir jetzt keinen Glauben haben. Gott gebe dir Glauben, o Ungläubiger.
Suchender, rnhe nicht, bis du ihn gefunden hast, und möge der Geist Gottes
dir den Glauben der Erwählten Gottes geben, daß du im Leben Gott dienen
nnd im Sterben I h n ehren mögest, wie Joseph es that. Der Herr segne euch,
lieben Freunde, uni seinetwillen. Amen.
156 , Alttestamentliche Bilder.

Satan hat acht auf die Heiligen.'')


„Der Herr sprach zum Satan: Hast dn nicht acht gehabt auf
meinen Knecht Hiob?" — Hiob 1, 8. „Hast du meinen Knecht Hiob
angesehen?" (Engl. Übers.)

Ü ) i e sehr ungewiß ist alles Irdische! Wie thöricht würde der Gläubige
sei», der seine Schätze anderswo sammeln wollte, als im Himmel! Hiobs
Glück versprach so viel Dauerhaftigkeit, wie nur etwas unter dem Monde
haben kann. Der Mann hatte um sich her einen großen Haushalt von Zweifels»
ohne ergebenen und anhänglichen Dienern. Er hatte Reichtümer aufgehäuft von
einer Art, die nicht plötzlich im Werte sinkt. Er hatte Rinder nnd Esel und
Schafe. Er brauchte nicht auf Märkte und Messen zu ziehen und mit feinen
Gütern zu Handel», um sich Nahruug und Kleidung zu verschaffen, denn er
betrieb den Ackerball in sehr großem Maßstabe um seine Wohnstätte herum
und ballte wahrscheinlich auf seiuem eiguen Besitztum alles, dessen sein Halls-
halt bedurfte. Seme Kinder waren zahlreich genug, um eine lange Reihe
Nachkommen zu verheißen. Seinem Glücke that nichts zur Befestigung not.
Er hatte die Zeit der Flut erreicht: wo gab es da etwas, das eine Ebbe herbei»
führen konnte?
Droben, über den Wolken, wohin kein menschliches Auge blicken konnte,
dort ging eill Auftritt vor, der nichts Gutes für Hiobs Glück bedeutete. Der
Geist des Vöfeu stand dem unendlichen Geiste alles Guten von Angesicht zu
Angesicht gegenüber. Ein außergewöhnliches Gespräch fand zwischen diesen
beiden Wesen statt. Als er voll seinem Thun Rechenschaft ablegen sollte,
prahlte der Böse damit, daß er das Land umher durchzogen hätte, und deutete
damit au, daß er keilt Hindernis für seinen Willen angetroffen und niemand

*) W i r haben die Predigt über Hiob hier hineingelegt, wo eine Panse ill der
biblischen Geschichte eintritt, um den Gang derselben weder vor- noch nachher zu unter-
brechen. A. d. Üb.
Satan hat acht auf die Heiligen. 157

gefunden hätte, der sich ihm widersetze, wenn er sich frei bewegte und nach
eignein (Gefallen handelte. Er war überall umhergezogen wie ein König in
seinem eignen Gebiete, ungehindert und ungehemmt. Als der große Gott ihn
daran erinnerte, daß es wenigstens einen Ort unter den Menschen gab, wo er
nicht Fuß gefaßt und wo seine Macht nicht anerkannt ward, nämlich in dem
Herzen Hiobs; daß ein Mann war, der dastand wie ein uneinnehmbares
Schloß, das durch Lauterkeit beschützt und mit vollkommener Treue als Besitz
des Himmelkönigs bewahrt wurde; da forderte der Vöse Jehovah heraus, die
Treue Hiobs zu prüfen, und sagte I h m , daß des Patriarchen Lauterkeit ihren
Grund in seinem Wohlstande habe, daß er Gott diene und das Vöse meide
aus schlechten Gründen, weil er dies Verhalten vorteilhaft für sich selber finde.
Der Gott des Himmels nahm die Herausforderung des Bösen an und gab
ihm Erlaubnis, alle Güter hinwegzunehmen, von denen er behauptete, daß sie
die Stützen der Lauterkeit Hiobs seieu, alle Außenwerke uud Strebepfeiler
niederzureißen, und zu sehen, ob der Turm nicht ohne sie in eigner, ihm inne-
wohnender Stärke stehen würde. Infolge davon schwand aller Reichtum Hiobs
an einem schwarzen Tage dahin, und nicht einmal ein Kind blieb übrig, ihm
Trost zuzuflüstern. Eine zweite Begegnung zwischen dem Herrn uud seinem
gefallenen Engel fand statt. Hiob war wiederum der Gegenstand des Ge-
spräches; und der Allmächtige, von Satan herausgefordert, erlaubte diesem
sogar, sein Gebein und Fleisch anzutasten, bis der Fürst schlimmer daran war
als ein Bettler, und der, welcher reich und glücklich geweseu, arm und elend
wurde, voll Krankheit von der Fußsohle bis zum Scheitel, und schabte sich
mit einem elenden Scherben, um eine geringe Erleichterung seiner Schmerzen
zu finden.
Laßt uns hierin die Veränderlichkeit aller irdischen Dinge sehen. „ E r
hat sie auf den Fluten gegründet," ist Davids Beschreibung von dieser Erde;
und wenn sie alls den Fluten gegründet ist, könnt ihr euch da wundern, daß
sie oft wechselt? Setzt nicht euer Vertrauen auf irgend etwas unter den
Sternen: gedenkt daran, daß „Wechsel" auf der Stirn der Natur geschriebell
steht. Sprecht deshalb nicht: „Mein Berg stehet fest; er wird nimmermehr
bewegt werden;" der Blick vom Auge Iehovahs kann deinen Berg in Staub
wandeln, das Anrühren seines Fußes kann ihn machen wie den Sinai, daß
er wie Wachs schmilzt uud ganz in Nauch gehüllt ist. „Suchet, was da
droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes," und laßt euer Herz
und euren Schatz sein, „wo weder Motten noch Rost fressen, und wo Diebe
nicht nachgraben, noch stehlen." Die Worte Bernhards mögen uns hier unter-
weisen: „Das ist die wahre und größte Freude, die uicht ans dem Geschöpf
genommen, sondern vom Schöpfer empfangen wird, die (wenn du sie einmal
besitzest) niemand von dir nehmen kann: im Vergleich mit welcher alles andre
158 Alttestamentliche Bilder.

Vergnügen Qual ist, alle Freude Schmerz ist, Süßes bitter, alle Herrlichkeit
niedrig und alles Ergötzliche verächtlich ist."
Dies ist indes nicht unser Thema heute morgen. Nehmt dieses nur an
als bloße Einleitung zu unsrer eigeutlicheu Rede. Der Herr spricht zum
Satan: „Hast du nicht acht gehabt auf meinen Knecht Hiob?" Laßt uus
darüber nachdenken, zuerst, in welchem S i n n e es uon dem bösen Geiste
heißen kann, daß er.auf das Volk Gottes acht hat; zweitens, laßt
uns bemerken, was es ist, anf das er bei ihnen acht hat; nnd dann
drittens, wollen wir uns trösten durch den Gedanken, daß einer, der
weit über S a t a n steht, in einem höheren Sinne auf uns acht hat.

I.
Zuerst also, i n welchem Kinne k a n n v o n S a t a n gesagt werden»
daß er a n f das U o l k Gottes acht hat?
Gewiß, nicht in der gewöhnlichen, biblischen Bedeutung des Wortes
„acht haben." „O Herr, habe acht auf mein Elend." „Wohl dem, der acht
hat auf deu Armeu." (Engl. Übers.) Solches Achthaben schließt einen guten
Willen ein und sorgfältige Prüfung dessen, der eine Wohlthat empfangen
soll zum Zwecke einer weisen Verteilung der Gaben. I n diesem Sinne hat
Satall llie auf jemanden acht. Wenn er irgend ein Wohlwollen ha/, muß
es für sich selber sein; all sein Achthaben auf andre Geschöpfe ist sehr übel-
wollender Art. Kein meteorartiges Aufleuchten von etwas Gntem zuckle durch
die schwarze Mitternacht seiner Seele. Er hat auch nicht acht auf uns so,
wie wir auf die Werke Gottes acht haben solleu, d. h. uni daraus Velehruug
über Gottes Weisheit, Liebe und Freundlichkeit zu schöpfen. Er ehrt Gott
nicht um deswillen, was er in seilten Werken oder in seinen! Volke sieht. Vei
ihn: heißt es nicht: „Gehe zur Ameise, habe acht auf ihre Wege und sei weise,"
sondern er geht zu dem Christen und hat acht auf feme Wege uud wird noch
thörichter, der Feind Gottes, als er es zuvor schon war. Die Art, wie Satan
auf Gottes Heilige acht hat, ist so: Er sieht sie mit Verwunderung an,
wenn er den Unterschied zwischen ihnen und sich selber betrachtet.
Ein Verräter kann, wenn er die gründliche Schändlichkeit nnd die Schwärze
seines eignen Herzens kennt, nicht umhin, zu staunen, wenn er gezwungen ist,
zu glauben, daß ein andrer Mensch treu ist. Die erste Zuflucht eines ver-
räterischen Herzens ist die, anzunehmen, daß alle Menschen gern eben so ver-
räterisch sein möchten und im Grunde wirklich so sind. Der Verräter meint,
daß alle Verräter, gleich ihm selber, sein oder sein würden, wenn dies sich
besser bezahlte als Treue. Wenn Satan den Christen ansieht uud ihn Gott
und seiller Wahrheit treu findet, so hat er acht alls ihn, wie wir auf ein
Phänomen acht haben wurden — vielleicht verachtet er ihn um seiner Thorhcit
Satan hat acht auf die Heiligen. 159

willen, aber doch staunt er und wundert sich, wie dieser so handeln kann.
„ I c h , " scheint er zn sagen, „ein Fürst, einer von den Großen im Parlamente
Gottes, wollte meinen Willen nicht Iehouah unterwerfen: ich hielt es für besser,
in der Hölle zu herrschen, als im Himmel zu dienen: ich behielt nicht mein
Fürstentum, sondern fiel von meinem Thron: wie ist es, daß diese stehen?
Welche Gnade ist es, die diese erhält? Ich war ein Gefäß von Gold und
wurde dennoch zerbrochen; diese sind irdene Gefäße, aber ich kann sie nicht
zerbrechen. Ich konnte nicht in meiner Herrlichkeit stehen — was kann die
unvergleichliche Gnade sein, die sie in ihrer Armut, ihrer Dunkelheit, ihrer
Verfolgung aufrecht hält, stets dem Gott treu, der sie nicht segnet und erhöhet,
wie Er es bei mir gethan l " Es mag sein, daß er sich auch wundert, daß sie
glücklich siud. Er fühlt in seinem Innern ein siedendes Meer von Elend. Es
ist ein unermeßlicher Abgrund von Angst in seiner Seele, und wenn er ans
die Gläubigen blickt, so sieht er sie ruhig in ihrem Gemüt, voll Frieden uud
Glück, und oft ohne äußere Trostesmittel dennoch voll Freude lind Herrlichkeit.
Er geht auf und nieder durch die Welt und besitzt große Macht, und es mögen
ihm viele Söldner dienen, doch hat er nicht das innere Glück, das jene niedere,
unbekannte Hüttenbewohnerin besitzt, die auf dem Siechbett liegt und keine
Mägde hat, ihr zu dienen. Er bewundert und haßt den Frieden, der in des
Gläubigen Seele herrscht.
Seine Beachtung mag noch weiter gehen. Denkt ihr nicht, daß er acht
auf sie h a t , u m , wo möglich, Schwächen und F e h l e r an ihnen zu
entdecken, die i h m zu seinem Tröste dienen? „Sie sind nicht rein,"
sagte er — „diefe B l u t ° Erkauften — diese vor der Gründung der Welt Er-
wählten — sie sündigen immer noch! Diese von Gott als Kinder An-»
genommenen, für die sein glorreicher Sohn das Haupt neigte und den Geist
aufgab! — sogar sie übertreten!" Wie mnß er über die geheimen Süuden
der Kinder Gottes kichern mit solcher Freude, wie er sie zu fühlen vermag,
und wenn er in ihnen irgend etwas sehen kann, das mit ihrem Bekenntnis im
Widerspruch steht, irgend etwas, was betrügerisch scheint und ihm selber gleicht,
so ist er froh. Jede Sünde, die in eines Gläubigen Herzen geboren wird,
ruft ihm zu: „ M e i n Vater! mein Vater!" und er fühlt etwas wie die Freude
der Vaterschaft, wenn er seinen faulen Sprößling erblickt. Er sieht auf den
„alten Menschen" im Christen und bewnndert die Zähigkeit, mit der er seinen
Besitz behauptet, die Kraft und Heftigkeit, womit er um die Herrschaft ringt,
die List und Schlauheit, womit er je dann und wann, in bestimmten Zwischen-
räumen, bei passenden Gelegenheiten, all seine Stärke aufbietet. Er hat acht
auf unser sündiges Fleisch uud macht es zu einem von den Büchern, die er
fleißig liefet. Eiller der erfreulichsten Anblicke, das bezweifle ich nicht, worauf
des Teufels Auge je ruht, ist die Unbeständigkeit und die Unreinheit, die ex
1U0 Alttestamentliche Bilder.

in einenl wahren Kinde Gottes entdecken kann. I n dieser Hinsicht hatte er


sehr wenig an Gottes echtem Knechte, Hiob, zu beachten.
Dies ist aber nicht alles, sondern eher nur der Anfangspunkt seines
Achthabens. Wir zweifeln nicht, daß er des H e r r n V o l k , und besonders
die Hervorragenden uud T r e f f l i c h e r e n unter demselben a l s die
großen Schranken f ü r den Fortschritt seines Reiches betrachtet; und
gerade wie der Ingemelrr, der eine Eisenbahn alllegen will, seine Augen sehr
auf die Hügel und Flüsse richtet und besonders auf den großen Verg, der ihm
jahrelange Arbeit verursachen wird, wenn er einen Tunnel durch denselben
bohren muß, so hat der Satan, wenn er die verschiedenen Pläne betrachtet,
um seine Herrschaft in der Welt fortzuführen, am meisten acht auf solche
Männer, wie Hiob. Satan muß viel an M a r t i n Luther gedacht haben. „Ich
könnte die ganze Welt unter meine Füße treten," sagt er, „wenn dieser Mönch
nicht wäre. Er steht mir im Wege. Dieser Starrkopf haßt meinen erst«
gebornen Sohn, den Papst, nud bläut ihn durch. Wenn ich ihn los werden
könnte, so würde ich mich nicht um fünfzigtausend kleinere Heilige kümmern,
die mir im Wege ständen." Er hat sicher acht auf Gottes Knecht, wenn
„seinesgleichen nicht ist," wenn er deutlich und von seinen Gefährten geschieden
eine hervorragende Stellung einnimmt. Diejenigen unter uns, die zum Predigt-
amt berufen sind, müssen um dieser Stellung willen erwarten, die besonderen
Gegenstände feiner Beachtung zu sein. Wenn jener schreckliche Krieger das
Glas ans Auge hält, so sucht er sicher nach denen, die an ihrer Uniform als
Offiziere erkannt werden, und er heißt seine Scharfschützen, ja auf diese zielen,
„denn," sagt er, „wenn der Bannerträger fällt, so wird der Sieg leichter auf
unsrer Seite gewonnen und unsre Gegner leichter in die Flucht geschlagen
werden." Wenn ihr freigebiger als andre Heilige feid, wenn ihr mehr in
Gottes Nähe lebt als andre, — wie die Vögel die reifsten Früchte anpicken,
so könnt ihr auch erwarten, daß Satan am geschäftigsten bei euch sein wird.
Wer mag sich um eine Provinz streiten, die mit Steinen und unfruchtbaren
Felfen bedeckt zwischen Eismeeren eingefroren ist? Aber zu allen Zeiten ist
immer Streit um die fetten Thäler, wo die Weizengarben reichlich sind und
des Landmanns Arbeit wohl belohnt wird, und so wird der Satan um euch,
die ihr Gott am meisten ehrt, ernstlich kämpfen. Er will Gottes Juwelen mis
seiner Krone reißen, wenn er kann, und des Erlösers Edelsteine sogar aus
seinem Vrnstschild hinweg nehmen. Er hat also acht auf die Kinder Gottes;
da er sie als Hindernisse für seine Herrschaft betrachtet, fo ersinnt er Methoden,
wie er sie aus dem Wege räumen oder zu seinem eignen Vorteil beuutzen
kann. Finsternis würde die Erde bedecken, wenn er die Lichter ausblasen
könnte; es würde keine Frucht da seiu, die bebte wie Libanon M . 72, 16),
wenn er jene Handvoll Korn auf dem Gipfel der Berge zerstören könnte;
S a t a n hat acht auf die Heiligen. 1(i1

daher hat er beständig acht darauf, wie er die Treuen unter den Menschen
zum Fallen bringen kann.
Man braucht nicht viel Weisheit, um wahrzunehmen, daß der große
Zweck S a t a n s , wenn er acht auf die Kinder Gottes h a t , der ist,
ihnen Schaden zu thun. Ich denke kaum, daß er hofft, die wirklich er-
wählten und mit Blut erkauften Erben des Lebens wirklich ins Verderben zu
stürzen. Ich stelle mir vor, daß er ein zu guter Theologe dazu ist. Er ist
so oft zu schänden geworden, wenn er Gottes Volk angegriffen hat, daß er
sich kaum für fähig halten kann, die Erwählten zu verderben, denn ihr er-
innert euch wohl, die Wahrsager, die ihm sehr nahe verwandt sind, sprachen
zn Haman: „Ist Mardachai vom Samen der Juden, vor dem du zu fallen an-
gehoben hast, so vermagst du nichts an ihm, sondern wirst vor ihm fallen."
Er weiß gut genug, daß ein königlicher Same in dein Lande ist, gegen den
er vergebens kämpft; und ich meine, wenn er ganz gewiß fein könnte, daß
eine Seele von Gott erwählt fei, so würde er kaum seine Zeit damit ver»
geuden, daß er sich bemühte, sie ins Verderben zu bringen, wenn er auch
suchte, sie zu quälen und zu schäudeu. Es ist indes höchst wahrscheinlich, daß
Satan nicht mehr davon weiß, wer die Erwählten Gottes sind, als wir, denn
er kann auch nur nach äußeren Handlungen urteilen, obgleich er sich ein ge-»
naueres Urteil als wir bilden kann durch seine längere Erfahrnng uud dadurch,
daß er im stände ist, die Menschen im Verborgenen zu sehen, wohin wir nicht
eindringen können; doch in Gottes Buch der geheimen Ratschlüsse kann sein
schwarzes Auge nie blicken. An ihren Früchten erkennt er sie, und wir er«
kenne» sie ill derselbe» Weise. Da w i r indessen uns oft in unfrem Urteil
irren, fo mag er es auch thun; und es scheint mir, daß seine Politik deshalb
dahin geht, sie alle zu verderben — da er nicht weiß, bei wem es ihm ge>
lingen mag. Er geht umher und suchet, welchen er verschlingen möge, und
da er nicht weiß, wen er hinunterschlucken darf, so greift er alle Kinder Gottes
mit Heftigkeit an. Jemand sagt: „Wie kann ein Teufel dies thun?" Er thut
es uicht ganz allein. Ich weiß nicht, ob viele von uns je direkt vom Satan
versucht worden sind: wir sind vielleicht nicht hervorragend genug, um seiner
Mühe wert zu sein; aber er hat ein ganzes Heer von niederen Geistern unter
seiuer Oberherrschaft und Aufsicht, und wie der Hauptmann es von sich selbst
sagte, so hätte er vom Satan sagen können: „ E r spricht zu diesem Geiste:
thue dies, so thut er's, und zn seinem Knechte: gehe hin, so geht er hin." So
werden alle Knechte Gottes mehr oder minder die direkten oder indirekten An-
griffe Satans zu erleiden haben, und das mit der Absicht, sie ills Verderben
zn stürzen; denn er würde, wo es möglich wäre, selbst die Allserwählten ver-
führen. Wo er nicht verderben kann, da ist es unzweifelhaft sein Zweck, zu
quälen. Er sieht Gottes Milder nicht gern glücklich. Ich glaube, der Teufel
S p u i g e o n , Alttestamentliche Vllder. 11
162 Alttestamentliche Bilder.

hat große Freude an einigen Pastoren, deren Predigt die Tendenz hat, Zweifel
und Befürchtungen, Kummer und Verzagtheit als Beweise der Gotteskindschaft
zu mehren und zu nähren. „ A h , " sagt der Teufel, „predige nur weiter; du
thust meine Arbeit gut, denn ich Mag Gottes Kinder gern traurig fehen.
Wenn ich machen kann, daß sie ihre Harfen an die Weiden hängen und mit
kummervollen Gesichtern umhergehen, so halte ich dafür, daß ich mein Werk
sehr vollständig gethan habe." Meine lieben Freunde, laßt uns auf der Hut
sein vor jenen gut scheinenden Versuchungen, die vorgeben, uns demütig zu
machen, in Wahrheit aber darauf abzielen, uns ungläubig zu mache». Unser
Gott hat keine Freude an unsrem Argwohn und Mißtrauen. Seht, wie Er
feine Liebe in der Gabe seines teuren Sohnes Jesu beweiset. Verbannt also
alle schlimmen Mutmaßungen und erfreut euch einer unerschütterlichen Zu»
verficht. Gott will gern mit Freuden verehrt werden. „Kommt herzu, laßt
uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unsres Heils. Laßt uus
mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen I h m jauchzen."
„Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten; die Gerechten sollen I h n scholl preisen."
„Freuet euch in dem Herrn allewege, uud abermal sage ich: Freuet euch."
Satan liebt dies nicht. M a r t i n L u t h e r pflegte zu sagen: „Laßt uns Psalmen
singen und den Teufel ärgern," und ich zweifle nicht daran, daß Martin
Luther dariu so ziemlich recht hatte; denn jener Liebhaber der Zwietracht haßt
harmonisches, freudiges Lobsingen. Geliebter Bruder, der Erzfeind will dich
hienieden elend machen, wenn er dich jenseits nicht haben kann; uud damit
will er zweifelsohne eiueu Streich auf die Ehre Gottes führen. Er weiß gut
genug, daß traurige Christen oft der Treue Gottes Unehre anthun, indem sie
ihr mißtrauen, und er denkt, wenn er uns quälen kann, bis wir nicht mehr
an die Beständigkeit und Güte des Herrn glauben, so hat er Gott um sein
Lob gebracht. „Wer Lob opfert, der ehret mich," sagt Gott; deshalb legt
Satan die Axt an die Wurzel unsres Lobes, damit Gott nicht mehr geehrt
werde.
Überdies, wenn Satan einen Christen auch nicht ins ewige Verderben
bringen kann, wie o f t hat er seine Wirksamkeit zu Grunde gerichtet?
Mancher Gläubige ist gefallen, er hat nicht den Hals gebrochen — das ist
unmöglich — aber er hat irgend einen wichtigen Knochen gebrochen uud ist
hinkend zu seinem Grabe gegangen. W i r denken mit Schmerzen an einige
Männer zurück, die einst in den Reihen der Kirche hervorragten, die „fein
liefen," aber plötzlich, in einer schweren Versuchung, fielen sie in Sünde, und
ihre Namen wurden niemals wieder in der Kirche anders als mit verhaltenent
Atem genannt. Jedermann dachte und hoffte, daß sie selig würden, so doch
als durchs Feuer, aber sicherlich konnte ihre frühere Wirksamkeit nicht wieder
zurückkehren. Es ist sehr leicht, auf der himmlischen Pilgerreise rückwärts zu
Satan hat acht auf die Heiligen.

gehe», aber es ist nicht so leicht, die Schritte wieder umzuleukeu. I h r könnt
bald vom Wege weichen und euer Licht auslöschen, aber ihr könnt es nicht
ganz so rasch wieder anzünden. Freund, Geliebter in dem Herrn, wache gegen
die Angriffe des Satans und stehe fest, weil du als eiu Pfeiler ill dein Haufe
Gottes ilils fehr teller bist nnd wir dich nicht entbehren können. Als einen
Vater oder als eine Matrone ehren wir dich und o! — wir möchten nicht zu
trailern und zu klagen haben — wir wünschen nicht betrübt zu werden dadurch,
daß wir den Jubel unsrer Gegner hören, wenn sie rufen: „ A h a ! Aha! so
wollten wir es haben," denn ach! es sind viele Dinge ill unsrem Zion gcthan,
von denen wir nicht wünschen, dah mall sie in Gath sage oder sie auf der Gasse
zu Asklou verkündige, daß sich nicht freuen die Töchter der Philister, und nicht
frohlocken die Töchter der Unbeschniltenen. O, möge Gott uns als einer Gemeinde
die Gnade geben, der List Satans und seiueu Angriffen zu widerstehen, daß
er, wenn er fein Ärgstes gethan, keinen Vorteil über uns gewinnet, und nach-
dem er acht auf nils gehabt nnd wieder acht, nnd all uusre Türme und Voll-
werke gut gezählt, doch gezwungen ist, sich zurückzuziehen, weil seine Sturm-
böcke nicht einmal eitlen Stein aus uusreu Mauern herausrütteln können,
und seine Schlingen keinen einzigen Soldaten auf deu Wällen zu töten
vermögen.
Ehe ich diesen Punkt verlasse, möchte ich noch sagen, daß man vielleicht
entgegnen w i r d : „Wie ist es, daß Gott dieses beständige nnd böswillige Acht-
haben anf feill Volk von feiten des Vöfen zugibt?" E i u e Antwort ist ohne
Zweifel, daß Gott weiß, was zu seiuer Ehre dient, und daß Er keine Rechen«
schaft von seinen Sachen ablegt; daß es, nachdem Er freien Willen verstauet
ulld aus eiuem geheimnisvollen Grunde die Existenz des Vösen zugelassen hat,
mit diesem seinem Thun nicht vereinbar scheint, deu Satan zu vernichten, Er
gibt im Gegenteil ihm Macht, so daß es ein ehrlicher Kampf Mann gegen
Mann zwischen Sünde und Heiligkeit, zwischen Gnade und List ist. Außerdem
sei darail erinnert, daß die Versuchungen Satans ohne seine Absicht dein Volke
Gottes von Nutzen siud; F e n e l o n sagt, sie sind die Feile, die viel von dem
Nost des Selbstvertrauens abreibt, und ich will hinzufügen, sie sind der furcht-
bare Ton ill dem Ohr des Wachtpostens, der ihn sicher wach halten wird.
Ein erfahrnngsreicher Theologe bemerkt, daß es keine Versuchung in der Welt
gibt, die so schlimm ist, als die: gar nicht versucht zu werden; denn versucht
werden, wird dienen, uns wach zu halten: während wir ohne Versuchung, da
Fleisch und B l u t schwach sind, ob auch der Geist willig ist, doch ill Schlummer
fallen können. Kinder laufen nicht von ihres Vaters Seite weg, wenn große
Hunde sie anbellen. Das Hellten des Teufels mag uns auf uusrem Wacht-
tllrni halten und das Mittel zur Bewahrung vor andren Übeln sein. Laßt
uns uüchtern sein und wachen, denn uuser Widersacher, der Teufel, geht umher
11*
164 Alttestameutliche Bilder.

wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge; uud dann gestattet
uus, die wir in den Vorderreihen stehen, euch warm eine ernste Bitte ans
Herz zu legen, nämlich die: „Brüder, betet für uns," damit wir, die wir der
Beachtung des Satans besonders ausgesetzt sind, von der göttlichen Macht be»
hütet werden. Laßt uns durch eure Gebete reich gemacht werden, auf daß
wir bis ans Ende bewahret bleiben.

II.
Was ist es, worauf Satan acht hat w dop Absicht, dem
Volke Gottes zn schaden?
Es kann von ihm nicht gesagt werden wie von Gott, daß er uns ganz
und gar kennt, aber da er nun fast sechstausend Jahre mit der armen, ge-
fallenen Menschheit verkehrt, muß er sich in dieser Zeit eine sehr große Er-
fahrung erworben haben, und da er auf der ganzen Erde gewesen ist nnd die
Höchsten und die Niedrigsten versucht hat, muß er außerordentlich gut wissen,
was die Triebfedern menschlichen Handelns sind, uud wie er auf sie ein-
zuwirkeu hat. Der Satan beobachtet und hat acht zuerst vor allem auf unsre
besonderen Schwächen. Er sieht uns voll oben bis unten an, gerade wie
ich einen Noßhä'ndler es mit einem Nosse habe thun sehen; und er findet bald
heraus, worm wir fehlerhaft sind. Ich, ein gewöhnlicher Beobachter, mag das
Pferd für ein nngemein gutes halten, wenn ich es die Straße auf« und ab>
rennen sehe, aber der Händler sieht, was ich nicht wahrnehmen kann und ver-
steht, das Tier gerade an solchen Teilen und an solchen Punkten zu fassen,
daß er bald einen geheimen Fehler entdeckt. Satan versteht uns anznblicken
und uns vom Kopf bis zum Fuß zu berechne», so daß er voll diesem Manne
sagt: „Seine Schwachheit ist die Lust," und von jenem: „ E r ist heftiger
Natur," und von einem andren: „ E r ist stolz," und von einem vierten: „ E r
ist träge." Das Auge der Bosheit uimmt sehr rasch eine Schwäche wahr,
und die Hand der Feindschaft macht sich dieselbe bald zu nutze. Wenn der
Erzspion eine schwache Stelle ill der Mauer unsres Schlosses findet, so trägt
er Sorge, seinen Sturmbock aufzupflanzen und die Belagerung zu begiunen.
D u magst selbst vor deiuem besten Freunde deine Schwäche verbergen, aber
du wirst sie vor deinem schlimmsten Feinde nicht verbergen. Er hat Luchs-
augen und ersieht im Allgenblick die Fuge in deinem Harnisch. Er geht mit
einem Zündholz umher, und ob du auch denkst, daß du alles Pulver deiues
Herzens zugedeckt habest, so weiß er doch eiue Spalte zu siudeu, durch die er
sein Hölzchen stecken kann, und viel Schaden wird er thun, wenn die ewige
Barmherzigkeit es, nicht verhindert.
Er trägt auch Sorge, unsre S t i m m u n g e n und Seelenznstände zu
beobachten. Griffe der Teufel uns all, wenn unser Gemüt in gewissen
Satan hat acht auf die Heiligen. 165

Stimmungen ist, so würden wir ihm mehr als gewachsen sein: er weiß dies
und meidet das Zusammentreffen. Manche Menschen sind empfänglicher für
Versuchung, wenn sie traurig und verzagt sind; der Feind wird sie dann an>
greifen. Andre werden geneigter sein, Feuer zu fangen, wenn sie jubilierend
uud voll Freude sind; er wird dann seinen Funken in den Zunder werfen.
Gewisse Personen können, wenn sie hin- und hergeworfen sind, dahin gebracht
werden, fast alles zu sagen; uud andre sind, wenn ihre Seele wie vollkommen
ruhiges Wasser ist, gerade dann in dem Zustande, daß des Teufels Schiff auf
ihnen fahren kann. Wie der Metallarbeiter weiß, daß das eine Metall bei
einem solchen Grad voll Hitze bearbeitet werden muß und ein andres bei eiller
andren Temveratnr; wie die, welche mit Chemie sich beschäftigen, wissen, daß
die eine Flüssigkeit bei eiller gewissen Wärme sieden wird, während die andre
den Siedepunkt viel früher erreicht, fo keunt der Satan genau die Temperatur,
bei der er uns für seinen Zweck bearbeiten kann. Kleine Töpfchen kochen,
sobald sie alls Feller gesetzt werden, lind ebenso geraten kleine Menschen voll
rascher Gemütsart bald ill Leidenschaft; größere Gefäße erfordern mehr Zeit
und Kohlen, ehe sie kochen, aber wenn sie kochen, so ist es in der That ein
Kochen, das nicht schnell vergessen oder gedämpft wird. Der Feind beobachtet
einem Fifcher gleich; nimmt einen Köder, der für die Vente paßt; und weiß,
zll welchen Zeiten lind Stnnden die Fifche am leichtesten anbeißen. Dieser
Seelenjäger überfällt uns unversehens, nnd oft werden wir voll einem Fehler
ereilt oder in einer Falle gefangen, weil wir nicht in wachsamer Stimmung
waren. Jener ansgezeichnete Sammler köstlicher Aussprüche, T h o m a s S p e n c e r ,
that den folgenden, der sehr treffend ist: „Das Chamäleon nimmt, wenn es
nllf dem Grafe liegt, um Fliegen und Heuschrecken zll fangen, die Farbe des
Grases all, wie der Polyp die des Felsens, unter dem er lauert, damit die
Fische ohne Ahnnng der Gefahr ihm kühn nahen." I n gleicher Weise wandelt
sich Satan ill die Gestalt, die wir am wenigsten fürchten, und bringt uns solche
Gegenstände der Versuchung vor Augen, die nnsrer Natur am angenehmsten
silld, damit er uns um so eher in sein Netz ziehe; er segelt mit jedem Winde
nnd treibt uns ill der Richtung, zu der wlr selber um der Schwachheit nnsrer
Natur willen geneigt sind. I s t unsre Kenntnis in Glaubenssachen mangelhaft?
Er verflicht uns zum I r r t u m . I s t unser Gewissen zart? Er verflicht uns zur
Ängstlichkeit uud übertriebener Genauigkeit. Hat uuser Gewissen gleich der
Sonnenbahn etwas Breite? Er verflicht uns zu fleischlicher Freiheit. Sind
wir kühnen Mntes? Er versucht uns zur Vermesseuheit. Sind wir schüchtern
und mißtrauisch? Er versucht uns zur Verzweifluug. Siud wir biegsamer
Natur? Er versucht uns zur Unbeständigkeit. Sind wir steif? Er arbeitet
dahin, hartnäckige Ketzer, Schismatiker oder Nebellen aus uns zu machen.
Siild wir voll strenger Gemütsart? Er versucht uus zur Grausamkeit.
166 Alttestamentliche Bilder.

Sind wir sanft und mild? Er versucht uns zur Verzärtelung und thörichtem
Mitleid. Sind wir warm in religiösen Dingen? Er versucht uns zu blindent
Eifer uud Aberglauben. Sind wir kalt? Er versucht uus zu Laodiceischer
Lauheit. So legt er seiue Fallen auf die eine oder audre Weise, um uns
zu fangen.
Er hat anch acht auf u n f r e S t e l l u n g uuter den Menschen. Es
gibt einige Personen, die 'am leichtesten versucht werdeu, wenn sie allein sind;
sie sind dann zu großer Schwermut geneigt und können zu schrecklichen Ver>
brechen getrieben werden: vielleicht sind die meisten von uns mehr der Sünde
ausgesetzt, wenn wir in Gesellschaft sind. I n einiger Gesellschaft würde ich
nie zur Sünde verleitet werden; in andre könnte ich mich kaum wagen. Viele
Menschen sind so voll Leichtsinn, daß diejenigen von uns, welche sich nach
derselben Richtung hinneigen, ihnen kaum ins Gesicht sehen können, ohne die
uns anklebende Sünde sich regen zu fühlen; und andre sind so düster, daß,
wenn sie einen Vruder gleicher Art treffen, sie so ziemlich gewiß unter sich
einen schlechten Bericht von dem guten Lande erfinden werden. Satan weiß
ench an einem Platze zn überraschen, wo ihr seinen Angriffen bloß liegt; er
wird sich anf ench stürzen in einem Nu, wie eiu Raubvogel aus der Luft, der
ans die Zeit gewartet hat, wo er mit Aussicht auf Erfolg herabschießen kann.
Wie wird er auch auf unsre Lage i n der W e l t acht haben! Er sieht
den einen an und sagt: „Dieser Mann hat Vermögen: es nützt mir nichts.,
die und die Künste bei ihm zu versuchen; aber hier ist ein andrer, der sehr
arm ist, ihn will ich ill diesem Netze fangen." Dann wiederum sieht er einen
Annen an lind sagt: „Nun, ich kann ihn nicht zu dieser Thorheit verleiteu,
aber ich will den Reichen da hineinführen." Wie der Jäger eine Flinte für
wilde Hühner hat, und eine andre für Hirsche und Wild, so hat Satan ver-
schiedene Versuchungen für verschiedene Menschenklassen. Ich nehme nicht all, daß
die Versuchung der Königin je Maria, das Küchenmädchen, quälen wird. Ich
nehme auf der andren Seite nicht an, daß Marias Versuchung je eine ernstliche
für mich fein würde. Vielleicht könntet ihr die meinige besteheil — ich denke nicht,
daß ihr es könntet; und ich bilde mir zuweilen ein, ich könnte die eurige er»
trageil — obgleich ich zweifle, daß ich es köunte. Satan weiß indessen genau, wo
er uns zu schlagen hat, und nnsre Stellung, unsre Fähigkeiteil, unsre Erziehung,
unser Name in der Gesellschaft, unser Beruf mögeil alles Thttren sein, durch
die er uns angreift. I h r , die ihr gar keinen Beruf habt, seid in besonderer
Gefahr — mich wundert, daß der Teufel euch nicht geradeswegs niederschluckt.
Der Mann, der am wahrscheinlichsten zur Hölle fährt, ist der, der auf der
Erde nichts zu thun hat. Ich fage das im Ernst. Ich glaube, daß kein
größeres Übel jemandem widerfahren kann, als wenn er all einen Platz gestellt
wird, wo er keine Arbeit hat; und wenn ich je in einem solchen Zustande sein
Satan hat acht auf die Heiligen. 167

sollte, so würde ich mir sofort Arbeit schaffen, aus Furcht, daß sonst der Böse
mich, Leib und Seele, davonführen würde. Müßige Leute versuchen den
Teufel, sie zu versuchen. Laßt uns etwas zu thun haben, laßt uns unsren
Geist beschäftigt halten, denn, wenn nicht, so machen wir Raum für den
Teufel. Fleiß wird uns nicht fromm machen, aber der Mangel an Fleiß
kann uus lasterhaft machen. Habt immer irgend etwas auf den: Amboß oder
im Feuer.
„ M i t Arbeit, Buch, gesundem Spiel
Will ich mich stets beschäft'gen,
Denn Satan kann des Bösen viel
Durch müß'ge Hände schaffen."

So lehrte uns W a t t s in unfrer Kindheit, und so laßt uns in unsrer


Mannheit glauben. Bücher, Arbeiten oder solche Erholungen, wie sie für die
Gesundheit nötig sind, sollten unsre Zeit ausfüllen; denn wenn ich mich in
Trägheit hillwerfe, wie ein altes Stück Eifen, so muß ich mich nicht wundern,
daß ich von der Sünde rostig werde.
Aber ich bin noch nicht fertig. Wenn Satall seilte Nachforschungen
anstellt, so beachtet er alle Gegenstände unsrer Z u n e i g u n g . Ich zweifle
nicht, als er um Hiobs Haus herumging, beobachtete er es ebenso sorgfältig,
lm'e die Diebe das Haus eines Juweliers, wo sie einzubrechen beabsichtigen.
Sie bringen sehr schlau jede Thür, jedes Fenster, jeden Verschluß in Allschlag;
sie verfehlen nicht, das Nachbarhaus anzusehen, denn sie mögen zu dem Schatz
durch das angrenzende Gebäude gelangen. So dachte der Teufel, als er herum-
giug uud die ganze Stellung Hiobs ill Gedanken annotierte: „ D a sind die
Kamele und die Rinder und die Esel und die Knechte — ja, ich kann diese
alle trefflich gebrauchen". „ D a n n " , dachte er, „sind da die drei Töchter! Da
silld die siebell Söhne und sie wollen ein Fest halten — ich werde wissen, wo
ich sie angreifen kann, und wenn ich das Halls gerade umzustoßen vermag,
während sie das Fest halten, so wird das des Vaters Herz um so tiefer
betrüben, denn er wird sagen: „ O , daß sie gestorben, wenn sie im Gebet
gewesen, lieber, als während sie aßen uud Wein tranken!" „ I c h will sie mit
ill das Inventar aufnehmen", sagt der Teufel, „seine Frau — null, ich werde
sie wohl gebrauchen", und so kam es. Niemand hätte thun können, was
Hiobs Weib that, — keiner der Knechte hätte jenes traurige Wort so beißend
sagen können — oder wenn sie es freundlich meinte, hätte niemand es mit
so einnehmender Miene sagen können, wie Hiobs eignes Weib: „Segne Gott
und stirb", wie man es übersetzen kann, oder: „Fluche Gott und stirb." Ah,
Satan, du hast mit Hiobs Kalbe gepflügt, aber es ist dir nicht gelungen;
Hiobs Stärke liegt in seinem Gott, nicht in seinem Haar, sonst hättest du ihn
vielleicht scheren können, wie Simson geschoren ward! Vielleicht hatte der
168 Nlttestllmentliche Bilder.

Böse auch Hiobs persönliche Empfindlichkeit erforscht, und so die Form körper-
lichen Leidens erwählt, von der er wußte, daß sein Opfer sie am meisten
fürchtete. Er brachte eine Krankheit über ihn, die Hiob bei Armen draußen
vor den Thoren der Stadt gesehen und vor ihr geschaudert haben mochte.
Bruder, Satan weiß ganz ebensoviel von dir. D u hast ein Kind, und
Satan weiß, daß du es vergötterst. „ A h , " sagt er, „da ist eine Stelle, wo ich
ihn verwunden kann." Sogar die Gefährtin deines Herzens mag ein Köcher
sein, in welchem die Pfeile der Hölle aufbewahrt bleiben, bis die rechte Zeit
kommt, und dann mag sie sich als der Bogen erweisen, von dem Satan sie
abschießt. Sei ans der Hut, fogar vor deinen» Nächsten und vor ihr, die an
deinen! Vnsen liegt, denn du weißt nicht, wie Satan einen Vorteil über dich
gewinnen mag. Unsre Gewohnheiten, unsre Freuden, unsre Leiden, unsre
Zurückgezogenheit, unsre öffentliche Stellung, aus allem kann dieser verzweifelte
Feind der Kinder Gottes Angriffswaffen machen. Es sind Schlingen überall;
auf unsrem Lager und an unsrem Tische, in unsrem Hause und ans der
Straße. Es gibt Fallen und Fallthüren in Gesellschaft; es gibt Gruben in
der Einsamkeit. W i r mögen Versuchungen im Hause Gottes ebensowohl wie
in der Welt finden. Fallstricke in hohem Stande und tödliche Gifte in der
Niedrigkeit. W i r dürfen nicht erwarten, von Versuchungen frei zu fein, ehe
wir über den Jordan hinüber sind, und dann, Gott sei Dank, sind wir außer
Schußweite des Feindes. Das letzte Heulen des Höllenhundes wird sich hören
lassen, während wir in die kalten Wasser des schwarzen Stromes hinabsteigen,
aber wenn wir das Hallelnja der Verklärten hören, so werden wir für alle
Ewigkeit von dem schwarzen Fürsten befreit sein.

III.
Satan hatte acht, aber es war ein höheres Achthaben da,
welches sein Achthaben vereitelte.
I n Kriegszeiten machen die Snpvierer uud Minierer der einen Partei
eine Mine, und es ist etwas sehr Gewöhnliches, daß die der andren Partei
gegenminieren, indem sie die erste Mine unterminieren. Dies ist gerade das,
was Gott bei Satan thut. Satan miniert und denkt, den Zünder anzustecken
und Gottes Gebäude in die Luft zu sprengen, aber während der ganzen Zeit
unterminiert Gott und sprengt Satans Mine, ehe er Schaden thun kann. Der
Teufel ist der größte aller Narren. Er hat mehr Kenntnis, aber weniger
Weisheit, als irgend ein andres Geschöpf, er ist listiger denn alle Tiere
auf dem Felde, aber es heißt mit Recht List, nicht Weisheit, es ist nnr eine
andre Form der Narrheit. Die ganze Zeit über, wo Satan Hiob versuchte,
wußte er wenig davon, daß er Gottes Zwecke ausführte, denu Gott sah und
hatte auf das Ganze acht und hielt den Feind, wie ein Mann ein Pferd am
Satan hat acht auf die Heiligen. 169

Zügel hält. D e r H e r r hatte genau acht d a r a u f , wie weit E r S a t a n


gehen lassen w o l l t e . Er erlaubte ihm das erste M a l nicht, Hiobs Fleisch
anzutasten — vielleicht war das mehr, als er zu der Zeit hätte ertragen
können. Habt ihr nie beachtet, daß ihr, wenn eure leibliche Gesundheit stark
und gut ist, Verluste und Leiden und selbst Todesfälle mit einer Art Gleich»
innt ertragen könnt? Null, das war der Fall bei Hiob. Wenn die Krankheit
zuerst gekommen und das übrige gefolgt wäre, so hätte die Versuchung vielleicht
zu schwer für ihn sein können, aber Gott, der weiß, wie weit Er den Feind
gehen lassen kann, wird ihm sagen: „ S o weit und nicht weiter." Allmählich
wurde er an seine Armut gewöhnt; in der That, die Anfechtung hatte ihren
Stachel verloren in dem Augenblick, wo Hiob sprach: „Der Herr hat es
gegeben und der Herr hat es genommen." Dieser Feind war erschlagen —
nein, er war begraben, nnd die Grabrede lantete: „Gelobet sei der Name des
Herrn." Als die zweite Prüfung kam, hatte die erste den Hiob befähigt, die
andre zu tragen. Es mag eine schwerere Prüfnng für einen Manu im Besitz
großer, weltlicher Reichtümer sein, wenn er plötzlich der körperlichen Kraft,
ihrer zu genießen, beraubt wird, als wenn er erst alles verliert und dann die
Gesundheit, die zum Genüsse notwendig ist. Wenn er schon alles verloren
hat, möchte er fast sagen: „Ich danke Gott, daß ich nun nichts zu geuicßeu
habe und daß deshalb das Verlieren der Kraft znm Genüsse nicht so schmerzlich
ist." Ich habe nicht zu sagen: „Wie wünsche ich, daß ich hinaus auf meine
Felder gehen und nach meinen Knechten sehen könnte, denn sie sind alle tot.
Ich wünschte nicht meine Kinder zu sehen — sie sind alle tot' und dahin —
ich bin dankbar, daß sie es sind; besser so, als daß sie ihren armen Vater auf
einem Aschhaufen wie diesen sitzen sähen." Er hätte beinahe froh sein können,
wenn sein Weib auch dahingegangen wäre, denn gewiß, sie war eben kein sehr
angezeichnetes Gut, das ihm erhalten blieb; und vielleicht, wenn er alle
seine Kinder um sich gehabt hätte, so wäre die Prüfung noch härter gewesen,
als sie es war. Der Herr, der Verge in der Wngschale wiegt, hatte seines
Knechtes Wehe abgemessen.
Hatte nicht der Herr auch acht darauf, wie E r seiueu Knecht bei
der P r ü f u n g aufrecht h a l t e n sollte? Geliebte, ihr wißt nicht, wie
gnädig Gott im Verborgenen O l auf Hiobs Feuer der Frömmigkeit goß,
während der Tenfel Eimer voll Wasser darauf schüttete. Er sprach bei sich
selbst: „Wenn Satall viel thut, will ich mehr thun: wenn er den Mann zum
Fluchen versucht, will ich ihn so mit Liebe zu nur erfüllen, daß er mich
segnen soll. Ich will ihm helfen; ich will ihn stärken; ja, ich will ihn halten
mit der rechten Hand meiner Gerechtigkeit." Christ, nimm diese zwei Gedanken
und lege Ne unter deine Zunge wie „Semmel mit Hollig" — du wirst
niemals versucht werden ohne ausdrückliche Erlaubnis von dem Throne, wo
170 Alttestamentliche Bilder.

Jesus für dich bittet, und auf der andren Seite, wenn Er es gestattet, so
wird Er dir bei der Versuchung einen Ausweg bereite» oder dir Gnade geben,
sie zu bestehen.
Ferner, der Herr hatte acht darauf, Hiob durch seine Prüfung zu
heiligen. Hiob war ein viel besserer Mann am Ende der Erzähluug als
am Anfang derfelben. Er war „schlecht und recht" zuerst, aber es war ein
klein wenig Stolz in ihm. Wir sind arme Geschöpfe, einen solchen Manu wie
Hiob zu kritisieren — aber doch, es war in ihm ein Auflug von Selbst»
gerechtigkeit, denke ich, und seine Freunde brachten dies zu Tage. Elivhas
und Zovhar sagten so aufreizende Dinge, daß der arme Hiob nicht umhin
konnte, starke Ausdrücke betreffs seiner selbst zu gebrauchen, die etwas zu stark
waren, wie man meinen sollte; es war ein wenig zu viel Selbstrechtfertigung
da. Er war nicht, wie unser einige es sind, auf sehr weniges stolz — er
hatte sehr vieles, worauf er stolz fein kounte, wie die Welt es zugab — aber
doch war die Tendenz da, sich dadurch gehoben zu fühleu; und obwohl der
Teufel es nicht wußte, fo hätte vielleicht, wenn er Hiob in Nuhe gelassen,
dieser Stolz in Saat schießen und Hiob sündigen können; aber er hatte solche
Eile, daß er den bösen Samen nicht reifen lassen wollte, sondern ihn hastig
abschnitt, und so war er Gottes Werkzeug, Hiob in einen delnütigeren und
folglich sicheren und gesegneteren Seelenzustand zu bringen. Überdies beachtet,
wie Satan ein Lakai des Allmächtigen war! Hiob wurde während der ganzen
Zeit geeignet gemacht, einen größeren Lohn zu ernten. All sein Wohl-
stand ist Ihm nicht genug; Gott liebt Hiob so sehr, daß Er beabsichtigt, ihm
ein doppelt so großes Vermögen zu verleihen; Er beabsichtigt, ihm seilte Kinder
wieder zu geben; Er will ihn zu einem berühmteren Mann machen, als er
je gewesen; einem Mann, dessen Name durch alle Jahrtausende hindurch klingen
soll; einem Mann, von dem alle Generationen reden sollen. Er soll nicht der
Mann voll Uz sein, sondern der Mann der ganzen Welt. Nicht mir eine
Handvoll Leute in der Nachbarschaft follen von ihm wissen, sondern alle
Menschen sollen von Hiobs Geduld in der Stunde der Prüfung hören. Wer
soll dies zustandebringen? Wer soll die Posaune des Ruhms verfertigen,
durch welche Hiobs Name geblasen werden soll? Der Teufel geht zu der
Schmiede und arbeitet mit aller seiner Macht daran, Hiob hoch berühmt zu
machen! Thörichter Teufel! Er errichtet ein Piédestal, auf das Gott seinen
Knecht Hiob stellen will, damit alle Jahrtausende mit Staunen ihn an-
blicken mögen.
Zum Schluß, Hiobs Trübsale und Hiobs Geduld sind ein
bleibender Segen für die Gemeinde Gottes gewesen, und sie haben
unglaubliche Schande über S a t a n verhängt. Wenn ihr den Teufel
zoruig machen wollt, so haltet ihm die Geschichte Hiobs vor. Wenn ihr euer
Satan hat acht auf die Heiligen. 171

eignes Vertrauen gestärkt wünscht, so möge Gott der Heilige Geist euch die
Geduld Hiobs vors Ange stelleu. O, wie viele Heilige sind in ihren Leiden
durch diese Geschichte der Geduld getröstet worden! Wie viele sind aus dem
Rachen des Löwen und von den Klanen des Bären errettet worden durch die
dunklen Erfahrungen des Patriarchen von Uz!
O Erzfeind, wie bist du in deinem eignen Netz gefangen worden! D u
hast einen Stein geworfen, der auf dein eignes Hanpt gefallen ist. D u machtest
eine Grube für Hiob nnd bist selber hineingefallen; du bist in deiner eignen
List verstrickt worden. Jehovah hat die „Weisen zu Thoreu gemacht und die
Wahrsager toll." Brüder, wir wollen uns im Glauben der Sorge uud der
Bewahrung Gottes anbefehlen — komme Armut, komme Krankheit, wir werden
in allen Dingen durch das Blut Jesu Christi Sieger sein und durch die Kraft
seines Geistes am letzten Ende überwinden. Ich wollte zu Gott, wir vertrauten
alle auf Iesum. Mögen die, welche I h m noch nicht vertraut haben, dahin
gebracht werden, hente morgen damit zu beginnen, und Gott soll allen Preis
von uns allen haben ewiglich. Amen.
172 Nlttestamenlliche Bilder.

Mose durch dm Glauben verborgen.


„Durch den Glauben ward Mose, da er geboren war, drei
Monate verborgen von seinen Eltern, darum, daß sie sahen, wie er
ein selten schönes Kind war; und fürchteten sich nicht vor des Königs
Gebot." Hebr. I l , 23.

ie ich schon bei der Erklärung des Abschnittes bemerkte,'") sollte der
Nachdruck bei diesen Stellen heiliger Lebensbeschreibung ans die Worte „dnrch'
den Glauben" gelegt werden. Die mächtigen Thaten der Helden und die
gehorsamen Handlungelt der Pilgerväter werden uns nur erzählt, weilsieaus
dem Glauben entspringen. Um die Wurzel zu loben, wird der Früchte Er-
wähnung gethan. Die Kinder werden eins nach dem andren genannt, damit
die Mutter das Lob haben «löge, denn Glaube ist die Mutter aller Tugenden.
Nach diesem Buche schätzt Gott die Menschen nach ihrem Glauben, und „ohne
Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen." Der Glaube hat das Wohlgefalleu
des Höchsten, aber er hat es im Verhältnis zu seiuer Stärke, denu es gibt
Fälle, wo anf Schwachheit des Glaubens augenscheinlich Züchtiguug folgte und
andre Fälle, wo Stärke des Glanbens hoch geehrt ward. Je mehr du glaubst,
desto mehr segnet Gott dich. Wenn dein Glaube so klein ist wie ein Senf-
korn, so sollst du errettet werden, denn wo Glaube ist, da ist Errettung; aber
wenn dein Glaube schwach ist, so wirst du mancher Tröstungen entbehren, und
nur in dem Maße, wie dein Glaube durch die göttliche Gnade wachset uud
stärker wird, wirst du die größeren, tieferen und höheren Dinge des Gnaden-
buudes empfaugen. Mehr Glauben ist es, was wir brauchen, und der Herr
ist willig, ihn zu geben, Gnade auf Gnade; Er hat besonders Freude daran,
den Glauben, den wir schon besitzen, zu starken, indem Er ihn prüft, ihn
unter der Prüfung aufrecht hält, ihn dadurch wurzelt und gründet, uud ihn

*) Spurgcon liefet bei jedem Gottesdienstc einen Abschnitt aus der Bibel vor und
fügt Erklärungen hinzu. A. d. Üb.
Muse durch den Glauben verborgen. 173

fest nnd kräftig werden läßt. O, daß wir stets so lebten, daß der Herr in
allen nnsren Handlungen ihren Ursprung aus dein Glauben sehen könute!
Dann werden unsre Handlungen sowohl wie wir selber immer von I h m durch
Christum Iesmn augeuommen werden; denn der Herr hat deutlich erklärt:
„Der Gerechte aber wird des Glaubens leben. Wer aber weichen wird, an
dem wird meine Seele keinen Gefallen haben" — das heißt, wer vom Glauben
abweichen wird nnd ans dein Wege der Sinne und des Gefühls laufen.
Nachdem wir durch deu Glauben begonnen haben, sollen wir durch den
Glauben leben. W i r sollen nicht das Leben in dem Evangelium finden und
es dann durch das Gefetz ernähren. W i r sollen nicht im Geiste beginnen und
dann es im Fleisch zu vollenden suchen oder durch Vertrauen auf Menschen,
sondern wir müssen fortfahren, in dem einfachen Glauben zn wandeln, der
sich nur auf Gott verläßt, denn dies ist der wahre Christensinn. Der Glande
ist das Kind der Freien, und er kann nicht von Verdienst oder Selbstgerechtig-
keit leben, denn dies ist das Kind der Magd, und die Schrift spricht: „Stoß'
die Magd hinaus mit ihrem Sohne; denn der Magd Sohn soll nicht erben
mit dem Sohne der Freien."
Nun ist der Glaube vor deu Augen Gottes die wahre Seele aller
heiligen Handlungen. Das, was ohne Glauben gethan wird, auch weun es,
an sich betrachtet, annehmbar gewesen wäre, wird doch ohne Glauben nicht
angenommen. Wie kein Opfer, auch wem: es ohne Tadel war, anders als
mit Salz und mit Feller geopfert werden durfte, so wird nichts von Gott an-
genommen, wenn es nicht mit Glauben verbunden ist. Das Hören ist kein
Hören zum Nutzen, wenn es nicht mit Glauben vereint ist, nnd das Thnn
sogar mag nns im Wege stehen, bis wir zuerst jenes Werk vollzogen haben
— jenes gottgleiche Werk — jenes Werk Gottes — daß wir an I h n glauben,
den Er gesandt hat. Es muß Glaube da sein; ohne ihn ist es unmöglich
Gott gefallen, lind Er mißt uufre Haudlungen nach dem Glauben, aus dem
sie hervorgehen. Ich sage deshalb wiederum sehr nachdrücklich, daß ich diese
Vibelstellen nicht so sehr wie ein Lob der Handlungen selber allsehe, als viel-
mehr wie eine Ehre, die der Heilige Geist dem Glauben beilegt. Wenn ihr
voll denen leset, die Königreiche bezwnngen, das ist nicht der Punkt, auf den
es ankommt: Andre haben Königreiche bezwungen, aber es heißt: „Welche
haben durch den G l a u b e n Königreiche bezwungen." Wenn ihr von denen
leset, die des Schwerts Schärfe entronnen sind, viele haben das gethan, aber
keine sind hier verzeichnet, als die, „welche durch den G l a u b e n sind des
Schwerts Schärfe entronnen." „Haben der Fremden Heer danieder gelegt."
Viele haben das durch Tapferkeit und Stärke gethan; aber es durch den
G l a l l bell thun, das ist die Sache. Viele haben Geißeln nnd Bande und
Gefängllis erduldet und find umhergegangen mit Mailgel, mit Trübsal, mit
174 Alttesiamentliche Bilder.

Ungemach, aber solche Leiden sind nichts, wenn sie nicht durch den Glauben
getragen werden. Ich könnte fast die Worte Pauli anführen nnd sie nur ein
wenig ändern: „Wenn ich mit Menschen» und mit Engelzungen redete und
hätte des Glaubens nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende
Schelle. Und wenn ich weissagen könnte uud wüßte alle Geheimuisse und alle
Erkenntnis; und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen
Leib brennen, und hätte des Glaubeus. uicht, so wäre es mir nichts nütze."
Der Glaube zuerst, in der Mitte und zuletzt, muß Wandel, Leben und Triumph
des Christen sein. Gott gibt den Glauben, Gott nimmt von dem Glanben
an, Gott rettet durch den Glauben, Gott erhält durch den Glauben, Gott
heiligt durch den Glauben, Gott macht vollkommen dnrch den Glauben. I n
allen gute» Diugen sind Macht, Lebeu uud Aunehmbarkeit vor Gott „nicht
aus den Werken, auf daß sich niemand rühme," sondern durch den Glauben,
damit alles durch die Guade allein sei.
Ich nehme jetzt das im Text genannte Beispiel des Glaubens auf, uud
indem ich dies thue, hoffe ich, daß viele hier sich die Frage stellen werden:
„Habe ich diesen Glauben, der das Unsichtbare sieht? Habe ich einen
Glauben, der eine wirksame Kraft über mein ganzes Leben ausübt? Glaube
ich an Gott, all seinen lieben Sohn, an sein heiliges Wort? Ist dieser
Glaube wirklich, praktisch, thätig? Wenu nicht, so mag ich sicher sein, daß
ich ohlle Gott und ohne Hoffnung in der Welt bill. Wenn Er mir durch seine
Gnade den Glauben seiner Erwählten gegeben hat, durch den ich I h n wahr«
nehme. Ihn erkenne, gegen I h n handle als gegen den Gott, der da ist, uud der
denen, die I h n suchen, ei» Vergelter ist, dann bin ich ill Christo Jesu ange»
nonmien." Laßt uns unsren Text wieder lesen, uud dauu wollen wir uns
daran machen und Lehre aus ihm entnehmen. „Durch den Glauben ward
Mose, da er geboren war, drei Monate verborgen von seinen Eltern, darum,
daß sie saheu, wie er ein schönes Kind war; und fürchteten sich nicht vor des
Königs Gebot," — ihr Glaube machte sie tapfer und führte sie dahin, ihren
Kleinen zn erhalten.

I.
Meine erste Vemerknng über diese kurze Erzählung ist diese: Gs ist
ein großer Kegen, w e n u i n einer F a m i l i e beide E l t e r n Glanben
haben.
Paulus sagt: „Durch den Glauben ward Mose drei Monate verborgeil
von seinen Eltern." Nnn wollt ihr, bitte, beachten, daß Mose selbst in dem
Bericht, den er im zweiten Kapitel seines zweiten Buches davon gibt, dies
seiner Mutter zuschreibt: „Da sie sähe, daß es ein feines Kind war, verbarg
sie ihn drei Monate." Stephanus sagt in seiner Rede vor dem Sanhédrin:
Mose durch den Glauben verborgen. 175

„ Z u der Zeit ward Mose geboren, und war ein feines Kind vor Gott, und
ward drei Monate ernähret in seines Vaters Hause," erwähnt also mehr den
Vater als die Mutter. Paulus schreibt an die Hebräer: „ E r ward drei
Monate verborgen von seinen Eltern," erwähnt also beide. Ohne Zweifel
verband der Apostel die zwei andren inspirierten Äußerungen. Wundert ihr
euch, daß Mose vorzugsweise seine Mutter, Iochebed, nennt? Ich nicht.
Welcher Mann ist unter uns, der nicht stets mit Freuden seine gottesfürchtige
Mutter neunt, und obwohl wir keine Parteilichkeit betreffs unsrer Eltern zn
haben wünschen, so ist doch ohne allen Widerstreit das Geheimnis der Mntter-
liebe groß, und es sind einige Punkte dabei, ill denen es einen tieferen Ein-
druck auf das Gedächtllis macht als die Sorge des Vaters. Schätzt die Väter,
wie ihr mögt und wollt und sollt, doch es gibt eine zarte Empfindung, die
jedes Mannes Herz ergreift, wenn er all feine Mutter denkt. Es scheint
natürlich, daß Mose, als er den Bericht schrieb, seine Mutter am meisten
nannte; und ill der That uud Wahrheit, eine Mutter hat mehr mit einem
Kinolein zu thun, als ein Vater es haben kann: in seiner zarten Kindheit ist
sie der Natur der Sache nach sein Hauvtschutz. Vielleicht mag auch Iochebed,
obwohl wir dessen nicht gewiß sein können, den stärksten Glauben voll den
beiden gehabt und am meisten zur Erhaltung des Kindes angetrieben haben.
Es sind, wenn es sich so verhielt, andre Beispiele derselben Art ill der Schrift.
Manoah wäre ill traurigen Zustand geraten, wenn sein Weib nicht gewesen,
die sprach: „Wenn der Herr Lnst hätte, uns zu töten, hätte Er uns nicht
solches alles erzeiget." Die Mntter der Kinder Zebedäi wird sehr oft genannt,
während sehr wenig voll Zebedäus gesagt wird; und ich weiß, es wären viele
Beispiele jetzt vorhanden, wenn wir die religiöse Geschichte der Familien schreiben
sollten, wo, obgleich der Vater ein guter Maun ist, die Mutter doch, ich hätte
bald gesagt, ein besserer ist, und bei jeder Glaubensthat der Familie die
Hauptperson sein würde. Wohl, laßt uns denken, daß es so gewesen ist.
Iochebed, die Frau, hat den stärkeren Glauben. Sie ist keine Geschäftsfrau.
Sie bleibt zu Haufe nnd sieht nach dem kleinen Mose, wie sie seiner Zeit
nach dem kleinen Aaron und der kleinen Mirjam gesehen hat: der Vater mnß
ausgehen, Ziegel brennen und Brot für seine Familie erwerben, aber die
Mutter zu Hause, obgleich nicht hervortretend, sondern eher verborgen, wandelt
i n Gottes Nähe, und glaubt an I h n nnd wird so der wahre Mittelpunkt nnd
die Angel, auf der das Haus ruht und um die es sich dreht. Es ist oft so,
und gesegnet ist der Mann, der dies von seiner eignen Frau zu sagen vermag.
Er wird nie neidisch ans sie sein, sondern sich vielmehr freuen, daß, wenn er
Amram ist, Gott ihm eine Iochebed gegeben hat, die fein Sohn Mose in
künftigen Jahren nennen wird, selbst wenn er seinen Vater vergißt. Der
Ehemann wird sehr zufrieden sein, wenn es so ist, denn die Freude und der
176 Alttestameiltlichc Bilder.

Frieden, die er durch eine gottselige Frau von entschiedener und kräftiger
Frömmigkeit empfängt, wird eine reichliche Entschädigung dafür sein, daß er in
dein Gedächtnis eines ausgezeichneten Sohnes ein wenig in den Schatten
gestellt wird.
Aber was für ein Segen war es, lieben Freunde, daß, wenn Mose auch
nicht sagt, daß sein Vater ihn verbarg, dieser doch seinen Anteil daran hatte,
denn Stephanus sagt, daß er drei Monate in seines Vaters Hause ernähret
ward. Der Vater wußte es, half dazu und war hoffnungsvoll dabei; er war
völlig damit einverstanden, und gab seine Einwilliguug uud seinen Beistand
zu allem, was die Mutter that. Wollte Gott, es wäre so in allen Familien.
Wenn Mann und Weib in göttlichen Dingen zusammenstimmen, so ist das
Haus wohl gebaut; aber wenn die Herrin nach der einen Seite zieht und der
Herr nach der andren, wenn eins für Christus und das andre für Velial
ist, so ist das Haus mit sich selber uneins, und wie kann es dann stehen?
Es ist kein Wunder, wenn beide Eltern dem Herrn dienen, daß ihre Kinder in
seiner Furcht auferzogeu uud ihre Freude und ihre Ehre werden; und es ist
ebenso natürlich, daß, wenn ein ungöttlicher Vater alles vernichtet, was von
einer gottseligen Mutter gethau werden kann, dem bösen Beispiel des Stärkeren
eher gefolgt wird als dem gottseligen der Schwächeren. Wenn ich zu einem
Ehemann hier spreche, der noch ein Ungläubiger ist, so kann ich nur beten
uud meiue Gebete mit denen feines Weibes vereinen, daß er dahin gebracht
werden möge, den Herrn zu kennen und in I h m zu ruhen. Beide Eltern
Mose glaubten, so sagt mein Text, und beide handelten im Glauben, als sie
dem grausamen Befehl des Königs ungehorsam waren. Wenn sie darin nicht
einverstanden gewesen, so sehe ich nicht ein, wie Mose hätte verborgen werden
können; aber sie gingen beide zusammen in dieser Sache: und, lieben Freunde,
wie gut wird es sein, wenn wir alle zusammen gehen in den Bemühungen,
unfre Kinder zu Christo zu bringen. Wenn unsre Gebete vereinigt sind, wenn
nnser Beispiel eins ist, wenn unsre Lehren sich niemals widersprechen, wenn
beide Eltern mit gleichem Ernst das Heil ihrer Kleinen suchen, so können wir
versichert sein, daß die Verheißung erfüllt werden wird: „Ziehe ein Kind auf
in dem Weg, den es gehen soll, und es wird nicht davon weichen, wenn es
alt ist." (Svr. Sal. 22, 6.)

II.
Unsre zweite Bemerkung soll die sein, daß w a h r e r u n d sogar!»e-
merkenswerter Glaube a u f sehr alltägliche Meise handeln k a n n .
Was lesen wir? „Durch den Glauben haben sie Königreiche bezwungen,
Gerechtigkeit gewirket, die Verheißung erlanget, der Löwen Nachen verstopfet,
des Feuers Kraft ausgelöschel, sind des Schwerts Schärfe entronnen," und so
Mose durch den Glauben verborgen. 177

weiter, nnd so weiter. Nnn, das sind große Dinge und würdig der Er-
wähnung unter denkwürdigen Thaten. J a , aber dies ist anch groß in seiner
A r t : „Durch den Glanben ward Mose, da er geboren war, drei Monate
verborgen von seinen Eltern." Es ist kein Posaunenklang darin wie in dem
Verstopfen der Löwenrachen, dem Anslöschen des Feuers uud Vezwiugen der
Königreiche, aber in Gottes Nugen, von seinem Gesichtsvnnkte aus, mag das
Verbergen eines Kindleins drei Monate lang ein ebenso großes Beispiel von
bewundernswerten! und annehmbarem Glaube» sein, wie eins von den andren
Dingen: sogar das Niederlegen der Heere der Fremden mag nicht größer sein,
als wenn man die Bosheit eines Königs zu schänden macht, indem man ein
kleines Kind rettet. Aber ihr sagt mir: „Es war etwas sehr Natürliches von
einer Mutter, dies zu thuu. Wenn Pharao den Befehl gegeben hatte, daß alle
männlichen Kinder getötet werden sollten, war es da nicht natürlich genug,
daß eine Mntter versuchte, ihres Kindes Leben zn erhalten? Kann ein Weib
ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres
Leibes?" J a , ja, ich weiß das alles nnd gebe es zu; aber dennoch lobt der
Herr nicht die natürliche Liebe, sondern den übernatürlichen Glauben. Eine
sehr starke Strömung wird gesehen, wenn Natnr und Glauben beide dieselbe
Nichtnng nehmen; doch ist es nicht Natur, sondern Glaube, der herrscht.
Zuweilen hat der Glaube gegen die Natur anzugehen, wie bei Abraham, als
ihm geheißen wurde, seinen Sohn zu opfern, uud dann gewinnt der Glaube
den S i e g ; und hier, obgleich Glande und Natur zusammen trafen und so
die Strömung stärker machten, sagt der Text dennoch nicht: „Durch die Kraft
der Natur, durch die natürliche Liebe der Eltern für ihr Kind wurde Mose
drei Monate verborgen." Nein, sondern sie thaten es „durch den Glauben";
so sagt der Geist, und Er weiß besser als wir, wie sie dazu kamen, es zu thun.
W i r würden sagen: „Die Natur führte sie dahin, das Kindlein zu verbergen,"
aber Gott sagt: „Der Glaube führte sie dahin, es zu thun," und in seinem
Maße ist beides wahr. Die Natnr gab ein; aber der Glaube drängte, zwang
und befähigte sie, das zu thun, was sonst ihre Schüchternheit nicht gewagt
haben würde.
Aber war es nicht eine sehr einfache Sache, die durch den Glauben ge>
than ward — das bloße Verbergen eines Kindes? J a , aber nicht so leicht,
als es aussieht. Zuweilen, vermute ich, sagte die Mutter: „ S t i l l ! S t i l l !
S t i l l ! Mein Kindchen, du mußt nicht schreien, was du auch für Schmerzen
hast, wie ägyptische Kinder schreien dürfen, denn wenn ein Fremder Kinder«
geschrei hören sollte, wird es Pharaos Mordbeamten berichtet werden, und du
wirst sterben." Viele, viele Male mußte der instinktmäßige Schrei gestillt
werden durch der Mutter unverdrossene Sorge: und wenn Nachbarn an die
Thür kamen, da können wir wenig wissen, wie schwierig es war, sie von der
S f t u r g e o n , Altleslllmentllche Vllder. 12
178 Alttestamentliche Bilder.

Spur abzulenken, sie es nicht ahnen zu lassen, daß ein solch lebendiger, kleiner
Schatz im Haufe war. Wie oft brachten die, welche am Tage kamen, die
Familie in fieberhafte Aufregung, und wie erschraken beide Eltern, wenn in der
Mitte der Nacht jemand an die Thür klopfte oder unter dein Fenster müßig
stand. Ein Rasseln draußen vor ihrem armen, kleinen Hause machte sie voller
Angst. Sie waren so unruhig, weil sie des Königs Gesetz brachen, und
obwohl sie sich davor nicht fürchteten, so fürchteten sie doch des Königs Beamte,
die kommen konnten und ihr Kind wegnehmen. J a , es war eine sehr einfache
Sache — nur gerade ein Kindlein zu verbergen, — es ruhig zu halten und
niemand davon wissen zu lassen; aber es wurde durch den Glauben gethan,
und das macht die Handlung göttlich. Es war natürlich, es war einfach, ich
gebe das alles zu, aber wenn der Heilige Geist sagt: „Durch den Glauben ver«
bargen seine Eltern ihn," so macht das die einfache und natürliche Handlung
von ungewöhnlicher Herrlichkeit glühen, wie den Busch in Horeb, der nur
ein Busch war, aber doch erschien der Herr darin. Und hier ist das, worauf
es ankommt, lieben Freunde, Mütter, Töchter, Schwestern und ihr alle, die
ihr mit alltäglichen Dingen beschäftigt seid, seht ihr nicht, wie ihr den
Glauben auf diese gewöhnlichen Dinge einwirken lassen könnt? I h r denkt, ich
predige durch den Glauben auf dieser Kanzel, und das thue ich, Gott sei
gelobt: aber du kannst auch Strümpfe stopfen durch den Glauben, flicken und
sticken und fparen und mit wenigem weit reichen durch den Glauben. Wenn
du krank bist, kannst du liegen und husten durch den Glauben, ohne
ungeduldig zu fein. D u kannst sanft bleiben gegen einen Mann, der dich
zum Zorn reizt oder gegen ein ungehorsames Kind, durch den Glauben. D u
kannst Dinge aller Art durch den Glauben thun. Er fährt auf dem Wirbel»
wind daher, aber er fädelt auch eine Nähnadel ein; er klimmt hinauf zum
Throne Gottes, und doch steht er bei der Wiege eines Kindes; er kann „die
Verheißung erlangen", aber er kann sich auch hinsetzen und Schilfrohr stechten
und Erdharz kochen und einen Topf mit Pech umrühren, um eine kleine Arche
von außen und von innen zu verpichen, wenn es nötig ist. Es gibt nichts,
was der Glaube nicht veredeln kann, wenn er es berührt. D u brauchst nicht
zu sagen: „Ich muß von meinem täglichen Geschäft hinweggehen oder von
meinen häuslichen Angelegenheiten, um meinen Glauben zu zeigen." Nein,
nein, bleib' wo du bist und zeige ihn. Wenn ein Soldat tapfer zu sein
wünscht und feiuen Hauptmann fragt, was er thun kann, fo wird diefer ihm
sagen: Bleib' in deiner Linie am Tage der Schlacht, feure dein Gewehr ab,
wenn das Kommando gegeben wird." Um ein tapferer Mann zu fein, brauchst
du nicht die Linien zu verlassen oder bis vor die Mündung der Kanone zu
laufen aus bloßer Großsprecherei. Streiter Christi, bleibe au deinem Platze.
Thue das Werk, das der große Herr dir zugewiesen, traue auf I h n und glaube
Mose durch den Glauben verborgen. 179

an seine Macht, dir zu helfen. So wirst du dein Leben erhaben machen, wie
alltäglich es auch fleischlichen Augen erscheinen mag.
Durch den Glauben verbargen diese Eltern ihr Kind drei M o n a t e —
eine kurze Zeit, werdet ihr vielleicht denken. Wenn du ihre Angst durch«
zumachen gehabt, würdest du dafür halten, daß es die längstell drei Monate
gewesen, die du je gelebt. Drei Monate lang sind die Beamten hinter deinem
Lieblillg her, und jedesmal wenn du ihm ins Gesicht blickst, bist du bange,
daß er aus deinen Armen gerissen und in den Fluß geworfen werden wird.
Vergebens, o Mutter, gibst du deinem Kinde die tägliche Nahrung; vergebens
freust dll dich über die Grübchen in seinen Wangen und die lachenden Augen;
denn es muß sterben. Die Krokodile des Nils müssen dieses weiche Fleisch
verzehren. Solche Furcht muß sie Tag und Nacht gehabt haben. Drei
Monate lang müssen beide Eltern in großer Traurigkeit gewesen sein, und sie
hatten kaum unter solcher Seelenangst aushalten können, wenn sie nicht
Glauben gehabt; aber der Glaube machte sie fähig, Wache zu halten, die
langen Tage hindurch, die voller Qualen gewesen sein müssen. Obgleich die
Zeit euch, die ihr nie ein Kind verloren, kurz scheint, und uns allen, die
niemals wußten, was es sei, in der herzzerreißenden Gefahr zu leben, unser
Kindlein ermordet zu sehen, so füllte dies doch die ganze, kleine Welt eines
Mutter- und Vaterherzens aus, und. was könnte mehr sein? Sie ertrugen die
immerwährende Angst und verbargen das Kind durch den Glauben; glaubend
hoffend, daß Gott Mitleid mit ihnen haben würde.

III.
Ein dritter Grundsatz, den wir aufstellen wollen, ist dieser, daß d e r
G l a u b e a n s eine sehr g e r i n g e G r m n t i g n n g h i n h a n d e l t .
„Durch den Glauben ward Mose, da er geboren war, drei Monate ver»
borgen von seinen Eltern, d a r u m , daß sie fahen, wie er ein schönes
K i n d w a r . " Als ich diese Worte las, dachte ich bei mir selbst: „ich möchte
wissen, welche Eltern ihre Kinder nicht für sehr schön halten?" Es scheint die
allgemeine Regel, daß wir alle — wenigstens alle Mütter — die schönsten
Kinder haben, die je geboren worden sind. Eine geringfügige Ursache scheint
es, uni ein Kind drei Monate lang zu verbergen. Stephanus sagt in seiner
Rede, daß das Kind „fein vor Gott" war. Nun entnehme ich aus diesem
Ausdruck, daß das Kind außerordentlich schön war, mehr als gewöhnliche
Kinder; daß ein Reiz in seinen Zügen, eine besondere Herrlichkeit in seinem
Gesichfe lag, etwas Übermenschliches wahrscheinlich, da es schön „vor Gott"
war. Etwas Geistiges schwebte um des Kindes Antlitz, als wenn es einen
Schimmer von der Herrlichkeit Sinais an sich trüge, von dem wunderbaren
HirteN'Gesetzgeber, der das Volk vierzig Jahre lang durch die Wüste führte.
12*
180 Alttestamentliche Bilder.

I n des Kindes Antlitz war eine Weissagnng von dem Manne Gottes. Gewiß,
nnter denen, die voll Weibern geboren, ist kein Größerer geboren als Mose;
und es war etwas so wunderbar Schönes an ihm als Kind, daß seine Eltern
von ihm hingerissen waren. Nun, man kann viel Sonneilschein durch eine
kleine Nitze bekommen, und man kann eine weite Aussicht durch ein kleines
Glas haben, nnd es ist, sozusagen, nnr eine kleine Öffnung, durch die
Amram und Iochebed blickten, aber sie sahen große Dinge. Hier war ihnen
ein liebliches Kind geboren, ein außerordentliches Kind, ein Kind schön vor
Gott! Wohlan, was sagten sie? „Dies merkwürdige Kind ward sicher nicht
zur Welt gebracht, ohue daß Gott einen Zweck damit hatte. W i r wollen es
am Leben erhalten. Dies ist nicht ein Kind, das sterben kann oder sterben
soll; wir wollen es am Leben erhalten. Pharao oder kein Pharao, solch ein
Kind wie dies mnß nnd soll leben."
Vielleicht erimierteil sie sich daran, daß die Zeit nahe war, wo Gott
verheißen hatte, sein Volk Israel zu befreie». Ich denke nicht, daß gläubige
Israeliten ganz vergessen hatten, wie Gott Abraham gesagt hatte, daß sie vier«
hundert Jahre in Knechtschaft sein sollten, und sie müssen gewußt habeil, daß
diese nach ungefähr achtzig Jahren abgelaufen seien, und es ist wahrscheinlich,
daß die Mutter sagte: „Es soll ein Befreier kommen. Es ist etwas in dem
Gesichte dieses Kindes, das mich hoffen läßt, daß es der Befreier werden
wird." Iochebeds Glaube, daß Gott sein Volk befreien würde, war stark, und
deshalb dachte sie: „Vielleicht ist dies der Vorkämpfer, der Israel aus Ägypten
bringen soll. Ich will ihn retten. Ich will ihn retten. Er soll verborgen
werden. Pharao soll ihn nicht haben. Alle seine Befehle sollen mich nicht
dazu treiben, daß ich ihn dem Tode aussetze." Sie sah uach einem Befreier
aus und erwartete, daß er kommen würde: dies war Glaube. O, lieben
Freunde, wenn wir nur solchen Glauben hätten, wie diese Frau ihn hatte,
was für Wunder würden wir thun, weil wir nicht durch ein kleines Glas zu
blicken haben, sondern ein weites Feilster vor uns sehen. Sie hatte keine
Vibel; der Mann, der das erste Buch in der Bibel schreiben sollte, war ihr
eignes, kleines Kind. Sie hatte nur mündliche Überlieferungen, die von
Abraham, Isaak und Jakob und ihren Vätern auf sie gekommen waren; und
sie hatte nur die Thatsache, daß ihr Kind außerordentlich schön war, als Auf«
munterung in dieser besonderen Hoffnung; aber sie glaubte an Gott, und das
machte sie fähig, um ihres Kindes willen Gefahr zu ertragen. Sie glaubte
an Gott. Nun, Gott, der „vorzeiten geredet hat zu den Vätern durch die
Propheten, hat am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn,
welchen Er gesetzet hat znm Erben über alles." Er hat die volle Herrlichkeit
des Himmels in dem Angesichte Jesu leuchten lassen; was für Gläubige follten
wir sein, von solchem Licht umgeben und in der Mitte solcher Gnade auf»
Mose durch den Glauben verborgen. 181

erzogen. Möge Gott geben, daß unser Glaube, der so viele Ermutigm g hat,
kräftig zur Ehre Gottes handelt. Aber wenn es zuweilen scheint, als hättest
du sehr wenig, woran du dich halten könntest, lieber Bruder, wirf dies wenige
nicht weg. Wenn du nur ein kleines, gutes Zeichen sehen kannst, eine kleine
Wolke wie eines Mannes Hand, so erwarte doch einen Regen von Gnaden.
Selbst wenn alles gegen dich scheinen sollte und nur eins für dich, so ziehe
doch gute Schlüsse aus schwachen oder schwach scheinenden Prämissen, denn
wahrlich, der Herr ist gütig und seine Barlnherzigkeit währet ewiglich, und du
kannst dich auf I h n stützen.
IV.
Ein vierter Grundsatz ist klar in dem Text, nämlich, d a ß d e r G l a u b e
große K r a f t hat i m M e r w i u d e u der Furcht.
Der Text sagt, sie fürchteten sich nicht vor des Königs Gebot. Des
Königs Gebot machte ganz Ägypten zittern. Es thut so noch jetzt. Die
Ägypter sind immer noch das niedrigste aller Völker. Die Beschreibung, die
der Prophet von ihnen gibt, trifft noch heutigestags zu. Überall in ganz
Ägypten hört man den Stock gehell. Keine andre Menschenrasse würde je die
Vastonade ertragen, wie die Ägypter es thun; die ganze Masse derselben
arbeitet in Wirklichkeit für e i n eil Mann, damit er einen Überfluß für feine
eiglie Person verwenden könne. Wie sie jetzt sind, so sind sie von Anfang
all gewesen — ein Geschlecht nachgiebiger Sklaven, beständig voll gierigen
Unterdrückern niedergetreten. Die Israeliten in Ägypten hatten ohne Zweifel
viel von dem S i n n der Ägypter eingesogen, und dieser war das gerade Gegenteil
von dem Sinn des echten Engländers. I h r und ich frenen uns, daß wir frei
sind. Wir haben die Gewohnheit, über Gesetze zu verhandeln uud Ver»
ordnungen zu kritisieren, und wenn irgend eine ungerechte Verordnung erlassen
wäre, würden wir uns keinen Augenblick bedenken, sie zu brechen. Wir würden
sogar ein Vergnügen daran finden, unsren Fuß durch einen ungerechten Beschluß
des Parlaments zu setzen, denn wir sind jahrhundertelang in den Gewöhn»
heiten und Wegen der Freiheit erzogen und denken und fprechen für uns
felber, aber es ist nie fo in Ägypten gewesen und besonders in jenen Tagen
war es dort nicht so. Sie mochten damals wohl beim Leben Pharaos
schwören, denn sie lebten alle mit Erlaubnis Pharaos. Sie gehörten ihm
— ihre Ländereien und alles. Daher muß recht viel M u t für diese zwei,
Sohn und Tochter Levis, dazu gehört haben, zu fühlen, daß sie gegen des
Königs Befehl handeln konnten. Sie hatten ein Recht, fo zu thun. Was für
ein Recht hatte Pharao, ihnen zu gebieten, ihre Kinder zu töten? Es war
ihre Pflicht, des Königs Gebot zu brechen, und sie thaten es, weil sie Glauben
hatten. Ich bin verpflichtet, einzugestehen, obwohl ich den Sinn der Engländer
182 Alttestamentliche Bilder.

gelobt habe, daß es eine große Menge Leute selbst in diesem Lande gibt, die
sehr dnrch das regiert werden, was Gesetz genannt wird. Die durch das
Gesetz verordnete Kirche wird stets ein großes Prestige genießen, weil sie'den
König zum Haupt und den Staat im Nucken hat. M i r ist ihre Verbindung
mit dem Staat wert, des „Königs Übel"^) genannt zu werdeu, aber andren
scheint sie ein Schönheitsflecken. Für den gedankenlosen Haufen muß das,
was durchs Gesetz verordnet ist, recht sein. Kommen die ritualistischen Priester
zu uns mit gesetzlicher Autorität? Wohlan, wer unter uns darf wagen, ihr
Thun in Frage zu stellen? Sind gewisse religiöse Vorschriften vom Parlament
befohlen? Hat Ihre Majestät ihre Einwilligung dazu gegeben? Wohl, dann
müssen sie passend und richtig sein. Sehr viele Leute sind niemals aus
dieser Denkweise herausgekommen und werden es vielleicht niemals; während
es mir einer der ersten Grundsätze der christlichen Kirche zu sein scheint, daß
Christi Reich nicht von dieser Welt ist, und das einzige, was man all diesen
Großen der Welt sagen kann, ist: „Haltet eure Hände von der Vundeslade
fern, damit euch nicht das Schicksal des Ufa treffe. Kommt demütig wie
Jünger, um zu Jesu Füßen zu sitzen und von I h m zu lernen, aber werft
euch nicht zu Gesetzgebern für sein Gebiet auf und wagt nicht, euch da einzu-
mischen, oder Regeln und Anordnungen für das geistliche Reich zu machen.
Wir ki'llnmern uns nicht um eure Erlasse und Anordnungen. I h r habt keine
Macht hier. Laß den Kaiser haben, was sein eigen ist, aber er darf nicht
die Dinge berühren, die Christo gehören." Nun, diese Frau war durch den
Glauben über die Furcht vor dem Cäsar hinausgekommeu, dem Cäsar des
Zeitalters, dein Pharao der Periode. Was er auch als Gesetz verordnen
mochte, war gar nichts für sie. Sie brach hindurch.
Es war ohne Zweifel in Pharaos Erlaß eine S t r a f e hinzugefügt
für jeden, der dem Gesetz nicht gehorchen würde. Vielleicht waren vier
Leben in Gefahr um des einen kleinen Lebens willen — ihr Mann, sie
selber, Aaron und Mirjam, ihre Tochter. Wenn die Beamten in das Haus
hereinkommen und finden, daß der kleine Mose errettet ist, mag es sein, daß
sie die ganze Familie mit der Wurzel ausrotten. Diese Furcht muß in ihr
gewesen sein, aber dennoch will sie durch den Glauben alles wagen, und so
will die ganze Familie sich in Gefahr bringen, damit dies vielversprechende
Kind, das Gott, wie sie glaubten, ihnen zu einem edlen Zwecke gesendet, am
Leben bleibe.
Nun, lieben Freunde, ich möchte, ihr zeigtet, falls ihr Glauben an
Christum habt, ihn dadurch, daß ihr alle Furcht vor den Folgen des Recht-
thuns überwindet. Es ist recht, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

') „ M s Xinx'8 evil" heißen Skropheltt. A. d. üb.


Mose durch den Glauben verborgen. 183

Gott hat das erste Anrecht an uns. I n der That, Gott hat das einzige An»
recht an uns. W i r sollen den Menschen um Gottes willen gehorchen. Aber
wenn die Autorität des Menschen zu weit greift und mit Gottes Autorität in
Widerstreit kommt, dann wird es Verrat an dem großen König, selbst dem
größten der Könige zu gehorchen. Den Eltern und allen, die Autorität über
uns haben, muß bis zu diesem Puukte gehorcht werden. Hierbei hört es auf.
Ich bete, daß ihr Gnade haben möget, das Rechte zu thun, jeder von euch,
selbst wenn es euch alles kostet. Wenn ihr eure Stelle verliert, falls ihr ehr»
lich seid, wenn ihr in Not um euer täglich Brot kommt, falls ihr die Wahr«
heit sprecht, thut es und wagt es. „ W i r müssen leben," sagt jemand. Ich
weiß das nicht. Es mag besser fein, zu sterben, als zu lebe» unter einigen
Umständen — sicherlich besser, als Märtyrer zu sterben, denn als Verräter zu
leben — besser, für das Rechte zu sterben, als in Sünde zu leben. I h r
sagt: „ W i r müssen leben." Ich will euch ein andres „ M u ß " sagen. W i r
müssen sterben, und es geziemt uns, dies immer vor Augen zu haben, denn
wir werden berufen werden, Rechenschaft abzulegen von dem, wie wir ge-
handelt haben bei Leibes Leben, es sei gnt oder böse. Geliebte, mögen wir
den Glauben haben, der die Furcht bezwingt, so daß wir durch die Welt gehen
können ohne Furcht vor der öffentlichen Meinung, ohne Furcht vor gottlosem
Tadel, ohne Furcht vor dem kleinen Kreis um uns her, dessen völlige Sklaven
manche sind. Mögen wir Gott fürchten und deshalb nicht mehr bange sein
vor der Menschen Befehlen. Seid gerecht und fürchtet keine Folgen. Wenn
die Himmel selber erbebten, wollten wir kein Unrecht thun oder eine einzige
Lüge sagen, um das Himmelsgewölbe zu stütze». Laßt Sonne, Mond und
Sterne lieber herunterfallen, als daß wir von uusrer lauteren Rechtschaffenheit
abweichen sollten. Möge der Glaube uns einen so furchtlofen Wandel geben.

V.
Aber nun fünftens, und fehr kurz, möchte ich eure Aufmerksamkeit darauf
lenken, d a ß d e r G l a u b e d a h i n g e t r i e b e n w i r d , a l l e r l e i A u s k u n f t s -
mittet zu gebrauchen.
Die Mutter Mose hatte ihr Kind zu verbergen. Ich habe keinen
Zweifel, wenn sie hier wäre und wenn ihr Mann hier wäre, fo würden sie
eine lange Geschichte zu erzählen haben von den Dingen, die vorfielen; wie
oft ihnen angst und bange wurde, wie häufig dein armen Amram der kalte
Schweiß ausbrach, weil einer seiner Kameraden, mit dein er arbeitete, davon
sprach, mit ihm nach Hause zu gehen; wie jene spionierende Nachbarin, die
immer ihre Finger in andrer Leute Schüsseln steckte, ausfindig zu machen
suchte, weshab Frail Iochebed so viel zu Hause blieb; wie sie selbst vor ihren
eignen Kindern bange waren, daß sie in ihrem Spiel von ihrem kleinen
184 Alttestamentliche Bilder.

Bruder sprechen möchten. Welche Furcht über der ganzen Familie lag, daß
die Entdeckung zum Verderben führen möge, können wir daraus vermuten,
daß sie das Kind verbargen. Die Mutter mußte zu vielen Auskunftsmitteln
greifen, um ihr Söhnchen zu verstecken, und gebrauchte all ihre Klugheit und
ihren gesunden Menschenverstand. Sie brachte ihr Kind nicht in das Vorder»
zimmer, sie trug es nicht auf die Straße oder saß vor der Thür damit,
sondern sie war klug und handelte, als wenn alles von ihrem Verbergen des
Kindes abhinge. Einige Leute meinen, wenn man Glauben hätte, so könnte
man handeln wie ein Narr. Aber der Glande macht einen Menschen weise.
Es ist einer der bemerkenswertesten Punkte am Glauben, daß er geheiligter,
gesunder Verstand ist. Dies ist durchaus keine schlechte Definition des Glaubens.
Er ist nicht Fanatismus, er ist nicht Abgeschmacktheit; glauben heißt, Gott
zum größten Faktor in unsrer Berechnung machen und dann nach der ge»
sundesten Logik rechnen. Es heißt nicht, unsre Hand in kochendes Wasser
stecken in der Meinung, daß es uns nicht brennen wird; es heißt nicht,
närrische und abgeschmackte Dinge thun. Glauben heißt, auf Gott trauen
und gegen Gott handeln, wie wir es sollten. Es heißt, I h n behandeln, nicht
als eine Null, sondern als eine große, alles überragende Ziffer bei all unsrem
Addieren und Subtrahieren. Der Glaube ist, sich Gott verwirklichen: darin besteht
er. Und in diesem Sinne ist der Glaube die wahrste Verminst, die vergeistlicht
und aus der gewöhnlichen Sphäre herausgehoben ist, in der es goltlosell Menschen
beliebt, sie zu gebrauchen: er ist geheiligte, von oben erleuchtete Vernunft.
Die Mutter wünscht, daß der Herr ihr Kind bewahren möge, aber sie
weiß, Gott will, daß sie das Werkzeug dazu sein soll, deshalb verbirgt sie es;
und als sie es nicht länger verbergen kann, da kommt dies kleine Geschäft des
Arche-Machens. Der Glanbe ist erfinderisch, aber zu gleicher Zeit lieht er
immer ein vorhergegangenes Beispiel. Ich stelle mir vor, daß Mose Mutter
darau dachte, diese Arche zu machen und sie voll innen und außen zu ver»
pichen, weil sie von Noahs Arche gehört hatte. I h r Glaube gab ihr Liebe
ein für die Art, wie der Herr in alter Zeit Errettung bewirkte. Sie hatte
keill Buch zn lesen, aber man hatte ihr die Geschichte von Noahs Arche er-
zählt. „Wohlan," sagte sie, „ich will eine kleine Arche haben für meinen
kleinen Mose, und da ich ihn nicht anders retten kann, will ich handeln, wie
Noah es that, als er „auf göttlichen Befehl eine Arche fiir die Errettung seines
Hauses zubereitete." Brüder, es ist immer sicher für den Glauben, sich seiue
Pläne auszudenken, aber wenn er einen von Gottes Plänen entdecken kann
und ihm nachahmen, so ist er noch zuversichtlicher. Es sind immer Vorbilder
da, wenn ihr sie nur sticht. I h r könnt irgendwo eine Arche Noahs sindeil
und eine kleine nach diesem Muster machen. Natürlich kann eure Arche nicht
so groß sein wie Noahs, aber die würde ja auch zu groß sein für den kleinen
Mose durch den Glauben verborgen. 185

Mose; er würde sich darin verlieren. Eine kleine Arche ist genug für einen
kleinen Mose. Nehmt euren eignen Maßstab, und arbeitet nach dem Muster,
das irgend ein Knecht Gottes euch aufgestellt hat, und da ihr es mit demselben
Gott zu thun habt, uud Er dieselbe Liebe für euch hat, die Er für die alten
Heiligen hatte, so werdet ihr finden, daß man nach den alten Plänen außer»
ordentlich gut arbeitet. Einige von euch jungem Volk wollen immer etwas
Neues und Eignes. Wohl, nachdem ich oft mancherlei Neues versucht habe,
finde ich immer, daß, wenn meine neuen Pläne gelingen, es sich herausstellt,
daß es alte gewesen sind. Es ist nichts Neues unter der Sonne, das des
Probierens wert ist. So gewiß ihr je einen neuen Pfad einschlagt, werdet
ihr finden, wenn es überhaupt der rechte Pfad ist, daß jemand den Weg
schon vor Jahren ging. Jemand hat witzig über die Alten geklagt, daß sie
all unsre ursprünglichen Gedanken genommen haben und alle uusre ursprüng-
lichen Pläne undsieausgeführt, ehe wir eine Gelegenheit hatten, sie in An»
spruch zu nehmen. Aber doch war der Glaube der Mutter Mose erfinderisch.
Sie erfindet die Arche, borgt jedoch von dem Beispiel früherer Tage. Sie
denkt an die alten Zeiten, und ihr Geilt forscht eifrig nach, und sie handelt
nach der Weise, in der Männer Gottes früher gehandelt hatten.
Ein kritischer Ausleger klagt, daß der Glaube dieser Eltern etwas schwach
gewesen. Sie hatten halbwegs das Kind ums Dasei» gebracht, iudem sie es
in die Arche legten nnd im Schilfe ließen. Wohl, ich weiß davon nichts.
Ich bin immer zufrieden, das nicht zu wissen, was ich nicht weiß; das heißt,
wenn ich sehe, daß Gott nichts von ihrem schwachen Glauben sagt, so denke
ich, wir thäten besser, auch nichts davon zu sagen. Durch den Glauben thaten
sie, was sie thaten, und sie thaten das Vl^tmöglichste; und wenn Schwäche da
war, wie es wahrscheinlich ist, so thut der Heilige Geist, gleich einem Maler,
der, als er einen beliebten Fürsten malte, Sorge trug, ihu seineu Fiuger auf
einen häßlichen Flecken in feinem Gesicht legen zu lassen, — wenn Er von
diesen gottesfttrchtigen Eltern spricht, läßt Er jede Erwähnung der Mängel
ihres Glaubens alls. Er preist ihren Glauben, und es würde Vermessenheit
voll unsrer Seite sein, seinen Urteilsspruch zu ändern. Mögen wir so viel
Glauben haben, wie sie, wenn wir geprüft werden, dann haben wir nichts zu
fürchten.
VI.
Zuletzt, d i e einfachen H a n d l u n g e n des G l a n b e n s f ü h r e n o f t
zn d e n g r ö ß t e n R e s u l t a t e n .
„Nimm das Kind ill acht, Mirjam. Laß es nicht schreien, damit
niemand es hört." Nun, diese alltäglichen Handlungen, wenn Mirjam das
Kind wartete, wenn die Mutter es nährte, um sein Schreien zu stillen, wenn
der Vater die Thür bewachte, und all diese kleinen Dinge waren geringfügige
186 Alttestamentliche Bilder.

Sachen, doch wie wunderbar trugen sie bei zn der großen Zukunft, dnrch die
Pharaos Macht gebrochen ward. Die ganze Geschichte Israels beruhte auf
dem Verbergen dieses kleinen Kindes. Die ganze Geschichte Israels, sage ich.
Denkt an die Namen, welche an dem Leben des Kindes hingen: Aaron, Iosua,
Simson, Barak, David, Salomo, nnd selbst das göttliche Kind von Bethlehem
nnd die ganze Geschichte Israels waren mit Mose verbunden. Eingehüllt in
diesem Kinde war die Geschichte der Welt, denn in dein jüdischen Volke waren
alle Nationen gesegnet, und der Segen kommt zu uns Heiden nur durch die
Juden. Größere Segnungen sollen noch dnrch diesen selben Weg kommen.
O ja, sie trägt Sorge für Mose und verbirgt ihn, und ihr Lohn ist, daß
Mose lebt, und zur rechten Zeit ist er für sein Werk bereit und reckt seinen
Stab aus über das Feld Zoan und wirkt Plagen und Wunder; und er ist
da an dein dunklen Meer, ertränkt das ganze Heer Pharaos und führt dann
das Volk zn dem Berge Gottes, zn Horeb, nnd bringt es bis an die Grenze
des gelobten Landes. Er ist da, und er hätte nicht da fein können, wenn
nicht seine Mutter ihn durch den Glauben drei Monate verborgen hätte. I h r
wißt nicht alles, was ihr lhut, wenn ihr kleine Dinge im Glanben thut.
Brüder und Schwestern, verachtet nicht häusliche Pflichten, sondern zieht alle
eure Kinder, eure kleinen Kinder in der Furcht Gottes auf: ihre kleinen Ge-
wohnheiten verbessern, Geduld mit ihren kleinen Fehlern haben, sie ihre
kleinen Gesänge lehren, alles führt hinauf zu großen Resultaten. Ver-
achtet nicht das Kind, ich bitte euch, und sündigt nicht wider dasselbe. I h r
wißt nicht, was in ihm ist oder was in Gottes großes Buch jene kleinen
Händchen' noch schreiben werden. Wenn ihr keine Kinder habt, aber irgend
ein andres Werk für Gott zu thun, denkt nicht gering davon. Große Er-
eignisse drehen sich nm die Angel kleiner Vorfälle. Große Sünder schwingen
sich um kleine Achsen. Es ist ein winziger Teil für jede Maschine von
unaussprechlicher Wichtigkeit. I h r kennt niemals die Unendlichkeit des Ein-
flusses, den e i n Wort haben kann. Für den Weisen ist nichts klein; für den
Narren ist nichts wahrhaft groß. Macht alle Dinge groß, indem ihr sie durch
den Glauben thut.
Damit schließe ich. Habt ihr Glauben an Gott? Glaubt ihr wirklich
an I h n ? Vertraut ihr auf Iesum? Habt ihr seinen Heilswcg angenommen?
Mein lieber Freund, wenn du es nicht hast, so gehst du iu allem verkehrt
zu Werke. Wenn ich in ein Land ginge, wo ein König wäre, und von allem
Notiz nähme, allsgenommell voll diesem König und, seinen Gesetzen, so würde
ich bald ill Uligelegenheit kommen. Wenn er ein König wäre, dessen Macht
überall anwesend, und ich ihn nie anerkennte, so würde mein Leben in seinem
Gebiete sicher ein verfehltes sein. I h r kommt in diese Welt, wo Gott ist,
und Er ist allmächtig, euch zu segnen oder zu verfluchen — wollt ihr I h n
Mose durch den Glauben verborgen. 187

außer acht lassen? I h r kommt unter gewisse seiner Gesetze, und wenn ihr
diese oder I h n selbst nicht beachtet, sondern lebt, und nur das seht, was diese
Augen sehen können, und nur das kennt, was unter die Wahrnehmung eurer
Sinne kommt, so werdet ihr ein bankrottes Leben führen und zuletzt zu
Grunde gehen. Ich wage es von mir selbst zu sagen, daß der größte Gegen-
stand meiner Gedanken immer mein Gott in Christo ist. Ich habe gute und
treffliche Freunde hier, die mich lieben und achten, aber ich darf mich auf
keinen derselben stützen: ich muß mich auf Gott allein stützen. Er gibt mir
viele Gnaden und Gaben, aber ich habe erfahren, was es ist, ohne sie zu sein
und doch ebenso glücklich, wie mit ihnen; und mm weiß ich, was es ist, über
ihnen und nur mit Gott allein zu leben. Ich könnte ertragen, alles zu ver>
lieren, wenn ihr mir meinen Gott lasset, aber wenn es keinen Gott gibt, so
bill ich der elendeste von allen Menschen. Ich habe gelernt, mit I h m zu leben,
I h m zu vertrauen und mit allen meinen Nöten zu I h m zu fliehen, uud ich
finde, daß Er mich immer aufrecht hält. Ich gehe zu I h m mit all meinen
Freuden, und Er macht mich fest nnter ihnen. Er ist mir alles in allem,
und ich sage nur so viel voll mir selbst, weil ich meinen Herrn euch allen
empfehlen möchte. Ich bitte jeden jungen Mann und jeden Mann in mittleren
Jahren und jeden alten Mann hier, zn fchmecken und zu sehen, daß der Herr
gut ist. Ich kann einige von euch armen Leuten nicht verstehen: wie könnt
ihr ohne Gott leben, wenn ihr so wenig zeitlichen Trost habt? Ich kann
euch reichen Leute nicht verstehen: wie könnt ihr ohne Gott leben, wenn Er
so gut und freundlich gegen euch ist? Wie könnt ihr I h n vergessen, der ench
täglich mit Wohlthaten beladet? I h r scheint nur die Schalen zu ergreifen
und nicht nach dein Kern zu suchen. I h r lebt von der äußeren Hallt und
saugt nie den Saft der Freude. Die Seele des Lebens ist, für Gott zu
leben. Der Friede, die tiefe, himmlische Ruhe, welche die Seele empfängt,
muß immer durch einen lebendigen Glauben an Iesum Christum kommen.
Ich sage dies, weil niemand unter euch ist, der, wenn er diesen Glauben hat,
ihn nicht beweisen kann, was anch sein Veruf sein möge. I h r mögt Pferde
lenken, ihr mögt Kattun ausmessen, ihr mögt Zncker abwägen nnd alles dnrch
den Glauben zu Gottes Ehre thun; ihr mögt auf der Vörse sein, oder ihr
mögt ein Vuchfalzer sein oder ein Kofferträger oder eine Kleinkinderlehrerin
oder eine Köchin, aber überall hat der Glande etwas zu thun, und ihr könnt
die Macht des Glaubens im täglichen Leben zeigen. Gott gebe, daß der Heilige
Geist ill euch den Glauben wirkell möge. Gott ist wahrhaftig, warum ver-
traut ihr I h m nicht? Der Christ Gottes ist gnädig, wnrnm nehmt ihr I h n
nicht an? Er liebt es, Sünder zu erretten. Er nimmt alle all, die zu I h m
kommen. Warum kommt ihr nicht zu I h m ? Gott gebe, daß ihr es thut,
um Jesu willen. Amen.
^88 Alttestamentliche Bilder.

13.

Mose Entscheidung.
„Durch den Glauben wollte Mose, da er groß ward, nicht
mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharaos, und erwählte viel lieber,
mit dem Volk Gottes Ungemach zn leiden, denn die zeitliche Ergöhung
der Sünde zu haben; und achtete die Schmach Christi für größeren
Reichtum, denn die Schätze Ägyptens; denn er sähe an die Belohnung."
Hebr. 11, 24—26.

< I m letzten Sabbat sprachen wir von dem Glanben der Nahab. ^)
Wir hatten ihres frühern, schlimmen Charakters zu gedenken und zu zeigen,
daß dessenungeachtet ihr Glanbe triumphierte, sie errettete nnd auch gute
Werke hervorbrachte. Run ist mir der (bedanke gekommen, daß einige sagen
würden: „Dieser Glaube ist ohne Zweifel sehr passend für Nahab und für
Persoueu dieser Klasse; Leute, denen es au Tugend und an Licht fehlt, mögen
dem Evangelium folgen und es mag für sie sehr augemesseu und nützlich sein,
aber die bessere Klasse von Menschell wird es nie annehmen." Ich hielt es für
möglich, daß manche mit einem verächtlichen Lächeln allen Glaubeu an Gott
verwerfen würde», als unwürdig für Personeil in einer höheren Lebensstelluug
und von einer andren Bildungsstufe. W i r habe» deshalb das Verspiel des
Mose genommen, das in geradem Gegellsatz zu dein von Nahab steht, und wir
hoffen, daß es helfen wird, das Spötteln zu verbannen; obgleich dies in
der That von geringer Wichtigkeit ist, denn weun ein Mensch das Spötteln
liebt, so ist es kaum der Mühe wert, fünf Minuten im Veweisführen gegen
ihn zu verschwenden. Der Spötter ist gewöhnlich eine so unbedeutende
Persönlichkeit, daß sein Spott unbeachtet zu bleiben verdient. Wer groß im
Spötteln ist, ist zu nichts andrem gut, und man kann ihn gern in Ruhe semen
Beruf erfüllen lassen.

') Wir geben diese Predigt später. A. d. Üb.


Mose Entscheidung. 189

M i r kam auch der Gedanke, daß vielleicht einige in allem Ernst sagen
«lochten: „Ich bin durch Gottes Vorsehung und die Verhältnisse, in denen ich
lebe, von änßerer Sünde frei gehalten worden; überdies bin ich kein Mitglied
der niederen Stände und gehöre nicht zn der Klasse von Personen, deren an-
gemessene Vertreterin Nahab sein würde. I l l der That, ich bin durch Gottes
Vorsehung in eine ganz vorzügliche Stellung gesetzt, und kann ohne Eigenliebe
einen höheren Charakter für mich in Anspruch nehmen." Es ist möglich, daß
solche das Gefühl haben können, als wären sie gerade dnrch diese Überlegenheit
im Nachteil. Der Gedanke ist durch ihre Seele gegangen: „Das Evangelium
ist für Sünder; es kommt offenbar zu den vornehmsten Sündern und fegnet
sie. Wir geben gern zn, daß wir Sünder sind, aber vielleicht sind wir, weil
wir nicht offenbar gesündigt haben, nns der Sünde nicht so bewnßt, und des-
halb ist unser Gemüt nicht so wohl vorbereitet, die reiche Gnade Gottes zu
empfangen, die zu den Schlechtesten der Schlechten kommt." Ich habe einige
gekannt, die fast gewünscht haben, daß sie bnchstäblich dem verlornen Sohn
in seinen Irrwegen glichen, damit sie ihm so mehr in seiner Wiederkehr
gleichen «lochten. Es ist ganz nnd gar ein I r r t u m , mit dem sie sich quälen,
aber es ist durchaus kein ungewöhnlicher. Vielleicht werden sie, wenn wir
ihrer Veachtuug eineu der Glaubenshelden vorführen, der ein Mann von
edlem Rang, hoher Bildung und reinem Charakter war, dahin gebracht werden,
anders zu denken. Mose gehörte zu der edelsten Klasse von Menschen, aber
er ward durch den Glauben allein errettet, gerade durch denselben Glauben,
der Nahab errettete. Dieser Glaube trieb ihn zu dem trenen Dienste Gottes
und zu einer beispiellosen Selbstverleugnung. Mein ernstliches Gebet ist, daß
ihr, die ihr sittlich gut, liebenswürdig nnd gebildet seid, in der Handlung des
Mose ein Beispiel für euch fehen möchtet. Verachtet nicht länger ein Leben
im Glauben an Gott. Es ist das eine, was euch fehlt, das eine, was vor
allem andren nötig ist. Seid ihr juuge Männer von hoher Stellung? Mose
war es auch. Seid ihr Männer vonsteckenlosemCharakter? Er war es auch.
Seid ihr jetzt in einer Lage, wo es euch viel kosten würde, eurem Gewissen
zn folgen? Mose hielt sich all Den, den er nicht sähe, als sähe er I h n , und
obgleich er eine Zeitlang ein Verlierender war, ist er nun durch seinen Verlust
eiu ewiglich Gewinnender. Möge der Geist Gottes euch geneigt machen, dem
Pfade des Glaubens, der Tugend und Ehre zu folgen, wo ihr solch einen
Mann wie Mose vorangehen seht.
Wir wollen zuerst betrachten die entschiedene Handlungsweise des
Mose; und zweitens die Q u e l l e der Entschiedenheit seines Charakters
— es war „durch den Glauben." Drittens wollen wir hineinblicken in die
S c h l u ß f o l g e r u n g e n , durch welche der G l a u b e seine Handlungsweise
190 Alttestamentliche Bilder.

leitete, danach wollen wir kurz einige praktische Lehren betrachten, welche der
Gegenstand nns an die Hand gibt.

I.
Zuerst laßt uns d i e entschiedene H a n d l u n g s w e i s e M o s e be
trachten. „ D a er groß ward, wollte er nicht mehr ein Sohn heißen der
Tochter Pharaos." W i r brauchen nicht die Geschichten zu erzählen, die voll
Iosephus und andren alten Schriftstellern über die frühere Zeit des Mose be»
richtet worden, wie z. V., daß er die Krone Pharaos genommen undsiemit
Füßen getreten. Dergleichen mag wahr sein; es ist ebenso möglich, daß es
bloße Erfindung ist. Der Geist Gottes hat jedenfalls keine Notiz davon in
der Heiligen Schrift genommen, und was Er nicht des Verichtens wert hält,
brauchen wir nicht des Veachtens wert zu halten. Auch werde ich nur eben
hindeuten ans Antworten, wenn gefragt wird, wie es kam, daß Mose nicht
weinger als vierzig Jahre am Hofe Pharaos blieb und ohne Zweifel während
dieser Zeit „der Sohn der Tochter Pharaos" geuannt wurde, nnd, wenn er
sich nicht an sündlichen Vergnügungen ergötzte, doch jedenfalls seinen Teil an
den Schätzen Ägyptens hatte. Es ist wohl möglich, daß er bis zum Alter von
vierzig Jahren kein bekehrter Mann war. Wahrscheinlich war er in seinen
früheren Tagen in jeder Hinsicht ein Ägypter, ein eifrig Studierender, sehr
bewandert in ägyptischer Weisheit, und wie Stephanns nns ill der Apostel-
geschichte sagt: „Mächtig in Werken und Worten." Während jener frühen
Zeit war er mit Philosophen und Kriegern vertraut und vergaß vielleicht in
seinem eifrigen Streben seine Nationalität. W i r sehen die Hand Gottes darin,
daß er vierzig Jahre am Hofe Pharaos war; was für Böfes oder welche Un-
entschiedenheit ihn auch dort gehalten haben mag, so sehen wir doch das gute
Resultat, das Gott daraus hat entstehen lassen, denn durch seine Erfahrung
uud Beobachtung ward er um so fähiger, ein Volk zu regieren, und ein
passenderes Werkzeug in der Hand Gottes, um den israelitischen Staat in
seine bestimmte Form hinein zn bilden. Vielleicht hat er während der vierzig
Jahre versucht, zu thuu, was sehr viele gerade jetzt erstreben, versucht, ob er
nicht Gott dienen und auch der Sohu der Tochter Pharaos bleiben könnte.
Vielleicht war er gleichen Sinnes mit unsren Brüdern in einer gewissen Kirche,
die gegen Ritualismus protestieren, aber dennoch in dieser Kirche bleiben, die
dem Ritualismus die vollste Freiheit gibt. Vielleicht dachte er, er könne an
den Schätzen Ägyptens teilnehmen und doch mit Israel Zeugnis ablegen. Er
wollte als Gefährte der Priester von Isis und Osiris bekannt seil», uud deunoch
zu gleicher Zeit redlich für Jehovah zeugcu. Wenn er diese Unmöglichkeit nicht
versuchte, so haben andre in allen Zeitaltern es gethan. Er mag sich damit
beruhigt haben, daß er so außerordentliche Gelegenheiten zu nützlicher Wirk«
Mose Entscheidung. 191

samkeit hätte, daß er sie nicht wegwerfen dürfte, indem er sich den israelitischen
Dissidenten anschlösse. Ein offenes Geständnis feiner Privatmeinungen würde
ihn von der guten Gesellschaft ansfchließen, nnd besonders uon dem Hofe, wo
sein Einfluß augenscheinlich groß nnd wohlthätig war. Es ist wohl möglich,
daß dasselbe Gefühl, welches noch immer fo viele Lente an einem falschen
Platze festhält, auf Mose einwirkte, bis zn seinen! vierzigsten Jahre; aber da,
als er das volle Mannesalter erreicht hatte nnd unter den Einfluß des Glaubens
gekommen war, riß er sich von der bestrickenden Versuchung los, was, wie ich
hoffe, viele unsrer würdigen Vrüder auch bald zu thun im stände sein werden.
Gewiß, sie werden nicht immer ein Bündnis mit den Vnndesgenossen Noms
aufrecht halten, sondern Manneskraft genug haben, frei zu fein. Wenn Mofe,
da er Kiud war, als ein Kind sprach und als ein Kind dachte, fo gab er doch,
als er ein Mann ward, feine kindischen Ideen eines Kompromisses auf; wenn
er als Jüngling glaubte, einen Teil der Wahrheit verhehlen nnd so seine
Stellung behaupten zn können, so verschmähte er doch, als er reif genug war,
um die Wahrheit völlig zu kennen, jedes Kompromiß uud trat kühn hervor als
der Knecht des lebendigen Gottes.
Der Geist Gottes lenkt unfer Auge auf die Zeit, als Mose das volle
Mannesalter erreichte: das ist, als die ersten vierzig Jahre seines Lebens ver-
gangen waren: da wollte er ohne alles Schwanken nicht mehr der Sohn der
Tochter Pharaos heißen, uud trat auf die Seite des verachteten Volkes Gottes.
Ich bitte euch, zuerst zu betrachten, wer es w a r , der dies that. Es
war ein Mann von Bildung, denn er war gelehrt in aller Weisheit der
Ägypter. Jemand fagt, er nehme nicht an, daß die Weisheit der Ägypter
sehr groß gewesen sei. Nein, und unsre Weisheit ist nicht viel größer.
Künftige Zeitalter werden ebenso sehr über unsre Weisheit lachen, wie wir
jetzt über die Weisheit der Ägypter lachen. Die menschliche Weisheit des einen
Zeitalters ist die Thorheit des nächsten. Die sogenannte Philosophie, was ist
sie anders, als das Verbergen der Unwissenheit unter schweren Namen und die
Zusammenstellung bloßer Vermntnngen in sorgsam ausgearbeiteten Theorien?
I n l Vergleich mit dein ewigen Licht des Wortes Gottes ist alles menschliche
Wissen „nicht Licht, sondern sichtbares Dunkel." Männer von Bildung sind
in der Regel nicht geneigt, den lebendigen Gott anzuerkenuen. Die Philosophie
verachtet in ihrer Selbstgefälligkeit die unfehlbare Offenbarung des Unendlichen,
und will „nicht an das Licht kommen, auf daß sie nicht gestraft werde." Zu
allen Zeiten hat ein Mann, der sich selbst für weife hielt, fast immer die
Weisheit des Unendlichen verachtet. Wäre er wahrhaft weife gewesen, so
hätte er sich vor den! Herrn gebeugt, aber da er es nur dein Namen nach
war, so fragte er: „Wer ist der Herr?" Nicht viele Große nach dem Fleisch,
nicht viele Gewaltige sind erwählt. Sprach nicht unser Herr selber, und sein
192 Alttestamentliche Bilder.

Wort ist für alle Zeit: „Ich preise Dich, Vater und Herr des Himmels lind
der Erde, daß D u solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast
es den Unmündigen gcoffenbaret?" Aber doch wird zuweilen ein Mann
von Bildung wie Mose durch den Segen des Himmels dahin geführt, sich
auf die Seite der Wahrheit und des Rechtes zu stellen, und wenn es so ist,
so wollen wir den Herrn erheben!
Außerdem, daß er ein Mann von Bildung war, war er ein Mann von
hohem Nang. Er war von Thermuthis, der Tochter Pharaos, au Kindesstatt
angenommen, und es ist möglich, obwohl wir dessen nicht gewiß sein können,
daß er durch die Adoption der nächste Erbe des ägyptischen Thrones war.
Es wird gesagt, daß der König von Ägypten kein andres Kind halte, und
daß seine Tochter keinen Sohn gehabt, und Mose deshalb König von Ägypten
geworden wäre. Dennoch, groß wie er war und mächtig am Hofe, verband
er sich mit dem unterdrückten Volke Gottes. Möge Gott es geben, daß wir
viele hervorragende Männer kühn für Gott und seine Wahrheit auftreten und
die Religion der Menschen verwerfen sehen; aber wenn sie es thun, so wird
es in der That eiu Wunder der Barmherzigkeit sein, denn wenige der Großen
haben das je gethan. Hier und da im Himmel mag ein König gefuuden
werden, und hier und da mag in der Kirche einer sich finden, der eiu adeliges
Wappen führt und betet, aber wie schwer werden die Reichen ins Himmelreich
eingehen! Wenn sie es thun, sei Gott dafür gedankt.
Neben all diesem denkt daran, daß Mose ein Mann von großen Fähig-
keiten war. W i r haben davon einen Beweis in der administrativen Geschick'
lichkeit, mit der er die Angelegenheiten Israels in der Wüste leitete; denn
ob er gleich von Gott inspiriert war, so ward doch seilte eigne, natürliche
Fähigkeit nicht unwirksam gemacht, sondern zu Gottes Zwecken gebraucht. Er war
ein Dichter: „ D a sang Mose und die Kinder Israel dies Lied dem Herrn."
Dies merkwürdige Gedicht am Noten Meere ist eine meisterhafte Ode und be»
weist die unvergleichliche Kunst des Sängers. Auch der neunzigste Psalm zeigt
den Umfang seiner poetischen Kraft. Er war Prophet sowohl wie Priester und
König in der Mitte Israels, und ein Mann, der keinem Manne nachstand,
ausgeuommen dem Mann, der mehr als ein Mann war. Kein andrer Mann,
von dem ich weiß, kommt in der Herrlichkeit seines Charakters Christo so nahe,
wie Mose es thut, so daß wir die beiden Namen zusammen verbunden finden
in dein Lobgesang des Himmels: „Und sangen das Lied Mose, des Knechts
Gottes, und das Lied des Lammes." So seht ihr, daß er ein wahrhaft be<
deutender Manu war, dennoch verband er sich mit dem Volke Gottes. Es
sind uicht viele, die dieses thun, denn, der Herr hat gewöhnlich das erwählt,
was schwach ist, daß Er zu schänden mache, was stark ist, auf daß sich vor
I h m kein Fleisch rühme. Doch hier nahm Er, der sich erbarmet, dessen Er
Mose Entscheidung.

sich erbarme« will, diesen großen Mann, diesen weisen Mann, und gab ihm
Gnade, in dem Dienste seines Gottes entschieden zu sein. Sollte ich zu einem
solchen heute morgen reden, so bete ich ernstlich, daß eine Stimme aus der
großen Herrlichkeit ihn zu gleich entschiedener Handlungsweise berufen möge.
Ferner erwägt, welche A r t Gesellschaft es w a r , die Mose sich ge-
zwungeu f ü h l t e , zu verlassen. Als er von Pharaos Hof wegging, mußte
er sich von allen Hofleutcn uud Männern hohen Standes trennen, von denen
viele sehr achtungswerte Leute gewesen seil; mögen. Es ist stets ein Neiz in
der Gesellschaft der Großen, aber jedes Band ward von dem entschlossenen
Sinn des Mose zerrissen. Ich zweifle nicht, daß ein Mann wie Mose, in
aller Weisheit der Ägypter gelehrt, stets in den verschiedenen wissenschaftlichen
Kreisen willkommen war; aber er gab all seine Ehren unter der Elite der
Gelehrten auf, um die Schmach Christi zu tragen. Weder große Männer
noch gelehrte Männer konnten ihn halten, als seil» Gewissen ihm einmal den
Pfad gewiesen hatte. Seid auch gewiß, daß er sich von manchem Freund
losreißen mußten. I m Laufe von vierzig Jahren, muß man annehme!,, hatte
er Verbindungen angeknüpft, die ihm lieb und teuer waren, aber zum Be-
dauern vieler verband er sich mit der unbeliebten Partei, die der König
niederzntreten suchte, und deshalb konnte ihn Hillfort kein Hofmann als Freund
anerkennen. Vierzig Jahre lang hatte er ill der Einsamkeit der Wüste gelebt,
und kehrte nur zurück, um das Land Ägypten mit Plagen zu strafen, so daß
seine Trennung von all seinen früheren Freunden vollständig gewesen sein
muß. Aber, o aufrichtige Seele, sollte es jedes teure Band zerbrechen, sollte
es dich hinwegreißen von allein, was du liebst, wenn dein Gott es fordert, so
bringe das Opfer sogleich. Wenn dein Glaube dir gezeigt hat, daß das Ver-
bleiben in deiner gegenwärtigen Stellung eine Mitschuld an I r r t u m oder
Sünde in sich schließt, so reiß dich los, ohne weitere Unterhandlungen. Laß
die Netze des Vogelstellers dich nicht halten, sondern wenn Gott dir Freiheit
gibt,, schwinge dich ungefesselt empor und danke Gott für Erlösung. Jesus
verließ die Engel um deinetwillen; kannst du nicht die beste der Gesellschaften
um seinetwillen verlassen?
Aber ich bewundere Mose am meiste», menu ich erwäge, nicht nur, wer
er war, uud die Gesellschaft, die er aufzugeben hatte, fondern die Leute,
m i t denen er sich verbinden mnßte, denn in Wahrheit, die Anhänger
des wahren Gottes waren persönlich keine liebenswürdigen Leute zu der Zeit.
Mose war willig, die Schmach Christi auf sich zu nehmen und die Trübsal
des Volkes Gottes zu ertragen, als, wie ich wiederum zu bemerke» wage, nichts
sehr Anziehendes an den Leuten selbst war. Sie waren äußerst, arm, sie
waren im ganzen Lande als niedrige Knechte zerstreut, mit Ziegelbrenuen be-
schäftigt, u»d dies Ziegelbrenne», das ihue» gerade zu dem Zweck auferlegt
T p u r g e o n , Alttestamentliche Vilder. Ig
194 Alttestamentliche Bilder.

war, daß ihr Sinn dadurch gebrochen werden sollte, hatte sein Werk nur zu
gut gethau. Sie waren ganz mutlos, sie hatten keine Führer, und wären
nicht bereit gewesen, ihnen zu folgen, wenn solche aufgestanden wären. Als
Mose, der ihre Sache zu der seiuigen gemacht hatte, sie benachrichtigte, daß
Gott ihn gesandt, nahmen sie ihn zuerst auf, aber als des Propheten erste
That Pharao veranlaßte-, ihre Arbeit zu verdoppeln, indem er befahl, daß
ihnen keiu Stroh mehr geliefert werden sollte, machten sie Mose sofort Vor-
würfe; eben wie vierzig Jahre früher, als er sich bei ihrem Zank ins Mittel
legte, einer von ihnen sprach: „Willst dn mich auch erwürgen, wie du den
Ägypter erwürget hast?" Sie waren buchstäblich eine Herde Sklaven, ge-
brochen, zertreten uud verzagt. Es ist eins von den schlimmsten Dingen bei
der Sklaverei, daß sie die Menschen entmannt und auf Generationen hinaus
unfähig zum vollen Genuß der Freiheit macht. Selbst wenn Sklaven Freiheit
erlangen, so können wir nicht erwarten, sie so handeln zu sehen, wie die,
welche frei geboren sind, denn in der Sklaverei geht das Eisen in die Seele
nnd bindet den Geist. So ist es klar, daß die Israeliten keine sehr aus«
erlesene Gesellschaft für den hochgebildeten Mose waren: obgleich ein Prinz,
mußte er gemeinsame Sache mit den Armelt machen; obgleich ein freier Alan»,
mußte er mit Sklaven sich befreunden; obgleich ein Mann von Bildung,
mußte er sich mit unwissenden Leuten verbinden; obgleich ein Mann von
M n t , mußte er sich mit mutlosen Leibeignen vergesellschaften. Wie viele
würden gesagt haben: „Nein, ich kann das nicht thuu; ich weiß, mit welcher
Gemeinde ich mich verbinden müßte, wenn ich der Schrift völlig folgen und
in allem dem Willen des Herrn gehorchen wollte; aber die Leute sind ja so
arm, so ungebildet, nnd ihr gottesdienstliches Gebäude hat so gar keine archi»
tektonische Schönheit. I h r Prediger ist ein einfacher, derber Mann, uud sie
selber uicht fein. Kaum ein Dutzend von der ganzen Sekte können Equipage
halten; ich werde von der Gesellschaft allsgeschlossen fein, wenn ich mich mit
ihnen vereinige." Habelt wir nicht diese niedrigen Beweisgründe gehört, bis
sie uns zum Ekel wurden, uud doch haben sie große» Einfluß auf dies Hirn»
lose, herzlose Geschlecht. Sind keine mehr übrig, welche die Wahrheit lieben,
selbst wenn sie keilte Zieraten trägt? Sind keine da, die das Evangelium
mehr lieben als Pomp und Prunk? Wenn Gott einen Mose erweckt, was
kümmert es den, wie arm seine Brüder sind? „Sie sind Gottes Volk," sagt
er, „und wenn sie sehr arm sind, so muß ich ihnen uni so freigebiger helfen.
Wenn sie unterdrückt und mutlos sind, um so mehr Grund, daß ich zu ihrem
Beistand komme. Wenn sie Gott und seine Wahrheit lieben, so bin ich ihr
Mitstreiter, und will alt ihrer Seite in der Schlacht stehen." Ich zweifle nicht,
daß Mose dies alles überdachte, aber sein Eutschluß ward gefaßt, und er nahm
schnell seinen Platz ein.
Mose Entscheidung. 195

Zu diesem allen muß noch etwas Trauriges von Israel gesagt werden,
das Mose viel Schmerz gekostet haben muß. Er fand, daß unter Gottes Volk
manche waren, die Gott keine Ehre brachten, und sehr schwach in ihren Grund«
sähen waren. Er beurteilte nicht das ganze Volk nach den Fehlern einiger,
sondern nach ihren Regeln nnd Einrichtungen: und er sah, daß die Israeliten
mit all ihren Fehlern das Volk Gottes waren, während die Ägypter mit all
ihren Tugenden es nicht waren. Nun, jeder von uns hat die Pflicht, die
Geister an dem Worte Gottes zu prüfen, nnd dann furchtlos seiner Über»
zengung zu folgen. Wo wird Christns als das Haupt der Gemeinde an-
erkannt? Wo nimmt man die Schrift wirklich als Glaubensrcgel an? Wo
werden die Lehren voll der Gnade bestimmt geglaubt? Wo werden die gött-
lichen Sliftnxgen verwaltet, wie der Herr sie verordnet? Denn mit diesem
Volk will ick) gehen, ihre Sache soll meine Sache, ihr Gott soll mein Gott
sein. Wir suchen keine vollkommene Gemeinde diesseits des Himmels, aber
wir suchen eine Gemeinde frei von Papsttum, Sakramentarismus -und falscher
Lehre, und wenn wir keine finden können, so wollen wir warten, bis wir es
können, aber mit Falschheit und Pfaffentum wollen wir nie in Gemeinschaft
treten. Wenn die Brüder Fehler haben, so ist es meine Pflicht, Gednld mit
ihnen zu haben, nnd um Guade zu beten, das Übel zn überwinden; aber mit
Papisten und Nationalisten müssen wir uns nicht vereinen, sonst wird Gott es
von unsrer Hand fordern.
Betrachtet nun, was Mose aufgab dadurch, daß er auf I s r a e l s
Seite trat. Er gab Ehre auf — „er wollte nicht mehr der Sohn der
Tochter Pharaos heißen;" er gab Vergnügen auf — denn „er wollte nicht
mehr die zeitliche Ergötzung der Sünde haben;" und nach uusrem Apostel gab
er auch Reichtum auf, denn indem er die Schmach Christi auf sich nahm, ent»
sagte er den „Schätzen Ägyptens." Sehr wohl, wenn es hierzu kommt, wenn
ich, um Gott zu folgen und Ihm gehorsam zu sein, meine Stellung in der
Gesellschaft verlieren und ein Paria werden muß; wenn ich tausend Freuden
abschwören muß, und meiner Emoluments und meines Einkommens beraubt
werde, so müssen doch die Forderungen der Pflicht erfüllt werden. Märtyrer
gaben vorzeiten ihr Leben, sind keine mehr da, die ihren Lebensunterhalt
geben wollen? Wenn wahrer Glaube in eines Mannes Herz ist, so wird er
nicht lange erwägen, welches von den beiden er wählen soll, Vettelarmut oder
Kompromiß mit dem Irrtum. Er wird die Schmach Christi für größeren
Reichtum halten, als die Schätze Ägyptens.
Betrachtet noch einmal, was Mose auf sich nahm, als er den Hof
verließ. Er nahm sehr viel Leiden auf sich, denn „er erwählte viel lieber,
mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden;" und er nahm Schande auf sich,
denn er „achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum, denn die Schätze
13*
196 Alttestamentliche Bilder.

Ägyptens." O Mose, wenn du dich durchaus mit Israel verbinden mußt,


so ist keine gegenwärtige Belohnung für dich da; du hast nichts zu gewinneil,
sondern alles zu verlieren; du mußt es nur aus Gruudsatz thnn, ans Liebe
zn Gott, aus eiuer vollen ltberzeugnug von der Wahrheit, denn die Stämme
haben keine Ehren, noch Reichtümer zu verleihen. D u wirst Trübsal haben,
und das ist alles. D u wirst ein Narr genannt werden, und die Leute werden
meinen, guten Grund zu haben, dies zu thun. Es ist gerade ebenso heute.
Wenn jemand hinaus außer dem Lager gehen will, den Herrn zu suchen,
wenn er zu Christo anßen vor dem Thor hinaus gehen will, so mich er es
aus Liebe zu Gott und seinem Christus, und aus keinem andren Beweggründe
thun. Das Volk Gottes hat keine Pfründen oder Vislümer anzubieien; es
bittet deshalb die Menschen, die Kosten zu überschlagen. Als ein eifriger
Neubekehrter zu unsrem Herrn sagte: „Meister, ich will D i r folgen, wo D u
hingehest," erhielt er zur Antwort: „Die Füchse habe» Gruben, und die Vögel
unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da Er
sein Haupt hinlege." Bis zu dieser Stunde bietet die Wahrheit keine Mitgift
als sich selber an, für die, welche sich mit ihr verbinden wollen. Schmähungen,
Verachtung, schmale Kost, Verspottung, Verkenmmg — dies ist der Lohn der
Überzeugungstreue; und wenn etwas Besseres kommen sollte, so darf mau
doch nicht darauf rechnen. Wenn jemand edlen Sinnes genug ist, die Wahr»
heit um der Wahrheit willen zu lieben, uud Gott um Gottes willen, und
Christum um Christi willen, so möge er sich an die anschließen, die gleichen
Sinnes mit ihm sind; aber wenn er irgend etwas darüber hinaus sucht,
wenn er wüuscht, berühmt zu werden oder Macht zu gewinnen oder gutes
Einkommen zu haben, so thut er besser, seinen Platz uuter den feigen Schmutz»
Essern, die uns umschwärmen, zu behalten. Die Gemeinde Gottes besticht
keinen Menschen. Sie hat keine Geldbelohnungen anzubieten, und würde es
verschmähen, sie zu gebrauchen, wenn sie sie hätte. Wenn es nicht genug
Lohn ist, dem Herrn zu dienen, so mögen die, welche mehr sucheu, ihre selbst»
süchtigen Wege gehen: wenn der Himmel nicht genug, »lögen die, welche ihn
verachten, ihren Himmel hienieden suchen. Mose handelte, da er sich dem
Volke Gottes anschloß, entschieden und ein für allemal, sehr uneigennützig,
ohne irgend ein Versprechen von der rechten Seite oder irgend einen Freund,
der ihm in der Änderung beistand; um der Wahrheit willen, um des Herrn
willen entsagte er allein; zufrieden, zu dem niedergetretenen Volke Gottes
zu gehören.
II.
Nun, zweitens, was war die Hnelle der Entschiedenheit Mose?
Die Schrift sagt, es war der Glaube, sonst würden manche darauf bestehen,
daß es die Macht des Blutes war. „Er war von Geburt ein Israelit; und
Mose Entscheidung 197

deshalb," sagen sie, „siegten die Instinkte der Natur." Unser Text gibt
einen ganz andren Grund an. W i r wissen gut genug, daß die Söhne gottes-
fürchtiger Eltern nicht durch ihre Geburt zur Anbetung des wahren Gottes
geführt werden. Die Gnade fließt nicht im B l u t ; die Sünde mag es thun,
aber die Gerechtigkeit nicht. Wer gedenkt nicht an Söhne berühmter Liebhaber
des Evangeliums, die jetzt weit im Nitualismus gegangen sind? Es war
Glaube, nicht Vlnt, was Mose auf den Weg der Wahrheit trieb. Ebenso
wenig war es Exzentrizität, die ihn dazu führte, der unterdrückten Partei sich
anzuschließen. W i r haben zuweilen eiuen Mann von Stand und Rang
gefunden, der mit Personen ganz andrer Stellung und Klasse sich vergesell-
schaftet hatte, einfach darum, weil er uie handeln konnte, wie andre Leute,
und nach seiner eignen sonderbaren Manier leben mußte. Es war nicht so
mit Mose. Sein ganzes Leben hindurch könnt ihr keine Spur von Exzentrizität
in ihm entdecken: er war nüchtern, fest, am Gesetze haltend; wie, wenn ich
sagte, er war ein konzentrischer Mann, denn fein Zentrum war am rechten
Ort und er bewegte sich nach den Vorschriften der Besonnenheit. Nicht so
kann seine Entscheidung erklärt werden. Er war auch nicht durch plötzliche
Ausregung vorwärts getrieben, als ill seiner Seele starkes patriotisches Feuer
brannte, das ihn mehr eifrig als vorsichtig machte. Nein, es mag etwas
Hast darin gewesen sein, daß er den Ägypter damals erschlug, aber dann hatte
er vierzig Jahre darüber nachzudenken, und doch bereute er nie seine Wahl,
sondern hielt sich zu dem unterdrückten Volke Gottes und wollte nicht der
Sohn der Tochter Pharaos sein. Es war also Glaube, allein Glaube, der
den Propheten von Sinai befähigte, seine Entscheidung zu treffen und sie
auszuführen.
Welchen Glauben hatte er? Zuerst, er hatte Glauben an Jehovah. Es
ist möglich, daß Mose die verschiedenen Götter Ägyptens gesehen hatte, wie
wir sie jetzt sehen in den Zeichnungen, welche von ihren Tempeln und
Pyramiden kopiert sind. W i r finden da die heilige Katze, den heiligen I b i s ,
das heilige Krokodil und alle Arten Geschöpfe, die als Gottheiten verehrt
wurden; überdies gab es Scharen sonderbarer Götzen, die aus Menschen, vier-
füßigen Tieren und Vögeln zusammengesetzt waren, die heute noch in unsren
Museen stehen uud einst die Gegenstände abgöttischer Verehrung der Ägypter
waren. Mose war dieses Symdoldienstes müde. Er wußte in seinem eignen
Herzen, daß ein Gott war, nur ein Gott, und er wollte nichts zu thun haben
mit Amun, Pthah oder Maut. Wahrlich, meine Seele schreit zu Gott, daß
edle Geister in dieser Zeit der Götter von Elfenbein, Ebenholz und Silber
müde werden möchten, die unter dem Namen von Kreuzen und Kruzifixen an»
gebetet werden, und dahin kommen möchten, jene entwürdigendste und niedrigste
aller Abgöttereien zu verabscheuen, in der ein Mensch einen Gott voll Mehl und
198 Alttestamentliche Bilder.

Wasser macht, sich davor niederbeugt und ihn dann ißt. Der Satyriker sagte
von den Ägyptern: „ O glückliches Volk, dessen Götter in seinen eignen Gärten
wachsen;" wir können ebensowohl sagen: „ O glückliches Volk, dessen Gölter
in ihren eignen Öfen gebacken werden." Ist dies nicht die niedrigste Form
des Aberglaubens, die je den menschlichen Verstand herab würdigte? Die
Fetischverehnmg des Negers ist nicht niedriger. O, daß mntige und treue
Herzen dahin gebracht würden, sich von solcher Abgötterei abzuwenden, alle
Verbindung damit aufzugeben und zu sagen: „Nein, ich kann nicht und ich
darf nicht. Es ist e i n Gott, der Himmel und Erde machte, es ist ein reiner
Geist, der alle Dinge durch die Macht seiner Stärke erhält, ich will I h n
allein anbeten; und ich will I h n nach feinem eignen Gesetz anbeten, ohne
Bilder oder andre Symbole, denn hat Er sie nicht verboten?" Hat Er nicht
gesprochen: „ D n sollst dir kein Bildnis, noch irgend ein Gleichnis machen,
weder des, was oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des,
das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an inch diene ihnen nicht.
Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott?" O, daß Gott den
Menschen Glauben geben wollte, zu wissen, daß uur eiu Gott ist, und daß
der eine Gott nicht mit Riten und Zeremonien, die von Menschen verordnet
sind, angebetet werden will, denn' Er ist „ein Geist, und die I h n anbeten, die
müssen I h n im Geist und in der Wahrheit anbeten!" Diese e i n e Wahrheit,
wenn sie mit Kraft vom Himmel in die Herzen der Menschen käme, würde
„Sankt Peters-Kirche und Sankt Pauls"'-') zertrümmern von ihrem obersten
Kreuz bis zu ihrer untersten Kryvte; denn was lehren uns diese zwei Kirchen
jetzt anders als schiere, klare Abgötterei, die eine ihren Regeln nach, die andre mit
Genehmigung, denn jetzt haben Männer, die offen das anbeten, was sie „die
heiligen Elemente" nennen, Erlaubnis und Freiheit, ihre Kunst in der Kirche
Englands auszuüben. Jeder Mann, der seinen Gott liebt, sollte seine Kleider
rein schütteln von diesen Greneln, und ich bete zu Gott, daß wir manchen
Mose finden mögen, der fo thut.
Der Glaube Mose ruhte auch auf Christ». „Christus war noch nicht
gekommen," sagt jemand. Nein, aber Er sollte kommen, und Mose blickte auf
diesen Kommenden. Er drang mit seinen» Auge durch die Jahrhunderte, die
dazwischen lagen, und er fah vor sich den Schiloh, von dem der sterbende
Jakob fang. Er kannte die alte Verheißung, die den Vätern gegeben war,
daß in Abrahams Samen alle. Völker der Erde gesegnet werden sollten; und

" I n St. Pauls-Kathedrale wird der Gottesdienst in sehr ritllalistischer Weise gc»
halten, deshalb nennt Spnrgeon sie hier als Repräsentantin der ganzen ritualistischcn
Strömung in der englischen Staatskirche, der die kirchlichen Behörden nicht entgegentreten
wollen oder tonnen. — Die Predigt ist im Jahre 1872 gehalten. A. d. Üb.
Mose Entscheidung. 199

er war willig, um an dem Segen teilzuhaben, seinen Anteil an der Schmach


auf sich zu nehmen. Lieben Freunde, wir werden nie einen völligen Glauben
an Gott haben, wenn wir nicht auch an Iesum Christum glauben. Die
Menschen haben lange verflicht, und eifrig versucht, den Vater ohne den Sohn
anzubeten; aber es steht geschrieben, und es wird immer so sein: „Niemand
kommt zum Vater, denn durch mich." I h r entfernt ench von der Verehrung
des Vaters, wenn ihr nicht durch die Vermittlung und die Versöhnung des
Sohnes Gottes kommt. Nun, obwohl Mose nicht alles von Christo wußte,
was uus jetzt geoffenbart ist, fo hatte er doch Glauben an den kommenden
Messias, und diefer Glaube gab seiner Seele Kraft. Die Männer, die
Christum Ieslim, den Herrn, aufgenommen haben, sind es, die Leiden tragen
können. Wenn mich jemand fragte, was die Kovenanters zu solchen Helden
machte, wie sie es waren; was unsre puritanischen Vorväter furchtlos vor
ihren Feinden erhielt; was die Reformatoren zum Protestiere» und, die
Märtyrer znm Sterben trieb; so würde ich antworten, es war der Glaube an
den uusichtbaren Gott, verbunden mit dem Glauben an jenen teuren Sohn
Gottes, der Mensch gewordener Gott ist. An I h n glaubend, fühlten sie solche
Liebe in ihrem Herzen, daß sie aus Liebe zu I h m tausend Tode hätten
sterben können.
Aber ferner, Mofe hatte Glaubeu mit Bezug auf das Volk Gottes.
Dies habe ich schon berührt. Er wußte, daß die Israeliten Gottes Erwählte
waren, daß trotz aller ihrer Fehler Gott seinen Bund mit seinem Volke nicht
brechen wollte, und er wußte deshalb, daß ihre Sache Gottes Sache war uud
als solche die Sache des Rechtes, die Sache der Wahrheit. O, es ist etwas
Großes, wenn ein Mann solchen Glauben hat, daß er sagt: „ M i r gilt es
nichts, was andre Leute thuu oder deuken oder glauben; ich werde handeln,
wie Gott es von mir verlangt. M i r gilt es nichts, was meine Mitgeschöpfe
mir zu thun befehlen, nichts, was die Mode sagt, nichts, was ineine Eltern
sagen, soweit Religion in Betracht kommt; die Wahrheit ist Gottes Stern,
uud ich will folgen, wohin er mich auch führt. Weuu es mich zu eitlem ein«
samen Mann macht, wenn ich Meinungen annehmen müßte, die kein andrer
sollst glanbt, wenn ich ganz und gar hinaus außen vor dem Lager gehen
müßte und mich von allen Bekannten losreißen, all dieses soll so unwesentlich
für mich seilt, wie das Stäublein in der Wage; wenn eine Sache wahr ist,
so will ich sie glauben, uud ich will sie vortragen uud ich will für ihre Ver»
külldigllng leidel; und wenn eine andre Lehre Lüge ist, will ich mich nicht
damit befreunden, nein, nicht auf einen einzigen Augeublick; ich will nicht
in Gemeinfchaft mit Falschheit treten, nein, nicht auf eine Stunde. Wenn ein
Weg recht und wahr ist, durch Fluten und Flammen will ich ihm folgen, wenn
Iestls mich führt." Das scheint mir der rechte Geist zu sein, aber wo findet
200 Alttestamentliche Bilder.

man ihn heutzutage? Der neuere Geist murmelt: „ W i r haben alle recht, ein
jeder von uns." Wer „ j a " sagt, hat recht, und wer „nein" sagt, hat auch
recht. Man hört einen Mann mit widerlicher Sentimentalität schwatzen, die
er christliche Liebe nennt: „Wohl, ich bin der Meinung, wenn jemand ein
Mohammedaner oder ein Katholik oder ein Mormone oder ein Dissident ist,
wenn er uur aufrichtig ist, so steht es gut mit ihm." Sie schließen noch nicht
ganz die Teufelsanbeter, die Thags*) und Kannibalen ein, aber wenn die
Dinge so fortgehen, werden sie dieselbe in die glückliche Familie der Breiten
Kirche**) aufnehmen. Das ist das heuchlerische Geschwätz der jetzigen Zeit,
aber ich lege mein Zeugnis dafür ab, daß keine Wahrheit darin ist, und ich
rufe jedes Kind Gottes auf, dagegen zu protestieren und, wie Mose, zu er»
klären, daß er kein Mitschuldiger bei einem solchen Bündnis sein kann. Es
ist irgendwo Wahrheit, laßt uns sie finden, die Lüge ist nicht aus der Wahr«
heit, laßt uns sie verabscheuen. Es ist ein Gott, laßt uus I h m folgen, uud
es kann nicht sein, daß falsche Götter auch Götter sind. Gewiß, die Wahr«
heit ist von einigeln Wert für die Menschenkinder; gewiß, es muß etwas geben,
was des Festhaltens wert ist, etwas, was wert ist, dafür zu sterben; aber es
scheint heutzutage nicht, als wenn die Menschen fo dächten. Laßt uns Hoch«
achtung haben vor Gottes wahrer Gemeinde in der Welt, die bei dem Wort
und der Lehre der Apostel bleibt. Laßt uns sie ausfindig machen, uns mit
ihr vereinen und an ihrer Seite für Gott und seine Wahrheit kämpfen!
Noch eins, Mose hatte Glauben an die „Belohnung." Er sprach bei
sich selber so: „Ich muß vielem entsagen nnd darauf rechnen, Nang, Stellung
und Schätze zu verlieren; aber ich hoffe, desungeachtet ein Gewinnender zu
seiu, denn es kommt ein Tag, wo Gott die Menschenkinder richten wird: ich
erwarte einen Nichterstuhl mit unparteiischer Wage, und es wird sich dann
zeigen, daß die, welche Gott treu dienten, die weisen und die rechten Männer
gewesen sind, während die, welche kriechend waren und sich beugten, um Behage
lichkeit zu gewinnen, finden werden, daß sie die Ewigkeit verfehlt haben,
während sie nach der Zeit griffen, und daß sie den Himmel um ein elendes
Linsengericht verschachert haben." Da dies vor seiner Seele stand, konnte
man Mose nicht überreden, daß er ein Kompromiß machen müsse und nicht
lieblos sein dürfe, nicht andre gute Leute richten, sondern weitherzig sein solle
und an Pharaos Tochter gedenken und wie freundlich sie ihn auferzogeu, lind
erwägen, welche Gelegenheiten er hätte, Gutes zu thun da, wo er wäre, wie
er seinen armen Brüdern ein Freund sein, welchen Einfluß er über Pharao

*) Eine Sekte der Hindus, die Mord als eine religiöse Handlung begeht. A. d. Üb.
" ) Ll-ollcl (Hui'ok ist die der neueren Theologie zuneigende Partei in der englischen
Staatstirche. A. d. Üb.
Mose Entscheidung 201

haben, wie er das Werkzeug werden könne, die Fürsten und das Volk Ägyptens
auf den rechten Weg zu führen, und wie vielleicht Gott ihn fo hoch gehoben
hätte zu dem Zweck, daß er dort stehen solle, wer das wissen könnte, und so
weiter, und so weiter, und so weiter — ihr kennt das babylonische Gerede,
denn ihr alle habt die plallsiblen Argumente der „Versuchung zur Ungerechtig-
keit" gelesen oder gehört, welche in diesen letzten Tagen die Menschen lehret,
Böses zu thun, auf daß Gutes herauskomme. Mose kümmerte sich um alle diese
Dinge nicht. Er kannte seine Pflicht und that sie, was auch die Folgen sein
mochten. Jedes Christen Pflicht ist es, die Wahrheit zu glauben und der
Wahrheit zu folgen und die Resultate Gott zu überlassen. Wer wagt dies zu
thull? Der ist eines Königs Sohn. Aber wiederum sage ich es, wer wagt
dies in unsren Tagen zu thun?

III.
Drittens wollen wir kurz einige der Gründe berühren, durch die
Mose in seiner entschiedenen Handlungsweise bestärkt wurde.
Der erste Grund war wohl der, er sah klar, daß Gott Gott war und
deshalb sein Wort halten, sein Volk aus Ägypten bringen und ihnen ein Erb-
teil geben mußte. Nun sagte er zu sich selbst: „ I c h wünsche auf der rechten
Seite zu sein. Gott ist allmächtig, Gott ist wahrhaftig, Gott ist durchaus
gerecht. Ich bin auf Gottes Seite, und deshalb will ich meine Wahrhaftigkeit
beweisen, indem ich die andre Seite ganz und gar verlasse.
Dann, zweitens, haben wir es in dem Text, daß er wahrnahm, wie die
Vergnüguugen der Sünde nur auf eine Zeitlaug sind. Er sagte zu sich: „Ich
mag nur eine kurze Zeit zu leben haben, und selbst wenn ich bis zu einem
hohen Alter leben sollte, so ist das längste Leben doch uur kurz; und-wenn
ich zum Schlüsse des Lebens komme, was für eine elende Betrachtung wird
es dann sein, daß ich all mein Vergnügen gehabt habe, daß es alles vorüber
ist und ich nun vor Gott als ein verräterischer Israelit zu erscheinen habe,
der sein Erstgeburtsrecht wegwarf, um die Vergnügungen Ägyptens zu ge>
nießen." O, daß die Menschen alles in der Wagschale der Ewigkeit wägen
«lochten! W i r werden alle vor dem Gerichte Gottes stehen in ein paar
Monaten oder Jahren, und denkt daran, was wir dann fühlen werden. Der
eine wird sagen: „Ich habe überhaupt nie an Religion gedacht," und der
andre: „ I c h habe daran gedacht, aber nicht genug, um zu irgend einer Ent»
scheidung darüber zu gelangen. Ich bin mit dem Strom geschwommen."
Ein andrer wird sagen: „Ich kannte die Wahrheit gut genug, aber ich konnte
die Schmach derselben nicht tragen, man hätte mich für fanatisch gehalten,
wenn ich wirklich danach gelebt hätte." Ein andrer wird sagen: „Ich hinkte
zwischen zwei Meinungen, ich hielt es kaum für gerechtfertigt, wenn ich meiner
202 Alttestamentliche Bilder.

Kinder Stellung aufgeopfert hätte, nm ganz und gar der Wahrheit nach-
zufolgen." Was für traurige Gedanken müssen diejenigen überfallen, die den
Heiland verkauft haben, wie Judas es thatl Was für eleude Sterbebetten
Müssen die haben, die ihrem Gewissen treulos und gegen ihren Gott nnwahr
gewesen sind! Aber o ! mit welcher Nuhe wird der Gläubige vorwärts blicken
auf die andre Welt! Er wird sagen: „Durch Gnade bin ich errettet, und
ich preise Gott, daß ich es aushalten konnte, verspottet zn werden. Ich konnte
ertragen, daß man über mich lachte. Ich konnte jene Stelle verlieren, ich
konnte aus jener Pachtung vertrieben und ein Narr genannt werden, und es
that mir keinen Schaden. Ich fand Trost in der Gesellschaft Christi, ich ging
mit allem zu I h m , und ich fand, daß um Christi willen Schmach leiden süßer
sei, als alle Schätze Ägyptens zu besitzen. Gelobt sei sein Name! Ich ent-
behre die Freuden der Welt, aber sie waren keine Entbehrung für mich. Ich
war froh, sie zu entbehren, denn ich fand süßere Freude in der Gesellschaft
meines Herrn, und mm sind die Freuden für mich aufbehalten, die niemals
enden werden," O Brüder, ganz und gar für Christum sein, völlig mit I h m
gehen, selbst wenn es den Verlust von allem mit sich bringt, das wird sich
auf die Länge doch belohnen. Es mag euch viel Schmach für jetzt bringen,
aber das wird bald vorüber sein, und dann kommt der ewige Lohn.
Und dann wiederum dachte er bei sich, daß selbst die Freuden, welche
eine Zeitlang währen, so lange sie währen, nicht der Freude gleichkämen,
um Christi willen geschmäht zu werden. Dies sollte uns anch stärken, daß das
Schlimmste von Christo besser ist als das Veste von der Welt, daß selbst jetzt
wir mehr Freude als Christen haben, wenn wir aufrichtig sind, als wir durch
die Sünden der Gottlosen erlangen könnten.
Ich habe zum Schlüsse nur noch dies zu sagen. Zuerst, wir alle sollten
bereit fein, alles un: Christi willen zu verlassen, nnd wenn wir es nicht sind,
so sind wir nicht seine Jünger. „Das ist eine harte Rede," sagt einer. Ich
wiederhole sie dennoch, denn ein größerer Meister hat es gesagt: „Wer
Sohn oder Tochter mehr liebt, denn mich, der ist meiner nicht wert." „Wer
nicht absagt allem, das er hat, kann nicht mein Iüugcr sein." Jesus mag
nicht von euch fordern, wirklich etwas zu verlassen, aber ihr müßt bereit sein,
alles zu verlassen, wenn es gefordert wird.
Die zweite Bemerkung ist diese: wir sollten den bloßen Gedanken
daran verabscheuen, Ehre in dieser Welt zu erlangen dadurch, daß wir unsre
Meinungen verhehlen oder Kompromisse machen. Wenn du eine Aussicht hast,
hoch geachtet zu werden dadurch, daß du den Mund hältst, fo sprich sogleich
und laufe nicht die Gefahr, eine so unehrenhafte Ehre zu gewiunen. Wenn
du Hoffnung hast, daß die Leute dich loben, weil dit so nachgiebig betreffs
deiner Überzeugung bist, so bitte Gott, dich wie einen Kieselstein zu «lachen,
Mose Entscheidung. 203

daß du niemals wieder weichst; denn welchen mehr verdammenden Ruhm könnte
ein Mann haben, als das Lob, das er gewinnt, weil er seine Grundsätze ver«
leugnet, um seinen Mitmenschen zu gefallen? Hiervor möge Gott uns bewahren!
Die dritte Lehre ist, daß wir uns denell zugesellen sollen, die wahrhaft Gott
und der Schrift folgen, auch wenn sie nicht ganz so sind, wie wir es wünschten.
Der Platz für einen Israeliten ist bei den Israeliten, der Platz für einen
Christen ist bei den Christen. Der Platz für einen gründlich zu Werke gehenden
Jünger der Bibel und Christi ist bei andren, die dasselbe thun, und selbst
wenn sie zufällig die Niedrigsten im Lande und die Ärmsten der Armen und
die Unwissendsten der Ungebildetsten der Zeitperiode sein sollten, was ist dies
alles, wenn ihr Gott sie liebt und sie Gott lieben? I n der Wage der
Wahrheit gewogen, ist der Kleinste unter ihnen zehntausend der größten gott-
losen Männer wert.
Zuletzt, wir alle müssen darauf sehen, daß wir Glauben haben. Der
Glaube ist die Hauptsache. I h r könnt keinen vollendeten Charakter bilden ohne
Glauben. Beginne da, lieber Hörer. Wenn du nicht an Christum glaubst,
wenn du nicht an den e i n e n Gott glaubst, möge der Herr dich bekehren und
dir jetzt die köstliche Gabe geben! Versuchen, einen Charakter zu formen, der
gut ist ohne eine Grundlage des Glaubens, das heißt auf Sand bauen und
Holz und Heu und Stoppeln aufhäufen, die als Holz, Heu und Stoppeln
fehr gute Sachen sind, aber nicht das Feuer ertragen köunen; und da jeder
christliche Charakter Feuer zu ertragen haben wird, so ist es gut, auf dein
Felfen zu bauen und mit Gnaden und Früchten solcher Art, daß sie die
Prüfung bestehen können. D u wirst geprüft werden, und wenn du dich als
Feigling durch die Welt geschlichen und dadurch allen Widerspruch und allen
Spott vermieden hast, so frage dich, ob du wirklich ein Nachfolger des
gekreuzigten Heilandes bist, der sprach: „Wer nicht täglich sein Kreuz auf sich
nimmt, und folget mir nach, der kann nicht mein Jünger sein." Traut den
ebenen Pfaden, nicht, fürchtet euch vor jenem immerwährenden Frieden, von
dem Christus erklärt, daß Er gekommen sei, ihn zu brechen. Er spricht: „ I c h
bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert." Er kam, um
Feuer auf die Erde zu bringen; „und was wollte ich lieber," sagte Er, „denn
es brennte schon."
„Hilf mir in dem Kampfe siegen
Wider Sünde, Höll' und Welt.
Laß mich nicht danieder liegen,
Wenn ein Sturm mich überfällt.
Führe mich aus aller Not,
Herr, mein Fels, mein treuer Gott." Amen.
204 Altteftamentliche Bilder.

14
Der große Befreier.
„Und du sollst zu Pharao sagen: So sagt der Herr: Israel ist
mein erstgeborner Sohn; und ich gebiete dir, daß du meinen Sohn
zieben lassest, daß er mir diene." 2 Mose 4, 22. 23.
„Ter Herr sprach zu Mose: Nun sollst du sehen, was ich
Pharao thun werde." 2 Mose 6. 1.

( 3 o t t hatte ein Volk in Ägypten. Es war sein eigen, das Volk seiner
Wahl. Obgleich es schwer unterdrückt und in schimpfliche Sklaverei gesunken
war, so war Gottes Teilnahme an seinem Wohlergehen in keinem Maße ver«
ringert. Des Herrn Absicht, als Er Mose hinab nach Ägypten sandte, war,
das Volk aus den andren Völkern heraus zu führen, so daß es ein für I h n
abgesondertes sei, damit Er ihm ein Erbe geben könne, das Land, darin Milch
und Honig fließt und es darinnen wohnen möchte als Zeuge seines Bundes
und seine Gebote halten. Nun thut Gott genau das, was Er an seinem
Volke Israel in dem Lande Hams that, an seinen Erwählten überall in der
ganzen Welt. Von einem Gesichtspunkte aus ist der Zweck des Evangeliums,
aus den Völkern heraus ein Volk zu sammeln, das Er zuvor versehen, das Er
verordnet, das Er sich erlöset hat, sein besonderes Erbe zu sein. Dieses soll
aus den andren heraus geführt, zu einem besonderen Volk gemacht, in eine
bestimmte Stellung gebracht werden und eine bestimmte Erfahrung haben.
„Das Volk wird besonders wohnen und nicht unter die Heiden gerechnet
werden;" und es soll schließlich an einen bereiteten Ort gebracht werden, für
den es besonders zubereitet werden muß, so daß es da wohnen könne und
der Herr das wahr mache, was Er vorhergesagt hat: „Sie sollen mein sein
an dem Tage, wo ich meine Kleinodien zusammen bringen will." (Mal. 3, 7.)
Das Werk, dein Tod verfallene Sünder aus dieser jetzigeil bösen Welt zu er»
retten, ist ebensosehr Gottes würdig, als das Werk, Israel aus Ägypten zu
befreien. Dieselbe rechte Hand Iehovahs, herrlich an Macht, welche die Söhne
Jakobs aus der Knechtschaft Pharaos erlösete, ist nun ausgestreckt, uns von der
Der große Befreier. 205

Herrschaft Satans zu befreien. Der Lobgesang auf Jesus Christus, unsren


Erlöser, soll noch frohlockender sein, als das Loblied, das Mirjam und die
Töchter Israels beim Noten Meer erhoben, als sie sprachen: „Lasset uns dem
Herrn singen, denn Er hat eine herrliche That gcthan." I n der That, wir
sollen am letzten Ende das Lied Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des
Lammes singen, was klar andeutet, daß die Erlösuug aus Ägypten immer
bestimmt war, eins der Hauptvorbilder der Erlösung des Volkes Gottes aus
der Mitte der Welt zu sein; denn Christus hat ein Volk, das Er aus deu
Menschen erlöset hat, und es ist eine Gemeinde, von der geschrieben steht:
„Christus liebte feine Gemeinde und hat sich selbst für sie dahingegeben."
Nuu, zum Herausbringen dieses Volkes Gottes aus der Masse der
Menschheit braucht Gott zuweilcu Werkzeuge, gerade wie Er es in dem früheren
Falle that. Er mag eiu Werkzeug auwenden, das scheinbar ebensowenig für
das Werk geeignet ist, wie Mose nach seinem Werk es war. Doch wird das
Werk gethan, uud Gott gebührt die Ehre, es volleudet zu haben. Was uns
betrifft, die Er gebraucht, so sind wir mehr als zufrieden, Ihm die Ehre zu
überlassen. Wir frenen uus feiner Herrlichkeit, während wir fühlen, daß wir
uns selber durchaus gar kein Verdienst beimessen können, denn wir sind
weniger als nichts vor seinen Augen, und selbst in unsren eignen Augen sind
wir schwach und wertlos, so daß zu Gottes Ehre allein der Preis ertönen soll,
wenn das Erlösuugswerk beeudet und vollständig ist.
Ich fordere euch auf, zuerst an die Stimme Gottes zu denken. I n
unsrem Text heißt es: „So sagt der Herr, Israel ist mein erstgeborner Sohn,
und ich gebiete dir, daß du meinen Sohn ziehen lassest, daß er mir diene."
Wenn wir uns hierüber ein wenig ausgelasseu haben, wollen wir ein paar
Worte über die Stimme des Menschen sagen. Dies sollte die Stimme
des Menschen sein. „ D u sollst zu Pharao sagen: So sagt der Herr."
Was Gott gesprochen hatte, sollte von seinem Knecht Mose wiederholt werden.
Dann wollen wir schließen, indem wir drittens betrachten die Macht Gottes,
die mit dieser Stimme des Menschen gehen sollte. „Ich will mit
deinem Munde sein, uud du sollst sehen, was ich Pharao thun werde."

I.
Laßt uns zum Anfang versuche», unsre Gedanken auf die S t i m m e
G o t t e s zu heften, die eiue wirkliche Macht war, sein Volk aus Ägypten her-
auf zu bringen.
Diese Stimme war dreifach; Er behauptete feiu Eigentumsrecht an sie,
verlangte ihre Freiheit und setzte ihre Bestimmung fest. M i t königlicher
A u t o r i t ä t beansprucht Er das Volk als sein eignes. „So sagt der
Herr, Israel ist mein erstgeborner Sohn." Der Herr kennt die Seinen, uud
206 Alttestamentliche Bilder.

der Herr nimmt sie als die Seinen in Nnsprnch, mit Eifersucht ans sein un»
veräußerliches Necht an ihren Gehorsam und der Versicherung seiner nie
fehlenden Fürsorge für ihr Wohl. Die Kinder Israels waren zn der Zeit in
einem sehr niedrigen Znstande. Sie waren bis an den Hals ill Thon beim
Ziegelbrcnnen. Sie waren eine Schar Sklaven, herabgewürdigt, zum niedrigsten
Znstand hinuntergebracht. Sie waren so entmutigt, daß sie sich jeder
Forderung des Tyrannen unterwarfen, und als der Tag der Erlösung für sie
anbrach, konnten sie sich die Vefreinng nicht möglich denken nnd den frohen
Wechsel in ihren Aussichten nicht willkommen heißen. Sie hatten als Volk
sogar den Gedanken an Freiheit verloren. Er war aus ihnen herausgetrampelt.
Das Volk schien seine Nationalität verlieren zn müssen oder sie nur als eine
Nation von Sklaven zu behalten. Doch so mit Schmutz überzogen und so zu
Sklaven gemacht, wie sie es waren, liebte Gott sie doch noch. Der Herr er-
kannte sie an. Er sagte: „Israel ist mein erstgcborner Sohn." Gewiß,
Pharao hätte in seinem Herzen sagen können: „Dies ist ein schöner Sohn!"
Was muß es für ein Gott sein, der von diesen Ziegelbrennern, dieser ver>
worfenen Nasse, sagt: „Dies ist mein Sohn?" J a , und diese verwahrlosten,
diese rohen Knechte, diese herabgekommenen Männer und Frauen, von ihnen
sagt Er: „mein erstgeborner Sohn und mein Erbe." Ein Mann ist von Natur
stolz auf seinen Sohn nnd Erben, doch hier ist der mächtige Gott, der nach
menschlicher Weise redet und dieses Niedergeschlagelle, verzagte, verachtete nnd
mutlose Volk anerkennt und sagt: „Israel ist mein erstgeborner Sohn;" sie
noch dazn vor den Augen des stolzen Pharao anerkennt, dessen Erstgeborner
als ein Prinz von königlichem Blut begrüßt ward, wenn er dnrch das Land
fuhr, vor dem jedes Knie sich beugte und dem, als dein Sohn des großen
Königs, beständig Ehre erwiesen ward. „Israel ist mein Sohn," sagt Gott,
„mein erstgeborner Sohn." Er schämt sich nicht seines Volkes. Er bekennt
die große Liebe, womit Er uns liebte, selbst als wir tot in Übertretungen
und Sünden waren, gerade wie Er sein Volk Israel liebte, als es ill Knecht»
schaft und Erniedrigung war. „ E r liebte meine Seele aus dem Abgrund
heraus," sagte Hiskias (Ies. 38, 17) vor alters. Er liebte uns, als wir i n
unsrem Vlllte lagen, wie ein Kind, das weggeworfen nnd weder gewaschen
noch iil Windeln gewickelt ist. Als niemand sich nnsrer erbarmte am Tage
unsrer Geburt und wir auf das Feld geworfeu wurden, ging Er an uns
vorüber, und es war eine Zeit der Liebe, nnd Er sprach zu uns: „ D u sollst
leben." O, wunderbare Gnade Gottes, daß Er seinen Sohn anerkennt, wenn
dieser Sohn noch ein ägyptischer Sklave ist.
Überdies, Gott erkannte sein Volk an, als dies I h n nicht allerkannte,
denn sein Name „Jehovah" war ihnen kaum bekannt. Obgleich Mose sich
ihnen mit augenscheinlicher Beglaubigung darstellte, waren sie bereit genug,
Der große Befreier. 207

ihn zn verwerfen. Sie waren abgewichen zu den falschen Göttern, wird uus
in andren Teilen der Schrift gesagt. Während ihres Aufenthaltes in Ägypten
gerieten die Israeliten in den herrschenden Aberglauben des Landes hinein
nnd verließen den Herrn. Ein wenig Licht war noch nnter ihnen übrig.
Einige Überlieferungen waren anfbewahrt und gingen voll Vater auf Sohn
als heiliges, anvertrautcs Gut über. Ohne Zweifel waren noch fromme
Seelen übrig geblieben, die dem Gute Abrahams treu wareu. Die, Gebeine
Josephs, die iu Goscn als ein Andenken an den Eid, den er von den
Stämmen nahm, aufbewahrt, später bei all ihre» mannigfachen Wanderungen
in der Wüste mitgetragen nnd zuletzt iu Sichem begraben wurden, wie wir
im letzten Kapitel des Vnchcs Iosua lesen, bürgen für eine Treue, die wir
nicht leichtfertig vergessen dürfen. Aber die große Masse des Volkes war in
die Schlinge«: gefallen, die sie umgabcu, und bequemte sich den Sitten der-
jenigen an, unter die ihr Los gefallen war, deren viele Götter uud viele
Herren abergläubisch im geheimen verehrt wurden. Sie waren ein Volk, das
keinen Maulwnrfshaufen voll Verdienst hätte zusammeuscharreu können, wenn
sie es versucht hätten. Sie waren ein eitles uud lasterhaftes Volk, geneigt
zum Übervorteilen, obwohl jetzt selbst ganz übervorteilt; besonders sündig, weil
ihre ausgeprägten Fähigkeiten, die nach der Seite der Tilgend Hill hätten ent»
wickelt werden können, in Flecken nnd Brandmale an ihrem Rufe verkehrt
worden waren. Doch spricht Jehovah: „Israel ist mein erstgeborner Sohn."
Und erkennt der Herr sein Volk an, wenn dies I h n nicht kennt? Ah, gelobt
sei seill Name, Er thut es, sonst würden wir nie dahin kommen, I h n zu
kennen. W i r lieben I h n jetzt, weil Er uns zuerst geliebt hat; uud weun
nicht diese vorhergehende Kenntnis von uns und Liebe für uns gewesen, so
wären wir jetzt nicht, was wir sind. O, die Freiwilligkeit und Freigebigkeit
der Gnade Gottes, daß Er seill Volk kennt nnd es sein eigen heißt, auch wenn
es I h n noch nicht kennt.
Er erkennt seill Volk an, dadurch, daß Er seiuen Bund anerkennt.
„Israel ist mein Sohn." Er wies auf den Bund hin, den Er vor alters
mit Abraham, Isaak und Jakob gemacht hatte. Und der Herr kennt die
Seinen uud erzeigt ihuen Gunst, nicht um irgend etwas willen, das sie person»
lich I h m zu empfehlen vermöchte, denn es ist keine Überlegenheit in ihrer
Natur, kein Glanz ill ihrem Verstande, keine Schönheit ill ihrem Gemüt, die
seinen Augen gefallen könnte. Das einzige Anrecht an Gnade ist vor I h m
jener alte Bund, der „ewig und alles wohl geordnet" ist, den Er, nicht mit
Abraham, sondern mit dem Herrn Jesus, der uuser Vundeshauvt ist, gemacht
hat. W i r denken nicht genug an jenen Vnnd, als an die große Tiefe, die
unter der Quelle vieler Wasser liegt, aus denen die Brunnen des Heils fort-
während mit dem lebendigen Wasser der Gnade gefüllt werden.
208 Alttestamentliche Bilder.

„Nie hättest du der Sünde Fluch


Gefühlt, und «ie des Heilands Lieben,
War' dein unwnrd'ger Nam' im Vuch
Des Lebens uicht geschrieben."
Wenn du nicht einen Anteil an jencm Bunde hattest, der in dem ewigen
Ratschluß gemacht ward, lange, ehe die Erde war, so hättest du sicherlich in
freudloser, hoffnungsvoller Dunkelheit leben undsterbenmüssen. Dies war der
Grund, weshalb Gott Israel seinen Sohn nannte. Einem alten Vllnde gemäß,
wurde Israel so angesehen. Wie tröstlich ist es, daß Er von dem Volk nicht
nur als seinem Volke spricht, sondern sagt: „Israel ist mein Sohn." Es ist
eine Liebe zwischen Vater und Sohn, die nicht anderswo gefunden werden
kann. Vlut ist dicker als Wasser. Verwandtschaft hat Vande, die nicht gelockert
werden können. „ J a , aber", sagt einer, „nennt Gott je in einer Stelle sein
Volk seine Söhne, ehe sie wiedergeboren sind?" Wohl, es ist ein Spruch da,
der sagt: „Weil ihr denn Söhne seid, hat Gott gesandt den Geist seines
Sohnes in eure Herzen, der schreiet: „Abba, lieber Vater." Weil in dem
Ratschluß Gottes die Seinen wirklick) seine Söhne sind, ehesieirgend etwas
davon wissen, so sendet Er ihnen zur bestimmten Zeit den Geist seines Sohnes,
um ihnen die Natur der Kinder zu geben, damit sie sich der Kindschast erfreuen
und sagen können: „Abba, lieber Vater." O Geliebte, es ist Wonne, zu
denken, daß der Herr, ehe wir geboren sind — ehe wir wiedergeboren sind
— uns mit einer Liebe anblickt, die nicht gemessen und nicht vernichtet
werden kann.
Der Kern dieser Anerkennung war: „Israel ist mein Sohn. D u ,
Pharao) magst ihn deinen Sklaven nennen, aber er ist mein Kind. Er war
mein, ehe er dein war. Israel ist mein Sohn. D u sagst: ,er ist mein
Leibeigner/ Ich sage, ob er auch unter dein Joch geraten ist, will ich mein
Recht an ihn als meinen Erstgebornen behaupten. Er ist ein Fürst, und zu
diesem Stand soll er emporgehoben werden." Der Herr hat Anspruch an die
Seinen — einen Anspruch, den alle Ansprüche des Gesetzes und alles Geschrei
der Sünde, des Todes und der Hölle niemals im stände fein sollen, zu
bestreiten; und obwohl sie niedrigerweise den Ansprüchen des Bösen sich fügten
und einen Vuud mit dem Tode und ein Einverständnis mit der Hölle geschlossen
haben, so soll doch Iehouahs Anspruch an sie feststehen, denn so spricht der
Herr: „Euer Bund mit dem Tode ist gebrochen und euer Einverständnis mit
der Hölle ist aufgehoben." (Ies. 28, 18.) Der Herr Jesus wird nicht dulden,
daß die, welche Er zu seinem Volke gemacht und durch den blutigen Kauf am
Kreuze erlöset hat, die Sklaven der Sünde und des Satans bleiben. Sie sind
sein. Sein Vater hatsieI h m gegeben. Sie sind sein: Er kaufte sie. Sie
sind fein; ihre Namen sind in feine Hände gefchrieben und in seine Hände
Der große Befreier. IY9

gegraben. Sie sind sein; Er wird nicht zugeben, daß auch nur ein einziger
in der Knechtschaft des Feindes bleibt. Indem Er so sein Volk anerkennt,
erhebt Er einen bestimmten Anspruch, der alle andren Ansprüche beiseite schiebt.
M i t der offenen Behauptung des abfoluten Rechtes v e r l a n g t E r i h r e u n -
bedingte F r e i h e i t . So sagt der Herr: „Israel ist mein erstgeborner Sohn; und
ich gebiete dir, laß meinen Sohn ziehen." Was für ein erhabener Vers ist dies!
Was für einen königlichen Befehl enthält er! Wie in der Erzählung von Kosmos
Gott sprach: „Es werde Licht," und es ward Licht, so werden in der Geschichte
des Auszugs kurze Worte mit unumschränkter Macht allsgesprochen: „Laß
meinen Sohn ziehen," Wohl hätte das stolze Herz Pharaos vor dem Allmächtigen
erbeben können, dessen Lippen ein Recht beanspruchten, das sein Arm äugen»
blicklich geltend machen konnte. Wie sehr passen diese Worte auf unsre Be-
freiung von der Herrschaft des Gesetzes. Das Gesetz beschließt die ganze
Menschheit nnter seinen Fluch, der Gott dieser Welt beansprucht das ganze
menschliche Geschlecht als seine Unterthanen. Als die Zeit erfüllet ist, erscheint
unser Erlöser. Der Herr Jesus kommt, macht sich den Geknechteten gleich,
trägt den Fluch, erfüllt das Gesetz und verlangt dann auf Grund einfacher
Gerechtigkeit völlige und vollkommene Freiheit für sie, da Er für sie das Gebot
erfüllt und für sie die Strafe getragen hat. „ L a ß meinen S o h n ziehen."
Unter welchem Vorwand könnte das Gesetz, außer wenn es gesetzlos und un-
gerecht wäre, einen Anspruch erheben, dem Genüge geschehen, oder ein Recht
geltend machen, das schon befriedigt ist? Nein, von der Herrfchaft des Gesetzes
ist Gottes Volk frei gemacht, uud seine Frende ist es, daß es hinfort nicht
unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade ist. Und wie herrlich klingen
diese Töne, wenn sie mit Macht und Kraft erschallen, um uns voll der
Tyrannei der Sünde und des Satans frei zu machen. Der Fürst, der in der
Luft herrschet, hält die Menschen in Unterwürfigkeit, er bringt ihnen Vorurteile
bei und verstopft so ihre Ohren gegen das Euangelinm, er versiegelt ihre
Allgen vor dein ewigen Licht, aber so spricht der Herr: „Laß meinen Sohn
ziehen," und angenblicklich schwindet das Vorurteil, das Ohr wird geöffnet,
ewige Wahrheit leuchtet in das Herz, die Schuppen fallen von den Augen,
die Seele sieht das himmlische Licht und beginnt zu frohlocken. Satan bindet
zuweilen die Seele mit schweren Bändelt. M i r sind Fälle bekannt, wo er
eine Seele mit eisernen Ketten der Verzweiflung niederhielt, die nicht zerbrochen
werden konnten. Der Mann sagte: „Es ist keine Hoffnnng," und gab alle
Gedanken an Vergebung und ewiges Leben auf, aber so sagt der Herr:
„Laß meinen Sohn ziehen." Die eiserne Bande wurde i n einem Augenblick
zerbrochen, und der Mann erhob sich zu Hoffnung und Freiheit, denn des
Herrn Stimme bricht die Fesseln. Fest gebündelt durch furchtbare Gewöhn»
heiten, die, wie es schien, unmöglich aufgegeben werden konnten, i n eine
S p u r g e o n , Alttestamentltche Bilder., 14
210 Alttestamentliche Bilder.

Sünde nach der andren gefallen, war hinter dem Mann eine eiserne Pforte
geschlossen und dann eine andre und noch eine andre, so daß er in dem
innersten Raum des Gefängnisses eingekerkert war. Aber um Mitternacht
ward er an die Seite geschlagen, als er in feiner sinnlofen Sorglosigkeit schlief.
Ein großes Licht schien um ihn: der Vundesengel war gekommen und führte
ihn durch Pforte auf Pforte, die eisernen Thüren thaten sich von selbst auf,
und der Mann fand sich frei und konnte kaum sagen, ob es wahr sei oder
nicht. Er wußte nicht, daß ihn: wahrhaftig solches geschähe, sondern es deuchte
ihn, er sähe ein Gesicht. Kaum war es geschehen, so fand er sich lebendig,
befreit von den Banden der Sünden, voll Erstaunen über sich selbst und
sprach: „Wie kann dies sein?" Seine Zunge war voll Singens und sein
Mund voll Lachens, und er sagte: „Der Herr hat Großes an mir gethan,
des bin ich fröhlich."
Wohl, Geliebte, die Töne jener erhabenen Stimme, die sprach: „Laß
meinen Sohn ziehen," werden fortwährend erklingen, so lange wir hienieden
sind. W i r sollen immer weiter ziehen. Diese herrliche Freiheit soll uns tag-
lich klarer werden. Sind wir nicht als Geschöpfe der Eitelkeit unterworfen
und mit Schwachheit umgeben? Bald follen wir von der Knechtschaft des
Fleisches befreit werden; unsre Leiber follen hinab in die Gruft gehen und
dort eine Zeitlang im Gefängnis des Grabes liegen, aber jene Stimme, die
uns zum geistlichen Leben wach rief, wird unsre Leiber auferwecken und sie in
das Auferstehungsleben Christi eingehen lassen. Durch die dunklen, traurigen
Grüfte wird die laute, freudige Stimme tönen: „Laß meinen Sohn ziehen,"
und es soll kein Knochen eines Gläubigen dahinten bleiben. Wie es vor
alters gesagt ward: „Nicht eine Klaue soll dahinten bleiben," so soll, nichts,
was dem erlösten Menschen gehört, im Hades oder im Grabe bleiben. „Die
Du mir gegeben hast, die habe ich bewahret, und ist keiner von ihnen ver-
loren," sagt Christus, und wahrlich, von Personen und Dingen — von allen
Menschen und von allem, was zu ihnen gehört und ihre Menschheit aus-
macht — soll nichts verloren gehen, sondern der Herr wird die Seinen haben
und seine Gnade soll triumphieren.
Diese Stimme Gottes ist eine Anerkennung seines Volkes und eine
Forderung ihrer Freilassung; aber nicht weniger ist sie ein Festsetzen ihrer
Bestimmung. „Laß meinen Sohn ziehen, daß er mir diene." O ja, Ge-
liebte, sobald wir frei vom Dienste Pharaos sind, beginnen wir Jehovah zu
dienen.
Und in welcher Eigenschaft diente Israel Gott? Es war in der er-
habensten Eigenschaft, die nur möglich ist. Israel ward hinfort Gottes Priester.
Israel war es, wo das Opfer dargebracht ward. I n Israel ward der Weih»
rauch gebrannt. Aus Israel stieg der heilige Psalm empor. Israel stand
Der große Befreier. 211

vor dem Herrn in jener hohen Stellung heiligen Vorrechtes. Gleicherweise


ist es mit einem Menschen, der aus der Knechtschaft der Sünde herausgeführt
wird, er briugt sofort dem Herrn das Opfer Christi im Glauben und geht
daun weiter und bringt sich selbst als ein lebendiges Opfer dar. So sind seine
Danksagung und sein gebrochenes und zerknirschtes Herz beständige Dar«
bringuugen und Opfer von süßem Geruch, der von Gott durch Iesum Christum
angenommen wird.
Israel wurde der Dieuer Gottes durch Aufbewahren des Zeugnisses.
Sein waren die Weissagungen, Israel bewahrte die Erkenntnis des einen
Gottes. Israel bewahrte die Offenbarungen des Höchsten. Während die ganze
Welt draußen finster war, bewahrte Israel das Licht. Zu diesen! Zwecke,
Brüder, siud wir in gleicher Weise von Gott berufen. Wenn Er uns aus
dem Ägypten der Sünde herausgeführt hat, so sollen wir täglich Opfer dar«
bringen, täglich Zeugnis für die Wahrheit ablegen. Und o, wenn wir das
nicht thun, wenn wir durch Unglauben zu wauken beginnen, oder mit ver«
haltenem Atem von der Wahrheit sprechen, die uns so deutlich kuud gethan
ist; wenn die Menschenfurcht oder die Mode der Zeit unsre Herzen verführe»,,
unsre Augen verdunkeln, nnser gutes Bekenntnis verleumden und unsren ge»
stlnden Verstand so gänzlich bethören sollte, daß wir erröteten, unser Zeugnis
abzulegen — welche Schani müßte uns bedecken, welche Verwirrung müßte
uns ergreifen! Aber gelobt sei sein Name, Er wird die Seimgen seinem
Worte treu bewahren. Wenn es möglich wäre, so würden die Freidenker und
die falschen Lehrer unsrer Tage auch die Allserwählten verführen, aber das
ist außer Frage; es ist außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. „Alle deine
Kinder sollen vom Herrn gelehret sein;" und sie sollen feine Wahrheit halten
und Zeugnis davon ablegen bis ans Ende der Welt.
Israel sollte hinfort Gottes Diener sein und I h m durch einen Wandel
im Glauben dienen. Was für ein wundervoller, vierzigjähriger Wandel war
jener in der Wüste! Sie kamen ihrer hohen Bestimmung nicht nach, dennoch
war der Geist jenes geheimnisreichen Zuges äußerst wundervoll. Ohne Säen
und Ernten wnrden sie gespeist; mit Wasser versorgt ohne Quelle, Wasser»
behälter oder S t r o m ; geführt über Flugsaud ohne Kompaß und ohne eine
Spur eines betretenen Pfades. Dennoch hatten sie stets gute Speise, gute
Wohnung, und, was noch wunderbarer war, ihr Lager war gut beschattet am
Tage und gut erleuchtet in der Nacht. Sie hatten eine auserlesene Erfahrung
von dem Nichts-Haben und doch Alles-besitzen. Ohne fruchttragende Felder
oder fruchttragende Bäume lebte Israel doch vou dein Fett der Nieren des
Weizens (5 Mose 32, 14) und fuhr hoch her auf Erden. Es hatte alles
und es hatte Überstuß. Der Herr war sein Hirte und ihm mangelte nichts.
14*
212 Alttestamentliche Bilder.

Wir werden oft berufen, Gott zu dienen, und das in sehr ersichtlicher
Weise, obgleich wir uns dessen wenig bewußt sein mögen, wenn von uns ver-
langt wird, im Glaubeu zu wandeln. Dies ist das Werk Gottes, das groß-
artigste Werk, das ein Mensch thun kann, — an Den glauben, den Er ge-
sandt hat. Das gottähnliche Werk, das Werk der Werke ist dies, im Glanbcn
zu wandeln, aus dem unsichtbaren Gott sein Leben zu schöpfeu.
Israel sollte Gottes Diener sein, indem es beständig in glücklicher Ge-
meinschaft mit I h m lebte und I h m heilige Verehrung darbrachte. Nirgend
anders in der ganzen Welt ward ein Passah oder ein Laubhüttcnfest gehalten,
um I h n zu ehren, und nirgend anders ward der Sabbat geheiligt und be-
obachtet. Bei ihm allein wohnte Jehovah und unter ihm erschien seine
Herrlichkeit. Und so, Geliebte, wenn ihr und ich aus der Knechtschaft heraus
berufen werdet, so ist es, damit wir dem Herrn dienen. Leben wir alle uusrer
Verpflichtung gemäß? Sind wir unsrem hohen Berufe treu? Thnu wir die
uns auferlegte, heilige Pflicht? Wenn jemand hier heute abend aus der Hand
des Verderbers erlöset, von der Knechtschaft dieser argen Welt befreit, aus der ver»
dammeuden Macht der Sünde errettet ist, so wisse der, daß er, wenn er ein
Korps verläßt, in ein andres eintreten muß; er kommt frisch ans des Feindes
Lager herüber, nicht um als Gefangener, sondern um als Nekrut behandelt zu
werden. D u mußt in die Reihen eintreten, um die Mächte und Begierden zu
bekämpfen, die du einst verteidigtest. Gott will dich zu seiuem Diener haben,
damit du I h m dein lebenlang mit Freude» und Fröhlichkeit dienen mögest.
So habe ich ench die Stimme Gottes erklärt, so weit meine Zeit uud
Kraft und Kenntnis es gestattet hat.

II.
Nnn, zweitens war hier d i e K t i m m e des Menschen. Was für ein
Herunterkommen scheint das zu sein! D u sollst zu Pharao sagen: So sagt
der Herr: „Laß meinen Sohn ziehen." Waium sagte der Herr dies nicht
selber? Warum mußte Er sich einen Mose erlesen uud den senden, dies zu
sagen? Wohl, lieben Freunde, hätte der Herr selbst es zu Pharao gesagt, so
wäre es sehr ' erschreckend gewesen und Pharao müßte zuletzt dem göttlichen
iiat nachgegeben haben: aber seht ihr nicht das tiefere Wunder in dem
milderen Verfahren, wenn Jehovah, sozusagen, seine Macht verbirgt uud sie
iu Schwachheit kleidet? Austatt zu Pharao mit jeuer Stimme zu reden,
welche die Zedern des Libanon zerbricht und die Hinden erregt M a l m 29),
spricht Er zu ihm durch einen, der eine schwere Sprache und eine schwere
Zunge hat.
Nun, wenn Gottes Stimme Pharao besiegen kann, wenn sie sich hinter
der Schwäche eines stotternden, stammelnden Mose verhüllt, so ist sie herrlicher,
Der große Befreier. 213

als wenn sie sich gar keines Werkzeugs bedient hätte. Warum spricht der
Herr nicht zu jedem Sünder direkt und führt ihn heraus und errettet ihn?
Wohl: Er könnte dies thuu. Er könnte es thun, wenn Er wollte; aber wenn
Er sich statt dessen herabläßt, uns arme Sterbliche zu nehmen, die seine Liebe
geschmeckt haben, und zu uus zu sprechen: „Nun geht Hill uud seid meiue
Stimme, geht hin uud sprecht für mich," o, dann sind seine Gnade und Macht
nicht weniger sichtbar, aber sie sind weit bewundernswürdiger! Indem Er so
ungeeignete Werkzeuge zur Ausführung seiner großen Absichten braucht, zeigt
Er seine eigne erhabene Macht. Jener berühmte Bruunendeckel zu Antwerpen,
gerade gegenüber der Kathedrale — eines der schönsten Stücke bearbeiteten
Eisens, die man kennt — soll von Q u i n t y n M a t s y s gearbeitet worden sein
mit nichts als einem Hammer und einer Feile, da seine Mitarbeiter ihm seine
Werkzeuge genommen hatten. Weuu es sich so verhält, so gebührt seiner
vollendeten Geschicklichkeit um so mehr Lob. Alle Werke Gottes gereichen zu
seiner Ehre: aber wenn die Werkzeuge, die Er gebraucht, den Resultaten, die
Er hervorbringt, ganz unangemessen erscheinen, so wird unsre Ehrfurcht erhöht,
während unsre Vernunft gedemütigt wird und wir über eine Macht staunen,
die wir nicht verstehen können. Dies trifft unsrer einige sehr. Laßt es uns
auf Ulis selbst anwenden. Nimmt der Herr dich, mein Bruder, oder hat Er
mich geuommen; und spricht Er Worte ewiger Macht durch unsre armselige
kleine Zunge: dieses uuleuksame Glied, das so geueigt ist, Übels zu thuu?
Wenn Er wirklich Seelen durch sie gewinnt oder den Stolz Pharaos durch
sie herunterbringt, dann soll es durch die Ewigkeit hindurch töueu, daß der
Herr wuuderbare Dinge gethan hat. Er hat das Würmlein genommen und
und es zum „scharfen, neuen Dreschwagen gemacht, der Zähne hat" und ihn
Verge zerdreschen lassen. Er hat erwählt, was schwach ist vor der Welt, daß
Er zu schänden mache, was stark ist. Aus dem Munde der jungen Kinder
uud Säuglinge hat Er eine Macht zugerichtet, nm seiner Feinde willen, daß
Er vertilge den Feind nnd den Nachgierigen. Seinem Namen sei Ehre von
Ewigkeit zu Ewigkeit.
Die Schwachheit der menschlichen Stimme erscheint nie deutlicher, als
wenn sie versucht, die Worte zu wiederholen, die von dem Munde des Herrn
gesprochen sind. Mose scheint zu glauben, daß irgend ein Mißverständnis da
sein muß. Kaun es sein, daß Gott beabsichtigt, Israel durch ihn aus Ägypten
zu führen? Wenn immer Gott beschließt, seine Diener außerordentlich nützlich
zu inachen, so läßt er sie ihre Gebrechlichkeit fühlen. Je mehr Schätze in
dem Gefäß sind, desto weniger wird seine Schönheit gerühmt werden. Es ist
bloß gemeine Ware, ein irdenes Gefäß; auf daß die überschwengliche Kraft
sei Gottes und nicht unser. Aber, als Mose fand, daß er wirklich von Gott
beauftragt war, wie wenig fürchtete er da den Spott! Er ging hinein zu
214 Alltestamentliche Vilder.

Pharao und richtete seines Herrn Votschaft aus. Die Zusammenkunft mit
Mose und Aaron muß dem Pharao ungemein lächerlich erschienen sein. Sie
versetzte ihn in große Wut. Diese zwei Israeliten, elende Sklaven, kommen,
dem großen König Ägyptens zu sagen, daß er Israel ziehen lassen müsse.
Wie abgeschmackt! Selbst den Israeliten muß es widersinnig vorgekommen
sein, daß zwei solche Leute wie diese zu dem König hineingingen. Wie, mit
einem Wort hätte er sagen können: „Schlagt den Hunden die Köpfe ab,"
und so die ganze Sache mit einem M a l beendigt haben. Doch gingen sie
und bolen ihm in seinem königlichen Palast Trotz und überbrachten ihm, was
er für eine eitle Drohung halten mochte, wovon sie aber wußten, daß es eine
wahre Votschaft Gottes sei.
Unbedeutend, wie wir in uns selber fein mögen, so mag doch die bloße
Thatsache, daß Gott uus lehrt, was wir sprechen sollen, hinreichen, unsre
Furcht zu verscheuchen. W i r müsseu gehell und des Herrn Votschaft ausrichten
und nicht bange davor sein, für thöricht gehalten zu werden. Wenn ich zu»
weilen einen Süuder geheißen habe, zu leben und an Christum zu glaube«,
habe ich ein Murmeln gehört: „Was nützt es, einem Toten zu sagen, daß er
leben solle?" Irgend ein weiser Bruder hat gesagt: „Sie könnten ebensogut
ein Taschentuch über einem Grabe schwingen." J a , Arnder, das ist wahr —
ganz wahr. Mose könnte auch ganz ebensogut ein Taschentuch draußen vor
Pharaos Palast geschwungen haben; aber als Gott ihm befahl, hinzugehen
und Pharao zu sagen, daß er sein Volk ziehen lasse, da ging er hin und that
es. Und wenn der Herr einem voll uns befiehlt, zu eiuem Sünder zu gehen
und zu sagen: „Glaube," so können wir keinen Glauben in dem Sünder
wirken, und er selbst kann es auch nicht; aber der von Gott gesandte Prediger
ist ein Echo der Stimme Gottes; Gott spricht durch ihn; er ist beauftragt, mit
Autorität den Sündern zu sagen: „Kehret uni, kehret um, warum wollt ihr
sterbe»? Thut Buße uud lasse sich ein jeglicher taufen." Es ist uns geheißen,
in bestimmter Weise zu sprechen, als Gesandte des Königs; nicht in irgend
einem Vorrechte, das wir uns beilegell, sondern darin, daß wir uns an das
Gewissen eines jeglichen wenden (2 Kor. 4 , 2) liegt die Kraft unsrer Votschaft.
Die Stimme, die durch den stotternden Mose spricht, ist göttlich, ungeachtet des
Spottes, mit dem sie überhäuft werden mag.
Mose darf sich, da er einen solchen Befehl zum Hingehen und Reden hat,
nicht durch. Weigerung abschrecken lassen. „Ich weiß nichts von dem Herrn,"
sagte Pharao, „will auch Israel uicht lassen ziehen." Nun, lieber Bruder,
du kannst nicht Seelen gewinnen, wenn du nicht vorbereitet bist, sehr starke
Abweisungen zu erhalten. Ach, aber manchen bricht das Herz, wenn sie
irgend welchen Widerstand finden. I h r könnt das erwarten. Die alte mensch-
liche Natur weiß nichts von dem Herrn. I h r erinnert euch, wie Melanchthon
Der große Befreier. 215

dachte, eilte große Anzahl Leute zu bekehren, als er zu predigen begann, aber
als er seinen I r r t u m einsah, sagt er: „Der alte Adam ist zu Nark für den
jungen Melanchthon." Das ist er. I h r werdet stets dann und wann auf
etwas Kies stoßen und euer Messer wird brechen. Seid nicht verzagt, der
Herr wird euch schärfen und stärker und immer stärker machen; denn sogar
jener Pharao, der sagte: „ich will das Volk nicht ziehen lassen," wird bald
auf seinen Knieen liegen nnd das Volk bitten, wegzuziehen. W i r müssen auf
Widerstand gefaßt sein und weder weichen noch beben, sondern uns zum
Kampfe stählen.
Der Mann, den Gott aussendet, sollte anch des Erfolges gewiß sein.
Ich bin überzeugt, daß Mose, nachdem er über die ersten kleinen Schwierig'
leiten mit dem Volke hinweg war und seine eigne Schüchternheit besiegt hatte,
nicht mit Zweifel seine Votschaft ausrichtete, sondern stark im Glauben war.
Da stand er mit seinem wunderbaren Stabe, verwandelte das Wasser in Blut
und tötete all ihre Fische, bedeckte die Himmel mit Finsternis, wandelte den
Staub in lebendige Geschöpfe, brachte Hagel und schwere Viehseuche, und that
dies alles so gelassen und rnhig, wie der es thun sollte, der fühlt, daß er die
Stimme Gottes ist. Wie standhaft beharrte er ill seinem Werke! M i t
welchem Fleiße sehte er es fort, bis zuletzt die zehnte Plage ihn unbewegt fand,
bereit, das Volk ails Rote Meer zn führen und es in die Wüste zu bringen!
O, Diener Gottes, feid ruhig uud vertrauensvoll. Fahrt fort, das Evangelium
zu predigen. Fahrt fort, in der Sonntagsfchule zu lehren. Fahrt fort,
Traktate wegzugeben. Fahrt fort, mit steter Beharrlichkeit. Seid dessen gewiß,
ihr sollt nicht vergeblich arbeiten, noch eure Kraft unnütz zubringen. Stottert
ihr immer noch? Habt ihr immer noch eine schwere Sprache? Desungeachtet
fahrt fort. Seid ihr getadelt uud zurückgewiesen worden? Habt ihr wenig
andres als Niederlagen? Dies ist der Weg zum Erfolg. I h r werdet die
Straße chaussieren mit den ranhen Kieselsteinen eures Mißlingens. Arbeitet
weiter und glaubt weiter. Seid beständig in eurem Vertrauen, denn mit hoher
Hand und ausgerecktem Arm wird der Herr seine Erwählten ausführen, und Er
wird einige durch euch ausführen. Vertraut uur auf den Herrn uud beharrt
in dem ruhigen Gange eures Weges.

III.
Unser letztes Wort ist über die Wacht Gottes. Ohne die Macht
Gottes würde die Stimme des Menschen ganz erfolglos gewesen sein.
Welche Wirkung wnrde durch die Stimme des Mose hervorgebracht?
Ging nicht mit ihr zugleich eine Macht aus, die Ägypteu plagte? Sie füllte
das sündige Land Ägypten mit Plagen. So füllen Männer, die Gottes
Evangelium mit Gottes Macht predigen, die Welt mit Plagen. „Ich weiß das,"
216 Alttestamentliche Bilder.

sagt jemand, „ich wünschte, ich hätte nie diesen Menschen gehört. Ich konnte
letzte Nacht nicht schlafen." Nein, die Frösche waren in seine Schlafkammer
gekommen. Der wahre Prediger findet feinen Hörer zuweilen sagen: „Ich will
niemals wieder hingehen. Wo ich auch bin, scheine ich von der Wahrheit
verfolgt und gequält zu werden, welche jener Mann so kahl und kühn sprach.
Die Gebote, die er einschärft, sind den Vorurteilen entgegen, die mir teuer
sind, sie beunruhigen men: Gewissen und plagen mich unaufhörlich." J a ,
Gott hat eine einfache Predigt alle Arten von Ungeziefer hervorbringen lassen
— Gedanken, die einen Menschen stechen, wohin er auch geht, und er kann
ihnen nicht entfliehen. Er sperrt und sträubt sich gegen das Evangelium —
empört sich dagegen, will es nicht haben — wird zornig, geht den einen Abend
zum Theater, nimmt den andren an einem Gelage teil, aber vergebens, er
hat an nichts Freude, er weiß kaum, warum? Zuweilen kommt eine dichte
Finsternis über das ganze Leben, wie die Finsternis über das ganze Land
Ägypten kam. Alles, was schön und glänzend war, ist nnn verdunkelt. Alles,
was angenehm und freudig war, ist null getrübt. Der Mann findet, daß er
sich nicht einmal der gewöhnlichen Annehmlichkeiten des Lebens mehr erfreuen
kann. Er weiß nicht warum. Er beabsichtigt nicht, dein Evangelium nach-
zugeben, doch sogar sein Brot scheint sauer und das Wasser, das er aus dem
Vrnnnen schöpft, ist salzig und bitter. Seine Leiden mehren sich und kommen
in schneller Reihenfolge eins nach dem andren. Nun ein Hagelwetter, das Zer-
störung zurückläßt, dann eine schwere Seuche unter dem Vieh. Die Hand des
Herrn ist nicht auf das Landwesen beschränkt. Sie wird dein Haus heimsuchen.
Sein furchtbares Gericht erreicht deine Familie, deine zärtlichste Liebe, deinen
erstgebornen Sohn. Wie vor alters, so geht ein Geschrei auf von Ägypten-
land, so daß es unerträglich ist, dort zu bleiben, und dann reckt Gott seinen
Arm aus in den großen Plagen, die sein furchtbares Gesetz über den Menschen
bringt. Wenn Er ihn herausführen und zu sich selber bringen will, so werden
Gottes Diener die Vorboten der Plagen. Jesus selbst sagte: „Ich bin nicht
gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert." Dieses Schwert wird
aus der Scheide gezogen und Familien werden geteilt, eins wider das andre,
mit der großen Absicht, daß Israel herausgeführt und Friede gestiftet werden
soll durch die Erlösung, die Jehovah verordnet hat.
Was wird alsdann geschehen? Nuu, der Unterdrücker wird froh sein,
wenn seine Knechte gehen. Es geschieht zuweilen, daß die Ungöttlichen selber
froh sind, Gottes Erwählte los zu werden. „ I h r Trübsinn paßt schlecht zu
unsrer Lebhaftigkeit", sagen sie. Sie thaten alles, was sie konnten, sie in ihre
Gesellschaft einzuladen und sie wieder zu ihren Leichtfertigkeiten zurückzuführen;
sie legten ihnen Fallen, um sie vom Hören des Evangeliums abzuhalten; aber
nun der Herr begonnen hat, an ihnen zu wirken, da sagten ihre alten Ge-
Der große Befreier. 217

fährten: „ N u n müssen wir sie aufgeben." „Ich habe alles versucht, was ich
konnte, unsren alten Kameraden zu unsren alten Gelagen zurückzubringen,"
sagte der eine, „aber wirklich, er sagte solche Dinge, daß er all unser Ver»
gnügen vergiftete. W i r konnten nicht froh sein, darum sage ich, wir wollen
ihn los werdend Laßt ihn nicht mehr i n unsrer Gesellschaft sein." J a , es ist
ein Großes, wenn das Predigen des Evangeliums bewirkt, daß die Gottlosen
wünschen, die Bekehrten von ihren Kreisen fern zn halten. „ O , geh weg
nach dem Tabernakel: wir wollen dich hier nicht; du hast uns genug mit
deiner Religion geqnält und mit deinen Gebeten und deinem Schreien nnd
Weinen und deinen Neden davon, daß du verloren seiest uud eiuen Heiland
finden wolltest. D u bist schlechte Gesellschaft und es ist besser, du gehst."
Eine Dame, die vor einigen Jahren i n diese Gemeinde eintrat und die sich
in den höheren Kreisen der Gesellschaft bewegte, sagte zu m i r : „Ich war ganz
willig, den Umgang mit nieinen Freunden fortzusetzen, aber ich fand, daß sie
mich kalt behandelt«! und mich nicht wollten." Gradeso. Es ist ein sehr
Gutes, wenn die Ägypter sagen: „Ziehet aus," nnd wenn sie bereit sind, ench
ihre silbernen nnd goldenen Geräte zu gebeu, um euch nur los zu werden.
Der Herr will, daß sein Volk ganz herauskommt und abgesondert ist; Er weiß
dnrch das einfache Aussprechen des Evangelium eine solche Scheidung zwischen
seinem Volk und denen, die nicht sein Volk sind, zu setzen, daß selbst die Gott-
losen anfangen zu sagen: „Ziehet aus, wir wolle» nichts weiter mit ench zn
thnn haben." Ehre sei Gott, wenn so etwas geschieht.
Und der Herr weiß allen Widerstand aufhören zu lassen, denn es steht
geschriebell, daß, als Israel alls Ägypten zog, nicht ein Huud gegen die
Kinder Israels nmckte. Früher waren sie solche Sklaven, daß sie, wenn ein
Hlind sie anbellte, nicht wagten, sich gegelt ihn zu weuden, aus Furcht, daß
es der Hund eines Ägypters sein könne, der es sie sicher entgelten ließe, wenn
sie seinem Hnnde etwas anthälen. Wie darf ein Sklave das wagen? Jeder
war gegen sie. Aber als der Herr sie herausführte, war keiu Hund, der in
dieser Nacht zu bellen wagte. Die Ägypter wünschten alle, daß sie gehen
sollten und trieben sie dazu; uud auch Pharao muß seine Unterthanen in
Staunen gesetzt haben durch seinen plötzlichen Eifer, dies sonderbare Volk
ziehen zu sehen.
Wißt ihr, was das bedeutet? O, was für Gefechte und Streite, was
für Kriege und Kampfe waren in meiner Seele, als ich versuchte, Christum
zu finden! Meine alten Sünden kamen heranf gegell mich, mein Gedächtnis
holte begrabene Übertretungen wieder aus der Erde hervor; Fehler und Fehl-
tritte hänften sich an wie eine Flut uud drohten mich zu überwältigen. Alles
in meinem beständigen Forschen und i n meinen täglichen Erfahrungen schien
mich von Christo Hillweg zu treiben. Aber an jenem denkwürdigen Sabbat»
218 Alttestamentliche Vilder.

lnorgen, als ich das Wort hörte: „Blicket auf mich und seid errettet, alle
Enden der Erde," da blickte ich, und siehe, kein Hund rührte seine Zunge
gegen mich. Meine Sünden klagten nicht. Sie waren ertränkt in dem Noten
Meer des Blutes Jesu. Meine alten, verderbten. Neigungen — ich wußte zu
der Zeit nicht, daß ich welche hatte, so ruhig waren sie. Versuchungen hatten
aufgehört, mich zu quälen. Für diese kleine Weile wenigstens schien der
Krieger sein Schwert in die Scheide zu stecken und der Ziegelbrenuer legte
seinen Thon hin, um aus Ägypten zu gehen mit silbernem und goldenem
Geräte. Ich konnte dem Herrn singen, denn Er hatte herrlich triumphiert.
Ich bin einigen dieser alten Ägypter später wieder begegnet, einer guten Anzahl
derselben, und ich habe harte Kämpfe mit ihnen gehabt; aber zu jener Zeit war
alles still und ruhig, glücklich und selig.
M i t dem Passahlamm in unsrem Munde wagt niemand, uns herauszu»
fordern. Das Blut an der Thür ist eine uuwiderlegliche Antwort für jeden
Ankläger, Tadler oder Gegner.
Ehre sei Gott, der so die Seinen herausführen nnd sie von ihren
Sünden, ihren Lüsten, ihren Gewohnheiten, ihren Leidenschaften befreien kann,
— sie vom Tode befreien kann — sie davon befreie» kann, in den Abgrund
hinabzugehen, und sie so befreien, daß niemand sie anklagen kann, da Gott sie
gerechtfertigt und Christus sie freigesprochen hat. Möge der Herr uns Gnade
geben, als seine Werkzeuge gebraucht zu werden, wie Mose es ward, und möge
jeder von mis zum Herrn schreien, wenn wir in Knechtschaft sind, so wie
Israel in Ägypten schrie. Der Herr sende in seiner Gnade in betreff jeden
armen Sünders hier gerade solche Votschaft, wie Er sie ill betreff seines Volkes
im Hause der Knechtschaft sandte. So sagt der Herr: „Laß meinen Sohn
ziehen, daß er mir diene." Wenn Er so unter uns wirken will, wie in den
alten Zeiten, so soll fein die Ehre jetzt, ja, und in Ewigkeit. Amen.
Krieg mit'Amalek. 219

15
Krieg mit Amalek.
„Da kam Amalek und stritt Wider Israel in Raphidim."
2 Mose 17, 8.

( 3 s waren zwei große Anfechtungen, welche die Kinder Israels zu er-


dulden hatten, während sie zu der verheißenen Nuhe zogen, — ihren Mangel
und ihre Feinde; aber ich muß eine dritte hinzufügen, die aus diesen beiden
durch den Unglauben ihres Herzeus entsprang; das dritte Übel, viel schlimmer
als die beiden andren, war ihre Sünde. Wahrscheinlich, ineine Brüder, habt ihr
nachgerade herausgefunden, daß ihr zufrieden euren Mangel ertragen könntet
und mutig mit euren Feinden fechten, wenn ihr nicht durch eure Süuden ge-
schwächt uud gehiudert wäret.
Des Menschen schlimmste Feinde sind seine eignen Hausgenossen. Was
Israels Mangel betrifft, so denke ich, könnte man ihm Glück wünschen, daß
es ihn kennen lernte; denn gesetzt, sie hätten Proviant genug von Gosen mit
sich nehmen oder durch Handel treibende Lieferanten versorgt werden können,
so würden sie nie so geehrt worden sein, von dem Manna zu esseu, das vom
Himmel siel; und gesetzt, ein Kanal wäre gegraben, der längs ihres ganzen
Weges durch die Wüste geflossen wäre, oder sie hätten eine Reihe von Brunnen
dicht bei den Orten, wo sie ihre Zelte aufschlugen, gefunden, dann hätten sie
nie ails jenem wunderbaren Felsen getrunken, aus desseu Stein das Wasser
sprudelte, von dem der Apostel uns sagt, daß es Christus gewesen sei, oder
ein besonderes Vorbild Christi. Sie waren Hoflente, die vom Tisch des
Königs der Könige gespeist wurden; sie waren so hoch erhaben, daß sie Engel-
fpeise aßen. I n diesem Lichte muß man sie beglückwünschen um ihres Mangels
willen, denn sollst hätten sie weder Manna gegessen noch von dem Wasser aus
dem Felsen getrunken. Und ihr, Geliebte, seid ungefähr in demselben Fall.
Der Tag wird kommen, wo ihr in klarerem Lichte, als dieses, Gott für eure
Bedürftigkeit danken werdet und mit dem Apostel sprechen: „Darum will ich
mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi
220 Alttcstamentliche Bilder.

bei mir wohne;" und wiederum: „Deun wenn ich schwach bin, so bin ich
stark." I h r werdet Gott danken, daß eure Bedürftigkeit den Boden bildete,
auf dem seine Vorsehung ihre Sorge entfalten konnte, daß eben diese Wüste
eine Wohlthat für euch war, weil Er euch iu ihr einen Tisch bereitete, und
es euch hätte Überlassen können, einen für euch selber zu bereiten, wenn es
nicht in der Einöde gewesen wäre. Was die Feinde anlangt, welche die
Kinder Israels angriffen, so hätte ich fast gesagt, daß man ihnen sogar dazu
Glück wüuschen könne, denn grimmig, wie diese auch waren, so hätten sie doch
nie Siege erringen können, wenn sie keine Schlachten gekannt hätten. Die
Feinde Israels waren nur ebenso viele Garben, die seinsiegreichesSchwert
einerntete. Wie die wilden Tiere des Waldes dem Jäger Nahruug gewähren,
so waren die Hasser Israels wie eine Beute für die tapferen Männer. Über
jeden Feind seines Volkes behielt die Rechte des Herrn glorreichen Sieg. Auch
ihr, Brüder, werdet Ursache haben, dein Herrn für all eure Feinde zu danken.
Wenn euer Leben eins in beständigen! Frieden wäre, so ist es klar, daß keine
Triumphe da sein konnten; wenn keine Feldzüge des Krieges wären, so würde
es kein Jauchzen der Sieger geben und keine Trophäen in die Hallen des
Gedächtnisses aufzuhängen. O, wenn wir von Sünden fern gehalten, wenn
wir vor ihrer Macht bewahrt bleiben können, so mögen wir wohl dankbar für
Mangel sein, sogar dankbar für Feinde, wenn wir sie ill dem Lichte der
Feuersäule der verheißenen Gegenwart Gottes betrachten. Aber uusre Sünden!
nnsre Sünden! unsre Sünden! was sollen wir mit ihnen thun? Wenn nicht
das siegreiche Blut wäre, durch welches wir überwinden, so möchten wir uns
wohl in Verzweiflung niederlegen, denn wer unter uns kann allein und bei»
standlos es mit seinen Sünden aufuchmen?
Heute morgen wollen wir den Krieg mit Amalek als eine vorbildliche
Darstellung der Erfahrung des Volkes Gottes betrachten, und unser Gebet ist,
wir möchten so sprechen, daß diejenigen, die sehr beunruhigt und leidend sind,
einigen Trost aus der vorgetragenen Wahrheit. schöpfen und daß zaudernde
Heilige angeregt würden, die Schlachten ihres Herrn zu fechten, damit nicht
der Flnch über sie ergehe: „weil sie nicht kamen dem Herrn zu Hilfe, zu
Hilfe, dem Herrn zu den Helden." Wir wollen den Text auf dreierlei Weife
gebrauchen, zuerst: als ein V i l d der Erfahrung jedes einzelnen Christen;
zweitens: als eine Darstellung der Geschichte jeder einzelnen Ge-
meinde; und drittens: als eine vorzügliche Beschreibung der Ge-
schichte der ganzen Gemeinde des lebendigen Gottes von ihrem
ersten Tage an bis zu ihrem Schlüsse.
I.
Zuerst also, wir haben hier die E r f a h r u n g jedes einzelnen
Christen.
Kriea. mit Nmalek. 221

Beachtet, die Kinder Israels waren ans der Knechtschaft befreit nnd
hatten Ägypten hinter sich gelassen, eben wie ihr nnd ich ans nnsrem natürlichen
Znstande errettet nnd nicht mehr die Knechte der Sünde sind. Sie wareil er-
löset worden durch das Blut, das auf die Thürpfosten und die Schwelle ge-
sprengt war, und auch uusren Seelen ist die Erlösung zn teil geworden, nnd
wir wissen, daß Gott ans das Blut gesehen und an nns vorübergegangen ist.
Sie hatten das Passahlamm gegessen, wie wir es gethan, denn Iesns ist uns
Speise und Trank geworden, nnd unser Seclenhunger ist durch I h u gestillt.
Sie waren von ihren Feinden verfolgt worden, wie wir uon unsren alten
Sünden, aber sie hatten all diese wütenden Feinde ill dem Noten Meer er-
tränkt gesehen, durch das sie trocknen Fußes gcgangeu waren; nnd anch wir
haben uusre vergangenen Sünden auf immer begraben sehen ill dem Noten
Meer des versöhnenden Vlntes. Unsre Missethaten, die uns ill das Ägypten
der Verzweiflung zurückzutreiben druhten, sind auf ewig verschwunden; sie
sanken wie Blei in den mächtigen Wassern, die Tiefe hat sie bedeckt — es ist
nicht eine von ihnen übrig; Israel sang ein nenes Lied auf der andren
Seite des Meeres; nnd anch wir haben uns in unsrem Gott gefrent, und
gleich Mirjam haben wir die lallte Zimbel des Preises erschallen lassen und
mit heiliger Freude getanzt, während uusre Lippeu das Siegeslied gesungen:

„Lasset uns dein Herrn singen,


Denn Er hat eine herrliche That ziethan."

Viele voll uns sind jetzt frei voll dem Joche der Sünde und des Satans,
und als des Herrn Freie rühmen wir seinen Namen. O, daß wir alle in
solch glücklichem Zustande wären!
Die Kinder I s r a e l s hofften wahrscheinlich ans Nuhe uud ver-
gaßen, daß das verheißene Land noch viele Tagereisen vor ihnen lag. Uner-
fahrenheit und kindisches Wesen machten, daß sie erwarteten, unnnterbrochenes
Singen nnd Feiern würde forldnnern, und es gab eine Zeit, wo wir dieselben
thörichten Hoffnungen hegten. W i r sagten zu uns: „Laßt uus im Frieden
sein, denn der Krieg ist vorüber; nnn können wir gemächlich leben. Pharao
ist erträllkt; die Rosse und Wagen sind wie Blei ill den mächtigen Wassern
gesuukeu; keine Peitsche der Fronuögte mehr, keine Ziegel ohne Stroh zu
machen, nicht länger werden wir von einem grausamen Volke niedergetreten
und von der Arbeit in der Ziegeihtttte erschöpft werden; uon einer hohen
Hand und einem niächtigen Arm sind wir herausgeführt; laßt uns freuen und
fröhlich sein, laßt uns all nnsre Tage froh sein nnd durch die Wüste tanzen."
Das war die Stimme unsrer Unerfahrenheit uud Thorheit; wie bald waren
uusre keimendeu Hoffnungen durch eitlen unerwarteten Frost geknickt! denn
wie Israel hatten w i r b a l d T r ü b s a l e . Plötzlich überkam uns der Hunger
222 Alttcstamelltliche Bilder.

und Durst, de» nur des Himmels Liebe zu stillen vermochte; und als wir es
uns am wenigsten träumen ließen, brach der grimme Amalek der Versuchung
wie ein Wolf in die Herde ein. Junger Christ, wähne nicht, daß, sobald du
bekehrt bist, dein Kampf vorüber sei, sondern schließe daraus, daß dein Streit
jetzt begonnen hat. Manche Leute betrachten die Wiedergeburt als die Ver-
ä'uderung der alten Natur in eine neue; die Erfahruug lehrt uns, daß dies
eine sehr falsche Beschreibung der neuen Geburt ist. Bekehrung und Wieder-
geburt ändern nicht die alte Natur; diese bleibt immer noch dieselbe. Aber
bei unsrer neuen Geburt wird eiue neue Natur, ein nenes Prinzip in uns
hineingelegt, und dieses neue Prinzip beginnt sofort einen Kampf mit dem
alten Prinzip; daher sagt uns der Apostel von dem alten Menschen und dem
neuen Menschen; er spricht von dem Fleisch, das wider den Geist geliisiet, und
von dem Geist, der wider das Fleisch kämpfet. Ich kümmere mich nicht
darum, was die Lehrmeinungen eines Menschen über diesen Gegenstand sind;
ich bin gewiß, daß die Erfahrung der meisten von uns ganz klar beweisen
wird, daß zwei Naturen in uns sind, daß nur eine zusammengesetzte Ve>
schreibung uns überhaupt beschreiben kann; wir finden eine Gesellschaft von
zwei Herren in uns, und der Kampf geht fort, und wird, wenn irgend etwas,
heißer mit jedem Tage. W i r glauben, daß das rechte Prinzip stärker wird,
uud mir hoffen, daß 'dnrch die Gnade das böse Prinzip geschwächt und ab»
getötet wird; aber gegenwärtig ist es für die meisten von uns ein scharfer
Streit, und wäre die göttliche Kraft nicht da, so möchten wir unsre Waffen
in Hoffnungslosigkeit von uns werfen. Junger Christ, du hast ein Leben des
Kampfes begonnen, des sei gewiß. D i r wäre nie gesagt worden, daß du
„als ein guter Streiter Jesu Christi leiden solltest," wenn es nicht so wäre.
D u mußt jenes Schwert nicht in die Scheide stecken, sondern es lieber scharf
wetzen und es allezeit bereit in der Hand halten. Wache beständig und bete
ohne Unterlaß. Denn bis du deinen Fuß auf das goldene Pflaster des
neuen Jerusalems setzest, mußt du des Kriegers Harnisch tragen uud des
Kriegers Mühen erdulden. I n der That, lkben Freuude, es war in dem
Lager Israels etwas, das sie hätte lehren solle»', Leiden zu erwarten, denn
wurde nicht eine Stimme unter dem murrenden Heer gehört: „Ist der Herr
unter uns oder nicht?" Diese krächzende Stimme des Unglaubens küudete
Unheil an. Wie konnten sie erwarten, Frieden zu kennen, wenn sie dein
Gott des Friedens mißtrauten? „Die Gottlosen," spricht mein Gott, „haben
keinen Frieden;" und in dem Maße, in dem die Gerechten den Gottlosen
gleichen, in demselben Maße verlieren sie den Frieden. Der Schrei des Un»
glaubens in eurem Herzen und in dem meinen, wenn es sagt: „Ist der Herr
unter uns oder nicht," sollte uns warnen, daß wir noch nicht in dem Lande
der Ruhe sind, sondern mit manchem Feinde zu kämpfe» haben werden, ehe
Krieg mit Amalek. ' 223

das Vanner aufgerollt werden kann. Außerdem hätte Israel daran denken
sollen, daß eine alte Fehde zwischen den Kindern Esaus und den Kindern
Jakobs war, denn war Esau nicht von seinem Bruder verdrängt worden?
Amalek, Fürst Amalek, wie er genannt wurde, war ein Nachkomme Esaus und
hegte all seines Vaters Haß und Feindschaft gegen das Haus Israels. Hoffte
Israel, in der Nähe von Edom zn reisen uuo nicht angegriffen zn werden?
Und hoffst du, Christ, daß Süude ruud um dich her sein werde, ohne dich
anzufallen?
„Ist diese Welt der Gnade Freund?
Kann sie zu Gott dir helfen?"

Wenn du Freuudschaft von einer sündigen Welt erwartest, so bist du


sehr im I r r t u m . Es ist eine tödliche, erbliche Fehde zwischen dein Christen
und den Mächten der Finsternis. Sie entsprang in dein Garten Eden, an
dem Tage, da Gott sprach: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir uud dem
Weibe, nnd zwischen deinem Samen und ihrem Samen," und sie bleibt noch
stets dieselbe. D u mußt kämpfen, wenn du die Krone gewinnen willst, uud
dein Pfad zu der andren Seite des Jordans muß der Pfad eines bewaffneten
Kreuzfahrers sein, der jeden Zollbreit des Weges sich erkämpfen muß.
Weun wir die Erzählung weiter verfolgen, bemerken w i r , daß sie
Widerstand v o n u n e r w a r t e t e r S e i t e fauden. Unwissenheit mag sie
veranlaßt haben, auf die Freuudfchaft Amaleks zu rechneu, denn sie reisten
augenscheinlich ganz ruhig, ohue gehörige Vorsicht uud verließen sich auf die
Verwandtschaft und Friedlichkeit derer, die im Lande weilten. Gerade, wenn
wir uus am sicherstell fühlen, sollten wir am vorsichtigsten sein. „Eines
Menschen Feinde werden seine eignen Hausgenossen sein." Ich glaube nicht,
daß der Christ voll offenen und erklärten Gegnern soviel zu fürchten hat, wie
von jenen trügerischen Feindell, die sich stellen, als wenn sie seine Freunde
wären. Die Sünde ist nie so sehr eine Isebcl, als wenn sie ihr Allgesicht
schminkt mit der Farbe der Ehrbarkeit und den Schönvflästerchen der Unschuld.
Zweifelhafte Dinge sind gefährlicher, als entschieden schlechte. Das Grenzlcmd
zwischen Recht und Unrecht wimmelt voll Dieben nnd Räubern; hütet euch
vor Halsabschneidern, ihr, die ihr dort reiset. Sogar Dinge, die recht sind,
können leicht unrecht werden, wenn sie unsre Herzen einnehmen, und deshalb
müssen wir vor ihren Reizen ans unsrer Hnt sein. Viele brauchen uicht sehr
bange zu sein, zu Trunkenheit uud Lästerung verführt zu werden, es ist nicht
wahrscheinlich, daß wir diesen gröberen Versuchungen nachgeben; wir haben
mehr Ursache, gegen Wcltlichkeit und Stolz zu wachen, denn dies sind Feinde,
welche die Gottesfürchtigen zn besonderen Zielpunkten ihrer Allgriffe erlesen.
Nimm dich in acht vor deinen Tugenden, Christ, denn, diese werden, wenn du
224 Alttestamemliche Bilder.

sie übertreibst, deine Laster; hüte dich vor den gnten Dingen, deren du dich
rühmst, denn sie mögen die Warme abgeben zum Aushecken der Schlangeneier
des Stolzes und der Selbstzufriedenheit.
Israel ward von einer Seite angegriffen, die unbewacht war, weil es
nicht wahrscheinlich war, daß von da ein Überfall kommen würde. I m
fünften Buch Mose, Kap. 25, 17. 18 lesen wir, daß Amalek den Nachtrab
des Heeres überfiel. Die hinten im Zuge waren, müssen sich selber am
sichersten geschienen haben, denn Pharaos Heer war vernichtet worden, und
was war weiter zu fürchten? Die Schwache» und Gebrechlichen kamen langsam
heran in völliger Ruhe, erwarteten durchaus keinen Feind; der Vortrab war,
wie ich nicht zweifle, gnt geschützt, denn sie wnßten nicht, was für Scharen
ihren Weitermarsch unterbrechen konnten, aber den Nachtrab glaubte» sie ohne
Schntz lassen zu dürfen, und hier war es, wo der Feind sie anfiel. Christ«
licher Mann, wo immer du deine Vorsicht verminderst, da wird der Feind dich
überfallen. Wenn du zu dir selber sagst: „Mein Verg stehet fest, ich werde
nicht bewegt werden," in betreff irgend einer Sache, so ist es da, wo du am
wahrscheinlichsten fallen wirst. W i r sind gewöhnlich am stärksten, wo wir uns
an: schwächsten wähne», weil wir da die Sache vor Gott bringen, uud am
schwächsten, wo wir tränmen, daß wir am stärksten sind, weil wir da das
Gebet nnterlassen. I n der Erfahrnng der meisten Christen wird es, wie ich
glaube, wahrnehmbar sein, daß Gott sie ihre Schwäche hat sehen lassen, wo
sie selber dafür hielten, daß keine Schwäche bemerkbar wäre. Laßt uns also
rund umher Wachen aufstellen und den Herrn bitten, eine feurige Mauer um
uns und eine Herrlichkeit in unsrer Mitte zn sein.
Dieser Angriff Amaleks war um so gefährlicher, weil er plötzlich war.
Es scheint, daß Amalek aus einem Hinterhalt hervorbrach nnd ohne weiteres
sie übersiel. Da war keine regelmäßige Kriegserklärung, kein Aufstellen in
Schlachtordnung, kein Aussenden von Vortruppen und Plänkleru, sondern der
Feind überfiel sie plötzlich wie eine Näuberbaude. Gerade so wird die Sünde
mit euch nnd mit nur thuu. Wenn der Tenfel mich benachrichtigen wollte,
wann er mich zu versuchen beabsichtigte, so könnte ich leicht mit ihm streiten
und ihn besiegen, aber dies wird er nie thun. Er wird dir nicht sagen, ob
er dich morgen in deinen« Geschäft verslichen wird oder nicht; dies ist nicht
die Art, wie er nach seinem Wild jagt: „E s ist vergeblich, das Netz aus-
werfen vor den Augen der Vögel." Er wird euch, womöglich, unvermutet
anfallen, und ehe ihr euren Harnisch anlegen könnt, werden seine Pfeile euch
schwer verwunden. Uns ist seine List nicht unbekannt. Wohl sagte der Meister:
Was ich aber sage, das sage ich ench allen: „Wachet!" Und o, mit welcher
Wachsamkeit, mit welchen! heiligen Fleiß müssen ihr und ich wachen gegen die
Krieg mit Amalck.

Windungen und Drehungen der alten Schlange, die womöglich uns in die
Ferse beißen oder ihr Gift in unsre Herzen hineinbringen wird.
Ich denke, ich darf nicht unterlassen, zu sagen, daß dieser Angriff
Amaleks, obgleich er den größten Schaden bezweckte, doch nicht ohne göttliche
Anordnung und Lenkung geschah. W i r können dankbar sein, daß, obwohl
Satan die passendste Zeit wählte, der Herr doch seine List wirkungslos machte.
Amalek überfiel die, welche schwach und müde waren, aber das Manna und
der strömende Fels änderten bald die Lage der Sachen, und die Neuheit dieser
gnädigen Versorgung erfüllte das Heer mit ungewöhnlichem M u t . Frisch von
dein Fest herkommend, hatten sie gnte Lust zum Fechten und fanden passende
Beschäftigung für ihre erneuerte Kraft im Niederhauen ihrer Feinde. Satan
mag uns all uusrem schwächstell Punkte angreifen, aber Gott hat ein Mittel,
uns plötzlich stark zu machen, so daß schließlich doch der Angriff zu einer Zeit
kommt, wo wir am besten im stände sind, ihn zurückzuschlagen. Habt ihr dies
nicht beobachtet. Wenn eure jetzige Prüfling zu eiuer andren Zeit gekommen
wäre, hättet ihr sie nicht tragen können; wenn eure jetzige Versuchung nur
einen Tag früher gekommen, wäret ihr derselben zum Opfer gefallen; aber sie
kam gerade, nachdem ihr solche Gemeinschaft mit Christo gehabt, daß die
Sünde keinen Einfluß über euch hatte, die Lieblichkeit Jesu machte euch blind
für alle andre Schönheit. Eller Mund war fo mit Manna gefüllt, daß ihr
stark in der Stärke Gottes gemacht wurdet, das Heer eurer Feinde in die
Flucht zu schlagen. Bruder, sei immer vorsichtig, aber vertraue auf Gott.
Wache gegen den Feind, aber sei dankbar, daß ein andrer Wächter da ist, der
alle Anschläge des Feindes vorhersieht und der dich nicht in seine Hand geben
oder dich umkommen lassen wird.
Als der Angriff gemacht war, w u r d e dem Volke befohlen, sich an»
zustrengen. Die Votschaft ward gegeben: „Erwähle uns Männer, ziehe aus
uud streite wider Amalek." Israel stritt nie wider Ägypten. Gott stritt für
sie und sie waren still. Wenn wir in unsrem natürlichen Zustande unter der
Knechtschaft der Sünde sind, so nützt es uns wenig, gegen dieselbe zu streiten;
der einzige Weg zur Befreiung von der herrschenden Macht der Sünde ist
durch das kostbare Blut und das Wirken der göttlichen Gnade. Aber hier
war ein andrer Fall. Die Kinder Israels waren nicht unter der Macht
Amaleks — sie waren freie Männer; und auch wir sind nicht mehr unter der
Macht der Sünde. Das Joch der Sünde ist durch Gottes Gnade von unsrem
Halse abgebrochen worden, und nun haben wir nicht als Sklaven gegen einen
Herrn zu fechten, sondern als Freie gegen einen Feind. Mose sagte nie zu
den Kindern Israels, so lange sie in Ägypten waren: „Geht hin, streitet mit
Pharao." Durchaus nicht: es ist Gottes Werk, uns aus Ägypten herauszu«
führen und uns zu seinem Volke zu machen, aber wenn wir aus der Knecht-
S p u i g e o n , Alttestamentllche Bilder. 15
226 Alttestamentliche Bilder.

schaft erlöset sind, so müssen wir, obwohl es Gottes Werk ist, uns zu helfen,
doch thätig in unsrer Sache sein. Nun wir von den Toten lebendig gemacht
sind, müssen wir kämpfen mit Fürsten und Gewaltigen und mit den bösen
Geistern unter dem Himmel, wenn wir überwinden wollen. „Geht nnd
streitet," ist der Befehl. Handeln nicht viele Christen, als wenn die Sünde
dadurch aus ihnen herausgetrieben würde, daß sie fest schlafen? Mögen sie
sicher sein, daß ein schlummernder Geist der beste Freund ist, den die Sünde
finden kann. Wenn eure Lüste vernichtet werden sollen, so müssen sie mit
Wnrzel und Zweig ausgerissen werden, nur von der Kraft persönlicher An»
strengung durch göttliche Gnade; sie können nicht hinweggeblasen werden durch
matte Wünsche und schläfriges Verlangen. Gott will uns nicht von unsren
Sünden befreien, wie man zuweilen Leuten kranke Glieder abnimmt, uuter
dem Einfluß von Chloroform: wir werden unsre Sünden sterben sehen, während
uuser Geist in voller Thätigkeit gegell sie ist und fest entschlossen, sie zu ver-
nichten. „Geht, streitet mit Amalek." Sehr zu beklagen ist die Art, wie
einige Christen sagen: „Ach wohl, dies ist die mir anklebende Sünde," oder:
„Es ist mein natürliches Temperament," oder: „Es liegt in meiner Kon>
stitution." Schande über dich, Christ. Was denn, wenn es so wäre! Willst
du deinem Vater ins Gesicht sagen, daß du eine so große Liebe für die Sünde
hast, die Er haßt, daß du sie hegen und Versteckplätze für sie erfinden willst?
Wie, wenn eine Sünde dich so leicht fortreißt, so mußt du deine ganze Kraft
aufbieten und znm Himmel um Stärke schreien, damit der gefährliche Feind
überwunden werde, denn eine in der Seele gehegte Sünde wird dich ruinieren;
eine wirklich geliebte und fortgesetzte Sünde wird ein verdammendes Zeugnis
wider dich sein und beweisen, daß du nicht wirklich den Heiland liebst, denn
wenn du es thätest, würdest du jeden falschen Weg hassen. W i r müssen streiten,
wenn wir uusre Sünden überwinden wollen.
Der geistliche Kampf muß nach sehr ernsten und weisen Grundsätzen ge-
führt werden. Sie sollten Männer auswählen. Der beste Teil eines
Menschen sollte mit dem Kriege gegen die Sünde beschäftigt sein. Gewisse
Sünden können nur durch den Verstand bekämpft werden; wir füllten alsdann
niederfitzen und nachdenkend das Übel betrachten und seine Schlechtigkeit ver»
stehen lernen, indem wir seine Triebfedern und Folgen überlegend beurteileu
und erwägen. Vielleicht wird, wenn wir klar sehen, was die Sünde ist, der
„Herr Verstand," wie V n n y a n ihn nennt, fähig sein, ihr das Gehirn ein-
zuschlagen. Eine besondere Art von Sünden ist nur durch schnelle Flucht, wie
die des keuschen Joseph, zu überwinden. M i t Sünden des Fleisches kann man
niemals argumentieren oder unterhandeln; man kann nicht mehr mit ihnen
argumentieren als mit den Winden. Der Verstand wird zum Schweigen ge«
bracht, denn die Lust blendet die Augen wie ein Sturm von Sand. W i r
Krieg mit Nmalek.

müssen fliehen. Es ist wahre Tapferkeit in solchem Falle, den Nucken zu


kehren. „Widerstehet dein Teufel," sagt Paulus, aber er sagt nicht: wider-
stehet der Lust; er drückt es so aus: „Fliehe die Lüste der Iugeud." Wenn
wir mit den Legionen der Ungerechtigkeit Krieg führen, so werden wir die
besten Kräfte unsrer ernencrten Natnr nötig haben, denn der Kampf wird
schwer sein. O Gläubiger, du mußt deine Veteranen, deine auserlesensten Ge-
danken, ill den Streit mit Amalek führen; der Glaube, welcher den Sturm
ausgehalten hat, muß dem Feind gegenübertreten, die Liebe, welche alles «er-
trägt, muß in den Krieg ziehen. Es ist kein Killderspiel, mit der Sünde zu
fechten. Es bedurfte aller Kraft des Heilandes, sie ill der Kelter zu treten,
als Er hienieden war, und es wird all eurer Kraft, und mehr bedürfen,
sie zn überwinden — ihr werdet sie nur dnrch das Blut des Lammes
überwinden.
Dies führt mich zu der Bemerkung, daß, obgleich die Männer Israels
streiten und die erwählten Männer allserlesen werden sollten, sie doch unter
dem B e f e h l I o s u a s streiten mußten, das ist, unter dem Befehl Jesu, des
Heilandes. Es gibt kein Streiten anders als unter der Führerschaft Christi.
Wir müssen die Sünde mit seinen Waffen bekämpfen, wir müssen ihre Größe
ill dem Lichte seiller Leiden sehen, ihr Unheil in den Schmerzen seines Todes,
ihre Vernichtung ill dell Trinmphen seiner Auferstehung. W i r müssen zu dem
Starkell um Stärke fliehen und Hilfe suchen, wo Gott sie hingelegt hat, näm-
lich auf I h n , der mächtig ist. (Pf. 89, 20.) Wenn Jesus führt, brauchen
wir uns nicht zn fürchten. Vereitwillig Jesu folgen, heißt einen Sieg sichern.
Sein bloßer Name schlägt die Feinde in die Flucht; wer kann den Schrecken
seines Armes widerstehen?
Die Erzählung zeigt uns, daß Anstrenguug allein nicht genügend ist.
Drei Männer sieht mall die steile Seite des Hügels hinaufgehen, sie wandeln
ernst dahin, als hätten sie gewichtige Arbeit vor. Sie suchen einen vorteil-
haften Punkt, von wo ans sie den Feind mit der Artillerie des Gebetes
auftreiben können. So mächtig war Mose Gebet, daß alles davon abhing.
Das Flehen des Mose schlug den Feind mehr danieder, als das Fechten des
Iosua. Die Schneide von Mose Gebet war mächtiger als die Schneide von
Iosuas Schwert. Es nützt nichts, wie lallt Iosua auch seinen Kriegern zu-
ruft, wenn nicht Mose inbrünstig zu seinem Gott schreit. Der junge Soldat
würde bald das Feld verlasseil haben, wenn der alte Befehlshaber fein Vet»
kämmerlein verlassen hätte. Fechten und Flehen, Arbeit und Alldacht, kühner
M u t und kühnes Gebet müssen ihre Kräfte vereinen, und alles wird gut sein.
I h r müßt mit eurer Sünde ringen, aber der größte Teil eures Ningens muß
in der Einsamkeit mit Gott gethan werden.
15*
228 Alttestamentliche Bilder.

Gebet, wie das des Mose, hält das Zeichen des Bundes vor Gott
empor. Der Stab war das Sinnbild von dem Wirken Gottes durch Mose,
das Symbol der Herrschaft Gottes in Israel. Lerne, o flehender Heiliger,
die Verheißung Gottes und feinen Eid vor Ihm empor zn halten. Er kann
seine eignen Erklärungen nicht leugnen. Halte den Stab der Verheißung empor,
und habe, was du willst.
Mose wurde müde, und dann standen seine Freunde ihm bei. Wenn
zu irgend einer Zeit euer Gebet matt wird, laßt den Glauben die eine Hand
stützen und die heilige Hoffnung die andre aufrecht halten, und das Gebet,
sitzend auf dem Steine Israels, dem Fels nnfres Heils, wird anhalten und
obsiegen. Hütet euch vor Mattigkeit in der Andacht; wenn Mose sie fühlte,
wer kann ihr dann entgehen? Es ist weit leichter, mit der Sünde öffentlich
zu kämpfen, als gegen sie in der Einsamkeit zu beten. Alan hat die Ve°
merkung gemacht, daß Iosua nie beim Kämpfen müde wurde, aber Mose beim
Beten; je geistlicher eine Übung, desto schwieriger ist es für Fleisch und Blut,
sie fortzusetzen. Laßt uns deshalb um besondere Kraft bitten, und möge der
Geist Gottes, der unsrer Schwachheit aufhilft, wie Er Mofe Hilfe verstattete,
auch uns fähig machen, unsre Hände steif zu halten, bis die Sonne untergeht.
Es ist nicht, heute beten, oder morgen beten, was die Schlacht des Lebens ge>
winnen wird, es ist beten, bis die Sonne untergeht. Es ist nicht, einen Monat
lang bitten und dann mit Flehen aufhören, Christ, es ist, „bis die Sonne
untergeht," bis der Abend des Lebens vorüber ist; bis du zum Aufgang einer
besseren Sonne kommst, oder zu dem Land, wo man keiner Sonne bedarf,
mußt du fortfahren zu beten.

„So lang' sie leben, müssen Christen beten,


Denn nur so lang' sie beten, leben sie."

Laßt uns alfo lernen, daß Handeln da sein muß, aber auch Gebet.
Wir können nicht erwarten, Amalek zu besiegen, ohne eine Verbindung von
beiden.
Ich will euch nicht viel länger bei diesem Punkte aufhalten, nur noch
bemerken, daß, wo heilige Thätigkeit mit ernstem Gebet vereinigt wird, der
Erfolg betreffs unfrer Sünden durchaus ficher ist — der Feind muß
besiegt werden; wir werden unsren Fuß auf den Nacken aller nnfrer Sünden
fetzen. Es ist nicht zu fürchten, daß sie uns überwinden, wenn wir nur die
göttliche Kraft ergreifen.
Und wenn wir einmal Sünde besiegt haben, so sollte dies das S i g n a l
zur Erklärung eines allgemeinen Krieges gegen alle Sünde sein.
Der Kampf und Sieg über Amalek brachte die feierliche Erklärung aus Gottes
Munde, daß auf immer Krieg mit Amalek sein solle. So muß es bei euch
Krieg mit Amalek. 229

sein. Habt ihr eine Sünde bezwungen? Tötet die nächste und die nächste.
Könnt ihr eure Heftigkeit jetzt bändigen? Nun erschlagt euren Stolz. I s t
euer Stolz gedemütigt? Nun treibt einen Pfeil recht durchs Herz eurer
Trägheit. Und ist eure Trägheit überwunden? Nun sucht durch göttliche
Gnade der nächsten Versuchung den Hals abzuschneiden. Vorwärts zur gänz-
lichen Vernichtung jedes Amalekiters muß das Kind Israels gehen.
Aber beachtet, daß bei der ganzen Sache die Ehre Gott gegeben ward.
Keine Säule ward auf jenem Schlachtfelde Israels zum Gedächtnis Iosuas
errichtet, sondern ein Altar als ein Gedächtnis dem Herrn. An jenem Tage
erhob Israel nicht das Vanner Iosuas und sang nicht von ihm wie von dein
siegreichen Makkabäns:
„Sieh', er kommt, mit Preis gekrönt!"

sondern an jenem Tage hieß es: „Jehovah, Nissi," der Herr ist unser Panier,
denn sie legten Ruhm und Ehre I h m bei, dessen Rechte ihnen allein den
Sieg verliehet! hatte. So müssen wir bei all unsren Erfolgen thun, denn
wenn wir eine Sünde überwinden und dann uns selber rühmen, so sind wir
von der Sünde überwunden. Wenn wir beim Rückblick auf die Vergangenheit
uns beglückwünschen, und sprechen: „Ich danke D i r , Gott, daß ich nicht bin,
wie andre Leute-; ich dauke D i r für dies und das;" und dabei denken, daß
wir viel mehr Ursache haben, uns selbst zu danken, so zeigen wir, daß wir
immer noch mit den Fesseln an unsren Handgelenken als Gefangene umher
geschleppt werden. Ich verlasse diesen Punkt in der Hoffnung, daß irgend
ein junger Christ eine Lehre aus der Erfahrung erhalten haben möge. Und
doch fürchte ich, daß wir alle für uns selber Erfahrung lernen müssen, und
daß das, was uns von andren erzählt wird, nur eine müßige Geschichte ist.
Ich bete, daß ihr, die ihr als eine neue Generation unter uns aufspringt,
nicht so sein möget, wie eure Väter waren, ein halsstarriges Geschlecht, sondern
daß ihr mit größerer Heiligkeit vor dem Herrn wandeln und Amalek mit
strengerer Entschlossenheit schlagen «lochtet, als eure Väter es gethan, so daß
der Sieg Gottes sei durch euch.

II.
Die ganze Erzählung kann ausgelegt werden als die Geschichte jeder
christlichen Gemeinde. Ich mache einen Unterschied zwischen der all«
gemeinen Gemeinde und einer besonderen Gemeinde. I n alten Zeiten waren
die Gemeinden unsres Henn Jesu Christi dadurch, daß sie sich gegenseitig an»
erkannten und ihre Einheit anerkannten, bestimmte Organisationen, die ihre
eignen Angelegenheiten leiteten. Und hier will ich soweit abschweifen, um zu
sagen, daß die einzig christliche Einheit, die ihr und ich je zu sehen erwarten
230 Alttestameutliche Bilder.

können und zu suchen haben, nicht die Verschmelzung aller Gemeinden in e i n


kolossales Regierungssystem ist, sondern die geistliche Einheit aller Gemeinden
iln Werke für den Herrn, wobei jede Gemeinde ihre Zucht in ihren eignen
Grenzen übt und Christi Gebote innerhalb ihrer eignen Mauern ausführt und
zu gleicher Zeit alle andren wahrhaft christlichen Gemeinden als Teile des
einen Leibes Christi anerkennt. Anstatt zu versuchen, alle diese verschiedenen
Gemeinden zu zerstören, uni Einigkeit zu schaffen, sollten wir die Mauern
jedes Hauses aufbauen, so daß die ganze Stadt fest zusammenstehen möge.
Selbst die Namen, welche die Verschiedenheit unsrer gewissenhaften Über«
zeugullgen beschreiben, sind nützlich und werden nur von einer Partei be<
mäkelt, die unter dein Mantel der Nicht-Sektiererei sektiererischer ist, als die
schlimmsten von uns selbst von Verleumdern genannt werden könnten. Gesetzt,
alle Zünfte in London gäben ihre besonderen Namen auf, so daß es keiue Zunft
der Goldschmiede, der Zimmerleute, Schneider :c. gäbe, sondern alle Bürger
genannt würden, das würde ein wunderbares Stück Politik sein und die
Bürger der Stadt außerordentlich vereinigen, nicht wahr? W i r glauben, das
Umgekehrte würde der Fall sein. Das Dasein bestimmter Körperschaften, von
denen jede ihr besonderes Interesse anfrecht hält, aber alle mit dem Wohlstand
der Stadt verbuuden sind, hilft die Einigkeit schaffen; so wird auch die Einheit
des Leibes eher bewahrt als zerstört dadurch, daß jeder Gläubige uach seiner
Überzeugung von dem Willen des Herrn handelt und sich nicht weigert, sich
mit denen zu verbinden, die so denken, wie er, nnd den Namen zu tragen, der
sie beschreibt. Gewisse Sektierer rufen: „ W i r heißen Christen." „ J a , " sage
ich, „sind wir das nicht auch?" Sie sind „Brüder?" W i r auch. Sind sie
Christen? W i r auch. Suchen sie Nachfolger Christi zu sein? Wir auch.
Es ist für einige um so weniger nötig, den Namen „Christen" zur Schau zu
tragen, weun sie wissen, daß sie Christen sind. Laßt uus versuchen, unser
Christentum lieber in unsrem Leben zu zeigen, als es auf unsre Thürpfostcn
zu malen.
Ich mache keinen undiblischen Unterschied, wenn ich sage, daß ich zuerst
die Erzählung als ein Bild einer Gemeinde und dann nachher als ein Bild
der ganzen Gemeinde betrachten will. I n jeder Gemeinde wird und muß,
wenn es eine Gemeinde Gottes ist, ernster Kampf f ü r die Wahrheit und gegen
den I r r t u m fein. W i r als eine Gemeinde, sind, wie ich hoffe, aus Ägypten
herausgeführt und durch eine gemeinsame Befreiung zusammen verbllnden. W i r
haben mit Amalek zu streiten. Für die Verteidigung jener Lehren, die wir
gelernt haben und von denen wir glauben, daß sie die Wahrheit sind, wie
sie in Jesu ist, sind wir zu streiten berufen. W i r sollen sie nicht nur fest«
halten, wie der ungetreue Knecht sein Pfund ins Schweißtnch wickelte, sondern
wir sollen verkünden, was wir als wahr erkennen, und wenn jemand wider-
Krieg mit Amalek. 231

spricht, sollen wir nnsre oder vielmehr des Meisters Wahrheit mit fester Hand
halten nnd nns nicht fürchten, ans jede Gefahr hin dafür zu kämpfen. Unser
Hanptkrieg muß stets mit der Sünde sein — mit der Sünde ill uns selber,
mit der Sünde in andren, mit der Sünde überall. Dies ist der große Punkt
in dem Kampf des Christen, und mit diesen! Kriege muß der Gläubige nie
aufhören. Greift die Sünde an jedem Orte an, und das alls diesem Grunde,
wenn alls keinem andren, weil Sünde und I r r t u m uns immer allgreifen
würden. I n dieser einzelnen Gemeinde/) weiß ich, sind verschiedene Irrtümer,
die Ulis immer überfallen und einige voll den Hintersten, Schwächsten uud
Gebrechlichsten schlagen. M a n thut die Augen zuweilen mit Erstaunen auf,
wenn man sieht, ill welche sonderbare Irrtümer Leute fallen, die es besser
wissen sollten; aber wenn man daran denkt, wie weit dahinten und wie sehr
schwach sie waren, so ist es kein so großes Wunder, daß sie vom Feind ge-
schlagen werden. Die Wahrheit ist, wenn wir in eiller solchen Zeit, wie die
gegenwärtige, den I r r t n m nicht angreifen, so wird der I r r t u m uns verschlingen;
und es kommt darauf Hillaus — wir müssen entweder die Sünde bekämpfen
oder die Sünde wird wie eine nagende Motte und ein fressender Krebs uns
gänzlich aufzehren. Wenn nicht ein ernstliches Streiten für die Wahrheit unter
allen Gcmcindegliedern ist, fo werden bald Verkürzungen auf dieser und Ver-
kürzungen auf jener Seite stattfinden. Jede Gemeinde sollte ihre eignen,
unterscheidenden Grnndsätze mit kräftiger, ernster, schriftgcmäßer Bestimmtheit
lehren. Wenn wir in der That die Wahrheit, wie sie ill Jesu ist,
haben, so müssen wir tapfer dafür kämpfen, denn wenn wir nicht mit
Amalek streiten, so wird er es sicher mit uns, nnd die Hintersten werden
immer leiden und die Schwächsten zu Grunde gehen. Um der schwachen
Vrüder willen, die leicht abgekehrt werden, müssen wir beständig wachen und
kämpfen.
M i t aller christlichen Arbeit in jeder Gemeinde muß unaufhörliche
Fürbitte verbunden werden. Der christliche Pastor ist in einiger Hillsicht dem
Mose vergleichbar, denn er ist zn einem Führer in der Schar der Vrüder
abgesondert; und als solcher ist sein Geschäft nicht nur, das Volk zu lehren,
sondern für dasselbe bei Gott zu bitten. Ich wünsche, daß einige unsrer
Pastoren von ihren Aarons und Hurs unterstützt würden, wie sie es sollten.
Ach! ich kenne manchen ermattenden Pastor, dessen Hände herabhängen, und
der einen Aaron findet, der sie noch mehr herunterzieht und einen Hur, der
sein Gemüt noch tiefer niederdrückt. Ich möchte ein Trauer- und Klagelied
anstimmen für meine Brüder, die in ehrenwerten, aber dunklen Sphären

*) S p u r g e on meint hier seine eigne Gemeinde. A. d. Ab.


232 Alttcstamentliche Bilder.

schwer arbeiten, wo kalte Vernachlässigung und kühle Gleichgültigkeit ihr Teil


sind. Wehe andren in der Mitte von Gemeinden, die voll Schismen zerrissen
und von Ketzerei besteckt sind, deren Leben eine beständige Bürde für sie ist.
Ich wollte zu Gott, es wäre weit anders mit ihnen! Ich habe Gott zu
danken und unter Gott euch zu danken, daß so viele von euch Aaron und
Hur gleichen und willig sind, die Hände des Pastoren und die Hände aller meiner
Mithelfer, der Arbeiter für Christi Reich, aufrecht zu halten. Aber einige von
euch thun es nicht. Einige von euch vernachlässigen das Gebet im Kämmerlein
für das Werk der Gemeinde. Ich hoffe, ihr vernachlässigt nicht das Gebet für
euch selber, aber ihr betet nicht, wie ihr es solltet, daß der Herr die Sache
der Wahrheit in der Welt fördere; ihr vernachlässigt die Betstunden, und haltet
euch fern von den Gnadenmitteln der Wochentage.*) Bruder, dies sollte nicht
fo fein. Wenn du nicht Mose sein kannst, so magst du Aaron sein. Wenn
du nicht kämpfen und Iofua beistehen kannst, so magst du den Hügel hinan
klimmen und Mose unterstützen. Wenn dn weder in den Vibelklassen oder in
der Sonntagsschule lehren, noch auf der Straße predigen und auf diese Weise
kämpfen kannst, so kannst du wenigstens viel im Kämmerlein und viel im
Gebet sein. O, der unsagbare Nutzen, den die christliche Kirche von ruhigen,
gebetsuollen Mitgliedern hat! am wenigsten auf Erden gekannt und am besten
im Himmel gekannt. Laßt uns beide Anteil am Werke haben. Möge der
Herr Jesus uns helfen, voll Kraft zu Kraft zu gehell ill ernsten Bemühungen
jeder Art, und möge Er zur selben Zeit unsre Kraft auf dem Berge fein, wenn
wir uns im Gebet dem Throne nahen.

III.
Aber zuletzt, die Geschichte der ganzen christlichen Gemeinde
ist hier vor nn« wie in einem Bilde.
Das geweihte Heer der Erwählten Gottes kämpft noch hienieden unter
Jesu Christo, dem „Herzog unsrer Seligkeit." Er hat gesagt: „Siehe, ich
bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende." Obgleich es jetzt die Welt-
periode des Heiligen Geistes ist, so ist es doch nicht unrichtig, zu sagen, daß
der Herr Jesus immer «loch all der Spitze seines Volkes ist. Horcht auf das
Kriegsgefchrei. Vorwärts kommen die Scharen des Pfaffentums, Mönche mit
ihren Kutten, Priester mit ihren Glatzen, und ein verbündetes Heer voll
Englands einfältigen Geistlichen, angethan mit bunten Gewändern und heraus»
geputzt mit kindischen Zieraten. Eine gewaltige Anstrengung wird gemacht,

*) S p u r g e o n spricht es häufig aus, daß in den Beistunden, namentlich der großen,


am Montag'Abend gehaltenen, die eigentliche Kraft der Gemeinde läge. A. d. Üb.
Kriez; mit Amalek. 233

den römischen Antichrist wieder auf seinen alten Sitz zu bringen. Null laßt
das Volk Gottes fest stehen in seinen Reihen, und es entfalle keinem Menschen
das Herz um deswillen. Es ist wahr, daß gerade jetzt ill England die Schlacht
sich gegell nils wendet, und wenn nicht der Herr Jesus und der ewige Iosua
seill Schwert aufhebt, so weiß ich nicht, was aus der Gemeinde Gottes ill
diesem Lande werden mag; aber laßt uns guten Mutes seill uud uns als
Männer beweisen. Es gab nie eine Zeit, wo der Protestantismus mehr in
der Wagschale zu zittern schien, als jetzt. Der Weg nach Ron,, und so der
Weg nach der Hölle wird gepflastert sich nehme an, mit guten Absichten) von
jener anglikanischen Geistlichkeit, deren Beruf es scheint, die langmütige Gednld
eines protestantischen Landes vor Augen zu stellen.
Hier haben wir eine Volkskirche, die die Helferin Roms geworden ist,
und wir bedürfen sehr einer kühnen Stimme und eiller starken Hand, lim das
alte Evangelium zu predigen und zu verkünden, für das Märtyrer bluteten und
Vekcnner starbell. Der Heiland ist durch seinen Geist stets noch auf Erden;
möge dies uns getrost machen. Er ist immer in der Mitte des Kampfes, und
deshalb ist die Schlacht nicht zweifelhaft. Mittlerweile, welche süße Be-
friedigung ist es, nnsren Herrn Jesus gleich einem größeren Mose auf jcuem
Hügel zu sehen im Gebet für sein Volk! Er ist besser als Mose, denn seine
Hände werden nie schwer; und wenn die prophetische Hand Jesu schwach
werden sollte, so ist sein prieslerliches Amt da, gleich Aaron, um die eine
Hand aufrecht zu halten, und fein fürstliches Amt gleich Hur, einem Fürsten,
um die andre zu halten; uud so sind die drei zusammen, Prophet, Priester,
König. Er hebt den Wunder wirkenden Stab hoch empor — Israel gewinnt
den Sieg und Amalek wird geschlagen. O ängstlich Schauender! blicke nicht
so sehr auf die Schlacht hieuiedcn, denn da wirst du in Rauch eiilgehüllt
werden und bestürzt über in Blut getränkte Gewänder, sondern hebe deine
Angell dorthin, wo dein Heiland lebt und bittet, denn so lange Er sie vertritt,
ist die Sache Gottes sicher. Laßt uns streiten, als wenn alles voll uus ab»
hinge, aber laßt uns hinaufsehen und wissen, daß alles von I h m abhängt.
Nun beschwören wir euch, die ihr Iesum lieb habt, bei den Lilien der christ-
lichen Reinheit und bei den Rosen des Sühnopfers Christi, bei den Rehen
uud bei den Hinocn des Feldes, tapfer in dem heiligen Kriege zu seiu, für
Wahrheit uud Gerechtigkeit, für das Reich und die Kronjnwelen eures Herrn,
gegell die Hure Rom und das vielhäuptige Tier, auf dem sie sitzet, kämpfet
mit unerschrockenem Mut. Laßt die, welche eure Väter den Flammen gaben
und eure Vorfahren in den Kerkern verfaulen ließen, es wissen, daß der Geist
eurer Väter immer noch ill euch lebt; laßt sie sehen, daß noch ein Same auf
der Erde ist, ill dessen Brust die Wahrheit eiue Stätte findet — Männer, die
für die Wahrheit leiden, uud sie kühn ill der Mitte ihrer Feinde verkünden
234 Alttestamentliche Bilder.

können. Werdet nie feige und niedrig, verzweifelt nie. Wie könnt ihr das?
Christus an eurer Spitze wie Iosua, und Christus im Himmel wie Mose;
Christus hier mit dem heiligen Evangelium in der Hand gleich einem zwei«
schneidigen Schwert, und Christus dort mit seinem versöhnenden Verdienst
gleich einem wuuderthätigen Stab. Seid stark und uuverzagt und mit Hilfe
seiner Rechten, die den Sieg behält, werdet ihr noch das Halleluja! Halleluja!
Halleluja l hiuauf senden, denn der Herr, der allmächtige Gott, herrschet. Der
Herr segne euch alle um Iesn willen. Amen.
Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 235

16
Der Hohepriester steht zwischen den
Toten und Lebendigen.
„Und Aaron nahm, wie ihm Mose gesagt hatte, und lief
mitten unter die Gemeiue (nnd siehe, die Plage war angegangen unter
dem Volt) und räucherte uud versöhnte das Volk. Und stand zwischen
den Toten und Lebendigen. Da ward der Plage gewchret."
4 Mose IN, 47. 48.

I D i r haben aufmerksam die Stelle gelesen, welche den Bericht über


diesen Vorfall enthält. Die Autorität Mose und Aarons war von einem ehr-
geizigen Mann bestritten worden, der zu einem älteren Zweig der Familie
Levis gehörte und schlau einige aufrührerische Geister aus dem Stamm Nuben
an sich gezogen hatte, die selbst auch Macht zu erlangen suchten, weil sie durch
Ruben, den Erstgebornen, Rechte zu habeu vermeinen. Durch ein außer-
gewöhnliches Gericht vom Himmel hatte Gott bewiesen, daß Empörung gegen
Mose eine Tod bringende Sünde sei. Er hatte der Erde geboten, ihren Muud
aufzuthun und alle Vennter zu verschlingen, und beide, Leviten und Nubeniten,
waren verschwunden und in einem lebendigen Grabe bedeckt worden. M a n
hätte denken sollen, daß von dieser Zeit an das Murreu der Kinder Israel
aufgehört hätte oder daß wenigstens, wenn sie vermessen genug wären, sich
in kleinen, aufrührerischen Haufen zu versammeln, ihr empörerischer Sinn doch
nicht eine solche Höhe erreichen würde, daß er sich in der ganzen Gemeine offen
vor des Herrn Stiftshütte zeigte. Doch war es so. Am nächsten Morgen
nach diesem ernsten Ereignis versammelte sich das ganze Volk Israel, umgab
mit unheiligem Geschrei Mose und Aaron und beschuldigte sie, des Herrn
Volk getötet zu haben. Ohne Zweifel gründeten sie diese Anklage auf die
Thatsache, daß Gott immer Mose erhörte, wenn er betete; sie sagten: „Hätte
er bei dieser Gelegenheit gebetet, so würden die Leute nicht getötet sein; die
Erde hätte nicht ihren Muud aufgethan und sie nicht verschlungen." So
236 Alttestamentliche Bilder.

werden sie versucht haben, die Anklage zu beweisen, die sie gegell diese zwei
großen Männer Gottes vorbrachten. Könnt ihr euch jetzt den Auftritt im
Geiste vorstellen? D a ist die wütende Volksmasse; der Anblick einer solchen
Menge, wie ich sie in diesem Gebäude vor nur sehe, ist überwältigend, und
wäre diese ganze Masse in Aufruhr gegen zwei Männer, so möchten diese
beiden genug Ursache zum Zittern haben; aber dies würde nur wie ein Sand-
korn sein im Vergleich mit jener ungeheuren Anzahl, die dort versammelt war.
Ein bedeutender Teil jener drei Millionen war in einem großen, tumultarischeu
Heer heraufgekommen; was ein Führer dieses Pöbels vorgeschlagen hätte, wäre
ohne Zweifel augenblicklich ausgeführt worden, und wäre nicht die furchtbare
Majestät gewesen, welche die Person des Mose umgab, so hätten sie ihn un>
zweifelhaft auf der Stelle in Stücke zerrisse». Aber gerade als sie heran»
rauschen gleich den Wellen des Meeres, da läßt sich die Wolkensäule, welche
über der Stiftshütte hing, herab und hüllt in ihre Falten wie mit einer
schützenden Taufe den ganzen heiligen Ort ein. Dann strahlt aus der Mitte
dieser Wolke jenes wunderbare Licht, was die Schechinah genannt wurde, das
Zeichen der Gegenwart von I h m , der nicht gesehen werden kann, aber dessen
Herrlichkeit sich zu offenbaren vermag. Das Volk steht ein wenig zurück;
Mose und Aaron fallen auf ihr Angesicht im Gebet; sie bitten Gott, das
Volk zu verschonen, denn sie haben eine Stimme aus der Herrlichkeit kommen
hören, die sprach: „Hebet euch aus dieser Gemeine; ich will sie plötzlich ver-
tilgen." Diesmal geht Gottes Schlag zugleich mit seinem Worte ans, denn
der Würgengel beginnt die äußeren Reihen des großen, aufrührerischen Heeres
uiederzumäheu, sie fallen einer über den andren h i n ; Mose mit seinem un»
verdunkelten Auge kanu sie, indem er über die Häupter der Menge dahin
blickt, unter der Sichel des Todes fallen sehen. „Auf," spricht er, „auf, Aaron,
auf, und nimm dein Rauchfaß mit dir, ergreife Feuer vom heiligen Altar
und laufe unter das Volk, denn die Plage hat begonnen." Aaron, ein
Mann von hundert Jahren, füllt fein Rauchfaß, länft dahin, als wäre er ein
Jüngling, uud fängt an, es mit heiliger Energie gen Himmel zu fchwingen,
in dem Gefühl, daß in seiner Hand das Leben des Volks sei; und als das
Ränchwerk im Himmel angenommen ist, hält der Tod mit seinem Werk iune.
Alls dieser Seite sind Haufeu auf Haufen Leichname der von dem Nncheengel
Gottes Erschlagenen; und dort steht die Menge Lebendiger, die nur durch
Aarons Fürbitte leben; die nur leben, weil er für sie das Rauchfaß schwaug
und für sie das Näuchwerk brannte; sonst, wenn der Engel sie alle erschlagen,
hätten sie alle zusammen gelegen, wie die Blätter des Waldes im Herbste
liegen — tot und dürre.
Ich denke, ihr könnt euch jetzt den Auftritt im Geiste vorstellen. Ich
wünsche dies Vild als ein großes, geistliches Vorbild zu gebrauchen von den«,
Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 237

was der Herr Jesus Christus für jene irrende Mellge der Menschenkinder ge-
than, die alle „ i l l der I r r e gingell wie Schafe, und ein jeglicher sähe auf
seinen Weg." W i r werden Aaron heute morgen in einer fünffachen Gestalt
betrachten. Der ganze Auftritt ist vorbildlich; und Aaron ist, wie er uns in
jeder Gestalt erscheint, ein herrliches V i l d des Herrn Iesn.

I.
Zuerst laßt uns auf Aaroll blicken als den Aedhal»ev des Volkes.
I h r wißt, wer es ist, dem w i r den Namen geben „Liebhaber meiner Seele."
I h r werdet in Aaron den Liebhaber Israels sehen können; in Iesn den Lieb»
Haber seines Volkes.
Aaron verdient hoch gepriesen zu werden für seine patriotische Liebe
zu einem Volk, welches das halsstarrigste und aufrührerischste war, das je
dem Herzen eines guten Mannes Kummer verursachte. I h r müßt darall
denken, daß er ill diesem Fall der gekränkte Teil war. Das Geschrei ward
gegen Mose uud Aaron erhoben, doch waren es Mose nnd Aaron, die für das
Volk eintraten und es retteten. Sie waren die Beleidigten, dennoch waren sie
die Nettenden. Aaron war besonders bei der Sache beteiligt, denn namentlich
der Kampf des Korah war mehr gegen das Priestertum, das ausschließlich
Aaroll zukam, als gegen das prophetische Amt, das Gott dem Mose verliehen
hatte. Aaron muß gefühlt habeil, als er Korah und die zweihundertund»
fünfzig Männer, alle mit ihren Nauchpfaunen, vor sich fah, daß der Aufruhr
gegen i h n war; daß sie wünschten, ihn seiner M i t r a zu berauben, seinen ge>
stickten Leibrock ihm zu nehmen und die glänzenden Steine, die auf feiner
Brust leuchteten; daß sie wünschten, ihn in die Stellung eines gewöhnlichen
Leviten herabzudrücken und sein Amt und seine Würde an sich zu bringen.
Doch sich selbst vergessend, sagt er nicht: „Laß sie sterben; ich will ein wenig
warten, bis sie genngsam geschlagen sind." Nein, mit großmütiger Liebe eilt
der alte Mann in die Mitte des Volks, obgleich er selbst der Gekränkte war.
Ist dies nicht so recht ein V i l d unsres tenern Herrn Jesu? Hatte die Sünde
I h m nicht Unehre angethan? War Er nicht der ewige Gott, und verschwor
sich die Sünde deshalb nicht ebensowohl gegell I h n als gegeil den ewigen
Vater und den Heiligen Geist? War Er nicht, sage ich, der e i n e , wider den
die Völker der Erde aufstanden und sprachen: „Lasset uns zerreißen seine
Bande und von uns werfen seine Seile?" Doch legt Er, unser Jesus, alle
Nachegedanken beiseite und wird der Heiland seilies Volkes.

„Er nimmt auf sich Schmach, Hohn nnd Spott.


Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
Und spricht: „Ich will's gern leiden."
238 Alttcstamentliche Bilder.

OI großmütiger Christus, der D u die Beleidigungen vergissest, die wir


D i r angethan und durch Dein eignes Vlut die Süuden sühnst, die wir gegen
Deine eigne Ehre begangen haben!
Nun beachtet ferner, daß Aaron, da er fo als Befreier und Liebhaber
seines Volkes auftrat, sich erinnert haben muß, daß dieses selbe Volk ihn ver«
abscheute. Sie suchten sein Blut; sie wollten ihn und Mose töten, und doch
ohne an Gefahr zu denken, ergreift er sein Rauchfaß und läuft in ihre Mitte
mit einer göttlichen Begeisterung im Herzen. Er hätte zurücktreten und sagen
können: „Nein, sie werden mich erschlagen, wenn ich in ihre Reihen gehe;
wütend wie sie sind, werden sie mir diese neuen Todesfälle schuld geben und
mich umbringen." Aber er erwägt dies gar nicht. I l l die Mitte ihres Haufens
springt er kühn. Jesus, D u hätlest nicht nur so denken können, sondern D u
fühltest iu der That, daß es fo sei. D u kamst in Dein Eigentum, und die
Deinen nahmen Dich nicht anf. D u kamst in die Welt, ein Geschlecht zu
retten, das Dich haßte, und o, wie bewiesen sie ihren Haß gegen Dich, denn
sie spieen D i r ins Gesicht; sie warfen Verleumdungen und falsche Anklagen
auf Dich; sie nahmen den Erben, und sprachen: „Kommt, laßt uns I h n töten
und sein Erbgut an uns bringen." Jesus, D u warst willig, als Märtyrer
zu sterben, um ein Opfer für die zu sein, von denen Dein Vlut vergossen
wurde. Jesus übertrifft Aaron; Aaron hätte den Tod von der Hand des
Volkes fürchten können; Jesus Christus erlitt ihn wirklich und stand da, selbst
in der Stunde des Todes, schwang sein Nanchfaß, wehrte der Plage und
fchied die Lebeudigen von den Toten.
Ferner werdet ihr die Liebe und Frenndlichkeit Aarons sehen, wenn ihr
noch einmal hinblickt; Aaron hätte sagen können: „Aber der H e r r wird
mich gewiß auch mit dem Volke vertilgen; wenn ich dahin gehe, wo die Pfeile
des Todes fliegen, werden sie mich erreichen." Er denkt gar nicht daran; er
stellt sich ill den Vordergrund den: Verderben gegenüber. Dort kommt der
Todesengel, der alles vor sich niederwirft, und hier steht Aaron gerade ill
seinem Pfade, als wollte er sagen: „Weiche zurück! weiche zurück! Ich will
meinen Weihrauch dir ius Angesicht schwingen; Vertilger der Menschen, du
kannst an dem Rauchfaß von Gottes Hohepriester nicht vorüberkommen." O,
Du glorreicher Hohepriester unsres Bekenntnisses, D u hättest das, was Aaron
zurückgeschreckt haben könnte, nicht nur fürchten mögen, fondern D u erduldetest
wirklich die Plage Gottes, denn als D u zu dem Volke kamst, es vor Iehovahs
Zorn zu retten, da fiel Iehovahs Zorn auf Dich. D u warst von Deinem
Vater verlassen. Die Plage, welche Jesus von uns abhielt, traf I h n : „Der
Herr warf unfer aller Missethat auf I h n . " Die Schafe gingen frei alls, aber
„sein Vlut und Leben zahlt der Hirte, für seine Herd' das Lösegeld."
Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 239

O, D u Liebhaber Deiner Gemeinde, unsterbliche Ehre sei Dir, Aaron


verdient Liebe von den Stämmen Israels, weil er in den Riß trat und sich
uni ihrer Süude willen der Gefahr aussetzte; aber D u , mächtiger Heiland,
D n sollst ewige Lieder haben, weil D u , Dich selbst vergessend, blutetest und
starbst, damit die Menschen errettet würden!
Ich möchte wiederum einen Augenblick eure Aufmerksamkeit auf jenen
andren Gedanken lenken, den ich schon angedeutet habe, nämlich, daß Aaron
als ein Liebhaber des Volkes Israel viel Lob verdient, da ausdrücklich erwähnt
wird, er l i e f unter die Gemeine. Ich bin nicht ganz gewiß in betreff seines
Alters, aber da er älter als Mose war, der um diese Zeit ungefähr neunzig
Jahre alt gewesen sein muß oder noch älter, so muß Aaron gegen hundert
Jahre oder mehr gewesen sein. Es ist nichts Geringes, daß ein solcher Mann,
ohne Zweifel mit seinen priesterlichen Kleidern angethan, lief, nnd das für ein
Volk, das nie viel Fleiß gezeigt hatte, ihm Dienste zn erweisen, sondern viel
Eifer im Widerstand gegen seine Autorität. Die kleine Bemerkung über sein
Laufen ist hoch bedeutsam, denn sie zeigt die Größe und Schnelligkeit des gött«
lichen Liebesdranges, der in ihm war. Ah, und war es nicht so mit Christo?
Eilte Er nicht, unser Heiland zu sein? War nicht seine Lust bei den Menschen-
kindern? Sagte Er nicht: „Ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer
Taufe; und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde!" Sein Sterben
für uns war nicht etwas, was Er fürchtete. „Mich hat herzlich verlangt,
dies Osterlamni mit euch zu essen." Er hat nach dem Augenblick geschmachtet,
wo Er sein Volk erlösen sollte. Er hat die Ewigkeit hindurch auf jene Stunde
geblickt, wo Er seinen Vater verklären würde, und sein Vater I h n . Er kam
freiwillig, durch keinen Zwang gebunden, ausgenommen durch seine eignen
Vundesverpflichtungen: und Er gab fröhlich und freudig sein Leben dahin —
ein Leben, das „niemand von I h m nehmen konnte, sondern das Er voll sich
selber ließ." Während ich mit Bewunderung auf Aaroll blicke, muß ich mit
Anbetung auf Christum blicken. Während ich Aaron als einen Liebhaber
seines Geschlechtes bezeichne, nenne ich Iesum Christum den bestell der Lieb-
haber — den Freund, der „fester beistehet, denn ein Bruder."

II.
Aber jetzt gehe ich weiter, um Aaron in einer andren Gestalt anzusehen.
Laßt uns ihn nun anschauen als d e n g r o ß e n U e r s ö h n e v .
Zorn war voll Gott ausgegangen wider das Volk um seiller Sünde
willen, und es ist Gottes Gesetz, daß sein Zorn nie sich stillt, bis eine Ver-
söhnung dargebracht wird. Das Näuchwerk, das Aaron in seiner Hand trug,
war die Versöhnung von Gott, weil Gott in diesem Wohlgeruch das Vorbild
240 Alttestamentliche Bilder.

jenes reicheren Opfers sah, das unser großer Hohepriester noch diesen Tag vor
dem Throne darbringt.
Aaron als Versöhner muß zuerst betrachtet werden als der, welcher in
seinem Rauchfaß das trägt, was notwendig zur Versöhnuug ist. Er kam nicht
mit leeren Händen. Obwohl Gottes Hohepriester, muß er doch das Rauchfaß
nehmen; er muß es mit dem verordneten Näuchwerk, das aus den dafür ver-
ordneten Materialien gemacht war, füllen; und dann muß er es anzünden
mit dem heiligen Feuer am Altare, und mit diesem allein. M i t dem Rauch»
faß in der Hand ist er sicher; ohne dasselbe hätte er ebensowohl sterben können
wie das übrige Volk. Die Befähigung Aarons lag zum Teil darin, daß er
das Rauchfaß hatte und daß dieses voll war voll den süßen Wohlgerüchcn,
die vor Gott annehmbar waren. Sehet denn Iesum Christum als den Ver>
söhner für fein Volk. Er steht noch heute vor Gott mit seinem Rauchfaß,
dessen Rauch zum Himmel aufsteigt. Sehet den großen Hohepriester! Sehet
I h n heute mit den durchbohrten Händen und dem Haupte, das einst nut
Dornen gekrönt war. Beachtet, wie der wunderbare Rauch feines Verdienstes
immerdar aufsteigt vor dem ewigen Thron. Er ist es, Er ist es allein, der
die Sünden seines Volkes hinwegnimmt. Sein Näuchwerk besteht, wie wir
wissen, zu allererst aus seinem thätigen Gehorsam gegen das göttliche Gesetz.
Er hielt seines Vaters Gebote; Er that alles, was der Mensch hätte thun
sollen; Er erfüllte das ganze Gesetz Gottes und brachte es zu Ehren. M i t
diesen! vermischt war sein Blut — ein ebenso reicher und kostbarer Bestand-
teil. Jener blutige Schweiß — das Blut seines Hauptes, das von der
Dornenkrone durchbohrt war, das Blut seiner Hände, die an das Kreuz ge-
nagelt wurde»; das Blut seiner Füße, die an das Holz befestigt wurden, und
das Blut seines Herzens — das köstlichste von allen — dies mit seinen,
Verdienst zusammen gemischt — dies macht das Näuchwerk aus — ein un-
vergleichliches Rä'uchwerk, ein Näuchwerk, das jedes andre übertrifft. Alle
Wohlgerüche, die je von der Stiftshütte oder vom Tempel emporsteigen,
könnten keinen Augenblick mit diefem verglichen werden. Das Blut allein
redet besser denn Abels, und wenn Abels Blut Rache zu bringen vermochte,
wieviel mehr wird das Blut Christi dann vermögen, Vergebung und Gnade
hernieder zu bringen. Unser Glaube ruht auf vollkommener Gerechtigkeit und
vollständiger Sühne, die wie lieblicher Weihrauch vor des Vaters Angesicht sind.
Aber es war nicht genug, daß Aaron das rechte Näuchwerk hatte.
Korah hätte das auch haben können und das Rauchfaß dazu. Das war nicht
genügend — er mußte der verordnete Priester fein; denn merkt euch, zwei»
hundertundfünfzig Männer fielen, indent sie das thaten, was Aaron that.
Aarons Thun errettete andre; ihr Thun brachte sie felbst ins Verderben. So
muß Jesus, der Versöhner, als der Verordnete angesehen werden, von Gott
Der Hohepriester steht zwischen den Toten nnd Lebendigen.

berufen, wie Aaron es war. I n der Ewigkeit schon bestimmt znr Versöhnung
für die Sünde, kam Er in die Welt als ein verordneter Priester Gottes, der
seine Ordination nicht von Menschen noch dnrch Menschen empfangen hatte,
sondern wie Melchisedek, der Priester des höchsten Gottes, ohne Vater, ohne
Mutter, ohne Geschlecht, der weder Anfang der Tage, noch Ende des Lebens
hatte, so ist Er ein Priester in Ewigkeit, nach der Ordnung Melchisedeks.
Steht zurück, Söhne Korahs, ihr alle, die ihr euch Priester nennt. Ich kann
mir kaum vorstellen, daß irgend ein Mann in dieser Welt, der sich den Titel
Priester beilegt, ausgenommen in dem Sinne, in dem alle Kinder Gottes
Priester sind, in den Himmel kommen kann. Ich wollte nicht etwas zu
Scharfes oder zu Strenges sagen; aber ich glaube fest, daß ein Anspruch ans
das Priesteramt ein solcher Eingriff in das Priesteramt Christi ist, daß ich
ebensowohl mir vorstellen könnte, daß ein Mann selig würde, der sich selbst
Gott nannte, als einer, der sich einen Priester nennt; wenn er wirklich meint,
was er sagt, hat er in das priesterliche Vorrecht Christi so eingegriffen, daß
mir scheint, er hat die Kronjuwclen angetastet nnd ist einer Lästerung schuldig,
die, wenn sie nicht bereut wird, Verdammnis auf sein Haupt herabziehen wird.
Schüttelt von enren Kleidern alle priesterliche Anmaßung, ihr Prediger Christi;
gehet aus von ihnen; rühret kein Uureincs an. Es gibt keine Priester jetzt,
die ein besonderes Amt unter den Menschen verwalten. Iesns Christus, und
Er allein ist der Priester seiner Gemeinde, und Er hat uns alle zu Priestern
uud Königen vor Gott gemacht, und wir sollen regieren von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Weun ich hier irgend jemand habe, der so schwach ist, daß er seine
Seligkeit von den Opfern eines andren Menschen abhängig macht, so beschwöre
ich ihn, seine Tä'nschung anfzugeben. Mich kümmert es nicht, wer dein Priester
ist. Er mag znr anglikanischen oder zur römischen Kirche gehören. J a , und
zu irgend einer andren Kirche unter dein Himmel. Wenn er beansprucht,
mehr ein Priester zu sein, als du selber es beanspruche!! kannst — hinweg
mit ihm — er betrügt dich; er spricht zu dir, was Gott verabscheut, und was
der Gemeinde Christi ein Grenel sein sollte und was sie verabscheue» würde,
hätte sie ein wahrhaft lebendiges Gefühl von ihres Herrn Herrlichkeit. Nie-
mand als Iefus, niemand als Iesns, alle andren Priester nno Opfer
verschmähen wir. Werfet Schmutz ans ihre Gewänder; sie sind keme
Priester, und sie können es nicht sein; sie maßen sich die besondere Würde
Jesu an.
Aber laßt uns ferner beachten, indem wir Aaron als den großen Ver<
söhner ansehen, daß er für sein Werk bereit war. Er war bereit mit seinem
Näuchwerk und lief zu dem Werke in dem Augenblick, wo die Plage aus-
brach. W i r finden nicht, daß er nötig hatte, hinzugehen und seine Priester«
gewänder anzulegen; wir finden nicht, daß er sich für das Versöhuungsamt zu
S p u r g e o n , Alttestamentllche Bilder. 16
242 Alttestamentliche Bilder.

bereiten hatte; sondern er ging auf der Stelle, sobald die Plage ausbrach.
Das Volk war bereit, umzukommen, und er war bereit, zn retten. O mein
Hörer, merke hierauf. Iesns Christus steht bereit, dich jetzt zu retten; es ist
keine Vorbereitung nötig, Er hat das Opfer dargebracht; Er hat das Rauch-
faß gefüllt. Er hat die glühenden Kohlen hineingethan. Sein Vrusifchild ist
auf seiner Vrnst, seine Mitra ist auf seinem Haupte, Er ist bereit, dich jetzt
zu erretten. Vertrane I h m , und du wirst keinen Aufschub nötig finden. Ver»
laß dich auf I h n , und on wirst nicht finden, daß Er eine Tagereise zn »lachen
braucht, nm dich zn erretten; „ E r kann erretten bis znm Äußersten, die durch
I h n zu Gott kommen, und lebet immerdar uud bittet für sie." I h r , die ihr
Christum uicht kennt, hört dies! I h r seid uerloren nnd verderbt dnrch den
Fall. Der Zorn ist von Gott gegen ench ausgegangen. Dieser Zorn mnß
euch verzehren bis in die unterste Hölle, wenn nicht jemand Gott mit ench
versöhnen kann. I h r könnt es nicht thnn. Kein Mensch kann es thun, keine
Gebete, keine Sakramente, nein, ob ihr anch blutigen Schweiß schwitzen könntet,
so würde das nichts helfen, aber Christns ist im stände, zn versöhnen. Er
kann es thnn, und Er allein; Er kann zwischen ench nnd Gott stehen und
Iehovahs Zorn abwenden, und Er kann in ener Herz ein Gefühl von seiner
Liebe geben. O, ich bitte euch, vertraut I h m , vertraut I h m . I h r mögt nicht
bereit für I h n sein, aber Er ist immer bereit, zn erretten, aber ill der That,
ich muß mich in diesem letzten Ausdruck berichtigen, i h r seid bereit für I h n .
Wenn ihr auch noch so schlecht und noch so ruiniert dnrch enre Sünde seid,
es thut keine Vorbereitung lind kein Fertigmachen nötig. Es war nicht das
Verdienst der Gemeinde, das sie rettete, noch irgend eine Vorbereitnng von
ihrer Seite; es war die Vereitschaft des Hohenpriesters, die sie rettete. Er ist
vorbereitet. Er steht da für die, welche an I h n glauben. O, daß du jetzt
an I h n glanbtest und deine Seele seinen Händen anvertrautest; und o, glaube
mir, deine Sünden, deren viele sind, sollen alle vergeben werden; der Plage
soll gcwehret werden, Gottes Zorn soll nicht gegen dich ausgehen, sondern du
sollst errettet werden.

III.
Laßt mich null Aaron betrachten als den V e r m i t t l e r . Wie die alten
Westminster»Anmerknngen zn dieser Stelle sagen: „Die Plage ergriff das Volk,
wie das Feuer ein Kornfeld ergreift." Dort kam sie, sie begann am äußersten
Ende, die Gesichter der Menschen erblaßten; nnd immer weiter, weiter griff
sie um sich, und in großen Haufen fielen sie, bis mehr als vierzehntausend
gestorben wareil. Aaron stellt sich weislich so recht ill den Weg der Plage.
Sie kommt daher, wirft alles vor sich nieder, und dort steht Aaron, der Ver-
mittler, mit ausgebreiteten Armen, das Rauchfaß auf gen Himmel schwingend,
Der Hohepriester steht zwischen den Toten nnd Lebendigen. 243

und stellt sich zwischen die Pfeile des Todes und das Volk. „Wenn Pfeile
fliegen müssen," scheint er zu sagen: „laßt sie mich durchbohren; oder laßt
den Weihrauch mich sowohl als das Volk schützen." „Tod," spricht er: „bist
du auf deinem fahlen Pferde gekommen? Ich halte dich an, ich werfe dein
Roß zurück. Kommst du, du grimmiger Knochenkönig? M i t meinem Nanch-
faß in der Hand stehe ich vor dir; dn mnßt über meinen Leichnam hinweg
gehen; dn mnßt mein Rauchfaß leeren; dn mnßt Gottes Hohenpriester ver-
nichten, ehe du dies Volk vernichten kannst." Gerade so war es mit Christo.
Zorn war gegen uns ausgegangen. Das Gesetz war im Begriff, uns zu er«
schlagen; das ganze menschliche Geschlecht mußte vernichtet werden. Christus
steht im Vordertreffeu der Schlacht. „Die Streiche müssen ans mich fallen,"
ruft Er, „die Pfeile sollen eine Zielscheibe in meiner Vrnst finden. Ans mich,
Jehovah, laß Deine Rache fallen." Und Er empfangt diefe Rache, und nachher
vom Grabe nuffpringend, schwingt Er das Rauchfaß, voll von dem Verdienst
seines Vîntes, uud gebietet dein Zorn und der Rache, zurückzutreteu. Auf
welcher Seite bist du heute, Sünder? Ist Gott zornig über dich, Sünder?
Sind deine Sünden unucrgeben? Sprich, bist du ohne Verzeihung? Vist
du immer noch ein Erbe des Zorns und des Todes? Ah, dann wollte ich,
daß du au der andren Seite von Christo wärst. Wenn du an Christum
glaubst, so laß mich dich frage!,, weißt dn, das; dn völlig errettet bist? Kein
Zorn kann dich je erreichen, kein geistlicher Tod kann dich je vernichten, keine
Hölle kann dich je verschlingen, und warum? Was ist deine Bewahrung,
was dein Schutz? Ich sehe die Thrä'ne in deinem Auge schimmern, indem
dn sagst: „Es ist nichts zwischen mir nnd der Hölle, als Christus; es ist
nichts zwischen nur und Iehovahs Zorn, als Christus; es ist nichts zwischen
mir und augenblicklichem Verderben, als Christus. Aber Er ist genug.
Er mit dem Nanchfaß in feiner Hand — Gottes verordneter Priester — Er
ist genug." Ach, Brüder uud Schwestern, wenn ihr zwischen euch und Gott
Tanfeu und Kommunionen, Fasten, Gebete, Thrä'ncn nnd Gelübde gestellt
habt, wird Jehovah alle eure Zufluchtsmittel durchbrechen, wie das Fener die
Stoppeln verzehrt. Aber, meine Seele, wenn Christns zwischen dir und
Jehovah steht, so kann Jehovah dich uicht schlagen; sein Donnerkeil muß erst
den göttliche» Erlöser durchbohren, ehe er dich zu erreichen vermag, und dies
kann nie geschehen.

Meine lieben Hörer, versteht ihr diese große Wahrheit, daß es nichts
gibt, was die Seele des Menschen retten kann, als Jesus Christus, der
zwischen dieser Seele uud dem gerechten Gericht Gottes steht? U n d , o,
ich lege dir wiedernm die persönliche Frage vor: hast du hinter Christus
Zuflucht gesucht? Sünder, stehst du heute unter dem Kreuze? Ist das dein
Vergungsort? I s t das Pupurkleid des Sühuovfers Jesu über dich gedeckt?
16*
Alttestamentliche Bilder.

Bist du gleich der Taube, die sich in den Spalten der Felsen verbirgt?
Hast dlt dich in den Wunden Christi verborgen? Sage, bist du in seine
Seite hinein geflüchtet und fühlst du, daß Er dein Schutz sein muß, bis der
Sturm vorüber ist? O, sei guten Muts, der, dessen Fürsprecher Christus ist,
ist ein erretteter Manu. O Seele, wenn du nicht ill Christo bist, was willst
du thun, wenn der Würgengel kommt? Sorgloser Sünder, was wird alls
dir werden, wenn der Tod dich gefangen nimmt? Wo wirst du seilt, wenn
die Gerichtsposaune in deine Ohren tönt und einen Alarm blaset, der die
Toten auferweckt? Schläfriger Sünder, der du heute unter dem Worte Gottes
schläfst, wirst dll dann schlafen, wenn Iehovahs Donner losgelassen werden
und seine Blitze die Himmel in Flammen fetzen? Ich weiß, wo du alsdann
Schutz suchen wirst! D u wirst ihn da suchen, wo du ihn nicht finden kannst;
du wirst die Felsen heißen, über dich zu fallen, und die Berge bitten, dich zu
bedecken, aber ihre steillernen Eillgeweide werden keill Erbarlnen kennen, ihre
adamantnen Herzen werden dir kein Mitleid zeigen, dll sollst dem Sturm der
Rache und dem heißen Hagel des Zornes Gottes ausgesetzt dastehen, und nichts
soll dich beschützen; wie Sodom und Gomorrha von dem Angesicht der Erde
vertilgt wurden, so mußt du vertilgt werden, und das auf ewig, weil du nicht
all Iesllm Christum, den Sohlt Gottes, geglaubt hast.

IV.
Aber wir können hier nicht länger verweilen, wir müssen zu einem
andren Punkte übergehen. Wir haben Aaron in drei Gestalten gesehen, als
den Liebhaber, Versöhner und den Vermittler; nun viertens laßt mich ihn
betrachten als d e n H e i l a n d . Es war Aaron, Aarons Rauchfaß, wodurch
das Leben der großen Menge errettet ward. Wenn er nicht gebetet, hätte die
Plage nicht aufgehört, und der Herr würde die ganze Gemeinde in einem
Augenblick vertilgt haben. So wie es war, seht ihr, daß vierzehntausend'
siebenhundert vor dem Herrn starbell. Die Plage hatte ihr schreckliches Werk
begonnen, und nur Aaron konnte ihr Einhalt thun. Und nun möchte ich
euch darauf aufmerksam machen, daß Aaron, und der Herr Jesus insbesondere,
als ein gnädiger Heiland angesehen werden muß. Es war nichts als Liebe,
was Aaron bewog, sein Rauchfaß zu schwingen. Das Volk konnte es nicht
von ihm verlangen. Hatten sie nicht eine falsche Beschuldigung gegen ihn
vorgebracht? Und dennoch rettet er sie. Es muß Liebe gewesen sein, und
nichts als Liebe. Sagt, war irgend etwas in den Stimmen jener wütenden
Menge, was Aaron bewegen konnte, der Plage Einhalt zu thun? Nichts!
Nichts in ihrem Charakter! Nichts in ihren Blicken! Nichts in ihrer Be-
handlung des Hohenpriesters Gottes! und doch tritt er gnädig in den Riß
Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 245

und rettet sie vor dem verzehrenden Gericht Gottes! O, Brüder und Schwestern
— wenn Christus uns errettet hat, so ist Er in der That ein gnädiger
Heiland. Oft, wenn wir daran denken, daß wir errettet sind, fällt die
Thräne unsre Wangen hinab, denn wir können nicht fagen, weshalb Jesus
u n s errettet hat.

„Was konnte Gott in mir gefallen?


Was für Verdienst sah Er in mir?
.Ja, Vater/ müssen stets wir singen,
Weil's wohlgefällig war vor Dir!"

Es ist kein Unterschied zwischen den Verklärten im Himmel und den


Verdammten in der Hölle, als nur der Unterschied, den Gott durch seilte eigne
unumschränkte Gnade gemacht hat. Was auch für ein Unterfchied zwischen
Saulus, den: Apostel, nnd Elimas, dein Zauberer, er ist von uuumschränkter
Macht und unverdienter Liebe gemacht worden. Paulus hätte immer noch
S a u l von Tarsus bleibell und ein verdammter Geist in dem bodenlosen
Abgrnnd werden können, hätte nicht die freie, nnumschränkte Gnade ihn als
einen Brand alls dein Feller gerissen. O, Sünder, du sagst: „Es ist kein
Gruud ill mir, warum Gott mich retten sollte," aber es ist kein Grund
dafür in irgend einem Menschen. I n dir ist kein gnter Punkt, und ebenso-
wenig in irgend einem andren. Es ist ill keinem etwas, was ihn bei Gott
empfehlen könnte. Wir sind alle folche Sünder, daß die Hölle unser ver-
dientes Teil ist; und wenn einige von uns vom Hinunterfahren in den
Abgrund errettet werden, fo ist es Gottes mwerdiente, unumschräukte Güte, die
es thut, und nicht irgend ein Verdienst von unsrer Seite. Jesus Christus ist
eilt sehr gnädiger Heiland.
Und ferner, Aaroll war ein alleiniger Heiland. Selbst Mose kam nicht
mit Aaron, nm ihm zu helfen. Er stand allein vor dem Riß mit diesem
Rauchfaß — dieser eine, einzelne Strom von Ranch schied die Toten von den
Lebendigen. Warum kamen nicht die Fürsten Israels mit ihm? Ach! sie
hätten nichts thun können; sie hätten selbst sterben müssen. Warum kamen
nicht alle Leviten mit ihm? Sie wären erschlagen worden, wenn sie gewagt
hätten, an der Stelle des Hohenpriesters Gottes zu stehen. Er steht allein,
allein, allein! und hierin war er ein großes Vorbild Christi, der sagen
konnte: „ I c h trete die Kelter allein, und ist niemand unter den Völkern mit
mir." Denkt also nicht, daß, wenn Christns uns schützt, dies um unsrer
Gebete, Thränen oder guten Werke willen ist. Er thnt nie unsre Thränen
und Gebete in sein Ranchfaß. Sie würden das Räuchwerk verderben. Es
ist nichts darin, als seine eignen Gebete und seine eignen Thränen und seine
eignen Verdienste. Denkt nicht, daß ihr errettet werdet um irgend etwas
246 Alttestameutliche Bilder.

willen, was ihr für Christum gethan habt oder je thun könnt. Wir mögen
predigen und wir mögen in Gottes Hand zu geistlichen Vätern Taufender von
Seelen gemacht werden, aber unfer Predigen hilft uns anf keiner Weise, den
Zorn Gottes von uns abzuwenden. Christus thut es alles, ganz und allein,
und niemand darf wagen, als sein Helfer dazustehen. Sünder, hörst du
dies? D u sagst: „Ich kann dies und das nicht thun." Er bittet dich nicht,
irgend etwas zu thun; du sagst: „Ich habe keine Verdienste;" M a n n , Er
verlangt keine; wenn du Christo helfen willst, wirst du verloren sein, aber
wenn du es I h m überlassen willst, alles zu thun, so sollst du errettet werden.
Komm herbei, das ist ja gerade der Heilsplan, Christum als dein all in allem
anzunehmen; Er will nie ein teilweiser Heiland sein; Er kam nie, unsre
zerlumpten Kleider zu sticken; Er will uns ein neues Gewand geben, aber Er
will niemals das alte ausbessern. Er kam nicht, um den Palast Gottes
erbauen zu h e l f e n . Er will jeden Stein beHauen und ihn auf den andren
legen; Er will keinen Ton des Hammers und keine sterbliche Hilfe in diesem
großen Werk haben. O, daß diese Stimme durch die ganze Welt hallen
könnte, während ich wieder dieses Wort verkünde, den Todesstreich für alles
Papsttum, alle Gesetzlichkeit und alles fleischliche Verdienst: „Jesus allein,
Jesus allein." „Es ist kein andrer Name den Menschen gegeben, worin wir
sollen selig werden." Er braucht auch keinen Helfer. „ E r ist nicht gekommen,
die Gerechten zur Buße zn rufen, sondern die Sünder." Er kann bis zum
äußersten erretten, die durch I h n zu Gott kommen.
Er war also, wie ihr bemerkt, ein gnädiger Heiland und ein alleiniger;
uud noch eins, Aaron war als ein Heiland allgenugsam. Der Tod kam bis
an die Füße Aarons; dort lag ein toter Mann, dort lag eine Mutter, ein
Kind, ein Fürst, ein Holzhauer, ein Wasserträger — dort lagen sie. Dort
stand ein starker Mann in seinein Todeskampf uud flehte, daß er nicht sterben
möge, aber er siel als Leiche zurück. Dort stand ein Fürst Israels, und mußte
der sterben? J a , er mnßte fallen. Der alluerschlingende Tod schritt wie ein
hungriger Löwe brüllend vorwärts unter dein Schreien und Kreischen des
Volkes; aber dort stand er still, jenes Rauchfaß schien zu sagen: „Vis hierher
sollst du gehen, aber nicht weiter." Was für ein Wunder, daß das Rauchfaß
der Herrschaft des Todes Einhalt that! Vis zu diesen! Markzeichen fließen
die Wellen des uferlosen Meeres; dort steheu die Menschen auf der terin
tirinu, des Lebens. Aaron steht da, uud als Gottes Hoherpriester treibt er
mit jenem Rauchfaß den grimmen Tod zurück; das ganze Heer Israels, wenn
es bewaffnet gewesen nnd Bogen getragen, hätte nicht die Pestilenz zurück»
treiben können; nein, alle Heere bewaffneter Männer, die je die Erde mit
Blut befleckten, hätten nicht Gottes Plagen zurücktreiben können. Der Tod
hätte über sie gelacht, ja, er wäre in ihre Reihen eingetreten und hätte sie in
Der Hohepriester steht zwischen den Toten und Lebendigen. 247

Stücke gehauen, aber Aaron allein ist genug, völlig genügend, und dies durch
das Brennen des Weihrauchs. O Sünder, Christus ist ein allgenugsamer
Heiland, f ä h i g , zu erretten; du kannst dich nicht selbst erretten, aber Er kann
dich erretten. O Sünder, alle Sünde und Lästerung soll den Menschen ver-
geben werden; es macht nichts aus, wie niedrig und schändlich dn gewesen
sein magst: „Glaube an den Herrn Iesum Christum, so wirst du selig werden."
Ob auch die Erinnerung all deine Süilde Scharlachrot in dein Gesicht bringt,
ob du dich schämst, daran zu denken, was für ein Elender du gewesen, ob
dein Leben fauler Ehebruch, ob es Lästerung, Lüge, Haß des Volkes Gottes
und was sonst gewesen; — ich füge noch hinzu, wenn du willst — oder
Liederlichkeit, Schlemmerei, Mord — wenn alle diese Verbrecheil da wären,
— das B l u t Jesu Christi, des Sohnes Gottes, würde immer noch fähig fein,
dich von aller Sünde zu reinigen. Ob du auch jedes Verbrechen i n dem
Katalog der Missethaten begangen hättest, Sünden, die wir nicht nennen
können: „Wenn deine Sünde gleich blutrot ist, soll sie schneeweiß werden;
und wenn sie gleich ist wie Nosinfarbe, foll sie doch wie Wolle werden." D u
sagst: „Wie kann das mir zu teil werden?" Einfach dadurch, daß du deine
Seele Christo anvertraust. „Wer an den Herrn Iesum Christum glaubt, der
wird selig werden, wer aber nicht glaubt, der wird verdammet werden." Das
war Christi Auftrag an die Apostel, Er hieß sie hingehen und diese große
Wahrheit predigen, und wiederum verkündige ich sie: „Wer da glaubet und
getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird ver-
dammet werden." Wer nicht glaubet, wird verdammet werden, mögen seiner
Sünden auch noch so wenig sein, wer glaubet, wird niemals verloren gehen,
mögen seiner Sünden auch noch so viel sein. Vertraue du deille Seele Christo
an, und deille Sünden sind sofort vergeben, fofort ausgetilgt.

V.
Und nun komme ich zu meinem letzten Punkt, und der ist, Aaroll als
d e r Acheidende — das V i l d Christi.
Aaron, der Gesalbte, steht hier; auf jener Seite ist Tod, auf dieser Seite
Leben; die Grenze zwischen Leben und Tod ist dieser eine Mann. Wo sein
Much werk raucht, ist die Luft gereinigt, wo es nicht raucht, herrscht die Plage
mit unverminderter Wut. Es sind zwei Arten Leute hier heute morgen, wir
vergessen den Unterschied voll reich uud arm, wir kennen ihn hier nicht; es
sind zwei Arten Leute, wir geben den Unterschied von Gelehrten und Un-
gelehrten ans, wir kümmern uns hier darum nicht; es sind zwei Arten hier,
und^das And die Lebendigen und die Toten, die Begnadigten und die Un-
begnadigten, die Erretteten und die Verlornen. Was scheidet den wahren
248 Alttcstamclitlichc Vildcr.

Christen von dem Ungläubigen? Manche denken, es sei dies, daß der Christ
das Sakrament nimmt, der andre nicht. Das ist keine Scheidung; es gibt
Menschen, die zur Hölle gegangen sind mit dem Vrot des Sakraments in
ihrem Mund. Andre mögen meinen, daß die Taufe den Unterschied macht,
und in der That, sie ist das äußere Zeichen, wir zeigen der Welt dadurch,
daß wir begraben sind, ein Vorbild, daß wir der Welt gestorben und in
Christo begraben sind; wir kommen aus dem Wasser wieder herauf zum
Zeugnis, daß wir wünscheu, in einem neuen Leben zu wandeln durch die Auf'
erstehung Jesu Christi voll den Toten. Wer getauft ist, der ist so über den
Rubikon hinübergegangen, er zieht das Schwert und wirft die Scheide hinweg,
er ist der Getaufte und hat ein Zeichen, das nie bei ihm ausgetilgt werden
kann. Er ist durch diese Taufe Christo geweiht, aber es ist nnr ein äußeres
Zeichen, denn es sind viele mit Wasser getanst worden, die, da sie nicht die
Taufe des Heiligen Geistes hatten, nachher in den feurigen Leiden ewiger
Qual getauft sind. Nein! Nein! Die eine Schciduug, die eine große
Scheidung zwischen denen, welche Gottes Volk sind, nnd denen, die es nicht
sind, ist Christns. Ein Mensch in Christo ist ein Christ; ein Mensch anßer
Christo ist tot in Übertretung und Sünden. „Wer an den Herrn Iesum
Christum glaubt, ist errettet, wer nicht glaubt, ist verloren." Christus ist der
einzig Scheidende zwischen seinem Volke und der Welt. Auf welcher Seile
also bist du heute, mein Hörer? Kommt, laßt die Frage einzeln an euch
herantreten. Junger Mann, auf welcher Seite bist du? Bist du Christi
Freund uud Diener oder bist du sein Feind? Alter Mann, du dort drüben
mit dem grauen Haar, du hast nur noch eine kleine Weile zu leben, ans
welcher Seite bist du? Bist du meines Herrn Alut-Erkaufter oder bist du
noch ein verlornes Schaf? Und dn, Hansfrau, die du beschäftigt bist, vielleicht
sogar jetzt in deinen Gedanken mit deinen Kindern, denke einen Augenblick
nicht an sie, ans wessen Seite bist dn? Hast dn geglaubt, bist du wieder-
geboren worden oder bist du stets noch in der Galle der Bitterkeit und den
Banden der Ungerechtigkeit? I h r , die ihr dort drüben steht, laßt die Frage
enre dichten Reihen durchdringen: wo bist du? Kannst du den Namen Christi
auf deine Lippen nehmen und sagen: „Jesus, ich bin Dein uud D u bist mein!
Dein Blut und Deine Gerechtigkeit ist meine Hoffnnng und mein Vertrauen!"
denn wenn nicht, mein Hörer, so bist dl« nnter den geisllichen Toten und du
wirst bald unter den Verdammten sein, wenn die göttliche Gnade nicht zuvor«
kommt, dich ändert und dich erneut.
Bitte, gedenkt daran, Brüder und Schwestern, wie Christus jetzt der
große Scheidende ist, so wird Er es am Tage des Gerichts sein. Denkt ihr
nie daran: E r „wird sie voneinander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe
von den Böcken scheidet!"? Er steht zwischen ihnen, und an jenem letzten Tag
Der Hohepriester steht zwischen den Tuten und Lebendigen. 249

der Tage, für den alle andren Tage gemacht wurden, wird Christus der große
Scheidende sein. Hier die Gerechten, in Weiß gekleidet, in triumphierenden
Gesängen nn't I h m verklärt; und dort die Verlornen, die Ungläubigen, die
Furchtsamen, die Greuelhaften. Was scheidet sie uon dem glänzenden Heer?
Nichts als die Person des Menschensohnes, auf den sie schauen und weinen
und trauern und wehklagen. Das ist die undurchdringliche Scheidewaud,
welche die Verdammten von der ewigen Seligkeit ausschließen wird. Die
Pforte, die ench jetzt einlassen kann, wird die feurige Pforte sein, die euch
dereinst ausschließt. Christus ist die Thür des Himmels; o, schrecklicher Tag,
wenn diese Thür verschlossen sein wird, wenn diese Thür vor euch sieht und
euch daran hindert, in die Seligkeit einzugehen, nach der euch dann verlangen
wird, wenn ihr nicht hinein kommen könnt.
O l auf welcher Seite werde ich fein, wenn alle diese vergänglichen
Dinge verschwunden sind, wenn die Toten aus ihreu Gräbern erstände» sind,
wenn die große Gemeine ans dein Lande uud auf der See stehen wird, wmn
jedes Thal und jeder Acrg nnd jeder Fluß und jedes Meer voll Massen sein
wird, die in dichter Ordnung sich aneinander reihen. O, wenn Er sprechen
wird: „Sondert ans mein Volk, schlagt an mit eurer Sichel, denn die Ernte
der Welt ist reif;" meine Seele, wo wirst du sein? Wirst du unter den
Verlornen gefundeil werden? Soll die fnrchtbare Posauuc dich hinunter zur
Hölle senden, während eine Stimme, die dein Ohr zerreißt, hinter dir herruft:
„Gehet hin voll mir, gehet hin uon mir, ihr Übelthäter, in das ewige Feuer,
das bereitet ist dein Teufel und seinen Engeln." O, gib, daß ich dort nicht
fei, sondern nnter Deinen« Volte stehe. So sei es, mögen wir znr Rechten
des Nichters sein für alle Ewigkeit, uud daran gedenken, daß Ehristns auf
ewig der Scheidende sein wird, Er wird zwischen den Verlornen nnd den
Erntteten stehen. Er wird sich auf ewig zwischen die Verdammten und die
Verklärten stellen. Wieder gebe ich es euch anHeim, leiht mir euer Ohr nur
für einen Augenblick, während ich fpreche. Was fagt ihr dazn, foll diefe Ver»
sammlnng entzwei gerissen werden? Die Stunde kommt, wo nnser Wollen
und Wünschen keine Kraft haben wird. Gott w i l l die Gerechten dann von
den Gottlosen scheiden, nnd Ehristns soll die furchtbare Scheidewand fein; ich
sage, sind w i r vorbereitet, auf ewig getrennt zu werden? Mann, bist on
bereit, hent deinem Weibe auf ewig zu eutsagen? bist dn bereit, wenn der
klebrige Schweiß auf ihrer Stirue steht, ihr den letzten Kuß zu geben und zu
sprechen: „Adieu, adieu, ich werde dich niemals wiederseheil?" Kind, Sohn,
Tochter, bist du bereit, nach Hanse zn. gehen, am Tische deiner Mutter nieder-
znsitzen, und ehe dn issest, zn sagen: „Mntter, ich verschwöre dich mm ein für
allemal, ich bin entschlossen, verloren zu seiu, nnd da du auf Christi Seite
bist und ich I h n niemals lieben w i l l , so will ich mich auf ewig von dir
250 Alttestamentliche Bilder.

trennen." Gewiß, die Bande der Verwandtschaft erwecken in uns das Sehnen,
in einer andren Welt zusammen zu sein, und wünschen wir, in der Hölle uns
zu treffen? Wünscht ihr alle, dort zusammenzukommen — eine grimme
Gesellschaft — inmitten der Flammen zu liegen? Wollt ihr in dem ver-
zehrenden Feuer wohnen und in der ewigen Glut bleiben? Nein, euer Wunsch
ist, im Himmel zusammenzukommen, aber ihr könnt es nicht, wenn ihr nicht
in Christo zusammenkommt, ihr könnt nicht im Paradies zusammen sein, wenn
ihr nicht in I h m zusammen seid. O, daß jetzt die Gnade Gottes auch auf
uns ausgegossen würde, auf daß ihr zu Jesu kämet! Amen.
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 251

17.
Das erste Aufrichten der ehernen
Schlange.
„ D a zogen sie von Hör am Gebirge . . . so sähe er die eherne
Schlange an und blieb leben." 4 Mose 2 1 , 4—9.

) c h habe euch häufig den Typus der ehernen Schlange erklärt, wie
unser Herr ihn im dritten Kapitel des Johannes auslegt. Ich hielt es für
angemessen, heute abend dieses Vorbild in seinem Zusammenhange zu nehmen
und die Umstände zu betrachten, welche ursprünglich zur Errichtung desselben
führten: denn während die allgemeine Lehre, daß wir zu unsrem Heile auf
Christum als die eherne Schlange schauen müssen, stets zu predige« ist und
nlit großem Nutzen in der Mitte Unbekehrter verkündigt wird, so halte ich doch
dafür, daß die ursprüngliche Anordnung desselben uns vieles lehrt, was nicht
übersehen werden sollte. Es ist sehr klar, daß dieses Vorbild zuerst seine
Stimme an das Volk Gottes richtete, denn es war Israel — das Volk, das
dem Namen nach Gottes Volk war — unter dein diese eherne Schlange zuerst
nötig that und zuerst aufgerichtet ward; und wenn auch die Lehre, die sie
gibt, so weit ist, wie das Weltall, denn wer das Zeichen ansieht, soll leben,
so ist dennoch ein innerer Kreis da, an den sie zunächst sich wendet, und
dieser besteht aus denen, die sich als Glieder der Gemeinde Gottes bekennen.
Das vierte Buch Mose könnte passend „Mose Pilgerreise" genannt
werden. Es enthält einen vollen Bericht von der Reise der Pilger durch die
Wüste, bis sie zu dem verheißenen Lande kamen. Und wie V u n y a n s
„Pilgerreise" ist es nicht nur die Geschichte einer Person oder Nation, sondern
ein V i l d von dem Leben des ganzen Volkes Gottes. Wahrscheinlich wird
keiner von uns dnrch alle Leiden der Israeliten hindurchzugehen haben, so
daß er in einer Person ein ganzer Inbegriff der Wüsten-Erfahr'uug würde;
und doch mag selbst dieses stattfinden, denn so war es mit David, und so ist
252 Nlttcstamcutliche Bilder.

es nut cmdern gewesen, durch welche der Herr eine Gemeinde lehren wollte.
Dies ist indes ausnahmsweise; aber wenn wir uns alle als die Gemeinde
Gottes zusammenfassen, so finden wir, daß unser Leben abgespiegelt, abgebildet
nnd vorhergesehen ist in dem Zuge des auserwählten Volkes Gottes von
Ägypten nach Kanaan. Ich fürchte, daß viele von uns sich selber in der vor-
liegenden Stelle sehen können, ja, nicht nur die nnter uus, welche jung und
unreif in geistlichen Dingen sind, sondern manche, die viele Jahre lang der
göttlichen Leitung gefolgt und hoffen, bald ihr Teil in dem besseren Lande zu
genießen. Wenn sogar Mose und Aaroll auf den« Wege irrteu, so fürchte ich,
daß wenige von uns find, welche die Erzählung lesen können, ohne auszurufen:
„Ich gedenke heute an ineine Sünde."
Das vorliegende Ereignis fand fast am Ende der Wanderungen Israels
statt. Sie waren mm vierzig Jahre lang in der Wüste gewesen nnd waren
jetzt im Angesichte des Landes. Sie brauchten nur über die Verge Edoms
hinüberzugehen und durch die Pässe von Seir zu zieheu, dann wären sie
sogleich i l l dem Lande gewesen, darin Milch und Honig floß. Aber die
Edomiter wollten ihnen nicht das Vorrecht gewähren, die Landstraße zu ziehen,
und da Israel wider feinen Arndcr Esnu nicht kämpfen durfte, muhten sie
um seine Grenze herumzieheu und an einem Arm des Roten Meeres her-
unter geheil ill einem langen und ermüdenden Marsche, als sie an der Grenze
ihres Bundeslandes zu sein schienen. Wenn dies am Ende ihres Zuges ge«
schal), so sollte keiner von uus sich auf feme Erfahrung und ztenntnis ver-
lassen. Möchte der Heilige Geist uns helfen, daß wir Vorsicht aus dieser
Geschichte lernen, denn dies alles geschah ihnen zn unsrer Unterweisnng.

Ich lenke zuerst eure Aufmerksamkeit auf ihre E n t m u t i g u n g . „Die


Seele des Volkes ward sehr entmutigt auf dein Wege." Gewiß, es gibt Zeiten,
wo Gottes Diener entmutigt werden. Z u ihrer Schande laßt uns es sagen.
Zu unsrer Schande laßt uus es bekennen. Der Glaube ist es, durch den wir
leben, aber da Entmutigung das Gegenteil vom Glauben ist, so hilft sie
unsrem Leben nicht. Gewöhnlich ist sie die Frucht des Unglaubens; wir hören
dadurch auf, ein gesundes und kräftiges Leben zu führen nnd beginnen
i schwach zu werden. Dennoch geben selbst diejenigen von Gottes Kindern, die
viel Erfahrung in göttlichen Wegen haben, sich zuzeiten der Entmutigung Hill.
Der Grund kann in verschiedenen Dingen liegen. Zuweilen entspringt
sie aus getänschter H o f f n u n g . Es war eine harte Enttä'uschnng für die
Israeliten, das Land dort drüben einen Tagemarsch oder welliger entfernt zu
sehen, und doch Edoin sprechen zu hören: „ D u sollst nicht durch mich ziehen
oder ich will dir mit dem Schwert entgegenziehen." Es war, als wenn man
D a s erste A u f r i c h t e n der e h e r n e u Schlange. 253

den Becher an den Lippen hat und doch nicht trinken darf. Es war eine
schwere Prüfling, nach all diesen Jahren so nahe zu kommen und dann ge-
zwungen zu sein, zurück zum Noten Meer zu ziehen. Welche Tautalusqual,
das Land wie durch eine krisialleue Mauer zu sehen, und doch nicht im stände
zu seiu, den Fuß darauf zu sctzeu! Es war ciue bittere Enttäuschung; und
es mögen uus gleiche Prüfungen aufbehalten sein. Möglicherweise haben einige
Diener meines Herrn die Vorstellung gehabt, daß sie erstaunlichen Fortschritt
im göttlichen Leben gemacht, und gerade dann hat sich etwas ereignet, was
ihnen ihre eigne Schwachheit zeigte und sie zwang, im Verborgenen zu weinen,
sich selbst zu tadeln und zu sprechen: „ B i n ich nach all diesem uicht besser, so
daß eine Kleinigkeit mich danieder schlägt? Habe ich so viel gelitten und ist
mein Fortschritt uoch so gering? Ich glaubte, der Herr würde in einer
Gnadenstunde meine Bitte gewähren, meine Sünden töten uud mir Ruhe
gebe». Anstatt dessen läßt Er mich das verborgene Böse ill meinem Herzen
fühlen lllld die Mächte der Hölle mich augreifen." Wir bitten, daß uusre
Wasser gereinigt werden mögen, uud siehe, wir werden bewegt, bis aller
Schlamm, der rnhig auf dem Grunde unsrer Seele lag, sichtbar wird uud die
Unreiuigkeit überall zum Vorschein kommt. Dürfte dies indes nicht der nächste
lllld sicherste Weg zur Neiuigkeit seiu? Diese Enthüllung der geheimen Ver-
dorbenheit unsrer Herzen? Doch welche Euttäuschuug; ich dachte, ich wäre
etwas, und mm nehme ich wahr, daß ich nichts bin. Ich hatte halbwegs ge-
hofft, vollkommen zu sein und nuu sehe ich meine geheimen Unvollkommenheiten
und Lüste klarer denn je. W i r glaubten, hinall ill die volle Zuversicht zu
klimmen, und siehe, wir steigen hinab in das Thal der Demütigung. J a , wir
schmeckten den Honig eines kühne« Vertraueus und sprachen: „Ich weiß, an
wen ich glaube uud bin gewiß, daß Er kaun mir meine Beilage bewahren bis
an jenen T a g ; " und jetzt wisseil wir kaum, ob wir überhaupt zu den Kindern
Gottes gehören. W i r haben mit Zittern unsren ersten Schritt zu wiederholen
und ullser Auge auf den blutenden Heiland zu weudeu in der Hoffnung, als
arme Sünder Heil in I h m zu fiudeu. Dieser Maugel all Fortschritt ist etwas
Schreckliches, und doch ist es vielen so ergangen, bis sie jeden Gedanken an
Rühmen aufgegeben und mit dem Apostel gesprochen haben: „Nicht, daß ich's
schon ergriffen hätte." Sie hatten ein Gefühl wie Menschen, die einen Wett»
lauf beginnen, obgleich sie diesen Lauf scholl manches geduldige Jahr gelaufen
wareu. Eine solche getäuschte Hoffnung verursacht dem Kinde Gottes oft viel
Entmutigung auf dem Wege.
Es war indes nicht bloß getäuschte Hoffnung; es war viel mehr. Es
war die U n f r e u n d l i c h k e i t d e r j e n i g e n , die brüderlich hätten sein
sollen. Gewiß, Edom hätte seinem Bruder Israel das kleine Vorrecht gönnen
sollen, durch sein Land zu ziehen, da es der nächste Weg nach Kanaan war.
254 Alttestamentliche Bilder.

Es würde Esau nichts gekostet haben. Die Israeliten versprachen zu bezahlen,


wenn sie auch nur aus dein Wasser seiner Brunnen tränken. Aber nein, sie
mnßten diese Unfreundlichkeit dulden. Ich habe Kinder Gottes sehr entmutigt
gesehen durch die Unfreundlichkeit derer, die sie für ihre Vrüder und
Schwestern in Christo hielten. Sie gingen zu ihnen in Hoffnung auf Teil«
nähme, und ihnen wurde Abweisung zu teil. Sie hofften Hilfe von ihnen in
Zeiten der Niedergeschlagenheit, und diese ward ihnen verweigert. Sie sagten:
„Gewiß, meine Vrüder werden mich trösten;" aber sie riefen zuletzt wie Hiob:
„ I h r seid allzumal leidige Tröster." Dann senfzten sie: „Es war nicht ein
Feind, das hätte ich ertragen können; aber es war einer meinesgleichen, meiner
Bekannten. W i r gingen zum Hause Gottes znsammen." I h r kennt die Er«
zählung, wie David von seinem Freunde verlassen, wie unser Herr von Judas
verraten ward, und es ist ench genngsnm bekannt, wie oft das Herz der besten
Menschen gebrochen wurde durch die Unfreundlichkeit derer, von denen sie zu-
versichtlich Freuudlichkeit erwarteten. Das Volk ward sehr entmutigt auf dem
Wege, denn dieser war durch einen unbrüderlichen Brnder versperrt. Mögen
die Kinder Gottes große Milde gegeneinander lernen, denn zuweilen können
wir gedankenlos etwas sagen, das eine tiefe Wunde beibringt. Laßt uns
liebevoll und zart wie eine Wärterin mit einem Kinde sein und der Milde des
Vaters gedenken, der Zartheit Jesu und der Erbarmnng des Heiligen Geistes.
Ach! daß es so oft wahr ist, daß die Seelen des Volkes Gottes sehr entmutigt
werden durch das Fehlen der christlichen Liebe. Nehmt euch vor, daß an
euch die Schuld nicht liegen soll.
Unzweifelhaft indessen war die Seele des Volks sehr cntmntigt durch die
Lange des Weges. Sie waren vierzig Jahre lang auf dein Marsch ge-
wesen. Sie waren beträchtlich lange Perioden an verschiedenen Lagerplätzen
geblieben, aber sie wußten doch nie, wie lange sie an einer Stelle bleiben
würden. Sie waren wie Schwalben, immer im Fluge. Es ist wahr, ihr
Leben war voller Gaben, aber zu der Zeit, die in nnsrem Text erwähnt wird,
waren sie nicht in der Stimmung, Gaben zn beachten, sie waren geneigter, an
Unbequemlichkeiten zn denken und zu klagen, daß der Weg so lang sei nnd
sie desselben ganz überdrüssig wären. Sie hatten schon jahrelang gehofft, das
gute Land zu erreichen, und nun mußten sie ihre Richtung ändern und ganz
nin das Land der Edomiter hcrnmgehen; dies war lästig und prüfte ihre Ge-
duld, bis sie gar ausging.
Manchen von Gottes Kindern hat das Alter viel Schweres gebracht
durch seine Gebrechen und Leiden. Sie seufzen oft: „Warum verziehet sein
Wagen, daß er nicht kommt?" Sie sind im Geiste willig, auf ihres Herrn
Willen zu warten, aber das Fleisch ist schwach, und sie fürchten, daß der Herr
sie ganz vergessen hat. Warum hat Er sie nicht heimgenommen? Warum
D a s erste A u f r i c h t e n der ehernen Schlange. 255

läßt Er sie in dieser Verbannung schmachten, so weit weg von des lieben
Vaters Hanse? Hört ihr sie nicht trauervoll singen:

„Herr, wie lange soll ich weinen?


Soll denn Deine Hilfe mir,
O, mein Gott! noch nicht erscheinen?
Ach, wie lange soll ich hier
Also gar verlassen sein?
Ach, erbarme Dich doch mein;
Eile Dich mit meinem Ende,
Und nimm mich in Deine Hände!"

O, mein lieber Bruder, wenn die Lange deiner Jahre dir eine Bürde
geworden ist, so gebe Gott, dab du nicht entmutigt werdest. Mögest du „ein
solcher sein, nämlich ein alter Paulns," nnd dich nnter allen zunehmenden
Schwachheiten deiner Jahre aufrecht halten und Frucht in deinem Alter noch
bringen. Sei nicht niedergeschlagen, denn der Meister wird kommen nnd wird
nicht «erziehen. Er hat nicht seine Knechte vergessen. Er wird ihnen ihren
Groschen beim Sonnenuntergang geben. Die reife Garbe soll nicht zu lange
im Felde gelassen werden. Dein Herr wird kommen und dich zu sich nehmen,
daß, wo Er ist, du auch seiest. Hoffe still und warte geduldig auf das Heil
Gottes. Uud doch hat, ohne Zweifel, die Länge des Weges gar manchen
Pilgrim entmutigt.
Dann war auch die M ü h s e l i g k e i t des Weges da, denn die Reise
dnrch jene Wüste war keineswegs etwas Leichtes, besonders am Ufer jenes
Golfes. Sehr rauh ist bis auf diesen Tag der Pfad dort. Die Straße ist
voll Hügel uud Thäler und rauher Schluchten nnd scharfer Steine und er-
müdenden Sandes. Das Reisen dort ist so schlimm, wie das Reisen wohl
mir sein kann. Für einige voll Gottes Kindern ist das Leben keine Parade
alls ebenem Nasen, sondern hartes Marschieren nnd tiefes Waten. Sie haben
die rauhe Seite des Hügels hinanzuklimmen; der Wind bläst nm sie und der
Schnee wird ihnen in die Augen getrieben, und ihr Heim ist nur eine kalte
Herberge. Selbst ihr Vett scheint einen Stein zum Kopfkissen zu haben. W i r
kennen cillige von dem Volke Gottes, die bei Arnmt und schlechter Gesundheit,
unfreundlichen Verwandten, Verfolgung, schwerer Arbeit und körperlichem Ver-
dienst von Tag zu Tag finden, daß der Pfad znm Himmel durch Dornen und
Disteln, über dunkle Berge und dnrch schwarze Wälder geht. Wundert ihr
euch sehr, daß ihre Seelen auf dem Wege entmutigt werden?
Ich meine, ich höre jemand sagen: „Wohl, mir gefällt dies alles nicht.
I c h werde nicht entmutigt und ich finde nicht den Weg zu rauh." Lieber
Bruder, sei daukbar, daß du es nicht thust; aber laß mich dich warnen, nicht
andre zu richten. Wenn ihr, wie große Stiere, voller Kraft feid, so stoßt
256 Alttestamentliche Bilder.

nicht »lit Hör» und Schultern die, welche schwächere Tiere sind; denn der
Herr bemerkt hochmütige Blicke und stolze Worte. Wenn seine Heiligen so
stark und trotzig werden, daßsiedie Leidenden «erachten, so werden sie wahr»
scheinlich selbst dafür zu leiden haben. Die Regel unsres Gottes und Königs
ist diese: „Die Hungrigen füllet Er mit Gütern und läßt die Reichen leer."
Dies weiß ich, sowohl durch Beobachtung als durch Erfahrung — daß es
viele echte Pilgrime gibt, die triumphierend zuletzt in des Königs Reich
eingehen werden, die nichtsdestoweniger zuweilen auf dem Wege entmutigt sind.
Und doch, Brüder, will ich keine Entschnldigung vorbringen für Ent«
mutiguug in mir selber und will auch nicht versuchen, eine für euch zu briugeu.
I h r wollt keine Eutschuldigung für euch, nicht wahr? I m Grunde waren
doch diese Israeliten ein hoch begünstigtes Volk. Was war's denn, wenn sie
gezwungen waren, um das Land Edom sich herum zu winden? Ging doch
der Herr vor ihnen her, und ist der nicht glücklich, der geht, wohin Jehovah
führt? Sagt uns, daß Gott den Weg erwählt hat, und wir brauchen nicht
mehr davon zu wissen. Er führte sie einen richtigen Weg. Verlaßt euch darauf.
Es konnte kein I r r t u m stattfinden, wo die Weisheit des Unendlichen den
Weg führte.
Nun, Bruder, du bist entmutigt, sagst du, durch den Weg; aber wessen
Weg ist es? Hast du deinen eignen Weg erwählt nnd bist ihn eigenwillig
gelaufen gegen deine Pflicht uud gegen die Vorsehung Gottes? Wohlan, ich
sage nichts über die Folgen solchen Verhaltens, denn sie müssen furchtbar
sein. Aber wenn ihr euch bemüht habt, dein Herrn völlig zu folgen, nnd
wenn ihr versucht habt, auf dem Vfad seiner Gebote zu wandeln, dann mnß
es gut mit euch stehen. Warum seid ihr entmutigt? Richtet nicht nach dem,
was das Auge stehet, oder das Ohr höret, laßt den Glauben ans dem Richter»
stuhl sitzen, und ich bin gewiß, er wird das Urteil ergehen lassen: „Wenn
der Herr es will, so ist es gnt. Wenn Jehovah den Weg führt, so mnß die
Straße die richtige sein."
Außerdem, Gott führte sie nicht bloß, Er trug sie. Er sagte selbst, daß
Er sie auf Adlersflügeln getragen: denn obgleich die Wege oft rauh waren,
fo ist es doch wundervoll, daran zu denken, daß ihre Füße nicht schwollen
und ihre Kleider nicht alt wurden, diese ganzen vierzig Jahre lang. Obgleich
es eine Wüste war, so wurde ihr Brot ihnen täglich gegeben; nnd obgleich
es ein dürres Land war, so folgte ihnen doch der Fels mit Wasser, und sie
wußten nichts von Dürre. Wie konnten sie besser daran sein, als wenn sie
den Himmel zur Kornkammer hatten, die Felsen zum Weinkeller, uud Gott
selbst zu ihrem Versorger? Sie waren Pensionäre des Königs der Könige.
Was konnten sie wünschen, wofür Er nicht gesorgt hätte? Welche Stadt war
bei Nacht von einer Feuersäule erleuchtet, wie ihre große Leinwandstadt es
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 257

war? Vei welchem andren Volke wohnte Gott? Wo anders wandelte Er


»litten unter ihren Wohnungen nnd offenbarte sich, wie Er es bei Israel that?
Anstatt entmutigt zu sein, hatten sie alle Ursache, doppelt dankbar und froh zu
sein. Geführt von Gott, genährt von Gott, gelehrt von Gott, bewacht von
Gott — was für ein besseres Los konnten sie sich vorstellen?
Außerdem, liebeu Freunde, obgleich es so lange dauerte, bis sie nach
Kanaan kamen, so sollten sie doch dahin kommen, wenn sie nur an ihren
Gott glanben wollten. Gott wollte sie sicher dahin bringen. Zu jeden»
Glnnbigen wollte Er sprechen: „ D u sollst aufstehen an deinein Teil am Ende
der Tage." Obgleich die Ungläubigen unter ihnen umkamen und ihre Leich-
name i n der Wüste siclcu, so war doch für die unter ihnen, die Buße thatcu,
der süße Gedanke da, daß, wenn auch seilten Knechten nur Gottes Werk gezeigt
würde, ihre Kinder doch seine Herrlichkeit sehen sollten M . 90, 16) und die
ilächste Gelleration in das Land eingehen würde. Kommt, laßt lins also
getrost sein alls denselben Gründell. W i r solleil auch seiner Zeit uusres Vaters
Haus erreiche». W i r sollen heimkommen, uud unsre Heimkehr soll nicht zu
spät für das Hochzeitsmahl des Lammes sein. Der Herr kennt den Weg der
Gerechten. Er steuert uns. von Tag zu Tag mit uufehlbarer Weisheit, und
trotz dieser stürmischen Meere sollen wir noch Anker werfen ill dem schönen
Hafen, wohin unser Herr gegangen ist. „ W i r werden also bei dem Herrn
sein allezeit." S o tröstet ench null untereinander mit diesen Worten. Der
Herr thut uns keinen Schaden. Der Herr versagt nns nichts Gntes. Er
läßt nns selbst Vöses zum Besten dienen; und wir haben keinen triftigen
Grund znr Entmutigung. Scheinbarer Grund zur Furcht ist genug da, aber
wirklicher uicht.
„Die ihr sonst die Harfen hinget
An die Weiden Babylons,
Nehmt sie wieder ab und singet
Ziuns Lied im Siegeston."

II.
Vei den Israeliten ging es mit dieser Entmutigung sehr weit, denn sie
führte zur Klage» und das ist nnfer zweiter Punkt. „Und das Volk redete
wider Gott nnd wider Mofe. Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß
wir sterben ill der Wüste? Denn es ist kein Vrot noch Wasser hier, und
nnsrer Seele ekelt vor dieser losen Speise." Dies war eine bittere lind böse
Klage.
Wir silld i l l einem tranrigen Zustand, lieben Brüder, wenn unsre Ent«
nlutiguug zuletzt einen solchen Punkt erreicht, daß wir beginnen, über unsren
Gott zu klagen, denn die Klagen, die zu dieseu Zeiten kommen, sind solche,
die Gott wahrscheinlich nicht ertragen wird. Wenn Gottes Kinder in wirk»
T f t u r g e o n , Alttestamentliche Bilder. 17
258 Nlttestamentliche Bilder.

licher Not sind, so ist Er langmütig nnd milde gegen seine Betrübten, aber
„bei den Verkehrten ist Er verkehrt." Als das Volk über Durst klagte, ver-
süßte der Herr das Wasser von Mara für sie; als sie hungrig waren, gab Er
ihnen Vrot vom Himmel; aber als sie, da sie nichts hatten, worüber sie
gerechterweise klagen konnten, mnrrten, weil sie entmutigt waren, handelte Er
strenge mit ihnen nnd sandte fenrige Schlangen nutcr sie, die viele von ihnen
bissen, so daß viel Volks starb. Hütet ench vor einen» mnrrcnden Geiste.
Gott will Mitleid haben mit unsren Leiden, aber unsre Launen wird Er
strafen. Einige von uns haben es nötig, davor gewarnt zu werden, daß der
Geist der Entmntigung sie nicht zum Hadern mit Gott nud zum Zweifel an
seiner Liebe treibt. Es ist schlimm für einen Heiligen, mit seinem Heiland zn
zanken. Als diese Leute ihre erste Klage vorbrachten, war es eine sonderbare.
Es war eine Klage darüber, daß sie ans Ägypten geführt waren. „Warnm
hast dn uns alls Ägypten geführt, daß wir sterbeil in der Wüste?"
Wohl, aber zu allererst, sie hätten nicht klagen sollen, daß sie ans
Ägypten geführt wareil, denn das war ein Land der Sklaverei, wo ihre Söhne
im Fluß ertränkt wurden, und wo sie selber sich sehnten zn sterben, weil das
Leben nncrträ'glich geworden war; uud doch klagten sie, wie ihr sehet, darüber,
daß sie ans Ägypten geführt seien, um in der Wüste zu sterben. Ist es nicht
möglich, daß nnsre aufrührerischen Herzen selbst über Gottes Barmherzigkeit
klagen? Alls Mangel an etwas, worüber sie murren können, werden Ent-
mutigte selbst au Gottes Giite etwas auszusehen haben. Wie schlimm, daß es
dahiukommt! Vrüder, wenn wir an Christum glauben, sind wir aus der
Knechtschaft erlöset; wir sind in eine abgesonderte Stellung geführt und znm
Volk Gottes gemacht. Sollen wir je darüber klagen? Gesetzt, es dringt
uns Spott, Einsamkeit, Unfreuudlichkeit; gefetzt, es verwickelt uus in viele
Schwierigkeiten: sollen wir davor zurückweichen? Gott verhüte! Überschlugen
wir nicht die Kosten, als wir znerst alls Ägypten herauszogen? Und nachdem
wir die Kosten überschlagen, wollen wir da vom Kampf uns zurückziehen?
Nein, sondern im Namen Gottes wollen wir streiten, bis nur den Sieg ge«
wonnen haben lind nie die Klage gegen Gott vorbringen, daß Er nns aus
Ägypten geführt hat. Er wird uns nicht in der Wüste sterben lassen. W i r
können das nicht glauben und wir wollen unsre Seele dies nicht sagen lassen.

„Hat Er uns Gnade zugesagt.


So bleibt Er fest dabei;
Uud wenn uns Furcht und Zweifel plagt,
So bleibt Er doch getreu."

Ich will es glauben. Leg' dich nieder, du Hnnd des Zweifels! Leg'
dich nieder, du Veller des Unglaubens! Wenn du nichts andres anbellen
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 259

kannst, sei ruhig. O, daß Gottes Gnade unsre Klage gleich zum Schweigen
brächte l Nnser Gott begnadigte nie eine Seele, um sie nachher ans der Gnade
fallen zu lassen. Christns raufte nie eine Seele mit seinem V l u t , um sie zu
seinem Eigentum zu macheu und sie danu durch seine Finger ins Verderben
gleiten zu lasse!,. Der Herr hat nns nicht dnrch so viele Leiden und Ver-
suchungen hindurchgeflihrt, nm uns zuletzt schiffbrüchig werden und umkommen
zu lassen. Nenn Er uus hätte verderben wollen, so „hätte Er uns uicht
solches alles erzeiget." Laßt uns uicht so verdrießlich werden, daß wir vom
Sterben in der Wüste reden, wenn Gott in Wahrheit nns zu Zeichen nnd
Wunderu macht, dadurch, daß Er iu der Wüste nnser Leben erhält.
Dann seht ihre Klage an, daß sie keine Speise hätten: „es ist kein Brot
noch Wasser hier." Es war eine große Lüge. Es war Brot da, sie mußten
diese Thatsachen mit dein nächsten Atemzuge zugeben: aber sie nannten das
Manna nicht „ B r o t . " Sie nannten es mit einem häßlichen Namen. Anch
das Wasser war uicht schlammig und dick wie das des N i l s ; es war Helles,
klares, reines Wasser alls dein Felsen; uud deshalb wollten sie es nicht Wasser
nennen. Sie wollten Wasser mit etwas Festem darin, das Kies zwischen ihren
Zähnen zurückließe, und da der Strom, der alls dem harten Felsen floß, reiner
Kristall war, so wollte» sie ihu nicht Wasser nennen. Habt ihr nicht Lente
gekannt, denen Gott große Gnade, gegeben und die doch redeten, als wären
sie ganz verlassen? Der Unglanbe ist blind, ebenso gewiß wie der Glaube
wcitseheud ist. Unglaube, freut sich au uichts, wie der Glaube sich au allem
freut. Wer glaubet, findet Süßigkeit im Manna: „es hatte einen Geschmack
wie Semmel mit Honig;" aber wer keinen Glanbeu hat, der findet nichts Ange»
uehmes selbst in dem „Korn des Himmels," fondern spricht: „es ist kein Vrot da."
Denkt nur darall, daß sie sprachen: „uusrer Seele ekelt vor dieser losen
Speise!" Es war eine sehr leicht verdauliche Nahrung, die iu guter Gesnndhcit
erhielt; uud doch schmachteten sie nach schwerer, klumpiger Speise. Sie
wünschten Lauch und Knoblauch und Zwiebeln — etwas Scharfes uud Starkes,
und welliger fein als „Engelsveife." Sie feufzten nach dem Fleisch, das sie iu
Ägypten a h m ; sie verlangten nach grober und gefährlicher Nahrnng. Gott
wllßte, daß dies keine passende Speise für sie iu der heißen Wüste war und
gab ihnen statt dessen die beste, nur mögliche Nahrnng; und nun schreieu sie:
„ O , es ist nichts Solides darin. Es gibt nicht das Gefühl des Sattfeins."
Sie tadelten das, was sie hätten loben sollen. Die Menschen haben in Wahr-
heit das nötig, was genügend ist, das, was den Körper nährt, das, was sie
in Gesundheit und Kraft erhält; aber diese Murreuden gedachten der rohen
Nahrung, die sie unter den Ziegelhütteu zu essen pflegten, und die wünschten
sich voll llild satt zu fühlcu, wie sie es dann und wann in Ägypten gethan.
So fingen sie an wider Gott zu klagen ohne irgend eine Entschuldigung.
17*
260 Alttestamentliche Bilder.

Sind einige hier in diesem Znstande? Seid ihr so entmutigt, daß ihr
nicht länger im Glanben leben wollt, — es scheint zn wenig solide? Seid
ihr es müde zn beten: „Unser täglich Vrot gib nns hellte?" I h r »lochtet statt
dessen eine nette runde Summe in der Bank nnd viele voll den Sorgen nnd
Schlingen des Reichtums. Oder ist es so, das; ihr nicht länger mit dem alten
Evangelium zufrieden seid ? Es ist so leicht zn verdaue,», daß ihr nach einem
harten Bissen verlangt — einem Stück gllßeiserner Philosophie, das cnch jahre-
lang auf dem Verstände liegt? I h r wollt ein bißchen von dem unverdaulichen
neuem Denken, das in ench bleiben wird wie die Pfeben Ägyptens, die nicht
so rasch verschwunden waren wie das Manna des Himmels. I h r verlangt
Lauch, Knoblauch und Zwiebeln — etwas Aufregendes, Merkwürdiges, wenn
es sich auch mit dem reinen Geschmack der vom Geiste Gebornen nicht ver»
trägt. Ist es nicht sonderbar, wie Menschen, die sich Christen nennen, dieser
Art Speise nachlaufen: und von dem wirklichen guten Evangelium, das die
Seele retten nnd sie stärken kann, beginnen sie zu sprechen: „Es ist abgenützt;
wir haben dies eine so oft gehört. I h r seht, es ist gerade dasselbe altmodische
Manna; wir wollen mehr Mannigfaltigkeit. W i r verlangen das, was neu ist,
was sich unsrer fortgeschrittenen, intellcktnellen Bildung durch metaphysische
Sllbtilität empfiehlt." Das ist der Ton. Ich sehe diesen Geist überall, und
wir alle treffen ihn in der einen oder der andren Form a n ; er klagt über
das, was Gott in der Vorsehung bereitet hat, er klagt über das, was
Gott in der Bibel bereitet hat, er klagt über das, was der Heilige Geist
in seilten göttlichen Wirkungen bereitet hat. W i r sehen, wie die Athener,
nach etwas Neuem aus: wir wissen nicht, was wir wünschen. Wenn die
murrende Laune über uns kommt, so murren wir über alles und jedes, wie
diese Israeliten; sie klagten über Gott, sie klagten über Mose, sie klagteil
über das Manna. Sie würden bereit gewesen sein, über Aaron zu klagen;
aber, znm Glück für ihn, war er scholl einen Monat oder so vorher gestorben,
und so gössen sie desto mehr Galle über Mose alls. Den Menschen in dieser
Stimmung ist nichts recht: nichts kann recht sein. Die ganze Welt ist ans
den Kopf gestellt nnd wenn sie wieder umgekehrt würde, so würde sie gerade
ebenso verkehrt sein; vielleicht mehr als je. I h r lächelt, wie ich sehe, hierüber.
Wohl, ihr möget lächeln, wenn ihr wollt, Brüder, aber es ist etwas, worüber
man weinen sollte; denn ich erinnere mich eines Spruches, der sagt: „Der
Herr hört ihr Murren." Das ist der ernste Punkt in der Sache. W i r freuen
uns, wenn Gott unsre Gebete hört: es ist das, wonach wir uns sehnen; aber
ist es nicht furchtbar, daß Gott unser Murren hört? Es find zwei Dinge,
die Gott immer hört. Merkt euch dies! Das erste ist die Stimme des
Glaubens und das zweite ist die Stimme des Unglaubens; denn so sehr Gott
den Glauben liebt, so sehr verabscheut er den Unglauben. Wenn wir stark
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 261

im Glauben sind, kann Gott alles mit uns und für uns thuu, und Er kann
uns Stärke bei allen Schmierigkeiten geben, so daß wir mit dem Apostel sagen
können: „Ich vermag alles durch Deu, der mich mächtig macht, Christus."
Aber wenn wir iu ltuglaubcu sinken, so kann Christus selber nichts mit uus
thun, wie es geschrieben steht: „Er konnte daselbst nicht uiele Zeichen thun um
ihres Unglaubens willen."
Seid ihr denn nicht traurig, daß ihr je murrtet und klagtet, da Gott es
alles hörte? Was noch mehr ist, wie der Herr gewöhnlich die Gebete des
Glaubens erhört, so erhört Er auch oft die Gebete des Uuglaubeus. Ich habe
eiuen Vrudcr über ein kleines uud erträgliches Leiden laut klagen hören und
gesehen, daß der Herr seine Ungeduld mit großen Trübsalen beantwortete.
Wenn Kinder über nichts schreien, so sollten sie etwas haben, worüber sie
schreien könnten; und wenn wir entmutigt werden, wo in Wirklichkeit kein
Grund dafür vorhanden ist, so werden wir wahrscheinlich durch erstaunlich
große Trübsale eine Antwort bekommen. Wenn wir zu lachen beginnen, wo
wir singen sollten, so ist's wahrscheinlich genug, daß wir ernste Ursache zum
Schreien bekommen werden; denn steht es uicht vom Herrn geschrieben: „Bei
den Verkehrten bist Dn verkehrt?" Wenn wir ergeben, rnhig und gelassen
wandeln, nnd mit David sagen: „Meine Seele ist wie ein entwöhntes Kind,"
dann handelt der Herr sehr sanft und tröstlich mit uus, und uuser Pfad wird
durch sciue Liebe geebnet; aber der Herr hat gesagt: „Wenn ihr mir ent-
gegenwandelt, so will ich ench auch entgegenwandeln." Deshalb, Vrüder,
wenn wir irgendwie entmntigt sind, so laßt uns beten, daß wir uicht weiter
auf diesem bösen Wege fortgehen mögen, und uicht beginnen, den Herrn uud
feme Vorsehuug zu schmähen. Laßt uns zur Zuversicht, zur Freude uud zum
Glauben zurückkehren, uicht aber vorwärts geheu, bis wir in deu Graben des
Murrens fallen und dort liegcu und auf »och Schlimmeres warten.

III.
Der Herr seudet binnen kurzem den Murreudeu S t r a f e . Dies ist
uuser dritter Teil. Wir leseu, sobald das Volk ausing, wider Mose, wider
Gott und wider das Manna zu sprechen, „scmdte der Herr feurige Schlangen
unter das Volk, die bissen das Volk, daß ein großes Volk iu Israel starb."
Feurige Schlangen waren bereit auf den göttlichen Ruf; dem Herrn fehlt
es uie au Züchtigungsmitteln. Es war keine Zwischenzeit zwischen der Sünde
und dein Leiden, denn das Vergehen war übermütig und unentschuldbar.
Wird Gott feurige Schlaugen unter fein eignes Volk senden? Dies
waren die Stämme, die von dem Manna aßen nnd das Volk, das „von dem
geistlichen Fels trank, der mit folgte, welcher war Christus." Sie waren des
Herrn sichtbare Gemeinde in der Wüste, und obgleich nicht alle geistlich seine
262 Alttestamentliche Bilder.

Kinder, waren sie doch Vorbilder seiner Erwählten, Typen der ganzen
gläubigen Familie.
Wohl, Brüder, der Herr kann in väterlichem Zorn feurige Schlangen
unter ein zweifelndes und zankendes Volk senden, und dann mögen die, welche
durch Tadelu beißen, selber gebissen werden.
Diese feurigen Schlangen kommen in verschiedenen Formen. Zuweilen
mögen es neue Leiden sein. Die Israeliten hatten, soviel ich weiß, nie
vorher die Seraphs oder Brennenden gejehen. Sie schienen aus dein Sand
herauszufliegen und zu beißen, ehe sie sich dessen versahen, und dann drang
das Gift in ihr Blut ein und machte es sieden, bis sie von Kopf zu Fuß eine
Feuermasse schienen, in heftigen Schmerzen brannten und dem Tode nahe
waren. Es war schrecklich, mitten durch feurige, fliegende Schlangen zu gehen.
Der Herr befreie uns davon. Aber Er kann lins, wenn wir mürrisch werden,
eilte frische uud neue Trübsal senden, eilt sich windendes Leiden, das sich nm
ults flechtet ultd schlängelt — einen plötzlichen Kummer, der die Quelle uusres
Lebens vergiftet, und dies mag schnell auf uus zufliegeu, als eiue Züchtigung
dafür, daß wir unter viel glücklicheren Umständen Gott nicht geglaubt haben.
Bei einigen Christen mögen diese feurigen Schlangelt ihre eignen, ver«
derbten Neigungen sein, die sich erheben. Ich habe es gesehen, daß die
verderbten Neigungen eines Kindes Gottes lange Zeit sich ruhig und still ver-
hielten. Sie waren vorhandelt, aber gezwungen, sich zu verbergen gleich
Dieben, die sich nicht ans Tageslicht wagen; und das Kind Gottes genoß
Nllhe. Aber es ward entmutigt und fing an zu klagen, uud dann brachen
diese inneren Verdorbenheitelt auf dasselbe eilt nud umgaben es wie Bienen,
unzählbar und rasch im Stechelt. Einige voit uus wissen, was dies heißt:
wir hielten unsre innewohnenden Sünden für tot; plötzlich wurden sie in uns
wieder lebendig und wir hatten einen Kampf auf Tod und Leben mit ihnen.
Oder es mag fein, daß Gott den S a tall auf uns loslassen wird, wenn
wir ungläubig sind. Gewiß, es gibt keine schlimmeren feurigen Schlangen,
als die Vingebnngen nnd Eiuflüsterungen des Teufels. O, Bruder, wenn du
je dem Satan begegnet bist und mit ihm Mann gegen Mann gekämpft hast,
so weißt du alt deinen Narbelt, was für ein furchtbarer Gegner er ist. Er
gibt unsrem Herzelt Gedanken ein, die nie aus uusrem eignen Geiste kamen
und nie gekommen wären — lästerliche Gedanken von höllischer A r t ; lind er
will, daß wir diese als unsre eignen annehmen sollen. Er wirft feine Bomben
in uusre Seele uud sagt uns dann, daß wir sie selbst gemacht Habelt. Er
macht uus zweifeln an den, Dasein Gottes, der Inspiration der Schrift, der
Gottheit Christi, der Wahrheit des Evangeliums, der Thatsache der Auferstehung
— in der That, er macht, daß wir an Lehrelt zweifeln, für die wir unser
Leben hingeben könnten. Dies sind Ruchlosigkeiten und durchaus uicht unsre
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange,

Gedanken; aber wie feurige Schlangen stechen sie entsetzlich. Und die ganze
Zeit über schlägt der Feind die große Höllentrommel unsrer vergangenen
Sünden und versucht, wenn er kann, die Stimme der Gnade und jenes kost-
baren Blutes, „das da besser redet denn Abels," zu ersticken. So möchte er
uns zur Verzweiflung treiben.
Ah, diese feurigen Schlangen! Brüder, es ist viel besser, durch Armut
und Schmerz geprüft zu fein, als durch die infernalischen Gedanken, die vom
Satan kommen, belästigt zu werden. Es wäre besser für uns, zertreten zu
liegen, wie der Staub unter unsren Füßen und jeder Atom eiu Schmerz, als
mit den verzweifelten Gedanken gefüllt zu werden, die Satan der Seele ein»
geben kann. Hütet euch, ich bitte euch, vor den Klagen, ihr, die ihr entmutigt
zu werden beginnt. Kehrt zu eurent kindlichen Glauben zurück. „Werfet euer
Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat," damit ihr nicht durch
euren Unglauben ins Klagen hinein gleitet und dann durch euer Klagen
feurige Schlangen aus dem Boden ansheckt, auf den ihr tretet.

IV.
Aber nun viertens, hier kommt d a s H e i l m i t t e l . Was ist zu thuu,
wenu Israel von fenrigen Schlangen gebissen wird?
Nun, das Erste ist B e k e n n t n i s . Sie gingen zu Mose uud sprachen:
„ W i r haben gesündigt." O, das ist eine liebliche Kunst — die Kunst des
Vekennens: sie leert den Busen von dem gefährlichen Stoff aus! Nichts
scheint mir gräßlicher, als eure Sünden einem Menschen wie ihr selber, zu
bekennen. Ich denke, vor dein Ohr eines Priesters niederzusitzen uud allen
Schmutz eurer Seele da hinein zu gießen und jede Frage zu beantworten, die
es ihm belieben mag, euch vorzulegen, muß eine der furchtbarsten Feuerproben
fein, durch die eine menschliche Seele hindurch gehen kann. Ich weiß, Satan
ist sehr erfinderisch in den Mitteln, durch welche er Menschen herabwürdigen
und ihnen den letzten Nest von Scham rauben kann, um sie jedes Verbrechens
fähig zu machen; aber ich dächte, daß die Ohrenbeichte feine letzte und
fchwärzcste Erfindung ist, um die Seele uoch über alle gewöhnliche Beflecknng
hinaus zu verderbe». Das Gemüt muß dadurch mit Bösem gesättigt werden
in einer Art, wie sie furchtbarer nicht fein kann. Aber Sünde in das Ohr
Christi bekennen, ist etwas ganz andres. M i t I h m allein fein und I h m all
unfre Übertretungen und Versuchungen fagen, das ist ein ebenso großer
Segen, als das andre ein Fluch ist. Es ist nicht zu fürchten, daß wir I h n
beflecken könneil, und jeder Segen kommt, wenn wir unser Herz vor I h m
ausschütten, der all unsre Sünde dnrch sein kostbares Vlut hinwegnehmen kann.
Unsre erste Pflicht ist, zu unsrem großen Hohenpriester zu eilen und I h n : zu
sagen, daß wir gesündigt haben.
264 Alttestamenlliche Bilder.

Die zweite Hilfe war, daß Mose für das Volk betete. So ist für
feurige Schlangen, entsetzliche Gedanken und Versuchungen die Fürbitte unsre
Heilung. „Und ob jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem
Vater, Iesnm Christum, der gerecht ist." Wenn wir niedergeschlagen und eut»
mutigt wordeu sind und durch nnglänbige Worte gesündigt haben, laßt uns
mit unsrem armen, kleinen, zitternden Glauben hingehen und den göttlichen
Mittler bitte»,, vor Gott ill nnsrer Sache zu stehen uud für uns zu bitten,
daß unsre Übertretungeu getilgt werden. O, wie siiß ist es, diesen Fürsprecher
zu haben! Kommt ihr, die ihr des Herrn Volk und dennoch Übertreter seid,
kommt und frent euch hierin — daß Er für die Übertreter bittet uud daß Er
deshalb fähig ist, bis zum ä'nßersten zu erretten.
Aber nun kommt das große Heilmittel. Nach ihrem Bekenntnis und
dem Gebet ihres Mittlers befahl der Herr Mose, ei »le eherne S c h l a n g e
zu machen und sie aufzurichteu, damit sie diese ansähen und lebendig blieben.
Geliebte, als ich zuerst zu Christo als eiu armer Sünder kam uud I h u allsah,
da dachte ich, Er sei das Köstlichste, worauf meine Augen sich je geheftet; aber
heute abend habe ich auf I h n gesehen, während ich euch predigte, in Erinnerung
an meine eignen Entmntigungen und meine eignen Klagen, lind ich finde
meinen Herrn Iefum Christum teurer denn je. Ich bill ernstlich krank und
sehr niedergedrückt gewesen, und ich fürchte, ich habe mich aufgelehnt, nnd
deshalb fehe ich von neuem auf I h n und sage euch, daß Er iu meinen
Angen heute abeud schöner ist, als Er znerst war. Es ist ein Gutes, daß
ein Vorn da ist, in dein Süuder gewascheu werdeil können, aber ich will ench
etwas noch Besseres sagen; es ist ein Vorn da für das Haus Davids und die
Bürger zu Jerusalem wider die Süude und llnreinigkeit. Dieser Vorn ist
nicht nur für Allsgestoßene, sondern für die Heiligen, für die Bürger Jerusalems,
für das Haus Davids. „ S o wir aber im Lichte wandeln, wie Er im Lichte
ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, — sündigen wir dann noch?
J a , das thun wir, sogar dann, aber „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes,
macht uns rein von aller Sünde." I n unsrem niedrigsten Znstande ist dies
unsre Neiuignng. I n unsrem höchsten Zustande ist dies immer noch unsre Neinignng.
Das erste M a l , wenn ein armer Sünder aus dem Graben kommt und seine
eignen Kleider ihu verabscheuen (Hiob 9, 31), wird er weiß gemacht dura) das
Blut Christi in dem Augenblick, wo er an Iesum glaubt; und merkt daranf,
wenn er ill dell Himmel kommt uud vor dem Glanz der höchsten Herrlichkeit
steht, soll es immer noch von ihm und seinen Mitgenossen gesagt werden:
„Sie haben ihre Kleider gewaschen nnd haben sie helle gemacht im Vlnte des
Lammes." Die eherne Schlange heilte mich, als ich znerst den Herrn sah nnd
die eherne Schlange heilt mich hellte nnd wird es thun, bis ich sterbe. „Sieh'
Das erste Aufrichten der ehernen Schlange. 265

und lebe," ist für Heilige sowohl wie für Sünder. Für euch, ihr Ungöttlichen,
ist Leben: „ I n einem Blick auf den Gekreuzigten."
Doch ebenso wahr ist dies für euch, die ihr Jesu augehört, aber seinen
Heiligen Geist betrübt habt. I h r , die ihr vom Glauben abgewichen seid und
angefangen, mit eurem Gott zu hadern und über feine Vorsehung zu klagen,
es ist auch für euch Leben in dein erhöhten Heiland. Es gibt nicht zwei
Wege des Heils — einen für Sünder und einen andren für Heilige. Es ist
nicht zweierlei Grnnd, worauf wir stehen — der Grund des erretteten Sünders
und der Grund des erretteten Heiligen. Nein, dieselbe Grundlage ist unter
jedem Fuß; wir singen jeder:
„Fels des Heils, gespalten mir,
Laß mich bergen mich in dir."
Dies ist die Sprache des Mannes, der feinem Gott ein halbes Jahr»
hundert gedient hat, und das Evangelium gepredigt wie Luther oder E a l v i n ,
ebeufo gewiß, wie es die Sprache des zitternden Sünders, der schuldig und
verurteilt uor dem lebendigen Gott steht, sein muß.
Seht ihr nicht, wo die eherne Schlange nach der Echrift so passend zum
Vorschein kommt? Am Ende der Pilgerschnft, gerade ehe es über den Iordon
geht, da sieht Israel die Schlange von Erz. Da sündigt das Volk, und da
wird in seinem vollen Glänze jenes gesegnete Vorbild Christi enthüllt: „Und
wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen
Sohn erhöhet werden: auf daß alle, die an I h n glauben, nicht verloren
werden, sondern das ewige Leben haben." „Nicht verloren werden!" als
weuu selbst Gläubige das an sich hätten, wodurch sie verloreu gehen würden,
wenn sie nicht zu dem verordneten Heilmittel stets noch aufblickten. Jesus ist
erhöhet, damit Heilige nicht verloren gehen, sondern in der Gnade zum ewigen
Leben beharren. Wie anders wird unser geistliches Leben ewig gemacht, als
durch die Fortdauer dieses Vlickes. W i r sollen auf Iesum blicken, so lange
wir leben. „Und aufsehen auf Iefum, den Anfänger und Vollender des
Glaubens." Allezeit aufsehen, allezeit aufsehen. Gott erhalte uns im Aufsehen,
wenn wir aufgesehen haben, und bringe uns dahin, auf Iesum zu sehen, wenn
wir es noch nie gethan haben; und seinem Namen sei Lob von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
266 Alttestamentliche Bilder.

Der beste Kriegsruf.


„Der Herr, sein Gott, ist bei ihm, und das Trompeten des
Königs unter ihm." 4 Mose 23, 21.
„Das Jauchzen eines Königs unter ihm." (N. b. engl. Üb.)

E s war ein seltsamer Anblick, den Köllig von Moab nnd seilie Fürsten
die Höhen der schroffen Felsen hinanklimmen zn sehen, begleitet von jenem
sonderbaren Wesen, dein orientalischen Propheten Vilcam. Sie suchen Israel
mit dem bösen Ange anzublicken und Flüche ans seine Zelte in der Ebene
ornnten hinabzuschleudern. I h r seht sie von den Bergen auf das Lager in
der Wüste herabschauen, wie Geier ans der Höhe ihren Nanb erspähen. Sie
beobachten mit scharfen und grausamen Angen. List nnd Bosheit sind auf
i l M n Gesichtern zu lesen. Wie verlangt Balak, das Volk zn zertreten, das er
fürchtet! Sie versuchen im geheimen durch Bann nnd Zanber dem Volke
zu schaden, das Jehovah erwählt nnd in die Wüste geführt hat. I h r seht sie
ihre sieben Farren nnd ihre sieben Widder auf den sieben Altären opfern, die
sie ans Pisgas Felsen erbant haben; und Vileam zieht sich zurück, um zu
warten, bis die Begeisterung über ihn kommt und er fähig ist, zn weissagen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte Mose zu dieser Zeit nichts davon, und
sicherlich wußte das Volk drunten nichts von der faulen Verschwöruug. Dort
lagen die Stämme im Thale, ohne Ahnung, daß Unheil gebrütet ward und
ganz außer staude, das finstere Vorhaben zn hindern, auch wenn sie davon ge»
wüßt. Was für eine Gnade war es für sie, daß sie von einem Hüter bewacht
wnrden, und einem Heiligen, dessen Augen nie schlummern können. Wie wahr
ist es: „Ich, der Herr, behüte ihn und feuchte ihn bald, daß man feiner
Blätter nicht vermisse, ich will ihn Tag und Nacht behüten." Des Herrn
Angen silld auf Vileam, den Mietling, und auf Valak, den Sohn Zipors, ge>
richtet; vergeblich weben sie den Zauber nnd wirken die Wahrsagung; sie sollen
zu schänden nnd Spott werden. Ihre Machinationen wurden vereitelt und
ihre Pläne zunichte gemacht, und dies aus einem einzigen Grunde: „es steht
Der beste Kriegsruf. 267

geschriebell „Jehovah Schammah — der Herr ist da." Gottes Gegenwart in


der Mitte seines Volkes ist wie eine fenrige Mauer rund umher und eine
Herrlichkeit in der Mitte. Der Herr ist ihr Licht und ihr Heil, vor wen:
sollten sie sich fürchten?
Zu dieser gegenwärtigen Zeit hat Gott ein Volk, Übriggebliebene nach
der Wahl der Gnaden, die immer noch wie Schafe inmitten der Wölfe leben.
Wenn wir, als ein Teil der Kirche Gottes, anf nnsre Umgebung blicken, sehen
wir viel, was uns Besorgnis einflößen könnte, denn niemals, weder Tag noch
Nacht, ist Satan ruhig. Wie ein brüllender Löwe geht er umher und suchet,
welchen er verschlinge: er plant im geheimen seine listigen Anschläge; wo es
möglich wäre, würde er selbst die Auserwählten verführen. Dieser Fürst der
Finsternis hat auf der Erde viele sehr fleißige Diener, die Meer und Land
umziehen, um Anhänger zu gewinnen, alle ihre Kraft aufbieten und all ihre
List und Tücke gebrauchen, nm durch irgend welche Mittel das Reich Gottes
zu zerstören nnd die Wahrheit unter dem Himmel auszutilgen. Am aller«
traurigsten ist es, gewisse Männer zn sehen, welche die Wahrheit in einigem
Maße kennen, wie Vileam es that, und mit dem Feind einen Bund gegen
das wahre Israel machen. Diese vereinen ihre Künste nnd brauchen alle nnr
möglichen Mittel, damit das Evangelium von der Gnade Gottes nnd die Ge-
meinde, welche daran festhält, gänzlich zerstört werde. Wenn die Gemeinde nicht
zerstört wird, haben wir dies ihren Feinden nicht zu verdanken, denn diese
würden sie schnell genug verschlingen. Wenn wir auf die Zeichen der Zeit
blicken, wird unser Herz schwer; denn die Ungerechtigkeit nimmt überHand, die
Liebe erkaltet in vielen, viele falfche Geister sind ausgegangen über die Erde,
und manche, die wir für Helfer angesehen haben, erwiesen sich von ganz
andrer Art. Was denn? Sind wir entmutigt? Keineswegs, denn derselbe
Gott, der ill der Mitte der Gemeinde in der Wüste war, ist in der Gemeinde
dieser letzten Tage. Immer noch will Er sie verteidigen, denn Er hat seine
Gemeinde auf einen Felsen gebaut, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht
überwältigen. Der Grnnd ihrer Sicherheit ist dieser:

„Wenn Christus seine Kirche schützt,


So mag die Hülle wüten,
Er, der zur Rechten Gottes sitzt,
Er wird sie wohl behüten."

Unser Text spricht den großen Schutz der Gemeinde Gottes aus, der sie
gegen jede bekannte uud unbekannte irdische oder satanische Gefahr sichert:
„Der Herr, sein Gott, ist bei ihm und das Trompeten des Königs unter ihm."
Möge der Heilige Geist nur helfen, während ich versuche, zuerst zu
reden v o n der G e g e n w a r t Gottes bei seinem V o l k e ; zweitens von den
268 Alttrstamentliche Bilder.

Folgen dieser Gegenwart; und drittens davon, wie durch Gottes


Gnade diese Gegenwart beständig unter nns erhalten bleiben kann.

I.
Zuerst laßt mich ein wenig reden von Gottes G e g e n w a r t unter
seinem Pollte. Es ist eine außerordentliche Gegenwart, denn die
ordentliche und gewöhnliche Gegenwart findet sich überall. Wohin sollen wir
stiehen vor seinem Angesichte? Er ist in dem höchsten Himmel und in der
untersten Hölle; die Hand des Herrn ist auf den hohen Bergen, und seine
Macht ist in allen tiefen Orten. Diese Kenntnis ist zu hoch und wundervoll
für uns: doch überall ist Gott, denn in Ihm leben, weben und sind wir.
Indes gibt es eine besondere Gegenwart; denn Gott war unter seinem Volke
in der Wüste, wie Er nicht unter den Moabitern und Edomitern, seinen
Feinden, war, und Gott ist in seiner Gemeinde, wie Er nicht in der Welt ist.
Es ist eine besondere Verheißung des Vnndes, daß Gott bei seinem Volke
wohnen uud unter ihnen wandeln will. Durch die Gnade des Heiligen Geistes
ist der Herr mit uns und in uns zu dieser Stunde. Er sagt von seiner
Gemeinde: „Hier will ich wohnen, denn ich habe Lnst dazu." Dies ist viel
mehr als das Um°nns.Sein Gottes; es schließt die Gunst Gottes, seine Ve«
achtling unsrer und sein Wirken mit nns ein. Eine thätige Segcnsnähe ist
die Gegenwart, von der wir sprechen.
Hier dürfen wir mit großer Ehrfurcht sagcu, daß Gott bei seinem Volke
in der Ganzheit seines Wesens ist. Der Vater ist bei uns, deuu der
Vater selbst hat uns lieb. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, so el>
bannet sich der Herr über die, so I h n fürchten. Er ist uns nahe, gibt uus,
wessen wir bedürfen, leitet uusre Schritte, hilft uns in der Zeit und erzieht
uns für die Ewigkeit. Gott ist, wo seine Kinder sind, Er hört jeden Seufzer
ihres Schmerzes, zählt jede Thräne ihres Leides. Der Vater ist in der Mitte
seiner Familie und handelt wie ein Vater gegen sie. „Herr, Du bist unsre
Zuflucht für uud für." Er ist nie ferne von denen, in deren Herz Er den
Geist der Kindschaft gegeben hat, durch den wir rufen: „Abba, lieber Vater!"
Kommt, ihr Kinder Gottes, freuet euch hierüber: euer himmlischer Vater ist
zu euch gekommen und bleibet bei euch. Wir haben auch die Gegenwart des
Sohnes Gottes. Sprach Er nicht zn seinen Aposteln: „Siehe, ich bin bei ench
alle Tage bis an der Welt Ende?" Ist dies nicht unsre Freude, wenn wir
zusammen kommen, daß wir uns in seinem Rainen versammeln, und daß Er
immer noch sagt: „Friede sei mit euch," und sich uus offenbart, wie Er sich
nicht der Welt offenbart. Viele von euch wisseu zu ihrer Freude, was es ist,
mit Gott Gemeinschaft zu haben, denn wahrlich: „unsre Gemeinschaft ist mit
dem Vater und mit feinem Sohlte Iefu Christo;" und diese Gemeinschaft
Der beste Kriegsruf. 269

hätten wir nicht, wenn wir nicht durch sein kostbares Vlnt nahe gebracht wären.
Sehr nahe sind wir dein Herzen Christi: Er wohnt bei uns, ja. Er ist eins
mit uns. Ganz besonders bezieht sich diese Gegenwart ans den Heiligen Geist.
Er ist es, der den Herrn Jesus, der von uns gegangen ist, vertritt. W i r
haben ein doppeltes Teil von dein Geiste Christi, weil wir I h n jetzt sehen, wo
Er hinaufgegangen ist; eben wie Elisa ein zwiefaches Teil vom Geiste des
Elias hatte, nach den Worten des Propheten: „ S o du mich sehen wirst, wenn
ich uon dir genommen werde, so wird es ja sein." Es war gut für uns, daß
unser Herr und Meister hinging, damit der Geist uns gegeben werde. Dieser
einmal zu Pfingsten ausgegossene Geist wird niemals zurückgezogen. Er ist
noch mitten in der Gemeinde, wirkt, führt, belebt, tröstet, übt das gesegnete
Amt des Parallelen ans, ist für uns nnd in uns Gottes Anwalt, der für die
Wahrheit zeugt nnd für uns bittet. J a , lieben Freunde, der Vater, der Sohn
und der Heilige Geist sind mitten in der wahren Gemeinde Gottes, wenn diese
Gemeinde in einem richtigen und gesunden Zustande ist; und wenn der drei»
einige Gott uon der Gemeinde hinweggegangen ist, so müssen ihre Vanner im
Staube schleppen, denn ihre Krieger haben ihre Stärke verloren. Dies ist die
Herrlichkeit der Gemeinde Gottes, — daß sie die Gnade des Herrn Jesu Christi
und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
als ihren niemals fehlenden Segen hat. Was für eine Herrlichkeit, daß Vater,
Sohn und Heiliger Geist die Gottheit inmitten unsrer Versammlungen offen-
baren uud eiueu jeglichen uon uns segnen.
Daß Gott bei uus wohut: welch eine herablassende Gegenwart ist
dies! Uud will Gott iu Wahrheit unter den Menschen wohnen? Wenn der
Himmel I h n nicht zu fasseu vermag, will Er uuter seinem Volke weilen? Er
will! Er will! Ehre sei seinem Namen! „Wisset ihr nicht, daß euer Leib
ein Tempel des Heiligen Geistes ist?" Gott wohnet in uns. Wunderbares
Wort! Wer kann die Tiefe seiner Gnade ergründen? Dein Geheimnis der
Menschwerdung kommt das Geheimnis der Inwohnung gleich. Daß Gott der
Heilige Geist in unsren Leibern wohnt, ist ebenso außerordentlich, als daß
Gott der Sohn den Leib bewohnte, der von der gebenedeiten Jungfrau ge»
boren ward. Seltsam, seltsam ist dies, daß der Schöpfer in seinen Geschöpfen
wohnt, daß der Unendliche in endlichen Wesen zeltet. Doch ist es so, denn
Er hat gesprochen: „Ich will mit dir sein."
Was für eine Ehrfurcht stößt dies jeder wahren Gemeinde Gottes
ein! I h r mögt in gewissen Versammlungen aus« und eingehen und sageu:
„Hier haben wir Schönheit! hier habell wir Schmuck, musikalische», kirchlichen,
architektonischen, oratorischen, und dergleichen!" aber nach meinem Urteil gleicht
keine Gottesverehrung der, die von einem Manne kommt, der fühlt: der
Herr ist hier. Was für eine Stille kommt über die Seele! Hier ist der
270 Alttcstamentliche Vilder.

Platz fiir Verhalten des Atems, Ausziehen der Schuhe und Beugen des
Geistes. Nun sind wir auf heiligem Grund. Wenn der Herr in der Majestät
seiner unendlichen Liebe sich herabläßt, mit den Menschcuhcrzcn zu verkehren,
dann ist es mit uns, wie es in Salomos Tempel war, als die Priester nicht
stehen konnten und Amts pslegen, weil die Herrlichkeit des Herrn das Haus
erfüllte. Der Mensch wird beiseite geschoben, denn Gott ist da. I n solchem
Falle halten die, welche am fließendsten reden, es für besser, zu schweigen,
denn zuzeiten ist mehr Ausdruck in völligem Schweigen als in den
passendsten Worten. „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts andres,
denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels!" Warum? Weil
Jakob gesagt hat: „Gewißlich ist der Herr an diesem Ort!" W i r sehen auf
die geringsten Versammlungen der ungebildetsten Leute mit feierlicher Chrsurcht,
wenn Gott da ist; wir sehen auf die größte» Versammlungeu der Reichsten
und Berühmtesten mit gänzlicher Gleichgültigkeit, wenn Gott nicht da ist.
Dies ist das eine Notwendige für die Gemeinde: Gott der Herr muß
iu ihrer Mitte seiu, sonst ist sie nichts. Wenn Gott da ist, wird Friede in
ihren Mauern und Glück iu ihren Palästen fein; aber wenn der Herr nicht
da ist, dann wehe den Männern, die in seinem Namen sprechen, denn sie
werden in Bitterkeit auszurufen haben: „Wer glaubt unsrer Predigt?" Wehe
den wartenden Hörern, denn sie werden leer hinweggehen! Wehe den Sündern
in eiucm verlassenen Zion, für sie kommt kein Heil! Die Gegenwart Gottes
macht die Gemeinde zu einem fröhlichen, glücklichen, feierlichen O r t : sie bringt
seinen: Namen Ehre uud seinem Volke Frieden; aber ohne sie sind alle Ge-
sichter bleich uud alle Herzen schwer.
Brüder, die Gegenwart Gottes wird klar wahrgenommen von den
Gläubigen, obwohl andre nichts davon wissen mögen. Doch dünkt mich, selbst
die Ungläubigen bemerken sie in gewissem Maße, — wenn sie in die Ver-
sammlung kommen, so fällt ihnen ein geheimes Etwas auf, sie wissen nicht,
was es ist; und wenn sie auch nicht sogleich an der Verehrung des gegen-
wärtigen Gottes teilnehmen, so wird doch ein tiefer Eindruck auf sie gemacht,
gewaltiger als einer, der durch den Ton menschlicher Stimme oder die Groß-
artigkeit äußerer Pracht hervorgebracht werden könnte. Sie werden von Ehr»
furcht ergriffen und ziehen sich gedemütigt zurück. Gewiß, der Teufel weiß,
wo Gott ist — niemand besser, als er. Er haßt das Lager, wo Jehovah der
Führer ist; gegen dieses verdoppelt er seine Feindschaft, vervielfältigt er seine
Anschläge und übt alle seine Kraft. Er weiß, wo sein Reich seine tapfersten
Vekämvfer findet, und er greift deshalb ihr Hauptquartier an, wie Vileam
und Valak vor alters es thaten.
Laßt uns Vileam einen Augenblick betrachten. Mögen wir nie auf dem
Wege Vileams laufen um des Gewinnes willen; aber wir wollen eine kleine
Der beste Kriegsruf. 271

Weile alls seinem Wege stehen, damit er unser Warnungszeichen werde.


Dieser Mann hatte sich für Gold verkauft, und obwohl er Gott kannte und
unter dein Einfluß der Inspiration sprach, so kannte er Gott doch nicht in
seinem Herzen und war willig, sein Volk um des Lohnes willen zu versuchen.
Seine Absicht war vereitelt, weil Gott da war. Es ist der Mühe wert für
uns, zn sehen, was für eine Art von Gott Jehovah nach Vilcams Schätzung
ist. Er beschreibt unsren Gott im neunzehnten Verse: „Gott ist nicht ein
Mensch, daß Er lüge, noch ein Menschenkind, daß I h n etwas gerene. Sollte
Er etwas sagen und uicht thun? Sollte Er etwas reden und nicht halten?"
Nileam nahm wahr, daß der Gott, der mitten unter seinem Volke war, kein
veränderlicher oder falscher Gott sei, keiner, der verheißt und vergißt, oder
verheißt und sein Wort zurücknimmt, oder verheißt, was Er uicht vollführeil
kann noch will. Der Gott Israels ist treu nnd wahrhaftig, unveränderlich,
uuwandclbar; eine jede seiner Verheißung soll erfüllt werden: keins seiner
Worte soll ans den Boden fassen l „Sollte Er etwas fagen und nicht thun?
— Sosste Er etwas reden und nicht halten?" Was für eine Freude ist es,
einen solchen Gott wie diesen unter uns zu haben, — einen Gott, der Ver-
heißungen gibt und Verheißungen hält; einen Gott, der für sein Volk wirkt,
wie Er erklärt hat, daß Er es thun wolle; einen Gott, der sein Volk tröstet
und ernlntigt und in ihrer Erfahrnng erfüllt, was sie nach seinem Worte
hoffen durften. Diefer Gott ist unser Gott immer und ewiglich: Er soll unser
Führer sein, selbst bis zum Tode.
Meine lieben Freunde, wir hören Menschen zuweilen davon reden, daß
die Kirche ihren Zweck verfehlt. W i r fürchten, daß es bei einigen Kirchen
der Fall ist. Wo ein Verfehlen stattfindet, da ist die Grundursache die Ab-
wesenheit des Herrn der Heerscharen, denn Er kann seinen Zweck nicht verfehlen.
Ich hörte jemand von dem Distrikt, in dein er wohnt, sagen: „ W i r sind sehr
religiöse Lente; fast alle gehen ills Gotteshaus, aber," fügte er hinzu, „ich
muß dabei sagen, daß wir wenig Spuren von geistlichem Leben haben. Eine
Gemeinde hat ihre Betstunden anfgegeben; eine andre fühlt, daß ihre Abend-
unterhaltuugen wichtiger sind als ihre Gottesdienste und eine dritte ist ihrer
Weltlichkeit wegen bekannt." Dies ist ein Zeugnis, das ebenso schrecklich
als gewöhnlich ist. Das Schlimmste, was von irgend einer christlichen Ge-
meinschaft gesagt werden kann, ist dies: „ D u hast den Namen, daß dn lebest
und bist tot." „ D u bist weder kalt uoch warm." Unser Herr Jesus sagt:
„Ach, daß dll kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist, uud weder
kalt uoch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." Eine Gemeinde
ohne Leben uud Eifer ist Christo ein Ekel; Er kann sie nicht ertragen. Er
kann offene Gottlosigkeit eher erdulden, als ein Bekenntnis der Religion, aus
dem Lebeu und Kraft geschieden sind, weil es sich zur Lauheit abgekühlt hat.
272 Alltestamentliche Bilder.

Um dieses also sollten wir beständig beten — die Gegenwart Gottes mitten
unter seinem Volk.
„Treuer Wächter Israel!
Des sich freuet unfre Eccl',
Der Du weißest alles Leid
Deiner armen Christenheit:
O Du Wächter, der Dn nicht
Schläfst noch schlummerst, zu uns richt'
Dein hilfreiches Angesicht."

II.
Um unsren Wunsch hierfür zn «erstarken, laßt mich zum zweiten Teil
meines Gegenstandes übergehen, kurz d i e F o l g e n dieser g ö t t l i c h e n
G e g e n w a r t zu beschreiben. Einige dieser Folgen sind in den nächsten
Versen genannt. Eine der ersten ist F ü h r e n — „Gott hat sie aus
Ägypten geführt." V. 22. Die besten Kritiker geben uns eine andre Über-
setzung: „Gott führt sie aus Ägypten." Wenn Gott unter seinem Volke ist,
so führt Er es, daß wir fröhlich das Lied singen können: „ E r führet mich,"
und mit David weiter gehen können: „ E r führet mich zu frischen Wassern."
W i r brauchen keinen andren Führer in der Gemeinde, wenn wir Gott haben;
denn sein Auge und Arm wird sein Volk leiten. M i r ist immer bange davor,
menschliche Regeln in einer Gemeinde zu haben, und ebensosehr fürchte ich,
dnrch menschliche Beispiele oder Präzedenzfälle regiert zu werden. M i r ist
bange, wenn die Macht einem, zwei oder zwanzig Menschen verliehen wird;
die Macht muß bei dem Herrn selber sein. Die Gemeinde, welche Gott in
ihrer Witte hat, regiert sich selbst und geht richtig ohne andre Leitung, als
die, welche aus dem Wirkell des Heiligen Geistes kommt. Eine solche Gemeinde
hält zusammen, ohne auf Gleichförmigkeit abzuzielen und geht zum Siege ohne
Lärm zu machen. Die Vewegnng, die von Gott geleitet wird, ist richtig, und
diejenige wird sicher ganz unrichtig seil», welche auf die beste nur mögliche
Weise geleitet wird, ohne daß Gott dabei ist. Organisation ist ein gutes
Ding, aber zuweilen fühle ich mich geneigt, mit Z w i n g l i in der Schlacht aus»
zurufen: „ I m Namen der Heiligen Dreieinigkeit laßt alles los;" denn wenn
jeder frei ist, so wird, wenn Gott gegenwärtig ist, jeder das Rechte thun.
Wenn jeder dem göttlichen Triebe ill seinem Innern gemäß sich bewegt, so wird
wenig Notwendigkeit für Regulationen da sein: alles ist Ordnung, wo Gott regiert.
Gerade wie die Atome der Materie der gegenwärtigen Macht Gottes gehorchen,
so gehorchen die einzelnen Gläubigen dem einen großen, zwingenden Einflüsse.
O, daß Gott in der Gemeinde wäre und sie führte, dann würde sie recht
geleitet werden. Verliebe dich nicht in dies besondere System oder das, mein
Bruder; erhebe nicht diesen oder jenen Plan des Arbeitens! Habe den Geist
Der beste Kricgsruf. 273

Gottes, und fast jede Gestalt, die das geistliche Leben annimmt, wird eine
Form sein, die für das vorhandene Bedürfnis paßt. Gott führt fein Volk nie
falfch. I h r e Sache ist's, der Feuer« nnd Wolkenfäule zu folgen; ob diefe sie
aus) dnrch das Meer leitet, so sollen sie doch trocknen Fußes hindurch gehen;
ob sie durch eine Wüste leitet, fo follen sie gespeist werden; ob sie in ein
durstiges Land führt, follen sie mit Wasser ans dem Felsen getränkt werden.
W i r müssen den Herrn bei uns haben, der uns in die verheißene Ruhe
führen wird.
Der nächste Segen ist S t ä r k e . „Seine Stärke ist wie die eines Ein«
horns." (V. 22.) M a n ist sick) allgemein darüber einig, daß das hier
bezeichnete Tier eine ausgestorbene Art von Ullis oder Urochs sei, am meisten
dem Büffel der jetzigen Periode verwandt. Dies gibt nns den Ausspruch:
„Seine Stärke ist wie die eines Büffels." Wenn Gott in einer Gemeinde ist,
was für gewaltige Stärke, was für massive Kraft, was für unwiderstehliche
Energie ist dann da! lind wie uuzähmbar ist die lebendige Kraft! I h r
könnt diesen Vüffel nicht an jedermanns Pflug spannen: er hat seine eigne,
freie Lebensweise und er handelt nach seiner eignen Art. Wenn der Herr
mit einer Gemeinde ist, fo ist ihre Macht nicht in Zahlen, obwohl sie sehr rasch
zunehmen wird; ihre Macht ist nicht Reichtum, obwohl Gott dafür sorgen wird,
daß das Geld kommt, wenn es nötig ist: ihre Macht liegt in Gott, uud diese
Macht wird unwiderstehlich, unzähmbar, nnbesieglich. Kraft und Energie
sind bei dem Herrn. Ich fürchte, das, was vielen Gemeinschaften christlicher
Leute not thut, ist diese Kraft. Prüft jene religiöse Körperschaft: sie ist sehr
groß, aber ihr fehlen Muskeln: es ist eine schön aussehende Organisation, aber
Seele, Sehne, Rückgrat mangelt. Wo Gott ist, da ist sicher Lebenskraft. Als
der Geist Gottes Herabkant auf die ersten Heiligen, begannen sie mit wunder-
barer Kraft zn sprechen; nnd obgleich sie verfolgt wnrden, fo wurden sie doch
nicht bezwungen. Kein Zaum konnte ihrem Mnnd angelegt werden, nm sie
zurückzuhalten, denn sie gingen überall hin und predigten das Wort. Von dem
wahren Israel wird es gesagt werden: seine Stärke ist wie die Stärke eines
Büffels: sie kann nicht beschränkt oder besiegt werden.
Die nächste Folge ist S i c h e r h e i t . „Gewißlich ist kein Zauber gegen
Jakob, und keilte Wahrsagung wider Israel." Die Gegellwart Gottes macht
alle Versuche des Bösen zu schauden. Ich habe bemerkt, lieben Brüder, daß in
dieser Gemeinde, wo wir in großem Maße Gottes Gegeilwart gehabt haben,
die Mitglieder in der Regel fest standen, obwohl rund um uns her die Leute
diefer Meinnug nnd jener Grille sich zuwandten. Manche sagen zu mir: „Be-
streiten Sie nicht manchmal die Zweifel der gegenwärtigen Zeit?" Ich
antwortete: Nein. Sie kommen mir nicht in den Weg. „Bringen die neueren
Meinungen nicht Störungen in Ihrer Gemeinde hervor?" Sie haben das
S p u i g e o n . Altlestllmeütllche Bllder. Ig
274 Alttestamentliche Bilder.

nicht gethan. Warum? Weil Gott da ist, und geistliches Leben in kräftiger
Thätigkeit fällt nicht der Krankheit zum Opfer. Eine gotterfüllte Atmosphäre
eignet sich nicht für den neueren Zweifel. Wenn die Leute in dies Übel hinein-
geraten, so gehen sie dahin, wo es geduldet oder wo wenigstens dawider
gestritten wird; wo sie in der einen oder andren Weise ihre Liebe zum Neuen
entwickeln und die Vorstellung von ihrer eignen Weisheit nähren können.
Unglaube, Socinianismus und neueres Denken können keinen Fortschritt
machen, wo der Geist wirkt. Zauber hilft uicht gegen Israel und Wahrsagung
trifft Jakob nicht. Wenn eine Gemeinde sich zu der Wahrheit hält, sich zu
Gott hält und ihr eignes Werk thut, so kann sie wie ein Lamm mitten unter
Wölfen leben, ohne zerrissen zu werden. Habt Gott mit ench, nnd nicht nur das
Übel falscher Lehre, sondern jedes andre soll fern von euch gehalteil werden.
Es war sogar, als Christus in der Gemeinde war, ein Indas in ihr; und
selbst in der Apostel Tagen waren etliche, die „von ihnen ausgingen, weil sie
nicht von ihnen waren, denn wo sie von ihnen gewesen wären, so wären sie
ja bei ihnen geblieben, deshalb können wir nicht erwarten, ohne falsche Brüder
zu sein." Aber die wahre Sicherheit der Gemeinde ist nicht ein Glaubens»
bekenntnis, nicht eine gesetzliche Verfügung, diejenigen auszuschließen, welche dem
Bekenntnis zuwider lehren; die Gegenwart Gottes allein kann sein Volk gegen
die listigen Angriffe der Feinde beschützen.
Über diese Worte: „es ist kein Zauber gegen Jakob und keine Wahr»
sagung gegen Israel," verstattet ein paar Worte. Es gibt immer noch einige
thörichte Leute in der Welt, die an Hexerei und Zauber glauben, aber ihr,
Geliebte, wenn ihr den Herrn lieb habt, schlagt euch solchen Unsinn aus dem
Kopfe. Hört ihr nicht Leute davon reden, daß dies „glücklich" und jenes
„unglücklich" sei? Diese Vorstellung ist heidnisch uud unchristlich. Schwatzt
nie solchen Unsinn. Aber selbst wenn es Zauberei und Wahrsagung gäbe,
wenn dieses Haus voll Teufel wäre und die Lnft von uusichtbaren, bösen
Geistern wimmelte, so wäre doch sicherlich kein Zauber gegen nns, wenn wir
das Volk Gottes sind. Hexerei kann ein Kind Gottes nicht berühren: der
Vöse ist gekettet. Deshalb seid guten M n t s : wenn Gott für uns ist, wer mag
wider uns sein?
Weiter gibt Gott seinem Volk den nächsten Segen, das ist, E r w i r k t
so unter i h n e n , das; Er sie zu einem Wunder macht und Fremde veranlaßt,
Fragen betreffs ihrer zu thuu. Zu seiner Zeit wird man von Jakob sagen
und von I s r a e l : „Was hat Gott gethan? I s t das nicht ein Sonderbares?"
Hier ist Vileam mit seinen siebell Altären und sieben Farren und sieden
Widdern, nnd hier ist Valak, und sie sind alle im Begriff, irgend etwas
Schreckliches wider Israel anzustiften. Der Prophet ist ein Mann, der viel
Geschicklichkeit in den verborgenen Künsten besitzt; nnd was sagt Gott? I n
Der beste K r i c g s r u f . 275

Wirklichkeit sagt Er: von dieser Stunde an, in der ihr sie zu verfluchen sucht,
will ich sie mehr als je segnen, bis sie selbst und ihre Feinde sagen: „Was
hat Gott gethan?" Brüder, es gibt ciue audre Frage: „Was hat I s r a e l
gethan?" Ich bin froh, daß Israels Thun nicht eben jetzt mein Thema ist,
denn ich würde eine elende Predigt daraus zustaudebringen; wir haben
bessere Musik in den Worten: „Was hat Gott gethan?" Laßt mich sagen,
nicht, was ich gcthan habe, sondern, was Gott gethan hat; nicht, was die
menschliche Natur ist, sondern was Gottes Natur ist, und was die Gnade
Gottes inmitten seines Volkes wirkt. Wenn Gott mit uns ist, so werden wir
Zeichen und Wunder sehen, bis die um uns her sagen: „Was ist dies, was
Gott thut?" J a , in dir, armer Jakob, der du ringst und hinkest an deiner
Hüfte, sollen die Menschen Wunder sehen und rufeu : „Was hat Gott gclhan?"
Weit mehr noch soll es so mit dir sein, mein Brnder I s r a e l , du, der du
obgesieget uud den Segen erlangt hast; du bist wie eiu Fürst bei Gott und
sollst die Lente fragen machen: „Was hat Gott gethan?"
Wenn Gott bei seinem Volke ist, so wird Er ihm Kraft von einer
zerstörenden A r t geben. Erschrecket nicht. Hier ist der Spruch: „Siehe,
das Volk wird aufstehen wie ein großer Löwe und wird sich erheben wie ein
junger Löwe," — das heißt, als ein Löwe ill seiner vollen Kraft, — „es
wird sich nicht legen, bis es den Naub fresse uud das Blut der Erschlagenen
sanfe." Gott hat in seine Gemeinde, wenn Er i l l ihr ist, eine wnnderbare,
zerstörende Kraft der geistlichen Bosheit gegenüber gelegt. Eine gesunde Ge»
meinde tötet den I r r t u m und reißt das Übel in Stücke. Vor nicht sehr
langer Zeit duldete unsre Nation die Sklaverei in unsren Kolomen. Philan-
thropen bemühten sich, die Sklaverei zu vernichten, aber wann ward sie ganz»
lich abgeschafft? Das war, als W i l b e r f o r c e die Gemeinde Gottes aufrüttelte
und diese sich zum Kampfe wandte, da riß sie das böse Ding in Stücke. Mich
hat es amüsiert, was W i l b e r f o r c e sagte den Tag, nachdem das Gesetz der
Freilassung durchgegangen war: „ I s t nicht etwas andres da, das wir ab»
schaffen können?" Das war im Scherz gesprochen, aber es zeigt den Geist
der Gemeinde Gottes. Sie lebt in Kampf und S i e g ; ihre Aufgabe ist es,
alles zu vernichten, was schlecht im Lande ist. Seht den grimmen Teufel der
Un Mäßigkeit, wie er die Mcnfchen verschlingt! Ernste Freuude habeu dagegen
gearbeitet, und sie haben etwas gethan, wofür wir dankbar sind, aber wenn
die Unmäßigkeit je überwunden werden wird, so wird es sein, wenn die ganze
Gemeinde Gottes sich aufrafft, dagegen zn protestieren. Wenn der starke Löwe
sich erhebt, so wird der Niese der Trulikeuheit vor ihm fallen. „ E r wird sich
nicht legen, bis er den Naub fresse und das Blut der Erschlagenen saufe."
Ich sehe für die Welt die bestell Nesultate voll einer völlig erweckten Gemeinde
vorher. Wenn Gott in ihr ist, so gibt es kein Übel, das sie nicht überwinden
18*
276 Alttestamentliche Bilder.

kann. Dieses übervolle London erschreckt mich zuweilen — die Sünde, welche
in den ärmeren Distrikten herrscht nnd wütet, die allgemeine Gleichgültigkeit
nud der zunehmende Atheismus der Menschen, — diese sind etwas Schreck-
liches, aber laßt das Volk Gottes nicht verzagen. Wenn der Herr mit uns
ist, so werden wir es hiermit machen, wie unfre Väter es mit andren Übeln
gemacht haben; wir werden uns erheben uud nicht niederlegen, bis das Übel
vernichtet ist. Denn das Vernichten des Volkes Gottes, merkt euch, ist uicht
das Vernichten der Menschen: es besteht in dein Umsturz der Sünde; dem
Zerreißen der verderblichen Systeme. Dies ist es, was Gott seiner Gemeinde
helfen wird zu thun, wenn Er in ihrer Mitte ist.
Noch eins: die Folgen der Gegenwart Gottes werden gesehen, nicht nur
in dem hier Angeführten, sondern in andren Sachen, die wir persönlich er-
fahren haben und noch völliger zu erwarten hoffen. Beachtet sie. Wenn Gott
in einer Gemeinde ist, so ist eine heilige Ehrfurcht in den Herzen seines
Volkes; es ist auch kindliche Zuversicht und Hoffnung da, und folglich Mut
uud Freude. Wenu der Herr uuter seiuem Volke ist, so sind die Ordnungen
seines Hauses äußerst lieblich. Taufe und Abendmahl werden göttlich gemalte
Bilder unsres Begräbnisses in Christo und unsres Lebens durch I h n ; die
Predigt des Wortes fällt wie der Tau und träufelt wie der Regen; die Betstunden
sind frisch und inbrünstig; wir möchten Stunde auf Stunde in ihnen bleiben,
wir sind so glücklich, da zu weileu. Das Haus selbst, in dem wir zusammen»
kommen, wird für uns schön; wir lieben den Ort, wo unser Herr zu uns
zu kommen pflegt. Dann ist Arbeit für Christum leicht, ja, wonneuoll; Gottes
Volk braucht nie angetrieben zu werden, es ist begierig nach Kampf, wenn der
Herr bei ihm ist. Dann wird auch das Leide» für Christum uns lieb, ja,
jede Art Leiden wird leicht getragen. Dann wird das Gebet reichlich in der
Gemeinde, beides, das einsame und das öffentliche. Dann wird das Leben
kräftig gemacht; der Schwächste wird wie David, und David gleich dem Engel
des Herrn. Dann ist die Liebe innig; die Einigkeit ungebrochen; die Wahr»
heit geachtet, und das Leben der erkannten Wahrheit gemäß wird von allen
erstrebt. Dann ist die Arbeit erfolgreich; die Kirche macht den Raum ihrer
Hütte weit, denn sie bricht aus zur Rechten und zur Linken. Dann erbt ihr
Same die Heiden nnd wohnt in den verwüstete«! Städten. Dann gibt Gott
ihr die heilige Energie, womit sie die Völker besieget. Wenn Gott mit ihr
ist, wird sie wie eine Feuergarbe mitten uuter den Stoppeln seil« und ihre
Gegner rund umher verzehren. „Schön wie der Mond, auserwählt wie die
Sonne, schrecklich wie ein Heer mit Bannern," ist eine Gemeinde, in deren Mitte
Gott ist.
Aber nun beachtet eins in meinem Text, und damit schließe ich diese
Beschreibung: „Wo Gott ist, da, wird uns gesagt, ist das Jauchze» eines
Der beste Kriegsruf. 277

K ö n i g s unter I h m . " Was ist das Jauchzen eines Königs? Wenn große
Feldherren in das Lager kommen, welche Freude durchbebt die Herzen ihrer
bewährten Krieger. Wenn die Soldaten verzagten Mutes waren und man in
den Zelten flüsterte:
„Der König ist gekommen
Und führt uns in den Kampf/'

von dem Allgenblick an war jeder ermutigt. Beim Anblick des Königs, der
in das Lager reitet, erhebt das Heer ein Jauchzen. Was bedeutet dies? Es
ist das Jauchzen der getreuen Liebe — sie find froh, ihren Führer willkommen
zu heißen. S o ist es mit uns, wenn wir singen:

„Dein König, Zion, kommt zu dir/'

sind wir alle so froh, wie wir es nur zu sein vermögen. Die, welche nicht
ausgehen können, ihren Fürsten zu sehen, weil sie auf dem Krankenbett im
Hospital liegen, klappen mit den Händen, während selbst die kleinen Kinder ill
den Armen ihrer Mütter an der allgemeinen Freude teilnehmen. „Der König
ist gekommen," heißt es nnd seine Gegenwart erweckt Vegeisternng, bis die
Hügel sie widerhallen. I h r wißt, wie die strengen Eisenseitcn fühlten, wenn
C r o m w e l l daherkam; jeder Mann war ein Held, wenn er allführte. Sie
waren zu jedem Unternehmen bereit, einerlei, wie schwierig es sein mochte, so lange
ihr großer Führer da war. Jener Enthusiasmus, den A l e x a n d e r und
N a p o l e o n und andre große Führer einflößten, ist das irdische Bild voll der
geistlichen Inbrunst, welche die Gemeinde fühlt, wenn der Herr in ihrer
Mitte ist.
Was dann? Wenn der König kommt und sie I h n mit Enthusiasmus
empfangen haben, fo ruft E r : „Nun ist die Stunde für die Schlacht d a ; "
lllld sofort ertönt ein Frendenruf vou seinen Kriegern, die nach dem Kampf
verlangen. Wenn eilt Clan der Hochländer von seinem Befehlshaber in die
Schlacht geführt wnrde, fo brauchte er ihnen nur den Feind zu zeigen und mit
einem furchtbaren Geschrei stürzte» sie sich auf ihn wie die Löwen. So ist es
mit dem Volke Gottes. Wenn Gott mit nns ist, dann sind wir stark, ent-
schlossen, bestimmt. Der Angriff der Diener Gottes ist wie der Stoß eines
Orkans gegen eine schwankende Mauer und einen wankenden Wall. Auf Gott
ruht ullsre Siegeszuversicht. Wenn Gott gegenwärtig ist, so entfällt keinem
Menschen das Herz; kein Zweifel beschleicht das Heer. „Seid stark und zeigt
euch als Männer," ist das Losungswort, denn ihres Königs Auge macht sie
tapfer und die Gegenwart seiner Majestät sichert ihnen Triumph. Meine
Brüder, laßt uns zu Gott schreien und I h n bitten, unter uns zu sein. Dies
ist es, was euch nötig ist in euren Sonntagsschulen, in euren Missionssälen,
278 Alttestamentliche Bilder.

bei eurem Straßenpredigen, bei eurem Traktatverteilen; es ist das, was mir mehr
als alles andre nötig ist, wenn ich zu euch in diesem großen Hause zu sprechen
habe. Wenn ich den Ton der Füße meines Herrn hinter wir hören könnte, so
wollte ich sprechen, wenn ich auch am Rande des Grabes läge: aber wenn Gott
nicht da ist, bin ich aller Kraft beraubt. Was nützen Worte ohne den Geist!
Wir könnten ebensogut den pfeifendeil Winden etwas vormurmeln, als den Mellschen
predigen ohne den Herrn. O Gott, wenn Du bei uns bist, dann ist das Jauchzen
eines Kölligs unter uns, aber ohne Dich schmachten wir dahin.

III.
Drittens, laßt uns einen sehr wichtigen Punkt betrachten uud einen
sehr praktischen dazu. Was kann gethan werden, die G e g e n w a r t Gottes
i n der Gemeinde zn sichern nnd zn bewahren? Dies ist eine Sache,
die mehrere Predigten erfordern winde, um sie völlig zu erörtern; aber ich be»
merke, daß selbst in der B i l d u u g eiuer Gemeiude etwas ist, was
dazu beiträgt, dies zu sichern. Gott ist sehr duldsam und erträgt viele
Irrtümer bei seinen Dienern und segnet sie dennoch; aber verlaßt euch darauf,
wenn eine Gemeinde nicht gleich beim ersten Aufaug nach biblischen Grund»
sähen und nach Gottes eigner Weise gebildet ist, so werden sich früher oder
später alle Irrtümer il» ihrer Verfassung als Qncllen der Schwachheit er«
weisen. Christus liebt es, in einem Hause zu wohuen, das uach seinem eignen
Plan gebaut ist uud nicht nach den Launen und Einfällen der Menschen.
Die Gemeiude sollte »licht Dekrete von Menschen, lebendigen oder toten, als
Autorität gelten lassen; ihr Herrscher ist Christus. Verbindungen, die anders
geformt sind, als der Schrift gemäß, können auf die Länge nicht bestehen.
Ich wünschte, die Christen «lochten dies glauben. C h i l l i u g w o r t h sagte:
„Die Vibel, und die Bibel allein ist die Religion der Protestanten." Dies ist
nicht wahr. Gewisse Protestanten haben viele andre Dinge an die Vibel an»
geheftet; uud sie leiden infolge ihrer Thorheit, denn sie können ihre Gemeinden
nicht davor bewahren, papistisch zu werdeu. Natürlich können sie das nicht:
sie haben ein wenig vom Sauerteig des Papsttums zugelassen, und der wird
den ganzen Teig durchsäuern. Die trockne Fällte iu einem Teil des Hauses
wird früher oder später sich durch das ganze Gebäude verbreiten. Laßt uns
Sorge tragen, auf Christi Grundlage zu baueu und sehe jeder zu, wie er
darauf baue; denn selbst wenn der Grund gut ist, er aber mit Heu uud
Stoppeln darauf ballt, so wird das Feuer ihm schweren Verlust verursachen.
Aber ferner, Gott wird nur bei eiuer Gemeinde wohnen, die v o l l
Leben ist. Der lebendige Got will nicht eine tote Gemeinde bewohnen.
Daher die Notwendigkeit, wirklich Wiedergeborne als Mitglieder der Gemeinde
zu haben. Wir können mit all unsrer Wachsamkeit dies nicht in jedem Falle
Der beste Kriegsruf. 279

sicher»: Unkraut wächst stets unter dem Weizen. Aber wenn die Zulassung
Umuiedergeborner das Gewöhnliche ist und keine Beschränkungen da sind, wird
der Herr betrübt werden und uns verlassen. Gott wohnet nicht ill Tempeln,
mit Händen gemacht: Er hat nichts zu thun mit Ziegeln uud Mörtel; Er
wohnet in lebendigen Seelen. Denkt alt den Spruch: „Gott aber ist nicht
der Toten, sondern der Lebendigen Gott," der hat unter andren auch diesen
Sinn, daß Gott nicht der Gott einer Gemeinde ist, die aus unbekehrteu Leuten
besteht. O, daß wir alle für Gott leben möchten, und daß dieses Leben so
wäre, daß es nicht mehr in Frage gestellt werden könnte.
Dies vorausgesetzt, bemerken wir danach, daß wir, um Gott uuter uus
zu haben, v o l l G l a n b e n sein müssen. Der Unglaube strömt eiuen so schäd»
lichen Dunst aus, daß Iesns selbst nicht bleiben konnte, wo Er war. Seine
Kraft war gelähmt: „Er konnte nicht viele mächtige Werke daselbst thun um
ihres Unglaubens willen." Der Glaube erzeugt eine Atmosphäre, in welcher
der Geist Gottes wirken kann; aber der Geist Gottes selbst erschafft diesen
Glauben, so daß alles vom ersten bis zum letzten seiu eignes Werk ist.
Brüder, Schwestern, glaubt ihr eurem Gott? Glaubt ihr gauz uud gar?
Ach, zu viele glauben uur eiu wenig! Aber glaubt ihr jedes seiner Worte?
Glaubt ihr seine größten Verheißungen? Ist Er euch ein wirklicher Gott,
der seine Worte zu Thaten macht an jedem Tage enres Lebens? Wenn das,
dann ist der Herr unter nnS wie ill der Stiftshütte. Der Glaube baut ein
Zelt, in dem sein König gern auf dein Throne sitzet.
Damit muß auch Gebet verbunden sein. Gebet ist der Odem des
Glaubeus. Ich glaube llicht, daß Gott je lauge bei einer Gemeinde sein
wird, die nicht betet: und ich bin gewiß, wellll Versammlung zum Gebet,
welln häusliches Gebet, weun einsames Gebet, wellll irgend eine Art von
Gebet abnimmt, so wird der Herr das Volk seine Schwäche fühlen lassen.
Mangel an Gebet durchschneidet die Sehnen der Gemeinde für praktisches
Werk; sie ist lahm, schwach, ohnmächtig, wenn das Gebet verschwuuden ist.
Wenn die Lungen irgendwie leidend sind, so fürchten wir Schwiudsucht: Gebets»
versammlnngen sind die Luugen der Gemeinde, und wenn diese leidend sind,
so bedeutet das Schwiudsucht der Gemeiude oder im bestell Falle eiue all-
mähliche Abuahme, mit großer Schwäche verbuudeu. O, meine Vrüder, weun
wir Gott mit uus habeu wolleu, so müssen wir die Losung ansgcben: „Laßt
uns beten." Laßt uns beten nach Art der Witwe, die allhaltend war und
sich nicht abweisen lassen wollte; denkt darall, daß geschrieben steht, daß „man
allezeit beten und nicht laß werden sollte." Wo das Gebet brünstig ist, da ist
Gott gegenwärtig.
Wenn Glaube und Gebet da ist, thut uns auch Heiligkeit des Lebens
not. I h r wißt, was Vileam that, als er fand, daß er dem Volk nicht fluchen
280 Alttestamentliche Bilder.

konnte. Satanisch war sein Nat. Er hieß den König von Moab die Männer
Israels durch die moabitischen Weiber verführen, die lieblich anzusehen waren;
diese sollten sie durch ihre Schönheit bezaubern und sie dann zu ihren Götzen-
festen einladen, die Orgien der Lnst waren: er hoffte, daß die Zügellosigkeit des
Volkes den Herrn erzürnen und I h n veranlassen würde, von ihm zu weichen,
und dann konnten die Moabiter es schlagen. Er hatte traurigen Erfolg.
Wäre nicht Pinehas gewesen, der im heiligen Zorn mit seinem Spieß einen
Mann und ein Weib in der sündigen That durchstach uud kciueu in der
Heftigkeit seines Eifers verschonte, so wäre Israel vertilgt worden. So in
einer Gemeinde. Der Teufel wird sich sehr abmühen, den einen zur Zügel»
losigkeit zu führen, einen andren zur Trunksucht, einen dritten zur Unredlich»
keit und andre zur Weltlichkeit. Wenn er nur den köstlichen babylonischen
Mantel nnd die goldne Spange in eines Achnns Zelt vergraben lassen kann,
so wird Israel von seinen Feinden in die Flucht geschlagen werden. Gott
kann nicht in einer unreinen Gemeinde wohnen. Ein heiliger Gott verabscheut
den befleckten Nock des Fleisches. Seid heilig, wie Ehristus heilig ist. Greift
nicht zu dieser neusilbernen, elcktrotypischen Heiligkeit, die hentzutage so an»
gepriesen wird. Laßt euch nicht zur Selbstgerechtigkeit verführen, sondern
strebt nach wirklicher Heiligkeit; und wenn ihr sie findet, werdet ihr nie damit
prahlen: euer Leben wird reden, aber enrc Lippen werden niemals zu sprecheil
wagen: „Siehe, wie heilig ich bin." Wirkliche Heiligkeit ist mit Demut
verbunden und laßt die Menschen nach dein streben, was noch vor ihnen liegt.
Seid heilig, aufrichtig, gerecht, gerade, wahr, reiu, keufch, fromm. Gott sende
uns solche Tugenden, dann werden wir I h n nnter uns behalten, so lange
wir leben.
Zuletzt, wenn wir dies erreicht haben, so laßt uus tatsächliche Hin»
gäbe beweisen. Gott will nicht in einem Hause wohnen, das I h m nicht
gehört. Nein, das erste, was jeder von uns thun muß, ist, diese Frage zu
beantworten: Gibst du dich Ehristo hin, Leib, Seele und Geist, für I h n zu
leben und für I h n zu sterben? Willst du I h m alles geben, was du an
Talent und Fähigkeit und Vermögen und Zeit Haft, und das Leben felber?
Wo eine Gemeinde ist, die aus dem Herrn Geweihten besteht, da will Gott
bleiben und da will Er einen Himmel hienieden macheil, da soll man das
Jauchzen eines Königs hören und da soll sciuc Kraft geoffenbart und feine
Herrlichkeit gesehen werden, wie sie droben geschaut wird. Der Herr sende
uns dies, um Jesu willen. Amen und Amen.
Rah ab. 281

Rahab.
„Durch den Glaubt!» ward die Hure Rahab nicht verloren mit
den Ungläubige«, da sie die Kundschafter frcnndlich aufnahm."
Hebr. 11. 31.
„Tessclbeu gleichen die Hure Rahab, ist sie nicht durch die
Werke gerecht geworden, da sie die Voten aufnahm, und ließ sie einen
andren Weg hinaus?" Jak. 2, 25.

A i e s sind zwei neuteslamentliche, kurze Zusammenfassungen von dem


Leben der Rahab, und beide sind gleich ehrenvoll für sie. Paulus stellt sie
unter die großen Helden, die durch den Glauben Wunder wirkten. Das elfte
Kapitel der Hebräer ist ein Triumphbogen fnr die Krieger des Glaubens, und
unter den ausgezeichneten Namen, die darauf geschrieben sind, ist der Name
dieser Hure von Jericho. W i r sind indes nicht so sehr darüber erstaunt, denn
sie war augenscheinlich ein Beispiel von großem Glauben; aber wir find etwas
überrascht, denke ich, ihren Namen von Iakobns verzeichnet zu fiuden, weil
er ein außerordentlich praktischer Mann ist und mehr von gnten Werken als
von» Glauben schreibt. Sein Zweck ist, zu zeigen, daß der Glaube, der die
Seele rechtfertigt, ein Glaube ist, der gnte Werke hervorbringt, und deshalb
sncht er Beispiele von heiligem Dienste Gottes. W i r würden nicht gedacht
haben, daß er Rahab hervorgehoben hätte, aber er hat es gethan, und dies ist
um so merkwürdiger, weil die einzige andre Persönlichkeit, die er nennt,
Abraham ist; Abraham, der Vater der Glänbigcn, ein Freund Gottes, ein
frommer und ein aufrichtiger Mann. Iakobns führt Abraham an als den
Vertreter des einen Geschlechts und Rahab, die Hure, als Vertreterin des
andren. Ich habe keinen Zweifel, daß Iakobus wußte, was er that uud daß
die Inspiration, die ihn leitete, uufehlbar war. Möglicherweise war Nahab
gewählt, um die Heiden zu repräsentieren, in Verbindnng mit dem Gründer
Israels, der paffend für die Juden steht. Abraham besaß einen Glaubell, der
sich durch Werke zeigte, und Rahab that dasselbe, die Tochter der Heiden, die
282 Alttestamentliche Bilder.

von einem Geschlecht abstammte, das zur Vernichtung verurteilt war, eine Heidin
der Heiden. Und vielleicht mag ein andrer Grund für ihre Erwähnung darin
liegen, daß, wie Abraham seiner Freundschaft auf den Ruf Gottes entsagte
ails Ur in Chaloäa herauszog, dein Höchsten abgesondert, so dieses Weib auch
ihre Verbindungen mit Jericho abbrach, thatsächlich ihrer Nationalität entsagte,
ihr Vaterland aufgab, es seinem Geschick und seiller Beurtciluug überließ,
während sie sich auf Israels Seite stellte, um mit dein Volke Gottes an dem
verheißenen Erbe teilzunehmen. Es ist also keine geringe Ehre für dieses
merkwürdige Weib, daß ihr Name nicht nur mit den Glanbenshelden verzeichnet
steht, sondern daß auch der große, praktische Apostel sie als eins der zwei
denkwürdigen Beispiele der Werke, die ans dem Glauben entspringen, ge>
wählt hat.
Laßt uns ihren Glauben lind ihren Eharakter betrachten, um so auf-
merksamer wegen der hohen Stellung, die der Heilige Geist ihr allgewiesen hat.
M i t dem Lobe des Paulus und dem Preise des Inkobus, beides ans dem
Zeugnis des Geistes Gottes ruhend, ist der Charakter dieser Frau wohl einer
aufmerksamen Erwägung würdig. Möge der Geist Gottes unsre Vetrachtuug zu
unsrem Segelt dienen lassen.

I.
Nnsre erste Bemerkung über sie soll die sein, daß sie außergewöhn»
lichen G l a u b e n besaß. Dies wird augenscheinlich, wenn wir erwägen, daß
sie keine Unterweisung von ihren Eltern emufing. Mitgliedschaft durch
das Recht der Geburt war eine Frage, die bei diesem Falle gar nicht in Vc»
tracht kam. Ihre Eltern gehörten znm verurteilten Geschlecht der.Nananiter.
Sie hatten selber keinen Glauben an Gott und konnten diesen Glauben nicht
einschärfen. Sie wandte sich nicht zur Verehrung Ichovnhs, weil ihre Familie
dies nimmer gethan hatte. Sie hatte keinen Fmnilienstuhl im Heiligtum, keine
Prophetcnkammer in ihrem Hause, keinen Namen, der unter dem Volk des
Herrn zu bewahren war. Sie war die erste und einzige ihrer Nasse, die durch
die Gnade bernfen ward. Gott hatte sie als „eine aus einem Hause" durch
seine erwählende Liebe erlesen, und obwohl wir hoffen, daß die Gnade in dem
Hause viele Generationen hindurch fortdauerte, so kam sie doch zu allererst
durch Nahab hinein. Nnn, wir wundern uns nicht so sehr, obgleich ich glanbe,
daß es in vieler Hinsicht ganz ebensosehr zur Ehre Gottes ist, wenn wir die
Kinder gottesfürchtiger Eltern gläubig werden sehen; denn wenn wir an die
vielen Gebete denken, die für sie dargebracht sind, an die Lehren, die sie
empfangen, die liebevollen Ermahnungen, die sie gehört, und vor allem all die
guten Beispiele, die sie gesehen haben, so staunen wir nicht sehr, obwohl es
in Wahrheit, wenn die Bekehrung echt ist, in diesem Falle ebensosehr wie in
Nahab. 283

jedem andren ein Werk des Geistes Gottes ist; aber wir staunen und wir
können nicht anders, wenn wir einen aus einer Familie sich erheben sehen, in
der nie früher wahre Religion wahrgenommen ist. Hier sehen wir eine ein-
same Palme in der Wüste, ein vereinzeltes Leben nnter den Gräbern. Es ist
ein Kampf, wie einige von euch das wissen, in der Stellung eines einsamen
Zeugen für Gott in einer Familie zu steheu. Wenn ich Leute sehe, die nach
dem Heilsweg forschen und mit jungen Personen zn reden haben, welche die
einzigen in ihrer Familie sind, die überhaupt das Haus Gottes besuchen und
irgend welche Gottesfurcht zeigen, fo fühle ich viel Teilnahme für sie, weil ich
weiß, sie werden viel zn leiden und eiu schweres Kreuz zu tragen haben.
Solche Neubckehrte gleichen nicht Pflanzen im Treibhause, sondern Blumen,
die der Winterkälte ausgesetzt sind; doch ist es recht, hinznzufügeu, wie ich oft
bemerkt, daß diese später zn den kräftigsten und entschiedensten Christen ge-
hören, die ich je gekannt habe. Eben wie Nahnb, obgleich ihr Glaube ver-
einzelt und wie eine Lilie uuter den Dornen stand, so war er darum uicht
weniger stark, sondern vielleicht uni so unerschütterlicher.
Bedenkt ferner, daß ihr Glaube außergewöhnlich war, weil sie nicht i n
einem g l ä u b i g e n Lande lebte. Nicht nur innerhalb ihres Hauses hatte
sie niemand, der ihr gleichgestimmt war, sondern in der Stadt Jericho war
sie, so weit wir wissen, die einzige, die an Jehovah glaubte. W i r köuuen mit
Recht schließen, daß, wenn andre Gläubige da gewesen wären, die Stadt ent-
weder um der zehn Gerechten willen verschonet worden wäre oder sonst Mittel
zu ihrer Erhaltung sich gefunden hätten; aber sie war die einzige dort.
Hätten wir die Stadt Jericho aus der Vogelperspektive sehen können und ge»
wnßt, daß mir eine gläubige Seele darin sei, so bürge ich euch dafür, wir
hätten nicht auf Nahabs Halls geblickt. Sie wäre ungefähr die letzte ge>
wesen, von der wir vorausgesetzt, daß sie Glauben an den wahreil Gott ge-
habt, Gott hat ein Volk, wo wir wenig davon träumen, und Er hat Er-
wählte unter einer Art von Lenten, sür die wir nicht zu hoffen wagen. Wer
würde denken, daß Gnade in dem Herzen von einer wachsen könnte, die eine
Hure genannt wurde, als wenn ihre Sünde öffentlich allen bekannt wäre;
dennoch wuchs sie da wie eine schöne Vlume, die auf einem Dnnghaufeu blüht,
oder wie ein glänzender Steril, der ans dem Antlitz der Nacht fchimmert. Dort
wuchs ihr Glaube und brachte Gott Ehre. Ich weiß nicht, welchen Gott man
zu Jericho anbetete, aber die ganze Stadt war voll Götzendienst, uud sie allein
blickte zn dem lebendigen Gott anf. Die ganze Stadt war voll Unreinigkeit;
llnd schlecht, wie sie gewesen war, mußte ihr Glaube ihr jetzt Abscheu vor der
Sünde eingeflößt haben. Jericho war eine Nachbarin Sodoms, nicht nur der
Lage, auch der Beschaffenheit nach, und schlecht, wie dieses Weib gewesen, ist
es doch wahrscheinlich, daß ihre Sünde zu den geringsten gehörte, die dort
284 Alttestamentliche Bilder.

verübt worden. Es ist eine Schande, von den ekelhaften Verbrechen, die
Jericho verunreinigten, mich nur zu sprechen. Als sie durch Gottes unum<
schränkte Gnade bekehrt ward, muß Nahab sich ebenso einsam in Jericho ge-
fühlt haben, wie Lot es in Sodom gethan. Sie war die einzige Gläubige
unter einem götzendienerischen und verderbten Geschlecht. Dürfen wir nicht
hoffen, lieben Frennde, daß aus den niedrigsten Winkeln unsrer großen Stadt
andre Nahabs kommen werden? Dürfen wir nicht darauf vertrauen, daß aus
denen, die in unsren Gefängnissen gewesen sind, noch solche aufsteheu, die an
den Herrn, den Gott Israels, glauben? Dürfen wir nicht sogar hoffen, daß
der Ruf des Evangeliums vou dem Gerücht iu Städte getragen worden ist,
die von Missionaren nicht besucht sind, und daß hier und da ill unbekannten
Städten eine Nahab den Herrn sucht? M a n kann nicht sagen, was die
Gnade im stillen überall in der Welt thun mag, indem sie die Ein und Zwei
herausliest, die Gott erwählt hat. Israel ließ es sich nicht träumeu, daß es
einen Verbündeten innerhalb der Maueru seiner Feinde finden würde, doch
der Herr wollte es so, nnd es war so.
Denkt auch darall, daß Nahabs Glaube merkwürdig war, weil sie sehr
geringe M i t t e l besaß, sich Kenntnisse zu erwerben. Sie hatte kein
von Gott eingegebenes Buch zn lesen; sie war von keinem Propheten unter»
richtet; kein Elias hatte im Raulen Gottes zn ihr gesprochen; kein Jonas war
dnrch die Straßen ihrer Stadt gegangen nnd hatte die Menschen zur Vnßc
ermahnt. Die Belehrung, die sie erhalten, hatte sie sich nach und nach ge-
sammelt. Sie hatte das Gerede auf dein Markt, das Geplauder am Vrunnen
und das Gefchwäh anßen vor den Stadtlhorcn zusammengefügt und hatte
daraus entnommen, daß ein Volk alls Ägypten gezogen und daß nm seinet-
willen und durch seinen Gott, Jehovah, der ägyptische König im Noten Meere
untergegnugen sei; daß Sihon, König der Amoriter, uud Og, König zu Vasan,
in der Schlacht von diesem Volk überwunden worden; und daß es gewiß sei,
daß es ans dem Wege wäre, das ganze Palästina eiuzuuehmen, weil seiu Gott
es ihm gegeben. Ans diesen allgemeinen Berichten hatte dieses Weib genng
Zeugnis entnommen, nm ihren Glauben daranf zu grüuden. Das Sprichwort
sagt, daß allgemeines Gerücht eine allgemeine Lüge ist, aber in diesem Fall
hatte der panische Schrecken, voll dem ihre Landleute ergriffen waren, sie
überzengt, daß die Berichte wahr seien. Die Ausdrücke, in denen das Vor-
rücken Israels überall beschrieben ward, überzeugten sie, daß ein fnrchtbares
Unglück wie cille Wolke über dem Lande hinge und den Hof sowohl wie das
Heer und das Volk lähmte; sie sah, der Grund der Furcht war, daß ein
lebendiger Gott „lit diesen! Volke sei, lind sie sagte zu sich selbst: „Wahrlich,
es ist eill Gott," und ihr Gewissen stimmte dieser Erklärung bei. Sie fühlte,
es sei so, und Licht strömte in ihre Seele. Sie glaubte an Jehovah, den
Na h ab. 285

Gott Israels, und sie began» I h n zu verehren und erwartete, daß die Sache,
die Er verteidigte, erfolgreich fein würde, und daß die, welche feine Feinde
waren, dein Verderben entgegengingen. Schwach, sage ich, war die Vasis;
stark genug an sich, aber viel geringer, als die „Zeile auf Zeile, Vorfchrift
auf Vorschrift," (Ies. 28, 10), die wir fo lange Zeit erhalten haben. Viele
der hier Anwesenden haben das ganze Buch Gottes vor sich, nnd glauben doch
nicht; sie haben das Zeugnis von Tausenden seiner Heiligen, nnd glauben
doch nicht; sie werden ernstlich crmahnt von lebenden Znngen, und dennoch
glauben sie nicht; aber dieses arme Weib mit ihren wenigen Gelegenheiten,
von Gott zn hören, wurde doch gläubig. Hütet euch, daß sie nicht am Tage
des Gerichts wider euch aufstehe. Sie glaubte viel geringerem Zeugnis, wie
wollt ihr im stände sein, euren eignen hartnäckigen Unglauben zu eutfchuldigeu?
Ich bitte euch, lieben Hörer, denkt daran.
Vielleicht war das Wunderbarste an ihrem Glanben, daß sie ein W e i b
v o n solcher A r t w a r . Sie war anscheinend eine Perfon, von der es am
wenigsten glaublich war, daß sie zum Glauben an Jehovah gelangen würde.
Sie war eine Hnre, ein Weib, das eine Sünderin war und allgemein als
solche bekannt. Verzweifelte Versuche sind gemacht worden, eine andre Be-
deutung für das Wort zu fiudeu, das mit Hure überfetzt ist, aber sie siud
gänzlich fruchtlos gewesen. Beide, Panlns und Iakobus, erklärten betreffs
ihrer, daß sie das war, was wir sie gewöhnlich nennen. Die Idee, daß sie
eine Gastwirtin oder Schenkwirtin gewesen, ist abfurd, weil mau Gastwirte
in jener Zeit nicht kannte, wie jedermann weiß. Eine folche Vedentnng dem
hebräischen Original unterzuschiebeu, heißt uicht übersetzen, sondern mißdeuten;
und bei dem Griechischen hat niemand das je versucht. Sie war ohne Zweifel
eine große Sünderin gewesen; es nützt nichts, die Sache zu beschönigen. Laßt
die göttliche Gnade den Nuhm davou haben. Warum sollten wir wünschen,
Gott seine Ehre zu rauben, daß Er ein solches Weib von ihrer Sünde befreit
hat? Aber nachdem sie zum Glauben an Jehovah gekommen war, da, nehme
ich an, gab sie ihre Sünde auf und ward ganz anders, obwohl sie immer
noch unter ihrem früheren Titel bekannt war. W i r lefen, daß sie die Kund-
schafter unter den Flachsstengeln verbarg. Zu welchem Zweck hatte sie Flachs-
stengel auf dem Dach, wenn sie nicht angefangen, ein fleißiges, arbeitsames
Weib zu sein? Eine Kleinigkeit deutet oft den Charakter a n ; ein Strohhalm
zeigt, von welcher Seite der Wind weht, und es ist mir höchst wahrscheinlich,
daß sie ihr unheiliges Leben aufgegeben hatte. Und dann, da Gastfreiheit in
Jericho und den andren kananitifchen Städten vergessen worden war, und sie
als eine Nachfolgerin Iehouahs wußte, daß Er Gastfreiheit liebte, ging sie dann
und wann zum Thor der Stadt, gerade wie Lot es zu thnn gewohnt war, und
sah nach Fremden aus, die sie aufnehmen könne. Sie ward nicht verdächtig,
286 Alttestamentliche Bilder.

wenn sie dies that, weil ihr alter Name ihr noch anklebte und ihr die Freiheit
gab, zu thun, was andre nicht versuchen konnten, ohne des Verrates gegen
die Krolle verdächtig zu werden, wenn sie Fremde und Gegner aufnahm. So
zweifle ich nicht, daß sie sehr redlicherweise Fremde bewirtete, und daß der
Grund, weshalb bei dieser Gelegenheit die Kundschafter zu ihr kamen, der war,
daß sie gewöhnlich nach Wanderern aussah, die sonst eine schlechte Behandlung
von ihren gottlosen Landslellten erfahren hätten. So brachte der großmütige
Sinn, den wahre Religion ihr gab, sie in Berührung mit den Israeliten,
die kamen, um das Land auszukundschaften, und diese wurden iu Gottes Hand
das Mittel zu ihrer Vewahruug, als die Stadt zerstört wurde. Die Gnade
Gottes hatte, selbst ehe diese Männer kamen, sie ans ihrem früheren Selbst
herausgehoben; und obgleich ihr alter Name ihr noch blieb, fo meine ich doch
Gründe zu sehen für die Annahme, daß ihr früherer Charakter geändert und
sie eine neue Kreatur durch die Macht des Glaubens geworden war. Indessen,
sie war einst eine Hure, und es ist ein Wunder, daßsieeine Gläubige ward.
Wunder der Gnade sind Gottes Freude, Er liebt um Jesu willen, die Niedrigsten
der Niedrigen und die Schlechtesten der Schlechteli zu sich zu rufeu. Der Herr
handelt noch immer in derselben Art. Laßt uns gewiß sein, daß Jesus immer
noch Sünder annimmt, und daß Zöllner und Hurer eher in das Himmelreich
kommen, denn die Selbstgerechten und Krittler. Es ist sehr merkwürdig, daß
in dem Stammbaum Christi so viele Frauen mit beflecktem Charakter sind;
daß da eine blutschänderische Thauiar, eine Hure Nahab, eine götzendienerische
Nuth und eine ehebrecherische Vathscba sind, so daß Jesus Christus, der Heiland
der Sünder, seiller irdischen Abkunft nach von Sündern abstammt und ihnen
nahe verwandt ist. O, die Tiefen der Gnade Gottes! Wie unvergleichlich ist
die Herablassung des Erlösers!
Noch eins, Nahabs Glaube war ungewöhnlich, weil der Gegenstand
desselben ein schwieriger war. Was war es, das sie zu glauben hatte?
War es nicht dies, daß Israel Jericho zerstören würde? Nun, zwischen Jericho
und den zwölf Stämmen floß der Jordan, und die Israeliten hatten keine
Mittel zum Übergang über denselben. Nur ein Wunder konnte diesen über»
fließenden Strom teilen. Erwartete Nahabs Glanbe ein Wunder? Wenn
das, so war er merkwürdig stark. Um Jericho herum staud eine gigantische
Maner. Es war nicht wahrscheinlich, daß die Belagerer sie erstürmen oder
eine Bresche darin machen würden. Dachte Nahab, daß die Mauern platt
auf den Boden fallen würden? Oder überließ.sie die Art der Einnahme
Gott, glaubte aber fest, daß sie erobert werden würde? Wenn das, so war
sie ein Weib von nicht geringem Glauben. Ich habe intelligente Christen
gekannt, deren Glauben weder cille Flut zerteilen noch über eine Mauer hätte
springen können; aber dieses armen Weibes Glaube an Gott that beides. Sie
Ra h ab. 287

war gewiß, daß der Gott des Noten Meeres der Gott des Jordans sein würde,
und daß der, welcher Og, den König zu Basan, schlug, cmch den König zn
Jericho schlagen könnte. I h r Glanlie war eigentümlich, weil er stark war nnd
stärker, als der Glaube oft in denen ist, die uiel mehr haben, worauf sie ihn
gründen können.
Nun, laßt jeden von uns sagen, wenn wir an den eigentümlichen
Glauben dieses Weibes denken: „Warnm sollte ich nicht denselben Glauben
an den lebendigen Gott haben? Gott kann ihn mir geben. Wenn anch mein
«ergangenes Leben sehr mit Sünden befleckt ist, weshalb sollte ich nicht doch
mein Vertrauen auf den Herrn, den Heiland, setzen? Ist nicht der Glaube
gerade die Gnade, die einen» Sünder am besten geziemt und am meisten für
ihn thut? Hat Gott nicht Iesum Christum in die Welt gesandt, um die
Menschen von der Sünde zu erlösen? Hat Er nicht schon viele durch die
Macht seines Geistes und die Kraft seines kostbaren Blutes erlöset? Ich will
an Iesum glauben." O, möge der Heilige Geist euch in diesem Augenblick
Glauben geben. Möge Gottes erwählende Liebe einige hier erlesen, die, wenn
nicht thatsächlich, doch im Herzen ebenso schlecht gewesen sind wie Itahab; und
mögen sie durch unendliche Barmherzigkeit dahin gebracht werden, ihr im
Glauben nachzuahmeu, wie sie ihr in der Sünde gefolgt sind. Kommt, ihr
Gefallenen, Jesus kann euch aufrichten. Kommt, ihr Unreinen, Jesus kann
euch reinigen. Glanbet, und das ewige Leben ist euer.

II.
Zweitens, P a h a b s G l a u b e w a r t h i i t i g . Es war kein schlummern-
der oder toter Glaube; es war ein wirksamer. Er war thälig, zuerst geistig.
Als sie glaubte, begann sie zn denken. Einige Leute werden bekehrt bei Er-
weckungen und wilden Aufregungen, und mir scheint es, als wenn sie ent»
weder gar kein Gehirn hätten oder als wenn die Gnade nie in ihren Kopf
hineingekommen wäre. I h r müßt stets eine große Anfrcgnng im Gange
halten, sonst werdet ihr sie vermissen. Sie haben keine wohl erwogene Grund-
sätze. Wenn ihr sie fragtet, was sie glanbten, so würden sie es nicht wissen
und würden auch nicht im stände sein, zu sagen, warum sie glauben. Sie
glauben wahrscheinlich, weil andre Menschen glauben; der Prediger ist eifrig, und
sie hören ihn gern, daher ihr Glaube; einen vernünftigen Grund haben sie
nicht. Die besten Gläubigen im Beharren und Ausdauern sind die Nach-
denkenden, Männer von Grnndsätzcn, Männer, die wägen und nrteilen.
Natürlich haben sie bei ihrem Nachdenken um so mehr Kämpfe, aber auf der
andren Seite sammeln sie Kraft durch die geistige Übuug; und dies sind die
Männer, die sich nicht wägen und wiegen lassen von allerlei Wind der Lehre,
sondern feststehen in der Stunde der Versuchung. Wollte Gott, wir hätten ein
288 Lllttestamentliche Bilder.

großes Heer von nachdenkenden Gläubigen, denn dann würden Nitualismus


und Nationalismus weit weniger Schaden thun. Nahab war ein nachdenkendes
Weib und hatte ihr eignes System der Theologie. Sie kannte die Ver-
gangenheit, sie kannte die Geschichte vom Noten Meer und von Og und
Sihon; sie wußte etwas davon, daß Gott in seinem Bunde verheißen, das
Land den Israeliten zu gebeu, und daraus schloß sie auf die Gegenwart. Be-
achtet ihre Lehre von den gegenwärtigen Dingen: „Der Herr, euer Gott, ist
ein Gott, beides, oben im Himmel und unten auf Erden." Sie stellte dies
als gewisse Thatsache auf, daß der Herr, der so viel gethan, der Gott oben
im Himmel und unten auf Erden seil! müsse; uud daraus zog sie ihren
Schluß auf die Zukunft. Sie glaubte, daß Gott das Land in Israels Hände
geben würde, und sie bat, daß, wenn der Herr dies thäte, sie frenndlich und
treu gegen sie handeln möchten. So hatte sie eine Lehre über die Gegenwart,
die Vergangenheit und Zukuuft uud hatte es alles iu ihrem eignen Geiste ge-
ordnet. Aber ihr Denken war nicht nur so thätig, daß sie eine Lehrmeinung auf«
stellte, ein Ausleger nennt sie sogar eine Semivrophetin, sondern sie war auch
thätig in ihrer Entscheidung für den Herrn. Sie sagte: „Ich gehöre zu dieser
Stadt, ich habe Bürgerrechte in Jericho; ich will sie alle aufgeben. Gott ist
gegen diese Stadt, und sie wird zerstört werden, und ich werde umkommen
iu ihr, wenn ich gegen Gott bin; aber Er ist der wahre Gott; ich will mich
deshalb auf seine Seite stellen und die Partei seiues Volkes nehmen; wenn
Er mich nur habeu will, so will ich mich unter den Schatten seiner Flügel
begeben uud I h u bitte», den Saum seines Gewandes über mich zu breite».
Fortau bin ich nicht mehr eine Bürgerin Jerichos: ich sage mich von der Treue
gegen seinen König los," und als die Kundschafter kamen, wußte sie, was sie
zu thun hatte; sie sah sich nicht als verpflichtet an, teil an der Verteidigung der
Stadt zu nehmen dadurch, daß sie dein König sagen ließ, es seien Kundschafter
gekommen. Sie betrachtete sich als Israelitin und handelte als solche. O,
ich wünschte, daß einige, die sich Christen nennen, nur halb so eutschieden wärm.
Sie kennen die Wahrheit, aber sie erheben sich uicht für dieselbe; sie können
dieselbe bemäkeln und mit schlechten Worten benennen hören, und doch kocht
ihr Blut nie vor Unwillen über die Gegner Gottcs. Sie halten sich sehr
ruhig, und vielleicht ist eine Ursache davon, daß sie nichts zn sagen habeu.
Sie haben Christum nicht gelernt, sie haben keinen Grund für die Hoffnung,
die in ihnen ist, und deshalb können sie denselben nicht geben „mit Sanft-
mittigkeit uud Furcht;" und ihre Religion scheint ein toter Buchstabe, foweit
ihr Verstand in Betracht kommt. Gott befreie uns vou einem solchen Glaubeu.
Mögen wir einen Glaubeu habeu, der uusreu ganzen Menschen durchdringt,
unser Urteil leitet, unsrcn Verstand erleuchtet uud uns cutschieden für Wahr-
heit und Gerechtigkeit macht, in welche Gesellschaft wir auch geraten.
Rahad. 289

Aber danach kam eine andre Form der Thätigkeit. I h r Glaube war
thä't ig i n ihrem eignen Kreise. Wie ich schon gemntmaßt habe, daß sie
willig wurde. Fremde zu beherbergen, so wußte sie sogleich, was zu thnn, als
sie die Knechte Gottes in der Gestalt von zwei Kundschaftern sah. Sie nahm sie
mit nach Hanse nnd that ihr Vestes, sie zu verbergen. Sie wollte nicht eine
Heldin uorstclleu und sagte nicht: „Nun ich eine Verehrerin Iehovahs bin,
muß ich etwas Außerordentliches thun." Sie packte nicht ihre Kleider zu-
sammen, um nach einem fernen Ort zu gehen, wo sie glänzenderen Dienst für
Jehovah finden konnte; sondern sie blieb, wo sie war, nnd diente Gott da.
Sie sorgte für ihre Gäste und hielt ihr Hans in Ordnung. Ich bin der
Ansicht, daß häusliche Pflichten eine der besten Formen der Glanbensthä'tigkeit,
besonders für christliche Frauen, siud. Unsre Aufgabe ist nicht, zu thun, was
uns einfällt, sondern was der Herr uns zuweiset. Voll mancher christlichen
Frau ist es am beste»», wenn es von ihr heißt, wie von Sara, als sie
fragten: „Wo ist Sara?" nnd die Antwort war: „ I n ihrem Zelt." Es ist
eine gntc Sache, wenn ein Christ fühlt, daß er fein Werk nicht wählen will,
sondern das nehmen, was Gott für ihn wählt; er nimmt sich vor, nicht einen
andren nachzuäffen, sondern dein besonderen Pfad zu folgen, den der Herr
ihm bezeichnet. Nahab sollte nicht der I a e l gleichen nnd einen Nagel durch
die Schläfe des Königs von Jericho schlagen, noch sollte sie eine Debora sein
und eilten Varak zur Schlacht rufen. Sie hatte zu Hause Werk für ihre
Häude, und was ihre Hand zu thun fand, das that sie mit all ihrer Kraft.
Möchten wir in euch allen, die ihr Christen feid, den Glauben fehen, der ill
seinem eignen Kreise wirkt; möchtet ihr die Religion der alltäglichen Dinge
zeigen. Liebt nicht das fahrende Rittertum. Seid nicht geistliche Don Qnirote.
Gott hat euch zu dem gemacht, was ihr feid, cille Mutter oder eine Tochter,
ein Ehemann, ein Diener oder ein Herr; dient Gott als solche. Es ist
etwas zu thun für euch ill eurer Stellung. Außergewöhnliche Rufe mögen
kommen, und ich bitte Gott, sie möchten zu einigen hier Anwesenden kommen,
aber es ist nicht wahrscheinlich, daß sie denen gegeben werden, die nicht ihre
jetzigen alltäglichen Gelegenheiten beuutzeu können. W i r mögen zu einem
ganz besonderen Dienst berufen werden und ganz besondere Gnade empfangen,
aber es ist am besten für uus, bis wir eiueu solchen Ruf fühlen, unsre Pflicht
zu thun in der Lebensstellnng, in die uns Gott gebracht hat. Mose hütete
Schafe, bis ihm befohlen ward, Israel zu befreien. Gideon drasch, als der
Engel ihm erschien; uud die Jünger fischten, als Jesus sie rief. Sie waren
fleißig in ihrem Beruf und warfen sich dann mit ganzem Herzen in ihren
höheren Vernf hinein. So that Rahab. Die Kundschafter kameu zu ihr, sie
empfing sie in Frieden, sie verbarg sie, und nachdem sie das gethan, ließ sie
sie an eiuem Seil von ihrem Hause alls der Mauer herab, was sie vielleicht
S p u i g e o n , Altteslamentllche Vtlder. 19
290 Alttestamentliche Bilder.

friiher bei ganz andren gcthan. Dann gab sie ihnen den besten Nat, den
sie geben konnte, nnd erhielt ihnen so das Leben. Sie füllte eine sehr not»
wendige Stelle in der Geschichte Israels ans. I h r Glaube war wirklich
thätig und ist zu loben. — llnd laßt mich sagen, sie that dies alles nach
ihrem besten Vermögen und brauchte ihren gesunden Verstand. Sie bedeckte
sie mit Flachs; sie brachte sie ans das Dach des Hauses; sie ließ sie herab,
als es finster war; sie empfahl ihnen, drei Tage dort zu bleiben, bis die
Hitze der Verfolgung vorüber sei; sie haudeltc klug. Sie that alles, was sie
konnte, und sie that es mit merkwürdigem Takt nnd Scharfsinn. Ich konnte
nie begreifen, weshalb wahre Religion so oft mit Dummheit verbünden sein
müsse; und doch habe ich bemerkt, das; manche fromme Leute entweder eine
kindische Einfalt affektieren oder das; sonst der Herr in der That das, was
thöricht ist vor der Welt, erwählt hat. Wenn ihr Glauben habt, so brancht
ihr darum sicherlich nicht zu handeln, als wenn ihr den Verstand verloren
hattet. M i r scheint, daß der Glaube gcsnndcr Verstand ist, der vergeistlicht
nnd in Neligionsangclegenheiten hineingetragen wird, nnd daß es ganz damit
vereinbar ist, nein, daß es von uns gefordert wird, gesunden Verstand in
unsren gewöhnlichen Angelegenheiten zu behalten. W i r sollen klug wie
Schlangen sein ebensowohl als ohne Falsch wie Tauben. Sagt der Apostel
nicht: „am Verständnis seid Männer." (1 Kor. 14, 20.) O , wenn die
Menschen ihren Verstand ebensosehr brauchten, wenn sie Gott dienen, als
wenn sie nach Geld trachten, wieviel mehr würde in der Gemeinde und in der
Welt gethan werden, aber es werden oft Mißgriffe gemacht in der Leitung
christlicher Gesellschaften undchristlicherGemeinden, wiesiekeinen Augenblick in
einem Geschäftshause geduldet werden würden, und man läßt bei christlichen
Unternehmungen Männer an der Spitze und vornan stehen, die nicht ihr
Salz wert wären, wenn sie Stecknadeln verkauften oder Schweine trieben.
Wir sollten ebenso überlegend, ebenso sorgsam, klug, scharfblickend, unternehmend,
wie? wenn ich sagte, ebenso vorwärtsdringend im Dienste Gottes sein, wie
in den Geschäften des Lebens. Ich lobe Nahabs Glauben um deswillen,
weil sie sehr thätig war, und thätig in der Weise, in der sie am besten der
Gemeinde Gottes dienen konnte und all ihren Verstand und ihre Fähigkeiten
anstrengte.
Nahab war auch thätig auf große G e f a h r hin. I h r Glaube ließ sie
die Gefahr laufen, ihr Leben zu verlieren, denn wenn die Kundschafter entdeckt
worden wären, so hätte man kurzen Prozeß mit ihr gemacht. Das Schwert
des Königs von Jericho würde bald das Haupt des Weibes abgeschlagen
haben, das gewagt, die Feinde des Landes zu verbergen. Sie wagte fröhlich
alles auf die Wahrheit Gottes hin und lief jede Gefahr, um die Diener des
Herrn zu retten. Hierin steht sie weit über denen, die nicht ihre Beschäftigung,
Nahab. 291

ihre Stelle, ihren guten Namen oder allch die Liebe eines einzigen Verwandten
llln Christi willen anfs Spiel setzen wollen.
Sie besaß also einen thätigcn Glallben, nnd wir können von ihr sagen,
wie Iakobus es thnt: „Dcsselbell gleichell die Hure Rahab, ist sie nicht
durch die Werke gerecht geworden, da sie die Voten aufnahm und ließ sie
einen andren Weg Hillalls?" Waren ihre Werke nicht mit ihrem Glauben
uerbunden? War nicht der Glaube, der sie rechtfertigte, ein Glaube, der gute
Werke hervorbrachte? Wirkte nicht der Heilige Geist iu ihr eine sichtbare
Thätigkeit, die ihren Glallben rechtfertigte, indem sie ihn als wirklich bewies,
und sie selber rechtfertigte, indem sie zeigte, daß sie aufrichtig war?

III.
Anhaks Glaube war durch grobe Zchwachheiteu eutstellt.
Sie log den Männern, die zur Thür kamen, die Kundschafter zn ergreifen.
Sie fngte, zwei Fremde wären zu ihr gekommen, aber sie wüßte nicht, woher
sie gekommen, was eine Lüge war; und sie wüßte nicht, wohin sie gegangen
wären, sie wäreil vor ciller Weile fortgegangen und man thäte besser, sie zu
verfolgen; dies war eine andre Falschheit und ist ganz und gar unentschuldbar.
Aber zugleich bedeukt, bitte, daß sie uicht wußte, es sei unrecht, zu lügen.
Es war ohne Zweifel in ihrem Gewissen ein schwacher Schimmer ciller Idee
davon, daß Lügen etwas Vöscs sei, aber doch hinderten ihre Umgebungen sie
daran, es klar zu wissen, wie wir es wissen. Vis ans diesen Tag ist es unter
vielen Orientalen weit gewöhnlicher, zu lügen, als die Wahrheit zu sprechen;
iu der That, ein völlig gut erzogcuer Urbcwohner des Morgenlandes spricht
me die Wahrheit, wenn nicht aus Versehen, und es würde ihm sehr leid thuu,
wenn er wüßte, daß er es auch nur zufällig gethan. Unter den Hilldlls kann
mail nicht leicht den Leuten glauben, auch wenn sie einen Eid vor Gericht
ablegen. W i r verachten einen großen Lügner, aber die Morgenländer be-
trachten ihn als ein Genie. Traurig ist es, aber es ist immer so gewesen, und
dies erklärt es zum großen Teil, wenn wir solche Männer wie Abraham und
Isaak unter gewissen schwierigen Verhältnissen Überlegterweise etwas sagen
sehen, was nicht ist. I h r müßt Individuen voll ihrem eignen Standpunkt
alls beurteilen und ihre Umstände ill Erwägung ziehen, sollst mögt ihr ihnen
unrecht thun. Ich will nicht Nahabs Lüge entschuldigen. Eine Lüge von
Nahab oder von Abraham ist ebenso schlecht als von jedem andren; aber in
diesem Falle muß mau dies sagen, sie war nicht gelehret worden, wie die
meisten von uns es sind, daß eine Lüge eine herabwürdigende Sünde ist.
Niemand hatte je zn ihr gesagt: „Täuschen ist dein Gesetze Gottes zuwider,
denn sein Geist lehrt uns, »licht untereinander zn lügen, da wir den alten
Menschen mit seinen Werken allsgezogen haben." Noch ein andres muß gesagt
19*
292 Alttestamentliche Bilder.

werden. Ich habe oft «ersucht, mich in Nahabs Stelle zu «ersetzen und habe
gesagt: „Nun, gesetzt, ich hätte zwei Diener Gottes «erborgen während der
alten Zeit der Dragoner von Elawcrhouse; zum Beispiel, wenn ich Alexander
Peden nnd Cameron im Hinterzimmer hätte, und zwei Dragoner vor die
Thür ritten und fragten: „Sind die Prediger hier?" Ich habe versucht, mir
vorzustellen, was ich sagen sollte und bin nie im stände gewesen, zu einem
Entschluß darüber zu gelangen. Ich nehme an, daß ich mehr Licht besitze als
Nahab, und sicherlich habe ich mehr Muße gehabt, den Fall zu erwägen, und
dennoch sehe ich nicht, was ich hätte thun sollen. Ich wuudere mich deshalb
nicht, daß sie stolperte. Und ich staune nicht eben, daß sie das sagte, was sie
sagte, denn ihrer unwissenden und angstvollen Seele konnte sich am leichtesten
dieser Gedanke aufdrängen. Ich habe sehr viele Pläne gemacht von dem, was
ich hätte sagen wollen. Ich sehe nicht ein, wie ich hätte sagen können: „ J a ,
sie sind im Hause." Das hieße Gottes Diener «erraten, uud das möchte ich
nicht thun. Ich habe sehr viele schön aussehende Pläne zusammengebraut,
aber ich bekenne, daß sie bei näherer Prüfnng alle mehr oder weniger eilten
Anflug von der List hatten, die versncht, Vetrng zu rechtfertigen oder zu ver»
bergen, und deshalb hatte ich sie alle aufzugeben als etwas, das nicht besser
als Falschheit sei und vielleicht nicht ganz so gut. Ich bin nicht sicher, ob
Nahabs Lüge nicht ehrlicher und gerader war, als manche Allsflucht, die sehr
klugen Leuten in den Sinn gekommen ist; in der Negel sind Dinge, die nicht
gleich in die Augen springen, zu denen Klugheit nötig ist, um sie einzugeben,
ziemlich verdächtig. Zieht einem Russen die Hallt ab, und ihr findet einen
Tartaren, und wenn man diesen hübschen Plänen die Haut abzieht, so schäle»
sich doch Falschheiten heraus. Ich will kein Wort zur Verteidigung der
Falschheit sagen, das sei ferne. Sie ist unrecht, unrecht, unrecht, ganz und
gar uurecht; aber trotz dessen, ehe ihr Nahab verurteilt, seid ganz gewiß, daß
ihr euch nicht selbst verurteilt, uud fragt euch zuerst, was i h r uuter deu Um«
ständen gesagt lind was i h r gethnn haben würdet. Die Wahrheit zu sageu,
ist immer recht. An die Folgen soll »nan nicht so sehr denken als all die
Forderungen des Gottes der Wahrheit. Zuweilen hat die einfache Wahrheit
eine sehr wnnderbare Wirkung gehabt, und ohne Zweifel würde sie in jedem
Falle die beste Politik sein. Ich habe von einem Manne gehört, der vor den
Nichter Jeffreys gebracht wnrde und der Empörnng gegen König Jakob den
Zweiten angeklagt ward, und es war stets wenig Hoffnung auf die Freilassung
eines Mannes, der einmal vor dies Ungeheuer geführt war. Dieser Mann
aber, Story mit Namen, hatte einen großen Nuf der Ehrlichkeit, und Jeffreys
brachte ihn vor den König, damit er für sich selbst spräche. Soweit ich mich
der Geschichte entsinne, war sie ungefähr so: Der König sagte: „Nun, Story,
I h r wäret ill Monmuths Armee, nicht wahr?" „ J a , zu dienen, Majestät."
Rahab. 293

„Und I h r wart ein Kommissar da, nicht wahr?" „ J a , zu dienen, Majestät."


„Predigtet I h r nicht und hieltet Anreden an das Volk?" „ J a , Majestät."
„Bitte," sagte der König: „Wenn I h r nicht uergessen habt, was I h r sagtet,
laßt uns eine Probe von Eurer schönen, blühenden Rede haben, gebt uns
einige Blumen Eurer Rhetorik und ein paar der Hauptpunkte, die I h r hervor»
hobt." „Ich sagte Ihnen, Majestät, daß Sie es wären, der die Stadt London
in Brand gesteckt hätte." „Ein seltener Spitzbube, auf mein Wort," sagte der
König, „und was sagtet I h r ihnen mehr?" „Ich sagte, Sie hätte» Ihren
Bruder vergiftet und wären entschlossen, uns alle zu Papisten uud Sklaven
zu macheu." Nun hatte der König genug gehört und fragte ihn, was er sagen
würde, wenn er ihm nach all diesem das Leben uud volle Verzeihung schenken
würde. Story erklärte darauf, daß er m diesem unwahrscheinlichen Falle ein
ganz loyaler Unterthan werden würde, worauf er uolle Begnadigung erhielt
als ein ehrlicher, obwohl im I r r t u m befindlicher Mann.
I n seinem Falle that offene Sprache, was Falschheit nicht gethan haben
könnte, uud wenn es sich nicht in allen Fällen so erwiese, so ist doch unsre
Pflicht ganz klar, und wir müssen deshalb bereit sein, sie zu thuu uud die
Folge» auf uns zu uehmen. Ich nehme an, wenn Rahab sehr großen Glauben
besessen, würde sie gesagt haben: „Es ist meine Sache, Gott zu dienen, aber
nicht Gottes Gesetze zu brechen, uud da es ein Brechen der Gesetze Gottes wäre,
zu lügen, so will ich es nicht thun. Ich will für seine Knechte sorgen, soweit
es möglich ist, aber es ist seine Sache doch zuletzt, für sie zu sorgen, und ich
darf nicht Böses thuu, auf daß Gutes herauskomme." Obwohl dies das
beste gewesen wäre, so war Rahab uoch nicht unterrichtet genug, daran zu
denken, und ich fürchte, sehr viele hier würde» auch uicht daran gedacht haben.
I h r Fehler war keineswegs so, daß wir Steine auf sie werfeu tonnen; ver-
meidet ihn sorgfältig, aber tadelt ihn nicht selbstgefällig.

IV.
N a h a b s G l a u b e w a r einer, d e r den G e b r a u c h ä u ß e r e r
Zeichen n n d S i e g e l nicht verschmähte. Bitte, beachtet dies. Es gibt
Leute in der Welt, die ganz und gar die äußeren verordneten Mittel ver»
achte«!; diese Menschen mögen gut sein, aber sie sind nicht weise. Rahab ver-
langte zuerst von oen Kundschaftern einen Eid, daß sie sie am Leben lassen
wollten, nnd dann gaben sie ihr eilt Zeichen, ein rotes Seil, das sie in das
Fenster knüpfen sollte. Dies war die blutrote Fahue Israels. Ward sie nicht
in der Nacht des Passnh anfgezogen, damit der Engel vorübergehen und das
Volk verschonen möchte? Sie fühlte großen Trost, als sie dies Zeichen in
das Fenster geknüpft hatte. Sie war uicht abergläubisch; sie glaubte nicht,
daß irgend etwas Mystisches in dein roten Seil sei, sondern sie befestigte es
294 Nlttestamentliche Vildcr.

dort, weil es ihr geheißen war, das zu thun. Nun, der höchste Glaube an
Christum ist vollkommen verträglich mit dem gehorsamen Gebrauch christlicher
Sakramente. Wir vertrauen auf das kostbare Vlut Christi, nicht auf
Sakrameute. Gott verhüte, daß wir je unsre Hoffnung auf Taufe oder
Abendmahl gründen sollten. Was sind diese Dinge in sich selber anders als
Eitelkeit, wenn wir unsre Zuversicht darauf setzen? Aber doch hat der Herr
uns die Taufe als das Sinnbild seines Todes, seines Begräbnisses uud seiuer
Auferstehung gegebeu; und wenn wir glauben, daß wir mit Ihm begraben
und auferstanden sind, so laßt uns dies rote Seil iu unser Fenster hängen.
Vr hat uns das Abendmahl als das Sinnbild seines Todes gegeben; laßt uns
zu seinem Gedächtnis das Arot essen und den Wein trinken. Wir vertrauen
nicht im geringsten Grade auf diese Sinnbilder. Wir verabscheuen die Idee.
Doch hängen wir das rote Seil in unser Fenster und lassen so alle Menschen
wissen, daß wir an Christum glauben. Wir schämen uus nicht, seiuen Tod
zu verkünden, bis daß er kommt. Ja, und wir treten iu das Haus ein, das
ist in die Gemeinde, und es ist unsre Frende, dort zu weilen und unter das
Volk Gottes gezählt zu werden. Wir schämen uns nicht, als Mitglieder der
Brüderschaft des Herrn Jesu Christi bekannt zu sein. Sucht nicht einen
Glauben zu erlangen, welcher den Veistand abweist, den Gottes Geist cnch be-
stimmt. Alles, was Erfindung der Menschen ist, legt beiseite, aber das, was
Gott verordnet hat, ist für euer Wohl, und ihr seid uerbundeu, es zu
beobachteil, wenn es auch so klein wäre wie ein rotes Seil im Fenster.

I h r G l a u b e map errettender G l a u b e . Ich habe gezeigt, daß er


an großen Schwächen litt, aber er war desungeachtet wirksam. Sie ward er«
rettet, als die ganze Stadtmauer umfiel. I h r Haus war auf der Mauer,
aber es stand da. Muß es nicht sonderbar erschienen sein? Die Manern
begannen zu wanken und zu schwanken, und daun fielen sie mit donnerndem
Krachen um, und dichte Staubwolken stiegen empor; aber über allem stand
das Stück der Mauer, auf dem Nahabs Haus war, wie ein Eiland inmitten
derstürmischenSee. Die Israeliten stürzten über die Trümmer der Mauern,
verfolgten die dem Untergang Geweihten mit Wut und erschlugen sie, denn
sie waren von Gott verordnet, die Vollstrecker seines Urteils zu sein. Nicht
einer eutkani, aber kein Schwert nahte Nahabs Vuseu, keiu Tod nahm einen
ihrer Verwandten hinweg. Sie war errettet. Sie wurde mit ihren Ver-
wandten aus ihrem Hause geführt und außen vor das Lager der Israeliten
gebracht uud nachher in dasselbe aufgeuommen. Sie ward mit Salma, ciuem
der Fürsten Judas, verheiratet und hatte später die hohe Würde, eine der
Ahnmütter unsres Herrn zu fein. So, lieben Vrüder, wird wahrer Glaube
Rahab. 295

an Christum, trotz seiner Schwäche, uns erretten, uns von der Welt trennen,
uns mit dem Israel Gottes verbinden, mit dem wahren Fürsten Judas ver-
mählen, uns mit dein Herrn Iesn Christo in Verwandtschaft bringen; und
welche höhere Würde köunen wir erlangen?

VI.
Hiermit werde ich schließen, wenn ich den letzten Punkt erwähnt habe,
und der ist, i h r G l a u b e w a r d v o n G o t t a n g e n o m m e n , s« daß sie
d a s DUerkzeng znr G r r e t t n n g a n d r e r w n r d e . O, ich liebe dies an
Nahab, daß sie nicht nnr für ihre eigne Sicherheit sorgte. Ihre Sünde hatte
nicht ihr Herz verhärtet, wie Süude es in vielen Fällen thut. Sie dachte an
ihren Vater und ihre Mutter und ihre Vrüder und Schwestern. Nun, wo
immer ein wahres Kind Gottes ist, da wird Sorge um seine Angehörigen sein.
Wenn ihr nicht enre Kinder errettet wünscht, so seid ihr selbst nicht errettet.
Ich habe Namenchristen gesehen, die es für ganz genügend hielten, allein zum
Himmel zu gehen. Ich kannte einen Mann, der am Sonntag zwanzig
Meilen'-') ging, um „die W a h r h e i t " zu hören — nirgends wurde sie ge-
predigt, ausgenommen an einem Platze; aber wenn man ihn fragte, wohin
seine Familie ginge, so sagte er, das wäre nicht seine Sache — Gott würde
seine Auserwä'hlten retten. Solche Leute sind nicht Gottes Kinder, denn
Gottes Kinder sind nicht schlechter als Heiden und Zöllner, sie tragen Sorge
für ihre eignen Hausgeuossen. Nnhab war eine gute Tochter; bei all ihrem
Unrecht liebte sie doch ihren Vater und ihre Mutter. Sie war eine gnte
Schwester und wüuschte ihre Vrüder uud Schwestern errettet. O, ihr christ»
lichen Leute, sucht in enren verwandtschaftlichen Verhältnissen gllt zlt sein. Ich
wollte keinen Pfennig um dich gebe», wenn du uicht ein guter Ehemann oder
eine gllte Ehefrau bist. Hinweg mit deinem Christentum, wenn es dich zu
einem schlechten Kinde macht. Ein herrischer, verdrießlicher Vater, ein
rebellisches Kind, ein klatschendes Weib, eine faule, schlumpige Magd, ein
tyrannischer Herr, diese mögen Satan angehören, aber Gott will sie nicht an-
erkennen, Nahab hatte bei allem, was Unrecht an ihr war, doch eine starke
Liebe zu ihren Verwandten.
Aber bemerkt, daß sie, so lieb sie dieselben hatte, sie doch nicht retten
konnte, wenn sie nicht unter der roten Fahne sich sammelten. Wenn jemand
voll ihnen in den Straßen blieb, während die Israeliten das Volk erschlugen,
so »lochten sie sagen: „ W i r gehören zu' Nahab," aber die Antwort wäre ge-
weseil: „ W i r können nicht davor; wir schworen den Eid, alle zu schonen in
dem Hause, wo das rote Seil ills Fenster geknüpft ist, und wenn ihr da nicht

*) Mehr als drei deutsche Meilen.


296 Alttcstmuentliche Bilder.

seid, könut ihr nicht verschont werden." Es wird nichts nützen, im Sterben
zu sagen: „Verschone mich, o Nacheengel, meine Mutter betete für mich, meine
Schwester rang heftig um meine Bekehrung." Nein, ihr müßt persönlich euch
in Christo verbergen und einen wirklichen Glauben an I h n haben, sonst
können keine Gebete andrer euch nützen. Aber es war Gnade, daß Gott der
Nahab half, alle ihre Verwandte hereinzubringen. I h r Vater sagte nicht:
„Nein, mein Kind, ich glaube nicht daran." Einige von euch haben Väter,
die so sprechen. Betet ernstlich für sie. Und die Mutter sagte nicht: „ D u
bist verrückt, ich habe immer geglaubt, daß es nicht ganz richtig mit dir wäre.
Komme nicht und lehre deine Mutter." Nein, sondern die Mutter kam auch.
Als die Israeliten die sechs Tage uni die Stadt zogen und die Leute in
Jericho lachten und sagten, was für Narren sie wären, zu glauben, daß die
Mauern umfallen würden, weil sie um dieselben herumgingen, da vertraute sie
immer noch auf Gott: aber ich möchte wohl behaupten, daß es ihr schwer
ward, ihre lebhaften Schwestern und ihre disputierenden Brüder zu überreden,
auch zu glaube». Sie sagten vielleicht: „Nahab, bist du ganz klar hierüber?
Ist es nicht alles eine bloße Komödie? Indes, Gott gab ihr einen solchen
Einfluß, so groß war die Macht ihres Glaubens, daß sie alle in dem Hause
blieben und mit ihren Familien errettet wurden. Das Haus, denke ich, war
so voll von unten bis oben, wie es nur sein konnte, und Nahab war froh, es
so zu sehen. Gott gebe, daß ich meine ganze Familie so bewahrt sehe. Ich bin
gewiß, jedes Kind Gottes hier seufzet dasselbe Gebet: „Gott der Nahab, gib
mir meinen Vater und meine Mutter nnd meine Brüder und Schwestern und
alle meine Verwandten." Der Herr erhöre eure Gebete und segne euch um
Jesu Ehristi willen. Amen.

»^^
Join»« Gesicht, 28?

20.

Iosuas Gesicht.
„Und es begab sich, da Iosua bei Jericho war, daß er seine
Augen aushob, und ward gewahr, daß ein Mann gegen ihm stand,
und hatte ein bloßes Schwert in seiner Hand. Und Iusua ging zn
ihm und sprach zu ihm: „Gehörst du uns an oder unsreu Feiudcu?"
Er sprach: „Nein, sondern ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn,
und bin jetzt gekommen." T a fiel Iosua auf sein Angesicht zur Erde,
uud betete au, uud sprach zu ihm: „Was saget mein Herr seinem
Knechte?" Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Iosua:
„ii'che dciuc Schuhe aus von den Füße»; dcuu die Stätte, darauf
du stehest, ist heilig." Jos. 5, 13—15.

3 e r Herr teilte den Jordan, auf daß sein Volk trocknen Fnßes hindnrch
gehe. Dieses Wunder entmutigte die Kananiter sehr nnd bereitete für die ein-
dringenden Israeliten den Weg zn einen« leichten Triumph. M a n hätte natür-
lich erwartet, daß der Herr seinem Volke geboten, sich diesen Schrecken augen-
blicklich zu nutze zu »lachen, um sogleich einen schweren Schlag zn sichren
und mit ganzer Macht vorwärts zn dringen, ehe der Feind Atem schöpfen
könnte, und so das Land uon den Gegnern in einem einzigen Feldzng zu
säubern. Aber es war nicht so. Statt sofortiger Thätigkeit schlügen die
Kinder Israel ihre Zelte zu Gilgal auf und blieben dort eine beträchtliche
Zeit. Denn Gott hat keine Eile. Seine Zwecke können ohne Hast erfüllt
werden, und obwohl Er will, daß wir die Zeit auskaufen, weil nnsre Tage
böse sind, so kann Er in seiner Ewigkeit doch warten, und ordnet in seiner
Weisheit sein Säumen so, daß es sich als uiel besser erweist, wie unser Eilen.
Warum sollte denn das Volk verziehen? Damit es den Geboten gehorchte,
die vergessen waren. I n der Wüste waren ans verschiedenen Gründen Ve-
schneidnng nnd Passnh vernachlässigt. Sie waren hierfür nicht mit irgend
einer Züchtigung heimgesucht worden, denn der Herr sah ihre Lage und Um-
stände an und hatte Nachsicht mit ihrem I r r t u m , aber ehe Er sie gebrauche»
konnte, mußten sie seinen! Willen völlig gehorchen. M a n kann nicht erwarten,
298 Alttestllmentliche Bilder.

daß Gott ungehorsame Diener duldet, und deshalb mußten sie eine Weile
da bleiben, bis sie die beiden großen Vorschriften des Mosaischen Bundes er«
füllt hatten. Lieben Freunde, laßt uns innehalten und uns als Gläubige
fragen, ob wir in jeder Hillsicht gewissenhaft unsres Herrn Geboten nach»
gekommen sind. Wenn nicht, so können wir nicht erwarten, daß Er der
Gemeinde oder der Welt einen Segen durch uns senden werde, bis wir zuerst
I h m willig gehorcht haben in dem, was Er uns vorgeschrieben. Leben eurer
einige in bewußter Vernachlässigung cilles Teils des göttlichen Willens? oder
wünscht ihr, gewisse Teile von dem Willen Gottes nicht zu kennen, und seid
deshalb vorsätzlich blind dafür? Mein lieber Bruder, du durchschneidest die
Sehnen deiner Kraft. D u kannst nie deine Feinde wie Niesen überwmden,
so lauge deine Locken so geschoren sind. D u kaunst nicht erwarten, daß Gott
dich aussenden werde, zu siegen und I h m Ehre zu bringen, wenn du noch
r . ! deine eigne persönliche Lässigkeit uud deinen Ungehorsam besiegt hast.
^ e r im geringsteil untreu ist, wird im größeren untreu sciu. Und wenn du
uicht des Meisters Gebote in dem kleinen Weinberg deines eignen Lebens ge«
halten hast, wieviel weniger würdest du im stände sein, danach zu handeln,
wenn Er dir ein größeres Feld des Dienstes anvertraute! Hier ist also der
Grund für Israels Verzögerung, und es ist ein Grund, weshalb wir beim
Anfaug uusrer speziellen Gottesdienste fleißig nach versäumten Pflichten forschen
und sie erfüllen sollten.
Die zwei Vorschriften, die sie übersehen hatten, waren sehr lehrreich.
Die eine war die Veschneidung. Jeder Mann im gauzen Lager Israels
mußte beschnitten werden, ehe Gott beginnen wollte, voll Jericho zu sprechen.
Kein Wort von dem Umfallen der Mauern; teille Silbe davon, daß sie nm
die verfluchte Stadt sieben Tage laug gehen sollten, bis zuerst die Schande
Ägyptens weggenommen war und sein Volk das Buudeszeicheu empfangen
hatte. Nuu, im Neuen Testament wird uns gesagt, daß Christen all einer
Veschueidung ohne Hände, nicht im Fleisch, sondern im Geist, teilhaben müssen.
„Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist . . . sondern das
ist ein Illde, der inwendig einer ist." I m Brief au die Kolosser sagt uns
der Apostel, daß die wahre Veschneidung die Ableguug des sündlichen Leibes
il» Fleisch durch die Bcschneidung Christi ist, worunter ich verstehe, daß der
Christ ill Kraft des Geistes und im Namen Christi sich reinigen mnß von
jeder fleischlichen Befleckung, von jedem sündigen Gedanken, jedem falschen
Ehrgeiz, jedem fleischlichen Wunsch; wenn sein Herr ihn gebrauchen soll, so ist
es unumgänglich nötig, daß dies gethan wird, und zugleich gethan wird im
Namen des Höchsten. „Neiniget euch, die ihr des Herrn Geräte traget." Gott
will seilte Schlachten nicht durch Unbeschnittene schlagen. Er will, daß die
Seinen von der Sünde frei sein sollen, die ihnen so leicht anklebt, sonst will
Iosuas Gesicht. 299

Er sie nicht gebranchen. Wartet also, meine Brüder, nnd laßt mich ench
bitten, enre Herzen zu erforschen nnd zu sehen, was in denselben ist, das euch
unfähig macht, gesegnet zu werden. Wenn ich als Gottes Prediger keine Be-
kehrungen habe, so darf ich dies nicht der göttlichen unumschränkten Macht zu-
schreiben. Es mag an dieser liegen, aber ich fürchte immer, die göttliche Un-
nmschränktheit znm Süudenbock für meiue Missethaten zu machen. Ich denke
lieber, wenn Gott den Segen vorenthält, fo ist eine Ursache da: nnd kann
diese Ursache nicht in mir liegen, dab ich nicht so sehr in Gottes Nähe lebe,
wie ich sollte, oder mir etwas verstatte, worauf fein heiliges Auge nicht blicken
kann? Ick) spreche zu euch, die Mitglieder der Gemeiude sind, weun ihr ill
der Sonntagsschule, bei der Traktatuerteilung oder irgend einem andren Werk,
das ihr thut, nicht Seelen für Gott gewinnt, rnft zn I h m : „Erforsche mich,
Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich's meine: nnd
siehe, ob ich anf bösem Wege bin und leite mich anf ewigem Wege." >)
Sünde versperrt den Kanal der Gnade; der Strom ist stark genng, aber v. '
haltet seine Kraft znrnck; enre Sünden fcheiden ench voll eurem Gott; nnd
deshalb beschwöre ich einen jeden voll euch, weun ihr des Herrn seid, so
schüttelt dcu Staub voll euch ab, heiliget ein Fasten dem Höchsten und kommt
vor I h n mit Bitten. Sitzet vor I h m ill Sack und Asche, in der stillen Nieder»
geschlagenheit enrcs gedemütigtcn Geistes nnd bekennt vor I h m all eure
Sünden. Steht anf, schüttet enre Herzen wie Wasser vor dem Herrn alls,
bekennt eure Sünden und Beleidigungen, nnd dann, wenn ihr von ihnen ge-
reinigt seid durch das „Wasser und das Blut, das alls Jesu Seite floß,"
mögt ihr aufstehen zum Dienste nnd erwarten, zu einem Segen gemacht zu
werden.
Aber Veschneidnng war nicht genng, sie mußten auch das Passa h
feiern. Dies hatten sie, wie es scheint, nnr zweimal gehalten, einmal in
Ägypten und einmal am Fuße des S i n a i ; aber sie sollten nun ein Passah be«
ginnen, das jedes Jahr ohne Aufhören gehalten werden sollte. Brüder, ihr
kennt die Bedeutung, welche das Passah für uns hat; es heißt, Christum znr
Speise inachen. Er ist das Passahlamm;,wir müssen den alten Sanerteig der
Sünde ausfegen und mit reinem Herzen kommen nnd unsren Herrn zu unfrer
Speise inachen. I h r werdet nie im stände sein, gegen die Kananiter zu
kämpfen, bis ihr dies gcthan. Ein geistlicher Mensch, der zu leben versucht,
ohne sich von Jesu zu nähren, wird bald schwach; wer nur geringe Gemein-
schaft mit Ehristo hat, wer Tag anf Tag keinen Anblick des Königs in seiner
Schönheit genießt, wer nie zum Festmahl geführt wird, nnd nie das Panier
der Liebe über seinem Haupte wehen sieht, wird wahrscheinlich kein Held sein.
Wenn ihr nicht das Brot des Himmels eßt, wie könnt ihr das Werk des
Himmels thun? Der Ackermann, der den Acker bauet, soll der Früchte am
300 Alttestamentliche Bilder.

ersten genießen; und wenn wir für Gott mit Erfolg arbeiten wollen, so
müssen wir zn allererst von dem Christ Gottes genießen nnd voll I h m Kraft ge<
winnen. „ D u Menschenkind," sagte die Stimme vom Himmel zum Propheten,
„iß diesen Brief;" er mußte ihn zuerst essen nnd dann von dem sprechen,
was er betastet und geschmeckt hatte. W i r müssen nns wahrer Religion in
unsren eignen Seelen erfreuen, ehe wir geeignete Erklärer derselben für andre
werden können. Wie wollt ihr Herolde einer Votschaft sein, welche die
Stimme des Herrn nie in euer inwendiges Ohr hineingesprochen hat? Wie
könnt ihr erwarten, andre zum Leben zu bringen, wenn eure eigne Seele fast
ganz tot ist? Wie könnt ihr die feurigen Kohlen der ewigen Gnade aus»
teilen, wenn die Flamme auf dem Herde eures Herzens fast erloschen ist?
Brüder, laßt uns das Fest halten, laßt uns dein Herrn mit reinem Herzen
nahen, laßt nns unsren ersten Glauben und unsre erste Liebe erneuern und
den großen Sohn Gottes wiederum als den Grund uusrer Hoffnung, die
Quelle uufrer Freude, den Gegellstand unsrer Wünsche annehmen. Laßt uns
nahe kommen, ja, näher und näher zu I h m , mit I h m vereinigt werden;
dann werden wir bereit sein, den Kampf zu bestehen uud deu Sieg zu ge«
winueu.
Nachdem die verordneten Gebräuche beobachtet waren, werdet ihr vor-
aussetzen, daß sofort die Posnuue zum Allgriff blies uud die tapferen Männer
Israels mit ihren Sturmleitern uud Mallerbrechern sich um die dem Unter-
gang geweihte Stadt sammelten, sie anzugreifen und im Stnrm zn nehmen.
Geduld! Geduld! ihr habt immer Eile, aber Gott nicht. Iosua selbst, dieser
kühne, tapfere Geist, hat etwas Eile, uud deshalb geht er bei Nacht aus, nach-
denkend und die Runde machend; lllld als er nachdenkt und dann lind wann
anf die uugeheure Stadt blickt und forscht, wo wohl der beste Angriffspunkt
sein würde, und wie sie erobert werden konnte, da wird er in Stauneu gesetzt
durch die Erscheiuuug eines stattlichen Mannes, der ein Schwert ill der Hand
hält. Der tapfere Iosna, der keine Furcht kennt, geht sofort anf den an-
scheineuden Eindringling zu lind fragt ihn: „Gehörst on nus au oder unsrcu
Feinden?" „Nein, sondern ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn nnd
bill jetzt gekommen." Da erkannte Iosua die Göttlichkeit des himmlischen
Kriegers uud beugte sich uud betete an lllld fragte demütig, was er thun solle;
und dann, nachdem er unterwiesen war, stand er auf und ging nach des Herrn
Geheiß an die Eroberung der Palmenstndt.
Man kann die Kinder Israel jenem stattlichen Schiff vergleichen, das
für eine lange Reise bereitet ist. Die ganze Ladnng ist an Bord, alle Vorräte
sind da nnd jeder Manu ist an seinem Platze. I n jeder Hinsicht ist das
Schiff völlig ausgerüstet, aber warum zögert es? Warum heben die Matrosen
nicht den Anker? Wenn ihr den Mann am Helm fragt, fo wird er sagen:
Iosulls Gesicht. 301

„ W i r warten auf den Kapitän." Ein guter und hinreichender Grund in


der That, denn bis der Kapitän au Vord gekommen, ist es vergeblich für das
Schiff, in See zu stechen. So hier, Israel war beschnitten nnd hatte das
gesegnete Fest des Passah gefeiert, abor doch durfte es nicht in den Kampf
gehen, bis der Befehlshaber selbst gekommen; uud hier erschien zn Iosuas
Freude der Engel des Angesichtes uon dein Höchsten, um die Leitnng des Krieges
zn übernehmen uud die Heere Gottes zu gewissem Siege zn führen. Brüder,
dies ist genau der Zustaud unsrer Gemeinde im gegenwärtigen Allgen-
blick;'-') wir haben versucht, denke ich, uns zu Gott zu nahen und in feiner
Liebe zn bleiben; wir haben gefncht, uns von Sünde zu reinigen lind heilig
zu sein, wie Er heilig ist; aber doch genügt dies nicht, wir bedürfen der gött-
lichen Gegenwart, und uns wird jetzt geheißen, eine Weile stillzustehen und sie
mit Gebet zn suchen, damit wir in dieser unvergleichlichen Kraft mit Erfolg
vorwärts gehen.
I.
Ich will heute morgen nm eine ernste Anfmcrksamkeit bitten für zwei
oder drei knrze Ziegeln mit Vezng auf nnfre gegenwärtigen ersten Unter»
nehmnngen Z u e r s t : H l e l M t die Tl/atsache d e r g ö t t l i c h e n G e g e n
wart wahr.
Iefus selbst kommt zn dein heiligen Kriege. Iosna sah einen M a n n ,
in Rüstung zum Kriege angethan. Können nicht die Augen eures Glaubens
dasselbe sehen? Da steht Er, Jesus, Gott über alles, hochgelobt, dennoch ein
Mensch. Ganz sicherlich Gott, aber mit welcher Gewißheit Vein von nnsrem
Bein und Fleisch von nnsrem Fleisch. Er ist in der Mitte seiner Gemeinde,
Er wandelt nnter den goldenen Leuchtern. Seine Verheißung ist: „Siehe, ich
bill bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Ich wünsche nicht zn
reden, ich möchte lieber, daß ihr euer eignes Gemüt, euren Glauben, enre
geistlichen Kräfte anstrengtet und lebhaft glaubtet, daß Jesus hier ist, es so
glaubtet, daß euer inneres Auge schante, was ihr glaubt. Der Sohn des
Menschen ist hier, so gewiß Er bei den Jüngern am See war, als sie Kohlen
sahen und Fische darauf gelegt und V r o t ; Er ist hier, um mit uus durch
seinen Geist zn reden, wie Er es mit Petrus und den übrigen Jüngern an
jenem denkwürdigen Tage that. Nicht fleischlich, aber doch wirklich nnd wahr
ist Jesus, wo die Seinen zusammeu kommen. Iosun sah I h n m i t s e i n e m
S c h w e r t i n der H a n d . O, daß Christus in uusre Mitte mit dem Schwert
des Geistes in seiner Hand käme; käme, um Thaten der Liebe, und doch

*) Vor den speziellen Gottesdiensten, die S p n r g e o n früher stets im Februar zn


halten Pflegte, äynlich wie jetzt die Gottesdienste der Evangelisten. A. d. Üb.
3t)2 Mtestnmentliche Vildcr.

Thaten der Macht zu thnn; känie, mit seinem zweischneidigen Schwert nnsre
Sünden zn schlagen, seine Gegner ins Herz zn stechen, ihren ltnglanben zn
besiegen, ihre Misscthaten tot vor sich niederznstrccken. Das Schwert ist bloß
nicht in der Scheide, wie es, ach! so lange in vielen Gemeinden gewesen ist,
sondern gezogen znm sofortigen Gebranch. Es ist in seiner H a n d , nicht in
des Predigers Hand, nicht einmal in eines Engels Hand, sondern das gezogene
Schwert ist in seiner Hand. O, welche Kraft ist in dem Evangelium, wenn
Iesns das Heft hält, nnd was für Wnnden macht es in den Herzen, die hart
wie Adamant waren, wenn Iesns rechts nnd links ill die Herzen nnd Gewissen
der Menschen schneidet! Brüder, sucht diese Gegenwart nnd im Suchen
glaubet daran; und wenn ihr das Evangelium predigen hört oder zum Gebet
zusammenkommt, stellt euch vor, das; ihr in der Mitte der Versammlung den
Vorkämpfer Israels sehet, mit anfgehobencm Schwert, bereit, große Thaten zn
thun wie vor alters.
Der erhabene Mann, den Iosua sah, war an seiner Seite. Der
Tag wird kommen, wo die Gottlosen diesen Mann mit gezogenem Schwerte
sehen werden; aber in Erwiderung auf ihre Frage: „Gehörst du nns an
oder unsrcn Feinden?" werden sie finden, daß Er der schrecklichste ihrer Feinde
ist. I n der Mitte seiner Gemeinde trägt Christns nur ein Schwert zn Liebes'
zwecken. O, wie gesegnet wird es sein, wenn du weißt, daß aus seinem
Munde cm zweischneidiges Schwert wie eine Fencrflamme geht, nnd wenn du
wagst, dein Herz diesem Schwert nahe zu briugeu, damit es in dir alles,
was dem göttlichen Willen zuwider ist, zerhaue und töte, nnd dann deine
Kinder und Verwandte bringst uud die, welche hier neben dir auf der Vauk
sitzen, nnd sagest: „ O Herr, laß Dein Feuerschwert durch sie hindurchgehen
nach Deinem Wort. Ich töte uud mache lebendig. O, töte, damit sie leben
mögen; o, verwnnde, damit sie geheilt werden."
Die göttliche Gegenwart ist's also, die wir wünscheu, uud wenn wir sie
haben, Brüder, so ist der Glaube e r m u t i g t . Es war genug für C r o m w c l l s
Heer, zu wissen, daß er da sei, der allzeit Siegreiche, der Unwiderstehliche,
seine Eisenseiten in den Kampf zu führen. Manches M a l war die Gegenwart
eines alten römischen Generals ebensoviel wert wie eine zweite Legion; sobald
die Kohorten wahrnahmen, daß er gekommen sei, dessen Adlerauge jede Be«
weguug des Feindes beobachtete uud desseu geübte Haud seiue Vataillone auf
die besteu Angriffspunkte führte, so schlug jedem das Herz rascher, er griff nach
seinem Schwert und stürzte vorwärts, des Erfolges sicher. Meine Brüder,
unser Köllig ist in unsrcr Mitte, und unser Glaube sollte sich thätig erweisen.
„Das Jauchzen des Königs ist unter ihm," heißt es, denn wo der König ist,
da janchzet das Volk vor Freuden und Siegeszuversicht. Der Prediger mag
predigen, aber was ist das? Wenn jedoch der König da ist, dann ist es ill
Iosuas Gesicht. 303

der That predigen. Die Versammlungeu mögen zusammengekommen und aus-


einandergegangen sein. „Das Panorama ist zerflossen," sagt ihr. Ach, so
mag es ench scheinen, aber wenn der Geist Gottes da war, wird alles, was
gethan ward, bleiben und dauern selbst bis an jenen Tag des Gerichts, wo
das Feuer das Werk jedes Menschen prüfen wird, welcher Art es sei „Nichts
als ein einfaches Mädchen, das sich hinsetzt nnd zn ein paar kleinen Kindern
über ihre Seelen spricht." Geradeso, aber wenn der Herr da ist, welche Heiligkeit
ist an diesem Ort! Wenn der König selbst in dieser Klasse sitzt, was für
Thaten werden gcthan, über welche die Engel des Himmels von neuem vor
Freude singen! „Nichts, als ein geringer Mann, ungelehrt, eifrig, aber nicht
beredet, der an einer Straßenecke steht und ein paar hundert Leute anredet.
Seine Worte werden bald vergessen." Genau so, aber wenn der König da
ist, werden sie niemals vergessen werden. Die Fnßstapfen jedes wahren
Dieners des Herrn sollen nicht im Sande sein, sondern in bleibendem Erz,
dessen Bericht den Untergang der Körperwelt überdauern wird. Wenn der
König mit uns ist, so ist der Glanbc zuversichtlich, weil Gott den Glanbcn
wie mit einem goldncn Gürtel gürtet, ihn vom Hanpt bis znm Fnß mit einer voll-
ständigen Rüstung bekleidet, nnd ihm ein Schwert in die Hand gibt, das all-
zerstörend ist und womit er durch eherne Panzer dringt: „Ist Gott für nns,
wer mag wider uns sein?"
Wenn der König mit seinem Volke ist, dann ist die H o f f n u n g fehr
e r m u t i g t , denn sie spricht: „Wer kann dem Herrn Zebaoth widerstehen?"
Es müssen Bekehrungen da sein; es ist nicht mehr eine Sache der Hoffnung
nnd Erwartung, sondern der absoluten Gewißheit, wenn Jesus bei dem
Predigen ist. Meine Brüder, wenn wir durch ernstes Gebet den König wirklich
hente ill llnsre Mitte bringen, wie ich überzeugt bin, daß wir es werden, nnd
wenn wir I h n da behalten, indem wir I h n durch unsre Bitten und Thränen
nötigen, die die goldnen Ketteil sind, welche Christum all sein Volk binden,
dann brauchen wir nicht zu meinen, daß Gutes gethan werden wird oder es
zn hoffen, sondern es mnß so sein, es s o l l so sein, denn wo Christus ist, da
bezeugt sich die Allmacht der Gottheit, und die härtesten Herzen fühlen den
Einfluß derselben.
Wo Jesus ist, da w i r d die Liebe e n t f l a m m t , denn, o, von allen
Dillgell in der Welt, die das Herz ill Brand setzen, gleicht nichts der Gegen-
wart Iefu. Ein Blick von I h m überwältigt nils, so daß wir fast bereit siud,
zu sprechen: „Wende deine Augen von mir, denn sie haben mich überwunden."
s.Hohel. 6, 4.) O, nur der Duft voll den Myrrhen, Aloes und Kezia, der von
seinen Gewändern strömt, nur der Duft davon, sage ich, und die Kranken und
Schwachen unter nns werden stark werden. O, nur einen Augenblick unser
Haupt an seine gnadenvolle Brust lehnen und seine göttliche Liebe in unser
304 Nlttestamentliche Bilder.

armes, kaltes Herz einströmen lassen, und wir werden nicht länger kalt sein,
sondern glühen wie die Seraphim, stark zu jeder Arbeit und fähig zu jedem
Leiden. Dann wird der Geist des Herrn auf uns sein und unsre Ältesten
sollen Träume haben uud unsre Jünglinge sollen Gesichte sehen und über
Knechte und Mägde will Gott seinen Geist ansgießen. Wenn wir nur wissen,
daß Jesus hier ist, so wird jede Kraft entwickelt, jede Gnade gestärkt und wir
werden uns mit Herz, Seele uud Kraft in des Herrn Kampf hineinstürzen.
Es ist kein einziger Teil unsres innern Menschen, der nicht durch die Gegen«
wart Christi besser werden wird, deshalb ist diese uor allem andren zu wünsche»,.
Brüder, gesetzt, daß Jesus hier heute morgen ist, so werden die»
jenigen am klarsten von feiner Gegenwart überzeugt fein, die
I h m am meisten gleichen. Iosua wurde mit diesem Anblick begnadigt,
weil er allein Angen hatte, die ihn ertragen konnten. Ich lese nicht einmal,
daß Kaleb diesen Mann mit dem bloßen Schwerte sah; nnr Iosua sah ihn,
weil er am meisten geistlich gesinnt und am thätigsien war. Wenn ihr
Christum zu sehen wünscht, so müßt ihr Ihm gleich werden uud streben, Ihm
mit Herz, Seele und Kraft zu dienen. Christus kommt nicht in den Gesichtern
der Nacht zu denen, die sich auf dem Vette der Trägheit wälzen, sondern Er
offenbart sich in den Nachtwachen denen, die zn wachen und kämpfen lernen.
Bringt euch durch die Kraft des Geistes in Übereinstimmung mit Christi
Wünschen, Beweggründen, Handlungsweisen, und ihr werdet I h n wahrscheinlich
sehen. Ich wollte, daß ihr alle Iosnas wäret; aber wenn nicht, so werden
wir dennoch einen Segen erhalten, wenn nur einige Iesum wahrnehmen.
Ich bin gewiß, diese Gegenwart Christi thut uus allen not. Alle
unter euch, die den Herrn lieben, wollen Ihm während des nächsten Monats
dienen, nnd in der That, wie ich hoffe, fo lange sie leben. Nun, es gibt nichts
Gutes, das ihr ohne Chrisium thun könnt. „Ohne mich könnt ihr nichts
thun," ist eine große und uuzweifelhafte Thatsache. Wenn ihr zum Gebet
zufammenkommt, so werdet ihr nicht annehmbar beten, falls Er nicht bei euch
ist. Ob ihr lehrt oder predigt oder was ihr thut, ihr werdet nichts voll-
bringen, es sei denn durch seine Kraft und seine sich kund thuende Gegenwart
bei euch. Zieht nicht anf eigne Faust iu den Krieg, sondern wartet auf enren
Herrn nnd bleibet zu Jerusalem, bis ihr mit Kraft aus der Höhe aus«
gerüstet werdet.
Aber Arüder, I e f u Christi Gegenwart ist zu haben. Verzagt nicht
und meint nicht, daß der Herr sich in den alten Zeiten offenbarte, aber es
jetzt nicht thun will. Seine Verheißuug ist so gilt wie je. Es ist seine
Freude, mit uns zu sein, wie früher mit unsren Vätern. Wenn Er nicht
kommt, so ist es, weil wir I h n hindern — wir sind nicht in Ihm eingeengt,
sondern in uns selber. Laßt mich euch überzeugen, daß all die großen Dinge,
Iofulls Gesicht. 305

die zu Pfingsten geschahen, wieder in diesem Tabernakel geschehen können.


Laßt mich euch überzeugen, daß alle wunderbaren Bekehrungen, die in irgend
einem Zeitalter der Gemeinde gewirkt wurden, zu dieser Stunde wiederholt
werden können.
Sagt nicht, L u t h e r , C a l v i n , W h i t e f i e l d oder Wesley seien große
Männer gewesen uud deshalb seien große Dinge um sie herum geschehen;
meine Vrüder, die schwächsten Männer mögen mehr begnadigt werden, als
die größten, wenn Gott es so will. Unsre Schwachheit, unser Mangel an
Gelehrsamkeit, an Beredsamkeit und was sonst noch — ich halte dies eher für
einen Vorteil als Nachteil, denn wenn wir hervorragend wären, so möchten
wir vielleicht etwas von dem Ruhm für uns in Anspruch nehme», aber wenn
wir „weniger denn nichts und Eitelkeit" sind, dann ist freier Raum da für die
göttliche» Wirkuugen. Und warum füllten wir nicht an diefem Ort eine Erweckung
sehen, die das ganze Land erschütterte und die dürreu Gebeine wie in dem Thal
im Gesicht des Propheten bewegte, wie sie seit der Apostel Zeit nie bewegt worden
sind? W i r haben sie nur zu erwarten, daran zu glauben, darum zu beteu,
dafür zu arbeiten, und wir sollen sie haben. Gottes Wolken strömen immer
noch die Wasserfluten so reichlich hernieder, als da Elia ans die Spitze des
Karmels ging. Der Herr donnert so mächtig gegen seine Feinde diesen Tag,
als da Er in vergangenen Tagen mit seinem Volke auszog. Denkt nicht, daß
der Allmächtige aufgehört hat, Wunder zu thun — der Herr Zebaoth ist
immer noch der ewige, unsterbliche und unsichtbare König mit einem Arn», der
Wunder thut. I h r braucht immer nur uoch die Kraft des teureu Blutes und
das Verdienst des Todes Christi geltend zu macheu, um Wuuder in diesem
Jahr der Guade zu sehen, die sogar die verdunkeln sollen, die eure Väter
sahen oder von denen sie in der letzten Zeit gehört haben. Möge Gott jedem
Gläubigen hier die Erscheinung des gottgleichen Mannes mit dem gezogeneu
Schwert in der Haud gewähre», und mögen wir dann vorwärts gehen in der
Kraft, die Er allein verleihen kann.

II.
Zweitens: ^erstehet des H e r r n Ztellnng w der W i t t e seine«
PolltS. „Ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt ge>
kommen."
Was für eine Erleichterung muß dies für Iosua gewesen sein!
Vielleicht hielt er sich selbst für den Fürsten; aber mm war ihm die Ver«
antwortlichkeit genommen; er sollte der Unterbefehlshaber fein, aber der König
felbst wollte seine Heere führen. Es ist keine geringe Erleichterung für meine
eigne Seele, zu fühle», daß ich, obwohl ich diese vierzehn Jahre an eurer
Spitze gewesen bin und euch im Namen Gottes zuchristlichemDienst geleitet
Spurgeo u, Alttestamentltche Bilder. 20
306 Nlttestamentliche Bilder.

habe, doch nicht euer Nnfi'chrcr bin, sondern daß ein Größerer, der Engel des
Angesichtes von dem Höchsten, der Herr Jesus — als Oberbefehlshaber in
unsrer Mitte ist. Obgleich meine Verantwortlichkeit schwer ist, so ist doch die
Führerschaft uicht mein. Er ist der Führer und Befehlshaber für das Volk.
Brüder, wo immer Christus ist, da ist E r der Oberbefehlshaber f ü r uns
alle. W i r müssen nie dulden, das; in der Gemeinde irgend ein großer Mann
über uus herrsche; wir müssen niemanden zum Herrn nnd Meister haben, aus-
genommen Iesnm. Christns ist der Feldmarschall, der Herzog unsrer Seligkeit;
und wenn du eiu Glied der Gemeinde Christi bist, so mnßt du dies anerkennen, nicht
nnr als allgemeine Thatsache, sondern als eine besondere, dich betreffende That»
sache. Christus ist deiu Meister. D u sollst uicht sagen: „Ich ziehe diese oder
jene Lehre vor." Was hast du zu thun mit Mögen oder Nichtmögen? Glaube,
was Er dir sagt. D u sollst uicht sagen: „Ich ziehe eine gewisse Form der
Gottesuerehrnng uor." Was hast dn mit Vorziehen zu thun? Verehre, wie
der Meister es dick) heißt. Wehe dem Tage, wo Launen, Geschmack und
Phantasie in die christliche Gemeinde kommen, das Volk zu leiteu. All dieser
Puseyismus, gegen den wir jetzt so viel schreien hören, ist nur das Aufrichten
des Geschmackes anstatt des einfachen Gehorsanls Christi. Wenn wir uns nur
genau an Christi Wort halten wollten, so würden wir alles richtig genug thun.
Ich bitte jeden Glänbigen hier, sich daran zu erinnern, daß er ill keiller
Hinsicht sein eigner Herr ill den Dillgell Gottes ist, sondern daß Christus
Oberbefehlshaber ist. „Hat es irgend welchen Nutzen, Missionare nach Indien
zu schicken?" fragte jemand den Herzog von Wellington. „Was ist eure
Marsch-Ordre?" sagte der Herzog. „Gehet hin in alle Welt nud prediget das
Euaugelium aller Kreatur." Das ist unsre Marsch>Ordre. Es ist nicht unsre
Sache, ob es eine weise Ordre ist oder nicht; sie ist sicherlich gnt, wenn sie
von I h m kommt! Unsre Pflicht ist, zu thuu, wie unser Befehlshaber uns zu
thun gebietet. Jedem Wort Christi muß, weuu wir wünscheu, daß Er in
unsrer Mitte Wunder thun solle, gehorcht werden. Nicht den großen Vor»
schriften nur, sondern auch den kleinen. Es geziemt Christen, mit dem
Geschwätz von Nichtwesentlichem aufzuhören. Meiue Brüder, jedes Gebot
Christi ist wesentlich für uns als Diener. Nicht wesentlich zu unsrer Er«
rettung — wir sind errettet; das ist nicht die Frage, die wir aufwerfen
sollen; aber da wir errettet und Diener Christi sind, so ist es wesentlich für
jeden Soldaten, jedem Befehl, der voll dem großen Führer kommt, zu ge>
horchen. Es macht nichts alls, ob es nur einfach eine Zeremonie ist, wir
haben kein Recht, sie zu ändern. Was würde das Kriegsgericht zu einem ge>
meiuen Soldaten sagen, der, nachdem er eine Ordre von einem Allführer er-
hielte, sprechen würde: „Nuu, ich hielt sie uicht für außerordentlich wichtig."
„Trommelt ihn aus dem Regiment heraus, alle Disziplin hat ein Ende in
Iosuas Gesicht. 307

der Armee, wenn die Soldaten ihre Ordre kritisieren." So ist es mit Christi
Gesetz. Wir haben kein Recht zu sagen z. V. voll der Tanfe der Gläubigen:
„Nun, es ist nicht wesentlich." Wer sagte dir das? Wenn Jesus es befiehlt,
gehorche, und wenn es des Herrn Gesetz ist, eile und zögere nicht, deines
Meisters Gebote zu halten. Ich hebe diese eine Vorschrift hervor, aber es gibt
viele andre, die vielleicht von größerer Wichtigkeit sind, wenn es uns ver-
stattet ist, von größerer und geringerer zu sprechen bei irgend etwas, was
Iesns uns zu thnn geheißen hat. Meine Brüder, laßt uns jetzt suchen, unsren
Verstand in die Hände des Heiligen Geistes zu legen, um gclehret zu werden,
was des großen Fürsten Wille ist, und wenn wir ihn wissen, so laßt unsre
Seele sich darunter bengen, wie die Weide sich dein Hanch des Windes bcngt
und wie das Voot auf dem Meer von der Brise hin nnd her getrieben wird.
Nieder mit dir, Selbst, nieder mit dir! Fleischliches Urteil nnd thörichte Ver-
nunft, liegt still! Laßt das Wort Gottes die Oberherrschaft in der Seele
haben und allen Widerstand schweigen.
Brüder, wenn wir nicht nach des Fürsten Vefehl handeln, so w i r d
unsre H o f f n u n g sicher getäuscht werden. Der Herr hatte Vefehl gegeben,
daß niemand von den Stämmen Israels etwas von der verbannten Beute
Jerichos uehmen sollte. Achau that es. Ich habe mich oft gewnndert, daß
nur Achan es jhnt, aber dieser eine Achan brachte vor den Thoren Ai's eine
Niederlage über Israel. Ich möchte wissen, wie viele Achans hier hente
morgen sind. Ich würde mich sehr beruhigt fühlen, wenn ich dächte, es wäre
nnr einer, aber ich fürchte, es sind viele hier, die das Verbannte in sich ver»
borgen halten, die Liebe zum Gelde oder eine unrechtliche Weise im Geschäfts-
verkehr oder ein unversöhnliches Gemüt oder einen neidischen Geist gegen ihre
Mitchristen. Nnn, wenn es den Segen hindern wird, wenn einer solche schlechte
Dinge bringt, so sind wir in schlimmem Znstand, aber der ist in noch weit
schlimmerem Znstand, der die Ursache des Übels ist. Wo bist dn, Achan?
Gott wird dich heransfinden, wenn nnr es nicht thnn. Er wird uns alle her-
vorbringen, einen Stamm nach dein andren, ein Geschlecht nach dem andren,
eilten Hauswirt nach dem andren. Mann für Maun, und wehe dem Sohne
Charmis, wenn er getroffen wird. Brüder, die Übertretung des Gesetzes, das
der Fürst gegeben, mag der ganzen Gemeinde eine Niederlage beibringen.
Und wo das Gesetz nicht eigensinnig und absichtlich übertreten wird, da
wird doch seine Vernachlässigung viel Not verursachen. Es war ihnen befohlen,
keinen Bund mit den Kananitern zu machen, aber die Gibeoniten kamen wie
Leute aus einem fernen Lande,» und in einer unbedachtsamen Stunde glanbten
sie ihrer falschen Erzählnng und schlössen einen Bund mit ihnen; und dies
verursachte in späterer Zeit Israel viel Not. Wenn wir als Gemeinde das
Gesetz Gottes vergessen, auch wenn wir es nicht mit Nichtachtung brechen,
20*
308 Alttestamentliche Bilder.

sondern nur unwissend vergessen, so können wir erwarten, daß keine geringe
Summe von Übeln daraus entspringen wird. Laßt nicht den Gedanken zu,
daß Gott sein Volk für die Sünde straft, in den: Sinne der strafenden Ge-
rechtigkeit, aber nehmt es stets als gewiß an, daß der Herr sein Volk für die
Sünde züchtigt, wie ein Vater seine Kinder züchtigt, und daß das große Haupt
der Gemeinde nicht dnlden wird, daß seine Gesehe ungestraft uon seinem Volke
verletzt werden. Ich wünsche, ick) könnte zu euch mit dein Ernst reden, den
ich in meiner Seele anflodern fühle. Ich wollte, meiue Vrüder, daß wir
unsrcs Meisters Gebote in jedem Iota und Tüttel hielten, nns auf seiue
Gegenwart verließen, dieselbe fühlte»,, nnd nicht wagten, in derselben zu
sündigen, sondern Ihm il» jeder Hinficht die Zügel der Herrschaft überließen,
damit wir seinen Segen haben möchten. Ich wünschte, daß wir nns alle an
das Wort Gottes hielten und jede Vorschrift befolgten, fo weit wir dieselbe
verstehen. Ich möchte überdies, daß wir acht hätten auf jenen Willen Christi,
den der Heilige Geist nns oft durch Mahnungen in uusrem Innern kundgibt,
damit das Gesetz der Schrift bei uns und das Gesetz des Geistes in nns sei.
Wenn wir diesen beiden gehorsam sind, werden wir wie Iosua vorbereitet seiu,
in den Krieg zu ziehen.

III.
Drittens, und sehr kurz. Unsre dritte Regel ist: I h n anznbeten, der
bei nns gegenwärtig ist.
Iosua, heißt es, fiel auf sein Angesicht zur Erde. Anbetnng ist die
höchste Erhebung des Geistes lind doch die tiefste Niederwerfung der Seele.
Wenn Christus hier ist, Vrüder, so schafft euch eine kleine Zeit der Nllhe uud
Anbetung, wenn ihr eller Halls erreicht, nud wenn ihr hellte abend wieder-
kommt, so betet in euren Gesängen und Gebeten wahrhaft den allezeit Gegen»
wältigen an, beugt euch nieder ill der tiefsten Ehrfurcht eures überwältigten
Geistes, als wenn ihr schon wirklich im Himmel wäret. Wenn ihr keine
Flügel habt, euer Allgesicht zu verhülle», so bedeckt euch doch mit Scham;
weun ihr keine Krone niederzuwerfen habt, so legt doch alle Fähigkeit, die ihr
habt, ehrfurchtsvoll vor Ihm nieder. Vctet den Sohn all! Dann, wenn ihr
das gethan habt, gebt ench seinem Befehle h i n ; sprecht zn I h m : „Was
sagt mein Herr seinem Knechte?" Ich wünfche, ihr könntet diesen Nachmittag
damit znbringen, d. h. diejenigen von euch, die nicht in thä'tigcm Dienste be»
fchäflig? sind, eine Antwort auf die Frage zu erlangen: „Was fagt mein
Herr seinem Knechte? Was gibt es für mich zu lernen, zu fühleil oder zu
thun? Ulld da ich meinen Brüdern während dieses Monats helfen «lochte, Herr,
welchen Teil des Werkes soll ich übernehmen?" Wenn ihr dies gethan, lieben
Freunde, so möchte ich, daß ihr Iofua auch noch ill dem Dritten nachahmtet.
Iosuas Gesicht. 309

nämlich: ,/Zlehet die Schuhe aus von euren Füßen." Iosua hatte
vielleicht nicht gefühlt, welch ernste Sache es sei, für Gott zu kämpfen, als Voll»
strecker des Gerichtes Gottes gegen verurteilte Menschen zu kämpfen. Er mußte
deshalb seine Schuhe ausziehen. Wir können nie einen Segen erwarten, wenn
wir Gottes Werk in flüchtiger Weise treiben. Mir schauert, wenn ich einige
an des Herrn Tische sitzen sehe, die sich leichte Bemerkungen oder herum»
waudernde Gedauken bei einer so eruste» Gelegenheit verstatten. Was hast du
hier zu thun, wenn du kein hochzeitliches Kleid anhast? Bei einigen von uns
ist ein gewisser leichter Sinn die anklebende Sünde. Einen fröhlichen Sinn
sollen wir hegen, aber wir müssen uus hüten, daß ein leichter Sinn nicht ein
Krebsschaden für unsre Gnadengaben werde. Brüder, dieser nächste Monat
muß ein heiliger Monat für uns sein. Ich bitte unsre jungen und unsre
alten Freunde gleichermaßen, einen ruhigen und nüchternen Sinn zu suchen.
Versuchen, die Seelen vom Hinabgehen in den Abgrund zu retten, ist kein
Zeitvertreib; von Jesu spreche», ist keine Kleinigkeit. Wir kommen nicht im
Spiel zum Gebet zusammeu; wir versammeln uns nicht zum Flehen als eine
bloße Sache der Form. Engel sind in unsrer Mitte nnd beobachten nns,
der König selbst ist hier. Wie würdet ihr euch benehmen, wenn ihr wirklich
Iesnm mit euren Nngen sähet? Wenn ich diese Kanzel verließe uud der
Gekreuzigte hier stände, seiue durchbohrten Hände ausstreckte und auf euch
mit dem milden Glänze seiner unbeschränkten Liebe herniederblickte, was würdet
ihr fühlen? Bittet, daß ihr ebenso jetzt fühlen möget, denn Er ist hier. Der
Glaube kaun I h n wahrnehmen. Bete, daß dn geradeso in diesem Augen-
blick fühlen und fo an dein Werk heute uachmittag gehen mögest nnd alle
noch übrigen Tage deines Lebens, als ein Knecht Gottes, der in der Gegen»
wart des Herrn auf heiliger Stätte stehet uud deshalb nicht tändeln darf,
denn er hat ernstes Werk zu thuu uud ist entschlossen, es in seines Herrn
Namen zu thun.

IV.
Zum Schlüsse, laßt uns eben jetzt, ehe wir auseiuaudergehen, zum
Gefecht vorrücken, nach unsres Herrn Befehl.
Unbekehrte Männer und Frauen, ihr seid unser Jericho, wir wünschen
euch für Christum zu erobern. Unser Wunsch ist, euch für Iesum zu gewiuuen
zu eurem eignen Besten nnd zn seiner Ehre. Nun, was sollen wir mit euch
thun? Iosua erhielt deu Befehl, siebenmal um die Stadt zu gehe». Wir
möchten euch das Euangelium Christi predigen, nicht siebenmal, sondern siebzig-
mal sieben. Sie sollten die Posaunen von Widderhorn blasen. Diese Posaunen
waren aus sehr genügen! Material gemacht, ihr Schall ein sehr dumpfer uud
ihr Aussehen wenig glänzend. So wir, nicht mit den bestrickenden Worten
310 Alttestamentliche Bilder.

menschlicher Weisheit, sondern in Einfachheit warnen wir euch mit dem ranhen
Ton des Wioderhorns; wenn ihr ench nichr bessert, müsset ihr umkommen.
Sünde muß bestraft werden. Sünde ist auf euch, und Gott muh euch be>
strafen. Himmel und Erde mögen vergehen, aber nicht ein Iota und Tüttel
seines Gesetzes kann fallen; nnd dies ist ein Teil seines Gesetzes: „Welche
Seele sündiget, die soll sterben." I h r habt gesündigt, ihr sündigt immer noch,
und sterben müßt ihr. Manche von euch gehen von Schlechtem zu Schlimmerem.
Wenn ihr auch nicht i n äußerer Sünde lebt, so werden doch die Sünden des
Gedankens und Herzens euch verdammen. I h r werdet binnen kurzem sterben,
und wenn ihr sterbt, wird der Herr euch an den Ort verstoßen, den Er für
den Teufel uud seine Engel bereitet hat. Täuschet euch nicht, es mag nur
ein Schritt zwischen euch und dem Tode sein; oder wenn ener Leben eine
kleine Weile verlängert wird, wie bald wird es doch vorüber sein. Ewig»
keit! Ewigkeit! wie furchtbar für euch, weun ihr nnvorbereitet hiueiustürzt,
einem zornigen Nichter gegenüber zn treten, keine Gerechtigkeit Christi, auf die
ihr euch berufen und kein Vlut, in dein ihr eure sündige Seele waschen
könnt. I h r steht, einige von euch, in dem Nachen des Verderbens. Das
Evangelium ist euch gepredigt, nnd ihr habt es vernachlässigt. I h r seid von
gottesfürchtigen Eltern erzogen worden, und ihr habt ihre Ermahnungen ver-
achtet. Deshalb wird der Zorn über euch kommen bis zum äußersten. So
wahr ihr lebt, ihr werdet von Iehovahs Angesicht vertrieben werden an den
Ort, wo die Hoffnung euch nicht folgen kann nnd wo die Gnade ench nie
suchen wird. W i r müssen dieses Widderhorn blasen; wir beten uur, daß Gott
unfrc warnende Stimme an ench segne.
Nach den Posaunen kam die Vundeslade, welche die Priester nm die
Stadt hernmtrugen. Jede Vnndeslade war ein Vorbild Christi. W i r wollen
Christum vor euch bringen, ihr Nnbekehrten. Jesus Christus kam in die
Welt, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Gott schlug I h u statt
unsrer. Er nahm die Sündelf seines Volkes auf sich, uud Gott strafte I h n
für unsre Sünden, anstatt uns zu strafen. Christus ist der große Stellvertreter
für die Sünde. Wenn ihr I h m vertraut, fo sollt ihr leben. Wenn ihr I h n
heute als euren Heiland, enren Herrn und Meister annehmen wollt, so, sollt
ihr nie nmkommen, deun Gott hat sein Wort verpfändet, daß ihr errettet
werden follt, wenn ihr an I h n glanbt. Eure guten Werke sind nichts, enre,
Thränen und Gebete sind alle nichts, soweit Verdienst in Betracht kommt,
aber wenn ihr auf Iesum blickt, der an jenem Kreuz hängt, so sollt ihr leben.
Wenn ihr euch I h m anvertrauen wollt, der jetzt zur Nechten des ewigen
Vaters sitzt, gekrönt mit vielen Kronen, so wird eher des Himmels hoher
Thron erschüttert werden, als daß Er euch umkommen läßt. Glaube uur an
Iesum, und du sollst lebe», denn das ist das Evangelium: „Wer da glaubet
Iosuas Gesicht. 311

und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird
verdammt werden." Wir suchen die Sache nicht vor dir zu bemänteln —
verdammt wirst du werden, wenn du nicht Christo vertraust, verdammt wirst
du niemals werden, wenn du kommen willst und dich vor I h m niederwerfen.
„Küsset den Sohl», daß Er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege,
denn sein Zorn wird bald anbrennen." Gesetzt, daß in einem Gesichte der
Nacht, in dieser Nacht, wenn du auf deinen! Lager liegst, du plötzlich in deiner
Kammer den Mann nnt dem bloßen Schwert in der Hand sähest! Du brauchtest
nicht zu fragen: „Gehörst du uns an oder unsren Feinden?" denn dein eignes
Gewissen würde es dir bald sagen. Gesetzt, du hörtest eine feierliche Stimme
erklären: „Die Ernte ist vergangen und der Sommer ist dahin, und du bist
nicht errettet." „Weil ich denn rufe, und ihr weigert euch; ich recke meine
Hand aus, und niemand achtet darauf, . . . so will ich auch lachen in eurem
Unfall und eurer spotten, wenn da kommt, das ihr fürchtet." Gesetzt, du
sähest das Schwert erhoben und im Begriff, dich zu erschlagen, würdest du
nicht in deinen! Traum auffahren, dein Gesicht von feuchten! Schweiß bedeckt,
und unbeschreibliches Grauen fühlend? Doch so steht es heute mit dir, und
wenn du nicht Buße thust, wird es ewig so mit dir stehen. Ich danke Gott,
daß unser Herr Jesus jetzt kein bloßes Schwert in der Hand hat, sondern mit
offenen Händen zu dir kommt und spricht: „Kommt her zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken." M i t Thräuen ladet Er
euch ein, zu I h m zu kommen, überredet ench, zu kommen. O, warum zögert
ihr, warum kehrt ihr eurer eignen Begnadigung den Nucken und besiegelt euer
eignes Todesurteil? Gott gebe, daß ihr zu Jesu kommen müget, ehe Er jenes
scharfe, vernichtende Schwert ergreift.
Zuletzt, Brüder, wir sollen nicht nur die Posaune der Warnung blasen
und um des Sünders Gewissen die Vundeslade der Gnade Christi tragen,
s o n d e r n das ganze H e e r muß an dem Werke t e i l n e h m e n .
Habt ihr nicht beachtet, daß das ganze Volk um die Stadt herum
gehen sollte! sonst wäre sie nicht gefallen; und zuletzt sollte es ein Feld-
geschrei nmchen. Ich wünsche, daß ihr, meine Mitchristen, euch mit uns in
den ernsten Bemühungen vereintet, Seelen für Christnm zu gewinnen. Ich
habe ein Recht, es zu fordern, und ich bitte euch jetzt, die Forderung zu
erfüllen. I h r bekennt, mit des Herrn Blut erkauft und seine Jünger zu
sein. Ich bitte euch alle, wenn ihr aufrichtig i l ! euren! Bekenntnis feid,
kommt mit uns un! dieses Jericho herum, ein jeder von euch. Wen,! ihr
nicht alle zu den öffentlichen Betstunden kommen könnt, so sendet uns eure
Herzen, betet für die Sünder, flehet für die Unbekehrten, laßt dem ewigen
Führer keine Ruhe, bis es I h m gefällt, seine große Macht zu ihrer Bekehrung
zu gebrauchen. Ich fühle mich fast geneigt, auf meine Kniee zu fallen, um
312 Alttestamentliche Bilder.

euch Glieder der Gemeinde zu bitten, euch in dieser Stunde um uns zu


scharen. Wenn ihr eure Bekehrung unter Gott mir verdankt, wie viele von
euch es thun, so beschwöre ich euch bei jedem Bande der Kindesliebe/ das ihr
fühlt, verlaßt mich nicht gerade jetzt.
Wenn ihr je getröstet worden seid, wie ich weiß, daß einige von euch
es sind, so bitte ich euch, vergeltet mir dies dadurch, daß ihr euch Gott sehr
ernstlich nahet im Gebet für die Seelen andrer. Für eure eignen Kinder seid
sehr eifrig, für die Seelen eurer Mägde, eurer Verwaudten und Nachbarn ringet
mit Gott, selbst bis zu Thrä'nen; und wenn ihr das nicht thun wollt, so
hätte ich beinahe gesagt, wollte ich lieber, daß ihr gar nicht mit uns wäret.
Wenn ihr nicht beten wollt, wenn ihr euch nicht an dem gemeinsamen Flehen
beteiligen wollt, warum beschwert ihr uns? O, Meros, hüte dich, daß du
nicht verflucht wirst, wenn du nicht kommst, dem Herrn zu Hilfe, zu Hilfe
dem Herrn zu den Helden. Aber ihr werdet kommen, Gott wird mit uns sein
und uns seine ausgestreckte Rechte glorreich in unsrer Mitte sehen lassen und
sein soll das Lob sein, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Iosuas Entschiedenheit. 313

21
Iosuas Entschiedenheit.
„Ich aber und mein Haus wollen Hem Herrn dienen."
Jos. 24, 15.

^osua wußte, daß viele aus dem Volke, das ihn umgab, während sie
scheinbar Jehovah dienten, doch im geheimen die alten Götzen ihrer Väter ill
Mesopotamien ehrten, jene Teraphim, die einst in Nahels Zelt verborgen
waren und niemals ganz aus Jakobs Familie vertrieben wurden. Einige be-
herbergten auch die ägyptischen Sinnbilder und einige waren sogar herab-
gesunken zur Verehrung der Götter des Volkes, das sie vertrieben, und richteten
die Vaalsbilder in ihren Wohnungen ans. Alle im Volk waren dem Namen
nach Verehrer voll Jehovah, aber in der Wirklichkeit hatten viele sich ab-
gewanot zu den fremden Göttern. Niemals, auch in ihren bestell Tagen nicht,
hatten sich die Kinder Israel ganz von ihren Götzen geschieden, denn, wie
Stephanus von ihnen sagte, selbst in der Wüste nahmen sie die Hütte Molochs
an und das Gestirn ihres Gottes Nemphans, die Bilder, die sie gemacht
hatten, anzubeteu. Iosua nun, der ein durchgreifender, entschiedener, gerader
Mann war, konnte keine Doppelherzigkeit ertragen und trieb daher das Volk
zur Entscheidung, indem er ill sie drang, dem Herrn mit Aufrichtigkeit zu
dienen, und wenn das, ihre Vilder ganz hinweg zu thun. Er verlangte von
ihnen einen Eutschluß für das eine oder das andre und rief aus: „Gefällt
es euch aber nicht, daß ihr dem Herrn dienet, so. erwählet euch heute, welchem
ihr dienen wollt, dem Gott, dem eure Väter gedient haben jenseit des Wassers
oder den Göttern der Amoriter, ill welcher Lande ihr wohnet." Er gestattete
ihnen nur die augenblickliche Wahl zwischen dem wahren Gott und den Götzen
und ließ ihnen keine Nnhe in ihrer Halbherzigkeit. Er rief in der That noch
früher als Elias auf Kännel: „Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten? Ist
der Herr Gott, so wandelt I h m nach; ist's aber Baal, so wandelt ihm nach."
Entscheidung verlangt er, und das mit Recht. Kann Erde oder Himmel ruhig
sein, so lange eine solche Sache in der Schwebe ist?
314 Alttestamentliche Bilder.

Um sie zu zwingen, ihre Entscheidung kund zu thun, erklärte er seine


eigne. Vines Mannes eignes persönliches Beispiel ist beredt, weit mehr als
die Macht der Worte. Hört den hochgesinnten alten Mann: Er ruft: „ I h r
mögt schwanken, aber ich bin ein für allemal entschlossen. Urteilt, wie ihr
wollt, mein Ausspruch ist schou gethan, uud meine Kiuder stimmen damit
überein: ich aber und mein Hans, wir wollen dem Herrn dienen. W i r haben
keine Ehrfurcht vor de» Dämonen Kanaans oder den Mythen Ägyptens, die
nicht einmal ihre eignen Verehrer schützen konnten: nnsre Herzen sind dem
Gotte Abrahams, Isaaks nnd Jakobs treu, der uns aus Ägypten geführt hat
und nns dieses Land znm Erbteil gegeben. Soweit cs mich uud meine Söhne
und Töchter betrifft, ist der Würfel geworfen, und Jehovah allein wollen wir
dienen." Diese deutliche Erklärung war von feiten Iosuas nicht ein Kunstgriff
der Beredsamkeit, ein Entschluß, zum erstenmal gefaßt, um seine Hörer zu
beeinflussen; er hatte so gelebt, daß seine Erklärung ins Gewicht fiel bei allen,
die sie hörten, sonst wäre es müßig gewesen, sie zu äußern. Er war immer
ein Mann von festein Schritt und entschlossener Seele gewesen. Wahrscheinlich
war dies ein Grund, warnm Mose ihn zn seinem Dieller wählte und ihn stets
um sich behielt.
Seine Festigkeit tritt sehr klar hervor in seinem Betragen als eiller der
zwölf Knndschafter. Die andren brachten einen schlimmen Bericht voll dein
Lande, aber nicht so Iosua uud Kaleb; obgleich sie uur zwei gegen zehn
waren, hielten sie ihr Zeugnis doch kühn aufrecht, uud als das Volk davon
sprach, sie zn steinigen, wichen sie keinen Angellblick, sondern blieben ihrem
Gewissen treu. Diese zwei Mänucr allein überlebten die Gräber der Wüste,
weil sie allein unbefleckt waren voll den Sülldell der Wüste. Betrachtet Iosua
auch als Krieger, denn er war berufen, des Herrn Schlachten zu schlagen, und
ihr findet ihn stets als einen guten Streiter des Herrn. Was für ein Streiter
war er! Saul mochte ill späteren Zeiten den verbannten Samen Amaleks
schonen, aber nicht so Iosna; so lange Mose seine Hände emporhielt, hörte
das Schwert Iosuas nicht mit dem Vertilgnngswerk auf. Als Israel über
den Jordan ging, um die Kananiter anzugreifen, hatte er den Auftrag von
dem Herrn, alle diese verbannten Völkerschaften auszutilgen, nnd er that es
grülldlich; so eifrig war er ill diesem Kriege, daß der Tag ihm nicht lang
genug war und er Sonne nnd Mond stille stehen hieß, bis des Herrn Schlacht
ausgefochten war. Iosna, wie sein Freund Kaleb, „folgten dem Herrn treu«
lich;" er hätte als seinen Wahlspruch das Wort „völlig" nehmen können. Er
gehörte Jehovah an mit Herz uud Seele, Geist uud Kraft. Als der Nach»
folger Mose uud ein Vorbild des Herrn Jesu „kleidete er sich mit Eifer wie
mit einem Nock" und gürtete sich mit Treue wie mit einem Gewand. Seine
vorgeschriebene Pflicht ward erfüllt mit martialischer Strenge und nie wankender
Iosuas Entschiedenheit. 315

Standhaftigkeit; er hatte ein „einfältiges Auge" und eine feste Hand. Er


war' getrost- und mwerzagt, nnd der Herr war mit ihm. Es war keine eitle
Prahlerei, wenn der alte Krieger und Fürst in Israel sprach: „Ich aber nnd
mein Haus, wir wollen dein Herrn dienen."
Wir bewundern die Treue an Iosua nnd wir gestehen, daß er sie nötig
hatte, aber wir vergessen vielleicht, daß es nie ein Zeitalter gab, in welchem
Entschiedenheit für Gott nicht in demselben Maß erforderlich gewesen wäre.
Es ist gnt, sie an einem andren zn bewundern, aber es ist weit besser, sie
selber zu besitzen. I n allen Zeiten liegt es den Menschen ob, zn Gott und
zur Wahrheit zu stehen. I n dein ersten Hanswesen außerhalb Edens hatte
Abel es nötig, gegell seines älteren Bruders Exemuel zn protestieren, und er
mußte infolge davon sterben. Henoch wagte es, als alle um ihn herum nach
der Weise der Welt wandelten, anders zu sein und mit Gott zu wandeln.
Noah glallbte Gott mitten unter der allgemeinen Gottlosigkeit und blieb jähre«
lang dabei, die Arche zuzubereiten, obgleich alle Menschen seine Warnungen
verspotteten. Abraham verließ sein Vaterland und seine Heimat auf den Befehl
Gottes und wurde ein Pilger und Fremdling, der allein wohnte und nicht
lluter die Völker gezählt ward. Sein Leben war ein großartiges, denn seil:
entschiedener Glaube machte ihn nicht bloß zu einem mächtigen Manne, sondern
zu einem Könige unter den Patriarchen. Jede Zeit hatte ihren Mann, dessen
Herz fest war und auf Gott traute, der als Wahrzeichen für schwächere Heilige
diente, nach welchem sie ihr Steuer richten konnten, und als ein Felsen, gegen
den der Aufruhr des Volkes vergeblich tobte. Blickt auf Mofe, der die Schmach
Christi für größeren Reichtum achtete, denn die Schätze Ägyptens, der ein
träges Geschlecht zum Handeln aufstachelte, der dem tyrannischen König ent-
gegentrat und Israel in die Wüste führte. Welch eine fürstliche Seele machte
die Gnade aus ihm! Wie fest stand er zu Recht und Wahrheit, so daß er
Gott tren war in seinem ganzen Hause. Geht die Reihe der Richter durch,
und ihr findet, daß sie Männer waren voll Entschiedenheit für Gott oder sie
hätten niemals Israel befreit. Gedenkt an Samuel und David, an Nathan
und Elias. Welche Hoheit umgab das Haupt des Thisbiten, weil er eiferte
uni den Herrn, den Gott Israels. Er war kein Mantelträger, wie Isebel
und Ahab gut genug wußten. I l l späteren Jahren ist Daniel das große
Vorbild der Entschiedenheit, wenn wir ihn seilte Fenster öffnen sehen und
beten, wie vorhin, obgleich er weiß, daß das Todesurteil über ihm hängt.
Die drei heiligen Männer stehen auch vor uns, die lieber den verzehrende,!
Flammen des feurigen Ofens trotzen, als sich vor dem goldenen Bilde des
Ncbllkadnezar bengen. I n den neutestamentlichen Zeiten tritt Johannes der
Tänfer in die vorderstell Reihen durch seiue entschiedene Treue, und Pilatus
sinkt ill ewige Schande durch sein Schwallken. Paulus ist mit Nnhm bedeckt,
316 Mttestllmentliche Bilder.

während Agrippa, dein „nicht viel fehlte, überredet zu fein," in Vergessenheit


sich verliert. I i t jeden: Zeitalter ist Entfchiedenheit das Eins gewesen, 1vas
ttot gethan; sich zu biegen uild zu schmiegen und zu beugen hat sich als uer»
derblich erwiesen, aber zu stehen wie eiserne Säulen und eherne Mauern, das
ist Sicherheit nnd Ehre gewesen. Heute ist die gleiche Festigkeit von nöten.
Auch wir müssen nnsren Stand nehmen, und wenn er genommen, ihn halten,
als wenn wir in dem Voden gewurzelt wären. O Heiliger Geist, gib uns
dazu Guadel Treuer Erlöser, drücke Dein Vild auf uns, daß auch wir bis
aufs Blut widerstehen im Streit wider die Sünde.
Mein Thema soll so lauten: Entschiedenheit f ü r den H e r r n ; laßt
mich f i e beschreiben, sie preisen und sie fordern.

I.
Zuerst, laßt mich sie beschreiben. Mancherlei Dinge sind darunter
verstanden, die alle in nns durch die göttliche Guade gewirkt werden müssen,
sonst werden wir sie nie besitzen, wenn wir gleich Nachahmungen davon haben.
Entschiedenheit schließt zuerst ein, daß alles Schwanken v o r ü b e r ist. Es
gibt eine Zeit, wo die nachdenkende Seele im Gleichgewicht hängt und es noch
die Frage ist, wie die Wagschale sich wenden wird. Wir haben eine Zeit des
Prüfens und Probierens, wenn die Schmelztöpfe herausgebracht und die
Läuterungstiegel auf die Kohlen gestellt werden. Schnell und weislich durch
diese Zeit zu kommen, ist eine große Gnade. Dies war alles bei Iofua vor-
über; er hatte das Prüfen aller Dinge beendet und war fo weit gekommen,
das Gute festzuhalten. Das Zünglein an der Wage stand nicht länger in der
Schwebe, die Schale für Gott und feine Sache war gesunken und ruhte auf
ihrem Platze, um niemals wieder bewegt zu werden. Iofua hatte eine eigne
Meinung, und er kannte seine eigne Meinung. Der Zweifel war lange uer»
schwuuden, die Debatte war endgültig geschloffen, der Beschluß war gefaßt und
allsgeführt ohne ein Körnlein Vorbehalt, und infolgedessen war das Handeln
kräftig und feurig. Uud nun, lieben Freunde, es ist sicherlich Zeit für jeden
von uns, besonders für uns, die wir die Vlüte des Lebens erreicht haben,
daß wir den Wankelmut der Unentschlossenheit abthun. Haben wir nicht genug
von dem Zaudern, Überlegen, Tändeln'und Aufschieben? Die vergangene
Zeit inag dafür genügen; ist sie nicht schon viel zu lang gewesen? D u wirst
keine Reife machen, o Wanderer, wenn du dich jetzt, wo die Sonne im Zenith
steht, nicht bald entscheidest, welchen Weg du gehen willst! Seemann, deiner
Fahrten werden nur wenige sein, wenn du noch lange vor Anker liegst! Die
Zeit der günstigen Winde geht vorüber und deine Segel bleiben unentfaltet;
wirst du nie das Problem gelöst haben: „Nach welchem Hafen soll ich steuern?
M i t welcher Ladung soll ich meine Varke befrachten?" Soll unfer Leben
Iosuas Entschiedenheit. 317

enden in einer beständigen Wiederholung dieser Frage: „Was soll ich sein?"
Wenn wir mit einem Wettcrhahn nnsren Platz tauschen könnten uud das
Spielzeug der Umstände werden, so »lochte Unentschlossenheit frommen, aber
für einen Menschen ist Entscheidung unnmgänglich nötig; er muß wissen, wo
er ist und wohin er geht, und es wird ihm ein Zengnis des Heils sei», wenn
er den Zweifel durch einen festen Glauben an Iesum vernichtet hat, uud dein
Schwanken ein Ende gemacht dnrch völlige Hingabe au den Dienst des Herrn.
O, daß jeder Mann uud jedes Weib uuter uns durch die göttliche Gnade
dahin gekommen wäre, zu sprechen: „Ich aber nnd mein Hans wollen dem
Herrn dienen."
Dieser Znstand des Herzens zcngt ferner davon, daß wir die Oberhand
haben über den bösen E i n f l u ß audrer. So lange wir Kinder sind,
kann jede Hand uns formen. Wir glanben, was wir znletzt gehört haben;
unser Urteil wird von unsreu Eltern, Lehrern und andren, die uns an Jahren
voraus siud, beherrscht; aber wenn wir dahin kommen, Männer nnd Weiber
zu sein, so ist unter dein Kindischen, das wir abthun, abthun sollten, diese
Neignng, ans andrer Lente Urteil uns zu verlassen. Unser eigner Verstand
sollte mm gebraucht werden, oder wozu ist er uns sonst gegeben? Gott ist
bereit, uns zu führen, aber Er will, daß wir I h n anrufen und nicht dem
Schweif uusrer Mitmenschen folgen. Wir sollten danach streben, ein durch die
Guade erleuchtetes Gemüt zu haben, das für Gott entschieden nnd in der
Wahrheit befestigt ist, nnd dann sollten wir uns unsren eignen Pfad für Gott
und die Wahrheit vorzeichnen nnd es als kein sehr großes Ungemach be»
trachten, wenn wir ans diesem Pfade aNein zu wandeln hätten. Ein Mann
sollte nicht wie ein Haus sein, das in einer Reihe andrer steht nnd mit der
Zeit umfallen würde, wenn die zur Rechten und Zur Linken abgebrochen
würden, sondern er sollte ganz abgesondert sein, so daß alle vier Manern stehen
ohne ein andres Haus, das sie stützt. Äch, ich fürchte, wenige haben diesen
Punkt erreicht; die meisteu Menschen sind eine schwache Herde, folgen ihren
Führern und haben kein eignes Urteil. Wehe ihnen, wenn blinde Führer sie
in den Graben leiten. Der große Führer der Welt ist die Mode, und ihr
Gott ist das Ansehen bei den Leuten — zwei Phantome, über die tapfere
Männer lachen. Wie viele von ench blicken in der Gesellschaft umher, um zu
wissen, was sie zu thuu haben; ihr beobachtet die allgemeine Strömnng und
schwimmt dann mit ihr; ihr späht nach dem Wind der Volksmeinung und
zieht andre Segel auf, um ihm zu folgeu. Männer, die es in Wahrheit sind,
thnn das nicht. I h r fragt: ist es fashionabel? Wenn es modern,
fashionabel ist, so muß es gethau werden. Die Mode ist das Gesetz der
Menge, aber sie ist nichts als die allgemeine Übereinstimmung der Thoren.
Die Welt hat ihre Moden in der Religion sowohl als in der Kleidung, uud
318 Alttestamentliche Bilder.

manche von euch fühlen den Einfluß davon. Wenn einige von euch zufällig
unter Christi Volk geraten wären, so hättet ihr jeht schon ein Bekenntnis einer
Religion abgelegt, aber da ihr im Gegenteil unler die Ungöttlichen geworfen
seid, so werdet ihr, obgleich ihr einiges Verlangen nach Christo traget, doch
durch den bösen Einfluß zurückgehalten. Was seid ihr anders als Kinder, die
für die Saugflasche und Kinderstube passen? Wenn ihr Männer wäret, so
würdet ihr auf euren eignen Füfteu stehen und nicht nötig haben, auf dem
Arm getragen zu werden.

„Wag's, ein Daniel zu sein,


Wag's, allein zu steh'»,
Wag's, dich einem Zweck zu weih'n,
Wag's, dies zu gesteh'»!"

Wenig würde es unser ewiges Elend mildern, wenn die ganze übrige
Welt mit uns verloren wäre; Gesellschaft in der Hölle wird das Gegenteil
von Trost sein! Wenn wir den Himmel um der Mode willen verlieren, wird
es uns keine Erleichterung gewähren, das; andre ihn auch verlorcu haben.
Wir werden allein geboren, und wir müssen allein sterben und allein ge-
richtet werden, uud es ist Zeit, daß wir die Angelegenheiten unsrer Seele
nach unsrem besten Urteil in Betracht ziehen und uicht länger wie ein dürres
Blatt im Winde sind oder wie ein Baumstamm in der Stromschnelle. Gott
hat jedem Menschen ein Gewissen gegeben, jedem Menschen ein Herz, und Er
wird den Menschen nicht erlauben, ihr persönliches Gewissen auszulöschen und
ihr Herz hinzugeben, um es von andren formen zu lassen; Er wird sie zur
persönlichen Verantwortung ziehcu für den rechten Gebrauch ihres Urteils,
ihrer Vernunft uud ihres Herzens; des seid gewiß. O, meine Hörer, möchte
jeder von uns den Herrn für sich selber kennen, und möchten wir alle den
breiten Weg mit feinen vielen Wanderern verlassen und kühn den schmalen
Pfad wandeln, der zum Lebe» führt.
Die rechte Entscheidung f ü r Gott ist tief, r u h i g , klar, be»
stimmt, wohl gegründet uud feierlich gethan. Iosua spricht seinen
Entschluß uicht leichthin aus. Schaut auf des ernsten Kriegers Gesicht, mit
den Narben mancher Schlacht, von Wind und Wetter gebräuut, gefurcht von
mehr als hundertjähriger, mannigfacher Erfahrung! Er sieht uicht aus wie
ein Tändler, er spricht nicht wie eiller, der ein Liebeslied singt und es von
seilten Lippen trillert, sondern seine Worte kommen aus jeuer breiten Vrust
mit der schroffen Ehrlichkeit und der tapferen Aufrichtigkeit eines Kriegerfürstcn.
„Ich aber und mein Halls wollen dem Herrn dienen," als wenn er gesagt
hätte: „Ich habe meiuen Gott zu viele Jahre gekannt, um I h n nun zu ver«
lassen. Ich habe uicht so viele hundert Mal meiue Vrust in der Schlacht ent»
Iosuas Entschiedenheit. 319

blößt, uni jetzt ein Feigling zu seilt. Ich habe nicht unter dem Schatten des
Allmächtigen vierzig Jahre lang in der Wüste gewohnt und alle diese Jahre
in Kanaan, um nnn am Ende die Götzen aufzusuchen. Das goldne Kalb ist
nichts für mich, es ist lange Zeit schon, daß ich es zu Pulver zermalmt sah:
die Götzen der Amoriter sind nichts für mich, ich habe ihrer tausend zn Boden
geworfen." Er spricht wie einer, der die Sache erwogen hat, die Kosten über«
schlagen und zu eiuer Entscheidung gekommen ist, die er gegen alle verteidigen
kann. Es würde vergeblich sein, seiuen Entschluß erschüttern zn wollen, er ist
so fest, wie der Libanon. I h r seht in ihm keinen Wetterhahn, welcher, um
Menschen gefällig zu seiu, der öffeutlichen Meinnng beipflichtet; noch einen
bloßen Gelehrten, der wiederholt, was er auswendig gelernt; noch einen
Zercmonialisten, der sein e r l i t t nm der Form willen hermurmelt; ihr hört
einen ehrlichen Mann, der sein Herz aufschließt uud feiu innerstes Gefühl
ausspricht mit heiligem Ernste, dem bei dieser Änßcrnng nicht einmal daran
liegt, von Menschen gehört zu werdeu, als nur insoweit, wie dieses Hören
ihnen von Nntzen sein kann. Er spricht einen unbeweglichen Entschluß aus:
seiue Seele hat ihren Anker gefuudeu uud trotzt alleu Stürmen: „Ich aber
und mein Haus w o l l e n , trotz der Menge und trotz der Sitten, w o l l e n ,
trotz Versuchungen und Trübsalen, w o l l e n , trotz der Götzen oder der Teufel,
bis zum Eude dem Herrn dienen." Solchergestalt sollte die Entschiedenheit
eines jeden von uns sein, nnd ich wünsche ernstlich, sie wäre es.
Dieser Entschluß von seilen Iosuas wurde offeu bekannt. Ich möchte
jetzt einigen von euch nahe kommen, die in ihren« Herzen gesprochen haben:
„ J a , wir wollen dem Herrn dienen," aber ihr habt niemals eure Angehörig-
keit bekannt, denn ihr habt es für ganz genug gehalten, im geheimen es zu
versprechen: macht euch Iosuas ausgesprochenes Geständnis nicht erröten? I h r
seid Christo verlobt, sagt ihr, aber soll da nie eine offene Vermählung statt-
finden? Wollt ihr I h n nie öffentlich vor den Augen der Welt als euren
Herrn und euren Vermählten für immer und immer annehmen? Gibt Jesus
seiue Einwilligung zu einer heimlichen Vermählung? Kami so etwas im
Winkel gethan werden? Vor alters setzte man das Licht auf eiuen Leuchter,
soll es jetzt unter einen Scheffel gestellt werden? I h r sagt, ihr seid seine
Streiter, wollt ihr nie eures Fürsteu Uuiform anziehen? Sollen eures An-
führers Farben euch uie schmücken? Wollt ihr niemals vortreten und eures
Befehlshabers Waffen in die Hand nehmen und anf fein Geheiß in den Kampf
gehen? Das ist ein trauriger Mut, der sich hiuter den Busch verkriecht; das
ist eine armselige Loyalität, die nie des Königs Namen ausspricht; das ist eine
zweifelhafte Entschiedenheit, die es nicht wagt, eiuzugestehen, daß sie auf feiten
des Herrn ist. Gedenkt, wie der Herr Iefus spricht: „Wer mich verleugnet
vor den Menfchen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen
320 Alttestamentliche Bilder.

Vater." Ich liebe das an Iosua, das er niemanden darüber in Zweifel


lassen wollte, wie er stände; er erklärt seinen Standpunkt deutlich genug.
„Wo Iehovahs Altar raucht mit dem Opfer der Farren, wo das Passahlamm
geschlachtet wird und das Vlut gesprengt, wo der Hohepriester Weihrauch dar»
bringt dem einen unsichtbaren lind ewig herrlichen Gott, da werdet ihr Iosua
finden und meine Söhne nnd Töchter auch, denn: „Ich nnd mein Haus wollen
dem Herrn dienen." Warum seid ihr nicht ebenso offenherzig, ihr, die ihr
den Herrn liebt? Welche Entschuldiguug habt ihr für euer Stillschweigen?
Ich bin nicht im stände, einzusehen, wozu eine Entscheidung, wie fest und tief
sie auch sei, gut ist, weun sie niemals ausgesprochen wird. Sie mag gut für
den Menschen sein, der sie getroffen hat, aber was die übrigen Menschen be-
trifft, welchen Einfluß kann eine Entschiedenheit haben, die ganz im geheimen
ist? Warum, meine Brüder, sollte da ein Verbergen sein? Unser Gott hat
uns nicht mit Zurückhaltung geliebt und sein Erbarmen nicht im Dunkeln ge»
lassen. Unser Heiland hat sich nicht durch all die Iahrhnnderte hinabge«
schlichen und sich geschämt, die Sterblichen zu bekennen, die Er liebte; und
wenn Er sich unsrer nie geschämt hat, so sollten wir uns seiner niemals
schämen. O, meine Brüder, könnt ihr zaudern? Schämt ihr euch nicht, euch
zu schämen, und fürchtet ihr nicht, ench zu fürchten? Heraus damit! D a ,
steckt die Flagge an den Mastbanm, wo jedes Auge sie sehen kann, und da
laßt sie angenagelt bleiben; und wenn irgend jemand mit Jesu Krieg
führt, so führt er mit uns Krieg: laßt Erde und Hölle dies ein für allemal
wissen.
Vei Iosna war seill Entschluß nicht bloß offen bekannt, sondern m i t
Ernst a u s g e f ü h r t . Einige haben bekannt, das; sie auf des Herrn Seite
sind, und doch dienen sie dem Herrn nicht; ihre Namen sind in dem Kirchen-
buch eingetragen und sie nehmen an den äußeren Gnadenmittcln teil, aber
irgend einen Dienst für den Herrn, — danach werdet ihr suchen müssen, und
vergebens suchen. Iosua nahm es auf sich, Gott in Wahrheit zn dienen. Er
war ein Kriegsmann, und wenn ihn jemand gefragt: „Wessen Krieger bist du,
Iosua?" so würde er erwidert haben: „Ich bin Gottes Krieger." „Wessen
Schlachten schlägst du?" „Ich schlage die Schlachten Iehovahs." „Und was
ist dein Zweck bei deinem Kämpfen?" „Jehovah zu verherrlichen." Er hatte
sich der Sache des Herrn hingegeben, vom Haupt bis zu den Füßen. Manche
Christen verstehen nicht, was das bedeutet; sie betrachten die Religion als eine
Art NebeN'Pachthof, sie haben einen andren Landbesitz, der ihre Heimat und
ihre Hauptsorge ist, und das Reich Gottes ist eine Nebenpacht, die hauptsächlich
von dem Prediger als dem Vogt, verwaltet wird. Ihre Religion erhält ihre
freie Zeit und die Gedanken, die sie übrig haben; Jesus bekommt das kalte
Fleisch, das übrig geblieben — und die Welt hat die warmen Braten. Ihre
Iosucis Entschiedenheit. Z21

Religion ist keineswegs der große Kanal, dnrch welchen die Kraft ihres Lebens
rinnt, sondern ist eine Art Hinterwasser; sie lassen das übrige Wasser dahin-
lanfen, wenn sie mehr als genng haben, das Mühlrad des Geschäfts zu
drehen. M a n sieht sie in der Betstunde, wenn keine Rechnungen aufzunehmen
sind und keine ncnen Bücher zu lesen; nnd sie thun etwas für die Gemeinde
Gottes, wenn sie nichts andres um die Hand haben, keinen Freund, der
kommt, um den Abend bei ihnen zuzubringen und kein zusagendes Amüsement.
Sie behandeln den Herrn Jesus sehr kavaliermäßig und von oben herab. Sie
hoffeil, sie werden durch I h n selig werden, — ich hoffe, sie werden es! Sie
sagen, sie werden Gnadenwnnder sein, wenn sie es werden, und ich meine,
das werden sie sein. Solches Betragen gegen das blutende Lamm ist
niedrig, und ich hasse es; was mich anbetrifft, ich will kühn genng sein, mit
Iosua zu sprechen: „Ich null dem Herrn dienen," — das heißt, wenn ich sein
Diener bin, so will ich sein Diener sein und mich für I h n anstrengen; ich
will nicht seinen Namen tragen, sein Brot essen und seine Livree anlegen und
doch keiuen Dienst für I h n thnn. Besser sterben, als so unehrenhaft leben.
Gewisse Diener großer Herren werden nur zur Schau gehalten. I h r könnt
in das Hans eines großen Herrn gehen und dort einen stattlichen Vnrfchen
sehen, dem ein beträchtliches Gehalt gezahlt wird. Was thut er? Er wird
nicht gehalten, nm irgend etwas zu thun, er ist die Zierde des Hauses; die
Schaustellung jeuer prächtigen Waden uud jene schöne Form, die so gut in
der Livree sich ausnimmt, das ist alles, was sein Herr erhält. Gewiß, einige
Christen glauben, daß sie auf dieselben Bedingungen Hill iu Dienst genommen
sind uud daß der Herr Iefus Christus, da Er die ausgezeichuete Ehre hat,
ihre Namen in seinen! Gemeindebuch zu sehen, vollkommen befriedigt ist, obgleich
sie nichts thun. Das sind die Leute, die immerwährend mäkeln all denen,
die da dienen, und so die Pest der Gemeinde werden. Seid nicht wie diese,
weit besser, völlig zn sterben! M i t wirklicher Arbeit dient dem Herrn, dessen
freier Gnade und sterbender Liebe ihr alles verdankt.
Noch eins. Iosna hatte an seiner Entscheidung sein ganzes Leben
hindnrch festgehalten. Er hatte früh mit dem Dienste Gottes begonnen
und hatte dies nie bereut. Hundert Jahre waren über seinem Haupte dahin»
gerollt, aber wir entdecken nimmer einen Wunsch in ihm, den Baalsdienst zu
beginnen oder den Dienst der Terauhim; er blieb bis zuletzt seiuem Entschlüsse
treu: „ W i r wollen Jehovah dienen." Glücklich sind wir, meine Brüder,
wenn die Gnade lins ill den Dienst Christi einreiht, so lange wir noch juug
silld, noch glücklicher, wenn die Gnade uns bis zu den mittleren Jahren fest
bei unfrem frühen Entschlüsse gehalten; und am allerglücklichsten werden wir
sein, falls wir, wenn unser Haar grau ist, sagen können: „Gott, D u hast
mich von Jugend ans gelehret; darnm verkündige ich Deine Wnnder. Auch
S p u r g e o n , Alttestamentllche Bilder. 21
322 Alttestllmentliche Bilder.

verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde." Der, welcher auf
rechte Weise für Gott sich entscheidet, entscheidet sich für die Ewigkeit. Ge-
liebte, ihr werdet es nie bereuen, Gott zu dienen; einen derartigen Fall hat
es noch nie gegeben. Mein Herr und Meister sendet nie seine alten Diener
fort, ebensowenig laufen seine alten Diener von Ihm weg; je mehr sie Ihm
dienen, desto mehr wünschen sie, für I h n zu thun; die Körperkraft mag ihnen
fehlen, aber nie die Liebe für sein Werk; sie bringen noch Frucht im Alter,
um zu zeigen, daß der Herr wahrhaftig ist. Selig sind die, welche diese
dauernde Beständigkeit in der Sache des Herrn, ihres Gottes, haben.

II.
Laßt mich mm die Entschiedenheit preisen. I n der Religion ist
nichts wünschenswerter, als durch und durch zu sein, was man ist. Mit einer
kleinen Veränderung möchte ich davon sagen, wie vom Wissen gesagt ist:

„Ein wenig Frömmigkeit bringt dir gar leicht Gefahr,


Trink' du in tiefen« Zng vom Quell, so frisch und klar."

Um Freude an der Religion zu haben, müßt ihr tief hineintauchen.


Vis zum Knöchel darin zu waten, macht euch vielleicht frösteln vor Ve>
fttrchtungen, Zweifeln und Fragen, bis ihr einem zitternden Knaben gleicht,
der an einem kalten Morgen nicht in sein Vad hineingehen will; aber in die
Tiefen hineintauchen, das heißt, euch eiue G l u t heiliger Freude sicheru.
Einigen von euch ist übel zu Mut auf dem Meere, aber mein Freund da
drüben in der blauen Jacke, der liebt es, denn er ist immer dort; feine
Heimat ist auf der rollenden Woge, und es gibt für ihn keine Seekrankheit:
diejenigen unter euch, die auf dein Meer der Frömmigkeit nur kurze Alls»
flüge machen und dann und wann ein wenig an der Küste der Religion umher»
fahren, sind krank vor Zweifel und Furcht, aber wenn ihr immer auf dieser
See segeltet, würdet ihr Seemannsbeine bekommen, ihr würdet volle Sicher«
heit gewinnen lind die Herrlichkeit des Herrn und seine Wunder in der Tiefe
sehen. Es ist mit wahrer Religion, wie mit dem Obstgarten des Amerikaners.
Ein Herr ward in einen Garten eingeladen, um die Äpfel zu probieren.
„Nein," sagte er, „lieber uicht," und nachdem er öfter eingeladen war uud
es stets allsgeschlagen hatte, sagte der andre: „ich vermute, Sie haben ein
Vorurteil gegen meine Apfel." „Ja," sagte der Mann, „ich habe ein paar
davon probiert und sie sind sehr sauer." „Aber welche," fragte er, „haben
Sie gegessen?" „Nun, die, welche über die Hecke auf die Straße fallen."
„Ach ja," sagte der Eigentümer, „die find sauer wie Holzäpfel, ich pflanzte sie
zum Besten der Knaben, aber wenn Sie in die Mitte des Gartens kommen.
Iosuas Entschiedenheit. 323

so werden Sie finden, daß sie anders schmecken;" und es war so. Nun,
gerade am Nand der Religion, längs der äußeren Hecke sind einige sehr saure
Äpfel; Gefühl der Sünde, Selbstverleugnung, Demütigung nnd Verzweiflung
an uns selbst, die da mit Absicht gepflanzt sind, um Heuchler und bloße
Mundchristen abzuhalten; aber in der Mitte des Gartens sind köstliche Früchte,
saftig, und süß wie Nektar. I n der Religion ist der Stand in der Mitte
der lieblichste. Je näher Gott, je süßer die Freude. Wenn ich ein Deutscher
wäre, was ich nicht bin, so wäre die letzte Art von Deutschen, die ich sein
möchte, ein Elsasser oder Lothringer, weil ich dann nie ein Deutscher der
Nationalität nach sein würde, aber vielleicht noch mehr ein Franzose ill
Manieren; und wenn je der Kampf zwischen den zwei Nationen wieder er-
nenert werden sollte, so würde das Gefecht sicher meinem Landbesitz uud
meiller Heimat sehr nahe kommen. Ich möchte nicht in Kriegszeiten ein
Dentsch'Franzose oder ein Französisch'Dentscher sein, sondern lieber von reinein
Vlute. I l l heiligen Dingen möchte ich kein Neutraler sein. Neil,, nein, laßt
mich durch und durch etwas sein, gründlich und entschieden. Wenn du ein
Christ bist, sei ein Christ. Wenn du dem Teufel dienst, diene ihm ordentlich;
uud wenn dll Gott dienst, diene I h m mit deinem ganzen Herzen, mit ganzer
Seele nnd all deiner Kraft.
Entschiedenheit für Gott setzt einen M a n n i n den S t a n d , seinen
Weg sich vorzn zeichnen. Ein Mann, der sich entschließt, dem Herrn zu
dienen, kennt seinen Weg in der Welt. Morgen wird etwas in deinem Ge-
schäft sich ereignen, du wirst eine schöne Gelegenheit haben, du wirst viel
Geld machen können, aber dn wirst sehr nahe an der Vrandnng hinsegeln
und du «lochtest die Sache lieber nicht ill der „ l i i n o s " veröffentlicht sehen.
Wenn diese Versuchung dir nahe tritt, wie wirst du handeln? Ich weiß
nicht, aber wenn du den Entschluß gefaßt hast, dem Herrn zu dienen, so wirst
dll nicht nötig haben, deinen Kompagnon zu befragen, dein Weg wird dir
klar seiil. Neun voll zehn Fragen, die dir möglicherweise im Geschäft vor-
kommeil können, sind scholl beantwortet, wenn die ei île große Frage ill
Ordnuug gebracht ist. Ist diese Handlung unehrlich? Dann macht es nichts
mis, wie vorteilhaft sie sein mag, sie wird als anßer allein Betracht gleich
beiseite geschoben. Ist dieser Weg durch die Ehrlichkeit geboten? Dann muß
er gegangen werden, wie groß auch der Verlust sein mag. David betete:
„Leite mich auf richtiger Bahn um meiner Feinde willen," und dem Mann,
der sich durch Gottes Gnade entschlossen, dem Herrn zu dienen, wird diese
Bitte erfüllt.
Dieses rettet viele von Versuchung. Der Satan rettet die, welche
versucht werden können, aber wenn er die Menschen entschlossen genug findet,
21*
324 Nlttestamentliche Bilder.

so gibt es eine gewisse Art von Versuchungen, mit denen er sie nie wieder
angreift. Er paßt seine Anschläge unsrem Staudpunkt ein und braucht für
löwenherzige Gemüter nicht jene armseligen Netze, womit er kleine Vögel
fängt. Wie ein Niese dahingeht, ohne die Spinngewebe zu bemerken, die
feinen Pfad durchkreuzen, so bricht ein ganz dein Herrn geweihter Alaun
durch tausend Versuchungen, die in der That für ihn nicht länger Ver-
suchuugen sind.
Gerade durchgehende Männer übeu einen mächtigen E i n f l u ß aus.
Iosua war fähig, sowohl für seiu Haus, als für sich selbst zu spreche».
Manche Väter können nicht für sich selbst sprechen, uud deshalb könut ihr die
Ursache erraten, warum sie nicht für ihre Familieu sprechen können. Iosuas
Neligiou war so kräftig, daß sie durch Gottes Segen seine Söhne von dem»
selben Feuer erglühen ließ. Ich habe eine christliche Frau gekauut, die so
niedrig in dem geistlichen Leben stand, daß sie nie in einem ihrer Kinder den
Wunsch erweckte, ihr gleich zu seiu; und ich habe von Vätern gehört, die, wie
wir hoffen, christliche Männer waren, deren Macht, von der Frömmigkeit ab-
zuschrecken, größer war, als ihre Kraft, zu ihr hinzuziehe». Gott gebe uns
mehr Lebendigkeit in unsrer eignen Religion, und wir werden unsre Kinder
uud Dienstboten beeinflussen, und von ihnen wird der Hauch der Frömmigkeit
sich rund umher verbreiten. Um dieser Ursache und um tausend andrer willen
ist es über alles wünschenswert, entschieden und entschlossen für des Herru
Sache zu seiu. Zauderu uud Schwanken kann zu nichts dienen, aber schnelle
Entscheidung ist auf jede Art zu empfehle».

III.
Ich fehe, daß ich nicht im stände fein werde, die Hälfte von den: zu
sagen, was ich heute morgen zu sagen beabsichtigte, und deshalb muß ich znm
Schluß kommen, indem ich diese Entschiedenheit fiir Ehristnm fordere,
die ich beschrieben und gepriesen habe. Möge der Heilige Geist euch fähig
machen, der Forderung zu entsprechen. Entschiedenheit ist verlangt, weil der
Herr es verdient, sie zu haben. I h n , , der uns gemacht, sollten wir nicht
zaudernd dienen; I h n , der uns seinen Sohn gab, um für uns zu sterbe»,
sollten wir nicht geringschätzig behandeln. Bei der Herrlichkeit der Gottheit
und bei dem Ruhm des Kreuzes, fordere ich euer ganzes Herz fiir meiuen
Herrn. Wen» die christliche Religion eine Lüge ist, so ist sie eine verab-
scheuuugswürdige uud sollte vou Herzeu gehaßt werde», aber wenn der Dienst
Gottes m der That recht ist und wenn die Religion eine Wirklichkeit ist, so
verlangt sie unser ganzes Herz, uusre Seele uud Kraft, und sollte auch nicht
weniger haben. Der Dienst Gottes ist nicht etwas, das nur leise mit den
I o f u a s Entschiedenheit. 325

Fingerspitzen berührt werden muß, sondern er sollte alle Kräfte und Leiden-
schaften llnsrer ganzen Natur zum Handeln erregen. Mein lieber Hörer, blicke
einen Allgenblick auf dich selbst. Ist viel ill dir, wenn du dich so hoch
schätzest, als dn kannst? Bist du etwas so sehr Großes? Vergleiche dich mit
dem dreimal heiligen Gott. Jene hohen Erzengel, die sich vor I h m beugen,
sind wie nichts in seinen Augen, was mußt du sein? lind wenn du als
ein Ganzes so klein bist, träumst du denn davon, dich zu teilen uud Gott
einen Teil davon zu geben? Der Himmel, selbst der Himmel der Himmel
und das Vereich des Raumes sind uicht geuug für I h n ; und alle Dinge, die
Er gemacht hat, sind nnr wie der Tropfen am Eimer, verglichen mit seiner
unendlichen Majestät; und dies kleine Reich deines Körpers und deiner Seele,
willst du es in Stücke schneiden für verschiedene Gebieter, und dem Herrn den
Schimpf anthun. I h m einen Winkel anzubieten, während du breiten Raum
bewahrst für die Welt, das Fleisch und den Teufel? Spotte nicht der
Majestät des Himmels fo. Wenn eine Mücke, die im Sonnenstrahl des
Sommers über dem Rhein dahintanzt, davon spräche, ihre Treue zwischen
dein deutschen Kaiser uud dem französifchen Marschall zu teilen, so würdest du
lächeln.. Willst du, du unbedeutendes Geschöpf, davon sprechen, dich zwischen
Gott und dem Mammon zu teilen?
Laßt mich von euch verlangen, lieben Frennde, daß ihr Gott enrc ganze
Seele und euer ganzes Gemüt gebt, denn es ist niedrig und unehrenhaft,
eine mittlere Stellung zu versucheu. Wer behauptet, gleichgültig gegen die
Anforderungen der Tugend zu fein? Wer wagt es, neutral zu fein in einem
Kampfe zwischen Wahrheit und Lüge? Brandmarkt ihn als einen Feigling!
Die Weigerung, in großen Fragen Partei zu ergreifen, ist schimpflich, und
wenn die vorliegende Sache eine ist, welche die Unweifen absondert, eine Frage
zwischen Heiligkeit und Sünde, zwischen Gott und dem Teufel, mm, da ist
es nichtswürdig von einem Manne, wenn er zu verstehen gibt, daß er wirklich
nicht berufen fei, zn entscheiden, und daß er eine Stellung zwischen den beiden
einnehmen könne. Gott schütze euch vor solcher Schande. Wenn in Wirklich-
keit die Welt und ihre Dinge das beste sind, sagt es und nehmt ihre Partei,
und wenn niemand anders es thun sollte, so sprecht ihr doch heute morgen in
eurem Herzen: „Ich aber und mein Haus, wir wollen uns selber und der
Welt dienen." Wenn ihr es beabsichtigt, sagt es gerade heraus und be^
mäntelt es nicht. Aber wenn jemand sagt: „Ich kann mich nicht entschließe!,,
wem ich dienen will, aber ich denke, ich will mir selber dienen, bis ich so
ziemlich abgenutzt biu, uud dann will ich umkehren und versuchen, was sich
mit der Religion thun läßt," das ist verabscheuungswert. Solche Wesen
wären kaum als Ochsen und Esel achtuugswert, die doch wenigstens ihren
Herrn kennen.
326 Alttestamcntliche Vilder.

Sich nicht für den Herrn entscheiden ist im höchsten Grade gefährlich.
Da ist Lot in Sodom: gefahrdrohend ist feine Lage, aber die Engel kommen
zu ihm und sagen: „Diese Stadt soll mit Feuer verbrannt werden, du mußt
fliehen." Lot macht sich sogleich auf den Weg, erreicht in kurzem den Verg
und ist geborgen. Sein Weib ist willig zu gehen, und doch unwillig; sie
schwankt uud zaudert. Sie ist nicht ganz entschlossen; sie verläßt nicht gern
das Haus voll »euer Mobilien und den Schrank mit schönem Leinenzeug; und
überdies: ihre Nachbarn, obgleich sie uicht jeden Sonntag zum Gottesdienst
gingen und ziemlich locker in ihrer Moral waren, waren doch sehr muntere,
unterhaltende Leute, und sie mochte sie eigentlich nicht gern verlassen. Seht,
sie sieht zurück! Sie mag für immer zurücksehen, denn da steht sie, in eine
Salzsäule verwandelt. O ihr, die ihr denkt, die Welt habe viel Anziehendes,
ihr, die ihr gern Gott dienen möchtet, aber doch fühlt, das; sich vieles für
die andre Seite der Sache sagen läßt, kommt und probiert dies Salz; der
scharfe Geschmack desselben mag euch heilsam sein, wenn er macht, daß ihr
künftig Tändeln und Zaudern fürchtet.
Gedenkt daran, es sind keine Flüche fürchterlicher in der Vibel, als die»
jenigen, welche gegen die gerichtet sind, die auf beiden Seiten hinken. Hört
diesen alttestamentlichen Fluch, ihr, die ihr kein Aekenntnis ablegt, ihr, die ihr
eurem Bekenntnis durch schlechtes Leben widersprecht. „Fluchet der Stadt
Meros," sprach der Engel des Herrn, „fluchet ihren Vürgern, daß sie nicht
kamen dem Herrn zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn, zu den Helden." Stritten
sie gegen den Herrn? Nein, sie nicht. Warum werde» sie verflucht? Weil
sie nicht f ü r I h n kämpften. Wie, wenn der Fluch über diesem Hause
schwebte, um auf das Haupt derer zu fallen, die nicht znr Hilfe des Herrn
kommen! Wird er auf dich fallen? Nun hört das neutestamentliche Wort,
das aus jene» Lippen kam, die nie zu hart sprachen, den „Lippen wie Nosen,
die mit fließeuden Myrrhen triefen;" hier ist es: „Ach, daß du kalt oder
warm wärest! Weil du aber lau bist uud weder kalt uoch warm, werde ich
dich ausspeien aus meinem Munde." Wer ist der, der solchen Anstoß gibt?
Vrannte er des Heilandes Lippen mit heißer Verfolguug? Nein. Machte er
sie erstarren durch gänzliche Kälte des Herzens? Nein, er war eine harmlose,
gute Art von einem Menschen, mäßig, nüchtern, leichtlebig, — in der That,
ein lauwarmer Mensch. Er war ein wenig warm, — nur ein wenig mehr,
und er wäre heiß gewesen: er war ein wenig kühl, — nur ein wenig kühler,
und er wäre so erfrischend wie der Schnee vom Libanon gewesen. Er war
weder kalt noch warm. J a , und Christus sagte, er ekelte I h n an. Ich lese
nicht, daß Er irgend etwas alls seinem Munde speit, als dieses, aber dies
kann Er nicht ertragen. Eurer einige, wenn sie sich selber richteten, würden
sagen, sie feien nicht gut genug für den Himmel, aber doch zu gut für
Iosucis Entschiedenheit. 327

die Hölle. Ach, die Hölle ist euer Teil und ein innerer Kerker darin.
Bereut eure Dovpelhcrzigkeit und wendet euch zu dem Herrn mit ganzem
Herzen.
Ich kann sehen, wo ihr seid, ihr Männer der Mitte. D a ist das Heer
Gottes, eine große und mächtige Heerschar auf jenem Hügel: ich sehe die
glänzenden Krieger, bereit zur Schlacht. Dort drüben lagert Satans Heer auf
dem Hügel gegenüber; schwarz und grimmig ist der Fürst und wild sind die,
die ihm folgen. Wo sind wir heute morgen? Einige von uns können sagen:
wir sind mit dem Fürsten I m m a n u e l ; obgleich wir armselige Krieger sind,
doch dienen wir unter seiner Fahne. Vielleicht sind einige hier, die auf der
schlechten Seite sind, aber doch ehrlich genug, es nicht zu leuguen, daß sie auf
der entgegengesetzten Seite angeworben sind; aber, meine Hörer, wo seid ihr?
Wo seid ihr? „ W i r denken darüber nach." Aber wo seid ihr, während ihr
nachdenkt? „ W i r erwägen und urteilen." Aber wo seid i h r jetzt? Merkt
euch dies!. Wenn der Kamps beginnt, und unsres Herrn Geschütz zu feuern
anfängt, und wenn die Gegner auf der andren Seite uus antworten, so
werdet ihr von beiden Seiten Schüsse erhalten, und wenn die Armeen zum
tödlichen Gefecht Mann gegen Mann kommen, so werdet ihr von beiden
Seiten niedergetrampelt werden. Lesen wir nicht von einigen, die aufwachen
werdeu „zu ewiger Schmach und Schande?" Die Heiligen werden sich eurer
schämen, weil ihr am Tage der Schlacht euch nicht zu Christo geselltet, und
der Gegner selber wird euch verachten, weil ihr sogar vor ihm zurückschrakt.
Seid das eine oder das andre.
Zum Schlüsse denkt daran, daß zwischen - beiden - sein im Grunde völlig
unmöglich ist. Obgleich ich ench dargestellt habe, als zwischen beiden Heeren
in der Schwebe, ist dies nicht wirklich der Fall, denn jeder ist auf der eiuen
Seite oder auf der andren. I h r seid entweder tot oder lebendig, entweder
gerechtfertigt oder verdammt, entweder in der Galle der Bitterkeit oder die
Süßigkeit der Freiheit genießend. Niemand kann zweien Herren dienen und
niemand kann ohne einen Herrn sein. Gott will keine halbe Seele haben,
und die Welt will keine halbe Seele haben. Beide, Gott und die Sünde,
wollen die Herrschaft und die Alleinherrschaft, sie wollen das Ganze oder uichts.
„Gott und Mammon, o sei weiser,
Beiden dienen? jtann nicht gch'n —
Ruh' im Kriege, Christ und Geiz'gcr,
Das kann nie zusammen steh'».
Leih' dein Schmeichler nicht dein Ohr,
Heb' die blnt'ge Fahn' empor."
Nimm Christum ills Herz eiu, und Er wird die Sünde hinausjagen,
oder behaltet die Sünde in der Seele, und die Sünde wird jeden besseren
328 Alttestamentliche Bilder.

Gedanken niederhalten, bis der Mensch ganz schlecht ist. Wenn ihr zu Hause
kommt, so schreibt dies nieder, wenn ihr könnt: „Ich aber w i l l dem
Herrn dienen." Setzt euren Namen darunter in vollem Ernst. Oder, wenn
euch dies uicht gefällt, schreibt: „Ich aber w i l l der Welt dieueu," und
setzt euren Namen darunter. Mich verlangt danach, euch zur Entscheidung zu
treiben. Wenn Gott Gott ist, dient I h m ; wenn Vaal Gott ist, dient ihm.
O, mag der Geist Gottes euch dazu führen, für Gott und seinen Christus
jetzt in diesem Augenblick zu entscheiden, und Er soll auf ewig dafür ge«
priesen^werden. Amen.
Eiserne Wagen. 329

22.
Eiserne Wagen.
„Und der Herr war mit Iuda, daß er das Gebirge einnahm;
denn er konnte die Einwohner im Grunde nicht einnehmen, darum,
daß sie eiserne Wagen hatten. Und sie gaben dem Kaleb Hebron, wie
Mose gesagt hatte, und er vertrieb daraus die drei Söhne Enaks."
Nicht. 1, 19. 20.

H ? i r brauchen oft Kanaan als ein Vorbild des Himmels, und den
Jordan, durch den Israel ging, als ein Sinnbild des Todes. Dies ist sehr
poetisch und mag ungemein lehrreich sein; aber es ist nicht eben genau, wenn
wir die ganze Sache einer sorgfältigen Erwägnng unterziehen. Wenn das
Neue Testament das Alte auslegen soll, dann ist noch eine andre Lehre von
dem Lande, in dein Milch und Honig stoß, zu lernen. „ W i r , die wir glauben,
gehen in die Ruhe;" das heißt, alle, die an Christum glauben, sind schon
über den Jordan gegangen und in die verheißene Ruhe gekommen. Der Bund
ist für sie in großem Maße schon erfüllt; sie leben unter der Herrschaft des
Messias innerhalb der Grenzen seines Reiches, und alles Köstliche, was Gott
ihnen verheißen hat, gehört ihnen. Sie leben in dem Lande, an das „der
Herr gedenket": „Dein Land, o Immanuell" Das Vorbild mag deshalb am
besten den unterrichteten und geförderten Gläubigen darstellen, der durch den
ersten oder Wüsten-Abschnitt seines Lebens hindurchgegangen ist und nuu einen
höheren Stand erreicht hat, sich geistlicher Vorrechte wirklich erfreut lind mit
Christo in das himmlische Wesen versetzt ist. Für ihn ist indessen dieser Stand
hoher Vorrechte kein Stand ungestörter Ruhe: im Gegellteil, er führt einen
beständigen Krieg, indem er kämpft mit geistlich Bösem. (Eph. 6, 12, engl Üb.)
Der Kananite ist im Besitz, und der Kananite muß vertrieben werden, unsre
natürlichen Neigungen und Verdorbenheiten, unsre sündigen Gewohnheiten und
Lüste, der Hang und Trieb unsres Geistes zum Bösen — all dieses muß über-
wunden werden; und wir werden das Land nicht so besitzen, daß wir un-
unterbrochener Nuhe genießen, bis die Sünde gänzlich ausgerottet ist. Was
330 Nlttestamcntliche Bilder.

Iosua nicht thun konllte, wird ilnser Herr Jesus vollständig ausführen; der
Feind im Innern soll ausgetrieben werden, und dann wird der Tag der Freude
nnd des Friedens anbrechen, wo ein jeglicher unter seinen! Weinslock und unter
seinem Feigenbaum sitzeu und niemand ihn erschrecken soll. Dieser vollkommene
Sieg soll unser sein; aber noch nicht.
Da wir diese Wahrheit durch unsren Text vcranschanlichen wollen, be°
achten wir zuerst, daß die Aufgabe Israels die war, jene verurteilten Völker,
die im Besitze Kanaans waren, auszutreiben und vollständig auszurotten. Ein
Stamm war erwählt, in dem grimmen Feldzug die Führerschaft zu überuehmen.
Iosua, der heldenmntige Anführer, war dahin; wer sollte die Leitung haben?
Die Macht der Kananiter wurde zu seiner Zeit gebrochen, aber nnn er tot
war, begannen die alten Völker wieder aufzuschauen, eben wie wir oft finden,
daß unsre Sünden, die wir schon alle tot glanbtcn, plötzlich neuen Mut fassen
und versuchen, ihre Herrschaft wieder aufzurichten. Da ging Israel zu Gott
und fragte: „Wer foll unter uns den Krieg führen wider die Kananitcr?"
Und der Herr sprach: „Iuda soll ihn führen, siehe, ich habe das Land in
seine Hand gegeben."
Der Stamm Iuda also war beanftragt, anzuführen, und wir sehen
dreierlei in der Leitung des Unternehmens. Zuerst, Vertrauen auf die
Macht des Herrn und Verherrlichung derselben, denn „der Herr war
mit Illda und vertrieb die Einwohner des Gebirges." Zweitens, dieser selbe
Stamm mißtraute der Macht des H e r r n , uud sie ward deshalb
zurückgehalten; denn „Iuda konnte die Einwohner im Thnle nicht vertreiben,
darum, daß sie eiserne Wagen halteil." Doch, wie zu ihrer Nüge, hatten sie
ein besonderes Ereignis vor sich zur Rechtfertigung der göttlichen Macht, und
davon lesen wir im zwanzigsten Verse. Kalcb, jener große, alte Mann, der
noch am Leben war, der einzige von allen, die alls Ägypten kamen, hatte
Hebron als sein Teil erhalten, und er zog hinauf in seinem Greiscnalter, da
seine Knochen schwer und steif waren, und schlug die drei Söhne Enaks, drei
mächtige Riesen, und nahm ihre Stadt in Besitz. Auf diese Weise ward der
Macht des Herrn vertraut, und sie ward gerechtfertigt von dem
T a d e l , den I u d a auf sie gebracht hatte.

I.
Laßt uns an unsren ersten Teil denken, daß der Z t a m m I n d a der
Wacht des Herrn vertraute nnd diese sich verherrlichte. „Der
Herr war mit Iuda." O, daß der Heilige Geist mit uns sein möchte!
Das Volk hatte weislich seinen Gott gefragt, und es ward durch gött»
liche Bestimmung Judas Los, die Führung zu übernehmen. Er hatte guten
Erfolg bei diesem Werke. Leset das Kapitel, wenn ihr zu Hause seid, so
Eiserne Wagen. 331

werdet ihr eine Reihenfolge großer S i e g e beobachten. „ D a nun I u d a hinauf»


zog, gab ihm der Herr die Kananiter und Pheresiter in ihre Hände, und
schlugen zu Vesek zehntausend Mann. Und fanden den Adoni-Vesek zu Besek
llnd stritten wider ihn und schlügen die Kananiter und Pheresiter. Aber Adoni-
Vesek floh, und sie jagten ihm nach; und da sie ihn ergriffen, uerhieben sie
ihm die Daumen an seinen Händen und Füßen. Da sprach Adoni-Vesek:
Siebzig Könige mit verhauenen Daumen ihrer Hände und Füße lasen auf
unter meinem Tisch. Wie ich nun gethan habe, so hat mir Gott wieder uer»
gölten." So besiegten sie den Monarchen, der despotisch im Lande geherrscht
hatte und all den kleinen Königen ein Schrecken gewesen war. Darauf griff
I n d a Jerusalem und Hebron und Debir und Harma an. Bald darauf über-
fiel er die Philister, die kriegerische Männer waren, und nahm Gaza und
Asklon und Ekron mit ihren Küsten. Gott der Herr hatte so I u d a und dem
ganzen I s r a e l bewiesen, was Er thun könne, und es wäre weise gewesen, wenn
sie ihrerseits unbegreuztes Vertrauen auf I h u gesetzt hätten; dann wären sie
vorwärts gegangen „siegend uud zu siegeu." Hat nicht der Herr dasselbe
gethan bei denen von nns, die an I h n geglanbt haben? Was für eine
Erfahrung hast du gemacht, mein Vruder? Ich spreche nicht zn Weltmenschen,
noch zu denen, die eben erst das göttliche Leben angefangen haben; sondern
ich spreche zu denjenigen von euch, die in den göttlichen Dingen Erfahrung
gehabt und jahrelang ein Leben des Glaubens geführt haben. Hat Gott
nicht seine Macht an euch geoffenbart? Besitzt ihr nicht unfehlbare Vcweife
davon, die ihr kaum erzählen möchtet, denn sie sind so heimlich wie sie heilig
sind? Obwohl ihr sie nie vor einer gemischten Hörerschaft nennen würdet
aus Furcht, eure Perlen hinzuwerfen, wo sie uicht gewürdigt werdeil, so sind
sie doch in eurem Gedächtuis aufbewahrt ill der Form merkwürdiger Er-
rettungen, besonderer Tröstungen nnd spezieller Gnaden, für die ihr bis auf
diesen Tag keine andre Erklärung finden könnt, als die, daß Gott, der all»
mächtige Herr, seine Hand ausstreckte und euch in der Stunde der Not ans
besondere Weise half. Vergeht diese Dinge nicht. Wenn des Herrn Macht
enrer eignen Seele dnrch I h n selber bewiesen ist, dann ist sie in der That
bewiesen. Ich gebe sehr wellig um jeue Beweise für das Dafeiu Gottes, die
gelehrte Mäuuer für uns formen — den Beweis n p i i o i i , den Beweis alls
der Analogie und alle übrigen. Ich habe ihr Ende gesehen i l l meinen eignen
Zweifeln und Befürchtungen. Der überzeugendste Beweis findet sich in einer
andren Art von Schlußfolgerung, einer, die allen Zweifel durch wirkliche
Erfahrung überwindet. Wenn Gott zu unsrer Seele kam uud mis i l l der
Stunde llilsrer äußersten Not nahte, dann brauchten wir keinen andren Beweis.
Wenn Er „Friede" zu unsrer bennrnhigten Seele sprach und ihr Toben stillte,
dann erhielten wir einen entscheidenden Beweis seiner Macht. Wenn Er uns
332 Nlttestamentliche Bilder.

in Entzückung hinaufhob und uns mit unaussprechlicher Freude und Herrlich'


keit erfüllte^ so haben wir diefe Beweise in unsren Chroniken aufbewahrt, und
unsre Zuversicht ist doppelt fest gewordeil. Wenn wir Nicht ein rotes Band
um diese Berichte gebunden und sie in unsren Schreibfächern verborgen, so
haben wir noch bessere Sorge für sie getragen; denn wir haben sie in den
innersten Kammern unfres Herzens verschlossen. Maria bewegte alle diese
Dinge in ihrem Herzen, und wir haben das gleiche gcthan. Gottes Güte war
so dem Stamme Iuda bewiesen, eben wie sie vielen von uns in unsrem
Maße bewiesen ist: so klar bewiesen, als wenn sie mathematisch dargethan wäre,
wie ein Problem im Euklidcs.
Aber der Herr hatte I u d a auch seine Macht durch zahlreiche Siege
bewiesen. Die Siege, welche Er ihn« gab, waren sonderbar und merkwürdig,
selbst wenn sie nicht wunderbar waren; und es waren ihrer sehr viele. Sie
waren von Stadt zu Stadt gegangen, und hatten alle ihre Feinde geschlagen.
Es schien, als hätte Gott zn Inda gesprochen, wie zu Iosua: „Es soll dir
niemand widerstehen dein lebenlang." Zinn, wiederholte Thatsachen helfen
den Schluß verstärken, der aus einer früheren Thatsnche gezogen ist. Nach
der besten praktischen Philosophie, der induktiven, beobachtet man eine Thntsache,
und dann ist der Schluß daraus wahrscheinlich: man bemerkt eine zweite
Thatsache, und der Schluß ist dann noch wahrscheinlicher. Alan erhält sechs,
sieben, acht, zehn, zwanzig ähnliche Thatsachen, und die Schlußfolgerung
kommt der Gewißheit immer näher. Aber wenn diese Thatsachen so dicht wie
Hagelkörner werden, wenn ihrer so viele, wie Tropfen des Taus oder Strahlen
des Lichts werden, dann mag man den Schlnß als absolut gewiß betrachten.
Wenn dein Leben voll Bezeugungen der Macht Gottes ist, an dir, für dich
und in dir, dann kann diese Macht nicht bezweifelt werden. Es ist unmöglich,
einen Christen durch Beweise von dem Grnnde seines Glaubens abzubringen,
wenn er lange Zeit mit Gott llmgang gehabt hat. I h r Tndler mögt prahlen,
daß ihr eine Lehre widerlegen könnt. Ich kümmere mich nicht um eure
Sophismen. I h r könnt sie mir nicht widerlegen, ihr mögt das Alte Testament
bekritteln oder das Neue, wenn ihr wollt. Es thut mir leid um euch, denn
mir ist alles klar genng; aber ich werde nicht eben in große Hitze geraten,
um euch zu bekämpfen. Es ist nicht so sehr wichtig, was ihr in betreff dieser
Bücher beweist oder nicht beweist, weil die Thatsachen stets noch unberührt
bleiben. Diejenigen von uns, die im Lichte des Angesichtes Gottes gelebt und
mit I h m geredet haben, wie ein Mann mit seinem Freunde redet, und Ant-
worten von I h m gehabt haben, nicht einmal oder zweimal, oder nur in ver-
gangenen Jahren, sondern täglich und beständig, wir, sage ich, sind nicht aus
unsrem Glauben herauszubringen. W i r haben ein andres Leben, in das ein
Fremder nicht eindringen kann, und einen Umgang mit Gott, der nur denen
Eiserne Wagen.

lächerlich erscheint, die ihn nie kannten, denn er ist erhaben, wie die Er-
habenheit selbst für die, welche ihn jeden Tag genießen; da wir ein solches
Leben haben, so liefert uns dies Veweise, über die man nicht streiten kann:
wir glanben und sind gewiß. Beweist, daß wir nicht bei Verstand sind,
dann habt ihr etwas gethan; nur laßt mich euch sagen, daß uns selbst dann noch
Verstand genug bleiben wird, um an dem festzuhalten, was wir fest halten,
und daß wir nicht so wahnsinnig sein werden, in die Reihen der Ungläubigen
einzutreteu. W i r sind es zufriedeu, Narren zu seiu, wenu Narren sein soviel
heißt, als Gott sehen. W i r sind es zufrieden, nichts zu wissen von der
„Vildnng" und dem „Denken" dieses großen Jahrhunderts, wenn damit ver-
bunden ist, daß wir uns weit von dem ewigen Herrn entfernen und auf-
hören müsseil, seine Hand in der Natnr, der Weltregierung und dem Reich der
Gnade zu sehen. W i r sind zufriedeu, wenn wir I h n nur kennen, den zu
kennen das ewige Leben ist.
Geliebte Brüder, ich kann von vielen hier Gegenwärtigen sagen, daß
Gott ihnen seine Macht und Güte durch solche überwältigenden Proben
bewiesen hat, daß der Zweifel für euch ein trauriges Stück Thorheit und
Sünde fein würde. Gott hatte Iuda noch besonders bemerkenswerten Beistand
bei dem zu teil werden lassen, was wir „brüderliche H a n d l u n g s w e i s e "
nennen können. „ D a sprach I n d a zu seinem Bruder Simeon: Ziehe mit mir
hinauf in meinem Los, und laß uns wider die Kananiter streiten, fo will ich
wieder mit dir ziehen in deinem Los. Also zog Simeon mit ihm." (V. 3.)
I n Gemeinschaft miteinander hatten diese Stämme weitere Beweise der Macht
Gottes, denn Er gab ihnen ihre Feinde in die Hand. Auch wir können von
wundervollen Bezeugungen der Macht und Gnade Gottes erzählen, wenn wir
miteinander in heiligen! Dienst Gemeinschaft gehabt haben. Unsrer köstlichsten
Erfahrnngen haben wir uns in christlicher Gesellschaft erfrent. Als die Jünger
versammelt und die Thüren verschlossen waren, da trat Jesus in ihre Mitte
und sprach: „Friede sei mit euch." Der Herr ist uns gnädig, wenn wir
Mitgefühl für seine armen und kämpfenden Kinder haben und einen gegen»
seitigen Bund eingehen, daß wir zusammen stehen uud einander helfen wollen
inmitten eiller ««göttlichen Welt. Der Herr hat Gefallen an der brüder-
lichen Liebe üud gebietet dem Segen, darauf zu ruhen wie der Tall alls
dem Hermoll. Wenn ich den größten Teil meiner persönlichen Erfahrung
daheim vergessen könnte, so könnte ich dennoch nie die himmlischen Zeiten ver«
gessen, die ich im Tabernakel mit meinen Lieben gehabt habe. I n den
Gebetsstunden, brannten nicht unsre Herzen ill uns? Ali dem Festtische der
himmlischen Liebe, beim Abendmahl, zu dem wir so gern jeden Sonntag
kommen, haben wir da nicht einen Himmel hienieden erreicht? Traten wir
nicht in die Vorhalle von Gottes Hause in der Herrlichkeit ein nnd fühlten,
334 Alttestamentliche Bilder.

daß kaum das Zerreißen eines dünnen Gewebes nötig wäre, so ständen wir
in der mwerhüllten Gegenwart Gottes? J a , Gott ist mit uns gewesen, und
dann haben wir Beweise genug von seiner Macht und Liebe gehabt. Wenn
wir zusammen zum Kampfe ausgezogen sind, um gegen die Sünden der
Zeit zu streiten, ein Zeugnis für vernachlässigte Wahrheit abzulegen, unsre
irrenden Brüder zurückzubringen oder gefallene Schwestern zum Glauben an
Iesum zu führe», haben wir nicht in diesem brüderlichen Thun große Beweise
von des Herrn Macht zum Segnen und zum Erretten gehabt? Ich weift, daß
wir es haben. Laßt es stehen und wider uns zeugen, wenn wir in der Zukuuft
dem Unglauben Raum geben.
Doch ferner, Brüder, geschah es, daß Gott Iuda große Beweise seiner
Gegenwart und Macht gab, indem Er hier und da einen Mann in ihrer
Mitte erweckte, der Heldeuthaten verrichtete. Ich will nicht von Kaleb
sprechen, denn ihr werdet sagen: „Ah, er war ein alter, greiser Mann und
gehörte einen: andren Geschlcchte an. Er war gerade im Begriff, vom Schau«
platz abzutreten, wir wundern uns nicht, daß er Großes that." J a , aber er
hatte einen Neffen, Athniel, einen jungen, noch unverheirateten Mann, und
als Kaleb sprach: „Wer Kiriath'Sepher schlägt und gewinnt, dem will ich
meine Tochter Achsa zum Weibe geben," da war Athniel der Mann für die
Stadt und für die Braut. Der junge Held trat hervor, ging zur Festung
hinauf und gewann die Stadt, übergab sie in die Hände seines Oheims und
erhielt die versprochene Belohnung. O ja, und auch wir haben junge Helden
gesehen — und werden es mehr und mehr sehen — die selbstverleugnend, sich
selbst mißtrauend, selbstvergessen und bereit waren, um Christi willen alles zu
tragen, und Gott war mit ihnen und die Kraft des Höchsten ruhte auf ihueu.
Ward nicht der Unglaube gerügt, wenn wir gezwungen waren, zu sprechen:
„Anstatt der Väter sollen die Kinder sein, die wirst du zu Fürsten setzen in
aller Welt?" Dies ist ein gesegnetes Zeichen von Gottes Gegenwart und
Macht gewesen. Ich weiß, wie es mit denen ist, die lange in der Gemeinde
gewesen sind: sie fragen, was daraus werden soll, wenn die Alten sterben.
„Wenn der Pastor dahingeht, was sollen wir dann thun?" Wartet, bis es
geschieht, Brüder, wartet, bis es geschieht; und dann werdet ihr sehen, daß
der, der einen Diener finden konnte, auch einen andren finden kann. Dein
Herrn hat es noch nie an Werkzeugen gefehlt, und das wird es auch nie.
I h r und ich, wenn wir ein altes Werkzeug abgenutzt haben, müssen, wie ihr
wißt, warten, bis wir ein neues aus dem Laden holen lassen; aber der Herr
läßt neue Werkzeuge aus de» alten hervorwachsen. Neue Frühlinge werden
uns geboren aus den welken Herbsten des alten Jahres. Ich habe eiueu
juugen Baum aus deu Wurzeln des alten wachsen sehen und neue Blätter sich
entfalten, wo die des letzten Jahres einst gewesen waren. I n unsren vor»
Eiserne Wagen. 335

gerückteren Jahren werden wir bessere rekrutierende Sergeanten nnd werben


so unsre eignen Nachfolger an. I h r , die ihr jetzt grau werdet, fragtet einst,
was aus der Sache Gottes werden würde, wenn der Führer eurer Jugend in
Jesu entschliefe; aber die unsterbliche Sache hat den Tod des Bannerträgers
überlebt. Wir hören jetzt niemals mehr von diesem frommen Mann: in der
That, er scheint nicht so wichtig gewesen zu sein, als ihr meintet. Gott wird
Voten finden, so lange Er Votschaften hat. Wenn einige von uns gegangen
find, so werdet ihr jungen Leute an unsrer Statt die Führerschaft übernehmen
nnd ihr werdet sagen: „Ich erinnere mich des alten Herrn. Wir schätzten
feine Predigt und wir konnten uns nicht denken, was wir ohne ihn thun
sollten; aber wir haben ein gut Teil mehr ohne ihn gethan, als wir je mit
ihm ausgerichtet haben, denn Gott hat ihm einen würdigen Nachfolger er-
weckt." Deshalb feid gnten Muts und laßt das, was ihr iu der Vergangcu-
heit gesehen, euch eine Weisfagnng von Gottes Güte in der Znknnft fein.
Kaleb wird zu seineu Vätern versammelt werden, aber Athniel soll ihm folgen,
der ebenso tapfer sein wird, wie er.
Der Grund, weshalb die Männer Judas siegreich waren, war der, daß
sie volles V e r t r a u e n auf G o t t hatten. Vis zu einem gewissen Punkte
verließen sie sich auf Gott. Jehovah hatte ihnen befohlen, anznführen, und
sie führten an. Er hatte sie voll Stadt zu Stadt geführt, und sie gingen und
zweifelten nicht daran, daß Gott mit ihnen fein würde; uud alles gelaug
ihnen, denn sie stützten sich auf den Herrn. So wird es mit uns fein, denn
es steht geschrieben: „Euch geschehe nach enrem Glauben." Der Herr wird
bei diesem Maßstab nicht zu kurz kommen: laßt uns den Maßstab nicht kurz
machen. Aber hierbei ist es, wo wir zu oft fehle»; denn nnfer Glaube ist
ein so erbärmliches Ding. W i r vertrauen Gott kaum so viel, wie wir einem
großmütigen Menschen vertrauen; und wenn Gott etwas Großes für sein Volk
thut, dann sagt der eine zum andren: „Ist es nicht überraschend? Ist es
nicht wunderbar?" Viele sind erstauut, daß Gott sein Wort hält; fo daß sie,
wenn Er Gebet erhört, ausrnfen: „Was für ein wunderbares Ding!" Ist es
denn ein Wunder, daß Gott wahrhaftig ist? daß Gott seine Verheißung hält?
Ich gebe zu, daß es von einer Seite betrachtet etwas ist, was auf immer
wunderbar bleiben muß; aber doch fürchte ich, daß mit dieser zufälligen Ver-
wunderung oft ein solcher Grad von Unglauben gemischt ist, daß das Verwnndern
weniger bewundernde Dankbarkeit als erstaunter Unglaube ist. Daß Gott
Gebet erhört, ist ebenso natürlich, als daß eine Ursache eine Wirknng hervor-
bringt. Es ist eine ebenso große, ebenso gewisse und ebenso unfehlbare Ver-
bindung zwifchen dem Gebet, das der Heilige Geist in nns wirkt, uud dein
Resultat dieses Gebetes, wie zwischen der Kraft in der Lokomotive und der
Bewegung des Zuges. Die Macht des Gebetes, statt bloßer Erdichtung zu
336 Alttestamentliche Vildcr.

sein, ist die praktischste und sicherste aller Kräfte, die diesseit des ewigeil
Thrones vorhanden sind. Gott wirkt mehr durch Gebet als durch irgend etwas
andres, und wenn wir nur den Kanal weiter machen wollten, dllrch den seine
mächtige Kraft stießt, dadurch, daß wir mehr Glauben und mehr Zuversicht
auf das Gebet hätten, so würden wir größere Dinge sehen, denn diese.

II.
Null komme ich zu der schmerzlichen, aber wichtigen Thatsache, daß des
H e r r n M a c h t zurückgehalten w a r d > w e i l m a n i h r m i ß t r a u t e .
Die Männer Judas konnten die Einwohner des Gebirges austreiben,
aber sie konnten nicht die Einwohner des Thales austreiben, weil sie eiserne
Wagen hatten. Manche von unfren leichtfertigeren Nnglänbigen haben be-
hauptet, daß dieser Vers sage, der Herr konnte nicht die Einwohner des
Thaies austreiben; doch ist das vorhergehende Wort keineswegs „Gott,"
sondern „ I u d a . " Iuda ist es, der sie nicht austreiben konnte. „Wohl,"
sagen sie, „aber Gott war mit Iuda, und sie trieben die Einwohner des Ge»
birges ails: warum konnten sie nicht die Einwohner der Ebene durch dieselbe
Macht austreiben?" Dies ist der Hauptpunkt bei der Sache. Sie über»
wanden die Männer mit den eisernen Wagen nicht, weil Gott in dieser An»
gelegenheit nicht mit ihnen war. Soweit ihr Glaube ging, soweit ging Gott
mit ihnen, und sie konnten alles und jedes thun; aber als sie verzagt dachten,
sie könnten die Einwohner der weiten Thäler nicht austreiben, da schlug es
ihnen gänzlich fehl. Sie waren bange vor diesen Wagen, die zwischen den
Pferden Stangen hatten, an denen Lanzen befestigt waren, die sich ihren Weg
dllrch die Krieger hindurchfchnitten, und bei denen die Achsen der Näder mit
großen Sicheln versehen waren. Diese Erfindungen waren nen lllld ver>
ursachten einen panischen Schreckeil, und deshalb verloren die Männer Judas
ihren Glauben all Gott und wurden schwach und feige. Sie sprachen: „Es nützt
nichts; wir können diese schrecklichen Maschinen nicht bezwingen;" und deshalb
beteten sie nicht und machten keinen Versuch, dem Feind entgegenzutreten.
Sie konnten die Völker nicht austreiben. Natürlich konnten sie das nicht.
Wenn sie betreffs der eisernen Wagen denselben Glauben gezeigt hätten wie
betreffs der Gebirgsmänner, so wären die eisernen Wagen nicht besser gewesen
als stroherne, denn der Herr „zerbricht Bogen, zerschlägt Spieße und ver-
brennt Wagen mit Feller." Wenn sie all Gott geglaubt hätten, und in seinem
Namen vorwärts gegangen wären, so würden die Nosse bald geflohen sein,
wie sie es wirklich thaten, als Gott seinem Volke Glauben gab. Als Barak
mit Debora bell Weg führte, da fchlngen sie Iabin, der uennhundert eiserne
Wagen hatte. Sie flohen; sie flohen; sie eilten von dannen, denn der Herr
war mit Barak und gab sie ihm dahin wie Spreu vor dem Wirbelwind.
Eiserne Wagen. 337

Gott würde mit I u d a gewesen sein, wenn Iuda Glauben bewiesen hätte; aber
da sie keinen Glauben hatten, konnten sie die eisernen Wagen nicht in die
Flucht schlagen.
I h r Glaube war unvollkommen. Sie behielten zu viel Vertrauen auf
sich selbst. Beachtet dies; denn wenn ihr Vertrauen auf Gott allein gestanden,
so wären diese eisernen Wagen bloße Nllllen in der Berechnung gewesen. Wenn
Gott den Sieg zu geben hat, dann sind eiserne Wagen oder feurige Wagen
durchaus nichts gegen einen allmächtigen Gott. Sie dachten augenscheinlich,
daß in ihnen selbst etwas sei; ihre Macht ging so weit, daß sie die Männer
des Gebirges schlagen konnten, aber nicht so weit, die Kavallerie in der offenen
Ebene anzugreifen, wo Raum war, sich hierhin und dahin zu wenden. Null,
dies ist eure Schwachheit und die meinige. W i r nehmen stillschweigend all,
daß Gott uns bis zu einen» gewissen Punkte helfen könne. Heißt das nicht,
daß wir uns selber bis zu diesem Puukte helfen können? Wenn dieser Glaube
näher erklärt wird, so birgt er ein Maß von Selbstvertrauen ill sich; uud dem
Selbstvertrauen am nächsten verwandt ist das Mißtrauen. Wenn ihr alls
dein Selbst herausgekommen seid, wo seid ihr denn hineingetreten? I n das
Unendliche. Der, welcher das Unendliche erreicht hat, braucht nicht länger zu
rechneu. Es nützte Noah nichts, ein Log seines Schiffes zu behalteu, als kein
Ufer mehr da war: als alles Meer war, machte es ihm nichts aus, wohin er
trieb. Und so gibt es auch keine Grenzen, wenn ihr einmal ganz alls euch
selber herausgeht. Gott ist schrankenlos; deshalb vertraut I h m unbeschränkt.
Handelt wie Sünson, der starke, weil kindliche, Held. Wenn ein Philister zu
bekämpfen ist, so ist er bereit. Es sind zwei da: er ist ebenso bereit für beide.
Es silld ihrer zwanzig, das macht keinen Unterschied. Tausend sind vor ihm:
Gut, es sind nur um so mehr für den Helden zu töten, denn er wird jeder Mutter
Sohn unter ihnen erschlagen und ihre Leichen Haufen auf Haufen aufstapeln.
Zahlen machen ihm nichts aus. „Aber, Simson, wenn du diese That aus»
führcu sollst, dann mußt du eine gute Damaszenerklinge haben." „ J a , " sagt
er, „wenn ich es thun soll, so muß ich es natürlich; aber wenn der Herr es
lhlln soll, so wird der Kinnbacken eines Esels genügen." Es «lachte für ihn
keinen Unterschied, wenn er sich einfach und bloß auf Gott geworfen hatte, ob
der Feinde viel oder wenige waren, ob die Waffen stark oder schwach waren.
Hierill geht uuser Glaube fehl, daß er sich nicht auf Gottes bloßen Arm ver»
läßt. Seht diese Erdkugel, wie beständig sie sich dreht! wie ebenmäßig läuft
sie ihre vorherbestimmte Bahn dahin! Warum? Weil Gott sie „an nichts
gehängt" hat, uud Gottes Wille sie leitet. Gesetzt, sie hinge an einer Kette:
würde sie darum sicherer sein? Die Stärke der Kette würde voll Gott kommen,
und es ist besser, die Macht zu haben ohne die Kette, obgleich ein Heiliger
durch nichts gehalten wird als durch die Kraft Gottes, so können doch alle
S p u r g e o n , Alttestamentllche Vllder. 22
338 Nlttestamentliche Bilder.

Teufel der Hölle ihn nicht bewegen. Der bloße Arm Gottes ist die Quelle
aller Macht.
Ferner, die Unvollkommenheit ihres Glaubens lag darin, wie es auch
bei eurem, meine Brüder, der Fall sein mag, — daß sie eine Verheißung
Gottes glaubten und die andre nicht. Es gibt eine Art Glauben, die
nach einer Richtung hin stark ist, aber gänzliche Schwachheit, wenn sie in
andrer Weise geprüft wird. Es ist sonderbar, daß die Leute sich gewöhnlich
die leichtesten Verheißungen auszusuchen glauben, während sie die, welche
größer sind und deshalb um so mehr Gott gleich, nicht glauben können. Iuda
glaubte, daß er die Gebirgsleute schlagen würde, weil er diesen Krieg für
leicht hielt; aber das Besiegen der Kavallerie mit ihren eisernen Wagen, das
war schwierig, und bis zu diesem Punkte reichte sein Glaube nicht. Hütet euch,
aus Gottes Verheißungen heraus zu picken und zu wählen. I h r , die ihr
Kaufleule seid, wißt, daß die Kunden zuweilen all eure Vorräte umkehreu
und an einem Paket nach dem andren herum mäkeln und am Ende gar
nichts kaufen. Gefällt euch dies? Wenn die Leute an den Verheißungen
herum mäkeln, sagen sie: „Diese? Nein, die kann ich nicht anuehmen."
Wenn sie eine Verheißuug glaubeu, so ist es die kleinste in dem ganzen Buch.
O, daß wir einen Glauben hätten, der alle Verheißungen annimmt und nichts
von Wählen oder Zurückweisen weiß. Was immer Gott verheißt, ist Er fähig
zu erfüllen; und wenn die Verheißung sich nur für meinen Fall eignet, so
muß ich sie ergreifen und erwarten, sie erfüllt zu sehen. Manche glauben
Gott zu einer Zeit und zu einer andren nicht. Findet ihr nicht, daß ihr
recht viel Glauben an Gott habet am Donnerstag-Abend nach einer Predigt?
Wie aber am Freitagabend? Ah! da ist es etwas andres. Ich habe Freunde
gekannt, die wundervoll gläubig am Sonntag sind. Sie gehen zu Hause
und singen:
„Eine feste Burg ist unser Gott,
Eine gute Wehr und Waffen;
Er hilft uus frei aus aller Not,
Nie uns jetzt hat betroffen."

Am Montag wird euch eine Rechnung nicht bezahlt: wie fühlt ihr dabei?
Nicht ganz wie in einer festen Burg, möchte ich glauben, eher wie die Distel»
wolle, die vom Winde getrieben wird. Viel Glaube ist zeitweilig. Er ist dein
Glaube» nicht ungleich, der in Äfops Fabel erwähnt wird, als der Hirsch in
das Wasser blickte, dort sein viel verzweigtes Geweih sah und seilten Kopf
trotzig Hill und her warf. „Warum," sprach er, „biu ich vor der Meute
bange? Ein Hund mir nahe kommen! Unmöglich! Wenn er nur meine
Hörner sieht, so wird er den Tod fürchten. Ich werde ihm den Leib aufreißen,
oder ihn in Stücke schmettern. Ich will der Meute zeigen, wovon ich gemacht
Eiserne Wagen. 339

bin." Gerade da ließ sich ein Bellen hören, und davon sprang der Hirsch, so
erschreckt wie immer. Wie gleicht das uns! W i r scheinen so großartig stark,
so ruhig im Glanben; doch die erste Not, die kommt, vernichtet unsren M n t .
Dies ist die Ursache, weshalb Iuda nicht die Einwohner der Ebene austreiben
konnte: er hörte das Rasseln dieser eisernen Wagen und seine Herzhaftigkeit
schwand.
Es war noch eine weitere Ursache des Mißlingens, die aus dieser Un-
vollkommenheit des Glaubens entstand: er konnte die eisernen Wagen nicht be»
siegen, zuerst, w e i l er es uicht versuchte. I m Hebräischen heißt es nicht,
daß er sie nicht austreiben konnte. Was im Hebräischen steht, ist, daß er
sie nicht a u s t r i e b . Einige Dinge können wir nicht thun, weil wir nie den
Versuch machen. Ich wollte, wir hätten unter den Arbeitern im Reiche Christi
den Geist des Knaben, der vor Gericht gestellt und von einem übermütigen
Nichter verhört ward. Dieser sagte rauh zu i h m : „Kannst dn Griechisch
lesen?" „ I c h weiß nicht, mein Herr," antwortete er. „Wohl, holt ein
griechisches Vuch," sagte der Richter, und indem er dem Knaben eine Stelle
zeigte, sagte er zu ihm: „Kannst du das lesen?" „Nein." „Warum sagtest
du denn nicht gleich, daß du es uicht könntest?" „ W e i l ich niemals sage,
daß ich etwas nicht thun kann, bis ich es versucht habe." Wenn dieser Geist
in den Christen wäre, so würdeil wir große Dinge vollbringen; aber wir be»
zeichnen dies und das als offenbar über unsre Kräfte hinaus, im stillen
flüstern wir uns zu, „deshalb über Gottes Kraft hinaus," und deshalb gehen
wir nicht daran. Keine eisernen Wagen werden ausgetrieben werden, wenn
wir nicht den Versuch wagen.
Ferner vermute ich, daß sie dieselben nicht austrieben, w e i l sie t r ä g e
w a r e n . Wenn sie es mit Kavallerie zu thnn hatten, so mußte I u d a sich
aufraffen. Wenn eiserne Wagen in die Flucht zu schlagen waren, so mußten
sie einen heißen Kampf beginnen; und deshalb sagten sie, indem sie sich mit
ihrer Furcht nnd ihrer Trägheit berieten: „Laßt uns den Streit nicht wagen."
Es gibt viele Dinge, die Christi Gemeinde nicht thun kann, weil sie zu träge
ist. „ W a s , " sagt ihr, „nennst du uns träge?" Nein, Brüder, ich will nichts
derart thnn. Wenn einige von euch sich znfällig so nennen sollten, so würde
es mir die Mühe sparen. Ich fürchte, daß ich gewisse Prediger tadeln müßte,
weil sie zu nachlässig in Gottes Werk sind, und mir ist bange, daß viele andre
Knechte Gottes nicht allzu fleißig sind. Trägheit weigert sich, die Schlacht-
trompete zu blasen, und der Kampf beginnt nie, und deshalb wird der Feind
nicht ausgetrieben.
Dann ferner waren sie durchaus nicht begierig, mit den Kriegern, welche
diese Wagen bemannten, zusammenzutreffen, denn sie w a r e n bange. Diese
Männer von I u d a waren Feiglinge, wenn eiserne Wagen ihnen gegenüber
22'
Z40 Nlttestamentliche Bilder.

standen, und was kann ein Feigling thun? Er ist groß im Dcwonlanfen.
Man sagt: „er mag leben, um an einem andren Tag zn fechten." Er nicht:
er wird leben, aber er wird nicht leben und fechten, verlaßt euch darauf, an
einem andren Tage ebensowenig wie an dein hentigen. Sein Herz ist in seinen
Zacken, und er wird seinem Feind den Nucken zeigen, sobald der Streit heiß
ist. Wir müssen mächtig zu Gott rufen, daß Er uns von Feigheit befreie,
dann werden wir vollbringen, was wir jetzt für unmöglich halten.
Lieben Freunde, von feiten Judas war keine Entschuldigung
h i e r f ü r , wie es in Wahrheit keine Entschuldigung für uns gibt, wenn wir
irgend einen Teil von dem Werke Gottes für zu fchwer halte», — denn er»
innert euch, es war eiue spezielle Verheißung gerade für diesen Fall
gegeben. Sehet nur freundlichst den ersten Vers im zwanzigsten Kapitel des
fünften Buches Mose an, und ihr werdet finden, wie der Herr spricht:
„Wenn du in einen Krieg ziehest wider deine Feinde, und stehest Rosse und
Wagen des Volks, das größer fei, denn du, so fürchte dich nicht vor ihnen,
denn der Herr, dein Gott, ist mit dir." Wenn eine spezielle Verheißung für
einen Fall der Not gegeben ist, wer sind wir, daß wir uns durch eine
Schwierigkeit niederschlagen lassen? Außerdem empfingen sie einen speziellen
Auftrag. Leset den zweiten Vers des Kapitels, aus dem unser Text
genommen ist: „Der Herr sprach: Iuda soll ih» führen. Siehe, ich habe
das Land in seine Hand gegeben." Eiserne Wagen oder nicht, Gott hatte das
Land in ihre Hände gegeben. Überdies hatte ihr Gott größere Dinge
gethan, als diese: Er hatte das Note Meer geteilt und die Reiterei Ägyptens
ertränkt; Er hatte den Jordan in zwei Hälften geteilt und sein Volk trocknen
Fnßes hindurch geführt, und Er hatte die Mauern Jerichos umfallen lassen.
Warum ward Ihm denn mißtraut wegen dieser elenden eisernen Wagen?
Kommt dann, Brüder und Schwestern, seid ihr bei persönlichen Ange«
legenheiten in die Enge getrieben, und sagt ihr hellte abend: „Ich kann nicht
darum beten, ich kann Gott nicht darin vertrauen?" Ist das recht? Forscht
in eurer Bibel und seht, ob nicht eine Verheißung da ist, die genau auf
eure besondere Lage paßt? Seht zurück auf eure eigne Erfahrung, ob Gott
nicht schon für euch und andre feiner Kinder etwas Größeres gethan hat, als
eure gegenwärtige Not erfordert? Warum wollt ihr sagen, daß ihr nicht die
eisernen Wagen austreiben könnt? Seid guten Muts und geht vorwärts.
Gott ist im stände, euch zu befreien, darum fürchtet euch nicht. Er wird euch
geben, was euch not thut; seid unverzagt. Vielleicht liegt eure Schwierigkeit
iu einem heiligen Werke für Gott. I h r habt fchon etwas gethan, wofür ihr
Gott preiset, und nun wird euch ein neues Werk vor die Thür gelegt, von
dem ihr sagt: „Nein, ich kann es nicht unternehmen: ich fühle mich dem
nicht gewachsen." Was! Nicht, wenn der allmächtige Herr gesagt hat:
Eiserne Wagen. 341

„ I c h will mit dir sein?" Antwortest d u : „Ich könnte fast alles thun, nur
nicht dies?" Bist du gewiß, mein Bruder, daß du fast alles thun könntest?
Meinst du nicht, daß, wenn dir eine andre Aufgabe gestellt wäre, diese dir
ebenso schwer sein würde? Wenn Gott befiehlt, ist es da recht, zu forschen,
warum? oder auch nur eine Frage zu thun? Laßt uns ans Werk gehen,
meine Brüder; und je größer die Gefahr, je größer die Arbeit, je größer die
Schwierigkeit, um so völliger wollen wir uns auf unsren Gott werfen und
I h m die Ehre geben, wenn das Werk vollbracht ist. I h r wißt nicht, was ihr
thun könnt, ihr seid allmächtig, wenn ihr mit Gottes Allmacht umgürtet seid;
ihr seid weise, wenn Gott euch lehrt, stark, wenu Gott euch aufrecht hält.
Die Fähigkeiten, die in einem Menschen liegen, sind größer, als er weiß, und
die Fähigkeiten, die Gott einem Menschen verleihen kann, sind größer, als er
träumt. Deshalb vorwärts im Namen des Höchsten!
Ein Unbekehrter ist hier, der daran gedacht hat, zu Christo zu kommen,
aber er sagt: „ I c h kann nicht all meine Süudeu aufgeben, eine uon ihnen
muß ich behalten: von allen übrigen kann ich lassen, aber diese eine ist
unbezwillglich, denn sie hat eiserne Wagen. Ich kann sie nicht austreiben."
Diese Sünde muß sterbe«! oder du wirst durch sie umkommen. Verlaß dich
darauf, die Sünde, die du uom Tode retten willst, wird dich töten. „Aber
ich bin in einem so sonderbaren Verhältnis, und es sind so viele eigentümliche
Umstände bei meinem Fall." J a , ich weiß, eigentümliche Umstände finden
sich bei allen Meuschen, die zur Hölle fahren, aber sie löschen das Feuer nicht
für sie. „Aber wir müssen leben." Müßt ihr? Ich sehe keine Notwendigkeit
dafür in meinem eignen Falle. Ich weiß, daß ich Gott dienen muß; aber
ob ich lebe oder nicht, das ist eine Sache von untergeordneter Bedeutung.
Es ist unendlich viel besser, zu sterbeu, als Unrecht zu thun. Diese Not»
wendigkeit zu leben, ist nicht ganz so klar, wie manche Leute auuehmeu.
Warum müßt ihr leben? Die Märtyrer thaten es nicht. Sie fühlteu, daß
sie für Christum und seine Wahrheit zeuge» müßten, uud sie fanden ihren
Rühm darin, lieber zu sterbeu, als etwas Unrechtes zu thun. I h r werdet
vielleicht dazu nicht gebracht werden, aber ihr solltet bereit dazu sein. Seid
nicht in solchen! Fieber wegen dieses armen Lebens. I s t nicht die Seele
mehr als der Leib? „ J a , aber ich kann die Schwierigkeit, die ich habe,
nicht erklären." Nein; und ich versuche es nicht. Werfe die Sünde hinaus.
Das ist das einzige, was damit zu thun ist; und je mehr du sie liebst, desto
schneller solltest du sie austreiben, denn sie liegt augenscheiulich deine»! Herzen
nahe, wo sie großen Schaden thu» kann. „Wohl, es ist keine der gröbere»
Sünden." Nein, es ist eine von den resvektabeln Sünden, die so schwer los
zu werden siud. D u mußt sie austreiben. Ich habe bemerkt, daß, wenn
342 Mttcstllmeutliche Bilder.

jemand meine Tasche bestiehlt, es immer ein respektabel aussehender Mann


ist. Wenn jemand ein Spitzbube ist, so sieht er sicher wie ein ehrlicher
Mann aus, um den Leuten Vertrauen zu erwecken. Die Sünde muß aus»
getrieben werden, auch wenn sie einen eisernen Wagen hat. Gewisse Christen
beschließen in ihrem Herzen, daß gewisse Sünden bei ihnen geduldet werden
müssen. Ich kenne einen, der von Natur ein hitziges Temperament hat und
jedesmal, wenn er in heftige Leidenschaft gerät, ausruft: „Ich kaun's nicht
ändern, es ist meine Natur so." Statt vor Gott zu weinen und zu geloben:
„Ich will diese Leidenschaftlichkeit bemeistern, Gott ist allmächtig, uud Er kann
mein Temperament zu einem gemäßigten machen" — statt dessen sagt er, daß
alles andre in ihm überwunden werden kann, aber nicht diese Sünde, weil sie
in seiner Natur liegt. So habe ich Persouen gekannt, die geizig und filzig
waren. Die Gnade Gottes hat alles für sie gethan, nur nicht sie dahin
gebracht, eine Mark wegzugeben, und sie setzen voraus, daß sie mit ihrer
geizigen Natur in den Himmel kommen werden, als wenn der Herr solche
Leute da hiuein ließe. Die Selbstsucht wird von ihnen als eine der Sünden
bezeichnet, die eiserne Wagen haben, nnd die sie nicht besiegen können. „ I h r
wißt, wir haben alle Sünden, die uns überfallen," sagt der eine. Was
meinst du damit? Eine Sünde, in die dn oft fällst? Wenn ich heute abend
über einen einsamen Platz ginge und ein halb Dutzend Männer mich anhielten,
so würde ich sagen, daß ich überfallen sei; aber wenn an einem bestimmten
Platz mir regelmäßig ein solcher Trupp bcgeguete, so würde ich nicht sagen,
daß ich überfallen fei. Ebenso ist die Sünde, die ein Mensch sick) oft verstattet,
keine, die ihn überfällt (Hebr. 12, 1. engt. Üb.): es ist seine Lieblingssünde,
eine Sünde, die sein Verderben sein wird. Eine „überfallende" Sünde ist
eine, die sich einem Menschen aufzwingt, uud ehe er's sich versieht, ihu bei der
Gurgel ergreift und ihn niederwirft. W i r müssen wachsam sein, so daß wir
das nächste M a l , wenn die Versuchung kommt, ihr entfliehen mögen. Laßt
uns dem Vösen den Krieg erklären uud fagen: „Es nützt nichts, daß du mich
angreifst: ich will dich angreifen uud besiege» durch den Glauben an Iesum
Christum." Die Sache ist, Brüder uud Schwestern, wir müssen keine Sünde
in uns dulden; wenn wir sie in unsren Brüdern entschuldigen, gut und recht
das; aber laßt uns für uns selbst niemals eine Eutschuldigung machen oder
annehmen. Sünde in uns ist zehnmal schlimmer als Sünde in andren.
Wenn ein Unbekehrter sündigt, so ist das schlimm genug; aber wenn einer
das Wort der Gnade gefühlt und fein Haupt au Christi Brust gelehnt hat
und dann in Sünde fällt, welche Entschuldigung kann für ihn dargebracht
werden? Keine. Laßt uns blutige Thränen weinen, weil wir so sündigen.
W i r werden noch die eisernen Wagen besiegen. W i r wollen heute abend den
Handschuh hinwerfen und im Namen Gottes wollen wir sie überwinden.
Eiserne Wagen. 343

III.
Zum Schlüsse: Laßt uns des Sevrn Macht gerechtfertigt sehen.
Gerade zu der Zeit ging der tapfere, alte Kaleb, auf seinen Stab gelehut,
nach Hebron. Als er ein jüngerer Mann war, sandte Mose ihn als einen
Kundschafter aus, und bei dieser Gelegenheit kam er in die Nähe von Hebron
und sah dort drei furchtbare Männer aus dein Geschlecht der Niesen; ich
nehme an, sie waren acht bis zehn oder zwölf Fuß hoch. Er sah sie, und die
mit ihm waren, wurden bange. Sie sprachen: „ W i r waren uor ihren Augen
als die Heuschrecken." Aber Kaleb war nicht im geringsten bange. Er sprach:
„Gott ist nicht mit ihnen, uud sie werden leicht überwuuden werden." Als
sie vierzig Jahre später in das Land kamen, bat Kalcb nicht um seine Stadt,
sondern als selbstloser Mann stritt er, um andren Städte zu gewinnen. Als
das gethan war, sagte er: „Hebron ward mir gegeben. Ich muß ausgehen
und es erobern; die Niesen, die ich vor Jahren dort sähe, werden wohl nicht
kürzer gewordeu sein; ich muß sie uiederhaueu." Fort giug er, uud es erwies
sich so, wie er gesagt; in seinem Greisenalter war er fähig, jene drei Söhne
Enaks zu schlagen und ihre Stadt in Besitz zu uehmeu.
Ich könnte euch von heiligen Frauen erzählen, die schwach und trank,
kaum fähig, ihr Vett zu verlassen, doch Werke thun, die manchem starken
Christen zu schwer zu uutcrnehmeu scheinen. Habe ich »licht alte Männer in
ihrer Schwachheit das für den Herrn thnn sehen, dessen jüngere Männer sich
geweigert? Könnte ich cnch nicht einige nennen mit nur einem Pfunde —
sicherlich nicht mehr — die herrliche Zinsen des Nuhmes ihrem Herru und
Meister bringen, während ihr feinen, jungen Herren mit zehn Pfuudcn sie alle
ins Schweißtuch gewickelt und in die Erde vergraben habt? Ich wünsche, ich
könnte mich selbst uud jeden Arbeiter hier in Werke hineinschämen, die Un-
gläubige in Staunen sehten. Gott helfe uns, das zu thuu, was unmöglich
scheint. Mögen die Menschelt dazu gereizt werden, uns Fanatismus uud
Schuld zu geben. Gott segne den Fanatismus, der, wenn er übersetzt wird,
nichts bedeutet als einen wahren Glanben an den lebendigen Gott.
Möge Gott uus helfeu. I h m zu vertrauen, wie man I h m vertrauen
soll, und vorwärts zn gehen, bis wir alle seine Feinde austreiben trotz ihrer
eisernen Wagen, so daß dem Herrn die Ehre in Ewigkeit sei. Amen.
344 Alttestamentliche Bilder.

23.

Bochim oder: die Weinenden.


„Uno da der Engel des Herrn solche Worte sseredet hatte zu
allen Kindern Israels, hob das Volk seine Stimme auf uud wciute.
Und hießen die Stätte Vochim, und opferten daselbst dem Herrn."
Nicht. '2, 4. 5.

3aßt mich euch einen Umriß des Kapitels geben, damit wir den Text
in feine richtige Einfassung bringen.
Gott hatte seilt Volk aus Ägypten gebracht und den Jordan geteilt,
damit sie trocknen Fußes in das Land ziehen könnten, das Er ihren Väter
verheißen hatte. Er gebot ihnen, die Kananiter auszutreiben, eine Nasse, die
so ekelhaft in Gottes Angen geworden war, daß Er ihre Vernichtung beschloß
und die Stämme Israels zu Vollstreckern seines Urteils bestimmte. Es war
zum Besten der ganzen Welt, daß dieses Pcsthaus abgebrochen nnd die ver>
derbten Rassen vernichtet wurden; und Gott gab seinem Volk den Auftrag,
dies auszuführen. Diejenigen, welche diese Anordnung tadelt«, sollten sich darall
erinnern, daß dies nicht das einzige Beispiel ist, wo die Ureinwohner durch
eine höhere Nasse ausgetrieben worden sind. Unsre angelsächsische Nation trieb
die ursprünglichen Bewohner dieser Insel aus, die nur in den Gebirgen von
Wales und Cornwall und in den Hochländern Schottlands übrigblieben. Es
wird sicherlich nicht weife von uns als Angelsachsen sein, Israel zu verurteilen,
weil es auf göttlichen Befehl das that, was unsre Vorfahren zu ihrer eignen
Vergrößerung thaten. Ach, in neuere» Zeiten hat der weiße Mann Länder
in Besitz genommen und Völker vertilgt ohne göttliche Vollmacht und ohne
vernünftige Entschnldigung. W i r rechtfertigen dies alles nicht; aber wenn man
nber Israel klagt, weil es der göttlichen Stimme gehorchte, fo möge man erst
seine Stimme gegen das Austreiben der alten Nassen dnrch Kolonisten unsrcr
eignen Nasse erheben.
Der Befehl, die Kananiter zu erschlagen, hatte einen zweiten Endzweck,
nämlich, daß die Israeliten allein in dem Lande wohnen und für sich allein
Bochim oder: die Weinenden. 345

bleiben sollten — die großen Nonkonformismen der Welt — abgesondert von der
übrigen Menschheit durch Wohnung sowohl als durch Sitten, nicht den Ge-
wohnheiten der Völker umher folgend oder in ihre Sünde geratend. Damit
sie geheiligt würden, sollten sie abgesondert sein. „Das Volk wird besonders
wohnen und nicht unter die Heiden gerechnet werden." Nun, beachtet und
bemerkt wohl, daß es ein böses Ding ist, unter irgend einem Vorwand,
welcher es auch sei, in irgend einem Maße von dem Gebot Gottes abzu»
weichen. Was immer auch das Gesetz sei, das Gott gibt, dem ganzen
Menschengeschlecht oder seinen Erwählten, sie werden ihre Sicherheit darin
finden, sich genan daran zu halten. Aber Israel vergaß dies. Kriegfnhren
war schwere Arbeit — Städte stürmen uud mit Männern kämpfen, die mit
eisernen Wagen angriffen, war heldenmütiger Dielist. All dieses erforderte
starken Glauben und unermüdliche Ausdauer, und an diesen Tugenden
mangelte es den Israeliten sehr; deshalb sprachen sie an einigen Stellen zu
den Kananitern: „Laßt uns Nachbarn sein; laßt uns zusammen wohnen."
Sie meinten vielleicht reichliche Ursache zu haben, den Streit alls so leichte
Weise zu enden; denn die, welche die unfehlbare Weisheit verbessern wollen,
haben gewöhnlich sehr viel für sich zu sagen. Gewisse Leute dachten in jenen
Tagen, daß die Vorstellung von Gottes Forderungen zu strenge fei, daß Er
im Grunde doch eine Masse von Barmherzigkeit wäre, und daß das beste,
was sie thun könnten, sei, freundlich, tolcraut gegen diese Kananiter zu sein
und so glltc Bedingungen wie möglich mit ihnen zu machen. Sie sagten, es
sei eigentlich doch schade, so altmodisch nnd so strenge beim Vollziehen des
göttlichen Befehles zu sein, es wäre besser, etwas von der Bildung der Kana-
niter zu lernen, etwas von ihren Künsten und Wissenschaften, etwas von ihren
Religionstheorien; denn man müßte liberalen Ansichten huldigen nnd glauben,
daß latente Wahrheit in allen Formen der Gottesverehrung sei. Jedenfalls
könnte es keinen Schaden thun, ihre Archäologie zu studieren, in ihre Tempel
zu gehen, die Götter zu sehen, die sie verehrten und eine allgemeine Kenntnis
des Fortschritts jener Periode zu gewinnen; denn die Kananiter waren ein
sehr fortgeschrittenes Volk, sie waren die fortgeschrittenen Denker ihrer Zeit.
Sie hatten sich Götter und Göttinnen erdacht, Baal und Astharoth, uud ihrer
untergeordneten Gottheiten waren viel: sie waren in der That ein hoch-
gebildetes Volk, das stets etwas Neues erdachte. Deshalb sagte I s r a e l : „Es
wäre schade, die göttliche Androhung bis auf den Buchstaben auszuführen.
Wir wollen sie ein wenig mildern. Es ist vieles von diesen Lenten zu lernen.
Ohne Zweifel haben sie ihre guten Seiten, uud wir müsscu ihre Unvollkolmn-
heiten nicht zu hart beurteilen. Deshalb wollen wir Verträge mit ihnen
schließen und mit ihnen leben." Und sie lebten mit ihnen und gerieten ails
ihre Wege. Toleranz führte zur Nachahmung. Israel ward so lasterhaft
346 Alttestamentliche Bilder.

wie die Heiden, welche Gott verurteilt hatte, und die zwölf Stämme wurden
eine gemischte Nasse, in deren Adern ein Maß kananitischen Blutes stoß. J a ,
wenn ihr um eines Haares Vreite von Gottes Wort abweicht, so wißt ihr
nicht, wo es enden wird. Es bedarf nur wenig, um einen Christen zu einem
Nitualisien herabzuwürdigen, und noch weniger, um einen Ritualistcn in einen
Romanisten zu wandeln. W i r werden weit gehen, wenn wir uns einmal auf
die abschüssige Bahn begeben. Ich wollte zu Gott, daß wir in diesen cnt>
arteten Zeiten etwas uon dem strengen Geist der Kameronianer nnd der
Covenanter zurück hatten; denn die Menschen spielen jetzt mit Gott und
denken, daß alles, was ihnen gefällt zu thun, den Höchsten zufriedenstellen
wird. Der Abfall und Ausfchuß ist gut genug zum Opfer für I h n ; aber
strengen Gehorsam gegen sein Wort, den können sie nicht aushalten. Unheil
wird sicher aus diesen! laxen Stand der Dinge für die Gemeinde uusrer Tage
erwachsen, so gewiß, wie reichliche Trübsal über Israel kam.
Veachtet ferner, daß wir jedesmal, wenn eine Sünde zugelassen wird,
sagen können: „ G a d , eine Schar kommt." (1 Mose 49, 19.) Es schien
eine verzeihliche Sünde, milde gegen diese Leute zn sein und nicht Gottes
strengerem Wort zu gehorchen; aber, was folgte darauf? Nun, bald fand man
sie, die Kinder Iehovnhs, den schrecklichen Vaal verehren. Vald waren sie
weiter gegangen und die unreine Göttin Astharoth wnrde ihre Freude; und
darauf vergaßen sie Jehovah ganz unter ihren Gottheiten nnd Dämonen. M i t
diesen Irrtümern in der Religion waren alle Arten Irrtümer in der Sittlich»
keit eingedrungen, denn jede Art Unsittlichteit und Ansschweifnng verunreinigte
die Anbeter des Vaal-Peor, Vaal-Verith und Vaal'Zebnb; und das aus-
erwählte Volk Gottes konnte kaum uon den Heiden, unter denen es wohnte,
unterschieden werden, oder wenn es unterschieden ward, so war es durch seine
größere Sünde, da es wider höheres Licht übertrat und seines Gewissens
Stimme erstickte, das Gott dnrch seine Lehre weit zarter gemacht hatte, als das
Gewissen der umwohnenden Völker. Ich sagte vorhin, wenn ihr euch von
Gottes Worten um eines Haares Vreite abwendet, so wißt ihr nicht, wo es
enden wird. Die Schienen laufen nur ein wenig auseinander, wo die Wagen
zuerst gedreht werden, aber nicht lange, so ist die Zweigbahn meilenweit von
der Hauptliuie entfernt. Gehe nnr ein wenig zurück, und du bist auf dem
Wege zu gänzlichen! Abfall. Die Mutter des Unheils ist so klein wie das Ei
einer Mücke: Hecke es aus, und du wirst einen bösen Vogel sehen, größer als
ein Strauß. Das geringste Unrecht hat fast eine Unendlichkeit von Vösem in
sich. D n kannst nicht zu der Sünde sprechen: „ V i s hierher sollst du kommen,
und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen." Wie das Meer,
wenn der Deich gebrochen, streckt sie ihre Hand aus, das ganze umliegende
Land zu ergreifen. Der Anfang der Sünde ist wie der Anfang eines Streites,
Vochim oder: die Weinenden. 347

und von diesem sagt m a n , daß er dem Einbrechen des Wassers gleicht:
Niemand weiß, was für eine Flut kommen mag, wenn einmal die Dämme
geborsten sind. S o ging Israel weiter und weiter von Gott weg, weil es
nicht acht hatte ans seinen Weg und nicht in allen Dingen dem Herrn
gehorchte.
Aber nun tritt eine Wahrheit dazwischen, die, ob sie gleich schwarz beim
Erzählen scheinen mag, doch ihrem Wesen nach hell ist. Gott ließ sein Volk
nicht ohne Züchtigung. Hätte Er sie sich selbst überlassen und sie ihren Götzen
dahingegeben, so würde ihr Fall ein hoffnungsloser gewesen sein. Ans Er»
barmen mußten sie für ihre Übertretungen gestraft werden: aber dies war
eine gnädige Strafe, damit sie nicht liegen bleiben und sich in ihren Nber-
tretuugen wälzen möchten und ganz den schweinischen Völkern gleich werden,
die sie umgaben. Gott begann sie dnrch ihre eignen Sünden zu strafen. Er
ließ die kananitischen Völker stark werden, so daß sie Israel schwer bedrückten.
Er gab die Israeliten unter das Joch dieser Völker, die sie gänzlich hätten
ausrotte» sollen. Wenn sie nicht Sieger sein wollten, so sollten sie besiegt
werden. Wenn sie nicht „das Gefängnis gefangen führen" wollten, so sollten
sie selbst als Gefangene geführt werden. Der Herr ließ seine Schläge dicht
uud schwer auf sie fallen. Aber, ehe Er diefes that, sandte Er einen Voten,
ihnen ihre Sünde vorzuhalten. Es ist stets des Herrn Weise, Raum zur
Vuße zu gebeu, ehe Er die Strafe vollzieht. Die Äxte, welche die Liktoren
den römischen Nichtern vorantrngen, waren in Vündel von Ruten eingebunden.
Wenn ein Gefangener vor dein Gericht stand, so begann der Liktor, die Nuten
loszumachen, und mit diesen ward der Schuldige geschlagen: währenddessen
schaute der Nichter iu das Gesicht des Gefangenen und hörte seiue Ver-
teidigung, uud wenn er Grund sah, das Todesurteil abzuwenden um der
Neue willen, die der Missethäter zeigte, dann schlug er ihn nnr mit der Nute,
aber die Art blieb ungebraucht. Aber weun, nachdem jede Nute abgenommen
war, der Schuldige noch verhärtet blieb, und das Verbrechen ein todeswttrdiges
uud klar bewiesenes war, dann wurde die Axt gebrancht; und um so strenger
gebraucht, weil Nauin zur Vuße gegeben und die Nuten vergeblich gebraucht
worden waren. Wenn die Nute verachtet wird, so ist die Art bereit. Es ist
sicher so mit Gott: Er harret darauf, gnädig zu sein, aber wenn seine Geduld
uicht auf Vuße hoffen kann, dann kommt die Neihe an die Gerechtigkeit, und
ihr Streich ist furchtbar.
Der Herr beauftragte bei dieser Gelegenheit einen speziellell Voten damit,
dem Volk die Sünde vorzuhalten, denn Er sandte einen Engel. Ich überlasse
es eurem eignen Urteil, herauszufinden, wer dieser Engel war, wenn es aus«
findbar ist. Es mag ein gewöhnlicher Engel gewesen sein, aber ich denke, es
muß der Engel des Herrn gewesen sein. Er wird im vierten Verse so ge°
348 Alttestamentliche Bilder.

nannt und außerdem gebraucht er eine Sprache, die ein gewöhnlicher Engel
nicht hätte brauchen können. Er beginnt: „Ich habe euch ans Ägypten
heraufgeführet." Beachtet, er sagt nicht, daß der Herr dies oder das ge»
sprochen, sondern der Engel selbst sagt es: „Ich habe euch aus Ägypten
heraufgeführet und ill das Land gebracht, das ich enren Vätern geschworen
habe." Wer könnte dies also gewesen sein, als jener Vundesengel, der bei
andren Gelegenheiten heiligen Männern erschien nnd der bei dieser Gelegenheit
der versammelten Menge zu Silo eine Predigt hielt? Meine Brüder, ihr
wißt, daß unser Herr manches M a l hier nnter den Menschen war, ehe Er im
sterblichen Fleisch kam, zn leiden und zn sterben; Er war hier nnd „spielte auf
dem Erdboden nnd seine Lnst war bei den Menschenkindern." (Spr. Sal. 8, 31.)
Er war bei Abraham nnter dein Baum, bei Jakob am Iabbok, bei Iosua
vor den Mauern Jerichos, bei Gideon auf der Dreschtenne und mit den drei
Männern im Feuerofeu Nebukadnezars. Nicht ill eiuem solchen Leibe, wie
Gott I h m bereitet hatte, als Er die Knechtsgestalt an sich nahm, sondern ill
einer Form und Gestalt, wiesieseiner göttlichen Majestät und den Umständen
derer, die Er besuchte, am angemessensien schien, kam dieser Ellgel des gött-
lichen Bundes, und sprach zu diesem Volke. So ist das Urteil vieler, die am
meisten darüber nachgedacht haben; aber ich überlasse euch die Entscheidung.
Jedenfalls mnß es großartig gewesen sein, einen Engel predigen zu hören,
und noch großartiger, den Ellgel des Vnndes mit dem Volk des Bundes reden
zu höreu. O, was für eiue Predigt! Was für eine Predigt muß es ge<
wesen sein! Kaum war je eiu solcher Prediger auf der Erde gesehen. Und
dennoch bewirkte diese Predigt nicht so viel Gntes, als da der Seefahrer
Petrus am Pfingsttage predigte. Die Predigt zu Bochim, wenn ich ihre
Resultate zusammenfasse, endete mit einem Fehlschlagen. Als nnser Herr
Christus selbst zu den Männern von Nazareth predigte, wollten sie I h n von
dem Gipfel des Berges hinabstürzen, so daß alle seine beredten Worte tauben
Ohren gepredigt waren, uud nicht einmal alls seiner Belehruug ein gntes
Resultat sich ergab. Sei nicht mutlos, Knecht Gottes, wenn es dir manchmal
zu mißlingen scheint. Sprich nicht: „Ich will es aufgeben." Dein Brot ist
nicht aufs Wasser geworfen worden. Warte eine Weile, denn nach vielen
Tagen magst du es finden. Wenn Israel nicht gesammelt wird, so wird
Gott dich doch für deine Arbeit belohncn. Deine Sache ist's, zu arbeiten;
Gottes Sache ist es, die Resultate zu geben; und Er gewährt nns nicht
immer sogleich angenehme Resultate. E r verlieh diesem Eugel des Herrn
keine großen Triumphe, wie wir euch zu zeigen haben werden. Es war cille
große Gemeinde; es war ein großer Prediger; es war eine große Predigt,
und doch war keine große Ernte von Seelen. Leset die Predigt durch; uud
bemerkt, daß, obgleich kurz, sie doch um dieser Kürze willen uni so größer ist.
Vochim oder: die Weinenden. . 349

Predigte» mögen klein werden dadurch, daß sie lang sind, und eine Predigt
mag groß sein, weil knrz, wenn sie voll Gedanken ist, wie diese Engelpredigt
es war.
Er begann damit, ihnen zu sagen, was f ü r G na den gab en sie er-
h a l t e n hätten. Leset das Kapitel. „ I c h habe euch ans Ägypten heraus-
geführt, und in das Land gebracht, das ich enrcn Vätern geschworen habe."
Brüder, dieses sollte nns sehr schnell zur Buße führen, — daß Gott so gut
gegen uns gehandelt hat, sollte uns traurig machen, wenn wir uns so schlecht
gegen I h n benommen haben. Spreche ich zn einem rückfälligen Kinde Gottes?
Ich denke nicht, daß irgend eine Übung eurem Herzen wohlthätiger sein wird,
als die Erinnerung an das, was Gott in vergangenen Jahren gethan hat.
Er zog euch aus der gransamen Grnbe und ans dem Schlamm nnd stellte
eure Füße auf einen Felsen. (Ps. 4l), 3.) Er hat euch aus der eiserneu
Knechtschaft eurer Verzweiflung herausgebracht und euch Freiheit gegebeu. Er
zerbrach das Joch fündiger Gewohnheiten und die Ketten wütender Leiden»
schaften; und nun habt ihr euch oon I h m verirrt? Macht ihr etwas andres
zum Gott eures Geistes? Weuu das, so schämt ench eurer Undankbarkeit und
laßt diesen ersten Teil der Rede des Engels Macht über eure Seelen haben.
„ I h r behandelt keinen andren Freund so schlecht;" nnd doch habt ihr keinen
Freund, der mit enrem Gott verglichen werden kann. „ I c h ermahne euch,
liebelt Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet
zum Opfer, das da lebendig sei," und nicht länger gegen Gott sündigt.
Dann ging der Engel weiter und uannte die G a b e n , die i h n e n ver-
heißen w a r e n : „Ich sprach, ich wollte meinen Bund mit ench nicht nach-
lassen ewiglich." O, das ist ein gesegnetes Thema. Wenn du in der That
an Iesum Christum glaubst, so hat sich der Herr verbürgt, dich vollkommen
zu machen und dich mit großer Freude heim zu sich selber zu bringen. D u
sollst nicht umkommen. Christus hat gesagt: „Ich gebe meinen Schafen das
ewige Leben; und sie werdeu nimmermehr umkommen, und niemand wird sie
mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer,
denn alles; und niemand kann sie aus meiues Vaters Hand reißen." D u
siehst die zwei Hände — eine innerhalb der andren, und du in der mittelsten,
eingeschlossen innerhalb der Hand allmächtiger Treue. Jehovah spricht: „ I c h
habe dich je und je geliebet." Er wird nie seinen Bund mit dir brechen.
Willst du von I h m hinweggehen, der deine Missethat, Übertretung uud Sünde
vergibt und seinen Zorn nicht ewig währen läßt über dich — Er, mit dem
du durch eiue ewige Vermählung verbunden bist, die nie eine Scheiduug
kennen wird? O, grausames Herz! grausames Herz! Kannst du gegen solche
Liebe, wie diese, sündigen? Kannst du mit Gott brechen, wenn Er erklärt,
daß Er nie mit dir brechen will? Der Engel macht diese Langmnt, diese ewig
350 Alttestllmentliche Bilder.

dauernde Liebe geltend, und thut es mit Recht. Ich kenne keine stärkere
Argumente, als empfangene Barmherzigkeit und verheißene Barmherzigkeit.
Laßt uns nicht gegen diese sündigen. Möge der Heilige Geist uns mit diesen
Seilen der Liebe festhalten.
Und dann faßte der Ellgel sie hart an und sprach: „ I h r solltet uicht
einen Bund machell mit den Einwohnern dieses Landes, und ihre Altäre zer«
brechen. Aber ihr habt meiner Stimme nicht gehorcht. Warum habt ihr
das gethan?" Er kam zu ihrer S ü n d e , er legte den Finger ans ihre
Fehler, ihr Unterlassen und ihr Begehren. Er versäumte nicht, ihnen genall
zu sagen, was ihre Übertretung war und sie zu fragen: „Warnm habt ihr
das gethan?" Und, o gewiß, dies wird helfeil, uus zur Buße zu führen,
wenn „Gott unsre Missethat vor sich stellet, unsre unerkannte Sünde in das
Licht vor seinem Angesicht." Wenn wir unsre Sünde sehen, sollten wir
erschrecken und davor fliehen, als wenn der Boden unter unsren Füßen brennte,
wie man sagt, um sie ein für allemal los zu werden. O, möge der Geist
Gottes jeden Verirrten hier von seiner Sünde überführen, und möge er dann
mit bußfertigem Herzen zu Gott sich kehren. Der Engel verhandelt mit ihnen
in sehr sorgfältiger Art, indem er sprach: „Warnm habt ihr das gethan?"
Warum habt ihr euch voll Gott abgekehrt? Warnm seid ihr dem Befehl, der
euch fo bestimmt gegeben ward, ungehorsam gewesen? Wißt ihr nicht, daß
der verflucht ist, der des Herrn Werk lässig lhut? I h r habt ungehorsam ge»
handelt und habt eiue schreckliche Vergeltung auf euch gebracht; aber warum
habt ihr dies gethan? Rückfälliger, bist du heute abend hier? Bist du voll der
christliche» Gemeinschaft weggegangen und hast das Bekenntnis der Religion
verlasseu? Warum hast du das gethan? Kannst du einen Grund nennen,
der das Licht vertragen kann? W i r wissen, daß dn es uicht kannst. Es ist
keine Vernunft in der Sünde, keine Rechtfertigung für Missethat. Gottlosig»
keit ist Wahnsinn. Irréligion ist uuveruünftig. Ungehorsam gegell Gott ist
eill Bruch jedes Gesetzes gesunder Vernunft uuo Logik. I u Gottes Schöpfung
ist es uuvernünftig, unnatürlich, uugeheuerlich, wenn das Geschöpf sich gegen
den Schöpfer empört. Warum habt ihr das gethau? „Kehret um, kehret u m ;
warum wollt ihr sterben, o Halls Israel?"
Dann vollendete der Engel seine Rede, indem er ihnen erklärte, daß
weitere Züchtigungen sicher folgen würden. Er war nicht gesandt, das
Evangelium zu predige», und deshalb ist sein Thema uicht die Gnade. Er
war gesandt, das Gesetz zu predige», und er predigte es. Hört das Gericht,
das er verküudet: „ D a sprach ich auch, ich will sie nicht vertreiben vor
euch, sondern sie sollen wie Dornen in eurer Seite sein, uud ihre Götter
sollen euer Verderben sein," — so wird die Stelle von einigen übersetzt. Es
war eine gerechte, aber schreckliche Drohung, die er so in ihre Ohren donnerte.
Vochim oder: die Weinenden. 351

Beachtet es. Sie sollten durch ihre eigne Sünde bestraft werden. Es war
so gnt, als wenn der Herr gesprochen: „ I h r wolltet sie nicht austreiben,
und nun will ich sie nicht austreiben. Eure Nachlässigkeit und Unbeständigkeit
soll euch heimgegeben werden und Dornen in euer leidendes Fleisch bringen.
Eure Unterlassung soll ench stechen, wo ihr es sichten werdet. I h r habt Disteln
gesäct, und mit Dornen soll ener Kopfkissen gefüllt werden."
Dann sagt er ihnen, wie scharf nnd spitzig diese Sünden für sie sein
sollten. „ S i e sollen wie Dornen in euren Seiten fein;" euch pricken in einem
eurer zartesten Teile — ill dein eigentlichen Sitz des Lebens. Wohin ihr
ench wendet, sollen diese eure Sünden — diese Feinde, die ihr schontet —
euch ill die Seite stechen, und ihre Götter sollen eller Verderben sein. I h r
liebäugelt mit ihren falschen Göttern und haltet sie für cnre Ehre, aber sie
sollen enre Unehre sein. Die Heiden mögen ans sie uertranen, aber ihr sollt
es nicht können. Sie sollen euch eine Schlinge und ein Schaden sein.
Was für eine Predigt war das! Wie ich schon gesagt, es war eine
große Veranlassung, eine große Gemeinde, ein großer Prediger, eine große
Predigt, und soweit man auf der Stelle wahrnehmen konnte, ward eine große
Bewegung hervorgebracht.
Nnll wünsche ich, daß ihr das beachtet, was aussieht wie ein großes
Resultat; wir wollen in zwei Teilen dauon reden. Das Volk, als es diese
erliste Rede gehört, hob seine Stimme auf und weinte, dennoch blieben sie,
wie sie waren. W i e h o f f n u n g s v o l l ! W i e täuschend!

I.
W i e h o f f n u n g s v o l l ! M a n konnte allscheinend nichts Besseres wünschen.
S i e w a r e n a l l e aufmerksame H ö r e r . Es war nicht e i n e r da, der
umher blickte oder der die scharfen Worte vergaß, die gesprochen waren. Sie
schienen alle ihre Ohren weit anfzuthun und die göttliche Ermahnung auf»
zuuehmen. Dort standen sie vor dem Herrn, alle erstauut uud verwirrt,
währelld der Engel seine ernste Botschaft ausrichtete und dann zu dem zurück-
kehrte, der ihu gesandt hatte. Es ist ein Großes, die Anfmerksamkeit der
Lente zu gewiimen, und nicht jeder kann dies thun; denn es gibt Gemeinden,
die handeln, als wenn das Wort sie nichts anginge und die den armen
Prediger vor toten Mauern weissagen lasseil. Diese Israeliten nahmen die
Warnung all und sogen die Wahrheit ein. Sie waren aufmerksame Hörer,
und jeder würde gesagt haben: „Gelobt sei Gott, diese Predigt hat ein großes
Werk gelhan. Gelobt sei Gott für eine so aufmerksame Gemeinde; die
Nägel silld all einem sicheren Ort befestigt."
ilberdies w a r e n sie sehr f ü h l e n d e L e u t e , denn sie fühlten, was sie
gehört hatten. Was würdet ihr heute abend denken, wenn die Versammlung
352 Alttestamentliche Bilder.

plötzlich anfinge, zu weinen? „Sie hüben ihre Stimme auf und weinten" —
weinten laut. Die Orientalen sind, wie ihr wißt, gewöhnlich lauter in ihren
Kundgebungen, als wir i n unfrem kühleren Klima, aber dennoch muß es ein
feierlicher Allblick gewesen sein, Männer und Frauen zusammen laut ihre
Übertretuugen beklagen zu sehen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß viele
der Anwesenden, die zu Gott richtig standen, sprachen: „Was fiir eine wunder-
volle Begebenheit! Ehre sei Gott für eine solche Enveckungl Diese eine
Predigt hat die Leute durch und durch ergriffen. Dank sei Gott, der einen
solchen Voten mit einer so angemessenen Votschaft gesandt hat und sie so ge>
segnet, denn gewiß, diese Leute sind alle bekehrt, sonst würden sie nicht schreien
und weinen."
S i e waren alle trauernde H ö r e r ebensowohl wie aufmerksame und
fühlende. I n der ganzen Versammlung war nicht einer, der lachte, nicht
einer, der gleichgültig war, nicht einer, der die Votschaft verhöhnte und ver>
achtete, sondern nach dem Texte erhoben alle ihre Stimme nnd weinten. Ein
schweres Gefühl lag auf ihnen. Ihre Seelen waren tief betrübt; sie drückten
ihren Schmerz in einem tiefen und bitteren Schrei aus, und mittlerweile
flössen ihre Thränen reichlich, wie da, als der Fels in der Wüste geschlagen
ward und die Wasser herausströmten. Sie wurden alle in Weinende ver«
wandelt, llnd nannten den Namen des Ortes Vochim oder den Ort der
Weinenden. I h r würdet denken: „Gewiß, dies ist verheißungsvoll, — jedes
Auge ist mit Thränen gefüllt, nun sie vor Gott stehen." Ach! daß solche
Tropfen nicht einem Schauer der Guade vorangingen, sondern wie eine
Morgenwolke vorüberzogen.
Ja, und sie wurden alle bekennende H ö r e r ; denn sobald dieser
Gottesdienst vorüber war, hielteil sie einen andren und „opferten daselbst dem
Herrn." Sie bekannten sich als des Herrn Knechte, nahmen das Opfer, das
Er bestimmt, und opferten es für ihre Sünden und äußerlich wurden sie alle
warme Verehrer des Höchsten und aufrichtig Bußfertige.
Wohlan, lieben Freunde, all dieses sieht sehr hoffnungsvoll aus, weil es
das ist, was wir erwarten dürfen, wenn Gott das Gefetz dem Gewissen der
Menschen einprägt. Wenn die Sünde einem Menschen vorgestellt wird, sollte
er da nicht weinen? Hoffnung glänzt in jeder Thräne. O, daß die Menschen
anständig genug wären, ihre Übertretungen zu beweinen l Mich wundert, daß
einige von euch ihre Vibel mit trocknen Augen lesen können. Unerrettet und
den Heiland verwerfend, könnt ihr da die vier Evangelisten ohne Thränen
lesen? Diesen Heiland, den die Juden kreuzigten, verwerft ihr, und kreuzigt
I h n so ill der That auch; könnt ihr die zehn Gebote lesen, ohne daß ench das
Herz weh thut? I h r wißt, dies sind zehn große Stücke Artillerie, die alle auf
euch zu eurem Verderben gerichtet sind, da ihr Gott durch den Bruch seines
Vochim oder: die Weinenden. 353

Gesetzes beleidigt habt. Nun, gewiß, ihr solltet kaum bei Nacht schlafen aus
Furcht, daß Gottes gewaltiges Gericht auf euer schuldiges Haupt fallen könnte,
während ihr schlaft. Es ist durchaus nicht wunderbar, daß die Leute schreien
und weinen; das Wunder ist, daß nicht jedes Heiligtum, wo das Gesetz ge-
predigt wird, und wo das Evangelium gepredigt wird, ein Vochim oder ein
Ort der Weinenden wird.
Oftmals kommt diese tiefe Bewegung mit wahrer Bekehrung — oft,
obwohl nicht immer, wie ich euch zu zeigen haben werde. Menschen, die von
der Sünde überführt sind, mögen wohl weinen. Ich habe einen starken Mann
unter einem Gefühl seiner Schuld weinen sehen — weinen, als wenn die
Quellen seiner Augen vertrocknen und die Augen selber sich in Fenerkohlen
verwandeln würden. Häufig sind die Leute unfähig, sich zurückzuhalten und
wünschen sogar inmitten der Versammlung auszubrechen und zu Gott um
Gnade zu schreien. Es ist nicht wunderbar. Es ist das, was wir erwarten
sollten. Es ist nichts, was man nicht wünschen sollte, denn es ist eine Wirkung,
die oft wahrhafte Bekehrung zu Gott begleitet. Sie mag wohl mit der Traurig-
keit über die Sünde zusammengehen, und Traurigkeit über die Sünde ist not«
wendig zum ewigen Leben. Die Vuße ist eine altmodische Lehre, die in diesen
Tagen verachtet worden ist; aber wenn ich auch allein stände, so will ich doch
Zeugnis dafür ablegen. Die Leute sageu, Buße sei gar uichts, — nach dem
Griechischen sei sie nur eine Ändernng des Sinnes. Das zeigt, wie wenig
Griechisch sie können. Ein wenig Kenntnis ist ein gefährliches Ding. Schade,
daß sie nicht mehr lernen. Vuße ist eine Änderung des Sinnes: aber sagt
ihr, daß es n u r eine Änderung des Sinnes ist? Das ist ein sehr großes
„nur." Eine Änderung des Sinnes, eine gründliche Ändernng des Sinnes,
voll der Liebe zur Sünde zur Liebe der Heiligkeit, ist das eine geringe Sache?
Sie ist immer von Schmerz und Reue über vergangene Sünde begleitet: und
wenn hier ein Mann ist, der denkt, daß er durch einen Glauben mit trocknen
Augen in den Himmel kommen wird, der irrt sich. Wer nie über seine Sünde
trauerte, hat sich nie ill dem Herrn gefreut. Wenn ich auf mein vergangenes
Sündenleben zurückblicken und sagen kann: „ I c h empfinde keinen Schmerz
darüber," nun, daun würde ich dasselbe wieder thun, wenn ich die Gelegen»
heit hätte: und dies zeigt, daß mein Herz so verkehrt ist, als es je gewesen,
und ich noch unwiedergeboren bin. R o w l a n d H i l l pflegte zu sagen, daß
Glaube und Vuße seine täglichen Gefährten seien, so lange er lebe, und daß,
wenn er beim Gedanken an den Himmel irgend ein Bedauern hätte, es dieses
wäre, daß er sich von dieser lieben Gefährtin, der Vuße, trennen müßte, wenn
er durch die Pforte des Himmels ginge. Göttliche Traurigkeit ist eil» gesegneter
Schmerz. Möge niemand übel davon reden. „Thut Buße und bekehret
euch," ist ebensosehr das Evangelium, als: „Glaubt an den Herrn Iesum
S p u i g e o n , Alttestllmentltche Vilder. 23
354 'Alttestamentliche Bilder.

Ehristmn;" nnd es darf in nnsrer Predigt nicht ansgelassen werden ans die
Gefahr hin, den Seelen der Menschen Schaden zu thuu. Wer heiligen
Schmerz über die Sünde empfunden hat, der wird fortfahren, ihn zn
empfinden. Es sollte mich wundern, wenn er nicht oft die Schleusen aufzöge,
und seine Seele in einer Flut der Rene nnd Liebe fließen ließe. Ein
Weineuder in diesen» Siune, der immer Vuße thut, wächst auch immer in der
Gnade. So sieht dieses Vochim sehr hossunngsuoll aus, nicht wahr?

II.
Nun will ich mich zn der andren Seite kehren nnd zeigen, daß nichts
dauernd Gutes in Vochims plötzlichen Wasserfluten war. Diese Leute wurden
zum Weiuen gebracht dadurch, daß sie die Predigt des Engels hörten, aber
ihr Weinen war sehr tiinschettd; ich vermnte halbwegs, daß ihre Klagen
nnd Thränen ebeusosehr dnrch des P r e d i g e r s Person a l s dnrch irgend
etwas andres hervorgebracht w a r e n . Es war der Engel des Herrn,
nnd wer würde in seiner Gegenwart nicht bewegt werden? Gott begabt ge«
wisse Redner mit der Kraft, die natürlichen Gefühle zu bewegen, und diese
Gabe ruhte in reichem Maße ans dem Voten des Bundes. Einige predigen
so, daß es fast unmöglich ist, nnempfindlich dabei zu bleiben. Es ist solche
Stärke des Gefühls in ihnen oder ein so gewaltiger, so hervortretender Ernst,
daß es eine ganz natürliche Folge ist, wenn das Herz des Hörers gerührt
wird. Nun, ich fürchte, daß einige von euch durch mich bewegt werden, wenn
ich predige, daß ihr Gefühl durch meinen Ton oder meine Manier hervor-
gebracht wird, oder weil sie Zuneigung oder Achtung für mich haben; seid
dessen gewiß, das, was von einem Menschen zu euch kommt, wird binnen
kurzen! zu Ende sein. Eine zeitliche Ursache kann nicht eine ewige Ver>
äudernng hervorbringen. „ I h r milsset von neuen, geboren werden," nicht von
dem Fleisch, noch von dem Willen des Mannes, sondern von dem Geiste
Gottes. Alle gewählten Worte des Predigers, seine melodische Stimme, ob-
gleich passend genug als eiue Zugabe, wird doch, wenn es die Hauptsache wird
nnd die Macht, die euch bewegt, mit Fehlschlagen enden. Was mit Wind
anfängt, wird mit Sturm enden: was aus Worten kommt, wird allmählich
in Worten verdampfen. Es mag ein großer Segen für euch sein, einen ein»
dringlichen Prediger zu hören, aber wenn ihr euch im geringsten auf ihn vcr>
laßt, so wird es schädlich für euch sein. Geht und hört das Evangelium von
irgend einem Knechte meines Herrn nnd verlaßt euch nie im geringsten auf
den Menschen, wer er auch sein möge. Strebt danach, daß enre Vuße eine
fei, die vom Geiste Gottes in eurem Herzen und Gewissen gewirkt ist; denn
wenn sie das nicht ist, so wird sie eines Tages sich in größere Verderbtheit
wandeln. Falsche Religion ist mehr ein Schaden als ein Nutzen. Ich rate
Vochim oder-, die Weinenden. 355

ench, eurem Herzen lnanche Frage zn thlin und es zn prüfen, ob es wirklich


nber die Sünde lranert nnd weint.
F e r n e r fürchte ich, daß die V u ß e dieser Lente sehr v i e l m i t
i h r e r n a t ü r l i c h e n Weichheit zu t h n n hatte. Sie waren weich und
erregbar, weil wenig Mark in ihren Knochen war, ihre Männlichkeit war ent»
Meter Natur. Sie fürchteten sich, für Gott in die Schlacht zn gehen; sie
waren bange vor dem Lärm nnd dem Würgen. Sie wareil anßerdem leicht
durch ihre Mitmenschen bewegt nnd nahmen die Form von denen an, in deren
Nähe sie lebten; sie gingen hin und dienten Vaal, weil ihre Nachbarn
sprachen: „Kommt nnd dient Vaal." Und sie dienten Astharoth, weil ihre
Freunde sagten: „Kommt, laßt nns die Göttin verehren." Sie waren ge<
schmcidig, biegsam, lenksam. W i r haben eine große Anzahl dieser Art um uns
her. Wie soll ich sie nennen? — Menschen aus Wachs? Geschöpfe aus
Gummi clastikum? Sie lassen sich sogar vou eurem Finger formen, wie der
Thon auf des Töpfers Nad, der noch nicht im Fener gehärtet ist. Niemand
weiß, was für eine Form sie haben werden, wenn sie vom Rade kommen.
Einige sind hier viele Jahre gewesen nnd vom Prediger bewegt nnd geformt
worden und sind dennoch nicht errettet, während trotzige Empörer in den
Gängen gestanden haben mit einem halben Hohnlachen, nnd Gott hat den
Hammer auf ihre steinernen Herzen fallen lassen, und sie ill Stücke zerbrochen,
und nnn sind sie dnrch die Macht der Gnade errettet nnd freuen sich in dem
Herrn. Einige haben eine natürliche Weichheit, welche das Erreichen der
geistlichen Weichheit hindert. Nun, merkt euch, das Natürliche mag von Gott
znr Erzeugung des Geistlichen gebraucht werden, aber doch ist es in sich selbst
noch nicht geistlich. All diese Bereitwilligkeit, zn weinen, all diese Bereit»
Willigkeit, das Wort mit Frcnden aufzunehmen und sofort in den Glauben
hl'nei'nznspringen, mag vielleicht nichts als geistige Schwäche sein. Einige
Menschen weinen überreichlich, weil sie Trunkenbolde gewesen sind und das
ihnen einen Tropfen im Auge gibt: dies ist eine elende Sache. Ich liebe
den starkell M a n n , der innerlich weint lllld sparsam mit dem änßercn Regen-
schaller ist. Ich kenne wahrhaft weichherzige Männer, die keine Thräne ver-
gießen könnten, wenn es ihr Leben gälte, aber einen viel tieferen Schmerz
fühlen als die, deren Kummer flach und wässerig ist. Es ist sehr schön,
voll den Thränen zn reden, die über ihre Wallgen strömen, aber viele Be-
kehrte haben llie eine Thräne vergossen und werden es vielleicht nie; dies
beweist nicht, daß sie nicht bekehrt sind; weit davon entfernt, die Thräne ist
nur ein natürlicher Tropfen Feuchtigkeit lind verfliegt bald; eill Besseres ist
der innerliche Strom des Schmerzes in der Seele, der ein unauslöschliches
Merkmal zurückläßt. Ein Gran Glauben ist besser als eine Tonne Thränen.
Eill Tropfeli echter Buße ist köstlicher als ein Strom Weinens?
23'
356 Alttestamentliche Vilder.

Es ist noch ein andres bei dem Weinen dieser Leute, und das ist, daß
es zum großen T e i l durch die D r o h u u g der S t r a f e verursacht war.
Ich fürchte, sie weinten nicht, weil sie gesündigt hatten, sondern weil Gott
gesagt hatte, daß Er nicht mehr Kananiter austreiben wollte. Sie wünschten,
mehr von ihnen zu besiegen — mehr von der schändlichsten Art — aber sie
wünschten nicht, sie alle auszutreiben; dennoch trauerte» sie, weil die, welche
sie verschont, nun die Oberhand über sie gewinnen sollten. Die anständigeren
Kananiter waren sie willig, am Leben zu lassen; und als sie fanden, daß sie
ihnen zu Dornen in den Seiten werden sollten, da zogen sie ihre Taschentücher
heraus, denn es war Grnnd zu selbstsüchtigem Schmerz da. J a , und ihr
könnt die Höllenfeuer predigen, bis die Menschen willig sind, Lieblingssünden
der grelleren Art aufzugeben. Solchen möchten wir prüfende Fragen uor>
legen. I s t irgend welch heiliges Salz in euren Thränen? I s t es die Sünde,
um die ihr weiut? Ist es die Sünde, die ihr bereut? Jeder Mörder
bereut unter dem Galgen, d. h., er bereut, daß er gehangen wird, aber er
bereut nicht, daß er andre Leute getötet hat. Er würde dasselbe wieder thun,
wenn er die Gelegenheit hätte. W i r sollten klar unterscheideu zwischen den
natürlichen Schrecken, die aus der lebhaften Vefchreibuug des zukünftigen
Zornes kommen und jener wirklichen geistlichen Berührung Gottes des Heiligen
Geistes, welche das Herz bricht und schmilzt uud es dan» in eine andre
Form gießt. Diese Leute täuschten sich über die Tiefe und Aufrichtigkeit
ihrer eigneu Gefühle. Ohne Zweifel hielten sie sich für auserlesene Bußfertige,
als sie nur zitternde Feiglinge waren, die unter Eindrücken litten, die
ebenso unnütz wie vorübergehend waren. I h r Gefühl war nur das Auf«
leuchte» eines Meteors, das eine starke, aber nnr einen Augeublick währende
Helle verbreitet.
Wir sind ganz gewiß, daß diese Leute, obgleich sie weinten, darum
nichts besser ware», denn sonst hätten sie ausgerufen: „Kommt, Brüder, greift
zu den Schwertern. Laßt uns hingehen und mit deu Heviter» und Hethitern
streite» und ihre Altäre niederbrechen und ihre Bilder und Haine zerstören."
Nein, sie behielten ihr faules Schwert in der Scheide nno schlössen Ver-
träge »lit den verurteilten Völkern. Sie gebrauchten nicht ihre Uxte, die
falschen Götter niederzuhauen; sondern sie sagten: „Laßt uns Achtung vor
der Religion andrer haben. Ohne Zweifel ist ihr Götzendienst unrecht: in
der That, ihre Gebräuche siud verdächtig, und es thnt uns leid, daß sie die»
selben haben, aber wir brauche» mis uicht darein zu mischen und Iehovahs
Urteilsspruch »n't kahler Vnchstäblichkeit zu erfüllen." Überdies bekamlten uud
beklagten sie wahrscheinlich ihre eig»e Lauheit und ginge» so weit, zu sage»:
„Es ist sehr traurig, daß wir so hartnäckig sind. Es ist wirklich eine schreck»
liche Sache." Ich Härte jemanden sagen: „Es ist furchtbar, ein Sklave des
Bochim oder: die Weinenden. 357

Weinbechers zu sein; ich wünschte, ich hätte ihn nie geschmeckt. Bei der ersten
Gelegenheit, die sich mir bietet, soll es anders werden." Er sagte nicht,
worin es anders werden sollte, aber er wollte sehr viel verbessern. Ach! er
that niemals etwas, denn er war den nächsten Tag wieder betrunken. Ein
sehr Bußfertiger, dein Ansehen nach; aber ein elender Heuchler zu seiner
Zeit, denn er fraß wie der Hnnd wieder, was er gespieen und wälzte sich wie
die San nach der Schwemme im Kot. Wenn ihr die Sünde berent, nieder
mit der Sünde! Wenn die Buße von Herzen kommt, so ist sie praktisch.
Wenn ein Mensch sich wahrhaft zu Gott kehrt, so kehrt er sich von der
Sünde weg. Wenn Satan wirklich aus einem Menschen ausgetrieben wird,
so fegt der Befreite seiu Haus und reinigt sich von dem Schmutz, den er
früher beherbergt; er reißt das rechte Auge seiner Lüste aus und haut den
rechten Arm seiner Sünden ab, denn er fühlt, daß er nicht länger wider
seinen Gott handeln kann.
Ferner hatten diese Leute nicht Vnße gethan, denn sie erzogen ihre
Kinder nicht gut. Das nächste Geschlecht, wird uns gesagt, kannte nicht den
Herrn, noch die Werke, die Er an Israel gethan hatte. Dies war, weil ihre
Eltern sie nicht lehrten. Nicht, daß Eltern ihre Kinder so lehren könnten,
daß sie den Herrn in ihrem Herzen kennten; aber Gott hat gesprochen:
„Ziehe einen Knaben auf in dem Weg, den er gehen soll, und wenn er alt
ist, wird er nicht davon weichen." (Spr. S a l . 22, 6.) Das ist die große
allgemeine Regel in Gottes sittlicher Weltregierung. Wenn Eltern die Kinder
mit den göttlichen Dingen bekannt »lachen, so kann nicht gesagt werden, daß
die Kinder die Werke Gottes nicht kennen. Wenn die Eltern mit liebevollem
Ernst lehren, so lernen die Kinder wenigstens den Buchstaben der Wahrheit.
Ich glaube nicht an eure Neue über die Sünde, wenn ihr eurem Kinde ge>
stattet, darin zu leben. Ich kann nicht glauben, daß ihr den Herrn kennt,
wenn ihr nicht danach verlangt, daß eure Kinder I h n kennen. Ein Mann
sagt: „ O , es ist ein böses Ding, aber man weiß, junge Leute wollen ihren
eignen Willen haben, und wir dürfen nicht zu streuge gegen sie sein." M i t
Schmerzen sehen wir vorher, was aus jnngen Lenten werden wird, die Eltern
haben, welche sie nicht genug lieben, um sie vom Bösesthun zurück zu halten.
Wohl mögt ihr weinen, denn ihr mordet die Seelen von eurem eignen Fleisch
und Vlut. Wehe euch, mit all euren Thränen, wenn ihr keine Rücksicht für
euren Haushalt habt und keiue Sorge, eure Kinder in der Furcht des Herrn
aufzuziehen.
Ich weiß, daß diese Leute nicht die rechte Buße thatcn, weil sie von
Schlechtem zu Schlimmerem gingen. Sie gingen vom Weinen vor Gott zur
Verehrung des Baal, wie eiuige, von denen ich gehört, die man im Hanse
Gottes am Sonntag/Abend weinen sieht und im Theater am Montag-Abend
358 Alttestamentliche Bilder.

lachen. O, niedrige Heuchler! Bußfertige — bei einem Tanze! Sünder


niit gebrochenen! Herzen am Sonntag, die rufen: „Herr, erbarme Dich unfer,
elende Sünder sind wir," und Trunkenbolde von ganzem Herzen, ehe die
Woche vorbei ist, die heulen: „ W i r wollen nicht vorm Morgen nach Hause
gehen." Seht auf diese elenden Sünder, seht, wassiethun. Sind dies eure
Weinenden? dieses eure Männer von zartem Gewissen? I h r Vochim ist alles
eine Lüge, — ein bloßer Vorwand. Je weicher ihr seid, desto größer wird,
wenn ihr euch nachher verhärtet, eure Schuld sein; und wenn ihr bloß den»
Scheine nach euch vor Gott demütigt, so wird euer Schicksal nm so schreck«
licher sein, wenn diese Demut schwindet nnd ihr zu der Sünde zurückkehrt,
von der ihr behauptet, euch abzukehren.
Ich weiß, daß diese Leute nicht bußfertig waren, well Gott nicht die
Züchtigung hinwegnahm. Die Strafe, welche Er androhte, brachte Er über sie:
Er „gab sie in die Hand derer, die raubten, und verkaufte sie in die Hände
ihrer Feinde umher." Aber wo eine herzliche Neue über die Sünde ist, wird
Gott nie Strafe auf den Menschen legen. Er will ihm vergeben, ihn an sein
Herz ziehen und ihn wieder herstellen.
Um alles, was ich gesagt habe, in ein Wort zusammenzufassen, Errettung
liegt nicht im Fühlen, sondern im Glauben; Errettung liegt nicht im Weinen,
sondern im Vertrauen auf Christum. Die Buße ist nicht nach der äußeren
Bezeugung der Trauer zu bemessen. Der Prophet sagt: „Zerreißet eure
Herzen nnd nicht eure Kleider." Laßt eure Herzen von der Sünde gerissen
werden uud von allem, was zur Sünde führt; und dann werdet ihr vor Gott
weinen, so daß ihr von I h m angenommen werdet.
Der Herr segne dies Wort an denen, für die es gemeint ist. Ich weiß
nicht, wer sie sind, aber Er weiß es; und möge Er seinen Segen durch seinen
Heiligen Geist senden. Amen.

^«^??
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 359

24.
Gin Krieg vorüber und ein andrer
begonnen.
„Da nun Gideon sähe, daß es ein Engel des Herrn war, sprach
er: O Herr, Herr, habe ich also einen Engel des Herrn von Angesicht
gesehen? Aber der Herr sprach zu ihm: Friede sei mit dir! Fürchte
dich nicht; du wirst uicht sterben. Da baute Gideon daselbst dem
Herrn ciueu Altar und hieß ihn: Der Herr des Friedens."
Nicht. 6. 22—24.

Aiese Midianiter waren wandernde Beduinen ans Arabien und aus


dem Lande im Osten von Palästina. Gleich denen, welche jetzt ihre Stelle
einnehmen, waren sie Meister in der Knnst des Plünderns und kannten kein
Erbarmen. Sie führten gewöhnlich selbst ein hartes Leben, und wenn sie eine
Gelegenheit hatten, von dem Nanbe andrer zu schwelgen, so thaten sie es ohne
Maß und ließen Hungersnot hinter sich zurück. Sehr passend vergleicht die
Schrift sie mit Heuschrecken, denn sowohl an Zahl als an Zerstörungskraft
glichen sie diesen schrecklichen Vertilgern. Gott hatte sie über Israel gebracht,
um dies Volk zu züchtigen, weil es so thöricht und undankbar gewesen, den
Göttern der Heiden zu dienen und den einen mächtigen Gott zu vergessen,
der so besonders und so gnädig seilt Beschützer und sein Verteidiger war. Es
war bis aufs äußerste ausgesogen lind arm gemacht durch diese Plünderer,
die ihm keine Speise für Menschen oder Vieh gelassen hatten. Die armen
Israeliten krochen aus ihren Gruben uud Höhle» hervor lind versuchten den
Landbau fortzusetzen, sie besäeten das Land; aber wenn die Zeit zur Ernte
kam, so kamen diese Marodeure, nahmen das Korn hinweg und machten ihre
Weiden wiederum kahl. Dann schrie Israel wie gewöhnlich zum Herrn, und
sein Ohr war ihrem Seufzen offen. Ihre Trübsale machten sie ihrer Götzen
müde und brachten sie dahin, zu spreche«: „Ich will wiederum zu meinem
vorigen Manne gehen, da nur besser war, denn mir jetzt ist." Gott erweckte
360 Alttcstamentliche Bilder.

ihnen in seiner großen Gnade einen Befreier, Gideon, einen mächtigen,


tapferen Mann, der sich in mehreren Gefechten mit den« Feind auszeichnete!
Sein Name war schon ein Schrecken für Midian, denn zn dem, welcher von
dem gerösteten Gerstenbrot träumte, das die Gezelte schlug und sie niederwarf,
sagte sein Kamerad: „Das ist nichts andres, denn das Schwert Gideons, des
Sohnes Ioas." Sein Charakter ist nie genügend bewnndert worden: biblische
Namen, weit weniger glänzend als der seinige, sind ihm allgemein in der
Predigt vorgezogen; doch verdient er weit bessere Behandlung. Er war ein
Mann, sanft nnd doch stark, vorsichtig nnd doch waghalsig; ein forschend
Fragender nnd doch ein mächtig Glaubender. Er war eine Art Vorbild von
David und zu gleicher Zeit ein Nachglanz Iosnas. Er war ein wahrhaft
großer Man»', obgleich seine späteren Tage durch einen schweren religiösen
I r r t u m und einen traurigen sittlichen Fehler getrübt wurden. Trotz seiner
Fehler war er einer der größten Glaubenshelden. Dieser Mann ging an sein
Werk mit den Beduinen ziemlich in derselben Weise, die sich in der letzten
Woche 5) so erfolgreich in Ägypten bewiesen hat. Er hatte es nicht eilig
damit, eine regelmäßige Schlacht zu wagen, sondern wartete seine Zeit ab und
brachte dann durch eiuen plötzlichen und unerwarteten Angriff das ganze Heer
in einen panifchen Schrecken, fo daß es sogleich floh und Midian wie ein
Mann geschlagen wurde. Es ist sehr eigen, wie die Geschichte sich wiederholt
und wie alle Ereignisse dahinführen, die große Wahrhaftigkeit des biblischen
Berichtes darzustellen. Diese wilden Araber können angenschcinlich dnrch einen
einzigen Schlag überwunden werden, well» er sie trifft zn einer Zeit, da sie
sich sicher fühlen. Furchtbar, wie sie als Plünderer, und groß, wie sie im
Prahlen sind, können sie vor einem Angriff Mann gegen Mann nicht stehen;
wahre Tapferkeit treibt sie vor sich her wie Schneeflocken vor dem Wirbelwind
nnd zerstreut sie wie Spreu vor dem Sturm. Die Führer fliehen: zwei von
den Unteranführern, Oreb und Zeb, der Nabe und der Wolf, werden zuerst
gefangen, und später werden die größeren Generale, die zuerst geflohen waren,
von der siegreichen Hand gefangen genommen. Die Führer waren allen
voraus in der Flncht, wie sie es auch beim letzten Feldzug gewesen sind. I n
späteren Tagen wurde die Vernichtung ihrer Mächtigen ein sprichwörtlicher
Fluch: „Mache ihre Fürsten wie Oreb nnd Zeb, alle ihre Obersten wie Seba
und Zalmuna." Es sind viele Vergleichungspunkte zwischen den beiden Feld«
zügen, aber dies ist nicht unser Thema heute.
Laßt uns eine Weile an Gideon gedenken, damit wir sehen, daß wir
selber ihm in einigen Dingen gleich sind oder sein können. W i r «lögen nicht
die Beduinen zu schlagen haben, wie er es hatte, aber zu einem geistlichen

*) I m September 1882. A. d. Üb.


Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 361

Krieg hat Gott viele von uns bernfen: und obgleich Er beabsichtigt, uns zu
gebrauchen, und einen Sieg für seine Sache durch uus zu gewinnen, so mögen
wir doch in diesem Augenblick ill Furcht sein. W i r gehen mm dnrch dieselben
geistigen Erfahrungen hindurch, wie die, durch welche Gideoll heraugcbildet
ward, nnd wir werden für znkünftigen Kampf und Sieg dadurch bereitet.

I.
Ich werde damit beginnen, daß ich euch bitte, eiueu Augenblick bei
Gideons Keufzev nach F r i e d e n zu verweilen, denn er liebte nicht den
Krieg, sondern schmachtete nach Nuhe. Er unnnte den Namen des Altars:
„^skovlüi 8cliii!om," was auch übersetzt wird: „Der Herr sende Frieden."
I h r seht deshalb, daß in seiner Seele tiefer als irgend ein Wnnfch nach
kriegerischer Ehre das Verlangen nach Frieden war. Er wollte nicht die
Beute der Fürsten; er wünschte nur zu pflügen, zn säen und in Frieden
zu ernten.
Und wnndert ihr euch dessen, wenn die Übel des Krieges r i n g s
umher waren? Er hatte lange Zeit bei seinen Frennden lind Nachbarn die
zerstörenden Wirkungen des Krieges gesehen: ihr Eigentnm war ihnen gc»
uommen, ihr Nrot war ihnen alls dein Mnnde gestohlen, ihre Kinder waren
erschlagen und sie selber hatten sich auf deu Gipfelu der Verge oder in den
Höhlen nnter den Hügeln verbergen müssen. Das Leben wurde unerträglich
unter solchen Entbehrungen und Gefahren. Dem Gideon muß das Herz vor
Kummer und Unwillen geschwollen sein, als er auf die Übriggebliebeuen von
Israel sah, die wie Nebhühner auf deu Vergell gejagt waren, obgleich sie einst
sicher gewohnt hatten, ein jeglicher unter seinem Weinstock und nnter seinem
Feigenbaum. Die Beduinen nannten das Thal Israel „die Wieselt Gottes" :
wie traurig, diese fetten Weiden von den Füßen der Eindringlinge zertreten zu
feheu! Ach, wellig können ihr und ich uns die Schrecken des Krieges vor-
stellen. W i r lesen davon, und unser Mitgefühl ist erregt, aber wir kennen
nicht die vielfältigen Mordthaten, die schmerzhaften Wunden, den verheerenden
Raub und die wilden Verbrechen, welche den Zug der Heere begleiten.
Wenn wir eine Schlacht mit eignen Allgen fähen, fo würden wir mit heißer
Inbrunst schreien: „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsren
Zeiten."
Überdies, er hatte nicht nur den Krieg gesehen, sondern er seufzte nach
Frieden, w e i l er selber das Übel des Krieges fühlte. Der Schrecken
des Kampfes war bis zu seiuem eignen Besitz in Abi-Eser gedrungen. Er
selber drosch Weizen bei der Kelter, einem ungewöhnliche» Platz, einem un»
bequemen Platz, um eiu wenig Korn zur Nahruug im Winter vor den
Midianitern zu verbergen, die begierig waren, es zu verzehren. J a , wenn
362 Mttestamentliche Bilder.

das Blutvergießen vor eurer eignen Thür dampft und die Minderung vor
eurer eignen Pforte ist, wenn ihr selbst bewegt seid und euch vor Furcht ver»
bergt, dann kommt aus der tiefsten Tiefe der Seele der Schrei: „O, daß
Gott uns Frieden senden wollte, denn dies ist eine harte Bedrückung; diese
Naben und Wölfe verzehren uns gänzlich."
Der Weg zum Frieden war Gideon genügend bekannt: der
Prophet des Herrn hatte dein Volk gesagt, der einzige Weg zum Frieden sei
für Israel der, zu Jehovah, seinem Herrn, zurückzukehren. Die große Sünde
des Abweichens von dem herrlichen lebendigen Gott war ihnen vorgestellt, und
sie konnten leicht den Schluß ziehen, daß sie nie Frieden vor ihren Feinden
haben würden, bis sie zu allererst ihren Frieden mit Gott gemacht hätten.
Sie müßten sich ihrem Herrn unterwerfen und zum Gehorsam zurückkehren,
und dann wollte Er den Feind aus ihrem Lande treiben. Dann sollte die
alte Verheißung erfüllt werden: „Einer wird jausend jagen und zwei werden
zehntausend flüchtig machen." Gideon wußte dies wahrscheinlich, ehe der
Prophet kam; es war seinem nachdenkenden Geiste tief eingeprägt, und da er
ein Mann des Glaubens war, so zweifelte er uicht, daß, wenn Israel zu
seinem Gott zurückkehrte, der Friede folgen würde. Viel ist gewonnen, wenn
wir dies wissen, falls unsre Kenntnis zum Handeln führt.
Während Gideon nachdenkt und arbeitet, erscheint ihm ein Engel und
g i b t ihm die Versicherung, daß m i t ihm wenigstens G o t t i n
Frieden sei.
Der Vundesengel sprach zu ihm: „Der Herr mit dir, du streitbarer
Held." Mich deucht, seine Seele sollte sich sehr bei diesem Worte gefrent haben,
und vielleicht that sie es; denn was Besseres kann einem Menschen wider»
fahren als ein solches Zeichen? Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns
sein? Wir wissen, wie süß die Versicherung ist, daß wir, nachdem wir ge>
rechtfertigt sind, Frieden mit Gott haben. Es steht gut mit uns, wenn wir
versichert sind, daß der Herr mit uns ist, unser Helfer, unser Schild, unser
Teil ans ewig.
Aber eine schwere Angst erhob sich in seinem Herzen. Er hatte
ein sehr sorgsames, nachdenkendes Gemüt, denn er war ein Mann voll Vor«
ficht, großherzig, weitsehend, gewohnt, die Dinge kühl und fest ins Auge zu
fassen; und in seiner Seele kam eine erliste und gewichtige Frage auf: „Ist
dies die Stimme Gottes an mich oder täusche ich mich? Ist Gott in Frieden
mit mir oder bin ich, wie die übrigen, in einem furchtbaren Krieg gegen den
lebendigen Gott begriffen?" Deshalb thut er ciue Frage und bittet um ein
Zeichen, damit er dessen gewiß sei, was er thue. Brüder, in geistlichen Dingen
sollten ihr und ich gewiß sein. Wenn wir Frieden im Innern haben, so laßt
uns gewiß sein, daß es der Friede Gottes ist: denn es gibt immer noch
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 363

Stimmen, die rufen: „Friede, Friede," wo kein Friede ist. Immer noch
locken Sirenengesänge die Menschen mit ihren süßen Tönen ins Verderben;
immer noch fließt der gefährliche Strom am ruhigsten, wenn er sich dem
furchtbaren Wasserfall nähert. Hütet euch vor jenem Wort des Herrn: „Wenn
sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr; so wird sie das Ver«
derben schnell überfallen, gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und
werden nicht entfliehen." Niemand ist ruhiger als die Gottlosen, wenn sie
sich einer starken Täuschung hingegeben haben. Der Psalmist sagt von ihnen:
„Sie find in keiner Gefahr des Todes, sondern stehen fest wie ein Palast.
Sie sind nicht im Unglück wie andre Leute, und werden nicht wie andre
Menschen geplagt." Wie ein Getränk, das auf seinen Hefen stille liegt, scheint
des Gottlosen fleischliches Vertrauen klar und hell: der Niederschlag bewußter
Sünde und des daraus folgenden Zweifels liegt bei ihm ungestört auf dem
Voden. Es war nicht so mit Gideon: seine Angst wurde sichtbar. Er war
nicht der Mann, der nach einem Schatten haschte: er suchte das Wesen. Wenn
er Frieden haben sollte, so mußte er ihn von Gott haben: wenn er befreit
werden sollte, so wünschte er klaren und dauernden Sieg. Die Gunst, um
die er bat, ward erbeten, weil Angst ihn beunruhigte, und er wünschte, die
Gewißheit doppelt gewiß zu »lachen. Er wollte von Gott selber es erfahren,
daß seine Sendung echt und sein Erfolg sicher sei. „Fest binden, fest finden,"
sagt das Sprichwort, und dieser tapfere Mann wollte es so.
Ich glaube, viele von uns sind in Gideons Lage gewesen oder sind
vielleicht jetzt darin. Natürlich haben wir nicht seine Aufgabe, aber wir haben
unsre eigne, und sind beunruhigt, weil wir nicht persönlich nnsres Friedens
sicher sind. W i r sind bekümmert über unsre vergangenen Sünden und ihre
Folgen. Dies ist das Los vieler Menschen. Die Vögel, die sie aufgefüttert
haben, sind mm wieder zu ihnen heimgekehrt: sie haben in früherer Zeit
Schuld auf sich geladen, und ihre Sünden sind zu ihnen zurückgekommen, so
daß sie schwer bedrückt sind. Sie haben zum Herrn geschrieen in ihrer Not
und I h n gefleht, sie aus ihrem Elend zu befrcieu, und nun liegt das Be-
wußtsein ihrer Sünde auf ihncu und sie fürchten, daß ihr Gebet verworfen
werde. Unter den Schlägen der Nute Gottes seufzen sie, fühlen ihre Schuld
mehr und mehr und sind voller Furcht. „Das Gewissen macht Feiglinge aus
uns allen," und wenn der mächtige Geist Gottes uns von der Sünde über-
führt, dann wird die Sünde ein zweiter Schmerz; nein, schlimmer als das,
denn wenn der Schmerz uns mit Peitschen züchtigt, so geißelt die Sünde uns
mit Skorpionen. Sein Zorn macht, daß wir so vergehen, und sein Grimm,
daß w i r so plötzlich dahin müssen. Seine Wellen gehen über uns und seine
Wogen verschlingen uns. Doch fährt das Herz fort, nach Gott zu schreien,
wenn der Heilige Geist auf dasfelbe wirkt. Die Seele wird hin» und her-
364 Alttestamentliche Bilder.

geworfen und ist verwirrt, aber selbst in ihrer Verwirrung sucht sie die wahre
Ruhe und «erlangt nach dem Frieden in Gott. Gleich der Nadel im Kompaß
ist sie unruhig und gestört, doch kennt sie ihren Pol und zittert zu ihm hin.
Sie wird nie stille sein, bis sie ihren Ruhepunkt erreicht. Seid ihr je i l l
dieser Lage gewesen? Ich weiß, ihr seid es, wenn der Herr euch geliebet
und zu seinem Werke verordnet hat. Hat der Herr ench zu solcher Zeit eine
Gnadenbotschaft gesandt? Habt ihr in der Schrift geforscht nnd eine köstliche
Verheißung gefunden? Habt ihr einen trenen Diener Gottes, von seinem
Herrn gesalbt, predigen hören und seid dadurch getröstet worden? Selbst
dann würde ich mich nicht wundern, wenn der dunkle Gedanke wie eine
Wolke aufstiege: „Ist dies der rechte Trost für mich? Darf ich mich wirklich
desselben erfreuen? Wird es Vermesseuheit oder Zuversicht sein?" Es ist
oft eine schmale Linie, dünn wie die Schneide eines Messers, zwischen den
beiden, und wehe dem, der sich darin irrt. O Gott, rette uns von fleischlicher
Sicherheit. Verhüte, daß wir rufen: „Friede, Friede," wo kein Friede ist.
Besser, daß wir bittere Dinge von nns selber sagen, wenn sie wahr sind, als
daß wir sanft sprechen und uus ius Verderben schmeicheln. Deshalb wundere
ich mich nicht, wenn ihr den Herrn bittet, ench ein Zeichen zu geben. I h r
betet zu I h m und sprecht: „Ich will nicht getröstet werden, wenn D u mich
nicht tröstest: deine Taube soll keine Nuhe für die Sohle ihres Fußes finden,
es fei denn in der Arche bei dem wahren Noah, in dem Nuhe ist." Was
mich betrifft, ich will keinen Becher des Trostes nehmen außer dein, den Iesns
darbietet, wenn Er ihn nur mit seinen durchbohrten Händen gibt. Wenn ge<
waschen, so soll es in Jesu Blut sein: wenn gekleidet, soll es in seine Ge<
rechtigkeit sein. Ich will hungrig sein und lieber sterben, als etwas andres
denn das Brot vom Himmel essen. Ich will dürsten, bis ich ermatte und
verschmachte, aber keiner soll nur zu trinken geben außer von dem Brunnen
zu Bethlehem. Brüder, wir müssen uns sicher stellen für die Ewigkeit: wir
können in dieser Sache keinen Zweifel duldell. Eiu Tou der Frage hier wird
ei» Ton des Schreckens. Es wird ein Dorn ill nnsrer Seite fein.
Ich bin gewiß, daß wir in Gideon uns felber fehen können, wenn die
Sache so geistlich gedeutet und ins Licht des Evangeliums gestellt wird. Wie
wenn wir in einen Spiegel sähen, können wir sagen: „Dies ist mein eignes
Bild."

II.
Von Gideons sehnlichem, schmachtendem Verlangen, Friede mit Gott zu
erhalten uud dann Friede für fein Land, wenden wir uns etwas näher zu
der Furcht Gideons, die ihn ans dem Wege znm Frieden befiel.
„Ein Engel" kam — so heißt es in unsrer Übersetzung; aber in Wahrheit
Ein Krieg vorüber und ei» andrer begonnen.

war es der Ellgel des Herrn, lllld dies hätte ihn trösten sollen, wie es uns
getröstet hat. M a n hätte gedacht, Gideon wäre vor Freuden aufgesprungen,
als er seinen Gott in Engelgestalt verhüllt sah, aber statt dessen fiel der
Schatten des Todes auf ihn. Hier war ein Mann, der nach Frieden ver-
langte und mit festem Fuß den Weg des Friedens wandelte, und doch von
Todesfurcht erfüllt war. Friede kann nicht erlangt werden anders als dadurch,
daß wir uns Gott nahen, und daß Er sich uns nahet; aber sobald diese An>
Näherung beginnt, so schauert uusre arme Menschheit vor der Begegnung zurück
und schmilzt vor Furcht. „ D a mm Gideon sähe, daß es ein Engel des Herrn
war, sprach er: O Herr, Herr, habe ich also einen Ellgel des Herrn von
Angesicht gesehen?" Es geschieht gewöhnlich, daß, wenn Gott die Menschen
zum Frieden bringt, ein Grad von Zittern in der Seele ist, während das
Werk gründlich und richtig zustandegebracht wird. M i r ist die Bekehrung
verdächtig, in der kein Zittern ist: beachtet den Ruf des verlornen Sohnes:
„Ich bin nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße." Beachtet das bittere
Weilten des Petrus und die drei Tage Duukelheit Sauls von Tarsus. Selbst
für Gläubige sind die Erscheinungen Gottes nicht ohne überwältigende Ehr-
furcht: Jakob ruft: „Wie heilig ist diese Stätte!" Hiob eutschuldigt sich,
Mose ist erschrocken und zittert, und Iesaias ruft: „Wehe mir."
Weshalb fürchtete Gideon sich? Nicht, w e i l er ein F e i g l i n g w a r
— ihr trefft in der ganzen Heiligen Schrift kaum einen tapferem Mann all,
als diesen Sohn des Jons — sondern weil selbst tapfere Männer vor dem
Übernatürlichen erschrecken. Er sah etwas, was er nie vorher gesehen, eine
himmlische, geheimnisvolle Erscheinung, über das Hinalls, was gewöhnlich von
sterblichen Menschen gesehen wird, deshalb war Gideon, da er Gott fürchtete,
bange. Wenn der lebende Gott eiller Seele sehr nahe kommt, selbst, wenn
es ili der Persoll Christi Jesu ist, so wird diese Seele von Ehrfurcht ergriffen
und zittert vor dem Herrn. Es kann nicht gut anders sein. Delikt darall,
wie es bei Johannes war. „Als ich I h n sähe," sagte er — das heißt, seinen
eignen teuern Meister, all dessen Brust er sein Haupt gelehnt hatte — „als
ich," der Jünger, den Jesus lieb hatte, „ I h n sähe, siel ich zu seinen Füßen
als ein Toter." I h r wundert euch deshalb uicht, wenn eine arme Seele, voll
Zweifel und Angst, betrübt durch ein Gefühl der Sünde und sehr bedrängt
voll Leiden, voller Furcht ist, wenn Jesus sich naht. Obwohl Er mit keinem
Gefühl als dem der Liebe kommt, keinem Gedanken als dein des Erbarmens,
keinem Spruch als dem der freien Vergebung, so wird das Herz doch
voll Ehrfurcht ergriffen bei dem wunderbaren Allblick. Ach, einige von euch
wissen nicht, was es heißt, wenn der Herr sich eurem Geiste naht. Wenn
ihr es thätet, so würdet ihr es nicht sonderbar finden, daß einzelne Erweckte
in seltsamer Weise handelten und vergaßen Brot zu essen für eine Weile.
366 Nlttestamentliche Bilder.

Daniel sagt: „Ich blieb allein, und sähe dies große Gesicht. Es blieb aber
keine Kraft in mir, und ich ward sehr ungestaltet, und hatte keine Kraft mehr."
M i t jenem großen Herrn, der alle Dinge regiert, des Stimme die Feuer»
flammen teilt, die Hinden erreget und die Wälder entblößet, kann man nicht
wie mit einem gewöhnlichen Wesen reden; seine Gegenwart überwältigt den
endlichen Geist. Er schallet die Erde an, so bebet sie, Er rühret die Verge
an, so rauchen sie, die Stimme seines Donners ist in den Himmeln, seine
Blitze erleuchten die Welt. Wenn dieser glorreiche Gott der Seele nahe
kommt, so ist es eine ernste Heimsuchnng und der Geist beugt sick) darunter.
M i t Recht sagte Habakuk: „Weil ich solches höre, ist mein Vauch betrübt,
meine Lippen zittern vor dem Geschrei; Eiter gehet in meine Gebeine, ich bin
bei mir betrübl. O, daß ich ruhen möchte znr Zeit der Trübsal." Ich staune
nicht, daß dieser streitbare Held schwer beunruhigt war. Wer unter lins
wäre anders gewesen?
Überdies, Gideon w a r durch die Ü b e r l i e f e r u n g schlecht belehrt
worden. Es ging eine Sage, die voll Wahrheit abgeleitet und doch falsch
war, nämlich, daß niemand ein himmlisches Wesen sehen und lieben könne.
Es ist wahr, daß der Herr ausdrücklich seinem Knecht Mose sagte, daß er
nicht sein Angesicht sehen und lieben könne; aber Er sagte nicht: „ D u kannst
nicht einen Engel sehen und lieben;" auch hatte Er nicht gesagt: „ D u kannst
nicht meine verhüllte Gegenwart sehen und lieben." Die Übcrliefernng war
ein Zusatz zur Wahrheit und eine Verdrehung derselben. W i r können nicht
das Angesicht Gottes sehen, aber wir können Iesnm sehen; ill der That,
wir leben, weil wir I h n sehen. Hütet euch vor dem Moos, das auf einer
Wahrheit wächst. Manches Herz blutet, weil es durch seine eignen unvoll-
kommenen Vorstellungen von Gott verwundet ist; so fühlt es oft, wenn Gott
sich naht, wenn der große Allmächtige es überschattet, eine sklavische Furcht, die
unnötig ist. „Ich werde sterben," sagt der Mann, „ich werde sterben." Er
sieht seine Sünde, lind deshalb meint er, daß Gott im Zorn gekommen ist,
um ihn zll strafen: er fühlt seine Schwäche, und darunter zusammensinkend,
seufzt er: „Ich werde sterben." Nein, Seele, wenn Gott dich hätte töten
wollen, so hätte Er dich in Nuhe gelassen. Wen Gott ins Verderben stürzt,
den überläßt Er zuerst dem Wahnsinn seines eignen Dünkels. Er nimmt sich
nicht die Mühe, einem Menschen seine Sünde zll zeigen und ihm seine Über»
tretung zu offenbaren, wenn Er nicht beabsichtigt, ihm zll vergeben und ihn
zll retten. Er läßt den stolzen Pharisäer so schön bleiben, wie er es zu seil,
wähnt und gestattet i h m , sich seiner eignen Gerechtigkeit zll rühmen und
ill feinem stolzen Eigendünkel dahin zll gehen: aber bei den Erwählten des
Herrn fährt der Geist Gottes über ihre Schönheit dahin und sie verdorret wie
die Vllime des Feldes. Wenn der Herr anfängt, euch zu entkleiden, so wird
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 367

Er euch auch bekleide»; weuu Er eure Gerechtigkeit verwelkeu läßt wie die
Blätter des Herbstes, so ist das, weil Er eiu herrliches Gewaud hat, das Er
euch authun w i l l : deshalb fürchtet euch uicht. Doch ist es keiu Wuuoer,
weuu ihr uiedergeschlageu seid: wir siud Geschöpfe, so abhäugig vom Seheu
uud Fühleu, daß wir uor der Herrlichkeit des Herru vou Furcht ergriffe» uud
krauk vor Schrecke» werde».
Außerdem war Gideon i u eiuer G e m ü t s v e r f a s s u u g , i » der er
leicht niedergeschlagen werden konnte. Er war ein tapferer Mann, aber
langes Leiden hatte ei»e» Anfing vo» Traurigkeit über ihu geworfeu. Sem
gcwöhuliches Verhalte» ist gut durch die zwei Zeicheu abgebildet, die Gott ihm
gab. Wenn alle nm ihn her vor Aufregung erhitzt uud trocken wie eine
Dreschtenne waren, so war er gleich dem Fell, kühl uud gefaßt; nnd daun
wiederum, wen» ans alle» lim ihu her Eutmutiguug gleich der Feuchtigkeit
auf der uassen Tenne lag, so war er allem iu seiuem gewöhulicheu Zustande,
ohne daß ei» Tropfe» Feigheit iu ihm war. Vou dieser Art war der M a u u :
gclasseu, ruhig, eutschlosscu, tapfer. Aber iu dem Augeublick, vou dem nnser
Text redet, litt er unter grausamer Bedrückung, war sich bewußt, daß Gott
über Israels Süude zürue, und ward von der Gegenwart Gottes überschattet,
und deshalb war seine Seele bereit, von einer Furcht in die andre zu falleu.
Nur seht, wie schöu dies ist, daß er immer seiue Furcht Gott klagt, immer zu
I h m geht, nm Trost zu empfangen, uud deshalb immer Hilfe erlaugt. Eiu
tapferer Mann ist nicht der, welcher keine» Grnnd zur Furcht sieht, souderu
der, welcher die Gefahr sieht, uud sich über sie erhebt. Die Mä'uner, die im
wirklichen Kampf am kühnsten sind, finden sich gewöhnlich unter denen, die
ernst auf die kommeude Schlacht blickeu und nicht mit leichten« Herzen in den
Krieg gehen. Diese Männer überschlagen die Kosten uud wissen deshalb, was
sie thun, wenn sie einen Kampf beginnen. So war dieser Mann, hin« und
hergeschleudert von eiuer Furcht zur audreu, aber uicmals von seinem Gott
hinweggeschleudert, uud deshalb gewiß, immer wieder in den rechten Stand zu
kommen. Und du, liebe Seele, wenn du Frieden mit Gott suchst, so würde
es mich nicht wundern, falls Furcht auf Furcht folgt, und doch keine Furcht
dich davon wegtreibt, auf den Herru zu blicken. Es ist nur natürlich, daß
du von Ehrfurcht überwältigt bist, aber o, verzweifle uicht, deun es ist der
sicherste Grund zur Hoffnung da. Fahre fort, ans Iesum zu blickeu, und Er
wird dir sicher zu seiner Zeit eine selige Befreiung senden.
Eins ist bemerkenswert, nämlich, daß Gideons größte Furcht aus
eiuem Zeichen entstand, um das er selbst gebeten hatte. Er sprach:
„Mache mir ein Zeichen," und als er dies Zeichen hatte, nämlich Gottes
Kommen zu ihm, da fürchtete er sich. Seid sehr behutsam, wenn ihr um
Zeichen bittet; denn sie möge» euch vielleicht mehr entmutigen als trösten. Ich
Alttestamelltliche Vilder.

habe einige gekannt, die sagten: „Ich will nicht glauben, daß ich ein Kind
Gottes bin, wenn ich nicht ein tiefes Gefühl der Sünde habe;" und wenn
dies Gefühl über sie kam, riefen sie aus: „Ich will niemals wieder darum
bitten." Ich habe von andren gehört, die meinten, daß sie zu Christo kommen
könnten, wenn sie sanft gezogen würden; der Herr zog sie sanft und dann
wünschten sie, daß sie unruhiger und unglücklicher wären. Sie bildeten sich
eil,, sie hätten leichter glauben können, wäre ihre Verzweiflung größer ge>
wesen — eine sonderbare Vorstellung in der That. Die Sache ist, wir sind
znm Unglauben geneigt: dies schädliche Unkraut wächst ohne Säen, uud nur
die sanfte Liebe Jesu kann uns lehren zu glauben. Wir sind stets geschäftig,
neue Zweifel zu fabrizieren, und zum rohen Material dazu benntzen wir die»
selben Zeichen, um die wir deu Herrn so ernstlich gebeten. Wir rufen laut:
„Thue ein Zeichen an mir," und wenn das Zeichen gegeben wird, so sind
wir bestürzt, daß wir erhört wurden, und geraten noch tiefer in Furcht als
zuvor. Deshalb betet um solche Güter mit verhaltenen! Atem und sprecht
zweimal in solchen Sachen: „Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst."
Diese ganze Zeit über, geliebte Freunde, hatte Gideon eine Wahrheit
vor sich, die all seine Fnrcht verhindert haben sollte: denn der Herr hatte zu
ihm gesprochen und gesagt: „Gehe hin in dieser deiner Kraft, du sollst Israel
erlöfen aus der Midianiter Händen. Siehe, ich habe dich gesandt." Seht, er
geht heim in der Furcht, daß er sterben wird, und doch kann dies nicht sein.
Wie konnte er sterben, wenn er Israel erlösen sollte? Er mnßte ein
lebendiger Mann sein, um das zu thun, und dock), wie ihr seht, vergißt er
die Gründe für seinen Trost, aber trägt Sorge, Beweise für seine Furcht zu
finden. Habe ich nie meine Hörer dies thun sehen? Ich habe mich selber
oft dabei ertappt, — daß ich meine Logik nicht zur Stärkung nieines Glaubens
gebraucht, sondern meine Vernunft verkehrt, um meinem Unglauben beizustehen.
Ist dies nicht thöricht und gottlos? W i r schärfen die Messer, womit wir
uns selber schneiden; wir wärmen an unsrem Nusen die Natter, die uns
beißen w i r d ; wir stopfen unser Kissen voll Dornen und füllen unsren Vecher
mit Wermut, nnd das alles zu keinem andren Zweck, als zur Mehrung der
Verzagtheit. Zu oft sind wir fleißig im Vereitelt der Unrnhe und gänzlich
träge im Suchen nach Frende. Dies ist Narrheit, nnd doch sind bessere
Männer als wir in diesen Fehler geraten. Der Herr befreie uns davon.
Unfcr Friede ist darin, daß wir uus Gott uahen, und wenn dabei ein Gefühl
der Gegellwart Gottes uns niederwirft und uns eine schärfere Empfindung
des Schmerzes erzeugt, als wir zuerst hatten, laßt uns darum nicht zurück-
schrecken, sondern mit all nnsrer Macht vorwärts streben. Da unsre Sicherheit
darin liegt, daß wir zu Gott kommen, müssen wir I h m auf jede Gefahr hin
nahen. Wenn Er vor uns zu stehen scheint mit dem gezogenen Schwert in
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 369

der Hand, laßt lins auf die Spitze desselben zulaufen. Selbst wenn unser
Gott ein verzehrendes Feuer ist, laßt uns Ihm doch nahen, denn dies ist in
Wahrheit das hohe Vorrecht der Heiligen. „Unser Gott," das heißt unser
Gott in Christo, „ist ein verzehrendes Fener." „Wer ist unter uns, der bei
einem verzehrenden Feuer wohnen möge? Wer ist unter uns, der bei der
ewigen Glut wohne?" Wenn diese Frage angeführt wird, so bezieht mau sie
gewöhnlich auf die Glut der Hölle. Der Irrtum ist in die Augen fallend.
Denn die biblische Antwort auf die Frage zeigt, daß es nicht so ist: „Wer in
Gerechtigkeit wandelt und redet, was recht ist" — der ist es, der in der Höhe
wohnen wird bei Gott dem Herrn. Der ist der Mann, der im Feuer leben
kann, denn er ist ein echtes Metall. Er hat das reine Herz und soll Gott
schauen und lieben.

„Mau sagt, in jeder Flamme Mitte sei


Ein sichrer Ort der Kühle und der Ruh',
Wo unverletzt und unversehrt das Leben wohnen kau»,
Wie in der Muschel lcuchtcudem Gehäns,
Vuu Feuermcmern rings umschlösse»,
Gleich lichten Schranken, die kein Feind
Nurchbrechen kann.

Es ist ein Punkt der Ruh'


Inmitten jedes Sturm's Gewalt.
Ein Schweigen an der verborgnen Quelle seiner Kraft;
Ein Kindlein mag dort schlummern ungestört,
Tie blonden Locken rühret ihm kein Hauch
I n dieser S t i l l ' im mächt'gen Wirbelwind.

So. wenn zu Gott sich die Gedanken schwingen,


Wirbel der Macht, verzehrend Feuerglnt, —
T a überwältigt wir von Ehrfurcht fallen
Auf uuser Angesicht, und höher seine Huld
Uns hebt und näher noch uns trägt,
Als unerlüste Engel, bis wir steh'»
Wie in der Höhlung seiner Hand.

Nein, mehr! wir lehnen uns an seine Brust —


D o r t , dort ist uuser Puukt vollkommner Ruh',
Glorreicher Sicherheit."

So wohnen wir in dein Herzen Gottes, der eine feurige Mauer um uns
her ist und die Herrlichkeit in nnsrer Mitte. Der, in dessen Innern alles
verbrannt ist, was verbrennen kann, soll in der Gegellwart Gottes das Element
seines Lebens finden. O, die Herrlichkeit des Glaubenslebens! Gott bringe
E p u i g e o n , Alttestamentltche VIlder. . 24
370 Alttestamentliche Bilder.

uns völlig hinein. So habe ich von Gideons Furcht gesprochen, während er
ans dem Pfade des Friedens war.

IN.
Nnn laßt uns einige Minuten lang betrachten, w i e G o t t seinen
Knecht tröstet. „Aber der Herr sprach zu ihm ftclurlon, — Friede sei mit
dir! Fürchte dich nicht; du wirst nicht sterben!" Der Herr will seine Gideonc
nicht beunruhigt im Gemüt sehen. Wenn wir den Feind bedrängen sollen, so
dürfen wir nicht selbst bedrängt sein. „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht cner
Gott. Redet mit Jerusalem freundlich nnd prediget ihr, daß ihre Ritterschaft
ein Ende hat, denn ihre Sünde ist vergeben." So will Gott, daß seine
Propheten sprechen sollen, und so spricht Er selber. Er will seine Arbeiter
voll Trostes haben, während sie arbeiten.
Beachtet, Vrüdcr, die große Macht Gottes, wenn Er die Wahr»
heit in die Seele spricht. Gesetzt, ich grüßte euch: „Vrüder, Friede sei
mit euch." Das wäre ein liebliches Wort; aber wenn der Herr es spricht, so
fühlt ihr den Frieden selbst. Gesetzt, Petrus wäre aufgestanden in jener
Varke, die auf dem Galilä'ischen Meer hin» und hergeworfen ward, nnd hätte
zu den Wellen gesprochen: „Seid stille," die Wellen hätten nicht viel Notiz
von ihm genommen, und der pfeifende Wind würde ihm getrotzt haben; aber
als Jesus sprach: „Friede, seid stille," da schmiegten sich die steigenden Löwen
des Meeres zu seinen Füßen, nnd es ward eine große Stille. O, daß des
großen Meisters Stimme das Requiem der Unrnhe in jenessturmbewegteHerz
tönen lassen wollte, indem Er spräche: „Friede sei mit dir," so daß ihr voll»
kommene Nnhe in eurem Gott finden möget.
„Friede!" das Wort ist 8odlüoiu, das Wort, das Gideon borgte und
dem Altar beilegte, den er in Gehorsam gegen des Herrn Befehl errichtete.
Es bedeutet nicht nur Nnhe, fondern Gedeihen, Erfolg, „gutes Glück," wie
man fagt. Als Gott dies Wort in die Seele seines Knechts hinein sprach,
ward eine große Frende in ihm geboren, die ihn für seinen großen Krieg
vorbereitete. Der Herr erheiterte ihn auch mit: „Fürchte dich nicht." O, das
köstliche Wort, ebenso voll, wie es knrz ist: „Fürchte dich nicht." Es ist
die Totenglocke der Furcht, das Leben der Hoffnung. Wenn wir es als
Gottes tint in unsrer Seele hören, so können wir „Kriegsvolk zerschmeißen
und über die Mauer springen." Zweifel und Furcht fliehen wie die Nacht-
gespenster, wenn die Sonne aufgeht. „Fürchte dich nicht." Was ist da zu
fürchten? Wenn Gott mit ench ist, vor wem könnt ihr dann bange sein?
Gideon fürchtete sich selber, fürchtete seine eigne Ungeschicklichkeit und Unwürdig-
keit, fürchtete sich in der majestätischen Gegellwart Gottes; aber der Herr
sprach: „Fürchte dich nicht," und Gideons Herz ward ruhig. .
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 371

Dann fügte der Herr hinzu: „Du sollst nicht sterben," und trat so der
besonderen Form seiner Furcht entgegen. Dies ist es, was der Herr zu jedem
armen Zitternden sagt, der I h n mit dem verzweifelten Griff des Glaubens
hält: „Du sollst nicht sterben. Dn sollst den zweiten Tod nicht sterben: du
hast keine Sünde, für die du sterben mußt, denn ich habe deine Übertretungen
auf meinen cingcborncn Sohn gelegt. Du sollst uicht sterbe», deun Jesus
starb. Dein geistliches Leben kann nicht erlöschen, denn dein Leben ist ver-
borgen mit Christo in Gott, und weil Jesus lebt, sollst du auch lebeu." Wenn
Jehovah sciueu Kindern Trost zuspricht, so sind sie in der That getröstet, und
ich bitte I h u , heute morgen so zu jedem von euch zu sprecheil, der voll»
kommencn Frieden wünscht. Der Friede Gottes, welcher höher ist deuu alle
Vcruunft, bewahre cnre Herzen und Sinne in Christo Jesu. Möget ihr jeue
Gauge hinabgehen uud sprechen: „Ja, ich habe Frieden mit Gott: ich habe
keine Furcht nun; ich werde nie sterben, denn Jesus spricht: Wer da lebet
uud glaubet all mich, der wird nimmermehr sterben." Was für ein Morgen
ohne Wolken wird dies für eure Seelen sein!

VI.
Laßt uns jetzt auf Gideon« Dcnkzeichen sehen. Nachdem seine
Furcht vcrbaunt und er in vollkommenem Frieden ist, geht Gideon ans
Werk. Sind einige von euch iu Zweifel, ob sie errettet feieu oder uicht?
Geht uoch uicht aus zu predigeu, denn ihr könntet vielleicht andre ill Knecht»
schaft bringen. Sind einige von euch halb bange, daß sie nicht in Frieden
mit Gott seien? Nehmt euch ill acht, was ihr thut! Strebt nach Frieden,
damit ihr nicht euer Zeugnis schwächt. Ich erinnere mich der Lektion, die ich
voll meiner Sountagsschulklasse erhielt. Ich lernte etwas, wenn die andren
Knaben es auch vielleicht nicht thaten. Obgleich uoch eiu Iüugliug, lehrte ich
Knaben das Evangelium und sagte: „Wer da glaubet uud getauft wird, der
wird errettet werden." Einer von ihueu fragte recht ernst: „Lehrer, sind
Sie errettet?" Ich antwortete: „Ich hoffe es." Der Knabe erwiderte:
„Lehrer, wissen Sie das uicht?" Als wenn er gesandt wäre, mir die Sache
ins Herz zu treiben, fragte er weiter: „Lehrer, haben Sie geglaubt?" Ich
fagte: „Ja." „Siud Sie getauft wordeu?" Ich sagte: „Ja." „Nun dann,"
schloß er, „sind Sie errettet." Ich war froh, zu autworten! „Ja, ich bin es;"
aber ich hatte vorher kaum gewagt, das zu fagen. Ich fand, daß, wenn ich
andre Leute die Wahrheit zu lehren hätte, ich ihre lieblichen Wirkungen auf
mich selber kennen und glauben müsse. Ich bill der Meinuug, lieben Freuude,
daß ihr selten audre trösten werdet, ausgeuommen mit dem Trost, mit dem
ihr selbst von Gott getröstet worden seid. Seht auf gewisse unsrer Brüder,
die predigen und keine Vekehruugen haben. Was ist die Ursache in einigen
24'
372 Alttestamentliche Vllder.

Fällen? Ist es nicht, daß sie die ganze Woche nach Fröschen fangen, um
die Lente damit zu speisen, nnd die Lente nicht viel um diese Nahrung geben?
Ich meine dies. Wenn irgend ein nener Zweifel ausgeheckt ist, wenn irgend
ein Philosoph glanbt, einen Fehler im Evangelium gefunden zn haben, so
predigen diese würdigen Lente am nächsten Sonntag darüber, weil sie meinen,
daß jede neu aufgeworfene Frage beantwortet werden müsse. Ich für meinen
Teil kümmere mich keinen Deut uni das, was alle Philosophen ausfindig
machell, denn sie können nicht die Thatsachen meiner Erfahrnng widerlegen.
Wenn mir irgend ein neues Stück Unglauben aufstößt, so beeile ich mich
nicht, es euch zu verkünden nnd so das Annonzieren des Teufels umsonst zu
besorgen. Mögen andre ihrem Geschäft folgen, wenn es ihr Geschäft ist;
mein Geschäft ist, die Wahrheit Gottes zn predigen, die ich von seinem un«
fehlbaren Wort durch die Unterweisung seines Geistes gelernt habe. Gott will,
daß sein Volk im Frieden mit I h m sein und wissen soll, daß es dies ist,
denn wenn es innerlich nnrnhig nnd geängstigt betreffs feiner Stellnng zu Gott
ist, wie kann es die Kämpfe des Lebens dann bestehen?
Als Gideon völlig im Frieden ist, was beginnt er für Gott zu thun?
Wenn Gott euch liebt, fo wird Er euch gebrauchen, entweder zum Leiden oder
zum Dienst; und wenn Er euch Frieden gegeben hat, müßt ihr ench zum
Kriege vorbereiten. Werdet ihr mich für seltsam halten, wenn ich sage, daß
unser Herr kam, uns Frieden zn geben, damit Er uns zum Kriege anssendcn
könne? Gideons erstes Werk war es, hinzugehen und feines V a t e r s heiligen
H a i n umzuhauen, der auf der Höhe des Hügels stand und einen Altar
Baals umschloß. Er konnte dieses Geschäft nicht bei Tage vollziehen, weil
die thörichten Verehrer sich zur Verteidigung ihres stummen Götzen zusammen-
geschart und den Reformator überwältigt hätten; deshalb that er mit seinen
zehn Männern das Werk bei Nacht. Ich meine, ich sehe ihn und feine Leute
in der trüben Dunkelheit mit ihren Äxten und Sägen die Arbeit so stille ver>
richten, wie sie nnr können und alle jene Bäume fällen. Eine treffliche
Lichtung ward in dieser Nacht gemacht. „Nun," ruft er, „nieder mit diesem
abscheulichen Altar Baals." Manche Leute hätten gesagt: „Schone ihn als
eine wertvolle Antiquität." J a , und lasse ihn, damit er wieder gebraucht
wird! Ich sage, nieder damit, denn je älter er ist, desto mehr Sünde hat er
verursacht und um so wahrscheinlicher es ist, daß er wieder verehrt werden wird.
Ich wünsche oft, die Reformatoren wären gründlicher gewesen in ihrer
Zerstörung abgöttischer Bilder und papistischen Plunders. I n mancher Ge«
meinde dieses Landes ist alles bereit zur Wiederherstellung des römischen
Götzendienstes. Die Nester wurden nicht halb niedergerissen und die Krähen
kommen wahrscheinlich wieder. Manches Fenster voll Heiliger, welche die
Bibel nie kannte, wartet nur auf die Märtyrer-Verbrenner, um wieder
Ein Krieg vorüber und ein andrer begonnen. 373

zurück zu komme». Gideon warf jeden Stein danieder, und das war tapfer
gehandelt.
Aber seht, auf des Herrn Geheiß baut er einen neuen Altar von Erde
oder unbehauenen Steinen; und als das gethau ist, holt er seines Vaters
Farren und schlachtet ihn als Opfer. Wie sicher gehen sie zu Werke bei der
Wiedereinführung des reiuen Glaubens l Seht, sie brauchen das Holz des
Hains, um das Opfer zu verbrennen, und der Himmel ist rot vom Wider-
schein des Feuers. Ich meine, ich höre den tapferen Führer sagen: „Laßt sie
nun aufwachen; sie können uns nicht hindern, den Höchsten zu verehren und
können den Hain nicht wieder wachsen lassen. Bei jenem Feuerzeichen soll
Israel sich versammeln, um gegen Midiall zu streiten, und der Sieg soll unser
sein." Geliebte, wenn Gott euch Frieden gegeben hat, so geht heim und
beginnt eure Reformation. Ich möchte den Umsturz jeder Sünde predigen.
Nieder mit jedem Götzen. Habt ihr noch einen übrig gelassen? Weg damit
und bringt Gott ein Opfer. Jeder wahre Christ sollte ein Reformgesetz in
seinem Hause erlassen und es ausführen.

„Willst dn verborgenen Vann noch halten,


Wird, was dn liebst, nicht abgethan.
Willst du so manches noch verschweigen,
So wird dies lanter Unruh' zeugen."

Aber niederreißen ist nicht genug. Viele Leute könneu das thun. Gideou
baut, wie wir gesehen, einen Altar für Jehovah. Wcun ihr uollkommencn
Frieden mit Gott habt, denkt nach, was ihr für I h n thun könnt: denkt an
einen neuen Plan zur Arbeit oder überlegt, wie ihr das Werk besser thun
könnt; fördert jeden Teil der göttlichen Wahrheit, der vergessen, jede Ver-
ordnung, die vernachlässigt, jede Tugend, die verachtet wordeu ist. Besonders
laßt Christum Iesum überall hervortrcteu, den Altar und das Opfer, das
Gott so teuer ist. Nuu da ihr deu Kampf angefangen habt, indem ihr Baals
Hain abhautet, vervollständigt ihn dadurch, daß ihr einen Altar für den Herrn
baut. Statt eiucr Feste und eiues hohen Turmes verkündet das Versöhnungs-
opfer des Herrn Jesu und haltet diese Feste, bis Er kommt.
Als er diesen Altar geballt hatte, nannte er ihn „Iehouah-ßelilUoiu,"
in Dankbarkeit für den erhaltenen Frieden. Die Inschrift erklärt, daß Iehouah
unser Friede ist. Gelobt sei sein Name heute. Wir haben die Schlachte!:
des Friedens begonnen, denn der Herr Gott ist mit uns, und mit seinem
Volk will Er ausziehen, den Frieden zu gewinnen, den Er verheißen hat. Es
war ein Psalm in zwei Worten; es war ein Gesang von einer Zeile, unendlich
süß. „«loliovlüi — ß c l M o i u " : der Herr unser Friede.
374 Alttestamentliche Bilder.

Überdies war es ein Gebet, nach einer andren Übersetzung bedeutet es:
„Jehovah, sende Frieden." Wenn ihr Frieden mit Gott habt, so laßt euer
nächstes Gebet sein: „Herr, gib all Deinem Volk Frieden." „Betet für den
Frieden Jerusalems." Wirke ihn, o Heiliger Geist des Friedens! Dann bittet
um Frieden durch die Eroberung eiller ungöttllchen Welt für Iesum, bis das
erste Weihuachtslied wiederum gesungen wird: „Ehre sei Gott in der Höhe,
und Friede auf Erden, lind den Menschen ein Wohlgefallen."
Seht, Brüder, lind damit schließe ich, hier mag hellte morgen ein jnnger
Mann sitzen, der nicht weiß, was Gott aus ihm machen will. Die Fähigkeiten
zum Dienste, die Gott einer einzigen Persönlichkeit verleihen kann, sind
wunderbar. Jetzt bist du verstört im Gemüt, traurig im Herzen, ohne Ruhe;
du hast vollkommenen Frieden nötig, aber du hast ihn noch nicht gefunden.
Nuhe nicht, bis du ihn hast. All Gottes Altar, wo Jesus starb, wirst dl»
ihn finden, und nur da. Wo Jesu Blut Frieden mit Gott macht, da ist
dein Friede. Nuhe nicht, bis du des Friedens mit dein Herrn über alles ver»
sichert bist, so daß deine Seele sich auf grünen Auen niederlegt und zu frischen
Wassern geführt wird. Ich wünsche, daß druuten ill den tiefsten Tiefen eurer
Natur eine völlige Stille herrschen möchte, die nichts stören kann. Dann
möge der Geist Gottes auf euch kommen, und ihr könnt die Posaune blasen
zu den Schlachten des Herrn. O, das; wir die Tapferkeit hätten, die alles
daniederschlägt, was sündig ist, und alles ausrottet, was irrig ist. „Hier
Schwert des Herrn nnd Gideon" sei nnser Losungswort. Wie unser Meister
gesandt war, die Werke des Tenfels zu zerstören, so haben auch wir denselben
Auftrag, und brauchen nur seine Waffen: Liebe, Wahrheit nnd Selbst-
aufopferung. Amen.
Hände voll Honig. 375

25.
Hände voll Honig.
„Und Simson trat aus dem Wege, daß er das Aas des Löwen
besähe. Siehe, da war ein Bienenschwarm in dein Aas des Löwen,
nnd Honig. Und er nahm ihn in seine Hand nnd aß davon unter-
wegs; und ging zu seinem Vater nnd zu seiner Mntter, und gab ihnen,
daß sie auch aßen. Er sagte ihnen aber nicht an, daß er deu Honig
von des Löwen Aas genommen hatte." Nicht. 14, 8. 9.

E s war ein sonderbarer Vorfall, das; ein unbewaffneter Mann einen


Löwen in der Fülle feiner Kraft erschlug; und noch sonderbarer, daß ein
Schwärm Bienen das trockne Gerippe in Besitz nahm und es mit Honig füllte.
I l l jenem Lande wird durch wilde Tiere, Vögel, Insekten und die trockne
Hitze ein toter Körper bald von aller Verwesung gereinigt, und die Knochen
sind rein und weiß; dennoch bildet das Töten des Löwen uud das Finden
des Honigs eine merkwürdige Erzählnng. Diese sonderbaren Umstände wurden
später der Gegenstand eines Rätsels; aber um das Rätsel wollten wir uns
diesmal nicht kümmern. Simson selber ist ein Rätsel. Er war nicht nur
ein Rätselnlacher, sondern war selbst ein schwer zu erklärendes Rätsel: mit
seinen! persönlicheil Eharakter habe ich diesmal wenig oder nichts zu thun.
W i r ruhen heute uicht in dem Hause von „Gajus, meinem Wirt," wo die
Pilger sich mit einer Schüssel uoll Russe nach Tisch die Zeit vertreiben, sondern
wir sind auf dem Marsche und müssen dem wichtigeren Geschäft obliegen, die-
jenigen, welche sich in unfrer Gesellschaft befinden, zu erfrischen und all-
zufeuern. Ebensowenig wollen wir Schwierigkeiten erörtern, sondern wie
Simson den Honig nahm, ohne gestochen zu werden, so wollen wir Lehren
herausziehen ohne Debattieren. W i r haben in unsren Tagen so viel zu thun,
daß wir praktischeil Gebrauch von jedem Ereignis machell müssen, das uns im
Worte Gottes vorgeführt wird. Mein einziger Zweck ist, die Verzagenden zu
ermuntern und alle Kinder Gottes zu größerem Fleiße in feinem Dienste an-
zuregen. Ich halte dafür, daß der Tert mit Recht zu diesem Zweck zu ge-
376 Alttestamentliche Bilder.

brauchen ist. M i t Hilfe des Heiligen Geistes mögen wir, selbst nach diesem
langen Zeitraum, Honig in dem Löwell finden.
Der besondere Teil des Ereignisses, der in diesen zwei Versen erzählt
wird, scheint von denen Übergängen zn sein, die über Simsons Leben ge>
schrieben haben; ich nehme an, daß er zu unbedeutend erschienen ist. Sie be>
schäftigen sich sehr viel mit seinem Festrätsel, aber sie übergehen die viel
natürlichere und lobenswertere Thatsache, daß er den Honig in seine Hand
nahm und ihn seinem Vater und seiner Mntter darbot. Dies ist der kleine
Auftritt, auf den ich eure Blicke lenken möchte. Es scheint mir, daß der
israelitische Held, einen erschlagenen Löwen im Hintergründe, die Hände voll
Honigscheiben und von Honig triefend, den er seinen Eltern darbietet, ein
schönes Bild ist, würdig des größten Künstlers. Und was für ein Vorbild
haben wir hier von unsrem göttlichen Herrn und Meister, Jesus, dem Über»
winder von Tod und Hölle. Er hat den Löwen getötet, der I h n und uns
anbrüllte. Er hat „Sieg" gejauchzt über all nnsre Feinde. „Es ist vollbracht,"
war sein Triumphgesang; und null steht Er inmitten seiner Gemeinde, die Hände
voll Süßigkeit und Trost, die Er denen darbietet, voll denen Er sagt: „der
ist mein Bruder, und meine Schwester, und meine Mutter." Jedwedem voll
uns, der an I h n glaubt, gibt Er die süße Frucht, die Er uns durch den
Sturz seiner Feinde bereitet hat; Er heißt uns kommen und essen, damit unser
Leben versüßt und uuser Herz mit Frenden erfüllt werde. M i r scheint der
Vergleich äußerst passend lind anregend: ich sehe unsren triumphierenden Herrn
mit Süßigkeit beladen, die Er all seinen Brüdern darbietet und sie einladet,
an seiner Freude teilzunehmen.
Aber, Geliebte, es steht geschrieben: „Gleichwie Er ist, so sind anch
wir in dieser Welt." Alle, die wahre Christen sind, gleichen in gewissem
Maße dem Ehristus, dessen Namen sie tragen, und sein Bild ist's, dein wir
schließlich gleichgestaltet werden sollen. Wenn Er erscheinen wird, so werden
wir I h m gleich sein, denn wir sollen I h n sehen, wie Er ist; und mittlerweile
werden wir in dem Verhältnis, wie wir I h n jetzt sehen, „verkläret ill dasselbige
Bild, von einer Klarheit zu der andren, als vom Herrn, der der Geist ist."
Das Vorbild Simsons mag wohl als das Symbol jedes Christen in der Welt
dienen. Die göttliche Gnade hat dem Gläubigen in seinen geistlichen Kämpfen
geholfen, und er kennt „den Sieg, der die Welt überwindet, nämlich unsren
Glauben." Er hat weit überwunden durch Dell, der uns geliebet hat, und
steht nun unter seinen Mitmenschen uud ladet sie ein, zu Jesu zu kommen.
M i t dem Honig in seinen Händen, an dem er selbst stets sich erfreut, zeigt er
die himmlische Süßigkeit allen um ihn her und spricht: „Schmecket und sehet,
wie freundlich der Herr ist; wohl dem, der auf I h n trauet." Ich bin früher
wohl mit dem beliebten Künstler Gustave D o r ö zusammengetroffen und
Hände voll Honig. 37?

habe ihm Gegenstände an die Hand gegeben. Lebte er noch, und hätte sich
eine andre Gelegenheit geboten, so wäre ich in ihn gedrnngen, ein B i l d von
Simson, wie er den Hollig darbietet: Stärke, die Süßigkeit austeilt, aus»
zuführen; und es hätte als eine beständige Erinnerung an das dienen können,
was der Ehrist sein sollte — ein Sieger und ein Tröster, Löwen erschlagend
und Honig verteilend. Der treue Diener Gottes ringt mit den Mächten des
Vösen; aber mit weit größerer Freude spricht er zu seiueu Freunden uud Ge-
fährteu und fagt: „Esset das Gute, und lasset eure Seele sich an Süßigkeit
erfreuen." Stellt dieses B i l d vor das Auge eures Geistes, und nun laßt mich
darüber sprechen.
Drei Striche mögen hinreichen. Zuerst, das Leben des G l ä u b i g e n
h a t seine K ä m p f e ; zweitens, das Leben des G l ä u b i g e n hat seine
S ü ß i g k e i t ; und drittens, das Leben des G l ä u b i g e n b r i n g t i h n d a h i n ,
von dieser S ü ß i g k e i t a n d r e n m i t z u t e i l e n . Hier ist Raum für nützliche
Betrachtung.
I.
Zuerst also, d a s L e b e n des G l ä u b i g e n h a t seine K ä m p f e . Ein
Ehrist werden, heißt in die Reihen der Krieger eintreten. Ein Gläubiger
werden, heißt eine Pilgerschaft antreten, und die Straße ist oft rauh; die Hügel
silld steil, die Thäler sind dnnkel. Niesen versperren den Weg, und Räuber
lauern in den Winkeln. Wer darauf rechnet, ohne Kampf in den Himmel
gleiten zn können, ist in eillein großen I r r t u m befangen. Kein Kreuz, keine
Krolle; kein Krieg, kein Sieg; kein Ringen, kein Singen. Diese Kämpfe,
wenn wir Simfon als unser Vorbild nehmen, beginnen f r ü h im Leben des
Gläubigen. Während Simson noch ein Kind war, trieb ihn der Geist im
Lager Dan — sehet den letzten Vers im dreizehnten Kapitel; und sobald er
auf der Schwelle des Mauuesalters steht, muß er sich mit einem Löwen
messen. Gott, der beabsichtigte, daß sein Knecht die Philister schlagen und
ihrer stolzen Vedrückung seines Volkes Israel Einhalt thun sollte, begann
früh, den Helden für den Kampf seines Lebens zu erziehen. Als daher
Simson hillging, ein Weib zu nehmen und an die Weinberge zu Thimnnth
kam, da kam ihm ein junger Löwe brüllend entgegen. J a , und es wird nicht
lange daueru, bis der jnnge Gläubige, der noch nicht mit den Mächten der
Finsternis gerungen hat, das Vrüllen des Löwen hört und sich dem großen
Feinde gegenübersteht. Sehr bald lernen wir den Wert des Gebetes: „Erlöse
uns voll dem Vösen l " Die meisten Knechte des Herrn sind Kriegsmänner
von Jugend auf gewefen. Von anßen Streit, felbst wenn im I n n e r n keine
Furcht ist. Dieser frühe Kampf mit dem wilden Tier war von Gott be-
absichtigt, um ihn seine Kraft, wenn er unter dem Einfluß des Geistes stünde,
kennen zn lehren und ihn für seine ki'lnfligen Kämpfe mit Israels Feinden zu
378 Alttestamentliche Bilder.

erziehen. Er, der die Philister erschlagen soll, bis er sie Hansen bei Haufen
gelegt, durch seine bloße Tapferkeit, muß damit beginnen, daß er einen Löwen
mit feinen bloßen Händen zerreißt. Er sollte den Krieg in derselben Schule
lernen, wie ein andrer nnd ein größerer Held, der später sagte: „Also hat
dein Knecht geschlagen, beide, den Löwen und den Bären. So soll nun dieser
Philister, der unbeschnittene, sein, gleichwie deren einer." — Soldaten werden
dnrch den Krieg gemacht. M a n kann nicht Veteranen heranbilden oder Sieger
erschaffen, ausgeuommen dnrch Schlachten. Wie bei den Kriegen der Armeen,
so ist es in geistlichen Kämpfen; die Menschen müssen zum Sieg über das
Böse herangebildet werden dnrch den Kampf damit. Deshalb ist es „einem
Manne gnt, daß er das Joch in feiner Jugend trage;" dann wird es seine
Schulter in spätern Jahren nicht wnnd reiben. Es ist sicherlich eine gefähr»
liche Sache, gauz nnd gar frei von Leiden zn sein. I n der seidenen Nnhc
verliert der Soldat seine Tapferkeit. Seht auf Salomo, einen der größten
und weisesten, und doch möchte ich sagen, einen der kleinsten nud thörichtsten der
Menschen. Es war sein verhängnisvolles Vorrecht, auf einem goldenen Throne
zu sitzen und sich in dein Glänze wolkenlosen Glückes zn sonnen, und daher
gillg sein Herz bald irre, nnd er fiel von feiner hohen Stellung herab.
Salomo hatte in feinen jungen Tagen kein Leid, denn kein Krieg wütete und
kein Feind, der des Nennens wert gewesen, lebte. Sein Leben floß sanft
dahin, und er ward ill einen träumerischen Schlaf gelullt, den Schlaf der
Wollüstigen. Er wäre weit glücklicher gewesen, wenn er gleich seinem Vater,
von seinen frühesten Tagen all zn Kampf lind Leiden berufen worden wäre;
denn dies hätte ihn vielleicht gelehrt, fest auf der Zinne des Nnhmcs zn
stehen, auf welche die Vorsehung (Lottes ihn gestellt. Lerne also, o jnnger
Bruder, daß, wenn du wie Simsoll ein Held für Israel sein sollst, du früh
an Leiden und Wagen in der einen oder andren Form gewöhnt werden mnßt.
Wenn dll beiseite gehst, und dich Betrachtungen Hingebell willst in der Stille
eines Weinbergs, so mag dir ein jnnger Löwe brüllend entgegenkommen; eben
wie nnser Herr und Meister in den ersten Tagen seines öffentlichen Dienstes
ill die Wüste geführt ward, um vom Teufel verflicht zu werden.
Diese Kämpfe, lieben Freunde, mögen oft fehr fchrecklich sein. Unter
einem jungen Löwen ist nicht ein noch nicht ausgewachsener, sondern ein Löwe
in der Fülle seiner ersten Kraft zn verstehen, dessen Schritt noch »licht lang»
samer und dessen W u t noch nicht gezähmt ist durch die zunehmenden Jahre.
Frisch und wütend, ist ein junger Löwe cille der schlimmsten Bestien, denen
ein Mensch begegnen kann. Laßt uns erwarten, als Nachfolger Christi starken
Verfuchungen, grimmigen Verfolgungen und schweren Prüfungen zu begegnen,
die zu ernsten Kämpfen führen. Rechne nicht darauf, dll, der du jetzt den
Harnisch alllegst, daß du ihn bald ablegen werdest, oder daß er, wenn du ihn
Hände voll Honig. 379

ablegst, ebenso glänzend sein werde, als er heute ist. Er wird durch Vlut und
Staub verdunkelt sein und durch manchen Schlag gelitten haben; vielleicht
wird dein Feind einen Weg finden, ihn zu durchbohren oder dich wenigstens
zwischen seinen Fugen zu verwunden. Ich wollte, daß ein jeder begönne,
ein Krieger des Kreuzes zu sein, aber ich wollte, daß er zu gleicher Zeit die
Kosten überschlüge; denn es ist kein Kinderspiel, und wenn er es dafür hält,
so wird er bitter enttäuscht werden. Es wird einem jungen Gläubigen plötzlich
ein Zweifel in den Sinn kommen, von dem er nie zuvor gehört, uud wird
ihm entgegcnbrttllen wie ein junger Löwe; auch wird er nicht sofort sehen,
wie er ihn beseitigen kann. Oder er mag in besondere Verhältnisse gestellt
werden, wo seine Pflicht den zartesten Gefühleu seiner Natur zuwider zu
laufen scheint; auch hier wird der junge Löwe ihm brülleud eutgegeukommcn.
Oder jemand, vor dem er tiefe Hochachwng hat, mag ihn schlecht behandeln,
weil er ein Nachfolger Christi ist, und die Zuneigung und Hochachtung, die
er für diesen Mann hegt, mag ihm den Widerstand um so schwerer machen:
hier ist es ihm auch, als weuu ein Löwe brüllte. Oder er mag durch einen
schmerzlichen Todesfall oder einen harten Verlust leiden. Oder er mag eine
Krankheit haben, die mit Schmerzen und Niedergeschlagenheit verbunden ist,
und diese mögen den Schatten des Todes auf seinen Geist werfen; so daß
wicdernm ein junger Löwe ihn anbrüllt. Vruder, Schwester, laßt uns hierauf
rechueu und nicht dadurch mutlos werden, weil in all diesem das Leben unsres
Geistes ist. Durch solche Lektionen wie diese werden wir gelehret, Gott zu
dienen, Mitgefühl für unfre Mitchristen zu haben uud die Hilfe uusres
gnädigen Heilandes zu schätzen. Durch all dieses werden nur der Erde ent-
wöhnt uud dahin gebracht, nach jener ewigen Herrlichkeit zn dürsten, die an
uus soll offenbar werden, vou der wir mit Wahrheit fagen können : „Es wird
kein Löwe da fein und wird kein reißend Tier darauf treten." Diese gegen-
wärtigen Übel sind zu unsrem künftigen Vcsten: ihr Schrecken ist zu unsrer
Unterweisung. Leiden werden uns gesandt, so ziemlich aus demselben Grunde,
aus welchem den Kananitern verstattet ward, im heiligen Lande zu wohnen,
damit Israel den Krieg lernen und gerüstet sein möchte zu Schlachten gegen
auswärtige Feinde.
Diese Kämpfe kommen früh uud sind sehr schrecklich: und außerdem
treten sie an uns heran, wenn w i r am wenigsten d a r a u f v o r b e r e i t e t
sind. Simson jagte nicht nach wilden Tieren; er ging einem viel zarteren
Geschäfte nach. Er wandelte in den Weinbergen von Thimnath und dachte
an nichts weniger als an Löwen, und „siehe," sagt die Schrift, „da kam ein
junger Löwe brüllend ihn: entgegen." Es war ein merkwürdiges und er-
schreckendes Ereignis. Er hatte seinen Vater und seine Mutter verlasseu uud
war ganz aNein; er konnte keinen herbeirufen, ihm in seiner Begegnung mit
380 Alttestamentliche Bilder.

dem wütenden Angreifer beizustehen. Das Mitgefühl der Menfchen ist überaus
köstlich, aber es gibt Punkte in unsrem geistlichen Kampfe, wo wir nicht darauf
hoffen können. Für einen jeden gibt es Pfade im Leben, die zu schmal sind,
als daß zwei nebeneinander darauf zu gehe» vermöchten. Auf gewissen Felsen»
spitzen müssen wir allein stehen. Wie unsre Eigentümlichkeiten verschieden
sind, so müssen auch unsre Leiden, die unsren Eigentümlichkeiten angepaßt sind,
verschieden sein. Jeder einzelne hat ein Geheimnis, in das kein Freund sich
mischen darf, denn jedes Leben hat sein Mysterium und seinen verborgenen
Schatz. Schäme dich nicht, junger Christ, wenn dir Versuchungen begegnen,
die dir ganz sonderbar erscheinen: Jeder von uns hat das Gleiche von seinen
Prüflingen gedacht. D u bildest dir ein, daß keiner leidet, wie du es thust,
während dich noch keine denn menschliche Verfuchung betreten hat, und Gott
machen wird, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß dl« es könntest
ertragen. Doch für eine Zeitlang magst du in Gemeinfchaft mit deinem Herrn
zu treten haben, da Er „die Kelter allein trat und niemand unter den Völkern
mit I h m war." I s t dies nicht zu deinem Besten? Ist dies nicht der Weg
zur Stärke? Was für eine Art Frömmigkeit ist es, die von der Freundschaft
der Menschen abhängt? Was für eine Religion ist es, die nicht allein stehen
kann? Mein Lieber, du wirst allein zu sterben haben, und du brauchst deshalb
Gnade, dich in der Einsamkeit zu ermutigen. Die teure Gattiu kaun dich
weinend bis ans Ufer des Flusses begleiten, aber in den kalten Strom kann
sie nicht mit dir gehen; und wenn du keine Religiou hast, die dich in der
Einsamkeit des Lebens aufrechthält, was wird sie dir in dem grimmen Allein^
sein des Todes nutzen? Deshalb halte ich es für einen glücklichen Umstand,
daß du zu einsamem Kampf berufen wirst, damit du deinen Glauben prüfen
und sehen kannst, aus welchen! Stoff die Hoffnung gemacht ist.
Der Streit war um so schlimmer für Simson, da er nicht nur ganz
allein, sondern auch „ g a r nichts i n seiner Hand hatte." Dies ist der
merkwürdigste Punkt in der ganzen Erzählung. Er hatte kein Schwert und
keinen Speer eines Jägers, den gewaltigen Feind zu verwunden; er hatte
nicht einmal einen guten Stecken, die Angriffe abzuwehren. Simson stand als
ein unbewaffneter und ungerüsteter Mann vor einer wütenden Vestie. So
sind auch wir geneigt, bei unsren ersten Versuchungen zu denken, daß wir
keine Waffe für den Krieg haben, und wir wissen nicht, was zu thun. W i r
rufen alls: „Ich bin unvorbereitet! Wie kann ich diese Prüfung bestehen?
Ich kann den Feind nicht fassen, um mit ihm zu ringen. Was soll ich thun?"
Hieran wird der Glanz des Glaubens nud die Herrlichkeit Gottes offenbar
werden, wenn du den Löwen erschlägst und es von dir gesagt wird: „und
hatte doch gar nichts in seiner Hand" — nichts als das, was die Welt nicht
sieht und nicht schätzt.
Hände voll Honig. 381

Nun geht einen Schritt weiter, denn die Zeit erlaubt uns nicht, hier
länger zu verweilen. Ich fordere euch auf, daran zu denken, daß der Geist
Gottes es w a r , durch den der S i e g gewonnen ward. W i r lesen:
„Und der Geist des Herrn geriet über ihn und zerriß ihn, wie man ein
Vöcklein zerreißet." Laßt den Heiligen Geist uns in unsrer Not helfen, und
wir brauchen weder Gesellschaft noch Waffe; aber ohne I h n , was können wir
da lhuu? Bischof H a l l sagt: „Wenn jener brüllende Löwe, der umhergeht
und suchet, weil er verschlinge, uus allein iu deu Weinbergen der Philister
findet, wo ist unsre Hoffnnng? Nicht in unsren Fersen, denn er ist schneller
als w i r ; nicht in unsren Waffen, wir sind von Natur unbewaffnet; nicht in
unsrcn Händen, die schwach und matt sind, sondern in dem Geiste Gottes,
durch den nur alles uermögeu. Weuu Gott iu uns kämpfet, wer kann uns
widerstehen? Es ist ein stärkerer Löwe in uns, als der, der gegen uns ist."
Hier ist das eine, was uns not thut, — mit Kraft alls der Höhe an»
gethan zu werden: mit der Kraft des Heiligen Geistes. M i t der Hilfe des
Geistes Gottes wird der Sieg des Gläubigen vollstäudig sein: der Löwe soll
nicht weggetrieben, sondern zerrissen werden. Umgürtet mit des Geistes Macht
soll unser Sieg ebenso leicht wie vollkommen sein: Simsoll zerriß den Löwell,
als wenn er ein kleines Lamm oder ein Ziegenböcklein wäre. Gut sagte
Paulus: „Ich vermag alles durch Dell, der mich mächtig macht, Christus."
Die Süude wird bald überwunden, die Versuchungen werden rasch zurück«
gewiesen, die Trübsal wird freudig ertragen, die Verfolgung fröhlich erduldet,
wenn der Geist der Herrlichkeit uud des Friedens auf uns ruhet. „ M i t Gott
siud alle Dinge möglich;" und da der Gläubige mit Gott ist, so geschieht es,
daß alle Dinge ihm möglich sind, der da glaubet."
Weun wir von allen Teufeln in der Hölle umgeben wären, so brauchten
wir sie keinen Augenblick zu fürchten, wenn der Herr auf unsrcr Seite wäre.
Wir sind mächtiger, als alle Legionen der Hölle, wenn der Geist mächtig in
uns ist. Wenn wir von Satan niedergeschlagen würden, bis er seinen Fuß
auf unsre Brust gesetzt, um das Lebeu selbst aus uns heraus zu pressen, so
wollten wir doch, wenn der Geist Gottes uus hülfe, die Hand ausstrecken uud
das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, ergreifen uud die
Heldeuthat des „Christiall" wiederholen, als er dem „Avollyon" so schwere
Wundell beibrachte, daß er seine Dracheuflügel ausbreitete und davon flog.
Deshalb fürchtet euch nicht, ihr Angefochtenen, sondern traut auf den Geist
Gottes, und euer Kampf wird bald in Sieg sich wandeln. Zuweilen ist unser
Kampf einer mit der vergangenen Sünde. W i r fragen zweifelnd: „Wie
kann sie vergeben sein?" Die Versuchung verschwindet vor einem Blick auf
den sterbenden Erlöser. Dann brüllen die angebornen Lüste uns an, und
wir überwinden sie durch das Blut des Lammes, denn „das Blut Jesu Christi,
382 ' Alttestamcntliche Bilder.

seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde." Zuweilen führt eine
rasende Leidenschaft oder eine starke Gewohnheit Krieg wider uns, und dann
überwinden wir durch die Kraft des heiligenden Geistes Gottes, der in uns ist
und allezeit in uns bleiben soll. Oder auch ist es die Welt, die uns versucht,
und unsre Füße wären fast geglitten; aber wir überwinden die Welt durch
den Sieg des Glaubens, und wenn Satan wider mis Fleischeslust, Augculust
und hoffärtiges Leben aufreizt, fo werden wir dennoch davon befreit werden,
denn der Herr ist eine feurige Mauer um uus her. Das inwendige Leben
widersteht tapfer aller Sünde, nnd Gottes Hilfe wird den Glänbigen gegeben,
um sie i n dem Augenblicke dringender Not vor allem Übel zu bewahren;
eben wie Er feinen Märtyrern und Vekenncrn geholfen hat, das rechte Wort
zu sprechen, wenn sie unvorbereitet berufen wurden, ihren Widersachern gegen-
überzutreten. Kümmere dich deshalb nicht darum, o, du auf Iesum Vertranendcr,
wie grimmig dein Feind heute sein mag! Wie der junge David den Löwen
und den Vä'ren crschlng und den Philister dazu, ebenso sollst dn von Sieg
zu Sieg gehen. „Der Gerechte muß viel leiden, aber der Herr hilft ihm
aus dem allen." Deshalb tretet mit Löwenmut den Löwen entgegen, die euch
zu verschlingen suchen.
II.
Nun also kommen wir zu nusrcm zweiten Teil, der ist: D a s Aeben
des G l ä u b i g e n h a t seine S ü ß i g k e i t . Wir töten nicht allezeit Löwen,
wir essen zuweilen Honig. Manche von uns thnn beides zu gleicher Zeit:
wir töten Löwen und hören doch nicht auf, Honig zu esseu; und wahrlich, es
ist ein Süßes geworden, nm Christi willen in den Kampf zn gehen, daß es
eine Freude ist, „ob dein Glauben zu kämpfen, der einmal den Heiligen vor»
gegeben ist." Derselbe Herr, der gesagt hat: „Seid männlich und seid stark",
hat auch gesprochen: „Freuet euch."
Das Leben des Gläubigen hat seine Süßigkeit, und diese ist die aus-
erlesenste: denn was ist süßer denn Honig? Was ist frendenuoller als die
Freude eines Heiligen? Was ist glücklicher als das Glück eines Gläubigen?
Ich will mich nicht herablassen, einen Vergleich zwischen uusrer Freude und
der Lustigkeit der Thoren zu ziehen: ich will nicht weiter gehen als bis zum
Gegensatz. Ihre Lnstigkeit ist wie das Krachen der Dornen unter einem Topf,
die Feuer speien, Lärm machen und aufflackern, aber es ist keine Hitze da, nnd
sie sind bald aus: nichts kommt danach, es dauert lange, bis der Topf kocht.
Aber des Christen Freude ist wie ein stetes Kohlenfeucr. I h r habt den Kamin
voll brennend roter Kohlen gesehen und die ganze Masse derselben schien ein
glühender Rnbin, und jeder, der aus der Kälte ins Zimmer kam, war froh,
sich die Hände zu wärmen, denn es strömte eine lebendige Hitze aus und wärmte
Hände v o l l Honig. 383

den Körper bis ins Mark hinein. So sind unsre Freuden. Ich wollte lieber
die Freude Christi fünf Niinuten lang haben, als in der Lust der Thoren ein
halbes Jahrhundert lang schwelgeil. Es ist mehr Seligkeit in der Thräne
der Buße als in dem Lachen der Lustigkeit; unfre heiligen Schmerzen sind
süßer als des Wcltliugs Freudell. Aber, o, wenn unsre Freuden voll werden,
göttlich voll, dann sind sie unaussprechlich wie jene droben, uud der Himmel
beginnt hienicden. Weintet ihr nie vor Frenden? Vielleicht sagt ihr: „Nicht
seitdem ich Kind war." Ich auch nicht: aber ich bin immer ein Kind
geblieben, soweit die göttliche Freude iu Betracht kam. Ich kann oft vor Frenden
weineil, wenn ich weiß, all weil ich glaube, und gewiß bin, daß Er mir meine
Beilage bewahren kann bis all jenen Tag.
linser ist eine Freude, die das Nachdenken vertragen kann. I h r könnt
es wagen, ans den Boden derselben zu blicken und ihre Gruudlage zu prüfeil.
Es ist eine Freude, die uie alt w i r d ; ihr könnt sie jahrelang genießen und
nie übersättigt sein; ihr könnt wieder und immer wieder zn ihr zurückkehren
ulld sie stets so frisch wie je finden. Und das beste daran ist, daß keine
Neue darauf folgt. Es thut euch niemals leid, daß ihr so fröhlich gewesen.
Die lustigen Leute der Welt empfinden bald Überdruß an ihrem Becher; aber
uns thut es nur leid, daß wir nicht noch froher gewesen, denn uusre Fröhlich»
kcit heiligt. Uns wird kein Grad der Freude versagt, deu wir möglicher«
weise erreichen können, denn unsre ist eine gesuude, Gesundheit gebende Wonne.
Christus ist die Fülle der Freude für sein Volk, lind uus ist geheißen, uns
völlig seiner zu erfreuen. Christen haben ihre Süßigkeit und diese ist wie
Honig ulld Honigseim, das Beste vom Besten.
Von diesen Freuden ist eine F ü l l e da; denn Simson fand, sozusagen,
eill lebendige Honigquelle, da er einen Bienenschwarm entdeckte. So reichlich
war der Honig, daß er eine große Masse nehmen uud in seiller Hand tragen
und damit hinweggehen und ihn andren bringen kollllte. I l l der Liebe Christi,
ill der Vergebung der Sünde, ill der Annahme in dem Geliebten, ill der
Nnhe in Gott, i l l der völligen Ergebung in seinen Willen, in der Hoffnung
des Himmels ist eine solche Freude, daß niemand sie messen kann. W i r haben
in den köstlichen Verheißuugeu Gottes solch einen lebendigen Schwärm von
Bienen, um Houig zu bereiten, daß weit mehr Freude für uns da ist, als
wir zu genießen vermögen. Es ist noch unendlich viel mehr voll Christo über
unsren Begriff hinaus, als wir je zu begreifen im stände gewesen sind. Wie
selig, mls seiner Fülle zu empfangen, voll seiner Süßigkeit zu genießen, und
dennoch zu wissen, daß uueudliche Güte stets noch zurückbleibt. Vielleicht habeu
einige von euch soviel von Christo genossen, daß ihr kanm mehr ertragen
konntet; aber eure größten Freuden sind nur wie winzige Muscheln, die von
eiller einzigen Welle gefüllt werden, während der ganze grenzenlose Ozean weit
384 Alttestllmentliche Bilder.

über euren Gesichtskreis Hinalls wogt. W i r haben außerordentlich große


Freude, ja, überflüssig Freude. Unsres Meisters Hochzeitsmahl ist nicht so
spärlich eingerichtet, daß wir für einen neuen Gast einen neuen Stuhl zu
holen brauchten oder bei uns selber denken müßten, daß wir besser thäten,
nicht aufs Ungefähr einzuladen, damit wir nicht durch zn großes Gedränge
belästigt würden. Nein, die Säulenhallen der Barmherzigkeit, in denen der
König sein Fest hält, sind so ungemein weit, daß es unser lebenslanges Ge-
schäft sein wird, sie mit Gästen zu ucrseheu, indem wir sie nötigen, herein-
zukommen, auf daß sein Haus voll werde und sein königliches Fest zchntansend
mal zehntausend Herzen froh mache.
Lieben Freunde, wenn ihr wissen wollt, worin unfre Freude besteht, so
will ich einen Augenblick dabei stehen bleiben, obwohl ich schon darauf hin>
gedeutet habe. Unsre Freuden f i n d e n sich oft da, wo früher unsre
Kämpfe w a r e n . W i r nehmen unfren Honig aus den Löwen, die für uns
oder von uns erschlagen worden sind.
Da ist zuerst unsre Sünde. Ein schrecklicher Löwe! Aber es ist ein
toter Löwe, denn die Gnade ist noch mächtiger geworden, als die «nächtige
Sünde. O Brüder, ich habe nie von irgend eiller Süßigkeit ill der gauzen
Reihe menschlicher Freuden gehört, die dem Gefühl der vergebenen Sünde
gleichkäme. Völlige Vergebuug! Freie Vergebung! Ewige Vergebung! Seht,
sie funkelt, wie der Tau des Himmels. Zu wissen, daß Gott meine Sünde
allsgetilgt hat, ist ein Bewußtsein, reich an unaussprechlicher Seligkeit. Meine
Seele begann die Gesänge der Seraphim zu hören, als sie den Toll hörte:
„Ich vertilge deine Missethat wie eine Wolke und deine Sünde wie den
Nebel." Das ist allserlesener Honig für dich!
Der nächste tote Löwe ist das überwundene Verlangen. Wenn ein dem
Willen Gottes zuwiderlaufender Wunsch in dem Herzen aufgestiegen war, und
ihr spracht: „Nieder mit dir! Ich will dich niederbeten. Du pflegtest mich
zll überwältigen; ich geriet ill eine Gewohnheit und war bald von dir besiegt;
aber ich will dir nicht wieder nachgeben. Durch Gottes Gnade will ich dich
überwinden;" — ich sage, wenn ihr zuletzt den Sieg erlangt habt, dann durch«
zieht eine so süße Zufriedenheit euer Herz, daß ihr mit unaussprechlicher
Freude erfüllt werdet; und ihr feid innig dankbar, daß der Geist Gottes euch
geholfen, euren eignen Geist zu besiegen. So habt ihr wiederum geistlichen
Hollig gegessen.
Wenn ihr in eurem Innern fühlt, daß ihr eine starke Versuchung über«
wunden habt, so ist eller Gesang um so lauter und eller Dank um so
frendiger, je grimmer und schrecklicher sie gewesen ist. Um wieder zll
V l l n y a n zurückzugehen: als Christian durch das Thal des Todesschattens bei
Nacht gegangen und ganz herausgekommen war, und null die Sonne aufging,
Hände voll Honig. 385

da sah er zurück. (Eine Panse.) Dieser Blick währte lange, dafür stehe ich euch.
Was für Gedanken hatte er dein, Zurückblicken. Er konnte so eben jenen
schmalen Pfad mit dein Sumpfmoor auf der eitlen und dem tiefen Graben
auf der andren Seite unterscheiden; er konnte die Schatten sehen, in denen
die Kobolde schrieen nnd die feurigen Allgell erglänzten. Er sah beim
Sonnenlicht zurück und dachte bei sich: „ O , welche Güte ist mit mir gewesen!
Ich bill durch all das hindurchgegangen, und doch biu ich uuverletztl" Was
für ein fröhlicher Überblick war es für ihn! O, die Frende, durch eine Ver-
suchung hindurchgegangen zn sein, ohne unsre Kleider befleckt zu haben! Was
müssen Sadrach, Mesech und Abednego gefühlt haben, als sie aus dem feurigen
Ofen traten und nicht einmal versengt waren, und man keinen Brand an
ihnen riechen konnte! Glückliche Männer waren sie, in der Mitte des sieben-
mal heißeren Ofens am Leben geblieben zn sein, wo alles andre verzehrt
wurde. Hier ist wiederum „ein Stück Honigseim."
W i r finden ferner Honig in einem andren erschlagenen Löwen; nämlich
ill unsren Leiden, nachdem wir instandgesetzt worden sind, sie zn ertragen.
Dies ist das Metall, aus dem uusre Freudeuglocken gegossen werden. Alls
dem Erz unsrer Trttbsale machen wir die Posaunen nnsres Triumphs. Nicht
der ist der glückliche Maun, der keine Leiden gesehen hat, sondern: „selig ist der
Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewähret ist, wird er
die Krone des Lebens empfahen."
Auch der Tod. O, der Hollig, der ill einem toten Tode gefunden wird.
Der Tod ist ill der That tot. W i r triumphieren über ihn und fürchten uus
uicht mehr vor ihm, als kleine Kinder sich vor einem toten Löwen fürchten.
Wir zupfen ihn am Barte und sagen: „ O , Tod, wo ist dein Stachel? O,
Grab, wo ist dein Sieg?" W i r sehen sogar mit Freuden auf die Zeit unsres
Abscheidens Hill, wenn wir diesen schwerell Erdellleib verlassen und auf Geister-
flügeln uns zu nnsrcm Vater und imsrem Gott schwingen werden. I h r seht,
hier ist reicher Vorrat an Honig für Gottes Volk; und wir zögern nicht, ihn
zu essen. Laßt andre sagen, was sie wollen, wir sind ein glückliches Volk,
glücklich in dem Heiligen Geist, glücklich ill Gott, unsrem Vater. S o haben
Gläubige ihre Süßigkeiten.

III.
Aber das dritte ist der Puukt, bei dem ich verweilen möchte. D a s
Leben des G l ä u b i g e n f ü h r t i h n d a h i n , v a n dieser Süßigkeit
mitzuteilen. Sobald wir den Hollig der vergebenen Sünde geschmeckt und
die Seligkeit empfunden haben, die Gott für sein Volk in Christo Jesu auf-
behalten hat, so fühlen wir, daß es beides, unsre Pflicht und unser Vorrecht ist,
die gute Botschaft andren mitzuteilen. Hier laßt mein im Geist entworfenes
S p u r g e o n , Alttestamentllche Bilder. 25
386 Alttestameutliche Bilder.

Vild in unsrer Mitte stehen: der starke Mann, Vesieger des Löwen, der in
seiner Hand den Honig seinen Eltern darbietet. Wir sollen nach dieser Gestalt
gesonnt werden.
Und zuerst, wir thun dies augenblicklich. Sofort wenn ein Mensch
bekehrt ist, würde sein Instinkt, wenn er sich diesem überliesie, ihn dahiu>
führen, seinen Mitmenschen es zu erzählen. Ich weiß, den Augenblick, als ich
aus jener kleinen Kapelle herauskam, in der ich den Heiland gefunden,
wünschte ich, meine Freude zu «erkunden. Ich hätte mit dem Dichter aus«
rufen mögen:
„Nun sag' ich's Sündern allcrwärts:
Den Heiland fand mein sehnend Herz;
Ich weis' auf sein vergoss'nes Vlut
Und zeig', wo man in Frieden rnht."

Mich verlangte danach, zu erzählen, wie glücklich meine Seele sei und
welche Befreiung von der zermalmenden Last der Sünde ich gefunden. Mich
verlangte danach, alle andren kommen, dem Herrn vertrauen und lebendig ge»
macht zn sehen! Ich hielt keine Predigt, aber ich denke, ich hätte dies ganze
Evangelium in dieser ersten Stunde verkünden können. Fühltest du, mein
Freund, nicht ganz ähnlich? Sehnte sich deine Zunge nicht, auszusprechen,
was der Herr für dich gethan? Vielleicht bist du einer von jenen abgemessenen
und zurückhaltenden Leuten, die sehr begabt im Halten ihrer Zunge sind; und
deshalb verließest du die Füße Jesu mit Schweigen, — ein Schweigen, über
das die Engel sich wunderten. Ist es dies, weshalb du deinen Mund seitdem
immer gehalten hast? Vielleicht würdest d u , wenn du damals angefangen
hättest, zu sprechen, dein Zeugnis bis auf diesen Tag fortgesetzt haben. Ich
wiederhole meine Behauptung, daß es der Instinkt jeder neugebornen Seele
ist, die frohe Votschaft, welche die Gnade im Herzen verkündet hat, mitzuteilen.
Gerade wie Simson nicht sobald den Honig geschmeckt hatte, als er einen Teil
davon zu seinem Vater und seiner Mutter trug, so eile» wir, unsre Nachbarn
zu Christo einzuladen. Mein lieber, junger Freund, sobald du nur die Freude
des Herrn kennst, thue deinen Mund in rnhiger, demütiger Weise auf uud
lasse dich nie unter die Taubstummen zählen. Laß dich dnrch niemand ab-
halten, dein Herz zu erleichtern. Folge nicht dem schlechten Beispiel derer, die
stumme Huude geworden sind durch ihre Feigheit am Anfang.
Der Gläubige wird bei denen beginnen, die ihm am nächsten stehen.
Simson brachte den Honig seinem Vater und semer Mutter, die nicht weit
weg waren. Bei jedem von uns würde es das Natürlichste sein, einem
Bruder, einer Schwester, einem Mitarbeiter oder einem Freunde davon zu er-
zählen. Es wird eine große Freude fein, sie den Honig essen zu sehen, der
unsrem Gaumen so schmackhaft ist. Es ist fehr natürlich, wenn Eltern
Hände voll Honig. 387

wünsche», ihren Kindern sogleich von der göttlichen Liebe zu erzählen — habt
ihr Nlle das gethan? I h r betet für eure Kinder, aber viele von euch würden
das Werkzeug znr Erhörung ihrer eignen Gebete sein, wenn sie mit ihnen
einzeln sprechen wollten. Dies mag schwer erscheinen, aber einmal angefangen,
wird es bald leicht werden: und iu der That, weun es schwer wäre, so sollten
wir schon aus diesem Grunde danach streben, es zu thun. Sollten wir nicht
manches Schweres für Den thnn, der für uns alles Schwere überwand?
Wenigstens versagt euren eignen Kindern nicht das persönliche Zeuguis ihres
Vaters oder ihrer Mutter von der außerordentlichen Macht der Gnade und
der unaussprechlichen Süßigkeit der göttlichen Liebe. Sagt es denen, die euch
am nächsten sind.
D e r G l ä u b i g e w i r d dies t h u n , so gut er kann.
Simson brachte, wie ihr seht, seinem Vater und seiner Mutter den
Honig in schlichter und schneller Art und fuhr mit Essen fort, während er ihn
trug. Wenn ich meinem Vater und meiner Mntter Honig geben wollte,
würde ich es in zierlicher Weise thun: wenigstens würde ich ihn in eine so
anständige Schüssel legen, wie unsre Küche nur hätte; aber es waren keine
Schüsseln und Teller da draußen in dem Weinberge, von Thimnath, nnd daher
waren seine Hände die einzigen Präsentierteller, auf denen Simson den Lecker'
bissen darbieten konnte: „er nahm's in seine Hand und ging zu seinem Vater
und zu seiner Mutter, und gab ihnen, daß sie auch aßen." Vielleicht denkst dn:
„Wenn ich mit den Menschen von der wahren Religion sprechen soll, so möchte
ich es gern in Poesie thun." Thue es lieber in Prosa, denn vielleicht würden
sie deinen Versen mehr Aufmerksamkeit zuwenden als deinem Thema. Gib
ihnen den Honig i n deinen H ä n d e n , uud wenn keine Schüssel da ist,
können sie die Schüssel nicht beachten. „ J a , aber ich möchte es gern in sehr
passender Weise thun," sagt der eine, „es ist eine sehr wichtige Sache, ich
inöchte gern durchaus richtig sprechen." Mein Urteil ist, da du wahrscheinlich
nicht in solcher Geschwindigkeit eine richtige Ausdrucksweise erlangen wirst,
und deine Freunde sterben können, während du deine Grammatik und deine
Rhetorik lernst, so thätest du besser, ihnen von Jesu zu sagen, so gut du es
jetzt vermagst. Sage ihuen, daß Leben in einem Blick auf Iesum ist. Er»
zähle ihnen die Geschichte einfach, wie ein Kind dein andren erzählt. Trage
den Honig in deinen Händen, wenn er auch überall abtröpfelt: kein Schaden
wird alls dein Überfließen entstehen, denn es sind überall Kleine, die auf
solche Tropfen warten. Wenn du das Evangelium überall hintröpfeln und
alle Dinge versüßen ließest, so würde das keine Verschwendung sein, sondern
rund umher ein gesegneter Gewinn. Deshalb sage ich euch, redet von
Iesll Christo, so gut ihr könnt, und hört nie damit auf, so lange das Leben
dauert.
25*
388 Alttestamentliche Bilder.

Aber dann that Simson etwas andres, und jeder wahre Gläubige sollte
es auch thun: er erzählte seinen Eltern nicht nur von dem Honig, sondern
er brachte ihnen welchen. Ich lese nicht: „Und er sagte seinem Vater
und seiner Mutter von dem Honig," sondern ich lese: „Und er nahm's in seine
Hand." Nichts ist so mächtig als eine Darstellung der Gnade uor den andren.
Sprecht nicht davon, sondern tragt sie in euren Händen. „Ich kann das nicht
thun," sagt einer. Ja, du kannst es, durch dein Leben, deine Gemütsart,
deinen Sinn, dein ganzes Verhalten. Wenn deine Hände Gott dienen, wenn
dein Herz Gott dient, wenn dein Antlitz vor Freuden strahlt im Dienste
Gottes, so wirst du die Gnade überall hintragen, wohin du gehst, uud die,
welche dich sehen, werden sie wahrnehmen. Du wirst kaum nötig haben, zu
sagen: „Kommt und nehmt an der Gnade teil;" denn die Gnade Gottes in
dir wird selbst einladen uud auzieheu. Lassen wir unser Leben voll von
Christo sein und wir werden Christum predigen. Ein heiliges Leben ist die
beste der Predigten. Seelen gewinnen geschieht durch ein gewinnendes Leben
sicherer, als durch gewinnende Worte.
Beachtet auch, daß Simson es mit großer Bescheidenheit that.
Wir haben eine Menge Leute heutzutage, die keine Maus töten können, ohne
es in einerchristlichenZeitnng zu verkünden; aber Simson tötete einen Löwen
und sagte nichts davon. Er hält den Honig in seiner Hand für seinen Vater
und seine Mutter — er zeigt ihnen den; aber uns wird ausdrücklich gesagt,
daß er weder seiuem Vater noch seiner Mutter erzählte, daß er ihn aus dem
Gerippe des Löwen genommen. Der Heilige Geist findet Bescheidenheit etwas
so Seltenes, daß Er Sorge trägt, ihrer zu erwähnen. Beim Erzählen enrer
Erfahrung seid weise und vorsichtig. Sagt viel von dem, was der Herr für
euch gethan hat, aber wenig von dein, was ihr für den Herrn gethan habt.
I h r habt keine große Anstrengung nötig, um in diesem Punkt kurz zu sein,
denn ich fürchte, daß nicht viel da ist, auch weun alles erzählt wird. Äußert
kein Wort des Selbstruhms. Laßt uns Christum voran stellen und die Freude
und Seligkeit, die durch den Glauben an I h n kommt; und von uus selber
brauchen wir kein Wort zu sprechen, ausgenommen um unsre Sünden und
Mängel zu beklagen.
Die Summe von dem, was ich zu sagen habe, ist dies: wenn wir
Freude in Christo geschmeckt haben, wenn wir die Tröstungen des Geistes
kennen gelernt haben, wenn der Glaube eine wirkliche Macht für uns gewesen
und Frieden und Ruhe in uns gewirkt hat, so laßt uns diese selige Entdeckung
andren mitteilen. Wenn ihr das nicht thnt, merkt euch, dann habt ihr gerade
den Zweck verfehlt, um deswillen Gott euch gesegnet hat. Ich hörte neulich
von einer Ansprache in einer amerikanischen Sonntagsschule, die nur sehr
gefiel. Der Lehrer sagte zu den Knaben: „Hier ist eine Uhr. Wozu ist sie?"
Hände voll Honig. 383

Die Kinder antworteten: „ U m die Zeit anzuzeigen." „ W o h l , " sagt er, „gesetzt,
meine Uhr zeigt nicht die Zeit an, wozu ist fie dann gut?" „ Z u nichts gut."
Darauf nahm er einen Bleistift heraus. „Wozu ist dieser Bleistift?" „Um
damit zu schreiben." „Gesetzt, dieser Bleistift wollte keinen Strich machen,
wozu ist er gilt?" „Ztt nichts gut." Dann zog er ein Taschenmesser heraus,
„söozii ist dies?" Es waren amerikanische Knaben, deshalb riefen sie: „um
dainit zu schnitzeln;" d. l)./ um damit Experimente an allem zu machen, was
ihnen in den Weg kommt. „Aber," sagte er: „gesetzt, es will nicht schneiden,
wozu ist es dann gut?" „ Z u nichts gut." Darauf fragte der Lehrer: „Was
ist der Hauptzweck des Menschen?" und sie erwiderten: „Gott zu verherrlichen."
„Aber gesetzt, ein Mensch verherrlicht Gott nicht, wozu ist er dann gut?"
„ Z u nichts gut." — Das stellt sehr klar den Punkt vor Augen, um den es
hier sich handelt; es gibt viele Vekenner, von denen ich nicht sagen will,
daß sie zu nichts gut sind, aber mich deucht, wenn sie sich nicht bald auf«
raffen, um Gott zu verherrlichen dadurch, daß sie die Süßigkeit der Liebe
Gottes verkünden, so wird es ihnen hart ergehen. Gedenkt daran, wie Jesus
vou den, dummgewordenen Salz sagte: „es ist hinfort zu nichts nütze." Wozu
wurdet ihr bekehrt? Wozu ward euch vergeben? Wozu wurdet ihr erneuert?
Wozu werdet ihr hier auf der Erde gelassen, als um andren die frohe
Votschaft des Heils zu verkünden und so Gott zu verherrlichen? Geht also
alls luit euren Händen voll von dem Honig göttlicher Liebe und bietet ihn
andren dar.
I h r müsset sicherlich dadurch Gutes thuu: ihr könnt unmöglich Schaden
thun. Simson lud nicht seinen Vater uud seine Mutter ein, den Löwen
zu seheu, als er lebendig war uud brüllte, — er hätte il» diese,» Fall Schaden
anrichten können, indem er sie erschreckte oder sie einer Gefahr aussetzte;
die Sache mit dem Löwen besorgte er allein, und als es an den Hollig kam,
da wußte er, daß selbst seine Mutter sich d a b e i nicht beunruhigen könnte;
deshalb lud er sie beide ein, seinen Gewinn zu teilen. Wenn ihr in einen
Soelenkampf geratet, macht eure Not uicht all euren Freundelt bekannt, sondern
fechtet männlich ill Gottes Namen; aber wenn ihr die Freude Christi und die
Liebe des Geistes habt, und die Gnade reichlich in eurer Seele ist, dann ver>
kündet die Votschaft rund umher. I h r könnt durch ein solches Verfahren
keinen Schaden stiften: die Gnade thut Gutes und kein Leid. Selbst wenn
ihr einen Blunder dabei macht, werdet ihr kein Unheil anrichten. Das
Evangelium, das auf den Boden verschüttet wird, ist nicht verloren. Gutes
und nur Gutes muß daraus kommen, wenn man das Heil durch Jesu m Christum
bekannt macht.
Es wird viel besser für euch seiu, von der Süßigkeit des Christel!'
glaubens zu erzählen, als Rätsel über die Lehren desselben zu machen.
390 Alttestamentliche Bilder.

Simson machte nachher ein Rätsel über seinen Löwen nnd den Honig: nnd
dies Rätsel endigte nnt Streit und Blutvergießen. W i r haben gewisse Christen
ihr Leben damit zubringen gesehen, daß sie Rätsel über den Honig nnd den
Löwen machten, indem sie zähe, dogmatische Fragen aufstellten, die selbst Engel
nicht beantworten können: „Löse mir dies Rätsel," sagten sie, und dann
endete die Sache mit Streit, und die brüderliche Liebe ward in dem Kampf
ermordet. Es ist viel besser, eure Hände voll Honig denen zu bringen, die
bedürftig sind, damit sie von demselben essen, als zu mäkeln und zu debattieren.
Kein Unheil kann daraus entstehen, wenn ihr erzählt, was der Herr für enre
Seele gethan hat, und es wird ench von schädlichen Dingen abhalten. Deshalb
möchte ich alle Christen anregen, voll Tag zn Tag damit fortzufahren, be»
dürftigen Sündern von Christo zu erzählen, damit sie kommen und an I h m
teilnehmen.
Wenn ihr dies thut, werdet ihr den Menschen viel mehr Gutes erweisen,
als Simson feinen Eltern erweisen konnte, denn unser Honig ist Honig der
Ewigkeit, unsre Süßigkeiten sind solche, die bis zum Himmel währen nnd
dort am besten genossen werden. Rnft andre herbei, zu fchmecken und zu
sehen, daß der Herr freundlich ist, nnd darin werdet ihr viel Frennde finden-
I h r werdet ener eignes Vergnügen mehren, indem ihr das Werk des Herrn
in euren Händen gedeihen feht. Was für eine Seligkeit erwartet Christen,
die nützlich gewirkt haben, wenn sie ill den Himmel eingehen, denn dort
werden ihnen viele entgegenkommen, die ihnen vorangegangen nnd zu deren
Bekehrung sie das Werkzeug gewesen sind. Ich singe oft innerlich, wenn ich
wahrnehme, daß ich kaum in eine Stadt oder ein Dorf gehen kann, ohne
daß jemand mich aufstöbert, um zu fagen: „Unter Gott verdanke ich meine
Errettung Ihren Predigten oder Ihren Büchern." Was wird die Seligkeit
des Himmels fein, wenn wir die antreffen, die zur Gerechtigkeit sich kehrten,
weil wir das Wort des Lebens verkündeten! Unser Himmel wird zu sieben
Himmeln werden, wenn wir diese dort sehen. Wenn ihr nichts gethan habt,
als in eurem Leben die köstlichen Folgen der Gnade dargestellt, so habt, ihr
wohl gethan. Wenn ihr euren Gefährten Wahrheiten angeboten, die Süßigkeit
für euch waren, und versuchtet, in gebrochenen Worten zn sagen: „ O , daß ihr
diesen Frieden kenntet!" so wird es euch unaussprechliche Freude machen, die
in der Herrlichkeit allzutreffen, die durch solche einfache Mittel zu Christo
gezogen wurden.
Gott mache euch alle zu seinen Zeugen in den Kreisen, in denen ihr
euch bewegt. Amen.
Ein Weib von traurigem Gemüt. 391

2s
Gin Weib von traurigem Gemüt.
„Hanna aber antwortete und sprach: Nein, mein Herr, ich
bin ein betrübtes Weib." 1 Sani. 1, 15. „Ich bin ein Weib von
traurigem Gemüt," (Engl. Üb.)

3 i e besondere Ursache der Betrübnis Hannas entstand aus der Ein«


richtung der Polygamie, die, obwohl sie nnter dem alten Gesetz geduldet wurde,
uns doch in ihrer thalsächlichen Wirkung stets als eine sehr fruchtbare Quelle
des Schmerzes und der Sünde vorgeführt wird. I n keinem einzigen in der
Heiligen Schrift erzählten Beispiel wird sie als bewundernswert dargestellt;
und in den meisten Fällen liegen die Beweise ihrer schlimmen Wirknngen offen
am Tage. Lantech führt die Reihe an, nnd er ist ein Menscheumördcr, der
aus de»n mörderischen Hause Kains stammt, und der Vater von Thubalkain
oder Vnlkan, dem Verfertiger der Zerstörnngswaffen: niemals war diese Ein-
richtung die Vorbotin des Friedens, sondern die Förderin des Streites. W i r
sollten dankbar sein, daß uuter der christlichen Religion dieser Greuel ab-
gethan ist; denn selbst bei solchen Männern wie Abraham, Jakob, Dauid und
Salomo förderte sie nicht das Glück oder die Gerechtigkeit. Der Mann fand,
daß dieses System eine schwere, hart zu tragende Last sei; denn er erkannte
bald die Wahrheit des Rates, den der weise Mann dem Sultan gab: „Lerne
erst, mit zwei Tigerinnen zu leben, und dann hoffe, glücklich mit zwei Weibern
zu leben." Das Weib muß fast in jeden» Falle das Elend gefühlt haben,
eine Liebe zu teilen, die ganz ihr eigen sein sollte. Was für Leiden orienta»
lifche Frauen im Harem erduldet haben, kann niemand fagen oder vielleicht
sich auch nur vorstellen. I n dem vorliegenden Fall hatte El-Kana Not genug
durch das Tragen der doppelten Kette, aber dennoch fiel die schwerste Bürde
auf seine geliebte Hanna, die bessere von seinen zwei Frauen. Je schlechter
das Weib, desto besser konnte es das System der Vielweiberei ertragen, aber
das gute Weib, das wahre Weib, nmßte immer darunter leiden. Obgleich sie
392 Alttestamentliche Bilder.

von ihrem Manne sehr geliebt ward, verbitterte doch die Eifersucht der Neben»
buhlerin das Leben der Hanna und machte sie zu einen« „betrübten Weibe."
Wir danken Gott, daß vor dem Altar des Herrn »licht mehr eitel Thränen,
Weinen und Seufzen ist voll den „Weibern der Jugend," die ihrer Männer
Herzen sich entfremdet und geteilt zwischen andren Weibern sehen. Uni der
Herzenshärtigkeit willen wnrde das Übel eine Zeitlang geduldet, aber die vielen
Übel, die daraus entsprangen, sollten genügen, es mit einen« Bann zu belegen
unter allen, welche das Wohl der Menschen erstreben. Am Anfang machte
der Herr für den Mann nur ein Weib. Und warum eins? Er hatte die
Fülle des Geistes und hätte ihn in fo viele hineinhauchen können, wie Er
gewollt. Maleachi antwortet: „Damit Er einen göttlichen Samen snchen möge."
M a l . 2, 15 nach der engt. Üb.) Als wenn es ganz klar wäre, daß die
Kinder der Vielweiberei ungöttlich sein würden, und nur in dem Hause eines
Mannes und eines Weibes Gottseligkeit zu finden sei. Dies Zeugnis ist voll
dein Herrn, und es ist wahr.
Aber genug Quellen des Kummers bleiben noch übrig; mehr als genug;
und keinem Hause, wie fröhlich es auch seilt mag, fehlt es, wie ich glaube,
gänzlich an dem Kreuz. Der Weltling sagt: „Es ist ein Skelett in jedem
Hause." Ich weiß wenig von solchen toten Dingen, aber ich weiß, daß ein
Kreuz der einen oder andren Art von jedem Kinde Gottes getragen werden
muß. Alle wahren Himmelserben müssen die Nute des Vundes fühleil. Wo ist
ein Sohn, den der Vater nicht züchtiget? Der rauchende Ofen sl Mose 15, 17)
ist ein Teil des Wappens der himmlischen Familie, und ohne ihn mag ein
Mensch wohl bezweifeln, ob er überhaupt iu einem Vundcsverhä'ltnis zu Gott
steht. Wahrfcheiulich ist jetzt irgend eine Hanna vor mir, die unter der
züchtigenden Hand Gottes leidet, ein Kind des Lichtes, das ill Finsternis
wandelt, eine Tochter Abrahams, die vom Satan gebunden ist, und es mag
nicht überflüssig sein, sie daran zu erinnern, daß sie nicht die erste ihrer Art
ist, sondern daß in vergangenen Jahren an der Thür des Gotteshauses eine
stand, die ihr gleich war, und von sich sagte: „Nein, mein Herr, ich bill ein
Weib von traurigem Gemüt." Möge der heilige Tröster, der sein Werk
hauptsächlich an den Traurigen hat, unsre jetzige Betrachtung mit Trost erfüllen.

I.
Indem wir von diesem „Weibe von traurigem Gemüt" reden, wollen
wir zuerst die Bemerkung machen, daß vieles Aöstliche m i t einem
t r a u r i g e n G e m ü t verbunden sein m a g . An sich ist ein trauriges
Gemüt nicht zu wünschen. Gebt uns das glänzende Auge, das heitere Lächeln,
die lebhafte Weise, den fröhlichen Ton. Wenn wir nicht Fröhlichkeit und
Munterkeit wünschen so gebt uns wenigstens jenen sanften Frieden, jene stille
Ein Weib von traurigem Gemüt. 393

Gelassenheit, jenes ruhige Glück, welche das Haus glücklich machen, wo immer
sie die Atmosphäre durchdringen. Es gibt Frauen, Mütter uud Töchter, die
mehr uon dieser heiteren Anmnt zeigen könnten, als sie es thnn, und die
Tadel verdieuen, weil sie verdrießlich, unfreuudlich nnd reizbar sind; aber es
gibt andre, die, wie ich nicht zweifle, sich bemühen, so uiel es in ihren Kräften
steht, angenehm zu sein, und denen es doch nicht gelingt, weil sie, wie Hanna,
ein tranriges Gemüt haben, und nicht den Knmmer abschütteln können, der
auf ihrem Herzen lastet. Nun, es ist müßig, der Nacht zu sagen, sie solle so
glänzend wie der Tag seil,, oder den Winter die Blumen des Sommers an»
legen heißen; nnd ebenso vergeblich ist es, das gebrochene Herz zu schelten.
Der Nachtvogel kann nicht au der Himmclspforte singen, und der zertretene
Wurm kaun nicht wie ein Hirsch die Hügel hinanspringen. Es nützt wenig,
die Weide, deren Zweige am Flusse weinen, zn ermahnen, ihr Hanvt ans»
znrichten wie die Palme, oder ihre Zweige auszubreiten wie die Jeder: jedes
Ding muß nach seiner eignen Art handeln, jede Natur hat ihre eigentümliche
Weise, nnd kann uon den Banden ihrer Gestaltung nicht frei werden. Es
gibt Dinge in der Konstitution, der Erziehung und der Umgebuug, die es für
einige ganz vortreffliche Menschen schwer machen, heiter zn sein: sie sind dazu
bestimmt, unter solchen Namen wie „ein Weib voll traurigein Gemüt" — be»
knnnt zu seill.
Beachtet wohl die köstlichen Eigenschaften, die bei Hanna mit einem
traurigen Gemüt sich zusammenfanden. Die erste war wahre Gottesfurcht:
sie w a r eilt gottesfürchtiges W e i b . Weuu wir das Kapitel lesen, so
werden wir vergewissert, daß ihr Herz im rechten Verhältnis zu Gott stand.
Wir können keine Frage über die Aufrichtigkeit ihres Gebetes oder die Kraft
desselben aufwerfen. W i r zweifeln keinen Angenblick all der Wahrheit ihrer
heiligen Freude, der Zuversicht ihres Glaubens, oder der Innigkeit ihrer Hill»
gäbe an Gott. Sie war eine, die mel/r als viele andre Gott fürchtete, ein
ausgezeichnet frommes Weib, und dennoch „ein Weib voll traurigem Gemüt."
Zieht niemals aus der Traurigkeit den Schluß, daß die derselben Anheim-
gefallenen nicht von Gott geliebt sind. I h r könntet eher auf das Gegellteil
schließen, obgleich auch dies »licht immer sicher wäre, denn äußere Umstände
sind nur armselige Prüfsteine für den geistlichen Zustand eines Menschen.
Gewiß, der reiche Mann in seinen« Purpur und seiner köstlichen Leinwand war
nicht von Gott geliebt, während Lazarus, dessen Schwären die Hnnde leckten,
eili Günstling des Himmels war: und doch wird nicht jeder reiche Mann ver-
worfen, nnd nicht jeder Bettler von den Engeln emporgetragcn. Die änßere
Lage kann uns zu keiner Entscheiduug nach der einen oder andren Seite
führen. Die Herzen müssen gerichtet, das Verhalten und die Handluugen ge-
wogen, lind ein Urteilsspruch uach andren Dillgeil, als nach dein äußeren
394 Alttestameiitliche Bilder.

Schein gefällt werden. Viele Menschen fühlen sich sehr glücklich/ aber sie
müssen nicht daraus schließen, daß Gott sie liebt; während manche andre sehr
niedergeschlagen sind, und es doch grausam sein würde, in ihnen den Ge»
danken anzuregen, daß Gott mit ihnen zürne. Es ist nie gesagt worden:
„Wen der Herr lieb hat, den macht Er reich," aber es ist gesagt: „Wen der
Herr lieb hat, den züchtigt Er." Trübsal und Leiden sind nicht Beweise der
Kindschaft, denn „der Gottlose hat viele Plage;" und dennoch, wo große
Trübsale sind, da sind oft auch große Osfeubarnngen der göttlichen Liebe. Es
gibt eine Traurigkeit der Welt, die den Tod wirket — eine Tranrigkeit, die
aus dem Eigenwillen entspringt, in Empörung genährt wird, und etwas
Vöses ist, weil sie dem göttlichen Willen sich widersetzt. Es gibt eine Traurig'
keit, die wie der Krebs um sich frißt, und noch größere Traurigkeit erzeugt,
so daß solche Leidtragende mit ihrem traurigen Gemüt hinuntergehen an den
Ort, wo die Traurigkeit unumschränkt herrscht und die Hoffnung ninnner ein»
kehrt. Denkt daran, aber bezweifelt es niemals, daß ein trauriges Gemüt sich
mit der Liebe Gottes und dem Besitze wahrer Gottesfurcht verträgt. Es wird
freimütig zugestanden, daß die Gottesfurcht manches traurige Gemüt mehr er»
heitern sollte, als dies der Fall ist. Es wird auch zugestanden, daß vieles von
der Erfahrung eines Christen nicht christliche Erfahrung ist, sondern eine be»
dauerliche Abweichung von dein, was wahre Glänbige sein und fühlen sollten.
Es gibt vieles, was Ehristen erfahren, aber nie erfahren sollten. Die Hälfte
der Leiden im Leben sind zu Hause gemacht, uud ganz unnötig. W i r be»
trüben uus selbst vielleicht zehumal mehr, als Gott uns betrübt. W i r fügen
manche Riemen zu Gottes Peitsche hinzu: wo nur einer ist, da müssen wir
neun machen. Gott sendet eine Wolke durch seiue Schickung, uud wir be-
schwören zwanzig herauf durch unsren Unglauben. Aber, wenn wir auch all
dieses abziehen, und noch ferner erwägen, daß das Evangelium uus befiehlt,
uns allewege in dem Herrn zu freuen, und daß es uns niemals heißen würde,
fo zu thun, wenn nicht reichlich Gründe und Urfachen dafür da wären, dennoch,
trotz alles dessen, kann jemand, der wahrhaft und tief den Herrn fürchtet, ein
trauriges Gemüt besitzen. Richtet nie diejenigen, welche ihr traurig feht, und
zählt sie nicht zu denen, welche unter dem göttlichen Zorne sind, denn ihr
könnt sehr schwer und grausam irren, wenn ihr ein so rasches Urteil fällt.
Thoren verachten die Betrübten, aber Weise schätzen sie. Viele der lieblichsten
Blumen im Garten der Gnade wachsen im Schatten und blühen in der Traufe.
Wahr ist's, es gibt Kinder der tropischen Sonne, deren Schönheit und Duft
nur dadurch erzeugt werden konnte, daß sie selber in der goldnen Flut sich
badeten, und diese müssen in gewisser Hinsicht immer im Vordergrund stehen,
aber doch gibt es auserlesene Blümchen, für welche die unbeschattete Sonne
Tod fein würde. Sie ziehen ein schattiges Ufer vor oder eine Schlucht im
(5in Weib von trautigem Gemüt. 395

Wald, unter dem Schatten dichter Zweige, wo ein sanftes, mildes Licht sie
zur Vollkommenheit entwickelt. Ich bin überzeugt, daß „ E r , der unter den
Lilien weidet," seltene Pflanzen in seiner Flora hat, schön und duftend, aus«
erlesen und lieblich, die mehr im feuchten Nebel der Traurigkeit heimisch sind,
als in der hellen Sonne der Freude. Ich habe solche gekannt, die eine lebendige
Lehre für uns alle gewesen siud durch die Büßfertigkeit ihres gebrochenen
Herzens, durch ihren tiefen Ernst, ihre eifrige Wachsamkeit, ihre sanfte Demut
und ihre milde Liebe. Dies sind die Lilien des Thales, die einen Reichtum
von Schönheit in sich tragen, der sogar dem Könige selbst gefällt. Schwach
in ihrer Zuversicht und bemitleidenswert i n ihrer Schüchternheit, sind sie dock)
lieblich ill ihrer Verzagtheit und anmutig ill ihrer heiligen Sorge. Sie sind
nicht Perlen mit dem milden Glanz des Friedens, noch Rubinen mit dem
roten Feller des Eisens, noch Saphire mit dein hellen Vlau der Freude, noch
Smaragde mit der stillen Ruhe des Vertrauens; sondern Diamanten vom
reinsten Wasser, verdichtete Tropfen des Schmerzes, klar und durchsichtig, die
bald unter die glänzendsten Edelsteine il» des Erlösers Diadem gesetzt werden
sollen. Hanna besaß also Gottesfurcht trotz ihrer Traurigkeit.
I l l Verbindung mit diesem ihrem traurigen Gemüte war Hanna e i n
l i e b e n s w ü r d i g e s W e i b . Sie war ihres Mannes Freude. Daß sie keine
Kinder hatte, verringerte in feinen Augeu ihren Wert nicht. Er sprach: „ V i n
ich dir nicht besser denn zehn Söhne?" Er wollte augenscheinlich gern alles,
was in seinen Kräften stand, thun, um die Betrübnis aus ihrem Herzen
hinwegzunehmen. Diese Thatsache ist das Bemerkenswerte, denn es kommt
oft vor, daß traurige Leute weit davon entfernt sind, liebenswürdige Leute zu
fein. Zu oft geschieht es, daß ihr Kummer sie herbe macht. I h r Leiden hat
Säure in ihrem Herzen erzeugt, und mit dieser scharfen Säure beißen sie ill
alles, was sie berühren; ihr Temperament hat mehr vom Vitriolöl in sich,
als vom 3)l der brüderlichen Liebe. Niemand, sie selber ausgenommen, hatte
je irgend welch Unglück, sie dulden keinen Nebenbuhler im Reich des Leidens,
sondern verfolgen ihre Mit-Leidenoen mit einer Art Eiferfucht, als wenn sie
allein Bra'nte des Leidens und alle andren bloße Eindringlinge seien. Das
Unglück jedes andren ist bloße Einbildung oder bloßes Vorgeben, verglichen
nlit dem ihrigen. Sie sitzen allein, und beobachten Stillschweigen; oder wenn
sie sprechen, so würde ihr Schweigen vorzuziehen sein. Es ist schade, daß es
so ist, aber es verhält sich so, daß mall häusig Männer und Frauen von
traurigem Gemüt findet, die lieblos und unliebenswürdig sind. Uni so mehr
bewundere ich daher in wahrhaft christlichen Leuten die Gnade, welche sie fo
milde macht, daß sie, je »lehr sie selber leiden, um so sanfter uud geduldiger
mit andren Leidendell werden und um so bereitwilliger, alles zu dulden, was
mit dem Mitleid notwendigerweise verbunden ist. Geliebte, wenn ihr viel
596 Atttestamcntliche Vitdet.

Not und Kümmernisse zu tragen habt, und sehr niedergeschlagenen Geistes seid,
so bittet den Herrn, euch davor zu bewahren, ein Freudentöter für andre zu
werden. Gedenkt an eures Meisters M g e t : „Wenn du aber fastest, so salbe
dein Haupt, und wasche dein Angesicht, auf daß du nicht scheinest bot oeil
Leuten mit deinem Fasten." Ich sage nicht, daß dies Wort im Munde nnsrcs
Herrn genan dieselbe Vedentnng halte) die ich ihm jetzt gebe, aber es ist ein
verwandter Sinn. Seid heiter, selbst wenn euer Herz traurig ist. Es thut
nicht nötig, daß die Welt schwarz behangen ist, weil ich einen Flor nm den
Hut trage. Es ist »licht notwendig, daß jedes Herz schwer ist, weil ich eine
Bürde trage; was würde das mir oder irgend einem andren nützen? Ich
für meinen Teil bedaure es um der Kranken und Trällernden willen, wenn ich
die Totenglocke vom Kirchturin Trnüertöne in jedes Leidtragendell Öhr ttiuteii
höre) lind alles vielleicht, weil ein Erbe der Herrlichkeit zum Throne Gottes
ilnd des Lammes emporgestiegen ist. Jene Glocke mit dem feierlichen Ton
hat ohne Zweifel eine Stimme für den Sorglosen, nnd das ist soweit gut,
aber als die ernste Stimme der Schwermnt ist sie eine Beleidigung für das
Christentum, da sie cmdentet, daß jeder Tod beklagenswert, und daß sie in
den Kranken auf ihren Lagern mehr Traurigkeit erweckt, als nötig thut.
Macht gute Botschaft überall kund. Lautet die Freudeuglocken, fo laut ihr wollt;
aber es ist keine besondere Notwendigkeit da, fortwährend jedermann mit eurem
Kummer zu belästigen. Nein, laßt uns versnchen, heiter zu sein, um liebenswürdig
zu sein, selbst wenn wir traurigen Gemütes bleiben. Unser Ich uud unsre eignen,
persönlichen Leiden müssen nicht unser Lebenspsalm oder unser tägliches Ge-
spräch sein. W i r müssen an andre denken, nnd all ihrer Freude teilzunehmen
suchen. Die Gednld muß das Ich iu den Hintergrund stellen, und die Liebe
muß unsre Freude in den Vordergrund bringen. W i r haben einem Gott zu
dienen, einem Zeitalter zum Segen zu werdeu, Kinder zu erziehen, einem
Freundeskreis zu nützen; und keins von allen diesen Dingen darf vernach-
lässigt werden. Wenn wir fo die Pflicht der Klage voranstellen und Gutes»
thun dem Verlangen nach Teilnahme, so werden wir viel Liebe gewinnen,
und unter denen, welche geschätzt und gesucht werden, wird keiner den Vorzug
vor dein Manne oder Weibe von traurigem Gemüt haben.
I n dem vorliegenden Falle war das Weib von traurigem Gemüt ein
sehr sanftes Weib. Peninna mit ihrer harten, hochmütigen und anmaßenden
Rede betrübte sie und trotzte ihr sehr, aber wir finden nicht, daß sie ihr ant-
wortete. Bei dem jährlichen Feste, als Peninna sie am meisten gereizt hatte,
schlich sie sich weg znm Heiligtum, um allein zu weinen, denn sie war sehr
weich nnd unterwürfig. Als E l i sprach: „Wie lange willst du trunken sein?
Laß deil Wein von dir kommen, den du bei dir hast," antwortete sie ihm
nicht scharf, wie sie wohl hätte thun können. Ihre Antwort an den alten
Ein Weib von traurigem Gemüt. 397

Priester ist ein Muster uon Sanftmut. Sie rechtfertigte sich durchaus und
widerlegte die harte Veschuldiguug, aber sie gab dieselbe nicht zurück und
murrte nicht über die Ungerechtigkeit. Sie sagte ihm nicht, daß es unfrennd-
lich sei, so hart zu urteile», und es war kein Zorn ill ihrer Betrübnis. Sie
entschuldigte seinen I r r t u m . Er war ein alter Mann. Es war seine Pflicht,
darauf zu sehen, daß die Gottesuerehrnng in angemessener Weise geschah, nnd
wenn er meinte, daß sie in einem dafür unfähigen Zustande sei, so war es
nur Treue vou seiner Seite, die Bemerkung zu machen; und sie nahm sie
daher in dem Sinne auf, ill dem er, wie sie glaubte, dieselbe gemacht hatte.
Jedenfalls trug sie den Vorwurf, ohne beleidigt oder verdrießlich zu sein. Nun,
manche traurige Leute sind sehr spitz, sehr scharf, sehr strenge, uud wenn ihr
sie einmal falsch beurteilt, so schelten sie anfs bitterste eure Grausamkeit. I h r
seid die unfreundlichsten der Menschen, wenn ihr sie für welliger als voll-
kommen haltet. M i t welcher Miene uud welchem Toil beleidigter Unschuld
rechtfertigen sie sich! I h r habt etwas Schlimmeres als Lästerung begangen,
wenn ihr gewagt habt, auf eiuen Fehler hinzndenten. Ich will sie nicht
tadeln, denn wir möchten ebenso uufreundlich wie sie seiu, wenn wir zn strenge
in unsrer Kritik der Schärfe, die alls dein Leiden entspringt, wären; aber es
ist sehr schön, wenn die Betrübte»- voll Milde und Licht sind, und wie die
Feigell der Snkamore durch ihr Zerschlagenwerden reifen. Wenn ihre eigne
blutende Wuude ihnen Scheu davor gibt, audre zu verwunden, und ihre eigne
Verletzung sie bereitwilliger macht, die Verletzungen zu tragen, die aus den
Irrtümer»! andrer entstehen, dann haben wir einen lieblichen Beweis, daß
„süß der Nutzen des Unglücks" ist. Lieben Freunde, wenn ihr Männer oder
Frauen voll traurigem Gemüt seid, wollt ihr euch freuudlich daran erinnern,
daß enre Schwäche wahrscheinlich die Verdrießlichkeit sein wird, und daß eure
Verfuchung wahrscheinlich nach der Seite der Bitterkeit und Schärfe hin liegen
wird? Seid deshalb hieruor anf eurer Hut, uud bittet Gott besonders, euch
einen sanften Geist und eine ruhige Zunge zu gebeu. Blickt auf euren Herrn.
O, daß wir alle anf I h n blickten, der nicht wieder schalt, als Er gescholten
ward, lllld der, als sie I h n verspotteten, kein Wort des Verweises hatte,
sondern dnrch seine Gebete antwortete, indem Er sprach: „Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun." Seht ihr »licht, daß sich viel
Köstliches mit einem traurigen Gemttt verbinden kann?
Es war indessen mehr da, als ich euch gezeigt habe, denn Hanna war
ei» nachdeilkendes W e i b , ihr Schmerz führte sie zuerst iu ihr eignes
Innere, und dann in viel Gemeinschaft mit Gott hinein. Daß sie ein sehr
nachdenkendes Weib war, erhellt alls allem, was sie sagt. Sie schüttet nicht
das aus, was ihr zuerst ill die Haud kommt. Das Erzeugnis ihres Geistes
ist augenscheinlich eins, was nur ein wohl kultivierter Boden hervorbringen
398 Alttestamelltliche Bilder.

konnte. Ich will »licht eben jetzt weiter über ihren Lobgesang sprechen, mir
sagen, daß er an .erhabener Majestät nnd an Fülle wahrer Poesie allem
gleichkommt, das nur je aus der Feder des lieblichen Sängers Israels,
Davids selber, geflossen ist. Die Jungfrau Maria folgte offenbar den Fuß»
stapfen dieser großen Dichterin, dieser Meisterin der lyrischen Kunst.
Gedenkt auch daran, daß sie, obwohl ein Weib voll traurigem Gemüte,
doch ein gesegnetes Weib war. Ich könnte passend von ihr sagen:
„Heil dir, die du hochbegnadigt bist! Der Herr ist mit dir. Gesegnet bist
dll unter den Weibern." Die Töchter Velials konnten lachen und lustig seill
und sie als den Staub unter den Füßen betrachten, aber doch hatte sie mit
ihrem traurigen Gemüt Gnade vor den Allgen des Herrn gefunden. Da war
Peninna, ihren Köcher voll Kinder, die sich über die unfruchtbare Leidtragende
erhob, dennoch war Peninna nicht gesegnet, während Hanna mit all ihrem
Kummer dem Herrn teuer war. Sie scheint etwas jenem Iabez in einem
andren Zeitalter zu gleichen, von dem wir lesen, daß er herrlicher war denn
seine Brüder, weil feme Mutter ihn mit Kummer geboren hatte. Kummer
brillgt einen Reichtum von Segen mit sich, wenn der Herr ihn weihet; und
wenn jemand seinen Platz zu wählen hätte unter den Fröhlichen oder unter
den Traurigen, so thäte er gut, den Nat Salomos auzunehmen, der sagt: „Es
ist besser, in das Klaghaus gehen, denn in das Trinkhaus." Man sieht ein
rasches Aufflackern in der Fröhlichkeit der Welt, aber es ist weit mehr wahres
Licht in dem Leideil der Christen zu finden. Wenn ihr seht, wie der Herr
die Seinen in den Trübsalen aufrechthält und heiligt, so erhellt sich die
Finsternis zum Mittag.
Es ist nun klar, daß vieles Köstliche mit einem traurigen Gemüte ver«
bunden sein kann. Möge keiner von euch die Niedergeschlagenen verachten,
und nie hart von denen denken, welche traurig sind. Wenn wir selber betrübt
sind, laßt uns nicht bittere Dinge wider uns selbst anschreiben Mob 13, 26),
sondern auf Gott unter allen Entmutigungen hoffen; denn wir werden Ihm
noch danken, daß Er unsres Angesichtes Hilfe und unser Gott ist.

II.
Wir kommen nun zu einer zweiten Bemerkung, welche die ist, daß
vieles Köstliche aus einem t r a u r i g e n G e m ü t kommen m a g : es
findet sich nicht nur mit demselben, sondern es mag sogar daraus hervor»
wachsen.
Bemerkt zuerst, daß Hanna durch ihr trauriges Gemüt gelernt hatte,
zu beten. Ich will nicht sagen, daß sie nicht früher gebetet, ehe dies große
Leid über sie kam, aber dies weiß ich, sie betete mit mehr Inbrunst, als
vorher, nun sie ihre Nebenbuhlerin so ungemein stolz reden hörte, und sich
Ein Weib von traurigem Gemüt. 399

selber so ganz verachtet sah. O l Brüder und Schwestern, wenn ihr einen
geheimen Kummer habt, lernt, wohin ihr ihn tragen müßt, und zögert nicht,
ihn dorthin zu bringen. Lernt uon Hanna. I h r e Zuflucht war der Herr.
Sie schüttete nicht das Geheimnis ihrer Seele in ein menschliches Ohr aus,
sondern sie breitete ihren Kummer vor Gott ans in seinen! eignen Hause,
und in der von I h m bestimmten Weise. Sie war in „Bitterkeit der Seele"
und betete zum Herrn. Bitterkeit der Seele sollte stets so verficht werden.
Viele sind in Bitterkeit der Seele, aber sie beten nicht, und deshalb bleibt
der Geschmack de.s Wermuts: o, daß sie weise wären, und ihre Leiden als
den göttlichen Nuf zum Gebet ansähen, die Wolke, welche einen Negen von
Bitten und Flehen bringt! Unsre Kümmernisse sollten Rosse sein, auf denen
wir zu Gott fliehen; rauhe Winde, die unsre Barke in den Hafen des Ge>
betes treiben. Wenn das Herz fröhlich ist, mögen wir Psalmen singen, aber
von dem Leidenden steht geschrieben: „der bete." So mag die Bitterkeit des
Gemüts ein Anzeichen sein, daß wir des Gebetes bedürfen, und ein Antrieb
zu der heiligen Übnng. Wenn eine feurige Kohle vom Altar unfre Lippen
berührt, fo sollten wir predigen, aber wenn ein Tropfen Galle auf die Lippen
fällt, sollten wir auch beten. Ich fürchte, meine Brüder, daß nnsre besten
Gebete im Trauerhause geboren werden. I n zu vielen Fällen bringen
Behaglichkeit und Gesundheit eine Kälte über unsre Gebete, nnd es ist eine
Notwendigkeit da, das Feuer mit dem rauhen Eisen der Trübsal zu schüren.
Manche Blume hält ihren Duft zurück, bis der rauhe Wind sie hin» und
herweht, uud ihren Wohlgeruch herausfchüttelt. I n der Regel ist der an»
gefochtene Mann der betende M a n n : der Engel muß mit uns ringen ill der
Nacht, ehe wir lernen, I h n zu halten und zu rnfen: „Ich lasse Dich nicht."
O Tochter der Tranrigkeit, wenn du in deiner dnnklen Kammer die
Kunst lernest, obzusiegen, so mögen jene Mädchen mit den hellen Augen, von
deren Wangen noch keine Thränen herabgeströmt sind, dich wohl beneiden,
denn die Knnst und das Geheimnis des Gebetes recht verstehen, das heißt ein
Fürst vor Gott sein. Möge Gott geben, daß wir, wenn wir traurigen Geistes
sind, in demselben Maße betenden Geistes seien; dann brauchen wir kaum eine
Änderung zu wünschen.
Ferner, H a n n a hatte S e l b s t v e r l e u g n u n g gelernt. Das ist klar, da
sogar das Gebet, durch welches sie aus ihrem großen Leid befreit zu werden
hoffte, ein selbstverleugnendes war. Sie wünschte einen Sohn, damit ihre
Schmach von ihr genommen würde; aber wenn ihre Augen durch einen
solchen Anblick erfreut würden, fo wollte sie gern auf ihren Liebling verzichten,
damit er des Herrn wäre, so lange er lebte. Mütter wünschen ihre Kinder
bei sich zu behalten. Es ist natürlich, daß sie wünschen, sie oft zu fehen.
Aber Hanna, wenn sie noch so sehr nach einem Sohne verlangt, und nur um
400 Altt estamentliche Bilder.

eine» bittet, und diesen einen als eine besondere Gabe Gottes, sucht ihn doch nicht
für sich selbst, sondern für ihren Gott. Sie hat es auf ihrem Herzen, daß sie
ihn, sobald sie ihn entwöhnt hat, hillaufbringen will zum Hause Gottes, und
ihn da als eill dem Herrn geweihtes Kind lassen, das sie nur zu gewissen
Festzeiten sehen kann. Leset ihre eignen Worte: „Herr Zebaoth, wirst D u
Deiner Magd Elend ansehen, und an mich gedenken, und Deiner Magd nicht
vergessen, und wirst Deiner Magd einen Sohn geben, so will ich ihn dem
Herrn geben sein lebenlang, und soll keil» Schermesser auf sein Haupt kommen."
I h r Herz sehnt sich nicht danach, ihren Sohn daheim zu sehen, seiues Vaters
täglicher Stolz uud ihr eigner stündlicher Trost, sondern ihn in dein Hause
des Herr» als Leviten dienen zu sehen. Sie bewies also, daß sie Selbstuer»
leugnung gelernt hatte. Brüder und Schwestern, dies ist eine unsrer schwersten
Aufgaben: es lernen, das, was wir am meisten schätzen, auf Gottes Geheiß
aufzugeben, und es freudig zu thun. Dies ist wirkliche Selbstverleuguung,
wenn wir selber den Vorschlag machen, und das Opfer freiwillig darbieten,
wie sie es that. Eill Gut wünschen, um die Gelegenheit zu haben, es hin»
zugeben, das ist Selbstüberwilldung:» haben wir sie erreicht? O du voll
traurigem Gemüt, wenn du gelernt hast, das Fleisch zu kreuzigen, wenn du
gelernt hast, den Leib in Unterwerfung zu halten, wenn du gelernt hast, alle
deine Wünsche und deinen Willen zu seinen Füßen zu werfen, so hast du
gewonnen, was dich tausendmal belohnt für alles Leid und Kreuz, was du
erduldet hast. Ich persönlich danke Gott für Frende, ich denke, ich könnte zu>
weilen eill wellig mehr davon haben; aber ich fürchte, wenn ich einen Überschlag
über mein ganzes Leben mache, daß ich sehr selten wirklich ill der Gnade ge-
wachsen bill, ausgenommen, wenn ich unigegraben lind bedüngt ward durch die
ernste Bearbeitung des Schmerzes. Mein Blatt grünt am bestell in regnichtem
Wetter: meine Frucht ist am süßesten, wenn sie den Frost einer Winternacht er-
litten hat. Wehe mir, daß ich ein so demütigendes Bekenntnis abzulegen habe,
aber die Wahrheit zwingt mich, so unter denen zu stehen, welche sich schämen
müssen. Ich hoffe, daß viele von euch mehr Gnade im Herzen tragen, als
ich, und bessern Gebrauch voll ihren Gütern gemacht haben, und dennoch
fürchte ich, daß viele meiner Brüder bekennen müssen, daß sie beim geistlichen
Segelll weiter vorwärts gekommen find auf der stürmischen See, als in
ruhigeren Zeiten. Eine frische Brise bringt manchem von uns mehr Hilfe als
Gefahr, und selbst ein Sturm ist nicht ohne seinen Segen. Wenn Selbstver»
leugnung ill uns gewirkt wird, wie teller anch erkauft, so belohut uns das
Resultat doch reichlich.
Etwas andres Köstliches war diesem Weib zu teil geworden, uud dies
war, sie hatte G l a u b e n gelernt. Sie verstand es, den Verheißungen zu
trauen. Es ist sehr scholl, zu beachteu, wie sie in dem einen Augenblick in
Ein Weil, von traurigem Gemüt. 4t)I

Bitterkeit war, aber sobald Eli gesagt hatte: „Gehe hin mit Frieden; der
Gott Israels wird dir geben deine Vitte, die dl« von Ihm gebeten hast," da
„ging das Weib hin ihres Weges, und aß, und sähe nicht mehr so traurig."
Sie hatte noch das Gut nicht erhalten, aber sie traute fest der Verheißung
und nahm sie an nnd nach jener Christenart, die nnser Herr uns lehrte, als Er
sprach: „Alles, was ihr bittet im Gebet, glaubet nur, daß ihr es empfangen werdet,
so werdet ihr cs empfangen," wischte sie ihre Thränen ab, glättete die Nnnzeln
von ihrer Stirn, und wußte, daß sie erhört war. I m Glauben hielt sie den
Sohn il« ihren Armen und brachte ihn dein Herrn dar. Es ist keine geringe
Tugend, wenn wir dahin kommen. Wenn ein trauriges Gemüt gelernt hat,
Gott zn glauben, seine Bürde ans I h n zu werfen und mutig Hilfe und
Beistand von Ihm zn erwarten, so hat es durch seine Verluste gelernt, seine
besten Gewinne zu machen — durch seiue Leiden, seine reichsten Freuden zu
entfalten. Hanna ist eine von der begnadigten Schar, welche dnrch den
Glauben „Verheißungen empfangen." Darum ihr, die ihr traurigen Gemütes
feid, es ist keiu Gruud da, weshalb ihr nicht auch gläubigen Gemütes sein
solltet, wie sie es war.
Noch andre köstliche Dinge wüchsen bei diesem Weibe von traurigem
Gemüte aus ihrer Traurigkeit hervor, aber mit einer unschätzbaren Sache will
ich die Aufzählung schließen: sie hatte augenscheinlich vieles über Gott
gelernt. Von gewöhnlichen Familienfreuden hinwcggetricbcn, war sie nahe
zu Gott gezogen, und in dieser himmlischen Gemeinschaft hatte sie demütig
geharrt uud gewacht. I n Zeiten heiliger Gottesnähe hatte sie manche himmlische
Wahrnehmung über seinen Namen nnd sein Wesen gemacht, wie ihr Lob-
gesang es uns zeigt.
Zuerst, sie wuße jetzt, daß des Herzens wahrste Freude nicht in Kindern
ist, nicht einmal in Gütern, die als Erhörung des Gebetes gegeben sind, denn
sie begann zu siugen: „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn" — nicht „in
Samuel," sondern in Jehovah fand sie ihre höchste Wonne. „Mein Horn
ist erhöhet in dein Herrn;" nicht „in dem Kleinen, den ich so fröhlich zum
Heiligtum gebracht habe." Nein. Sie sagt im ersten Verse: „Ich freue
mich Deines Heils," und so war es. Gott war ihre Freude, und sein Heil
ihre Wonne. O, es ist etwas Großes, wenn wir gelernt haben, irdische
Dinge an ihren rechten Platz zu stellen, und wenn sie uns fröhlich machen,
dennoch zu fühlen: „Meine Freude ist im Herrn; nicht in Korn und Wein
und A l , sondern in dem Herrn selber; alle meine frischen Quellen sind
in Ihm."
Ferner, sie hatte auch des Herrn glorreiche Heiligkeit wahrgenommen,
denn sie sang: „Es ist niemand heilig wie der Herr." Die Heiligkeit seines
S p u r g e « « , Nlttestamentllche Bilder. 26
402 Alttestamentliche Bilder.

vollkommenen Wesens hatte sie tief empfunden und bewundert und sie sang
davon, daß Er an Güte weit über alle andren erhaben sei.
Sie hatte seine Allgenugsamkeit gefühlt, sie sah, daß Er alles in
allem ist, denn sie sang: „Außer Dir ist keiner, und ist kein Hort, wie unser
Gott ist."
Sie hatte Gottes Weise in der Weltregierung erkaunt, denn
wie lieblich singt sie: „Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen
sind umgürtet mit Stärke." Sie wußte, daß dies immer Gottes Weise ist,
diejenigen zu stürzen, die in sich selber stark sind, und die aufzurichten, die
schwach sind. Es ist Gottes Weise, die hohen und grünen Vänme umzuhauen
und verdorre» zu lassen und die niedrigen und verdorrten Bäume grünen zu
machen. Es ist Gottes Weise, die Starken mit Schwäche zu schlagen und
die Schwachen mit Stärke zu segnen. Wie ihre große Nachfolgerin in
späteren Tagen sang: „Er stoßet die Gewaltigen vom Stuhl, und erhebet die
Niedrigen. Die Hungrigen füllet Er mit Gütern und läßt die Reichen leer."
Es ist Gottes besondere Weise, und Er bleibt dabei. Die Vollen macht Er leer
und die Leeren füllt Er. Die, welche sich ihrer Lebenskraft rühmen, tötet Er,
und die, welche vor Ihm wie tot hinsinken, macht Er lebendig. Freund, weißt
du hiervon etwas? denn merke dir, dies ist ein Geheimnis, welches die Heiligen
aus persönlicher Erfahrung kennen.
Sie hatte mich die A r t und Weise seiner Gnade gelernt, ebensogut
wie die seiuer Vorsehung, denn niemals zeigte ein Weib mehr Kenntnis von
den Wundern göttlicher Gnade, als sie es that, da sie sang: „Er hebet auf
den Dürftigen aus dem Staube, und erhöhet, den Armen aus den» Kot, daß
Er ihn setze unter die Fürsten, und den Stuhl der Ehren erben lasse." Dies
ist ein andrer der Wege des Herrn, die nur von den Seinen verstanden
werden. Niemand als sie wird je von dieser merkwürdigen unumschränkten
Macht seiner Gnade singen: was die Weltlinge betrifft, so verabscheuen sie
diese Lehre anfs äußerste.
Sie hatte auch des Herr» Treue gegen die Seinen gesehen. Einige
Christen, selbst in diesen Tagen des Evangeliums, glauben nicht an die Lehre
von der Bewahrung der Heiligen bis ans Ende, aber sie that es. Sie sang:
„Er wird behüten die Füße seiner Heiligen," und, Geliebte, das wird Er, sonst
wird keiner von ihnen je stehen. Aber hier ist mein Trost uud der eurige auch:
„Er wird behüten die Füße seiner Heiligen."
Sie hatte auch etwas vou sci»em Reiche im voraus geschaut, uud
vou dessen Herrlichkeit. I h r prophetisches Auge, Heller und klarer gemacht durch
ihre heiligen Thräne», befähigte sie, in die Zukunft zu schauen, und beim
Schallen sang ihr freudiges Herz: „Er wird Macht geben seinem Könige, und
erhöhen das Horn seines Gesalbten."
Ein Weib von traurigem Gemüt. 403

Habe ich euch nicht genügend gezeigt, daß vieles Köstliche aus einem
traurigen Gemüte kommt?

III.
Und mm zuletzt, vieles Köstliche w i r d nach denen gegeben
werden, die w a h r h a f t de« H e r r n sind, selbst wenn sie ein
t r a n r i g e « G e m ü t haben.
Denn znerst, Hannas Gebete wurden erhört. Ahl wenig konnte
sie denken, als Eli sie wegen Trunkenheit schalt, daß sie in knrzcr Zeit
wiederum dort sein, nnd derselbe Priester sie mit tiefer Achtung nnd Freude
anblicken würde, weil der Herr sie begnadigt halte. Und du, meine liebe
Schwester mit traurigem Gemüt, würdest heute abend nicht so viel weinen,
wenn du wüßtest, was dir noch aufbehalten ist. Du würdest gar nicht weinen,
wenn du ahntest, wie bald alles sich ändern, und du, wie Sara, vor Freude
lachen wirst. Du bist sehr arm; dn weißt kaum, wo du heute abend dein
Haupt hinlegen sollst; aber wenn dn wüßtest, wie bald dn unter den Engeln
sein wirst, so würde dein Mangel dir nicht viel Kummer verursachen. Dn
bist kränklich und siechst dahin, und wirst bald in deine lange Heimat gehen.
Du würdest nicht so niedergeschlagen sein, wenn dn daran gedächtest, wie hell
um dein Haupt das Steruendiadem glänzen wird, nnd wie lieblich von deinen
Lippen himmlische Lieder tönen werden, solche, die niemand singen kann, als
die, welche gleich dir die bitteren Wasser des Knmmers geschmeckt haben. Es
ist Besseres in Aussicht! Es ist Besseres in Aussicht! Um ein kleines wird
der Weg enden oder sich wendeu l Heute ist's stürmisches Segeln; aber ehe
die Sonne untergeht, oder wenigstens, wenn sie untergeht, wird alles rnhig
sein und deine Barke bewegungslos vom Schnabel bis zum Stern. Das
Note Meer vor dir wogt unruhig, seine Wellen drohen, aber alles wird still
wie ein Stein sein, während des Herrn Volk hinübergeht; oder wenn ein Ton
gehört wird, so wird es mir sein, wenn über die Wasser hinüber die Klänge
der Harfenspieler kommen, die ihre Harfen ertönen lassen, und bald wirst du
deine Schmerzen und Befürchtungen vergessen, denn du wirst bei dem Herrn sein
allezeit. Laßt dieses euch aufheitern, die ihr traurigen Gemütes feid. Was
Gott euch verheißen hat, soll erfüllt werden. Das Auge hat es nicht gesehen,
das Ohr hat es nicht gehört, was Er für euch bereitet hat, aber sein Geist
offenbart es euch zu dieser Stunde. Seid guten Mutes und glaubt, daß die
Ansgä'nge des Lebens und des Todes bestimmt und sicher sind; die ewige
Liebe hat sie verordnet.
Nicht nur ward der Hanna nach ihrer Traurigkeit eine Erhörnng des
Gebetes zu teil, sondern Gnade, diese Erhörung zu gebrauchen. Ich
glaube nicht, daß Hanna eine passende Mutter für Samuel gewesen wäre,
26'
404 'Alttestamentliche Bilder.

wenn sie nicht zuerst traurigen Gemütes gewesen. Nicht jeder kann es an»
vertraut werden, einen jungen Propheten zu erziehen. Manches närrische
Weib hat ihr Kind närrisch gemacht. Es war so sehr ihr „Engel," daß es
ein Vengel ward. Es gehört ein weises Weib dazu, einen weisen Sohn zu
erziehen, und deshalb betrachte ich Samuels ausgezeichneten Charakter und
Lebenslauf zum großen Teil als die Frucht der Trauer seiner Mutter, uud
als einen Lohn für ihr Leid. Hanna war ein nachdenkendes Weib, das ist
etwas, und ihr Nachdenken führte sie zum Fleiß. Sie hatte wenig Zeit, ihren
Sohn zu erziehen, denn er verließ sie frühe, um jenen kleinen Rock zu tragen
uud dem Herrn zu dienen; aber in diesen! Zeitraum ward ihr Wert mit
Erfolg gcthan, denn das Kind Samuel betete an demselben Tag, da sie ihn
zum Tempel brachte. I n vielen unsrer Häuser haben wir ein gut gezeichuetes
Vild eines betenden Kindes, und das war ohne Zweifel das rechte Vild des
jugendlichen Samuel. Ich denke ihn mir gern in seinem kleinen Nock — dem
leinenen Leibrock — wie er feierlich hervortritt als kindlicher Diener Gottes,
um beim Gottesdienst im Tempel zn helfen. Ich meine, ich sehe den kleinen
Mann, mit seinem langen Haar, das die Schultern herabfällt, denn nach dem
Gelübde feiner Mutter sollte kein Schermesser auf sein Haupt kommen; seht
ihn selber und beachtet, wie er die römischen Glatzen straft. Er gehörte nicht
zu jener modernen Priesterschaft, die durch Scheren ihres Hauptes ihr eignes
Fieber oder ihren Wahnsinn andeutet, aber ihr Recht, Gott anzugehöreu,
leuguet. Laßt die Priester Roms fortschereu, und sich so vom wahren Tempel
abschneiden. I c h sage, es ist hübsch, zu sehen, wie selbst in Sachen des Haars
seine Mutter ihn auf den rechten Weg geleitet, fo daß er nie davon abwich:
dies war eine große Gabe, und sie war einem Weibe von traurigen! Gemüt
gewährt.
Hanna hatte ein andres Gut erworben, und das war die K r a f t , den
H e r r n zu erheben. Jene lieblichen Gesänge, besonders der, den wir ge>
lesen haben — woher nahm sie dieselben? Ich will es euch sagen. I h r habt
eine Muschel gesammelt am Meeresufer, nicht wahr, und habt sie an euer
Ohr gehalten, und sie von den wilden Wellen singen hören? Wo lernte sie
diese Musik? I n der Tiefe. Sie ist in dem rauhen Meer hin« und herge»
worsen worden, bis sie lernte, mit tiefer, sanfter Bedeutung von geheimnis«
vollen Dingen zu reden, welche nur die Höhlen der falzigen See mitteilen
können. Hannas Poesie war aus ihrer Trauer geboren; und wenn ein jeder
hier, der traurigen Gemütes ist, nur lernen kann, seine Harfe so lieblich zu
stimmen, wiesiedie ihrige stimmte, so mag er sich freuen, durch solche Leiden
gegangen zn sein, wie sie erduldete. W i r mögen Dichter und Psalmensinger
in unsrer bescheidenen Art sein. Leiden werden uns Takt und Melodie lehren,
Stanzen und Verse werden wie Wein aus den zertretenen Trauben stießen,
Ein Weib von traurigem Gemüt. 405

und Gedichte in den Furchen unsres Unglücks wachsen. Oder, wenn nicht, so
soll doch der Herr gepriesen werden, und feine Liebe erheben in den besten Aus»
drückeil, die unsre Rede erreichen kann, und dies ist eine Welt von Leiden wert.
Überdies, ihre Trauer bereitete s i e , fernere S e g n u n g e n zu em-
p f a n g en, denn nach Samuels Geburt hatte sie noch drei Söhne und zwei
Töchter; Gott gab ihr so fünf für den einen, den sie I h m geweiht hatte. Dies
waren große Zinsen für ihr Darlehen: fünfhundert Prozent. Sich von
Samuel trennen war die notwendige Einleitung zum Erlangen der andren.
Gott kann einige von uns nicht fegnen, bis Er uns zuerst geprüft hat. Viele
voll uns silld nicht geeignet, einen großen Segelt zu empfangen, ehe wir durch
das Felier gegangen silld. Die Hälfte der Männer, die durch Volksgunst
ruiniert sind, wurden dies, weil sie nicht einen Vorbereitungs« Kursus voll
Schmach und Schande durchmachten. Die Hälfte der Menfchen, die durch
ihren Reichtum zu Grunde gehen, thun dies, weil fie nicht schwer gearbeitet
haben, ihn zu erwerben, sondern einen glücklichen Griff thaten und in einer
Stunde wohlhabend wurden. Das Feuer glüht die Waffe aus, die nachher
im Kampfe gebraucht wird; und Hanna gewann Gnade, große Guust zu er-
langen durch großes Leiden. I h r Name steht unter den hochbegünstigten
Frauen, weil sie tief trauerte. Sie leuchtet als ein Heller, eigentümlicher
Stern unter den Gläubigen, und dies wäre nicht der Fall, wäre sie nicht
zuerst ein Weib voll traurigem Gemüt gewesen. Nehmt eure Last auf euch,
Geliebte. Werdet uicht Murrende sowohl als Trauernde. Tragt eller Kreuz,
denn es ist in Wahrheit ein goldenes. Tragt die innere Viirde sowohl wie
die äußere, denn jetzt ist es für eine Zeitlang ein „ M u ß , " daß ihr angefochten
werdet durch mannigfaltige Versuchungen, aber nachher kommt die tröstliche
Frucht. Erwartet gute Resultate, und tragt mittlerweile, was der Herr be-
stimmt, ohne Murren.
Zuletzt, das Leiden mit Geduld war es, wodurch sie eine so mutige
Zeugin für den Herrn ward, und so lieblich singen konnte: „Es ist niemand
heilig wie der Herr, lind ist kein Hort, wie unser Gott ist." W i r können kein
Zeugnis ablegen, wenn wir nicht die Verheißungen erproben, und deshalb ist
der Mensch glücklich, den Gott erprobt und befähigt, der Welt eil» Zeugnis
zu hinterlassen, daß Gott wahrhaftig ist. Z u diesem Zeugnis »lochte ich mein
eignes persönliches Siegel setzen. O, daß ich am Ende meines Lebens in
schlichter Prosa thun könnte, was jene fromme Dichterin in Poesie that, ehe
sie in die ewige Ruhe einging. Hier silld einige ihrer letzten Zeilen, und
damit schließe ich:
„O Herr, bezeugen will ich's, Du bist treu,
Nicht eins, was Du verheißen, hat gefehlt!
Auffordern möcht' ich alle rings umher,
406 Alttestamentliche Bilder.

Tie Deinen Namen kennen, kund zu thun,


Wie tren Du bist in jedem Wort der Schrift,
Wie Du mit Wohlthuu krönest jeden Tag —
M i t mir zu singen: „Freundlich ist der Herr,
Und seine Güte währet ewiglich,
Und seine Wahrheit folget meiner Lebensbahn!"
Ja, Trübsal sendest T u , doch Deine Macht
Verbindet Freud' mit ihr; wohl Dornen gibt's,
Doch halten sie uns auf dem engen Pfad,
Dem Weg des Friedens und der Heiligkeit.
Und Züchtigung ist da, doch sie durchfließt
Des Vaters Lieb' ; und wollt' ein gläubig Herz
Entbehr'« der Liebe und der Züchtigung?
Und jeder Schritt bringt immer weiter uns.
Von Kraft zu Kraft geh'u Teine Pilger stets
Und preisen I h n , der gniidiglich sie führt
Von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, schou hier!"
Eben'Ezer. 407

Gben-Gzer.
„Ta nahm Samuel einen Stein und setzte ihn zwischen Mizpa
und Sen,'und hieß ihn Eben»Ezer, und sprach: Bis hierher hat uns
der Herr geholfen." 1 Sam. 7, 12.

E s ist sicherlich etwas Köstliches, die Hand Gottes in dem Leben der
alten Heiligen zu beobachten. Eine wie nützliche Beschäftigung ist es, Gottes
Güte zu betrachten, wie Er David alls dem Nachen des Löwen und den Klauen
des Vären errettet; seine Varncherzigkeit, wie Er die Übertretung, Missethat
und Sünde des Manasse vergibt; seine Treue, wie Er den mit Abraham ge-
machten Bund hält; oder sein Dazwischentreten beim sterbenden Hiskia. Aber,
Geliebte, würde es nicht noch interessanter und nützlicher sein, die Hand
Gottes in unsrem eignen Leben zu beobachten? Sollten wir nicht unsre eigne
Geschichte allsehen als wenigstens ebenso voll voll Gott, ebenso voll von seiner
Güte und Wahrheit, ebensosehr ein Beweis seiner Treue und Wahrhaftigkeit,
als das Leben irgend eines Heiligen vergangener Zeiten? Ich denke, wir
thlln unsrem Herrn eine Ungerechtigkeit an, wenn wir meinen, das; Er all
seine mächtigen Thaten ill dell alten Tagen gethan und sich stark gezeigt hat
für die Frommen früherer Zeiten, aber keine Wunder thut und seinen Arm
nicht ausstreckt für die Heiligen, die jetzt auf Erden sind. Laßt uus, sage ich,
unser eignes Tagebuch überblicken. Gewiß, in diesen euren Blättern mögen
wir manches glückliche Ereignis finden, das uns erquickt und unsren Gott
verherrlicht. Habt ihr keine Errettungen erfahren? Seid ihr durch keine
Ströme gegangen uud aufrecht gehalten worden durch Gottes Gegenwart?
Seid ihr nicht unverletzt durchs Feller gegangeu? Seid ihr nicht aus sechs
Triibsalen errettet? Ja, hat Jehovah euch uicht in sieben getragen? Habt
ihr keine Offenbarungen gehabt? Der Gott, der mit Abraham in Manne
sprach, hat Er nie mit'euch gesprochen? Der Engel, der mit Jakob zu Puiel
rang, hat Er nie mit euch gerungen? Er, der bei den drei heiligen Männern
im feurigen Ofen war, ist Er nie auf den Kohlen an eurer Seite gegangen?
408 Nlttestamentliche Bilder.

O Geliebte, Er hat sich uns geoffenbart, wie Er sich nicht der Welt offenbart.
Vergeht nicht diese Offenbarungen; versäumt nicht, euch ihrer zu freuen.
Habt ihr keine köstlichen Gnadenbezeigungen gehabt? Der Gott, der
Salomo den Wunsch seines Herzens gab, hat Er »lie eure Bitte gehört und
gewährt? Der Gott voll reicher Güte, von dem David sang: „Der deinen
Mund fröhlich macht, so daß du wieder jung wirst wie ein Adler," hat Er
dich nie mit Gutem gesättigt? Hat Er dich nie auf grüne Auen geführt?
Hat Er dich nie zu frischen Wassern geleitet? Gewiß, Geliebte, die Güte
Gottes in alten Zeiten hat sich an uns wiederholt. Die Offenbarungen feiner
Gnade bei denen, welche in die Herrlichkeit eingegangen sind, werden bei nns
erneuert, und Errettungen, wie jene sie kannten, find auch nns, auf die das
Ende der Welt gekommen ist, nicht unbekannt.
Ich bitte euch deshalb, lieben Freunde, auf kurze Zeit heute morgen
enre Gedanken auf euren Gott zu richten mit Beziehung auf euch selbst; nnd
während wir an Samuel denken, wie er die Steine aufrichtet und fagt: „Bis
hierher hat der Herr uns geholfen," fo laßt nils den Nachdruck auf das vor»
letzte Wort legen und sprechen: „Bis hierher hat der Herr u n s geholfen," und
wenn ihr's in den Singular fetzen nnd fagen könnt: „Vis hierher hat der
Herr m i r geholfen," um fo besser.
Ferner ist es ein Köstliches, an die mannigfachen Arten zu denken, ill
welchen die dankbaren Heiligen ihren Dank aussprachen. Wer kann ohne
Freude an den Altar denken, den Noah nach seiner Erhaltung ill der all-
gemeinen Sündflut errichtete? Haben »licht nnsre Augen oft geglänzt, wenn
wir all Abraham gedacht haben, wie er den Altar ballte nnd ihn „Jehovah»
Iireh, der Herr stehet," nannte? Haben wir nicht mit inniger Befriedigung
gelesen, wie Jakob den Stein aufrichtete, der ihm als Kissen gedient, Öl darauf
goß, den Namen des Herrn anrief und die Stätte Bethel nannte, obwohl sie
sonst Lus hieß? Wer hat sich nicht gefreut an der kriegerischen Musik voll
Mirjams Zimbel und den herrlichen Tönen von Mose Lied am Noten Meer?
Und sind wir nicht stillgestanden nnd haben die zwölf Steine betrachtet, die
Iosua in die Mitte des Jordans setzte, als der Jordan zurückgetrieben war,
damit die Heere Israels trocknen Fußes hindurchgehen könnten? Gewiß,
Brüder, wir haben uns über diesen Stein gefreut, den Samuel aufrichtete
und Eben-Ezer nannte? Und beim Hinblick auf die verschiedenen Weisen, in
denen die Heiligen Gottes vor alters seiner Freundlichkeit ein Gedächtnis ge»
stiftet, haben wir Befriedigung gefühlt, indem wir die beständige Fortdauer
der Herrlichkeit Gottes sahen, da ein Geschlecht dein andren all seille mächtigen
Thaten verkündet. O, würde es nicht ebenso angenehm nnd noch nützlicher
f ü r uns sein, der mächtigen Thaten Gottes zu gedenken, die wir gesehen
haben? Sollten wir nicht den Altar feinem Namen errichten oder seine
Eben'Ezer. 409

Gnadengaben zu einem Lied verweben? Sollten wir nicht das reine Gold
der Dankbarkeit und die Edelsteine des Preises nehmen und sie zu einer
andren Krone für das Haupt Jesu machen? Sollten unsre Seelen nicht
Musik ausströmen, so lieblich und fröhlich wie sie nur je von Davids Harfe
ertönte? Sollten nicht die Füße unsrer Dankbarkeit so leicht tanzen wie die
Mirjams, als sie die Töchter Israels führte? Haben wir nicht einige Mittel,
Gott zn preisen? Gibt es keine Weisen, wie wir die Dankbarkeit zeigen
können, die in uns ist? Ich hoffe, wir können nnsrem Herrn ein Opfer dar«
bringen. Wir können unsren Freund bewirten mit dem würzigen Wein
unsrer Granaten und den köstlichen Tropfen uusres Honigseims. Ich hoffe,
daß noch heute nnsrer Seele ein Gedanke kommen wird, wie sie den mächtigen
Thaten des Herrn ein Gedächtnis stiften und das Zeugnis von seiner Treue
uud Wahrheit den kommenden Geschlechtern überliefern kann.
I m Geiste dieser zwei Bemerkungen also, auf Gottes Hand in unsrem
eignen Leben blickend und diese Hand mit Dankbarkeit anerkennend, errichte
ich, euer Prediger, der hellte morgen durch Gottes Gnade im stände ist, die
fünfhundertste seiner gedruckte», jede Woche veröffentlichten, Predigten zu halteu,
meinen Stein Eben'Ezer. Ich danke Gott, danke I h m demütig, aber doch
frendig für alle Hilfe uud alleu Beistand, den Er mir verliehen beim Studieren
und beim Predigen des Wortes vor diesen großen Versammlungen mündlich
und nachher vor so vielen Völkern der Erde durch die Presse. Ich richte
meine Säule auf in Form dieser Predigt. Mein Wahlspruch soll heute der
Samuels seiu: „Bis hierher hat der Herr mir geholfen." Und da der Stein
meines Preises viel zu schwer ist, als daß ich allein ihn aufrecht hinstellen
könnte, so bitte ich euch, meine Kameraden am Tage der Schlacht, meine Mit»
arbeiter im Weinberge Christi, euch mit mir zu vereinen im Ausdruck der
Dankbarkeit, während wir zusammm den Gedächtnisstein aufrichten uud
sprechen: „ V i s hierher hat der Herr uns geholfen."
Heute morgen sind es drei Dinge, von denen ich reden will — drei, und
doch nur eins. Dieser Stein der Hilfe ward bedeutsam um des Ortes
w i l l e n , wo er aufgerichtet w a r d , der Gelegenheit, bei welcher er
gefetzt w u r d e , und der I n f c h r i f t , die er t r u g .

I.
Viel wertvolle Unterweisung, viel Anregung zu frommer Dankbarkeit
läßt sich finden i n dem O r t » w o der Z t e i n G b e n - E z e r ansge-
richtet w a r d .
' Z w a n z i g J a h r e früher war I s r a e l auf eben diesem Felde i n
die Flucht gefchlagen. Zwanzig Jahre früher waren Hovhni und Piuehas,
die Priester des Herrn, auf diesem Boden getötet und die Lade des Herrn
41 l) Nlttestamentliche Bilder.

genominen worden, und die Philister hatten triumphiert. Es war gut, daß
die Israeliten der erlittenen Niederlage gedachten und daß sie inmitten des
freudigen Sieges sich daran erinnerten, daß die Schlacht in einer Niederlage
verwandelt sein würde, wäre der Herr nicht auf ihrer Seite gewesen. Brüder,
laßt uns unsrer Niederlagen gedenken. Haben wir es vergessen, wie wir in
unsrer eignen Kraft ausgingen, entschlossen, unsre Sünden zu besiegen und
uns schwach wie Wasser fanden? Habt ihr es vergessen, wie ihr euch auf
die Lade des Herrn verließet, da ihr auf Zeremonien und Sakramente trautet
und nicht auf den Fels des Heils? Habt ihr's vergessen, sage ich, wie ihr
von euren Sünden geschlagen wurdet und keinen Zufluchtsort vor euren
Gegnern fandet? Haben wir vergessen, wie elendlich uns Predigen und
Beten fehlschlug, wenn wir nicht von Gott die Kraft dazu erbaten? O,
jene Zeiten des Seufzens, als niemand unsrer Predigt glaubte, weil der
Arn: des Herrn nicht geoffenbart war. Ich rufe mir all mein Fehlen zurück,
nun ich auf diesem Hügel der Freude stehe. Ich zweifle nicht, daß auf
diesem Felde von Eben»Ezer die Gräber von Tausenden sich fanden, die im
Kampf erschlagen waren. Laßt die Gräber unsrer vergangenen stolzen Ge<
danken, die Gräber unsres Selbstvertrauens, die Gräber unsrer natürlichen
Stärke und unsres Prahlens uns antreiben, den Herrn zu preisen, der uus
bis hierher geholfen hat. Vielleicht stand auf diesen» Platz ein Siegeszeichen,
das höhnende Philister aufgerichtet. O, laßt das Andenken an das Prahlen
des Gegners, da er sagte „Aha! Aha!" laßt das in unser Ohr tönen, um
das Jauchzen des Triumphs zu versüßen, während wir den Gott Israels
verherrlichen. Habt ihr etwas für Gott gethan? Seht auf eure früheren
Niederlagen. Kommt ihr siegreich zurück? I h r wäret gekommen mit Ge-
wändern, die im Schnlutz nachschleppten und mit entehrten! Schild, wenn Gott
nicht auf eurer Seite gewesen wäre. O ihr, die ihr eure Schwäche erfahren
habt, vielleicht durch einen schrecklichen Fall oder durch eine traurige Ent>
täuschung, laßt die Erinnerung an den Ort, wo ihr überwunden wurdet, euch
um so mehr drängen, den Herrn zu preisen, der euch bis auf diesen Tag
geholfen, über eure Gegner zu triumphieren.
Das Feld zwischen Mizpa und Sen frischte auch das Gedächtnis ihrer
Sünden auf, den» es war Sünde, die sie überwand. Wären ihre Herzen
nicht durch die Sünde bezwungen gewesen, so würde ihr Land nicht von den
Philistern bezwungen worden sein. Hätten sie nicht ihrem Gott den Rücken
gewandt, so würden sie ihren Nucken nicht am Tage der Schlacht gewandt
haben. Brüder, laßt uns unsrer Sünden uns erinnern. Sie werden als eil:
schwarzer Hintergrund dienen, auf dem die Gnade Gottes um so schneller
glänzt. Ägyptens Fruchtbarkeit ist um so wunderbarer durch die Nähe des
Lybischen Sandes, der es ganz und gar bedecken würde, wenn der Nil
Eben.Ezer. 411

nicht wäre. Daß Gott so gut ist, ist wunderbar, aber daß Er gegen euch
und mich, die so widerspenstig find, so gut ist, ist ein Wunder der Wuuder.
Ich kenne kein Wort, welches das Staunen und die Verwunderung ausdrücken
kann, die unsre Seele bei der Güte Gottes gegen uns fühlen sollte. Unser
Herz buhlerisch; unser Leben :ueit entfernt von Vollkommenheit; unser Glaube
fast ausgeblasen; unser Unglaube oft die Oberhand gewinnend; unser Stolz
sein verfluchtes Haupt erhebend; unsre Geduld eine arme kränkliche Pflanze,
fast durch einen Nachtfrost vernichtet; unser Mut wenig besser denn Feigheit;
unsre Liebe Lauheit; unsre Wärme nur wie Eis; o meine lieben Brüder,
wenn wir nur daran denken wollten, ein jeder von uns, welch eine Masse
von Sünde wir sind, wenn wir nur erwägen wollten, daß wir im Grunde doch,
wie einer der Väter schreibt, „wandelnde Dunghaufen" sind, so würden wir
stauueu, daß die Sonne göttlicher Gnaden fortfährt auf uus zu scheinen, und
daß der Reichtum der himmlischen Barmherzigkeit in uns offenbar wird. O
Herr, wenn wir daran gedenken, was wir hätten sein können und was wir
wirklich gewesen find, so müssen wir sagen: „Ehre sei dem gnädigen und
barmherzigen Gott, der uns bis hierher geholfen hat."
Ferner erinnerte dieser Ort sie an ihre Leiden. Was für ein trauriges
Kapitel in Israels Geschichte ist das, welches dieser Niederlage durch die Philister
folgt. Der gute, alte Eli, wie ihr wißt, fiel rücklings und brach den Hals;
und seine Schwiegertochter sprach in den Geburtswehen von ihrem Kinde:
„Heißet ihn Ikabod, die Herrlichkeit ist dahin von Israel, denn die Lade
Gottes ist genommen." Ihre Ernten wurden ihnen von Räubern entrissen,
ihre Weinberge wurden von fremden Händen geplündert, sie hatten zwanzig
Jahre tiefen und bitteren Schmerzes. Sie hätten mit David fagen können:
„Du hast Menschen lassen über unser Haupt fahren; wir sind in Feuer und
Wasser gekommen." Wohl, Freunde, laßt die Erinnerung an unsre Leiden
uns auch mit tieferer Dankbarkeit erfüllen, während wir den Stein Eben-Ezer
errichten. Wir haben als Gemeinde unfre Leiden gehabt. Soll ich euch au
unsren schwarzen und dnnklen Tag erinnern? Nie kann alls unsrem Ge<
dächtnis die Zeit unsrer Trübsal und Prüfung ausgetilgt werden. Tod kam
in unsre Mitte und Traurigkeit iu uusre Herzen. Sprachen nicht alle Leute
schlecht von uns? Wer wollte uns ein gntes Wort geben? Der Herr selber
betrübte uns und zerbrach uns wie all dem Tage feines Zorns — fo schien
es uns damals. Ach Gott, Du weißt, wie groß die Resultate gewesen sind,
die aus dem furchtbaren Unglück °') entsprangen, aber aus unsren Seelen kann

*) S p u r g e o n predigte, ehe sein Tabernakel erbaut war, in einem großen, zn


diesem Zweck gemieteten Gebäude, als plötzlich, wahrscheinlich dnrch Böswillige veran-
laßt, der Ruf „Feuer! Feuer!" gehört ward. Viele der Anwesenden stürzten in blindem
412 Alttestamentliche Bilder.

die Erinnerung nie ausgelöscht werden, nicht einmal im Himmel. I n dem


Andenken an jene Nacht der Verwirrung und jene langen Wochen der Ver<
leumdung und des Tadels laßt nns einen großen Stein vor den Herrn rollen
und darauf schreiben: „ V i s hierher hat der Herr geholfen." Wenig, glaube
ich, erhielt der Teufel durch diesen Meisterstreich; klein war der Triumph, den
er durch dieses Stück Bosheit erntete. Größere Mengen als je strömten hin,
das Wort zu hören, und einige hier, die sonst vielleicht nie der Predigt des
Evangeliums beigewohut hätten, bleiben als lebendige Denkmäler der er<
rettenden Macht Gottes. Von allen bösen Dingen, ans denen Gutes eut»
standen ist, können wir stets auf jene Katastrophe hinweisen, als eins der
größten Güter, die unsrer Umgegend zu teil wurden, nngeachtet des Leidens,
das sie brachte. Diese eine Thatsache ist nur ein Beispiel von andren; denn
es ist des Herrn Regel, Gutes aus Bösem zu bringen, und so seine Weisheit
zu zeigen und seine Gnade zu verherrlichen. O ihr, die ihr von Siechbetten
gekommen seid, ihr, die ihr von Zweifel und Furcht dauiedergebeugt seid,
und ihr, die ihr von Armut leidet, verleumdet oder scheinbar von eurem Gott
verlassen gewesen seid, wenn heute die Herrlichkeit der Guade Gottes auf euch
ruht, richtet den Stein auf, gießt Ö l auf deuselben, und schreibt darauf: „ V i s
hierher hat der Herr uns geholfen."
Während wir bei der Eigentümlichkeit des Ortes verweilen, müssen wir
bemerken, wie es der Platz ihrer Niederlage, ihrer Sünde, ihres Leidens ge-
wesen, so war es jetzt, vor ihrem Siege, der Platz i h r e r Buße. I h r seht,
Geliebte, sie kamen zusammen, nm Vnße zu thuu, ihre Süudeu zu bekennen,
ihre falschen Götter abzuthun, Astharoth aus ihren Häuser» uud Herzen zu
werfen. Da war es, als sie Gottes Hand sahen und dahin geführt wurden,
zu sprechen: „ B i s hierher hat uns der Herr geholfeu." Weun ihr und ich
am fleißigsten im Aufjagen der Sünde sind, dann wird Gott am meisten
unsre Feinde in die Flucht schlagen. Seht ihr nach dem Werk im Innern
und überwindet die Sünde, und Gott wird nach dem Werk im Äußern sehen
und eure Leiden und Trübsale für euch überwinden. Ach, lieben Freunde,
wenn wir diesen Stein aufrichten und daran denken, wie Gott uns geholfen
hat, so laßt uns Thränen des Schmerzes über unsre Undankbarkeit vergießen.

Schrecken hinaus, so daß auf der Treppe ein entsetzliches Gedränge entstand, bei dem
mehrere Menschen verwundet und getötet wurdcu. S p u r g e o n suchte die Hörer nach Kräften
zu beruhigen und zum Bleibe« zu bewege» uud fulir dann, da er von dem draußen Vor-
gefallenen nichts wußte, mit der Predigt fort. Als er die Uuglücksfälle vernahm, machte
dies einen so erschütternden Eindruck auf ihn, daß seiue Gesundheit lange Zeit darunter
litt. Vermehrt wurde seine trübe Gemütsstimmung «och durch Tadel und Verleumdungen,
die von allen Seiten über ilm ausgeschüttet wurden, obwohl ihm gar teiue Schuld beizu»
messen war. A. d. Üb.
Ebeil'Ezer. 413

Ans der Erde müssen Vnße und Preis stets zusammen ertönen. Gerade wie
in einigen unsrcr Melodien zwei oder drei Stimmen sind, so werden wir stets
die Anße nötig haben, um den Vas; zu singen, während der Glaube im
Preise sich zu den höchsten Tönen in der göttlichen Tonleiter der Dankbarkeit
aufschwingen kann. J a , bei unsrcr Freude über die vergebene Schuld trauern
wir doch, daß wir unsren Herrn durchstachen, und ueben unsrer Freude über
gekräftigte Gnadengaben nnd reifere Erfahrung müssen wir über Uuglauben
uud Undankbarkeit tranern.' Vis hierher hat der Herr dir geholfen, und doch
murrtest und klagtest du einst über I h u . V i s hierher hat der Herr dir ge»
holfeu, uud doch verleugnetest du I h u ciust wie Petrus. Vis hierher hat der
Herr dir geholfen, und doch ist dein Auge der Eitelkeit nachgegaugeu, deine
Hand hat Süude berührt und dein Herz ist buhlerisch gewesen. Laßt nns
Vuße thnn, Vrüder, denn unsre Thränen sind es, dnrch die hindurch wir am
besten die Schönheit der dankbaren Worte: „ B i s hierher hat der Herr geholfen"
fehen werden.
I h r müßt euch auch daran erinnern, daß EbeN'Ezcr der Ort des
I a m m e r n s nach dem H e r r n war. Sie kamen zufammen, um Gott zu
bitten, zu ihuen znrückzukehren. W i r werden sicher Gott sehen, wenn wir uns
nach I h m sehnen. Wie schön ist es, eine Gemeinde zn sehen, die ernstlich
nach Erwcckungen «erlangt und ruft und bittet, daß Gott in ihrer Mitte
kommen möge. Wenn ihr wißt,' Vrüder, daß ohne Gott eure Sakramente
nichts sind, wenn ihr nicht zufrieden sein könnt mit dem toten, trocknen Buch»
staben, sondern wirklich die Macht und die Gegenwart Gottes uerlaugt, so
wird es nicht lange währen, bis ihr sie habt. Deshalb, während ihr nnd ich
Dank für die Vergangenheit ausdrücke», laßt uns ein zweites Gebet zu Gott
hinauffenfzen um erneute Guade. Wenn du persönlich das Licht seines Au»
gesuchtes verloren hast, so bete heute morgen:

„Entdecke alles und verzehre,


Was nicht in Deinem Lichte rein;
Wenn mir's gleich noch so schmerzlich wäre,
Folgt doch die Wonne nach der Pein."

Und wenn es die ganze Gemeinde ist, und unsre Liebe bis auf ciuen
gewissen Grad kalt geworden ist, und der bekehrende und Heilige Geist ge»
wichen ist, laßt uns auch dasselbe Gebet beten:

„Komm, Heiliger Geist, Herre Gott!


Erfüll' mit Deiner Gnaden Gut
Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn,
Deine brünstige Lieb' entzünd' in ihn'n."
Alttestamentliche Bilder.

Der Ort der Wiederbelebung sollte der Ort frommer Dankbarkeit sein.
An jenem Tage war Mizpa auch der Ort des erneuerten Bundes,
und sein Name bedeutet Wach t ü r m . Diese Leute, sage ich, kamen zusammen,
ihren Bund mit Gott zu erneuern und auf I h n zu warten, wie auf einer
Warte. Wenn Gottes Kinder auf die Vergaugenheit zurückblicken, so sollen
sie jedesmal ihren Bund mit Gott erneuern. Lege deine Hand aufs neue in
die Hand Christi, du Heiliger des Höchsten, und gib dich Ihm wiederum.
Steige auf den Wachturm und siehe aus nach dem Kommen dieses Herrn.
Siehe zu, ob Sünde in dir ist, Versuchung uon außen, — vernachlässigte
Pflicht oder dich beschleichende Lethargie. Komme zu Mizpa, dem Wachturm;
komme zu Mizpa, dem Ort der Erneuerung des Bundes, und daun richte
deinen Stein auf und sage: „Bis hierher hat der Herr geholfen."
Es scheint mir, daß die Stelle, wo Samuel „Eben-Ezer" sagte, in vieler
Hillficht dem Standpunkt sehr ähnlich war, den wir heute einnehmen. Ich
denke nicht, daß die Kinder Israel mit herzlicherer Freude Eben»Ezer sprechen
konnten, als wir es können. Wir haben viele Sünden gehabt, unser Teil
Leiden und manche Niederlagen durch unsre eigne Thorheit. Ich hoffe, wir
haben uns vor Gott gedemütigt, nach Ihm gejammert und gewünscht, I h n zu
sehen, in seiner Nähe zu weilen, uud daß unsre Seele seinen Namen lobt,
während wir heute den Bund erneuern, zu dem Wachturm kommen und
warten, um zu hören, was Gott der Herr uns sagen wird. Kommt denn, in
diesem großen Hause, das des Herrn Huld für uns gebaut hat, laßt uns
zusammen singen: „Bis hierher hat der Herr geholfen."

II.
Wir wenden uns jetzt zu einem andren Gegenstände und betrachten die
Gelegenheit» bei der dieser Gedenkstein errichtet ward.
Die zwölf Stämme hatten sich zum Gottesdienst versammelt. Die
Philister, die von ihrer Zusammenkunft hörten, vermuteten eine Empörung.
Eine Erhebung war zu der Zeit nicht beabsichtigt, obwohl ohne Zweifel im
Herzen des Volkes eine Hoffnung schlummerte, daß sie auf die eine oder andre
Weise befreit werden würden. Die Philister, die all Volkszahl den Kindern
Israel weit nachstanden, hatten das natürliche Mißtrauen schwacher Uuter°
drücker. Wenn wir Tyrannen habeu müssen, so laßt es starke sein, denn sie
silld llie so eifersüchtig oder grausam wie jene kleine Despoten, die immer
vor Empörung bange silld. Als sie hörten, daß das Volk zusammen ge«
kommen war, beschlossen die Philister, es anzugreifen; eiue Versammlung anzu«
greifen, beachtet das, die zum Gottesdienst gekommen war. Die Leute er-
schraken; natürlich thaten sie das. Samuel indessen, der Prophet Gottes,
wußte, was zu thun. Er hieß sie ein Lamm bringen. Ich weiß nicht,
Eben'Ezer. 415

daß das Lamm nach dem levitischen Ritus geopfert ward, doch hatten
Propheten in allen Zeiten das Recht, von den gewöhnlichen Gesetzen eine Aus-
nahme zu machen. Dies war, um zu zeigen, daß die Zeit des Gesetzes nicht
auf immer sei, daß es etwas Höheres als das Aaronische Priestertum gäbe, so
daß Samuel und Elias, Männer, in denen Gott ganz besonders wohnte,
mächtiger waren, als die gewöhnlichen Priester des Heiligtums. Er nimmt
das Lamm, legt es auf den Altar, opfert es, und als es zum Himmel empor
raucht, bringt er Gebet dar. Der Stimme des Menschen antwortete die Stimme
Gottes: ein großer Donner erschreckt die Philister, und sie werden in die
Flncht gejagt.
Wir, meine ich, sind in ähnlicher Lage gewesen. Hört die Vergleichung.
Der Sieg wurde durch das L a m m erlangt. Sobald das Lamm geschlachtet
war und der Rauch zum Himmel aufstieg, begann der Segen auf die
Israeliten herabzukommeu und der Fluch auf die Feinde. „Sie schlugen sie"
— beachtet die Worte — sie „fchlugen sie bis unter Veth-Car," was ver-
dolmetschet heißt: „das Haus des Lammes." Beim Opfern des Lammes be-
gannen die Israeliten gegen die Philister zu kämpfen und schlugen sie bis
zum Haus des Lammes. Brüder, meun wir etwas für Christum gethan haben,
wenn wir Siege errungen, wenn in diesem Hause Seelen bekehrt, Herzen ge»
heiligt, gebeugte Geister getröstet worden sind, legt Zeugnis dafür ab, daß es
alles durch das Lamm geschehen ist. Wenn wir Christum als geschlachtet dar»
stellten, die Schmerzen beschrieben, die Er am Kreuze erduldete, wenn wir ucr»
suchten, völlig, obwohl schwach, die große Lehre von seinem stellvertretenden
Opfer zu predigen. I h n als die Sühne für Sünden verkündeten, dann be-
gannen die Siege. Und wenn wir Christum predigten, der in die Höhe ge-
fahren ist und das Gefängnis gefangen geführt hat, wenn wir uns freuten,
daß Er immerdar lebet und für uns bittet, und daß Er kommen wird, zu
richten die Lebendigen und die Toten, — wenn irgend etwas Gutes aus-
gerichtet worden ist, so war es durch das Lamm, das geschlachtete Lamm oder
das erhöhte Lamm. Merkt euch, lieben Freunde, wenn wir heute morgeu
unser Eben'Ezer aufrichten, fo thun wir es I h m zur Ehre. „Dem Lamme,
das erwürget ist, sei Preis und Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit." I h r habt
eure Feinde besiegt, ihr habt eure Sünden geschlachtet, ihr habt enre Leiden
überwunden. Wie ist das gekommen? Von dem Altare jenes blutenden
Lammes aufwärts zu dem Throne Dessen, der von Ewigkeit zu Ewigkeit
regieren wird, ist der ganze Weg mit dem roten Blute eurer Feinde besteckt
worden: ihr habt überwunden durch das Blut des Lammes. Der auf dem
weißen Pferde reitet, zieht uns voran; sein Name ist das Lamm. Und alle
Heiligen sollen I h m auf weißen Pferden folgen, und ausziehen, siegend und
um zu siegen. „Eben»Ezer, bis hierher hat der Herr uns geholfen." Aber
416 Alttestamentliche Bilder.

die Hilfe ist immer dnrch das Lamm, das blntende, das lebendige, das
herrschende Lamm gekommen.
Wie bei diesen« Vorfall das Opfer geehrt wnrde, fo ward anch die
Macht des Gebetes anerkannt. Die Philister wnrden nur dnrch Gebet
in die Flncht geschlagen. Samuel betete zu dem Herrn. Sie sprachen: „Laß
nicht ab für uns zu schreien zn dem Herrn." Brüder, laßt uns hellte morgen
Zeugnis ablegen, daß, wenn irgend etwas Gutes hier geschehen, es das Resultat
des Gebetes ist. Oft habe ich mein Herz erquickt durch die Erinneruug au
die Gebete, die in unsrcm früheren Gotteshause dargebracht wnrdcn. Welches
Flehen habe ich dort gehört, welche Seufzer ringender Seelen; Zeiten haben
wir gekannt, wo der Prediger nicht das Herz hatte, ein Wort zu sagen, weil
eure Gebete ihu so weich gemacht — seine Worte gehemmt und ihn halb ge-
zwuugen, den Segen zu sprechen und ench fortznsendcn, weil der Geist Gottes
so gegenwärtig war, daß es kaum die rechte Zeit schien, zu Menschen zu
sprechen, sondern nur zu Gott. Ich glaube nicht, daß wir immer denselben Geist
des Gebetes hier haben, und doch muß und will ich mich freuen, — ich weiß
nicht, wo mehr Gebet gefunden wird, als all diesem Ort. Ich weiß, ihr
haltet meine Hände aufrecht, ihr, die ihr Aaron und Hnr anf dem Verge
gleichet. Ich weiß, daß ihr Gott um Bekehrung unsrer nächsten Umgebung und
um Evangelisation dieser großen Stadt bittet. Jung und alt, strebt zusammen,
daß das Reich komme und des Herrn Wille geschehe. Aber o, wir dürfeu
nicht vergessen, wenn wir auf diese große Gemeinde blicken, — mehr als zwei-
tausend Mitglieder, die in der Furcht des Herrn wandeln — wir dürfen nicht
vergessen, daß diese Zunahme die Folge unsres Gebetes war, und daß es das
Gebet ist, worin immer noch unsre Stärke liegen muß. Ich beschwöre euch
bei dem Höchsten, verlaßt euch nie auf mein Predigtamt. Was bin ich? Was
ist in mir? Ich spreche, und wenn Gott durch mich spricht, so spreche ich
mit einer Macht, die Menschen, ill denen der Geist nicht wohnt, unbekannt
ist; aber wenn Er mich verläßt, so biu ich nicht uur schwach wie andre
Menschen, sondern noch mehr als sie, denn ich habe keine Weisheit der Jahre,
ich habe keine menschliche Gelehrsamkeit, ich habe keine Universität besucht, und
führe keine Titel gelehrter Ehren. Wenn Gott durch mich spricht, so gebührt
I h m alle Ehre davon; wenn Er Seelen durch ein so schwaches Wesen errettet,
so muß Er die Ehre davon haben. Gebet dem Herrn Ehre nnd Macht, legt
jedes Körnlein davon zu seinen Füßen. Aber fahrt fort zu beten; bittet Gott
für mich, daß seine Macht stets noch gesehen, sein Arm mächtig ans Werk
gelegt werden möge. An erhörtes Gebet müssen wir gedenken, wenn wir
Eben-Ezer aufrichten und sagen: „ B i s hierher hat der Herr geholfen."
Ferner, weil Gebet und Opfer da war, so gedenkt daran, kam Jehovah
selbst, seine Feinde in die Flucht zu schlagen, als Antwort auf den süßen
417

Geruch des LalNlues und dell süßen Duft der Fürbitte Samuels. Ich lese
nicht, daß Israel ein Kriegsgeschrei erhob. Nein, das Geschrei wäre nicht
gehört worden unter diesem großen Donner. Ich finde, daß sie ill die Schlacht
stürzten; aber es waren nicht ihre Bogen, ihre Speere, ihre Schwerter, die
den Sieg gewannen. Horcht, meine Brüder, die Stimme Gottes wird gehört.
Krach! Krach! Wo seid ihr jetzt, ihr Söhne Enaks! Die Himmel beben, die
Erde erzittert, die ewigen Berge beugen sich, die Vögel der Lnft fliegen zum
Dach der Wälder, sich zu verbergen, die schüchternen Gemsen der Gebirge
suchen die Felsenklüfte. Schlag auf Schlag rollen die Donner, bis der Berg
denl Berge antwortet im lauten Aufruhr des Entsetzens. Von Klippe zu
Klippe zuckt der Blitzstrahl, und die Philister sind fast geblendet, sie stehen
bestürzt, nnd dann wenden sie sich lind fliehen. Benehmt euch wie Männer,
o Philister, daß ihr nicht die Knechte der Hebräer werdet. Benehmt euch wie
Männer, aber wenn ihr nicht Götter seid, müßt ihr jetzt zittern. Wo sind
eure Schilder nnd ihr Schimmer? Wo sind eure Speere und ihr Glanz?
Nun laßt eure Schwerter aus der Scheide blitzen; nun sendet eure Niesen und
ihre Waffenträger aus! Nnn laßt eure Goliathe dem Herrn der Heerscharen
Trotz bieten! Aha! Aha! I h r werdet gleich Weibern, ihr bebet! ihr werdet
ohnmächtig! Seht! seht! sie wenden den Rücken und fliehen vor den Männern
Israels, die sie nur für Sklaven hielten. Sie fliehen. Der Krieger flieht
und dasstarkeHerz erbebt, und der mächtige Manu flieht wie eine schüchterne
Taube zu seinem Vergungsort. „Ehre sei dem Herrn, den« Gott Israels;
Er sieget mit seiller Rechten und mit seinem heiligen Arm."
Geliebte, wenn etwas Gutes gethan worden ist oder wenn ihr nnd ich
die Sünde bezwungen haben, wie ist es geschehen? Nicht durch unsre Kraft,
nicht durch unsre Macht, sondern durch die herrliche Stimme Gottes. Wenn
das Evangelium wahrhaft gepredigt wird, so ist es Gott, der donnert. Es
mag so schwach wie eines Kindes Stimme klingen, wenn wir von Jesu, dem
Gekreuzigten, reden, aber es ist Gott, der donnert, und ich sage dir. Mann,
die Donner Gottes schlüge»! nie das Herz der Philister so, wie das Evangelium
das Herz überführter Sünder schlägt. Wenn wir predigen und Gott dies
segnet, so sind es Gottes Blitze, es sind Gottes Strahlen himmlischen Feuers,
das Glitzern seines Speers: denn niemals wurden die Philister so vom
Leuchten des Blitzes in ihr Antlitz getroffen, wie Sünder es werden, wenn
Gottes Gesetz und Evangelium ill ihre dunklen Allgell strahlt. Aber Gott sei
die Ehre, Gott, Gott allein! Nicht ein Wort für den Menschen, nicht eine
Silbe für ein Menschenkind. „ I h m , der uns geliebt hat uud gewaschen uou
dell Sünden mit seinem Blut, I h m sei Ehre." Dies ist das Lied der voll»
kommenen Heiligen droben; soll es nicht das Lied der unvollkommenen hie-
uieden sein? „Nicht uns, nicht uns," rufen die Seraphim, wenn sie ihre
E p u r g e o n , Altteslamentliche Bilder. 27
418 Nltteslamenttiche Bildet.

Angesichter mit ihren Flügeln verhüllen und ihre Kronen zu Iehovahs Füßeu
werfen. „Nicht uns, nicht uns," müssen wir sagen, während wir seine Macht
erheben und den Gott unsres Heils preisen.

III.
Dies also war die Gelegenheit. Ich brauche nicht länger zu verweilen,
sondern kann mich gleich zu der Inschrift n n f dem Jenltsteiu wenden.
„Eben-Ezer, bis hierher hat der Herr nns geholfen." Die Inschrift kann ails
dreierlei Art gelesen werden.
I h r müßt zuerst ihr Zentralwort lesen, das Wort, wovon der ganze
Sinn abhängt, wo die Fülle desselben sich sammelt. „Vis hierher hat der
Herr uns geholfen." Beachtet, Geliebte, daß sie nicht still standen und sich
weigerten, ihre Waffen zu gebrauchen, fouderu während Gott donnerte, stritten
sie, und während die Blitze in der Feinde Augen leuchteten, ließen sie die«
selben die Kraft ihres Stahls fühlen. So sollen wir, während wir Gott die
Ehre geben, menschliche Mittel nicht verwerfen oder beiseite schieben. W i r
müssen streiten, weil Gott für uns streitet. Wir müssen schlagen, aber die
Kraft zu schlage» und der Erfolg des Schlagens muß ganz von Ihm kommen.
I h r seht, sie sprachen nicht: „Bis hierher hat unser Schwert uns geholfen, bis
hierher hat Samuel uns ermutigt." Nein, nein: „bis hierher hat der Herr
uns geholfen." Nun, ihr müßt zugeben, daß alles wahrhaft Große von dem
Herrn sein muß. I h r könnt nicht annehmen, daß etwas so Großes, wie die
Bekehrung der Sünder, die Wiederbelebung einer Kirche je das Werk von
Menschen sein könne. I h r seht die Themse, wenn Ebbe ist, was für eine
lange Strecke faulen, widrigen Schlammes, aber die Flut kehrt zurück.
Armer Ungläubiger, dn dachtest, der Fluß würde ablaufen, bis alles trocken sei
und die Schiffe auf dem Straude lägen, siehe, die Flut kehrt zurück und füllt
fröhlich wiederum den Strom. Aber du bist ganz gewiß, daß ein fo großer Fluß
nur durch des Ozeans Flut gefüllt werden kann. So könnt ihr nicht große
Erfolge sehen nnd sie Menschen zuschreiben. Wo wenig gethan ist, da legen
sich Menschen oft das Verdienst davon bei, aber wo Großes geschieht, da
wagen sie dies nicht. Wenn Simon Petrus an der Seite des Schiffes geangelt
und einen schönen Fisch gefangen, so hätte er sagen können: „Gut gemacht,
Fischer!" Aber als das Boot voll Fische war, so daß es zu sinken begann,
da konnte er nicht an sich selbst denken. Nein, er fällt nieder mit: „Gehe
hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch." Die Größe unsres Werks
zwingt uns, zu bekennen, daß es von Gott sein muß, es muß vom Herrn
allein sein. Und, lieben Freunde, es muß so sein, wenn wir das wenige
bedenken, womit wir begannen. Jakob sagte, als er über den Jordan kam:
„Ich hatte nicht mehr, denn diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging,
Eb-n-Ezer. 419

und nun bin ich zwei Heere geworden." Gewiß, dieses zwei „Heere"'werden
mnßte vom Herrn sein, denn er hatte nichts als seinen Stab. Und erinnert
ihr, einige von euch, euch nicht eines Morgens, da wir über diesen Jordan
mit einem Stab gingen? Waren wir hundert, als ich zuerst zu euch redete?
Was für ein Heer von leeren Stühlen, was für eine elende Handvoll Hörer.
M i t dein Stab gingen wir über diesen Jordan. Aber Gott hat die Zahl der
Gcmeindeglieder vermehrt und die Freude vermehrt, bis wir nicht nur zwei
Heere, souderu viele Heere gewordeu sind; und viele versammeln sich jetzt,
das Evangelium zu hören, das die Söhne dieser Gemeinde predigen, die
von uns gezeugt und ansgesandt sind, das Wort des Lebens in vielen
Städten und Dörfern dieses Landes zu verkünden. Ehre sei Gott, dies kann
nicht des Menschen Werk sein. Laßt den Raulen des Herrn deshalb auf
unsrer Denksäule eingeschrieben werden. Ich bin in dieser Sache stets sehr
eifersüchtig. Wenn wir als Kirche und Gemeinde, wenn wir als einzelne
nicht stets Gott die Ehre geben, so ist es ganz unmöglich, daß Gott durch
uns wirke. Viele Wunder habe ich gesehen, aber noch nie sah ich einen
Mann, der sich selbst die Ehre feines Werkes beilegte, den Gott nicht früher
oder später verließ. Nebukadnezar sprach: „Das ist die große Babel, die ich
erbauet habe." Seht dcu armen Wahnsinnigen, dessen Haar gewachsen ist
wie Adlersfedern uud seiue Nägel wie Vogelsklauen: das ist Ncbukadnezar.
Und das müßt ihr sein, und das muß ich sein, jeder in seiner Weise, wenn
wir es nicht zufrieden sind, Gott alle Ehre zu gebe». Gewiß, Vrttder, wir
werden ekelhaft vor dein Angesicht des Höchsten sein, widrig wie ein Aas vor
dem Herrn Zebaoth, wenn wir uns selbst irgend welche Ehre anmaßen. Wozu
seudet Gott seiue Heilige»? Daß sie Halbgötter seien? Machte Gott die
Menschen, stark, damit sie sich ans seinen Thron erheben möchten? Was,
krönt der König der Könige euch mit Guade, damit ihr vorgebet, über I h n
zu herrschen? Was, erhöhet Er euch, damit ihr euch die Vorrechte femes
Thrones anmaßen mögt? Nein, ihr müßt mit alten Gnaden und Ehren,
die Gott euch verliehen, kommen, zum Fuße seilies Thrones kriechen, und sagen:
Was bin ich und was ist meines Vaters Haus, daß D u an mich gedenkst?
Ich sagte, unser Text könnte auf dreierlei Art gelesen werden. Wir
haben ihn einmal gelesen, indem wir den Nachdrnck auf das Zentralwort legten.
Nnn wollen wir ihn lesen, indem wir rückwärts blickeu. Das Wort: „ B i s
hierher" scheint wie eine Hand, die in dieser Richtung zeigt. Seht zurück, seht
zurück. Zwanzig Jahre — dreißig — vierzig — fünfzig — fechzig —
achtzig— „bis hierher!" sage das ein jeder von euch. Durch Armut — durch
Reichtum — durch Krankheit — durch Gesundheit — daheim — in der
Fremde — auf dem Lande — auf der See — in Ehre — in Unehre — in
Verlegenheiten — in Freuden — i n Trübsal — in Triumph — in Gebet —
27*
420 Alttestamentliche Bilder.

in Versuchung — bis hierher. Faßt das Ganze zusammen. Ich sehe gern
zuweilen eine lange Allee hinunter. Es ist so schön, von einem Ende zum
audreu der langen Vista zu blicken, eine Art von Laubtempel mit verzweigten
Säulen und Bogen von Blättern. Könnt ihr nicht die laugen Gänge eurer
Jahre hinabblicken, die grünen Zweige der Barmherzigkeit darüber ausehen,
Säule» der Freundlichkeit und Treue, die eure Freude tragen? Singen keine
Vögel in jenen Zweigen? Gewiß, es müssen viele da sein. Und der helle
Sonnenschein und der blaue Himmel sind dort drübeu; und wenn ihr euch
umwendet, könnt ihr in weiter Ferne den Glanz des Himmels uud eiuen
goldueu Thron sehen. „Vis hierher! bis hierher!"
Dann kann der Text in einer dritten Weise gelesen werden, — indent
w i r vorwärts sehen. Denn wenn ein Mann bis zu einem gewissen Punkte
kommt, und „bis hierher" schreibt, so sieht er auf vieles zurück, was vergaugeu
ist, aber „bis hierher" ist uicht das Ende, es ist noch eine Enlferuuug zu
durchmessen. Mehr Trübsale, mehr Freuden; mehr Versuchungen, mehr
Triumphe; mehr Gebete, mehr Erhörungen; mehr Arbeit, mehr Kraft; mehr
Kriege, mehr Siege; mehr Verleumdungen, mehr Tröstungen; mehr Kämpfe
mit Löwen und Bären, mehr Zerreißet! des Löwen für Gottes Davide; mehr
tiefe Wasser, mehr hohe Berge; mehr Trupveu der Teufel, mehr Heere der
Engel. Und dann kommen Krankheit, Alter, Siechtum, Tod. Ist es nun
vorbei? Nein, nein, nein! Wir wollen noch einen Stein mehr aufrichten,
wenn wir in den Fluß kommen, wir wollen dort EbeU'Ezer jauchzen, denn es
soll noch mehr folget!. Ein Erwachen in seinem Bilde, Hinanklimmen der
Sternensphären, Harfen, Gesänge, Palmen, weiße Kleider, das Angesicht Jesu,
die Gesellschaft der Heiligen, die Herrlichkeit Gottes, die Fülle der Ewigkeit,
die endlose Seligkeit. Ja, so gewiß Gott uns bis heute geholfen hat, so
gewiß will Er uns bis. zum Schlüsse helfen. „Ich will dich uie verfäumeu,
ich will dich nie verlasset»; ich bin mit dir gewesen und ich will bis zum Ende
mit dir sein." Mut also, Brüder; uud während wir die Steine aufrichten
und sprechen: „Bis hierher hat der Herr uns geholfen," laßt uns die Lenden
unsres Gemütes umgürten, nüchtern sein, und bis ans Ende auf die Gnade
hoffen, die in uns soll offenbar werden, denn wie es gewesen ist, so soll es
sein in alle Ewigkeit.
Ich brauche Öl, es auf diese Säule zu gieße» — ich brauche Öl. Jakob
goß Öl auf den Stein und rief deu Namen des Herrn an. Woher soll ich
mein Öl nehmen? Dankbare Herzen, habt ihr Öl? Betende Seelen, habt
ihr welches? I h r , die ihr Tag uud Nacht mit Ihm verkehrt, habt ihr?
Gießt es aus. Zerbrecht eure Gläser mit köstlicher Narde, ihr Marien.
Strömt eure Gebete heute morgen mit den meinigen aus. Bringt euren Dank
mit bell Äußerungen meiner Dankbarkeit. Komme jeder und gieße Öl auf
Eben'Ezer. 421

dies Eben-Ezer. Ich brauche Ö l , ich möchte wissen, ob ich es von jenem
Herzen da drüben erhalte. O, sagt der eine, mein Herz ist wie ein harter
Fels. Ich lese in der Schrift, daß der Herr Ö l aus einem harten Felsen
hervorbrachte. O, wenn hier eine Seele heute morgen zum Glauben an
Christum geführt würde, wenn ein Herz sich heute Christo ergeben wollte!
Warum nicht das? warum nicht? Der Heilige Geist kann Felsen schmelzen
und Verge bewegen. Junger Mann, wie lange sollen wir dir predigen, wie
lange dich einladen, wie lange dich treiben, wie lange dich bitten, wie lange
dich anflehen? Soll dies der Tag sein, an dem du nachgeben willst: Sagst
du: „ich bin nichts?" Dann ist Christus alles. Nimm I h n , uertraue I h m .
Ich weiß keine bessere Weise, diesen Tag des Eben-Ezer und des Dankes zu
feiern, als dadurch, daß einige Herzen heute morgen den Verlobuugsring der
Liebe Christi annehmen und dem Sohne Gottes vermählt werden für alle
Ewigkeit. Gott gebe, daß es so sei. Es wird so sein, wenn ihr darum betet,
ihr aufrichtigen Herzen.
Und Gott sei die Ehre in Ewigkeit. Amen.
422 Alttestamcntliche Bilder.

28.

Samuel: ein Beispiel der Fürbitte.


„Es sei aber auch ferne von mir, mich also an dem Herrn zu
versündigen, daß ich sollte ablasseu für euch zu beten und euch zu
lehren den gute» uud richtige» Weg." 1 Sam. 12, 23.

( 3 s ist ein sehr großes Vorrecht, das uns verstattet ist, für nnsre Mit-
menschen zu beten. Das Gebet muß bei einem jeden notwendigerweise mit
persönlichen Bitten beginne», denn bis der Mensch selbst von Gott angenommen
ist, kann er nicht als Fürbitter für andre handeln; und hierin liegt ein Teil
der Trefflichkeit der Fürbitte, ist für den Menschen, der sie richtig übt, ein
Merkmal innerlicher Gnade nnd ein gutes Zeichen vom Herrn. D u magst
gewiß sein, daß dein König dich liebt, wenn Er dir erlaubt, ein Wort für
deinen Freund an I h n zu richten. Wenn das Herz weit geworden ist in
gläubigem Flehen für andre, so mögen alle Zweifel über die persönliche An«
nähme bei Gott aufhören; Er, der uns antreibt zu lieben, hat uus sicherlich
diese Liebe gegeben, was für einen besseren Beweis seiner Gnnst können wir
wünschen? Es ist ein großer Fortschritt über die Angst um unser eignes Heil
hinaus, wenn wir aus der Enge der Furcht für uns selber in die weitere
Region der Sorge für eines Bruders Seele emporgestiegen find. Wer in Er-
hörung seiner Fürbitte andre gesegnet nnd errettet gesehen hat, mag dies als
ein Pfand göttlicher Liebe annehmen nnd sich der herablassenden Gnade Gottes
freuen. Solches Gebet steigt höher als irgend eine Bitte für uns felber, denn
nur der, welcher bei dem Herrn in Gunst steht, kann es wagen, für andre
zu bitte». Überdies zeigt es ciu weiter gemachtes Herz, eine Teilnahme an
dem Geist der Liebe und eine wachsende Ähnlichkeit mit Christo an. Ernstes
Sehnen nach dem Wohl derer um uns her zeigt, daß wir beginnen, die rechte
Stellung zu unsren Mitmenschen einzunehmen und nicht länger leben, als ob
wir selber der einzige Endzweck unsres Daseins wären. Fürbitte ist ein Akt der
Genleinschaft mit Ehristo, denn Jesus bittet für die Menschenkinder. Es ist
ein Teil seines priesterlichen Amtes, sein Volk fürbiltend zu vertreten. Er ist
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 423

in die Höhe hinaufgefahren zu diesen: Ende und pfleget dieses Amtes nuauf'
hörlich im Nllerheiligsten. Wenn wir für unsre Mitsüuder beten, so sind wir
unfrem göttlichen Heilande ähnlich, der für die Übelthäter gebeten hat. Es ist
gut, an jenen wunderbaren Spruch zu denken, den wir neulich Sonntag»
Morgen betrachteten: „Heische von nur, so will ich dir die Heiden zum Erb»
teil geben," wenn wir nm Bekehrungen bitten, so bitten wir für Christuni
nnd mit Christo, und darin haben wir Geineinschaft mit I h m .
Solche Gebete sind oft von unaussprechlichem Wert für die, betreffs
welcher sie dargebracht werden. Viele von uns führen ihre Bekehrung, wenn
sie auf die Wurzel derselben gehen, ans die Gebete gewisser gottesfürchliger
Personen zurück. I n unzähligen Fälleu sind Kiuder durch die Gebete ihrer
Eltern zu Christo gebracht. Viele werden Gott zu loben haben für betende
Lehrer, betende Frennde, betende Pastoren. Unbekannte, an ihr Lager go
fesselte Menschen, sind oft das Werkzeug, Huuderte zu erretten durch ihre be-
ständige Fürbitte bei Gott. Das Buch des Gedenkers (Mal. 3, 16) wird
den Wert dieser Verborgenen enthüllen, von denen die große Masse der Christen
so gering denkt. Wie der Leib in eins verbunden ist durch Sehuen, Bänder
nnd eingeflochtene Nerven und Adern, so wird der ganze Leib Christi zu eiuer
lebendigen Einheit verwoben durch gegenseitige Gebete; für uns ward gebetet,
nnd nun beten wir wiedernm für andre. Nicht nur die Bekehrung der
Sünder, sondern Wohlfahrt, Bewahrung, Wachstum, Trost und Wirksamkeit
der Heiligen werden ungemein gefördert durch die Gebete ihrer Brüder; darum
haben apostolische Männer ausgerufen: „Brüder, betet für uns;" und ein
andrer Apostel fagte: „Betet füreinander, daß ihr gesund werdet," nnd nnser
großer Herr und Meister endete seine irdische Laufbahn mit einem uuvergleich«
lichen Gebet für die, welche der Vater I h m gegeben.
Fürbitte ist nützlich für den, der sie darbringt, nnd ist oft eine bessere
Tröstung als irgend ein andres Gnadenmittel. Der Herr wandte das Ge-
fängnis Hiobs, als er für seine Frennde bat. Selbst, wo das Gebet nicht
genau das Gewüuschte erreicht, hat es seine Resultate. David sagt uus, daß
er für seine Feinde betete; er spricht Ps. 35, 1 3 : „Ich aber, wenn sie krank
waren, zog einen Sack a n : that mir wehe mit Fasten," und er fügt hmzu:
„mein Gebet kehrte in meinen Bufen zurück." (Engl. Üb.) Er sandte seine
Fürbitte ans gleich Nonhs Taube, aber da sie nicht fand, wo ihr Fuß ruhen
konnte, und kein Segen daranf folgte, so kehrte sie zu ihm zurück, der sie
sandte, uud brachte ein abgepflücktes Ölblatt mit sich, ein Gefühl des Friedens
für seine eigne Seele; denn nichts ist bernhigender für das Herz, als für die
zu beten, die boshaft gegen uns handeln uud uns verfolgen. Gebete für andre
gefallen Gott und find uns selber nützlich: sie sind keine Vergendung unsres
Odems, sondern haben ein Resultat, das der treue Verheißende uns verbürgt hat.
424 Alttestameiltliche Bilder.

Ich empfehle deshalb euch, meine Brüder und Schwestern in Christo,


die reichen Hilfsquellen der Fürbitte: gebraucht sie ohne Rückhalt. Mein
Frennd, hast dn nichts für dich selbst zu bitten? Dann bist du in der That
sehr reich; aber wenn du je zu einer solchen Höhe des Glückes gekommen bist,
so gebrauche nun deille Kraft im Gebete für die Gemeinde und die Welt. Bist
du wie Elias vollkommen zufrieden mit dem Mehl im Cad und dem Öl im
Krug, das dein Gott so wunderbar zu deinem Unterhalt vermehrt? Dann
bitte I h n , ein Rauschen voll starkem Regen zu senden um der Menge willen,
die vor Hunger verschmachtet. Wenn du auch selber gleich Abraham voll«
kommen sicher bist, so bete doch für die Städte der Ebene, die so bald voll
der Zerstörung ereilt werden sollen. Wenn du wie Esther iu des Königs
Palast wohnst, bist du nicht um dieser Zeit willen zum Königreich gekommen?
Deshalb fnche Gehör bei der königlichen Majestät nnd bitte für diejenigen
deines Volks, die in Gefahr sind. Wenn du wie Nehemia eine hohe Stelle
am königlichen Hofe einnimmst, brauche sie zum Nutzen der Verbannten, und
wenn du das nächste M a l vor dem König stehst, bringe I h m eine Bitte für
deille Brüder. Um euch zu ernster Fürbitte anzuregen, habe ich diesen Text
gewählt. Ich möchte euch zu fleißigem Flehen angetrieben sehen durch das
Beispiel des Samuel, der es würdig ist, so recht ill die Vorderreihe der Für-
bitter gestellt zu werden.

I.
Laßt Ulis zuerst bei seiner G e w o h n h e i t des F i i r b i t t e n s verweilen,
denn diese hatte Samuel ersichtlich. W i r entnehmen dies aus dem Text. Er
sagt: „Es sei aber ferne von mir, mich also an den« Herrn zn versündigen,
daß ich sollte ablassen, für euch zu beten." Es ist deshalb klar, daß er die
beständige Gewohnheit hatte, für Israel zu beten; er hätte nicht von „ab<
lassen zu beten" sprechen können, wenn er nicht bis dahin das Gebet fort»
gesetzt hätte. Die Gewohnheit des Vetens für das Volk war so eingewurzelt
bei Samuel, daß er zurückzuschrecken scheint bei dem bloßen Gedanken daran,
seine Fürbitte aufhören zu lassen. Das Volk bemaß den Propheten nach sich
selbst und war halb bange, daß er zornig sei und ihm deshalb seine Fürbitte
verweigern würde; deshalb lesen wir im 19. Verse: „Und sprachen alle zu
Samuel: Bitte für deine Knechte den Herrn, deinen Gott, daß wir nicht
sterben." Sie fchätzten seine Gebete sehr nnd hatten ein Gefühl, als wenn
ihr nationales Leben nnd vielleicht ihr persönliches Leben von seiner Für-
sprache abhillge. Deshalb drangen sie in ihn, wie Menschen, die um ihr
Leben flehen, daß er nicht ablassen möchte, für sie zu bitten, und er erwiderte:
„Gott verhüte, daß ich es sollte." Das Verweigern seiner Fürbitte scheint
ihm gar nicht in den Sinn gekommen zu sein. Nach meinem Gefühl liegt in
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 425

diesen Worten Staunen über die Vorstellung, Entsetzen und halber Unwille
bei dem bloßen Gedanken: „Was, ich, Samuel, ich, der ich euer Diener von
Kind an gewesen, seit dein Tage, wo ich den kleinen Leibrock anzog und im
Hause des Herrn für ench diente; ich, der ich für euch gelebt und geliebt habe
und willig war, in enrem Dienst zu sterben, soll ich je anfhören, für euch zu
beten?" Er sagt: „Gott verhüte." Es ist der stärkste Ausdruck, den man
sich nur denken kann, und dies, verbunden mit seiner augenscheinlichen Über'
raschung, zeigt, daß des Propheten Gewohnheit der Fürbitte tief gewurzelt, be>
ständig, fest, dauernd, ein Teil seiner selbst war.
Wenn ihr sein Leben lesen wollt, so werdet ihr sehen, wie sehr dies der
Fall war. Samuel war aus Gebet geboren. Ein Weib von tranrigem Ge-
müte erhielt ihu von Gott nnd rief freudig aus: „Ich habe ihn von dem
Herrn erbeten." Er empfing seinen Namen mit Gebet, denn „Samuel" be»
deutet: „ v o n G o t t erbeten." Gut führte er seinen Namen durch und be»
wies dessen prophetische Genauigkeit, denn nachdem sein Leben begonnen dadurch,
daß er von Gott erbeten war, fuhr er fort, von Gott zu erbitten, und all seine
Kenntnis, Weisheit, Gerechtigkeit und Herrschermacht wareu Dinge, die ihm
zn teil wnrden, weil er „von Gott erbat." Er wnrde zuerst von einer
betenden Mntter anferzogen, nnd als er sie verließ, war es, uni in dem
Hanse des Gebetes sein lebenlang zu weilen. Seine früheste Jugend ward
mit einer göttlichen Erscheinung begnadigt, und er zeigte schon da jenen Geist
des Wartens und Wachens, der das Knie des Gebetes ist. „Rede, Herr,
denn Dein Knecht hört," ist der Nnf eines einfachen, aufrichtigen Herzens,
eines solchen, das der Herr stets annimmt. W i r denken uns alle Samnel
unter der kleinen Fignr, die so oft gemalt nnd gemeißelt ist, in der eines
lieblichen Kindes in betender Stellnng. W i r scheinen alle den kleinen Samuel,
das betende Kind, zu kennen: nnsre Knaben und Mädchen kennen ihn als
vertranken Freund, aber knieend mit gefallenen Händen. Er war im Gebet
geboren, benannt, genährt und anferzogen, und er verließ nie den Weg des
Bittens. An ihm wurde der Spruch erfüllt: „Aus dein Munde der Un«
mündigen nnd Säuglinge hast D n D i r Lob zugerichtet;" und er beharrte so in
seinem Gebet, daß er im Alter Frncht brachte nnd Gottes Macht denen be-
zeugte, die nach ihm kamen. So berühmt wurde Samuel als Fürbitter, daß
ihr, wenn ihr den 99. Psalm aufschlagt, im sechsten Verse eine knrze, aber
liebliche Lobrede auf ihn leset: „Mose und Aaron unter seinen Priestern
und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen." Wenn Mose und
Aaron ausgewählt sind als geweihte Männer, Führer des Gottes Israel im
Dienst und Opfer, so ist Samuel gewählt als der betende Mann, der Mann,
der Gottes Namen anruft. Das ganze Israel kannte Samuel als Fürbitter,
so gut wie es Aaron als Priester kannte. Vielleicht noch bemerkenswerter ist
426 Alttestamentliche Bilder.

dasselbe göttliche Urteil über ihn I e r . 15 im ersten Verse, wo er wiederum


mit Mose zusammengestellt wird: „Und der Herr sprach zu mir: Und wenn
gleich Mose und Samuel vor mir ständen, so habe ich doch kein Herz zu
dieseui Volk; treibe sie weg voll mir und laß sie hillfahren." Hier ist ohne
Zweifel eine Anspielung auf das obsiegende Gebet Mose, als er in der Angst
seines Herzens rief: „ W o nicht, so tilge mich aus Deinem Buche, das D n
geschrieben hast." Dies war eine hohe Art der Fürbitte, aber Gottes Schätzung
des Samuel als Fürsprecher ist so groß, daß Er ihn Mose all die Seite stellt
und in seiner Drohnng an das sündige Israel dein Ieremias sagt, daß Er
nicht einmal auf Mose und Samuel hören würde, wenn sie vor I h m ständen.
Es ist gut, die Kunst des Gebetes in unsren frühesten Tagen zu lernen, denn
dann wachsen wir auf und bringen es weil darin. Frühes Gebet erwächst zu
mächtigem Gebet. Hört dies, ihr jungen Leute, und möge der Herr jetzt
Samuele alls euch machen. Welche Ehre, berufen zu sein, für andre Für«
spräche einzulegen, der Wohlthäter eures Volkes zu sein oder selbst das Mittel
des Segens für euer eignes Haus. Strebt danach, meine lieben jungen
Freunde. Vielleicht werdet ihr niemals predigen, aber ihr könnt beten. Wenn
ihr nicht die Kanzel zu besteigen vermögt, so könnt ihr vor dem Gnndcnstnhl
euch beugen, und ein ebenso großer Segen sein.
Was den Erfolg voll Samnels Gebeten anlangt, so leset seil» Leben,
und ihr werdet finden, daß er seinen« Volk große Befreinngen erwirkte. I m
siebenten Kapitel dieses Vnches finden wir, daß die Philister Israel schwer
bedrückten, lind daß Samuel mntig das Volk zusammenrief, um die Lage zu
bedenken, sich von dem Götzendienst zn kehren und den einen wahren Gott
anzubeten, und ihnen seine Gebete versprach als ein Gut, das sie sehr hoch
schätzten. Dies sind seine Worte: „Versammelt das ganze Israel gegen Mizpa,
daß ich für euch bitte zum Herru." Er nahm dann ein Lamm und opferte
es als Vrandopfer dein Herrn, „und schrie znm Herrn für Israel, und der
Herr erhörte ihn." Dies ist eins der großen Ereignisse seines Lebens, und
doch beschreibt es sehr gut seine ganze Laufbahn. Er schrie, und der Herr
hörte. Hier zogen die Israeliten in die Schlacht, aber Jehovah ging vor
ihnen her, da Er des Propheten Gebet erhörte. I h r könnt den Trommel»
fchlag bei dem Zug des Gottes der Armeen hören und das Blitzen seines
Speeres sehen, denn die Geschichte der Schlacht wird so berichtet: „Und indent
Samuel das Brandopfer opferte, kamen die Philister herzu, zu streiten wider
Israel. Aber der Herr ließ donnern einen großen Donner über die Philister
desselben Tages: nnd schreckte sie, daß sie vor Israel geschlagen wurden.
Da zogen die Männer Israel alls von Mizpa und jagten die Philister und
schlngen sie." Der Schluß des ganzen ist: „Also wurden die Philister ge-
dämvfet;" das will sagen, das Gebet Samuels war die überwindende Waffe
Samuel: ein Veispiel der Fürbitte. 427

und Philistäa beugte sich unter seiner Macht. O ihr, die ihr die Macht des
Gebetes kennt, schreibt dies auf euer Vanner: „Also wurden die Philister
gedämpft."
Samuels Gebete waren so wirksam, daß selbst die Elemente uon ihm
beherrscht wurden. O, die Macht des Gebetes I Es ist lächerlich gemacht
worden: man hat es als etwas Unwissenschaftliches und Unpraktisches dar-
gestellt, aber wir, die es täglich erproben, wissen, daß seine Macht nicht über-
trieben werden kann und fühlen keinen Schatten von Zweifel betreffs derselben.
Es ist eine solche Macht im Gebete, daß es „den Arm bewegt, der die Welt
bewegt." W i r brauchen nur das Veten recht zu verstehen, und der Donner
wird seine Stimme erheben als Antwort ans unsrcn Ruf, und Iehovahs Pfeile
werden umherfliegen zum Niederwerfen seiner Feinde. Wie sollten die fähig
sein, über das Gebet zu urteilen, die überhaupt nie beten oder nie im
Glauben beten? Laßt diejenigen Zeugnis ablegen, denen das Gebet eine alt»
bekannte Übung ist und für welche Erhörnngen von Gott etwas so Gewöhn-
liches sind wie das Tageslicht. Über eines Vaters Herz hat keine Macht eine
so große Gewalt, als die Not seines Kindes, und bei unsrem Vater, der im
Himmel ist, ist es ganz besonders so. Er muß Gebet erhören, denn Er
kann nicht seinem eignen Namen Unehre machen und seine eignen Kinder
vergessen.
Als in seinem Alter das Volk begann, sich gegen ihn zu wenden und
Unzufriedenheit mit seinen unwürdigen Söhnen laut werden zu lassen, da ist
es schön zu sehen, wie Samuel sogleich zum Gebet seine Zuflucht nimmt.
Seht auf das achte Kapitel, den fünften Vers: „Das Volk sprach zn ihm, du
bist alt geworden und deine Söhne wandeln nicht in deinen Wegen; so setze
nun einen König über uns, der uns richte." Der alte Mann war tief be-
trübt; es war natürlich, daß er es war. Aber blickt auf die nächsten Worte.
Schalt Samuel das Volk? Sandte er sie heiin im Zorn? Nein. Es steht
geschriebell: „Und Samuel betete vor dem Herrn." Er sagte seinem Herrn,
wie sie wären, und der sprach zu i h m : „Gehorche der Stimme des Volkes in
allem, das sie zu dir gesagt haben: denn sie haben nicht dich, sondern mich
verworfen, — nimm es nicht zu Herzen, als wenn es ein persönlicher Schimpf
für dich wäre, daß ich nicht soll König über sie sein." Diese Geringschätzung
des Knechtes Gottes war eine Verwerfung Gottes selber, nnd Er wollte nicht,
daß Samuel sich ihre Undankbarkeit gegen ihn zu Herzen nehme, sondern an
ihr schlechtes Betragen gegen den Herrn, ihren Gott, denken sollte.
So, seht ihr, war Samuel ein Mail» von vielem Gebet, und im
21. Verse lesen wir, daß er, nachdem er seinen Widerspruch erhoben nnd dein
Volk alles gesagt, was sie von einem König zu leiden haben würden, wie er
sie besteuern und bedrücken, ihre Söhne zu Kriegern und ihre Töchter zu Auf-
428 Alttestamentliche Bilder.

Wärterinnen in seinem Palast machen, ihre Felder und Weinberge nehmen


würde, und das Volk doch dabei verharrte, zn sprechen: „ M i t Nichten, sondern
es soll ein König über nns fein," — daß er da doch keine zornige Antwort
gab, sondern zu seinem Gott ill verborgene Gemeinschaft zurückkehrte: „ D a ge«
horchte Samuel alle dem, das das Volk sagte, und sagte es vor den Ohren
des Herrn." O, daß wir weise genug wäreu, das Gleiche zu thun! Anstatt
umherzugehen und dem einen und audren von den schmählichen Dingen zu er»
zählen, die mau voll nns gesagt hat, wäre es gut, geradeswegs ill unser
Betkä'mmerlein zu gehen und sie vor den Ohren des Herrn zu sagen. Samuel
war so, wie ihr seht, in seinem ganzen weltlichen Leben ein Mann, mächtig
im Gebet, und als das Volk ihn verließ und seinem neu gemachten König
folgte, hörte er, wie unser Text es zeigt, nicht auf, für sie zu beten. Er spricht:
„Gott verhüte, daß ich sollte ablassen, für euch zu beten."
Dies war jedoch nicht alles; als Saul sich abgewaudt hatte und zum
Verräter all seinem göttlichen Herrn geworden war, that Samuel Fürbitte für
ihn. Eine ganze Nacht brachte er in ernstlichem Flehen zu, obgleich es ganz
vergeblich war; und viel und oft seufzte er um den verworfenen Fürsten.
Der alte Mann war von Jugend auf ein Fürbitter gewesen und er ließ nie
voll der heiligeil Übung ab, bis seine Lippen im Tode sich schlössen. Nun,
Geliebte, ihr seid nicht Richter des Landes, sonst würde ich euch bitten, viel
für die Leute, die ihr regiertet, zu beten. I h r seid nicht alle Pastoren und
Lehrer, sonst würde ich sagen, daß, wenn w i r nicht sehr viel beten, das Vlut
der Seelen an unsren Gewändern sein wird. Einige voll euch sind indes
Lehrer der Jugend: meint nicht, daß ihr irgend etwas für eure Klassen ge«
than, ehe ihr für sie gebetet habt. Laßt euch nicht an einer oder zwei Lehr«
stunden ill der Woche genügen, betet oft und mit Liebe für sie. Viele von
euch sind Eltern. Wie könnt ihr eure Pflichten gegen eure Kinder erfüllen,
wenn ihr nicht ihre Namen im Gebet auf euren Herzen tragt? Diejenigen
von euch, welche sich nicht iu diesen Verhältnissen befinden, haben liichtsdesto»
weniger irgend einen Grad von Fähigkeit, ein Maß von Einfluß, eine
Stellung, in welcher sie ihren Nebenmenschen Gutes thun können, und dies
erfordert ihr Vertrauen auf Gott. I h r könnt eure Verpflichtungen als An-
verwandte, als Bürger, als Nachbarn, ja, als Christen nicht erfüllen, wenn
ihr nicht oft Gebet und Flehen darbringt für jeden 3lang uud Staud. Für
andre zu beteu, muß euch eine Gewohuheit werde», voll der ihr nicht ablaßt,
selbst wenn sie euch bis aufs äußerste reizen, denn ihr solltet nur ausrufen:
Gott verhüte, daß ich sollte ablassen für euch zu beten, das würde cille große
Sünde vor den Augen des Höchsten sein.
So haben wir unsren ersten Teil besprochen, die Gewohnheit der
Fürbitte.
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 429

II.
Nun, zweitens, fordere ich euch auf, die Aränknngen zn betrachten»
die Samuel hatten veranlassen können, mit der Fiirlntte ans-
z n h i i r e n , welche Kränkungen er geduldig ertrug. Die erste derselben war
die Geringschätzung, m i t der sie i h n behandelten. Der große, alte
Mann, der das ganze Jahre hindurch seine Nuudreisen von Ort zn Ort machte,
um Gerechtigkeit zu handhaben, hatte nie eine Bestechung genommen. Er
hatte alles für sie ohne Gehalt und Lohn gethan. Obgleich er ein Recht auf
eine Vesoldung hatte, nahm er sie nicht; in der Gros;mnt seines Herzens that
er alles nnentgeltlich, wie in späteren Tagen Nehemia, der sprach: „Denn die
vorigen Landpfleger, die vor mir gewesen, hatten das Volk beschweret: lind
hatten von ihnen genommen Vrot und Wein, dazn anch vierzig Seckel Silbers:
anch hatten ihre Knaben mit Gewalt gefahren über das Volk. Ich that aber
nicht also, um der Furcht Gottes willen." Samuel hatte ein langes Leben
hindurch das Land ill Frieden erhalten, und unzählige Segnungen waren
Israel durch seine Führerschaft zu teil geworden; aber jetzt wnrde er alt uud
etwas schwächlich, obwohl er noch weit entfernt war, abgelebt zu sein, und sie
ergriffen diese Entschuldigung, um sich einen König zu setzen. Der alte Mann
fühlte, daß noch Leben nnd Thätigkeit in ihn« sei; aber sie schrieen nach einem
König, nnd deshalb mußte ihr greiser Frennd sein Amt niederlegen und von
seiner hohen Stellung herabsteigen. Es mißfällt ihm, da er zuerst ihre
Forderung hört, aber uachdem er eine kleine Weile im Gebet zugebracht, gibt
er seine Stellung sehr willig auf, und feine ganze Sorge ist, den rechten
Mann für den Thron zu finden. Als der Mann gefuuden ist, da hat er nnr
den Wunsch, daß des Herrn Gesalbter in der Regierung richtig geleitet werden
möchte; und ohne einen Gedanken all sich selbst freut er sich bei dem Allblick
eines, dessen Anfang soviel verhieß. Samuels Absetzung war eine harte
Sache, beachtet das, eine unfreundliche, unedle Sache; aber er betete darum
kcill Atom welliger für das Volk; wahrscheinlich betete er viel mehr; denn wie
seine Mutter am meisten betete, als der Kummer ihres Herzens am größten
war, so war es mit ihm. I h r könnt in vieler Hinsicht den Sohn in der
Mutter sehen, und in diesem Puukt besonders, daß er am meisten betet,
wenn er am meisten betrübt worden ist. Wie der Sandelbaum die Axt, die
ihn umhaut, mit Wohlgeruch erfüllt, so strömte sein blutendes Herz Bitten
aus für die, welche ihm weh thaleu.
Außer der Kränkung, die ill der Geriugschätzuug seiller selbst lag, fühlte
er sich verwundet durch i h r e gänzliche V e r w e r f u n g feines feierlichen
Widerspruchs. Er stand vor ihnen nnd sprach »lit ihnen ans die klarste,
nur mögliche A r t : „Wozu wollt ihr einen König?" schielt er zu sagen. „Das
wird des Königs Recht sein, der über euch herrschen wird: Eure Söhne wird
430 Alttestamelltliche Bilder.

er nehmen zu feinem Wagen und Neutern, die vor dem Wagen hertraben.
Eure Töchter wird er nehmen, daß sie Apothekerinnen, Köchinnen und
Väckerinnen feien. Eure besten Äcker und Weinberge und Ölgärten wird er
nehmen und feinen Knechten gebeil. Dazu von eurer Saat und Weinbergen
wird er den Zehnten nehmen und feinen Kämmerern und Knechten geben.
Und eure Knechte und Mägde, und eure feinsten Jünglinge, und cure Esel
wird er nehmen und seine Geschäfte damit ausrichten. Von euren Herden
wird er den Zehnten nehmen, und ihr müsset seine Knechte sein. Wenn ihr
dann schreien werdet zu der Zeit über euren König, den ihr euch erwählet
habt: fo wird euch der Herr zu derselben Zeit nicht erhören." Es war ge>
funder Verstand in all diefem, und jedes Wort erwies sich als wahr binnen
kurzem, und doch wollten sie nicht hören. Sie fprachen: „ M i t Nichten, sondern
es soll ein König über uns sein, daß wir auch seien wie alle andren Heiden;
daß uns unser König richte und vor uns her ausziehe, wenn wir unsre Kriege
führen." Trotzdem sie seine Warnnng abwiesen, wurde der ehrwürdige Greis
uicht gereizt. Zuweilen ist es die Schwäche weiser Männer, die reich an
Jahren und Erfahrung find, daß sie mürrisch werden, wenn sie einen Fall
klar und ernst in aller Aufrichtigkeit ihres Herzeus dargestellt habeu, und die
Sache fo deutlich ist, als daß zweimal zwei vier macht, und ihre Hörer dann
vorsätzlich dabei verharren, ihrer Warnnng zu trotzen, oder vielleicht ist es
billiger, wenn wir sagen, daß sie dann einen zn rechtfertigenden Unwillen
zeigen. Mancher greife Mann hätte gesagt: „Gut, dann will ich nichts mehr
mit euch zu thun haben; ich will anders wohin gehell. Ich werde Ramath
verlassen uud in ein andres Land gehen, wo man vielleicht das Wort des
Herrn hören wird." Nicht so, er ist immer hoffnungsvoll, und wenn sie nicht
das beste thun wollen, fo verfucht er, sie zu dem uächstbesteu zu führen. Wenn
sie nicht unter der direkten Herrschaft des Herrn, als ihres Königs, bleiben
wollen, fo hofft er, daß sie sich gut verhalten werden unter einem menschlichen
König, der ein Vizekönig unter Gott sein soll, und deshalb fährt er hoffnungs-
voll fort, für sie zu beten, uud soviel er kann, für sie zu thun.
Zuletzt kam es dahin, daß das Volk einen König habeu, und der König
gekrönt werden mußte. Sie mußten nach Gilgal gehen und das Königreich
daselbst einrichten, uud dort stand Samuel auf und erklärte iu den Worten,-
die ich eben verlesen, wie er mit ihnen gehandelt habe, wie ersienie betrogen
oder bedrückt, noch etwas voll ihnen genommen, und fagte ihnen anch, daß
ihre Wahl eines Königs in gewissem Maße eine Verwerfung Gottes fei, daß
sie die beste Herrschaft uud das ehrenvollste Regiment beifeite fetzten, um auf
die Stufe der Heidenvölker hillabzusteigen. Dennoch v e r w a r f e n sie seine
letzte M a h n u u g , uud ich finde es fchön, zu fehen, wie ruhig er die Frage
fallen läßt, als er seine letzte Rede gehalten, und feierlich vor dem Herrn mit
Snmuel: ein Beispiel der Fürbitte. 431

ihnen gerechtet hat. I h r hartnäckiges Festhalten an ihrer Lanne veranlaßte


ihn nicht, sein Gebet für sie zurückzuhalten. „Gott verhüte," spricht er, „daß
ich sollte ablassen für euch zu beten."
, Die praktische Lehre hieraus ist, daß ihr, wenn ihr «ersucht werdet, mit
der Fürbitte für gewisse Persollen aufzuhören, dieser Eingebung nicht folgen
müßt. Sie haben eure Gebete verlacht, sie sagen euch, daß sie dieselben nicht
brauchen, sie haben sogar mit euren frommen Wünschen für sie Spott und Scherz
getrieben. Thnt nichts. Vergeltet es ihnen durch desto größere Liebe. Hört nicht
auf, für sie mit Gott zu ringen. Es mag sein, daß ihr euch sehr iu ihnen
getäuscht habt; euer Herz bricht, wenn ihr seht, wie sie abgewichen sind, geht
dennoch mit enren großen Sorgen znm Gnadenstnhl und schreit wiederum für
sie. Was wird aus ihnen werden, wenn ihr sie sich selber überlaßt? Laßt
nicht ab mit der Fürbitte, lieben Frennde, obwohl ihr auf tausenderlei Art dazu
gereizt werdet.
Wenn ihr anch seht, daß sie, nachdem ihr mit ganzem Ernst ihnen die
Sache klar vorgelegt habt, doch das Rechte verwerfen und das Vöse wählen,
so laßt euch das nicht abschrecken. Nie laßt einen Sünder die Oberhand
über euch gewiunen, nnd dies thut er, wenn er euch durch seiue Sünde dahin
treibt, das Gebet zu vernachlässigen.
Es mag sein, daß ihr teils im Unglauben uud teils in eurer zitternden
Angst denkt, daß ihr Urteil wirklich besiegelt ist, nud daß sie ins Verderben
gehen werden. Laßt dies lieber die Innigkeit eures Gebets mehren, als sie
im geringsten Grade vermindern. Vis die Süuder in der Hölle sind, schreit
zu Gott für sie. So lange Odem ill ihrem Leibe und in eurem Leibe ist,
laßt die Stimme eures Flehens gehört werden. Wenn die Seelen erst
hinübergegangen sind in die Geisterwelt, hilft das Gebet nicht mehr, aber bis
in die letzte Stunde hinein mag es helfen. Vielleicht feid ihr manchmal in
Versnchuug, zu wünschen, daß ihr für die Toten beten könntet; laßt diesen
vergeblichen Wuusch euch antreiben, ernstlich für die Lebenden zu bitten. Ringt
im Gebet, so lange eure Vitteu erhört werden können. Schreit mächtig zu
Gott, was auch geschieht, eure Hoffnuug zu dämpfen, und haltet es für eine
Versuchung des Satans, wenn euch eingegeben wird, daß ihr mit der Für-
bitte aufzuhören hättet. Dein Mauu, gutes Weib, auch weun er immer
trunkfälliger uud ruchloser wird, bete immer noch für ihn. Denn Gott, der
den Leviathan wie mit einem Hamen zieht, kann diesen großen Sünder noch
nehmen uud einen Heiligen aus ihm machen. Ob dein Sohn anch ans»
schweifender denn je zn sein scheint, folge ihm mit vielen Vitlen und weine
vor Gott immer noch über ihn. D u , liebevolle Mutter, und du, frommer
Vater, vereinigt eure heißen Gebete Tag und Nacht vor dem Gnadenstuhl, nnd
432 Nlttestamentliche Bilder.

ihr werdet euren Wunsch noch erlangen. Laßt nichts die Flamme auf dem
Altare oder die Hoffnung in eurer Seele auslöschen.
Wie ich schon sagte, Samuel betete um so mehr, je mehr Leid über ihu
kam; laßt es so mit euch sein. Samuel konnte sich niemals von dein Volke
scheiden; er versuchte nie, sich von der Einheit mit ihnen loszumachen, sondern
er legte ihre Sache auf sein Herz. Er war das wahre Herz Israels, in
lebendiger Vereinigung mit dem Ganzen und konnte deshalb nicht von seinem
Volk hinweggerissen werden. Hierin liegt das Geheimnis inniger Fürbitte.
Macht, ich bitte euch, die Angelegenheiten andrer zu euren eignen. Denkt
nicht, es sei genug, daß i h r errettet seid. Sitzt nicht nieder und faltet eure
Arme uud macht ein Kissen für eiu träges Haupt aus der unumschränkten
Macht Gottes. Nein, ihr seid ein Teil der Familie; bemüht euch, als solcher
zu handelu. Vetet für die Menschen, weil ihr anch Menschen seid. Ein
heidnischer Philosoph sagte einmal: „Ich bin ein Mensch, und uichts Mensch«
liches ist mir fremd": wieviel mehr sollte ein Christ dies sagen, da er seinem
Herrn und Meister gleichen soll, der das Muster eines großherzigen, selbstans»
opfernden Menschen war. Menschensohn war einer der Lieblingstitel unsres
Herrn, um anzuzeigen, daß Er sein Leben mit uusrcr Menschheit verbunden.
Seid ihr auch wahre Söhue der Menschen, Brüder der ganzen Menschheit?
Ich beschwöre euch, wenu ihr für euch selber beten könnt, so übt das heilige
Recht der Fürbitte für andre. Seid wie Abraham, der für Sodom bat, wie
Mose, der in den Riß trat für das Volk; wie Elias, dessen Gebet für
Israel erhört ward. Wenn ihr gelernt habt zu beten, so übt die heilige
Knust, bis ihr viel Macht bei Gott erlangt; dann werdet ihr Segnungen her-
mederbringen, auf die, welche fönst unter dem Fluche umgekommen wären.
So viel über die Kränkungen, die Samuel erlitt, unter denen er stets seinem
hohen Beruf getreu blieb.

III.
Ich will nun, drittens, Samnel i n seiner b e h a r r l i c h e n F ü r b i t t e
betrachten. Obgleich das Volk ihn so kränkte, hörte er mit dem Gebet für
sie nicht auf; denn, zuerst, er brachte da und dann neue Bitten dar, und
dieses Rufen wurde erhört, und Saul wurde zu Anfang ein reiches Maß von
Gnnst verliehen. Samuel ließ nicht vom Gebet für Saul ab, als dieser ab-
gewichen war, denn wir finden geschrieben: „ D a geschah des Herrn Wort zu
Samuel uud sprach: Es reuet mich, daß ich Saul zum König gemacht habe;
denn er hat sich hinter mir abgewandt und meine Worte nicht erfüllet. Des
ward Samuel zornig und schrie zu dem Herrn die ganze Nacht!" Ich meine,
ich sehe den alten Mann in Angst und Schmerz um Saul, den er liebte.
Alte Leute bedürfen des Schlafes, aber der Prophet verließ fein Lager und
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 433

schüttete in den Nachtwachen feine Seele vor dem Herrn aus. Obwohl er
keine tröstliche Antwort empfing, fnhr er doch fort zu schreien; denn wir lesen
weiterhin, daß der Herr zu ihm sprach: „Wie lange trägst du Leide um Saul?"
Er trieb die Sache so weit, wie sie nur getrieben werden konnte, bis der Herr
ihn warnte, daß es zu nichts nütze. „Wie lange trägst du Leide um Saul?"
Es ist zu bewundern an Samuel, daß er, obwohl Saul die Sünde begangen
haben mochte, die zum Tode ist, und Samuel Furcht hegte, daß fein Geschick
entschieden, dennoch in verzweifelnder Hoffnung weiter betete. Der Apostel
Johannes schreibt über die Sache so: „ S o jemand siehet seinen Bruder
sündige!», eine Sünde nicht zum Tode: der mag bitten; so wird er das Leben
geben denen, die da sündigen nicht znm Tode. Es ist eine Sünde zum Tode:
dafür sage ich uicht, daß jemand bitte." Er verbietet in solchem Falle nicht
unsre Gebete, ermutigt sie iudes auch nicht, aber ich verstehe es so, daß Er
uns die Erlaubnis gibt, weiter zu beten. W i r wissen von dem größten
Sünder nicht mit Bestimmtheit, daß er die Grenzen der Barmherzigkeit schon
überschritten hat, und deshalb dürfen wir mit Hoffnung für ihn beten. Wenn
eine entfetzliche Furcht in uns ist, daß uuser fehlgehender Angehörige über den
Bereich der Hoffnung Hillaus ist, fo ist es uns, wenn nicht befohlen, zu beten,
doch auch nicht verboten, es zu thun, und es ist immer am besten, nach der
sicheren Seite Hill zu irren, wenn es überhaupt I r r e n ist. W i r dürfen immer
noch zu Gott gehen, selbst mit einer verlornen Hoffnung, uud zu I h m in der
äußerste»» Not schreien. Es ist nicht wahrscheinlich, daß wir den Herrn zu
uns werden sprechen hören: „Wie lange trägst du Leide um S a u l ? " Es ist
nicht wahrscheinlich, daß wir I h n sagen hören: „Wie lange willst du beten
für dein Kind? Wie lange willst du Leid tragen für deinen Ehemann? Ich
bin nicht willens, sie zu retten." W i r haben nicht solche niederdrückenden
Offenbarungen, und wir sollten sehr dankbar sein, daß wir sie nicht haben,
denn nuu können wir hoffnungsvoll fortfahren, für alle zu beten, die uns
auf unsrem Wege begegnen. W i r dürfen fortfahren und sollten fortfahren,
wie Samuel es that, im Gebet zu ringen, so lange wir leben.
Als der Prophet wußte, daß Saul hoffnungslos verworfen war, hörte
er nicht auf, für das Volk zu bitten, fondern ging hinab gell Bethlehem und
salbte David, nnd als dieser voll der Bosheit Sauls verfolgt ward, sehen wir
ihn David beherbergen in Nama, und die Macht des Gebetes in seinem
eignen Hause und an dem heiligen Ort beweisen, denn als Saul hinabkam
und David gefangen nehmen wollte, sogar in des Sehers Hause, wurde dort
eine Betstunde gehalten, uud die machte solchen Eindruck auf S a u l , daß er
selbst anfing zu weissagen und die ganze Nacht unbekleidet und gedemüiigt
neben ihnen auf dem Boden lag. Die Menschen riefen aus: „ I s t Saul auch
unter den Propheten?" Der boshafte König konnte nicht wagen, Samuel an«
Spucgeou, Alttestamentllche Vilder. 26
434 Alttestamentliche Äilber.

zutasten. Der Prophet war ein sanfter, milder, liebevoller M a n n ; und doch
hatte S a u l mit seinem schwarzen Herzen immer Ehrfurcht vor ihm, so daß er
den Zipfel seines Rockes zum Schutz ergriff, und nachdem er gestorben, gottloser»
weise seinen vermeintlichen Geist zur Führung suchte. Der Mann Gottes hatte
augenscheinlich durch das Gewicht seiner heilige» Persönlichkeit Eindruck auf
den hochgewachsenen Abtrünnigen gemacht. Es steht geschrieben, daß Gott mit
ihm war und keins unter all seinen Worten auf die Erde fallen ließ; und
dies war, weil er ein betender Mann war. Wer bei Gott für die Menschen
obsiegen kann, kann stets bei den Menschen für Gott obsiegen. Wenn du den
Himmel durch Gebet überwinden kannst, fo kannst du die Erde durch Predigen
überwinden: wenn du die Kunst kennst, zu dem Ewigen zu sprechen, so wird
es ein Geringes sein, zu sterblichen Menschen zu sprechen. Sei gewiß, daß
das eigentliche Wesen aller wahren Macht über die Menschen in der Macht bei
Gott iin Verborgenen liegt: wenn wir zum Herrn gefleht und obgesiegt haben,
so ist unser Werk fast gethan.
Ich bitte euch deshalb, lieben Freunde, beharrt stets in der Fürbitte und
laßt euch in der Barmherzigkeit durch die Erkenntnis stärken, daß es eine
Sünde sein würde, mit dem Gebet für diejenigen aufzuhören, welche die
Gegenstände unfrer Fürbitte gewesen sind. Samuel bekennt, daß er sich ver>
sündigen würde, wenn er von der Fürbitte abließe. Wieso? Nun, wenn er
aufhörte für das Volk zu beten, fo würde er sein Amt vernachlässigen, denn
Gott hatte ihn zu einem Propheten für die Nation gemacht, und er mußte
Fürsprache für sie einlegen oder seine Pflicht vernachlässigen. Es würde einen
Mangel an Liebe zu den Erwählten des Herrn zeigen, wenn er nicht für sie
betete. Wie konnte er sie lehren, wenn er nicht selbst von Gott gelehret war?
Wie konnte er nur hoffen, sie zu lenken, wenn er nicht genug Liebe für sie
hatte, um für sie zu Gott zu schreien? Es wäre in diesem Falle bei ihm auch
noch eine Sünde des Zorns gewesen. Es hätte ausgesehen, als wenn er böse
auf sie und auch auf Gott wäre, weil er nicht alles fein konnte, was er zu
sein wünschte. „Gott verhüte," sagt er: „daß ich solchen Zorn in meinem
Busen hegen sollte, daß ich abließe für euch zu beten." Es wäre eine Ver<
nachlässigung der göttlichen Ehre gewesen; denn, wie das Volk auch sein mochte,
fo stand der Name Gottes in Verbindung mit ihm, und wenn es ihm nicht
wohl erging, so wäre der Name Gottes nicht verherrlicht worden unter den
Heiden. Er konnte das Gebet für sie nicht aufgeben, denn ihre Sache war
Gottes Sache. Es wäre eine Grausamkeit gegen Seelen gewesen, wenn er,
der solche Macht im Gebet besaß, es zurückgehalten hätte. Nu», Brüder und
Schwestern, es würde eine Sünde von euch sein, wenn ihr den Gnadenstnhl
vernachlässigtet. I h r würdet den Heiligen Geist betrüben, ihr würdet Christo
seine Ehre rauben, ihr würdet grausam gegen die Sünder sein, die tot ill
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 435

Sünden sind, llnd ihr würdet falsch und verräterisch gegen den Geist der
Gnade und gegen euren heiligen Vernf handeln. I h r seid Könige und Priester
vor Gott, und was wollt ihr als Priester opfern, wenn ihr nicht Gebet und
Fürbitte für die Kinder der Menschen vor Gott bringt? Darum haltet nicht
mit Flehen inne, damit der Herr nicht zornig ans euch werde.

IV.
Unser letzter Teil ist, daß Samuel seine A u f r i c h t i g k e i t i n d e r
F ü r b i t t e zeigte dnrch eine dementsvrechende Handlungsweise, denn er sagt
in den Worten des Textes: „Gott verhüte, daß ich mich gegen den Herrn
versündigen sollte und ablassen für ench zu beten: sondern ich will euch den
gnten und richtigen Weg lehren." Weit entfernt, vom Gebet abzulassen,
wollte er mit doppelten! Fleiß sie lehren; und er that es. Er lehrte sie
dadurch, daß er sie an die Verheißungen Gottes erinnerte, daß Er sein Volk
nicht verlassen wolle: dadurch, daß er sie unterwies, wie sie zu handeln
hätten: „Dienet Gott treulich von ganzem Herzen"; dadurch, daß er ihnen die
Gründe dafür einprägte: „Denn ihr habt gesehen, wie große Dinge Er mit
ench thut," und dadurch, daß er eine ernste Warnung hinzufügte: „Werdet
ihr aber übel handeln, fo werdet beide, ihr und euer König, verloren sein."
Wenn ihr für enre Freunde gebetet habt, so versucht, fo gut ihr könnt, euer
eignes Gebet zu erhören, indem ihr die Mittel gebraucht, die Gott gewöhulich
segnet. Manche Leute thun müßige Gebete, denn sie machen keine Anstrengung,
ihre Wünsche zu erhalten. Wenn ein Landmann um eine Ernte betet, so
pflügt und säet er auch, denn sonst wären seine Gebete heuchlerisch. Wenn
wir wünschen, unsre Nachbarn bekehrt zu sehen, so werden wir auf alle Weife
dahin arbeiten. W i r würden sie anfforoern, mit uns dahin zu gehen,
wo das Evangelium treu gepredigt wird, oder wir werden ihnen ein gutes
Buch in die Hand geben oder mit ihnen persönlich über die ewigen Ange«
legenheiten sprechen. Wenn ich wüßte, wo man Gold dnrch das bloße Sammeln
desselben erhalten könnte, und wünschte, daß mein Nachbar reich wäre, so
würde ich ihm von den wertvollem Schatze erzählen und ihn bitten, mit mir
zu kommen und etwas von dein Reichtum zu sammeln. Aber viele denken
nie daran, einen Nachbar oder Freund, der ein Sabbatbrecher ist, aufzu-
fordern, mit ihnen zum Hause Gottes zu gehen; und es sind Tausende ill
unsrer Stadt, die nur einer Einladung bedürften, und sie würden sicher
kommen, einmal wenigstens, und wer weiß, ob dies eine M a l nicht zu ihrer
Bekehrung führen könnte. Wenn ich die Errettung irgend eines Menschen wünsche,
so sollte ich, so gut ich es vermag, ihm sagen, wie sein Zustand ist, und was
der Weg zur Errettung ist, und wie er Nuhe finden kann. Allen Menschen
kann man nahe kommen zu irgend einer Zeit oder in irgend einer Art. Es
28*
Alttestamentliche

ist sehr unvorsichtig, auf alle zuzustürzen, sobald man sie sieht, ohne Nach«
denken und ohne die gewöhnlichste Vorsicht, denn man mag dadurch die ab«
stoßen, die man zu gewinnen wünscht: aber die, welche ernstlich für andre
beten uud es sich angelegen sein lassen, sie zu suchen, werden gewöhnlich von
Gott gelehret und weise gemacht, betreffs der Zeit, der Art und des Gegen«
standes. Ein Mensch, der Vögel zu schießen wüuscht, wird nach einer Weile
geschickt in dieser Kunst werden, weil er sein Denken darauf richtet; nachdem
er Übung erlangt, wird er ein guter Schütze sei« und Kenntnis von Flinten
und Hunden haben. Ein Mann, der Lachse fangen will, hat seinen Sinn
auf das Angeln gesetzt und vertieft sich ganz in diese Beschäftigung. Er lernt
bald seine Angelrute zu gebrauchen und seinen Fisch zu ködern. So findet
der, welcher Seelen gewinneil will und sein Herz darauf richtet, die Kunst
irgendwie heraus, und der Herr läßt's ihm gelingen. Ich könnte sie euch
nicht lehren, ihr müßt sie üben, um sie herauszufinden; aber dies will ich
sagen, kein Mensch ist rein von seines Nächsten Vlnt, bloß weil er darum
gebetet hat, es zu sein. Gesetzt, wir hätte» hier iu uusrer Nachbarschaft eine
Anzahl Leute, die vor Hunger stürben, und wir hielten eine Betstunde, daß
Gott ihrem Mangel abhelfen möchte; würde es nicht Heuchelei sein, daß mall
sie verlachte uud sie verurteilte, weun wir alle, nachdem wir für diese Leute
gebetet hätten, zu Haufe gingen, nnser Mittagessen verzehrten und ihnen für
keinen Pfennig Brot gäben? Der wahrhaft Wohlwollende steckt die Hand in
die Tasche uud sagt: „Was kaun ich thuu, damit mein Gebet erhört werde?"
Ich habe von jemand in New Jork gehört, der für eine Anzahl arnier
Familien betete, die er besucht hatte, und den Herrn bat, ihnen Nahrung und
Kleidung zu geben. Sein kleiner Sohn sagte: „Vater, wenn ich Gott wäre,
so würde ich dir sagen, du solltest dein eignes Gebet erhören, denn du hast
Geld genug." S o mag der Herr wohl zu uns sagen, wenn wir für andre
bitten: „Geht und erhört eure eignen Gebete, indem ihr ihnen von meinem
Sohne sagt." Singt ihr: „Fleug zu der Erde Enden, o Wort des Evan-
geliums?" dann gebt ihm Flügel, mit Silber bedeckt. Singt ihr: „Tragt,
Winde, weit das Wort vom Kreuz," dann leiht ihm enren Odem. Es ist
eine Kraft in euren Gaben; es ist eine Kraft in enrer Rede; braucht diese
Kräfte. Wenn ihr persönlich nicht viel thnn könnt, so könnt ihr sehr viel
thun dadurch, daß ihr einem andren helft, Christum zu predigen; aber vorziig'
lich, und zuerst solltet ihr etwas mit eurer Haud, eurem Herzen und enrer
Zunge thun. Geht nnd lehrt den guten uud richtige!» Weg, und dann
werden eure Gebete erhört werden.

Und zuletzt, um zu einem Pnnkt zu kommen, der mir sehr auf dem
Herzen liegt, ich wünfche heule abend zu der Menge von Fremden zu reden.
Samuel: ein Beispiel der Fürbitte. 437

die da kommen werden, mich zu hören,"') damit viele von ihnen zum Herrn
bekehrt werden. Viele von diesen Leuten werden nicht kommen, weil sie das
Evangelium zu hören wünschen, sondern weil sie gehört haben, daß ick) ein
wunderlicher Mann sei, und weil sie neugierig siud, einen so exzentrischen
Menschen zu sehen und zu hören. Thut nichts, sie werden die Wahrheit
hören: denn es wird mein ernstes Bemühen sein, Christum, den Gekreuzigten,
zu predigen und I h n allein. Ich bitte euch, jedweden voll euch, um Segen
zu beten. Ich beschwöre euch bei aller Freundlichkeit, die ihr für mich habt,
bei allem Wohlwollen, das ihr für eure Mitmenschen, und aller Dankbarkeit,
die ihr gegen Gott habt, betet, daß ein Segen ruhe auf dem Wort, das ge<
sprachen werden wird. Wer weiß, wie viele zu des Heilauds Füßen gebracht
werden »lögen? Sie werden nicht Hörer derselben Art sein wie eurer einige,
die verhärtet worden sind durch das Hören des Evangeliums: viele von ihnen
werden ganz frische Hörer sein, denen alles ueu ist. Was für eine schöne
Gelegenheit, unter einer so großen Menge zu fischen, wenn wir nur von Gott
gelehret find, das Netz recht zu werfen. Heute nachmittag betet um einen
Segen. Kommt hier znsammen und bittet den Herrn um eine Gnaden-Heim-
suchung. I h r , die ihr so beschäftigt seid, daß ihr nicht zu einer Versammlung
zu kommen vermögt, könnt desungeachtet wenigstens eine Viertelstunde ab-
sondern znm einsamen Gebet, daß wir einen Segen erhalten möchten. I n
der Sonntagsschule betet um Segen; Gott hört die kleinen Kinder und sendet
Erhörungen, die sonst nicht gekommen wären. I n allen verschiedenen Ab-
teilungen unsrer Arbeiten laßt die Arbeiter zu Gott schreien, daß Er heute
abend Seelen erretten und seinen Namen verherrlichen möge. Ich werde ench
tief dankbar sein, und mein Herr wird euch segnen, deshalb thut es, ich bitte
euch, um seinetwillen. Amen.

*) S f t u r g e o n hatte mitunter sogenannte „Freiabeude," wo die regelmäßigen Hörer


auf seine Bitte wegbleiben uud das ganze Tabernakel für Fremde frei ist. A. d. Üb.
438 Alttestamentlichc Bilder.

29.

Davids erster Sieg.


„Also überwand David den Philister mit der Schleuder, nnd
mit dem Stein, und schlug ihn und tötete ihn. Und David hatte lein
Schwert in der Hand." 1 Sam. 17, 50.

(3in sorgfältiges Durchlesen des ganzen Kapitels wird enre Mühe reich«
lich lohnen. Ich habe einen Vers ausgewählt, aber eigentlich wird die ganze
Erzählung mein Text sein. Da ench die Geschichte wohl bekannt ist, branchen
wir keine Vorrede uuo keinen Eingang. Wir können gleich dazu übergehen,
David in feinem Kampfe mit Goliath und seinem Siege über ihn zn betrachten,
erstens: als ein V o r b i l d uusres H e r r u Jesu Ehristi, und zweitens:
als eiu Beispiel für uus selber. Da dasjenige, was ein Vorbild des
Hauptes ist, immer auch in Beziehung zu den Gliedern steht, uud da die
Glieder des mystischen Leibes Ehristi Ihm gleich find jetzt, und es noch völliger
werden sollen, so ist es im Grunde nur eiu Gedanke, den wir in der Be-
trachtung, an die wir jetzt gehen, ausführen wollen.

I.
Beginnen wir damit, eure Aufmerksamkeit auf die Thatfache zu lenken,
daß David in dieser Sache ein Porbild «nsres Herrn Jesn Christi war.
Die alten Kirchenväter waren sehr groß im Auffinde» vorbildlicher
Ähnlichkeiteu. So vollständig waren sie ill ihren Auslegungen und so genau
in den Einzelheiten, daß sie am Ende zu weit gingen und diese ins kleinliche
ausarteten. O r i g e n e s , zum Beispiel, ging in der geistlichen Deutung buch-
stäblicher Berichte beträchtlich über das hinaus, was als weise Auslegung be-
trachtet werden kann. Und andre, die versuchten, noch weiter zu gehe», als
jener große Meister des Mystizismus, thaten bald der Gemeinde Gottes vielen
Schaden und brachten köstliche Wahrheiten in beklagenswerten Mißkredit. Das
Studnml der alttestamentlichen Vorbilder hat kaum noch den ihm gebührellden
Davids erster Sieg. 439

Platz in der christliche» Gemeinde wiedergewonnen seit den Tagen, wo jene


frommen Männer es durch ihren unklugen Eifer verdarben. Wir können es
indes nicht dahinbringen, zu glauben, daß ein gutes Ding aufhört, gut zu
seiu, weil es zu einer Zeit mißbraucht worden ist. W i r meinen, es könnte
noch immer richtig nnd nützlich angewandt werden. Innerhalb gewisser
Grenzen alfo, Grenzen, die zu überschreiten man in diefen mechanischen, un>
poetischen Zeiten, wie wir meinen, wenig Gefahr läuft — können die Vor»
bilder nud Allegorien der Heiligen Schrift als ein Handbuch der Unterweisung
— ein vacls insouui gesunder Lehre, gebraucht werden. Nun sind alle evan«
gelischen Christen darüber einverstanden, daß David als ein ganz besonderes
Vorbild unsres Herrn Jesu Christi anzuseheu ist. M i t bezug auf die vor uns
liegende Begebenheit laßt uns gleich beim Beginn beachten, daß David, ehe
er mit Goliath focht, von Gott gesalbt war. Samuel war hinab nach Beth«
lehcm gegangen und hatte ein Horn mit Ö l über sein Haupt ausgegossen.
Der Vergleich wird sich euch schuell darbieten. So hatte der Herr sich einen
ausgesucht, den Er sich aus dem Volk heraus erwählt hatte. M i t seinem
heiligen Ö l hatte Er ihn gesalbet. Auf Sauls Haupt war ein Glas mit Ö l
gegossen — auf Davids Haupt ein ganzes Horn mit Öl. Dies mag vielleicht
bestimmt gewesen sein, den Kontrast zwischen der Kürze und dem dürftigen
Nuhm von Sauls Negierung uud der Länge, der Macht und den Vorzügen
von Davids Negierung zu veranschaulichen. Oder, geistlich gedeutet, kann es
anzeigen, daß das Gesetz, der alte Judaismus, dessen Typus Saul ist, nur eiu
beschränktes Maß des Segens hatte, während der Segen des Evangeliums,
dessen Nepräsentant David ist, sich durch seine reichliche Fülle kennzeichnet.
Jesus, das Gegenbild Davids, ist „gesalbet mit Freudenöl mehr denn seine
Gesellen." Gnade und Wahrheit kamen durch Iesum Christum. Der Geist
war I h m gegeben „nicht nach dem Maß." David ward mehrere Male gesalbt —
er ward gesalbt, wie ihr in dem Kapitel, das unsrem Text vorhergehet, leset
„mitten unter seinen Brüdern" — gesalbt, wie ihr 2 Sain. 2, 4 findet, von seinen
Brüdern, den Männern I u d a — und gesalbt wiederum, wie ihr 2 Sam. 5, 3
sehet, von allen Ältesten in Israel. W i r wollen in diese Sache jetzt nicht weiter
eingehen, es wird uns genügen, zu beachten, daß so unser Herr von Gott
gesalbt war, von seinen Heiligen gesalbt wird, und von der ganzen Gemeinde
gesalbt werden wird. Der Geist des Herrn war auf I h m , und in der Kraft
dieses Geistes, mit dem Er vom Vater gesalbet war, ging Er aus, die großen
Kämpfe seiner Gemeinde zu fechten. Als Er bei seiner Taufe aus dem Jordan
herausstieg, ward Er mit dem Geist gesalbt, der aus dem Himmel herabfuhr,
gleich einer Taube; und darauf ging Er, wie Er geführet ward, in die Wüste
und bestand jenen merkwürdigen 4<)tägigen Kampf mit dem Erzfeind, dem
grimmigen Widerpart der Seelen. Seine Kämpfe waren im Geist und in der
44t) Alttestameiitliche Bilder.

Kraft des Höchsten, denn die Macht und Majestät des ewigen Geistes war
auf Ihm.
Seht, wie die Ähnlichkeit weiter geht. Unser Herr war von seinem Vater
zu seinen Brüdern gesandt. Wie David von Isai zu seinen Brüdern mit an'
gemessenen Geschenken und tröstlichen Worten gesandt ward, so wurde, als die
Zeit erfüllet war, unsrem Herrn der Auftrag zu teil, zu seinen Brüdern zu
geheu. Er blieb eine Zeitlang im Hause seines Pflegevaters verborgen, aber
hernach trat Er hervor, und wurde ausdrücklich anerkannt, als der von Gott
Gesendete, der zahllose Gaben in seiner Hand trug und mit einer Votschaft
der Liebe und Barmherzigkeit von Gott zu denen kam, die Er „sich nicht
schämte, Brüder zu heißen." Wir haben eben gelesen, wie David behandelt
ward. Seine Brüder nahmen ihn nicht mit Liebe auf. Sie erwiderten seine
ungeheuchelte Freundlichkeit mit unbegründeter Härte; bitterer Dinge klagten
sie ihn an. Wie sehr entspricht dieses der Art, in welcher unser Herr, der
Sohn Davids, behandelt ward. Er kam in sein Eigentum, und die Semen
nahmen I h n nicht auf. Ob Er gleich mit Worten der zärtlichsten Liebe
zu ihnen kam, hatten sie nnr Worte der Verachtung für I h n . Für feine
Wohlthaten gaben sie Ihm Flüche; für das Brot des Himmels gaben sie
I h m Steine; und für die Segnungen des Himmels gaben sie den Haß der
Erde und die Verwünschungen der Hölle! Niemals ist ein Bruder, „der
Erstgeborne uuter vielen Brüdern," so mißhandelt worden von den übrigen
Hausgenossen. Wahrlich, jenes Gleichnis von den bösen Weingärtnern ist an
I h m erfüllt. Wir wissen, wie geschrieben steht, daß der Hansvater sprach:
„Dies ist mein Sohn, sie werden sich vor meinem Sohne scheuen;" aber sie
sprachen im Gegenteil: „Das ist der Erbe; kommt, laßt uns I h n töteu und
sein Erbgut an uns bringen." Jesus wurde iu rauher Weise von feinen
Brüdern behandelt, die Er zu fegnen kam. David, wie ihr euch erinnern
werdet, antwortete feinen Brüdern mit großer Sanftmut. Er fchalt nicht
wieder, da er gescholten ward, sondern ertrug ihre Härte mit großer Milde.
Hierin gibt er uns ein schwaches Bild unsrcs geliebten Meisters, der „nicht
wieder schalt, wenn Er gescholten ward." Gedenkt an Den, der ein solches
Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat. Seiue einzige Ant<
wort, felbst auf die Schläge, die feinen Tod herbeiführen sollten, war:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun." „Er war fo
verachtet, daß man das Allgesicht vor Ihm verbarg, darum haben wir
I h n nichts geachtet." Dennoch, bei all diesem, kam kein Wort des
Zornes über seine Lippen. Er könnte sonst wohl gesagt haben: „Ist's
mir nicht befohlen!" (1 Sam. 17, 29.) Wenig sprach Er indes zu seiner
eignen Verteidigung; Er ging vielmehr an seine Lebensaufgabe mit so
viel Eifer, als wenn Er den Beifall aller, die I h n fahen, gehabt hätte.
Davids erster Sieg. 441

So wurde Dauid ein Vorbild Christi, indem er von seinen Brüdern ver>
worsen ward.
Wir gehen weiter, und bemerken, daß. David von einer tiefen Liebe zu
seinem Volke angetrieben ward. Er sah es verhöhnt von dem Philister.
Als er gewahr ward, wie niedergedrückt alle sich fühlten durch ihre furchtbaren
Feinde, da regte sich ein heißer Unwille ill seinem Herzen; aber als er
die Worte der trotzigen Herausforderuug hörte, fühlte er, daß die Ehre des
Gottes Israels selber ill dem Streit verflochten war. Der Name Iehovahs
war entehrt! Jener prahlerische Niese, der ans dem Lager hervortrat, sprach
den Heeren des lebendigen Gottes Hohn. Kein Wunder, daß das warme
und fromme Herz des tapfern, jungen Hirten von mächtigen Schlägen
bewegt ward. Die Leidenschaft des Kriegers glühte auf in seiner Brust,
bei dem Tone jener profanen Stimme des unbeschnittenen Philisters, der
da leichtsinnig sprechen konnte von der Ehre Iehovahs, des Gottes Himmels
und der Erden l Ein weiterer Beweggrund war vorhanden, der seinen patrio»
tischen Ehrgeiz aufstachelte. Wie konnte es fehlen, daß Davids Bnfen von
starker Vewegnng erglühte, als er hörte, daß der König dem, welcher den
Philister besiegen und schlage» würde, seiue Tochter geben würde? Solch ein
Preis mochte wohl seinen Eifer noch mehr beleben. Alle diese Beweggründe
wirkten auf ihn ein, aber sein Entschluß, hinzugehen und mit dem Vorkämpfer
der Philister zn streiten, war rasch nnd entschieden. I n allem diesem bildete
er dentlich unsrcn Herrn Jesus Christus vor. Er liebte die Seinen, Er war
bereit, sein Leben für die Schafe zu lasseu. Aber Er liebte seinen Vater.
„Wißt ihr nicht," sprach Er einst, „daß ich sein muß in dem, das meines
Vaters ist?" „Der Eifer um Dein Halls hat mich gefressen." Und dann war
da „die Freude, die vor I h n gestellt war" (Hebr. 12, 2, engt. Üb.), daß Er
die Gemeinde als seilte Braut haben sollte; daß Er sie mit Gefahr, nicht zu
sagen: um den Preis — seines Lebens erwerben sollte; „darum, daß seine
Seele gearbeitet hat, wird Er seine Lnst sehen und die Fülle haben." Sie
sollte zn seiner königlichen Würde erhoben werden und Krone und Thron mit
I h m teilen. Das neue Jerusalem, unser aller Mutter, sollte Jesus von Gott
als seinen Lohn erhalten; dieses beseelte I h n , so daß Er ansging und um
unsertwillen den Streit aufnahm. Laßt uns hier eillen Augenblick innehalten
und feinen Namen loben, daß Er sein Volk so geliebt hat und daß die
Heiligen in seiner Hand sind. Laßt uus I h n loben, daß der Eifer um das
Haus Gottes I h n verzehret hat, daß Er sich so völlig dem großen Werke
weihte, llnd über alles laßt uns demütig und dankbar I h n loben, daß Er
uns geliebet hat und sich selbst für uns gegeben. Als ein Teil der Gemeinde,
mit der Er sich „verlobet hat in Ewigkeit," haben wir Allteil an allein, das
Er that. Für uns hat Er den Kampf gekämpft, für uns hat Er den Sieg
442 Alttestamentliche Bilder.

gewonnen, für uns ist Er in die Herrlichkeit eingegangen. Und Er wird in


kurzem kommen, um uns hinaufzunehmen, feine Herrlichkeit zu fehen und bei
Ihm zu fein, wo Er ist. Während wir das Vorbild in David fehen, laßt
uns Sorge tragen, nicht zu vergessen, Iefum felber anzubeten, der hier unfren
Seelen vorbildlich dargestellt wird, wie Er uns das Heil erwirbt.
Ich könnte noch viele Einzelheiten anführen, in welchen David ein Vor»
bild unsres Herrn war. Da die ganze Erzählung voll genaner Einzelheiten
ist, bietet sie uns sehr viele Vergleichungspnnkte. Aber eins ist da, das ich
besonders von euch beachtet wünsche.
Goliath ist im Hebräischen nicht „ein Niese" genannt, wie wir es in
unsrer Vibel haben, sondern ein M i t t e l » M a n n , der Mittler. Wenn ihr
ench die Sache recht vergegenwärtigt, werdet ihr bald gewahr, wie passend
dies gebrauchte Wort ist. Hier ist das Heer der Philister ans der einen Seite
und dort das Heer Israels auf der andren Seite. Eil« Thal liegt zwischen
beiden. Goliath sagt: Ich will Philistäa repräsentieren. Ich will der Mittel-
Mann sein. Anstatt alle Reihen und Glieder persönlich am Kampfe teilnehmen
zn lassen, will ich als der Repräsentant meines Volkes, der Mittler, erscheinen.
Wählt ihr einen Mittler, der kommt und mit mir kämpft. Anstatt einer
Schlacht zwischen den einzelnen, aus denen die beiderseitigen Armeen zusammen«
gesetzt sind, laßt zwei Repräsentanten in furchtbarem Zweikampfe die Streit-
frage entscheiden." Nun, genau in derselben Weise focht der Herr Iesns den
Kampf seines Volkes aus. Wir fielen alle in dein ersten Adam, nnsrem
Repräsentanten, nnd nnser Heil ist nun erworben dnrch einen andren Re»
präsentanten, — den zweiten Adam. Er ist der Mittelsmann, der „Eine
Mittler zwischen Gott und den Menschen." I n seiner Liebe für uns und
seinem Eifer für die Ehre Gottes, fehen wir I h n , als wenn Er hervortritt
auf den Kampfplatz, der die Lager des Guten und des Vöfen fcheidet und da
dem trotzigen Gegner ins Angesicht blickt. Er steht da, in unsrem Namen
und um unsertwillen zu streiten, wenn wir ill Wahrheit sein Volk sind, anf
daß Er für uns den Kampf ausfechte, deu wir niemals hätten ausfechten können.
Wir persönlich würden ohne allen Zweifel eine Niederlage erlitten haben.
Aber dieser eine Arm allein ist hinreichend, den Sieg für uns zu gewinnen, und
für allezeit den Streit zwischen Himmel nnd Hölle zu endigen.
Beachtet unsren kriegerischen Helden wohl, wie er zum Kampfe geht.
Der Sohn Ifais wies alle fleischlichen Waffen zurück. Er hätte sie haben
können — sie fetzten ihm einen Helm anf seil! Haupt, legten ihm einen
Panzer an und waren im Begriff, das Schwert um seine Lenden zu gürten,
aber er sprach: „Ich kann nicht also gehen, denn ich bin es nicht gewohnt."
I n derselben Weise entsagte der Sohn Davids allen irdischen Waffen. Sie
wollten unsren Herrn mit Gewalt nehmen und I h n zum König machen, aber
Davids erster Sieg. 443

Er sprach: „Mein Reich ist nicht voll dieser Welt." Schwerter genug würden
ans sei»! Geheiß ans der Scheide geflogen sein. Es war nicht allein ^Petrus,
dessen zu hastiges Schwert das Ohr des Malchus abhieb, sondern es gab auch
uiele Zeloten, die dein Sterne Jesu voll Nazareth gefolgt sein würden, wie ill
früheren lind noch mehr ill späteren Tagen die Juden den Betrügern folgten,
die erklärten, daß sie von dem Allerhöchsten den Befehl erhalten, sie zu be-
freien. Aber Jesus sprach: „Stecke dein Schwert an seinen O r t ; denn wer
das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen." Ohne Zweifel war
eine der Versuchuugen in der Wüste uicht nur die, daß Er die Reiche der
Welt haben sollte, sondern auch daß Er sie durch den Gebrauch solcher Mittel
erwerben sollte, wie Satall sie I h m eingab. Er sollte niederfallen und Satan
anbeten: Er follte fleischliche Waffen brauchen, was eben dasselbe war, als
ihn anbeten. Iesns wollte diese nicht haben. Bis auf den heutigen Tag
wird der große Streit Jesu Christi mit den Mächten der Finsternis nicht mit
Schwert und Helm geführt, sondern mit den glatten Steinen des Baches. Die
einfache Predigt des Evangeliums mit dem Hirtenstab des großen Hauptes
der Gemeinde ill unsrer Ntitte, die ist's, welche Goliath damederwirft und
ihn daniederwerfen wird bis an den jüngsten Tag. Vergeblich ist's für die
Gemeinde, nur daran zu denken, daß sie den Sieg durch Reichtum, Rang oder
die bürgerliche Obrigkeit gewinnen werde. Keine Regierung wird ihr beistehen.
Auf Gottes Macht allein muß sie blickeu. „Es soll nicht durch Heer oder
Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth." Ein
Glück wird es für die Gemeinde sein, wenn sie diese Lehre lernt. Die
Predigt des Kreuzes, „die eine Thorheit ist denen, die verloren werden," ist
nichtsdestoweniger denen, die all Christum glauben, „göttliche Kraft und gött-
liche Weisheit."
Seht null, wie nnfer glorreicher Vorkämpfer in den Streit gehet mit den
Waffen feiner eignen Wahl und solchen, welche die menschliche Weisheit ver»
achtet, weil sie für das Werk nicht passend erscheinen. M i t großer Kraft und
Stärke trat Er desungeachtet hervor, denn Er kam im Namen Gottes. „ D u
kommst zu mir," sagte David, „mit Schwert, Spieß und Schild; ich aber
komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth." Dies ist auch der über-
wiegende Einfluß, der das Evangelium allmächtig macht. Christus ist die von
Gott gcwollte Verso'hmmg. „Gott hat I h n vorgestellet zu einem Gnadenstuhl."
Christus ist von Gott bestimmt, von Gott gesalbt, von Gott gesandt. Und
das Evangelium ist Gottes Votschaft, von Gottes Geist begleitet. Wenn es
das nicht ist, so ist es schwach wie Wasser — es muß seinen Zweck verfehlen.
Aber da der Herr es gesandt hat, da Er versprochen hat, es zu segnen, können
wir sicher sein, daß es den Zweck erfüllen wird, zn dem es bestimmt war.
„Ich komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth." Dieses Wort mag allen
444 Alttestllmentliche Bilder.

deueu zum Wahlspruch dieneu, die voll Christo gesaudt siud uud au seiuer
Statt steheu ill del» furchtbareu Kampf um wertuolle Seele». Dies war die
Losllug Christi, als Er kam, um uusertwilleu uud für uuö mit der Simoe zu
fechte», de» Zor» Gottes zu trage» u»d Tod ll»d Hölle zu besiegelt! Er kam
il» Nameu Gottes.
Vemerkt wohl, daß David deu Goliath schlug uud ihu kräftig fchlllg —
»icht i» de» Le»de» oder a» der Haud oder al» Fuße — er richtete auf
einen zum Lebeu uotwendige» Teil de» Streich, der ih» da»iederwarf. Er
traf ih» a» der Stir» semer Amnaßuug, all deu Braue» seiues Stolzes.
Ich denke mir, daß er sei» Visier cmfgezogen halte, um eine» Blick auf seme»
Verächtliche» Geg»er zu werfe», als der Stei» sich hinembohrte uud auf
immer diefe prahlerische Seele hinaustrieb. So schleuderte »nser Herr, als
Er sich erhob, gege» die Süude zu streiteil, seiu versöh»e»des Opfer als emen
Stein, der die Süude uud alle ihre Mächte au der Stir» traf. So ist,
Gott fei Da»k, die Slmde erfchlage». Sie ist »icht »ur verwu»det, so»der»
durch die Macht Jesu Christi vrschlage».
Gedeukt auch dara», daß David Goliaths Haupt mit seinem eig»en
Schwerte abhieb. Au gust i l l us führt i» semem Komnielltar z» dieser Stelle
sehr schöil de» Gedanken alls, daß hier der Sieg uusres Heilandes Jesu Christi
iu der Geschichte Davids vorgebildet ist. „Er vernichtete durch dm Tod ihn,
der die Macht des Todes hatte, das heißt: den Teufel." „Er schlug den
Tod durch Tod" — hieb des Nieseil Haupt »lit sciuem eigueil Schwerte ab.
Das Kreuz, welches der Tod des Heilandes sei» sollte, ward der Tod der
Süllde. Die Kreuziguug Jesu, die als der Sieg Sataus crschie», war die
Volleuduug seines Sieges über Satan. Siehe, noch jetzt sehe ich iu uusres
siegreiche»! Helden Hand das grausige Haupt des Ungeheuers: Süude, voll
dem die blutigeu Tropfen träufeln. Blickt es all, ihr, die ihr eiust unter
ihrer Tyrnunei wäret. Schauet die furchtbare» Züge des hassellswerte» uud
gigautische» Tummle». Euer Herr hat euren Feind erschlagen. Eure Sündeu
si»d tot; Er hat sie zerstört. Sein eigner Arn«, allem und oh»e Hilfe, hat
eureu rieseuhafte» Feind vernichtet. „Der Stachel des Todes ist die Sünde;
die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uus deu
Sieg gegeben hat durch unfren Herrn Iefum Christum." Gelobt uud ge-
priesen sei sein heiliger Name. Als David so die Tötung Goliaths vollbracht,
käme» ihm die Weiber Israels entgegen, die im Wechselgesang sa»ge», be<
gleitet voll der Musik ihrer Paukeu uud ihres freudigeu Neigeus: „Saul hat
tauseud geschlage», aber David zehntausend." So hatte er seinen Triumph.
Mittlerweile hatten Israels Heere, da sie saheu, daß der Philister°Niese
tot war, Mut gefaßt und sich auf den Gegner gestürzt. Die Philister
waren erschreckt und flohen, und jeder Israelite ward an diesem Tage
Davids erster Sieg. 445

ein Sieger durch den Sieg Davids. Sie überwanden weit nm deswillen,
der sie geliebt und für sie den Sieg gewonnen hatte. So laßt uns nun
daran gedenken, daß wir Sieger sind. Unser Herr hat den Sieg gewonnen.
Er ist zu seiner Herrlichkeit gegangen. Die Engel sind I h m auf dem Wege
entgegengekommen. Sie haben gesagt: „Machet die Thore weit und die
Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe." Und die,
welche mit I h m gewesen sind, haben auf die Frage: „Wer ist derselbe König
der Ehren?" geantwortet. Sie haben gesagt: „Es ist der Herr, stark und
mächtig, der Herr mächtig im Streit. Es ist der Herr Zebaoth; Er ist der
König der Ehren." Und jetzt triumphiert der fchwächste Gläubige in Christo.
Obgleich wir, uns selber überlassen, zerschlagen sein würden und nicht auf Sieg
hätten hoffen können, — dennoch verjagen wir unsre Feinde durch unsren
Herrn Ehristum; wir treten die Sünde unter uusre Füße; uud wir gehen
von Kraft zu Kraft durch feinen vollendeten Sieg. Hier ist viel Raum zum
Nachdenken. Wollt ihr für euch darüber nachsinnen? Es ist besser, daß ich
nicht alles Nachdenken für euch thue. I h r werdet den Vergleich noch viel
weiterer Ausdehnung fähig finden. Ich habe euch nur, sozusagen, einen Umriß
mit der Kohle gegeben, — eine rohe Skizze. Macht ein Gemälde daraus
nach eurer Muße, und möge es euch eine wohlthätige Stunde und eine nütz'
liche Betrachtung werden.

II.
I n großer Kürze laßt uns nun zu David zurückkehren, als zu einem
Beispiel für jeden Oliinvigen in Christa.
Vor allem andren geziemt es uus, teure Brüder und Schwestern, zu
erwägen, daß wir mit heiligen! Öle gesalbt sein müssen, wenn wir jemals
etwas für Gott und seine Gemeinde thuu sollen. O, wie vergeblich würde es
für uns sein, Eifer zu beweisen in einer Art von natürlichem, fleischlichem
Fanatismus und große Dinge zu unternehmen in bloßen: Dünkel, die nur auf
gänzliches Mißlingen hinauslaufen können. Wenn nicht der Geist Gottes auf
uns ruht, haben wir keine Macht in uns und keine Mittel außer uus, auf
die wir bauen können. Harret auf den Herrn, Geliebte, und suchet Kraft in
seinem Beistände. Was nicht in ench gelegt ist, kann nicht aus euch heraus-
kommen. I h r müßt empfangen und dann ausgeben. Denkt daran, wie Jesus
es beschreibt: „Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein
Vrunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillet." Und wiederum,
an einer andren Stelle: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift saget, von des
Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen."
I h r könnt nicht Davids Werk thuu, wenn ihr nicht Davids Salbung
habt. Wenn ihr bedenkt, daß euer göttlicher Meister auf die himmlische
446 Alttestamentliche Bilder.

Salbung wartete, so könnt ihr schwerlich erwarten, ohne diese ansznkommen.


Seid nicht so thöricht. Christus trat sein öffentliches Amt nicht an, bis der
Geist Gottes ans I h m ruhte. Die Apostel blieben zu Jerusalem und gingen
nicht aus zu predigen, bis ihnen Kraft aus der Höhe gegeben war. Der
Hauptpunkt, das erste Erfordernis, das sino <jun, nnn für uns ist, diese Kraft
zu haben. O, in dieser Kraft zn predigen — in dieser Kraft zu beten —
irrende Seelen zu suchen in dieser Kraft! Euer Werk in der Sonntagsfchule,
euer Werk iu der inneren Mission, jede Art eurer Arbeit für Christum muß
iu dieser Kraft gethan werden. Werft ench anf eure Kniee. Geht zu dein
Kreuze. Kommt zu den Füßen eures Herrn. Sitzt still im Glauben und
Hoffnung, bis Er euch die Stärke geben wird, die euch befähigt, des Meisters
Werk zu thun, auf des Meisters Weife, zu des Meisters Ruhme.
David steht ferner vor uns als ein Beispiel davon, daß unsre Gelegen-
heit kommen wird, wenn uns Kraft verliehen ist, ohne daß wir besonders
danach suchen. David geriet wie zufällig in diese Lage. Er war von der
Vorsehung berufen, den Platz auszufüllen, für deu er befähigt war, ein großer
Mann in Israel zu seiu. Wenig aHute er, als er mit der Ladung Käse auf
seiuen Schultern wegging, daß er in kurzem vor allen andren Männern in
Palästina sich hervorthun würde. Doch war es so. Geliebte, eilt nicht so,
nach einer Wirkungssphäre umherzusuchen. Seid bereit für eure Sphäre; eure
Sphäre wird zu euch kommen. Ich spreche zu manchen lieben jungen Brüdern,
die sich zum Predigtamt vorbereiten. Seid lieber bereitet für jedes Werk, als
daß ihr nach einem besonderen Werke aussehet. Gott hat seine Nische für
euch. I h r werdet fönst zu Boden fallen: verlaßt euch darauf. Seid bereit.
Eure Aufgabe ist, bereit zu sein. Habt eure Werkzeuge gut geschlissen und
wißt sie zu gebrauchen. Der Platz wird zu euch kommen, der beste Platz für
euch, wenn ihr nicht fowohl nach dem fucht, das eurem Geschmack zusagt, als
nach dein, worin ihr euch beweist als eiu Gefäß, das der Meister brauchen
kann. David findet seine Gelegenheit. Er hat zuerst deu Geist empfangen,
was die Hauptsache ist, und dann findet er die Gelegenheit, seine Be»
glaubignng aufzuweisen. Dieses ist klar, aber ferner entnehme ich ans Davids
Beispiel, daß wir, wenn wir einen Beruf von Gott fühlen, etwas für I h n
und feine Gemeinde zu thun, nicht nötig haben, zu warten, bis die, welche
wir achten und ehren, mit uus übereinstimmen in betreff der Angemessenheit
unsres Beginnens. Hätte David gesagt: „Gut, ich will warten, bis Eliab
und Abinadab und Samma, meine älteren Brüder, alle vollkommen damit
einverstanden sind, daß ich der Mann bin', mit Goliath zu fechten," fo
vermute ich, er würde nimmer mit Goliath gefachten haben. Große Ehr-
erbietung sind wir dem Urteil älterer Leute schuldig, aber größere Ehr-
furcht gebührt deil Antrieben des Geistes Gottes in unsrem Herzen. Ich
Davids erster Sieg. 447

wollte zu Gott, Christen merkten mehr auf diese inneren Regungen, als
es in nnsren Zeiten der Fall ist. Wenn dir ein Gedanke ins Herz ge-
geben wird oder eine Mahnung dir ins Gewissen klingt, gehorche ihr. M a n n !
handle danach, obgleich niemand anders es bemerkt oder dich ermutigt. Wenn
Gott dir seinen Willen gezeigt hat, verbirg auf deine eigne Gefahr hin die
Kenntnis oder bebe vor der Erfüllung desselben zurück! Was! M i t der
Furcht Gottes in unsreni Herzen und einem Allftrage Gottes in unsrer Hand,
sollen wir hinken und zaudern lind Knechte der Menschen werden? Ich wollte
eher sterben, als daß ich auf diese Kanzel treten müßte, und um eure Er»
laubnis bitten oder um irgend eines Menschen Einwilligung in betreff dessen,
was ich sprechen soll. Gott weiß, ich will sprechen — was Er mir zu sagen
hat, und mit der Hilfe feines guten Geistes will ich es euch geben, wie
ich es von I h m selber höre. Möge diese Zunge eher verstummen, als daß
sie die Dienerin der Menschen wird! David war von dieser Sinnesart. Er
fühlte, er hatte etwas zu thun, und obgleich er dein zuhören konnte, was
andre zu sagen hatten, so waren sie doch nicht seine Herreu. Er diente dem
lebendigen Gott, und er ging all das Werk, das ihm anvertraut war, ohne
vor den Urteilen zu erschrecken, die sie über ihn fällen «lochten. Wer für
Gott spricht, sollte ehrlich sprechen. Laßt andre kritisieren und die Spreu von
dem Weizen sichteil. Er muß das erwarten. Aber, was ihn selbst betrifft,
laßt ihn geben, was er für reinen Weizen hält, und keinen Menfchen fürchten,
damit er nicht unter das Verdammuugsurteil des Gottes im Himmel falle.
Geh', mein Bruder, all dein Werk, wenn Gott es dir auferlegt. Wenn ich
dich schelte, was ist das? Ich bin uur ein Mensch. Oder, wenn alle die,
deren Achtung du gern hättest, nur harte Verdächtignugen und schneidenden
Tadel für dich haben — sie sind nur Menschen, und Gott allein bist du Ge«
horsam schuldig. Geh' du an deines Meisters Werk, wie David, mit un-
erschrockenem M u t , aber bescheidener Miene. Das wäre ein böser Knecht, der,
nachdem er einmal seines Herrn Befehle empfangen, sie nnausgeführt lassen
wollte und sich damit entschuldigen, daß er sagte: „ I c h traf einen meiner
Mitknechte, und dieser meinte, ich wäre zu kühn ill meinem Wagnis, es wäre
besser, ich versuchte es nicht." Eurem Herrn werdet ihr stehen oder fallen.
Habt acht, daß ihr wohl mit I h m steht.
Lernt auch von David, denen ruhige Antworten zu gebeu, die euch in
rauher Weise von eurem Werk verdrängen wollen. I m allgemeinen ist's
besser, gar keine Erwiderung zu geben. Mich deucht, David sprach nicht so
gut mit seinem Wort, als mit seiner That. Sein Handeln war beredter, als
seine Sprache. Als er vom Kampfe zurückkehrte und des Riesen Haupt
cmuorhielt, hoffe ich, daß Eliab ihn sah und daß Abinadab uud Samma ihm
entgegenkamen. Wenn sie es thaten, konnte er einfach die Trophäe ill die
448 Alttestamentlichc Bilder.

Höhe halten und es dem grausigen Antlitz überlassen, für ihn zu antworten.
„Es ist denn doch nicht," werden sie gedacht haben, „Vermessenheit oder Vos«
heit des Herzens oder eitle Neugier, die Schlacht zu sehen, weshalb er ge-
kommen ist." Sie werden eingesehen haben, daß er gekommen war, Gottes
Werk auf seine Art zu thun: daß Gott ihm geholfen, den Sieg zu ge<
winnen, den Feind zu verwirren und Israel von Furcht zu befreien; nnd daß
durch den Mann, den sie verachtet, Gott seinen Namen verherrlicht hatte.
Lernt wiederum an Davids Beispiel die Klugheit, bei den erprobten
Waffen zu bleiben. Ich habe es oft unwahrscheinlich nennen hören, daß
David den Niesen mit einem Stein getötet haben sollte. Ich glaube, die,
welche so sprechen, verfehlen den rechten Punkt. Welches Wurfgeschoß
konnte bequemer oder den Umständen angemessener sein? Wenn der Geselle
groß war, konnte die Schleuder einen Stein hoch genug heben, um ihn zu
treffen; und wenn er stark war, sehr stark, konnte die Schleuder dem Stein
solche Kraft geben, daß David seinen Gegner angreifen konnte, ohne inner»
halb seines Bereiches zu kommen. Es war die beste Waffe, die er braucheu
konnte. Orientalische Hirten, wenn die der alten Zeiten denen in neueren
Tagen gleich waren, hatten Übuug genug, um große Fertigkeit im Schleudern
zu erlangen. Sie verbringen manche Stunde, sowohl allein, als mit ihren
Kameraden in der llbung dieser Kunst. Es ist gewöhnlich ihre beste Waffe,
um ihre Schafe iu den weiten Einöden zu verteidige«. Ich bezweifle
nicht, daß David gelernt hatte, einen Stein auf eines Haares Breite
zu werfen und nicht zu fehleu. Was das Schwert betrifft, so hatte er nie in
seinem Leben eins gehabt, denn „es ward weder Schwert noch Spieß ge>
funden in des ganzen Volkes Hand, das mit Saul und Jonathan war; ohne
Saul und sein Sohn hatten Waffen." So wird uns im 13. Kapitel be»
richtet. Die Philister hatten die ganze Vevölkeruug so vollständig entwaffnet,
daß sie gar keine solche Waffen besaßen. M i t ihrem Gebrauch konnte David
deshalb nicht vertraut sein, lind was den Panzer anlangt — ein lästiges,
schweres, unbequemes Stück der Rüstung — ich wundere mich nur, wie die
alten Ritter überhaupt irgend etwas in solchem Allzuge thun konnten. Keilt
Wunder, daß David das Ding ablegte. Er fühlte sich am wohlsten in seinem
Hirtenkleide. Natürlich wollen wir Hieralls nicht schließen, daß unangemessene
Instrumente wünschenswert sind. W i r lehren nichts so Romantisches oder
Absurdes. Es geziemt uns, die passendsten Werkzeuge zu brauchen, die wir
finden können. Diese Steine aus dem Bach griff David anch nicht auf, wie
sie ihm ill die Hand kamen; er wählte sie sorgfältig, suchte glatte Steine alls,
die genau in seine Schleuder paßten — folche, wie er sie am besten für seinen
Zweck geeignet hielt. Er vertraute nicht ans seine Schlendcr. Er sagt uns,
daß er auf Gott vertraute, aber er verfuhr mit seiner Schleuder, als rnhte
Davids erster Sieg. 449

die Verantwortlichkeit ganz auf ihm. Das Ziel zn verfehlen, hätte feine Un»
geschicktheit bewiesen; das Ziel zu treffen, dazu mußte Gott ihn fähig machen.
Das, meine Brüder, ist die wahre Philosophie eines Christenlebens. I h r follt
gnte Werke thnn, so eifrig, als wenn ihr durch eure guten Werke selig zu
werden hättet, und ihr sollt auf das Verdienst Christi vertrauen, als ob ihr
gar nichts gethan hättet. So anch im Dienste Gottes: obgleich ihr für Gott
arbeiten sollt, als wenn die Erfüllung eurer Aufgabe allein von euch abhinge,
doch müßt ihr klar verstehen und fest glauben, daß die ganze Sache doch vom
ersteren bis zum letzten von Gott abhängt. Ohne I h n ist alles, was ihr je
geplant oder vollführt habt, nutzlos. Es war gesunde Philosophie von
Mohammed, als er, da ein Mann ihm sagte: „Ich habe mein Kamel los-
gemacht und auf die Vorsehung vertraut," demselben antwortete: „Nein, binde
dein Kamel fest und dann traue auf die Vorsehung." Thue dein Bestes und
vertraue auf Gott. Gott wollte niemals, daß Glaube an I h n gleichbedeutend
mit Trägheit fein sollte. Dann wäre ja, falls alles Gottes Werk wäre und
nur dieses in Betracht zu ziehen, für David keine Notwendigkeit vorhanden
gewesen, eine Schleuder zu haben. Nein, David thäte überhaupt nicht not.
Er könnte zurückgehen, auf seinem Nucken in der Mitte des Feldes liegen und
sagen: „Gott wird sein Werk thun: Er braucht mich nicht." So würden
Fatalisten schwatzen, aber die, welche an Gott glauben, handeln nicht so. Sie
sagen: „Gott will es, darum will ich es thuu," — nicht: „Gott thnt es, und
deshalb ist nichts für mich zu thuu." Nein. „Weil Gott durch mich wirkt,
deshalb will ich unter seiner gnädigen Hand wirken.' Er gibt seinem schwachen
Knechte Stärke und braucht mich als sein Werkzeug, obgleich ich ohue I h n zu
nichts taugte. Nun will ich mit Freudigkeit in den Kampf gehen und ineine
Schleuder brauchen, so geschickt ich nur kann, und ruhig, stille und überlegt
nach des Ungeheuers S t i r n zielen, da ich glaube, daß Gott den Stein leiten
wird und seine Absicht ausführen." Wenn ihr Gott zn dienen sucht, gebt
euer Bestes; haltet nicht irgend etwas an Nerven oder Muskeln, irgend etwas
an Geschick oder Überleguug zurück, das ihr dem Unternehmen widmen könnt.
Sagt nicht: „Es wird schon gut genug sein, Gott kann meinen Mangel ebenso-
wohl segnen, als meine Sorgfalt." Ohne Zweifel kann Er das, aber un-
zweifelhaft will Er es nicht. Sei so sorgsam, als du nur kannst. David
wollte in seinem Alter und seiner reiferen Erfahrung Gott nicht das opfern,
das ihn nichts kostete. Versucht es nicht, Gott in träger Weise zu dienen und
euch damit zu schmeicheln, daß Er den Dienst segnen wird. Er kann ihn
segnen, aber das ist nicht die Art, in welcher es I h m gewöhnlich zu wirken
gefällt. Obgleich Er oft rohe Werkzeuge nimmt, so formt und poliert Er sie
für feinen Gebrauch. Er kann ungelehrte Männer ill tüchtige Prediger des
neuen Bundes wandeln. Meint indessen nicht, daß seine Gnade eurer An>
S p u r g e o n , Nlttestamentliche Vllder. 29
450 Alttestamentliche Bilder.

maßung als Entschuldigung dienen wird, sondern geht mit den Werkzeugen,
die ihr erprobt habt. Wenn einige von euch aus der arbeitenden Klasse das
Evangelium Jesu Christi zu predigen unternehmen, versucht es nicht mit ge>
lehrten Beweisen, die oft gebraucht werden, um Ungläubige zu bekämpfen.
I h r werdet diese nie handhaben. Sie werden euch sicher hinderlich seil«.
Sagt eure,: Nachbarn uud Kameraden, was ihr von dein Wort des Lebens
gefühlt und erfahren habt. Verkündet ihnen das, was in der Schrift ge>
schrieben steht. Diese Worte sind die glatten Steine, welche für eure Schleuder
passen. Bleibt dabei. M a n sagt uns heutzutage, daß wir die Argumente
nehmen sollen, welche die neueren Philosophen erfunden habeu, sie prüfen, sie
studieren und dann am Sabbat und zu andren Zeiten vortreten sollen und
darauf antworten; daß wir historische Untersuchungen und logischen Scharfsinn
brauchen müssen, um ungläubige Verleumdungen zu widerlegen. Ach, Sauls
Waffenrüstung paßt uns nicht. Die, welchen sie gefällt, mögen sie tragen;
aber, Christum, den Gekreuzigten, zu predigen, — zu verkünden die alte, alte
Geschichte von der ewigen Liebe und voll dem Blute, welche sie besiegelte, die
Art der Erlösung und die Wahrheit voll Gottes unwandelbarer Gnade — das
heißt: jene Steine und jene Schleuder gebrauchen, welche sicher die Stirn des
Feindes treffen werden.
Beachtet ferner, daß David von dem Werke, das er begonnen, nicht ab»
ließ, ehe er es beendet. Er hatte den Niesen zu Vodeu gestreckt, aber er war
nicht zufriedeu, bis er ihm den Kopf abgehauen. Ich möchte, einige, die für
Christum arbeiten, gingen so gründlich zu Werk, wie dieser junge Freiwillige.
Habt ihr einem Kinde den Heilsweg gewiesen? Laßt nicht ab, bis das Kind
in die Gemeinschaft der Gläubigen eingeschrieben ist. Habt ihr das Evaugelium
irgend eiller Gemeinde treulich gepredigt? Fahrt fort, zu belehre«, zu beraten
und zu ermutigen, bis ihr sie im Glauben befestigt seht. Habt ihr eine
Ketzerei widerlegt oder ein Laster angegriffen, verfolgt den Kampf, bis das
Übel ausgerottet ist. Tötet nicht nur den Niesen, sondern schlagt ihm das
Haupt ab! Thut nie das Werk des Herrn lässig! Schont nie mitleidsvoll
einen Anschlag des Teufels. Schlechte Gewohnheiten und herrschende Sünden
sollten mit einem entscheidenden Schlage niedergestreckt werden. Aber laßt das
nicht genug sein. Laßt ihnen keine Möglichkeit, ihre Stärke wiederzugewinnen.
M i t demütiger Buße und ernstem Entschluß, im Vertrauen auf Gott und im
Abscheu vor dein Feind, haut der Sünde den Kopf ebensowohl ab, als ihr die
Stirn mit dem Steine trefft. Wenn ihr so thut, könnt ihr Hilfe erwarten,
auf die ihr nicht gerechnet habt. I h r habt kein Schwert: ihr habt euch nicht
mit einem solchen beschweren wollen, eben wie David nicht nötig hatte, ein
.Schwert ill seiner Hand zu tragen, denn Goliath hatte eins mit sich, das gut
zu seiner eignen Tötung dienen konnte. Wenn immer ihr Gott dienet, so
Davids erster Sieg.

kämpft ihr gegen I r r t u m ; erinnert euch, daß jeder I r r t u m das Schwert mit
sich führt, mit welchen! er geschlagen wird. Wenn wir für die Sache der
Wahrheit fechten, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß der Kampf lang
ist; aber wir können stets darauf zählen, daß der Stolz des Gegners zu seinem
Schaden ausschlagen wird. Der Streit wird durch ihn selber verkürzt werden.
Wenn die Feinde am meisten auf die Vündnisse trauten, die sie gesonnt hatten,
dann behielt Israel oft das Feld, weil die Moabiter und Assurer sich ent-
zweiten. Häusig hat Gott es so gelenkt, daß die Gegner sich gegeneinander
wandten und den Streit so zu gunsten seiner Diener endeten. Sehet da des
Niesen Haupt mit seinem eignen Schwerte abgeschlagen. Laßt dies als ein
Zeichen vor enren Augen sein. Es macht nichts aus, Brüder, wenn wir anch
in gewissen wichtigen Dingen in der Minorität sind, wie es unzweifelhaft der
Fall ist. Die Frage ist für euch die: Habt ihr recht? Habt ihr recht? Das
Recht wird sicherlich gewinnen. Habt ihr die Wahrheit auf eurer Seite?
Habt ihr die Bibel auf eurer Seite? Habt ihr Christum auf eurer Seite?
Nun, dann nlögt ihr zu einer verachteten Gemeinschaft gehören; ihr mögt mit
nur fehr wenigen und fehr armen Leuten vergesellschaftet sein. Weicht nicht
— laßt euer Herz nicht zagen. Hättet ihr keine Kraft, den Gegner zu be>
siegen, als die, welche Gott euch verheißen hat, so hättet ihr doch völlig genug.
Aber hier liegt ein Hinterhalt, im Lager eures Geguers, ein Beistand und
eine Hilfe der Wahrheit, an die ihr vielleicht nie gedacht habt. Der alte
Drache sticht sich selbst zu Tode. Wie das Laster die Lebenskraft des Menschen
verzehrt, der sich ihm ergibt, so wird der I r r t u m am Ende sein eigner Zer»
störer. Sehr oft scheint eine Wahrheit nur um so glänzender, weil ein
I r r t u m die Welt mit seinem dichten Schatten verdnnkelt hat. Geht vorwärts,
denn! Streitet mit Kaltblütigkeit und mit M u t ! Erschreckt nicht vor dem
strengen Gesicht, der fürstlichen Figur, der Schlachtrüstung eures Widersachers!
Laßt seine prahlenden Worte euch nicht mutlos machen. Ruft den Namen
Iehovahs an, des Herrn der Heerscharen, und braucht selbst in Gottes Kämpfen
die Waffen, die ihr versucht und erprobt habt. Aber nehmt euch in acht, daß
ihr Gottes Werk vollständig thut; thut es - ganz, aufsehend auf Iesum, den
Anfänger und Vollender eures Glaubens; so, Geliebte, könnt ihr erwarten,
von Kraft zu Kraft zu gehen und Gottes Sache Ruhm zu bringen.
Ich wollte, wir wären alle auf des Herrn Seite, wir wären alle Streiter
Christi. Bekennen einige hier, daß sie es nicht sind? Sind hier einige, die
fühlen, daß die Sünde sie schwer drückt und sie doch gern Frieden mit Gott
in der Gemeinschaft Jesu hätten? Geliebte, Jesus hat nie einen verworfen,
der zu I h m kam. Es ist «och nie gesagt, daß sein Blut nicht fähig gewesen
wäre, auch die verdorbenste Seele zu reiuigen. Geh' zu I h m . D u kannst
I h m keine größere Freude machen, als wenn du zu I h m gehst, deine Sünde
29*
452 Alttestamentliche Bilder.

bekennst und seine Barmherzigkeit suchst. Er wartet nur darauf, gnädig zu


sein. Er schlägt die Sünde, aber Er hat Mitleid mit den Sündern. Er
ist bereit, ihnen zu vergeben. Er ist der Feind Goliaths, aber Er sitzet auf
dem Verge Zion, froh, die Ärmsten der Armen, die zu I h n : kommen, will-
kommen zu heiße». Wenn du der ärgste Sünder bist, der jemals gelebt hat,
so ist Er doch fähig, zu erretten bis zu dem äußersten. Wenn du keine Hoffnung
und kein Vertrauen hast, — wenn du fühlst, als wenn der Urteilsspruch er»
gangen wäre, daß du auf ewig sterben solltest, deine Befürchtungen sind kein
Leitfaden für Gottes Ratschluß. Er hat nicht die bitteren Dinge gegen dich
gesprochen, die du dir eingebildet hast. Höre, was Er gesprochen hat: „Der
Gottlose lasse von seinem Wege und der Ubelthäter seine Gedanken, und bekehre
sich zum Herrn, so wird Er sich feiner erbarmen, und zu unsrem Gott, denn
bei I h m ist viel Vergebung." O, auf Christi Seite seiu, das erhält das Herz
in Nuhe und entflammt die Seele mit Freude, ungeachtet des Schmerzes, der
jetzt eure Nerven quält, oder der Scham, die eure Wangen deckt! Aber, ach l
Auf der andren Seite zu sein, — ein Feind Jesu zu sein — ist ein Wehe,
das alle Freude der Gegenwart verdirbt, und ein Vorbote, der alles Verderben
der Zukunft ankündet. Die Zukunft! die Zukunft I die Znkunft! Das ist
das schlimmste von allem, was zu fürchten ist. „Küsset den Sohn, daß Er
nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege, denn sein Zorn wird bald an«
brennen. Aber wohl allen, die auf I h n trauen!" Der Herr gebe euch, einem
jeden von euch, noch zeitig genug weife zu werden, um seines Namens
willen. Amen.
Die Gefahr des Zweifelns. 453

30.

Die Gefahr des Zweifelns.


„David aber gedachte in seinem Herzen: Ich werde der Tage
einem Saul in die Hände fallen." 1 Sam. 27, 1.

< I n der Freundlichkeit Gottes zu zweifeln, wird von einigen für eine sehr
kleine Sünde gehalten; in der That, manche haben die Zweifel und Be»
fürchtnngen der Kinder Gottes zu Früchten der Gnade und Beweisen uon
großem Fortschritt in der Erfahrung erhoben. Es ist demütigend, zu beobachten
daß gewisse Prediger die Menschen im Unglauben und Mißtrauen gegen Gott
verweichlicht und verzärtelt haben, und in diesem Stück untreu gegell ihren,
Meister und gegen die Seelen seines Volkes gewesen sind. Fern sei es von
mir, die Schwachen der Herde zu schlagen, aber ihre Sünden muß und will
ich schlagen, da ich die feste Überzeugung habe, daß es eine verabscheuenswerte
Sünde ist, an der Freundlichkeit, Treue und Liebe Gottes zu zweifeln. Un»
glaube ist dem Atheismns verwandt. Der Atheismus leugnet Gottes Dasein —
der Unglaube leugnet seine Güte, und da Güte eine wesentliche Eigenschaft
Gottes ist, fo treffen diese Zweifel in Wirklichkeit sein eigentliches Wesen. Das
kann keine leichte Sünde sein, die Gott zu einem Lügner macht; und doch
wirft der Unglaube in der That fanlen und verleumderifchen Verdacht auf die
Wahrhaftigkeit des Heiligen in Israel. Das kann keine kleine Sünde sein, die
den Schöpfer des Himmels und der Erde des Meineides anklagt; und doch,
wenn ich seinen! Schwur mißtraue und seiner Verheißung, die mit dem Blute
seines eignen Sohnes versiegelt ist, nicht glauben will, so halte ich den Eid
Gottes für unwürdig meines Vertrauens; und klage damit den König des
Himmels an als untreu gegen feinen Bund und gegen seinen Eid. Außerdem
ist der Unglaube, wie ich heute morgen zu zeigen haben werde, die Quelle
unzähliger Sünden. Wie die schwarze Wolke die Mutter vieler Regentropfen
ist, so ist der dunkle Unglaube der Vater vieler Verbrechen. Und wie, wenn
ich sagte, daß der Unglaube das Laster von Jahrhunderten in einem Augen-
454 Alttestamentliche Bilder.

blick vereinigt und das Gift aller Sünden des Menschengeschlechts in einer
Übertretung zusammenzieht? Ich würde nicht weit voll der Wahrheit sein.
Aber ich will keine starken Ausdrücke in der Einleitung brauchen, weil mich
dünkt, der Vorfall in Davids Geschichte, auf deu ich heute morgen eure Auf»
merksamkeit lenke, wird an sich genug sein, euch dahin zu bringen, daß ihr
euer Urteil mit dem meinigen dahin abgebt, daß der Unglaube eine ver«
dammenswerte Sünde ist, daß er von jedem Gläubigen verurteilt, bekämpft,
womöglich unterdrückt werden, und sicherlich uns Neue und Abscheu ein»
flößen sollte.
Nun laßt uus auf David blicken, und mögen feine Sünde und fein Leid
Wahrzeichen fein, die uns vor dem Bösen warnen! „David aber gedachte in
seinem Herzen: Ich werde der Tage einem Saul in die Hände fallen." Zuerst
werde ich bemerken, daß das, was er in seinem Herzen gedachte, falsch
war; zweitens wollen wir die Frage thuu, wie kam er dazu, so zu denken?
und dann wollen wir drittens betrachten, was für Unheil aus folchem
harten ungläubigen Gedanken entstand.

I.
Erstens, der Gedanke in Davids Herzen war falsch. Er fagte:
„Ich werde der Tage einem Saul in die Hände fallen."
Wir können von vornherein annehmen, daß es falsch war, weil sicher
kein G r u n d v o r l a g , es zu beweisen. Bei keiner Gelegenheit hatte der
Herr seinen Knecht verlassen; er war oft in gefährliche Lagen gebracht, aber
kein einziges Beispiel war vorgekommen, wo Gottes Kraft nicht genügend für
ihn gewesen. Die Prüfungen, denen er ausgefetzt worden, waren verfchieden;
sie hatten nicht nur eiue Form angenommen, sondern viele; doch in jedem
Falle hat Der, welcher die Prüfung faudte, auch gnädig einen Ausweg uer-
ordnet. David konnte seinen Finger nicht auf irgend eine Stelle in feinem
Tagebuch legen und fagen: „Hier ist der Beweis, daß Gott mich verlassen
will." Wenn er auf fein ganzes Leben zurück fah, von der Zeit an, wo er
seines Vaters Schafe hütete und den Löwell und Bären erschlug, bis zu dem
Tage, wo er den Philister herausforderte, und weiter bis zu diefcm Augenblick,
wo er eben feinem blutdürstigen Verfolger entgangen war, konnte er keine
einzige Thatfache finden, die ein Beweis war, daß Gott seinen Sinn geändert
hätte und feinen Gesalbten in die Hand seines grausamen Feindes fallen lassen
würde.
Nun, merkt euch, wenn ihr und ich all Gottes Wort zweifeln, so muß
man dies fagen, wir mißtrauen demselben ohne eine Ursache. Ich bezeuge
willig, daß ich keinen Grund habe, an meinem Herrn zu zweifeln, nicht ein»
mal zum Schatten eines Zweifels: und ich denke, daß ihr, die ihr in Christo
Die Gefahr des Zweifelns. 455

wart manches Jahr, ehe ich I h n kannte, auch sagen könnt, daß ihr nie irgend
einen Grund gehabt habt, all seiner Treue zu zweifeln oder euch einzubilden,
daß Er euch verwerfen würde. Brüder, wir verurteilen einen Menschen nicht
ohne Beweis. Sollten wir nnsren liebevollen Herrn ohne Beweis verurteilen?
Ich fordere Himmel und Erde und Hölle heute morgen heraus, einen Beweis
zu bringen, daß Gott nnwahr ist. Von den Tiefen der Hölle rufe ich die
bösen Geister und von dieser Erde rufe ich augefochtene und leidende Gläubige
auf, und zum Himmel wende ich mich uud fordere die lange Erfahrung des
im Blute gewaschenen Heeres heraus, und es ist in allen drei Reichen kein
einziger zu finden, der eine Thatsache bezeugen kann, die bewiese, daß Gott
nicht gütig sei, oder die seinen Anspruch auf das Vertrauen seiller Knechte
schwächte. Nun laßt uns unsren Unglauben verspotten, laßt unsren Ge»
rechtigkeitssinn ihn sofort austreibeu. Laßt uns gerecht sein gegen Gott
sowohl als gegen Menschen; und wenn Er noch nie einen von den Seinen
verlassen oder ein einziges Versprechen gebrochen hat, so sei es fern von uns,
zu zweifeln oder ungläubig zu seiu.
„Du hast mich wohl erhalten,
Daß ich mich freudig tröst'.
Dich laß ich ferner walten,
Wenn mich die Not anstoßt."
Aber feruer, was David ill seinem Herzen sagte, war nicht nur ohue
Beweis, sondern es w a r i m Widerspruch m i t den Beweisen. Was für
Gruud hatte er, zu glauben, daß Gott ihn verlassen wollte? Oder vielmehr,
wie viele Beweise hatte er, um zu schließe», daß der Herr ihu weder verlassen
könne noch wolle? „Also hat dein Knecht geschlagen beide, den Löwen und
den Bären. So soll nun dieser Philister, der Unbeschnittene, gleich sein wie
deren einer." Das war gute Beweisführung. Warum nicht jetzt ebenso,
David? Warum nicht sprechen: „Dein Knecht schlug den Philister, Dein
Knecht entging dein Wurfspieß Sauls, als der wahnsinnige Monarch ihn an
die Wand spießen wollte; Dein Kuecht eutgiug allen listigen Anschlägen Doegs;
Dein Kecht entkam, als S a u l ihn ans dein Pfade der wilden Ziegen und i l l
den Höhlen von Engedi verfolgte; Dein Knecht entkam aus der Gewalt Achis,
des Philisters; und siehe, dieser S a u l , der mir nach dem Leben steht, aus
seiner Hand werde ich anch entrinnen?" Das wäre ein vernünftiger Schluß
gewesen, eine richtige Art, Beweise zu gebranchen; aber zu sagen, nach so viel
vergangener Liebe lind Freundlichkeit: „ E r wird mich vielleicht noch sinken
lassen," das hieß einen lügenhaften Schluß ziehen und ein Urteil fällen, das
in geraden! Widerspruch mit den Beweisen stand.
Brüder und Schwestern i n Christo, euer Fall ist ähnlich, wenigstens
der meine ist es. O Herr Gott! D u hast uns zu keiner Zeit verlassen. W i r
456 Alttestamentlichc Bilder.

haben dunkle Nächte gehabt, aber der Stern der Liebe hat mitten in der
Finsternis geschienen; wir haben unsre wolkichten Tage gehabt, aber unsre
Sonne ging nie unter, ehe wir einen Schimmer voll dein Sonnenlicht des
Himmels gehabt hatten; wir find durch manche Prüfungen hindurch gegangen,
aber nie zu unfrem Schaden, immer zu unsrem Vorteil; nnd der Schluß, den
wir aus unsrer früheren Erfahrung ziehen — von der meinigen wenigstens
kann ich mit Bestimmtheit sprechen — ist, daß Der, welcher in fechs Trttbsalen
bei uns gewesen ist, uns in der siebenten nicht verlassen wird. Er hat gesagt:
„ich will dich niemals, menials verlassen und dich niemals, niemals, niemals
versäumen." Meint nicht, daß ich dies „niemals" zu oft wiederhole. Ich
wiederhole den Spruch gerade, wie ich ihn im Griechischen finde. Was wir
von unfrem treueu Gott wissen, dient dazu, uns zu zeigen, daß Er uns bis
ans Ende bewahren nnd bis zuletzt unser Helfer sein will. Handelt also nicht
den Beweisen entgegen. Was würden wir von Geschwornen sagen, die,
nachdem sie einen Fall gehört, bei dem das Urteil augenscheinlich „Nicht
schuldig" sei» follte, nichtsdestoweniger ihr „Schuldig" sprächen? Möge die
Erde von dem Schrei des Unwillens widerhallen. Ein Mensch ist verurteilt,
nicht nur ungerecht, sondern im Angesicht des Beweises, der seine Unschuld
darthat. O, Himmel und Erde! hallt von dein allgemeinen Unwillen aller
Redlichen wider, wenn wir Gott für unwahr erklären, da alle Zeuguisse
unsres vergangenen Lebens darthun, daß Er wahrhaftig und feinem Worte
treu ist.
Drittens, dieser Ausruf Davids widersprach Gottes Verheißungen.
Samuel hatte das Salböl auf Davids Haupt gegossen: Gottes Pfand und
Verheißung, daß David König fein sollte. Laßt David durch Sauls Hand
sterben, wie kann dann die Verheißung erfüllt werden? Viele Male hatte
Gott feinen Knecht David versichert, daß Er den Sohn Isais erwählt hätte,
der Führer seines Volkes zu sein; laßt ihn sterben, wie kann dies dann wahr
werden? Er war deshalb in vollem Widerspruch mit der Verheißung Gottes,
daß David durch seines Feindes Hand fallen follte. Christ! es steht im
Widerspruch mit jeder Verheißung dieses köstlichen Buches, daß du das Opfer
des höllischen Löwen werden solltest. Wie könnte Er dann wahrhaftig fein,
der gesprochen hat: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie
sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße,
will ich doch deiner nicht vergessen." Was für Wert würde die Verheißung
haben: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine
Gnade foll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens foll nicht
hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer." Wo wäre die Wahrheit der
Worte Christi: „Ich gebe meinen Schafen das ewige Leben; und sie werden
nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
Die Gefahr des Zweifelns. 457

Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer, denn alles; und niemand kann
sie ans meines Vaters Hand reißen." Wo wären die Lehren der Gnade? Sie
würden sich als Lügen erweisen, wenn ein Kind Gottes umkäme. Wo wäre
die Wahrhaftigkeit Gottes, seine Ehre, seine Macht, seine Gnade, sein Bund,
sein Eid, wenn einige von denen, für die Christus gestorben ist und die ihr
Vertrauen auf I h n gesetzt, desungeachtei verworfen würden? O l bei diesem
kostbaren Vuche, das du für wahr hältst, wenn du nicht bereit bist, es als
ein schlechtes, lügenhaftes Buch wegznwerfen, so mißtraue nicht deinem Herrn,
sondern sprich lieber:
„Sein Ratschluß war, ich sollte leben,
Durch seilten eingeboruen Sohn.
Den wollt' Er mir zum Mittler geben,
Den macht Er mir zum Gnadcnthrou.
I n dessen Blute soll ich rein,
Geheiliget und selig sein."

Aber ferner, dieser böse Ausruf Davids war i m Widerspruch m i t


dem, was er selbst oft gesagt hatte. Hier überführe ich mich selbst, denn
ich gedenke daran, zu meiner Beschämung, wie ich einmal traurig und voll
Zweifel war nno ein gütiger Frennd ein Vlatt hervornahm und mir einen
kurzen Auszug aus einer Predigt über den Glauben vorlas. Ich erkannte
bald den Verfasser; mein Freund las mir aus einer von ineinen eignen
Predigten vor. Ohne ein Wort zu sagen, überließ er mich meinem eignen
Gewissen, denn er hatte mich davon überführt, daß ich denselben Fehler be-
ging, gegen den ich so ernstlich gesprochen. Oft mögt i h r , Brüder, ebenso
unbeständig erfunden werden. „ O , " sagtet ihr, „ich könnte I h m vertranen,
ob anch der Feigenbaum nicht blühte und ob keine Herden ans den Feldern
und keine Rinder im Stalle wären." A h l ihr hattet den Unglauben andrer
Leute verurteilt, aber wenn es euch traf, so zittertet ihr, und wenn ihr mit den
„Reutern laufen" solltet, so wurdet ihr matt und beim Anschwellen des Jordans
wurdet i h r unruhig. So war es mit David. Was für starke Worte hatte
er oft gesagt, wenn er mit andren sprach! Er sagte voll S a u l : „Seme Zeit
kommt, daß er sterbe; ich will nicht meine Hand an den Gesalbten des Herrn
legen." Er war gewiß, daß Sauls Urteil unterschrieben und versiegelt sei;
und doch, in der Stunde seines Unglaubens sagt er: „ I c h werde der Tage
einem Saul in die Hände fallen." Was für ein seltsamer Widerspruch war
das! Wie gut ist es, daß G o t t sich nicht ändert, denn w i r ändern uns
zwei» oder dreimal am Tage! Aber unsre eignen Äußerungen, unsre eignen
früheren Überzeugungen find ganz dem Gedanken entgegen, daß Er uns je
verlassen oder versäumen könnte. Ich berufe mich, wie jener Alte von Philipp
dem Betrunkenen auf Philipp den Nüchternen sich berief, so berufe ich mich
458 Alttestllmeniliche Bilder.

von Philipp dem Ungläubigen auf Philipp im rechten Gemütszustände. Ich


eriuuere euch an eure eignen Gedanken, eure eiguen Gefühle, eure eignen
Freudengesänge, eure eiguen Siegespsalmen, und ich bitte euch, diese in Über»
einstimmung mit euren jetzigen Zweifeln zu bringen. „Wenn sich schon ein
Heer wider mich leget, so fürchtet sich dennoch meiu Hcrz nicht. Wenn sich
Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf I h n . " Das ist David.
„Ich werde eines dieser Tage umkommen durch die Hand Sauls." Das ist
auch David. „Herzlich lieb habe ich Dich, Herr, meiue Stärke; Herr, mein
Fels, mein Vurg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue,
mein Schild und Horn meines Heils und mein Schutz. Ich will den Herrn
loben und aurnfen, so werde ich von meinen Feinden erlöset." Das ist
David. „Ich werde der Tage einem Saul in die Hände fallen." Das ist
wiederum David. Bringt keine andren Beweise herbei; laßt den Mann sich
selbst überführen. Sein Unglaube ist abgeschmackt, das zeigt er selbst. So mit
euch und mit mir, Brüder; wir sind große Narren, wenn wir an Gott zweifeln,
das ist das beste, was wir davon sagen können; was das schlimmste ist, das
weiß nur Gott. O Herr, von dieser großen Sünde befreie uns.
Doch noch eins, dieser Ausruf Davids stand i m Widerspruch m i t
den Thatsachen. Ich meine nicht bloß mit den Thatsachen, die als Beweise
vorlagen, sondern auch mit den Thatsachen, die sich zu eben dieser Zeit voll«
zogen. Wo war Saul? Saul suchte ein elendes Zauberweib auf, um
Samuel von den Toten heraufzubringen. Die Speere der Philister wurden
zur Schlacht geschärft uud die Pfeile wurden auf der Sehue bereit gemacht,
die das Herz des Köuigs von Israel erreichen sollten; und doch sagt David
hier kurze Zeit, ehe er das Reich erhält und Saul erschlagen sieht: „Ich
werde eines Tages fallen durch die Haud Sauls." O, weun er die Geheim»
nisse hätte lesen, wenn er hätte verstehen können, was die rechte Hand Gottes
that, und was der Ewige ihm bestimmt hatte, so würde er nie seinen Un<
glauben so ausgewimmert haben. So mit euch uud mir. „Ach!" sagst du,
„es ist nicht so mit mir hente morgen, ich bin sehr niedergebeugt." J a , und
Gott bereitet sich vor, dich sehr hoch zn heben. „Ach! mein Leid ist aber ein
sehr schreckliches." J a , und sein ausgereckter Arm ist ein sehr mächtiger und
Er weiß seine Kinder zu erlösen. „ J a , aber ich sehe nicht wie." Nein, uud
du brauchst es nicht zu sehen. Aber dennoch geschieht es. Gottes Zwecke
reifen. Wohlan, beurteilt sie nicht falsch; bestimmt nicht die Zeit eurer Be»
freiung vorher, sondern harret geduldig und hoffet ruhig. Ich weiß, daß
einige von uus, wenn nnsre Leiden vorüber waren, gesagt haben: „Wohl,
wenn ich gewußt, daß es so geweseu wäre, so hätte ich mich nicht so
sehr bekümmert." Das ist wahr, und mm bitte ich dich, obwohl du es nicht
weißt, glaube es dennoch und gehe nicht wider die Thatsachen an, indem du
Die Gefahr des Zweifelns. 459

an Gott zweifelst. Du bist sehr arm, nicht wahr? Aber dennoch sorgst du
für deine Kinder. Was würdest du sagen zu deinem Kinde, wenn es sich
weinend an den Tisch niedersehte? „Warum weinst du, Kind?" „Weil nichts
für mich zn essen da ist." „Nnn, dn einfältiges Kind," fagst du, „ich wollte
gerade'eine Schnitte von dem Vrot abschneiden; weine nicht, bis du gewiß
weißt, daß kein Vrot da ist." Der Herr sagt oft zu nns: „Warum weinst
du, einfältiges Kind? Was ich hinter den Geheimnissen meiner Vorsehung
that, war dies: ich bereitete dir ein teures und kostbares Gut."

«Ihn, Ihn laß thun und walten!


Er ist ein weiser Fürst,
Und wird sich so verhalten,
Daß dn Ihn preisen wirst,
Wenn Er, wie's Ihm gebühret,
Mit wunderbarem Rat
Das Werk hinausgeführet,
Das dich bekümmert hat."

II.
Aber ich muh nun, so lange meine Kraft noch aushält, zum zweiten
Teile meiner Rede übergehen, nämlich: W i e k a m D a v i d dazu, so v o n
seinem G o t t zn denken?
Die erste Antwort, die ich gebe, ist, weil er ein Mensch war. Die
besten der Menschen sind, wenn sie am besten sind, Menschen; und der Mensch,
wenn er am besten ist, ist doch ein solches Geschöpf, daß David selbst wohl
sagen mochte: „Herr, was ist der Mensch?" Wenn wir immer Heldenthaten
des Glaubens vollbrächten, so möchten die Menschen sich einbilden, daß wir
Halbgötter seien, denn in Wahrheit, ich sage, daß die Thaten, die ein Mann
des Glaubens thun kann, nur durch das Thun des Allmächtigen selber über»
troffen werden. Das nächste nach der Allmacht ist der Glaube; nein, in
mancher Hinsicht nicht das nächste danach, denn der Glaube vermag alles zu
thun, was die Allmacht kann, wenn Gott ihn stark macht. Was waren die
Heere der Philister für Simson? „Da liegen sie bei Haufen, durch eines
Esels Kinnbacken habe ich tausend Mann geschlagen." Und was waren die
Sänlen des Tempels für ihn? Er neigte sich mit all seiner Kraft und riß
den Palast der Philister auf die Fürstell und auf die versammelte Menge
hernieder. Der Glaube kann alles thun; aber wenn er nie dem Unglauben
Raum gäbe, so würden wir versucht sein, den Gläubigen zu einem Halbgott
zu erheben und ihn für etwas mehr als sterblich zu halten. Damit wir
sähen, daß ein Mensch voll Glauben immer noch ein Mensch ist, damit wir uns
unsrer Schwachheit rühmen möchten, weil durch sie die Macht Gottes noch
460 Alttestamentliche Bilder.

klarer bewiesen wird, deshalb gefiel es Gott, zuzulassen, daß die Schwachheit
des Menschen in betrübender Weise sich zeige. Ah, es war nicht David, der
jene früheren Siege errang, sondern Gottes Gnade in David; und nun,
wenn die auf einen Augenblick zurückgezogen wird, seht, was aus Israels
Vorkämpfer wird!
Aber wiederum: ihr müßt erwägen, daß D a v i d einer sehr langen
P r ü f u n g ausgesetzt gewesen war; nicht eine Woche lang, sondern Monat
auf Monat war er auf den Bergen gejagt worden wie ein Nebhuhn. Nu»,
ein Mann könnte eine Prüfung tragen, aber eine nnunterbrochene Dauer
von Trübsal ist sehr schwer zu ertragen. Das Haupt auf den Block zu legen,
scheint mir vergleichungsweise leicht, aber an einen Pfahl angebunden fein,
wie einige der Märtyrer es waren, und am langsamen Feuer Stunde auf
Stunde geröstet werden, während die Glieder in der Hitze ausdörren, das
muß schrecklich sein. Das Märtyrertum einer Stunde ist plötzliche Herrlichkeit,
aber das Märtyrertum eines Lebens — es gehört etwas mehr als Mensch'
liches dazu, dies zu erdulden. Gekreuzigt sein, Hände nnd Füße angenagelt,
aber alle Hnuptorgane unversehrt, alle Schmerzen des Todes fühlen bei aller
Kraft des Lebens! Nun, so war Davids Prüfung — immer sicher, aber
immer erschöpft; immer geschützt voll Gott, aber immer herumgejagt von
seinem Feinde. Kein Ort konnte ihm Ruhe geben. Wenn er nach Kegila
ging, so wollten ihn die Bürger ausliefern; wenn er in die Heide von Siph
ging, so verrieten ihn die Siphiter; selbst wenn er zum Priester Gottes ging,
so war da jener Hund von Doeg, der zu Saul ging und den Priester ver-
klagte; sogar in Engedi oder Adullmn war er nicht sicher; sicher, das gebe ich
zu, in Gott, aber immer verfolgt von seinem Feinde. Nun, dies war genug,
einen weisen Mann wahnwitzig zu machen, und einen gläubigen Mann
zweifelhaft. Richtet David nicht zu hart; wenigstens richtet euch felbst ebenso
hart. Ich denke, wenn wir fo versucht wären, so würden wir fallen, wie
er es that.
Dann müssen wir wiederum daran gedenken, D a v i d hatte starke
geistige Aufregung gehabt. Gerade einen Tag oder so zuvor war er mit
Avisai im Mondcnschein zu dem Felde gegangen, wo Saul uud seiu Heer
schlafend lagen. Sie gingen durch den äußeren Kreis, wo die gemeinen
Soldaten lagen, und ruhig und leise gingen die zwei Helden hindurch, ohne
jemand aufzuwecken. Sie kamen zuletzt zu dem Platze, wo die Hauptleute
über hundert schliefen und sie traten über ihre schlummernden Körper, ohne
sie zu stören. Sie erreichten die Stelle, wo Saul lag, sein Spieß in der
Erde zu feinen Häuptern stak und fein Wasserbecher neben ihm, damit er sich
erfrischen könne, wenn er in der Nacht wach würde. Und Abifai sprach: „Gott
Die Gefahr des ZweifelnZ. 461

hat deinen Feind hente in deine Hand beschlossen: so will ich ihn nnn mit
dem Spieß stechen in die Erde einmal, daß er es nicht mehr bedarf." David
hält Abisais Hand zurück; er will es nicht erlauben, sondern sagt: „ S o wahr
der Hen- lebet, wo der Herr ihll nicht schlägt oder seine Zeit kommt, daß er
sterbe oder in einen Streit ziehe, und komme um; so lasse der Herr ferne von
mir sein, daß ich ineine Hand sollte an den Gesalbten des Herrn legen." So
entging er dieser Versuchung, wie er es früher gethan, als er uur den Zipfel
von Sauls Nock abschnitt statt ihn zu erschlage», wie er es in der Höhle
uon Engedi hätte thnn können. Nun Vrüder, ein Mann mag mit der Hilfe
Gottes diese großen Dinge thun, aber weiß jemand von euch, daß »ach einer
Art Naturgesetz bei uus nach einer starken Aufregung eine Reaktion eintritt?
Ich will ench ein Vild geben. Da drüben ist Elias. Er hat dein Herrn,
seinen! Gott, einen Altar gebaut; die Vaalspriester haben einen andren gebaut.
Elias beruft sich auf Gott. Welcher Gott nun mit Feuer antworten wird,
der sei Gott. Die Priester Baals rufen ihren Gott an. Er antwortet nicht.
Sie ritzen sich mit Messern uud mit Pfriemen. I h r stummer Götze konnte
seine eigne Gottheit nicht bestätigen. Elias spottet ihrer. „Rufet laut," spricht
er, „denn er ist ein Gott; vielleicht schläft er und muß aufgeweckt werden."
So erregt er ill grimmem Sarkasmus den Zorn der Vaalspriester. Keine
Antwort kommt. Nun ist die Reihe an Elias. Er beugt das Knie und hebt
seine Hände zum Himmel auf. Die Flamme fällt herab. Stannt, ihr Un-
gläubigen. Sie leckt sogar das Wasser in dem Graben ans, und die zwölf
geweihten Steine werden auch verzehrt und in Rauch gen Himmel getragen
eben wie die Flamme des Vrandovfers. „Greifet die Propheten des Baal,
daß ihrer keiller entrinne," ruft der strenge Elias. Er greift einen uon ihnen
und zieht ihn den Hügel hinab, und das willige Volk zieht die falschen Priester
bei den Haaren hernieder an den Bach; uud dann, nachdem er die Nrmel auf-
gestreift, färbt er sich mit dem Vlnte dieser, der Hasser Gottes und der Ver-
räter seines Volkes, bis der Vach rot wird von dem rauchenden Vlnte der
Vaalspriester. Nun, was geschieht danach? Als Elias von all diesen Helden,
mutigen Wagnissen hinweggeht, so ist, eben weil er ein Mensch ist, eine Neak»
tion da, und siehe, er fürchtet sich vor Isebel, die ihm nach dem Leben steht,
er ruft: „Laß mich sterben; ich bill nicht besser denn meine Väter;" und er
verbirgt sich, bis Gott sagt: „Was machst du hier, Elias?" Nu», wenn
Elias, der eisernste Heilige der alten Zeit, die Folgen menschlicher Schwachheit
fühlte, so können wir das viel mehr noch von David erwarten. S o daß ich
wiederum sage, wir müssen i h l l nicht zu strenge richten, wenn wir nicht bereit
sind, mit dem gleichen Maße, womit wir ihn messen, auch uns selber zu messen.
Aber es war noch ein andrer Grund da, denn wir dürfen nicht David
von Schuld freisprechen. Er sündigte, und dies nicht nur ans Schwachheit,
462 Alttestamentliche Bilder.

es war auch Vöses in seinem Herzen, was die Schuld daran trug. Es scheint
uns, daß David im Gebet nachgelassen. Bei jeder andren Handlung finden
wir einen Wink, daß er Gott um Nat fragte. Er sagt zu Ab>Iathar: „Lange
den Leibrock her;" und er fängt kein Unternehmen an, ohne erst das Licht
und Recht zu fragen, was der Wille Gottes fei. Aber diesmal, womit sprach
er? Nun, mit dein trügerischsten Dinge, das er nur finden konnte — mit
seinem eignen Herzen, denn „das Herz ist trügerisch über alle Diuge und ver»
zweifelt böse." Ich finde nicht, daß er es dem Priester Gottes sagte; er
machte es zu einem Gegenstand des Gebetes; er konnte nicht wagen, zu
beten, wenn er es auf eigne Hand unternahm. Nein, er handelte nach
seinem Kopfe, und mau wird bald finden, daß der Kopf ein leerer ist,
der urteilen kann, ohne sich an Gott zu wenden. Nachdem er das Gebet
unterlassen, beging er die thörichte Handlung; er vergaß seinen Gott,
er blickte nur auf feinen Feind, uud es war kein Wunder, daß er, als er
die Stärke und Macht des grausamen Monarchen und die Hartnäckigkeit seiner
Verfolguug sah, sagte: „Ich werde eiues Tages durch ihn fallen." Brüder
und Schwestern, wünscht ihr, das Ei des Unglaubens auszubrüten, bis es zu
einer Schlange wird? Unterlaßt das Gebet! Wollt ihr die Übel vergrößert
und die Güter verringert sehen? Wollt ihr eure Trübsale siebenfach vermehrt
und euren Glauben in demselben Verhältnis vermindert sehen? Unterlaßt
das Gebet! Ich sage dir heute, wenn du dein Vetkämmerlein vernachlässigst,
so werden alle Leiden, die du je gehabt hast, wie nichts sein im Vergleich zu
dem, was noch über dich kommen wird. Der kleine Finger deiner künftigen
Zweifel wird dicker sein, als die Lenden deiner gegenwärtigen geistigen Angst.
Du wirst erfahren, was der Mensch thuu kann, wenn er seinen Gott verläßt,
und du wirst m der Bitterkeit deiner Seele lernen, was für eine böse Sache es
ist, die lebendige Quelle zu verlassen und dir einen löcherichten Brunnen zu
graben, der kein Wasser halten kann.
Ich habe, denke, ich, so gut ich kann, die Ursachen von Davids Unglauben
bargelegt. Einige davon werden dich treffen, mein Bruder. Aleine Schwester,
du magst hier dein Teil finden. Nun, wenn du die Ursache herausfindest,
denke daran, daß das Heilmittel nahe dabei liegt. Wenn ein vergessenes Vet-
kämmerlein dich weinen macht, so wird ein häufig besuchtes dich lächeln
machen. Wenn auf die Aufregung der Wonne Niedergeschlagenheit gefolgt
ist, so wird diese Aufregung selbst, wenn du sie wiederum suchst, deine beste
Heilung sein, bis deine Seele, stark gemacht, diese seligen Aufregungen zu er«
trage», allmählich gekräftigt wird für die Seligkeit des Himmels, und auf der
Erde wirst du fähig sein, den Himmel zu genießen, den einige der Heiligen
gekannt haben, ehe sie den Strom des Todes überschritten.
Die Gefahr des Zweifelns. 463

III.
Aber ich muß weiter eilen, denn das Versagen meiner Stimme mahnt
mich daran, daß ich bald schließen muß; aber nicht, bis wir in der Kürze
über den dritten Punkt geredet haben: Welches w a r e n die schlimmen
W i r k u n g e n v o n D a v i d s Zlnglanben?
Ich glaube, dies war eine der Sünden, die er meinte, als er Gott bat,
die Sünden seiner Jugend und seine früheren Übertretungen zu vergeben.
Wir haben so oft auf seine Sünde mit Vathscba geblickt, daß wir geneigt
sind, zu denken, er hätte keine andren Fehler. Und doch war, das müssen
wir sagen, das Leben Davids während einiger Monate nach diesem Ausruf
traurig, und man wünscht, es könne ausgetilgt werden; es war traurig,
traurig in der That. Aber wir wollen hierüber im einzelnen sprechen, wenn
auch kurz.
Was ließ sein Unglaube ihn zuerst thun? Er lieh ihn eine Thorheit
begehen, dieselbe Thorheit, die er schon einmal früher bereut hatte. Wir
sagen freilich, ein gebranntes Kind scheut das Feuer; aber David hatte sich
gebrannt, und dochsteckter in seinem Unglauben die Hand wieder in dasselbe
Feuer. Er ging einmal zu Achis, dein Könige von Gath, und die Philister
sagten: „Das ist der David, von dem sie sangen: Sanl schlug tausend,
David aber zehntausend;" und David fürchtete sich sehr „und verstellete seine
Gebärde und kollerte unter ihren Händen, und stieß sich an die Thttr am
Thor, uud fein Geifer stoß ihm in den Bart," (für die Orientalen war es
dassichersteZeichen, daß er wahnsinnig war, wenn er seinen Vart verachtete)
und sie Irieben ihn fort, denn Achis sprach: „Warnm habt ihr ihn zu mir
gebracht? Habe ich der Unsinnigen zu wenig, daß ihr diesen herbrächtet, daß er
neben mir rasete? Sollte der in mein Haus kommen?" Nun geht er wieder zu
diesem selben Achis l Ja, und merkt euch, ineine Brüder, obgleich ihr und
ich die Bitterkeit der Sünde kennen, so fallen wir doch, wenn wir unsrem Un»
glauben überlassen werden, wiederum in dieselbe Sünde. Ich weiß, wir
sagten: „Nein; niemals, niemals; ich weiß zu sehr aus der Erfahrung, was
für eine schreckliche Sache es ist." Eure Erfahrung ist keinen Strohhalm für
euch wert ohne die beständige Hilfe der Gnade Gottes. Wenn euer Glaube
schwach wird, so geht alles andre abwärts; nnd dn, grauhaariger Vekenner,
wirst ein ebenso großer Thor sein, wie ein Knabe, wenn Gott dich dir selber
überläßt. I n der That, ich muß sagen, bei aller Ehrfurcht, die ich für ein
graues Haupt habe, daß von allen Narren in der Welt alte Narren die
schlimmsten sind. Ich habe mehr Sttndenfälle unter bejahrten Christen gesehen,
als unter irgend welch andren, bis man geneigt war zu beten: „Herr, errette
die, welche auf den fchlüpfrigen Pfaden des Alters sind." Ich habe oft gesagt.
464 Alttcstamcntlichc Bilder.

es gibt in der Schrift kein Beispiel von einem jungen Manne, der in eine
große, grobe Sünde gefallen. Alle biblischen Beispiele sind nach der andren
Seite hin, nnd ich ineine, ich kann als Pastor dieser Gemeinde sagen, daß die
traurigsten Fälle von Exkommunikation, die wir je gehabt, bei Männern
stattfanden, die schon etliche graue Haare auf dem Kopfe hatten oder Familien«
väter waren, weit öfter als bei der Jugend; der Grund dafür ist, glanbe ich,
dieser: daß der alte Heilige oft anfängt, sich auf feine vergangene Erfahrung
zu verlassen, nnd wenn er das thut, so ist es vorbei mit ihm; denn wir sind
gerade eben solche Narren nach siebzig Jahren geistlicher Erziehung, als da
wir zuerst in die Schule kamen, falls der Herr uns uns selber überläßt.
Wir wachsen; wir lernen, wenn der Herr mit uns ist; aber wenn Er uns
verläßt, so sind wir nicht stärker, nachdem wir in: Glauben befestigt sind, als
wir zuvor waren. Ich sage wieder, wenn wir irgend einen Augenblick von
Gott verlassen werden, wer wir anch sein mögen, so würde die Sünde unser
Streben und die Missethat unsre Gefährtin fein. Wir müsselt dasselbe Gebet:
„Halte Du mich, so werde ich sicher fein" (Ps. 119, 117) bis zum Ende des
Kapitels darbringen, und wir müssen uuser Leben enden gerade wie David
den 119. Psalm endete, mit dem Bekenntnis: „Ich bin wie ein verirrtes und
verlornes Schaf, suche Deinen Knecht, denn ich vergesse Deiner Gebote nicht."
Aber ferner: denn der Anfang der Sünde ist wie das Auslassen des
Wassers, nnd wir gehen von Schlecht zn Schlimmerem, er ging über zu
den Feinden des Herrn. Würdet ihr es glauben: er, der Goliath tötete,
suchte eine Zuflucht in Goliaths Land; er, der die Philister schlug, traut den
Philistern; nein, mehr, er, der Israels Vorkämpfer war, wird der Kämmerer
des Achis, denn Achis sprach: „Darum will ich dich zum Hüter meines
Haupts setzen mein lebenlang," und David wurde der Hauptmann der Leib'
wache des Königs von Philistäa und half das Leben eines Manues bewachen,
der ein Feind des Gottes Israels war. Ach, wenn wir an Gott zweifeln, so
werden wir bald unter Gottes Feinde gezählt werden. Wankelmut wird uns
hinüber in die Reihen seiner Feinde ziehen, und sie werden sagen: „Was
sollen diese Hebräer hier?" und die Frage wird von Mann zu Mann gehen:
„Ist er nicht der David, von dem sie sangen am Neigen: Saul hat tausend
geschlagen, David aber zehntausend? Was thut David hier?" Bruder, wenn
„Stolz vor dem Verderben kommt und Hochmut vor dem Fall," so kann ich,
ohne die Schrift zu verdrehen, sagen:' „Unglaube kommt vor dem Verderben
und Zweifel vor dem Fall," denn so ist es. „Die Freude des Herrn ist eure
Stärke;" „Der Gerechte wird feines Glaubens leben, wer aber weichen wird,
an dem wird meine Seele keinen Gefallen haben," — diese zwei Aussprüche
sind zusammengefügt, als wenn der Mangel an Glauben sicher zu einer
Umkehr zur Sünde führen würde.
Hie Gefahr des Zweifelns.

Habt Geduld mit mir, während ich ferner bemerke, daß Dauid nicht
nur Gottes Feinden zugezählt wurde, sondern daß er thatsächlich in offen»
bare Sünde geriet. I h r werdet dies Kapitel lesen und das folgende nnd
das nächstfolgende nach enrer Mnßc — und ihr werdet vielleicht hente nach-
mittag Muße haben; es wird euch abhalten, von Predigern zu schwatzen und von
sehr vielen andren Dingen, die man ebensognt ruhen läßt am Sonntag-Nach-
mittag, denn das gewöhnliche Gespräch am Sonntag-Nachmittag ist dies:
„Hörtet ihr je den Prediger N. N. nnd den Prediger so nnd so?" Prediger
werden ja für ein passendes Thema am Sonntag gehalten; das heißt, das
Durchhecheln derselben. Wenn ihr aber statt dessen diese Kapitel durchlesen
wollt, so werdet ihr Nützen davon haben. Dauid that zwei sehr böse Dinge.
Er handelte als Lügner und Vetrügcr. Harte Worte, werdet ihr sagen, von
Dauid sie zu sprechen; aber sie sind nicht zu strenge. Er zog ans und schlug
die Gessnriter uud verschiedene andre Stämme, nnd dies that er oft. Wenn er
zurückkam, fragte Achis ihn, wo er gewesen sei, nnd er antwortete: „Gegen
den Mittag Judas;" d. h. er machte Achis glanben, daß seine Ausfälle gegen
fein eignes Volk wären, statt daß sie gegen die Verbündeten Philistäas gewesen.
Dies setzte er lange Zeit fort; und dann, da eine Sünde nie ohne eine Ge-
fährtin geht, denn des Teufels Hunde jagen stets zu Paaren, war er des
Blutvergießens schuldig, denn in welche Stadt er auch zog, da tötete er alle
Einwohner; er schonte weder Mann noch Weib, noch Kind, damit sie nicht
dem König von Philistäa sagen sollten, wo er gewesen sei. So führte eine
Sünde zu der andren. Und dies ist ein sehr trauriger Teil von Davids
Leben. Wer Gott glaubt und im Glauben handelt, der handelt mit Würde,
und andre Menschen beugen sich vor ihm und ehren ihn; aber der, der
seinem Gott mißtraut und in seiner eignenfleischlichenWeisheit zu handeln
beginnt, ist bald dies, bald das, bald jenes, und die Feinde werden rufen:
„Aha, so wollten wir es," während die Gottesfürchtigen fagen werden: „Wie
sind die Mächtigen gefallen! wie ist der starke Mann seinem Gegner über»
geben worden!" O, möge Gott der Heilige Geist unsren Glauben an Gott
unsren Vater und den Herrn Iesum Christum bewahren, auf daß wir ohne
Flecken erhalten bleiben bis an den Tag seiner Erscheinung!
Ferner, nicht nur war David aller dieser Sünden schuldig, sondern
er war nahe daran, noch schlimmere zu begehen; offene Thaten der
Feindseligkeit gegen des Herrn Volk; denn weil David der Freund des
Achis geworden war, so sprach dieser zu ihm, als er in den Kampf gegen
Israel zog: „Du sollst wissen, daß du und deine Männer sollt mit mir aus-
ziehen in das Heer;" und David behauptete, er sei willig, es zu thun. Wir
glauben, es war nur eine verstellte Willigkeit; aber dann, seht ihr, überführen
wir ihn wieder der Falschheit. Der Tag kommt, wo eine entscheidende
Spurgeon, Nlttestamentliche Vilder. ZI
466 Alttestamentliche Vilder.

Schlacht gefochten werden soll, und die Fürsten der Philister treten vor Achis.
„Wo ist David?" „Ol David ist mit König Achis im Nachtrab," denn der
König hat ihn zum Hauptmann der Leibwache gemacht. Er war so zu einer
sehr hohen Stellung erhoben, der Begleiter des Achis, zu seiner Rechten, der
Befehlshaber der Männer, die den König im Fall der Gefahr beschützen.
Nun, hier ist David, und er zieht hinauf wider sein eignes Volk, wider seinen
eignen König, uni dem von Gott erwählten Lande Schaden zu thun. Es ist
wahr, daß Gott dazwischeli trat und es verhinderte; aber dies war kein Verdienst
Davids, denn ihr wißt, Brüder, wir sind einer Sünde schuldig, selbst wenn
wir sie nicht begehen, falls wir willig sind, sie zu thun. Und so war es in
diesem Falle; nein, es thnt uns leid, sagen zu müssen, sogar als die Fürsten
der Philister sich dawider setzten und sprachen: „Laß den Mann umkehren und
an seinem Ort bleiben, da du ihn hin bestellet hast, daß er nicht mit uns
hinabziehe zum Streit und unser Widersacher werde im Streit;" da sprach
David zu Achis: „Was habe ich gethan und was hast du gcspüret an deine»!
Knechte, feit der Zeit ich vor dir gewesen bin, bisher, daß ich nicht sollte
kommen und streiten wider die Feinde meines Herrn, des Königs?" und be»
hauptete stets noch, daß er ungern ginge, während er, Gott weiß es, froh
genug war, von einem so bösen Gange freizukommen. Wie gut ist es, daß
wir einige Feinde haben, denn Gott macht unsre Feinde oft zu unsren besten
Freunden. Ich habe vergessen, wer es ist, aber ich meine, es ist Bischof H a l l ,
der in seinen Betrachtungen sagt: „Wenn die Kinder Gottes einen tödlichen
Krebsschaden haben, so sind viele ihrer Ireunde zu zart, die Lanzette hinein»
zulassen, aber ihre Feiude thun es aus Bosheit, und dadurch werden sie
geheilt; denn oft läßt der Herr unsre Feinde ein Geschwür durchstechen, das
sonst sich verschlimmert und unser Leben zerstört hätte, wenn ihre grausame
Wunde uns nicht zum Leben von dem Tode geholfen hätte." So waren diese
Fürsten der Philister Davids beste Freunde.
Zum Schlüsse. Die letzte Wirkung von Davids Sünde, und hiermit
hörte diese durch Gottes Gnade auf, war dies: sie brachte ihn i n großes
Leid hinein. Laßt mich die Geschichte kurz erzählen, und ich bin fertig.
Während David mit König Achis fort war, fielen die Amalekiter im Süden
ein nnd griffen Ziklag, Davids Stadt, an. Aus dem einen oder andren
Grunde töteten sie nicht die Einwohner, sondern führten alle Männer, die
wenigen, die da geblieben, die Weiber und Kinder, all ihre Geräte, ihr Vieh
und ihre Schätze hinweg; sie nahmen alles fort, und als David nach Ziklag
zurückkehrte, waren nur die kahlen Mauern und leeren Häuser da, und
Ahinoam und Abigail, seiue zwei Weiber, waren fort, und die mächtigen
Männer, die mit ihm waren, hatten ihre Weiber und Kinder verloren; und
sobald sie es sahen, hoben sie ihre Stimme auf und weinten. Nicht nur
Die Gefahr des Zweiselns. 467

hatten sie ihr Gold und Silber verloren, sondern alles war ihnen genommen.
Diese verbannte Schar hatte ihr eignes Fleisch und Blut verloren, die
Gefährtinnen ihres Lebens. Da wurden sie aufrührerisch gegen ihren An-
führer und wollten ihn steinigen. Und hier ist David, ein Bettler ohne
einen Pfennig, ein Führer, der von seinen eignen Leuten verlassen war, und
wahrscheinlich bei ihnen in Verdacht stand, daß er verräterischerweise die Stadt
dem Feinde übergeben hätte. Und dann steht geschrieben, und o, wie gesegnet
ist dies Wort: „David aber stärkte sich in dem Herrn, seinem Gott." A h !
nun ist David recht; null ist er zu seinem Ankergrunde zurückgekehrt. Selige
Trübsale, die ihn zurücktreiben dahin, wo er die ganze Zeit hätte sein sollen!
Sünde und Schmerz gehen zusammen; das Kind Gottes kann nicht ungestraft
sündigen. Andre mögen es. I h r , die ihr Gott nicht fürchtet, mögt hingehen
und fündigen, wie ihr wollt, und oft wenig Leiden infolgedessen zu erdulden
haben; aber ein Kind Gottes kann dies nicht thun. „Aus allen Geschlechtern
auf Erden habe ich allein euch erkauut, darum will ich auch euch heimsuchen
in aller eurer Missechat." Und deshalb fühlte David die Nute schärfer, als
er es je zuvor gethan, weil er an seinem Gott gezweifelt hatte. A h ! und was
sind wir? Viele von uns glauben an Christum; aber was sind wir, wenn
Gott uns verlassen follte? Laßt uns von Herzen in das Gebet einstimmen:
„Herr, stärke uns im Glauben; halte D u uns, so werden wir sicher sein!"
Und an euch, die ihr keinen Glauben all Christum habt, dies letzte
Wort. Wenn zeitweiliger Unglaube so schrecklich ist, was muß dauernder
Unglaube sein? „Wer glaubet, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubet,
der ist scholl gerichtet, denn er glaubet nicht." Gott helfe dir. Ungläubiger,
Iesulll zu vertrauen. Es ist Leben für dich. Es wird Leben in dieser Welt
und der zukünftigen sein. Vertraue I h m deiue Seele, und Er wird dich nie
verlassen, sondern dich bis ans Ende bewahren und am Ende dich segnen
und ohne Ende dich verklären, daß du ewig bei I h m seiest. Möge der Herr
die Worte segnen, die wir gesprochen haben und uns treu machen um Jesu
willen. Amen.

30'
468 Alttestamentliche Bilder.

31.

Der Gebrauch des Bogens.


„Und David klagte diese Klage über Saul und Jonathan, seinen
Sohn. Und befahl, man sollte die Kinder Judas den Bogen lehren
(n. d. engt. Üb. „den Gebrauch des Vogens"). Siehe, es stehet ge>
schrieben im Buche der Redlichen." 2 Sam. 1. 17. 18.

3 i e Übersetzer haben ganz recht gethan, als sie die Worte „den Ge>
brauch des" hineinschoben, denn dies ist es, was die Stelle bedeutet; aber
wenn man sie ohne diese Worte liest, ist der S i n n doch derselbe: „er befahl,
man sollte die Kinder Judas den Bogen lehren," das heißt, den Bogen zu
gebrauchen.
I n neueren Zeiten haben Kritiker gesagt, unter dem Ausdruck „Bogen"
sei das Lied gemeint, das David verfaßte; und um ihre Meinung zu unter«
stützen, führen sie den Koran des Mohammed an, in dem, wie sie uns sagen,
ein gewisses Kapitel „die Kuh" genannt sei, und ebenso hätte David sein Lied
den „Bogen" genannt, als wenn ein so spätes Beispiel orientalischer Sitte
überhaupt zur Sache gehörte. Ich bin der Ansicht, daß durchaus nichts in
der Schrift ist, was die Behauptung rechtfertigt, daß die Worte „der Bogen"
auf Davids Klage sich beziehen können. Ohne Zweifel hatte man einigen der
Psalmen Titel gegeben; aber es ist kein Beispiel davon vorhanden, daß ein
Psalm mit seinem Titel angeführt wird. Er wird mit feiner Nummer an»
geführt, niemals mit feinem Namen. Ich nehme die Stelle, wie unsre Über-
setzer sie verstanden: David befahl, man sollte die Kinder Judas den Bogen
lehren. Wenn jemand fragt: „Was ist denn der Zusammenhang? Warum
wollte David das Volk den Gebrauch des Vogens lehren, weil Saul und
Jonathan erschlagen waren? Warum ist hier der militärische Befehl in betreff
des Gebrauchs einer gewissen Kriegswaffe eingeschaltet, da die Stelle voller
Klage ist?" so antworte ich: höchst passend, wie ich euch zu zeigen Gelegenheit
haben werde. Es war das beste Erinnerungszeichen an jenen geübten Schützen,
Jonathan und an die andren Fürsten, die durch die Pfeile der Philister ge«
Der Gebrauch des Bogens. 469

fallen waren, daß von dem traurigen Tage ihres Falls an David seinen eignen
Stamm, über den er die Hauptmacht hatte, den Gebrauch dieser besonderen
Kriegswaffe lehren ließ.

I.
Aber nun zu unsrem Werk. Aus meinem Text will ich ein paar nütz»
liche Ähren entnehmen. Die erste ist diese: T h a t i g k e i t ist e i n w e r t v o l l e r
T r o s t i m G e i d e n . Das Volk war sehr betriibt, denn S a u l und Jonathan,
der König und der Kronprinz, waren erschlagen. David läßt den Schmerz
gewähren: er schreibt ein Klagelied, das die Töchter Israels singen können.
Aber um ihr Gemüt zu gleicher Zeit von ihrem Kummer abzuziehen, gibt er
den Befehl, die Kinder Judas den Gebrauch des Vogens zu lehren, denn
Thatigkeit ist ein wirksames Mittel in Zeiten des Leides. Gewiß, das Gegen-
teil derselben würde zu schierer Verzweiflung führen. Haben einige von euch
großes Herzeleid? Habt ihr einen schweren Verlust erlitten? Geratet nicht
in die Versuchung, über euren Schmerz zu brüten nnd zu meinen, daß ihr
von fernerem Dienste freigesprochen werden müßtet. Schließt euch nicht ab,
um über das große llbel nachzusinnen, das über euch gekommen ist, und
euren Zorn wider Gott zu nähren: das kann euch niemals gut thun. Ahmt
lieber den» David nach, der, als sein Kind krank war, fastete und betete, aber
als es tot war, in das Haus ging und Brot aß, denn er fprach: „Kann ich
es auch wiederum holen? Ich werde wohl zu ihm fahren; es kommt aber
nicht wieder zu mir."
Ich bitte euch, geht nicht der Versuchung Satans nach, von euren tag'
lichen Geschäften abzulassen und besonders von irgend einem heiligen Dienst,
den ihr für Christum übernommen habt. Es mag sein, daß euer Leid kein
Todesfall ist, sondern Euttäuschung in eurem Werk. I h r habt jene Seelen
nicht gewonnen, die ihr zu gewinnen suchtet, und einige, die ihr für bekehrt
hieltet,- sind zurückgegangen; und null versucht der Satan euch, nichts mehr zu
thun — nie das Netz wieder auszuwerfen, denn ihr habt die ganze Nacht
gearbeitet und nichts gefangen — nie wieder zu säen, denn ihr habt euren
Samen auf dem Wege vergeudet, und die Vögel haben ihn gefressen. Dies
ist eine Eingebung des Bösen. Es wird euch in tiefere Pein hineinführen.
Ich möchte dir, o Trauernder, sagen, steh' auf vom Lager der Gemächlichkeit!
Schüttle den Staub von dir ab, o Jungfrau, Tochter Zion! Sitze nicht auf
dem Dunghaufen in deinem Kummer, sondern raffe dich auf, damit du nicht
in dunkleres Weh versinkest und deine Bitterkeit wie Wermut und Galle wird.
Während Unthätigkeit zu schierer Verzweiflung führen wird, bin ich ge-
wiß, daß Arbeit das Gemüt von dem traurigen Punkte ablenkt, auf den es
geneigt ist, sich zu richten. Nichts ist gesunder, als ein Werk zu thun zu
470 Alttestamentliche Bilder.

haben. Ich habe Personen, die viel Muße hatten, sich beim Verlust ihrer
Kinder furchtbar dem Schmerze hingeben sehen; während ich Leute der
arbeitenden Klasse gekannt habe, die, wie ich glaube, ebenso viel Gefühl hatten
und sich doch mutig dabei aufrecht hielten. Unter Gott, habe ich den Unter»
schied darauf geschoben, daß die arme Frau hingehen muß, ihr tägliches Brot
zu verdienen oder ihre häuslichen Pflichten zu erfüllen, was sich auch ereignet,
und daß der arme Mann an seine tägliche Arbeit gehen muß, sonst würden
die Seinen in Not sein; so hat sich schwere Arbeit als eine gesegnete Not»
wendigkeit erwiesen, indem sie die Seele von dem Schmerz abzieht, den» sie
sich sonst hingegeben hätte. I h r habt von Alexander Cruden gehört. Viel-
leicht wißt ihr nicht, daß er eine unglückliche Liebe hatte und von andren
Leiden heimgesucht ward, die ihn fast wahnsinnig machten; und doch ward er
nicht geisteskrank, denn er begab sich an das ungeheure Werk, eiue Konkordanz
der Heiligen Schrift auszuarbeiten, die das große Werkzeug gewesen ist,
wodurch wir in dem Worte Gottes forschen. Diese Arbeit hielt ihn davon ab,
ganz geisteskrank zu werden. Wenn ich einem kranken Gcmüte etwas zu ver«
ordnen hätte, so würde ich sagen: „Fange ein gutes Werk an und bleibe
dabei." Lieben Freunde, wenn ihr in Not seid und Satan euch versucht, euch
einzuschließen und mit dem Werke des Herrn aufzuhöreu, widerstehet der
schädlichen Eingebung. Gott der Heilige Geist wird euch am wahrscheinlichsten
trösten und euch die köstlichen Verheißungen seines Wortes ins Herz drücken,
wenn ihr eures Meisters Werk mit ganzer Seele treibt. Sorgt ihr für seine
Sache, Er wird für die eure sorgen. Sagt armen Sündern voll seinen
Wunden, so wird Er die euren verbinden. Vergeht euer Kreuz iu dem
feinigen. Vergeht eure Schmerzen in den Schmerzen der Menschenkinder, die
aus Mangel an Kenntnis vom Evangelium umkommen; uud ihr werdet das
den schnellsten Weg zum Tröste finden.
Ein wertvoller Trost im Schmerz ist Thätigkeit, besonders, meine ich,
die i n einer neuen Arbeit. Es wird euch sehr helfen, wenn ein neues Leid
euch ein neues Werk eingibt. Alte Arbeit zieht nicht immer das Gemüt von
seinen Kümmernissen ab, denn wir sind geneigt, sie mechanisch zu thun, und
als eine Sache der Gewohnheit; aber etwas ganz Frisches wird nns beistehen,
unsre Trübsal zu vergessen. O, einen neuen Pfad einschlagen! Neue Ehre
für Iefuln erfinden, neue Unternehmungen für sein Reich, neue Mittel, die
Menschen zum Evangelium zu ziehen — dies wird euch helfen, euren Kummer
hinwegzuzaubern. Für viele wird die Übernahme eines Dienstes für Christum
etwas ganz und gar Neues sein. Es thut mir weh, dies sagen zu müssen.
Diese Leute siud trüben Sinnes. Das thut mir uicht so sehr leid, denn
wenn jemand nicht arbeiten will, so soll er auch nicht essen; und wenn ein
Christ seinem Herrn uicht dienen will, so soll er nicht mit seines Herrn
Der Gebrauch des Bogens. 471

Freunden zu Tische sitzen. O, wie vieler Freude gehen manche von euch ver«
lustig, weil sie nichts mehr für die Armen, für die Unwissenden, für Christus
thunl Ein Dichter erzählt uns von einen: reichen Mann in Venedig, der
sich der Verzweiflung hingab nnd so trübsinnig ward, daß er zum Kanal
hillabging, um sich zu ertränken: aber unterwegs begegnete ihm ein anner
kleiner Knabe, der ihn beim Nocke zupfte und um Vrot bettelte. Als der
reiche Mann ihn einen Betrüger nannte, bat der Knabe ihn, mit ihm zu
kommen und seiuen Vater und seine Mutter zu besuchen, die vor Hunger
stürben. Er ging in das Zimmer hinauf uud fand die Familie buchstäblich
aus Mangel an Nahrung dem Tode nahe. Er verwandte das Geld, das er
in der Tasche hatte, dazu, sie alle mit einer guten Mahlzeit zu erfreuen, und
sagte dann zu sich selbst, daß es im Grunde noch etwas gäbe, für das es der
Mühe wert fei, zu leben. Er hatte einen neuen Genuß gefunden, der ihm
frischen Trieb zum Leben gab. Ich möchte ench, die ihr einen großen Kummer
erlitten habt, fragen, ob der Herr euch nicht durch dieses Mittel auf einen
neuen Pfad der Freude treibt, euch auf eiue neue Art hinweist, Gott zu ver-
herrlichen und euren Nebenmenschen Gutes zu thun. Ich will euch ein Lied
singen, wenn ihr's wünscht, so traurig wie Davids Klage; aber ich möchte
ench lieber den Gebrauch des Vogens lehren. Ich glaube, daß ich euch besseren
Trost darreichen werde, wenn ick) euch als Krieger in Christi Heer anwerbe,
und euch lehre, seine Waffen zu gebrauchen, als wenn ich euch mit den
traurigstell Klageliedern tröstete.
Spreche ich zu einigen hier, die große irdische Trübsale zu erdulden
haben, aber von geistlichen Dingen nichts wissen? Ist es nicht oft der Fall,
daß Gott seine verirrten Kinder durch Leiden zu sich zurückführt? Die Art,
wie ihr Trost finden sollt, lieben Freunde, ist nicht dadurch, daß ihr wieder
in die Welt gehet und dort Vergnügen suchet. Wenn Gott euch zu segnen
beabsichtigt, so mag Er euch vielleicht so hungrig werden lassen, daß ihr be«
gehrt, euren Bauch mit Trebern zu füllen. I h r habt euer Gut umgebracht
mit Prassen und nun seid ihr dem Verzweifeln nahe. Um jene dunkle Ecke
der Verzweiflung herum mag der Weg zu eures Vaters Hause gehen. Uni
euren jetzigen zeitlichen Schmerz auszutreiben, habt ihr einen geistlichen Schmerz
über die Sünde nötig. Wenn ihr von Jesu in dieser Stunde lernt, die
Sünde zu bereuen, und euer Vertrauen auf I h n zn setzen, so wird eure Seele
sprechen: „ I c h will mich allfmachen nnd zu meinem Vater gehell," und dann
werdet ihr euren Hunger stillen und den Schweinetrog vergessen. Wo? Nnn
bei dem Singen und dein Reigen in eures Vaters Hanse, und in der Freude,
ihn sagen zu hören: „Laßt uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein
Sohn war tot, und ist wieder lebendig geworden; er war verloren, und ist ge«
funden worden."
472 Alttesiamentliche Bilder.

Ja, David hatte recht. Das Mittel, das Volk aus seiner Traurigkeit
zu reißen, war, sie den Gebrauch des Bogens zu lehren; ihre eignen Pfeile
sollten ihre Schmerzen töten: und das Mittel, euch Trauernde aus eurem
Kummer zu erheben, ist, euch jene heilige Thatigkeit zu lehren, durch die eine
Seele Christo vertraut und Errettung zu seinen Füßen findet.
Das ist die erste Lehre, die, wie ich meine, der Text uns in lieblicher
Weise gibt.

II.
Eine zweite Lehre ist die, daß es eine treffliche Zenulzung eines
Unglücks ist, etwas d a r a u s zu lernen. Was war das Unglück?
Saul und Jonathan waren von den Pfeilen der Schützen getroffen. Die
Philister waren augenscheinlich stark im Gebrauch des Vogens; aber Sauls
Heer mangelte es an Schützen, und deshalb war es nicht im stände, die
Philister in der Entfernung zu treffen. Ehe sie noch handgemein wurden, wo
Israel es hätte mit Philistäa aufnehmen können, hatten die Philister ihren
König erreicht. Hätten sie den Bogen zu gebrauchen verstanden, so wären sie
vielleicht die Sieger gewesen; und darum beeilt sich David, die Männer Judas
den Bogen zu lehren.
Geliebte Freunde, ich will annehmen, daß euch Mißgeschicke betroffen
haben: ich nieine, besondere Unglücksfälle. Was sollt ihr thun? Niedersitzen,
euch härmen und quälen und in Verzweiflung alles aufgeben? Gott verhüte.
Wie die Männer Judas den Gebrauch des Bogens lernten, weil sie durch den
Bogen geschlagen waren, so lernt auch ihre Weisheit von dein, was euch über«
fällt. Seid ihr vor eurem Gegner geflohen? Dann findet heraus, wo eure
Schwäche ist. Forschet und sehet. Ist es eine Sünde, der ihr nachgebt?
Ist es irgend ein Punkt, in dein ihr behutsam sein solltet, aber nicht acht ge>
habt habt? Ist es Schwäche im Gebet? Ist es Vernachlässigung des Wortes
Gottes? Ist es Gleichgültigkeit gegen göttliche Wahrheit? Ist es Kälte des
Herzens? Oder was ist es? Wenn ihr eine Niederlage erlitten habt, so ist
eine Ursache dafür da. Wenn ihr niedergeschlagen und in Not seid, sagt zu
Gott: „Zeige mir, warum Du mit mir haderst." Hat der Herr etwas wider
dich? Sei nicht zufrieden, bis du der Sache auf den Grund gekommen, und
die Wurzel herausgefunden, die so viel Galle und Wermut trägt. Ist dies
nicht die Art der Weisheit? Kann es nicht sein, daß die Ursache des Unglücks
die ist, daß Gott'nicht mit dir ist? Wie, wenn dir nichts glückt? Weun es
umsonst für dich ist, früh aufzustehen und spät aufzusitzen, und das Brot der
Sorge zu essen, da Gottes Hand gegen dich ist? Wie, wenn du keine Freude
an Dingen hast, die dir einst Befriedigung gewährten, weil Gott dich als
Ziel für seine Pfeile gesetzt und sie im Zorn auf dich richtet? Es mag so
Der Gebrauch des Vogens. , 47Z

sein. Oder vielleicht bist du überhaupt noch keins von seinen Kindern, und
Er mag dich hin- und Herwerfen wie einen Vall, daß du niemals Ruhe findest,
bis du demütig kommst, zu Christo schreist und Barmherzigkeit von seiner Hand
suchst. Forsche und siehe zu, ob es so ist. Es nützt nichts, dich über das
Mißgeschick zu quälen; ergründe die Ursache desselben. Strebe die Lektion zu
lernen, die es dich lehren soll. Ist irgend eine geheime Sünde an dir?
Vielleicht mögt ihr, wenn ihr auf die Niederlage blickt, den Weg zum
S i e g e l e r n e n . David war der Meinung, wenn sie durch den Bogen ge»
schlagen wären, könnten sie noch durch den Bogen gewinnen. Es ist recht,
von unsren Gegnern zu lernen. M a n kann etwas vom Satan lernen. Wenn
er umhergeht, laßt uus fleißig sein; wenn er suchet, welchen er verschlinget,
laßt uns suchen, welchen wir erretten können; uud wenn er sorgfältig wacht,
unsre schwache»! Seiten auszuspüreu, laßt uns die beobachten, denen wir zum
Segen werden möchten, um herauszufinden, wie wir am bestell ihre Herzen
erreichen können. Mancher ist durch Armut reich gewordeu, durch Krankheit
gesund uud durch Erwecknng des Sündenbewußtseins heilig. Als er nieder«
geworfen war, schrie er zu Gott, und Gott richtete ihn auf. Wehe dem
Mann, der „die Nute nicht höret, und Den, der sie verordnet hat." (Micha 6, 9
n. der engt. Üb.)
Ich bete, daß ihr fleißig die Lektion lernet, die jedes Mißgeschick lehren
will. Kann ein Unglück, das eine Gemeinde und christliche Leute trifft, uicht
ein N u f zum H a n d e l n — zum a l l g e m e i n e n H a n d e l n für sie sein?
S a u l hatte ein kleines stehendes Heer und übte nicht das ganze Volk zum
Krieg ein; aber David sagt: „ich will meinen ganzen eignen Stamm den
Gebrauch des Vogens lehren." Nun, wann immer eine Gemeinde träge, matt,
stumpf zu werden beginnt — und viele Gemeinden neigen sich nach dieser
Richtung hin — wenn jedermann zu schlafen scheint und des Pastoren Predigt
eine Art geheiligten Schnarchens ist und der ganze Gottesdienst in Schlummer
getaucht, was ist dann zu thun? Dann ist die Zeit, die Kinder Judas den
Bogen zu lehren und sie alle zu heiligen Unternehmungen aufzuwecken. Sagt
ihnen: „ I h r müht nicht einige wenige das Werk thun lassen, sondern alle
müssen es thun. I h r müßt alle den Gebrauch des Bogens lernen." Es war
der Nuhln der mährischen Brüder, daß alle ihre Mitglieder Missionare waren;
und das sollte der Nuhm jeder Gemeinde sein: jeder Mann, jede Frau, jedes
Kind sollte Anteil nehmen an dem Kampf für Iesum. Dies ist mit Gottes
Gnade die Heilung für geistliche Schwäche: lehrt das Volk den Gebrauch des
Vogens.
Laßt uns Lehren aus unsrer Niederlage entnehmen. Laßt uns von der
Sünde, die uns niedergeworfen, lernen, zu Gott, dem Mächtigen, zu schreie»,
daß Er uns aufrecht halte. Wenn uns zu dieser Zeit gerade etwas Großes
474 Alttestamentliche Bilder.

mißlungen ist, so laßt uns größere Sorgfalt lernen: wenn wir geirrt haben,
laßt nns lernen zu wachen. Bekennt nicht mürrisch: „Ich habe Unrecht ge«
than;" sondern bereut es und bittet Golt um Gnade, daß ihr in Zukunft auf»
recht gehalten werden möget, wie Petrus, der nach seinen! Fall stärker war,
als vorher, und seine Brüder stärken sollte. Was gethan ist, kann nicht un«
gethan gemacht werden, aber wir können so davon lernen, daß wir niemals
wieder etwas Ähnliches thun. Gebe Gott, daß dies der Fall sei. Wenn es
sich geziemte, könnte ich euch, heute abend ein Klagelied über die Mißgeschicke
einer Seele oder einer Gemeinde singen; aber ich glande, ich würde nicht halb
so viel Gutes dadurch thun, als wenn ich euch antreibe, den Bogen zu lernen,
d. h. eure Irrtümer zu berichtigen und eure Mängel zu ergänzen.

III.
Nun noch eine dritte Lehre. G i n edles D e n k m a l f ü r einen
F r e n n d ist es, seine Tugenden nachzuahmen. Wie erhellt das alls
dem Text? Nun, so: Als Jonathan und David eine Zusammenkunft hatten,
wurde bestimmt, daß Jonathan gewisse Pfeile schießen sollte; es ist klar, daß
Jonathan ein Mann war, der den Gebrauch des Vogens liebte; und obgleich
sein Vater ihn nicht in weiterem Umfang bei dem Heer einführte, so war doch
Jonathan sehr geübt darin. „Wohlan," spricht David, „zum Andenken all
Jonathan wollen wir, anstatt ein großes Denkmal aufzurichteu, die Kinder
Illdas den Bogen lehren." Kommt, Brüder, laßt dies eller Denkmal für
enren teuren Vater sein, — wenn er ein Kind Gottes war, seid ihm gleich.
Wenn ihr das Gedächtnis eurer geliebten Mutter ehren wollt, zeigt die
Tugenden, die in ihr glänzten. Jenes liebliche Kind ist zum Himmel ge»
gangen und kann nie vergessen werden, und sein Bild hängt überm Sofa.
Ich meine jenes teure Kindchen, das von Jesu sang, als es starb: wenn ihr
die Erinnerung daran über alles Vergessen Hillalls bewahren wollt, dann liebt
seinen Heiland und geht dorthin, wo es hingegangen ist. Kein Andenken ist
passender als Nachahmung: seid selbst das Denkmal, indem ihr alles, was gut
ill dem Abgeschiedenen war, an euch selber darstellt.
Wie besonders wahr ist dies in Beziehung auf unsren göttlichen Herrn!
Ich sehe die Romanisten beständig Kreuze an den Wegen aufstellen, und zu-
weilen sind an diesen häßliche Abbildungen eines Menschen, der den Tod der
Kreuzigung erleidet, und es sind Nägel und Schwamm und Speer und ich
weiß nicht was da. Dies entsteht alls einem natürlichen Wunsche, das An-
denken des gekreuzigten Erlösers zu verewigen; aber du wirst viel besser thun,
lieber Vrnder, wenn du selbst mit Christo gekreuzigt wirst und in deiner eignen
Person jene göttliche Selbstverleugnung, jene segensvolle Liebe, jene erhabene
Heiligkeit darstellst, die in I h m sich findet. Manche Leute bauen eine Kirche
Der Gebrauch des Bogens. 475

und wenden viel an Architektur. Ich will sie nicht verurteilen, denn ihre
glänzende Freigebigkeit mag etwas von dem Geiste jenes Weibes an sich haben,
das ein Glas mit köstlicher Narde zerbrach und des Heilandes Füße salbte;
aber ich »lochte daran erinnern, daß es ein besseres Denkmal ist, wenn wir
in unsrem Innern durch die Kraft des Geistes Gottes einen Christns-ähnlichen
Charakter aufbauen, als das beste Stück der Baukunst, das je zusammengefügt
ist, sein kann. Wie wenn ihr den größten Bildhauer arbeiten ließet, und er
mit geschickter Hand den Marmor gestaltete, bis er mit dem Leben wetteiferte?
Würde nicht das Denkmal hanvtsächlich das Gedächtnis des Künstlers erhalten
und die Leute mehr an die Köstlichkeit des Werkes, als an irgend etwas andres
erinnern? Hingegen wenn ihr selbst, nicht in Marmor, sondern in lebendigem
Fleisch das Bild Christi werdet, so werden die Menschen euch „wohl keimen,
daß ihr mit Jesu gewesen seid" und von I h m gelernt habt, und dies wird
I h n am besten im Gedächtnis erhalten. Wenn wir thun, was Christus unter
den Umständen gethan haben würde, werden wir I h m ein besseres Denkmal
errichten, als Reichtümer je kaufen können. Als David diese Männer
den Bogen lehrte, konnten sie jedesmal, wenn sie den Pfeil auflegten,
Jonathans gedenken; und jedesmal, wenn ein Regiment Schützeil durch
die Straßen zum Schießplatz zog, brachten sie Jonathan dem Volke in
Erinnerung. David führte diese Form der königlichen Artillerie ein, damit
das Gedächtnis Jonathans erhalten bleibe. Und ihr, lieben Freunde, jedesmal
wenn ihr gehorsam und eifrig im Dienste Gottes thätig seid, wie Jesus es
war, erinnert ihr die Menschen an Iesum, und sie sprechen: „Gott hat diese
Menschen in die Welt gesetzt, um Zeugen für Christus zu sein und seinen
Namen auf der Erde lebendig zu erhalten. Sie sind ein Segen, weil Jesus
sie geseguet hat." Ich möchte so euch alle anspornen, alle Tage eures Lebens
zu versuchen, so zu leben und Gott zu dienen, daß der Name Jesu Christi in
dieser Nation lebendig bleibt und ill der ganzen Welt.

IV.
Zuletzt, und nur auf eium Augenblick, ich denke, daß die Form, welche
dieser Militärbefehl annahm, die Kinder Judas den Bogen zu lehren, heute
abend allegorisch auf euch angewandt werden kann, lieben Freunde. E s ist
e i n g r o ß e r V o r t e i l f ü r G l ä u b i g e , den G e b r a u c h des S o g e n s i m
Geistlichen zu l e r n e n . Es ist der Bogen des Gebetes da. Sein
Gebrauch ist noch nicht veraltet; aber ich wünsche, wir alle verständen es viel
besser, als wir es thun, die „Pfeile des Heils vom Herrn" zu schießen. Vor
alters suchten heilige Männer einen Pfeil aus, und wenn sie ihn gewählt,
wußten sie ihn zu gebrauchen. Sie wußten, wessen sie bedurften und sie
beteten darum. Sie paßten den Pfeil der Sehne an, d. h., sie nahmen
476 Alttestamentliche Bilder.

Gottes Verheißung, die Verheißung, die ihrem Wunsche entsprach, und indem
sie beides einander anpaßten, zielten sie gerade zum Himmel auf und be>
obachteten den Flug ihres Vittpfeils. Sie wußten, zu wen« sie beteten und
weshalb sie erwarteten, erhört zu werden; und deshalb spannten sie den
Bogen des Gebetes mit all ihrer Kraft. Als der Mann Gottes auf des
Karmels Spitze ging und dort seinen Bogen nahm und ihn spannte, war
nicht zu befürchten, daß er sein Ziel verfehlen würde; oder wenn vielleicht der
Pfeil nicht Kraft genug hatte, spannte er den Bogen ein zweites M a l , und
ein drittes M a l , nnd ein viertes M a l , und ein siebentes M a l , bis er zuletzt
das Ziel erreichte. Er wollte nicht von seinem Wachturm herabsteigen, bis er
wußte, daß der Pfeil seines Gebetes in den Himmel gedrungen sei. I n allen
Zeiten der Trübsal ist das, was not thut, daß die Männer Judas den Bogen
des Gebetes zu brauchen verstehen.
Ich habe mehr Glauben am Gebet, als an Polizei und Gefängnisse.
I n jeder Zeit öffentlichen Unglücks sind die Männer, welche das Volk retten,
die Männer des Gebets. Was, nicht die weisen Staatsmänner? Gewiß, weise
Staatsmänner, aber wer macht sie weise? Gott hat Macht über alle Gemüter,
und in Erhörung der Gebete von der Kanzel mag Er das Gemüt der Staats»
manner lenken. Aus einer niederen Hütte mag ein Schrei zu Gott aufsteigen,
der auf den Ministerpräsidenten herabkommt und seine Gedanken lenkt. Er<
innert euch daran, was die Königin Maria zu sagen pflegte, als sie das
Papsttum wieder in Schottland einführen wollte. Sie sagte, sie fürchtete die
Gebete des J o h n Knox mehr als alle Armeen, welche die schottischen Großen
zusammenbringen könnten. Sie hatte diesmal recht. Wenn die Menschen
das Gebet übersehen, so übersehen sie die größte Wirkungskraft in nienschlichen
Angelegenheiten. Der geheimnisvolle Stab Gottes ist in der Hand manches
Mose noch unter uns, ein Stab, der Israel Sieg und Amalek Niederlage
bringt. Die Stärke der Gemeinde liegt nicht in der Beredsamkeit der Kanzel,
sondern in der Beredsamkeit des Kämmerleins. Die Gemeinde Gottes, die
am »leisten für die Welt thun wird, ist die, die am meisten bei Gott thnt.
Der kann die Menschen für Gott regieren, der von Gott für die Menschen
regiert wird: wer seine Seele Gott hingibt, damit Gott seinen Willen auf
sein Leben schreibe, ist der mächtige Mann. Der, ill den» der Wille Gottes
durch den Heiligen Geist gewirkt ist, und der I h n wiederum iu brünstigem
Gebet herausarbeitet, ist der Mann, der ob Fürsten und Machthaber es nicht
wissen, doch dem Steuer der Angelegenheiten näher sitzt, als sie. Ich könnte
einen Trauergesang über das Wehe Irlands schreiben und über die Sünden
der Menschen und die Übel der Zeiten; aber ich möchte euch lieber den Bogen
des Gebetes lehren; denn alsdann, wenn ihr ener Verlangen hinauf zum
Herrn senden könntet, würde mancher Segen auf das Land kommen und die
Der Gebrauch des Bogens. 477

Gegner des Herrn würden entmutigt werden, und friedliche und glückliche
Tage würden anbrechen.
Vielleicht spreche ich zu einigen hier, die nichts von Beten wissen. Ich
glaube, der Vruder ist hier, der eine Predigt hörle, die, wie ich fürchte, eine
etwas wilde war. I n dieser Rede sagte der Prediger zu allen seinen Hörern,
wenn sie zn Hause gingen und Gott um etwas bäteu, würde der Herr es
ihnen geben. Ich kann einer so milden Behauptung nicht beistimmen. Indes,
dieser Mann meinte, da der Prediger es gesagt, sei es wahr, und da er nie
zuvor im Leben gebetet hatte, stellte er die Probe in betreff eines gewissen
Ereignisses a n ; und dieses kam, wie er es gewünscht. Da begann er zu zittern,
denn er schloß daraus, daß es sicher einen Gott gibt. Nun, ich sage nicht zu
euch, lieben Hörer, daß ihr alles empfangen werdet, was ihr im Gebet bittet.
Ich wollte das nicht zu euch Ungöttlichcn sagen. Aber ich sage, wenn ihr um
Gnade und Errettung und ewiges Leben bittet und um irgend etwas, das
gläubigen Sündern verheißen ist, so sollt ihr es haben. Ich wünsche, ihr
machtet den Versuch, denn ihr würdet finden, daß der Herr nie eine Ver»
heißung bricht. Wenn ihr eine Verheißung leset, die dein Sünder gegeben ist,
so ist sie euch gegeben: geht hin, macht sie geltend, und der Herr wird sie er»
füllen. Ich will Bürge für I h n sein, daß Er sein Wort halten wird. Ver>
traut I h m und versucht es, und lernet so den Gebrauch des Vogens.
Gott segne euch uin Christi willen. Amen.
478 Alttestamentliche Bilder.

32.

Die Spottrede des Sarkasnms und


die Entgegnung der Frömmigkeit.
„Da aber David wiederkam, sein Haus zu segnen, ging ihm
Micha!, die Tochter Sauls, heraus entgegen; und sprach: Wie herrlich
ist heute der König von Israel gewesen, der sich vor den Mägden
seiner Knechte entblößet hat, wie sich die losen Leute entblößen. David
aber sprach zu Micha! : Ich will vor dem Herrn spielen, der mich er»
wählet bat vor deinem Vater und vor allem seinem Hause, daß Er
mir befohlen hat, ein Fürst zu sein über das Volk des Herrn, über
Israel: Und will noch geringer werden, denn also, und will niedrig
sein in meinen Augen, und mit den Mägden, davon du geredet hast,
zu Ehren werden." 2 Sam. 6, 20—22.

^)hr werdet euch an die merkwürdige Stelle der Heiligen Schrift er«
innern, die ich euch heute morgen erzählte; wie David einmal versuchte, die
Lade Gottes von Kiriath Iearim nach Jerusalem zu bringen; aber, Gottes
Gesetz vernachlässigend, setzte mau die Lade auf einen Wagen, statt sie auf den
Schultern der Leviten tragen zu lassen; und da ein Irrtum sehr bald zu
einen« andren führt, so streckte Usa die Hand aus, als die Rinder stolperten,
um die Lade zu halten, daß sie nicht falle, und Gott schlug ihn uni seines
Irrtums willen, nnd er starb. Es war ein furchtbarer Anblick. Der Puls
dieser ungeheuren Versammlung, der in feierlicher Freude schlägt,stocktplötzlich.
Die Posaune, die eben noch ihren fröhlichen Ton erschallen ließ, nnd die
heilige Musik der Harfen, Psalter und Zimbeln, — alles verstummt in einem
Nu. Traurigkeit und Schrecken ergreift die Seelen aller. Sie trennen sich
und gehen heim; die Lade wird in ein nahes Privathans gebracht, die
Wohnuug jenes ausgezeichneten Knechtes Gottes, Obed>Edoms, und bleibt dort
drei Monate lang. David ermannte sich zuletzt, und nachdem er sorgfältig
Gottes Gesetz über die Wegftthrung der Lade gelesen, ging er zum zweitenmal
Die Opottrede des Sarkasmus uud die Eutgeguung der Frömmigkeit. 479

Hill zum Hause Obed-Edollls, Ulli sie zu holen. Diesmal heben die Priester die
Lade auf ihre Schultern vermittelst goldner Stangen, die durch goldne Ringe
gingen und so die Lade aufrecht hielte«. Als sie fanden, daß sie nicht ge-
schlagen wurden, sondern am Leben blieben und im stände waren, die Lade zu
tragen, hielt David inne und brachte dem Herrn ein Opfer. Dann zog er
sein königliches Gewand aus, legte seine Krone beiseite, kleidete sich wie ein
Priester und zog einen leinenen Leibrock all, um desto freier in den Be-
wegungen zu sein, die er auszuführeu gedachte; und so mitten unter dein
Volke, den Ärmsten und Geringstell unter ihnen gleich, ging er vor der Lade
her, spielte die Harfe uud tanzte mit aller Macht vor dem Herrn. Während
er dies that, ging er an seinem Hause vorüber, uud Michal, sein Weib, die
aus dem Feilster sah, fand es seltsam, den König ein so ärmliches Kleid,
einen leineneu Leibrock, tragen zu sehen. Sie wollte ihn lieber in einem kost«
lichen babylonischen Gewand von feinem Stoffe erblicken oder wünfchte ihn ill
seinen gewöhnlichen Kleidern zu sehen, nnd sie verachtete ihn in ihrem Herzen,
und als er hineinkam, war das erste Wort, das sie aussprach, eiue Spötterei:
„Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen!" dann übertrieb sie,
was er gethan; ihr Ärger machte sich in Sarkasmen Luft; sie behauptete, daß
er schlimmer gehandelt, als er gethan haben konnte. Er hatte einfach seine
Pruukgewänder abgelegt und wie alle übrigen gehandelt, indem er vor Gott
spielte. Sie beschuldigte ihn der Unanständigkeit; dies war natürlich nur eine
erbärmliche Satyre, da er in allen Dingen tadellos gehandelt, wenn auch
demütig gleich allen andren. Seilte Antwort war von uugewöhnlicher Schärfe.
Selten schien er die Geduld zu verlieren, aber in diesem Falle that er es, halb
wenigstens. Seine Entgegnung war: „Es war vor dein Herrn, der mich er»
wählet hat vor deinen: Vater uud vor allem seinem Haufe." So erinnerte
er sie bezeichnend gewissermaßen vorbedeutend an ihren Stammbaum. Uud
weil sie ihren Ehemann verachtet hatte, als er im Dienste Gottes nach den
Geboten seines Herzens handelte, legte der Herr einen Fluch auf sie — den
größten Fluch, den ein orientalisches Weib nur kennen konnte — einen Fluch
überdies, der die letzte verschwindende Hoffnung ihres Familienstolzes alls«
löschte — sie blieb kinderlos bis all den Tag ihres Todes.
Wohlan, dies Vild ist bestimmt, uns eine heilsame Lehre zu lehren.
Ich möchte, daß ihr es betrachtetet. I h r erinnert euch an den alten Spruch:
„Wenn wir zu viel Freude habeu, so ist eine Gefahr nahe." Wenn ich
David tanzen sehe, so bin ich gewiß, daß binnen kurzem es duukel i n seinem
Herzen werden wird. Wie glücklich sieht er aus I Sein ganzes Gesicht strahlt
vor Frenden l Mich dünkt, ich höre ihn lauter als alle andren in der Menge
jauchzen: „Singet dem Herrn, singet I h m Psalmen; singet I h m ; singet I h m ;
rufet seinen heiligen Namen a n ; " und dann erweckt er alle Saiten seines
480 Alttestamentliche Bilder.

Herzens zur Begeisterung und siugt wiederum: „Singet dem Herrn; kommt,
singet Ihm, singet Psalmen seinem Namen." Vielleicht war er nie in einer
heiligeren Aufregung; seine Seele glühte; er war in einer Flut himmlischer
Freude. Ah! David, irgendwo ist ein Stachel für dich. Jetzt ist Stille da,
aber ein Sturm erhebt sich.
„Jene Stille furcht' ich mehr,
Als der Stürme wildes Heer."

Diese Freude ist an der Schwelle eines Kummers. Er segnet das Volk.
Nachdem er mit seiner Verehrung Gottes aufgehört, teilt er einem jeglichen
einen Laib Brot, ein Stück Fleisch und ein Nößel Wein ails, uud sie essen
alle und sind fröhlich vor ihrem Gott; uud nun spricht David: „Ich habe
das Volk gesegnet; ich habe sie alle froh gemacht, ich will ill mein Haus
gehen uud es auch segnen." Aber an der Schwelle tritt ihm sein eignes
Weib entgegen und spöttelt in sarkastischer Weise über ihn: „Wie herrlich ist
heute der König von Israel gewesen." Der arme David ist zornig, tief
gekränkt uud traurig. Seilte Freude ist auf eine Zeitlang in die Winde
zerstreut; obwohl er sie mit Tadel zurückwies, so giug ihm doch sicher die
Ironie durchs Herz; die Freude dieses Tages war sehr getrübt.

„Ein Christ genießt nicht lang' der Freud'.


Es folget schnell ein Leid dem Leid."

So sagt der alte V u n y an; und wir mögen mit Wahrheit sagen, wenn
wir auf dem Gipfel eines Verges sind, so sind wir nicht weit von dem Gruude
eiues Thales. Wenn wir.auf der Höhe der einen Welle daherfahren, so wird
es nicht lange währen, bis wir in der Tiefe der andren sind. Bergauf und
bergab ist der Weg zum Himmel. Buntscheckig muß unser Pfad sein. Goldene
Fäden sind in schwarzen Gruud gewoben. Wir sollen Freude haben, aber
wir müssen Leid haben, wir sollen Wonne haben, aber wir müssen Trübsal
im Fleisch haben.
Heute abend will ich erstens über Davids P r ü f u n g sprechen; zweitens
über die Rechtfertigung seines Verhaltens; und drittens über seinen
edlen Entschluß; und mein Hauptzweck ist, euch alle anzuregen, weu» ihr
je eiller ähnlichen Prüfung unterworfen werdet, seinen Entschluß zu fassen,
und ihn auf seinen Grund zu stützen.

I.
Zuerst, D a v i d s P r ü f u n g . Seine Prüfung war eine besondere. Sie
kam von einer Seite, wo er sie am wenigsten erwartete. „O," sagt sein
alter Meister, „Ioab stach Abner unter seiner fünften Nippe; es gibt manchen
Die Spottrede des Sarkasmus und die Entgegnung der Frömmigkeit. 481

Mann, der auch in feiner Nippe gestochen wird." Ein andrer sagt: „Es ist
eine feltfame List Satans, eines Mannes Kopf mit seinen eignen Knochen zu
zerbrechen, und doch hat mancher Mann eitle so rauhe Behandlung erfahren.
Die, welche die beste Frende unsrer Herzen sind, sind oft die Mittel, uns den
tiefsten Schmerz zn verursachen." Ist nicht für manche christliche Frau ihr
Mann der größte Feind ihrer Religion gewesen, und hat nicht mancher christ-
liche Mann gefunden, daß die Gefährtin seines Herzens das größte Hindernis
auf feiuem Wege zum Himmel war? Ich will euch nur einige Bilder geben,
die, wie ich weiß, vorgekommen sind nnd jeden Tag vorkommen — sie werden
für eurer einige passen. Ein Mann Gottes ist im Hause des Herrn gewesen.
Es war etwas Großes dort im Werk: er half in dem Werke, aber als er zu
Hanfe kam, war Micha!, Sanls Tochter, da und sagte: „ D u bist wahnwitzig,
wirklich, du bist verrückt; du weißt nicht, was du mit deinem Gelde machen
sollst; dn gibst es hierfür und dafür, nnd deine Kinder werden Vettler sein.
D u bist ein Narr," sagte sie, „du bist getäuscht, deine Religion hat dich wahn»
sinnig macht." Der Mann ließ es hingehen und trug es geduldig, obgleich
es in sein Herz drang und er sich sehr betrübt abwandle. Ein andres Bild —
diesmal eine Frau. Sie ging hinauf zum Hause der Brüder ihres Herrn,
und sie waren fröhlich und voll Frenden an diesem Ort. I h r Herz ward
hoch gehoben, und auf dein Heimwege war unaussprechliche Seligkeit in ihrer
Seele. Sobald sie in die Thür trat, ward die Frage gethan: „Weshalb
kommst du so spät zu Hause? — Warum bliebst du nicht die ganze Nacht
weg? D u siehst so fröhlich aus. D u bist gewiß unter jenen frommen
Heuchlern gewesen?" Sie sagte nichts; trug es geduldig; aber der Pfeil war
in ihr Herz gedrungen, und sie fühlte es schmerzlich, daß es ihr als etwas
Unrechtes vorgeworfen ward, wenn sie ihren» Gott mit einem guten Gewissen
diente. Es gibt manchen jnngen Mann, der vor Gott tanzt mit aller Macht,
wenn er die fröhliche Votschaft des Gnadenbundes gehört hat. Er hat all
feine Sorgen und all seine Not vergessen, und vielleicht ist es diesmal sein
eigner Vrnder, der, wenn sie sich zur Ruhe begeben, ihn verlacht. „Wo bist
du heute gewesen? Wie hast du deinen Sonntag zugebracht? Gewiß hast
du N. N. gehört. Was für Nutzen kannst du davon haben? Was hat er
euch erzählt?" Und dann gibt's Gelächter; kein Naine ist verächtlich genug.
Er wird ein Narr geheißen. M a n nimmt an, daß kein vernünftiger Mensch
ein Christ sein werde; an ewige Dinge zn denken, sei der höchste Grad der
Narrheit. Für eine kurze Stunde seine Gedanken von dieser armen Erde ab»
kehren und über Ewiges nachzusinnen, ist das Kennzeichen des Wahnwitzes!
Nun, nach unsrem Urteil ist der Wahnwitz auf der andren Seite. Wenn wir
die flüchtigen Dinge dieses Lebens und die Wirklichkeiten des künftigen Lebens
in der Wage des Gerichtes wagen, so findet sich der Wahnwitz im äußersten
S p u l g eon, Nltteslllmentllche Vllder. 31
482 Nlttestameiltliche Bilder.

Maße bei den Verächtern, und nicht bei uns. Die Kinder dieser Welt ver«
stehen nie die Kinder jener Welt, und sie werden es niemals; das Licht kam
in die Welt, und die Finsternis hat es nicht begriffen. Wie konnte sie es?
Wie konnte die Finsternis irgend etwas andres nnt dein Licht thnn, als ihm
widerstehen? M a n konnte nicht erwarten, daß die, welche der Sünde dienen,
diejenigen lieben würden, die der Gerechtigkeit dienen. Ö l und Wasser ver-
mischt sich nicht; Feller und Flut legt sich nie in derselbell Wiege zum Schlafen
nieder; und man kann nicht erwarten, daß jedes Knäblein (Offb. 12, 5) die
Kirche Gottes, Frieden haben und glücklich sein würde in ei nein Hause mit
jenem alten Niesen, der Kirche Satans — der Schule des Teufels. Es
müssen Kriege und Kämpfe sein, es muß Widerstand und Streit sein, so lange
es zwei Naturen in der Welt nnd zwei Arten Ntenschen gibt. Dies war also
die Prüfung, die David zu erdulde» hatte. Und ich möchte eure Aufmerksam-
keit darauf lenkeu, wie besonders scharf diese Prüfling gewesen sein muß.
Natürliche Zuneigungen sind mit tausend Fasern so in die Seele verwoben,
daß sie nicht leicht zerbrochen werden können; aber sie sind so zart wie die
feinsten Nerven und können nie verletzt werden, ohne die schmerzhafteste
Empfindung zu verursachen. Gewiß, David mußte daran denken, daß Michal
das Weib seiner Iugeud war, uud daß Freude in seinem Herzen war an dem
Tage, wo er sich mit ihr vermählte, und im Grunde warsieihm ein gutes
Weib gewesen in vieler Hinsicht. Solche Betrachtungen machten ihre Ent«
fremdung von ihm nur um so härter zu tragen. „ O , " mochte er sagen, „sie
rettete mir einst das Leben mit Gefahr ihres eignen, als ihr Vater Saul ge-
sagt hatte: .Bringet ihn herauf zu mir mit dem Bette, daß er getötet werde/
Ließ sie mich nicht durchs Fenster hernieder und legte ein Bild ins Bett mit
einem Netz von Ziegenhaar und täuschte ihren Vater, damit ich entrönne?"
„ A h , " sagte er: „es war Liebe in dieses Weibes Busen, und wie lange blieb
sie treu, während ich auf den Bergen wie ein Rebhuhn gejagt wurde!" Es
ist wahr, er hätte sich ins Gedächtnis rufen können, daß sie in stillen
schlimmsten Zeiten ihn vergessen hatte; aber nun war sie zu ihm zurück-
gekommen, und er liebte sie aufrichtig; denn ihr wißt, als Abner Friede mit
David machen wollte, war die Bedingung, daß er sein Angesicht nicht sehen
sollte, er brächte denn zuvor Michal zu i h m ; er hatte also eine tiefe Zu-
neigung für sie, und sie hatte ihm Gutes erwiesen. Doch ist die Freude
seines Herzens jetzt die Feindin seiner Seele geworden. Sie ist es, die nun
über ihn lacht wegen dessen, was er in dem reinen Verlangen, Gott zu dienen
und mit heiliger Freude gethan hat. Ach, das ist der unfreundlichste Stich
unter allen; das schneidet einem Manne ins Herz, wenn die, die er liebt und
die seiner ganzen Liebe würdig ist, nichtsdestoweniger ihm seinen Eifer für
Christum vorwirft! A h ! Brüder, es ist eine schöne Sache, wenn wir in
Die Spottrede des Sarkasluus uud die Ettta.ea.uuug der Frömmigkeit.

unsren verwandtschaftlichen Verhältnissen uns znsaulmen freuen können, wenn


Mann und Weib sich gegenseitig auf dem Wege zum Himmel helfen. Es
kann keine glücklichere Lage geben, als die eines christlichen Mannes, der bei
jedem heiligen Wunsch, den er für Gottes Sache hat, eine Gehilfin findet; der
findet, daß sie ihm oft zuvorkommt, daß, wenn er etwas thuu will, sie ihm
noch mehr vorschlägt; wenn er seinem Meister dienen will, so deutetsiedarauf
hin, daß noch mehr gethan werden könne, und kein Hindernis wird ihm in
den Weg gelegt, vielmehr jede Hilfe erwiesen. Glücklich ist dieser Mann und
gesegnet ist er. Er hat einen Schatz von Gott empfangen, dessen gleichen nicht
für Diamanten gekauft und um feines Gold nicht eingewechselt werden kann.
Dieser Mann ist von dem Höchsten gesegnet; er ist des Himmels Günstling
und mag sich der besonderen Huld seines Gottes freuen. Aber wenn es
anders ist, und ich weiß, das ist bei einigen von euch der Fall, dann ist es
in der That eine schwere Prüfung. Vielleicht sieht sie, obgleich ein sorgsames,
vorsichtiges, kluges und treffliches, weltliches Weib, die Dinge des Reiches
Gottes, die du liebst, nicht ebenso an wie du, und wenn dn etwas gethan
hast, was in dem Übermaß deines Eifers dir nur gering scheint, so hält sie
es für uuangemessen und übertrieben. „ O , " sagt sie, „gehst du hin, um mit
diesen Leuten zu verkehren? Trägt der König David einen leinenen Leibrock
wie ein Bauer? Setzest du dich nieder bei diesem gemeinen Pöbel? D u ? D u
kannst deine Würde behaupten — ein „Hochwohlgeboren" vor deinem Namen
sehen und doch auf der Straße mit jedem Bettler gehen, dersicheinen Christen
zu nennen beliebt. D u , " sagt sie, „ d u , der so vorsichtig in allen andren
Dingen ist, du scheinst den Kopf verloren zu haben, wenn du an deine Religion
denkst;" so ist sie sarkastisch und schießt Worte gleich Pfeilen ans dich ab, so
daß ein jedes von ihnen eine Wunde verursacht. Und nun laß mich hier
sagen, daß öfterer ein Mann so gegen seine Frau handelt und noch öfterer
zwei Lehrlinge oder Arbeiter gegeneinander. Es ist eine sonderbare Sache,
daß, wenn Menschen zur Hölle gehell, niemand da ist, dersieaufhält. „Macht
Platz, macht Platz, öffnet den Schlagbaum: tretet beiseite, laßt keinen Hund
ihm im Wege sein! Macht Platz für i h n ! " I s t dies nicht der Ruf der
Welt? Aber hier kommt ein Mann, der znm Himmel gehen w i l l : „Versperrt
seinen Pfad; werft ihm Steine in den Weg; versperrt ihn, macht es ihm so
schwer, wie nur möglich!" J a , und gute Leute auch, gute Leute, die nicht
wissen, was sie thun — sie werden vom Satan gebraucht, uns auf dem Weg
zum Himmel zu hindern. Arme Seelen; sie wissen es nicht besser. Satan
fährt in sie hinein und hetzt sie gegen uns auf, zu sehen, ob sie mcht in der
einen oder andren Weise unsre Lauterkeit bestecken können, weil wir das ganze
Evangelium lieben uud nicht damit zufrieden siud, nur einen Teil zu haben.
Ah, Brüder und Schwestern, dies ist eine schwere Prüfung, aber wisset, daß
31*
484 Alttestamentliche Bilder.

eure Anfechtungen nicht seltsam oder ungewöhnlich sind; dieselben Leiden er«
gehen über eure Arüder in der Welt.
II.
Ich will mich nun von der Vetrachtung des Leides wegwenden, und
sehen, wie David es aufnimmt und dawider kämpft. Wir haben Davids
Prüfung gehabt: nun wollen wir D a v i d « Rechtfertigung haben. Was
sagte er zur Verteidigung dessen, was er gethan? Er sprach: „Vor dem
Herrn, der mich erwählet hat vor deinem Vater, und vor allem seinem Hause,
daß Er mir befohlen hat, ein Fürst zu sein über das Volk des Herrn, über
Israel, ja, vor dem Herrn will ich spielen." Davids Rechtfertigung seiner
Handlungen war Gottes Erwählung seiner. Seht ihr hier «licht die Lehre von
der Erwählung? Gott hatte ihn vor ihrem Vater Saul erwählt. „Nun,"
sagt David, „da ich durch besondere Liebe und göttliche Gunst aus den ge>
meinen Leuten erhoben, und zum König gemacht wurde, will ich mich einmal
wieder zu deu gemeinen Leuten herunterbegeben, ich will meinen Gott preisen,
wie sie es thun, gekleidet in ihre Gewänder, will tanzen, wie sie tanzen, und
auf der Harfe spielen, wie die übrigen in der fröhlichen Menge es thun."
Dankbarkeit war der Grnndton seiner Gottesverehrung. Möge der Weltling
zu dem Christen, der seinen! Herrn treu ist, sagen: „du bist enthusiastisch;"
unsre Entgegnung ist: „Ja, wir sind es;" wir mögen für enthusiastisch gelteu,
wenn ihr uus nach gewöhnlichen Regeln beurteilt, aber wir sind nicht so zu
beurteilen; wir erwägen, daß wir mit einer besonderen Liebe geliebt worden
sind; daß es Gott gefallen hat, nns unfre Sünden zu vergeben, uus in seiner
unumschränkten Gnade anzunehmen, und uns die Vorrechte seiner Kinder
zu geben.
„Von Gott geliebt, da singen wir
Voll Tank I h m unsre Lieder;
Erwählt, noch ey' die Welt begann.
Erwählen wir I h n wieder."
Wir erwarten nicht, daß gewöhnliche Menschen für Gott thun sollten,
was der Ehrist thut. „Nein," sagt er, „ich liebe viel, weil mir viel vergeben
ist, ich bin ein Wunder der Gnade." Wenn er mehr für Gottes Sache gibt,
als es andren Menschen einfällt, zu thnn, fo scheint es ihm immer noch sehr
wenig, denn er spricht:
„War' alles Gold der Erde mein,
Tas war' ein Opfer viel zu llein,
Denn seine Lieb', so staunenswert.
Mein Herz und Secl' und all begehrt."

Michal mag sagen, daß wir wahnwitzig gehandelt haben; sie würde
ebenso handeln, wenn sie fühlte, wie wir fühlen. Weltmenschen mögen sagen,
Die Spottrede des Sarkasmus und die Entgegnung der Frömmigkeit. 485

daß wir ungereimt handeln, und über die Regeln der Klugheit hinausgehen;
sie würden auch über die Regeln der Klugheit hinausgehen, wenn sie
an derselben Liebe teil gehabt hatten, und gleiche Gnnst empfangen. Der
Mann, der fühlt, daß er von Gott erwählt ist vor der Grundlegung der
Welt, der eine feste Überzengung hat, daß seine Sünden alle ansgetilgt sind,
daß er Gottes Kind ist, daß er „angenommen ist in dem Geliebten," daß sein
Himmel sicher ist, — ich sage, es ist nichts übertrieben, was der Mann thun
könnte. Er geht hin und wird ein. Missionar für die Heiden, fährt über das
Meer, nimmt sein Leben in die Hand, und lebt inmitten einer heidnischen Be-
völkernng. Die Menschen sagen: „Wozu? Er kann nur eine kümmerliche
Besoldung erhalten, sein Leben zu fristen, nachdem er die schönsten Aussichten
aufgegeben hat; er mnß wahnwitzig sein." Für wahnwitzig mögt ihr ihn ohne
Zweifel halten, wenn ihr urteilt, wie Micha! urteilte, aber wenn ihr erwägt,
daß Gott ihn erwählt hat, und ihn mit einer besonderen Liebe geliebt, so ist
es nur vernünftig, sogar welliger, als man hätte erwarten können, daß ein
solcher Mann bereit ist, sich für Christum zu opfern. Nehmt ein andres Bei-
spiel. Laßt mich ein Bild hcransschneiden alls der Lebensbeschreibuug eines
Mannes in vergangenen Jahren. Er predigt in einer Kirche zu Glasgow; er
ist eben in die Gemeinde eingeführt, Beförderung steht ihm offen, er kann
bald zum Bischof gemacht werden, wenn er will, er sncht es nicht. Ohne
Mitra oder Pfründe steht er unter freiem Himmel, geht an alle Zäune und
Hecken des Landes, so daß er überall ein Landprediger ist und nirgends ein
ansässiger Geistlicher. Er wird mit fauleu Eieru beworfen, einmal wird mitten
in der Predigt seine Stirn von einem Stein getroffen, während er die Herzen
der Menschen zu treffen sucht. Warum thnt er dies? Man sagt, er sei
fanatisch. Weshalb hatte W h i t e f i e l d nötig, dies zu thun? Weshalb hatte
J o h n Wesley nötig, über das ganze Land zn gehen? Wie? Dort ist der
hochwürdige N. N. mit vierzehn Pfründen, der predigt niemals — und ist
ein guter Mann. — „ O , " sagt die Welt, „und er steht sich gut dabei, verlaßt
ench daranf." Das ist eine gewöhnliche Rede: „Er steht sich gnt dabei."
Und als er starb, stand er sich gut dabei, denn er brachte alle verleumderischen
Zungen zum Schweigen, und hinterließ nichts als einen unvergänglichen Rnf.
Als Wesley in voller Arbeit stand, sagte man: „ E r ist ein reicher M a n n ; "
nlld legte ihm schwere Steilern für sein Silberzeug auf. Er sagte: „ I h r
könnt mein Silberzeug gern nehmen, wenn ihr wollt, denn alles, was ich habe,
sind zwei silberne Löffel; ich habe einen in London und einen in Uork, und
onrch Gottes Gnade werde ich nie mehr haben, so lange es noch Anne gibt."
Aber die Leute sagten: „Seid gewiß, sie stehen sich gut dabei; warum können
sie nicht still sein wie andre Menschen?" Der einzige Grund, weshalb sie es
nicht konnten, war eben dieser: daß Gott sie erwählt hatte vor den übrigen
486 Alttestameilllichc Bilder.

Menschen; sie fühlten, daß sie besondere Gegenstände göttlicher Gunst seien,
und sie kannten ihre Berufung: sie sollten nicht nur selbst gesegnet sein,
sondern auch ein Segen für audre werden. Was andre Menschen nicht thun
konnten oder nicht thun wollten, das thaten sie; sie konnten nicht ruhen, ehe
sie es gethan; sie konnten wie David vor der Lade tanzen und ihre amtliche
Stellung herabwürdige»; sie konnten die feine Würde eines Pfarrers soweit
vergessen, daß sie wie Marktschreier auf den Jahrmärkten oder vor den Neil»
schulen standen; sie konnten heruntersteigen auf die Bretter der Bühne, uni
das Evangelium zu predige»; sie schämten sich nicht, dem David zu gleichen,
„sich vor den Mägden ihrer Knechte zu eutblößen, wie sich die losen Leute
entblößen": sie hielten all diese Schande für Ehre und all diese Schmach für
Ruhm; und sie trüge» es alles, denn ihre Rechtfertigung lag darin, daß sie
glaubten, Gott hätte sie erwählt; und deshalb erwählten sie, um Christi willen
zu leiden, lieber, als ohne Christum zu herrschen.
Und nun, Brüder und Schwestern, ich sage euch dies: wenn ihr denkt,
daß Gott ench erwählt hat, und doch nicht fühlt, daß Er Großes für euch
gethan oder ein starkes Anrecht auf eure Dankbarkeit hat, dann scheut das
Kreuz. Wenn euch nie viel vergeben worden ist, dann klettert über den
Stegel und geht den grünen Weg hinab in die „Nebenpfad-Wiefe," es geht
sich angenehm dort, wandert ihn entlang. Wenn ihr dem Herrn Jesu Christo
nicht viel schuldig seid, meidet seinen Dienst, geht in einen Winkel, wenn die
Posaune bläst uud sagt Michal, es thäte euch sehr leid, daß sie Mißfallen an
euch gehabt. Sprecht: „Ich will uie so etwas wieder thun, glaube mir, es
thut mir leid, daß du es nicht magst; ich hoffe, du wirst mir jetzt vergeben;
da ich glaube, daß Religion etwas ist, womit man andren sowohl als sich
selbst gefallen foll, so will ich nie wieder vor der Lade tanzen." Thut das
jetzt, wenn ihr keine große Verpflichtung gegen den Vater aller Geister habt
und nie die erwählende Liebe Gottes in enrer Seele emvfuuden. Aber, o
meine lieben Brüder, einige von euch sind bereit, von ihrem Sitze aufzu-
springen und zu sagen: „Nun, ich bin nicht der Mann," und gewiß, als
euer Pastor kann ich auf manche voll euch blicken, denen viel vergeben worden
ist. Vor nicht langer Zeit wäret ihr bis an den Hals in Trunkenheit; ihr
konntet Gott lästern. Vor nicht sehr langer Zeit triebt ihr vielleicht Unredlich-
keiten und tratet nie in das Haus Gottes ein. Einige von ench waren leicht-
sinnig, lustig, sorglos, Verächter Gottes, ohne Hoffnnng, ohne Christus, Fremde
in dem Reiche Israel. Wohl, und was hat euch hierhergebracht? Die un-
umschränkte Gnade hat es gethan; ihr würdet nicht hier sein, wenn ihr euch
selbst überlassen gewesen wäret, wenn Gott für euch nicht mehr gethan, als
für andre, ihr wäret dann in derselben Bahn wie früher weiter gegangen.
Nun find die Fensterladen verschlossen; jener Lade», der den ganzen Sonntag
Die Sftottrede des Sarlasmus und die Entgegnung der Frömmigkeit. 487

über offen zu sein pflegte, ist zu. Nun sind die Pfeife und das Bier oder
die feineren Zerstreuungen, die mit fünf oder sechs lustigen Gefährten den
ganzen Solmtag'Nachmittag auszufüllen pflegten, hinweggethan, und die Bibel
ist nun da, und Gebet ist uun da, und das Schwören wird nicht mehr gehört
wie früher. Ich nehme all, ihr schreibt diese Änderung des Charakters
der unumschränkten Gnade zu. Tann ist die empfangene Barmherzigkeit eine
vollständige Rechtfertigung für alles, was ihr im Dienste Gottes thun könnt,
für jedes Entzücken, das ihr fühlt, wenn ihr I h n anbetet, und für jedes
Übermaß von Freigebigkeit, das ihr zeigen mögt, wenn ihr das Reich eures
Herrn und Meisters weiter ausbreiten wollt. Wenn die Gemeinde dies ein-
mal fühlte, welchen Einfluß würde sie ausüben! Wahrlich, ich darf fagen ohne
die geringste Schmeichelei, daß ich nie auf der Erde Leute angetroffen habe,
die einen völligeren Glauben an diese Thatsache hatten, die mehr dieser Lehre
gemäß lebten, daß, von Gott erwählt und mit einer besonderen Liebe geliebt,
sie Außerordentliches thun müßten, als die, deren Pastor ich bin. Ich bin oft
auf meine Kniee gefallen, um Gott zu danke» für die wuuderuollen Dinge,
die ich einige ^der hier anwesenden Christen habe lhun sehen. I m Dienste
Gottes sind sie über alles hinausgegangen, was ich hätte erbitten können.
Ich meine, sie hätten mich für unvernünftig gehalten, wenn ich das verlangt
hätte. Sie haben es, ohne darum gebeten zu fein, gethan. Ans die Gefahr
hin, alles zu verlieren, haben sie ihrem Meister gedient, uud nicht nur alles
gegeben, was sie entbehren konnten, sondern im Dienste Jesu selbst das ent-
behrt, was sie kaum entbehren konnten. Sie haben gesellige Annehmlich'
keit und persönliche Bequemlichkeit aufgegeben, um ihrem Meister zu dienen.
Solche Brüder werden ohne Zweifel ihren Lohn empfangen, und wenn man
von ihnen sagen sollte: „ E s ist lächerlich, es ist abgeschmackt, sie werden von
fanatischem Eifer fortgerissen," so lege ich diese Antwort in ihren M u n d : „ J a ,
ich würde lächerlich sein, ich würde abgeschmackt sein, wenn ich Gott nicht
mehr verdankte, als i h r ; aber Er hat mich so geliebt, daß ich I h n nicht genug,
uud noch weniger zu viel lieben kanu; Er hat mich i l l solchem Maße geliebt,
daß ich nicht zu viel fiir I h u thun kann; in der That, ich fühle, daß ich nicht
halb genug zu thun vermag." Da ihr besonders ausgezeichnet worden seid,
habt ihr Gott auch besouderen Dienst erwiesen, und Gott segne euch dafür; ja.
Er segnet euch darin. Solcher Art war Davids Rechtfertigung.

III.
Nicht welliger unsrer Beachtung wert ist sein E n t s c h l u ß , von dem ich
jetzt ill der Kürze sprechen will. Was sagte er? Zog er sich zurück und
handelte er als Feigling, beugte er seinen Rücken der Geißel des Tadels und
488 Alttestamentlichc Bilder.

gab die Ausschreitungen seiner Andacht auf? Nein, er sprach und sprach freimütig:
„Ich will noch geringer werden denn also und will niedrig sein in meinen
Augen" 2c. Gott gebe, daß eller Entschluß derselbe sein möge. Wann immer
die Welt euch tadelt, sagt: „Wohl, ich danke dir für das Wort, ich will
streben, es besser zu verdienen; wenn ich mir durch meiue Festigkeit dein Miß«
fallen zugezogen habe, so will ich noch fester sein und du sollst noch mehr Miß«
fallen empfinden, wenn du willst. Wenn es ein Geringes ist, Christo zu
dienen, so will ich I h m mehr dienen, als ich je gethan habe und noch geringer
werden; wenn es schmachvoll ist, unter die Armen, Geprüften und Leidenden
gezählt zu werden, so will ich Schmach wählen. J a , je mehr Schmach ich
leide, desto glücklicher will ich sein; ich werde fühlen, daß Schmach Ehre ist,
daß Schimpf Nuhm ist, daß Schmähung uud Verspeien von den Lippen der
Feinde dasselbe ist, wie Preis und Nuhm von dein Munde Christi." Statt
nachzugeben, geht vorwärts, zeigt euren Feinden, daß ihr kein Zurückgehen
kennt, daß ihr nicht voll dem weichen Metall dieser neueren Zeit gemacht seid.
Ein alter Schriftsteller sagt, ill alten Zeiten hätten die Menschen für ihre
Häuser zu sorgen gepflegt, aber jetzt sorgten die Häuser für die Menschen; sie
pflegten aus eichenen Schüsseln zu essen und waren eichene Männer; aber jetzt
feien es Weiden-Männer, diesichüberall biegen könnten; es seien irdene Männer
die in Stücke zertrümmert werden könnten. I n Politik, Geschäft, Religion
habt ihr kaum einen Mann. I h r seht eine Menge Dinge, die Männer ge-
nannt werden, die sich nach der Seite hin drehen, voll welcher der Wind
weht; eine Anzahl Prediger, die sich nach Norden, Süden, Osten und Westen
drehen, gerade wie die Zeit es erheifcht und die Umstände und die Hoffnung
auf Gewinn sie treiben. Ich bitte Gott, ein paar Männer zu senden, die das
in sich haben, was die Amerikaner „^rit." („Grics" oder „Kies") nennen;
Männer, die, wenn sie wissen, daß eine Sache die rechte ist, sich nicht weg«
wenden, zur Seite wenden oder innehalten; Männer, die nur um so beharrlicher
sind, wenn Schwierigkeiten im Wege stehen oder bekämpft werden müssen;
die um so treuer zu ihrem Herrn halten, wenn man sich ihnen widersetzt; die,
je mehrsieills Feuer geworfen werden, desto heißer werden; die gerade wie der
Bogen, je weiter die Sehne gespannt ist, desto kräftiger die Pfeile versenden,
und je mehr sie niedergetreten werden, desto mächtiger in der Verteidigung
der Wahrheit gegen den I r r t u m werden. Faßt den Entschluß, Brüder und
Schwestern, wenn ihr irgend welche Verfolgung leidet, derselben mit vollem
M u t gegenüberzutreten. Gleich einer Nessel ist der Verfolger; berührt sie
fanft und sie sticht euch, aber greift sie fest an, nnd sie verletzt euch nicht.
Faßt die an, welche euch widerstehen, nicht mit roher Rache, sondern mit dem
starken Griff ruhiger Entscheidung, und ihr habt den Sieg gewonnen. Gebt
keinen Grundsatz auf, nein, nicht eines Haares Breite von einem Grundsatz.
Die Spottrede des Sarkasmus uud die Entgegnung der Frömmigkeit. 489

Steht auf für jedes einzige Korn der Wahrheit; streitet dafür wie für euer
Leben. Gedenkt an eure Vorväter, nicht bloß an eure christlichen Vorväter,
fondern an die, welche eure Vorfahren in dem Glauben der Baptisten waren.
Gedenkt all die, welche vor alters mit Verachtung aus der christlichen
Kirche ausgestoßen wurden, weil sie sich nicht den Irrtümern ihrer Zeiten
beugen wollten. Denkt an den Schnee der Alpen und erinnert euch der
Waldenser nnd Albigenfer, eurer großen Vorläufer. Denkt wiederum au die
Lollharden, die Jünger W i clefs; denkt an enre Brüder in Deutfchlaud, die
vor nicht vielen Jahrhunderten in Säcke genäht wurden, denen man die
Hände abhieb, die bluteten und starben — eine Reihe voll glorreichen
Märtyrern. Euer ganzer Stammbaum, vom Allfang bis zum Ende, ist mit
Blut befleckt. Von den Tageil Johannes des Täufers all bis jetzt hat das
Himmelreich von der Gewaltthätigkeit der Menschen gelitten; und i h r ! wollt
ihr nachgeben? Sollten diese weichen Zeiten, diese sanften Jahrhunderte eure
ursprüngliche Tapferkeit hinwegnehmen — ench zn feigen Söhnen heldenmütiger
Väter machen? Nein, wenn ihr nicht zn den Leiden eines Märtyrers de»
rufen seid, so habt doch den Geist eines Märtyrers. Wenn ihr nicht, wie er,
dem Fleische nach brennen könnt, so brennt wie er im Geiste. Wenn ihr
nichts zu erdulden habt, als die Prüfung granfamm Spottes, nehmt sie ge-
duldig hin, tragt sie freudig, denn glücklich seid ihr, wenn ihr zn Teilnehmern
an den Leiden des göttlichen Meisters gemacht werdet. Niemals, ich bitte
euch, werdet ill eurem Berufe matt, sondern bringt mehr von der Liebe eures
Herzens ill den Dienst eures Lebens. Gebt nie einen Tüttel voll der Wahr»
heit auf, die Gott euch anvertraut hat, nehmt euer Kreuz auf euch und tragt
es; wie fchwcr, wie schimpflich auch, tragt es männlich. Wenn der Vater
wider das Kind erregt wird uud das Kiud wider den Vater, weint darüber
und betranert es. Wenn der Mann wider das Weib erregt wird nnd das
Weib wider den Mann, tragt Sorge, daß es nicht durch eure eigne Schuld
ist; aber wenn es um Christi willen ist, tragt es freudig, tragt es mit Wouue
nnd Entzücken; ihr seid hochgeehrt. I h r könnt nicht die Nubinenkrone des
Märtyrertums und Fellers tragen — jenes strahlende Diadem, aber ihr könnt
wenigstens ein einzelnes Juwel aus derselben erhalten; dankt Gott dafür, nnd
schellt ench nie, errötet nie, um seines Namens willen zn leiden; und gebt
jeder lachenden Micha! die Antwort: „Wenn dies gering ist, so will ich noch
geringer werden; wenn es schmachvoll ist, will ich noch mehr Schmach auf
mich laden; wenn dies dein Gelächter erregt, so sollst du lauter denn je
lachen; dir soll es nie an Gelegenheit fehlen, über mich zu fpotten, bis deine
Neigung zum Verlachen sich ändert." O, das ist eine herrliche Art, Gegner
zu behandeln. Wenn ein Löwe euch anbrüllt, blickt ihn an uud lächelt, und
er wird das Brüllen allmählich lassen. Wenn irgend ein großer Hund herläuft
490 Alttchamcntliche Bilder.

und euch anbellt, bleibt ruhig, es ist wunderbar, wie leicht er gezähmt ist.
Ich war einst im Norden Schottlands in einen: Hause, uor dem ein wilder
Hund angekettet lag. Er kam heraus und ich streichelte ihn und er schien
mich gern zu mögen. Der Hausherr trat heraus. „Gehen Sie hinweg,"
sagte er, „dieser Hund wird Sie in Stücke reißen." Ich hatte das nicht gc<
wüßt, uud als ich vorüberging, schien er zu wissen, daß ich durchaus nicht
bange vor ihm war, deshalb that er mir nichts zuleide. I n gleicher Weise
seid ihr, Christen, nicht erschreckt dnrch eure Gegner. Sie mögen heulen oder
knurren, aber bebt nicht furchtsam zurück, sie werden nur um so mehr bellen.
Beachtet sie so wenig wie möglich. Ach, die armen Geschöpfe! wohl mögt ihr
sagen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thnn." Laßt sie
einfach in Nnhe, und wenn sie die Ursache wissen müssen, so sagt ihnen, was
David der Micha! sagte: Gott hat euch erwählt, sein Lob zu verkünden.
Ich glaube wohl, daß ihr unsinnig genug in ihren Augen sein werdet. Ein
guter Freund von mir antwortete, als man ihm sagte, er sei wahnsinnig:
„ N u n , wenn ich wahnsinnig bin, so solltet ihr sehr geduldig mit mir seil,, aus
Furcht, daß ich schlimmer werden niöchte. Wenn ich jetzt wahnsinnig bin,
könnte ich vielleicht tobsüchtig werden. Deshalb seid freundlich gegen mich."
Es gibt eine Art, mit guter Laune die andren wiederum zu necken, nur muß
es ohne Bitterkeit geschehen. Sagt den Leuten, die sich unnötig an euch
ärgern, sie müßten versuchen, euch eines Bessern zu belehren; wenn ihr euch
so weit verirrt hättet, sollten sie euch zurückführe». Nach und nach werden sie
mit ihren Spöttereien aufhören und allfangen, euch zu achten. Wenn eiller
in einer Familie ist, zu dem die übrigen am meisten hinaufsehen, so ist es ge»
wohnlich derjenige, den die ganze Familie früher schmähte. Er hat das Feuer
des Widerstandes ertragen, er hat seinen Stand behauptet; und er hat die
Palme der Beständigkeit errungen. Gib einen Zollbreit nach, und du wirst
eine Elle nachzugeben haben. Weiche einen Fuß zurück, und dein Feind wird
dich austreiben. Stehe ganz still, gelassen, ruhig, mit dem Entschluß, daß du
sterben kannst, aber nicht fliehen; daß du alles leiden kannst, aber nicht deinen
Herrn verleuguen, uud dein Sieg ist gewonnen. Sei nie zornig in Wort
oder Blick; ahme in dieser Hinsicht dem Petrus nicht nach; den besten der
Menschen muß man nur so weit folgen, als sie ihrem Meister gleich sind.
„Vergeltet nicht Scheltwort mit Scheltwort." Leidet geduldig alles, was ge»
sagt wird, aber wenn ihr leidet, gebt nicht nach. Gedenkt an den Wahlspruch
der alten Märtyrer, kennt ihr ihn? Alls einigen der alten Bücher von
Märtyrern seht ihr das B i l d cilles Ambosses und mögt fragen: „Was be»
deutet dies?" Es war ein Ausspruch C a l v i n s , den er that. „ D a s Evangelium
ist ein Amboß, der manchen Hammer schon zerbrochen hat und noch viele zer<
brechen wird." Laß deinen Gegner den Hammer sein und sei du der Amboß.
Die Sftottrede des Sarkasmus nnd die Entgegnung der Frömmigkeit. 491

Der Hammer wird brechen und der Amboß fest stehen. Gedenke daran: „Wer
aber beharret bis ans Ende, der wird selig werden." — Nnn, ich denke, ich
höre einige Christen sprechen: „Diese Predigt paßt nicht für mich." Wohl,
Bruder, ich bin froh, wenn sie es nicht thut. Ich bin froh, wenn Gott dich
in eine so günstige Lage versetzt hat. Aber, o, sie paßt für viele, sehr viele;
ich sage ench denn, betet für solche, gedenket der Gebundenen als die Mit»
gebundenen. Wenn ihr im Gebet seid und Gott zu danken habt, daß ihr
Kinder frommer Eltern seid, die weit entfernt, euch zu widerstehen, alles ge-
than haben, euch zu helfen, seid dankbar dafür als ein Vorrecht, das zu
schätzen ist, weil so viele es entbehren. Es ist eine gnte Sache für einige von
euch Blumen, daß ihr in einem Treibhause wachset, wo die Luft so sehr warm
und milde ist, aber es gibt einige, die dranßen im Frost sein müssen; betet
für diese. Wenn ihr an die Schafe in der Hürde denkt, so gedenkt ja auch
derer, die draußen in der Wüste dem heranziehenden Schneesturm ausgesetzt
sind, vielleicht begraben in einer Schlucht und nahe daran, zu sterben. Denkt
an sie. I h r mögt annehmen, es gebe wenig Leiden für Christum jetzt. Ich
spreche, was ich weiß — es ist noch immer sehr viel Leiden da. Ich meine
nicht Brennen, ich meine nicht Hängen; ich meine nicht Verfolgung durchs
Gesetz; es ist eine Art langsamen Märtyrertums. Ich kann ench sagen, wie
es ist. Alles, was ein junger Mann thut, wird ihm vorgeworfen. Dinge,
oie an sich harmlos und gleichgültig sind, werden zu einer Anklage gegen ihn
verdreht; wenn er spricht, werden ihm seine Worte vorgehalten; wenn er
schweigt, so ist es schlimmer. Was er anch thut, es wird falsch dargestellt,
und vom Morgen bis zum Abend ist immer Stichelei da. Alles, was gegen
seinen Prediger gesagt werden kann, wird gewöhnlich benutzt, weil die Welt
weiß, daß es den Gemeindegliedern, wenn sie Liebe zu ihrem Prediger haben,
sehr weh thut, wenn man ihn tadelt; es werden Andeutungen über die Beweg»
gründe des Predigers gegeben und allerlei auch über das Volk Gottes gesagt;
einer sagt, der Pastor sei ein Ja- nnd Nein«Prediger; ein andrer sagt, er sei
zu hoch in der Lehre; einer beschuldigt ihn der Scheinheiligkeit; ein andrer
klagt ihn der Lauheit an. Ach, Brüder, ihr braucht euch nicht zu fürchten;
ihr könnt für die Wahrheit zeugen, was immer auch gcfagt wird; ihr müßt
den Verlenmder tragen, und mit Gcdnld tragen. Wenn man euch etwas vor-
wirft, steht dennoch für euren Herrn Iesmn auf. Ich bitte euch nicht, für
mich anfzustehen; ihr werdet das thun, weiß ich. Steht auf für euren Herrn
und Meister; gebt keinen Zollbreit nach, und der Tag wird kommen, wo ihr
Ehre haben werdet, selbst in den Augen derer, die einst in der Welt über ench
lachten und euch Schmach bereiteten.
Ehe ich schließe, laßt mich noch ein oder zwei Worte im allgemeinen zu
dieser ganzen Versammlung sagen. Es sind drei Arten Menschen, die mein
492 Alttestamentliche Bilder.

Text nnt eiuem finsteren und erschreckenden Stirnruuzeln anblickt. Zuerst fmd
diejenigen da, deren Lippen schnell sich auswerfen, deren Gesicht stets zum
Hohnlächeln bereit ist, deren Zunge stets rasch zum gemeiuen Scherz ist, wenn
der Dienst Gottes ihren Pfad kreuzt. Ich sage euch nur, hütet euch, daß
dies nicht über ench komme: „ E r wollte dm Fluch habe», der wird ihm auch
kommen; er wollte des Segens nicht, so wird er auch ferne von ihm sein."
Zweitens sind diejenigen da, welche bis zn einem Pnnkt die Verehruug Gottes
uud den Dienst der Gemeinde begünstigen. Aber es kommt eine Zeit außer«
ordentlichen Dienstes, eine Erweckung, die ungewöhnliche Energie verlangt;
und beinahe, ehe sie selber dessen gewahr werden, hat der Widerwille ihres
Herzens einen starken nnd unfreundlichen Ausdruck gefnnden. Nun laßt mich
euch auf Sauls Tochter hiuweiseu und ench daran erinnern, wie sie in einer
Stunde ihre Abstammung bewies, ihre Zugehörigkeit zu einer Familie, die
Gott verworfen hatte, darthat und ihr eignes, nnwiderrnfliches Schicksal be«
siegelte. Dann drittens ist der Vekenner der Religion da, dem bei Davids
Prüfung Davids Festigkeit fehlt. Habe ich den Samen evangelischer Wahrheit
weit umher uuter euch ausgestreut und ist keiner auf das Steinichte gefallen?
I h r mögt das Wort gehört uud alsbald mit Freuden es aufgenommen haben;
und ihr mögt eine Weile beharren, obgleich ihr „keine Wurzel iu euch selber
hattet." Aber laßt mich euch fragen, wenn Trübsal oder Verfolgung sich er-
hebt um des Wortes willeu, ärgert ihr euch daun? Wird es euch eiu Stein
des Anstoßes? Wenn das, so ist euer Fall ein beklagenswerter. Schlagt ihr
den ersten Hauch des Spottes mit leichtfertiger Zuugc zurück? Hörte ich, daß
ihr ueulich sagtet: „ O , ich bekenne mich zu uichts; ich gehe mir dann und wann
in jene Kapelle, um deu Prediger zu hören; ich mag ihn wohl leiden." A h !
jnnger Mann, laß dein Gewissen dir bezeugen, daß du iu uuwürdiger Weise
zurttckbebst. D u magst dich znerst nur ein wenig verstellen, aber wenn dn
feige genug bist, dich zu verstellen, so magst dn binnen knrzem uugläubig
genug sein, abzufallen. Brüder und Schwestern in dem Herrn, „stehet in einem
Geist und mit einer Seele kämpfet für den Glauben des Evangeliums und lasset
euch in keinem Wege erschrecken voll den Widersachern. Denn euch ist gegebeu
um Ehristi willeu zu thun, daß ihr nicht allein an I h n glaubet, sondern mich
uni seinetwillen leidet." Amen.
Davids Bleiben zu Jerusalem. 493

33.
Davids Bleiben zu Jérusalem.
„Und da das Jahr uni kam, zur Zeit, wen» die Könige Pflegen
auszuziehen, sandte David Ioab und seine Knechte mit ihm, nnd das
ganze Israel, daß sie die Kinder Ammons verderbeten, und belagerten
Rabba. David aber blieb zu Jerusalem." 2 Sam. 11, 1.

3 e r letzte Satz enthält einen so bedeutsamen Umstand, daß der Heilige


Geist ihn zweimal erwähnt hat. I n der Parallelstelle in den Chroniken findet
ihr eine Wiederholung dieser Angabe: „David aber blieb zu Jerusalem." Es
war bisher seine Gewohnheit gewesen, an der Spitze seiner Truppen zu
marschieren. Der König Israels war der Oberbefehlshaber der Heere des
Herrn und entflammte durch Thaten persönlicher Kühnheit das Nationalgefühl;
aber bei dieser Gelegenheit überträgt er, wie ihr bemerkt, seine Macht dem
Ioab, und sucht unrühmliche Gemächlichkeit. Uns wird gesagt, daß die Zeit
gekommen war, wenn die Könige auszuzieheu pflegten — wahrscheinlich der
Frühling, wenn die Pferde durch Furage unterhalten werden konnten, uud
die Armeen, falls eine lange Belagerung nötig war, sich vor die Stadt legen
konnten mit der Aussicht auf den kommenden Somnier nnd die reifende Ernte.
Es war eine große Angelegenheit, denn warum hätte er sollst das ganze
Israel mit Ioab senden sollen? Ein großer Krieg war unternommen, und
sehr wichtige Interessen standen auf dem Spiel. Dies macht es um so welliger
entschuldbar, daß der König, als seine Gegeilwart besonders notwendig war,
sich von seinem eigentlichen Posten fern hielt. Wir denken nicht eben, daß
Staatsgeschäfte seine Anwesenheit in Ienisalein erheischten. Keine Empörungen
wurden ausgebrütet; das ganze Land war ruhig und alle Stämme unter»
warfen sich freiwillig seiner Herrschaft. Es scheint nicht nach dem Zusammen'
hang, daß David irgendwie mit Staatssachen beschäftigt war; denn ihr findet,
daß er um den Abend voll feinem Vette aufsteht. I m Gegellsatz zu der
härtereu Sitte, an die er sich in frühereu Tagen gewöhnt, legte er sich nach
494 slltlestameutliche Bilder.

seinem Mittagsmahl nieder und schlief, bis die Sonne unterging; und wenn
er aufstand, war es nicht, um den Armen zu helfen oder Gericht zu halten,
sondern um auf dem Dach des Hauses umherzuschlendern; uud da, als er
müßig war und seine Rüstung abgelegt hatte, traf ihn der Pfeil. Als er
nichts Gutes zu thun hatte, suchte der Feind ihm ein schreckliches Werk alls;
denn der Versucher stellte ihm eiue auziehende Versuchung vors Auge, ill die
er eilte wie ei» Vogel ill die Schliuge oder ein Ochse zur Schlachtbank. Gut
wäre es für den König David gewesen, wenn er sich in der Schlacht befunden;
er würde daun diese Versuchung nicht gekannt haben. Wahrscheinlich wäre
er, wenn sich dieselbe ihm dargestellt hätte, so mit kriegerischen Sorgen be»
schäftigt gewesen, daß er ihr nicht zum Opfer gefallen wäre. Trägheit war
die Mutter des Unheils, uud wenn ihr die faule Missethai, die den Namen
Davids zu eiller besonderen Zielscheibe für alle Feinde des Herrn gemacht
hat, bis auf ihreu Grund verfolgt, so werdet ihr fiuden, daß sie sehr damit
zusammenhing, daß er nicht zum Kampfe auszog, als das Land es erforderte,
als die Zeit es gebot und keine Staatsgeschäste seine Abwesenheit rechtfertigten.
I h r werdet leicht das Thema meiner Rede ersehen. Zuerst a n den
einzelnen Christen, und zweitens an die Gemeinde will ich mit Gottes
Hilfe Warnungeu richten vor der tödlichen Lethargie, die uns so leicht de-
schleicht und uns in eine Lage bringt, ill der wir von der Versuchung rasch
angegriffen und leicht überwunden werden können.

I.
I n dir, Srudev in Christo, spreche ich persönlich.
Laßt mich eure besondere Aufmerksamkeit alls die Zeit richten, zu welcher
diese Versuchung zur Trägheit über David kam. Brüder, David weigerte sich
nie, in den Kampf zu ziehen, so lange er von seinem Gegner Saul verfolgt
wurde. So lange er wie ein Nebhuhn auf den Bergen gejagt wird, ist
Davids Charakter fast fleckenlos uud sein Eifer unvergleichlich. I l l seiner
Religion war große Energie, so lange in seillein Leben großes Leid war; aber
jetzt ist eine Stunde der Prüfling da, Saul ist tot, uud der letzte seines Ge-
schlechts ißt demütig das Gnadenbrot an Davids Tisch. Der Sohn Isais ist nicht
mehr gezwungen, auf deu Pfaden der wilden Ziegen zu wandern oder sich in
den Höhlen von Engedi zu verbergen; sein großer Gegner ist schon lange
durch die Pfeile der Philister auf deu Bergen Gilboas gefallen; aber ein ver«
stohlener Feind lauert im Hinterhalt, — wehe dir, David, wenn er dich be»
siegt! Ah l Christ, es ist eine gefährliche Zeit für dich, wenn die Versuchung
aufgehört hat, dich zu plageu, wenn der Satan dich i l l Frieden gelassen und
wenn du den Fuß auf den Nacken des Gegners gesetzt hast; wenn der Sturm
sich in Schlummer gelullt, wenn eine Totenstille an die Stelle des furchtbaren
Davids Bleiben zu Jerusalem. 495

Orkans getreten; dann ist die Zeit, wo es nötig ist, acht zn haben, denn deine
Seele »nag ihre frühere Kraft und Wachsamkeit verlieren nnd du magst in
Gleichgültigkeit und Laodicäische Lauheit herabsinken. So lange der Teufel
dich rechts nnd links angreift, wirst du schwerlich im stände sein, ans dem
Lager fleischlicher Sicherheit zn ruhen. Der Höllenhund hält dich wach dadurch,
daß er dir in die Ohren bellt; aber wenn er mit dem Heulen anfhört, werden
deine Allgenlider schwer werden, falls die Gnade Gottes es nicht verhindert.
Wenn dll dura) wütende Allgriffe der Hölle nicht mehr auf deine Kniee gc<
trieben wirst, so hast du vielleicht die weit schrecklicheren Prüfungen des „ver>
zauberten Vodens"'-') zu bestehen und wirst Ursache genug haben, auszurufen:
„Herr, laß mich nicht schlafen, wie andre es thun, sondern laß mich wachen
und nüchtern seilt."
Ferner, David hatte zu dieser Zeit die Krone erlangt, lind sie saß weich
und sicher auf seinem Hanvte. Lieben Freunde, weit entfernt, die volle Zuver«
ficht des Glaubens zu unterschätzen, wissen wir, daß sie unsre Stärke und
Ullsre Freude ist; aber es ist cille Versuchung damit verknüpft. Der Christ
ist geneigt zu sagen: „ N u n bin ich errettet, ich habe keinen Zweifel daran;
denn die Krolle meines Heils umgibt mein Haupt ganz königlich." Gläubiger,
sei auf deiner Hut, denn die nächste Versuchung wird sein: „Seele, habe gute
N u h ' ; das Werk ist gethan; du hast es vollendet; nnn falte die Hände; sitze
still; alles wird gut enden; warum brauchst dll dich so zu plagen?" Nimm
dich in acht in den Zeiten, wo dll keine Zweifel hast. „Wer da stehet, der
sehe wohl zu, daß er nicht falle." Ich aber sprach, da mir's wohl ging: „ I c h
werde nimmermehr danieder liegen. Denn, Herr, durch Dein Wohlgefallen
hast D u meinen Berg stark gemacht; aber da D u Dein Allgesicht ver«
bärgest, erschrak ich." Danke Gott für volle Gewißheit deines Gnadellstandes;
aber gedenke daran, nur sorgfältiger Wandel kann sie bewahren. Volle Ge-
wißheit ist eine unschätzbare Perle; aber wenn jemand ein köstliches Kleinod
hat und alls die Straße geht, so sollte er sich sehr vor Taschendieben fürchten.
Wenn der Christ volle Gewißheit hat, so mag er sicher sein, daß alle Teufel
der Hölle versuchen werden, ihm dieselbe zu ranben. Möge er deshalb mehr
auf feiller Hut fein, als zuvor. Die Versuchung für die völlig gewissen
Gläubigen ist die, auf dem Thron niederzusitzen und zu sagen: „ I c h werde
allezeit in meiner Herrlichkeit sitzen und kein Leid sehen; ich brauche nicht
mehr hinauszuziehen, um des Herrn Kriege zu führen."
Doch ferner: es scheint, daß David zu dieser Zeit auf der Höhe seines
Glückes war. Er war ungefähr fünfzig Jahre a l t ; sein Jubeljahr war ge-
kommen und alles ging jubilierend. Woran er seine Hand legte, das gedieh.

*) B u n y a n s Pilgerreise. A. d. Üb.
496 Nlttestamentliche Bilder.

„Moab ist mein Waschtöpfen; meinen Schuh strecke ich über Edom; Philistäa
jauchzet zu mir." Er konnte sich außerordentlich rühmen, denn Gott war in
allen seinen Wegen mit ihm. A h l lieben Freunde, wenn es einen« Christen
gut geht, so ist es eiue schlimme Zeit für ihn, falls er nicht ans seinem Wach-
türm steht. „ I n allen Zeiten unsres Wohlstandes erlöse uns, Herr unser
Gott." Wenn ein Mann arm ist, wenn er krank ist, wenn seine Vermögens»
Verhältnisse unsicher sind, so hat er Gnade nötig. Aber wenn er reich ist,
wenn sein Geschäft blüht, nnd seine Familie gesund ist, nnd alles gut
steht, daim hat er Gnade anf Gnade nötig. Es ist schwer, an hohen Orten
zu stehen; der Kopf wird schwindlig, wenn man hinabblickt. Es ist nicht leicht,
einen vollen Becher mit einer festen Hand zu tragen. Sanfte Pfade sind
schlüpfrige Pfade. Hüteu wir uns, damit wir nicht wie Israel, wenn wir
satt und fett werden, uns von Gott abwenden und seinen Bund brechen.
Sommerwetter erzeugt Fliegen; schönes Wetter in der Seele bringt die Übel
uud Schäden unsrer Nalnr hervor. Die Wärme brütet die Vasilisken»Eier
aus, und die Wärme des Wohlergehens bringt die jungen Schlangen der
Sünde zum Vorschein. Sehet zu, daß ihr nicht wie David euch weigert, in
die Schlacht zu ziehen, weil es in der Welt euch wohl gehet.
Was die Gefahr noch größer machte, David hatte jetzt die Gelegenheit,
allen Lnxns des Lebens zu genießen. Er hatte einen Palast mit allem Zn»
behör orientalischer Pracht. Er war nicht mehr der niedere Hirte, der eine
Brotrinde aus seiner Hirtentasche zog, nicht mehr der Anführer einer geächteten
Schar, der Beistand voll so filzigen Landbesitzern wie Nabal suchen mußte.
Das Felt des Landes war sein; das Ö l wie Wasser, die Weinberge Ephraims,
das Korn Judas nnd die Köstlichkeiten, die aus der Ferne, von Turns und
Sidon, gebracht wurden, alles war sein; er konnte sich in Purvnr und feine
Leinwand kleiden nnd alle Tage herrlich und in Frenden leben: da war's, wo
seine Seele mager ward, während das Fleisch sich gütlich that. Fette Pferde
wollen zuweilen nicht arbeiten; zu gut gefütterte Vögel wollen nicht singen;
und so geschieht es, daß, wenn wir die Reichtümer der Erde frei genießen
können und die Segnungen der göttlichen Vorsehung alls dem Füllhorn gött»
licher Freigebigkeit ansgcschüttct sind, uns weigern, des Herrn Werk zu thun
und wie David nicht in den Kampf auszuziehen.
Lieben Frennde, ich weiß, daß meine Predigt auf einige von cnch An-
wendung findet. Ich wollte, ich könnte die einzelnen so klar abzeichnen, daß
sie nicht andren den Tadel zuweisen könnten, der fiir sie selber bestimmt ist.
Es ist eine wohlbekannte Thatsache, daß manche Leute, wenn sie reich an
Gold werden, arm an Gnade werden, Sie steigen in den Augen der Welt
und sinken in der Schätzung ihres himmlischen Herrn. Dinge, welche die
Gläubigen fröhlich unternahmeu, als sie klein in Israel wareu, können sie
D a v i d s B l e i b e n zu Jerusalem. 497

nicht mehr ansehen, nachdem sie groß unter den Einwohnern Zions geworden
sind. Gewisse Leute schämen sich, wenn sie Equipage halten können, die
Kapelle zu besuchen; sie müssen zu einem respektableren Ort der Gottes«
Verehrung gehen. Die Wahrheit war respektabel genug für sie, als sie dieselbe
lieb hatten; aber jetzt haben sie die Ehre bei den Menschen lieber als Christum;
sie können ihr Gewissen blenden, und sich mit weltlichen Gemeinden verbinden,
die Architektur, Gelehrsamkeit und Pomp mehr lieben, als Wahrheit und
Heiligkeit. „Gott gebe," sagte einer von W e s l e y s Nachfolgern, „daß die
Methodisten niemals reich werden;" und ich denke, ich kann wohl sagen, Gott
gebe, daß die Baptisten es nie werden. O Herr, gib ihnen weder Armut noch
Reichtum, aber besouders, laß sie nicht zu „respektabel" werden, sich mit den
Armen des Landes zu vergesellschaften! Es gibt einige von e.nch, die, als sie
sich mit der Gemeinde verbanden, so eifrig waren, wie sie nur sein konnten;
nnd wo sind sie jetzt? Es sind einige, die sich bei der Gebetsstunde aus»
zeichneten; wie oft sehen wir sie jetzt? Sind nicht viele von uns so geizig in
dl's Herrn Sache, als wenn sie keinen Strohhalm sich um dieselbe kümmerten?
I h r werdet sagen, ich sei persönlich. Brüder, ich beabsichtige es zu sein, und
ich wünsche es zu sein; und wenn ihr fühlt, daß ener Fall ein solcher ist, so
dankt Gott aufrichtig, daß der Tadel euer Herz trifft, statt durch denselben be»
leidigt zu werden; bessert euch ernstlich, seid nicht mehr träge uud schläfrig,
sondern um Dessen willen, der euch mit einer ewigen Liebe geliebt hat, werfet
eure Seele noch einmal wieder in seine Sache hinein, und geht aus, des
Herrn Kämpfe zu führen. Hillweg mit eurer weichlichen Ruhe und eurem
gemächlichen Schlummer. Herr, wecke uns auf durch einen Donnerkeil vom
Himmel! Wenn Christen die Lehre gelernt haben uud allfangen, das Aus»
üben derselben zu vergessen; wenn sie etwas oberflächliche Erfahrung haben
und denken, daß sie die Leute sind, mit denen die Weisheit aussterben wird;
wenn sie die Schüchternen und die zerbrochenen Herzens sind, verachten, dann
ist nur ein Schritt zwischen ihnen und dem Falle. O ihr, die ihr in solchem
Zustande seid, ich warne euch feierlich. Ich blase heute Alarm in Zion.
Stehet auf! stehet auf! ihr Schlummernden auf eurem weichen Lager; denn
wenn ihr jetzt schlummert, so werdet ihr eiues Tages erwachen und euch am
Rande des Verderbens finden, und nur die unumschräukte Gnade Gottes wird
euch zurückbringen, wie sie David zurückbrachte, und euch noch einmal auf den
rechten Weg führen, um mit zerbrochenen Gebeinen bis zu eurem Grabe zu
wandern und über eure Sünde Leid zu tragen.
Beachtet, meiue Brüder, daß es gewisse Tendenzen gibt, welche die Ge>
fahren einer solchen Lage noch vergrößern; und wenn der Christ nicht sehr
wachsam ist, ihn in Davids Laster der Trägheit hineinleiten werden. Brüder,
was winde das Fleisch bei einigen von uns thun, als uns, wenn wir ihm
S p u r g e o n , Alttestamentliche Bilder. 32
498 Alttestllmentliche Vilder.

seinen Willen ließen, so träge machen wie Salomons Faulen? Ich bekenne,
daß vielleicht kein lebender Mensch eine stärkere Versuchung zu völligen! Müßig»
gang hat, als ich, obgleich ich kein Prahler bin, wenn ich sage, daß ich so
schwer arbeite, wie irgend einer in beiden Hemisphären. Ach! dieser Leib der
Sünde und des Todes, es ist schwer für einen Mann, dem Herrn recht zu
dienen, so lange er in demselben eingeschlossen ist. Brüder, ihr werdet finden,
daß nicht nur das Fleisch, sondern auch die Lüste der Seele dahin streben,
euch kalt im Werke Christi zn macheu. Enthnsiasmns in Sachen der Religion
ist nicht die Tendenz uusres Volkes; nur der Geist Gottes kann die Feuer-
zungen und das Brausen des gewaltigen Windes den versammelten Jüngern
geben. Das Fleisch lüftet beständig nach Unthätigkeit. Die inortm der
Materie erreicht ihren Höhepunkt in der Verderbnis der menschlichen Natur.
W i r erheben uusre Seelen zu Gott, aber wir fallen wiederum auf die Erde
nieder, denn unsre Natur hat mehr in sich von dein Sinken eines Mühlsteins,
als von dem Aufschwingen eines Adlers. Unser unertöteles Fleisch wird uns
träge genug machen ohne irgend einen andren Versucher.
Dann ist der Teufel da; er wird Sorge tragen, euch ein Schlummer»
lied zu singen, uud euch einzuwiegen, wenn ihr schlafen wollt, denn er liebt
es nicht, Gottes Krieger auf der Wache stehen zn sehen. Wenn sie alle
schlafen, so weiß er, daß der Krieg nicht sehr lebhaft geführt werden wird.
Eine chloroformierte Armee würde ganz ebenso nutzlos seiu, wie eine in Ketten
und Handfesseln. So lange die Schwerter in der Scheide schlafen, braucht
kein Feind sie zu fürchten. Ah, meine Mitstreiter, dies ist eine große List
Satans, und einer seiner schlauste» Kunstgriffe, uns alle in tiefen Schlaf
zu lullen.
Außerdem werdet ihr fiuden, daß die Welt eine starke Tendenz hat, euch
kalt und tot zu machen. Was fühlt ihr, Brüder, nachdem ihr ein paar
Stunden Geschäften nachgegangen seid? I s t nicht diese eitle Welt ein Feind
der Gnade? Wenn ihr nicht sehr geistlich gesinnt seid, findet ihr da nicht,
daß die Welt eine herabziehende Tendenz hat? Ich frage die Arbeiter, die
Kaufleute, die Deuker, findet ihr nicht, daß weltliche Geschäfte, falls ihr nicht
ungemein sorgsam seid, sie Gott zu weihen, eine Tendenz haben, die Gewänder
eures Priestertums zu beflecken, und euch von eurem hohen Standpunkte
herabzubringen? Die Welt ist für den Christen ein Eishaus, und er eine
zarte Pflanze, die des Gärtners besondere Sorge gewesen ist. Ich würde nichts
um den Christen gebeu, der es liebt, in weltlicher Gesellschaft zu sein. Ich
denke, wenn jemand sich ganz und gar heimisch bei uugöttlichen Menschen
fühlen kann, so muß er einer von ihnen sein; und wenn er bei bloß sittlich
Guten seine völlige Nuhe finden kann, gewiß, so kann nichts von der hohen
und strebenden Natur in ihm sein, die den echten Himmelserben eigen ist.
D a v i d s B l e i b e n zu Jerusalem. 499

Aber, Brüder, es thut mir leid, daß ich noch eins hinzufügen muß;
sogar Vergesellschaftung mit einigen Teilen der Gemeinde Gottes in ihrem
gegenwärtigen Zustande mag die Wärme der Frömmigkeit abkühlen. Die
Lethargie der Gemeinde ist vielleicht einer der größten Steine des Anstoßes
für junge Gläubige. Mich befremdet nicht die Gleichgültigkeit der Welt gegen
Religion, denn ich kann sie verstehen, aber die Gleichgültigkeit der Gemeinde
gegen den Fortschritt des Reiches Jesu ist ein Rätsel, was man nicht lösen
kam», und bei manchem jungen enthusiastischen Christen ist der edle Geist Christi
fast erstickt worden dadurch, daß er die Schlaffheit und Erstorbenheit älterer
Heiligen sähe, welche Säulen i l l dein Tempel Gottes zu sein schienen. O,
haben wir nicht unsre jungen Davide uon unsren Feinden sagen hören: „Wer
ist dieser Philister? Ich will mit ihm streiten und ihm den Kopf abschlagen;"
aber ein Veteran Eliab in der Gemeinde sprach: „Wegen deiner Vermessenheit
ulld deines Herzens Bosheit bist du herabgekommen, daß du den Streit sehest."
Wenn er vor einen Saul>artigen Pastoren gebracht wird, sagt dieser: „ W o h l ,
junger M a n n , du bist enthusiastisch, du darfst nicht versuchen, des Herrn Werk
durch den einfachen Glauben zu thun, du mußt diesen Helm aufsetzen und
diesen Speer tragen, und du mußt diese ehernen Beinschienen anlegen;" und
der arme junge Mann, der fast Enthusiasmus genug in sich hat, die Rüstung
von seinem Rücken herabzuschmelzen, muß ausziehen zn sicherer Niederlage,
da er unversuchte Waffen trägt, die sich als sein Verderben erweisen werden.
O l gebt uns die glorreichen Tage zurück, da die Gemeinde eine Feuersäule
war und jedes Mitglied eine neue Kohle, die zu der glühenden Masse gefügt
ward. Gebt uns selbst die Scheiterhaufen zurück, wenn wir die feurige
Energie der ersten Reformatoren haben könnten; laßt uns von neuem mit
Verfolgung heimgesucht werden, wenn wir nur die eifrige Verfolgung der Zwecke
und Ziele der Gemeiude Christi enieuern können; mögen unsre Feinde zornig
werden, wenn w i r nur eifrig werden.
Um schnell znm drittelt Pnnkt überzugehen. Was geschah, weil David
zn Hanse blieb? Manche Lente halten es für eine geringe Sache, nichts
für Christum zu thun; es ist eine große Sache und wird eine verdammens«
werte Sache sein, wenn Gott euch nicht Buße gibt. Was geschah, sage ich,
dein David? Nun, da er zu Hanse blieb und sich dem Müßiggang ergab,
verlor er seine Wirksamkeit und Ehre, indem er nicht mehr des Herrn
Schlachten focht; keine Triumphe wurden mehr ill dem Buche der Chronik der
Könige I u d a verzeichnet; und fogar Ioab mußte ihn am Ende des Kampfes
holen lassen, die Stadt zn nehmen, damit sie nicht nach Ioabs Namen genannt
würde. I s t es ein Geringes, wenn ein Nachfolger Christi die unsterbliche Ehre
verliert, dem Herrn zu dienen? Was thun die Menschen nicht, um Ruhm zu
gewinnen? und sollen wir, wenn er vor unsrer Thttr liegt, uns zu unsrem
32*
500 Alttestamentliche Bilder.

Lager der Bequemlichkeit wenden und uusre Ehre auf die Erde werfen? Auf,
laßt uns handeln, denn es ist keine geringe Sache, die Ehre eines treuen
Dieners Christi zu verlieren.
David verlor seine Gemeinschaft mit Gott und seine Freude. Ein
Mensch kann nicht müßig sein, und dennoch Christi liebliche Gesellschaft haben.
Christus geht rasch, und wenn die Seinen mit Ihm reden wollen, müssen sie
auch rasch gehen, sollst verlieren sie bald seine Gesellschaft. Christus, mein
Herr, geht umher und thut Gutes, und wenn ihr mit Ihm wandeln wollt,
so müßt ihr zu demselben Zwecke ausgehen. Der allmächtige Liebhaber der
Seelen ist es nicht gewohnt, mit trägen Leuten Gemeinschaft zu haben. Ich
finde in der Schrift, daß die meisten großen Erscheinungen, welche hervor»
ragende Heilige hatten, ihnen zu teil wurden, wenn sie beschäftigt waren.
Mose hütet seines Schwiegervaters Herde, als er den brennenden Busch sieht;
Iosua geht um die Stadt Jericho herum, als ihm der Engel des Herrn begegnet;
Jakob ist im Gebet, und der Engel des Herrn erscheint ihm; Gideon drischt
und Elisa pflügt, als der Herr sie ruft; Matthäus nimmt Zoll ein, als er
aufgefordert wird, Jesu zu folgen, uud Iakobus uud Johannes fischen. Das
Manna, das die Kinder Israel bis zum andren Morgen aufbewahrten, er»
zeugte Würmer und stank: müßige Gnade würde bald thä'tiges Verderben
werden.
Überdies: Trägheit verhärtet das Gewissen: Faulheit ist eins der Eisen,
womit das Herz hart gebrannt wird. Abi Melech dingte lose und leichtfertige
Leute, seiner Sache zu dienen, und der Fürst der Finsternis thut dasselbe.
O l Freunde, es ist eine traurige Sache, die Schneide von unfrer Seele ab»
rosten zu lassen und die Schärfe sittlicher Unterscheidung zn verlieren; aber die
Faulheit wird dies sicher bei uns bewirken. David fühlte die entnervende
Macht der Trägheit, er verlor die Kraft seines Gewissens und war bereit für
alles. Das Schlimmste ist nahe zur Haud. Er geht auf dem Dach seines
Hauses und sieht den Gegellstand, der seule Lust erregt; er sendet nach dem
Weibe, die That wird gethan; sie führt zu einem andren Verbrechen, er ver<
sucht Uria; sie führt zum Mord, Uria wird getötet; und er nimmt Unas
Weib. Ah, David! Wie sind die Mächtigen gefallen! Wie ist der Fürst
Israels gefallen und den losen Gesellen gleich geworden, die abends wüste
lärmen! Von diesem Tage an verkehrt sich fein Sonnenschein in Wolken, sein
Friede weicht dem Leid und er geht zum Grabe als ein von Trübsal heim»
gesuchter und bedrückter Mann, der, obwohl er sagen konnte: „Gott hat mit
mir einen ewigen Bund gemacht," doch das bedeutsame Wort vorhergehen lassen
mußte: „Obwohl mein Haus nicht so mit Gott ist." Lieben Freunde, ist hier
einer unter des Herrn Volk, der den Herrn von neuem kreuzigen und Ihm
offen Schande machen will? Ist hier einer unter euch, der wünscht, seinen
Davids Bleiben zu Jerusalem. 501

Meister zu verkaufen mit Judas oder sich voll Christo abzuwenden mit Dénias?
Es ist leicht geschehen. O, sagt ihr, ihr könntet das nicht thun. Jetzt
könntet ihr es vielleicht nicht. Werdet träge; kämpft nicht des Herrn Schlachten,
und es wird nicht nur leicht für euch werden, Sünde zu thun, fondern ihr
werdet ihr bestimmt zum Opfer fallen. O ! wie freut sich Satan, wenn er
Gottes Kinder in Sünde leiten kann; denn dann schlägt er, sozusagen, einen
andren Nagel in die blutige Hand Christi; dann befleckt er das schöne weiße
Linnen von Christi Gewand; dann rühmt er sich, daß er einen Sieg über
den Herrn Iefus erlangt und einen von des Meisters Lieblingen nach feinem
Willen gefangen geführt hat! O ! wenn wir nicht wollen, daß die Hölle von
satanifchem Gelächter ertöne und daß die Männer Gottes weinen, so laßt uns
wachen mit Gebet und steißig in unsres Herrn Werk sein, „brünstig im Geist,
dem Herrn dienen."
Meine lieben Freuude, wir ermahnen euch nicht, Christo zu dienen, um
dadurch errettet zu werden. David w a r errettet. Ich spreche nur zu euch,
die errettet sind, und ich bitte uud befchwöre euch, Davids Fall zu beachten,
und die Trägheit, welche beim Beginn desselben war, als eine Warnung für
euch. Einige Verfuchungen nahen sich den Fleißigen, aber a l l e Versuchungen
greifen die Faulen an. Beachtet die Erfindung, welche Landlente benutzen,
Wefpen zu fangen. Sie thun eil, wenig süße Flüssigkeit in eine lange
Flasche mit engem Hals. Die nichtsthuende Wespe kommt vorüber, riecht die
Süßigkeit, stürzt sich hinein und ertrinkt. Aber die Vielle kommt hinzu, und
wenn sie einen Allgenblick stillhält, um zu riechen, fo geht sie doch nicht hinein,
weil sie selber Honig zu inachen hat; sie ist zu beschäftigt mit der Arbeit fürs
allgemeine, um sich die verlockende Süßigkeit zu erlauben. Zu eiuem vuri>
tanischen Geistlichen kam einst eine Frau, die sehr versucht ward. Als er sie
über ihre Lebensweise befragte, fand er, daß sie wenig zu thuu hatte, und
sprach: „Daran liegt's, daß I h r so oft versucht werdet. Schwester, wenn I h r
sehr steißig seid, so mag der Satan Euch versuchen, aber er wird nicht leicht
obsiegen und bald die Sache aufgeben." Müßige Christen werden nicht so
sehr vom Teufel versucht, als sie ihn versuchen, sie zu versuchen. Trägheit
macht die Thür des Herzeus halb offen und bittet den Satan, hereinzukommen;
aber wenn wir vom Morgen bis Abend beschäftigt sind, so muß Satau, wenn
er herein will, durch die Thür brechen. Unter der allmächtigen Gnade und
zunächst nach dem Glauben ist kein besserer Schild gegen Versuchuug, als
„nicht träge sein in dein, was ihr thun sollt, brimstig im Geist, die Zeit aus-
kaufen." Und, lieben Freuude, laßt mich diejenigen von euch, die wenig für
Christum thuu, daran erinnern, daß ihr einst nicht so kalt wäret, wie jetzt.
Es war eine Zeit bei David, wo der Ton der Kriegstrompete sein Blut erregt
haben würde und er nach dem Kampf verlangt hätte. Es war ein Tag, wo
502 Alttestameutlichc Bilder.

der bloße Anblick Israels, das in Schlachtordnung aufgestellt war, David


kühn wie einen Löwen gemacht hätte. O, es ist eine böse Sache, den Löwen
so verändert zu sehen! Gottes Held bleibt zn Hause bei den Weibern! Es
war eine Zeit, wo du über Hecken nnd Gräben gegangen wärst, eine Predigt
zu hören und dir nie etwas daraus machtest, im Gange zu stehen; aber jetzt
sind die Predigten dir langweilig, obwohl du auf einem weichen Kissen sitzest.
Damals, wenn es eine Versammlung in einer Hütte oder eine Straßenpredigt
gab, so warst du da. „ A h ! " sagst du, „das war wildes Feuer." Gesegnetes
wildes Feuer! Der Herr gebe dir das wilde Feuer zurück; denn selbst wenn
es wildes Feuer wäre, besser wildes Feuer, als gar kein Feuer — besser ein
Fanatiker genannt werden, als verdienen, eine Drohne in Christi Bienenstock
zu heißen.
Die unter euch, dle sehr wenig für ihren Meister thun — und es sind
einige in der Gemeinde, die nicht gern von ihren: Vermögen geben, — laßt
mich euch sagen: Schämet ihr euch uicht, zu sehen, wie des Herrn andre
Diener Ihn« dienen? Als Uria zu David sprach: „Die Lade und Israel
und Iuda bleiben in Zelten; und I o a b , mein Herr, und meines Herrn
Knechte liegen zu Felde; und ich sollte in mein Haus gehen, daß ich äße und
tränke? So wahr dn lebest uud deine Seele lebet, ich thue solches nicht," da,
dünkt mich, muß der König sich sehr uugemütlich in seinem luxuriösen Müßig»
gang gefühlt haben. Was sagt ihr hierzu, eurer eiuige? I h r , die ihr einst
die vornehmsten Sünder wäret, seid nun durch die Gnade errettet; i h r habt
große Vorrechte gehabt, große Empsindnngen seiner Liebe, nahe Gemeinschaft
mit I h m — ihr seid seine Erwählten, gesalbt, vom Dunghaufen genommen
und unter die Fürsten gesetzt, nnd doch thut ihr fast nichts für Christum. O l
lieben Freuude, ich möchte nicht sowohl euch beschwören, über diese Dinge nach'
zudenken, als den Heiligen Geist bitten, euch dies ans Herz zu legen, damit ihr
nicht länger schlaft, sondern, da ihr des Tages Kinder seid, des Tages Werk
thun möget, bis der Tag endet.

II.
Ich werde nur noch einige Minnten brauchen, während ich versuche,
vom Text in seinen Beziehungen auf d i e ganze G e m e i n d e zu reden; denn
ich denke, er hat eine laute Stimme an uns alle als eine Kirchengenleinschaft.
Fremde und Mitglieder andrer Gemeinschaften müssen frenndlich vergessen, daß
sie hier sind. Ich bin nicht im Begriff, zu ihnen zu sprechen, — aber ich bin
im Begriff, zu euch zu sprechen, — den zweitausend Mitgliedern dieser Ge-
meinde unter meiner Fürsorge, zu demn ich vor allem verpflichtet bin,
persönlich und treulich zu sprechen.
Davids Bleiben zu Jerusalem. 503

Meine lieben Freunde, es scheint mir, daß für uns als eine Gemeinde
die Versuchung zur Trägheit sehr leicht kommen kann, denn wir befinden uns
in einer ähnlichen Lage wie David. Unsre Feinde verfolgen uns bei weitem
nicht mehr so als früher. Wenn das Parlament vorüber ist, so werden ge-
wisse Zeitungen uns wieder schmähen, denn wenn sie nichts andres zu sagen
haben, füllen sie die Spalten damit aus, daß sie uns schmähen. Aber es gab
eine Zeit, wo wir keine Freunde hatten. Wir blicken uugefähr acht Jahre
zurück,'") als die Kirche Christi große Scheu vor uns hatte: wir waren
Neuerer, predigten in jenen schlechten Musiksälen; es war etwas so Furchtbares,
das Evangelium da zu predigen, wohin die Leute kommen wollten, es zu
hören. Es war gegen die Gewohnheiten derchristlichenKirche, das Evangelium
den armen Sündern zu bringen; und gute Leute, heilige Leute, gottesfttrchtige
Leute dachten, daß wir Sünder über alle Sünder auf Erden seien; nnd wenn
Unfall sich ereignete, wenn der Turm zu Siloah fiel, wie deutlich wurde uns
gesagt, daß wir das Unglück verdient hätten. Damals war Hohn überall,
Karikaturen, Spöttereien, Spaße aller Art, uud ihr alle hattet zu leide»,
jeder sein Teil, mit eurem Führer. I n großen! Maße ist dies jetzt vorüber.
Die Geistlichkeit der Kirche Englands thut jetzt, was einst schimpflich war,
wenn wir es thaten. Nun hört das Theater die Stimme Christi; und hallen
die Kathedralen wieder vom heiligen Gesang — gelobt sei Gott für all
dieses! W i r genießen ein Maß von Frieden nnd haben nicht die ganze Welt
gegen uns, wie wir es einst hatten. Nun werden wir geneigt sein, die Anne
zu kreuzeu nnd zu sagen: Laßt uns zu der gemächlichen Nespektabilität andrer
Kirchen übergehen uud laßt alles wohl mit uns seiu.
Währeud dieser ganzen Zeit hat es Gott gefallen, uns mit tiefem Frieden
innerhalb der Gemeinde zu begünstigen. W i r sind durch kein Wort falscher
Lehre, kein Aufstehen von Häretikern in unsrer Mitte, keine Trennungen oder
Spaltungen gestört worden. Dies ist eine gesegnete Sache, aber doch mag
Satan es zu einer gefährlichen machen. W i r mögen beginnen zu denken, daß
wir nicht nötig haben, zu wachen, daß wir immer bleiben werden, wie wir
sind; und Diakonen nnd Älteste uud Pastor und Gemeindeglieder mögen alle
ihre Wachsamkeit aufgeben, nnd dann mag die Wurzel der Bitterkeit in dem
vernachlässigten Winkel aufschießen, bis sie zu tief sich verbreitet, als daß wir
sie wieder ausreißen können.
W i r haben als Gemeinde das große Werk vollendet, das wir uns vor-
genommen: den Van dieses Gebethauses. Und mm kommen wir zu unsrem
Platz in diesen! geliebten Hause und fühlen des Herrn Gegenwart. Aber ohne
ein großes Ziel vor unfren Augen, was gebieterisch Selbstaufopferung von

' ) Die Predigt ist aus dem Jahre 1862.


504 Alttestamentliche Bilder.

jedem von uns verlangt, wie dieses Ziel es that, ohne ein Unternehmen, an
das wir alle Hand anlegen können uud fühlen, daß wir unsren letzten'
Schilling hingeben möchten, um es glücklich hinanszuführen, sind wir geneigt,
einzurosten, uns auf uusre Waffen zu lehnen, statt sie zu gebrauchen, nnd uns
von dein Heer des Herrn zurückzuziehen, statt uns in die Schlacht zu stürzen
mit dem Iauchzeu von Männern, die den Sieg zu gewinnen denken. A h !
gebt uns all den Lärm, und die Verwirrung und den Streit zurück; laßt Ulis
wiederum die Kälte, die Härte und die üble Nachrede der ganzen Gemeinde
Gottes haben, wenn wir nur unsren ersten Enthusiasmus und unsrcn Ernst
für Christum haben könnten. Unser Werk, Männer für das Predigtamt zu
bilden, mag ein Ziel für unsren Eifer abgeben; gebe der Herr uns Eifer für
das Ziel!
Lieben Freunde, laßt mich euch mit Ernst fagen, es gibt manches, was
diefe Gemeinde einschläfern könnte. Wir kommen oft in Verührnng mit
Menschen, die sich Gläubige nennen nnd die kalt Wasser auf jede Anstrengung
gießen — die alles Thun für Christum für ein überflüssiges gutes Werk
halten, und es ist eine Tendenz in uns, mit ihnen zu gehen und zu sprechen:
„Laßt es so sein, laßt uns ruhig seiu." Es ist fast notwendig für die Ge<
meinde, daß wenigstens einmal in einen, Jahrhundert eine neue Gesellschaft
Enthusiasten in ihr aufsiehe; den» die alten Gemeinden, obwohl gut bei ihrem
Anfang, erschlaffen wie alle menschlichen Dinge in nicht langer Zeit. Wie?
Der Methodismus, obgleich noch immer sehr mächtig, hat uichts, das dein
Feuer gleicht, das es zu Wes leys und W h i t e f i e l d s Zeit hatte. Er ist
jetzt nicht mehr gleich einem großen Vnlkan, der Ströme heiligen Feuers zum
Himmel im Gebet hinaufsendet und Flüsse allverzehrender Lava in die Ebenen
der Sünde hinabgießt. Er ist respektabel geworden und gelehrt und fein.
S o mit jeder der Gemeinden. Arten sie nicht alle aus? Einerlei, ob es in
England, Amerika, Frankreich oder in der Schweiz ist, wo es auch sein mag,
es ist beständig eine niederziehende Tendenz wirksam; und wenn nicht Gott
der Heilige Geist mit unwiderstehlicher Macht dazwischen tritt, so werden w i r
als Gemeinde allgemeiner Lethargie erliegen und der Apathie anheimfallen.
Was sollen wir als eine Gemeinde also thun? Laßt uns auf unfre
Schritte acht haben, ein jeder von uns, und doppelt sorgfältig sein: laßt uns
in größerer Anzahl zum Gebet zusammenkommen; laßt einen jeden mehr und
mehr seine persönliche Verantwortlichkeit Christo gegenüber fühlen; laßt uns
die furchtbare Not dieser ungeheuren Stadt erwägen; laßt uns jede Kraft
anstrengen und jedes Mittel gebrauchen, das nur zur Wiedergeburt dieses
dunklen, dunklen Landes dienen kann. Wenn wir träge werden, wenn die
Gemeinde Christi überall träge wird, so können wir doch nicht erwarten,
daß unsre Feinde auch träge werden. Einst sprach das Licht zur Finsternis:
Davids Bleiben zu Jerusalem. 505

„Ich bin es müde, jeden Morgen meine Pfeile auf dich abzuschießen, o
Finsternis l Ich bin es müde, dich beständig nm den Erdball herum zn ver»
folgen. Ich will mich zurückziehen, wenn du es auch willst." Aber die
Finsternis sprach: „Nein, es liegt in der Notwendigkeit, daß, wenn du deine
Herrschaft aufgibst, ich sie nehme; es kann kein Waffenstillstand zwischen dir
und mir sein."
Freunde, ich kann die Mitglieder dieser Gemeinde anreden, wie ein
alter schottischer General einst seine Soldaten angeredet haben soll, als er den
Feind kommen sah. Seine kurze, kernige Rede lautete so: „Kinder, da find
sie, und wenn ihr sie nicht totschlagt, werden sie euch totschlagen." Seht, ihr
Mitglieder der Gemeinde, wenn ihr nicht Lethargie und Trägheit überwindet,
wenn ihr nicht gegen Papsttum, Unglauben und Sünde streitet, so werden sie
euch überwinden. Es gibt keine andre Wahl, als zu siegen oder zu sterben,
leben und ruhmreich sein oder schimpflich fallen. Seht, Jehovah hebt heute
sein Panier vor euren Augen auf! Schart euch darum, schart euch, fchart euch,
ihr Krieger des Kreuzes! Die Posaune schallt außerordentlich lange und laut
heute; und die Höllentrommel auf der andren Seite erschallt auch. Wer zu
zaudern wagt, der sei verflucht. „Fluchet der Stadt Meros," sprach der Eugel
des Herru; „fluchet ihren Bürgern, daß sie nicht kamen dem Herrn zu Hilfe,
zu Hilfe dem Herrn zu den Helden;" „Wer nicht für mich ist, der ist wider
mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut." Schande über euch, ihr
Gleichgültigen! Wißt ihr nicht, daß ihr entweder auf Christi Seite seid oder
soust seiue Gegner? Vorwärts! Das Treffen kommt: Vorwärts, Helden des
Himmels! Was soll aus deneu werden, die in der Mitte zwischen zwei Heeren
sind? Herüber, herüber, ihr; die Truppen werden eure Leiber zertreten. I h r
werdet die ersten sein, die in Stücke gehauen werden. O, ihr Gleichgültigen,
die weder dies noch jenes sind, null wird der Aufeinanderstoß erfolgen und
der Angriff; und wie ihr keiuen Teil an diefem Kampfe habt, fo werdet ihr auch
an dem großen Triumph, der sicher folgen wird, keinen Anteil haben.
Ich will meinem Freunde d ' A u b i g n o , * ) der einige Minuten zu euch
reden wird, Platz machen, wenn ich nur uoch diejeuigeu, welche nicht iu
Christi Heer sind, daran erinnert habe, daß bei ihnen dem Dienste etwas
vorhergehen muß. „Es sei denn, daß ihr umkehret, und werdet wie die
Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." Die Thttr zu diesem
Reiche ist Christus; vertraut I h m , und ihr seid errettet. „Glaube an den
Herrn Iesum Christum, so wirst du und dein Haus selig." Amen.

* ) D ' A u b i g n 6 , der vom Bischof von London aufgefordert war, iu einer der
königlichen Kapellen zu predigen, hatte S p u r g e o n geschrieben, daß er wünsche, auch
öffentlich seine herzliche Gemeinschaft mit den Freikirchen Englands zu bezeugen. A. d. Üb.
506 Alttestamentliche Bilder.

34.

Treue bis ans Ende.


„Ithai antwortete und sprach: So wahr der Herr lebet und
so wahr mein Herr König lebet, an welchem Ort mein Herr, der
König, sein wird, essseratezum Tode oder zum Leben, da wird dein
Knecht auch sein." 2 Sam. 15. 21.

(Dbgleich David der M u t entfallen zu sein scheint, als er vor feinem


Sohne Absalom floh, so traten doch andre edle Züge glänzend an ihm hervor,
und unter andrem, seine Weitherzigkeit und seine Sorgfalt für andre. Ein
Mann in einer so verzweifelten Lage, wie er es war, muß ernstlich gewünscht
haben, viele Freunde zu besitzen undsiealle zll behalten, aber dennoch wollte
er ihre Dienste nicht fordern, wenn sie ihnen selber zu viel kosteten, und des-
halb sagte er zu I t h a i , der ein Philister gewesen zu sein scheint — ein
Proselyte, der erst kürzlich gekommen war, sich an David anzuschließen:
„Warum gehst auch du mit uns? D u bist erst vor kurzem zu mir gekommen,
und sollte ich dich in meinen Trübsalen mit mir umherirren lassen? Kehre
um an deinen Ort und bleibe bei dein neuen Könige, denn du bist ein
Fremder und ein Verbannter. Möge jeder Segen mit dir sein. Mögen
Barmherzigkeit uud Wahrheit dir folgen!" Er sandte ihn nicht hinweg, weil
er au ihm zweifelte, sondern weil er fühlte, daß er kein Recht hätte an die
großen Opfer, die I t h a i vielleicht zu bringen haben würde, wenn er sich mit
seinen! wechselvollen Schicksale verbände. „Ich weiß nicht, was aus mir
werde» wird," scheint er zll sageil, „aber ich will dich nicht mit mir hinab-
ziehen. Sollte nieine Sache verzweifelt werden, so habe ich nicht den Wunsch,
dich mit darin zu verwickeln, und deshalb sage ich dir aus dell besten Gründen
lebewohl." Ich bewundere diese Großmut der Seele. Einige Leute haben
große Erwartungen: sie leben von ihren Freunden und klagen doch, daß die
Liebe kalt ist. Solche Menschen erwarten mehr von ihren Freunden, als diese
geben sollten. Eines Menschen beste Freunde auf Erden sollten seine eignen
starken Arme sein. Faulenzer sind Schmarotzerpflanzen, sie haben keine eigne
Treue bis ans Ende. 507

Wurzel, sondern fassen gleich der Mistel Wurzel in einem andren Baume
und saugen ihm die Seele alls zu ihrer eignen Nahrung. Traurig, daß
Menschen sich je zu solch verächtlicher Gemeinheit herabwürdigen! So lange
ihr euch selbst helfen könnt, thut es, uud wenn ihr auch eiu Recht habt, ill
Zeiten großer Not Hilfe zu erwarten, so erwartet doch nicht fortwährend, daß ein
jeder euch bedienen soll. Fühlt wie David betreffs I t h a i , daß ihr keineswegs
Dienste wünscht, auf die ihr kein Allrecht habt. Unabhä'ngigkeitsgefühl pflegte
ein Charakterzug uusres Volkes zu seilt. Ich hoffe, es wird immer so bleiben,
und besonders unter Kindern Gottes.
Auf der andren Hand, seht auf I t h a i : vollkommen frei zu gehen, aber
um den Streit ein für allemal zu enden und David wisseil zu lassen, daß er
ihn nicht verlassen will, schwört er einen feierlichen Eid vor Jehovah, seinem
Gott, und verdoppelt ihn, indem er beim Leben Davids schwört, daß er ihn
nicht verlassen w i l l ; im Leben, im Tode will er mit ihm sein. Er hat sich an
sein Schicksal gebunden im Guten wie im Schlimmen, und er beabsichtigt,
treu bis ans Ende zu sein. Ein alter Meister sagt: „Alle treuen Freunde
gingen vor Jahren auf die Pilgerschaft, uud keiner ist je zurückgekehrt." Ich
glaube dies kaum, aber mir ist bange, daß ganz so treue Freunde wie I t h a i
so selten sind, wie zwei Monde zugleich vom Himmel, und ihr mögt an die
Grenze der Erde reisen, ehe ihr sie findet. Ich meine indes, eiu Grund,
weshalb treue Ithais so selten geworden sind, mag sein, daß weitherzige
Davide so selten sind. Wenn ihr einem Manne sagt, daß ihr sehr viel von
ihm erwartet, so sieht er nicht ein, warum? Weshalb erwartet ihr so viel?
Er ist nicht euer Schuldner. I h r habt sofort die Schleusen seiner Großmut
geschlossen. Aber wenn ihr ihm ehrlich sagt, daß ihr nicht mehr erwartet, als
recht ist, und nicht wünscht, ihm zur Last zu fallen, wenn er sieht, daß ihr
sein Wohl mehr in Vetracht zieht, als das eure, so ist dies gerade die Ursache,
weshalb er euch anhängt und es ein Vergnügen findet, einem so großmütigen
Herrn zu dienen. I h r werdet gewöhnlich finden, daß, wenn zwei sich erzürnen,
auf beiden Seiten Fehler sind: wenn wenig großmütige Seelen sind, so mag
es seill, weil treue Freunde selten sind, und wenn treue Freuude nicht häufig
sind, so mag es sein, weil großmütige Seelen »licht häusig sind. Sei es unsre
Sache, als Christen zu leben, eher um zu dienen, als uns dienen zu lasseu
und daran zu denken, daß wir die Nachfolger eines Meisters sind, der sprach:
„Des Menscheil Sohl: ist nicht gekommen, daß Er I h m dienen lasse, sondern
daß Er diene." W i r sollen nicht erwarten, daß andre nils dienen, sondern
unser Leben damit zubringen, daß wir uns bemühen, ihnen zu dienen.
Ich will Ithais Worte zu einem ferneren Zweck gebrauchen. Wenn
I t h a i , hingenommen voll Davids Persoll und Charakter, obwohl ein Aus-
länder und Fremder, doch fühlte, daß er sich auf Lebenszeit unter sein Vanner
508 Nlttestamentliche Vildrr.

anwerben lassen könnte — ja, und erklärte, daß er es auf der Stelle thun
wolle — wieviel »lehr können ihr und ich, wenn wir wissen, was Christus für
uns gethan hat, und wer Er ist, und was Er von uns verdient, zu dieser
guten Stunde Ihm Treue geloben und sprechen: „So wahr der Herr lebet, an
welchem Ort mein Herr und Heiland sein wird, ob im Tode oder im Leben,
da soll sein Knecht auch sein."
Und deshalb will ich beginnen, indem ich zuerst beachte, i n welcher
Form diese Erklärung gemacht war, damit wir davon lernen, sie auch
zu machen.
I.
I n welcher F o r m nnd A r t w n r d e diese E r k l ä r u n g gegeben?
Sie wurde, zuerst, zu einer Zeit gegeben, als die niedrigste Ebbe in
Davids Glück war, und folglich war sie selbstlos, ohne den geringsten
Gedanken, dadurch zu gewinnen. David war von jedermann verlassen. Seine
treue Leibgarde war alles, was er auf Erden hatte, worauf er sick) verlassen
konnte, nnd da war's, wo Ithai sich ihm anschloß. Nun, Geliebte, es ist sehr
leicht, der Religion zu folgen, wenn sie in silbernen Pantoffeln umhergeht,
aber der wahre Mann folgt ihr, wenn sie in Lumpen ist und durch Schlamm
und Schmutz geht. Sich Christo anschließen, wenn alle seinen Namen preisen,
ist das, was ein Heuchler thun würde, aber sich Ihm anschließen, wenn sie
rufen: „Hinweg mit I h m ! Hinweg mit I h m ! " ist eine andre Sache. Es gibt
Zeiten, wo der einfache Glaube an Christum fehr gering geschätzt wird. Zu
einer Zeit geht die Sucht auf imposante Zeremonien, jedermann liebt ausge«
schmückten Gottesdienst, und die reine Einfachheit des Evangeliums wird über«
laden und beschwert durch buhlerischen Schmuck; solche Zeit ist es, wo wir für
Gottes einfachen Plan eintreten und den Symbolismus verwerfen müssen, der
an Götzendienst streift und die Einfachheit des Evangeliums verbirgt.
Zu einer andren Zeit wird das Evangelium durch gelehrte Kritiken und
Insinuationen gegen die Echtheit und Inspiration der Vücher der Heiligen
Schrift allgegriffen, während Grundlehren eine nach der andren untergraben
werden, und der, welcher am alten Glauben festhält, hinter der Zeit zurück-
geblieben lc. heißt. Aber glücklich der, welcher zu Christo, dem Evangelium
und der Wahrheit steht, wenn der Stand am schlimmsten ist, und ruft:
„Wenn dies Narrheit ist, so bin ich ein Narr, denn wo Christus ist, da
will ich sein; ich liebe I h n in seiner schlimmsten Lage mehr als andre in
ihrer bestell, und selbst wenn Er tot und begraben ist, so will ich mit Maria
und Magdalena gehen und all seinem Grabe sitzen und wachen, bis Er
wiederum aufersteht, denn auferstehen wird Er; aber ob Er lebt oder stirbt,
wo Er ist, da soll sein Dieller sein." Wohlan denn, tapfere Seeleu, wollt ihr
euch für Christum anwerben lassen, wenn sein Panier zerrissen ist? Wollt ihr
Treue bis ans Ende. 599

unter Ihm dienen, wenn seine Rüstung mit Blut befleckt ist? Wollt ihr euch
lim I h n scharen, selbst wenn man I h n für erschlagen ausgibt? Glücklich werdet
ihr sein! Eure Treue soll zu eurer ewigen Ehre dienen. I h r seid Krieger,
die Er zu ehren liebt.
Ithai gab sich ganz dem Dauid hin, als er erst vor kurzem zu ihm
gekommen war. David sagt: „Gestern bist du gekommen und heute wagest
du, mit. uns zu gehen?" Aber Ithai ist es gleich, ob er gestern oder vor
zwanzig Jahren gekommen, er erklärt: „Gewihlich, an welchen, Ort mein Herr,
der König, sein wird, es gerate zum Tode oder zum Leben, da wird dein
Knecht auch sein." Es ist am besten, das christliche Leben mit völliger Hin
gäbe zu beginnen. Haben einige von ench bekannt, Christen zu sein und habt
ihr ench nie ganz Christo ergeben? Es ist Zeit, daß ihr wiederum beginnt.
Dies sollte eine der ersten Formen der Verehrung unsres Meisters sein, diese
vollständige Hingabe unsres Selbst an I h n . Seinem Wort gemäß sollte die
erste Ankündigung unsres Glaubeus durch die Taufe geschehen, und die Be-
deutung der Taufe oder des Untertauchens im Wasser ist Tod, Begräbnis uud
Auferstehung. So weit es diesen Punkt betrifft, ist das Gelöbnis eben dieses:
„Ich bin hinfort für alles, bis auf Christum, tot, dessen Diener ich jetzt bin.
Hinfort mache mir niemand mehr Mühe, denn ich trage die Malzeichen des
Herrn Jesu an meinem Leibe. Das Wasserzeichen ist an mir vom Haupt bis
zum Fuß. Ich biu mit I h m durch die Taufe in den Tod begraben worden,
zu zeigen, daß ich fortan Ihm angehöre." Nu», ob ihr getauft worden seid
oder nicht, das überlasse ich euch, aber in jedem Fall mnß dies wahr sein,
daß ihr hinfort gestorben seid und ener Leben mit Christo in Gott verborgen
ist. Sobald Christus euer ist, solltet ihr Christi sein. „Ich bin des Herrn"
sollte verknüpft sein mit „Er ist mein" beim Anbruch des Tages, in dem ihr
euch dem Herrn ergebt.
Ferner, Ithai übergab sich David in der freiwilligsten Weise.
Niemand überredete ihn, es zu thun; in der That, Dauid scheint ihm ab-
geredet zu haben. David prüfte und versuchte ihn, aber er sprach freiwillig
aus der Fülle seines Herzens: „Wo mein Herr, der König, ist, da soll sein
Diener auch sein." Nun, ihr lieben, jungen Leute, wenn ihr glanbt, daß der
Herr Jesus Christus euer ist, übergebt euch Ihm durch eine bestimmte That
und Handlung. Fühlt den einen großen Antrieb, ohne Nötigung oder Beweis»
führung zu bedürfen: „Die Liebe Christi dringet uus;" aber wartet nicht, bis
enre Pflicht euch eingeschärft wird, denn je freier die Hingabe, desto annehm«
barer wird sie sein. Man sagt, daß kein Wein so köstlich ist als der, welcher
beim ersten gelinden Druck aus der Traube fließt. Je länger ihr preßt, desto
herber ist der Saft. Wir lieben den Dienst nicht, der aus einem Menschen
51l) Alttestamentliche Bilder.

herausgepreßt wird: und gewiß wird der Gott der Liebe nicht gezwnngene
Arbeit annehmen. Nein; laßt enre Willigkeit sich zeigen. Sprecht:
„Nimm mich selbst, und ich will sein
Ewig, einzig Nein allein."

Mein Herz schmachtet nach dem Dienste seines Herrn. M i t derselben


Freiwilligkeit, die Ithai zeigte, weiht euch feierlich dem Herrn Davids.
Ich gebrauchte eben ein Wort, das einen andren Punkt an die Hand
gibt, nämlich, daß I t h a i dies sehr feierlich that. Er schwor einen Eid,
was wir Christen nicht thun mögen, und nicht wünschen mögen zn thun, aber
dennoch sollten wir die Übergabe ebenso feierlich machen. I n D o d d r i d g e s
„Aufgang und Fortgang der Religion in der Seele," ist eine sehr feierliche
Form der Weihe, die er jnngen Männern zu unterzeichnen empfiehlt, wenn sie
sich Christo hingeben. Ich kann nicht sagen, daß ich es empfehle, obwohl ich
es selbst gethan, denn ich fürchte, daß etwas Gesetzlichkeit dabei ist, und daß
es die Seele ill Knechtschaft bringen könnte. M i r ist bekannt, daß einige
eine Urkunde ihrer Übergabe an Iesum geschrieben, nnd mit ihrem Vlute unter»
zeichnet haben. Ich will es weder loben noch tadeln, aber ich will sagen, daß
eine vollständige Übergabe in irgend eiller Art gemacht werden muß, und daß
es mit Überlegung lind mit ernslen Gedanken genlacht werden sollte. I h r seid
teuer erkauft, und ihr solltet deshalb ill eiller bestimmten Weise eures Herrn
Eigentumsrecht an euch anerkennen und deren Nechtstitel alls euren Leib, Geist
und eure Seele I h m übertragen.
Und dies, denke ich, that I t h a i öffentlich. Jedenfalls handelt er so,
daß jedermann ihn sah, als David sprach: „ S o komm und gehe mit," und
er giilg ill der Vorderreihe — der erste Mann, der über den Vach ging.
O ja, lieber Frennd, du mußt dich öffentlich als einen Christen bekennen.
Wenn du ein Christ bist, mußt du nicht versuchen, durch die Hintergassen in
den Himmel zu schleichen, sondern gehe den schmalen Weg Hillauf wie ein
Mann, und wie dein Meister. Er schämte sich deiner nie, obwohl Er es hätte
können: wie kannst du dich seiner schämen, wenn in I h m nichts ist, dessen
man sich schämen kann? Manche Christen scheinen zu denken, daß sie ein
leichteres Leben führen werden, wenn sie nie ein Bekenntnis ablegen. Wie
.eine Ratte hinter dem Getäfel, kommen sie nach dem Kerzenlicht heraus, er»
langen einen Krumen nnd gleiten dann wieder zurück. Ich möchte nicht ein
solches Leben führen. Gewiß, es ist nichts da, dessen man sich zu schämen
hätte. Ein Christ, — laßt uns des Namens uns rühmen! .Einer, der an
den Herrn Iesnm Christum glaubt — laßt sie es all das Schild unsrer Thür
schreibell, wenn sie wollen. Weshalb sollten wir darüber erröten? „Aber,"
sagt der eine: „ich möchte lieber ein sehr ruhiger fein." Ich will nun einen
Treue bis ans Ende. 511

Torpedo unter diese feige Ruhe legen. Was sagt der Herr Jesus? „Wer
mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor
meinem himmlischen Vater; wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich
bekennen vor meinem himmlischen Vater." Nehmet auf euch euer Kreuz, und
folget I h m nach, denn „so man von Herzen glaubet, so wird man gerecht, und
so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig." Als unser Meister
gen Himmel fnhr, befahl Er uns, das Evangelium aller Kreatur zll predigen:
und in welche Worte faßte Er dies? „Wer da glaubt und getauft wird, der
wird selig werden." Es muß deshalb der Glaube da sein und das Bekenntnis
des Glaubens. „Aber kann ich nicht als ein Gläubiger selig werdeu, wenn
ich auch uicht offeu Ehristum bekenne?" Lieber Freund, du darfst au deiues
Herrn Befehl nicht herumändern und dann sagen: „Wird Er nicht gnädig
diese Unterlassung vergeben?" Vernachläfsige nicht eins von den zwei Ge»
boten, fondern gehorche seinem ganzen Willen. Wenn du deu Geist Ithais
hast, so wirst du sprechen: „ W o mein Herr, der König, ist, da soll sein
Diener sein."
Ich überlasse die Sache den Gewissen derer, die dem Nikodemus gleichen,
der bei Nacht zu Jesu kam, oder dem Joseph von Arimathia, der ein Jünger
war, aber hennlich, aus Furcht vor den Juden. Mögen sie hervorkommen und
ihren Herrn bekennen lind glauben, daß Er sie auch dann bekennen wird.

II.
Was schloß diese Erklärung ein? Für Ithai, was schloß sie
da ein?
Zuerst, daß er h i n f o r t D a v i d s D i e n e r war. Natürlich, als sein
Soldat sollte er für ihn fechten und nach seinem Geheiß thun. Was sagest
du, Maun? Kannst du deiue Haud zu Christo aufheben und sprechen: „ H i n -
fort will ich als Dein Dieller leben, nicht meinen eignen Willen thuu, soudern
Deiuen. Dein Gebot ist fortan meine Nichtfchuur?" Kaunst du das sagen?
Wenn nicht, so spotte seiner nicht, sondern stehe zurück. Möge der Heilige
Geist dir Gnade geben, so zll beginnen, so zll beharren und so zu enden.
Es schloß danach für I t h a i ein, daß er fein Äußerstes f ü r D a v i d s
Sache t h u n s o l l t e , nicht nur dem Namen nach sein Diener sein, sondern
sein Soldat, bereit für Narben, Wuuden uud Tod, wenn nötig, um des
Königs willen. Das ist's, was I t h a i meinte, als er in rauhem Soldateuton
den feierlichen Eid schwor. Nun, wenn du Christi Jünger sein willst, ent»
schließe dich, daß du fortan durch seine Gnade seine Sache verteidigen willst;
daß, wenn hitziges Gefecht da ist, du dabei fein willst, und weuu eiue ver«
lorne Hoffnung dessen bedarf, du sie führen und durch Fluten und Flammeu
gehen willst, wenn deines Meisters Sache ruft. Selig ist der, welcher dem
512 Alttestamentliche Bilder.

Lamme folgt, wohin es geht, und sich ganz seinem Herrn ergibt. Ihm von
ganzem Herzen zu dienen.
Aber Ithai erklärte in seinem Versprechen, daß er der Person seines
Herrn stets seine Dienste widmen wolle. Das war in der That der
Kern desselben. „An welchem Ort mein Herr, der König, sein wird, da wird
dein Knecht auch sein." Brüder, laßt uns denselben Entschluß auch in uusrem
Herzen fassen, daß, wo Christus ist, wir auch sein wollen. Wo ist Christus?
I m Himmel. Wir werden bald dort sein. Wo ist Er hier, geistlich? Ant«
wort: in seiner Gemeinde. Die Gemeinde ist eine Gemeinschaft Gläubiger;
und wo diese zusammenkommen, da ist Jesus in ihrer Mitte. Nun wohl
denn, wir wollen uns mit der Gemeinde verbinden, denn wo uuser Herr, der
König, ist, da sollen seine Diener auch sein. Wenn die Liste der Erlöseteu
verlesen werden wird, so werden wir in dem Verzeichnis stehen, denn unsres
Herrn Name ist da.
Wohin sonst ging Jesus? I m Anfaug seines amtlichen Wirkens giug
Er hinab in das Wasser der Taufe. Laßt uus dem Lamme folgen, da es
hingehet. Am Schlüsse seiuer Wirksanikeit brach Er Brot uud sagte: „Solches
thut zu meinem Gedächtnis." Seid häusig an seinem Tische, denn wenn
ein Ort auf Erden ist, wo Er sich seinen Kindern offenbart, so ist es da, wo
Brot in seinem Namen gebrochen wird. Laßt mich euch nun ein Geheimnis
sagen. Einige von euch mögen es früher gehört habeu, aber sie habe» es
vergessen. Hier ist es: Mein Herr ist gewöhnlich in der Gebetsstunde an den
Montag'Abenden, nnd in der That, wann immer die Seinen zum Gebet zu«
sammenkommen, so ist Er da. Deshalb will ich euch ineinen Text lesen und
sehen, ob ihr demgemäß leben wollt: „Gewißlich, an welchem Ort mein Herr,
der König, sein wird, ob in einer Gebetsstunde oder bei einer Predigt, da
soll dein Diener auch sein." Wenn ihr euren Herrn lieb habt, so wißt ihr,
wo seine Stätten sind, sorgt dafür, daß ihr Ihm stets dahin folgt.
Wo ist der Herr Jesus Christus? Nun, Brüder, Er ist, wo immer die
Wahrheit ist, und ich bitte Gott, daß Er ein Geschlecht von Männern und
Weibern in unsrem Lande erwecken möge, die entschlossen sind, da zu sein,
wo die Wahrheit Gottes ist. Es gibt ein Heer von Mollusken, die immer
da sein wollen, wo die Gemeinde am respektabelsten ist, uud die Resvektabilität
nach Kleidern und Geld bemessen. Es gab eine Zeit in der Gemeinde
Gottes, wo man die Frömmsten am meisten respektierte; ist es dahin gekommen,
daß man das Gold der Gnade vorzieht? Unsre Väter erwogen, ob die
Predigt orthodox war, aber jetzt heißt es: „Ist der Prediger hochgebildet?"
Worte werden der Wahrheit vorgezogen und Beredsamkeit geht über Evaw
gelium. Schaude über ein solches Zeitalter. O, ihr, die ihr nicht ganz euer
Treue bis ans Ende. 513

Erstgeburtsrecht verkauft habt, ich beschwöre ench, haltet euch fern von dieser
elenden^ Versunkenheit.
Der, welcher Christum aus dem Grunde seines Herzens liebt, wird
sagen: „ W o der König ist, da soll sein Diener auch sein, ob es mit einem
halben Dutzend anner Baptisten oder Methodisten oder mit den verachtetsten
Leuten der Stadt ist." Ich bitte euch, Geliebte, in welche Stadt oder in welches
Land euer Los auch fällt, seid eurer Farbe treu und gebt nie eure Grundsätze
auf. Wo immer die Wahrheit ist, dahin geht, und wo etwas der Wahrheit
Zuwiderlaufendes ist, dahin geht nicht, denn dort ist euer Meister nicht zu finden.
Was ferner? Nnn, unser Herr ist zu finden, wo etwas für das Wohl
unsrer Mitmenschen zu thun ist. Der Herr Jesus Christus ist zu finden, wo
mau arbeitet, seine verlornen Schafe wieder zu bringen. Manche Leute sagen,
daß sie sehr wenig Gemeinschaft mit Christo haben, und wenn ich sie ansehe,
so wundere ich mich darüber nicht. Zwei können nicht zusammengehen, wenn
sie nicht gleichen Schritt halten wollen. N u n , inein Herr geht raschen Schritts,
wenn Er durch die Welt geht, denn des Königs Werk erfordert Eile; und
wenn seine Jünger nach Schneckenart kriechen, so verlieren sie seine Gesellschaft.
Wenn einige unsrer stöhnenden Brüder zu der Sonntagsschule gehen und be»
ginnen wollten, sich um die kleinen Kinder zu bekümmern, so würdeu sie ihren
Herrn dort treffen, der zu sagen pflegte: „Lasset die Kindlein zu mir kommen."
Wenn andre eine kleine Versammlung hielten und die Unwissenden lehrten, so
würden sie Den dort finden, der Erbarmen mit den Unwissenden und Irrenden
hatte. Unser Meister ist, wo Fesseln zu zerbrechen, Bürden abzunehmen und
Herzen zu trösten sind, und wenn ihr Pünscht, bei I h m zu bleiben, so müßt
ihr in solchem Dienste helfen.
Wo ist unser Meister? Nun, Er ist stets auf feiten der Wahrheit und
des Rechtes. Und o, ihr christlichen Leute, gedenkt daran bei allem — Politik,
Geschäft und allem — haltet es mit dem, was recht ist, nicht mit dem, was
beliebt ist. Beugt nicht das Knie vor dem, was eine kleine Zeitlang ge-
priesen werden »nag, sondern steht fest ill dem, was sich mit Nechtschaffenheit,
mit Menschlichkeit verträgt, mit der Sache und der Ehre Gottes und mit der
Freiheit und dem Fortschritt der Menschen. Es kann nie weise sein, Unrecht
zu thun. Es kann nie thöricht sein. Recht zu thun. Es kann nie nach dem
Sinne Christi sein, zu tyrannisieren und zu bedrücken. Haltet euch zu dem,
was rein und „lieblich ist und wohl lautet," und ihr werdet euch so weit zu
Christo halten. Mäßigkeit, Reinheit, Gerechtigkeit — diese Dinge liebt E r ;
thllt euer Bestes, sie um seinetwillen zu fördern.
Vor allem gedenkt daran, wie Jesus das Gebet im Verborgenen liebte,
und wenn ihr entschlossen seid, bei I h m zu verharren, so müßt ihr viel am
Gnadenthron sein.
S p u r g e o n , Alttchamentllche VUder. 33
514 Alttestamentliche Bilder.

Ich will euch nicht bei jedem dieser Punkte aufhalten, sondern nur ein»
fach sagen, daß Ithais Erklärung auch dies bedeutete: daß er beabsichtigte,
Davids Lage zu teilen. Wenn David groß war, so wollte Ithai sich
freuen. Weu» David verbannt war, so wollte Ithai ihn auf seinen
Wanderuugen begleiten. Wir müssen in Gottes Kraft den Entschluß fassen,
bei Christo zu verharren in jeden: Wetter und in jeder Gesellschaft, und das,
ob zum Leben oder zum Tode: Ah, das Wort „Tod" macht es süß, weil
wir dann die seligen Folgen davon, daß wir mit Christo gelebt haben, ernten
sollen. Wir sollen zum letztenmal in unsre Kammer gehen und allen lebe«
wohl sagen, und dann sollen wir fühlen, daß Er im Tode noch mit uus ist,
wie wir im Leben mit Ihm gewesen sind. Obwohl unsre guten Werke nie ein
Grund des Vertrauens sein können, wenn wir sterben, so wird doch, wenn
der Herr uns fähig macht, dem Lamm zu folgen, wohin es geht, und so eiu
entschiedenes, bestimmtes, gerades, aufrichtiges Leben zu führen, unser Sterbe»
kissen nicht mit Dornen der Neue gefüllt sein, sondern wir werden Gott loben,
daß wir ein treues Zeugnis abgelegt haben, so weit wir es konnten. I n
diesem Falle werden wir nicht im Sterben wünschen, zurückzugehen, um die
Irrtümer und Unaufrichtigkeiten unsres Lebens zu berichten. Nein, Geliebte,
es wird fehr, fehr fttß sein, allein mit Jesu in: Tode zu sein. Er wird unser
Lager in unsrer Krankheit «lache»: (Pf. 4 1 , 4); Er wird unser Sterbekissen
weich inachen, und nnsre Seele soll dahinschwinden, hinweggeküßt von seinen
teuren Lippen, und wir sollen bei Ihm sein allezeit. Von denen, die I h n :
am nächsten sind, heißt es: „Sie folgen den: Lamme nach, wo es hingeht.
Sie werden mit I h n : in weißen Kleiden: wandeln, denn sie sind es wert."
Ich schließe mit dieser Bemerkung. Will unser Herr Jesus heute abend
von uns ein solches Wort der Weihe annehmen? Wenn wir auf I h n zu
unsrem Heil vertrauen, wird Er uns erlaubet:, zu sagen, daß wir bei I h n :
bleiben wollen, so lange wir leben?
Wir erwidern, Er wird uns nicht erlauben, es in unsrer eigne:: Kraft
zu sagen. Es war ein junger Main:, der sprach: „Herr, ich will Dir folgen,
da Du hingehest," aber Iefus gab ihm einen kühlen Empfang; und es war
ein älterer Mann, der sprach: „Wenn sie sich auch alle an Dir ärgerten, so
will ich mich doch nimmermehr ärgern," und in Erwiderung darauf betete feiu
Herr für ihn, daß fein Glaube nicht aufhören möge. Nun, ihr müßt nicht
versprechen, wie Petrus es that, sonst werdet ihr einen noch größeren Fehltritt
begehen. Aber, Geliebte, diese Selbsthingabe ist es, was Christus von uns
envartet, wen:: wir seine Jünger sind. Er will nicht, daß wir Vater und
Mutter mehr lieben sollen, als I h n ; wir müssen bereit sein, alles um feinet«
willen aufzugeben. Dies ist nicht nur, was unser Meister von uns erwartet,
sondern was Er von uns verdient. Dies ist es auch, das Er uns helfen will
Treue bis ans Ende. 515

zu thun, denn Er will uns Gnade geben, wenn wir sie nur von I h m suchen;
und dies ist es auch, das Er gnädig belohnen will und schon belohnt hat in
jenem köstlichen Wort (Ioh. 12, 26), wo Er von seinen Jünger», sagt: „Wer
mir dienen will, der folge mir nach, und wo ich bin, da soll mein Diener
auch sein; uud wer mir dieuen will, den will mein Vater ehren." O, von
Gott in der Ewigkeit geehrt werden, wenn Er sagen wird: „Steht zurück,
Engel; macht Raum, Cherubim und Seraphim! hier kommt ein Mann, der
um meines lieben Sohnes willen litt! Hier kommt einer, der sich meines
Eingebornen nicht schämte, als sein Antlitz mit Speichel besteckt war. Hier
kommt einer, der am Pranger mit Jesu stand und mit schlechtem Namen um
seinetwillen belegt ward. Steht zurück, ihr Engel, diese haben größere Ehre
denn ihr." Gewiß, die Engel des Himmels, wenn sie durch die goldnen
Gassen gehen und den Märtyrern begegnen, werden sie nach ihren Leiden
fragen und sprechen: „ I h r seid begünstigter als wir, denn ihr habt das Vor«
recht gehabt, für den Herrn zu leiden und zu sterben." O Brüder und
Schwestern, ergreifet das Vorrecht, für Iesum zu leben; weihet euch heute
I h m ; lebet von dieser Stunde an, nicht um euch selbst zu bereichern oder um
Ehre und Achtung zu gewinnen, sondern für Iesum, für Iesum allein. O,
wenn ich I h n auch hier darstellen könnte; wenn ich machen könnte, daß Er
hier auf dieser Plattform stünde, gerade wie Er aus Gethsemane kam mit
dem blutigen Schweiß, oder wie Er vom Kreuz herabkam mit Wunden, die
so von Herrlichkeit strahlten und so frisch vom Ausbluten unsrer Erlösung
waren, so denke ich, würde ich jeden von euch sagen hören: „Herr Jesus, wir
sind Dein, und an welchem Ort D u sein wirst, es gerate zum Leben oder
zum Tode, da sollen Deine Knechte auch sein." So möge der Herr uns
helfen durch seinen gnädigen Geist, der all unsre Werke in uns gewirkt hat,
um Jesu willen. Amen.

33*
516 Alttestamentlichö Bildet.

35.
Der Mann, dessen Hand am Schwert
erftarrete.
„Nach ihm war Eleasar, der Sohn Dodo, des Sohns Nhohi,
unter den drei Helden mit David. Da sie Hohn sprachen den Philistern,
und daselbst versammelt waren zum Streit, und die Männer Israels
hinaufzogen: Da stand er und schlug die Philister, bis daß feine
Hand müde am Schwert erstarrete. Und der Herr gab ein großes
Heil zu der Zeit, daß das Volk umwaudte ihm nach, zu rauben."
2 Sam. 23. 9. 10.

^ ) n Davids Musterrolle finden wir die Namen vieler Mächtigen, und


sie sind geehrt dadurch, daß wir sie dort finden. Diese Männer kamen zu
David, als die tiefste Ebbe in seinem Glücke war und er selbst als ein
Empörer und Geächteter angesehen ward, und sie blieben ihm ihr ganzes
Leben hindurch treu. Glücklich sind die, welche einer guten Sache folgen
können, wenn's am schlimmsten mit ihr steht, denn ihnen gebührt wahre Ehre.
Müde der schlechten Negierung Sauls, schlugen sie ihren eignen Pfad ein, in
dem sie am besten ihrem Lande und ihrem Gott dienen konnten, und obgleich
dies große Gefahren mit sich brachte, wurden sie doch reichlich belohnt durch
die Ehren, welche sie seiner Zeit mit ihrem Führer teilten. Als David auf
den Thron kam, wie froh müssen ihre Herzen da gewesen sein; und als er
weiter ging „siegend und zu siegen," wie müssen sie sich gefreut haben, als
jeder von ihnen mit Wonne sich der Entbehrungen erinnerte, die sie mit ihrem
Anführer geteilt hatten. Brüder, wir streben nicht danach, unter die Krieger
gezählt zu werden, die Schlachtenrolle enthält unsre Namen nicht, uud wir
wünschen nicht, daß sie es thäte; aber es gibt eine Rolle, die eben jetzt ge<
macht wird — eine Nolle von Helden, die für Christum wirken und wagen,
die außer dein Lager hinausgehen und seine Schmach tragen, und mit Zuver>
ficht auf Gott ernstlich „ob dem Glauben kämpfen, der einmal den Heiligen
Übergebell" ist, und um Christi willen alles aufs Spiel fetzen. Es wird ein
Der M a n n , dessen Hand am Schwert erstarrete. 517

Tag kommen, wo es unendlich viel ehrenvoller fein wird, unfren Namen an


der untersten Stelle in der Liste von Christi treuen Jüngern zu finden, als
unter die Fürsten und Könige gezählt zu werden. Selig ist der, welcher hente
sich dem Sohne Davids anschließt und seine Schmach teilt, denn der Tag
wird kommen, wo des Meisters Herrlichkeit in all seinen Nachfolgern wider»
strahlen wird.
W i r wollen nun unsre Aufmerksamkeit auf einen befonderen Helden
richten, Eleafar, den Sohn Dodo, und fehen, was er für feinen König und
fein Land that. Unser Tert berichtet eine von seinen Heldenthaten. Sie ist
sehr lehrreich, nnd die ernste Lehre, die ich daraus entnehme, ist die M a c h t
p e r s ö n l i c h e r E n e r g i e . Die Philister hatten sich zum Streit versammelt:
die Männer Israels zogen aus, mit ihnen zu kämpfen, aber aus der einen
oder andren Ursache, obgleich sie bewaffnet waren und Bogen trugen, flohen
sie doch am Tage der Schlacht. Schimpflich lautet.der Bericht: „die Männer
Israels waren fortgegangen." (1 Sam. 23, 9. n. d. engt. Üb.) Diefer Eleafar
indes machte den Fehler feiner Laildslente wieder gnt, denn „er stand anf und
schlug die Philister." Er war ein Mann von markierter Individualität, ein
Mann, der sich selbst kannte, und seinen Gott kannte, und dein nichts daran
lag, in der großen Masse zu uerfchwinden und nur wegzulaufen, weil sie
weglief. Er dachte für sich selbst und handelte für sich felbst; er machte nicht
das Verhalten andrer zum Maßstab für seinen Dienst, sondern während Israel
floh, stand er auf und fchlug die Philister. Die persönliche Verpflichtung
jedes einzelnen vor Gott ist eine Lehre, die alle kennen lernen sollten. Sie
wird uns in unsrer Taufe gelehrt, denn hier legt jeder Gläubige fein eignes
Glaubensbekenntnis ab und bekennt sich durch feine eigne That und Handlung
als mit Christo gestorben. Das reine Christentum weiß uichts von Stellver»
tretern oder Bürgen bei der Taufe. Nachdem das Glaubensbekenntnis abge°
legt ist, ist der Gläubige für feine eignen religiöfen Handlungen verant«
wortlich und kann nicht Priester oder Pastoren anstellen, die seine Religion
für ihn besorgen, er muß felbst beten, in der Schrift forfchen, mit Gott
Gemeinfchaft haben und dem Herrn Jesu gehorchen. Wahre Religion ist eine
persönliche Sache. Ein jeder, mit einem Pfunde oder mit zehn, wird am
großen Tage des Gerichtes für das znr Nechenfchaft gezogen werden, wofür er
verantwortlich ist, und nicht für das, wofür andre es sind; und deshalb füllte
er leben wie vor Gott, in dein Gefühl, daß er eine abgesonderte Persönlichkeit
ist, und sich in seiner eignen Individualität, Geist, Seele und Leib, ganz dem
Herrn weihen. Eleasar, der Sohn Dodo, fühlte, daß er als Mann handeln
müsse, was auch andre thun mochten, und deshalb zog er tapfer das Schwert
gegeit die Unbefchnitteneu. Ich finde nicht, daß er Zeit damit vergeudete, die
andren wegen ihres Weglaufens zu tadeln oder ihnen zuzurufen, wieder um»
518 Alltestamentliche Bilder.

zukehre», sondern er wandte sein eignes Gesicht den» Feinde zn und hieb und
hackte um sich mit aller Macht. Sein tapferes Beispiel war Tadel genug und
weit wirksamer als zehntausend sarkastische Reden.
Laßt es nie vergessen werden, daß unsre Verantwortlichkeit, in gewissen!
Sinne, bei uns selber beginnt und endet. Gesetzt, du wärest der Meinung,
daß die Gemeinde Gottes in einein sehr traurigen Zustande sei, du bist nur
dafür verantwortlich, so weit, wie du selber hilfst, diesen Zustand zn schaffen.
Bedauerst du, daß viele Leute von großem Reichtum ihr Vermögen nicht
dem Herrn weihen? Ich wundere mich nicht, daß du dies Gefühl hast; aber
im Grunde ist doch das Praktischste, dein eignes Vermögen in des Herrn
Sache zu gebrauchen. Es ist sehr leicht, Fehler an andrer Leute Arbeit zu
finden, aber es ist weit nützlicher, deine eigne besser zu thun. Gibt es in
der ganzen Welt einen Narren, der nicht kritisieren kann? Die, welche selbst
gute Dienste leisten können, sind nur wie einer gegen tausend im Vergleich
zu denen, die Fehler in den Arbeiten andrer zu sehen vermögen. Deshalb,
wenn du weise bist, mein Bruder, mäkle nicht an andren, sondern stehe selbst
auf und schlage die Philister.
Unsre Verantwortlichkeit wird nicht vermindert durch das schlechte Ver«
halten andrer, sondern im Gegenteil dadurch vermehrt. I h r sagt: „wie so?"
Ich autworte, wenn jeder kämpft, so gut er kann, dann mag Eleasar es zufrieden
sein, gleich den übrigen zu kämpfen; aber wenn andre davon laufen, so
wird Eleasar durch diesen unglücklichen Umstand berufen, über sich selbst hinaus
zu gehen und die Angelegenheit des Tages wieder in Ordnung zu bringen.
Es geht nicht an, den Feind triumphieren zu lassen, und deshalb, wenn wir
vorhin gut gefochten haben, so müssen wir jetzt unsre Lenden zu außer»
gewöhnlichem Kampf gürten. Lieber christlicher Bruder, wenn du das ernste
Gefühl hast, daß der Zustand der Gemeinde nicht so ist, wie er sein sollte,
so mußt du keinen Stein auf dein andren lassen, uni ihn zu bessern. Sind
deine Mitchristen weltlich? Dusolltest geistlicherund himmlischer gesinnt werden.
Sind sie schläfrig? Sei du mn so wacher. Sind sie lax? Sei du um so
strenger. Sind sie unfreundlich? Sei du um so liebevoller. Stelle deine
Wachen um so sorgsamer aus, weil du siehst, daß andre besiegt sind, und sei
doppelt fleißig, wo du wahrnimmst, daß andre nachlässig find. Wage es, wie
Eleasar allein zu stehen und aus den Mängeln andrer entnimm Beweggründe
zu einem edleren Leben.
Vielleicht war Eleasar bei dieser Gelegenheit um so besser daran, weil
er nicht diesen feigen Pöbel an seinen Fersen hatte. Wenn wir gute Arbeit
für unsren Herrn zu thun haben, so sind wir froh über die Gesellschaft ver«
wandter Seelen, die entfchlossen sind, das gute Werk zum Erfolg zu führen;
aber wenn wir keine solche Gefährten haben, müssen wir allein gehen. Es ist
Der M a n n , dessen Hand am Schwert erstarrete. 519

keine absolute Notwendigkeit für eine Anzahl da. Wer weiß? Die Freunde,
welche wir auffordern, mögen mehr ein Hindernis als ein Beistand seil«. Als
L u t h e r zu einem heiligen Manne ging nnd ihm erzählte, was er in der
Schrift entdeckt, antwortete der vorsichtige, alte Herr: „ M e i n Bruder, gehe in
deine Zelle zurück, behalte deine Gedanken für dich, diene Gott und errege keine
Unruhe." Die gute alte Seele ließ sich wenig träumen, welche Unruhe dieser
L u t h e r iln Lager anrichten würde. Ich glaube, L u t h e r wäre uicht im stände
gewesen, eine solche Reformation zu bewirken, wenn er von einem Heer wohl»
wollender, kluger Freunde umgeben gewesen wäre; aber als er frei von all den
vortrefflichen Unfähigen war, wie der Held unsres Textes, da richtete er eine
glänzende Verheerung unter den Philistern Noms an. Wenn liebe, gute,
mütterliche, christliche Männer fortwährend sagen: „sei nicht zu waghalsig;
nimm dich in acht, daß du niemand beleidigst, überanstrenge dich nicht" u. s. w.,
dann ist ein Mann besser daran ohne sie, als mit ihnen. Ein Christ sollte
die Hilfe seiner Brüder suchen, aber zn gleicher Zeit, wenn er berufen ist,
eilten Dienst für seinen Herrn zu thun, und sie ihm nicht beistehen wollen, so
sei er uicht erschreckt, fonder» erwäge, daß er, wenn er Gott mit sich hat, alle
Verbündeten hat, deren er bedarf. Der mächtige Gott Jakobs ist besser als
alle Heere der Heiligen, und wenn Er seine Hand ausstreckt und spricht: „gehe
hin in dieser deiner Kraft," so mag ein Manu es zufriedeu sein, allein vor»
wärts zu gehen, als ein einsamer Kämpe für Iesnm und sein Evangelium.
Einzelnstehende Kühnheit wird von Gläubigen erwartet. Ich wünschte, wir
möchten an diesem Ort ein Geschlecht von Männern und Frauen heranbilden,
welche die Wahrheit kennen uud auch wisseu, was der Herr von ihrer Hand
verlangt, und entschlossen sind, mit Hilfe des Heiligen Geistes einen guteu
Kamps für ihren Herrn zu führen, ob andre an ihrer Seite stehen wollen
oder nicht.

II.
W i r Habelt ferner in diesem Text e i n B e i s p i e l v o n p e r s ö n l i c h e r
S c h w a c h h e i t . Dieser tapfere Mann, obwohl er aufstand und die Philister
schlug, war doch nur eilt Mensch, uud deshalb stritt er, bis seine Hand müde
ward, uud er nicht mehr konnte. Er kam bis an die Grenze seiner Kraft,
und war gezwungen, aufzuhören. Dies mag jene edlen Männer etwas trösten,
deren Gehirn im Dienste Gottes müde geworden ist. Vielleicht schelten sie sich
selbst, aber es ist in der That kein Grund dafür da, es zu thuu, denn von
ihnen mag es wie von Eleasar heißen, daß sie nicht des Kanlpfes müde sind,
obwohl sie im Kampfe müde geworden. Wenn ihr diesen Unterschied bei euch
machen könnt, so wird es gut seiu. W i r wünschen, daß wir dem Herrn Tag
und Nacht dienen könnten, aber das Fleisch ist schwach, und es ist keine Kraft
520 Alttestameiitlichc Bilder.

mehr in uns übrig. Dies ist nichts Sonderbares, und es ist keine Sünde
darin. Eleasars Müdigkeit war die der Knochen, Muskeln, Schnell — die
Müdigkeit seines Armes, aber zuweilen wird der Kopf der Kinder Gottes
müde, und dies ist ebenso schmerzhaft und ebensowenig znm Verwundern. Der
Geist kann nicht stets mit gleicher Klarheit denken oder mit gleicher Lebhaftig«
keit empfinden oder Worte mit gleicher Klarheit finden, und das Kind Gottes
muß sich darum nicht tadeln. Sich ill solchem Falle tadeln, hieße den Herrn
tadeln. Wenn dein Knecht alls dem Erntefeld gewesen ist vom Tagesanbruch
an bis der Mond auf ihn herabblickt, da er seine Garben bindet, nnd wenn
er dann, den Schweiß von der Stirne wischend, sagt: „Herr, ich bin sehr er«
mattet, ich muß ein paar Stunden Schlaf haben," wer anders als ein Tyrann
würde ihn tadeln, uud ihm die Ruhe versagen? Diejenigen sind zu tadelil,
die sich nie ermüden, aber die, welche ihre Kraft erschöpfen, sind zu loben uud
nicht zu tadeln.
Vielleicht wurde Eleafar müde durch die ungeheure Menge seiner Feinde.
Er hatte Dutzende niedergehauen mit seinem todbringenden Schwerte, aber
mehr kamen und immer noch mehr. Es schien eine Wiederholung jenes Tages,
wo Simson Haufen auf Haufen der Philister erschlug. Christlicher Freuud,
du bist das Werkzeug gewesen, einige zu Christo zu führen, aber die er«
schreckliche Anzahl der Unbekehrten bedrückt dein Gemüt, bis du dich müde
fühlst. D u hast ein kleines Lokal eröffnet, und ein paar arme Leute kommen,
aber du sagst zu dir selbst: was ist das uuter so viele»? Weuu wir mit
des Meisters Dienst beginnen, so denken wir, daß wir die Welt in sechs
Wochen von oben nach unten kehren werden, aber wir thun dies nicht, und
wenn wir finden, daß wir weiter abeiten, und „den Tag kleiner Dinge" nicht
verachten müssen, so sind wir geneigt, müde zu werde». Lebenslanger Dienst
unter vielen Entmutiguugen ist nicht so leicht, wie bloße Träumer denken.
Vielleicht wurde Eleasar müde, weil ihm keiner half. Es ist ein großer
Beistand, ein Wort der Aufmunterung von einem Kameraden zu erhalten, und
zu fühlen, daß mall doch nicht allein steht, denn andre treue, für denselben
Herrn eifernde Herzen sind in demselben Kampf begriffen. Aber als Eleasar
um sich blickte, sah er nur den Rücken der fliehenden Feiglinge, und er hatte die
Philister mit seinem einzelnen Schwert niederzumähen. Wer wuudert sich, daß
er zuletzt müde ward?
Das Gute bei alledem ist, — daß er erst müde wurde, als es ihm ver-
stattet werden konnte; das heißt, der Herr erlaubte seiner Müdigkeit nicht, ihn
zu überwiuden, bis er die Philister geschlagen, uud das Volk sich umgewandt
hatte, die Beute zu rauben. W i r sind so schwache Geschöpfe, daß Ermattung
uns zuweilen überfallen muß, aber was für eine Gnade ist es, daß der Herr
misre Kraft unsrem Tage gleich macht, und nur wenn der Tag vorüber ist,
Der M a n n , dessen Hand am Schwert erstarrete. 521

uns zusammensinken läßt. Jakob rang mit dem Engel, und er fühlte nicht das
Zusammenziehen der Sehne, bis er den Segen gewonnen hatte. Es war gut
für ihn, nach dem Siege an seiner Hüfte zu hinken, um ihn wissen zu lassen,
daß es nicht seine eigne Stärke sei, durch die er bei Gott gesiegt hatte; und
es war gilt für Eleasar, sich müde zu fühlen, denn er verstand nun, woher
die Kraft kam, mit der er die Philister geschlagen. Eleasar ward nur schwach,
als es Beute zu verteilen gab, und wenn ihr und ich nur zurücksinken, wenn
Lob zu verteilen ist, so brauchen wir uns nicht zu beunruhigen, denn es gibt
genug Leute, die nie etwas gethan haben, aber ganz bereit sein werden, das
Verdienst von allem, was vollbracht ist, in Anspruch zu nehmen.
W i r wollen uns fragen, ob wir, schwach, wie wir sind, uns dem Herrn
übergeben? Wenn das, so ist alles gut, Er wird nnsre Schwäche gebrauchen,
und sich dadurch verherrlichen. Er wird unsre Schwachheit nicht sich zeigen
lassen, so lange dies den Sieg gefährden würde. Er gibt uns Kraft bis zu
dein Punkt, wo straft durchaus notwendig ist, und wenn Er uns zusammen-
brechen läßt, wie Elias es that, nachdem sein großer Kampf vorüber war, so
dürfen wir nicht überrascht sein. Was für ein Unterschied ist zwischen Elias
auf Karmel, über die Vaalspriester triumphierend, und demselben Mann am
nächsten Tage vor Isebel fliehend uud ausrnfend: „Nimm nun, Herr, meine
Seele; ich bin nicht besser, denn meine Väter." Selbstverständlich war dies
das natürliche Resultat der starken Aufregung, die er durchgemacht hatte,
gerade wie die Müdigkeit seiner Hand das natürliche Resultat der mächtigen
Schlacht war, die Eleasar gefochten; und wenn ihr niedergeschlagen werdet,
wie ich es oft gewesen bin, nachdem ich einen großen Segen erhalten, seid
nicht so sehr entsetzt darüber. Was thut es? Das Werk ist vorüber; ihr
könnt jetzt gern vor dem Herrn gebeugt liegen. Es wird gut für euch sein,
zu wissen, wie leer und wie schwach ihr seid, damit ihr dein Herrn allein alle
Ehre zuschreibt.

III.
Es ist eine dritte Lehre in dem Text, und die betrifft d i e Z t i i r k e
d e s E i f e r s dieses H e l d e n . Ein besonderer Umstand ist hier berichtet: seine
Hand erstarrete am Schwerte. Ich glaube, die beste Auslegung dieser Worte
ist die, welche sich ans eine Thatsache bezieht, die man zuweilen in Schlachten
beobachtet hat. Ich erinnere mich von einem Seemann gelesen zu haben, der
verzweifelt focht, um den Angriff eines feindlichen Schiffes, das entern wollte,
abzuwehren, und als der Kampf vorüber war, fand um», daß er seine Hand
nicht öffnen konnte, um seinen Stuhsäbel loszulassen. Er hatte ihn mit solcher
Kraft ergriffen, daß es unmöglich war, ehe man eine chirurgische Operation
vollzogen hatte, seine Hand vom Schwert zu trennen. Dies war der Fall
522 Alttestamentliche Bilder.

bei Eleasar; dies Erstarren seiner Hand am Schwerts beweist die Energie,
womit er seine Waffe ergriffen hatte. Zuerst ergriff er sie in der rechten
Weise, so daß er sie festhalten konnte. Ich wollte, einige unsrer Nenbekehrten
ergriffen das Evangelium in einer besseren Weise. Ein Missionar sagte neulich
zu m i r : „Es sind eine große Anzahl von Erweckungs'Vekehrten, die nie etwas
wert sein werden, bis sie aufs neue bekehrt sind." Ich fürchte, es ist so.
Das Werk ist uicht tief, ihr Verständnis des Euaugeliums ist nicht klar, und
sie halten es nicht mit fester Hand. Sie haben etwas bekommen, was ihnen
von großem Nutzen ist, wie ich hoffe, aber sie wissen kaum, was es ist; sie
haben es nötig, wieder zu I h m zu kommen, der einen Reichtum von Gnade
und Wahrheit zu verleihen hat, sonst werden sie nie viel wert sein. Viele
junge Leute forschen nicht in der Schrift; sie picken hier und da Sprüche auf,
wie Tauben Erbsen aufpicken, und fehen nicht die Beziehuugeu der Glaubens»
lehren zu einander. Aber der ist der rechte Mann, für Gott zu kämpfen,
der die Wahrheit beim Henkel erfaßt, und sie ergreift, wie eiller, der weiß,
was er erlangt hat, und daß er es erlaugt hat. Wer das Wort Gottes mit
Verständnis und mit Anstrengung erfaßt hat, der wird es wahrscheinlich fest»
halten.
Nachdem Eleasar sein Schwert gut angefaßt hatte, hielt er es fest; was
ihm auch in der Schlacht widerfuhr, er ließ seine Waffe keinen Augenblick
fallen. Wenn er einmal seine Hand geöffnet hätte, so wäre sie nicht erstarret,
aber er hielt die ganze Zeit über feme Waffe in der Hand. Nach der Ansicht
mancher Neuern seid ihr weise, wenn ihr jede Woche eure Glaubenslehren
ändert, weil frifches Licht auf euch hereingebrochen. Der Nat ist gefährlich.
O, junger Mann, ich hoffe, du wirst das alte Evangelium ergreifen und
es stets festhalten und nie deinen Griff erschlaffen lassen; und dann, was
wird dir dann widerfahren? Nun, dies, daß du zuletzt nicht mehr im stände
sein wirst, deinen Griff erschlaffen zu lassen. Ich habe mich oft gefreut, die
Beharrlichkeit ernster Arbeiter zu beobachten, die ihr Werk für Christum so
von Herze» liebten, daß sie nicht davon ablassen konnten. Sie dienten dem
Herrn Jahr alls Jahr in einem besonderen Werke, entweder in der Sonntags«
schule oder in einer andren nützlichen Arbeit, und wenn sie krank waren, und
nicht mehr an ihrem Platze sein konnten, so waren ihre Herzen und Gedanken
immer noch da. W i r haben solche gekannt, die, wenn sie an Gehirnentzündung
krank danieder lagen, beständig von der Schule und del» Kindern sprachen.
Sogar in ihren Träumen beschäftigte sich ihr Geist mit dein guten Werke: ihre
Hand war am Schwert erstarret. Es ist meine Freude, einen Greis von dem
Werke des Herrn reden zu hören, selbst wenn er nicht länger darall teilnehmen
kann, und den Sterbenden, bei dem „die herrschende Leidenschaft stark im
Tode" ist, sich nach der Gemeinde und den Gottesdiensten erkundigen zu
Der M a n n , dessen Hand am Schwert erstarrete. 523

hören, die Hand noch am Schwerts erstarrt. E v a n s war es gewohnt, seinen


alten Pony von Stadt zu Stadt zu treiben, wenn er umherreiste, das Evan»
geliuln zn predigen, und als er dein Tode nahe kam, glaubte er noch in der
alten Ponychaise zu sein, und seine letzten Worte waren: „Fahrt zu."
Napoleon rief mit seinem letzten Atemzuge aus: „Oberhaupt der Armee,"
und auch Christi Krieger denken bis zuletzt an die große Armee der
Heiligen, und an Christus, ihr Oberhaupt. Als ein frommer Mann im
Sterben lag, kannte er Frau und Kinder nicht mehr, aber doch, als der Name
Jesus in sein Ohr geflüstert ward, sagte er: „ O , ich kenne I h n . Er ist
meine Freude all diese fünfzig Jahre lang gewesen." Seht, wie die Hand
am Schwerts klebt. Vor Jahren haben wir, die da glauben, den Herrn mit
einem solchen Griff freudigen Ernstes erfaßt, daß jetzt eine fast uuwillkürliche
Verbiudung zwischen Ihn» und uns stattfindet, die nicht getrennt werden kann.
Je dann uud wann denken einige weise Männer uns zum Skeptizismus zu
bekehren oder zu dem, was ihm sehr gleicht — dem neueren Denken, und sie
nahen sich uns mit voller Zuversicht, daß wir unsren altmodischen Glauben
aufgeben müssen. Sie sind Narren, daß sie sich solche Mühe geben, denn
wir sind zu dieser Zeit kaum noch frei Handelnde in dieser Sache; das Evan-
gelium hat uns so erfaßt, daß wir es nicht fahren lassen können. W i r glauben
jetzt, weil wir müssen. Ich könnte eher tansend Tode sterben, als dem Evan-
gelium entsagen, das ich predige. Die sophistischen Argumente, die ich in
skeptischen Büchern gefuuden, sind nicht halb so stark wie die Argumente, mit
denen der Teufel mich angegriffen hat, und doch habe ich ihn geschlagen.
Nachdem wir mit den „Reitern gelaufen" sind, können die, welche zu Fuß
gehen, uns nicht erschrecken. Wie können wir das Evangelium aufgeben? Es
ist unser Leben, unsre Seele, unser alles. Unsre tägliche Erfahrung, unsre
Gemeinschaft mit Gott, unser Versetztsein mit Christo in das himmlische Wesen,
haben uns stichfest gemacht gegen alle Verfuchungen, unsre Hoffnung auf-
zugeben. W i r halten nnser Schwert, das ist wahr, aber unser Schwert klebt
auch an unsrer Hand. Es ist nicht möglich, daß die gescheitesten Lügen die
Auserwählten verführen, denn der Herr hat eine solche Gemeinschaft zwischen
der erneuerten Seele und der Wahrheit geschaffen, daß die Wahrheit uns
halten muß, und wir die Wahrheit, bis wir sterben. Gott gebe, daß es so
mit euch allen sei.

IV.
Ich muß weitergehen, um die vierte Lehre hervorzuheben, und diese
betrifft d i e göttliche H e r r l i c h k e i t . Sagt der Text, daß seine Hand am
Schwert erstarrete, und daß er einen großeil Sieg an diesem Tage errang?
blickt in eure Bibel, und ihr werdet sehen, daß ich falsch angeführt habe.
524 Alttestllmentliche Bilder.

Sie schreibt den Sieg nicht Eleasar zn, sondern es heißt: „Und der H e r r
gab ein großes Heil." Der Sieg ward nicht ohne Eleasar gewonnen, und
doch war es nicht durch Eleasar, sondern durch den Herrn. Hätte Eleasar zu
einer gewissen Klasse von Christen gehört, so hätte er gesagt: „ W i r können
nichts thnn; der Herr wird seine ewigen Ratschlüsse erfüllen;" nnd dann
hätte er nicht selber nichts gethan, sondern andre getadelt, wenn sie in» Kampf
vorangegangen wären. Wenn er zu einer andren Klasse gehört hätte, so würde
er gesagt haben: „Ich halte nicht viel von dem Dienst eines Mannes. Ich
will nicht allein gehen, sondern warten, bis ich ein paar Brüder versammelt
habe, die sich alle dabei beteiligen können." Statt solche Theorien aufzu.
stellen, ging er geradesweges ans Werk, und der Herr gab ihm die Nacken
seiner Feinde, und dann schrieb er den Sieg nicht sich selber, sondern dein
Herrn allein zu. Das Rechte ist, zu arbeiten, als wenn alles von uns ab>
hinge und doch auf den Herrn allein zu blicken in dem Bewußtsein, daß
alles von I h m abhängt. Wir müssen alle Demut und alle Thätigkeit von
Menschen haben, die fühlen, daß sie von sich selber nichts thnn können,
sondern daß Gott in ihnen das Wollen nnd Vollbringen wirket nach seinem
Wohlgefallen. I h r müßt demütig Gott vertrauend uud persönlich entschlossen
sein. Tränt auf Gott und haltet euer Pulver trocken. Habt ihr eine Seele
für Christum gewounen? Dann hat der Herr den Sieg gewonnen. Habt ihr
die Wahrheit einem Gegner gegenüber siegreich verfochten? Der Herr mnß die
Ehre eures Triumphes haben. Habt ihr die Sünde niedergetreten? Könnt
ihr mit der alten Heldin ausrufen: „ O , meine Seele, du hast die Stärke
danieder getreten?" (Richter 5, 21.) Lege deine Siegeszeichen vor den Fnß
des Thrones. Ich bin froh, daß mein Text so lautet, wie er es thut, sonst
hätte ein tadelsttchtiger Kritiker gesagt, daß ich den Menschen erhöbe und Fleisch
und Blllt die Ehre gebe. Nein, nein, der Herr hat all unsre Werke in uns
gewirkt; nicht uns, sondern seinem Namen gebt die Ehre.

V.
Die letzte Lehre ist eine d e r E r m u t i g u n g . Es heißt im Texte:
„das Volk wandte sich um, mir um die Bellte zu holen." Lieben Brüder,
macht es euch nicht traurig, zu denken, daß viele Christen mehr Ungläubigen
als Gläubigen gleichen? Betrübt es ench, sie am Tage der Schlacht alle weg»
laufeil zu sehen? Seid getrost, sie können zurückgebracht werden, und eure
persönliche Tapferkeit für Gott mag das Mittel sein, sie zurückzubringen. Die
Schwachen werden, wenn der Herr euch stark macht, M u t alls eurer Tapfer«
keit schöpfen. Sie mögen nicht fähig gewesen sein, einem lebendigen Philister
ins Gesicht zu sehen, aber sie verstehen es, einen toten zu plündern. I h r
werdet sie nach einer Weile zurückbekommen, wenn die Beute zu verteilen ist.
Der Mann, dessen Hand am Schwert erstarrete. 525

Es ist im Grunde nichts Geringes, das niedergeschlagene Volk des Herrn zu


ermutigen. Eleasar freute sich, sie wieder auf dem Felde zu sehen. Ich denke,
er gab ihnen kein verweisendes Wort, sondern sagte vielleicht: „Wohl, ihr seid
zurückgekehrt, nicht wahr? Teilt den Nauli unter euch aus. Ich könnte es
alles selbst beanspruchen, aber ich will nicht. I h r könnt es gern haben." Es
ist zuweilen vorgekommen, daß ein Mann, der im Namen Gottes sprach, eine
ganze Gemeinschaft auf den rechten Weg gebracht hat: Ein christliches Weib
auch hat Tausende gelenkt. Es gibt Punkte in der Geschichte Englands, wo
gewisse einzelne die Angel gewesen sind, um die sich unsres Volkes Geschick
gedreht hat. Weun du Gott anflehst um Treue, und wenn seine Gnade in dir ist,
dann sei fest am Tage der Schlacht, und du wirst andre fchwankende Seelen
befestigen. Meine junge Schwester, du wirst die Deinen noch herumbringen:
eins nach dem andren werden sie kommen, deinen Heiland zu suchen. Junger
Mann, du trittst in jenes große Geschäftshaus eiu; es ist sehr gefährlich für
dich, aber wenn der Herr dich instandsetzt, stark in der Macht seiner Stärke
zu sein, fo magst du das ganze Halls ill eine Kirche Gottes verwandeln. D u
kannst es kaum glauben, aber du wirst uoch Gebetsstunden in dem großen
Zimmer haben. Gedenke an S an key s Lied:

„Wag's, ein Daniel zu fein!


Wag's, allein zu stehen!
Wag's, zu ringen nach dem Ziel!
Wag's, dies zu gestehen!"

Wag's, eill Eleasar zu seill, vorwärts zu gehell und die Philister allein
zu schlagen: du wirst bald finden, daß andre in dem Hause sind, die ihre
Meinungen verborgen gehalten, aber wenn sie dich vortreteil sehen, werden sie
offen auf des Herrn Seite sein; viele Feiglinge schleichen umher, versuch' es,
sie zu beschämen. Viele sind unentschieden, laß sie einen tapferen Mann fehen,
nnd er wird der Bannerträger sein, um den sie sich scharen werden.
So habe ich gedacht, ein paar praktische Worte zu sagen, die der Herr,
wie ich hoffe, segnen wird. Ich bin zu Ende, wenn ich noch eine Bemerkung
an eine andre Klasse voll Leute» gerichtet habe. Es ist klar, daß, wenn ein
M a n n ein Schwert erfaßt, es fest ergreift, und eine Zeitlang hält, es sich er»
eignen kann, daß er nicht im stände ist, es fallen zu lassen. Ist es euch je
in den S i n n gekommen — euch besonders, die nie ihr Herz Christo hingegeben
haben — daß die eifrige Weise, in der ihr eure Sülide haltet, und die lange
Zeit, die ihr sie gehalten habt, etwas Ähnliches bei euch zur Folge haben
könnte? Eines Tages mögt ihr unfähig sein, voll diesen Gewohnheiten los-
zukommen, die ihr jetzt annehmt. Zuerst ist das Netz der Gewohnheit aus
Spinngewebe gemacht — du kannst es leicht durchbrechen. Allmählich wird es
526 Alttestamcutlichc Bilder.

von Zwirn sein; bald wird es von Tauen gemacht: und zuletzt wird es so
stark wie Stahl sein, und dann wirst du zu deinem Verderben verstrickt sein.
Hüte dich beizeiten. Junger Mann,, du bist dir kaum bewußt, eine wie
starke Macht deine Gewohnheiten schon über dich erlangt haben. Ich ineine
deine Gewohnheiten der Gebetslosigkeit, deine geheimen Sünden, deine Un»
Mäßigkeit: nein, wir wollen nicht alle deine Thorheiten nennen, du.kennst sie
selbst am besten. Sie legen sich um dich gleich ungeheuren Schlangen, eine
Windung um die andre. D u hast stets beabsichtigt, so weit zu gehen und
nicht weiter, aber wenn du ein Vild von dem sehen könntest, was du werden
wirst, so würdest du entsetzt sein. Lasen wir nicht vor einigen Monaten in
der Zeitung die Geschichte eines Mannes, der in vieler Hinsicht respektabel
war, und begabt über das Durchschnittsmaß der Menschen hinaus, und der
nichtsdestoweniger allmählich sank, bis er ein furchtbares Verbrechen beging,
vor dein die Welt schauderte. Weuig ließ er sich früher träumen, daß er in
solche Ruchlosigkeit hineingestürzt werden würde, aber der Pfad zur Hölle ist
abschüssig, und wenn du zuerst einen Schritt thust, so wirst du das nächste
M a l zwei Schritte zugleich inachen, und dann machst du vier, und steigst so
in großen Sprüngen zur Hölle hinab. O M a n n , werfe deine Waffe der
Bosheit hinweg, ehe sie an deiner Hand festklebt. Werfe sie sogleich und auf
immer hinweg. Die einzige Art, mit der Sünde zu brechen, ist, sich mit
Christo zu verbinden. Kein Mensch scheidet sich im Herzen von der Sünde,
bis er eins mit seinem Heiland ist, und das geschieht durch Vertrauen, ein»
fâches Vertrauen auf I h n . Wenn du I h m vertraust, so befreit Er dich von
sündigen Gewohnheiten, und erlaubt dir nicht länger, der Sklave des Bösen
zu sein. „ S o euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei." Sucht
diese Freiheit. Möge Er sie jedem von uns verleihen, und mögen wir dann
Helden Christi werden, und Er soll die Ehre haben in Ewigkeit. Amen.
Arafnas Tenne. 527

3«.

Arafnas Tenne.
„Hier soll das Haus Gottes, des Herrn, sein, nnd dies der
Altar zum Brandopfer Israels. 1 Chron. 23, 1.

E s wird euch noch frisch ill der Erinnerung sein, daß David eine große
Sünde wider den Herrn begangen hatte. I n Wahrheit war das ganze Volk
Israel scholl seit einigen Jahren von Gott abgewichell, und als Er beschloß,
sie zu strafen, machte Er die Sunde ihres Herrschers zur Veranlassung, ihre
Missethat heimzusuchen. David hatte sich vorgenommen, das Volk zu zählen.
Er führte sein Vorhaben aus trotz Vorschrift nnd Widerspruch. Es scheint,
daß er dabei ill das Vorrecht der Priester eingriff und das levitische Gesetz
brach. Darauf kam der Prophet Gottes zu ihm mit der Wahl von drei
Strafen. Er wählte als das geringere Übel, das dem Hunger oder dein
Schwert des Feindes vorzuziehen sei, die Pestilenz, indem er sprach: „Es ist
besser, in die Hände Gottes zu fallen, als in die der Menschen." Jerusalem
ward deshalb drei Tage von einer furchtbaren Pest heimgesucht. Starke
Männer fielen auf der Straße nieder, und Weiber starben an der Mühle,
kleine Kinder starben an der Mutter Brust, und Greise wurden mit einem
Schlage daniedergeworfen. Drei Tage lang hatte die tödliche Krankheit ihre
Verheerungen angerichtet, als plötzlich der Ellgel des Herrn, der dieses Sterben
bewirkte, dem David erschien. Er sah den Voten des Gerichtes in leiblicher
Gestalt auf der Tenne eines Mannes, mit Namen Arafna, stehen. David
mußte diesem Engel nahen und sah ihn mit dem ausgereckten Schwert ill der
Hand, als wenn er im Begriff sei, noch bis Sonnenuntergang zu töten.
David, vom Geiste Gottes getriebeil, schlachtet ein Rind, ballt einen Altar,
zündet das Feuer an, und als der Rauch von dem Farren zum Himmel auf-
steigt, steckt der Ellgel, der den Augeu sichtbar war, zur Freude eines jeden
von ihnen das Schwert in die Scheide und spricht: „Es ist genug." Nun
scheint David, durch einen inileren Antrieb bewogen, anzunehmen, daß dieser
528 Alttestameutliche Bilder.

Platz, obwohl nichts als ein Stück Boden, der durch die Füße der Ochsen, die
das Korn droschen, hart getreten war, fortan ein heiliger Platz sein müsse,
und spricht: „Dies soll das Haus Gottes, des Herrn, sein und dies der Altar
zum Vrandopfer Israels." Ich brauche euch kaum an ein Zusammentreffeu
zu ennnern, das wahrscheinlich dem David bekannt war, daß gerade auf diesem
Platz viele Geuerationen zuvor Abraham das Messer gezogen hatte, feinen
Sohn Isaak zu töten. Der Verg war so ein doppeltes Vorbild des Opfers
Christi, welches den Platz bezeichnet, wo Gott feinen Tempel gründet und wo
alles Opfer, das von den Heiligen Gott dargebracht wird, geopfert werden
muß. Zuerst zeigte der Herr nur die Thatsache, daß Er seinen Sohn geben
wolle. Jener greise Patriarch, dessen einziges, teures Kind der Verheißung
gebunden auf dem Holz lag, und der nun das Messer aus der Scheide zog,
um feinen Sohn zu schlachten, war ein anschauliches Bild des ewigen Vaters,
der seines eignen Sohnes nicht verschont, sondern I h n für uus alle dahin»
gegeben hat. Abraham lehrte die Thatsache des Opfers, während dem David
der Grund des Opfers Christi dargelegt ward. Er ward geopfert, der Pest
Einhalt zu thuu — der Pest der Sünde, der Strafe unsrer Missethaten.
Gerade wie der Farren auf Arafnas Tenne, als er in Stücke gehauen und
rauchend auf dem Altar lag, der Pestilenz Einhalt that, so bewirkt Christi
Bluten auf Golgatha, das Passah des Lammes Gottes, des heiligen, von
Jehovah gewählten. I h m geweihten Erstlings, eine Versöhnung, und der Plage
wird Einhalt gethan. David erwählte diesen Platz als die Stätte des Tempels
und die Stätte, wo der eine Altar stehen sollte. Dies scheint mir sehr be-
deutsam. Ich hoffe, es in wenigen Worten interessant und lehrreich für euch
zu machen. Zuerst will ich versuchen, die Begebenheit selbst geistlich
auszulegen, und dann die Weihe der Tenne zu deuten.

I.
D i e Begebenheit selbst u n d die verschiedenen Z i n n b i l d e r ,
die sie e n t h ä l t : David sündigt und ein Engel schlägt; David bringt Opfer
dar und der Engel hält ein.
Vier Lehren werden hier augedeutet. Zuerst, es gibt Sünde. Die
Menschen mühen sich eifrig ab, zu beweifen, daß es keine Sünde gibt. Ver-
geblich streben sie danach: denn so lange das von Gott eingegebene Buch vor>
Händen ist und so lange noch ein Mensch auf dem Erdboden ist mit einem
klaren, gefunden und unverfälschten Gewissen, der mit diesem Buche zusammen
Zeugnis ablegt, wird die Sünde als überaus sündig erfunden werden. Ein
Bruch des göttlichen Gesetzes, ob er auch von einem Manne nach dein Herzen
Gottes begangen ist, wird nicht übersehen oder als erläßlich betrachtet. Der
Höchste kann kein Auge bei der Sünde zudrücken. Ob sie auch die Sanktion
Arafnas Tenue. 529

der beste» Menschen erhielte, hat sie doch ebensoviel Gift in sich, als wenn
sie von den allerschlechtesten begangen wäre. Die unwissentliche Sünde ist
ebenso verderbenbringend wie die vorsätzliche. Ein Unrecht aus rechtem Beweg-
gründe gethan, würde doch tödlich sein. Die Sünde ist überaus sündig.
Wenn ich David und die Ältesten Israels mit Säcken um ihre Lenden und
Asche auf dem Haupte sich vor diesem Engel beugen sehe, so nehme ich wahr,
daß ein Etwas in der Sünde ist, das bewirken sollte, daß wir unsre Häupter
verbergen und weinen und wehklagen und vor dem Höchsten uns demütigen.
Laßt uns erwachen zu einem Gefühl der furchtbaren Wirklichkeit der Über-
tretung; sie ist eine traurige Thatsache, nicht eine thörichte Einbildung. I n
der Gegenwart des Engels kann hieran kein Zweifel sein.
Daß die Sünde gestraft werden muß, wird hier mit gleicher Deutlich-
keit gelehrt. Dies sieht aus wie eine Plattheit, aber es wird so bestritten,
daß wir gezwungen sind, es zu behaupten und wieder zu behaupten. J a ,
wir verkünden es wie mit Posaunenton, daß, wo immer Missethat ist, eine
Strafe sein muß, denn die Sünde muß gebüßt werden. Die Ordnung des
Weltalls erfordert es; die Gerechtigkeit Gottes verlangt es; das Buch Gottes
droht es; die Hand Gottes führt es beständig aus. Die Voraussetzung, daß
Gott, weil Er barmherzig ist, die Sünde übersehen werde, ist ebenso betrüglich
als gefährlich. Es ist eine von Satans Lügen, ebenso wie die Theorie, daß
Gott ein allgemeiner Vater sei und daß die Strafen, die Er austeilt, «icht
richterlich, sondern bessernd seien, die milden Züchtigungen einer sanften
Disziplin, die nur angewandt werde, um seine irrenden Kinder zurück-
zngewinnen, und nicht die schreckliche Androhung eines zornigen Herrschers
oder der unvenneidliche Flilch des verletzten Gesetzes. Diese Theorie, schmack-
haft, wie sie der gefallenen Natur sein mag, ist nur ein giftiger Trank, den
Satan den Seelen der Menfchen beibringt, die ihren Lüsten fröhnen wollen,
bis sie im Verderben umkommen. Ah, nein! Obgleich Gott barmherzig ist,
ist Er gerecht; obgleich Er dem Sünder vergeben kann, muß die Sünde be-
straft werden. Diese zwei Thatsachen werden miteinander in Übereinstimmung
gebracht in dem Kreuze Christi, wo die Sünde gebüßt und der Sünder ver-
treten wird. Aber sei versichert, o Sünder, wenn du deine Hoffnung auf
irgend eine Lehre baust, die leugnet, daß Schuld bezahlt, daß Verbrechen ge-
rächt, daß Süude bestraft werden muß — so richtest du das Gesetz falsch, nach
dem du gerichtet werden mußt; du beweisest nach Voraussetzungen, die keinen
andren Grund haben als einen T r a u m ; du spielst mit Täuschung und Tod.
Ich erinnere mich eines armen Mannes, der zu mir sagte: „Ich möchte wissen,
wie meine Sünde vergeben werden kann." „Durch das Blut Christi," war
meine Antwort. „ J a , " sagte er, „aber ich verstehe das nicht; was ich wissen
möchte, ist dies" — und er drückte es deutlich aus: „wenn Gott mich nicht
Spurgeon, Alttestamentltche Vllder. I4
530 Alttestamentliche Bilder.

straft für das, was ich gethan habe — fo ist alles, was ich fagen kann, Er
sollte es thnn." Ich erklärte ihm, wie Er Christum statt nnsrer strafen und
auf diese Art gerecht sein könnte und durch die Annahme eines Stellvertreters
eine Vergebung bereitet hatte. Er «erstand den Gnadenplan und freute sich
des Evangeliums. Seine Ausdrucksweise — voll der das Gewissen jedes
Menschen fühlen wird, daß sie der Wahrheit entspricht — fiel mir als eine
kräftige auf. Der Nichter der ganzen Erde, der Urheber des Gesetzes muß
sein königliches Vorrecht behaupte«. Damit dies geschehe, muß jede Über«
tretung ihren Lohn empfangen: wie die Sünde, so die Strafe. Es ist nicht
billig und gerecht, daß ich die Süßigkeit der Sünde genieße, ohne an ihrer
Bitterkeit teilzunehmen. Wenn ich jenen glänzenden Engel mit dem stammenden
Schwert anschaue, so höre ich Gott zu mir sprechen — mehr zu meinen Augen
als zu meinen Ohren: „Die Sünde muß bestraft werden." Wenn er zur
Rechten und zur Linken schlägt, wenn die Leichname auf seinem furchtbaren
Pfade liegen, wenn er weiter geht und fein Odem Pestilenz ist und vor ihm
glühende Feuerkohlen brennen, so sehe ich in diesem schrecklichen Gesicht die
fürchterliche Thatfache, daß die Nache das Verbrechen ereilt, daß Strafe den
lasterhaften Thaten folgt. Gott will keineswegs die Schuldigen schonen. Ver«
flucht ist jeder, der das Gesetz Gottes bricht.
Doch, wäre dies alles, so könnten wir in diesem Geficht nur eine Ver>
mehrung unsres Elendes sehen; aber, Gott sei gelobt, wir nehmen in dem
Gesicht, das David sah, ein Opfer f ü r die S ü n d e wahr. Das Schwert
kehrt nicht in die Scheide zurück durch die Kraft des Gebetes. Nicht das
Flehen Davids, verbunden mit der Demütigung der Altesten Israels, ob ein
Sack um ihre Lenden uud Asche auf ihren Häuptern ist, kann die Nache ab-
wenden oder den Zorn stillen. Die Sünde hatte das Schwert aus der
Scheide gezogen, und ohne ein Sühuopfer konnte es nicht wieder in die
Scheide gesteckt werden. Hätten David und diese Ältesten geweint, bis ihre
Augen trocken geworden, hätten sie ihr Fleisch gerissen, bis die Wunden zu
eitern begonnen, so hätte es nichts geholfen. Hätten sie alle Priester mit
brennendem Weihrauch hergebracht und die Vundeslade mit feierlichem Pomp
umhergetragen, so hätte der Engel sich doch nicht bewegt. Nichts genügt, bis
das schuldlose Opfer auf dem Schauplatz erscheint, das Todesurteil vollführt und
das Lebensblut auf der Tenne vergossen wird. Nicht eher bis der Farren in
Stücke gehauen, hoch anf den Altar gelegt, das Holz auf ihn gehäuft war und das
Feuer, das herab vom Himmel kam, in einer Flammenmasse vor dem Höchsten
aufstieg, wandelte sich das Zeichen, und die Votschaft ward vernommen: „Es
ist genug, laß deine Hand ab." Nenne dies Sinnbild Gleichnis oder
Illustration, aber wisse, o Sünder, daß nichts Gott je davon abhalten kann,
deine Sünden zu strafen. Deine Besserungen, deine Gebete, deine Thränen
Arafnas Tenne. 531

werden es nicht thun; ob deine Vüßungen anch noch so demütigend seien, ob


deine Entschlüsse für die Zukunft noch so fest seien, ob dein Eifer für all-
gemeine Reformation noch so glühend sei, die Aussicht wäre doch hoffnungslos.
Könntest du Ströme von Ö l geben oder zehntaufend von den fettesten
des fetten Viehes, dein Eigentum und dein Erworbenes würde nichts gelten.
Gäbest du deine Kinder für deine Übertretung, die Frncht deines Leibes für
die Sünde deiner Seele, fo steht doch das unerbittliche Gesetz fest: Auf Sünde
muß Strafe folgen. Es gibt nur ein Mittel, wodurch das Schwert in die
Scheide gesteckt werden kann: durch Christi Leiden an deiner Stelle und Statt
und an deinem Platze. Der Sohn der Jungfrau, der auch der Sohn Gottes
war, muß nach Golgatha gehen. I h r Nägel, müßt I h n durchbohren; du Holz,
mußt I h n in die Höhe heben; ihr Soldaten, müßt I h n schlagen; Tod, du
mußt I h n töten. Da, Sünder, da! das ist das, was den Engel das Schwert
in die Scheide stecken laßt. Auf Gethsemane und auf Golgatha laß dein Auge
ruhen; dort lehrt dich Gott: siehe! Er muß die Sünde strafen. Wie furcht«
bar straft Er sie ill Christo! Horche auf die Seufzer, die aus seinem Herzen
kommen. Höre seinen Todesschrei und den furchtbaren R u f : „ L a m a asab»
t h a n i l " Gott ist gerecht, denn Er straft Christum. Glaube du an Christum,
traue I h m ; dann wirst du erkennen, daß Gott deinen Heiland statt deiner ge<
straft hat: durch seine Züchtigung bist dn frei geworden. Er kann nicht zwei
für eine Beleidigung strafen; Er wird nicht erst deinen Bürgen und dann
dich schlagen.
Freut euch hierüber, daß, wenn Christus für euch starb, Er euch von der
Verdammnis befreite und euch eine ewige Erlösung sicherte.
Christus hat die ganze Strafe getragen, enre ganze Schuld hat Er be-
zahlt. Den Zorn Gottes, die volle Verdammnis oder etwas ihr Gleich»
kommendes hat Christus für euch erduldet, euch von der Sünde freigemacht
und euch von dem Flnch des Gesetzes durch sein stellvertretendes Opfer erlöst.
Er hat euch in feinem Blut gewaschen und in seine Gerechtigkeit gekleidet.
Solche Gnade habt ihr empfangen, die ihr an seinen Namen geglaubt und
unter seinem Kreuze Zuflucht gesucht habt. Solche Wahrheit ward David ge<
lehret betreffs Sünde, Strafe und Stellvertretung.
Und merkt dies, Geliebte, sobald der Farren rauchte nnd der Engel sein
Schwert einsteckte, so hörte die P l a g e a u f ; nicht einer starb mehr in
Jerusalem, nein, nicht einer. Manche mochten krank sein, aber das Fieber
verließ sie. Einige mochten auf ihrem Bette liegen und von dem Arzt auf»
gegeben sein, aber das Stecken des Schwertes in die Scheide stellte ihre Ge»
sundheit wieder her. Es war nicht des Arztes Heilkunst, es war die ge»
heimnisvolle Kraft des Opfers, die ihr Leben rettete. Erwäge dies, o schuldiger,
vom Schrecken erfaßter Sünder! Von dem Tage an, wo Jesus starb, kam
34-
532 Alttestamentliche Bilder.

kein Sünder, der an I h n glaubte, je um und konnte nicht umkommen. Die


Erlösten unterscheiden sich durch ihren Glauben an den Erlöser; die Jünger
können erkannt werden durch ihre Treue gegen ihren Herrn; Christen erweisen
sich als solche durch ihre Ähnlichkeit mit Christo. Selig sind alle, die ihr
Vertrauen auf I h n fetzen. Die Hölle hält keine Seele, die je Christo ver»
traute. I h r mögt ebensowohl erwarten, einen rebellischen Abtrünnigen im
Himmel zu fiuden, als einen bußfertige» Gläubige» i» der Hölle. Es kann
nicht sein. De» Augenblick, wo du Christo vertraust, iu diesem Augenblick
wird für dich das Schwert in die Scheide gesteckt. Werfe dich auf Iesum; es
ist eine einfache, aber eine errettende That. Sobald du dahin gekommen bist,
ans I h n allein zu ballen, ohne Stütze oder Pfeiler, so bist du sicher errettet.
Wärest du schon in den Gefilden der Herrlichkeil, mit dem weißen Kleide an«
gethan und die goldene Harfe ill der Hand, so würde deine Errettung nicht
gewisser sein. Sei guten Muts, mein Lieber, laß Freude dem Herz in Feuer
setzen und Entzücken deine Zunge entflammen. Sei getrost, du schüchterner,
niedergeschlagener Sucher. Wenu Jesus für dich starb, so hast du keine Ur-
sache zur Furcht, wenn du an I h n glaubst, so hast du den Zeugen in dir
selbst; dein Glanbe ist der Schlüssel zur Gemeiuschaft; deine vielen Sünden
sind dir vergeben. Kein Engel kann dich schlagen; du bist in dem Auftrag
des Verderbers nicht mit einbegriffen, du bist errettet. Das, meiue ich, war
die Lehre, die Gott dem David zeigte.

II.
Null gewährt uns eines Augenblicks Pause, uud wir wenden uns zu
den G r ü n d e n , weshalb D a v i d diesen Platz answählte zur Ztätte,
w a p a n f der Nempel stehen sollte.
Der Tempel, gedenkt daran, war der zur Zusammenkunft zwischen
Gott und Menschen bestimmte Ort. Es ist darum höchst lehrreich,
daß David die Tenne des Opfers weihte, denn dort war das Schwert in die
Scheide gesteckt, der Zorn gestillt und die Gnade sichtbar hervorgetreten; dort
sollte deshalb das Heiligtum errichtet werden. Gibt es eine Stelle oder einen
Voden der Versöhnung, wo ihr und ich sicher mit Gott zusammenkommen
können, ausgenommen da, wo das Sühnopfer Christi die Strafe unsrer llber-
tretungen abgewendet hat? Wir treffen oft Leute an, die unsre gottesdicnst-
lichen Versammlungen vernachlässigen, gegen Gemeinde uud Kapelle gleich viel
Einwände haben, während sie behaupten, in ihrem Garten oder auf der
offenen Heide einen edleren Tempel zu finden. Sie ziehen die Gesänge der
Vögel den Psalmen der Heiligen vor, lind das Murmeln des Baches der
Melodie der Gottesverehrung. Ihre Liebe zur Natur nimmt sie so ganz ein,
daß das Geistliche keinen Reiz für sie hat. Sie treten auf die Schollen und
Arafnas Tenne. 533

blicken auf die Wolken mit einem Behagen, verwandt mit dem der unver»
minftigen Tiere, die verderben. An ihrem Sabbat sind sie wie ein Pferd,
das in die Wiese gejagt w i r d ; sie hören auf mit der Arbeit und genießen die
Zwischenzeit der Nuhe. Sagen sie euch, daß sie den Gott der Natur an»
beten? I h r e Selbsttäuschung ist zu auffällig. I h r seid nicht dumm genug,
ihuen zu glauben. Wenn ihr ihnen nachginget, so glaube ich, würdet ihr
finden, daß ihr Götze Bacchus ist, und der Gott, den sie an diesen Tagen
ehren, ihr eigner Bauch. Weit entfernt, wirklich stille Zurückgezogenheit zu
suchen, nm den Allmächtigen zu ehren, bringen sie den Tag des Herrn in
sinnlichen Vergnügungen und üppiger Schwelgerei zn. W i r halten nichts von
solcher Gottesverehrung, wie diese Anbeter der Natur vergeblich darbringen.
Wir hören von der Gottesfurcht, aber wir haben nie etwas andres gesehen
als Gottlosigkeit. Außerdem, könnten wir auch an ihre Aufrichtigkeit in der
Gottesverehrung glauben, so würden wir geneigt sein, zu fragen, welche Art
von Gottheit es ist, die sie anerkennen, anstcmnen und anbeten. Der Gott
der Natur, sagen sie uns, ist lauter Wohlwollen, ohne Znsatz von etwas
andrem, und sie schmeicheln sich, daß er die Sünde nicht strafe, die Schuld
nicht räche und die Übelthäter nicht verdamme. Verzeiht mir, aber mit eurer
Erlaubnis möchte ich eure Mißverständnisse berichtigen. Was für ein Natur-
gesetz denkt ihr ungestraft verletzen zu können? Wenn vorzeiten nnsre Vor»
väter gegen Gesundheitsgesetze sündigten, strafte Gott sie nicht? Was meint
ihr von der Pest in London und der Altzahl, die in jedem Hause starben,
bis kanm noch Raum war, die Leichen zu begraben? Der Gott der Natur
that dies, erinnere man sich daran; die Menschen verletzten seine Gesetze, und
sogleich schlug Er sie. Könnt ihr gegen das, was Naturgesetz genannt wird,
ohne Furcht sündigen? Ich kann es nicht. Habt ihr die furchtbaren Er-
fahrungen Amerikas vergessen, als es der schwarzen Bevölkerung ihre natür-
lichen Rechte versagte und gegen die Sklaven sündigte? Wie schlug Gott
diesen großen Weltteil? Erinnert ihr euch nicht des Kampfes zwischen den
Nord» ulld Südstaaten und der vom Blut geröteten Schlachtfelder? Was, ob
auch eines Bruders Hand gegen seinen Bruder aufgehoben war, so war es
darum nicht weniger Gottes Strafe der Sünde. Und hier bei nns, wenn ein
Mensch sich durch Laster befleckt, macht uns die Strafe, die ersichzuzieht, nicht
schaudern, wenn wir darall denken? J a , und wird es nicht all seinen Kindern
heimgesucht? Werden sie es nicht bis in die dritte und vierte Generation
fühlen? Gewiß, es ist der Gott der Natur, der so offenbar die Sünde straft.
„Der Gott der Natur," wie B y r o n es ausdrückt, „spiegelt sich sowohl in
Stürmen wie in grünen Feldern ab und wird ebensosehr gesehen, wenn Er
auf dem Wirbelwind daherfährt und die Wolken zu seinem Wagen macht im
Sturm, wie in den schönen Blumen und den lieblich singenden Vögeln."
534 Alttestamentliche Bilder.

Wenn ihr den Gott der Natur anrufen wollt, seht zu, was für eine Art von Gott
Er ist. Ich behaupte, daß der Gott der Natur ein Gott des Gerichts ist, und
es gibt keinen Ort der Zusammenkunft zwischen einem vernünftigen, sich seiner
selbst bewußten, erweckten, gefallenen Menschen und dem Gott, der das Weltall
regiert, ausgenommen durch ein Opfer — das Opfer am Kreuze. Gewiß weiß
ich, daß meine Seele nie sich eine Möglichkeit der Gemeinschaft mit meinem
Schöpfer vorstellen konnte außer am Fuße des Kreuzes, wo die Gerechtigkeit
geehrt und die Gnade offenbar ward.
Junge Männer, Mitglieder dieser Gemeinde, ich möchte euch recht in
dieser Lehre von der Erlösung befestigt fehen. Versteht sie klar und dann
streitet männlich für sie, ich bitte euch. Wenn ihr diese Feste erst aufgebt, so
werdet ihr dein traurigsten Skeptizismus ausgesetzt sein, ja, ihr werdet dem
nackten Atheismus offen stehen. Wenn du die Versöhnung Christi in Zweifel
ziehst, junger Mann, so hast du deinen Anker aufgezogen und mußt vor dem
Winde hin» und Hertreiben. D u kannst nicht Gott nahen ohne das Kreuz.
Nur eines Arafnas Tenne kann den Platz für einen Tempel liefern. Wenn
du den Altar und das Opfer verlassest, so wirst du von Gott verlassen werden,
und es wird nicht lange dauern, bis du Wahrheit und Gerechtigkeit aufgibst.
Der Heiligkeit und Freudigkeit wirst du entfremdet werden. Auf jeder Kanzel,
wo die Lehre von der Versöhnung zurückgehalten wird, neigt sich die Richtung
dem Socinianismus zu, und es ist nur ein kleiner Raum gelassen, nur eiue
schmale Linie, die den Unitarier von dem Ungläubigen trennt. Der Tempel
ist nicht nur der Ort der Zusammenknnft für den Menschen mit seinem Gott;
er ist nicht weniger der Platz der Zusammenkunst des Menschen mit seinen
Mitmenschen. Es ist keine solche Einigkeit wie die, welche durch das Krenz
kommt. Das Wasser der Taufe ist nicht der Vereinigungspunkt für alle
Gläubige, da viele dort in die Wasser des Streites getaucht werden. O, meine
Seele, komme du nicht in ihren Rat! Gewiß gibt kein Bekenntnis einer
Lehre, kein orthodoxes Glaubensbekenntnis einen loous swnäi ab, wo alle
mit denselben Augen sehen, denn fromme Leute habm fehr verschiedene Ansichten;
dennoch sind die Kinder Gottes alle aus einer Familie, ungeachtet ihrer ab»
weichenden Meinungen. Wenn wir ans das Krenz zu sprechen kommen, so
stecken wir unsre Schwerter ein, da ist kein Kampf. Wesley singt:

„Jesus, meiner Seele Freund,


Laß mich fliehen an Dein Herz."

Und T o p l a d y singt:
„Fels des Heils, gespalten mir,
Laß mich bergen mich in Dir."
Arafnas Tenne. 535

Wesley tadelt T o p l a d y auf der Kanzel, T o p l a d y nennt Wesley


einen „alten getheertcn und befederten Fuchs;" aber wenn sie hier zu Christo Jesu
kommen, ist all ihre Bitterkeit beiseite gelegt; sie begegnen sich, wie ihr klar
seht, in Harmonie, denn ihre Gefühle sind dieselben. Nichte also das Kreuz
hoch auf, Prediger! richte das Kreuz hoch auf, Sonntagsschullehrer! Hier,
und hier allein begegnen sich Gerechtigkeit und Friede, Gott schließt den
Menschen an sein Herz, und der Mensch seinen Bruder, und wir werden eins
miteinander und dann eins in Jesu Christo.
Wir wollen uns nun zu einem zweiten Grunde für diese Widmung
wenden. D e r T e m p e l w a r der O r t der O f f e n b a r u n g . Der Jude ließ
sich me träumen, Gott anderswo als im Tempel zu sehen. Er ging Hillauf zu
feinen heiligen Höfen, damit er in den verschiedenen Gottesdiensten des Hauses
die Schönheit des Herrn sehen möchte. Der Hohepriester sah am Versöhnungs»
tage Gott in dem geheimnisvollen Lichte, das zwischen den Flügeln der
Cherubim leuchtete, das Licht, welches die Schechinah genannt ward, die einzige
sichtbare Inwohnung der Gottheit, das einzige Licht Gottes, das das mensch-
liche Auge klar sehen konnte. Der Tempel, sage ich, war der Ort, wo Gott
sich enthüllte. Jedem Hohenpriester ward eine Guust, ähnlich wie sie Mose
zu teil wurde, gewährt. Mose wurde in die Felsenspalte gestellt, damit er den
Saum von dem Gewände Iehovahs sehen könnte; so sah jeder Hohepriester der
Juden und jeder Jude in seinem Hohepriester soviel von Gott im Tempel,
als im alten Bunde gesehen werden konnte. Seht also. Freunde, es ist passelch,
daß der Ort, wo Christus das Opfer darbringt, der Ort der Offenbarung
Gottes an den Menschen ist. W i r erklären ohne Furcht vor Widerspruch, daß
mehr Gottheit in dem verwundeten Leibe Christi ist, als in dem übrigen
ganzen Kreis der Erde. Wenn jemand Gott in vollkommener Weise sehen
w i l l , so schaue er auf jenen blutenden M a n n ! Wenn er Gottes Liebe
sehen will, so schaue er auf den Menschgewordenen, an des Sünders Statt
leidenden Sohn Gottes. Wenn er Gottes Gerechtigkeit sehen will, so schaue
er auf den Eingebornen des Vaters, der von jedem Pfeil aus des Himmels
Köcher durchbohrt und- in jedem Atom feines Leibes und Geistes verwundet ist,
weil Er den Fluch für die schuldigen Menschen trägt. Wenn er Gottes All»
macht sehen will, so schaue er sie in Christo, der die Sünde der Welt trägt,
ohne daß doch seine Gebeine zerbrochen werden. Wenn er die Weisheit
Gottes sehen will, so nehme er sie wahr all dem schimpflichen Holze, wo der
Heiland die Sünde der Menschen büßt. Es ist keine Eigenschaft Gottes,
die nicht klar dort gesehen wird. Es ist nicht ein einzelner Stern, sondern
es ist ein Sternbild von den glänzendsten Sternen, den Plejaden gleich, i l l
Christo; ich sehe nicht die Sterne nur, sondern die Sonne in Christo; ich
sehe nicht die Kleider der Gottheit, sondern die Gottheit selbst. Hier sehe ich
536 Alttestamentliche Bilder.

nicht des Himmels Perlenthore, sondern den Himmel jedem Auge aufgethan.
Hier sehe ich nicht nur Gottes Werke, sondern in Wahrheit Gottes Herz;
nicht so sehr die Eigenschaften des Allmächtigen, sondern den Allmächtigen
selber. Wenn ich mich von dem brennenden Busche Golgathas wende, wo
Jesus mit Feuer brennt nnd nicht verzehrt wird, sage ich: „ W i r haben Gott
gesehen, wir haben I h n von Angesicht zu Angesicht gesehen!" Ich muß es
wiederholen, daß nirgends anders Gott so klar gesehen wird, als am Kreuze.
Die, welche Gott nicht in Christo sehen wollen, werden bald unempfindlich
gegen das Zeugnis von der ewigen Macht und Gottheit ill andren Dingen.
„Liebe" ist der Ruf, den ich höre, „Liebe" wird überall geprieseu. J a , für»
wahr, liebevoller als Christus möchten manche uns in der Duldung von
Ketzerei haben. Aber was sagt die Schrift? Sie sagt: „Einen andren Grund
kann zwar niemand legen, außer dem, der gelegt ist." „Es ist kein andrer
Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden." Erinnert ihr
euch des nachdrücklichen Ausspruchs des Apostels Paulus: „ S o auch wir oder
ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen, anders, denn das
wir euch gepredigt haben, der sei verflucht." Von dieser neuen Liebe weiß ich
nichts, und auch unsre Väter vor uns wußten nichts davon. Die Puritaner
und Covenanters konnten bluten und sterben, aber sie konnten nicht die blut«
rote Fahne des Kreuzes Christi aufgeben. Unsre frommen Vorfahren, die
Albigenser und Waldenser, voll denen, wir in direkter Linie abstammen,
konnten im Schnee der Berge aushalten und ihn mit dem Rot ihrer bluten-
den Füße färben, aber sie konnten nicht von der Wahrheit lassen. Jene
früheren Vekenner des Glaubens, von denen wir entsprungen, konnten von
der Hand der Hure, der Hure Noms, leiden und ihr Blut wie Wasser für
den Herrn der Heerscharen vergießen; aber das Losungswort, das sie nie auf«
geben konnten, war dies: „ W i r können nur in Christo den Weg des Heils
sehen." Gott ward im Fleische geoffenbaret, Er hat eine Versöhnung für sein
Volk zustandegebracht, auf diesem blutbesprengten Pfade gehen wir i n den
Himmel ein. J a , lieben Freuude, die Lehre von der Versöhnung selber ist
der einzige Ort, wo Gott mit dem Menschen zusammenkommt, und sie ist der
einzige Ort der Offenbarung an die Menschen, wenn sie Gott richtig und
deutlich sehen wollen.
Drittens war der Tempel die H e i m a t der Freude. O, was für
Gesänge, was für heilige Melodien gingen zum Himmel auf vont Verge Zioul
M i r ist zuweilen in diesem Hause gewesen, als wenn meine Seele hier bleiben,
und sich von hier hinweg zu den himmlischen Gefilden singen möchte. Wenn
ich das Singen von Taufenden der Heiligen Gottes hörte, so meinte ich, kein
Entzücken könne höher steigen; aber nnsre Gesänge sind doch armselig, ver<
glichet! mit denen der Menge Israels, die vom Norden und Süden, Osteil
Arafnas Tenne. 537

und Westen, von' Dan, von Verseba, und von jenseit des Jordans kam —
sie zogen hinauf wie Ströme von Harmonien, und wenn sie das goldene Dach
des Tempels erblickten, schlugen ihre Herzen hoch, und ihre Stimmen wurden
jubelnd. Alls goldenen und silberneil Posaunen ergossen sich mächtige Wogen
der Melodien, und noch andre Instrumente, vereint mit den menschlichen
Stimmen, sandten den frohen Ton dankbaren Preises zum Höchsten empor.
Priester uud Älteste leiteten den Gesang und zehntausend mal zehntausend
aus allen Stämmen riefen „Hosianna!" oder sangen etliche der schönen Lieder
Davids. O, wie gut und lieblich muß es in jenen Tagen gewesen sein,
hinauf zum Hause des Herrn zu gehen! Und o, wie wunderbar ist es, daß
gerade diese Tenne, wo zuerst eine Versöhnung für Jerusalem dargebracht
ward, die Stätte war, wo all diese Gesänge sich vereinten. Gesang ist reichlich,
wo das Vlut frei stoß; wo der Zorn aufhörte, beginnt die heilige Fröhlichkeit.
Geliebte, die reichste Freude, die Erde und Himmel kennen, entfpringt dem
kristallenen Vorn aus Jesu Seite. Der Himmel war nie so froh, als da Jesus
gell Himmel fuhr. I h r und ich sind nie so glücklich, als wenn wir uusre
Vergebung, unsre völlige Erlösung, unter dem Kreuze stehend schauen. Wollt
ihr den höchsten Segen empfangen, fo gedenkt der Tenne des Arafna. Dort
wütete die Pestilenz, dort stand der Ellgel, dort rauchte der Farren, und dort
hörte die Plage auf. Das ist die Stätte, wo die Gesänge ihren Brennpunkt
finden; dort bleibet und seid fröhlich alle Tage.
Doch ein vierter Gedanke mag eurer Erinnerung würdig sein. D e r
T e m p e l w a r das V o r b i l d der Gemeinde; deshalb mußte der Tempel da
gebaut werden, wo das Opfer der Plage Einhalt that. Der Grundstein der
Gemeinde ist die Person Christi; die Lehre von der Versöhnung ist die Er<
klärung feines Werkes auf der Erde. Wenn jemand an die Versöhnung glaubt,
und sich auf diefe Thatsache und ihre Folgen verläßt, fo ist er ein Christ.
Wer nicht all unsres Erlöfers wundervolle Passion und seine vollständige Be-
friedigung der Gerechtigkeit Gottes glaubt, mag sich nennen, wie es ihm
beliebt, und sein Bekenntnis heißen, wie er will — ein Christ ist er nicht.
Wo zwei oder drei in Christi Namen versammelt sind, da ist eine Gemeinde;
aber die reichste Körperschaft mit den höchsten Würden, die eine Nation ver-
leihen kann, wird nie eine Gemeinde ausmachen, wenn nicht die Lehre von
der Versöhnung fest behauptet lind klar gelehrt wird. Ich möchte nicht hart
richten oder rafch sprechen; aber ich glaube in vollem Ernst, daß Hunderte von
Predigern in London sind, die niemals einen „deutlichen T o l l " über die Ver»
söhnung Christi geben. Daß Christus etwas am Kreuze that, geben sie zu;
was Er that, können sie nicht bestimmen. Populäre Bücher, die von gelehrten
Theologen veröffentlicht werdeil, sagen uns, daß wir danach nicht fragen sollen,
und auch nicht zu wünschen brauchen, es zu wissen. Eine gewisse mythische
538 Alttestamentliche Bilder.

Aussöhnung wurde bewerkstelligt; was indes sein wirkliches stellvertretendes


Leiden für Sünder, der Gerechte für die Ungerechten, betrifft, so wird dies
solchen! schwachen Verstande zu glauben überlassen, wie populäre Evangelisten
ihn haben mögen. Diese fein gebildeten Herren, die fo gelehrt sind, daß
niemand sie verstehen kann, und so anziehend, daß sie mehr Spinnen als
Hörer in ihren Kirchen haben, die sind viel zu philosophisch, um eine Ver»
söhunng zu predigen. O nein! es paßt gerade für den gewöhnlichen Verstand,
sagen sie. Wißt ihr, ich habe gehört, daß in einem gewissen College, wo
Männer zu Predigern ausgebildet werden, nach einer Diskussion die Frage
aufgeworfen ward: „Hat die neuere Wiederbelebung Puritanischer Lehre mehr
Gutes als Schaden gethan?" und diese Frage mit der Majorität von e i n e r
Stimme bejaht wurde — von nur e i n e r ! Nun wohl, da die Puritanische
Lehre weder mehr noch weniger ist, als eine konsequente Auslegung des Evan«
geliums mit einer entsprechenden Forderung der Einfachheit und Aufrichtigkeit
des Lebens, so sind wir geneigt, zu fragen, was ist von den Lehrern des auf»
wachsenden Geschlechtes zu erwarten? Sind diese Herren es, die herangebildet
werden, die Söhne der harten Arbeit zu lehren? Was für eine Art geistlicher
Speise werden sie denjenigen austeilen, die zu ihrer Predigt kommen? Werden
diese Herren Christum, den Gekreuzigten, predigen oder werden sie das Evan»
gelimn sieben und verdünnen, bis ihre Predigten nichts sind als das Echo der
Meinungen des Jahrhunderts, und die nützlichen Morallehren, die in der
Gegenwart im Umlauf sind? Lieber möge dieses Haus ganz vom Feller ver»
zehrt werden, und kein Stein auf dein andren bleibell, der nicht niedergeworfen
werde, als daß der Tag kommen sollte, wo hier ein undeutlicher Tou über die
Versöhnung gegeben würde. Dies ist nicht bloß eine Lehre der Gemeinde;
es ist d i e Lehre der Gemeinde; laßt sie ans, und ihr habt keine Wahrheit;
ihr habt keinen Heiland, keine Gemeinde. Wie L u t h e r von der Lehre der
Rechtfertigung durch den Glauben sagte, es sei der Artikel, mit dem die Ge>
meinde stehe oder falle, so behaupten wir dies von der Lehre von der Ver«
söhnnng, der vollständigen, wirksamen Versöhnung, des stellvertretenden Opfers
Christi für die Sünden der Menschen. Haltet daran fest, ihr, die ihr die
Heiligen auferbauen wollt auf ihrem allerheiligsten Glauben. I m Leben, im
Todehaltet daran; laßt es euren Eckstein sein; laßt es euren Zinnober-Zement
sein, wodurch ihr die Steine miteinander verbindet. Laßt es eure Kelle, euren
Hammer und eller Schwert sein; laßt dies das e i n e Wesentliche sein, haltet
es für das Unentbehrliche, wenn ihr Gott ehren, und wenn ihr seine Gemeinde
auferbauen wollt.
Und schließlich, wie dies der Ort sein sollte für die Gründung der
heiligen Gemeinschaft, so mußte es der Platz f ü r den A l t a r sein, auf
dem a l l e Opfer Jehovah dargebracht wurden. Brüder, es ziemt sich,
Arafnas Tenne. 539

daß der Platz, wo Christus starb — der Ort, meine ich, wo das Opfer das ver«
heerende Schwert des Gerichts anfhielt — daß dieser Verg Zion die Stätte ist, wo
das Volk Gottes seine Gaben und Friedensopfer darbringt. Bloße Ermahnungen
zur Anständigkeit nützen nichts. I h r mögt noch so beredt über die Mäßigkeit
predigen, und doch keinen einzigen Trunkenbold bessern; ihr mögt der Keusch»
heit eine Lobrede halten, so daß die Allsschweifenden sie bewundern; ihr mögt
die Ehrlichkeit preisen inmitten von Buben und Gaunern, die eure schöne
Rede preisen. Das Gebot hat keine wiedergebärende Macht. Die Leute
werden nicht gut dadurch, daß ihnen das Gute vorgepredigt wird. Reines
Christentum wird nicht durch das Gesetz ausgebreitet, und ill der Gemeinschaft
der Heiligen ist Gesetzlichkeit von keinem Nutzen. Peitsche,! sind für die Rücken
der Narren, Heilige bedürfen eines besseren Sporns; Drohungen mögen Ein«
faltspinsel in Zügel halten, aber für Christen haben Verheißungen mehr Ge-
wicht. Wenn ich euch zur Thätigkeit antreiben oder ein gutes Werk unter euch
fördern will, so muß ich Christum predigen, eure Seele mit dem Brot des
Himmels speisen, dann wird die Gnade in euch wirksam werden und Gutes
wird von selbst aus euch hervorgehen. Schauet den Ort, wo Jesus sein Blut
vergoß! Hierher bringt eure Opfer: widmet euch als gauze Vrandovfer Gott,
eure Zeit, eure Talente, euer Vermögen. Kein Mensch bringt seine Opfer
nach Sinai, aber Taufende bringen ihre Gaben nach Golgatha. Kein Mann
geht als Missionar fort aus einem Gefühl der Pflicht, wie ich hoffe, es sei
denn jener Mann, der fand, daß die Zulu-Kaffem ihm zu übermächtig waren.
Wir gehen als Missionare, nicht aus einem Gefühl der Pflicht, sondern aus
einem Gefühl der Liebe Christi. Liebe läßt einen Menschen wirken und
wagen; er trägt sein Leben in seiner Hand; er geht zu Wilden, uuter ihnen
Entbehrungen zu dulden oder zu sterben. Nicht auf den gebieterischen Ruf
der Pflicht, das ist ein Sporn, den Christen nicht immer fühlen. Aber Liebe,
— Liebe zu Jesu, Liebe zu Gott um deswillen, was Er für sie gethan hat,
Liebe zu den Menschen, Eifer für sie uud der Wunsch, ihnen wohlzuthuu,
wird zu hillgebenden und heldenmütigen Thaten treiben. Predige das Kreuz,
Dieller Gottes, und du brauchst nie daran zu zweifeln, daß deine Predigten
praktisch sein werden. Die Versöhnung ist die praktischste aller Lehren. Die,
welche Werke predigen, spielen mit Projekten und bringen keinen Nutzen hervor,
während die, welche Christum predigen, die Heiligkeit fördern uud Früchte der
Gerechtigkeit zum ewigen Leben reifen.
Frage dich selbst, mein Freund, hast du je in Christo die Stätte ge-
funden, wo du mit Gott zusammen kamst? Wenn du es nicht hast, so gehe
geradeswegs zu Christo, vertraue I h m , und du wirst Gott finden. „Wer mich
stehet, der stehet den Vater," ist seine eigne Erklärung. Geh' zum Kreuze,
du, der du die Last deiner Sünden fühlst. Der Platz des Kreuzes ist der
540 Alttestamentliche Bilder.

Ort, wo der Tempel der Freude errichtet wird. Wünschest du, in Frieden
mit deinem Nachbar zu sein? Geht beide zum Altar, wo Jesus starb, da
wird euer Friede befestigt werden. Wünscht jemand, eine Gemeinde Gottes
in seiner Umgebung zu gründen? Geh' zu Christo und stütze dich auf seine
Verheißung. Er ist der Felsen, auf dem du stark gemacht werden sollst. Niemand
als Jesus — uiemaud als Jesus! Strebe nicht danach, dich selbst besser zu
machen; suche nicht, durch Verdienst in den Himmel zu kommeu; gib deine
thörichten Gründe und Vorsätze auf. D u magst auf der Tretmühle arbeiten,
aber du wirst nicht höher kommen — keinen Zoll näher den Sternen wirst
du mit all deinen Anstrengungen kommen. Nieder vor dem Kreuz wirf dich,
Sünder — Lumpen uud alles, hartes Herz und alles — gerade wie du bist,
so komme, ohne einen Versuch, dich selbst rein zu machen. Wenn du so zu
Christo kommst, so bist du zum Glück, zur Sicherheit, zum Himmel gekommen.
Möge dein Herz sich dazu neigen; möge der Geist dich führen; möge Jesus
dich retten; möge Gott, der Vater, dich annehmen, uud dem dreieinigen Jehovah
soll auf ewig der Preis gebühren. Amen.
Die Dromedare. 541

37.
Die Dromedare.
Ü ) i r wollen zuerst einige Verse lesen, und am Ende derselben werdet
ihr den Text finden.

„ I u d a aber und Israel, des war viel Und die


Amtleute versorgten deu König Salomo und alles, was zum Tisch
gehörte, ein jeglicher in seinen« Monat, und ließen nichts fehlen. Auch
Gerste und Stroh für die Rosse und Dromedare brachten sie an den
Ort, da er war, ein jeglicher nach seiuem Amt."
1 Kön. 4, 20—28. (Engl. Üb.)

Die letzten Worte sind der Text unsrer Predigt.


Aus der ganzen Stelle ersehet ihr, daß das Reich Israel unter der
Herrschaft Salomos ein schönes Vorbild der Negiernng nnsres Herrn Jesu
Christi war. Vielleicht beschreibt sie am genauesten sein künftiges Reich in
der lange erwarteten Herrlichkeit der letzten Tage. Der gegenwärtige Zustand
der Gemeinde kann der Negierung Davids verglichen werden, glänzend durch
Siege, aber beunruhigt durch Kämpfe; aber es sollen bessere Tage kommen,
Tage, in denen das Reich ausgedehnter und sichtbarer werden soll; und dann
wird der Herr Iesns Christus uoch deutlicher als der Salomo des Reiches go
sehen werden, der „herrschen wird von einem Meer bis ans andre." Doch
selbst jetzt, da „wir, die wir glauben, in die Ruhe gehen," nehmen wir an
den reichen Gütern teil, die in dem Gnadenbund verliehen sind, selbst jetzt
schon; und ich kann von allen sagen, die unter die Herrschaft Christi gekommen
sind, daß wir in einer Region des F r i e d e n s wohnen, ein jeglicher unter
seinem Weinstock und seinem Feigenbaum, wo niemand uns Furcht erregt.
„ S o ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind," und
„nun wir denn sind gerecht geworden durch deu Glauben, so haben wir
Frieden mit Gott, durch unsren Herrn Iesum Christ." „Der Friede Gottes,
der da höher ist denn alle Vernnnft, bewahrte unsre Herzen und Sinne durch
542 Alttestameiltlichc Bilder.

Iesum Christum." Israel hatte unter Salomo Überfluß sowohl als Frieden.
Was sagt der Geschichtschreiber? Sie waren „viel wie der Sand am Meer
und aßen und tranken und waren fröhlich." Es wird gesagt, daß zu
Salomos Zeit eine solche Fülle im Lande war, daß Gold nicht mehr wert
war als Silber, und Silber kaum größeren Wert hatte als Eisen, und die
andren Metalle wurden wenig geachtet. So gewöhnlich waren die köstlichen
Metalle geworden, daß sie kaum noch köstlich waren, sie waren in solcher
Menge vorhanden. I m ganzen Lande floß Milch und Honig, und das Volk
freute sich und war fröhlich. Gewiß, der Herr Jesus Christus hat sein Volk
in einell Stand des größten Überflusses gebracht, denn „es ist alles euer; es
sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige;
alles ist euer I h r aber seid Christi; Christus aber ist Gottes." Welche Fülle
muß der Maun haben, zu dem der Herr gesprochen hat: „Kein Gutes will ich
dem mangeln lassen, der aufrichtig wandelt." „Alles, was ihr bittet in eurem
Gebet, glaubet nur, daß ihr es empfangen werdet, so wird es euch werden."
Er hat uns earw biancks im Gebet gegeben. Er hat in unsre Hand die
Schlüssel seines Schatzes gelegt, und hat uns geheißen, zu nehmen, was wir
wollen. Er hat gesagt: „Habe deine Lust an dem Herrn, und Er wird dir
geben, was dein Herz wünschet;" und hat hinzugefügt: „Thue deinen Mund
weit auf, so will ich ihu füllen." Weun wir nicht haben, so ist es, weil wir
nicht bitten oder weil wir übel bitten.
Auch wir leben ferner in einem Reich, das mit Weisheit regiert wird.
Es wird in diesem Kapitel von Salomo gesagt, daß er sehr große Weisheit
und Verstand hatte und Weitherzigkeit wie Sand, der am Ufer des Meeres
liegt; und Salomos Weisheit war größer, denn aller Kinder gegen Morgen
und aller Ägypter Weisheit. Ist dies nicht auch unsre Ehre und unser Vor«
recht? Seht, der Herr Jesus Christus ist uns „zur Weisheit gemacht." „Wir
haben die Salbung von dem Heiligen lind wissen alles," wenn wir in I h m
wohnen; denn „das Geheimnis des Herrn ist bei denen, die I h n fürchten, und
Er lasset sie wissen seinen Bund." „So jemand will des Willen thun, der
wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei." „Alle deine Kinder sollen
gelehrt vom Herrn sein, und groß soll der Friede deiner Kinder sein." So
leben wir unter einer Herrschaft der Weisheit, welche Weisheit sich jedem von
uns mitteilt nach seiner Fähigkeit, sie zu empfangen, ja, felbst denen, deren
Erfahrung nur flach ist: „Daß die Alberneu witzig, und die Jünglinge ver«
nünftig und vorsichtig werden." „So aber jemand unter euch Weisheit mangelt,
der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich jedermann, und rückt es nie«
mand auf."
Israel hatte einell König, der voll Macht war. Salomo hatte
Schwadrollen von Pferden und Kriegswagen, und er war so stark, daß die
Die Dromedare. 543

Könige der Erde nicht wagten, mit ihm in den Streit zu gehen, sondern ihm
Tribut brachten. Unser König hat bessere Kräfte als Nosse und Kricgswagen,
denn Er braucht nur zu seinem Vater zu sprechen, und der sendet Ihm sogleich
zwanzig Legionen Engel. Ihm ist alle Macht im Himmel und auf Erden
übergeben. Die Mlle der Gottheit wohnt in Ihm zur Verteidigung und Hilfe
seines Volkes, lind wenn ihr nur eure Augen öffnen wollt, fo werdet ihr
feurige Nosse nnd fenrige Wagen um euren Herrn herum sehen. Heere von
Engeln fahren auf des Meuschen Sohn herauf und herab, und der ganze
Himmel ist in Bewegung für die Zwecke Gottes in Ehristo Jesu. Kein Engel
steht still unter der Herrschaft Christi, sondern jeder fährt herauf oder herab,
um seines Herrn Befehl auszurichten. Sprecht von mächtigen Fürsten, Er ist
der Fürst der Erdenkönige, der „Selige und allein Gewaltige," dem die Herr»
schaft über alle Fürstentümer und Mächte gehört. Ich könnte weiter gehen mit
der Vergleichung, aber das ist nicht der Zweck meiner Rede.
Das große Reich Salomos wurde durch eine wohlbestellte Reihe von
Beamten verwaltet, und gewisse Personen waren über jede Provinz gesetzt, die
unter andren Pflichten auch für des Königs Tisch und seine Ställe zn sorgen
hatten. Der Tisch war sehr reich versorgt, wie ihr bei unsrem Lesen vorhin
saht; und im Stalle standen Kriegsrosse lind auch schnelle Dromedare, die in
derselben Weise gebraucht wurden, wie uusre Postpferde, um Botschaften rasch
von einer Station zur andren zu tragen. Diese schnellen Rosse und Dromedare
liefen von Stadt zu Stadt mit den königlichen Befehlen, und auf diese Weise
ward das ganze Land in steter Verbindung mit der Hauptstadt gehalten. Be«
stimmte Beamte waren verpflichtet, für diese Nosse und Dromedare zu sorgen
uud für alles andre, was des Königs Angelegenheiten betraf; und mein
Thema ist diesmal die Ähnlichkeit zwischen diesen Anordnungen und dell Ein»
richtungen des Reiches Gottes.

I.
Wir wollen zuerst bemerken, daß jeder V«m Z a l o m o s AngefteUten
ein A m t hatte. Der Text sagt: „ein jeglicher nach seinem Amt." Wir
haben Beamte an den jetzigen Höfen, die sehr zur Zierde gereichen mögen,
aber wenn man das gesagt hat, so ist wenig mehr hinzuzufügen. An Gala-
tagen und Festen tragen sie viele Dekorationen, glänzen in ihren Sternen
und Orden und prachtvollen Gewändern, aber was für eiue besondere Auf»
gäbe sie erfüllen, das bin ich nicht im stände zu sagen. An Salomos Hof
hatten alle Beamte einen Dienst zu verrichten, „ein jeglicher nach
seinem Amt." Es ist genau so in dem Reiche unsres Herrn Jesu Christi.
Wenn wir in Wahrheit sein eigen sind, so hat Er uns zu irgend einem Werk
und Amt berufen, und Er will, daß wir dies Amt fleißig verwalten. Wir
544 Alttestamentliche Bilder.

sollen nicht Rentiers sein, sondern Krieger; nicht faule Herumtreiber, sondern
fleißige Arbeiter; nicht schimmerndes Flittergold, sondern brennende und
scheinende Lichter.
Es ist eine überaus große Ehre, der geringste Diener des Königs Jesus
zu sein. Es ist mehr Ehre, ein Küchenjuuge in Christi Küche zu sein, als
einer der Großen eines irdischen Reiches. Die niedrigste Stellung, die man
im Reiche Jesu Christi einnehmen kann, wenn irgend eine i n einem solchen
Dienste niedrig sein kann, hat einen Anhauch von göttlicher Herrlichkeit; und
wenn wir sie richtig ausfüllen, wäre es nur das Waschen der Füße der
Heiligen, so nehmen wir an der Ehre unsres Meisters teil, der es nicht ver»
schmähte, selber ein Gleiches zu thun. Aber kein Mensch wird in ein Amt
der Gemeinde eingesetzt, um nur als Zierat zu dienen. W i r sind an unsren
Platz gestellt mit einem Zweck und einer Absicht, jeder Maun nach seinem
Amt — jede Frau nach ihrem Amt. Mein lieber Bruder, du nimmst nicht
den Posten eines Predigers oder Pastors ein, damit du geachtet werden mögest,
sondern damit dn „die Lehre Gottes, deines Heilandes, zierest ill allen
Stücken." D u bist uicht, mein lieber Bruder, zum Ältesten oder Diakou in
eiller Gemeinde verordnet, damit Gott dich ehre (obgleich Er dich dadurch ehrt),
sondern damit du Gott Ehre bringest — damit die Menschen die Gnade
Gottes in dir sehen nnd Gott in dir preisen. Die Gemeinden sind nicht um
der Prediger willen gemacht, soudern die Prediger um der Gemeinden willen.
Wir, die wir ein Amt in der Gemeinde tragen, sind nicht verordnet unsert-
wegen, sondern des Volkes wegen, und sollten stets dieser Thatsache gedenken
nnd sie vor Augen haben in nnsrem Leben. Lieben Freunde, wenn ihr de-
rufen seid, in der Schule zu lehren, wenn ihr berufen seid, von Halls zu
Halls Besuche zu machen oder Stadtmissionare oder Vibelfrancn zu sein, so
habt ihr ein Werk zu thun, und ihr müßt es gut thuu oder sonst eine tranrige
Rechenschaft am letzten Ende ablegen. Das Amt ist euch nicht gegeben, daß
ihr dadurch Ansehen erlangt und die Ehre habt, es zn bekleiden, sondern damit
ihr eurem Herrn Jesu Christo wirkliche Dienste leistet. Kein Diener Christi
kann treu sein, wenn er diesen Titel als einen bloßen Ehrentitel, der keine
Verpflichtungen einschließt, betrachtet. Wenn wir Diener und Beamte eines
großen Königs sein wollen, so müssen wir unsren Nacken dem Joch beugen
und uns nicht einbilden, es sei genug, Bürden auf andrer Leute Schultern
zu binden und selbst nur die Zuschauer zu spielen. Es wird von Hiobs Vieh
gesagt: „Die Rinder pflügten uud die Esel gingen neben ihnen an der Weide;"
aber ill unsres Herrn Feld müssen wir alle Rinder sein und bei der Furche
bleiben.
D i e j e n i g e n , welche S a l o m o dienten, w a r e n Beamte unter
einem strengen K ö n i g , denn seine Weisheit war eine solche, daß er keine
Die Dromedare. 545

Untreue im Amt dnldete. Er wählte die besten Männer, und so lange er sie
behielt, wollte er Arbeit und erwartete prompte Aufmerksamkeit. Wenn sie
ihre Pflicht nicht thatcn, so that er die seine nnd jagte sie fort. Es ist sehr
ähnlich in der Gemeinde Christi. Ich spreche nicht, als wenn die Kinder
Gottes verloren gehen könnten, aber ich sage dies, wenn du im Dienste Christi
nicht eill treuer Knecht bist, so wirst du bald einem andren Platz zu mache»
habe». D u magst aufs Krallkenlager geworfen werden, und dann wirst du
Weh statt Werk haben, oder du magst in den Nachtrab geschoben werden uud
dort hinten gehen nnd schmerzlich weinen, daß du in der Front deine Pflicht
nicht treu gethan. Gedenke des Spruches: „Der Herr, dein Gott, ist ein
eifersüchtiger Gott," und sei versichert, daß unser Herr Jesus Christus seinem
Vater gleich ist, Er will den flcißigeu Gehorsam und den trenen Eifer feiner
Diener haben, sonst wird Er sie entlassen und ihr Amt ihnen nehmen.
„Neiniget euch, die ihr des Herrn Geräte tragt," spricht Er, denn Er verlangt
Ehrfurcht von denen, die um I h n sind, unheilige Diener und untreue Knechte
werden bald finden, daß ihr Herr sie entbehren kann. Mancher Prediger hat
einen günstigen Platz verlassen müssen, weil er ihn nicht eifrig benutzt hat,
um Seelen zu gewinnen und die Christen in den heiligen Krieg zn führen.
Ich zweifle nicht, daß manche allgehende Offiziere in die Reihen zurückgesandt
siud, weil der Oberbefehlshaber nicht länger in ihrer Stellung mit ihnen
Gedllld haben konnte. Sie wurden entfernt, weil sie ihre Mitstreiter eut»
mutigteu uud den Fortgang des Feldzuges hinderten. Denkt nicht, daß uuser
Herr Jesus Christus weniger strenge iu seiner Zucht ist, als Mose; den,: Liebe
ist immer strenge gegen die, welche sie hoch begünstigt. Ich bezweifle sehr die
Liebe des Mannes, der Unkeuschheit in seinem Weibe dulden kann; gewiß, der
Bräutigam der Gemeinde wird dies uicht. Die Liebe unsres Herrn Jesu
Christi ist so innig, daß Er kein geteiltes Herz ertragen kann und keinen
nachlässigen Wandel bei einem von uns. Es ist ein Spruch, den einige christ»
liche Leute nicht lieben, uud deshalb schneiden sie das Herz aus ihm heraus:
„Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer." Sie sagen: „Gott, außerhalb
Christus, ist eill verzehrendes Feuer." Der Spruch sagt das nicht; er spricht
von „Uusrem Gott," und das bedeutet uuser Vundesgott, unser Gott i n
Christo, es ist Gott in Christo Jesu, der ein verzehrendes Fener ist. Nehmt
euch in acht, wie ihr gegen I h n handelt; denn während feine Liebe stark wie
der Tod ist, so ist seine Eifersucht grausam wie das Grab; und wenn unsre
Herzen und Beweggründe und Ziele in seinem Dienste einmal geteilt werden,
so ist das ein so großes Verbrechen, als wenn einer von Salomos Dienern
dem Pharao, König von Ägypten, in die Hand gespielt hätte. Salomo würde
Sorge getragen haben, daß ein Mann, der zwei Herren hätte, ihn nicht zu
einem derselben haben solle. Niemand voll uns kann zwei Herren dienen:
Alttestamentliche Bilder. 35
546 Nlttestamentliche Bilder.

gewiß, wenn Christus einer derselben ist, so will Er der einzige sein. Ein
geteiltes Herz ist ein Greuel für den liebevollen Heiland, und wir müssen I h n
damit nicht beleidigen.
Die Veamten Salomos waren auch genötigt, daran zu denken, daß das
rechte Zusammenwirken des Ganzen von einem jeden unter ihnen ab'
hinge. Das heißt: Salomo hatte es so eingerichtet, daß eine gewisse Anzahl
Nosse in jeder Stadt war, lind der bestimmte Beamte muhte für ihr Futter
sorgen: Gerste und Stroh mußten in genügender Menge für die Nosse bei
diesem besonderen Depot znr Stelle sein. Es wäre nicht angegangen, dies
anderswohin zu senden; wenn ein Beamter seine Abteilung nicht versehen
hätte, so wären die Nosse verhungert und das Ganze in Unordnung geraten.
Nun, in jeder wohl geordneten Gemeinde weiß ein Ehrist, der in seinem Amte
nicht treu ist, weuig, welchen Schaden er anrichtet; denn so weit er es kann,
bewirkt er Störungen ill der Maschinerie, und wenn nicht die Gnade und
Weisheit Christi dazwischenträte, würde er die ganze Einrichtung des Hauses
Gottes in Unordnung bringen. Brüder und Schwestern, wir meinen, wenn
wir einen Teil nnfrcs Dienstes vernachlässigen, wäre das alles, aber es ist
nicht so. Ein Vater vernachlässigt seine Pflicht gegen seine Kinder: das
bringt dem Kind Schaden, aber es geht weiter; das Kind breitet im späteren
Leben das Böse durch seil! Beispiel aus und trägt es auf seine Nachkommen
über; ja, auf seiue Kindeskinder nach ihm. Eil» christlicher Mann in der Ge>
meinde hält sich im Hintergrund, wenn er voranstehen sollte, oder er tritt in
die Front, wenn er im Nachtrab sein sollte, lind dies kehrt das ganze Ding
um, so daß die Sachen nicht ruhig vorwärts gehen können. Die kleine Ge-
meinde kann nicht gedeihen, weil ein einflußreiches Mitglied da ist, wo es
nicht sein sollte. I l l einem großen Hause müssen die Mägde an ihrem Platze
bleiben, und wenn die Köchin darauf besteht, die Pflichten des Stubenmädchens
zu thun, und nicht die Mahlzeiten bereitet, so ist alles in Verwirrung; und
wenn auf der audren Seile das Mädchen, das die Zimmer rein zn machen
hat, diese Pflicht vernachlässigt und durchaus ill der Küche sein will, so wird
lveder Tag noch Nacht Gemütlichkeit da seil,. I h r könnt alle sehen, wie sich
dies auf die christliche Gemeinde bezieht.
Um das Bild zu ändern, eine Gemeinde ist wie ein Halls, und wenn
die Fenster gemacht werden, wo die Thüren sein sollten; oder wenn das, was
das Dach bilden sollte, auf die Flur gelegt wird, ist das Halls in Unordnung.
„Passend ineinander gefügt" ist der wahre Zustand des Hauses des Herrn.
Die Gemeinde wird auch dem Leibe verglichen. Wenn das Auge sich zu dem
Fuße begäbe oder wenn das Ohr sich zu der Hand bewegte oder wenn die
Hand den Platz des Fußes einnähme oder der Fuß versuchen würde, das
Werk des Mundes zu thun, so würden unsre wohlgebildeten Gestalten un>
Die Dromedare.

geheuerlich werden. So muß es in der Gemeinde Jesu Christi sein, wenn


seine Anordnungen durchbrochen werden. Unter Gott hängt alles davon ab,
daß jedes Kind Gottes sein „ A m t " hat und dies gut «ersteht. Neun er sein
eignes Geschäft nicht gut versieht, so thnt der Christ sowohl andren als sich
selber Schaden.
I n Salomos Reich geschah es, daß der Geist des K ö n i g s sich in
alle seine Beamten ergoß, und deshalb wurde das Land gut regiert. Ge-
liebte, ich bete, daß es so mit dieser Gemeinde sei und nut allen Gemeinden
Jesu Christi, daß der Geist unsres großen Königs sich in nns alle ergösse.
Nichts macht die Menschen so kämpfen, als wenn sie einen Helden zum Anführer
haben. Wenn C r o m w e l l in die Front kam, war niemand bange. Fort flogen
die Kavaliere wie Spreu vor dem Winde, sobald er da war. Und gewiß,
wenn unser glorreicher Herr, der Herzog unsrer Seligkeit, der Bannerträger
unter zehntausend, in der Mitte seiner Kirche gesehen wird, dann geht alles
gut, und wir alle kämpfen mit Zuversicht uud Kühnheit. E i n Mann scheint
zuweilen die Macht zu haben, Tansende von andren Menschen zu durchdriugen;
sein Geist scheint die Herzen seiner Mitmenschen zu regieren, zu bewegen,
zu erregen, bis er in ihnen allen lebt; und so ist es im höchsten Grade mit
dein Herrn Christo. W i r leben in I h m und Er lebt in uns. Wenn wir
alle durch den Geist bewegt werden, der in Jesu lebt, oeil Geilt der Liebe,
der Selbstverleugnung, des verzehrenden Eifers und der Inbrunst, dann wird
alles wohlgethan werden. Wenn wir seine Hingabe, seine Gebetsfülle, seine
Kühnheit und seine Sanftmut nachahmen, was für eine Schar werden wir
ansmachen und wie gut wird unsrcs Salonios Reich verwaltet sein!
Nur noch einen Gedanken mehr hier. A l s S a l o m o s Reich Schaden
l i t t , war es durch einen seiner B e a m t e n . I h r erinnert euch, daß, als
Salomo starb, Ierobeam das Reich in zwei Teile spaltete, und der war ein
weggelaufener Diener. Wann immer eine Gemeinde Schaden leidet, so müssen
wir mit Schmerzen bekennen, daß es gewöhnlich dnrch ihre eignen Beamten ist.
Ich fürchte, es sind häufiger die Prediger, als irgeud welch andre Personen.
Die großen Ketzereien, welche die Gemeinden geplagt haben, sind nicht aus der
Masse des Volkes entsprungen, sondern von gewissen berühmten Führern; und
noch heute, glaube ich, ist das Herz nnsrer Gemeinden unendlich viel gesunder
im Glauben, als die Prediger. Ich wünsche, es wäre nicht so, aber ich kann
meine Furcht nicht verbergen. Als unser Herr verraten ward, war es nicht
durch Privat-Nachfolger, wie Maria Magdalena, Zachä'us oder Joseph von
Arimathia, sondern durch Judas, den Schatzmeister der Apostelschar. Es war
ein Apostel, der seinen Meister um dreißig Silberlinge verkaufte. Indes ist
der Fehler ebenso schwer, wenn er von den niedrigsten Beamten begangen
wird. Wie ich schon gesagt, wir sind alle Diener: wir sind alle mit Verant»
35*
548 Alttestamentliche Bilder.

wortlichkeit bekleidet und wir können, wenn der Heilige Geist uns «erläßt,
schweren Schaden thnn, mehr Schaden als die Welt da draußen je anrichten
kann. Laßt die wütende Menge Zions Mauer nmgebeu, laßt sie ihre Wälle
anfwcrfen und suchen, ihre Pfeile hinein zn schießen; aber siehe, die Inngfran
Tochter Zion schüttelt ihr Haupt über ihre Feinde nnd verlacht sie. Aber,
wenn der Verräter hineinkommt, weun geschrieben steht: „Judas aber, der
I h n verriet, wußte den Ort auch," dann wird der Meister in dem Garten
verraten, in den Er sich znm Gebet znrückgezogen. Weun aus dem Schöße
der Gemeinde eine Schlange entspringt, daun mnß selbst ihr Haupt davon
gestochen werden. Laßt die Frage umhergehen: „Herr, bin ich's?" nud möge
Gott in semer Gnade verleihen, daß keiner von nns je das ihm Auvertraute
verrät und so der glorreichen Sache nnd dem Reich nnsres Königs Schaden
bringet.

II.
Unser zweiter Teil gleicht dein ersten etwas. W i r bemerken nun, daß
jeder Mann verpflichtet war, nach seinem Amt zn handeln, „ciu
jeglicher nach seinem Amt." Die Veamten waren verpflichtet, seinen Befehlen
zu gehorchen, zuerst, was die Sache anlangte. Einige von ihnen halten
fette Rinder für Salomos Tisch zn liefern, und andre hatten darauf zu achteu,
daß zu demselben Zwecke die Rehe gejagt nnd die Vögel gemästet wurden;
während wieder andre beauftragt wareu, Gerste und Stroh für die Nosse uud
Dromedare zu liefern. Wie ich fchon gesagt, wenn sie nicht an ihrem Platz
geblieben wären, wenn der Mann, der Gerste fiir die Nosse zu liefern hatte,
die Kücken damit gefüttert hätte, und wenn der, welcher verpflichtet war, die
Nehe zu jagen, sich mit dem Fahren des Strohs beschäftigt hätte, so wäre
große Verwirrung entstanden. Und ebenso, lieber Bruder, wenn du das nicht
thun willst, wofür du augenscheinlich bestimmt bist, uud was du zu thun im
stände bist, sondern durchaus etwas versuchen mußt, was g'auz außerhalb
deines Kreises liegt, so geht alles verkehrt. Beachte deinen eignen Körper:
wenn dein Ohr ein Gefühl hätte, daß es essen sollte, statt zu hören, so würde
es dem Munde ins Gehege kommen, nnd die Ernährung des Leibes würde
schlecht von statten gehen. Das Auge ist ein sehr nützliches Glied, aber wenn
es sich beharrlich weigerte, zu sehen, und durchaus hören wollte, so würden
wir auf der Straße überfahren werden. Jedes Glied hat sein eignes Amt
im Körper und muß sein eignes Werk besorgen, und nicht das eines andren.
Lieber Freund, Haft du ausfindig gemacht, was du thun kannst, wozu der Herr
dir Geschick gegeben und worin Er dich gesegnet hat? Dann bleibe dabei und
thue es besser und besser, nnd klage niemals über deinen Beruf. Tadle nicht
andre, deren Werk voll dem deinigen verschieden ist. Das Auge würde sehr
Die Dromedare. 549

thöricht sei», wenn es spräche: „Sagt mir nichts von dein leichtfertigen Gliede,
dem Ohr; es dient zu nichts, denn es kann nur hören, was erzählt wird, und ist
so blind, daß es ein Haus nicht sehen könnte, wenn es zwei Fuß davon entfernt
wäre, nicht einmal einen Verg, der eine Meile hoch ist." Ebenso müßig ist
es, wenn das Ohr sagte: „Redet mir nicht von dem Munde; er ist ein selbst-
süchtiges Organ und will immer Nahrung haben. Er ist zu nichts gut, denn
er kann nicht hören, und wenn eine Kanone dicht bei ihm abgefeuert würde,
so könnte er es nicht wahrnehmen." Ebensowenig darf der Mund sagen:
„Dieser unruhige Fuß läuft immer umher. Warum arbeitet er nicht gleich
der Hand?" Auch die Hand darf die Zuuge nicht tadeln, weil sie sich großer
Dinge rühmt und nichts thut. Es würde traurige Verwirrung im Körper
sein, wenn ein solcher Geist unter den Gliedern herrschte: aber die Hand
bleibt bei ihrem Werk, uud selbst da sind Unterabteilungen der Arbeit. Der
kleine Finger verrichtet Dienste, die der Danmen nicht kann, und für den
Daumen ist etwas da, was der Zeigefinger nicht vermag. So sollte es in der
Gemeinde Gottes sein: jeder von euch sollte herausfinden, was er thun kann,
und dann mit Hilfe Gottes des Heiligen Geistes dieses thuu nach seinen besten
Kräften aus Liebe zu Jesu.
Beachtet, daß bei Salomo „ein jeglicher nach seinen: Amt" that betreffs
des M a ß e s ; denn wenn ein Mann die Sorge für eine Baracke hatte, wo
zweitausend Nosse waren, so hatte er mehr Gerste und Stroh zu senden, als
der Beamte, der eine kleinere Baracke von nur fünfhundert Pferden beauf-
sichtigte. Der Lieferant, dein befohlen war, Salomos Tisch mit fetten Rindern
zu versehen, hatte mehr zu senden, als der, welcher für die Tische der niederen
Beamten sorgte. Bemerkt dies wohl, denn einige von uns sind verpflichtet,
viel mehr als andre zu thun. Manche von uns tragen schwere Verantwortlich,
keit, und wenn wir sagten: „Ich will nicht mehr thun, als jeder andre, ich
brauche mich nicht zu überbürden," so würden wir für die Stellung nicht
taugell, zu der Gott uns berufen hat. Lieben Freunde, mir ist nicht bange,
daß jemand von euch zuviel für Christum thun wird, aber ich möchte, ihr ver-
suchtet es. Seht einmal zu, ob ihr zu wann, zu aufopfernd, zn eifrig oder
zu hingebend sein könnt. Es wäre schade, wenn so etwas nicht versucht werden
sollte. Ich habe nie einen gekannt, der sich eines so seltenen Verbrechens an-
klagen konnte. O nein, wir alle fühlen, daß unser teurer Herr, der uns
unser Amt gegeben, alles, was wir thun können, und mehr verdient. Vergeht
nicht, daß ihr, die ihr Väter seid, bessere Männer sein solltet, als jene Männer,
die keine Kinder haben, welche zu ihnen aufblicken und ihr Beispiel nachahmen.
I h r , die ihr viele Leute beschäftigt, solltet bessere Männer sein, weil eure
Arbeiter beobachten werden, wie ihr lebt. I h r , die ihr Talente und Fähig-
keiten habt, solltet thätigcr sein, als die, welche keine haben, denn von fünf
550 Alttestamentliche Bilder.

Talenten erwartet man mehr Zinsen als von einem. Denkt an das Pro«
Portionsgesetz. Wenn du fünf Talente hast, und dein Bruder nur eins, magst
du zweimal soviel thun als er, und doch zu kurz kommen. Er ist treu mit
seinem kleinen Kapital, aber du hast fünfmal soviel, und deshalb ist das Zwei»
fache viel weniger als das, was von dir erwartet wird. Manches Dienst»
Mädchen gibt ihr Fünfgroschenstück in die Kollekte, und wenn die Reichen in
demselben Verhältnis, gäben, würde Gold nicht so seltenes Metall in dem
Schatze des Herrn sein. Der Zehnte mag zuviel für einige sein, aber die
Hälfte mag nicht genug für einen andren fein. Laßt es fein „ein jeglicher
nach seinem Amt," in dem Maße sowohl als in der Sache.
„Ein jeglicher nach seinem Amt" bezieht sich auf den Ö rt ; denn wenn
der Beamte, der Gerste für die Dromedare nach Jerusalem zu senden hatte,
sie nach Joppe gesandt hätte, oder wenn der Mann für Joppe alles Futter
nach Jericho gefandt, so wäre beträchtliche Unruhe und viel Schelten in den
Ställen gewesen, und wenn die fetten Rinder und das Wild für Salomos
Tisch, wenn er in dem Hause im Walde des Libanon weilte, nach seinem
andren Hause auf dem Berge Zion gesandt wären, so hätte der König seine
Tafel schlecht versorgt gefunden. Einige Leute sind es nicht zufrieden, Gott
an ihrem Platze zu dienen; sie müssen fünfzig Meilen weit laufen oder hundert,
ehe sie arbeiten können. I s t dies recht? Ich erinnere mich eines kleinen
Verses in den Sprichwörtern: „Wie ein Vogel ist, der aus seinem Neste weicht,
also ist, der von seiner Stätte weicht." Es ist eine Sphäre für jeden Stern,
der den Himmel schmückt, und ein Grashalm für jeden Tropfen Tau, der auf
der Wiese flimmert. O, daß jeder feinen Platz behielte. Sehr viel hängt von
dem Standort ab. Statuen mögen sich auf einem Gebäude prächtig ausnehmen,
und in richtiger Proportion sein, aber wenn diese Statuen eines Abends
sagten: „Uns gefällt es nicht, hier an diesem hohen Orte zu stehen; wir wollen
hinabsteigen, und uns auf den öffentlichen Platz stellen," so würdet ihr alsbald
fehen, daß der Künstler nie beabsichtigte, daß sie dort stehen sollten, denn sie
würden nicht im rechten Verhältnis zu der neuen Stelle sein. So ist ein
Mann ein Mann, wenn er in seiner Nische bleibt, aber er mag gar nichts
sein, wenn er sie verläßt. Manchen Mann habe ich gekannt, der nichts gethan
hat, bis er seinen Platz gefunden, nnd dann hat er seine Freunde in Er-
staunen gesetzt. Ich finde es so mit jungen Männern, die ins Predigtamt
treten: ein Bruder hat keinen Erfolg gehabt, in der That, es ist ihm ganz
mißglückt in seiner ersten Stelle, und dennoch, wenn Gott ihm die rechte Thür
geöffnet hat, so hat er Wunder gethan. Warum gelang es ihm nicht zuvor?
Weil er nicht an seinem Platz war. Die beste Sache wird vergeudet, wenn
man sie zu einem Zwecke braucht, für den sie nicht bestimmt ist, und der beste
Mann in einer Stellung, für die er sich nicht eignet, mag ohne sein Wissen.
Die Dromedare. 551

eil! Hindernis für die Sache sein, die er liebt. Salomos Beamter wäre sehr
thöricht gewesen, wenn er seine Gerste nach Dan hinunter gesandt hätte, wenn
es seine Pflicht war, Verseba zu versorgen. Finde deinen Platz, guter Bruder,
und sei nicht eilig, ihn zu verlassen. Wer in einem Dutzend Jahre in einem
Dutzend Städte einen Laden hält, wird zuletzt vergeblich einen Laden suchen,
der ihn halten wird. Das Herumschwärmen führt zur Armut. Die, welche
stets bereit sind zum Wechseln, weil sie wähnen, ihre Unannehmlichkeiten hinter
sich zu lassen, täuschen sich sehr, denn diese finden sich überall. I h r mögt
bald in solche Lage versetzt werden, wie Jona, der meinte, alles würde gut
fein, wenn er nur die Unannehmlichkeiten in Ninive vermeiden könnte, aber
er hatte die an Bord eines Schiffes im Sturm vergessen. Ich nehme nicht
an, daß er je wieder nach TarsiS lief. Dies eine Experiment genügte ihm,
Und ich hoffe, ihr werdet aus seiner Erfahrung Nutzen ziehen. Versucht nicht,
auf eigne Hand wegzulaufen, denn wenn ihr eures Herrn harter Arbeit ent-
rinnen wollt, so möchte ich euch daran erinnern, daß das Meer noch jetzt so
stürmisch ist wie je, und Walfische gibt's weniger als in Jonas Tagen, und
es ist durchaus nicht so wahrscheinlich, daß sie einen lebendigen Menschen
ans Ilftr tragen werden. Behaltet euren Platz: „ein jeglicher nach seinem Amt."
Noch eins, ein jeglicher sollte nach seinen! Amt handeln mit bezug auf
die Z e i t , denn es heißt: „ein jeglicher in seinem Monat." Wenn der
Ianuar«Mann Sorge getragen, Salomos Tisch in: Februar zu versehen, was
wäre die Folge gewesen? Es war ein Mann für den Februar da, uud es
wären zwei Vorräte für einen Monat dagewesen, aber keiner für die ersten
Wochen des Jahres. Wenn der August-Beamte bis zum September das Korn
zurückbehalten, dessen die Dromedare im August bedurften, was wäre aus den
armen Geschöpfen in diesem Monat geworden? Während die Gerste unter-
wegs war, wären die Nosse verhungert. Beim Dienste Christi ist sehr viel
daran gelegell, daß man zur rechten Zeit ist, pünktlich in allem. Nicht morgen,
Bruder, nicht morgen, das ist der Tag eines andren, heute ist der Tag für
dich. Auf, und thue das Tagewerk. Eine Seele ist für Christum zu ge-
winnen, eine Wahrheit ist zu verteidigen, eine That christlicher Barmherzigkeit
zu thun, ein heiliges, kräftiges Gebet ist hinaufzusenden, und es muß so-
gleich gethan werden. Noch ehe die nächste Morgensonne aufgeht, sieh' zu,
daß du deine Aufgabe erfüllt hast, denn Zeit ist Leben in diesen ernsten
Dingen. Pünktlichkeit lieben wir bei allen verantwortlichen Personen. Wenn
sie irgend eine Pflicht zu erfüllen haben, können wir es nicht vertragen, wenn
sie die Sachen liegen lassen, um sie nach und nach oder gar nicht zu thun.
Wenn Jesus Christus „alsobald" dies uud das that, wie Markus uns immer
sorgsam berichtet, laßt uns seine Pünktlichkeit nachahmen und Gott dienen
ohne das Aufschieben des Trägen.
552 Alttestamentliche Bilder.

III.
Ich schließe mit dem dritte,: Punkt, daß ein jeder V o r r a t empfing
„nach seinem A m t . " Ich verstehe nicht ganz die genaue nnd bestimmte
Meinung meines Textes. Gewiß ist gemeint, daß nicht nnr eine Klasse Ve'
muten die Gerste senden sollte, sondern daß eine andre Klasse Gerste und
Stroh erhalten sollte im Verhältnis zn der Anzahl von Rossen und Dromedaren.
„Auch Gerste und Stroh für die Nosse und Dromedare brachten sie an den
Ort, wo die Amtleute waren, ein jeglicher nach seinem Amt;" d. h. nach der
Zahl der Nosse, für die gesorgt werdeu sollte, war der Betrag des Korns und
Strohs, das als Futter für sie gesandt ward.
Daraus entnehme ich zuerst, daß für die Dicuer unsres Herrn Jesu
Christi ein großes Amt von I h m die Gewähr eines großen V o r r a t s
ist. Es ist etwas sehr Tröstliches hierin betreffs zeitlicher Dinge. Einige be-
hanvten, daß Gott die Kinder sende und nicht Brot sende; oder wenigstens
sagen sie, Er sende die Kinder in das eine Hans nnd das Vrot in das andre.
Wenn es so ist, sollten die, welche zu viel Vrot bekommen, es ihren Nachbarn
herumschicken. Doch bemerke ich, daß irgendwie wo der Mund ist, auch das
Vrot kommt. Es setzt mich oft in Staunen, mnß ich bekennen, und bringt
mir die Thränen ins Auge, wenn ich es sehe, und es ist in der That höchst
wunderbar, daß arme Witwen mit einem Haufen Kinder sie irgendwie er-
nähren. Die arme Frau kommt zum Waisenhaus mit einem kleinen Knaben,
es wird ihr schwer, sich von ihm zu trennen, aber der Mangel zwingt sie;
und wenn wir sagen: „Meine gute Frau, wie viele Kinder hatten Sie, als
I h r Mann starb?" antwortet sie: „Sieben, und keins von ihnen im stände,
einen Pfennig zu verdienen." „Sie haben sich allein durchgeschlagen diese
drei oder vier Jahre, wie haben Sie das gemacht?" „Ach," antwortet sie,
„Gott allein weiß es. Ich kann es Ihnen nicht sagen." Nein, nein; und
es gibt Gotteskinder, die nicht sagen könnten, wie sie sich ernährt haben,
aber sie haben sich ernährt und ihre Kinder dazu. Der Herr gibt ihnen eine
große Aufgabe und auf seine eigne Weise sendet Er den Vorrat. Die meisten
von uns haben gefunden, daß, wenn unser König nns die Dromedare sendet,
Er uns auch die Gerste sendet. Es ist bei mir so gewesen mit unsren
250 Knaben im Waisenhaus; unser gnädiger Gott hat uns stets genug ge«
fandt nnd die Kinder haben keinen Mangel gekannt; und wenn wir 250 mehr
aufuehmen nnd auch Mädchen haben, so bin ich gewiß, unser himmlischer
Vater wird für sie alle sorgen. Ich hoffe, ihr werdet alle daran denken, daß
das Volk Gottes das Werkzeug für die Versorgung sein muß, und besonders
die Leser und Hörer dieser Predigten, aber kommen wird das Nötige. Wenn
der Herr mehr Dromedare in meinen Stall schickt, so erwarte ich die ent-
sprechende Vermehrung der Gerste nnd des Strohs, denn ich bin ganz gewiß.
Die Dromedare. 553

Er wird sie geben. Wenn ich an meinen lieben Freund, G e o r g M ü l l e r , denke,


mit 2050 Waisenkindern nnd nichts, worauf er sich verlassen kann, wie man
spricht, als eben Gebet und Glauben, so empfinde ich große Freude. Er hat
nie irgend welche Furcht oder einen Mangel und ist so uoll Nuhe, als wäre
er ein Menschgewordener Sabbat. Wenn wir 20 000 Waisen zu ernähren
hätten, so ist unser Herr im stände, sie alle zu versorgen. Er ernährt das
Weltall, und wir mögen I h m wohl vertrauen. Wenn wir einen einfachen,
kindlichen Glauben haben, so werden wir finden, daß ein großes Amt eine
Gewähr für einen großen Vorrat ist.
Wie im Zeitlichen, so ist es in der Gnade. Wenn Gott einem Mann
ein paar Leute gibt, für die er sorgen soll, gibt Er ihm Gnade genug; und
wenn Er ihm zehnmal so viele gibt, so gibt Er ihm mehr voll seinem Heiligen
Geist; und wenn Er ihm hundertmal so viele gibt, so vermehrt Er die gött-
liche Salbung. Wenn der Herr dir ein kleines Leiden schickt, lieber Bruder,
so sollst du Gnade genug haben, und wenn Er dir ein großes schickt, sollst du
auch Gnade genug haben. Wenn Er dir ein kleines Werk hinten im Nachtrab
zu thun gibt, soll deine Kraft wie dein Tag sein, und wenn Er dir eine
große Aufgabe zuweist in der Front vor dein Feuer des Feiudes, so sollst du
nicht zu kurz komme». D u wirst keinen Heller Gnade übrig haben. D u
wirst nie so viel erhalten, daß du damit prahlen kannst und davon schwatzen,
daß du monatelang ohne Sünde gelebt habest und dergleichen Unsinn. D u
wirst gezwungen werden, zu fühlen, daß du, wenn du alles gethan hast, ein
unnützer Knecht bist. Nie in meinem Leben habe ich am Morgen von dem
Manna des gestrigen Tages so viel übrig gehabt, als ein Zweigroschenstück
bedecken würde. Ich bin immer so hungrig gewesen, daß ich alles, was ich
bekommen konnte, sogleich verzehren mußte. Ich habe von Hand zu Mund
gelebt; die Hand ist die meines Herrn gewesen, die immer voll ist, und der
Mund ist der meine gewesen, der sich immer nach mehr aufthut. Wenn ich
ill meinen! Predigtamt eine doppelte Menge Speise gehabt habe, so habe ich
eine doppelte Allzahl damit zu versorgen gehabt. Des Herrn Gnade ist
genügend für meine Bedürfnisse gewesen, aber sie hat mir nie Raum für
Selbstruhm gelasseil. Doch, nehmt es als gewisse Thatsache an, daß ein
großes Amt eine Gewähr für großen Vorrat ist.
Nun wollen wir diese Wahrheit umkehren uud sagen, daß ein großer
V o r r a t ein großes A m t andeutet. O, daß einige hieran denken wollten!
Ein Mann ist reicher geworden, als er zu sein pflegte. Bruder, mit mehr
Gerste nnd mit »lehr Stroh solltest du mehr Dromedare halten; ich meine,
Gott sandte nicht das Korn, damit die Mänse es verderben sollen, sondern Er
will es gegessen haben. Wenn Gott dem Menschen Geld oder Mittel irgend
einer Art gibt, sollten sie fühlen, daß sie seine Haushalter sind und alles.
554 Alttestamemliche Bilder.

was sie haben, flir ihren Herrn gebrauchen müssen. Wenn ihr es nicht a>
braucht, sondern aufspeichert, so wird euch geschehen, was einst einem kleinett
Vache geschah. Er war immer dahin geflossen fröhlichen Laufs und hatte
seine kräuselnden Wellen in den Strom ergossen, sich stets entleerend/ aber
immer voll bleibend. Dieser kleine Vach 'wnrde geizig und sprach: „Ich bttt
zu verschwenderisch gewesen. Ich habe mich nicht für das heiße Sommet»
Wetter versehen. Ich gebe immer alles, was ich bekomme; es stießt in be<
ständigem Strom durch mich hindurch und nichts bleibt. Dies muß geändert
werden. Ich will einen großen Vorrat alllegen und voll werden." So ward
ein Deich über denselben aufgeworfen, er ward abgedämmt, und die Wasser
schwollen an und stiegen immer höher. Nach einer kleinen Weile wurde das
Wasser grün und faul. Es wuchs alle Art von Unkraut darin, es wurde der
Aufeuthalt vou allerlei kriechenden Geschöpfen und verbreitete einen uNail«
genehmen Geruch. Es wurde fchädlich fllr die Dorfbewohner, und sie riefen
den Gesuudheitsrat zusammen, um davon frei Zu werden, denn es erzeugte
Fieber. Wie nun, du einst funkelnder Bach! Was für ein Ende hat dein
emst so glänzendes und fröhliches Leben genommen! Seht ihr die Bedeutung
des Gleichnisses? Erinnert euch, daß in Palästina ein Meer ist, das immer
empfängt und niemals ausgibt. Was ist seiu Name? Das Tote Meer. Es
lnuß immer das Tote Meer sein, so lange dies seine Eigenschaft ist. Wenn
mall einen Kanal nach dem großen Ozean hin grübe, um das Wasser weg«
taufen zu lassen, so möchte es süß werden, aber sonst kann es das nie. Der
Mann, der viel empfängt, aber nichts gibt, ist tot, während er lebt. Wer
große Einnahmen hat, sollte dafür halten, daß er große Aufgabe» hat, uud
danach handeln. Wenn ein Bruder große Talente, große Besitztümer, großen
Eiufluß hat — wenn er in irgend etwas groß ist — so sage er durch Gottes
Gnade: „Gott verlangt Großes voll mir, wem viel gegeben ist, von dem wird
viel gefordert werden." Dies ist ein Gesetz des Reiches Christi — ein Gesetz,
für dessen Ausführung Er stets sorgen wird.
Nun schließe ich hiermit: Jemand wird sagen: „Ich könnte fast wünschen,
der Verantwortlichkeit, ein Diener Ehristi zu sein, zu entgehen." Lieber Bruder,
beachte diese zwei oder drei Thatsachen.
D u kannst deine Lage als Dieller Christi nicht dadurch verbessern, daß
dn dein Amt verkleinerst. Wenn du sagst: „Ich will uicht ganz so viel ver-
suchen," so wirst du deine Lage dadurch nicht verbessern, denn wenn du die
Arbeit verminderst, so wird der Herr deine Kraft vermindern. Unser großer
Salomo wird einige der Vorräte zurückbehalten, wenn du wenige Dromedare
zu füttern hast, und so wirst du uicht besser darail seiu. Wenn du sechs zu
halten hast, wird Er dir Vorrat für sechs geben; wenn du beginnst, nur
Hie Dromedare. 555

drei zn halten, wird Er dir nur Vorrat für drei geben, und du wirst eher
ärmer als reicher sein.
Ebensowenig kannst du deine Lage einzig und allein dadurch verbessern,
daß der Vorrat vergrößert wird; denn wenn du mehr Stroh und Gerste
empfängst, so wird dir unser Salomo sicher mehr Dromedare schicken. Wenn
du mehr Stärke hast, so wirst du mehr Leiden haben. Wenn Gottes Kinder
nicht ihre Pflicht thun mit den Mitteln, die Er ihnen anvertraut, so gestattet
Er ihnen oft, Aktien zu nehmen in einer „Gesellschaft mit beschränkter Ver»
cmtwortlichkeit," was dasselbe ist, als ihr Geld in den Fluß werfen; oder Er
läßt sie Aktionäre in einer bankrott-machenden Bank werden, mit unbeschränkter
Katastrophe als Kapital, und dies ist noch schrecklicher. Es geschieht oft einem
Mann, der gescharrt und gespart und in der Sache Christi geknausert hat, daß
er in seinen späteren Jahren in Verlegenheit gerät und sich zuruft: „Es ist
alles dahin, und ich wünsche, ich hätte es besser beuutzt, ehe es schwand. Es
wäre weit besser gewesen, es dem Herrn zu geben, als die Advokaten es ver»
schlingen zu lassen." Ah, deine Sünde hat dich herausgefunden. Dein Herr
konnte dir nicht vertrauen und hat deshalb seine Güter dir genommen, uud
nun wünschest du, daß du dich besser betragen hättest. Laßt solche schlechte
Haushalter uus zur Warnung dienen; nud laßt uns dahin sehen, daß wir um
Vorrat bitten, je nachdem unser Amt ist, und daß wir den Vorrat weislich ge-
brauchen, wenn er kommt.
Alles für Iesnm, den glorreichen Salomo unsrer Herzen, den Geliebten
unsrer Seele! Leben für Iesum! Tod für Iesum! Zeit für Iesum l Ewig-
keit für Iesum! Nacht und Tag für Iesum! Krankheit oder Gesundheit für
Iesuml Hand und Herz für Iesum! Kopf und Zunge für Iesum! Ehre
oder Unehre für Iesuml Schande oder Herrlichkeit für Iesnml Alles für
Iesum, „ein jeglicher nach seinem Amt." So möge es sein! Amen.
556 Alttestamentliche Bilder.

38.

Die Herrlichkeit des Tempels.


„ U n d es w a r , a l s w ä r e es einer . . . . d a s H a u s G o t t e s . "
2 Chron. 5. 13. 14.
„ U n d d a S a l o m o ausgebetet hatte . . . . ewiglich w ä h r e t . "
2 C h r o u . 7, 1 . 2 .

) l l der Wüste that Gott seine herrliche Gegenwart knnd in der Mitte
des Lagers Israels. Um sein verborgenes Wohnen in der Gemeinde zu zeigen,
strahlte in dem innersten Raum des heiligen Zeltes beständig das glänzende
und unauslöschliche Licht der Schechinah; uud um seine sichtbare Gegenwart,
die seine Herde beschützte und leitete, zu offenbaren, bedeckte eine Wolken»
faule das Volk bei Tage und schirmte es uor der breunenden Sonnenhitze, so
daß sie in dieser außerordentlich heißen und schreckliche» Negiou voll über«
mäßiger Hitze frei waren; und bei Nacht ward diese Wolkenfänle, damit sie
sich in der öden Finsternis der Wüste nicht verlassen fühlen sollten, zur Feuer'
faule. Es war Licht in all ihren Wohllungen, denn diefe Feuerfäule umgab,
wie ich annehme, gleich einer leuchtenden Atmosphäre, das ganze Lager. Sie
hatten so Soil île und Schild, Licht in der Finsternis, Schlitz vor der Hitze,
ihr Schirm war Gottes Flügel, ihr Licht strahlte voll seinem Auge. Nun
war David der Gedanke ins Herz gekommen, Gott ein Haus zn bauen statt
des Zeltes, iu dein Er bis dahin gewohnt, was ohne Zweifel im Lauf der
Jahre alt gemordeu und etwas von feiner Herrlichkeit verloren hatte. Er
nahm sich vor, ein dauerhaftes Gebäude zu errichten. Snlonio, fein Sohn,
führte die Absicht Davids aus. Der Tempel ward geballt. Wir haben keine
genaue Vorstellung von der Bauart und dem Aussehen dieses herrlichen Ge-
bäudes. Die beiden Säuleu Iachin und Voas waren nach der Meinuug
einiger vor der Front errichtet, mehr des Schmuckes als des Nutzens halber,
wie die uugeheureu Obelisken vor den ägyptischen Tempeln; während andre
annehmen, daß diese berühmten Säulen das Gebälk der Vorhalle stützten;
jedenfalls waren sie von ungemeiner Größe und auf das sorgfältigste ge-
Die Herrlichkeit des Tempels. 557

arbeitet. Das Gebäude selbst war nicht groß, aber außerordentlich prachtvoll.
W i r irren uns sehr, wenn nur meinen, daß Salomos Tempel seiner Größe
wegen berühmt war; er war kaum halb so lang und nur halb so breit, wie
dieses, unser jetziges Haus,'') so daß der Flächenraum desselben nicht den
vierten Teil so groß war, wie dieser, der jetzt so voll unsterblicher Seelen ist.
Er war sechzig Ellen lang, was bei der höchsten Lange, die man für die
„Elle" annehmen kann, nur hundert Fuß wäre, währeud nach einer andren
Verechnnng des Ellenmaßcs die Weite des Hanses nur dreißig Fuß betragen
habeil würde. Es gibt Hundertc von christlichen Kirchen, welche dieses wunder-
bare Gebäude an Größe übertreffen. Sein Hauptruhm lag in den zahllosen
Schätzen, die daran gewandt waren. Eine der niedrigsten Berechnungen der
Kosten dieses prachtvollen Gebändes belänft sich auf 2400 Millionen Mark,
während andre Schätzungen die unglaubliche Summe von 20000 Millionen
Mark ergeben. Zu verwundern ist, daß sie einen solchen Betrag wie selbst
die kleinere Summe daran gewandt haben können. Was immer es gewesen
sein mag, es wäre ein eitles, prahlerisches Werk gewesen, wenn nicht ill dein
Tempel dieselben Offenbarungen der göttlichen Gegenwart stattgefunden hätten,
wie in der S t i f t s l M e . Es waren ihrer zwei, die Wolke und das Feuer.
Die zwei Schriftstellen, die ich euch vorgelesen habe, geben cnch zwei Vilder.
I l l der ersten habt ihr die Wolke, in der zweiten habt ihr das Feuer; und
in diesen beiden zusammen habt ihr die heiligen, geheimnisvollen Sinnbilder
der Gegellwart des ewigen Gottes in der Mitte seines Volkes. O, daß jetzt,
heute abend, obgleich keine sichtbare Wolke gesehen wird, obgleich kein Feuer
den Farren und den Widder verzehren wird, doch der Glaube die W o l k e
wahrnähme und das F e u e r im Herzen empfunden würde, so daß jeder von
uns spräche: „Gott war in Wahrheit mit u n s ; " und hinzufügte: „Brannte
nicht unser Herz in uns, da Er mit uns redete auf dem Wege?"

I.
Die erste Schriftstelle, die ich euch vorlas, gibt mir den ersten Teil
meiner Rede. I h r werdet beachten, daß das Volk versammelt war, um Gott
zu loben. Da erschien d i e W o l l t e ; die Priester waren nicht mehr im stände,
zu dienen, denn Gott hatte das große Haus als sein ausschließliches Eigentum
in Anspruch genommen.
Laßt uns die Beschäftigung beachten, in der sie waren. Sie lobten
Gott. Laßt uns bemerken, wie sie dies Werk vollführten. Sie thaten es
einstimmig. „Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge,

*) Die Predigt ist am ersten Sonntasse nach der Eröffnung des Tabernakels, 1861,
gehalten. A. d. Üb.
558 Alttestllmentliche Bilder.

als hörte man e i n e Stimme zu loben und zu danken dem Herrn." Wie
schön ist's, die Tausende Gott zugleich loben zu hören; ein jeder trägt zu dem
Gesang bei; die armseligen, heiseren Stimmen, die einigen von uns eigen sind,
die wir niemals Melodie erlernen können, wenn wir es auch noch so sehr ver-
suchen; die flötenartigen Stimmen unsrer Schwestern; der tiefe, widerhallende
Vaß des ill voller Kraft stehenden Mannes; alle die verschiedenen Tonarten
und Stimmen, die vielleicht unsre verschiedenen Stufen in der Gnade, unsre
verschiedenen Leiden und unsre verschiedenen Temperamente zum Ausdruck
bringen, alle vereinigt in einem gemeinsamen Gesang, der hinaufdriugt zum
Throue Gottes. Jeder, der sich weigert, Gott zu loben, schädigt den Gesang.
Jede stnmme Lippe stört die Musik. Jede schweigende Zunge hat eine ver-
derbliche Wirkung auf die Einmütigkeit und Einheit des Chors. Laßt uns
a l l e den Herrn loben. Laßt alle Kreaturen, die Odem haben, I h n loben.
Laßt den Himmel aller Himmel I h n erheben; ja, laßt die Drachen und alle
Tiefen sein Lob heulen. W i r können nie erwarten, Gott in diesem Hanse zu
haben oder in unsrem eignen Hause oder in unsrem Herzen, bis wir be-
ginnen, I h n zu loben. Wenn wir nicht als Gemeinde mit e i n e m Herzen,
obwohl mit vielen Zungen, den König der Könige erheben, dann müssen wir
die Hoffnung fahren lassen, daß Er uns in Zukunft mit seiner Gegellwart
begnadigen wird. O, meine lieben Brüder, laßt uns auf die Vergangenheit
zurückblicken! Wer unter uns ist nicht ein Schuldner der Barmherzigkeit?
Mögen die sich weigern, zu singen, die nie unsren Gott kannten und nie seine
Gnade schmeckten. Sei still, o Zunge, wenn du nie die Güte des Herrn gc-
schmeckt hast! Odem, sei du in der Luft vergeudet, wenn dein Mnnd nie mit
Gutem gefüllt worden ist. Aber, meine Seele, wenn dein Leben seine Gabe
ist, llild deine Freude seine Barmherzigkeit, so laß kein böses Schweigen sein
Lob ersticken. Er ist so gut, so frenndlich, so großmütig gegen jeden von uns
ohne Ausnahme gewesen, daß jeder voll uns nach seiner Fähigkeit mit Herz
und Stimme seinen Namen stets loben, preisen und erheben kann und muß.
Ferner jedoch bemerkt ihr, daß sie nicht nur einstimmig sangen, sondern
daß sie von Herzen jauchzten. I n einigen unsrer Kirchen sind ein halbes
Dntzend weißgekleidete Leute, die aufstehen, um den Herrn zu loben oder viel-
mehr den Mnsiker zn erheben. I n vielen unsrer Dissidentengemeinden singen
fünf oder sechs, die den Chor bilden, zum Lobe und Ruhme ihrer selbst, und
die Leute sitzen still, hören zu, und wage» nicht, so prachtvolle Musik zu ver-
derben. A l l vielen andren Orten wird es für geziclnelld gehalten, das Werk
der menschlichen Herzen, Zungen und Lippen ans ein Instrnment zu über»
tragen, das den Herrn loben soll. Möge das niemals hier der Fall sein.
So oft wir hier zusammenkommen, steige der Gesang zum Himmel empor wie
die Stimme vieler Wasser und wie große Donner. Ein kleiner Gott mag
Die Herrlichkeit des Tempels. 559

kleines Lob verdienen, aber der große Gott verdient großes Lob von allen
seinen Geschöpfen. Ich habe bemerkt, daß viele Leute im Geschäft sehr energisch
sind; aber beim Singen des Lobes Gottes sind sie fast so stumm, wie der Fisch
des Matthäus. Sie können den Tönen zuhören, aber sie versuchen nicht, ein»
zustimmen. Sie haben nichts dawider, daß andre singen, aber selbst sind sie
stnlnm. O, laßt uns uusrcm Gott singen! uud herzlich dazu! und wenn die
Stimme nicht so wohlklingend ist, wie wir es wüuschten, wird Gott doch
den Gesaug auuehmell, falls das Herz iu der rechten Stimmung ist, und selbst
Engelmelodien werden I h m nicht angenehmer sein. Vater hören gern die
Stimme ihrer Kinder; warum sollte miser himmlischer Vater eine stumme
Familie haben? R o w l a n d H i l l war eines Tages auf dar Kanzel, und eine
alte Frau geriet in dem Gedränge bis auf die Kanzelstufen; sie verstand die
Kunst, durch die Nase zu singen und sang so abscheulich schlecht, daß der gute
alte R o w l a n d sich umwandle und zu ihr sagte: „Schweigen Sie still, meine
gute Frau, Sie verderben den Gesang." „ O Herr," sagte sie, „es kommt
aus meinem Herzen, Herr H i l l , es kommt aus meinem Herzen." „Singen
Sie weiter, gute Frau," sagte er, „singen Sie weiter, so viel Sie wollen; ich
bitte uni Verzeihung, daß ich Sie unterbrach." Und so möchte ich zu jedem
hier, der im Gotteshause nicht singen kann, wie er's möchte, sagen, daß wir
ihn, wenn es aus dem Herzen kommt, doch nicht unterbrechen mochten, denn
die Steine selber würden sprechen, wenn die, welche Gott fürchten uud seine
Gnade geschmeckt haben, I h n nicht erhöben lind priesen. Wohl, wenn ihr
nicht ernstlich Gott loben wollt, so müßt ihr uicht erwarten, die Wolke feiller
Gegenwart zu sehen, denn als sie mit einem Herzen, mit mächtigem Klang
den Herrn lobten, da war's, als plötzlich die Wolke erschien.
Dann beachtet ferner, daß ihr Lob ein Lob mit S c h r i f t w o r t war. Sie
sangen jenen alten Psalm: „Seine Güte währet ewiglich." I h r habt viel»
leicht, als ich vorhin den Psalm vorlas, gedacht, es sei nicht viel darin; er sei
eine Wiederholung — eine Einförmigkeit; er schlüge immer wieder denselben
Ton an, läntete dieselbe Glocke. Wohl, dies zeigt eben, daß Gott in unsrem
Gesang nicht die Entfaltung großer poetischer Geschicklichkeit verlangt. Er
fordert nicht, daß in den Versen Flüge der Rhapsodie oder Träume der
Phantasie sind. Laßt den Reim gut sein, jedenfalls; laßt jede Silbe die
richtige Länge hahen. Gott sollte stets das Beste vom Vesten haben; aber
besser ist der wilde Gesang des Erweckungsuredigers mit bekannter Straßen-
mélodie, der aus ganzer Seele gesungen wird, als die erhabenste Mnsik, die
je gesetzt oder je von menschlichen Lippen geflossen, wenn das Herz nicht dabei
ist oder der Allsdruck nicht in Übereinstimmung mit dem Worte Gottes ist.
Je lieblicher unsre Gesänge sind, desto besser. Es wird in der That niemals
Lieder geben, welche die alten Psalmen Davids übertreffen. Laßt uns sie in
560 Alttestamentliche Bilder.

einem evangelische» Geiste auslegen, laßt uns sie mit dem Evangelium Christi
füllen, von dessen Weissagung sie schon voll sind, und wir werden die Worte
des Heiligen Geistes singen, und sicherlich einander erbauen und nnsren Gott
verherrlichen. Wenn also heute abend unser Lied biblisch, wenn unser Lob
herzlich, wenn unser Gesang einstimmig gewesen ist, wenn wir von jener
Gnade gesungen, die ewiglich währet, so haben wir gute Ursache, zu er-
warten, daß Gott sich nns offenbaren und der Glaube die Wolke wahr»
nehmen wird.
Das ist ein großer, alter, calvinistischer Psalm: „ S e i n e G n a d e
währet ewiglich." (Nach der engt. Nbers.) Welcher Arminianer kann das
singen? Nun, er wird es singen, glaube ich; aber wenn er ein konsequenter
Arminianer ist, kann er sich nicht wirklich daran erfrenen und es glaubeu.
D u kannst aus der Gnade fallen, nicht wahr? Wie währte dann seine Gnade
ewiglich? Christus erkaufte mit feinem Vlut einige, die in der Hölle ver-
loren fein werden, nicht wahr? Wie währt dann feine Gnade ewiglich?
Es gibt einige, welche dem Anerbieten der göttlichen Gnade widerstehen und
nach allem, was der Geist Gottes für sie thun kann, I h n dock) täuschen und
Gott eine Niederlage bereiten! Wie währt dann seine Gnade ewiglich? Nein,
nein, dies ist kein Lied für dich, dies ist des Calviniste« Lied. Dies ist das
Lied, das ihr und ich singen wollen, so lange unser Leben währt, und weun
wir durch das finstere Thal des Todesschattens gehen, so sollen die Schatten
widerhallen von dem freudigen T o n :

„Ewig währet seine Gnad',


Ewig treu und ewig fest."
Während das Volk fo beschäftigt war, erschien plötzlich die Wolke über
dem Tempel, die vormals über der Stiftshütte fchwebte; aber diesmal ließ
sie, anstatt über dem Dache zu hängen, sich herab, kam in die Höfe hinein
nnd erfüllte die heiligen Orte. Die Priester standen an ihren Plätzen,
schwangen die heiligen Rauchfässer und ließen lieblichen Wohlgeruch aufsteigen;
andre standen am Altar und warteten, bis die Zeit zum Opfern käme. Aber
nicht fobald füllte diese Wolke das Haus, als die Priester aufhörten zu dienen.
Sie fühlten, daß kein Raum für den Menschen sei, denn Gott hatte den Ort
erfüllt. Brüder, wollt ihr mir eure Aufmerksamkeit schenken, während ich ver-
suche, euch zu beschreiben, was die Wirkung davon sein wird, wenn es Gott
gefällt, dies Haus mit seiner Herrlichkeit zu erfüllen. Ich kann die Wirkung
begreifen auf die große Verfammlung an jenem erhabenen Tag der Ein»
weihung. Die Herrlichkeit Gottes hatte das Haus erfüllt, und die P r i e s t e r
w u r d e n beiseite gesetzt. Wo Gott ist, wird der Mensch vergessen. I h r
werdet wenig an den Diener denken, ausgenommen uni feines Werkes willen,
Die Herrlichkeit des Teulftels. 561

ihr werdet weniger von dein Menschen sprechen, wenn ihr den Herrn sehet.
Dies Haus wird dann nicht mehr nach meinem Namen genannt werden, es
wird nach Gottes Namen genannt werden. Wenn Gott den Ort erfüllt, wird
es für eure Seele nicht das Halls sein, wo ihr sitzen könnt und diesem oder
jenem Menschen zuhören, sondern der Ort, wo ihr die Schönheit Gottes sehet
und in seinem Tempel bittet und flehet. I h r werdet euren Pastoren lieben;
ihr werdet eure Ältesten schätze»; ihr werdet euch um eure Diakoueu (Ge>
meiudeuorsteher) schareu; ihr werdet als eine Gemeinde die Bande eurer
Kirchengemeiuschaft anerkennen; aber Pastor, Älteste, Diakonen, Gemeinde —
alles wird versinken uud alles vergessen werden, wenn die Herrlichkeit des
Herrn das Haus füllt. Dies ist immer die Wirkung großer Erweckungen ge-
wesen; kein Mensch ist dabei je sehr hervorgetreten. Als Gott die Welt durch
W h i t e s : eld und Wesley segnete, wer waren sie uud was hielten sie von
sich selber? „Weniger denn nichts wurdeu sie, als Gott alles iu allem war."
Das Erheben der Priester ist Unehre für den Hohenpriester Iesns Christus;
aber wenn die Priesterschaft aufhört und niedergeworfen wird, dann wird der
Herr allein erhöht. Möge der Herr hier, während Er ein menschliches Werk'
zeug gebraucht, euch alle sehen lassen, daß es „nicht durch Heer oder Kraft,
sondern durch meiuen Geist geschehen soll, spricht der Herr Zebaoth." Dies
ist in der That meine Mission gewesen, die Macht Gottes in menschlicher
Schwachheit zu zeigen. Ich will anerkennen und bekennen, was so oft von
mir gesagt wird. „Der Mann ist nicht gebildet." Zugestände«. „Seiue
Perioden sind ungefeilt." Zugestanden. „Seine Manier ist rauh." S e i
es so, wenn i h r w o l l t . „ E r selbst ist ein Narr." J a , A m e n , und was
euch sonst noch beliebt. Sammelt alle Beiwörter im Katalog des Schimvfens
zusammen — kommt, häuft sie hier auf. Aber wer hat dies gethau, wer
hat Seeleu errettet und die Menschen zu Gottes Füßen gebracht? Nun, wenn
das Werkzeug gering ist, um so mehr Ehre Ihn», der es gebraucht hat, und
wenn der Mensch nichts ist, so will ich „mich am allerliebsten rühmen meiner
Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne." Macht mich weniger
und immer weuiger; ich bitte euch, thut es; laßt es so sein; aber dennoch, o
Gott, gebrauche diesen armen Ochsenstecken, mache ihn mächtig, die Philister
zn schlagen, und mache Dein Wort stets noch zn einem Nichter der Gedanken
und Sinne des Herzens. Möge der Herr dieses Haus erfüllen, dann wird
der Mensch vergessen sein.
Außerdem könnt ihr euch leicht vorstellen, w a s , f ü r eine feierliche
Ehrfurcht über alle kam, die an dem Tage versammelt w a r e n , als
die Wolke das Haus erfüllte. Vielleicht waren in jener ungeheuren Ver>
sammluug manche, die leichtfertig kamen, lim das Gebäude zu sehen. Es
waren einige, die von seinen goldenen Platten gehört hatten und von dein
S p u r g e o n , Alttestamentllche Bilder. 3U
562 Nlttestamentliche Bilder.

ehernen Meer; sie hatten erzählen hören von den großen Bäumen, die Hiram,
König von Tyrus, ans Flößen nach Joppe hatte bringen lassen, und sie kamen,
das Haus zu sehen. Es waren andre da, die reichlich zu der Errichtung bei-
getragen hatten; sie kamen, um gesehen zu werden — damit der König ihnen
für ihre Gaben danken, damit das Volk seine großmütigen Wohlthäter schauen
möge. Diese Veweggrüude waren niedrig, das geben wir zu, aber sie waren
verloren und vergessen, sobald einmal die Herrlichkeit Gottes das Haus füllte.
Da fühlten sie, daß der Ort zu ernst zu einer bloßen Schaustellung sei; da
hielten sie ihn für zu heilig, um als ihr Eigentum betrachtet zu werdeu, und
auf der Vrust jedes Israeliten hätte mau die Worte lesen können: „Hier ist
nichts andres denn Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels;" deun
der Herr hatte das Haus erfüllt. Daun könnt ihr nur glaubeu, daß die
Heiligen Gottes sich freuten. Sie hatten vorher gesungen, die Spieler
hatten liebliche Musik gemacht; aber, o, welche Melodie war iu ihren Herzen,
als diese Wolke alle bedeckte! Mich dünkt, sie weiuten vor Freude; sie
konnten nicht sprechen. Ich weiß, ich wäre verstummt an diesem Platz. Ich
hätte gesprochen:
„Komm, heil'ges Schweigen, sing' sein Lob!"

denn, o, wenn Gott gegenwärtig ist, wie können wir unsre Freude aussprechen l
Siuget I h m ! singet I h m ! lobet I h n mit Zimbeln, lobet I h u mit wohl-
klingenden Zimbeln; aber wenn ihr das alles gethan habt, überflutet die
Freude eure Worte; die Musik des Herzens übertrifft die Musik eurer Lippen.
Und dann, denke ich, darf ich wohl mit Sicherheit hinzufügeu, die
Bittenden fühlteu an jenem Tage, daß sie ernstlicher beten konnten,
weil sie mit Gewißheit beteten. Gott hatte das Haus erfüllt; nun wollte Er
ihre Gebete hören. Wohin sie auch ihr Auge im Tempel wandten, begegneten
sie dem Auge Gottes. Wenn sie um Vefreiuug von Sünde, Pestilenz, Krieg,
Dürre, Brand, Heuschrecken oder Raupen ihr Auge zu Zions Hügel wandten,
fühlten sie, daß sie gehört werden müßten, denn Gott hatte das Haus erfüllt.
O, daß heute abend das Volk Gottes fröhlich wäre! O, daß ihr zu Hause
ginget, wie sie es von Salomos Tempel thaten, ein jeder den König lobend
in der Freude seines Herrn und in dem Gefühl, daß ihr beten dürft, weil
Gott es hören w i l l ; daß Gott so deutlich dies Haus als das feine anerkennte,
daß, wann immer wir zusammenkommen, ob wir auch nur zwei oder drei
sind, Christus mitten uuter uus ist, uns zu segnen. Ich bete, meine Brüder,
daß wir eine solche Kundgebuug Gottes haben mögen, daß all diese Wirkungen
von uns im höchsten und vollsten Grade empfangen uud empfunden werden.
Ich habe so über meinen ersten Text gepredigt, so kurz ich es vermochte,
mir um so mehr Zeit zu lassen, die Lehren des zweiten euch einzuprägen.
Die Herrlichkeit des Tempels. 563

I h r habt sein Lob gesungen; nun, Herr, fülle dies Haus. I h r habl seinen
Namen gepriesen, ihr habt enre Stimmen erhoben zu I h m , dessen Barmherzig-
keit ewiglich währet. O König der Könige, erscheine! O D u , der D u wohnest
zwischen den Cherubim, enthülle Dich jedem von uns, und thue es jetzt, um
Jesu willeu l

II.
Der erste Text bezieht sich auf die Vergangenheit. Für empfangene
Güter müssen wir Gott danken, wenn wir mit seiner Gegenwart begnadigt
werden wollen. Der andre Text verweilt vorzüglich bei der Zuknnft. Das
Volk vereinigte sich nach dem Loben zu feierlichem Gebet und Opfer; da war
es, als d a s F e n e r hernicderkam. Sie hatten die Wolke vorher, aber nun
hatten sie das Fener; und dann standen sie wiederum alls, nachdem sie nieder-
gefallen waren und angebetet hatten und sangen noch einmal: „Seine Gnade
währet ewiglich."
Ich habe an diesem Ort schon fünf- oder sechsmal gesagt, daß ich,
wenn meine Gemeinde nicht für mich betet, und Gott ihre Gebete nicht erhört,
der elendeste von allen Menschen bin, aber wenn eure Bitten im Himmel
gehört werden, so bin ich von allen Menschen am reichsten von Gott gesegnet.
Denkt an diese Versammlung, die hier Sabbat auf Sabbat zusammeukommen
wird — wie, wenn wir keine Speise für die Heiligen hätten — wie, wenn
das Wort nie ernstlich zu Sündern gesprochen würde, uud deshalb ungesegnet
bliebe — es würde vergeblich sein, daß dies Haus voll wäre! Vergeblich,
sagte ich? Unendlich viel schlimmer! — Wird es nichts sein, daß wir hier
zu einer Gemeinde miteinander verbunden find? Nichts! Alles wird nns
unser künftiges Elend voraussagen, weun Gott nicht hier ist. Vergeblich das
Errichten dieses Gebäudes mit aller Ausdauer, die dabei sich bewiesen hat,
uud mit aller Huld Gottes, weun wir nicht jetzt seinen Segen haben. Weun
ihr je für mich und für diese Gemeinde gebetet habt, so betet jetzt siebenmal
mehr für uus. O, ihr, die ihr meine geistlichen Söhne und Töchter seid, die
ihr für Gott geboren seid durch die Predigt des Wortes — an euch weude
ich mich zuerst. Ich bitte euch, hört nie auf zu beten, daß hier Gottes Wort
ein lebcndig'lnachendes, ein überführendes, ein bekehrendes Wort sei. Die
Wahrheit ist, Brüder, wir müssen hier Vekehrungswerk haben. W i r können
nicht weiter gehen, wie einige Gemeinden es thun, ohne Bekehrte. W i r
können nicht, wir wollen nicht, wir dürfen nicht, wir wagen es nicht. Seelen
müssen hier bekehrt werden, und wenn nicht viele für Christum geboren werden,
fo möge der Herr mir geben, daß ich im Grabe meiner Väter schlafe, und
nichts mehr von mir gehört wird. Besser in der That für uns, zu sterben
als zu leben, wenn keine Seelen errettet werden. I h r also, die ihr schon
36'
564 Alttestamentliche Bilder.

unter ulisrer Predigt errettet seid, macht dies, ich bitte euch, zu einem Gegen»
stand eures täglichen Gebetes. I h r , die ihr Mitglieder der Gemeinde, und
lange vor unsrer Zeit in Christo gewesen seid, ich beschwöre euch bei I h m , der
da lebendig ist, und der tot war, haltet an zur Zeit und zur Unzeit mit eurem
Flehen. O, was soll ich thnn, wenn ich das Unglück habe, mein Gebetbuch
zu verlieren? Und ihr seid mein Gebetbuch — meine Litanei, meine täglichen
Kollekten sind alle auf den Herzen meiner Gemeindeglieder geschrieben. Wer
bin ich? Gleich einem armen Schiffbrüchigen, der ans einem Floß weit
draußen auf dem Meer schwimmet, kein freundliches Segel in Sicht, wenn ich
nicht eure täglichen Gebete habe. Aber wenn ich sie habe, so werde ich einem
wohlbeladenen Schiffe gleichen, das in der Mitte seiner Geleitsflotte dahin-
fährt mit vielen größeren Fahrzeugen und schönen Segeln, die ihm fröhlich
Gesellschaft leisten im Sturm und im guten Wetter, bis wir alle unfren Hafen
zusammen erreichen. Betet für uns, daß unser Glaube nicht aufhöre; daß
unser Stolz nicht ausbreche. Betet für uns, daß w i r beten mögen. Betet,
daß wir das Wort mit mehr Verständnis desselben lesen, und daß, wenn wir
vortreten, um zu reden, unser Haupt aus einem Ölhorn des Geistes gesalbt
werden möge, auf daß wir Gottes Worte und nicht Menschenworte sprechen.
Und mit euren Gebeten verbindet eure Opfer. Bringt jeden Tag, ein jeder
von euch, das kostbare Blut Christi. Nehmt eure Hände voll von dem Weih»
rauch seines Verdienstes. Steht jeden Morgen und jeden Abend vor dem
göttlichen Thron als des Königs „Erinnerer," die Ihm das in Erinnerung
bringen, was Jesus that. Bittet I h n bei feiner Todesangst und feinem
blutigen Schweiß, bei seinem Kreuz und Leiden, bei seinem Tod und
Begräbnis. Bittet I h n , Seelelt zu erretten. Gebraucht die starken Beweis«
gründe des Leidens Jesu. Eignet euch die allmächtige Logik der Seufzer des
blutenden Heilandes an. Bleibt dabei, daß ihr den Engel nicht lassen wollt,
er segne euch denn. Verstärkt eure Gebete durch Thränen; beweist die Auf-
richtigkeit eurer Thränen durch Thaten; lebt euren Gebeten gemäß; betet für
den Frieden Jerusalems, und wirkt und strebt dafür. Wie ein Mann, mit
einem Herzen schreit täglich zu eurem Gott, und sucht durch Glaubensthaten
die Wahrheit eures Flehens zu beweisen. Und dann, merkt euch, dann wird
das Feuer niederfallen. Wir haben, hoffe ich, die Wolke fchon. Gott hat
ill dieser Woche das Haus als das seine anerkannt. Wir haben nur das
Feuer nötig. „Aber was ist der Unterjchied?" fragt ihr. Null, es kann die
Gegenwart Gottes in einem Hause sein ill gewisser Weise, insofern seil: Volk
I h n dort anbetet; aber doch mag es vielleicht nicht seine wirksame Gegen»
wart sein. Wir brauchen nicht sowohl die Wolke, das Sinnbild, daß Er dort
nur in geheimnisvoller Weise ist; wir brauchen Feuer, das Sinnbild seines
Wirkens, während Er gegenwärtig ist. O! meine Brüder, wie sehr braucht
Die Herrlichkeit des Tempels. 565

der P r e d i g e r das Feuer! Wer die Flammmzunge hat, kann rasch die Herzen
schmelzen, aber was sind diese armseligen Stückchen Erde, wenn nicht Gott
den Seraph heißt, sie mit der glühenden Kohle vom Altar zu berühren?
Predigen ist eine Posse, wenn der Pastor kein Feuer in sich hat; aber wenn
das Feller da ist, so ist Predigen Gottes verordneter und verbürgter Weg,
Seelen zu I h m zu bringen. I h r habt, wie ich nicht bezweifle, Prediger
gehört von eiller solchen vollkommenen Gelehrsamkeit, daß ihr ihre Meinung
nicht ergründen konntet; ihr habt andre gehört voll einer so erhabenen Be<
redsamkeit, daß ihr nicht ausspähen konntet, was es sei, das sie darstellen
wollten; ihr habt einige gehört, die eher Lippen von Eis als voll Feller zu
haben schienen; ihr habt voll vielen gehört, welchen es gelingt, denjenigen
Schlaf zu verschaffen, die nie zu Hause schlafen. Es gibt einige Prediger, die
niit freigebiger Hand Schlafmittel austeilen, und mit einer Bewegung ihres
tödlichen Annes eine ganze Menge ill Schlummer bringen. Möge es nie hier
so sein. Wenn wir euch nicht wach erhalten können, so ist's besser, daß wir
selbst schlafen gehen. Wenn die Versammlung schläft, so ist das ein Zeichen,
daß der Prediger lieber im Vett sein sollte, wo^er gemächlich wäre, als auf
der Kanzel, wo er schädlich ist. Aber die Aufmerksamkeit mag gefesselt werden,
ohne daß Gefühl erregt wird. W i r branchen das F e u e r , um Gefühl zu
wecken. O l ich habe einen Mann eine Predigt halten hören, der ein Engel
hätte zuhören können, um ihrer fehlerlosen Wahrheit willen, aber ihr mangelte
Feuer; uud ich habe einen andren gekannt, dessen Predigtelt in vieler Hillsicht
fehlerhaft waren und ungefeilt seine Worte; das Evangelium, das er predigte,
war nicht ein völlig abgerundetes Evangelium, aber er sprach wie ein Mann,
der meinte, was er sagte, sein Herz kochte über ill seinen Auge», seine Seele
strömte alls seinem Munde ill einem furchtbaren Wasserfall, und die Menschen
wurden bewegt, und die Massen zogen hin, und Tausende hörten zu, und
Seelen wurden errettet, weil der Mann es ernst meinte. A h ! wenn ich einen
Mann auf die Kanzel steigen sehe, und er den Heiligen Geist bittet, ihm zu
helfen, und dann sein Konzept weit öffnet, und alles vorliefet, so wnndert es
mich, was er ineint; und wenn er betet um eine Feuerzunge, und dann in
solch murmelnder, kalter, wenig ernster Manier spricht, daß seine Hörer sofort
wahrnehmen, daß kein Herz in ihm ist, — mich wundert, was er meint.
O, Feller von Gott, komm herab auf die Zunge öes Predigers! Aber den
Hörern thnt dies Feuer auch nötig. Wie gut merken die Leute auf, wenn
sie kommen, um etwas zu hören. Wenn sie kommen, Und nicht erwarten,
etwas zu empfangen, fo ist es nicht oft der Fall, daß sie sich täuschen; aber
wenn sie willig sind zu hören, was immer im Namen Gottes gesagt wird,
wie schön, wie leicht, wie angenehm ist es, zu ihnen zu sprechen! W i r
brauchen viel voll dieser Art Feuer. O l wie sehr haben wir das Ohr nötig,
566 Alttestllmeiltliche Bilder.

das beschnitten ist, — das Herz das erweicht ist! Der Prediger ist der Sä'e<
mann, o Gott, pflüge die Furchen zuerst! Der Prediger ist der Begießende;
großer Gott, pflanze die Zeder erst! Wir sind nur die Lichter, o, großer
Gott, gib die Augen. Wir sind nur die Posaunen; o Herr, öffne D u die
Ohren! W i r sprechen nur: Großer Gott, gib Leben, daß wir nicht zu toten
Menschen sprechen, sondern daß Leben durch unser Wort gegeben werde. Feuer
thut de» Hörern in reichem Maße not.
Was für eine herrliche Wirkung wird erzeugt, weuu das Feuer auf eine
Versammlung herabkommt l Ich will euch eine Gemeinde ohne Fener beschreiben,
und dann eine mit demselben. Dort ist eine Kapelle: wir wollen nicht sagen,
wo — wo ihr wollt. Am Sabbatmorgen geht der Pastor hinein, er erwartet
kaum, sie halb voll zu sehen. Er kommt ungefähr fünf Minuten nach der
bestimmten Zeit. Er kündigt den Gesang a n ; zwei oder drei Sänger stehen
auf und morden das Lob Gottes. Die Leute kommen beständig herein
während des Singens. Das Gebet beginnt, und sie kommen immer noch
herein. Das Kapitel aus der Bibel wird verlesen und der zweite Gesang
beginnt, und sie kommen immer noch. Endlich sind sie alle zur Nuhe ge-
kommen. Der Vorsänger hat gerade den letzten Vers beendet und fetzt sich
zu seinem gewöhnlichen Schlafe zurecht; die Versammlung bereitet sich auch
für das, was sie empfangen wird. Der erste Teil hat feine Wirkung gethan;
der zweite greift die Leute fchr deutlich an; und wenn der dritte angekündigt
wird, so hat vielleicht das letzte Paar Augen aufgehört, nach der Kanzel und
dem leeren Gesicht auf derselben zu blicken. Aber du sprichst, im Gange
stehend, zu dir selbst: „Nuu, dies ist wirklich ein Anblick. Es ist ein guter
Mann auf der Kanzel, aber was für ein Recht hat er, dort zu sein? Dies
sind gute Leute, aber wozu kommen sie hierher? Hier ist kein Ernst, kein
Leben." Die Anzeigen sind gemacht worden: „Betstunde am Montag'Abend,
Predigt am Donnerstag." Wohl, wir wollen am Montag/Abend hingehen. Da
ist der Pastor und ungefähr vier Leute außer uns zugegen. Es sind kaum
genug da, um sie zum Gebet aufzufordern; nachdem einer gebetet hat, muß
der Pastor zweimal beten, um die Zeit auszufüllen. Die Gebete sind zwanzig
Minuten lang, es sind keine Gebete, fondern Predigten. Wenn irgend etwas,
so ist die Betstunde uoch öder als der Gottesdienst, denn bei diesem waren
Leute, wenn auch kein Leben; aber hier sind weder Leute noch Leben. Wohlan,
wir wollen hingehen und mit den Gemeindevorstehern sprechen: „Nun, Freund,
wie hat Ihre Gemeinde in letzter Zeit zugenommen?" „Nun, wir nehmen
nicht zu; wir haben in der letzten Zeit gar nicht danach ausgesehen; aber die
Sachen stehen recht gut; es geht alles ganz gemächlich." „Wie lauge ist es,
seit Sie eiue Taufe hatten?" „ O , wir hatten eine Taufe zur Zeit des alten
Doktor N. N . ; das ist ungefähr — laß mich sehen — vor fünfzehn Jahren, glaube
Die Herrlichkeit des Tempels. 567

ich." „Sie haben keine seit der Zeit gehabt?" „Nun, ich weiß nicht, wir
mögen eine gehabt haben, es find einige Mitglieder andrer Gemeinden ge<
kommen, die in die nnsre eintraten, aber wir haben gewiß nicht viele gehabt."
„Und thun Sie etwas zum Wohle der Nachbarschaft?" „Nein, das nicht;
wir haben einige junge Leute hier, die zu rasch und hastig sind, sie wollen
nicht ganz ruhig sein; aber unser Pastor meint nicht, daß es etwas nütze, den
alten Weg zu verlassen. Außerdem sagt er, Erweckungen seien alle wildes
Feuer: daß der Herr sicherlich seine Erwählten bekehren wird und daß wir
uns nicht über die gebührende Grenze anstrengen müssen. Sie wissen, er sagt,
Pastoren, die zu oft predigen, sterbeil immer frühzeitig. Unser Pastor wünscht,
ein gutes Alter zu erreichen und trägt deshalb Sorge für sein kostbares
Leben." — Wir wollen jetzt hingehen und den Pastoren sehen; wir wollen
ihn bitten, uns ill sein Studierzimmer zu lassen. Eine Reihe Konzepte! —
ein schlimmes Zeichen. Bücherbretter voll voll Predigten und sehr wenig
Puritanische Theologie. Schlechtes Zeichen wiederum. Sollte er uns wohl
bleiben lassen, während er eine Predigt macht? Die Art, wie man anfangen
muß, eine Predigt zu machen, ist, das Knie beugen und Gott um Leitung
anrufeil. Das ist das erste. Er thut dies nicht. Er hat vierzig oder sechzig
Texte für die nächstell ein oder zwei Monate bezeichnet; uud er hat einen
Zettel drucken lassen und den Leuten gesagt, worüber er zu predigen denkt,
um zu beweisen, daß der Geist ihn Monate voraus leitet, und nicht ill der»
selben Stunde, wo er es bedarf. So sieht er nach, was für ein Text es ist,
und nimmt verschiedene Bücher hernnter, die er über diesen Gegenstand hat,
schreibt seine Epistel an seine Gemeinde nieder, uud die Sache ist gethan, er
kann ausgehen und Besuche machen. Kein Seufzen über Seelen, merkt euch;
nichts von B a x t e r s Mitleid; kein Beben der Kniee, wenn er die Kanzelstufen
heraufsteigt; keine schlaflose Nacht, weil er nicht predigen kann, wie er w i l l ;
kein Seufzen, wenn er heimkommt, weil er denkt, daß es ihm mißlungen
ist, wo er hätte Erfolg haben sollen. Nein: die Ursache davon ist, daß kein
Feuer da ist. O Gott! sende das Feuer herab, und was für eine Veränderung
wird da sein! Das Feuer ist gekommen: Den nächsten Sonnabend ist der
Pastor wiederum in seinem Studierzimmer, und der Gedanke, der furchtbare
Gedanke, trifft i h n : „Wie, wenn das Blut der Seelen vor meiner Thür seiu
sollte?" Er steht auf, geht durchs Zimmer, legt seine Hand auf die S t i r n . Er
hat nie früher daran gedacht! Gepredigt all diese Jahre laug, aber nie gedacht,
daß er verantwortlich für die Menschen sei; nie sich vorgestellt, daß er sicher«
lich entweder seines Bruders Hüter oder seines Bruders Mörder sein müsse.
Er kann es nicht ertragen; die Predigt, die er halten wollte, genügt nicht, er
will eine andre nehmen. Ein Spruch kommt ihm ill den S i n n , es soll dieser
seiu: „Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!" Er wacht
563 Alttestamentliche Bilder.

auf am Sabbatmorgen; er ist ganz voll Fnrcht: gesetzt, er bliebe stecken! Er


erhebt sein Herz zu Gott, er betet um Hilfe. Er geht auf die Kanzel, er
zittert. Er beginnt zu sprechen, die Leute wissen nicht, was sie davon denken
sollen, der Pastor ist ganz anders, als er je znuor gewesen. Er beginnt zu
jedem zu sprechen, der durstig ist, und dann fängt er an zu rufen: „Wohlan!"
Er sprach nie früher so laut. Nun fängt er an zu bitteu: „kommt her znm
Wasser!" Sie sahen ihn nie früher seine Häude ausstrecken, nm zu bitten.
„Die ihr nicht Geld habt, kaufet und esset, beides, Wein und Milch." Und
die Thränen rollen seine Wangen hinab, und er beginnt, mit allem Gefühl,
das in feinem Herzen ist, zu stehen, während er die Seelen bittet, zu Christo
zu kommen, zu Christo zu kommen, zu Christo zu komme». Die alten Schläfer
finden, daß sie nicht fchlafen können. Die, welche früher den gemütlichsten
Schlummer gehabt, können ihn jetzt nicht haben. Augen glänzen, Sirahlen zucken
aus manchen Augensternen, die sich seit Monaten keines teiluehmenden Blickes
bewußt geworden waren. Thränen werden gesehen. Der Pastor ringt mit Gott,
nachdem er mit Menschen gerungen hat; er kommt in die Sakristei hinab; der
alte Gemeindevorsteher ergreift seine beiden Hällde: „Gott sei gelobt für folche
Predigt, wie diese; sie hat mich ganz ergriffen, so pflegte der alte Doktor
N. N. zu predigen;" und der zweite Gemeindevorsteher sagt: „Ich danke
Gott hierfür, meinen Sie nicht, daß wir eine besondere Betstunde dafür halten
sollten? Sie thäteu besser, dies heute abend anzukündigen." Betstunde nächstell
Montag; es sind nicht viele da, aber doch viermal so viele, als früher da
waren. Und o, wie sie beten! Zwanzig Minuten geht nicht; sie beten jeder
zehn Minuten, sie bleiben bei der Sache;- sie predigen nicht, sie bitten Gott,
den Pastoren zu segnen. Nächsten Sonntag-Morgen ein volleres Haus, am
Abend gedrängt voll. Seelen werden erweckt; Gott segnet das Wort: Heilige
beten, Sünder zittern; die nächste Umgebung wird anders, und Christus wird
verherrlicht. Dies ist die Wirkung des Feuers. O Gott, sende das Feuer hier!
Aber ihr werdet bemerken, daß gesagt wird, die Priester konnten nicht
hilleingehen ill das Haus des Herrn, weil die Herrlichkeit des Herrn das Haus
füllte. Das erste M a l konnten die Priester nichts thun, aber sie blieben, wo
sie waren; das zweite M a l mußten sie noch mehr vergessen werden, denn sie
konnten nicht in dem Hause weilen. Wenn Gott das Feuer seines Geistes
hierher sendet, so wird der Pastor immer mehr in seinem Herrn sich verlieren.
I h r werdet weniger an den Sprechenden denken und mehr an die gesprochene
Wahrheit; die Persönlichkeit wird untergehen, die gesprochenen Worte werden
sich über alles erheben. Wenn ihr die Wolke habt, so wird der Mensch ver-
gessen; wenn ihr das Feller habt, so ist der Mensch verschwunden, und ihr
seht nur seinen Herrn. Gesetzt, das Feuer käme hier, und der Herr würde
mehr gesehen, als der Knecht — was dann? Nun, diese Gemeinde wird zwei-
Die Herrlichkeit des Tempels. 569

oder drei« oder viertausend stark werden!"*) Es ist leicht genug für Gott,
unsre Zahl zu verdoppeln, groß wie sie ist. W i r werden den Saal unter
dieser Plattforln voll bei jeder Betstunde haben, ^'^) und wir werden all diesem
Ort junge Männer sich dem Dienste Gottes widmen sehen; wir werden junge
Prediger erweckt und ausgebildet sehen, die das Feuer nach andren Orten
tragen. Japan, China uud Hindostan werden Herolde des Kreuzes haben,
deren Zungen hier voll der Flamme berührt worden sind. Die ganze Erde
wird Segnungen empfangen; wenn Gott uns segnet, wird Er uns zu einem
Segen für alle machen. Wenn Gott nur das Feuer herabsendet, so werden
die größten Sünder in der Nachbarschaft bekehrt werden; die, welche in den
Höhlen der Schande leben, werden umgewandelt werden. Der Trunkenbold
wird seinen Becher aufgeben, der Flucher wird seine Lästerungen berenen, der
Ausschweifende seinen Lüsten nicht mehr folgen.

„Bekleidet wird verdorretes Gebein,


I n Fleisch verkehrt das harte Herz von Stein."

Wenn irgendwo innerhalb dieser Mauern heute abend ein Mann ist,
der ill diesen letzten zwanzig Jahren nicht in einem Gotteshause gewesen;
wenn hier andre sind, die allen Anspruch auf Ehre und alles Recht auf
Achtung verwirkt haben, großer Gott, mache diese zu Erstlingen Deiner Macht!
Mache sie jetzt zu Beispielen Deiner Barmherzigkeit, zu Siegeszeichen Deiner
Gnade! Dies wird die Wirkung des Feuers sein, das vor alters das Opfer
verzehrte, und das hellte unsre Sülldell verzehrt und unsre Werke, unsre Ge<
sänge, unsre Gebete entflammt, bis alle zum Himmel emporsteigen, und Gott
sie als ein Opfer von süßein Geruch annimmt.
Ich will euch nicht länger aufhalten, nachdem ich so vor die Augen
eurer Seele die zwei Dinge gestellt habe, die wir ernstlich suchen und um die
wir Gott anrufen sollten, ich will schließen damit, daß ich einfach das
Evangelium predige, und ich denke nicht, daß ich es bei dieser erstell Ge-
legenheit besser thun kann, als indem ich schlicht erzähle, wie ich selbst zu
Christo gebracht wurde. Ich hatte jahrelang als Kind im geheimen unter
den trübsten Gefühlen der Verzagtheit gelitten. E i n Gedanke hatte mich zer-
malmt. Ich bin eill Sünder, und „Gott ist mit den Gottlosen zornig jeden
Tag." Ich begann zu beten. Das Gebet gab mir keinen Trost, sondern
machte meine Last noch schwerer. Ich las die Bibel; die Bibel war voll
Drohungen für mich, ich konnte keine Verheißungen dort finden. Ich besuchte

*) Sie zählt jetzt über fünftausend Mitglieder. A. d. üb.


**) Die Betstunde wird jetzt im Tabernakel selbst gehalten nnd von 1500 bis
2000 besucht.
570 , Alttestamentliche Bilder.

das Haus Gottes beständig, aber ich lernte nie aus all dem Predigen, das ick)
hörte, was ich thun müsse, um errettet zu werden; meine Augen waren blind
und meine Seele unwissend. Ich hörte einen praktischen Prediger, aber was
nützte mir das Thnn? Es war, als wenn man einen Menschen exerzieren
lehrt, der keine Füße hat. Ich hörte das Gesetz donnern, aber es war nicht
Donner, was ich nötig hatte, sondern Töne der Barmherzigkeit. Ich hoffe,
daß kein Mensch je stärkere nnd furchtbarere Schmerze» gelitten hat, als ich
unter diesem Sündenbewußtsein es habe; Gefühle, die ich sorgfältig vor allen
zu verbergen strebte. M a n hielt mich für dumm und träge, weil ich wenig
M u t zu irgend etwas hatte. Wie ich vorhin gesagt, ich betete täglich und be»
ständig, aber meine Senfzer schienen von einem ehernen Himmel zurückzuprallen,
und Gott gab mir keine Gnade. Es hätte so bis auf diesen Tag sein können,
wäre nicht der Ratschluß und die Vorsehung Gottes gewesen, die mich
hinderten, eines Tages zu meinem gewöhnlichen Gotteshause zu gehen, nnd
mich zwangen, in eine kleine Methodistenkapelle einzutreten. Nun war an
diesen! Tage ein solches Schneewetter, daß sehr wenig Leute da waren und
der Pastor nicht kam; ich glaube, er war eingeschneit. Aber man hatte
irgend einen armen Mann gefunden, einen loolü proaokoi' sLaienprediger),
und der wurde auf die Kanzel gesandt. Gelobt sei Gott! Gelobt sei Gott
für diesen armen Laienprediger! Er las seinen Text, das war ungefähr alles,
was er thun konnte. Der Text war: „Sehet auf mich, so werdet ihr errettet
sein, aller Welt Ende." (Ies. 45, 23.) Es war ein uuwissender Mann, er
konnte nicht viel sagen, er war gezwnngen, sich au seinen Text zu halten.
Gott sei Dank dafür. Er begann: „Sehet," das ist kein schweres Werk.
I h r braucht nicht eure Hand aufzuheben, ihr braucht keinen Finger aufzuheben.
„ S e h e t , " ein Narr kann das thun. M a n braucht kein weiser Mann zu sein,
um zu sehen. Ein Kind kann das <hun. M a u braucht uicht erwachsen zu
sein, um seine Augen zu gebrauchen. „ S e h e t , " ein armer Mann kann das
thun, keine Reichtümer sind nötig, um zu sehen. „ S e h e t , wie einfach, wie
einfach." Dann fuhr er fort: „Sehet auf mich. Sehet nicht auf euch selber,
sondern sehet auf mich, das ist auf Christum. Sehet nicht auf Gott den
Vater, um zu wissen, ob ihr erwählt seid oder nicht, ihr werdet das nachher
finden; sehet auf mich, fehet auf Ehrislum. Sehet nicht auf Gott den Heiligen
Geist, um zu wissen, ob Er euch berufen hat oder nicht; ihr werdet das später
lernen. Sehet auf Iesnm Christum;" und dann fuhr er in feiner einfachen
Weise fort, es auszulegen: „Sehet auf mich; ich schwitze große Tropfen
Vlutes für euch; sehet auf mich, ich werde für euch gegeißelt und angespieen;
ich werde alls Kreuz genagelt, ich sterbe, ich werde begraben, ich stehe wiederum
auf und fahre gen Himmel, ich bitte vor des Vaters Thron, und all das
für euch."
Die Herrlichkeit des Tempels. 571

Nu», diese einfache Weise, das Evangelium darzustellen, hatte meine


Aufmerksamkeit erregt und ein Strahl von Licht war ill mein Herz gefallen.
Indem er sich herabbeugte, sah er unter die Galerie nnd sagte: „Junger
Mann, du fühlst dich sehr eleud." Das that ich, aber ich war nicht gewohnt,
in solcher Weise angeredet zu werden. „ A h , " sagte er, „und du wirst dich
immer elend fühlen, wenn du uicht thust, wie meiu Text dir sagt, d. h.,
weuu du nicht auf Christum siehst." Und dann rief er aus mit seiner ganzen
Kraft: „Junger Mann, sieh'; in Gottes Namen sieh' und sieh' jetzt." Ich
that es, ich sah, gelobt sei Gott! Ich weiß, ich sah da uud dann; und der,
welcher nur eine Minute vorher der Verzweiflung nahe gewesen, hatte die
Fülle der Freude und Hoffnung; und in dem Augenblick hätte der, welcher
bereit gewesen wäre, sich zu vernichten, aufstehen können, um da und dann
voll „ I h m zu singeu, des Blut die Sünden wäscht Hillweg." Und mm stehe
ich hier in diesem großen Gebäude, um dasselbe Evangelium in derselben ein-
fachen Sprache zu verkündeil. Sünder, seht auf Christum, uud seid errettet.

„Seit ich im Glauben sah den Strom,


Der dort aus seinen Wunden fließt,
Hab' ich von feiner Lieb' gezeugt,
Und will's, bis sich mein Auge schließt."

O Sünder! wie wenn Gott diesen Tag zu eurem geistlichen Geburts'


tage machte; und das kaun uur sein durch einfaches Sehen auf Christum.
Bei den Gebeten deines frommen Weibes bitte ich dich, sieh'. O , junger
Mann, bei den Seufzern einer liebenden Mutter bitte ich dich, forge für deine
Seele und sieh'. Alter Mann, bei der Abnahme deiner Jahre, bei jenen
grauen Haareu und bei der Nähe deines Grabes bitte ich dich, sieh'. I h r
Söhne der Armut, bei allem, was ihr hier zu leiden habt, seht, seht auf
Iesum, daß ihr in I h m ewigen Reichtum fiudeu möget. Uud ihr Reichen,
wenn ihr nicht durch eure Neichtülner verflucht werden wollt, seht und findet
Heilung für die Krankheiten dieses Lebens. Zu allem und. jedem ist das Wort
dieses Heils gesandt: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig
werdeil; wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden." Glaube an
den Herrn Iesum Christum, so wirst du uud dein Haus selig werden. Amen.
572 Alttcstamcntliche Bilder.

39.

Die Königin vom Mittag.


„Die Königin vom Mittag wird auftreten am jüngsten Gericht
mit diesem Geschlecht, und wird es verdammen, denn sie kam vom
Ende der Erde, Salomos Weiheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr
denn Salonw." M t . 12, 42.

Unser Heiland erteilt in diesem Kapitel zwei Arten von Lenten einen
Verweis. Er tadelt die, welche das Evangelium hören, aber nicht zur
Demütigung und zur Vuße gebracht werden; Er hält ihnen das Beispiel der
Niniviten vor, die, nachdem sie nur eine kurze und schreckliche Warnung von
dem Propheten Jona erhielten, sich in Säcke kleideten, sich in Vuße zu Gott
wandten und so ihre Stadt retteten. Er tadelt dann eine andre Klasse: die,
welche nicht Neugierde genug haben, um das Evangelium zu hören, oder die,
wenn sie es hören, ihm keine Aufmerksamkeit schenken, als wenn es mensch<
lichen Nachdenkens nicht würdig sei. Zuerst rügt Er die, welche das Wort
hören und verachten, und dann die, welche ein so stumpfes Herz haben, daß
sie sich weigern. I h m ein ehrliches und aufrichtiges Gehör zu geben; diese
werden durch das Beispiel der Königin vom Mittag beschämt, die vom Ende
der Erde kam, Salomos Weisheit zu hören, angelockt von seinem Ruf. Er
erklärte, daß ihre heilige Neugierde, die sie dahinführte, so weit zu reisen, um
von der Weisheit eines Menschen Nutzen zu ziehen, uns am Tage des Gerichts
verdammen wird, wenn wir uns weigern, die Stimme des Sohnes Gottes zu
hören, und nicht angeregt werden, nach der himmlischen Weisheit zu fragen,
die Er offenbart.
Wollt ihr in eurer Bibel das zehnte Kapitel des ersten Buches der
Könige aufschlagen, denn ich werde mich beständig auf diese Erzählung be«
ziehen, um das Verhalten dieser Königin des Altertums ins rechte Licht zu
setzen. O, daß der Geist Gottes einige unter ench von der Sünde überführte
durch das Beispiel dieser Frau von weisem Herzen!
Die Königin vom Mittag. 573

Die drei Punkte, die wir hellte morgen in bezug ans die Königin uon
Saba betrachten wollen, sind diese: erstens, laßt nils sie loben, w e i l sie einen
forschenden Geist besaß; dann laßt uns beobachten, wie sie i h r e
Forschung anstellte; und zum Schluß laßt lins das R e s u l t a t einer so
gut angestellten Forschung betrachten.

I.
Aaßt uns sie laben nm ihres forschenden Geistes willen.
I n diesem Pnnkte wird sie im Gericht ausstehen wider viele hier Gegenwärtige.
S i e w a r eine K ö n i g i n . Königinnen haben viele Sorgen, eine
Menge Veschäftignngen und Verpflichtungen, aber sie erachtete es weder
unter ihrer Würde, die Weisheit Salomos zn erforschen, noch als eine Ver-
schwendung ihrer kostbaren Zeit, in sein Reich zu reisen. Wie viele bringeil
die eitle Entschuldigung vor, daß sie der Religion Jesu Christi »licht die
nötige Aufmerksamkeit widmen können aus Mangel an Zeit; sie haben eine
große Familie oder ein fehr schwieriges Geschäft zu leiten. Dieses Weib be-
schämt solche, denn sie verließ ihr Königreich, legte die Staatssorgen beiseite
und machte eine lange Reise, um den königlichen Weisen zu höreil. Wieviel
mehr sollten Menschen willig sein, falls es durchaus notwendig wäre (lind ich
glaube, es ist dies niemals), sogar ihr Geschäft eine Zeitlang zu uernach'
lässigen, um den Weg des Heils für ihre Seele zu finden. „Was nützet es
dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an
seiner Seele?" Und alls der andren Seite, was für Vedeutnng würde fein
Verlust haben, ob er auch alles verlöre, wenn er nur seine Seele fände uud
zuletzt errettet würde? I h r könnt, fortall nicht sagen, niemand voll euch, daß
ihr eine Entschuldiguug in der Kürze eurer Zeit oder in der Schwierigkeit
eurer Lage habt; wenn die Königin von Saba zu Salomo kommen kann, so
könnt ihr auch die Lehre Christi erwägen.
I h r königlicher Hof war ohne Zweifel schon m i t W e i s h e i t versehen.
Die Fürsten orientalischer Reiche trugen stets Sorge, eine Anzahl weiser
Männer um sich zu sammeln, die durch ihre Gönnerschaft sowohl Lebens»
unterhalt als Ehre fanden. Am Hofe einer so großen Liebhaberin der
Gelehrsamkeit, wie die Königin uon Saba es war, fand sich gewiß eine kleine
Schar Magier und Weiser, aber dennoch war sie nicht zufrieden mit dein,
was sie scholl wußte, sie war entschlossen, nach dieser himmlischen Weisheit zu
suchen, deren Ruhm sie gehört. Hierill ist sie eine Rüge für euch, die ihr
meint, genug zu wissen; die ihr annehmt, daß eure eigengemachte Weisheit
genügen wird ohne das Sitzen zu Jesu Füßen. Wenn ihr wähnt, daß
menschliche Weisheit ein hinreichendes Licht fein kann ohne die helleren Strahlen
der Offenbarung; wenn ihr sagt: „diese Dinge sind für die Ungebildeten und
574 Alttcstamentliche Bilder.

für die Armen, wir wollen sie nicht hören," so beschämt euch diese Königin,
deren Hof voll Weisheit ist, und die doch alles verläßt, um die Weisheit zu
finden, die Gott dem Salomo gegeben. Die Weisheit Jesu Christi übertrifft
alle menschliche Kenntnis ebensosehr wie die Sonne eine Kerze überstrahlt.
Vergleichnng kann nicht stattfinden, aber Kontrast ist da und großer. Wer
nicht zu der Quelle kommen will, die von Weisheit überfließt, sondern seinem
eignen löcherichtcn Brunnen vertraut, wird zu spät erwachen und finden, daß
er ein Narr gewesen.
Erwägt auch, daß die Königin a u s einer sehr g r o ß e n Ent»
f e r n u n g kam, die Weisheit Salomos zu hören. Die Reise von Arabia
Felix oder von Abesfinien, welches Land es auch gewesen sein mag, war
eine lange und gefährliche, eine viel ernstere Sache, als sie in unsren Tagen
sein würde; und bei dem langsamen Reiten auf Kamelen mnß die Reise sehr
lange Zeit gewährt haben. Da sie, wie Matthäus fagt, „vom Ende der Erde"
kam, so waren ohne Zweifel Verge zn ersteigen, wenn nicht Meere zn durch«
schiffen und Wüsten zu durchziehen; aber keine von diesen Schwierigkeiten
konnte sie zurückhalten. Sie hört von Weisheit, und Weisheit will sie haben.
So wagt sie sich kühn auf die Reise mit ihrem zahlreichen Gefolge, wie weit sie
auch zu ziehen haben mag. Sehr vielen wird das Evangelium vor die Thür
gebracht, und doch wollen sie nicht ihre Ecke am Ofen verlassen, um es zu
hören. W i r haben Tausende in unsrer Stadt, die nur über die Straße zu gehen
brauchen, um das Wort zu hören, und doch liegen sie zu Hause herum; und
es sind Hunderte von andren, die, wenn sie kommen, unaufmerksam sind,
oder, wenn sie zuhören, nicht mehr wirkliche Aufmerksamkeit zollen, als wenn
es eine alte abgenutzte Erzählung wäre, die man aus achtungswerter Gewohnheit
anhört, von der man aber durchaus keinen Nutzen ziehen kann. Die Königin
von Saba, die sich durch die Wüste hindurch arbeitet, obwohl sie dem schwächeren
Geschlecht angehört, wird im Gericht wider die anfstehen, welche die große
Seligkeit vernachlässigen und den Heiland behandeln, als wenn es nichts für
sie sei, daß Er gestorben ist.
Vergeht anch nicht, daß dieses Weib eine Fremde für Salomo war, und
daß sie schon eine R e l i g i o n hatte — wahrscheinlich eine der älteren Formen
der Abgötterei, vielleicht die Säbäische Verehrung der Sonne. N u n , viele
Leute fragen in diesen Zeiten: „Wollt ihr, daß ich meine Religion ändern
soll?" Es gilt für eine Impertinenz, zu meinen, daß ein römischer Katholik-
den Ansprüchen der Religion freier Gnade irgend welche Beachtung schenken
könne; oder daß Menschen, die einer andren Gemeinschaft angehören, mit irgend
welch freimütiger Aufmerksamkeit eine Lehre anhören könnten, die im Wider«
svruch mit dem steht, was sie von ihrer Jugend auf gehört haben. „Wollt
Die Königin vom Mittag. 575

ihr, daß ich meine Religion ändern soll?" J a , das will ich, wenn deine
Religion falsch ist. Wenn deine Religion dich nicht geändert hat, so wollte
ich, daß du deine Religion ändertest, denn eine Religion, die nicht den Sinn
des Menschen erneuert, und ihn heilig macht, — die nicht seine Zuversicht
ändert, und ihn ans Christum vertrauen läßt — eine Religion, die nicht einen
ganz neuen Menschen ans ihm macht, von Kopf zn Fnß, ist eine wertlose
Religion, nnd je eher er sie aufgibt, desto besser. Weil ineine Mntter oder
meine Großmutter zufällig blind war, warum soll ich deshalb auch blind sein,
wenn Gesicht zu erlangen ist? Gesetzt, sie hätten eine schwere Kette ihr ganzes
Leben lang hinter sich hergeschleppt, soll ich dieselbe tragen, weil ich von ihnen
abstamme? Ererbte Gottseligkeit, wenn es nicht persönliche Gottseligkeit ist,
ist stets eine Sache von geringen! Werte; aber ererbte Ungötllichkeit ist ein
sehr uerdammenswertes Erbteil — macht euch davon frei, ich bitte ench.
Gedenkt daran, ihr steht lind fallt eurem Herrn nach ellrer eignen persönlichen
Rechenschaft. Jede Seele geht allein durch die Pforte des Lebens; nnd durch
die eiserne Pforte des Todes scheidet sie allein; jeder Mensch sollte in ein«
samem Ernste, fern von der übrigen Welt, forschen, um zu wissen, was die
Wahrheit ist, und wenn er es weiß, so liegt es ihm ob, allein vorzutreten,
und sich auf des Herrn Seite zu stellen. J a , wir wollen, daß ihr den gött»
lichen Dingen Aufmerksamkeit zuwendet, selbst wenn ihr in andren Sitten ans»
erzogen seid, nnd in redlicher Meinung eine andre Form der Religion an»
genommen habt. Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind. Wenn eure Seele
getäuscht worden ist, so ist es noch Zeit, sie auf den rechten Weg zu bringen.
Gott helfe euch, daß ihr die Wahrheit finden mögt.
Es ist der Beachtung wert, daß diese Frau, die alls weiter Ferne kam,
eine Reise machte, die i h r v i e l Kosten verursachte. Sie kam mit einem
großen Gefolge, mit Kamelen, die Gewürze trugen, und viel Gold und kost»
liche Steine. Sie betrachtete die Schätze ihres Königreichs nnr als wert>
voll, weil sie ihr Zugang zu dem Hüter des Vorratshauses der Weisheit
verschaffen würden. Nun, unfer Herr Jesus begehrt nichts von den Menschen,
als ihr Herz. Er verkauft keinen: von ihnen die Wahrheit, sondern gibt
sie frei, „ohne Geld und umsonst." Und wenn die Menschen sie nicht haben
wollen, wenn sie sich weigern, ihr das Ohr zu leihen, und ihre Gedanken den
göttlichen Dingen zuzuwenden, werden sie da nicht ganz nnentschuldbar sein,
wenn diese heidnische Königin aufstehen und erklären wird, daß sie ihre
Rubinen und ihre Perlen, ihre Gewürze und ihre Kamele dein König Salomo
gab, um seine menschliche Weisheit zn lernen? O Mann, solltest on das
Licht deiner Augen und den Gebrauch deiner Glieder verlieren, so wäre es
doch besser, blind und lahm ins Leben einzugehen, als mit diesen Augen und
Gliedern ins höllische Feuer geworfen zu werden. Haut für Haut; und alles,
576 Alttestamentlichc Vildcr.

was eill Mann hat, läßt er fiir sein Leben; nnd wenn er alles für sein zeit-
liches Leben geben würde, ol wieviel kostbarer ist das geistliche Leben, und
wie wohlfeil würde der Preis fein, wenn er tausend Märtyrertode geben
könnte, seine Seele zu erlösen. Aber nichts derart wird gefordert; das
Evangelium bietet frei jeder bedürftigen Seele gerade das an, was sie nötig
hat. Es ruft: „Die I h r nicht Geld habt, kommt her, kanfet nnd esset;
kommt her und kanfet ohne Geld und umfonst, beides, Wein und Milch." — O,
nieine lieben Brüder, wenn ihr die Einladung des Evangeliums Christi aus-
geschlagen habt, so mögt ihr wohl zittern bei dem Gedanken, das; die Königin
von Saba im Gericht wider ench aufstehen wird.
Bemerkt, daß die Königin keine E i n l a d u n g empfangen hatte;
König Salomo hieß sie nie kommen; sie kam ungesncht, unerwartet. Ench ist
geheißen, zu kommen — hunderte von Malen ist in diesem Hause des Gebetes
die Stimme gehört. „Der Geist und die Vrant sprechen: Komm." Sogar
ihr, die ihr in diesem Hanse Fremde seid, mögt' an jeder Straßenecke dieser
Stadt die Einladung Christi hören. Die Bibel, die Gottes geschriebene Ein»
ladung ist, ist in all euren Hänsern, und ihr könnt in ihr forschen, wenn ihr
wollt. Deshalb, wenn ihr nicht kommen wollt, ob Gottes Vorsehung auch
das Euangelinm euch gerade vor die Thür bringt, wenn ihr den König Iesns
nicht snchen wollt, .so werdet ihr in der That durch diese Königin von Saba
verurteilt werden. W e n i g hatte sie je von S a l o m o gehört, denkt
daran — nichts als ein Gerücht seines Ruhmes. Einige seiner Schiffe, die
nach Tarsis fnhren, um Gold zu holen, waren wahrscheinlich dnrch ungestümes
Wetter an die abessinische Küste getrieben, oder möglicherweise war das der
Weg von der Spitze des Noten Meeres herum nach Indien, wo Tarsis wahr«
scheinlich lag, und dann mag es ihre stete Gewohnheit gewesen sein, in einem
der Häfen des füdlichen Arabiens oder Abessiniens anzulaufen. Von diesen
Seeleuten hatten ihre Untcrthanen seltsame Dinge über den mächtigen König
gehört. Sie hatten von seinem Thron von Gold und Elfenbein, von dem
Ruhm seiner Année und der Menge seiner Wagen gehört; vor allem hatten
sie etwas von dem Tempel und seinem Gott gehört. Sie, nur durch ein
Gerücht veranlaßt, kommt ans dieser Ferne. W i r aber, wir haben eill sicheres
Wort des Zeugnisses, von unzähligen Propheten und Priestern uns gebracht,
wir haben es hier in diesem Buch, geschrieben voll dem göttlichen Finger und
mit dem ewigen Siegel versehen. W i r selber wissen, daß Weisheit in Christo
ist, unser eignes Gewissen sagt uns, daß Er kein Betrüger ist, daß sein Evan»
gelium überaus wahr und köstlich ist. Was für Narren sind wir, was für
zwiefache Narren, wenn wir mit der Gewißheit, fo viel zu gewinnen, doch vor
dem glorreichen Wagnis zurückschrecken und nicht zu I h m gehen wollen, der
uns Weisheit und ewiges Leben geben will.
Die Königin vom Mittag. 577

Man könnte so fortfahren, die Trefflichkeit des forschenden Sinnes dieser


Frau darzuthun, aber wir haben nur noch Zeit, zu bemerken, daß der
Gegenstand, um d e s w i l l e n sie reiste, w e i t unter demjenigen steht,
der unsrer Forschung dargeboten w i r d . W i r heißen die sorglose Seele
an den Sohn Gottes denken; sie inachte eine so weite Reise, um ein Menschen«
kind zu sehen, einen bloßen Menschen, der bei all seiner Weisheit doch ein
Narr war. Sie reiste den langen Weg, einen zu sehen, der selbst weise war,
aber von seiner Weisheit nur einen kleinen Teil mitzuteilen vernlochte, während
wir den Sünder einladen, zu eiuem zu kommen, der uns von Gott zur
Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gemacht ist; wir sagen ihm,
daß Christus bereit ist, alles, was Er hat, zu verleihen, daß sein Reichtum
nur ein Reichtum für audre ist, und seiue Fülle die ist, aus der wir alle ge»
nommen haben. Sie ging, einen Menschen zu hören, der Weisheit hatte;
wir heißen euch zu einen» kommen, der Weisheit ist; personifizierte Weisheit.
Redet ihr von dem königlichen Stande Salomos? — wir laden euch zu einem
größeren König ein, der Herr des Himmels und der Erde uud der Hölle ist.
Sprecht ihr von seiuem Reichtum? — wir sagen euch von einem, der un»
aussvrechliche Reichtümer der Gnade uud der Herrlichkeit hat. Sie konnte
durch die Reise gewinnen, es war jedoch nur eine Wahrscheinlichkeit da, aber
wer zu Christo kommt, der wird reich an aller Glückseligkeit. Keine Seele
hatte je mit unsrem Salomo Verkehr, ohne sofort bereichert zu werden; wenn
sie mit leerer Hand, arm, schwach, nackt und sündig kam, um von unsrem
Jesus sein großes Heil zu empfangen, so wurde sie niemals leer hinweg»
gesandt. I h r , die ihr das Evangelium verachtet, die ihr ins Haus des Herrn
hinein» und hinausgeht, wie jene Thüren sich um ihre Augel drehen, nehmt
euch iu acht, daß diese Königin vom Mittag nicht im Gericht wider euch auf»
steht, euch zu verdammen.

II.
Laßt uus zum würdigen Lobe diefer Königin beachten, w i e sie ihre
Forschung anstellte.
Bemerkt, daß sie es i n Person that. Sie schickte nicht einen Ge»
sandten, der die Sache erforschen sollte, sondern persönlich und auf eigne Ver»
antwortung trat sie die Reise an, um Salomo zu sehen. War es nicht der
Herzog von Wellington, der einst einen seiner Offiziere, der über die Bibel
spottete, dadurch zurechtwies, daß er ihn fragte, ob er sie je gelesen, uud als
der andre freimütig gestand, daß er sie nicht gelesen, zeigte, wie niedrig es sei,
etwas zu tadeln, das er nicht verstände? Die meisten Leute, welche gegen die
Religion Christi Einwürfe erheben, haben sie nie geprüft. Dessen bin ich
sicher, nienmnd hat je eine verständige Vorstellung von dem Heiland, von der
S p u r g e o n , Alttestamentliche Vlld«. 37
578 Alttestamentliche Bilder.

Gnadenfiille seines Werkes gehabt, der nachher wider I h n denken oder sprechen
konnte. Der Dichter hat recht, wenn er sagt:

„Wenn sie seine Liebe wüßten,


Alle Menschen würden Christen."

Den Charakter, das Amt und Werk Jesu Christi kenuen, begreifen, das
ist der Weg, eineu ernsten Glauben an I h u und Liebe zu Ihm zu erhalten;
auch kann ich nicht denken, daß irgend ein Mensch je redlich von Christo zu
erforschen suchte, was jenes gnadenvolle Geheimnis sei, das Er zu lehren kam,
ohne von I h m ein gnädiges Lächeln der Ermutigung zu erhalte». Wer be«
kehrt werden will, der werde wie ein kleines Kind; wenn er dies wird und
zu Jesu Füßen sitzt, so soll er die Behandlung aller andren kleinen Kinder
erfahren, er soll den Meister sagen hören: „Solcher ist das Himmelreich."
Wer redlich den Herrn Iesum sucht, wer sich persönlich Ihm naht im erusten
Gebet und demütigen Flehen, wird Frieden und Gutes finden.
Beachtet ferner, daß die Königin zu allererst zu Salomo giug.
S i e ging, und sie ging zu Salomo. Der Weg, den Glauben Jesu Christi
zu lernen, ist, zu I h m zu gehen. Einige Leute wollen mit der Lehre von
der Erwählung anfangen und fallen so über den Stein des Anstoßes. Einige
müssen zu allererst lernen, wo die Vorherbestimmung mit dem freien Willen
zusammentrifft, und wenn sie das nicht sehen können, wenden sie sich mit
Widerwillen ab. Andre wollen die Schwierigkeiten der fünf Bücher Mose aus
dem Wege räumen oder die Rätsel der Geologie lösen; aber menu sie weise
wären, würden sie sogleich zum Meister selber gehen. Ich finde nicht, daß
sie die Schenken fragt oder Adoniram, den Nentmeister, oder des Königs
mächtige Männer, die Cherethiten und Pelethiteu, sondern sie such! Salomo
auf; von seinen eignen Lippen, von ihm unmittelbar und direkt will sie die
Auflösung ihrer schwierigen Fragen haben und seine Weisheit verstehen lernen.
Gehe du zu Gott, arme Seele in Christo Jesu. Geradeaus macht den besten
Läufer; es sind Dinge, die dich verwirren werden, es sind Tiefen, zu tief für
dich, aber gehe du zu Gott iu Christo Jesu, der an jenem Kreuze hängt,
sinne über das Geheimnis seiner großen Versöhnung nach, gib dich im
Glauben dem hin, und du wirst dann beginnen, die Weisheit unsrcs
mächtigen Salomo zu verstehen. Wenn du nicht alle Lehren begreifen kannst,
so möge der Heilige Geist dich instandsetzen, seine Person zu ergreifen, und
das ist genug.
Als sie Gehör beim König erlangt hatte, beachtet, was sie that: „ S i e
sagte ihm alles, was in ihrem Herzen war." Dies ist der Weg, den
Herrn zu erkennen; sagt Ihm alles, was in eurem Herzen ist, eure Zweifel,
eure Furcht, eure Herzenshärtigkeit und Unbußfertigkeit; bekennt das Ganze.
Die Königin vom Mittag. 579

Der ist nahe daran, Christum zu erkennen, der beginnt, sich selbst zu er«
kennen; und wer so uiel, wie er weiß, uon seinem eignen Verderben, seiner
Schlechtigkeit und Sündigkeit, seiner Not und Unfähigkeit bekennen will, der
wird bald eine gnädige Friedensnntwort haben. Zögere nicht, weil dein Herz
schlecht ist, es ist schlechter, als du es meinst, aber gehe hin damit, gerade wie
es ist, und sage Iesn alles. Vist du gleich dem blutflüssigen Weibe? Ich
bitte dich, sage I h m die ganze Wahrheit, und Er wird sprechen: „Dein Glaube
hat dir geholfen." Warum «ersuchst du, vor dem Allwissenden etwas zu ver-
bergen? Er kennt die Winkel deines Herzens, die Tiefen und die Duukelheiten
desselben sind in seinen Händen. Wenn du es I h m sagst, so weiß Er darum
nicht mehr als zuvor, warum zauderst du? Neiße den Schleier ab von deinem
Herzen, und dann wirst du Guade finden.
Überdies legte sie S a l o m o i h r e schweren F r a g e n vor. Ich weiß
nicht, was es für welche wareu, und es liegt mir nicht besonders uiel daran.
Die jüdischen Nabbiner haben einige sehr stupide erfuuden, die sie ihre
schweren Fragen nennen. Aber ich weiß, wenn ihr zu unsreni Salomo, zu
Christo, kommt, so werden dies eure schweren Fragen sein: „Mein Herr, wie
können Gnade uud Gerechtigkeit sich vereinen? Wie kann Gott die Sttude
vergeben und doch sie bestrafen?" Jesus wird auf seine verwundeten Hände
und Füße ench hinweisen, Er wird euch von seiner großen Versöhnung sagen,
wie Gott in der Stellvertretung Christi furchtbar in seiner Gerechtigkeit und
grenzenlos in seiner Liebe sich zeigt. Dann werdet ihr I h m die Frage thun:
„Wie kann ein sündiges Geschöpf vor den Augeu des heiligen Gottes an>
genommen werden?" Er wird euch vou seiner Gerechtigkeit sagen, und ihr
werdet sehen, wie eine sündige Seele, bekleidet mit der zugerechueten Gerecht!«/
keit des Erlösers, von dein Herrn ebenso allgenommen wird, als wenn sie nie
gesündigt hätte. I h r werdet I h n fragen: „Kannst D u mir sagen, Jesus,
wie es ist, daß eine schwache, machtlose Seele doch fähig sein soll, mit den,
Teufel zu kämpfen und die Welt, das Fleisch und den Teufel zu überwinden?"
Und Jesus wird antworten: „Meine Gnade ist für dich genügend; meine
Kraft soll vollkommen sein in deiner Schwachheit," und so werden all die
schwierigen Fragen beantwortet. J a , wenn die erwählende Liebe oder irgend
etwas andres in der Schrift ench verwirrt und ihr I h m alles sagen wollt,
was in eurem Herzen ist, und willig seid, von I h m zn lernen, so kann cnre
Seele keine schwere Frage thun, die Jesus Christus nicht beautworten wird.
Diese treffliche Frau hörte s o r g f ä l t i g auf das, was S a l o m o i h r
sagte. Es steht geschrieben, daß er all ihre Fragen beantwortete. O! es ist
eine gesegnete Gemeinschaft zwischen Christo und einer zitternden Seele. Wenn
ihr I h m alle eure Fehler erzählen wollt, so wird Er euch all sein Verdienst
sagen; wenn ihr I h m eure Schwachheit sagen wollt, so wird Er euch seine
37*
580 Alttestllmentliche Bilder.

Kraft sagen; wenn ihr I h m eure Entfernung von Gott sagen wollt, so wird
Er euch seine Nähe bei Gott sagen; wenn ihr I h m sagen wollt, wie hart euer
Herz ist, so wird Er euch sagen, wie sein Herz gebrochen ward, auf daß ihr
leben «lochtet. Seid nicht bange, offenbart I h m alles klar, nnd vertraut I h m ,
und Er wird euch etwas Tröstliches offenbaren.
Als sie so weit gegangen war, ging sie weiter, nnd beachtete alles, was
in Verbindung mit Salonio stand. Die Königin von Saba sah „alle Weisheit
Salomos und das H a u s , das er gebaut hatte." Sie besah nicht das
Haus zuerst, seht ihr, sie ging zuerst zu Salomo. Eine suchende Seele geht
zuerst zu Ehristo, sagt Ihn» alles, lernt die Liebe Jesu, nnd trachtet dann
nachher, alles andre über I h n zn lernen. Nun, es ist sehr erfreulich für eine
suchende Seele, das Hans zu fiuden, was Jesus gebaut hat — seine herrliche
Kirche, gebaut aus köstlichen, dnrch sein Vlnt erkauften Steinen — großen
Sündern, die zu großen Siegeszeichen seiner Liebe gemacht sind; gebaut aus
behauenen Steinen, ansgehanen aus dem Steinbruch der Sünde, geschnitten
und geformt durch seine Gnade, auf ewig in ihrer vorherbestimmten Nijche zu
liegen. Es ist etwas Herrliches, Christi Gemeinde zu verstehen, die in dein
Gnadenbunde gelegte Grundlage derselben zu kennen; die Zinnen derselben, die
bis zum höchsten Himmel empör reichen; den großen Herrn, der darin regiert,
Jesus Christus, der Hanvt über alles für seine Gemeinde ist — ihre herrlichen
Fenster, die das Licht einlassen durch die Sakramente und die Predigt des
Wortes — ihre Thürcn, die sich den Heiligen aufthun — ihre ehernen Pforten
und eisernen Schranken, die alle Tenfel der Hölle ausschließen, und alle Diebe
und Räuber, die einbrechen wollen. Das Haus zu verstehen, das Iesns gebaut
hat, ist genug, um eine Seele jahrelang zu beschäftigen.
Dann beobachtete sie „die Speise f ü r seinen Tisch." „Denn mein
Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank." O l wie
entzückend für eine arme Seele, zu entdecken, daß Christus, der unser Leben
ist, auch die Nahrung des Lebens ist: „Ich bin das Vrot des Lebens. Enre
Väter haben Manna gegessen in der Wüste, und sind gestorben. Wer dies
Vrot isset, der wird leben in Ewigkeit." O, die Speise seines Tisches; welche
köstliche! Menschen aßen Engelspeise, aber:

„Es haben Engel nie geschmeckt


Erlösungsgnad' und Lieb', die stirbt."

Welche liebliche Speise — welche wahrhafte Speise — welche reichliche


Speise ^- welcher beständige Vorrat — was für köstlicher Vorrat! I n dem-
selben Auch der Könige werdet ihr finden, wie viele Hirsche und Nehc, wie
viele Pfund Semmelmehl und fette Rinder und Vögel der König Salomo
Die Königin vom Mittag. 581

täglich auf seinen Tisch setzen mußte; aber mein Herr und Meister setzt die
unendlichen Schätze seiner eignen Person jeden Tag auf seinen Tisch, und
sendet die Votschaft an seine Kinder:- „Es ist alles bereit; meine Ochsen und
mein Mastvieh sind geschlachtet; kommt zum Abendmahl." Glückliche Seele,
die alles weiß von der Speise auf seinem Tische!
Sie sah danach „die Spitze seiner Knechte." Alle Deine Heiligen
sind in Deiner Hand — sie sitzen nieder zu Deinen Füßen! Seht, wie wir
sitzen, um zu Jesu Füßen zu lernen, wie Maria es that — nein, wie manche
seiner Diener heute droben in der Herrlichkeit sitzen — nein, wir alle sind
dort — denn „ E r hat uns samt I h m auferweckt und samt I h m in himm>
tische Plätze versetzt in Christo Jesu." O, wenn die Seele je dahin kommt,
zu wissen, was das Sitzen in himmlischen Plätzen bedeutet, — was es be>
deutet, im Himmel sein, während man auf Erden ist, dann wird das Sitzen
seiner Diener ein Wunder sein.
Und das nächste war „seine Diener." Wohl, und Christus hat überall
Diener. Stürme nnd Wirbelwinde sind seine Diener, Wolken und Finsternis
sind seine Sklaven. Gedenkt daran, daß die Allmacht überall Diener hat.
Denkt an seine Diener, die Er im Himmel hat: „Der D u machest Deine
Engel zn Winden, und Deine Diener zn Feuerflammen." Und dann sind
seine Diener hier auf Erden, die seine „Schenken" genannt werden können.
Es sind die, welche Er berufen und begabt hat, das Wort zu predigen, die
den Kelch des Heils in ihre Hand nehmen, und ihn den verschmachtenden
Seelen bringen, und im Namen Jesu als seine Schenken handeln; gleich
guten Hanshaltern aus seinen! Schatze Neues und Altes hervorbringen. Es
ist eilte enge Verbindung zwischen treue» Predigern nnd Christo; denn als
Johannes Christum sähe, wandelte Er unter den Leuchtern — das ist, in den
Gemeinden; aber Er hatte die Sterne in seiller Rechten. So sind seine Prediger
immer dort, und daß sie voll dem Herrn gelehrt und anerkannt werden, ist
etwas, das der Vewuuderung wert ist. Glückliche Seele, die gelernt hat, die
Schönheit Christi in seinen Dienern und Schenken zn sehen. U n d ihre
Kleider — ah! hier ist ein Gegenstand! Die Kleider aller Heiligen sind:
die weiße Leinwand der Gerechtigkeit Christi; und daim jene priesterlichen
Gewänder, mit denen Er sein Volk umgürtet, so daß sie, gleich dein Hohen-
priester vor alters, Musik ertönen lassen, während sie gehell, wenn die Glocken
des Glaubens und die Granatäpfel der guten Werke lieblich zusammenschlagen,
nnd goldene Töne erklingen lassen. „Sie ist mit goldenen Stücken gekleidet,"
sagt der Psalmist, wenn er von der Gemeinde singt. „ M a n führet sie in ge«
stickten Kleidern zum Könige." Nun, das sind die Kleider jedes Gottcskindes,
und es ist wellig zu verwundern, wenn eine forschende Seele, wie die Königin
von Saba, darüber in Staunen gerät.
582 Alttestmncntliche Bilder.

Es blieb noch eins übrig — das Wundervollste von allem — es war


„sein A u f g a n g zum Hause des H e r r n , " der gigantische Viadukt vom
Palast zum Tempel. Sie sah diesen. „Wie," sagt sie, „ich hätte nie gedacht,
daß ein solches Thal überbrückt werden könnte, ich ließ mir nie träumen, daß
zwei solche Verge, wie diese, so weit voneinander, sich so nahe gebracht werden
könnten." Als sie den König und sein Gefolge den Viadukt entlaug gehen
sah, war sie aufs äußerste erstaunt: Mich deucht, ich sehe meines Königs
Aufgang zum Hause des Herru. Hier war der Verg unsres Falls uud Ver«
derbens, und dort der große Verg der göttlichen Liebe, und das Thal der
göttlichen Gerechtigkeit dazwischen. Jesus Christus hat einen großartigen
Viadukt gebaut. Er ging zuerst selber darauf, und eröffnete für uns einen
neuen und lebendigen Weg der Verbindung zwischen dem Menschen und Gott;
und Er selber steigt empör in die Höhe mit der Posauuen freudigem Ton,
und öffnet die Himmelspforte allen Gläubigen, indem Er so einen Aufgang
zum Hause des Herrn «nacht. I h r und ich können zu seinem heiligen Hügel
hiuaufsteigen, können zum siebenten Himmel hinanklimmen, und mit Ehristo
auf seinem Throne niedersitzen, eben wie Er überwunden hat, und mit dem
Vater auf seinem Thron gesessen ist. O, herrlicher Aufgang zum Hause des
Herrn! „ U n d seine Dankopfer i m Haufe des H e r r n . " Wohl, das ist
dasselbe; weil unsres Heilandes Opfer der lebendige Weg ist, durch den wir
zum heiligen Hügel des Herrn hinaufsteigen. Wenn nichts andres uns mit
Verwunderung erfüllen kann, fo müssen wir selbst in der Ewigkeit staunen,
wenn wir an dies unvergleichliche Opfer denken. Er gab feinen Leib dahin,
daß Er von Qualen gemartert, und seine Seele, daß sie von Schmerz zerrissen
werde; der, „ob Er wohl reich war, doch arm ward um unsertwillen, auf daß
wir durch feine Armut reich würden." Die erstgebornen Söhne des Lichtes
wünschen vergeblich, die Tiefe dieser Liebe zu erkennen, sie können nicht das
Geheimnis fassen, die Länge uud Höhe dieses herrlichen Aufgangs zum Haufe
des Herrn.
Beachtet, daß sie nicht mit all diesem begann. I h r seht, sie begann
mit Salomo. Sie begann nicht mit dem Aufgang zum Hause des Herrn, viel
weniger mit den Diellern und Schenken, sie begann mit dem König selber.
Sünder, beginne mit Jesus; laß deine erste Frage sein: „Ist Balsam in
Gilead? ist ein Arzt da?" Deill Schrei sei der des erschreckten Kerkermeisters:
„Was muß ich thnn, daß ich selig werde?" Wie er, gehorche der apostolischen
Weisung: „Glaube an den Herrn Icfum Christum, so wirst du selig werden."
Möge der Heilige Geist dich dahin bringen, und dann wird Er dich hernach
in alle Wahrheit leiten; Er wird die Schlüssel nehmen und Zimmer auf
Zimmer öffnen und Schrank auf Schrank und Kästchen auf Kästchen, bis Er
dir alle Krolljuwelen gezeigt und dir die Insignien des Königs aller Könige
Die Königin vom Mittag. 583

enthüllt hat und dich hinein gefuhrt in das Geheimnis des Herzens Gottes in
Christo Jesu, deinem Herrn. Seid nur willig, wie die Königin von Saba zu
forschen; wenn nicht, so wird ihre Weisheit im Fragen im Gericht wider euch
aufstehen, euch zu verdammen.

III.
Und nun laßt uns d a s A e s n l t a t i h r e r Forschung betrachten.
Das erste Resultat war eiu Glaubensbekenntnis. „Es ist wahr,
was ich in meinem Lande gehört habe von deinem Wesen und von deiner
Weisheit." Sie hielt nicht ihren Mund nnd schlich sich nach Abessinien zurück
ohne ein einziges Wort des Bekenntnisses, sondern nachdem fie geprüft hatte
und überzeugt worden war, konnte sie sich nicht enthalten, ihr Zeugnis für
die Wahrheit des Gerüchtes abzulegen. Seele, wenn du zu Jesu Christo kommst
und Freude uud Friede im Glauben erlangst, so wirst du sagen, daß alles
wahr ist, was du von I h m gehört hast. Ich habe Hunderte uud Tausende
gesehen, die ihre Herzen Jesu gegeben, aber ich sah nie einen, der sagte, daß
er dadurch getäuscht worden sei, traf nie einen, der sagte, Jesus Christus sei
weniger, als von I h m behauptet würde. Ich erinnere mich, als diese Augen
I h n zum erstenmal sahen, als die Bürde von meinen schwer beladenen
Schultern fiel und ich frei war, nun, ich dachte, alle Prediger, die ich je ge»
hört, hätten nicht die Hälfte von der Schönheit meines Herrn und Meisters
gepredigt und gesagt. So gut! so großmütig! so guädig! so willig zum Ver-
geben! Es schien mir, als wenn sie I h n fast verleumdet hätteu; sie inalten
sein Bild ohne Zweifel so gut sie es konnten, aber es war eine bloße
Sudelei, gegen die unvergleichliche Schönheit seines Antlitzes gehalten. I h r ,
die ihr I h n je gesehen habt, werdet dasselbe sagen. Ich gehe manches M a l
heim und tranre darüber, daß ich meinen Herrn nicht einmal so predigen kann,
wie ich I h n kenne, und was ich von I h m kenne, ist so weuig im Verhältnis
zu der Nnvergleichlichkeit seiner Gnade. Ich wollte, daß ich I h n besser keuute,
nnd daß ich es besser aussprechen könnte. Anstatt zu denken, daß euer Ver-
trauen auf Iesum eine nnnütze Spekulation gewesen ist, werdet ihr mit
Freuden ausrufen: es „ist mir nicht die Hälfte gesagt." Sie sprach darauf
ihren Glauben an Salomo aus; nnd o, wenn ihr Glanben habt, nnd Gott
wahrhaftig gefunden habt, Heralls damit; seid keine geheimen Gläubigen,
sondern tretet ans für euren Herrn und Meister.
Darauf legte sie ein B e k e n n t n i s i h r e s Unglaubeus ab. „Ich habe
es nicht wollen glauben, bis ich gekommen bin und habe es mit eignen
Angen gesehen. Und siehe, es ist mir nicht die Hälfte gesagt. D u hast mehr
Weisheit und Gutes, deuu das Gerücht ist, das ich gehöret habe." „Ich habe
es nicht wollen glauben", sagte sie, „bis ich gekommen bin und habe es mit
584 Nlttestamentliche Bilder.

meinen Augen gesehen." Es ist eure Weise so. Wir haben zu rufen: „Wer
glaubt unsrer Predigt?" Die Menschen glauben nicht leicht dem, was gesagt
wird, aber wenn ihr einmal kommt und es versucht, so werdet ihr denken:
„Wie konnte ich zweifeln, wie konnte ich je ungläubig sein?" Gott vergibt euren
Unglauben, aber ihr werdet nie euch selber vergeben. I h r werdet sogar,
meine ich, im Himmel sagen: „Wie konnte ich so thöricht sein, an der Votschaft
zu zweifeln, die von dem Höchsten zu mir kam?" Führt nicht der Glaube
stets zu einem Gefühl des Unglaubens, und wenn wir am meisten gelernt
haben, nicht zu wanken, ist es nicht gerade dann, wo wir immer mehr
wahrnehmen, eine wie schändliche Sache es ist, an dem Wort des Höchsten zu
zweifeln?
Nachdem sie dies gethan, erklärte sie, daß ihre Erwartungen über«
troffen feien. Hierüber wollen wir nicht mehr fagen und nur hiuzufügen,
daß sie darauf ein freundliches Wort für seine Diener sprach. „Selig
sind deine Leute und deine Knechte, die allezeit vor dir stehen und deine Weis»
heit hören." Sie dachte, jeder kleine Page an Salomos Hof fei mehr geehrt,
als sie. Sie war eine Königin, aber sie war Königin eines fernen Landes,
und sie scheint den Geist Davids eingesogen zu haben, wenn er sprach: „Ich
will lieber der Thür hüten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in
der Gottlosen Hütten." Sie scheint fast willig, Saba aufzugeben und alle
seine Würze und sein Gold, wenn sie nur eine Ehrendame am Hofe des
Königs Salomo sein könnte. Ich bin gewiß, daß es so mit uns ist, die je
bei Jesus gewesen sind. Wie lieben wir sein Volk! I h r habt den Herrn
nicht lieb, wenn ihr seine Kinder nicht lieb habt. Sobald das Herz dein
Herrn des Hauses gegeben ist, wird es auch den Kindern des Hauses gegeben.
Liebt Christum, und ihr werdet bald alle lieben, die I h n lieben. Haltet ihr
nicht, lieben Freunde, das Volk Gottes für die Trefflichen der Erde? Es gab
eine Zeit, wo ihr, wenn sie in euer Haus kamen, nach der Uhr sähet, aus
Furcht, sie möchten zu lange über religiöse Dinge reden; aber jetzt, wenn sie
nur von eurem Meister sprechen wollen, so könnten sie, falls sie es wünschten,
die ganze Nacht bleiben. Nun ist es euch so lieb, von seinem Namen zu
sprechen, daß, sobald ihr einem Christen begegnet, ihr Liebe für I h n empfindet;
und wenn Er verachtet und verleumdet wird, so fühlt ihr, daß ihr für I h n
eintreten müßt. Ich weiß, einige von euch wünschen, sie könnten immer im
Hause Gottes seiu. Es sind einige Kinder Gottes an diesen. Orte, die be-
ständig da sind, wenn die Thür geöffnet wird; die wünschen, es wären sieben
Sonntage in der Woche, damit sie immer sitzen uud den Namen Jesu hören
und seinen Prediger sehen könnten, und sich freuen, daß der Schenke zuweilen
den gewürzten Wein von den Granatäpfeln des Herrn hervorbringt und
seine Kinder trinken heißt.
Die Königin vom Mittag. 585

Diese fromme Frau lobte dann S a l o m o s G o t t in den schönen


Worten: „Gelobet sei der Herr, dein Gott, der zu dir Lust hat, daß Er dich
auf den Stuhl Israels gesetzet hat, darum, daß der Herr Israel lieb hat
ewiglich, uud dich zum Könige gefetzet hat, daß du Gericht und Recht haltest."
Sie lobte seinen Gott. So werden wir durch Erkenntnis Christi in eine
liebliche Herzensverbindung mit Gott gezogen, und wie unsre Liebe abwärts
stießt von Christo zu seinem Volk, so geht sie auch aufwärts von Christo zu
feinem Vater. I h r werdet bemerken, daß sie Liebe für I h n fühlte wegen
seiner ewigen Liebe zu seinem Volke. Bemerkt, sie sagt nichts von Abessinien,
sie denkt an Israel, an die Erwählten. Sie sieht unterscheidende, aus»
zeichnende, erwählende Liebe, und sie nimmt die Ewigkeit dieser Liebe wahr:
„Darum, daß der Herr Israel lieb hat ewiglich, darum hat Er dich zum
Könige gesetzet." O, Brüder und Schwestern, mögen wir so in der Gnade
wachsen, daß wir den Vater lieben, weil Er Christum zu dem Gesalbten
machte, darum, weil Er die Gemeinde liebte und seinen Sohn für sie gab, auf
daß Er sie von allen Sünden reinigte durch fein eignes Blut.
Noch eins, sie that dann das, was der beste Beweis ihrer Aufrichtigkeit
war, sie gab S a l o m o von i h r e n Schätzen: „Sie gab dem König hundert'
undzwanzig Zentner Gold, und sehr viele Spezereien und Edelsteine. Es kam
nicht mehr so viel Svezerei, als die Königin vom Reich Arabien dem Könige
Salomo gab." So geben Seelen, welche die Schönheit Christi kennen, I h m
alles, was sie haben. Es gibt keine Spezereien, wie die, welche von neube-
kehrten Seelen kommen. Nichts macht Christo größere Freude, als die Liebe
seines Volkes. W i r halten unsre Liebe für etwas sehr Armseliges und Ge-
ringes, aber Er denkt nicht so — Er hat uns so hoch geschätzt, daß Er seines
Herzens Blut gegeben, uns zu erlösen, und nun betrachtet Er uns als des
Preises würdig, den Er zahlte. Er denkt nie, daß Er einen schlechten Kauf
gemacht, und ist I h m deshalb jedes Körnchen unsrer Liebe köstlichere Würze,
als selbst Erzengel vor dein Thron I h m in ihren Liedern darbringen können.
Was thun wir für Christuni? Bringen wir I h m unfre Zeutner Gold?
Vielleicht hast du nicht hundertundzwanzig, aber wenn du mir einen hast,
bringe den; du hast nicht viel Suezerei, aber bringe, was du hast: deine
stillen, ernsten Gebete, dein heiliges, tadelloses Leben, die Worte, die du
zuweilen für Christum sprichst, die Erziehung deiner Kinder, das Speisen seiner
Annen, das Kleiden der Nackenden, das Besuchen der Kranken, das Trösten
der Trauernden, das Gewinnen der Irrenden, das Wiederbringen der 3lück>
fälligen, das Erretten seiner Blut»erkauften Seelen, alles dieses wird den mit
Spezereien beladenen Kamelen gleichen, eine annehmbare Gabe vor dem
Höchsten sein.
586 Alttestamentliche Bilder.

Als sie dies gethan hatte, machte ihr Salomo mit seiner könig«
lichen Freigebigkeit ein Geschenk. Sie verlor nichts; sie gab alles, was
sie hatte, nnd dann gab ihr Salomo ebensoviel wieder, denn ich darf wohl
sagen, daß König Salomo nicht an Großmnt Übertrossen sein wollte, ein so
edelherziger und so reicher Fürst wie er. Ich sage euch, Jesus Christus wird
nie euer Schuldner sein. O, es ist ein großer Gewinn, Christo zu geben;
wir geben I h m Pfennige, und Er gibt uns Thaler; wir geben Ihm Jahre
der Arbeit, und Er gibt uus eine Ewigkeit der Ruhe; wir geben Ihm Tage
geduldiger Ausdauer, und Er gibt uns Jahrtausende fröhlicher Ehre; wir geben
I h m ein wenig Leiden, und Er gibt uns großen Lohn. „Ich halte dafür, daß
dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll geoffenbaret
werden." Außer dem, was Er uns in dem Gnadenbunde gibt, thut Er für
uns, was Salomo für sie that, Er gibt uns alles, was i n unsrem
Herzen ist, alles, was wir wünschen können. Was für ein König ist unser
Heiland, der nicht will, daß die Seinen einen unerfüllten Wunsch haben,
wenn dieser Wunsch ein guter ist! Klopfet an, und die Pforte wird auf«
gethan. „Thue deinen Mund weit auf, so will ich ihu füllen," sagt der Herr.
„Euch geschehe nach eurem Glauben." „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr
glaubet, so werdet ihr es empfangen." Was für köstliche Verheißungen, und
sie alle sind denen gegeben, die mit demütigem Forschen kommen, willig, erst
Christum zu empfange» und dann das übrige hernach.

Wohlan, Geliebte, nns wird gesagt, daß diese Königin heim i n ihr
Land zog, und die Überlieferung sagt, daß sie das Werkzeug war, die
Abessinier zu Proselyten zu machen. Ich weiß nicht, ob das wahr ist oder
nicht. Es ist merkwürdig, daß in der Apostel Tagen ein Kämmerer war, ein
Mann von großem Ansehen unter Candace, Königin von Äthiopien — es
sieht alls, als wenn etwas von dem göttlichen Licht sich noch in dieses Weibes
Reiche erhalten hätte auf die Zeit des Heilandes herab, so daß eine andre
Königin zu der Zeit sich fand und ein Gewaltiger, der aus solcher Ferne
kommen wollte, um zu Jerusalem anzubeten. Wohl, ob sie es that oder nicht,
ich weiß, was ihr thun solltet; wenn ihr zum König Salomo gekommen seid
und selber geforscht und gefunden habt, geht und verkündet feinen Ruhm,
sprecht von I h m überall. Es war der Ruhm von Ihm, der euch zuerst hin-
führte: vergrößert diesen Ruhm, und andre werden kommen. Rede von I h m ,
wenn du in deinen, Hause bist, und wenn du auf der Straße gehst, wenn du
niedersitzest, und wenn du aufstehst; halte keinen Ort für unpassend, uni von
Jesu zu reden; trage I h n in deinem Herzen, bei deinem Vergnügen; trage
seinen Namen als ein Stirnband zwischen deine,; Allgen und schreibe ihn alls
die Thürpfosten deines Hauses, denn Er ist es würdig, für den du dies thun
Die Königin vom Mittass. 587

sollst. Seines Namens soll gedacht werden, so lange wie der Sonne, und die
Menschen sollen in Ihn» gesegnet sein — ja, alle Menschen sollen I h n loben,
alle Könige sollen vor I h m niederfallen; „die Könige von Arabien nnd Saba
werden Gaben znfi'chren, die ganze Erde soll seiner Ehre voll werden. Amen,
Amen."
Ein Ende hatten die Gebete Davids, des Sohnes I s a i s ; Ps. 72, und
unsre sollen es auch haben, wenn diese Vollendung wirklich stattgefunden
haben wird.
588 Alttesillmentliche Bilder.

4«.
Abia oder: Etwas
Herrn.
„Und es wird ihn das ganze Israel beklagen und werden ihn
begraben. Denn dieser aNein von Icrobeam wird zn Gnade kommen,
darum, daß etwas Gutes an ihm erfunden ist vor dem Herrn, dem
Gott Israels, im Hause Ierobeams." 1 Kün. 14, 13. „Darum, daß
ein gutes Ding gegen den Herrn in ihm gefunden ist." (Engt. Üb.)

^)erobeam hatte sich als falsch gegen den Herrn, der ihn auf den Thron
Israels gesetzt, erwiesen, nnd die Zeit für seinen Sturz war gekommen. Der
Herr, der gewöhnlich die Rnte hervorzieht, ehe Er die Art aufhebt, sandte
Krankheit in fein Hans: fein Sohn Abia ward schwer krank. Da dachten die
Eltern an einen alten Propheten Gottes, und wünschten durch ihn zu erfahren,
wie es mit dem Knaben gehen würde. Voll Furcht, daß der Prophet ihm
und feinem Kinde Unglück verkünden werde, wenn er wüßte, daß die Fragende
das Weib Ierobeams sei, bat der König die ägyptische Prinzessin, die er ge-
heiratet hatte, sich als eines Landmanus Weib zu verkleiden, und so von dem
Manne Gottes eine günstigere Antwort zu erhalteu. Armer, thörichter König,
sich einzubilden, daß ein Prophet, der in die Zukunft seheu konnte, nicht auch
durch jede Verkleidung zu fchauen vermöchte, mit der seine Königin sich um-
hüllte! So begierig war die Mutter, das Schicksal ihres Sohnes zu wissen,
daß sie sein Krankenzimmer verließ, um nach Silo zu gehen und den Aus«
spruch des Propheten zu hören. Vergeblich war ihre schlaue Verkleidung! Der
blinde Prophet war immer noch ein Seher, und erkannte sie nicht nur, ehe
sie das Haus betrat, sondern sah die Zukuuft ihrer Familie voraus. Sie kam
voll Aberglauben, uni sich ihr Schicksal wahrsagen zu lassen, aber sie ging
schweren Herzens hinweg, nachdem ihr ihre Fehler gesagt, und ihr Urteilsspruch
verkündet war.
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 589

I n der furchtbaren Votschaft, die der Prophet Ahia diesem Weibe


Ierobeanis verkündete, war nur ein Heller Fleck, nur ein Wort des Trostes;
und mir ist sehr bange, das; es keine Art von Tröstung der heidnischen
Königin gewahrte. I h r Kind war in Barmherzigkeit bestimmt, zu sterben,
denn „ i n ihm war etwas Gutes erfunden vor dem Herrn, dem Gott Israels."
Als Ägypterin hat sie wahrscheinlich die Vedentung dieses Ausspruchs nicht
gewürdigt; vielleicht hielt sie es für fehr geringfügig, daß ihr Kind den Gott
seines Volkes ehrte. Sie sah nicht das Licht, das voller Frenden war. I l l
welch unglücklichem Znstand ist der, der ans der Errettuug seiues eigueu
Kindes keinen Trost schöpfen kann! Doch sind viele Männer nnd Fraueu in
diesem Znstand. Sie kümmern sich nicht um die Seelen ihrer eignen Sproß-
linge. Es würde ihnen keine Frende bringen, wenn sie alle ihre Kinder in der
Wahrheit wandeln sähen; nnd es macht ihnen nichts ans, wenn es anders
ist. Sie klug im Geschäft oder hübsch im Gesicht zu seheu, ist ihr Hauptwunsch;
aber sie von dem Herrn geliebt zu wisseu, danach tragen sie kein Verlangen.
Arme Seelen, ihre Fleischlichkeit überflutet und durchdringt ihre Familie.
Vei einigen würde es sogar Zorn und Wut verursachen, wenn sie ihre
Kinder sich zum Herrn kehren sähen; sie verachten wahre Religion so sehr,
daß, wenn ihre Söhne uud Töchter bekehrt wären, sie dieselben eher hassen,
als um so mehr lieben würden. So groß ist die Entfremdung, welche die
Sünde in dem menschlichen Gemüt bewirkt, daß in einigen Fällen menschliche
Zuneigung sich in Haß verkehrt bei dem Anblick der Gnade Gottes. Das,
was die Liebe mehren sollte, hat sogar Widerwillen erzengt. Wie Saul
Jonathan zu töten suchte, weil er David liebte, so hassen sie ihre Kinder, weil
sie Iesum lieben. Solche Personen machen ihren Segen zum Fluch. Sie
halten bitter für süß, und süß für bitter, Finsternis für Licht, und Licht für
Finsternis; uud deshalb wird das, was ihr Trost und ihre Freude sein sollte,
ihnen eine Quelle der Uuruhe. Aber, Geliebte, ich denke, ich kann voll den meisten
hier Anwesenden sagen, wenn wir nur gewiß wüßten, in unsrcm Kinde sei
etwas Glites vor dem Herrn, dein Gott Israels, so würden wir es vollkommen
zufrieden sein, alles übrige betreffs desselben dem unbedingten Willen des
Herrn zu überlassen. Wenn ein solches Kind sterben sollte, so würde es gut
sei» ; denn es ist viel besser, ein Kind im Himmel zu haben, als eins alls
Erden, das unser Herz durch seinen bösen Wandel bricht: und wenn ein
solches Kind am Leben bleibt, was für fröhliche Aussichten eröffnen sich uus
dann, daß es mit zunehmenden Jahren an Erkenntnis wachsen werde und an
Gunst bei Gott und Menschen! Versichert uns dessen, daß in der jungen
Seele etwas Gutes vor den« Herrn, dem Gott Israels, ist, und wir halten
dafür, daß die große Hauptsache gewählt ist, und alles andre betrachten wir
als bloße Nebensachen. W i r wollen den Herrn loben, sende Er unsren
590 Alttestamentliche Bilder.

Kindern, was Er will, so lange Er sie nnr erwählt hat, sein eigen zu sein
und seine Furcht ill ihre Herzen legt. Dieses unglückliche Weib Ierobeams
ging ihres Weges in äußerster Bekümmernis; denn der Ausspruch, der uns
ein süßer Trost gewesen wäre, hatte wenig oder keinen Neiz für sie. O, die
Sündigkeit des Herzens, das keinen Trost ill der Errettung der Seele cilles
sterbenden Kindes findet!
Heute morgen wollen wir in das Wenige hineinblicken, was wir voll dem
jungen Prinzen Abia wissen. Wir wissen nichts mehr von ihm, als was der
Text uns sagt. Sein Name war ein passender. Ein guter Name mag einem
sehr schlechten Menschen angehören; aber hier ward ein frommer Name würdig
geführt. Er nannte Gott seinen Vater, und sein Name „Abijah" bedeutet
dies. „Ab" ist, wie ihr wißt, das Wort für „Vater" und „ I a h " ist „Jehovah":
Jehovah war sein Vater. Ich würde den Namen nicht erwähnt haben, hätte
nicht sein Leben ihn wahr gemacht. O ihr, die ihr gute Vibelnamen führt,
seht zu, daß ihr sie nicht entehrt.

I.
Ich werde euch zuerst bitten, mir zu folgen und den Charakter dieses
Prinzen zu sludiereu, währeud ich sage: Laßt u n s hier bewundern,
w a s w i r nicht genan beschreiben können.
Uud ich meine hiermit zuerst dies, daß in diesem Kinde „etwas
Gutes vor dein H e r r n , dem Gott I s r a e l s , " war; aber was war es?
Wer soll es beschreiben? Ein schrankenloses Feld für Vermutungen thut sich
vor uns auf. Wir wissen, daß in ihm etwas Gutes war, aber welche
Gestalt dieses Gute angenommen, wissen wir »licht. Die Überlieferung hat
Behauptungen aufgestellt, aber da dies bloße Erfindungen sind, uni eine Lücke
auszufüllen, so ist es kaum der Mühe wert, ihrer hier zu erwähnen. Unsre
eignen Betrachtungen werden wahrscheinlich ebensowohl das rechte treffen, wie
diese unwahrscheinlichen Überlieferungen. Vielleicht war die Dunkelheit ab»
sichtlich. Wir können viel aus den» Stillschweigen der Schrift lernen: uns
wird nicht genau gesagt, was dies Gute war, weil alles „Gute vor dem
Herrn" ein genügendes Zeichen der Gnade ist. Wo etwas Gutes vor dem
Herrn ist, da ist alles Gute im Samen und Wesen vorhanden. „Etwas Gutes,"
was so völlig entwickelt ist, daß es gesehen und bemerkt werden kann, ist ein
Zeichen von der Anwesenheit alles übrigen, weil die Gnade Gottes nicht geteilt,
fondern als Ganzes gegenwärtig ist. Gottes Segnungen kommen in Gesellschaft;
und wenn etwas Gutes augenscheinlich da ist, so ist alles andre, was wirklich
wichtig und wesentlich ist, auch da. Obgleich des Kiudes Glaube uicht
genannt wird, so sind wir doch gewiß, daß es Glauben an den lebendigen
Gott hatte, da ohne diesen nichts in ihm gut vor Gott gewesen wäre; denn
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 591

„ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen." Der Knabe glaubte an


Jehovah, den Gott Israels: vielleicht verließ feine Mutter ihu auf seine eigne
Bitte, um zum Propheten des Herrn zu gehen. Viele falsche Propheten waren
in der Nähe des Palastes: sein Vater hätte vielleicht nicht nach Silo gesandt,
hätte nicht der Knabe darum gebeten. Das Kind glaubte an den großen un-
sichtbaren Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, und es betete I h n im
Glauben an. Es sollte mich indes nicht wundern, wenn in diesem Kinde die
Liebe mehr hervortrat, als der Glaube; denn bekehrte Kinder sprechen gewöhnlich
mehr davon, daß sie Christum lieben, als daß sie I h m vertrauen; nicht weil der
Glaube nicht in ihnen ist, sondern weil die Empfindung der Liebe der Natur
des Kindes entsprechender ist, als der mehr verstandesmäßige Akt des Glaubens.
Das Herz ist weit in dem Kinde, und deshalb wird die Liebe seine am meisten
hervortretende Frucht. Ich habe keinen Zweifel daran, daß dies Kind früh
Anhänglichkeit an den unsichtbaren Jehovah zeigte und eine Abneigung gegen
die Götzen an seines Vaters Hofe. Möglicherweise bezeugte es einen heiligen
Abscheu vor der Verehrullg Gottes unter der Figur eines Kalbes. Selbst ein
Kind konnte Verstand genug haben, wahrzunehmen, daß es unrecht sein müsse,
den großen und herrlichen Gott einem Stier mit Hörnern und Hufen zu ver<
gleichen. Vielleicht schrak des Kindes zarte Natur vor jenen schlechten Priestern
aus den Geringsten des Volkes zurück, die sein Vater zusammengerafft hatte.
Wir wissen nicht genau die Form, die es angenommen, aber da war es;
„etwas Gutes" war in des Kindes Herzen vor Jehovah, dem Gott Israels.
Beachtet sorgfältig, daß es nicht nur eine gute Neiguug, noch ein guter
Wunsch war, was sich in ihm fand, sondern eine wirklich gute, wesenhafte
Tugend. Es war in ihm ein wahres und wesentliches Vorhandensein der
Gnade, und dies ist viel mehr als eilt vorübergehender Wunsch. Was für
ein Killd gibt es, das nicht zu der einen oder andren Zeit, wenn es in der
Furcht Gottes anferzogen ist, Zittern des Herzens und Verlangen nach Gott
gefühlt hat? Solches Gute ist gewöhnlich wie der Morgentau; aber, ach! es
verschwindet ebenso rasch. Der junge Abia besaß etwas, was wirklich und
wesentlich genug war, um ein gutes D i n g genannt zu werden; der Geist
Gottes hatte ein sicheres Werk in ihm geschafft und ihm ein unschätzbares
Kleinod der Gnade gegeben. Laßt uns dies gute Ding bewundern, obwohl
wir es nicht genau beschreiben können.
Laßt uns auch bewundern, daß dieses Gute in des Kindes Herzen war,
denn die A r t , wie es hineingekommen, ist unbekannt. W i r können
nicht sagen, wie die Gnade in den Palast zu Thirza hineinkam und dies junge
Herz gewann. Gott sah das Gute, denn Er sieht das geringste Gute iu
jedem von uns, da Er ein scharfes Auge hat für alles, was auf I h n selbst
gerichtet ist. Aber wie kam dies Gnadenwerk in das Kind? Uns wird es
592 Alttestamentliche Bilder.

nicht gesagt, und dies Schweigen ist eine Lehre für uns. Es ist nicht nötig
für uus, zu wissen, wie ein Kind die Gnade empfängt. W i r brauchen nicht
ängstlich besorgt zu sein, zu wissen, wann, wo oder wie ein Kind bekehrt ist,
es mag sogar unmöglich sein, es zu sagen, denn das Werk kann so allmählich
gewesen fein, daß man Tag und Stünde nicht anzugeben vermag. Selbst die,
welche in reiferen Jahren bekehrt sind, können nicht alle ihre Bekehrung im
einzelnen erzählen, viel weniger können wir erwarten, die Erfahrung von
Kindern genau beschrieben zu sehen, die nie in äußerliche Sünden gefallen
sind, sondern unter dem Zügel einer frommen Erziehung die Gebote von
Jugend auf gehalteu haben, wie der Jüngling ill der Erzählung des Euan»
geliums. Wie kam das Kind dazu, etwas Gutes in seinem Herzen zu habeu?
So viel wissen w i r : wir sind sicher, daß Gott es dorthin legte; aber durch
welche Mittel? Das Kind hörte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Lehre
des Propheten Gottes; es ward nie gleich dem jungen Samuel hinauf zum
Hause des Herrn gebracht. Seine Mutter war eine götzendienerische Prinzessin,
sein Vater gehörte zu den gottlosesten Männern, und dennoch erreichte die
Gnade Gottes ihr Kind. Wirkte der Geist Gottes auf sei» Herz durch seiue
eiguen Gedanken? Dachte der Knabe über die Sache nach und kam zu dem
Schluß, daß Gott Gott fei, und daß Er nicht verehrt werden müsse, wie sein
Vater es that, unter dem Bilde eines Kalbes? War dem Herrn ein Lied ge«
sungen unter der Mauer des Palastes von einem einsamen Gottesverehrer?
Hatte das Kind seinen Vater gesehen an jenem Tage, da er seineu Arm aus»
reckte wider den Propheten Ichovahs beim Altar zu Bethel, uud seine rechte
Hand plötzlich an seiller Seite verdorrete? Flossen die Thränen aus des
Knaben Auge, als er deu Vater so gelähmt fah in dem Arm seiner Kraft?
und lachte er in der Frende seines Herzens, als durch des Propheten Gebet
sein Vater wiederhergestellt ward? Vewog dieses große Wunder der Barm»
Herzigkeit ihn, den Gott Israels zu lieben? I s t es bloße Einbildung, daß es
so gewesen sein kann? Eine verdorrte rechte Hand am Vater, und dieser
Vater ein König, ist etwas, das dem Kinde sicherlich erzählt wurde, und wenn
die Hand durch Gebet wieder gesund gemacht war, so erfüllte das Wunder
natürlich den Palast, und jedermann sprach davon, und der Prinz hörte es.
Oder wie, wenn dies kleine Kind eine gottesfürchtige Wärterill hatte? Wie,
weil» ein Mädchen, wie das, welches Naemans Weib diente, die Botin der
Liebe Gottes für ihn gewesen? Wenn sie ihn hin« nnd hertrug, saug ihm
die Wärterin da eins der Lieder Zions vor und erzählte ihm voll Joseph und
Samuel? Israel hatte uoch nicht so lange seinen Gott verlassen, daß nicht
noch mancher treue Nachfolger des Gottes Abrahams da war, lind durch einen
von diesen wurde vielleicht dein Kinde Kenntnis beigebracht, die hinreichte, die
Liebe Gottes seiner Seele einzuflößen. W i r mögen mit ziemlicher Wahr»
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 593

scheinlichkeit vermuten, aber wir können nicht vorgeben, gewiß zu sein, daß es
so war, und es ist auch nicht nötig, daß wir es sind. Wenn die Sonne auf«
gegangen ist, so macht es wenig aus, waun der Tag zuerst aufdämmerte.
Unsre Sache sei es, wenn wir in Kindern etwas Gutes sehen, uns an dieser
Wahrheit genügen zu lassen, auch wenn wir nicht sagen können, wie es dahin
kam. Gottes erwählender Liebe fehlt es niemals an Mitteln, ihren Zweck
auszuführen: Er kann seine wirksame Gnade in das Herz der Familie
Ierobeams senden, und während der Vater vor seinen Götzen sich hinwirft,
kann der Herr einen wahren Anbeter in des Königs eignem Kinde finden.
„Nus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast D u eine Macht zu«
gerichtet um Deiner Feinde willen." Deine Fußstapfen werden nicht immer
gesehen, o Gott der Gnade, aber wir haben gelernt. Dich in Deinem Werke
anzubeten, auch wenn wir Deinen Weg nicht wahrnehmen.
Dieses „gute Ding" wird uns in einem gewissen Maße im Text be-
schrieben. Es w a r „ e i n gutes D i u g gegen J e h o v a h , den G o t t
I s r a e l s . " Das Gute richtete sich auf den lebendigen Gott. I n Kindern
findet man oft Gutes gegen ihre Eltern: möge dieses gepflegt werden, aber es
ist nicht ein genügender Beweis der Gnade. I n Kindern findet man zu»
weilen Gutes, soweit es Liebenswürdigkeit und sittliche Tugenden betrifft;
mögen alle guten Dinge gelobt uud gepflegt werden, aber es sind keine
sicheren Früchte der Gnade. Auf Gott gerichtet muß das Gute fein, das die
Seele errettet. Gedenkt daran, wie wir im Neuen Testament von Buße zu
Gott und Glauben an uufren Herrn Iefum Christum lefen. Die Richtung,
in welcher das Gute liegt, ist der Hanvtvuukt daran. Es ist Leben in einem
Blick. Wenn ein Menfch von Gott weggeht, so vergrößert jeder Schritt, den
er thut, seine Entfernung von I h m ; jedoch wenn sein Gesicht gegen den Herrn
zu gerichtet ist, so mag er vielleicht nur den schwankenden Schntt eines Kindes
haben, aber dennoch kommt er Gott jeden Augenblick näher und näher. Es
war etwas Gutes iu diesem Kinde gegen G o t t , und dies ist das unter»
scheidendste Merkmal eines wahrhaft guten Dinges. Das Kind hatte Liebe,
und es war darin Liebe zu Jehovah. Es hatte Glauben, aber es war Glaube
an Jehovah. Seine religiöse Furcht war die Furcht vor dem lebendigen
Gott; seine kindlichen Gedanken und Wünsche und Gebete und Gesänge gingen
hinauf zu dein wahren Gott. Dies ist's, was wir nicht nur bei Kindern,
fondern auch bei Erwachfenen wahrzuuehmen wünschen: wir wünschen ihre
Herzen zum Herrn gewandt zu sehen und ihr Gemüt und ihren Willen auf
den Höchsten gerichtet. Seltsam, daß es für das Geschöpf, den Menschen,
wunderbar ist, auf seinen Schöpfer zu blicken! und doch ist es so. I n der
That gibt es kein sichereres Zeichen eines erneuerten Herzens, als wenn ein
Mensch ausruft: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen."
S p u r g e o n . Alttestamentliche Bllder. 38
594 Alttestamentliche Bilder.

I n diesem Kinde bewirkte dies „etwas Gntes" ein solches Verhalten,


daß es außerordentlich geliebt ward. Wir sind dessen gewiß, weil gesagt
ist: „Es wird ihn das ganze Israel klagen." Er war wahrscheinlich der
Thronerbe seines Vaters, und es gab gottesfiirchtige und bekümmerte Herzen
in Israel, die hofften, Zeiten der Reform zu sehen, wenn dieses Kind auf
den Thron käme; und vielleicht hatten auch die, welche sich nicht um Religion
kümmerten, doch irgendwie ihr Augenmerk auf den Knaben gerichtet, sein
Aus» und Eingehen uuter ihnen beobachtet und gesprochen: „Er ist Israels
Hoffnung; es werden bessere Tage kommen, wenn dieser Knabe ein Mann
wird;" so daß Abia, als er starb, der einzige seiner Familie war, dem sowohl
Thrä'nen als ein Grab zu teil wurden; er starb betrauert und ward ehrenvoll
begraben, während alle übrigen ans Ierobeams Hause von Hunden und
Geiern gefressen wurden. Es ist eine fchöne Sache, wenn etwas so Gutes in
unsren Kindern ist, daß sie in ihren: eignen kleinen Kreise geliebt werden.
Sie haben nicht alle die Sphäre, deren sich dieser junge Prinz erfreute, so
daß sie sich allgemeine Bewunderung erwerben können; aber dennoch ist die
Gnade Gottes in einem Kinde etwas sehr Liebliches und erweckt großen
Beifall. Ich weiß nicht, wie es mit euch ist, aber für mich ist jugendliche
Frömmigkeit etwas sehr Rührendes; ich sehe die Gnade Gottes in Männern
und Frauen mit großer Dankbarkeit, aber ich kann sie in Kindern nicht sehen,
ohne Thränen der Freude zu weinen. Es ist eine ungemeine Schönheit in
diesen Rosenknospen im Garten des Herrn; sie haben einen Duft, den wir in
den schönsten Erdenlilien nicht finden können. Liebe für den Herrn Iesum wird
in inanchem Herzen gewonnen durch diese winzigen Pfeile des Herrn, in deren
Kleinheit eben ein Teil ihrer Macht, das Herz zu durchdringen, liegt. Die
Ungöttlichen mögen die Gnade nicht lieben, die in den Kindern ist, aber da sie
die Kinder lieben, in denen sich die Gnade findet, sind sie nicht mehr im
stände, gegen die Religion zu sprechen, wie sie es sonst gethan haben würden.
Ja, mehr noch, der Heilige Geist gebraucht diese Kinder zu höheren End«
zwecken, uud in denen, welche sie sehen, werden oft Wünsche nach besseren
Dingen erregt. Noch einmal, laßt uns bewundern, was wir nicht genau be«
schreiben können; denn ich habe mich an keine genaue Beschreibung gewagt,
sondern bin nur streng den Worten des Textes gefolgt.
Die Frömmigkeit dieses jungen Kindes war in jeder Weise
rechter Art. Sie war innerlich und aufrichtig, denn das Gute, wovon hier
gesprochen wird, ward nicht an ihm, sondern „in ihm" erfunden. Er trug
nicht die breiten Denkzettel, aber er hatte ein sanftes und ruhiges Gemüt.
Er mag nicht viel geredet haben, sonst hätte es heißen können: „Er hat Gutes
von dem Gott Israels gesprochen;" er mag ein schüchterner, zurückhaltender,
fast schweigsamer Knabe gewesen sein, aber das Gute war „in ihm." Und
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 595

dies ist eben das, was wir für jeden unfrer Freunde wünschen, ein Gnade»'
werk i m I n n e r n . Der Hauptpunkt ist nicht, das Kleid der Religion zu
tragen oder ihre Sprache zu führen, sondern das Leben Gottes i m I n n e r n
zu besitzen, und zu fühlen und zu denken, wie Jesus es gethan haben würde,
eben um dieses inneren Lebens willen. Gering ist der Wert äußerlicher
Religion, wenn sie nicht aus einem inneren Leben hervorwächst. Wahre Gnade
läßt sich nicht wie ein Kleid aus» und anziehen; sie ist ein integrierender Teil
desjenigen, der sie besitzt. Dieses Kindes Frömmigkeit war wahrer, persön-
licher, innerlicher A r t : mögen all unsre Kinder etwas Gutes i l l sich haben!
Uns wird in unsrem Text gesagt, daß dieses Gute „ i n ihm gefunden"
war: dies bedeutet, daß es wahrnehmbar in ihm war, wahrnehmbar ohne
große Schwierigkeit, denn der Ausdruck „gefunden" wird gebraucht, auch wo
keine große Nachforschung nötig gewesen ist. Sagt der Herr nicht: „Ich
werde gefunden von denen, die mich nicht gesucht haben?" Eifrige, kindliche
Frömmigkeit thut sich kund; ein Kind ist gewöhnlich weniger zurückhaltend als
ein M a n n ; der kleine Mund ist nicht von kalter Klugheit zugefroreu, sondern
offenbart das Herz. Gottesfurcht in einem Kinde erscheint selbst auf der Ober«
fläche, fo daß Personen, die zum Besuch in das Haus kommen, von den un>
gekünstelten Äußerungen überrascht werden, die den jungen Christen verraten.
Es gab viele in Thirza, die nicht umhin konnten, zu wissen, daß in diesen:
Kinde etwas Gutes gegen Jehovah sei. Es mag ihnen nichts darall gelegen
haben, es zu sehen, sie mögen der Hoffnung gewesen sein, daß es durch das
Beispiel des ihn umgebenden Hofes erstickt werde, aber sie wußten doch, daß
es da sei, sie hatten es ohne Schwierigkeit gefunden.
Indes kann der Ausdruck auch noch eine andre Deutung ertragen: er
schließt eill, daß, als Gott, der strenge Herzenserforscher, der „die Nieren der
Menschenkinder prüfet," dies Kind heimsuchte. Er in ihm etwas zum Preise
und zur Ehre fand: „etwas Gutes" entdeckten jene Augen, die nicht getäuscht
werden können, in ihm. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber das, was
ill diesem Kinde sich fand, war echtes Metall. O, daß dies auch voll jedem
unter uns wahr wäre, wenn wir durchs Feuer geprüft werden! Es mag sein,
daß sein Vater mit ihm zürnte, weil er Jehovah diente; aber was auch seine
Prüfung gewesen sein mag, er ging nnverletzt daraus hervor.
I n dem Allsdruck liegt nach meinem Gefühl etwas von Überraschung. Wie
kam dieses Gute in das Kind hinein? „ I n ihm ist etwas Gutes gefunden,"
als wenn jemand einen Schatz in einem Acker findet. Der Landmann dachte
an nichts als an feine Ochsen, seine Äcker nnd seine Ernte, als plötzlich sein
Pflug einen verborgenen Schatz bloßlegte: er fand ihn, wo er war, aber wie
er dorthin gekommen, konnte er nicht sagen. S o ward in diesem Kinde, das
38*
596 Alttestamemliche Bilder.

in einer so ungünstigen Stellung war, zum Erstaunen von jedermann etwas


Gutes vor dem Herrn, dem Gott Israels, erfuuden. Seine Bekehrung, seht
ihr, ist i n Geheimnis eingehüllt. Uns wird von der Gnade in seinem Herzen
nicht gesagt, was sie war, noch woher sie kam, noch was für besondere Hand»
lungen sie hervorbrachte, aber sie war da, gefunden, wo niemand sie erwartete.
Ich glaube, dieser Fall ist ein vorbildlicher für viele der erwählten Kinder,
die Gott in den Hintergassen nnd Hinterhöfen unsrer großen Stadt durch
seine Gnade beruft. I h r müßt nicht erwarten, daß ihr ihre Erfahruugen,
ihre Gefühle und ihr Leben aufzeichnen und dann alles summieren könnt; ihr
müßt nicht darauf rechnen, Datum und Mittel genau zu erfahren, fonder»
ihr müßt das Kind nehmen, wie wir Abia zu nehmen haben, uud uus freuen,
in ihm ein kleines Wunder der Gnade mit Gottes eignem Siegel darauf zu
finden. Der alte Prophet bezeugte im Namen des Herrn, daß der jnnge Prinz
ein aufrichtiger Nachfolger des Höchsten sei; uud iu gleicher Weise setzt der
Herr fein Siegel und Gnadenzeichen auf wiedergeborne Kinder, und wir müssen
zufrieden fein, dies zu sehen, auch wenn einige andre Dinge fehlen. Laßt uns
mit Freuden solche Dinge des Heiligen Geistes willkommen heißen, die wir
nicht genau beschreiben können.

II.
Nun komme ich, indem ich unsrem Gedankengang eine etwas andre
Richtung gebe, zu einer zweiten Bemerkung: l a ß t « n s v o n Hetzen
schatten, was wir nur zn leicht übersehen.
Zuerst, laßt uns von Herzen „ e t w a s G u t e s " v o r dem H e r r n
schätzen, wo immer w i r es wahrnehmen. Alles, was hier bei diesem
Falle gesagt wird, ist, daß „etwas Gutes" in ihm war; und das lautet, als
wenn das göttliche Werk nur noch ein Funken der Gnade, der Beginn des
geistlichen Lebens gewesen. Es war nichts besonders Auffallendes iu ihm,
fönst wäre es bestimmter genannt worden. Er war nicht ein heldenmütiger
Nachfolger des Herrn, seine Thaten der Treue gegen Gott sind nicht nieder»
geschrieben, weil er um seiner zarten Jugend willen weder Kraft noch Ge»
legenheit hatte, viel zu thun, was aufgezeichnet werden konnte. Da wir lesen,
daß in ihm „etwas Gutes" war, schließt dies ein, daß es nichts Vollkommenes
war und nicht mit all dem Guten verbunden, das wir hätten wünschen können.
Vieles Gute fehlte, aber „etwas Gutes" war offenbar, uud deshalb ward
das Kind angenommen und durch die göttliche Liebe vor einem schimpflichen
Tode bewahrt. Meint ihr nicht, daß viele christliche Leute, wenn sie mit
suchenden Seelen sprechen, eine Neiguug haben, alles Gute in ihnen zu er»
warten, statt nach etwas Gutem in ihnen auszusehen? Hier ist jemand, der
Nbici oder: Etwas Gutes vor dem Herrn.

das Bekenntnis ablegt, bekehrt zu sein; er ist augenscheinlich aufrichtig und


redlich, und deshalb behutsam, um nicht mehr zu sagen, als er fühlt, und
dies macht, daß er wenig sagt und dies Wenige zitternd. I h r thut ihm eine
Frage, die jeder im stände sein sollte, zu beantworten; aber dieser Ängstliche
kann es nicht, und deshalb fällt ihr das strenge Urteil, daß er unwissend und
unerleuchtet sei. Kalte Klugheit erklärt, daß jemand, der eine solche Frage
nicht zu beantworten vermag, kein Kind Gottes sein kann, und wenig Rücksicht
wird auf Schüchternheit und Verlegenheit genommen. Gesetzt, der Suchende
vermöchte die Frage und ein Dutzend andre zu beantworten, könnte er nicht
dennoch ein Betrüger sein? Ist es euch nicht genug, daß etwas Gutes in ihm
ist, obwohl er keinen großen Vorrat von Kenntnissen und sehr genüge Fähigkeit
sich auszudrücken besitzt? Gnade wachset, das Senfkorn wird ein Baum, das
kleine Stück Sauerteig durchsäuert die ganze Masse. „Etwas Gutes" wird
allmählich alles Gute erzeugen; das Leben aus Gott wird sicherlich die ganze
Natur überwiuden. Und sollten wir nicht viel hoffnungsvoller sein, als wir
es sind, und zu gleicher Zeit zarter, sanfter, rücksichtsvoller? Heißt Gott feiuen
Propheten sagen, daß dies Kind dein Gericht entgehen wird, das über Ierobeams
Familie kommen soll, weil etwas Gutes in ihm war? Sollten wir da nicht
schließen, daß, wenn wir, etwas Gutes in einem Menschen in bezug auf Gott,
auf Christus, auf ewige Dinge fehen, dies ein Zeichen für uus ist, nicht zu
verurteilen, sondern zn loben, nicht mit Strenge zu richten, sondern mit
Freundlichkeit und Sorgfalt zu verfahren? Ich fürchte, daß in manchem Fall
Härte denjenigen ernstlichen Schaden verursacht hat, die mit ihrem ganzen
Herzen zu Jesu kamen. Diese Härte mag von dem, der sie übte, für Treue
gehalten sein, und vielleicht war sie das; aber es gibt eine mißverstandene
Treue, und Treue ist nicht die einzige Tugend, die ein Seelen-Gewinner
nötig hat. Ich möchte euch nicht darin irren sehen, geliebte Brüder uud
Schwestern, daß ihr im Gespräch mit Suchenden ihnen ill das Ohr flüstert:
„Friede, Friede," wenn kein Friede da ist; aber auf der audreu Seite möchte
ich ench nicht wider ein Kind sündigen sehen durch harte, argwöhuische Manier
und dadurch, daß ihr von einem jungen Herzen mehr fordert, als der Herr
Jesus gesucht haben würde. Es gibt eine glückliche Mittelstraße; möge Gott
uns helfen, ihr zu folgen, hoffend, aber nicht schmeichelnd, prüfend mit Sorg-
falt, aber nicht mit Argwohn durchkältend. Wiederum sage ich, laßt uns
alles schätzen, was wir von Christo sehen, alles, was wir voll dein Werk des
Geistes in jedem sehen, der vor uns kommt, und zufrieden fein, daß alles
gut ist, so lange wir „etwas Gutes vor dem Herrn, dein Gott Israels,"
sehen.
Ferner, ich fürchte, wir sind zu geneigt, „etwas Gutes i n einem
Kinde zu übersehen." „ O , nur ein K i n d ! " Bitte, was bist du? D u bist
598 Alttestamentliche Bilder.

ein Mann: gut, ich setzte voraus, daß ein Mann ein Kind ist, das älter
geworden uud viele der besten Punkte seines Charakters verloren hat. Ein
Kind ist in göttlichen Dingen nicht im Nachteil, weil es ein Kind ist, denn
„solcher ist das Himmelreich." Männer müssen zu Kindern zurückwachsen, ehe
sie überhaupt in das Reich eingehen können. Wenn etwas Gutes da ist,
sollte es nicht bezweifelt und in Frage gestellt werden, weil es ill einem
Kinde ist; denn in der Heiligen Schrift ist es etwas sehr Gewöhnliches, Gutes
in Kindern zu sehen. Finden wir nicht etwas Gutes in Joseph, während er
noch jung ist? in Samuel, mit dem Gott sprach, als er noch ein Kind war?
in David, der noch als Knabe den Riesen Goliath schlng? in Obadja, dem
Hofmeister AHabs, der zu Elia sprach: „Dein Knecht fürchtet den Herrn von
Jugend auf?" in dem König Iosia, der eine so große Reformation ill Iuda
vollführte? indem jungen Timotheus, der die Schrift von Jugend auf wußte?
War nicht auch frühe Frömmigkeit in Johannes? Hieronymus sagt von ihm,
daß ein Grund, weshalb unser Herr ihn mehr liebte als die andren Apostel,
der sei, daß er jünger gewesen, als die übrigen? Ich bin dessen nicht gewiß,
aber es ist eine eigentümliche Kindlichkeit in dem Johannes, die wohl die
engste Gemeinschaft mit dem heiligen Kinde Jesus veranlassen konnte. Seid
deshalb nicht erstaunt, Gnade in Kindern zu finden, sondern sucht eifrig da»
nach. Warum sollten wir nicht Samuele und Timotheusse unter uns haben?
Laßt uns nicht Perlen unter die Füße treten dadurch, daß wir uus weigern,
des Herrn Gnadellwerk in Kindern zu sehen. Seht nach der Gnade in ihnen
aus, wie die Schildwachen nach den erstell Strahlen des Morgens aussehen,
ich sage, seht danach aus, mehr als diese nach dem Morgen ausschauen.
Ein andres übersehen wir sehr leicht, uud das ist „etwas Gutes" in
einem schlechten Hause. Dies war das Wunderbarste von allem, daß ein
begnadigtes Kind in Ierobeams Palast war. Die Mutter beherrscht gewöhnlich
das Haus, aber die Königin war eine ägyptische Prinzessin und eine Götzen«
dienerin. Ein Vater hat großen Einfluß, aber Ierobeam sündigte und machte
Israel sündigen. Es fällt mir wie ein Wunder auf, daß er Israel sündigen
machell konnte, aber nicht sein Kind. Das ganze Land fühlt den großartigen
Einfluß Ierobeams, uud doch ist dicht vor seinen Füßen ein Heller Fleck, den
die unumschräukte Gnade vor der Seuche bewahrt hat; sei» erstgebornes Kind,
das von Natur dem Vater nachahmen würde, ist das gerade Gegenteil von
ihm — es wird in Ierobeams Erben noch etwas Gutes vor dem Herrn er«
funden. An solchen! Ort suchen wir nicht die Gnade, und sind geneigt, an
ihr vorüberzugehen. Wenn ihr in die Hintergassen unsrer großen Städte
geht, die keineswegs lieblich sind, so werdet ihr sehen, daß sie von Kindern
der Annen wimmeln, und ihr erwartet kaum, Gnade zu sehen, wo Sünde
augenscheinlich mächtig ist. I n den Fieberhöhlen uud uestilenzialischen Neben»
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 593

gassen der großen Städte hört ihr Lästerung, und seht Trunkenheit auf allen
Seiten, aber schließt daraus nicht, daß kein Kind Gottes da sei; sagt nicht zu
euch selber: „Die erwählende Liebe Gottes hat nie einen von diesen sich aus«
gesucht." Wie wißt ihr das? Ems von diesen armen, kleinen, zerlumpten
Kindern, die auf einem Kehrichthaufen spielen, mag Christum in der Lumveu-
schule gefunden haben, und zu einem Platze all seiner Rechten bestimmt seiu.
Köstlich ist dieser Edelstem, obwohl er uuter Kieselsteinen liegt. Glänzend ist
dieser Diamant, obwohl auf eiuen Dunghaufen geworfen. Wenn in dem Kind
„etwas Gutes vor dem Herrn" ist, so ist es darum uicht weniger zu schätzen,
weil sein Vater ein Dieb, und seine Mutter eine Branntweinsäufenn ist.
Verachtet nie das zerlumpteste Kind. Ein Geistlicher in I r l a n d , der an einer
kleinen protestantischen Gemeinde stand, bemerkte mehrere Sonntage lang im
Gange nahe bei der Thür einen sehr zerlumpte» Knaben, der höchst auf.
merksam der Predigt zuhörte. Er wünschte zu wissen, wer der Knabe fei, aber
dieser verschwand immer, sobald die Predigt vorüber war. Er bat einen oder
zwei Freunde, ihn zu beobachten, aber er entwischte stets irgendwie und konnte
uicht entdeckt werden. Eines Tages predigte der Pastor über den Text: „ E r
sieget nnt seiner Rechten und mit seinen» heiligen A r m , " und nach dieser Zeit
vermißte er den Knaben stets. Sechs Wochen vergingen, und das Kind er-»
schien nicht mehr, aber ein Mann kam von den Bergen und bat den Pastoren,
zu komme» uud seiu Kiud zu besuche», das im Sterbelt läge. Er wohnte in
einer elenden Hütte hoch in den Bergen. Ein Gang von einer deutschen
Meile im Regen durch Sümpfe und über Hügel, uud der Pastor kam zu der
Thür der Hütte. Als er eintrat, saß der arme Knabe aufrecht im Bette, und
sobald er den Prediger erblickte, schwenkte er den Ann und rief aus: „ E r
sieget mit seiner Rechten und mit seinem heiligen A n n . " Das war sein letztes
Wort auf Erden, sein Triumphruf im Tode. Wer weiß, in wie vielen Fällen
des Herrn Rechte uud fein heiliger A n n gesiegt haben trotz der Armut und
Süude und Uuwissenheit, die den jungen Bekehrten umgaben? Laßt uns
darum die Gnade nicht verachten, wie immer sie ist, sondern voll Herzen
schätzen, was w i r so leicht übersehen!

III
Zuletzt, l a ß t « n s s o r g f ä l t i g erwägen, w a s w i r nicht v ö l l i g
verstehen können. Ich möchte, daß ihr erst die sonderbare Thatsache er-
wöget, die ihr nicht verstehen könnt, daß heilige Kinder so oft i n un-
göttlichen F a m i l i e n sich finden. Gottes Vorsehung hat es so angeordnet,
doch die Folgen davon sind schmerzlich für den jungen Gläubigen. I h r
würdet denken, wenn Gott ein Kind liebte, so würde Er's nicht an dem Hofe
600 Alttestllmentliche Bilder.

Ierobeams geboren werden lassen. Er werde seine Erwählten nicht in die


schlechten Hintergassen senden, wo sie von allem umgeben sind, was ihr zartes
Herz betrübt; und dennoch sendet Gott seine Kinder an solche Orte. Warum
ist dies? ^
Nun, zuerst sind sie Gottes Zeugnis wider die Sünde, wo kein andres
Zeugnis gehört werden würde — eine zarte, rührende Votschaft voll Gott,
um die Ungöttlichen wissen zu lassen, daß es etwas Besseres gibt als die
Sünde, in der sie sich wälzen. Heilige Kinder sind wie Engel unter Dämonen,
und strafen durch ihre Unschuld die Süude. Sendet Gott nicht auch die Kinder
dorthin, um seine göttliche Gnade zu zeigen, damit wir sehen, daß Er erwählt,
wen Er will und einen aus einer Familie nach seinem Wohlgefallen? Zeigt
Er uns nicht auch, daß Er die Gnade lebendig erhalten kann an den uu>
geeignetsten Plätzen, wo alles gegen die Seele streitet? Die Gnade Gottes
kann leben, wo ihr und ich sterben würden. Das Leben der Gnade kann
fortdauern unter Bedingungen, die den Tod drohen. Einige der frömmsten
und besten der Menschen haben sich gefunden, wo nichts war, was sie stützen,
aber alles, was sie hindern konnte. Läßt der Herr dieses zu, um zu zeigen,
was seine Gnade thun kann? nnd soll es nicht eine Ermutigung zur Treue
für jeden von uns sein? Denn, wenn dieses Kind Gott treu sein konnte bei
einem solchen Vater und einer solchen Mutter uud an solchem Hof, sollten
ihr und ich dann bange sein? O du starker Maun, laß ein Kind dich be»
schämen — du warst neulich bange, vor deinen Kameraden die Wahrheit
zu sagen! Was für ein Feigling mußt du sein, wenn dieses Kind seine
Liebe zu dem Herrn, dem Gvtt Israels, zeigte, wo alle I h m entgegen
waren!
Ist es nicht merkwürdig, daß Gott die Seinen verteilt, wie wir Salz
ausstreuen? Er setzt einen von ihnen in jeder Lasterhöhle nieder. Saul,
der König, ist ein großer Empörer gegen Gott; aber dicht an seiner Seite ist
Jonathan: so wächst die lieblichste Blume, die je blühte, nahe bei dem
rauhesten Dornbusch, den man nur finden kann. Was für ein Stall voll
Schmutz war AHabs Hof! und doch hatte er Obadja als Kämmerer, der die
Knechte Gottes zu fünfzig in einer Höhle verbarg, uud sie von Isebels Tische
speiste; Nebukadnezar darf nicht ohne drei heilige Kämpfer gelassen werden,
die für Gott ins Feuer gehen können. Seht Velsazar, der Wein aus den
Bechern des Heiligtums trinkt, und doch ist ein Daniel an seinem Hofe an-
gestellt. Selbst an den Hof des Ahasvérus ist Esther geführt, um jenem böfeu
Haman entgegenzutreten. O, ich denke, es ist nie ein Uz ohne einen Hiob, noch
ein Chaldäa ohne einen Abraham, noch ein Sodom ohne einen Lot, noch
ein Ägypten ohne einen Mose, noch ein Haus E l i , das abgewichen ist, ohne
einen kleinen Samuel, der von Gott gesandt wird, um sein Zeugnis dawider
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 601

abzulegen. Denkt nach über die Wege Gottes mit den Menschen, und be-
wundert, was ihr nicht verstehen könnt.
Das nächste, was wir nicht verstehen können, ist dies, daß Gottes
t e u r e , kleine K i n d e r , die I h n lieben, so o f t zum Leiden b e r u f e n
sind. Wir sagen: „Nun, wenn es mein Kind wäre, so würde ich es heilen
und seine Schmerzen sofort lindern." Doch läßt der allmächtige Vater seine
Lieben Trübsal erdulden. Das gottesfürchtige Kind Ierobeams liegt krank,
uud feiu gottloser Vater ist nicht krank, und seine Mutter ist nicht krank; wir
könnten fast wünschen, sie wären es, damit sie weniger Böses thäten. Nur
ein Gottesfttrchtiger ist in der Familie, und der liegt krank! Warum war es
so? Warum ist es in andren Fällen so? I h r seht ein frommes Kind, das
ein Krüppel ist, ihr seht ein himmlisch gesinntes Mädchen, das schwindsüchtig
ist: ihr seht oft die schwere Hand Gottes da ruhen, wo seine ewige Liebe ihre
Wahl getroffen hat. Es ist eine Bedeutung in all diesem, und wir kennen
etwas davon; und wenn wir nichts davon kennten, so würden wir dennoch an
die Güte des Herrn glauben. Ierobeams Sohn glich der Feige des Maul»
beerbaums, die nicht reift, bis sie geschlagen wird: durch seme Krankheit ward
er schnell zur Herrlichkeit reif. Außerdem war es zum Bestell seines Vaters
und seiner Mutter, daß er krank war; wären sie willig gewesen, durch den
Schmerz zu lernen, so hätte er ihnen zum großen Segen werden können. Er
trieb sie zum Propheten Gottes. O, daß er sie zu Gott selber getrieben
hätte! Ein krallkes Kind hat manche verblendete Eltern zum Heiland geführt,
und Augen sind dadurch aufgethan worden.
Es ist etwas da, was noch merkwürdiger ist, und das ist, daß einige
von Gottes liebsten K i n d e r n j n n g sterben. Ich würde gesagt haben,
laß Ierobeam sterben und sein Weib dazu; aber schone das Kind. J a , aber
das Kind muß gehen: es ist am meisten bereit dazu. Sein Abscheiden sollte
Gottes Gnade verherrlichen, die ein solches Kind errettete und es so schnell
vollkommen machte. Es sollte der Gnadenlohn sein, denn das Kind ward hin-
weggenommen vor dem Unglück, das kommen sollte; es starb in Frieden und
ward begraben, während die übrigen der Familie mit dein Schwert erschlagen
und den Schakalen und Geiern zum Zerreißen gegeben wurden. Bei diesem
Killde war der frühe Tod ein Beweis der Gnade. Wenn jemand sagt, daß
bekehrte Kinder nicht ill die Gemeinde aufgenommen werden sollten, so sage
ich, wie ist es dann, daß der Herr so viele von ihnen in den Himmel nimmt?
Wenn sie für den einen geeignet sind, dann sind sie es sicherlich auch für die
andre. Der Herr nimmt ill unendlicher Barmherzigkeit oft Kinder heim zu
sich und errettet sie von den Leiden des langen Lebens und den Versuchungen;
weil nicht nur Gnade ill ihnen ist, fondern soviel mehr als gewöhnliche
602 Alttestamentliche Vilder.

Gnade, daß kein Grund zum Aufschub da ist, sie sind reif zur Ernte. Es ist
wunderbar, wieviel Gnade ill dem Herzen eines Knaben wohnen kann;
Frömmigkeit der Kinder ist keineswegs untergeordneter Art, sie ist zuweilen
reif für den Himmel.
Noch eins, es scheint mir etwas sehr Seltsames, daß ein solches K i n d
w i e dieses stirbt u n d doch durchaus keine W i r k u n g auf seine E l t e r n
h e r v o r b r i n g t ; denn weder Ierobeam noch sein Weib thnten Buße für ihre
Sünden, weil ihr Kind heim zu Gott genommen wurde. Ich mag hier zu
einigen sprechen, die einen Liebling verloren haben, in dem die Gnade
Gottes von Jugend auf war. Wollt ihr den Nutzen einer Prüfung, die euch
so teuer zu stehen kommt, verlieren? Soll euch solch bittere Arznei vergeblich
gereicht werden? Es ist eine große Anziehungskraft zum Guten in einem
lebendigen Kinde, vielmehr noch follte sie in einem sterbenden sein. Ein
Matrose landete eines Tages in New 3)ork und sagte: „Ich will mir einen
lustigen Tag machen, ehe ich wieder zur See gehe." Es war Sonntag-Morgen,
und in dem Wahnwitz seiner Gottlosigkeit trat er an ein Mädchen heran, das
in ihre Sonntagsklasse ging und sprach böse und spottende Worte zu ihr.
Sie waudte sich um, sah ihn mit ihren schönen, traurigen Augen an und
sagte: „Herr, Sie werden mir vor dein Nichterstuhl Gottes gegenüber treten
müssen!" Der Matrose fuhr zurück, kehrte um und ging, so schnell er konnte,
zu seinem Schiff zurück. Er fagte später: „Ich erhielt nie im Leben eine
solche Nüge, wie dies Mädchen mir gab, sie beschoß mich von vorn und hinten
und warf jedes Segel und jeden Spieren über Vord, die ich zu einer gottlosen
Kreuzfahrt bereit hatte." Er fiel auf seine Kniee, that Buße für seine Sünden
und fand den Heiland. Soll ein fremdes Kind solche Macht durch Blick und
Wort haben, und soll euer eigen Kind keinen Eindruck durch seinen Tod auf
euch machen? Ein Vater fluchte eines Tages entsetzlich: er war oft dafür ge<
tadelt worden, hatte indes nie den Tadel gefühlt; aber als er bei dieser Ge»
legenheit einen schrecklichen Ausdruck gegen seine Frau gebrauchte, lief seine
kleine Tochter erschrocken hinter die Thür und fing an zu weinen. Sie
schluchzte laut, bis ihr Vater sie hörte. Er sagte zu ihr: „Warum weinst
du?" „Bitte, Vater," sagte sie und fuhr fort zu weinen. Errief barsch aus:
„ I c h will wissen, warum du weinst;" und das Kind erwiderte: „Lieber Vater,
ich weine, weil ich so bange bin, daß du in die Hölle kommen wirst, denn
unser Lehrer sagt, daß die Flucher dorthin kommen." „ N u n , " sagte der
Mann, „trockne deine Augen, Kind, ich will niemals wieder fluchen." Er hielt
sein Wort und ging sehr bald hin, um zu sehen, wo seine Tochter ihre heilige
Lektion gelernt hatte. Nun, wenn lebende Kinder bei den Nohesten durch ihre
Thränen den Sieg gewinnen können, so sollte dein teures Kind, mit dessen
Locken du zu spielen pflegtest, das aber nun heim zum Himmel genommen ist,
Abia oder: Etwas Gutes vor dem Herrn. 6t)3

dein Herz rühren, wenn du nicht auf dem Wege zur Herrlichkeit folgst! Dein
Kind winkt dir voll droben und bittet dich: „Komm hier hinauf." Willst
du dich wegwenden? Es ist nur ein Weg: es ist der Glaube an Iesum,
durch den die Menfchen errettet werden. Möge Christus, der Herr, dich jetzt
dahin führen, wenn du uubekehrt bist, uud möge noch an diesem Tage
„etwas Gutes vor dein Herrn, dein Gott Israels, in dir erfunden werden."
Amen.
604 Alttestamentliche Bilder.

41
Eine Lehre aus dem Leben des
las
„Hierin hast du thörlich gethan, darum wirst du auch von nun
an Kriege haben." 2 Chron. 16, 9.

Unser Text führt uns dazu, von geschichtlichen Dingen zu sprechen,


und hierfür mache ich durchaus keine Entschuldigung, obwohl ich zuweilen sehr
thörichte Christen von dem geschichtlichen Teil der Bibel geringschätzig habe
sprechen hören. Gedenkt daran, daß die historischen Bücher fast die einzigen
heiligen Schriften waren, welche die alten Heiligen besaßen; und aus diesen
lernten sie den Willen Gottes. David sang von der Glückseligkeit des
Mannes, der seine Freude au dein Gesetz des Herrn hat, doch hatte er nur
die ersten fünf Bücher und vielleicht Iosua, Nichter uud Ruth, alles geschicht»
liche Bücher, über die er Tag uud Nacht nachdachte. Der Psalmist selbst
sprach mit großer Liebe von diesen Büchern, welche für ihn die einzigen Ge'
fetze und Zeugnisse des Herrn waren mit Hinzufügung des Buches Hiob viel-
leicht. Andre Heilige hatten ihre Freude an den Geschichten des Wortes
Gottes, ehe die mehr geistlichen Bücher ihnen überhaupt in die Hände kamen.
Wenn sie richtig betrachtet werden, so sind die Geschichten des Alten Testaments
voller Unterweisung. Sie liefern uns sowohl Warnungen als Vorbilder in
dem Gebiete praktischer M o r a l ; und in ihren Buchstaben verborgen liegen
gleich Perlen in Muschelschalen große, in Bilder und Allegorien gekleidete
geistliche Wahrheiten. Ich kann von dein am wenigsten wichtigen all dieser
Bücher sageu, was uuser Herr von den Kindern sagte: „Sehet zu, daß ihr
nicht jemand von diesen Kleinen verachtet." Von der Heiligen Schrift etwas
abthun, ruft einen Fluch auf die verwegene That herab: mögen wir uns
niemals die Strafe zuziehen! Alle Schrift ist durch Inspiration gegeben und
ist nützlich; laßt uns Nutzen daraus ziehen. W i r wollen sehen, ob wir nicht
eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa entnehmen können.
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 605

W i r wolle» damit anfange», daß wir beachten, w e r e r w a r u n d


w a s e r i n seinen besseren T a g e n g e t h a n h a t t e , denn dies wird uns
helfen, den Fehler klarer zn verstehen, in den er fiel. Er war ein Mann,
von dein es heißt, daß sein Herz rechtschaffen vor dein Herrn war sein leben»
lang. Es ist etwas Großes, wenn dies von jemand gesagt wird; in der
That, es ist das größte Lob, das über einen sterblichen Menschen ausgesprochen
werden kann. Wenn das Herz, die Absicht, die herrschende Neignng recht ist,
so wird der Mensch für einen guten Menschen vor dem Herrn gerechnet, un>
geachtet tausend Dinge da sein mögen, die nicht lobenswert sind — ja, und
einige Dinge in seinem äußeren Wandel, die tadelnswert sind. Assa war in
dein früheren Abschnitt seines Lebens dadurch bemerkenswert, daß er den
Gottesdienst wieder einrichtete und mit großem Fleiß durchführte, obgleich seine
Mutter götzendieuerisch war und sein Vater Abia wenig besser. Er hatte in
seiner Jugend keine Erziehung genossen, die ihn richtig leiten konnte, sondern
eine ganz entgegengesetzte; doch war er sehr entschieden, selbst in den ersten
Tagen seiner Negierung, für den Herrn, seinen Gott, und handelte in allen
Dingen mit dem ernsten Wunsche, Jehovah zu ehren und sein Volk von allen
Götzen hinweg zur Anbetung des wahren Gottes zu führen. Nun, ein Leben
kann gut beginnen und doch vor seinem Schlüsse getrübt sein; das Grüu der
ersten Frömmigkeit mag zum dürren und gelben Vlatt der Nückfälligkeit ver-
welken. W i r mögen die Gnade Gottes in unsren jungen Tagen besitzen, aber
falls wir nicht Tag für Tag Hilfe von oben haben, so können tote Fliegen
die Salbe verunreinigen uud den süßen Duft unsres Lebens verderben. W i r
werden es nötig haben, gegen die Versuchung zu wachen, so lange wir in
dieser Wüste der Sünde sind. I m Himmel erst sind wir außer Schußweite
des Teufels. Obgleich wir auf den Wegen des Herrn erhalten fein mögen,
wie Assa es war, fünfzig oder sechzig Jahre lang, so werden wir doch, wenn
der Herr uns einen einzigen Augenblick verläßt, seinem heiligen Namen Un>
ehre machen.
I n der Mitte seiner Negierung ward Assa durch eine sehr ernste Gefahr
auf die Probe gestellt. Er wurde von den Äthiopiern angegriffen, die in
mächtigen Scharen gegen ihn heranzogen. Was für ein Heer, das gegen das
arme, kleine I u d a aufgestellt ward — eiue Armee von einer Million Fußvolk
und dreihundert Wagen! Das ganze Heer, was Assa aufbieten konnte, —
uud er that sein Bestes — war nur kleiu im Vergleich zu dieser mächtigen
Armee; und es schien, als wenn das ganze Land aufgefressen werden sollte,
denn es waren geuug Menschen da, um Iudäa handvollweise wegzutragen.
Aber Assa glaubte au Gott und befahl deshalb, nachdem er feine kleine Schar
gemustert hatte, die Schlacht dem Herrn, seinen! Gott. Leset aufmerksam das
ernste, gläubige Gebet, das er darbrachte. „Und Assa rief an den Herrn,
(i06 Alttestamentliche Bilder.

seinen Gott, und sprach: Herr, es ist bei D i r kein Unterschied, helfen unter
vielen, oder da keine Kraft ist, hilf uns Herr, unser Gott, denn wir verlassen
uns auf Dich, und in Deinem Namen sind wir gekommen, wider diese Menge.
Herr, unser Gott, wider Dich vermag kein Mensch etwas." Wie großartig
warf er seine ganze Bürde auf den Herrn! Er erklärte, daß er auf den
Höchsteu baute, und glaubte, daß Gott den Sieg ebensowohl durch wenige und
schwache Leute, als durch eiue ungeheure Armee geben könne; nach diesem
Gebet zog er mit heiliger Zuversicht iu die Schlacht, und Gott gab ihm den
Sieg. Die Macht Äthiopias ward vor ihm gebrochen, und Judas Heere
kehrten mit Beute beladen zurück. I h r hättet uicht gedacht, daß ein Mann,
der diese große That vollenden konnte, ein wenig später voll Unglauben
werden würde; aber der größte Glaube von gestern wird uus uicht für heute
Vertrauen geben, wenn nicht die frischen Quelle», die in Gott sind, aufs
neue überfluten. Sogar Abraham, der zu einer Zeit „nicht zweifelte an der
Verheißung Gottes durch Uuglauben," zweifelte eine Weile nachher in einer
weit weniger schwierigen Sache. Die größten Knechte Gottes sinken bald,
wenn der Herr sein Angesicht verbirgt, sogar unter die geringsten hinab; alle
Stärke des Stärksten liegt in I h m .
Nachdem Assa so durch göttliche Kraft einen großen Sieg erruugen hatte,
wurde er nicht stolz, wie mauche es werden, sondern begann, einer prophetischen
Warnuug gehorsam, sein Land durch eine gründliche Reformation zu reinigen;
er that es, uud that es gut. Er zeigte keine Parteilichkeit für die Reichen
und Großen seines Landes, die der Anbetung falscher Götter schuldig waren,
denn die KönigiN'Mutter war eine große Befördern, der Abgötterei, und hatte
einen eignen Hain mit einen: Tempel darin, in den: ihr eignes, besonderes
Götzenbild war; aber der König setzte sie von ihrem Amte ab, nahm ihren
Götzen, und zerbrach ihn nicht nur, sondern zerstieß und verbraunte ihn mit
allen Zeichen der Verachtung am Bach Kidron, in den die Abzugskanäle des
Tempels flössen, um das Volk wissen zu lassen, daß weder an hohen Stätten
noch bei den Armen im ganzen Lande etwas übrig bleiben sollte, das den
Herrn erzürnen könnte. Dies war gut gethan. O, daß eine solche Refor»
mation in diesem Lande stattfände, denn das Land fängt an, mit Götzen und
Messe«Häuseru bedeckt zu werdeil! Überall errichten sie die Altäre ihrer Brot»
gottheit, Schreine für die Königin des Himmels, das Kruzifix und die Heiligen,
während die geistliche Verehrung Gottes beiseite gesetzt wird, um Platz zu
machen für eitle Schaustellungen und geistliche Maskeraden. Der Gott der
Reformation — wie sehr ist er heutzutage vergessen. O, daß die Tage des
J o h n Knox und seiuer Coveuauter zurückkehrte» l Assa war für eine
radikale Reform und führte sie tapfer durch. I h r hättet nicht gedacht, daß
ein so gründlicher Mann — ein Mann, der, wie vorzeiten Levi, seine eigne
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. (i()7

Mutter nicht kannte, wenn es den Dienst Gottes betraf, sondern gerade durch'
ging, wie man es nennt — ihr hättet nicht vorausgesetzt, daß er der Mann
sein würde, der, als er in eine andre Not geriet, hinter einem Götzendiener
herlief, vor ihm sich krümmte, und ihn uni seine Hilfe bat. Ach, die besten
Menschen sind im besten Falle Menschen. Gott allein ist unveränderlich. Er
allein ist immer gut oder überhaupt gut. „Es ist niemand gut, denn der
einige Gott." W i r sind nur gut, soweit Er uns gut macht, und wenn feine
Hand auch nur auf eiueu Augenblick zurückgezogen wird, so weichen wir seit'
wä'rts wie ein trügerischer Vogen oder ein gebrochener Knochen, der schlecht
eingerenkt ist. Ach, wie bald sind die Mächtigen gefallen, und die Kriegs»
waffen zerbrochen, wenn der Herr nicht aufrecht hält!- Assa, der staunens»
werte Dinge thun konnte, und der so gut und richtig vor seinem Gott wandelte,
kam desungeachtet dahin, thöricht zu haudeln, und sich lebenslange Züchtigung
zuzuziehen.
Ich habe euch so seinen Charakter dargestellt, weil es sich gebührte,
damit anzufangen; wir waren es feinem Andenken und uns selber schuldig,
denn wir müssen daran gedenken, daß er, was wir auch gegen ihn zu sagen
haben werden, doch sicherlich ein Kind Gottes war. Sein Herz war recht;
er war ein aufrichtiger, echter, begnadigter Gläubiger. Wenn jemand einwirft,
daß er große Fehler hatte, und deshalb kein Kind Gottes fein konnte, so bin
ich gezwungen, zu antworten, daß man zu allererst ein fehlerlofes Kind Gottes
auf dieser Seite des Himmels vorzeigen müsse, ehe man hinreichenden Grund
zu einem solchen Einwurf hat. Ich finde, daß die heiligsten Männer in der
Schrift ihre Unvollkommenheiten hatten, mit alleiniger Ausnahme uusres Herrn,
des „Apostels und Hohenpriesters, den wir bekennen," in dem keine Sünde
war. Seine Kleider waren weißer, als ein Färber sie machen kann, aber alle
seine Diener haben ihre Flecken. Er ist Licht, und in I h n : ist keine Finsternis,
aber wir mit aller Helligkeit, die seine Gnade uns gegeben hat, sind im
besten Falle nur armselige, trübe Lampen. Ich mache nicht einmal eine Aus-»
nähme mit denen, die Vollkommenheit beanspruchen, denn ich habe nicht mehr
Glauben an ihre Vollkommenheit, als an des Papstes Unfehlbarkeit. Es
ist genug von dem irdenen Gefäß an den besten Knechten Gottes übrig,
um zu zeigen, daß sie irden sind und daß die Herrlichkeit des himmlischen
Schatzes göttlicher Gnade, die in sie gelegt ist, von Gott ist und nicht von
ihnen selbst.
So wollen wir uns wenden zu d e m schweren I r r t u m , i n d e n
A j s a f i e l , der Thorheit, die der Prophet an ihm rügte. Er ward von Vaesa,
dem König des angrenzenden Landes I s r a e l , bedroht; es ward ihm nicht direkt
der Krieg erklärt, aber Vaesa begann eine Festung zu bauen, welche die Pässe
zwischen den beiden Ländern beherrschen und das Volk Israel hindern sollte.
608 - Alttestamentliche Bilder.

sich in dein Land Inda niederzulassen oder feine jährlichen Pilgerfahrten nach
Jerusalem zu machen. Nun hätte man natürlich nach Assas früherem Ver-
halten erwarten sollen, daß er entweder sehr wenig sich um Vaesa gekümmert
oder sonst die Sache vor Gott gebracht hätte, wie er es in der Sache der
Äthiopier that. Aber dies war eine sehr viel kleinere Not, und ich denke,
eben weil es eine kleine Not war, so meinte Assa, daß er sich sehr gut selbst
durch den Beistand eines Armes von Fleisch heraushelfen könne. Damals
beim Einbruch zahlloser Horden Äthiopier muß Assa gefühlt haben, daß es
nichts nützen würde. Bell Hadad, den König voll Syrien, herbei zu rnfen
oder eins der andren Völker um Beistand zu bitten, denn mit all ihrer Hilfe
wäre er nicht dem furchtbaren Kampfe gewachsen gewesen. Deshalb wurde er
zu Gott getrieben. Aber da dies eine kleinere Prüfung war, scheint er nicht
so ganz das Vertrauen ans Menschen aufgegeben zu haben; sondern schaute
umher und dachte, daß Ben Hadad, der heidnische König von Syrien, dahin
gebracht werden könnte, den König von Israel anzugreifen; und dadurch
würde er ihn hindern, die neue Festung zu baue», würde seine Aufmerksamkeit
teilen, seine Hilfsquellen verringern und I u d a eine schöne Gelegenheit geben,
ihn zu bekriegen. Gläubige handeln oft schlechter in kleinen Prüfungen als
in großen. Ich habe einige Kinder Gottes gekannt, die mit Gleichmut den
Verlust von fast allem, was sie besaßen, getragen hatten, aber beunruhigt und
außer sich waren, und zu aller Art von Zweifel und Mißtrauen gebracht
wurde» durch Leiden, die kaum des Rennens wert waren. Wie kommt es,
daß Schiffe, die einen Orkan aushalten, nichtsdestoweniger auf eine Sand»
bank getrieben werden können, wenn uur eine Handvoll Wind da ist, daß
Schiffe, die den breiten Ozean durchsegelt haben, doch in einein schmalen Strom
imtergegangen sind? Es beweist nur, daß nicht die Stärke der Prüfung die
Hauptsache ist, sondern das Haben oder NichtHaben der Nähe Gottes; denn
in der großen Prüfung durch die Äthiopier gab Gottes Gnade dem Assa
Glaube», aber in der kleinen Prüfung durch Vaesa, König von Israel, hatte
Assa kleinen Glauben und begann sich nach Menschenhilfe nmzusehe».
Beachtet, daß Assa au Ben Hadad, den König der Syrer, sich wandte,
der ein Verehrer eines falschen Gottes war, mit dem er durchaus keine Ver»
bindung und kein Bündnis hätte haben sollen; und was noch schlimmer war,
er verleitete Ben Hadad dazu, seinen Bund mit Vaesa zu brechen. Hier
war ein Kind Gottes, das die Ungöttlichen lehrte, unwahr zu sein, ein Mann
Gottes, der ein Lehrer für Satan ward nnd einen Heiden lehrte, seinem Ver«
sprechen untreu zu werdeu. Dies war Politik. Es ist die Art, wie die Könige
der Erde gegeneinander handeln; sie sind stets bereit, Verträge zu brechen,
obgleich durch die feierlichsten Versicherungen gebunden. Sie uehmen es leicht
mit Bündnissen. Die größte Aufgabe für Gesandte ist selbst heutzutage, zu
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa.

sehen, wer den andren in Verwicklungen bringen kann, denn wie ein Staats«
mann einmal sagte: „Ein Gesandter ist ein M a n n , der in fremde Länder ge-
sandt wird, nm zum Besten seines Landes zu lügen." O, die Kniffe, Komplotte,
Trügereien, Zweideutigkeiten und Intriguen der Diplomatie! Kein Kapitel in
der menschlichen Geschichte zeigt unsre gefallene Natur in traurigere» Farben.
Assa dachte ohne Zweifel, daß im Kriege alles erlaubt sei. Er nahm die all-
gemeine Regel, den allgemeinen Maßstab der Menschen und richtete sich
danach; während er als ein Kind Gottes alles hätte verschmähen sollen, was
unehrenhaft oder uuwahr war; und zu eiuem heidnischen König sagen: „Brich
deinen Bund mit Vaesa und mache einen Bund mit mir" — nun, wenn sein
Herz in richtigen! Zustande gewesen wäre, so hätte er lieber seine Zunge ver»
loren, als solche schmähliche Worte geäußert. Aber, Kiud Gottes, wie er es
war, als er einmal von dem schlichten, einfachen Wege, Gott zu glauben, ab»
gewichen war, da war nicht zu sagen, wie weit er gehen würde. Wenn ihr
den Helm des Schiffes auf den Pnnkt richtet, nach dem ihr zu steuern gedenkt,
llnd geradeaus steuert, was euch auch in den Weg kommt, dann wird eller
Kurs richtig genug fein, wenn ihr eine Triebkraft in euch habt, die von Wind
und Flut unabhängig ist; aber wenn ihr anfangt, nach der einen Seite hin
zu lavieren, so müßt ihr später »lach der andren Seite hin steuern; und wenn
die Politik euch dahiu führt, dies Unrecht zu thun, fo wird sie euch dahin
führen, ein andres Unrecht zu begehen und so weiter bis zu einem bejammerns-
werten Grade. Wenn unser Wandel mit dem Herrn ist, so ist es ein sicherer,
heiliger, ehrenvoller Wandel, aber der Weg des Fleisches ist böse und endet
in Schande. Wenn ihr dem Weg der Welt folgt, fo wird er sich, obwohl
stets ein fehr voller Weg, doch in kurzem als ein elender, krummer, knechtischer,
demütigender, armseliger Weg erweisen, der für den echten Himmelserben ent-
ehrend ist. Staub soll der Schlange Speise sein, und wenn wir die kriechenden,
sich windenden, schleimigen Künste der Schlange üben, so werden wir auch
Staub zu essen haben. Sollte ein Kind Gottes sich in dieser Art erniedrigen?
Wenn ein Christ handelt, wie er handeln sollte, so handelt er wie ein Edel,
mann, nein, wie ein Prinz von dem königlichen Blute des Himmels, denn ist
er nicht ein Sohn Gottes, einer von echten: Adel des Himmels? Aber wenn
er dazu herabsinkt, zu haudeln, wie Weltlinge es thun, so besteckt er seine
Kleider mit Schmutz. Ich beschwöre euch, meine lieben Brüder und Schwestern,
achtet wohl hierauf. Vielleicht spreche ich als Gottes Mund zu euer einigen,
die eben jetzt in eine Prüfungszeit eintreten, ein Leid in der Familie, ein
Unglück im Geschäft oder eine Schwierigkeit hinsichtlich einer beabsichtigten
Heirat, ihr fragt: „welchen Weg foll ich einschlagen?" I h r wißt, was ein
Weltmensch thun würde, und es ist euch vorgehalten, daß dies für euch der
rechte Weg fein würde. Mein lieber Bruder, erinnere dich, daß du nicht von
T p u l g e u n , Altteslllmeutttche Bilder. 39
l>10 Alttestamentliche Vllder.

der Welt bist, gleichwie Christus nicht von der Welt ist; sieh' zu, daß du dein»
gemäß handelst. Wenn du ein weltlicher Mann bist nnd thust, wie Welt»
menschen thun, so habe ich nichts zu sagen, denn die, welche draußen sind,
wird Gott richten; aber wenn du ein Mann Gottes bist, und ein Erbe des
Himmels, so beschwöre ich dich, folge nicht der Gewohnheit, thue nicht ein
Unrecht, weil andre es thun würden, lind thue nicht ein kleines Vöse um
eines großen Guten willen, sondern fasse deine Seele in Vertrauen und bleibe
dem Gewissen nnd dein ewigen Gesetz der Rechtlichkeit treu. Laßt andre thun,
wie sie wollen, aber ihr selber habt den Herrn immer vor Augen und laßt
Lauterkeit und Aufrichtigkeit euch bewahren. Bittet den Herrn, euch zu helfen.
Steht nicht geschrieben, daß Er die Versuchung ein solches Ende gewinnen
läßt, daß ihr es könnt ertragen? „Wirf dein Anliegen auf den Herrn. Der
wird dich versorgen, und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen."
Strecke nicht deine Hand aus zum Unrecht. D u magst, um dir selbst zu
helfen, in fünf Minuten thun, was du ill fünfzig Jahren nicht auslöschen
kannst; und du magst dir eine lebenslängliche Reihe von Leiden durch eine
einzige ungläubige Handlung zuzieheu. Hüte dich davor, dich auf Ägypten zu
stützen und nach Assyrien um Hilfe zu sendeu, denn diese werden dich Unglück»
lich machen, aber dir nicht helfen. Rufe: „Herr, stärke nur deu Glauben!"
Das ist's, was dir sehr not thut in der Prüfuugsstuude, damit du nicht wie
Assa zuerst dich vom Vertrauen auf Gott abweudest und dann beim Hinsehen
auf einen Ann von Fleisch versucht wirst, unerlaubte Mittel zu gebrauchen,
um den Beistand von Menschen zu gewinnen.
Assa that, nachdem er so weit auf dein unrechten Pfade vorwärts ge-
schritten war, noch Schlimmeres, wenn es etwas Schlimmeres geben kann;
denn er nahm das Gold und Silber, das zum Hause des Herrn gehörte, um
damit das Bündnis des syrischen Monarchen zu erkaufen. Ich will nichts
von dem sagen, was zu seiuem eignen Hause gehörte. Er konnte damit thun,
was er wollte, so lange er es nicht zu sündlichen Zwecken verwandte, aber er
nahm von dem Schatze, der zum Hause des Herrn gehörte, und gab es Ben
Hadad, um ihn zu besteche», daß er seineu Bund mit Vaesa bräche und mit
ihm ein Bündnis mache. So ward Gott beranbt, damit der ungläubige
König Hilfe in einem Arm von Fleisch fände. „ W i l l ein Mensch Gott be»
rauben?" Doch zweifelt ein Christ nie an Gott und vertraut nie auf das
Geschöpf, ohne Gott zu berauben. Wenn ihr Gott nichts andres ranbt, so
raubt ihr I h m seine Ehre. Soll ein Vater finden, daß sein Kind einem
Fremden mehr vertraut.als ihm? Soll der Gatte schell, daß seine Gattin
Vertrauen auf seinen Feind setzt? Wird das ihm nicht etwas rauben, was
köstlicher ist denn Gold? Ist es nicht ein Bruch jener ungeteilten Zuneiguug
und jenes vollständigen Vertrauens, das in der Ehe stattfinden sollte? Und
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 611

soll ich meinem himmlischen Vater, meinem allmächtigen Helfer mißtrauen nnd
ans ein armes, zerbrochenes Nohr Vertraue» setze»? Soll ich meine Last auf
einen armen Mitsünder werfen und vergessen, auf meinen Heiland zu bauen?
Soll der Freund meiner Seele nur mein Zutrauen bei schönem Wetter haben,
und soll ich eine so schlechte Meinnng von I h m hegen, daß ich, sobald ein
kleiner Sturm sich erhebt, zu einem andren laufe uud ihn bitte, mein Schutz
zu seill? Geliebte, laßt es nicht so mit uns sei», sonst werden wir sicherlich
den Herrn betrüben und uus in Not bringen. Sind wir dessen nicht schon
genug schuldig gewesen? Solle» wir den Herrn zur Eifersucht reizen? Sind
wir darauf erpicht, seineu Heiligen Geist zu betrüben? Können wir nicht
Assa nns znr Warnung dienen lassen? Vrauchen wir auf diesen Felsen zu
renne», we»» wir ruud umher deu Schiffbruch cmdrer sehe» ? Der Herr gebe,
daß wir u»s hüte» »löge» seinem Wort gemäß.
So siel dieser fromme M a n n durch seinen Mangel an Glaube» in viele
Sünde»: de»» ich bin gezwungen, hinzuzusetzen, daß er die Schuld für die
Folgen seines Verhaltens zu tragen hatte; als Ben Hadad, der König von
Syrien, hinaufzog und Israel angriff, begnügte er sich »icht mit ein oder zwei
Schlachten, sondern sing an, die Israeliten zu plündern uud sie massenweise
z» morden, so daß großes Leid über das Volk I s r a e l gebracht wurde. Uud
wer anders war daran schuld, als der König vou I u d a , der die Syrer gerade
zu diesem Zwecke gedungeu hatte? Er, der de» Israelite» ei» Bruder hätte
sei» sollen, ward ihr Verderber, und jedesmal, wenn das grausame Schwert
der Syrer die Weiber und die Kinder Israels schlug, hatte das arme, un-
glückliche Volk dieses Assa zu danken. Der Anfang der Sünde gleicht dem
Auslassen der Wasser; niemand kann vorhersehen, welche Zerstöruugen die
Fluten verrichten werden. Brüder, wir können niemals sagen, was die Folgen
einer einzigen unrechtlichen Handlung sein werde»; wir mögen ein Fener in
dem Walde anzünden, bloß um unsre Hände zu wärmen, aber wohi» die
Funken fliegen und über wie viele Meilen der Brand sich verbreiten »lag,
kann ein Engel »icht vorhersage». Laßt u»s ängstlich uns von jeder zweifel»
haften That fernhalten, damit wir keine bösen Folgen auf uns und andre
bringen. Wenn wir keine Zündhölzer bei uns tragen, so werden wir keine
Explosionen verursache». O, daß wir heilige Ängstlichkeit, tiefe Gewissenhaftig'
leit hätte» »»d vor allem ernste Gewissenhaftigkeit im Punkt des Glaubens!
Auf de» Herrn vertrauen — das ist unser Geschäft; uns uur auf I h n ver»
lasse» — das ist unsre einzige Sorge. „Meine Seele harret nur auf Gott, denn
Er ist meine Hoffnung." Unglaube ist au sick) selbst Abgötterei; Unglaube
führt uns dahin, auf das Geschöpf zu trauen, was Thorheit ist; auf das Geschöpf
trauen heißt in Wahrheit, das Geschöpf anbeten, es an Gottes Stelle setzen
und so Gott betrüben und einen Nebenbuhler an dein heiligen Ort aufrichten.
39«
612 Alttestamentliche Vilber.

Ich wünsche, daß ihr noch eine kleine Weile dieser Geschichte von Assa
zuhörtet. Es geschah, daß Assas Dingen des Ben Hadad sich als eine schöne
Sache für ihn erwies, nnd nach dem Urteil eines jeden, der znschaute, war es
gewiß ein glücklicher Griff von ihm. Nach Gottes Urteil war des Königs
Verfahren böse, aber politisch erwies es sich nicht schlecht für ihn. Nun, viele
Leute in der Welt beurteilen Handlungen nach ihren unmittelbaren Folgen.
Wenn ein Christ etwas Unrechtes thut, und dabei Erfolg hat, so schließen sie
sofort, daß sein Thuu gerechtfertigt sei; aber ach, Brüder, dies 1st eine arm»
selige, blinde Art, die Handlungen der Menschen uud die Vorsehung Gottes
zu beurteilen. Wißt ihr nicht, daß es Fügungen des Teufels gibt, ebensowohl
wie Füguugen Gottes? Ich meine dies so: Jona wollte nach Tarsis gehen,
um vor Gott zu fliehen, und ging nach Iapho; und was nun? Wohl, er
fand ein Schiff, das gerade nach Tarsis ging. Was für eine Füguugl Was
für eine Füguugl Seid ihr so thöricht, es in diesen! Lichte anzusehen? Ich
glaube nicht, daß Jona der Meinung war, als er zu Gott aus der Tiefe
schrie. Als die Hohenpriester und Pharisäer Iesum gefangen nehmen wollten,
fanden sie Judas bereit, I h n zu verrate». War dies auch eine Fügung!
Mag nicht Satan eine Hand dabei im Spiel haben, wenn die Waffe der
Hand des Mörders so nahe gelegt oder Raub und Betrug so leicht gemacht
wird? Haltet ihr es für ein Beispiel der göttlichen Güte, daß das Unkraut
oft reichlich wächst, wenn.der Weizen von der Dürre leidet? Oft haben wir
Leute beobachtet, die etwas Unrechtes zu thun wünschten, und die Sachen
fügten sich gerade so, daß ihnen dabei geholfen ward; uudsiesprachen des»
halb: „Was für eine Fügung!" J a , aber eine Fügung, die prüfe» und auf
die Probe stellen, nicht eine, die beim Begehen eines Unrechts helfen uud Vor-
schub leisten sollte, eine Fügung, deren wir uns nicht zu freuen haben, sondern
betreffs welcher uns gelehrt ist, zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns vom Übel." Ein Unrecht ist ein Unrecht, was auch danach
kommt. Wenn du durch eine Lüge auf immer ein reicher Mann werden
könntest, so würde das die Natur der Lüge uicht ändern. Wenn du durch
eine unredliche Handlung dich von allen geschäftlichen Verbindlichkeiten frei
machen und fortan in wohlhabenden Umständen sein könntest, so würde das
vor Gott nichts von der Schärfe des Bösen hinwegnehmen, nein, nicht ein
einziges Iota. Es gefiel Gott aus weisen Gründen, die Politik seines Knechtes
Afsa gelingen zu lassen, aber jetzt werden wir sehen, daß Assa in eine schlimmere
Lage denn je dadurch versetzt ward.
Die Prüfung seines Sinnes, die Probe seiner unwandelbaren Treue, ob
er vor Gott wandelu wolle oder nicht, wurde streuger als zuvor, denn Gott
sandte seinen Knecht, den Propheten, zu ihm, der zu ihm sprach: „Waren
nicht der Mohren uud Libyer eine große Menge? Doch gabsieder Herr in
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 613

deine Hand, da du dich auf I h n verließest. Und nun du von deinem Glauben
abgewichen bist, hast du dadurch einen großen Segen verloren; denn wenn du
Gott vertraut hättest, wärst du in den Krieg gezogen gegen Vaesa und Ben
Haded, und hättest sie beide geschlagen, und dein eignes Königreich wäre stark
geworden durch das Niederwerfen dieser Nebenbuhler. Aber du hast das ver«
loren; du hast sehr thöricht gehandelt, und Gott will dich dafür züchtigen,
denn von diesen! Tage an wirst du keinen Frieden mehr haben, sondern Krieg,
so lange du König bist." Nun beachtet, wenn König Assa in Not gekommen
wäre, als er in einer nicht zu rechtfertigenden Weise handelte, so wäre er
ohne Zweifel demütig gewesen. Dann hätte er gesehen, wie unrecht er gethan,
und hätte es bereut; aber da sein Thun kein Unglück mit sich brachte, und
Gott ihn nicht dafür züchtigte, fo wnrde des Königs Herz stolz, und er sagte:
„Wer ist dieser Mensch, daß er kommt und seinem König seine Pflicht vorhält?
Denkt er, daß ich nicht ebensowohl wie er weiß, was recht und was unrecht
ist? Legt den anmaßenden Eindringling ins Gefängnis." Als ein Prophet
zu Nehabeam, der ein schlechter König war, kam, warf Rehabeam ihn nicht
ins Gefängnis; er achtete und ehrte das Wort des Herrn. Ein schlechter
Mensch mag bei einer besonderen Gelegenheit besser handeln, als ein guter;
so handelte Nehabeam ill dieser Sache besser, als Assa es that. Aber Assa
war nun ganz ans verkehrtem Weg, er war hochfahrenden, trotzigen Sinnes;
und dies ist nnr, was wir erwarten konnten, denn wenn ein Mensch vor
seinen Mitmenschen kriecht, so könnt ihr gewiß sein, daß er beginnt, vor Gott
stolz zu wandeln. I n dem Hochmut seines Herzens legte er den Propheten
ins Gefängnis. Statt zu weinen und sich zu demütigen um deswillen, was
er gethan, kerkerte er seinen Warner ein; und darauf begann er in seiner ge>
reizten Stimmung und herrschsüchtigen Laune, etliche seines Volks zu unter»
drücken. Ich weiß nicht, wer diese waren, aber wahrscheinlich waren es gottes»
fürchtige Leute, die mit dem Propheten fühlten und sagten: „Es wird sicher
ein furchtbares Gericht über uns kommen, weil wir so gegen den Knecht
Gottes handeln." Vielleicht sprachen sie sich frei darüber aus, und deshalb
legte er auch sie ins Gefängnis. S o wurde ein Kind Gottes der Verfolger
eines Knechtes Gottes und andrer Gläubigen. O, es war sehr traurig, sehr
traurig! Wohl mochte Gott da beschließen, daß der Zornige sehr schwer für
seine Fehler leiden, und daß die Nute sein eignes Fleisch und Bein treffen
sollte, und seine noch übrigen Tage voll Schmerzen machen. O geliebte
Freunde, unter euren ernstlichen Gebeten laßt dies sein, daß Gott nie euren
Sünden Gedeihen geben möge; denn sonst werden sie einen kalten Brand in
eurem Herzen erzeugen, der zu noch gefährlicheren Krankheiten der Seele
führen, und euch ilnvermeidlich ein trauriges Erbe von Trübsalen übermitteln
wird. Gott schlägt nicht immer seine Kinder in der nächsten Minute, nachdem
614 Alttestamentliche Vilder.

sie Unrecht gethan; zuweilen sagt Er ihnen, daß die Rute kommen wird, und
läßt sie so durch die Furcht davor leiden, noch ehe sie es in Wirklichkeit thnn,
denn sie denken daran, was wohl kommen werde, und das mag ein größeres
Leid für sie sein, als das Leiden selbst. Aber so gewiß sie sein eignes, er»
wähltes Volk sind, müssen sie gelehrt werden, daß die Sünde ein überaus
großes Übel ist, und sie sollen keine Freude all ihrem Liebäugelu mit ihr
haben.
So habe ich euch gezeigt, wer Assa war, in welche Fehler er geriet, und
wie diese ihn zu andren Fehlern leiteten; nnd nun haben wir zu zeigen, was
G o t t m i t i h m t h a t , a l s E r i h n zur strengen Rechenschaft zog. „ N u n , "
scheint Er zu sagen, „will ich ihn selbst in die Hand nehmen," und Er sandte
ihm eine Krankheit in seine Füße — eine sehr schmerzhafte Krankheit dazu.
Er hatte Tag und Nacht zu leiden; er ward davon gequält, uud hatte keine
Ruhe. Gottes eigne Hand war schwer auf ihm; mauche von uns wissen aus
Erfahrung, daß Krankheit an den Füßen ein sehr schweres Leiden werdeil kann,
so schwer wie nur irgend eins, es sei denn Krankheit des Gehirns. Nun
lernte der König, daß gestickte Pantoffeln gichtischen Fnßen keine Erleichterung
geben können, und daß der Schlaf flieht, wenn Krankheit die Herrschaft hat.
Dies hätte Assa zur Buße treiben sollen, aber Trübsale an sich bringen den
Menschen nicht zurecht, uud Assa war iu einen so ungläubigen Gemütszustand
geraten, daß er, anstatt Gott um Hilfe zu bitten, nnd nm Erleichterung I h n
anzurufen, der die Krankheit gesandt, nach den Ärzten schickte. Es ist nicht
unrecht, die Ärzte kommen zu lassen, es ist durchaus recht; aber es ist sehr
unrecht, nach den Ärzten zu senden anstatt Gott zu rufen, und so der mensch»
lichen Kraft den Vorzug vor der göttlichen zu geben; außerdem ist es sehr
wahrscheinlich, daß diese Ärzte nur heidnische Beschwörer, Geisterbanner und
vorgebliche Zauberer waren, und nicht zu Rat gezogen werden konnten, ohne
den Patienten in ihre bösen Künste zu verwickeln. Obwohl Assa mit ihrem
Heidentum nicht übereinstimmen konnte, so mochte er doch denken: „Wohl, sie
sind berühmt wegen ihrer Kuren, und es kümmert mich nicht soviel, wer sie
sind; ich will das übersehen; wenn sie mich heilen können, mögen sie kommen."
So brachte ihn sein Unglaube um die Heilung, die Gott ihm schnell genug
gewährt haben könnte, er hatte feine Ärzte lind ihre Arzneien, aber sie waren
ihm leidige Tröster, gaben ihm keine Erleichterung, lind verursachten ihm wahr-
scheinlich mehr Leiden, als er ohne sie gehabt haben würde. Sie waren un»
nütze Ärzte, und ihre Medizin eine Betrügerei. Wie oft ist es so, wenn wir
beharrlich von Gott hillwegsehen. Wer Gott hat, hat alles, aber wer alles
außer Gott hat, hat ill Wirklichkeit gar nichts.
Assas Leben war nach dieser Periode ein Leben voll Krieg und Schmerz.
Sein Abend war umwölkt und seine Sonne ging im Uliwetter unter. Habt
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 615

ihr nie den Lebenslauf Davids beachtet? Was für ein glückliches Leben war
dasjenige Davids bis zu einem Punkte h i n ! I n feiner Jugend wnrde er auf
den Bergen gejagt wie ein Nebhuhn, aber er war sehr fröhlich. Was für
freudige Pfalmen pflegte er zu singen, als er ein niederer Hirtenknabe war!
Und da er später als Verbannter in den Höhlen von Engedi weilte, wie Herr»
lich strömte er da Worte der Dankbarkeit und Freude aus! Er war zu dieser
Zeit und noch Jahre nachher einer der glücklichsten Menschen. Aber jene
Stunde, wo er auf dem Dach feines Hauses ging und Bathseba sah und seinen
nnheiligen Wünschen nachgab, machte seinen glücklichen Tagen ein Ende; und
obgleich er ein Kind Gottes war und Gott ihn nie verstieß, so hörte doch sein
himmlischer Vater nie ans, ihn zu züchtigen. Von diesem Tage an ist sein
Lebet» voller Leiden, Leiden durch seine eignen Kinder, eins nach dem andren,
Undankbarkeit von seinen Ullterthanen und Vennruhigung von seinen Feinden.
Trübsale sproßten alls für ihn fo reichlich wie Schierling in den Furchen.
Er wurde ein weinender Monarch statt eines fröhlichen. Der ganze Ton seines
Lebens ist verändert: ein düsterer Schatten ist über sein ganzes B i l d geworfen.
I h r erkennt.ihn als denfelben Mann, aber feine Stimme ist gebrochen; sein
Gesang ist tiefer B a ß , er kann die hohen Noten der Tonleiter nicht ei>
reichen. Von der Stunde an, in der er sündigte, begann er mehr und mehr
zu leiden. So wird es mit uus seil,, wenn wir nicht wachsam sind. W i r
mögen ein sehr glückliches Leben in Christo bis zu diesem Augenblick geführt
haben, nnd wir wissen, daß der Herr uns nicht verwerfen wird, denn Er ver-
wirft nicht feill Volk, das Er zuvor versehen hat; aber wenn wir beginnen,
mit Mißtrauen zu wandeln, unrechte Handlungen zu begehen und seinem
Namen Unehre zu bringen, so mag Er von diesem Augenblicke an sprechen:
„Aus allen Geschlechtern alls Erden habe ich allein ench erkannt; darnm will
ich auch euch heimfuchen in aller eurer Missethat. Weil ich euch lieb habe,
will ich euch züchtigen, denn ich züchtige jeden Sohn, den ich lieb habe. Und
nun, weil ihr so irre gegangen seid, sollt ihr eures eiguen Abweichens satt
werden. Eure Eitelkeiten sollen eure Bekümmernis in allen euren noch übrigen
Tagen eures Lebens werden." Assa scheint keinen Frieden gehabt zu haben,
bis er zuletzt entschlief, und dann, denke ich, war sein Sterbebett ebenso lieb»
lich von Buße und Vergebung durchduftet, wie fein Lager beim Begräbnis
von wohlriechenden Svezereien. Die liebliche Würze der vergebenden Liebe
und des wieder belebten Glaubens war da, und er starb, sich in seinem
Gotte freuend durch das große Opfer; zurückgebracht nach einer Zeit des
Wanderns, endete fein umwölkter Tag zuletzt mit einer ruhigen, hellen Scheide»
stunde. Aber wer wünfcht, so weit abzuirreu, selbst wenn er zuletzt wieder»
gebracht wird? O Brüder, wir wünschen nicht bloß zum Himmel zu gehen,
sondern wir möchten einen Himmel hier auf dem Wege zum Himmel genießen.
616 Alttestamentliche Bilder.

W i r möchten nicht nur „von der Wüste herauffahren," solldern „von der
Wüste herauffahren und nns auf unsren Freund lehnen." W i r wünschen
nicht, selig zu werden, „so doch, als durchs Fener," sondern einen weiten Ein»
gang ius Reich unsres Herrn und Heilandes Jesu ChrisU aufgethau zu haben.
Assas Charakter war dem Volke wohl bekannt, und es liebte und achtete
ihn. Der Fehler, den er begangen, betrübte ohue Zweifel viele der Gottes»
fttrchtigen; aber trotz dessen fühlten sie, daß ein Fehler nicht die Erinnerung
an vierzig Jahre eifrigen Dienstes des Herrn auslöschen dürfe; deshalb liebten
sie ihn und ehrten ihn mit einen« Begräbnis, das eines Königs würdig war,
einem Begräbnis, durch das sie sowohl ihreu Schmerz als ihre Achtung aus«
drückten. Aber möge es nie von dir und mir gesagt werden: „ E r führte ein
gutes Leben; er zeichnete sich aus im Dienste Gottes und that viel; aber es
kam ein unglücklicher Tag, an dem die Schwachheit des Fleisches das innere
Leben überwältigte." O liebe Schwester, wenn du deine Kinder erzogen und
deine Familie um dich her gesehen hast, und sie Beweise vor der ganzen
Welt gewesen sind von der Art, wie du vor Gott gewandelt hast nnd von
deiner Sorgfalt in Erfüllung deiner Pflichten, laß nicht in deinem Alter Un>
Zufriedenheit, Mnrren und Klagen die Oberhand gewinnen, so daß deine
Freunde sagen: „Zuletzt war sie nicht mehr die fröhliche Christill, die sie zu
sein pflegte." Mein lieber Bruder, du bist ein Kaufmann nnd hast einer
großen Menge Versuchungen widerstanden, und bist als ein Mann ehrenhaften
Charakters bekannt, beginne nicht jetzt in einem Augenblick äußerster Ver-
suchung, an deinem Gott zu zweifeln. Möge der Heilige Geist dis) vor einem
so großen Übel bewahren. I n der Zeit deiner Not wirst dn finden, daß der
Herr Iehovah-Iireh (1 Mos. 22, 14) „der Herr stehet," ist. Er ist kein
SchöN'Wetter-Freund, sondern ein Schirm im Sturm, eine Zuflucht im Unge>
witter. Stehe fest im Glauben an I h n . Zweifle nicht an deinem Gott und
thue nicht zweifelhafte Dinge infolgedessen, denn wenn du sie thust, so werden
die, welche die lieben, sagen: „ E r war ein guter Mann, aber er hatte eine
traurige Periode voll Schwäche und Unbeständigkeit, nnd obwohl er dies tief be-
reute, so ging er doch von diesem unglücklichen Tage all lahm zu seinem Grabe."
Was für einen unschätzbaren Heiland haben wir, der solche Sünder,
wie wir es sind, errettet! Was für einen teuren und hochgelobten Herrn
haben wir, der nns nicht verwirft trotz all unsres Gleitens nnd Fallens und
schmachvollen Irregehens. Geliebte, laßt uns nicht so niedrig sein, I h n leicht-
fertig zu betrüben:
„Laßt mich nicht fallen, nicht verzagen,
Bin ich dem Netz der Sünde nah'!
Laß Deinen Geist dem meinen sagen:
Sei stark, ich bin zur Hilfe dal"
Eine Lehre aus dem Leben des Königs Assa. 617

M i t solcher Warnung wie diese von Assa vor unsrett Augen, laßt lins
nicht in der Wachsamkeit nachlassen und uns gefühllos zur Seite wenden.
„Der Gerechten Pfad glänzet wie ein Licht, das da fortgeht und leuchtet bis
auf den vollen Tag." Das ist euer Vorbild, das ist die Verheißung, welche
die Schrift euch vorhält. Haltet sie dein Herrn vor, und strebt sie zu ver-
wirklichen. Laßt uns von Kraft zu Kraft gehen. Laßt uns beten, daß wir
in der Gnade uud Erkenntnis unfres Herrn uud Heilaudes Jesu Christi
wachsen mögen. Wenn wir bisher der Stutzen bedurft haben, äußerer und
sichtbarer Stützen, und nicht im stände gewesen sind, ganz und gar uns auf
Gott zu verlassen, möge der Herr uns helfen, stärker zn werden, so daß wir
keine Krücken mehr brauchen. Mögen wir aufrichtig vor dein Herrn wandeln,
weil wir auf I h n hoffen, anf feine sichere Treue vertrauen und auf die Macht,
welche verbürgt, daß feine Verheißung erfüllt werden wird.
Ich weiß nicht, zu wem ich eiu nötiges Wort sprechen mag, ausgenommen
daß ich weiß, es ist mir selber nötig. Vielleicht sind hier einige, für die es
gerade das Wort ist, das sie brauchen. Lieber Bruder, das Lebeu des Glaubens
ist ein gesegnetes; eines Gläubigen Laufbahn ist eine prüfungsvolle, sie ist eiu
Krieg; aber dennoch, alle Leiden des Glaubens zufammengenommen, gleichen
nicht an Bitterkeit einem Tropfen des Leidens der Sünde oder einem Körnlein
von dem Elend des Unglaubens. Des Königs Hochweg mag rauh fein, aber
die „Nebenvfadswiese" ist auf die Länge doch der rauhere Weg von den
beiden. Es sieht sehr angenehm aus, auf dem grünen Rasen zu gehen, aber
gedenkt daran, nur dem Scheine nach ist der Nebellpfad eben. Die Wege
Christi sind liebliche Wege uud alle seiue Pfade sind Friede, verglichen mit
andren Pfaden in der Welt; und wenn sie es nicht wären — wenn dein
Herrn dienen uns nur in Not nnd Leid führte — ich hoffe, die treue» Herzen
hier, die jnngfräulichen Seelen, die Christus erwählt hat, würden entschlossen
sein, durch Flut und Flammen zu folgen, wenn Jesus voran geht. O Ge<
liebte, möget ihr mit einfachem Glauben den Herrn empfangen! Möget ihr
bezeugen, daß Er das lebendige Wort hat und keiner auf Erden außer I h m !
Weil eure Herzeu schwach und wankelmütig sind, bittet I h n , die Seile seiner
Liebe um euch zu werfen und die Seile eines Menschen (Hos. 1 1 , 4), euch
fest an seinen Altar zn binden, daß ihr nicht von demselben weggehet; denn,
wenn Er euch nicht festhält, fo müßt und werdet ihr sinken und am Ende
Abtrünnige werden. Aber Er wird euch halten, Er wird die Füße seiner
Heiligen bewahren. Nur vertraut nicht ans euch selber. „Wer sich auf sein
Herz verläßt, ist ein Narr." Wenn jemand sagt: „ich stehe," so sehe er zu,
daß er nicht falle. Hütet euch vor jenem Selbstvertrauen und geistlichen
Prahlen, das unter Christen gewöhnlich zu werden anfängt, ja, und unter
einigen der besseren A r t , die selbst mit ihren erreichten Vorzügen prahlen
618 Alttestameutliche Bilder.

können; während sie, wenn sie sich selbst kennten, bekennen würden, daß sie
nichts Besseres sind, selbst im besten Falle, als arme, nackte und elende Sünder
und es nötig haben, auf Iesum zu hoffen, denn sie sind nichts als leere
Prahler ohne I h n , da wir nur in Christo etwas sind. „Wenn ich schwach
bin, so bin ich stark," aber zu keiner andren Zeit. Wenn ich meine, etwas zu
haben, des ich mich rühmen könnte, so bin ich in der That verächtlich; ich
kenne mich selbst nicht und bin stockblind geworden, so daß ich nur sehe,
wovon mein eigner Stolz mich glauben macht, daß ich es sehe. Möge der
Heilige Geist uns demütig erhalten — uns am Fuß des Kreuzes halten —
uns dicht bei der Verheißung halten, auf dem ewigen Felsen fußend und aus»
rufend: „Nichts bin ich, o Herr, nichts; aber D u bist alles in allem. Ich
bin ganz und gar leer: komm und fülle mich. Ich bin ganz nackend: komm
und kleide mich. Ich bin ganz schwach: komm uud verherrliche Deine Macht,
indem D u mich gebrauchst!"
Gott segne euch, lieben Frennde, und wenn einige unter euch sind, die
keinen Gott haben, auf den sie trauen und keinen Heiland, den sie lieben
können, mögt ihr jetzt Iesum suchen! Wenn ihr I h n snchet, so will Er sich
von euch finden lassen; denn wer an I h n glaubt, der ist errettet, wer Christo
vertraut, ist errettet. Vergebung und Errettung werden jeder Seele zu teil,
die ihre Hoffnung an das Kreuz hängt. Möge Gott euch reichlich segnen um
Christi willen. Amen.
Obadja, oder: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit.

42.
Obadja, oder: frühe Frömmigkeit,
hohe Frömmigkeit.
„Dein Knecht fürchtet den Herrn von seiner Jugend ans."
1 Kön. 18, 12.

) c h befürchte, daß Elia nicht hoch von Obadja dachte. Er behandelt


ihn nicht mit besonders großer Niicksicht, fondern redet ihn schärfer an, als
man von einem Mitgläubigen erwarten sollte. Elia war der Mann der That:
kühn, immer an der Front, nichts war da, was er zu verhehlen hatte; Obadja
war ein stiller Gläubiger, wahr und standhaft, aber in einer sehr schwierigen
Stellung, und deshalb gezwungen, seine Pflicht in einer weniger offenen Weife
zu erfüllen. Sein Glaube an den Herrn beherrschte sein Leben, aber er trieb
ihn nicht vom Hofe hinweg. Ich bemerke, daß Elia, felbst nachdem er bei
dieser Zusammenkunft mehr von ihni erfahren hatte, doch von dem Volke
Gottes spricht, als ob er nicht viel auf Obadja und andre seinesgleichen
gäbe. Er sagt: „Sie haben Deine Altäre zerbrochen und Deiue Propheten
mit dem Schwert erwürget; und ich bin allein übriggeblieben, und sie stehen
danach, daß sie mir mein Leben nehmen." Er wußte sehr wohl, daß Obadja
übriggeblieben war, der, obwohl nicht gerade ein Prophet, doch ein Mann von
Ansehen war; aber er scheint ihn gar nicht zu beachte», als wenn er ein
Mann von wenig Bedeutung in dem großen Kampfe wäre. Ich nehme an,
daß dieser Mann von Eisen, dieser Prophet von Feuer und Donner, dieser
mächtige Knecht des Höchsten wenig Gewicht auf jeden legte, der nicht in die
Front treten und gleich ihm selber fechten konnte. Ich weiß, es ist die
Neigung tapferer und eifriger Gemüter, stille und zurückgezogene Frömmigkeit
etwas zu unterschätzen. Wahre und aufrichtige Diener Gottes mögen ihr
Bestes thun unter großen Nachteilen, im Kampf mit heftigen: Widerstand,
aber sie sind vielleicht kaum bekannt oder schellen selbst die geringste All»
erkennullg; deshalb sind Männer, die in dem hellen Licht der Öffentlichkeit
620 Alttestamentliche Bilder.

leben, leicht geneigt, sie zu gering zu schätzen. Diese kleineren Sterne ver«
lieren sich in dem Glänze des Mannes, den Gott gleich eiller neuen Sonne
anzündet, die dnrch die Finsternis flammt. Elia zuckte über dem Himmel
Israels wie ein Donnerkeil alts der Hand des Ewigen, und natürlich ward
et etwas ungeduldig übet die> deren Bewegungen langsamer Und weniger
sichtbar waren. Es ist in mancher Hillsicht hier gleich Martha und Maria.
Der Herr liebt es nicht, daß seine Diener, wie groß sie anch sind, ge»
ringschatzig von ihren niederen Gefährten denken, und mir kommt der Ge«
danke, daß Er deshalb die Sachen so ordnete, daß Obadja dem Elia wichtig
wurde, als er dem zornigen König Israels gegenüberzutreten hatte. Dem
Propheten ist geboten, hinzugehen und sich Ahab zu zeigen, und er thut dies;
aber er hält es für besser, damit zu beginnen, daß er sich dem Hofmeister
seines Palastes zeigt, damit dieser seinem Herrn die Nachricht überbringe und
ihn auf die Zusammenkunft vorbereite. Ahab war durch die furchtbaren Folgen
der langen Dürre fehr erbittert und hätte in plötzlicher Wut versuchen können,
den Propheten zu töten; deshalb sollte er Zeit zum Überlege» haben, um ein
wenig abzukühlen.
Elia hat eine Zusammenkunft mit Obadja und heißt ihu gehen und
Ahab sagen: „Siehe, Elia." Es mag zuweilen der nächste Weg zu nnsrem
Ziele sein, einen kleinen Umweg zu machen. Aber es ist merkwürdig, daß
Obadja einem solchen Manne, der so viel höher stand als er, nützlich wurde.
Er, der niemals das Angesicht der Könige fürchtete, brauchte nichtsdestoweniger
als seinen Helfer einen, der sehr viel schüchterner war. Der Herr mag dich,
mein lieber Bruder, der du so hervorragend, so uützlich, so mutig, vielleicht
so strenge bist, in eine Lage bringen, in welcher der geringere und ängstlichere
Gläubige, der nicht halb so viel Gnade und nicht halb so viel M u t hat wie
du, nichtsdestoweniger für dein Amt wichtig wird; und wenn Er dieses thut,
so will Er, daß du die Lehre lernst, und lerne sie gut, daß der Herr einen
Platz für alle seine Diener hat und daß Er uicht will, daß wir den Geringsten
von ihnen verachten, sondern sie schätzen, und das Gute, das in ihnen ist,
lieben sollen. Das Haupt muß nicht zum Fuße sagen: ich bedarf deiner nicht.
Jene Glieder des Leibes Christi, die an, schwächsten sind, sind doch für den
ganzen Orgauismus notwendig. Der Herr verachtet nicht „den Tag geringer
Dinge" (Sach. 4 , 10) und will auch nicht, daß sein Volk das thue. Elia
darf nicht hart gegen Obadja sein. Ich wollte, Obadja hätte mehr M u t ge<
habt: ich wollte, er hätte für den Herrn, feinen Gott, ebenso offen gezeugt
wie Elia; aber dennoch, ein jeder in seiner eignen Ordnung; seinem Herrn
muß jeder Knecht stehen oder fallen. Alle Lichter sind nicht Monde, einige
sind nur Sterne; und sogar ein Stern ist von dem andren an Glanz ver-
schieden. Gott hat sein Lob auch aus den am wenigsten bekannten heiligen
Obadja, oder: frühe F r ö m m i g k e i t , ho lie F r ö m m i g k e i t . 621

Charakteren der Schrift, eben wie die Nacht ihr Licht aus jenen schimmernden
Körpern hat, die nicht als einzelne Sterne nnterschieden werden können,
fondern Teile von nebelhaften Massen sind, in denen Miriaden weit entfernter
Sterne in eins verschmolzen sind.
Wir lernen ferner aus der vorliegenden Erzählung, daß Gott sich nie
ohne Zellgen in dieser Welt lassen wird. J a , und Er wird sich nie ohne
Zeugen lassen all den schlechtesten Orten dieser Welt. Was für eine schreckliche
Wohnstätte für einen wahren Glällbigen muß AHabs Hof gewesen sein l Wenn
kein Sünder dagewesen wäre außer jeuem Weibe Ifebel, sie war genug, um
den Palast zu einem Pfuhl von Lastern zu machen. Diese starkgeistige, stolze
sidonische Königin wickelte den armen Ahab um ihren Finger gerade wie es
ihr gefiel. Er wäre vielleicht niemals der Verfolger geworden, der er war,
wenn sein Weib ihn nicht aufgestachelt hätte; aber sie haßte die Verehruug
Iehovahs aufs äußerste, und verachtete die Einfachheit Israels im Vergleich mit
der prunkvolleren Art Sidons. Ahab mußte ihren gebieterischen Fordernngen
nachgeben, denn sie wollte keinen Widerspruch ertragen, und wenn ihr Stolz
erregt war, trotzte sie allem Widerstand. Doch war an demselben Hofe, wo
Isebel die Herrill war. der Kämmerer ein Manu, der den Herrn sehr fürchtete.
Seid nie überrascht, weuu ihr irgendwo einen Glällbigen antrefft. Die
Gnade kann leben, wo ihr nie gedacht hättet, sie eine Stunde lebendig bleiben
zu sehen.
Joseph fürchtete Gott am Hofe des Pharao, Daniel war ein vertrauter
Ratgeber des Nebukadnezar, Mardachai saß im Thor des Ahasvérus, das Weib
des Pilatus legte Fürbitte eilt für das Leben Jesu, und es waren Heilige in
des römifchen Kaisers Hause. Denkt daran, man fand Diamanten reinsten
Wassers auf solchem Dunghaufen wie Neros Palast. Die, welche in Rom
Gott fürchteten, waren nicht nur Christen, fondern sie waren Muster für alle
andren Christen in ihrer brüderlichen Liebe und ihrer Freigebigkeit. Gewiß,
es ist kein Platz in diesem Lande, wo nicht etwas Licht ist, die dunkelste
Höhle der Laster hat ihre Fackel. Fürchtet euch nicht; ihr mögt Nachfolger
Iefu in den Vorhöfen des Pandämouiums finden. I m Palast des Ahab
findet ihr einen Obadja, der sich freut, mit verachteten Heiligen Gemeinschaft
zu haben und das le-vsr eines Monarchen verläßt, um zu Versteckplätzen ver-
folgter Prediger zu gehen.
Ich nehme wahr, daß die Zeugen Gottes oft Männer sind, die in ihrer
Jugend bekehrt wurden. Es scheint Gottes Freude zu seil,, diese zu seinen
besonderen Bannerträgern am Tage der Schlacht zu machen. Seht auf
Samuel! Als das ganze Israel Abscheu hatte vor der Gottlosigkeit der Söhne
Elis, diente das Kind Samuel vor dem Herrn. Seht auf David! Als er
nur noch ein Hirtenknabe ist, weckt er das Echo der einsamen Hügel mit seinen
Alttestamentliche Bilder.

Psalmeu uud der begleitenden Musik feiner Harfe. Seht Iosia! Als Israel
sich empört hatte, da war es ein Kind, Iosia mit Namen, das die Altäre
Baals niederriß und die Gebeine seiner Priester verbrannte. Daniel war nur
eill Jüngling, als er für Reinheit und für Gott auftrat. Der Herr hat heute,
ich weiß nicht wo, irgend einen kleinen L u t h e r auf seiller Mutter Schoß,
einen jungen C a l v i n , der in unsrer Sonntagsschule lernt, einen jngendlichen
Z w i n g l i , der Christo ein Lied singt. Dies Zeitalter «nag schlechter und
schlechter werden; ich denke zuweilen, daß es dies wird, denn viele Zeichen
deuten darauf hin; aber der Herr bereitet dafür vor. Die Tage sind dunkel
und unglückvcrheißend; uud diese Abendzeit mag sich zu eiuer noch schwärzeren
Nacht, als je zuvor gekannt ist, verfinstern; aber Gottes Sache ist sicher in
Gottes Hand. Sein Werk wild nicht verzögert werden alls Mallgel an
Männern. Streckt nicht Usas Hand aus, um die Lade des Herrn zu halten;
sie wird in Sicherheit weiter gehen auf Gottes vorherbestimmtem Wege.
Christus wird nicht verzagt oder entmutigt werden. Gott begräbt feine
Arbeiter, aber seine Arbeit geht weiter. Wenn in dem Palast sich kein
König findet, der Gott ehrt, so soll doch ein Oberhofmeister dort sein, der
den Herrn von seiller Jugend auf fürchtet, uud der für des Herrn Propheten
sorgt uild sie verbirgt, bis bessere Tage kommen. Deshalb seid guten Mutes
ulld hoffet auf glücklichere Stunden. Nichts von wirklichem Wert ist ill Gefahr,
so lange Jehovah auf dein Throne sitzt. Des Herrn Reserven ziehen herauf
und ihre Trommeln schlagen Sieg.
Über Obadja wünsche ich heute morgen mit euch zu sprechen. Seine
Frömmigkeit ist das Thema der Rede, und wir wünschen es zu gebrauchen,
um den Eifer derjenigen auzufeueru, welche die Jugend lehren.

I.
Wir wollen erstens beachten, daß Obadja f r ü h e F r ö m m i g k e i t besaß:
„Dein Knecht fürchtet den Herrn voll Jugend anf." O, daß all uufre juugen
Leute, wenn sie zu Männern und Frauen herangewachfen, im stände sein
möchten, dies zu sagen. Glücklich sind die, die sich in solchem Falle befinden!
Wie Obadja dazu kam, in seiner Jugend den Herrn zu suchten, können
wir nicht sagen. Der Lehrer, durch den er zum Glauben all Jehovah geführt
wurde, ist nicht genannt. Doch können wir vernünftigerweise dell Schluß ziehen,
daß er gläubige Eltern hatte. Unbedeuteud, wie der Gruud scheinen mag,
halteich ihn doch für ziemlich fest, wenn ich euch au seiueu Namen erinnere.
Dieser war ihm sehr natürlich von seinem Vater oder seiner Mutter gegeben,
und da er „der Knecht Iehovahs" bedeutet, so dächte ich, daß er die Frömmig'
keit der Eltern anzeigt. I n dell Tagen, wo überall Verfolgung der Gläubigen
stattfand llnd der Name Iehovahs verachtet war, weil die Kälber von Bethel
O b a d j a , oder: f r ü h e F r ö m m i g k e i t , h o h e ssrömmigkeit. 623

und die Bilder von Baal überall aufgerichtet waren, denke ich, hätten Eltern
ihrem Kinde nicht den Namen „Der Knecht Iehovahs" gegeben, wenn sie nicht
selber Ehrfurcht vor dem Herrn gefühlt hätten. Sie hätten nicht müßiger»
weise die Bemerkungen ihrer abgöttischen Nachbarn und die Feindschaft der
Großen hervorgerufen. I n einer Zeit, wo Namen etwas bedeuteten, hätten
sie ihn „das Kind Baals" oder: „Der Knecht des Chemofch" genannt oder mit
irgend einem andren Namen, der ihre Ehrfurcht vor den beim Volk beliebten
Göttern ansdrückte, wenn die Furcht Gottes uicht vor ihren Augen gewesen
wäre. Die Wahl eines solchen Namens uerrät mir ihren ernsten Wunsch, daß
ihr Knabe anfwachsen möge, um Jehovah zu dienen und uie sein Knie vor
den verabscheuten Götzen der sidonischen Königin beugen. Ob dies so war
oder nicht, es ist ganz gewiß, daß Tauseude der intelligentesten Gläubigen ihre
erste Anregung zur Gottesfurcht den teuren Verbindungen der Heimat ver>
danken. Wie viele von uns hätten gut einen solchen Namen führen können
wie den des Obadja; denn nicht so bald hatten wir das Licht erblickt, als
ullsre Eltern suchten, uns durch das Licht der Wahrheit erleuchten zu lassen.
W i r wurden dem Dieuste Gottes geweiht, ehe wir noch wußteu, daß ein Gott
sei. Manche Thräne ernstlichen Gebetes fiel auf unsre Kinderstirne und ver»
siegelte uns für den Himmel; wir wnrden in der Atmosphäre der Frömmigkeit
auferzogen; es war kaum eiu Tag, an dem wir nicht angetrieben wurden,
treue Dieuer Gottes zu sein und gebeten, so lange wir noch jung wären,
Iesum zu suchen und unsre Herzen I h m zu geben. O, was verdanken wir,
viele von uns, der Vorsehung, die uns solche Eltern gab! Gelobt sei Gott
für seine große Barmherzigkeit gegen die Kinder seiner Erwählten!
Wenn, er keine frommen Eltern hatte, fo kann ich nicht sagen, wie
Obadja dazu kam, in jenen traurigen Tagen ein Gläubiger zu werden, aus-
genommen, daß er vielleicht in die Hände eines freundlichen Lehrers, einer
frommen Wärterin oder eines gnten Dieners in feines Vaters Hause geriet
oder einen gottesfürchtigen Nachbar hatte, der es wagte, kleine Kinder um sich
zu sammeln uud ihuen von dem Herrn, dem Gott Israels, zu erzählen.
Irgend eine heilige Frau mag seiner juugen Seele das Gesetz des Herrn ein»
geflößt haben, ehe die Baalspriester ihn mit ihren Lügen vergiften konnten.
Niemand wird genannt in Verbindung mit der Bekehrung dieses Mannes in
seiner Jugend, und es macht nichts aus, nicht wahr? I h r und ich, wir
wünschen nicht genannt zu werden, wenn wir rechtgesinnte Diener des Herrn
sind. Nicht uufer sei die Ehre. Wenn Seelen errettet werden, hat Gott die
Ehre davon. Er weiß, was für ein Werkzeug Er gebraucht hat, und da Er
es weiß, ist es genug. Die Gunst Gottes ist Iiuhm genug für die Gläubigen.
Alle Posaunenstöße des Ruhms sind nur vergeudeter Odem im Vergleich zu
dem einen Wort aus Gottes M u n d : „Wohl gethan, du guter und getreuer
624 Alttestamentliche Bilder.

Knecht." Fahrt fort, liebe Lehrer: da ihr zu dem heiligen Dienst berufen
seid, die Jugend zu lehren, so werdet dessen nicht müde. Fahrt fort, ob ihr
auch unbekannt sein mögt, denn ener Same, der im Duukelu gesäet ist, wird
im Licht geerntet werden. I h r mögt einen Obadja belehren, dessen Name
in künftigen Jahren gehört werden wird; ihr bereitet einen Vater für die Ge«
meinde und einen Wohlthä'ter fiir die Menschheit vor. Obwohl euer Naine
vergessen wird, soll eller Werk es nicht sein. Wenn jener glänzende Tag an»
brechen wird, verglichen mit dem alle andren Tage trübe sind, wenn das Un-
bekannte dem versammelten Weltall bekannt gemacht werden wird, dann soll
das, was ihr im Dunkeln gesprochen habt, im Lichte verkündet werden.
Wenn es nicht auf diese Weise war, daß Obadja dahin geführt wurde,
den Herrn ill seiner Jugend zu fürchten, so mögen wir an andre Mittel denken
wie sie der Herr gebraucht zum Hiueinführen seiner Verbannten. Es hat mich
in letzter Zeit sehr erfreut, wenn ich Suchende fah, mit mehreren jungen Leuten
zu sprechen, die alls ganz weltlichen Familien kamen. Ich legte ihnen die
Frage vor: „Ist I h r Vater Mitglied einerchristlichenGemeinde?" Die Antwort
war ein Kopfschütteln. „Besucht er irgend ein Gotteshaus?" „Nein, ich weiß
nicht, daß er je zu einem gegangen ist." „Ihre Mutter?" „Mutter kümmert
sich nicht um Religion." „Habeil Sie eiueu Bruder oder eine Schwester, die
gleichen Sinnes mit Ihnen ist?" „Nein mein Herr." „Haben Sie irgend
einen Verwandten, der den Herrn kennt?" „Nein." „Wurden Sie von jemand
erzogen, der Sie anleitete, die Gnadenmittel zu gebraucheu, und Sie ermahnte,
an den Herrn Iesum zu glauben?" „Nein, und doch habe ich von meiner
Kiildheit all immer den Wunsch gehabt, den Herrn zu kennen." — Ist es nicht
merkwürdig, daß es so ist? Was für ein wunderbarer Beweis der Gnadenwahl l
Hier wird der eine aus einer Familie angenommen, während die übrigen ver-
lassen werden; was sagt ihr hierzu? Hier wird der eine in früher Kindheit
berufen, und durch das verborgene Flüstern des Geistes Gottes angetrieben,
den Herrn zu suchen, während alle übrigen der Familie in mitternächtlicher
Finsternis schlummern. Wenn du ill diesem Falle bist, lieber Freuud, erhebe
die unumschränkte Macht Gottes, und bete I h n an, so lange du lebst, denn
Er „will sich erbarmen, dessen Er sich erbarmen will."
Doch, ich halte dafür, daß der größere Teil derer, die in ihrer Jugend
den Herrn kennen lerueu, Personell sind, die den Vorzug gottesfürchtiger Eltern
und heiliger Erziehung gehabt haben. Laßt uns in dem Gebrauch solcher
Mittel beharren, die der Herr gewöhnlich gebraucht, denn dies ist der Weg der
Weisheit und der Pflicht.
Diese frühe Frömmigkeit Obadjas hatte besondere Kennzeichen an sich.
Die Art, wie er sie beschreibt, ist »lach meiller Meinuug sehr lehrreich. „Dem
Knecht fürchtet den Herrn von Jugend auf." Ich kann mich kaum er«
Obadja, oder: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 625

inner», daß ich in meinem ganzen Leben die Frömmigkeit von Kindern in der
täglichen Unterhaltung dnrch diesen Ausdruck habe beschreiben hören, obwohl
er das gewöhnliche Wort der Schrift ist. W i r sagen: „Das Kind liebte Gott."
W i r reden davon, daß es „so glücklich gemacht wäre" u. s. w., und ich bezweifle
nicht die Nichtigkeit dieser Sprechweise; aber doch, der Heilige Geist spricht von
„der Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang;" und David spricht: „Kommt
her, Kinder, höret mir zu; ich will euch die Furcht des Herrn lehren." Kinder
werden große Freude durch den Glauben an den Herrn Iesum erlangen; aber
diese Freude ist, wenn echt, voll heiliger Ehrfurcht und Verehruug für den
Herrn. Frende mag die liebliche Frucht des Geistes sein, aber sie kann auch
eine Aufregung des Fleisches sein; denn ihr erinnert euch, daß die auf dem
steinigen Boden, die nicht viel tiefe Erde hatten, das Wort aufnahmen mit
Freuden, und daß der Same alsbald aufging; aber da sie keine Wurzel
hatten, verwelkten sie, als die Sonne mit brennender Hitze schien. W i r
können die Freude, womit Herzen das ihnen neue Evangelium aufnehmen,
nicht als das beste und sicherste Zeichen der Gnade betrachten. Es gefällt uns
ferner auch, wenn wir in Kindern viel Kenntnis göttlicher Dinge sehen, denn
jedenfalls ist solche Kenntnis sehr wünschenswert; doch ist sie kein entscheidender
Beweis der Vekehruug. Natürlich kann diese Kenntnis eine göttliche Frucht
sein; wenn sie vom Geiste Gottes gelehret sind, so steht es in der That gut
mit ihnen: aber da es mehr als möglich ist, daß wir selber die Schrift
kennen und die ganze Lehre des Evangeliums verstehen und doch nicht er«
rettet sind, so mag dasselbe bei der Jugend der Fall sein. Die Furcht Gottes,
die so oft vernachlässigt wird, ist einer der besten Beweise aufrichtiger Frömmig»
keit. W i r sollen unsre Seligkeit mit Furcht und Zittern schaffen, denn Gott
ist es, der in uns wirket. Wenn ein Kind oder ein Erwachsener die Furcht
Gottes vor Augen hat, so ist dies der Finger Gottes. Hiermit meinen wir
nicht die knechtische Furcht, welche Schrecken und Sklaverei wirkt, sondern
jene heilige Furcht, die der Majestät des Höchsten Ehrfurcht zollt und alle
heiligen Dinge hoch achtet, weil Gott groß ist und hoch zu loben. Vor allem
thut jungen Leuten Scheu vor dem Unrechithun, Zartheit des Gewissens und
Sehnsucht, Gott zu gefallen, not. Solcher S i n n ist ein sicheres Werk der
Gnade und ein gewisseres Zeichen der Arbeit des Heiligen Geistes, als alle
Freude, die ein Kind fühlen, oder alle Kenntnis, die es erlangen kann. Ich
bitte alle Lehrer der Jugend, hierauf wohl zu achten. Es ist eine stets
wachsende Schwärmerei in der Religion unsrer Tage, die mich zittern macht.
Ich kann die Neligion nicht ertragen, die nur in kochendem Wasser schwimmt
und nur in erhitzter Luft atmet. Für mich hat das Flüstern des Geistes keine
Verwandtschaft mit Blechinstrumenten, viel weniger behandelt die Gottseligkeit
den großen Gott und den heiligen Erlöser als Gegenstände unehrerbietigen
S p u r g e o n , Alttestamentliche Bilder. 40
626 Alttestamentliche Bilder.

Lärms. Die tiefgewurzelte Furcht des Herrn ist das, was nötig ist bei Alten
wie bei Jungen: es ist besser, vor dein Wort des Herrn zu zittern und sich
zu beugen vor der unendlichen Majestät göttlicher Liebe, als sich heiser zu
schreien. O, daß wir mehr von der strengen Gerechtigkeit der Puritaner oder
dem inneren Gefühl der älteren Quäker hätten! Die Menschen ziehen heut»
zutage ihre Schuhe an und stampfen und trampeln, und wenige scheinen die
Macht des Gebotes zu fühlen, das vor alters dem Mose^ gegeben wurde:
„Ziehe deine Schuhe alls von deinen Füßen, denn der Ort, da du auf stehest,
ist eiu heiliges Land." Die Wahrheit Gottes ist nicht dazu da, uns auf«
geblasen zu machen, sondern uns vor dem Throne zu demütigen. Obadja
hatte frühe Frömmigkeit der rechten Art.
Geliebte, ihr habt nicht nötig, daß ich bei diesem Punkte weitläufig mit
euch über die V o r t e i l e f r ü h e r F r ö m m i g k e i t spreche. Ich will sie deshalb
nur iu wenigen Worten zusammeufassen. Frühe im Leben all Gott glauben,
das heißt, sich viele Neue ersparen. Ein solcher wird niemals zu sagen haben,
daß er in seinen Gebeinen die Sünden seiner Jugend umherlrägt. Frühe
Frömmigkeit hilft uns, Verbindungen für das übrige Leben zu knüpfen, die
sich als hilfreich erweisen werden, und sie bewahrt uns vor schädlichen Ver«
bindungen. Der christliche junge Mann wird nicht in die gewöhltlichen Sünden
junger Männer fallen und nicht seiner Gesundheit durch Ausschweifungen
schaden. Er wird sich wahrscheinlich mit einer Christin verheiraten und so
cille heilige Gefährtin auf seinem Weg zum Himmel haben. Er wird zu
Kameraden die erwählen, die seine Freunde ill der Kirche, nicht ill der Kneipe
sein werden; seine Helfer ill der Tugend, nicht seine Verführer zum Laster.
Verlaßt euch darauf, fehr viel hängt davon ab, was für Gefährten wir uns
wählen, wenn wir das Leben beginnen. Wenn wir mit schlechter Gesellschaft
anfangen, so ist es sehr schwer, uns voll ihr loszureißen. Der, welcher früh im
Leben zu Christo gebracht wird, hat diesen ferneren Vorteil, daß ihm geholfen
wird, heilige Gewohnheiten sich zu bilden, er ist davor bewahrt, der Sklave
der unheiligen zu werden. Gewohnheiten werden bald eine zweite Natur;
neue anzunehmen ist schwere Arbeit; aber die ill der Jugend angenommenen
bleiben im Alter. Es ist etwas an dem Verse:

„Weit leichter ist's, den Herrn zu finden,


Wenn man Ihn sucht zur Jugendzeit;
Wenn alt geworden man in Sünden,
Bricht schwer des Herzens Hurtigkeit."

Ich bin gewiß, es ist so. Überdies habe ich sehr häufig wahrgenommen,
daß die, welche jung zu Christo gebracht werden, rascher und stetiger in der
Gnade wachsen, als andre es thun. Sie haben nicht so viel zu verlernen
Obadja. oder: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 627

und sie haben kein so schweres Gewicht alter Erinnerungen zu tragen. Die
Narben und die blutenden Wnuden, die davon kommen, daß man jahrelang
im Dienste des Teufels gewesen ist, haben diejenigen nicht, welche der Herr
in seine Gemeinde bringt, ehe sie sich weit in die Welt verirrt haben.
Was die Wirkung früher Frömmigkeit auf andre anlangt, so kann ich
sie nicht zu hoch loben. Wie anziehend ist siel Die Gnade sieht am lieb«
lichsten in der Jugend aus. Das, was bei einem Erwachsenen nicht bemerkt
werden würde, fällt dem oberflächlichsten Beobachter in einem Kinde auf. Die
Gnade in einem Kinde hat eine überzeugende Form: Der Ungläubige läßt
seine Waffen fallen nnd bewundert. Ein von einem Kiude gesprochenes Wort
bleibt im Gedächtnis, und seine ungekünstelten Töne rühren das Herz. Wo
des Pastoren Predigt fehlschlägt, mag des Kindes Gebet den Sieg gewinnen.
Überdies gewährt Religion in Kindern denen in reiferen Jahren Ermutigung;
wenn sie ein Kind errettet sehen, so sagen sie zu sich selbst: „Warum sollten
wir nicht auch den Herrn finden?" Durch eine verborgene Gewalt öffnet sie
verschlossene Thüren nnd dreht den Schlüssel im Schloß des Unglaubens um.
Wo nichts andres einen Weg für die Wahrheit gewinnen konnte, hat die Liebe
eines Kindes es gethan. Es ist immer noch wahr: „Aus dein Munde der
jungen Kinder und Sänglinge hast D u eine Macht zugerichtet, um Deiner
Feinde willen, daß D u vertilgest den Feind und den Rachgierigen." Fahrt
fort, fahrt fort, liebe Lehrer, diese köstliche Sache unter dem Himmel zu
fördern, wahre Religion im Herzen — besonders im Herzen der Jugend.
Ich habe vielleicht zu lange Zeit bei dieser frühen Frömmigkeit verweilt
nnd will euch deshalb nur Winke geben im zweiten Teil über ihre Resultate.

II.
Jugendliche Frömmigkeit führt weiter zn a u s h a r r e n d e r F r ö m m i g -
k e i t . Obadja konnte sagen: „Dein Knecht fürchtet den Herrn von seiner
Jugend auf." Die Zeit hatte ihn nicht verändert: was auch sein Alter ge<
wesen sein mag, seine Religion hatte nicht gealtert. W i r lieben alle das
Neue, und ich habe einige Menschen sich zum Unrecht wenden sehen, als wenn
es nur zur Veränderung wäre. Nicht das schnelle zu Tode Brennen im
Märtnrertum ist das Schwere; langsames Rösten vor einem Fener ist eine
viel schrecklichere Probe der Festigkeit. Fromm bleiben während eines langen
Lebens der Versuchung, das heißt in der That fromm sein. Wenn die Gnade
Gottes einen Mann wie Paulus bekehrt, der voll Drohungen gegen die
Heiligen ist, so ist das ein großes Wunder, aber wenn die Gnade Gottes
einen Gläubigen zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig Jahre bewahrt, so
ist das ein ebenso großes Wunder und verdient mehr Lob Gottes, als es ge»
40*
628 AlttestamentNche Bilder.

wohnlich einflößt. Obadja war nicht durch den Verlauf der Zeit berührt; er
ward im Alter noch als das erfunden, was er in der Jugend war.
Ebensowenig ließ er sich durch die Mode in jenen bösen Zeiten fortreißen.
Ein Knecht Iehovahs zu sein, galt für etwas Gemeines, Altmodisches, Un>
wissendes, Veraltetes; die Verehrung Baals war das neuere Denken der
damaligen Zeit. Der ganze Hof wandelte dem Gölte Sidons nach, nnd alle
Höflinge gingen denselben Weg, Se. Exzellenz verehrte Baal, und I h r o
Exzellenz verehrte Baal, denn I h r o Majestät verehrten Vaal; aber Obadja
sagte: „Dein Knecht fürchtet den Herrn von seiller Iugeud auf." Selig ist
der Mann, der sich nicht um die Mode kümmert, denn sie vergeht. Wenn
eine Zeitlang das Vöse im Schwuuge ist, was hat der Gläubige zu thuu, als
fest beilu Rechten zu bleiben? Auf Obadja wirkte nicht einmal das Fehlen
der Gnadenmittel ein. Die Priester und Leviten waren nach I u d a geflohen,
die Propheten waren getötet oder verborgen, und es war kein öffentlicher
Gottesdienst in Israel. Der Tempel war weit weg in Jerusalem; deshalb
hatte Obadja keine Gelegenheit, etwas zu höreil, was ihn stärken oder an»
regen konnte; doch war sein Gang fest geblieben. Ich möchte wissen, wie
lange einige Christen ihr Bekenntnis aufrecht halten würden, wenn keine
Gotteshäuser, keine christlichen Verbindungen, keine Predigten des Wortes
wären; aber dieses Mannes Gottesfurcht war so tief, daß das Fehlen dessen,
was gewöhnlich zur Erhaltuug der Frömmigkeit nötig ist, keine Abnahme bei
ihm bewirkte. Mögeli ihr uud ich persönlich im Verborgenelt unsrer Seele von
dem Herrn Jesu gespeiset werden, so daß wir wachsen können, ob wir auch
weit entfernt voll einem fördernden Predigtamte sind. Möge der Heilige Geist
uils fest und unbewegt machen immerdar.
Hierzu kamen noch die Schwierigkeiten seiller Stellung. Er war Kämmerer
des Palastes. Wenn er Isebel gefällig gewesen und Vaal verehrt hätte, so
würde er es viel leichter in seiner Stelluug gehabt haben, denn er hätte ihre
königliche Gönnerschaft genossen; aber da war er: Hofmeister in AHabs Hause,
und doch fürchtete er Jehovah. Er muß sehr sanft gegangen, uud feine
Worte sehr sorgfältig bewacht haben. Mich wuudert's uicht, daß er eiu sehr
sorgfältiger Mann ward, und sogar vor Elia ein wenig bange war, und
meinte, dieser gäbe ihm einen Auftrag, der zu seinem Verderben führen würde.
Er war ungemein behutsam geworden, und sah die Dinge von allen Seiten
an, um weder sein Gewissen zu verletzen, noch seilte Stelluug zu gefährden.
Es gehört ein ungewöhnlich weifer Mann dazu, dies zu thun, aber wer es
vollbringen kann, der verdient Lob. Er lief »licht alls seinem Amte fort, und
trat nicht von seiner Religion zurück. Wenn er gezwungen worden wäre,
Unrecht zu thun, so bin ich gewiß, er hätte es den Priestern und Leviten
gleichgemacht und wäre nach I u d a geflohen, wo die Verehrung Iehovahs fort»
Obadja, ober: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 639

dauerte; aber er fühlte, daß er, ohne der Abgötterei sich hinzugeben, in seiner
günstigen Stellung etwas für Gott thun könne, und deshalb beschloß er zu
bleiben, und es auszufechten. Wenn keine Hoffnung des Sieges da ist, kann
man sich ebensowohl zurückziehen; aber der ist ein tapferer Mann, der, wenn
das Horn zum Rückzug bläst, es nicht hört, der fein blindes Auge an das
Teleskop legt, und das Signal zum Aufhören mit Feuern uicht sehen kann,
sondern seine Stellung gegen alle Übermacht behauptet, und dem Feinde soviel
Schaden thut, wie er nnr kann. Obadja war ein Mann, der in der That
„die Festung hielt," denn er fühlte, wenn alle Propheten von Ifebel zum
Tode verurteilt wären, fo fei es feine Pflicht, in der Nähe der Tigerin zu
bleiben, und das Leben von wenigstens hundert Knechten Gottes aus ihrer
grausamen Gewalt zu retten. Wenn er nicht mehr thnn könnte, so hätte er
doch nicht vergeblich gelebt, wenn er soviel vollbracht hätte. Ich bewundere
den Mann, dessen Entschiedenheit seiner Klugheit gleich kam, obgleich ich es
sehr fürchten würde, einen fo gefährlichen Platz einzunehmen. Sein Weg war
ähnlich wie ein Gehen auf dem Seile mit Vlondin. Ich möchte selbst es
nicht versuchen, und möchte euch nicht empfehlen, eine fo schwierige Aufgabe zu
unternehmen. Die Stellnng des Elia ist viel sicherer nnd großartiger. Des
Propheten Weg war deutlich genug; er hatte Ahab nicht zu gefallen, sondern
ihn zu tadeln; er hatte nicht behutsam zu sein, sondern ill kühner, offener
Weise für den Gott Israels zu handeln. Als ein wieviel größerer Mann
erscheint er, wenn die zwei in dem Auftritte vor uns zusammenstehen. Obndja
fällt auf sein Antlitz und nennt ihn: „Mein Herr Elia;" und wohl mochte
er das, denn moralisch stand er weit unter ihm. Doch ich muß nicht selbst
in Elias Ton fallen, damit ich mir nicht selber einen scharfen Verweis zu er-
teilen habe. Es war ein Großes, daß Obadja den Hallshalt AHabs leiten
konnte mit Ifebel darin, und doch trotz all dessen das Lob voll dein Geiste
Gottes gewinnen, daß er den H e r r n sehr fürchtete.
Er beharrte in feiner Frömmigkeit auch ungeachtet feines Erfolges im
Leben; und das spricht meiner Meinung nach sehr für ihn. Es ist nichts ge»
fährlicher für eineil Menfchen, als in diefer Welt Glück zu haben und reich
und angesehen zu werden. Natürlich wünschen wir es, begehren es, streben
danach; aber wie mancher hat, indem er dies erlangte, an geistlichem Reichtum
alles verloren! Er pflegte das Volk Gottes zu lieben, und mm sagt er: „Sie
silld eine vulgäre Art Leute." So lange er das Evangelium hören konnte,
kümmerte er sich nicht um den Baustil des Hauses; aber jetzt ist er ästhetisch
geworden, muß einen Kirchturm haben, gotischen S t i l , eine marmorne Kanzel,
priesterlichen Putz, eilt Gewächshaus in der Kirche, uud alle Arten hübscher
Sachen. Wie er feine Taschen gefüllt hat, fo hat er feinen Kopf geleert, und
insbesondere sein Herz geleert. Er ist von der Wahrheit und von Grundsätzen
630 Alttestllmentliche Bilder.

abgewichen in demselben Verhältnis, in dem er im Erwerben von Besitztümern


fortgeschritten ist. Dies ist etwas Niedriges, er wäre einst der Erste gewesen,
der es verurteilt hätte. Es ist nichts Ritterliches in solcher Aufführung, sie
ist feige bis zum äußersten Grade. Gott bewahre uns davor; aber sehr viele
Leute sind nicht davor bewahrt. Ihre Religion ist nicht eine Sache des Grund»
satzes,-sondern eine Sache des Urteils: sie ist nicht das Trachten nach Wahr»
heit, sondern ein Streben nach der Gesellschaft, was immer dies Wort bedeuten
mag; dieser Leute Ziel ist nicht, Gott zu verherrlichen, sondern reiche Männer
für ihre Töchter zu bekommen: es ist nicht das Gewissen, was sie leitet, sondern
die Hoffnung, im stände zu sein, den Herrn Varon zum Diner einzuladen oder
bei ihm auf seinem Schlosse zu speisen. Meint nicht, ich sei sarkastisch: ich
spreche in nüchterner Traurigkeit von Dingen, die einem Scham erwecken. Ich
höre täglich davon, obwohl sie mich oder diese Gemeinde nicht persönlich an»
gehen. Dies ist ein Zeitalter der Gemeinheit, verkleidet unter dem Schein
von Nespektabilität. Gott sende uns Männer von dem Stoffe des J o h n
Knox, oder, wenn ihr's lieber wollt, von dem adamantnen Stoff des Elia;
und wenn diese sich als zu steif und streng erweisen sollten, so könnten wir
selbst mit solchen Männern wie Obadja zufrieden sein. Möglicherweife sind
diese letzteren schwerer hervorzubringen als die Elia: bei Golt sind alle Dinge
möglich.

III.
Obadja wurde bei seiner frühen Gnade und beharrlichen Entschiedenheit
ein Mann voll h o h e r F r ö m m i g k e i t , und dies ist uni so merkwürdiger,
wenn man erwägt, was er war und wo er war. Hohe Frömmigkeit beim
Oberhofmeister an AHabs Hof! Dies ist in der That ein Wunder der Gnade.
Dieses Mannes Religion war stark in ihm. Wenn er nicht den offenen
Gebrauch davon machte, wie Elia es that, er war nicht zu solchem Gange be>
rufen; aber sie wohnte tief in seiner Seele, und andre wußten es. Isebel
wußte es, daran habe ich gar keinen Zweifel. Sie mochte ihn nicht, aber
sie mußte ihn ertragen; sie sah ihn mit scheelen Blicken an, aber sie konnte
ihn nicht wegbringen. Ahab hatte gelernt, ihm zu vertrauen, und konnte ihn
nicht entbehren, denn wahrscheinlich versah er ihn mit ein klein wenig Geistes»
stärke. Möglicherweise wollte Abhab ihn behalten, gerade um Isebel zu zeige»,
daß er hartnäckig sein könnte, wenn er wollte, und immer noch ein Mann sei.
Ich habe bemerkt, daß die nachgiebigsten Männer irgend eine Vorstellung
davon aufrecht zu halten suchen, daß sie nicht gänzlich von ihren Frauen be«
herrscht werden, und es ist möglich, daß Ahab uni dieser Ursache willen Obadja
in seiner Stellung behielt. Jedenfalls war er da, und er gab nie AHabs
Sünde nach, und unterstützte seine Abgötterei nicht. Erklärt es, wie ihr könnt,
Obadja, oder: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 631

es ist ein sonderbarer Umstand, daß im Mittelpunkt der Empörung gegen


Gott eiller war, dessen Verehrung Gottes innig und allsgezeichnet war. Wie
es entsetzlich ist, einen Judas unter den Aposteln zu finden, so ist es groß,
einen Obadja uuter AHabs Höflingen zu entdecken. Was für Guade muß
thätig gewesen sein, solch ein Feller inmitten des Meeres, solche Gottseligkeit
inmitten der schändlichstell Gottlosigkeit zu erhalten!
Un.d seine hohe Frömmigkeit war sehr praktisch; denn als Isebel
die Propheten tötete, verbarg er hundert vor ihr. Ich weiß nicht, wie viele
Diener des Herrn ihr versorget, aber ich habe nicht das Vergnügen, irgend
einen Herrn zu kennen, der hundert Prediger unterhält; dieses Mannes Gast-
freundschaft war in großem Maßstäbe. Er nährte sie mit dem Besten, was
er für sie finden konnte, und wagte sein Leben fiir sie, indem er sie in
Höhlen vor den Nachforschungen der Königin versteckte. Er zog nicht nur seine
Börse, sondern setzte sein Leben aufs Spiel, da ein Preis auf die Köpfe
dieser Mäuner gesetzt war. Wie viele von uns würden ihr Leben in Gefahr
bringen für einen von den Dienern des Herrn? Jedenfalls brachte Obadjas
Gottesfurcht köstliche Frucht hervor und erwies sich als eine mächtige Triebkraft
zum Handeln.
Seine Gottseligkeit war auch eiue solche, daß sie von den Gläubigen
jener Zeit allerkannt wurde. Ich bin dessen gewiß, weil Obadja zu Elia
sagte: „ I s t es meinem Herrn nicht angesagt, wie ich des Herrn Propheten
versteckt habe?" Nun, Elia war das wohlbekannte Haupt und der Führer
der Nachfolger Iehovahs in dem ganzen Volke, und Obadja war etwas er-
staunt, daß nicht jemand dem großen Propheten von seinem Thun erzählt
hatte; so daß seine großmütige That, obwohl sie der Isebel und den Baaliten
verborgen geblieben, doch unter den Dienern des lebendigen Gottes wohl
bekannt war. Er stand in gutem Ruf bei denen, deren gute Meiuuug des
Habens wert ist; man flüsterte unter ihnen, daß sie einen Freuud bei Hofe
hätten, daß der Kämmerer auf ihrer Seite sei. Neun jemand einen Propheten
retten konnte, so konnte er es, und deshalb fühlten die Propheten sich sicher,
als sie sich feiner Obhut übergaben; sie wußten, daß. er sie nicht der blut»
dürstigen Isebel verraten würde. I h r Kommen zu ihm und ihr Vertrauen
auf ihn zeigt, daß seine Treue wohl bekannt und hoch geschätzt war. So war
er stark genug in der Gnade, um als ein Führer von der gottesfürchtigen
Partei betrachtet zu werden.
Er selbst kannte augenscheinlich Elia und hielt es nicht unter seiner
Würde, ihm sofort die äußerste Ehrfurcht zu erzeigen. Der Prophet Gottes,
der i,t diesem Augenblick von allen Menschen gehaßt wurde uni des Straf-
gerichtes willen, das durch ihn ergangen war, und der ganz besonders vom
632 Alttestamcntliche Bilder.

König verfolgt wurde, ward von diesem Manne geehrt. Frühe Frömmigkeit
wird oft hohe Frömmigkeit; der Mann, der wahrscheinlich Gott sehr fürchten
wird, ist der, welcher Gott frühe dient. I h r kennt das alte Sprichwort:
„Morgenstunde hat Gold im Munde." Es läßt sich auf die Religion wie
auf alles andre anwenden. Wer das Gold der Gottseligkeit will, muß Gott
ill der Morgenstunde suchen. Wer großen Fortschritt auf dein Wege zum
Himmel machen will, darf keinen Augenblick verlieren. Laßt mich die jungen
Leute ermahnen, daran zu denken und ihr Herz eben jetzt Gott zu geben.
Sonntagsschullehrer, ihr mögt heute die Männer erziehen, welche in
künftigen Jahren die Wahrheit in diesem Lande lebendig erhalten werden,
die Männer, welche für Gottes Diener sorgen und ihre besten Verbündeten
sein werden, die Männer und Frauen, die Seelen für Christum gewinnen
werden. Fahrt fort mit eurem heiligen Werk. I h r wißt nicht, wen ihr um
euch habt. I h r mögt wohl dem Lehrer nachahmen, der seinen Hut vor den
Knaben in seiner Schule abnahm, weil er nicht wußte, was noch aus ihnen
werden würde. Habt eine sehr hohe Meinuug von eurer Klasse; ihr könnt nicht
sagen, wer darin sein mag; aber gewiß mögt ihr die darin haben, welche in
künftigen Jahren Pfeiler in dem Hause Gottes sein werden.

IV.
Obadjas frühe Frömmigkeit wurde ihm später tröstende F r ö m m i g -
Keit. Als er glaubte, Elia sei im Begriff, ihn großer Gefahr auszusetzen,
machte er seinen langen Dienst Gottes geltend und sagte: „Dein Knecht
fürchtet den Herrn von Jugend auf;" gerade wie David, als er alt wurde,
sprach: „Gott, Du hast mich von Jugend auf gelehret; darum verkündige ich
Deine Wunder. Auch verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau
werde." Es wird ein großer Trost für euch jnnge Leute sein, wenn ihr alt
werdet, auf ein im Dienste Gottes zugebrachtes Leben zurückzublicken. I h r
werdet nicht darauf vertrauen, ihr werdet nicht denken, daß irgend ein Ver-
dienst darin ist; aber ihr werdet Gott dafür danken. Ein Knecht, der von
Jugend auf bei seinem Herrn gewesen ist, sollte nicht hinausgestoßen werden,
wenn er grau wird. Ein wohldenkender Herr achtet einen, der ihm lange
und gut gedient hat. Gesetzt, in eurem Hause lebte eine alte Frau, die euch
als Kind gewartet und später eure Kinder gepflegt hätte, würdet ihr sie anf
die Straße hinausweisen, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr ihun könnte? Nein,
ihr werdet euer Vestes für sie thun; wenn es in eurer Macht steht, werdet ihr
sie nicht ins Arbeitshaus gehen lassen. Nun, der Herr ist viel freundlicher
und gnädiger als wir, und Er wird nicht seine alten Diener verstoßen. Ich
rufe zuweilen:
Obadja, oder: frühe Frömmigkeit, hohe Frömmigkeit. 633

„Entlaß mich nicht aus Deinem Dienst.


Gib mir nach Deinem Willen
Auf Deinem großen Arbeitsfeld
Noch Pflichten zu erfüllen.
Ich will begehren leinen Lohn.
Nur Dir zu dienen, Gottes Sohn."

Ich sehe die Zeit vorher, wo ich nicht mehr alles werde thun können,
was ich jetzt thue. I h r und ich können ein wenig vorwärts sehen auf die
nahende Periode, wo wir aus den mittleren Jahren in die Zeit der ab»
nehmenden Kräfte hinübergehen, und wir mögen versichert sein, daß unser
Herr bis zuletzt für uus Sorge tragen wird, laßt uns fleißig sein, I h m zu
dienen, so lange wir Kraft und Gesundheit haben, uud wir können gewiß sein,
daß Er nicht so ungerecht ist, unser Glcmbenswerk und uusre Liebesarbeit zu
vergessen. Es ist nicht seine Art. „Wie Er hatte geliebet die Seinen, die in
der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende." Das ward von seinem
Sohne gesagt, und es kann auch vom Vater gesagt werden. O, glaubt mir,
es gibt keine bessere Krücke, auf die ein Greis sich lehnen kann, als die That»
sache der Liebe Gottes zu ihm, da er jung war. I h r könnt keine bessere
Aussicht von eurem Fenster haben, wenn eure Augen trübe werden, als die
Erinnerung daran, wie ihr dein Herrn in den Tagen eurer Jugend nach»
folgtet und eure Kraft seinem Dienste widmetet.
Lieben jungen Leute, wenn einige von euch in Sünden leben, so bitte
ich ench, daran zu gedenken, daß ihr, wenn ihr heute die Vergnügungen der
Welt sncht, später dafür zu zahlen haben werdet. „Thne, was dein Herz
gelüstet nnd deinen Augen gefällt; nnd wisse, daß dich Gott um dies alles
wird vor Gericht führen." Wenn deine Kindheit Eitelkeit, uud deine Jugend
Gottlosigkeit ist, so werden deine späteren Tage Kummer seiu. O, daß du
weise wärest und Christo deine Vlume in ihrer Knospe mit all ihrer Schön-
heit darbrächtest! D u kannst nicht zu früh heilig sein, denn du kannst nicht
zu früh glücklich sein. Ein wahrhaft fröhliches Leben muß in des großen
Vaters Hause beginnen.
Und ihr, Lehrer, fahrt fort, die Jugend die Wege Gottes zu lehreu.
I n unsren Tagen gibt der Staat ihr weltlichen Unterricht den ganzen Tag
lang, sechs Tage in der Woche; und religiöse Unterweisung ist sehr nötig, um
das Gleichgewicht zu halten, sonst werden wir bald ein Volk von Ungläubige»
werden. Weltlicher Unterricht ist sehr gilt uud heilsam; wir stellen uns nie
irgeild einer Art von Licht entgegen: aber Unterricht, mit dem nicht Religion
verbunden ist, wird einfach den Menschen helfen, größere Schurken zu sein,
als sie ohne denselben sein würden. Ein Spitzbube mit einem Brecheisen ist
schlimm genug, aber ein Spitzbube mit einer Feder und einer Reihe falscher
634 Alttcstmnentliche Bilder.

Rechnungsablagen beraubt hundert, wo der andre einen. Unter unsrem jetzigen


System werden die Kinder mit größerer Fähigkeit, Schaden zu thun, auf»
wachsen, wenn nicht die Furcht des Herrn ihnen vor Augen gestellt wird, und
sie die Schrift und das Evangelium unsres Herrn Jesu lernen. Statt in den
Bemühungen der Sonntagsschule nachzulassen, werden wir weise sein, wenn
wir sie sehr vermehren.
Zu euch, die ihr alt in Sünden geworden seid, kann ich nicht von früher
Frömmigkeit sprechen; aber es ist eine Stelle in der Schrift, die euch große
Hoffnung geben sollte. Denkt daran, wie der Hausvater ausging um die
dritte, die sechste, die neunte und zuletzt um die elfte Stuude und immer
noch einige müßig am Markt stehen fand. Es war spät, nicht wahr? Sehr
spät. Aber, gelobt sei Gott, es war nicht zu spät. Sie hatten uur noch eine
Stunde übrig, aber der Herr sprach: „Gehet ihr auch hiu iu den Weinberg;
und was recht sein wird, soll euch werden." Nun, ihr Leute der elften
Stunde, ihr Leute von sechzig, fünfuudsechzig, siebzig, fünfundsiebzig, achtzig,
ich wollte bis hundert fortfahren, wenn ich dächte, daß hier einige von solchen!
Alter wären, ihr dürft immer noch kommen, und ill dell Dieust des guadeu«
reichen Herrn eintreten, der euch euren Groschen am Schlüsse des Tages geben
wird, wie Er ihn den übrigen Arbeitern gibt. Der Herr bringe euch heim zu
seinen Füßen durch Glauben an Christum. Ameu.
Keine Schonung. 635

43.
Keine Schonung.
„Elia aber sprach zu ihnen: Greifet die Propheten Baals,
daß ihrer keiner entrinne." 1 Kön. 18, 40.

E l i a kann der eiserne Prophet genannt werden; er war ein strenger


und mutiger Mann, der nicht davor zurückwich, seines Herrn Botschaft auf
jede Gefahr Hill zu verkünden. Es mußte gerade zu dieser Zeit ein solcher
Mann erweckt werden, denn die sidonifche Königin Isebel war eilt Weib von
herrschsüchtigem Geist, abergläubisch bis zum äußersten und eutschlossen bei der
Ausführung ihres Willens; da sie Ahab unumschränkt beherrschte, hatte sie
ihr Mandat erlassen, daß die Propheten Iehovahs erwürgt werden sollten,
ein Mandat, dem nur zu gut gehorcht wurde. Niemand konnte vor dieser
Tigerin stehen, bis Elia kam und ihre Bosheit herausforderte, ihr Schlimmstes
zu thun. Dieser eiusame Mann heroischen Geistes stemmte den furchtbaren
Strom der Abgötterei und stand gleich einein Felsen inmitten der Strömung
fest auf seinem Gruude. Er, allein und einzeln, war allen Vaalspriestern
und Hainen mehr als gewachsen, gerade wie ein Löwe eine Herde Schafe
zerstreut. Damals, als er die Worte unfres Textes sprach, hatte er, wie ihr
euch eriunern werdet, die Baalspriester als Lügner und Betrüger entlarvt
und zog dann als praktischer Mann, der er war, den natürlichen Schluß
daraus. Das Gesetz Israels war: „Wenn ein Prophet vermessen ist, zu
reden in meinem Namen das ich ihm nicht geboten habe zn reden, und welcher
redet in dem Namen andrer Götter, derselbe Prophet soll sterben;" und des-
halb ward Elia selbst der Vollstrecker des Gesetzes, da sie vor allen: Volk über-
wiesen waren; er hieß die Leute die Betrüger ergreifen, und er selbst färbte
den Kifou mit ihrem Blute rot. „Greifet die Propheten Baals, daß ihrer
keiner entrinne," war die Donnerstimme des Feuerpropheten. Der Mann that
seines Herrn Willen gründlich und träumte nie von einem Kompromiß.
Vielleicht war es um dieser Ursache willen, daß er, wie nur noch ein andrer
636 Alttestamentliche Bilder.

der vom Weibe Gebornen auf einem ungewöhnlichen Wege zum Himmel
emporstieg. Der Gott, der ihn so großartig treu gemacht, hatte beschlossen,
daß er, der durch die Welt ging anders als andre Menschen, anders aus ihr
hinausgehen sollte, und daß er, der in seinem Leben wie ein Seraph flammte,
in einem feurigen Wagen zu seiuem Lohn smporgetragen werden sollte.
Ich will indessen nicht weiter in die Einzelheiten der Sache hineingehen,
sondern aus dem Hauptgedanken darin Belehrung suchen. Brüder und
Schwestern, die geistliche Lehre in einem solchen Wort wie dieses, ist Ulw
fassend; es ist eine Lehre darin, die auf manches angewandt werden kann,
denn wie des Cherubs Schwert vor der Pforte Edens, kehrt sie sich nach
jeder Seite hin. E i n Gebrauch davon muß für heute morgen genügen: aber
zur selben Zeit wollen wir als einen Wink, wie sie angewandt werden kann,
bemerken, daßsieeine deutliche Beziehung auf den gegenwärtigen Znstand der
Gemeinde Gottes hat. Für unsre Kathedralen und Pfarrkirchen möchte es
besser sein, wenn sie die Stimme hörten: „Greifet die Propheten Baals, daß
ihrer keiner entrinne." Unheilige Kompromisse sind die Mode des Tages;
eine Einstößung von ehrlichem Blut ist nötig, sehr nötig. Die Menschen
werden ganz gleichgültig gegen religiöse Wahrheit, weil sie die Knechte Gottes
und die Jünger Baals in derselben Gemeinde verbunden sehen, und an den»
selben Altären anbeten. Aufrichtige Treue gegen Gott kann nicht dies
Bündnis mit Götzendienern ertragen. Irrtümern ließ man in der Volks»
gemeinde bleiben um des Friedens willen, und nun sind sie herrschend ge<
worden und drohen die Liebhaber der Wahrheit zu verderben. Es ist jetzt
klar, daß jeder I r r t u m in der Lehre oder in den Anordnungen ebenso schädlich
ist, wie ein Vaalsvrovhet, und nicht geduldet werden sollte. Die Welt ist
weit, und die Menschen sind für ihren Glauben nur Gott verantwortlich; aber
die Gemeinde sollte nicht innerhalb ihrer Grenzen der Lüge gestatten, sich
auszubreiten. Christen haben kein Recht, sich mit einer Gemeinde zu ver-»
binden, die in ihrer Lehre irrt. Wenn wir sehen, daß grober I r r t u m ill
einer Gemeinde wuchert, und wir als Mitglieder derselben angehören, so sind
wir Teilnehmer an ihrer Sünde, und wir werden an ihrer Strafe teilhaben
am Tage der Heimsuchung. Es ist ganz und gar falsch, daß es nichts aus»
mache, zu welcher Gemeiude wir gehören. Es macht für jede» etwas aus,
der ein Gewissen hat und seinen Gott liebt. Ich darf mich nicht in Kirchen«
gemeinschaft mit Nitnalisten und Natioualisteu verbinden; loyale Unterthanen
werden nicht mit einer Gesellschaft von Verrätern sich verbinden. Was für
eiu Segen wäre es gewesen, wenn zu L u t h e r s Zeit die Reformation voll»
ständig durchgeführt worden wäre! Groß wie das Werk war, so war es in
einigen Punkten doch ein sehr oberflächliches Ding, und ließ tödliche Irrtümer
unberührt. Der Reformation in England wurde durch die Politik Einhalt
Keine Schonung. 637

gethan, fast gleich nachdem sie begonnen. Unsre Kirche ist eine Halb-
papistische. Wenn in diesem Lande die Art an die Wurzel der Vänme gelegt
wäre, wie J o h n Knor. sie in Schottland anlegte, so hätten uns tansend Übel
erspart bleiben können; aber mm beginnen die Bäume, die nur beschnitten
waren, wiederum Zweige zu treiben, und die Irrtümer, denen es verstattet
ward, einen untergeordneten Platz einzunehmen, treten jetzt wieder in den
Vordergrund, und drohen die Wahrheit Gottes ganz hinauszuwerfen. Die
einzige Art, wie unser Gewissen rein vor Gott gehalten werden kann, so daß
wir mit I h m im Lichte zu wandeln vermögen, ist die, daß wir jeden falschen
Weg verabscheuen und allem nbsageu, was nicht von Gott und von der
Wahrheit ist. „Zum Gesetz und zum Zeugnis.- wenn sie nicht diesem Worte
gemäß sprechen, so ist es, weil kein Licht in ihnen ist." Wann werden die
Christen dies einsehen? Die Bibel und die Bibel allein, sagt man, ist die
Religion der Protestanten, aber die Vehauptuug ist eine schreckliche Lüge; die
meisten Protestanten glauben eine Menge andrer Dinge über und neben dem,
was in der Bibel gelehrt wird; sie haben Gebräuche, denen die Autorität der
Schrift fehlt, uud glauben Lehren, die nicht vom Heiligen Geist gelehrt sind.
Glücklich werden die Gemeinden sein, wenn sie das Joch aller Autorität,
außer derjenigen der Schrift und des Geistes Gottes, abwerfen. Was haben
des Herrn freie Männer mit Konzilien der Kirchen, mit Vätern und
Doktoren, mit Überlieferung und Gewohnheit zu schaffen? Die wahre Ge>
meinde hat nur einen Rabbi, uud sein Wort genügt ihr. Hillweg mit
Menschengeboten. Nieder mit den Überlieferungen, welche das Gesetz Gottes
aufheben. „Ergreifet die Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne." Eine
gründliche Reinigung ist nötig; eine Reformation all Wurzel und Zweigen ist
eine gebieterische Notwendigkeit. Möge der Herr uns einen Propheten senden,
bekleidet mit dem Geist und der Kraft des Elia, durch den die unfruchtbaren
und giftigen Bäume des I r r t u m s niedergehauen nnd ins Feuer geworfen
werden.
Ich bill indes nicht im Begriff, über diese» wichtigen Gegenstand zu
reden. Ich wünsche Feuer und Schwert in ein andres Gebiet zu tragen, wo
dies, wie ich hoffe, praktische Resultate ergeben wird. Laßt uns daheim zu«
sehen, unsre eignen Herzen erforschen, uusre eignen Seelen prüfen. Unser
Wesen ist ein dreifaches Königreich, Geist, Seele und Leib; dieses Reich sollte
ganz dem einen Gott Israels angehören; aber statt dessen hat die Sünde es
verunreinigt, und selbst wo durch Gottes Gnade die herrschende Macht des
Bösen gebrochen ist, dringt die Sünde doch noch hinein und sucht die Herr«
schaft wiederzugewinnen. Das große Gesetz des christlichen Lebens mit bezug
auf die Sünde in unfrem Innern ist: „Greifet die Propheten Baals, daß
ihrer keiner entrinne." W i r haben weder Waffenstillstand noch Unterhandlung
l)38 Alttestamentliche Bilder.

»lit dem Bösen; Krieg bis aufs Messer gegen jede Sünde jeder Art sollte die
beständige Gewohnheit der innersten Natur des Christenmenschen fein.
Ich werde heule morgen nnr zu dem Volke Gottes reden. Möge man
dies völlig verstehen. Ich spreche jetzt nicht zu Unwiedergebornen, zu denen,
die nicht an Iesnm Christum glauben. Ich würde in der That thöricht sein,
wenn ich die, welche in Sünden tot sind, ermahnte, wider ihre Sünden
zn kämpfen, in der Hoffnnng, dadnrch die Seligkeit zu erlangen; denn das ist
gar nicht der Weg zur Seligkeit, auch wenn sie desselben fähig wären.
Sünder müssen erst zu Christo geführt werden und in Ihm durch.einen Vlick
des Glaubens errettende Gnade finden. Der Glaube ist das erste, nicht die
Werke. Von guten Werken vor der neuen Geburt reden, heißt die göttliche
Ordnung mißachten, nnd das letzte zuerst setzen. Es ist müßig, von den
Pflichten eines Christen zu einem Manne zu sprechen, der kein Christ ist.
Für euch nnbekehrten Hörer ist das erste und für jetzt das einzige Werk
Gottes, daß ihr an Iefuni Christum glaubt, den Er gesandt hat. „Glaube
an den Herrn Iesum Christum, so wirst du selig werden," denn „wer da
glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der
wird verdammet werden." Ich spreche nur zu denen, die gläubig geworden
sind; aber ihnen möchte ich den klaren, scharfen, gründlichen Nat des Textes
einprägen.
Wir wollen znerst Ursachen angeben für das Töten, das wir empfehlen;
zweitens, Gründe für die Vollständigkeit desselben, „daß ihrer keiner entrinne;"
und dann drittens, sollen Wahrheiten von praktischem Wert angeführt werden,
die uns beim Ausführen des Befehls helfen.

I.
Zuerst wollen wir einige Ursachen sur das T ö t e n anführen, welches
wir jetzt empfehlen.
Beim Beginn erinnern wir euch daran, daß unsre Sünden verdienen
zu sterben, jede von ihnen, weil sie Verräter an unsrem Gott sind. Einst
waren auch wir Verräter und gaben unsren Sünden willig eine Stätte. Wir
verschworen uns gegen die Majestät des Himmels, und deshalb wurden unsre
Übertretungen geliebt und gehätschelt; sie waren unsre Lieblinge, und wir
waren in sie vernarrt. Jetzt aber, Geliebte, ist die Sache anders geworden,
der Herr, Jehovah ist uufer Gott und König; wir freuen uns feiner Negierung,
und unser Gebet isti „Die Erde werde voll seiner Ehre." Unsre augebornen
Sünden würde» geru dem Herrn seine Ehre rauben. Jede Sünde ist dem
Wesen nach ein Kampf wider den Thron des Höchsten, sie ist ein verräterischer
Angriff auf die Kronrechte des Himmels. Wer sich gegen das Gesetz Gottes
empört durch seinen Bruch desselben, sagt der That nach: „Ich will nicht,
Keine Schonung. 639

das; dieser Gesetzgeber über mich herrsche." Es gebührt sich also nicht, o ihr
Kinder des Reichs, das; der Sünde verstattet wird, den Herrn durch euch an-
zugreifen. Es gebührt sich nicht, daß Seelen, die durch das Vlut Jesu erlöset,
mit einer ewigen Liebe geliebt nnd endloser Gunst versichert sind, jene schwarzen
und faulen Ven'ä'ter der Sünden des Fleisches und des Geistes beherbergen.
Faßt heute den Beschluß ill der Kraft Gottes des Heiligen Geistes, das Fleisch
zu kreuzigen mit seinen Lüsten und Begierden. Fanget diese Füchse, welche die
Weinberge verderben, und laßt keinen von ihnen entrinnen.
Laßt sie zweitens erschlagen werden, w e i l sie uns schon unendlich
v i e l Böses gethan haben. I n ihrem Allgriff auf Gott haben wir schon
einen Hauptgrund für ihre Vernichtung gefunden; laßt uns daran gedenken,
daß sie nils ulld dem ganzen Menschengeschlecht schweren Schaden zugefügt
haben. Meine Brüder, was hat die Sünde für uns gethan? Kann sie auf
irgeud einen Vorteil oder Segelt hinweisen, mit dem sie uns bereichert hat?
Geht die Blätter der Weltgeschichte dnrch, und sehet, ob die Sünde nicht
des Menschen schlimmster Feind gewesen. Wessen heißer Odem versengte Eden,
ließ alle seine Laubell der Glückseligkeit verdorren, und die Erde so unfruchtbar
werden, daß sie ohne Arbeit, Arbeit im Schweiße des Angesichts, kein Brot
liefert zu unsrer Erhaltung! Merkt wohl jene unzählbaren Gräber, welche
jede Ebene mit Hügeln bedecken. Wer schlng alle diese? Durch welche Pforte
kam der Tod ill die Welt? War nicht die Sünde die Pförtnerin, die das
Thor öffnete? Horcht in diesem Augenblick auf das Kriegsgeschrei, das in
jedem Zeitalter der Weltgeschichte ein schreckliches Getöse, Stöhnen sterbender
Männer, nnd Kreischen fliehender Weiber erzeugt hat. Wer tauchte zuerst die
Fahne in Vlut und verpestete die Luft durch Gemetzel? Und jener despotische
Thron, der die Menge niedergetreten, und das Leben vieler durch harte Knecht»
schaft bitter gemacht hat, wer legte seinen dunklen Grund, und kittete ihn mit
Vlut zusammen? Woher kam der Krieg mit seiner Schlächterei und die Tyrannei
mit ihren Leiden? Woher, als nur von den Sünden und den Lüsten der
Menschen? I n der ganzen Welt, wo Dornen in der Furche und Disteln auf
dem Nain wachsen, hat die Hand der Sünde sie gesäet. Die Süude hat die
Nvfel Sodoms in Afche verwandelt und die Trauben Gomorrhas in Galle.
Die Spur der Schlange mit ihrem schrecklichen Schleim hat die Fußstapfen
der Freude verwischt. Vor dem Tritt der Sünde sehe ich den Garten des
Herrn und hinter ihr eine Wüste und ein Veinhaus. Steht still eine Weile.
Nein, fahrt nicht zurück, sondern kommt mit mir. Blickt hinunter ill das
schauerliche Dunkel des Tophet, jener grauenhaften Region, wo die endgültig
Unbußfertigen wohnen, die mit unuergebeuen Sünden auf ihrem Haupte
starben. Könnt ihr's ertragen, ihr Seufzen und Stöhnen des Schmerzes zu
hören? W i r wollen nicht versuchen, die Leiden der Geister zu beschreiben, die
640 Alttestamentliche Bilder.

von ihrem Gott Hinweggetrieben, auf ewig von aller Hoffnung und allem
Frieden verbannt sind; aber wir wollen dich fragen, o Menfchenkind, wer
grub jenen Abgrund und warf die Menschen hinein? Wer liefert das Brenn-
material für jene schreckliche Flamme, und woher erhält der Wurm, der nimmer
stirbt, seinen Zahn, der nie stumpf wird? Die Sünde hat das alles gethan.
Die Sünde, die Mntter der Hölle, die Fenerqnelle, auf die wir jeden
brennenden Strom zurückführen können. O Sünde, es gebührt sich nicht, daß
irgend ein Himmelserbe, der von der Hölle erlöset ist, mit dir Freundschaft
schließt. Sollen wir die Natter streicheln oder die tödliche Kobra an unsren
Busen drücken? Wenn die Gnade Gottes nicht gewesen wäre, so hätten unsre
Sünden uns schon in die Hölle eingeschlossen, und sogar jetzt suchen sie uns
dahin zu ziehen: deshalb laßt uns diese Feinde unsrer Seele ergreifen und sie
töten — laßt ihrer keinen entrinnen.
Aber ferner, liebe Brüder, geziemt es sich, daß jede Sünde durch Gottes
Gnade stirbt, ob sie Stolz, Trägheit, Habgier, Weltlichkeit, Lust oder irgend
eine andre Form des Bösen ist; es geziemt sich, daßsiestirbt, w e i l sie uns
ernsten Schaden t h u t , wenu sie nicht getötet wird. Von großen Süudeu,
die von Menschen für groß gehalten werden, brauche ich wenig zu sprechen,
denn ihr alle wißt, wie gefährlich sie sind; aber vor sogenannten kleinen
Sünden muß man ebenso warnen. Nach und nach fallen, ist eine schreckliche
Art des Fallens. Ein Christ kann nicht in einer wissentlichen Sünde leben,
und doch mit Gott wandeln. Sobald wir Sünde in uns dulden, verlieren
wir die Kraft im Gebete. Die Schrift hört auf, uus lieblich zu sein, wenn
die Sünde angenehm wird; die Gottesdienste im Heiligtum sind langweilig
und leblos, wenn das Herz vom Bösen bezaubert ist. Keine Zunge kann je
sagen, was für Schaden eine einzige Sünde einem Christen thun wird, sie
gleicht dem einen Wurm an Jonas Kürbis. Nehmt Davids Beispiel, was
für ein Wechsel in dem Leben dieses Mannes von dem Augenblick an, wo
er irre ging! Er erreichte den Himmel/ aber wie voller Schmerzen hinkte er
den ganzen Weg dahin, und wie schwer seufzte er bei jedem Schritt. Die
Lieder, die er vor jener Zeit schrieb, sind oft jubilierend und ertönen häufig
wie laut schallende Zimbeln; aber später ist die Stimme des lieblichen Sängers
in Israel heiser; er schlägt die klagende Saite an, und setzt an die Stelle des
Psalteriums die Äolsharfe. Die Sünde zerbrach diesen Adlersflügel und trübte
dies Adlerauge. Simson ist ein noch traurigerer Fall. Laßt seine geschorenen
Locken und geblendeten Allgen zu uns sprechen. O Seele, wenn du deine
schlimmstell Feinde sehen willst, so blicke auf deine Sünden. Wenn du das
schauen willst, was deiner Seele Besitztum schmälern, dein Herz an Freude
bankrott machen, deine Sicherheit schiffbrüchig werden lassen und deine Wirk«
samkeit töten kann, so hast du nur auf die Sünde zu blicken. Seht ihr sie
Keine Schonung.

nicht, ihre Haut ist glänzend von bunten Farben und ihr Auge glüht be>
zaubernd, aber ihre Zähne sind tödlich. Wie Amalek der erbarmungslose
Feind Israels war, so ist die Sünde der mitleidslose Feind des Gläubigen;
deshalb zn den Waffen wider sie, nehmt all ihre Kinder und laßt keins
entrinnen.
Diese Gründe mögen genügen, nns znr Tötung derselben aufzuwecken.
Sollen Verräter nicht sterben? Sollen nicht die, welche es auf nnser Ver«
derben anlegen, weit von nils gethan werden? Sollen nicht diese unersätt«
lichen Gegner, die schneller als die Adler und stärker als die Löwen in der
Macht uns zu schaden sind, sollen diese, sage ich, nicht bekämpft werden? Von
Frieden mit ihnen kann man nicht träumen. Der Herr und sein Volk sollen
streiten mit Amalek von Kind zu Kindeskind. Möge unser Herz nicht dazu
ueigeu, eine einzige Sünde zu schonen; laßt uus mit einem Eifer, grausam
wie das Grab, diese unreinen Tiere niederhauen.
Mich dünkt, als Elia sprach: „Greifet die Propheten Baals," nahm er
einen Beweisgrund her voll dem Platz, auf dem so kurz vorher der Altar ge>
standen. Bei jenem wunderbaren Anblick, wo Farren, Holz, Steine und
Wasser, alles vom himmlischen Feuer aufgeleckt ward, bat er sie, Jehovah zu
dienen. Er konnte sagen: „ S e h t her, das O p f e r ist von J e h o v a h an»
genommen. Was denn? Was ist die natürliche Folge davon anders, als
daß die Feinde dieses Opfers, die ein andres Opfer dargebracht, sofort er»
schlagen werden?" Brüder und Schwestern, ihr und ich haben das Opfer auf
Golgatha gesehen, einen viel erhabeneren Anblick als den auf Karmel. Kein
Farren war dort, sondern der menschgewordene Sohn Gottes. Euer Glaube
hat I h n an das Kreuz genagelt gesehen, ihr habt die Leiden seines Körpers
erblickt, und habt in Gedanken die Angst feiner Seele geschaut und ihr wißt,
daß Er „unsre Krankheit trug und unsre Schmerzen auf sich lud." Als Er
seine Seele zum Opfer für die Sünde machte, fielen die Flammen göttlicher
Gerechtigkeit auf das Opfer, und nun alles vollendet ist, hat Christus eine von
Gott angenommene Sühne für all unsre Sünden dargebracht. Wollt ihr daraus
nicht den Schluß ziehen, daß ihr hinfort der Sünde nicht mehr dienen könnt?
Bei dem Vlnte Jesu seid ihr verpflichtet, das Böse zu Hassel!. Diese Sünden
machten die Leiden Christi notwendig, wollt ihr sie hegen? Für diese eure
ltbertretnngen trug euer Heiland den Zorn Gottes, wollt ihr zu ihnen zurück«
kehren? Dies würde barbarische Undankbarkeit sein, könnt ihr euch deren
schuldig machen? Könnt ihr auf die blutenden Wunden Jesu schauen und
dann I h n von neuem verwunden? Sage, Gläubiger, bist du gerechtfertigt,
und kannst du dann zurückgehen zu übermütiger Spielerei mit der Sünde?
Es ist kein heiligeuderer Anblick in der Welt als das blutende Opfer Jesu
Christi. Es gibt nichts, was für das christliche Gemüt ein überzeugenderer
S p u i g e o n , Alttestamentltche Vllder. 41
642 Altteslamentliche Bilder.

Beweis davon ist, daß die Sünde sterben muß, als die Thatsache, daß Jesus
starb. Des Himmels ewiger Liebling blutet und leidet für Übertretung, dann
muß die Übertretung auch sterben. Das Kreuz kreuzigt die Sünde. Das
Grab Jesu ist die Gruft unsrer Missethaten. Bei dem Vlut und den Wunden
Jesu siud wir gezwungen, die Propheten Vaals zn ergreifen und keinen ent»
rinnen zu lassen. Haltet enre Schwerter bereit für ihre Herzen! Auf uud
schlagt sie! Haut sie iu Stücke, wie Samuel Agag vor dein Herrn in
Stücke hieb.
Der Prophet hätte noch einen andren Beweis anführen können, der
gewiß Eindruck gemacht hätte. „Höret," hätte er sagen können, „ i h r habt
selber bekannt, daß J e h o v a h G o t t ist. Von Ehrfurcht ergriffen bei dem
Wunder, habt ihr znm zweitenmal Jehovah die Ehre gegeben und anerkannt,
daß Er Gott ist. Was mm? Laßt diese Verführer sofort zu Vodeu ge-
schlagen werden." Solches Bekenntnis verlangte dein entsprechende Handlung.
Die meisten von euch, zu deuen ich heute morgen spreche, haben bekannt, daß
der Herr der Heiligkeit ihr Gott ist. I h r habt es nicht nur gesagt, iudem
ihr an dem feierlichen Gottesdienste im Heiligtum teilgenommen und es also
in Psalmen und Liedern erklärt habt, und dadurch, daß ihr Amen Zu unsren
Gebeten sagt, sondern viele von euch haben ihren persönlichen Glauben vor
der Gemeinde Gottes bekannt; ihr seid vor die versammelten Brüder getreten
und habt erklärt, daß der Herr euer Gott und König ist. Überdies habt ihr
in Gehorsam gegen eures Meisters Gebot euch jenem symbolischen Akt unter»
zogen, durch den ihr erklärtet, daß ihr der Welt gestorben und mit Christo
durch die Taufe in den Tod begraben feid. Feierlich seid ihr in seinem
Namen getauft und in seinem Namen aus dem Wassergrabe erhoben worden
— wollt ihr falsch gegen diese Symbolik sein? Ist euer Bekenntnis eine
Lüge? War eure Taufe eine lästerliche Falschheit, ein vermessenes Eindringen?
Laßt mich dies jedem Herzen vorstellen, wie ich es meinem eignen vorstelle;
laßt uns entweder kein Bekenntnis haben oder es bewahrheiten; nnd wenn
unser Bekenntnis wahr ist, so verlangt es sicher, daß die Sünde nicht gehegt,
sondern verabscheut werde. Aber spreche ich nicht zu Gemeindegliedern, die es
für vereinbar mit ihrem Bekenntnis halten, während der Woche zu thun, was
sie heute nicht bekannt gemacht haben möchten? Sind nicht manche von euch
da, die im Geschäft nicht reine Hände haben, uud doch äußerlich als Vekenner
Christi gewaschen sind? Es mag sein, daß ihr heute abend zum Tische des
Herru kommt, wo ihr des Erlösers Tod verkttudet, und doch sind die Bissen
von des Satans Tisch kaum aus eurent Munde heraus. Wenn euer Leben
die ganze Woche hindurch dem Leben Christi entgegengesetzt gewesen ist, was
thut ihr unter seinem Volke am Sabbat? Wenn ihr Zu Hause ein leiden-
schaftliches Gemüt zeigt, ein stolzes uud herrisches Wesen, wenn ihr unrechtlich
Keine Schonung. 643

seid, wenn eure Reden unkensch sind, wenn ihr ench dem Trunk oder andren
unheiligen Lüsten des Fleisches ergebt, wer kann euch von Schuld reiuigeu
und wer wird euer Anwalt sein? I h r habt erklärt, daß ihr Gott verehrt,
wie dürft ihr Baal folgen? I h r sagt, daß ihr die Knechte Christi seid, wie
könnt ihr die Knechte Velinls sein? Könnt ihr die Zwei verbinden? Es
darf nicht sein, es kann nicht sein. Wenn Gott Gott ist, dient I h n : von
ganzem Herzen und Gemüte, aber wenn die Welt und die Sünde im Grunde
doch besser sind als der Weg des Herrn, dann sagt es ehrlich und trefft
enre Wahl. Seid treu, ich bitte euch, seid immer treu eurem feierliche»
Bekenntnis.
Der Prophet konnte Forderungen an sie stellen, weil er unzweifelhaft
unter der E i n g e b u n g G o t t e s handelte. Er brauchte ihuen das nicht zu
sagen, denn sie nahmen es alle wahr. Die Handlungen Elias an diesem
Tage waren sehr merkwürdig; und in der That, wäre er nicht vom Geiste
Gottes geleitet worden, so hätten sie zweifelhaft sein können, aber Gott gab
ihm gewisse heilige Instinkte, die ihm statt wörtlicher Befehle dienten, und er
wurde über sich selbst hinausgehoben durch einen geheimnisvollen Einfluß,
vor dem Er sich biegsam und bildsam erwies. Wenn er über die Baals«
Priester lachte, so that er, was Gott wollte, das er thun sollte; wenn er seine
Kniee beugte und um Feuer rief, und das Feuer kam, so gab er dein gött-
lichen Antriebe nach, der in ihm sich regte; und wenn er sagte: „Greifet die
Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne," so waren alle Leute gehorsam,
weil sie fühlten, daß Gott durch diesen Mann sprach. - Nun, wenn es irgend
eine Stimme in der Welt gibt, die ganz sicher göttlich ist, so ist es die, die
aus „der großen Herrlichkeit" r u f t : „Kindlein, hütet euch vor den Abgöttern."
„ S o leget nun von euch ab, nach dem vorige»» Wandel, den alten Menschen,
der durch Lüste in I r r t u m sich verderbet." „Meidet allen bösen Schein."
„Darum solltet ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel voll«
kommen ist." Dies ist die Absicht der Erwähluug: Er hat uus erwählt, daß
wir heilig seiu solleu. Dies ist der Zweck der Erlösung: Er hat beschlossen,
uns von aller Sünde zu erlösen. Dies ist das große Endziel des Geistes
Gottes: daß wir sein Werk seien, geschaffen in Christo Jesu. Heiligkeit ist
das große Erfordernis und zu gleicher Zeit das große Vorrecht des Evan»
geliums unsres Herrn Jesu Christi. O Brüder, denkt nicht, daß nur diese
Lippen sprechen, wenn ich sage, tötet die Sünden, die in euch sind, laßt keine
entrinnen; es ist Gott, der es spricht, laßt seine Stimme Macht über eure
Seelen haben.
Ferner, denke ich, hatte Elia einen sehr starken Beweisgrund, wenn er
auf die Felder um Karmel herum und auf die dürren Abhä'uge des Verges
hinwies. Weit wie das Auge sehen konnte, war kein Fleckchen Grün da.
41'
644 Alttestamentliche Vilder.

Selbst wo die Väche zu andren Zeiten eine schmale Linie dürftiger Vegetation
grünend erhalten hatten, war jetzt keine Spur von Binsen, Nohr oder Gras;
alle Väche und Flüßchen waren vertrocknet und ihre Ufer verödet. Die
Menschen suchten mit eifrigen! Blick, aber sie sahen keine Spur von Gras für
Tiere oder von Korn für Menschen. M i t welcher Beredsamkeit hätte Elia
sprechen können, wenn ihm daran gelegen, es zu thun: „ A l l dieses ist über
euch gekommen durch eure Sünden; ihr habt euch von Gott abgekehrt, uud
Er hat euch geschlagen, bis der Libanon schmachtet und Sarons Ebenen wie
der Staub des Ofeus sind. Wenn ihr das Übel entfernen wollt, fo fegt die
Ursache desselben hinweg. Erschlagt die Verräter, welche euch arm gemacht
haben." Laßt mich hier einige von euch hinweisen auf die D ü r r e eurer
Seele, die vou der S ü n d e h e r r ü h r t . Gedenkt an euren Verlust der Ge«
meiuschaft mit Christo, euren Mangel an Freude iu Gott, eure Kraftlosigkeit
im Gebet, eure Unfähigkeit, guten Einfluß auf die Gemeinde und auf die
Welt zu üben. Was hat euch so unfruchtbar gemacht? Es war eine Zeit
für euch, in jenen jungen Tagen, da ihr euch dem Herr» verlobtet, wo eure
Seele dem Garten des Herrn glich und der Schmuck Karmels und Sarons
euer war; aber jetzt, obwohl ihr bei den Kindern Gottes sitzet, habt ihr nicht
dieselbe Freude am Wort, wiesie,uud obgleich ihr betet, ist es kein kräftiges
Gebet, und wenn ihr singt, so tollen euch die Lieder, die euch einst entzückten,
eintönig. Die Freude ist alls eurem Leben gewichen, sein Grün und seine
Schönheit sind dahin, und wie? Haben nicht eure geheimen Sünden euch
verraten? Waren sie. nicht für eure Seele, was eine Motte dem Kleide ist
und nagten an ihr und verzehrten sie? Grane Haare waren hier und da
auf euch, und ihr wußtet es nicht, bis eure geistliche Abnahme bewirkte, daß
ihr vor Schwäche schwanktet. Die Diebe der Sünde sind in der Nacht ein-
gebrochen und haben eure Juwelen gestohlen und eure köstliche» Schätze hinweg»
getragen. Wenn ihr wünscht, eure vorige Glückseligkeit wieder zu erlangen,
so müßt ihr sofort entschlossen diese Vaalsvrovheten ergreifen lind keinen eut»
rinnen lassen.
Hätte Elia nicht sagen können: „Denkt an eure unerhörten Gebete!"?
Einige von euch haben eiue lange Reihe derselben. Gleich den Israeliten in
Elias Tagen, die um Regen schrieen, ohne daß Regen kam, habt ihr zu Gott
gebetet um eurer Kinder Bekehrung, und sie sind nicht bekehrt; ihr habt um
das geistliche Leben eines teuren Freundes gebeten, und er hat es nicht er-
halten; und vielleicht ist die Ursache davon: ihr wandelt Gott entgegen, uud
Er wandelt euch entgegen. Wenn ihr I h n nicht hören wollt, so will Er euch
auch uicht hören. Er wird euch nicht verstoßen und euch ganz verderben lassen,
aber Er wird den Himmel zuschließen, daß er ehern über eurem Haupte werde.
I h r könnt nicht im Gebet ein Jakob sein, wenn ihr im Leben ein Esau seid.
Keine Schonung. 645

Wenn ihr schwach auf euren Knieen seid, so haben eure Sünden den Schaden
gethan: laßt sie nicht entrinnen. Gedenkt daran, wenn ihr des Herrn Feinde
töten wollt, so wird Er eure Unfruchtbarkeit voll euch nehmen und euer
Schreien hören. Als die Baalspropheten den Voden mit ihrem Herzblut ge«
tränkt hatten, da überflutete der Herr die Felder mit Regen, aber nicht eher.
Wenn wir die Süude aufgeben, so werden wir unser „Gefängnis gewandt"
finden. Thue die Sünde uon dir ab, und du sollst Christi Angesicht wiederum
sehen. Er ist in seine Kammer gegangen, zu sehen, was du thun wirst, wenn
Er dich verlassen hat, und wenn du mm nach I h m seufzen und schreien willst,
so wird Er zurückkehren. Vor allem, wenn du sagen willst:

„Ist etwas, das ich neben Dir


I n aller Welt sollt' lieben.
So nimm es hin, bis nichts in mir
Als Du, sei überblieben."

so wirst du bald deinen Herrn zurück haben und mit I h m allen Tau des
Geistes, und deine Seele wird wiederum blühen und die Früchte der Freude
und Heiligkeit hervorbringen. Vrauche ich länger Gründe anzuführen? Ist
»licht jeder Christ bereit, das Opfermesser zu nehmen und seine Übertretungen
zu töten?

II.
Laßt mich euch zweitens daran erinnern, daß der Text etwas Völliges
verlangt. „Greifet die Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne." Laßt
mich euch einige G r ü n d e f ü r dtese V o l l s t ä n d i g k e i t geben. Ich
fürchte, es thut sehr nötig, daß ich für die Vollständigkeit dieses Tötens der
Sünde spreche, denn die menschliche Natur macht verzweifelte Versuche,
wenigstens eine Sünde zu retten. Wie Saul kann sie es nicht ertragen, alle
Amalekiter zu töten, sie möchte einige der besseren Art schonen. Ich habe
Leute sehr beredt gegen Trunksucht sprechen hören, sehr, und ich möchte nicht,
daß sie es weniger wären, aber sie haben kein Wort gegen Sabbatbrechen
gehabt oder gegen Unglauben, Herzenshärtigkeit, Stolz uud Selbstgerechtigkeit.
Sie wollten die Natter töten und die Viper schonen. Habt ihr nicht manche
gekannt, die den Spott jenes Schriftstellers rechtfertigen und „die Sünden, zu
denen sie geneigt sind, dadurch gut machen, daßsiedie verdammen, zu denen
sie keine Lust haben." Sie hassen einige Sünden und hätscheln andre. Sie
wollen kein Arsenik anrühren, aber sie vergiften sich mit Blausäure. Gerade
wie Lot vor Zoar sagte, so sagen sie: „ I s t es nicht eine kleine? Einige
gestehen, daß sie von Natur den Hang zu einer Sünde haben undsiedeshalb
nicht überwinden können; sie geben sich einen Freibrief zur Sünde und halten
646 Alttestamentliche Bilder.

sich für rein, obgleich sie ihrer bösen Neigung nachgeben. Brüder, dies geht
nimmer an. Ablaßbriefe des Papstes werden jetzt verworfen, sollen wir sie
für uns selbst ausschreiben? I s t Christus der Diener der Sünde? Ich weiß,
daß einige Leute meinen, sie seien bei dem gelegentlichen Gebrauch bitterer
Worte entschuldigt, weil sie gereizt werden, aber ich finde keine solchen Ent»
schuldigungen in dem Worte Gottes. I l l keiner einzigen Stelle finde ich
einen Passierzettel für eine Sünde oder einen Urlaub von irgend einer Pflicht.
Sünde ist Sünde in jedem Falle und in jedem Menschen, und wir sollen sie
nicht verteidigen, sondern verurteilen. Einige berufen sich darauf, daß ihr
Vater leidenschaftlich gewesen sei, und sie leidenschaftlich seien, uud daß dies
deshalb in ihrem Blute liege, aber mögen sie daran gedenken, daß der Herr
ihr Blut reinigen muß, sonst werden sie in ihren Sünden sterben. Andre
sagen, daß ihre beständige Unzufriedenheit, Verdrießlichkeit, ihr Murren uud
ihre Neigung, mit jedermann zu zanken, der Schwachheit ihres Körpers zu»
geschrieben werden müsse. Wohl, ich bin nicht ihr Nichter; aber das Wort
des Herrn richtet sie und erklärt, daß die Sünde nicht über den Gläubigen
herrschen soll.
Wir sind doppelt gewarnt, uus von ihr zn befreien. Mehr Gnade ist
nötig, und mehr Gnade ist zu haben. Nehmt niemals an, daß Gott euch
einen Freibrief für irgend eine Sünde gegeben, so daß ihr darin leben könnt,
so lange es euch gefällt; nein, sondern glaubt, daß Jesus gekommen ist, euch
von euren Sünden zu errette». Ich habe keine Andeutung vom Herrn er»
halten, zart mit den Sünden irgend eines Menschen umzugehen oder ein
Schutzredner der Übertretung zu werden. Meine Votschaft ist die des Elia:
„Greifet die Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne." Denn beobachtet
dieses: Eine S ü n d e kann zu tödlichen F o l g e n f ü h r e n . „Für ein
Kind Gottes?" fragt ihr. Ich sage das nicht; aber wie wissen wir, daß du
ein Kind Gottes bist? wie darfst du dich für von oben geboren halten, fo
lange dein Herz irgend eine Sünde liebt? I n Wahrheit, du magst versichert
sein, daß du kein Kind Gottes bist, wenn es eine Sünde gibt, von der du
nicht frei zu werden wünfchest. Ein Kind Gottes kann eine Zeitlang von
der Sünde gefangen gehalten werden, aber es kann sie niemals lieben. Eine
Sünde ruinierte unser Geschlecht; eine Frucht, vom verbotenen Baum ge»
pflückt, stürzte die Menschheit von ihrer ursprünglichen Herrlichkeit herab. Die
Wirkung dieser e i n e n Sünde hat sich in unsrem Blute verbreitet sechs Jahr«
taufende hindurch, und wird fortfahren, sich zu verbreiten, wenn die Jahre
aufhören, gezählt zu werden, und wird die Menschen verderben eine Ewigkeit
von Weh hindurch, wenn sie nicht aus ihnen herausgetrieben wird. Es ist
etwas Entsetzliches, dies zu denken als die Folge einer Sünde. Wo eine
Sünde eine Gemeinde nicht ruiniert, da seht, welchen Schaden sie verursacht.
Keine Schonung.

Es war nur e i n Nchcm da, aber I s r a e l ward bei A i geschlagen, und konnte
nicht siegell, ehe das Verbannte entdeckt und hinweggeschafft war. Es gibt so
starke Gifte, daß ein Tropfen davon den ganzen Körper vergiftet; ein Leck in
einem Schiff mag genug sein, es untergehen zu lassen; e i n einzelner Felsen
mag die stärksten Bretter eines stattlichen Schiffes zerbrechen. Sagt nicht, daß
keine Gefahr in e i n e r Sünde sei, möge Gott uns vielmehr Gnade verleihen,
zu fühlen, daß kein Böses geschont werden darf.
Dann, lieben Brüder, ist noch dies dabei, daß noch nie eine S ü n d e
a l l e i n war. Sünden jagen stets in Koppeln. Erblickt einen von diesen
Wölfen, und ihr könnt gewiß sein, daß ihm eine zahllose Schar auf den
Fersen folgt. Ich sprach eben vorhin von der Sünde Adams in Eden, wo
er die verbotene Frucht nahm, laßt mich fragen, was war das Wesen dieser
Sünde? Ich denke, es würde nicht schwer sein, die Behauptung aufzustellen,
daß es Stolz war oder daß es Unzufriedenheit war oder Sinnenlust oder
Unglaube oder in der That fast jede andre Sünde, die ihr nennen wollt.
Es war eine vielseitige Übertretung, ihr Licht löst sich ill alle Farben des
Bösen auf. Jenes Teufels Name war Legion, denn „ihrer waren viel." Die
ganze Brut der Sünde kann aus e i n e m Ei geheckt werden; die erste Sünde
hatte alle andren in ihren Lenden. Deshalb dürfen wir nicht daran denken,
uns eine Sünde zu «erstatten, denn sie wird sieben andre mit sich bringen,
die ärger sind, denn sie. Wer mit e i n e r Sünde scherzt, wird bald mit
mehreren spielen und von Schlechtem zn Schlimmerem fortgehen. Ein Dieb,
der in die Hausthür uicht hineinkommen kann, weil er sie verschlossen findet,
versucht es bei der Hinterthür und den Fenstern und findet dann ein Fensterchen
so kleill, daß es nicht verschlossen worden ist, weil kein Erwachsener hindurch
kann, er setzt ein Kind hinein, und das ist genug, denn der Kleine kann die
Thür aufschließen, nnd soviel Diebe hinein lassen, wie er will. So kann
eine Sünde, die in die Seele hineingelassen ist, und darin Hausen darf, das
Herz für Übertretungen bereiten. Nicht auf einmal werden Menschen ver-
abscheuenswert, sondern Sünde bahnt den Weg für Sünde, und sorgfältig
gepflegte Thorheit wächst zum Verderben heran.
Lieben Brüder, es gibt Christen, die dadurch, daß sie einer Sünde bis
zu einem gewissen Maße nachgeben, ihr ganzes Leben lang der Knechtschaft unter»
worsen sind. Sie sind schwach in der Gnade, sie sind trübsinnig, sie freuen
sich nie in dem Herrn; ihr Charakter ist zweifelhaft; sie sind armselige Bei»
spiele für andre, sie haben nur wenig guten Einfluß, ihre Nützlichkeit ist fraglich,
ihr Leben ist schwach, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird ihr Tod düster
sein. Sie werden selig, doch so als durchs Feuer; sie werden in den Hafen
einlaufen, aber sie werden dem Schiffe gleichen, das ich vor einigen Tagen
nach den letzten Stürmen sah, sie müssen hineingeschleppt werden mit verlornen
648 Alttestamentliche Bilder.

Masten und zerrissenen Segeln, so daß sie nicht das selige Wort empfinden
können: „Also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem
ewigen Reich unsres Herrn und Heilandes Jesu Christi."
Es gibt einen starken Grund für die Vollständigkeit beim Erforschen der
Sünde, womit ich diesen Pnnkt schließen will, dieser: es ist sicherlich keine
Sünde da, die Jesus liebt, folglich ist keine Sünde da, die wir lieben sollten.
Jesus lächelt nie über eine ünsrer Sünden, sondern für jede Sünde weinte
und seufzte, blutete und starb Er. Sollen feine Mörder unsre Günstlinge
sein? Sollen wir die beherbergen, die in sein Angesicht spieen und seine
Seite durchbohrten? Mich deucht, es ist keiu Grund für den Christen so stark
wie die Liebe Christi. Wenn du ein Weib bist, ein liebevolles, zärtliches Weib,
so wirst du nichts thun, was deinen Gatten betrübt. Wenn du kalt in der
Liebe geworden bist, so wird diese Triebfeder nicht mächtig in dir sein; aber
wenn dein Herz warm ist, und du die bräutliche Liebe noch fühlst, so wirst
du keines andren Gesetzes bedürfen. Geliebte, wollt ihr den Herrn betrüben,
der euch kaufte? Wollt ihr Ihm trotzen, dessen Herz für euch blutete? Bei
seiner unvergleichlichen Schönheit und bei den Flammen seiner unauslöschlichen
Liebe beschwöre ich euch, seid dem Bräutigam eurer Seele treu, und jagt die
leichtfertigen Nebenbuhler hinweg, die euer Herz stehlen und euch bestecken
wollen. Laßt Golgatha den Richtplatz für eure Sünden sein.
„Drum so tot' und schlachte hin
Meinen Willen, meinen Sinn:
Reiß' mein Herz aus meinem Herzen,
War' es auch mit tausend Schmerzen."

III.
Und nun wollen wir schließen, indem wir drittens einige Lehren
nennen, die « n s i n diesem praktischen W e r k helfen können.
Während ich den Kindern Gottes diese Ermahnungen gegeben, vermute
ich, daß viele von euch geflüstert haben: „Wer ist hierzu tüchtig?" Das ist
gerade, was ich euch sagen wollte, und ich ziehe zuerst daraus den Schluß:
daher sehen wir, wie unfähig der natürliche Menfch ist, sich selbst zu erretten
und seine Sünden zu töten. Sagt ihm, daß er sie töten soll; er nicht — er
wird sie verbergen, wie die Hure Nahab die Kundschafter verbarg und sie
wieder herauslassen, wenn eine ruhige Zeit kommt. Seine Sünden töten! er
nicht — sie sind seine Abfalome, und er würde lieber sterben, als sie verlieren.
Der Sünder die Sünde töten? Ah, nein. Es ist ein altes Bündnis zwischen
ihnen, ein beschworener Vertrag. Die Unwiedergebornen zanken mit der Sünde
nicht mehr, als die Bienen mit Honig oder Hunde mit Knochen. Sünde ist
der Sonnenschein, in dem der Sünder einem Insekte gleich diese kurzen
Keine Schonung. 649

Stunden durchtanzt. „ I h r müsset voll neuem geboren werden, ihr müsset von
neuem geboren werden." Alle Reformationen, die nicht mit Wiedergeburt de»
ginnen, sind Holz, Hell und Stoppeln und werden vergehen. Alles, was die
gefallene Natur au ihrem Webstuhle webt, muß aufgetrennt werden. „ I h r
müsset von neuem geboren werden, ihr müsset voll ueuem geboren werden!"
Und dann zweitens seht, wie sehr dies Werk über alle menschliche Kraft
hinaus liegt. Wenn ich eine Sünde zu töten hätte, wie könnte ich das thun?
denn Sünde töten ist kein leichtes Werk, sie hat hundert Köpfe und hundert
Leben. I h r denkt: „Ich habe dieses Böse überwuuden," und während dessen
könnt ihr es über euch lache« hören. Wie wahr ist dies vom Stolz. Jemand
sagt: „ich will demütiger sein, ich will meinen Stolz niederbeten," uud zuletzt
denkt er: „ N u n , jetzt bin ich demütiger geworden," ein sicheres Zeichen, daß
er stolzer denn je ist. Ein Demütiger trauert täglich über seinen Stolz; nur
der Stolze ist es, der Demut hat, deren er sich zu rühmen vermag. Aber
wenn e i n e Sünde nicht leicht dem Tode übergeben werden kann, was sollen
wir mit den tauseuden thun, die uns plagen und so bequeme Versteckplätze in
der Natur uusres alten Adam finden? Wie sollen wir alle diese erschlagen?
Er, der uns schuf, muß uns wiederum schaffe», sonst werden wir nie einen
Heller wert sein. Er, der zuerst Adam eine reine Natur gab, muß uus die
reine Natur des zweite» Adam verleihen, sonst wird unser Dasein ein ver»
fehltes fein. O Gott, wie schwach sind w i r !
Aber die dritte Vetrachtuug ist die Macht des Heiligen Geistes. Der
Heilige Geist ist Gott, und Er hat es unternommen, uns rein und voll»
kommen zu machen. Brüder, Er will es thun; gelobt sei sein Name, Er will
es thun. W i r können I h m dabei nicht helfen, wir können es selber nicht
thun, es ist schlechterdings gewiß, daß der Versuch uns fehlschlagen wird,
wenn wir ihn machen; aber Er kann sein eignes Werk vollenden. Durch
seine göttliche Macht und Gottheit wird Er sicherlich diese Vaalspropheten in
uns ergreifen und sie schlachten, bis keiner übrig bleibt. Laßt uns den
Heiligen Geist anbeten, laßt uns I h n lieben und loben, unsre Zuversicht auf
I h n setzen und den Gedanken all I h n zu einer unsrer reichsten Freuden«
quellen machen. Der Geist Gottes will euch ganz heiligen, Geist, Seele und
Leib, und ihr sollt fehlerlos vor Gott dargestellt werden, ohne Flecken, Runzel
oder des etwas. Was für eine tröstliche Wahrheit ist dies für unsre Seelen!
Das nächste Wort ist dieses: lieben Brüder, laßt uns sehr wachsam sein.
Da alle diese Sünden sterben müssen, laßt uns beständig auf eine Gelegeuheit
achten, sie zu töten. Sie lauern auf unfer Schwanken, laßt uns lauern, um
sie zu schlachten. Schlafender Christ, dein Schlafen könnte gerechtfertigt fein,
wenn der Teufel auch schliefe, aber man hat ihn noch nie schlummernd ge-
kannt. Schlafender Christ, du möchtest eine Entschuldigung haben, wenn die
650 Alttestamentliche Bilder.

Sünde einschliefe, aber die Sünde schläft nie; Tag und Nacht folgt sie
unsren Fußstapfen. Auf denn, im Namen Gottes, uud erhebe dich zum
Wachen uud Beten.
Und zuletzt, und ich freue mich, dies zum Schlußton zu machen, was
für Vewunderuug und Anbetuug sollten wir unsrem Erlöser, dem hochgelobten
Sohn Gottes, darbringen, weil in Ihm keine Sünde war. Gedenkt daran,
daß die Menschheit Christi wirklich menschlich war. Denkt nicht an euren
Herrn, als wäre Er nicht wahrhaft Mensch. Erinnert euch, Er ward versucht
in allen Stücken gleich wie wir, aber o, dies Wort: „doch ohne Sünde."
Der Teufel stellt I h n auf den hohen Verg und will I h n mit einer Welt de«
stechen, aber Er spricht: „Hebe dich weg von mir, Satan." Der Teufel führt
I h n auf die Zinne des Tempels und heißt I h n , sich hinablassen, aber Er will
den Herrn, seinen Gott, nicht versuchen. Satan beruft sich auf seinen Hunger
und heißt I h n , die Steine in Brot wandeln, aber Er will nicht den Weg des
Fleisches wählen; Er traut auf Gott und weiß, daß „der Menfch nicht vom
Brote allein lebt." O seliger Erlöser, Vorbild unsres Geistes, Muster, dem
wir ähnlich werden sollen, wir verehren Dich. Du überwandest in so vielen
Kämpfen, gingst aus jeder Prüfung siegreich hervor, Du bist in der That
herrlich. Es ist nicht unsre Sache, dies alles zu erklären, es ist unsre Sache,
zu verehren, zu lieben, nachzuahmen! O Gott, hilf uns, so zu thun, uud
die Ehre soll Dein auf ewig sein. Amen.
Die stille, sanfte Stimme. 651

44.
Die stille, sanfte Stimme.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, aber der Herr war
nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam eine stille, sanfte Stimme.
Da die Elia hörete, verhüllete er sein Antlitz mit seinem Mantel und
ging heraus, uud trat in die Thür der Höhle. Und siehe, da kam
eine Stimme zu ihm, und sprach: „Was thust du hier, Elia?" —
1 Kön. 19. 12. 13.

(3lia erwartete ohne Zweifel, daß nach der wunderbaren Erweisnng der
Macht Gottes auf Karmel das Volk seine Götzen aufgeben und sich zu dem
allein lebendigen und wahren Gott kehren würde. Hatte es nicht wie mit
einer Donnerstimme bekannt: „Der Herr ist Gott!"? Der Prophet hoffte, daß
AHabs Herz vielleicht gerührt werden könnte und möglicherweise durch ihn das
Herz Isebels. Wenn sie nicht bekehrt würde, so könnte doch wenigstens das
offenbare Dazwischentreten Iehovahs ihre Hand von fernerer Verfolgung ab»
halten. Er hoffte, daß durch einen solchen auf den König und die Königin
gewonnenen Einfluß das ganze Land rasch zur Treue gegen seinen Herrn
zurückgleiten werde. Dann wäre sein ernstes Herz froh vor dem Herrn ge»
wesen. Als er die Entdeckung machte, daß es nicht so sei, sank ihm der Mut.
Die Votschaft von Isebel, daß er am nächsten Tage erschlagen werden solle,
war ihm wahrscheinlich nicht so schrecklich, als die Wahrnehmung, die zugleich
damit kam, daß seine große Demonstration gegen Baal zum Fehlschlagen ver«
urteilt sei. Diestolze,sidonischeKönigin würde immer noch über den wankeb
mutigen Ahab herrschen, und durch Ahab immer noch die Macht über das
Volk behalten, und die Götzen würden sicher auf ihren Thronen sitzen. Dieser
Gedanke war Galle und Wermut für den Götzen»hassenden Propheten. Er
wurde so verzagt, daß er bereit war, den Kampf aufzugeben, und das Schlacht-
feld zu verlassen. Er kann es nicht ertragen, in dem Land zu leben, wo das
Volk so blind bethört ist, Baal zu ehren, nnd Jehovah zu verachten. Er faßt
den Entschluß, ganz hinweg zu gehen. Aber wohin soll ergehen? Erwandert
durch das Land in größter Eile, er flieht in die Wüste, er will sich nicht
652 Alltestamentliche Bilder.

niederlegen, bis er eine Einsamkeit erreicht, wo der Fuß des Menschen den
Boom noch nicht befleckt hat. Aber in welcher Richtung soll er eilen? Er,
der große Eiferer für Gesetz, denkt an die Stätte, wo einst der große Gesetz»
geber stand, und eilt hinweg nach Horeb, dein Verge Gottes. I n einer
Höhle weilt er, vielleicht in derselbe!» Felsenspalte, in der vormals Gott feinen
Knecht Mose verborgen hatte, während Er seine Herrlichkeit vor ihm vorüber«
gehen ließ. Aber was für ein Mckzug vor einem geschlagenen Feinde! Wo
ist jetzt der unerschrockene Mut, der dem ganzen Israel gegenüber trat, einer
gegen Tausende? Wie sind die Mächtigen gefallen! Ist dies „mein Herr
Elia," der in eine Höhle sich verkriecht? Ist dies der Malin, der in Israels
Geschichte hineinzuspringen schien, wie ein Löwe, der brüllend auf seinen Naub
sich stürzt. I s t dies Elia, der Thisbite, der beides, Feuer und Wasser, vom
Himmel herunterbrachte? J a , er ist es selbst. Er ist mutlos und matt ge<
worden, und hat deshalb seines Herrn Dienst geflohen. Es ist gut für uns,
die wir immer fchwach sind, daß wir fo klar sehen können, wie die Starken
nur stark sind, weil Gott sie so macht. Ihre zeitweilige Schwäche beweist, daß
sie von Natur ebenso schwach sind wie wir: es ist nur die göttliche Kraft,
die sie mächtig macht, und diese Kraft ist bereit, auch uns für den Kampf zu
gürten. W i r schöpfen hieraus Trost, obwohl wir damit nicht unsre eigne
Schwachheit entfchuldigen. Der Herr, der Gott des Elia, ist unser Gott, und
wie Er einen Menschen „von gleichen Leidenschaften wie wir" aufrecht hielt,
so kann und will Er uns aufrecht halten, wenn wir zu I h m schreien.
Beobachtet, wie sehr sorgfältig und freundlich Gott mit seinem nieder»
geschlagenen Knechte verfuhr. Er wußte, daß er im Herzen treu war. Er
verstand, daß Elia ein aufrichtiger Mann war, der seinen Gott liebte und
fürchtete und eifersüchtig auf feine Ehre war: deshalb verstieß Er seinen
Knecht nicht im Zorn, sondern beschloß, ihn wieder zu beleben und her-
zustellen und ihn zu seinem heiligen Krieg zurückzubringen. Nun mußte
Elia die Bedeutung von Davids Gesang lernen: „ E r erquicket meine Seele;
Er führet mich auf rechter Straße um seiues Namens willen." Der Herr
begann mit ihm in großer Freundlichkeit, indem Er seine Körperkräfte
stärkte. Er ließ ihn in Schlaf fallen, und als er aufgeweckt ward, war ein
geröstetes Brot und eine Kanne mit Wasser für ihn bereit. Dann gestattete
ihm der Herr, wiederum zu schlafen, denn dies that ihm sehr nötig. W i r ver«
lieren nicht die Zeit, die wir im Schlafe zubringen, wenn wir von An-
strengung ermattet sind. Es ist die beste Schonung des Lebens, dem Körper
ein hinreichendes Maß von der „süßen Erfrischung der Natur, dem balsamischen
Schlaf," zu gewähren. Gott gab seinem Knechte nach einem zweiten Schlaf
eine zweite Mahlzeit, und so erquickt war er im stände, die Dinge in fröh>
licherem Lichte anzufehen. Es gab eine Zeit, wo die Christen nicht viel auf
Die stille, sanfte Stimme. 653

den körperlichen Organismus achteten, sie nannten ihn einen „nichtigen Leib,"
wie er es in der That ill einem Sinne ist, aber nicht in jedem. Wenn sie
Zweifel, Furcht lind Zittern empfanden, so gaben unsre guten Väter alle
Schuld davon dem Teufel oder schrieben sie ihrem eignen Unglauben zu;
während ihre gedrückte Stimmung oft uon Mallgel an Nahrung oder frischer
Lllst herrührte, voll einer tragen Leber oder einem schwachen Magen. Tausend
Dinge können uns niedergeschlagen inachen, und wir sollten den Körper nicht
verachten, durch den sie auch auf uns wirken. Lieber sollten wir den Natur-
gesetze» gemäß handeln und dann zu dein Gott dieser Gesetze aufblicken, daß
Er uns helfe. Gott, der den Körper machte, und ihm eine so nahe Beziehung
zur Seele gab, weiß, wie abhängig das Gemüt uom Körper ist nnd beginnt
oft sein wiederherzustellendes Werk mit Heilnng unsrer Krankheiten. Wir,
die wir in irdenen Häusern wohnen, sind oft eingeschlossen, eingeengt lind uon
höheren Dingen abgesperrt durch den Staub, an dem unsre Seele klebt.
Der Herr, der sein Volk heilt, begann bei Elia mit der Erfrischung seiner
erretteten leiblichen Kräfte. Er erquickt ihn durch Schlaf und Speise. Wenn
einige von euch hier niedergeschlagen uud gemütsleidcnd siud, so «lochte ich
euch auffordern, auf eure Gesuudheit zu achteu und euch nicht selber zu tadeln,
bis ihr erst zugesehen habt, ob eure Traurigkeit von Krankheit oder voll Sünde
herrührt, voll einem schwachen Körper oder einem rebellischen Geiste. Haltet
es nicht für ungeistlich, daran zu gedenken, daß ihr einen Körper habt, denn
es ist gewiß, daß ihr einen habt, und deshalb sein Dasein nicht gänzlich über-
sehen solltet. Wenn euer himmlischer Vater all euren leiblichen Organismus
denkt, so gibt Er euch damit einen Wink, dasselbe zn thun. Wenn der Herr in
seiner Weisheit bei dem hochherzigen Elia damit begann, seinen sterblichen
Leib zu speisen und zu erquicke», so sollten wir es für Weisheit halten, auf
unsre äußeren Teile zu achten: es sind Häretiker, von denen wir lesen, daß
sie Vernachlässigung des Körpers einschärfen; weise Männer schätzen ihn als
den Tempel des Heiligen Geistes. Vei uns ist es oft der Fall, daß „der
Geist willig, aber das Fleisch schwach ist;" es ist kein Geringes, das Fleisch
in Ordnung zu bringen; der Arzt ist oft ebenso nötig als der Prediger.
Als der Mann Gottes von dem großen Arzte erfrifcht worden war,
wurde er von dem Herrn nach Horeb geleitet, wo er ganz allein fein konnte.
Der Herr wußte, daß er Ruhe ebenfowohl nötig hatte wie Schlaf und Speise,
und dort unter den einsamen Felsspitzen, wo die völlige Öde ungestört
herrschte, fühlte Elia sich etwas heimisch. Als die Stille einigermaßen fein
Gemüt beruhigt hatte, begann der Herr mit ihm zu sprechen. Er hieß ihn
herausgehen und auf den Verg vor den Herrn treten. Kaum war der Prophet
an die Öffnung der Höhle getreten, als ein furchtbarer Orkan durch die Spalten
der Thäler mit solcher Kraft daherfegte, daß er Berge zerbrach und große
654 Alttestamentlichc Bilder.

Massen Granit von ihren hohen Gipfeln herabstürzte. Der große nnd starke
Wind schien die Berge bis in ihren Grund zu erschüttern, und hohe Felsen,
die lange gewöhnlichen Stürmen getrotzt hatten, begannen zu wanken und zu
schwanken und um den einsamen Beobachter her mit donnerndem Krachen zu
fallen. Der Prophet war durchaus nicht erschrocken. Er war das Kind des
Sturmes, ein Eiferer fürs Gesetz, gebore» zum Herrschen unter tumultunrischen
Auftritten. Es ist sehr leicht möglich, daß sein Geist aufgeheitert ward durch
die Schrecken uni ihn her. Der Aufruhr, in dein er unter dem Volke gelebt
hatte, wurde ihm jetzt durch den Kampf der Elemente abgebildet; mich sollte
es nicht wundern, wenn er sich sogar heimisch gefühlt, freudig erregt, als der
entsetzliche Orkan über die Gipfel der Berge dahinfuhr. Als er in der
Öffnung der Höhle stand, gab die Erde unter seinen Füßen uach: er lehnte
sich gegen den Berg und siehe, er bebte und zitterte; denn jetzt ging das Erd»
beben vorüber, und es schien, als wenn nichts Festes um ihn her sei. Kaum
hatte diese Erschütterung aufgehört, als das Feuer seinen Glanz entfaltete.
Der Blitz flammte über den ganzen Himmel, begleitet von Donnerschlägel,,
wie der Mann Gottes sie nie zuvor gehört hatte. Von Klippe zu Klippe
spraugen die strahlenden Blitze, bis das ganze Firmament von dem Feuer
Gottes erglühte. Doch finden wir nicht, daß der Prophet im geringsten ein»
geschüchtert oder erschreckt war. Sein Geist war ein kühner, gelassen mitten
im Ungewitter. Wie der Adler zum Mittelpunkt der Blitze sich aufschwingt
und auf den Flügeln des Sturnies sich erhebt, so schien es mit Elias Geist:
er wurde erregt durch die Wut der Elemente, aber er war nicht furchtsam.
Und nun hörte der Donner auf, und die Blitze waren vorüber, und die Erde
war still, und der Wind schwieg, uud es war eiue tote Nuhe, und mitten aus
der stillen Luft kam, was das Hebräische „eine Stimme sanften Schweigens"
nennt, als wenn das Schweigen hörbar geworden wäre. Es gibt nichts
Schrecklicheres, als eine tiefe Stille nach einem entsetzlichen Aufruhr. Selbst
das Geräusch des Wiudcs und des Sturmes, das den Elia nicht einschüchtern
konnte, war nicht so schrecklich, als die stille, sanfte Stimme, womit Jehovah
seinen Knecht näher rief. Da verhüttete der Prophet sein Antlitz und ging
vor die Thür der Höhle und stand, um zu horchen, denn die stille, sanfte
Stimme hatte die ernste Aufmerksamkeit seiuer Seele gewonnen. Sie hatte
für ihu gethan, was alles übrige nicht thun konnte, denn der Herr
war nicht in dem Wind, noch in dem Erdbeben, noch in dein Feuer,
aber der Herr war iu der stille», sauften Stimme, und Elia wußte das,
und er war voll Ehrfurcht und bereitete sich, zu hören, was Gott der Herr
sprechen würde.
Was ist die Lehre hieraus? Möge Gott der Heilige Geist uns heute
morgen helfen, sie zu lernen und sie zu lehren.
Die stille, sanfte S t i m m e . 655

I.
Zuerst lenke ich eure Aufmerksamkeit auf d a s g e w ä h l t e M i t t e l .
Bemerkt gleich am Anfang, w a s es nicht w a r . Es war nicht das Schreck»
liche, nicht das Entsetzliche, nicht das Überwältigende, sondern ganz das Gegen»
teil von allem diesen». Es war nicht die große Machtentfaltnng, denn Gott
war in keinem dieser großen Dinge, die Elia sah und hörte. Das, was
Elias mutiges Herz überwand, war nicht Wirbelwind, nicht Erdbeben, nicht
Feuer; es war die stille, sanfte Stimme. Das, was wahrhaft die menfchlichen
Herzen für Gott und feinen Christus gewinnt, ist nicht eine außergewöhnliche
Machtentfaltung. Menschen können zittern lernen, wenn Gott Pestilenz und
Hunger und Feller und andre seiner schrecklichen Gerichte sendet; aber diese Dinge
enden meistens mit Verhärtung der Menschenherzen und nicht mit Gewinnung
derselben. Seht, was Gott an Pharao und seinem Lande that. Gewiß, jene
Plagen waren dicht und schwer — ähnliche waren nie zuuor gesehen worden,
doch was war das Ergebnis? „Aber das Herz Pharaos ward verstockt." So
ist es gewöhnlich. Diese Dinge sind gut genug als Vorbereituugeu auf das
göttliche Evangelium, das fällst das Herz besiegt, aber an sich berühren sie die
Seele nicht.
„Gesetz und Schrecken Härten stets,
So lang' sie wirken ganz allein;
Vergebung uur, dnrch Blut erkauft,
Die fchmilzet auch eiu Herz von Stein."

Die stille, sanfte Stimme hat Erfolg, wo „schreckliche Dinge in Gerechtig-


keit" (Ps. 65, 6) nichts ausrichten. Mich wundert es nicht, daß Elia hoffte,
die furchtbaren Gerichte würden über feine Landsleute etwas vermögen. Diese
schrecklichen Dinge scheinen eine rauhe und rasche Weise, das Böse zu besiegen,
und sie würden in der That etwas vermögen, wenn das Menschellherz nicht
„trügerisch und verzweifelt böse" wäre. Habt ihr nicht gemeint, wenn Gott
unsrer leichtsinnigen Stadt eine Pestilenz schickte, so würde das vielleicht Ein-
druck auf den gedankenlosen Hallfell machell, uud in unsre Gebetshänfer
diejenigen treiben, die jetzt beständig ihren Sabbat vergeuden? Könnten
nicht Cholera, oder Krieg, oder Hungersnot das Gewissen der Sorglosen
erschrecken und die Ungöttlichen ans die Kniee treiben? Habt ihr nicht ge-
dacht, daß vielleicht der Schlitz, den Gott uns gewährt, indem Er uns vor
den Plagen des Krieges uud unzähligen Übeln bewahrte, dazu beigetragen
habe, in den Herzen der Menschen Vermessenheit und Sorglosigkeit und
Gleichgültigkeit zu erzeugen? W i r könnten fast zu Christo sagen, wenn wir
an die Sünden unsrer Mitmenschen, denken : „Willst D u , so wollen wir sagen,
daß Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia that?" W i r bilden
uns häufig ein, daß die Schrecken des Herrn die Menschen überzeugen und sie
656 , Alttestamentliche Bilder.

zwillgen würden, Ruhe im Schöße ihres Gottes zu suchen. Dank sei es der
unendlichen Barmherzigkeit, der Herr wählt gegenwärtig noch nicht den Weg
der Schrecken. Er läßt den Wind, Er läßt das Erdbeben und Feuer, und
Er spricht zu den Menschen in dem Schweigen ihrer Seele durch eine Stimme,
die, wenn auch nur wie ein „hörbares Schweigen," dennoch die Kraft Gottes
zu ihrer Seligkeit ist. Aber wir sind schwer zu überzeugen, daß es sich so
verhält. W i r hängen immer noch an der Vorstellung, daß äußerer Pomp ent«
setzlicher Macht das Reich Gottes fördern würde. W i r find nicht so bereit,
die zwölf Legionen Engel zu entbehren, wie unser Meister es war. Soweit
es unser eignes Thuu anlangt, sind wir armselige Jünger Dessen, von dem
wir lesen: „ E r wird nicht zanken noch schreien, und mau wird sein Geschrei
nicht hören auf den Gassen." I n unsren religiösen Übungen find wir zu
geneigt, uns alls fleischliche Kraft und Energie zu verlassen. W i r sind
hoffnungsvoll, wenn wir eilten Lärm machen und Aufregung, Unruhe, Ve«
wegung fchaffen können. W i r sind zu geneigt, das Keuche» der Massen unter
neu erfundenen b) Aufregungen mit der Kraft Gottes zu vereinigen. Dies
Zeitalter der ueuen Dinge scheint geistliche Kraft in Blechinstrumenten und
Tambourinen entdeckt zu haben, und man hofft, Seelen, die durch eine Gemeinde
nicht errettet werdeil konnten, durch eine Armee zu erretten, und Gemüter, die
fühllos gegen die Mahnungen des Evangeliums waren, durch Fahnen anzu»
ziehen. Einfaches, apostolisches Lehren wird gering geschätzt, und wir werden
nach Methoden behandelt, die mehr Sensation machen. Die Tendenz der Zeit
geht auf Großthuu, Paradieren und Schaustelluug der Macht, als wenn diese
sicher zustandebriugeu würden, was mehr regelmäßige Hilfsmittel nicht zu
bewirken vermocht haben. Aber es ist nicht so, sonst hätten beide, Menschen
und Gott, sich sehr verändert.
Dieselbe Tendenz zeigt sich in dem, was mau nur zu gewöhnlich hört:
„Wenigstens müssen wir einen beredten Prediger haben: Laßt uns einen haben,
der mit schönen, ausgewählten Worten ermahnen kann, einen Meister der
Redekunst; gewiß, hierauf dürfen wir Vertrauen fetzen, und auf ernste
Mahnung und warme, erweckliche Rede bauen." Doch wird Gott vielleicht
diese Form der Macht nicht wählen, denn Er will nicht, daß unser Glaube auf
der Weisheit der Worte ruhe, sondern will, daß wir diese Lehre lernen: „Es
soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht
der Herr Zebaoth." Krach auf Krach folgen die Worte des Redners einander.
Was für ein furchtbarer Allsspruch l Er muß sicherlich Eindruck auf die Hörer
macheu. Wind! Und der Herr ist nicht darin. Und nun scheint alles zu
zittern, während der Prediger wie ein zweiter Johannes der Täufer Wehe und

*) Diese Predigt ist im Jahre 1882 gehalten.


Die stille, sanfte Stimme. 657

Schrecken verkündet, und den Fluch Gottes über ein Otterngezücht ausspricht!
Wird dies nicht harte Herzen brechen? Nein, nichts ist zustandegebracht.
Es ist ein Erdbeben, aber der Herr ist nicht im Erdbeben. Eine andre Form
der Kraft ist noch übrig. Hier kommt einer, der mit Heftigkeit spricht;
ganz Feuer, er fnnkelt und flammt! Seht das Blitzen seiner effektvollen
Bilder und Anekdoten! J a , Feuer; könnten wir nicht sagen Feuerwerk? und
doch wirkt der Herr nicht durch solches Feuer. Der Herr ist nicht im Feuer.
Die wütende Energie des ungezügelten Fanatismus gebraucht der Herr nicht.
Er mag große und schreckliche Dinge als Vorbereitungen zu seinem Seelen»
gewinnenden Werk benutzen, aber sie sind nur Vorbereitungen; das Werk selber
wird im verborgenen Schweigen des Herzens gethan. Wie bei Elia, so sind
diese Dinge bei andren: sie machen stutzig und wecken auf, aber sie können
nicht Buße und Bekehrung wirken. Das, was lebendig machen, erleuchten,
heiligen und wirklich segnen muß, ist die stille, sanfte Stimme ruhigen
Schweigens; die Worte klingen wie ein Paradoxon, aber der Sinn ist dem
klar, der ihre Wahrheit aus Erfahrung kennt. Die Stimme, welche von
außen nicht gehört wird, ist im Innern allmächtig.
W i r haben genügend die negative Seite gezeigt: Gottes Werk ruht
nicht auf der Macht der Kreatur. Was gebraucht Gott denn, das Herz zu
rühren? Unser himmlischer Vater gebraucht gewöhnlich das, was sanft,
m i l d e , z a r t , r u h i g , gelassen, friedlich ist: eine sanfte, stille Stimme.
I n dem Werk wirklicher Bekehrung, das die Seele zur Entscheidung und
völligem Gehorsam gegell Gott bringt, ist die berufende Stimme oft so leise,
daß sie von andren gar nicht wahrgenommen wird, außer in ihren Resultaten;
ja, häusig so leise, daß sie kaum von dem Menschen wahrgenommen wird, an
den sie ergeht. Er mag nicht einmal im stände sein, genau zu sagen, wann
die Stimme kam und wann sie ging. Der sanfte Zephyr erfrischt die fieber«
heiße S t i r n , aber der Leidende weiß kaum, daß er durch das Krankenzimmer
gegangen, so leise ist sein himmlischer Hauch. I n der Versöhnung ist weder
Blasen, »loch Trommeln, noch Donnern; Liebe ist der Anführer bei diesem
blutlosen Kriege. Es ist wellig Entfaltung von leiblicher oder geistiger Gewalt,
und doch ist »lehr wirkliche Macht da, als wenn Gewalt gebraucht würde.
Wir bemerken, daß wir da, wo eine Entfaltung der Macht war wie im Wind,
Erdbeben und Feller, nachher lesen: „Gott war nicht darin," aber hier in
der stillen, sanften Stimme, die keine Machtentfaltung war, wirkte Gott. Hier
sehen wir also die Schwäche der Kraft, aber wir lernen auch die Kraft der
Schwäche, und wie Gott oft das, dem leicht zu widerstehen scheint, unwider-
stehlich «lacht, und wie das, wovon wir glauben, daß es leicht hinweggeweht
werden könne, um einen Menschen Fesseln webt, denen er nie zu entrinnen
vermag. Sanft und leise wirkt der Heilige Geist, wie der Frühlingshauch,
S p u r g e o n , Altttstllmentliche Nllder. 42
658 Alttestamentliche Bilder.

der die Eisberge auftaut und die Gletscher schmilzt. Wenu der Frost jedes
Vä'chlein ergriffen hat und es festhält, so setzt der Frühling sie. alle frei. Kein
Geräusch des Hammers oder der Feile wird bei dein Lösen der Fesseln gehört,
aber der leise Südwiud weht, nnd alles ist Leben und Freiheit. So ist es
mit dem Werk des Geistes Gottes in der Seele, wenn Er wirklich kommt,
den Sünder in Freiheit zu setzen; Er wirkt kräftig, aber keine Stimme wird
gehört.
Nun, was immer das saufte uud leise Mittel sein mag, es ist in jedem
Falle, wenn es die Seele errettet, durch des H e i l i g e n Geistes Gegen»
w a r t g e w i r k t ; und der Heilige Geist, obgleich Er wie „das Brausen eines
gewaltigen Windes" kommen kauu, wenn Er will — denn Er kommt nach
seinem eignen Gefallen — läßt sich doch gewöhnlich, wenn Er einem Menschen
Frieden mit Gott bringen will, gleich der Taube oder gleich dem Tau vom
Himmel herab — ganz Frieden, Stille uud Ruhe. Satau kaun die Seele in
Feuer setzen durch Angst; Zweifel uud Furcht und Schrecken zerreißen sie wie
ein entsetzliches Erdbeben; der ganze Mensch ist in Unruhe und Verwirrung,
wenn der Wirbelwind des Gesetzes durch seine Seele fegt; aber der Geist
Gottes kommt in zartester Liebe, offenbart Christum als den Sanftmütigen,
richtet das Kreuz des Heilandes vor des Sünders thrä'nenvollem Auge auf
und spricht ihm Frieden, Vergebung und Heil zu. Brüder, dies ist, was uns
nötig ist: das Werk des Geistes Gottes in seiner eignen Art der lebendigen
Liebe.
Ich habe gesagt, daß Er gewöhnlich zum Heil der Seele wirkt, indem
Er die Liebe Christi offenbart, und es ist so, nicht nur bei unsrer ersten Ve>
kehrung, sondern auch später. Den ganzen Weg entlang sind seine Wirkungen
in der gleichen ruhigen und wirksamen Weife. Wenn wir in der Heiligung
wachsen, so ist es durch sanfte Offenbarungen der Liebe des Vaters. Was
hat solchen Einfluß auf uus, wie die uuendliche überströmeude Guade Gottes
iu unsrem Herrn Jesu Christo. I h r wißt, wie in jenem Liede nicht nur
das Wachsen in der Heiligung, sondern auch das sanfte Mittel dazu dar-
gestellt wird:
„Doch Er fand mich, denn ich sähe
Blutend Ihn am Kreuzesstamm,
Hört' Ihn beten für die Feinde,
Und mein Herz sprach tief gerührt:
Halb mein Ich und halb jetzt Du."
„Tag für Tag beugt' Dein Erbarmen,
Heiland, helfend, voll und frei,
Mild und stark und stets geduldig,
Tiefer mich, bis daß ich sprach:
Wen'ger Ich und und mehr jetzt Du."
Die stille, saufte Stimme. 659

Wie ihr seht, ist es die Wirkung der Liebe auf die Seele, dnrch die
dies alles geschieht:
„Höher als der höchste Himmel,
Tiefer als das tiefste Meer.
Hat mich Deine Lieb' bezwungen,
Gib mir mm des Herzeus Wunfch:
Nichts vom Ich mid alles Du."

So wirkt die Gnade wie das stille Morgenlicht auf die Menschen. Ihre
Fortschritte werden durch die Liebe gewonnen: es ist kein Zug von Schrecken
oder Knechtschaft in der großen versöhnenden That im Innern. Das Evan»
gelium mit seiner frohen Votschaft entspringt ans Gottes Herz und kommt in
das Herz des Menschen hinein, und Nnhe folgt und heilige Dankbarkeil.
Gott mag seine Feinde durch Löwen zerreißen, aber Er gewinnt seine Freunde
durch Liebe. Die, welche hartnäckig sind, will Er wie nnt einer eisernen Nnte
zerbrechen nnd sie in Stücke schmettern wie des Töpfers Gefäße: aber die
Seinen berührt Er, wenn Er kommt, sie zu retten, mit dem silbernen Zepter
der Barmherzigkeit. Gnade arbeitet mit einer geölten Feder. Liebe ist der
Wagen, auf dem die Allmacht fährt, wenn sie in die Welt des Gemütes kommt.
Dies, meine lieben Freunde, um diesen ersten Teil zu schließen, was
ruhig in unser Herz dringt, jedem einzelnen von uns, ohne sinnliche Auf»
regung: dies ist es, was uns mit Jesu durch den Glauben vereinigt. Elia
war gelassen und ruhig, als er jene stille, sanfte Stimme Gottes hörte. Er
fiel weder in Grausen nieder, noch tanzte er vor Freudeu, aber seine ganze
Natur war ergriffen, sein innerstes Herz war erschüttert. Das Schweigen,
das Gott in seinem Innern hörbar machte, taute seine Seele auf. Das ist
die Art, wie Bekehrungen gewirkt werden. Wenn die Wahrheit das Herz
trifft, wenn der Mensch fühlt, daß die Votschaft der Gnade ihm gilt, wenn
er mit dieser Wahrheit ringt und kämpft und diese Wahrheit mit ihm, dann
sucht und findet er ohne Hilfe von außen das ewige Leben. Die stille, sanfte
Stimme im Gewissen ist Gottes erwähltes Werkzeug, die Menschenseelen wirk-
sam zu bekehren und zn trösten: das Reich Gottes kommt nicht nnt äußer»
lichen Gebärdell, sondern in den« verborgenen Kämmerlein wird der Mensch
Gott nahe gebracht.

II.
Beachtet d i e h e r r l i c h e n W i r k u n g e n der gewählten Handlungsweise.
Die erste Wirkung auf Elia war, daß er u n t e r w ü r f i g gemacht wurde.
Ich habe dies vorhin schon erwähnt. Er, der dem tobenden Winde gegenüber»
stehen konnte, der nicht erschreckt ward dnrch die Blitze und beim Erdbeben
nicht zitterte: den Augenblick, wo er in jener Stille war und jene sanfte
42"
660 Alttestamentliche Bilder.

Stimme hörte, verhüllte er sei» Antlitz in seinen Mantel von Schafspelz und
trat aus der Höhle wie ein Kind, das seinem himmlischen Vater gehorsam
ist. Und wenn der Geist Gottes in seiner sanften Macht über einen von
euch kommt, so wird er nicht länger widerstehen: er wird unterworfen und
besiegt werden durch die sanfte und zarte Berührung.
Das erste, was Elia that, sagte ich, war, daß er sein Antlitz in. seinen
Mantel verhüllte, und darin den Engeln nachahmte, die nicht unverschleiert in
jener ehrfurchtgebietenden 'Nähe stehen können. Er that sein Vestes, sein Gesicht
zu verbergen wie eiller, der sich schämt — sich schämt, an seinem Gott gezweifelt
zu haben, sich schämt, ein Feigling gewesen zu sein, sich schämt, fern von dem
Ort seines Dienstes gefunden zu werden^ Wenn der Heilige Geist in Männern
und Frauen wirkt, so ist dies eine der ersten Folgen: Scham und Demütigung
bedecken ihre Angesichter. Sie können nicht in dein kühnen Tone sprechen,
in dem sie es gewohnt waren; das Prahlen ist vorüber. Einige Zeitlang
jedenfalls haben sie zu lernen, wie sie sich in der Gegenwart Gottes be»
nehmen müssen; denn im Lichte wandeln wie Gott im Lichte ist, das ist nicht
leicht für unbekehrte Sünder: ihre Augen sind schwach und zart, und deshalb
haben sie dieselben vor dem Glanz des ewigen Lichtes zu bedecken. Liebe ist
die triumphierende Macht; wo bloße Kraft und Donner fruchtlos sind, da
bringt sie das Herz in fröhliche Gefangenschaft. Null, wie gesagt, weder
Wiud noch Sturm konnte dies ill Elia bewirken, aber die stille, sanfte Stimme
Gottes that es fogleich. Es scheint uns beim Lesen des Kapitels, als wenn
der Prophet nicht aus der Höhle heraustrat, bis er diese Stimme hörte. I h m
war von Gott befohlen, herauszugehen, und auf den Verg vor den Herrn zu
treten, aber wie ich es verstehe, that er es nicht, bis die stille, sanfte Stimme
ihn rief und ihn auf den Weg des Gebotes zog: so daß Gehorsam eine
zweite gesegnete Wirkung war. Beschämt über seinen I r r t u m , ist er null ent»
schlössen, seines Herrn Wort sogleich zu folgen, und er steht vor der Öffnung
der Höhle, um zu hören, was Gott der Herr sprechen wird. Wenn der Geist
Gottes kräftig in uus wirkt, fo wird eins der ersten Zeichen sein, daß wir,
wenn wir um unsrer Sünden willen gedemütigt sind, mit Ernst daran gehen,
nach Gerechtigkeit zu streben. Die Gnade macht uns zartfühlend in Sachen
des Gehorsams. Die, welche die Stimule des Herrn hören, rufen sicher aus:
„Herr, was willst D u , daß ich thun soll?" Wenn diese Stimme ein williges
Ohr gewinnt, so schafft sie einen Fuß, der bereit ist, zu gehen, wohin Gott
es heißt. Unser Wuusch ist, den Willen des Herrn zu kennen uud ihn rasch
zu erfüllen, denn der Inhalt des himmlischen Flüsterns ist: „Folge mir nach."
Und nun, da Elia Heralls in die freie Luft gekommen war, ist die
nächste Wirkung die, daß er persönlichen Verkehr m i t G o t t hat. Die
Stimme sagt zu ihm: „Was hast du hier zu thun, Elia?" Es ist eine
Die stille, sanfte Stimme. 661

persönliche Frage, an ihn allein gerichtet. Er weiß, daß Gott mit ihm spricht,
und deshalb fühlt er die Kraft jedes Wortes, das ihn prüft. Da strömt er
die Bitterkeit seines Schmerzes ans nnd sagt dem Herrn, was ihm fehlt.
Der Geist wirkt sicher in euch, wenn ihr mit dem Herrn allein ein Gespräch
haltet. Wenn ihr nicht wollt, daß jemand hört, was ihr zu sagen habt,
sondern froh seid, in euer Kammerlein zu gehen, die Thttr hinter euch zu
schließen und zu eurem Vater, der ills Verborgelle stehet, zu beten, das ist ein
wirkliches Werk, das Werk Gottes. Wenn ihr jede Zeile des Wortes
Gottes beim Lesen fühlt, als wäre sie für ench geschrieben und für euch
allein; wenn ihr denkt, daß niemand anders in der Welt so völlig in dasselbe
eindringen kann, wie ihr jetzt, weil die Sprüche für euch gemacht scheinen;
uild Worte in die Drohungen und in die Verheißungen hineingelegt sind,
die gellau für ench passen; dann ist die Zeit, wo die stille, sanfte Stimme ihr
heiliges Amt ausübt. Dies ist eilt Hanptpunkt, diese Berührung zwischen der
Seele und Gott, dieses Niederbrechen der Schranken des Sichtbaren, diese Ver<
einigung mit Gott, dem Unsichtbaren. O, es ist ein Anblick, über den Engel
sich freuen, wenn ein Mann sich vor dem Höchsten beugt, auf seines großen
Vaters Stimme horcht, und I h m dann sein ganzes Herz ausschüttet, ohne den
Versuch zn inachen, etwas vor I h m zu verbergen. Dies wird nie durch
Wirbelwind, Feuer oder Erdbeben hervorgebracht; es ist die Wirknng der
Stimme sanften Schweigens, denn Gott ist darin. Vergeblich sind Beredsam-
keit, Logik, Mllsik und Aufregung, der Geist wirkt alle heiligen Dinge, und
Er allein, und diese wirkt Er in dein feierlichen Schweigen einer durch Liebe
bezwungenen Seele.

III.
Laßt uns drittens ein wenig sagen über d i e Aehre, welche G l i t t
selber l e r n t e aus dieser Parabel in Thaten. Er selber hatte das Volk
mehr durch Thaten als durch Worte gelehrt, und nun wird er selbst in ahn»
licher Weise nnterrichtet. I h n wnrde mehreres gelehrt, was für ihn zu wissen
nötig war; und unter andrem zuerst, daß G o t t nicht immer die M i t t e l
gebraucht, v o n denen w i r voraussetzen, daß E r sie brauchen werde.
Wir sitzen nieder nnd denken darüber nach, wie ein Volk gesegnet werden
könne, und wir bilden uns eine Vorstellung von dem besten Wege dazu;
aber unsre Gedanken sind nicht des Herrn Gedanken, denn soviel der Himmel
höher ist denn die Erde, so sind auch seine Wege höher denn unsre Wege,
und seine Gedanken denn unsre Gedanken. Ich glaube wohl, daß du, mein
sanguiuischer Bruder, einen schön geordneten Plan in deinem Kopfe hast, den
du gern ausgeführt sähest, wodurch das Evangelium in heidnischen Ländern
sehr rasch verbreitet werden würde. So viele Arbeiter der eillen Art sollen
602 Alttestamcntliche Bilder.

einer gewissen Anzahl eines höheren Grades beistehen, und durch eiue weise
Verteilung der Arbeit und Einrichtung von Distrikten soll das Werk fystelnalisch
gethan werden. Hänge nicht zu sehr an Lieblingsmethoden, sonst magst du
bitter enttäuscht werden; denn Gott gebraucht in der Regel nicht unsre Pläne.
Die großen Schritte des Unendlichen sind nicht nach unsrem kindischen Gange
zu messen. Es ist nicht unsre Sache, I h m vorzuschlagen, was Er thun soll,
sondern wir müssen seinem unumschränkten Willelt es überlassen, zu wählen
und zu gebieten, und dann werden wir sehen, wie wunderbar Er ill seinem
Thun ist. Elias Leben war ein fortwährender Sturm gewesen. Von dem
ersten Male an, wo er als der Feuerprophet erschien, bis er vor Ifebel floh,
hatte er immer aus dem Wirbelwind gesprochen und die Gerichte des Herrn
entweder verkündet oder ausgeführt; und es mag sein, daß er zu viel Ver»
trauen auf diese Art des Predigens setzte. Ohne Zweifel war es recht von
ihm, ein sündiges und hartnäckiges Volk so zu strafen, aber doch wollte Gott
ihn wissen lassen, daß Karmel mit seinem vollständigen Sieg über Baals
Priester, bis die Bäche rot vom Blut wurden, nicht die Weise sei, in der
Gott seine Feinde besiegen wollte. Die Menschen werden Gott nicht auf die
rechte Weise verehren, bloß weil sie ill einem aufgeregte» Augenblick eine
Schar Betrüger getötet haben. Das Herz wird nicht für liebende Ehrfurcht ge<
wonnen durch Schlachten. Nicht Blut ist es, wodurch Menschen in geistliche
Anbetung hineingetauft werden. Diese selbe Lehre muß an uns allen immer
wieder und wieder gelernt werden; laßt uns sie wiederholen: „Es soll nicht
durch Heer oder Kraft, sondern durch nieinen Geist geschehen, spricht der
Herr Zebaoth." Es ist zu beklagen, daß die meisten Christen hartnäckig den
verhängnisvollen I r r t u m festhalten, nach Machtentfaltnngen der einen oder
andren Art zu suchen. Ich höre, daß eine gewisse Gemeinde einen sehr
geistreichen Mann sucht: sie denkt, daß Gott im Winde ist. Ich höre die
Gemeindevorsteher sagen: „ W i r müssen nach dein besten Mann aussehen.
Thut nichts, was wir geben und welche Gemeinde wir ihres Predigers be>
rauben, wir müssen uns einen Mann ersten Ranges verschaffen, dann werden
wir ein volles Haus haben und viele bekehrt sehen." M i t Nichten: es ist
nicht Gottes Art, durch geistreiche Männer, nnd Männer, die nach Erhabenheit
der Sprache streben, zu wirken. Er mag, wenn es I h m gefällt, gestatten,
daß das Haus voll aufmerksamer Hörer wird, aber Bekehrte wird es wenig
geben, wenn die Leute sich auf Geistreichseiu verlassen. „ O , aber wir müssen
eine treffliche Organisation haben, wir müssen die Leute heben durch Er»
weckuugsgottesdienste." J a , thut das und thut es wieder, wenn ihr wollt, und
das Resultat mag ein gntes sein, wenn ihr das Werk demütig thun könnt;
aber wenn ihr ein I o t a auf die angewandten Mittel vertraut, so wird der
Geist Gottes weichen, und ihr werdet nichts sehen als eure eigne Thorheit.
Die stille, sanfte Stimme. 663

Jene stille, sanfte Stimme wird zum Schweigen gebracht, während die
Prahlereien enrer Weisheit widerhallen wie ein henlender Wind oder ein
Donner, der nicht vom Regen begleitet ist.
W i r müssen dieses wissen: daß Gott wirken will durch welche Mittel es
I h m gefällt, und ferner, daß alle Mittel ohne I h n nutzlos sind. Aller Wind,
alles Feuer, alles Erdbeben, alle Macht und Größe sind wirkungslos, wenn
nicht die stille, sanfte Stimme da ist, und Gott in ihr. Der Gemeinde ist
dies in die Ohren gedonnert worden, und theoretisch glaubt sie es, aber ach,
praktisch geht sie aus uud handelt, als wenn die entgegengesetzte Lehre wahr
sei. Sie erwartet göttliche Resultate von menschlichen Ursachen und ist des»
halb sehr oft getäuscht. Zu sehr ruht ihr Vertrauen auf einem Arm voll
Fleisch, und so lange dies der Fall, können wir nicht hoffen, den ausgereckten
Arm des Ewigen in der Mitte unfres Lagers zu erblicken.
Gott wollte Elia etwas andres wissen lassen, und Er will, daß wir es
auch wissen sollen, daß u n s r e S c h w a c h h e i t u n s r e S t ä r k e sein k a n n .
Elia wußte nichts von diesen seinen siebentausend Bekehrten, die durch die
stille Stimme seines Gott geweihten Lebens gewonnen waren. Weil der Erfolg
auf Karmel verging wie der Morgennebel, so dachte er, seine ganze Laufbahn
sei eine verfehlte gewesen uud er hätte niemand dahin gebracht, Jehovah zu
verehren; aber er las mit den Augen des Unglaubens und folgte mehr seiner
Einbildung als den Thatsachen. Hier sind siebentausend Leute, hier und da
im Lande zerstreut, au denen Gott das Zeugnis des Elia gesegnet hatte. Wenn
Er seine großen Dinge nicht gesegnet, wie er es gewünscht hatte, waren doch
seine kleinen Dinge sehr gediehen. Es war Elias täglicher Wandel mehr als
seine Wunder, der auf diese siebentausend Eindruck gemacht uud sie in ihrer
Lauterkeit bewahrt hatte. Der Herr will uns wissen lassen, daß Er durch unsre
Schwachheit eher als durch unsre Stärke wirkt und oft uns am meisten
gebraucht, wenn wir nach unsrem eignen Urteil nichts als unsre Schwäche
gezeigt haben.
Überdies will der Herr, daß wir die K r a f t a n d r e r i n i h r e r
S c h w a c h h e i t beachten. Diese Lehre fassen wir nicht immer so schnell auf
wie die erste. W i r sind froh, zu lernen, daß wir, wenn wir schwach sind,
stark sind, denn da wir gewöhnlich schwach sind, ist es uns lieb, zu lernen,
daß wir gewöhnlich stark sind; aber wir sprechen nicht so von andren, die
in einiger Hinsicht unter uns stehen mögen. Wenn wir einen Mann ein klein
wenig energischer als gewöhnlich sehen, so fragen wir keck: „Herr, was soll
aber dieser?" Wenn eine heilige Frau in Flehen und Zeugnis ausbricht,
sagen w i r : „Sie thäte besser, ruhig zu sein. Nichts wird nach ihrem Reden
kommen." Ein Werk wird dort drüben gethan, und wir können der Methode
nicht ganz zustimmen und schreien deshalb: „Thorheitl" Ah, aber, Bruder,
664 Alttestamentliche Vilder.

du hast die Kraft andrer schwachen Leute ebensowohl zu leruen wie deine
eigne. D u weißt, daß andre ebenso schwach sind wie du; du bist sehr froh,
dies aussiudig zu machen und umherzugeheu und das zu erzählen; aber es
gibt auch andre, ebenso stark wie du, die Gott stark macht, weil sie schwach
sind und mit ihnen in seiner sanften Freundlichkeit gerade so haudelt wie mit
dir. O, daß du dies lerntest, dann würdest du sehen, daß es nicht nur einen
oder zwei treue Arbeiter gibt, sondern Tausende, die ihren» Herrn treu sind
und kühn für die Wahrheit auf Erden streiten. Der Herr hat stets noch
Übriggebliebene, die I h m ebenso treu dienen wie d u : sie haben nicht das
Knie vor Baal gebengt oder die Kälber geküßt, sondern stehen noch aufrecht
da in ihrem Zeugnis für Gott. Glaubt dieses und seid glücklich, denn Gott
will, daß ihr es glaubt. Er ist nicht immer mit unsren mächtigen Predigern,
unsren gelehrten Domherren, unsren ehrwürdigen Bischöfen, unsren großen
Generälen u. s. w., aber Er mag mit jenem armen jungen Bruder sein, der an
der Straßenecke steht und in so gebrochenen Sätzen spricht und mit jener lieben
Schwester, die ein oder zwei Dutzend Mädchen nimmt und sie die Liebe des
Heilandes lehrt. I h r wundert euch, was diese nur zu lehren haben können,
und dennoch spricht der Herr ruhig und wirksam durch ihre sanften Stiuunen.
Wir sind wundervolle Kritiker; gleich bei der Hand und scharf im Durchhecheln
der Knechte des Herrn; aber es ist gut, daß der Herr eine süße Rache an
uns übt, indem Er ihnen um so größeren Segen gibt, damit unser Urteil bei-
seite gesetzt werde und wir verstehen lernen, daß Er immer noch spricht, durch
welchen Er will, und gebraucht, welchen Er wählt, und daß stets noch diese
Wahrheit gewiß ist: „Nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen
Geist, spricht der Herr Zebaoth." Die stille, sanfte Stimme des demütigen,
zurückgezogenen Christen mag unter Gott mehr Macht in sich haben, als alle
Donner und Blitze des größten Redners, der je für Christum sprach.

Zuletzt, l a ß t u n s horchen heule morgen: laßt das Horchen sogleich


geschehen, ehrfurchtsvoll. Wenn unsrer zu viele sind, um es hier zu thun, laßt
uns heimgehen in unser eignes Zimmer und dort horchen. Besonders wende
ich mich an euch, die ihr den Herrn nicht kennt: ihr könnt nicht die stille,
sanfte Stimme sprechen machen; aber oft, wenn ihr Schweigen eintreten laßt
und still sitzet, mögt ihr diesen Ruf sanfter Liebe hören. Was sagt er euch
Unbekehrten? Spricht er nicht zu eurem Gewissen und sagt: „Wie ist es,
daß du so lange in dem Licht gelebt und doch es nie gesehen hast? Wie
ist es, daß du so lauge in der Atmosphäre der Liebe gewohnt und doch sie nie
gefühlt hast? Wie ist es, daß Jesus Christus dir gepredigt ist uud du weißt,
Er ist der einzige Heiland, und daß du I h n doch verworfen hast?" Das
Die stille, sanfte Stimme. 665

Alter kommt über dich; dein Haar wird grau; du hast immer gehofft und hast
den Entschluß gefaßt, daß es anders mit dir werden sollte, und dock) bist du
noch ganz derselbe. Ich will nicht f ü r dein Gewissen sprechen, aber ich bitte
dein Gewissen, dich zu frageu, warum du deinen besten Freund so schlecht be<
handelst, warum du feine blutende Liebe gering fchätzest, warum du I h n uni
jeder Lappalie willen hintenanstellst und immer sagst: „Gehe hin auf diesmal;
wenn ich gelegene Zeit habe, will ich Dich her lassen rufen." Wenn das Ge>
wissen gesprochen hat, dann laß Iesum sprechen. Und was wird Er sagen?
„ I c h habe dich geliebt und habe mich selber für dich gegeben: weshalb ver«
achtest du mich? Ich bin zu dir gekommen uud habe in Tönen der Liebe zu
dir gesprochen und dich geheißen, mir zu vertrauen, und habe gesagt, daß ich
dich nicht hinausstoßen werde, wenn du zu mir kommst; warum kommst du
uicht und vertraust m i r ? " Laßt seine sanfte Stimme gehört werden, die
Stimme des Kindleins von Bethlehem, die Stimme des sterbenden Lammes
anf Golgatha; laßt sie euch bitten: „Kommet her zu mir, uud ich will euch
Ruhe geben." Hört feine Stimme: laßt andre Tolle fchweigen, damit ihr sie
hören könnt. Geht in die Stille nachher, neigt euer Ohr und horcht auf-
merksam, auf die Stimme der Barmherzigkeit voll dem blntenden Sohne Gottes.
Dann laßt den großen Vater sprechen und sagen: „Komm zu mir, mein
Kind; du hast dich verirrt, aber ich bill bereit, dich uoch aufzunehmen. Wenn
du ill Wahrheit zu mir kommen und deine Übertretung bekennen willst, so
bin ich „treu und gerecht, daß ich dir die Sünden vergebe und reinige dich
von aller Untugend." Komm zu mir, du sollst in meinem Hause leben und
alle Vorrechte meiner Kinder genießen."
M i t gleicher Aufmerksamkeit horcht auf die Lehren des Heiligen Geistes.
Sitzt nieder und sagt: „Sprich, Heiliger Geist, sprich zu mir." I h r köunt
nichts Besseres heute nachmitttag thun, als eine stille Zeit absondern, um euer
Ohr dem Geist der Gnade zuzuneigen. Nehmt euch eine Stunde Einsamkeit,
sitzt still und sagt: „ N u n , Herr, D u Heiliger Geist, sprich lind laß mein Herz
vor Scham über seine Übertretungen brechen; sprich dann und heile mein
Herz durch den Glauben an Iesum; sprich zu mir, während ich auf Dich
harre." O, wie viele würden einen Segen empfangen, wenn sie dies thätenl
Zum Schlüsse laßt mich im sanftesten Toll all jeden Unbekehrten hier
die Frage thun, die Jehovah an Elia richtete: „Was machst du hier, Elia?"
Was brachte dich heute morgen hierher? Kamst du, um Gott zu verehren
oder um deine Neugierde zu befriedigen, oder nur, weil es sich so gehört, am
Sonntag zur Kirche zu gehen? „Was machst du hier, Elia?" Was hast du
diesen Morgen gemacht? Als der Gesang angestimmt ward, lobtest du Gott
oder spottetest du? Und als das Gebet dargebracht ward, nahmst du daran
teil oder hast du hier gesessen und den Höchsten beschimpft, indem du I h m
666 Alttesiamentliche Bilder.

die Außenseite der Andacht botest, während dein Herz fern von I h m war?
„Was machst du hier, Elia?" O, daß du antwortetest: „Ich bereue, was ich
gethan und was ich uicht gethan habe, und ich lege mich nieder zu des Vaters
Füßen und bitte I h n , um Jesu willen Mitleid mit mir zu haben und mir
meine Übertretungen zu vergeben." D i r ist schon vergeben, wenn du an
Christum Iesum glaubst. Wenn du Jesu deine Seele anvertraust, geh' deines
Weges; es ist keiue Süude iu Gottes Buch gegen dich jetzt: Er hat deine
Übertretungen getilgt und will deiner Sünde nicht mehr gedenken. Es wird
ein göttlicher Tag sein, denn die Stimme wird heute morgen zu dir spreche»
und niemals aufhören zu sprechen, bis der König in seiner Herrlichkeit kommt
und dich zu seiner Rechten stellt. Der Herr segne euch, lieben Freunde, durch
seineu Geist um Jesu willen. Amen.
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 667

45
Die Pfeile des Heils vom Herrn.
„Hättest du fünf» oder sechsmal geschlagen, so würdest du die
Syrer geschlagen haben, bis sie aufgerieben wären; nun aber wirst
du sie dreimal schlagen." 2 Kön. 13, 19.

3iese Sterbebettszene ist eill gewaltiges Zeugnis für die Macht der
Helligkeit. Elisa war der Prophet Gottes; ein Mann in keiner ehrenvollen
Stellung, ausgenommen, daß derjenige immer geehrt ist, den Gott beruft, I h m
zu dieuen; I o a s , der König Israels — der oft Elifas Ermahnungen ver»
worsen, und feine Verehrung in den Hainen Baals fortgefetzt hatte, obwohl
Elisa gegen dieselbe gesprochen und verkündet, daß Jehovah allein Gott sei —
kommt jetzt, da der Prophet in dem hohen Alter von neunzig Jahren im
Sterben liegt, um au seinem Vette zu weiuen. Es war etwas Merkwürdiges,
daß der König überhaupt dahin kam. Könige besuchen nicht oft Sterbebetten,
besonders die Sterbebetten der Diener Gottes. Aber es war noch etwas
Merkwürdigeres, daß gerade dieser König da stand, auf die dahiuwelkende
Gestalt des greisen Propheten schaute und um ih» weinte. Noch merkwürdiger
waren die Worte, in denen der König seine Empfindung von dem Wert,
den der Prophet für den Staat hatte, aussprach: „Mein Vater, mein Vater,
Wagen Israels und seine Neuter." Er hatte das Gefühl, als weuu jetzt alle
seine Kraft hinweggenommen sei. Der König hatte auf feine Kavallerie ver<
traut, obgleich er nur eiue geringe Macht befaß, uud er verglich den Propheten
mit dem, was er als denstärkstenZweig feiner militärischen Kraft ansah; oder
ihm erschien der Staat jetzt als ein Wagen mit wilde» Pferden, und kein
stattlicher Prophet mehr, der aufrecht steht und die Zügel hält. Nun sind die
Zügel der Hand entsunken, und wohiu wird der Wagen gehen? Er wird bald
umgeworfen werden, uud die tollen Nenner werden ihn hierhin und dorthiu
schleppen. So steht der König mit einer Art von selbstsüchtiger Ehrfurcht vor
dem Propheten — denn es war Ehrfurcht und doch war es Selbstsucht —
und weint an seinem Totenbette.
668 Alttestamentliche Bilder.

Lieben Freunde, laßt uns suchen, so zu leben, daß selbst ungöttliche


Menschen uns vermissen, wenn wir dahingegangen sind. Es ist möglich für
uns, iu einer ruhigen, nicht aufdringlichen Weise so „die Lehre Gottes, unsres
Heilandes, zu zieren in allen Stücken," daß, wenn wir sterben, viele sagen
werden: „Meine Seele müsse sterben des Todes dieses Gerechten, und mein
Ende werde wie dieses Ende," und die Leute eine Thrcine vergießen werden,
und die Laden schließen, und eine oder zwei Stünden stille und ernst sein,
wenn sie hören, daß der Knecht des Herrn tot ist. Sie lachten über ihn, so
lange er lebte, aber sie weinen um ihn, wenn er stirbt; sie konnten ihn ver«
achten, so lange er hienieden war, aber nun er dahingegangen, sagen sie:
„ W i r hätten leichter einen weniger bekannten Manu entbehren können, denn
er, und solche, die ihm gleiche»,, sind die Säulen des Gemeinwesens; sie bringen
Ströme von Segen über uns alle." Ich möchte dies ernstlich als eine Gabe
begehren, nicht um der Ehre und Achtuug der Menschen willen, sondern zur
Ehre und zum Ruhme Gottes; damit selbst die Verächter Christi gezwungen
wären, zu sehen, daß in dem Wandel eines aufrichtigen Mannes eine Würde
und etwas Achtunggebietendes ist.
Doch, der Auftritt am Sterbebett des Elisa, — köstlich wie er ist durch
den Tribut der Ehrfurcht, der dem Propheten von einem ungötllichen und
grundsatzlosen Monarchen gezollt wurde, ist denkwürdig um der Lehren willen,
die da und dann den König gelehrt wurden, und nicht welliger voll ist er von
nützlichen Unterweisungen für uns. Ich schlage euch deshalb vor, zu allererst
das bedeutsame Zeichen zu betrachten; dann möchte ich, daß ihr euch
mit mir vereintet i m T a d e l des schlaffen K ö n i g s ; nach diesem werden
wir keine Schwierigkeiten haben, denke ich, einstimmig den gerechten Z o r n
des P r o p h e t e n zu b i l l i g e n .

I.
Aehr bedeutsam war da« Zeichen.
Israel war zu dieser Zeit im Krieg mit Syrien begriffen. Als ein
Zeichen, daß Gott beabsichtigte, seinem Volk Sieg zu geben, wird dem König
befohlen, Bogen und Pfeile zu nehmen. Elisa legt als Gottes Vertreter seine
Hand auf des Königs Hand, das Fenster wird aufgethan und der Pfeil ab>
geschossen. Als er durch die Luft fliegt, sagt der Prophet, daß dieser Pfeil
ein Pfeil des Heils ist, daß der Herr sein Volk aus der Hand Syriens be»
freien wird.
Die Deutung dieser symbolischen Handlung ist einfach genug. Gott will
erretten; Befreiung ist vom Herrn, aber sie muß durch menschliche Werkzeuge
vollführt werden. Ioas muß Bogen und Pfeile nehmen, aber die Hände des
Jons können den Pfeil nicht fliegen machen, wenn nicht Elifa als Gottes Ver>
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 869

treter seine Hände darauf legt. So schießt der Mensch, von Gott gestärkt,
den Pfeil ab, und die Vefreiuug kommt.
Das ist vom Anbeginn der Zeit bis auf die Gegellwart Gottes gewöhn«
liche Weise gewesen, sein Volk zu segnen und seine Erwählten einzusammeln.
Er wirkt; das Werkzeug ist nichts ohne I h n ; Er trägt Sorge, Mittel zu wählen,
die gerade durch ihre Schwäche den größten Zweifler überzeugen, daß die
Kraft nicht in dem Geschöpfe sein kann; während Er zu gleicher Zeit selten
ohne menschliche Mittel etwas Großes für sein Volk thut. Gott, der alle
Diuge schuf, ist der Wirkeude; aber Er gebraucht die Geschöpfe als Werkzeuge
und Waffen in der Hand des Kundigen und Mächtigen. Er wirket in uns
beides, das Wollen und das Vollbringen nach seinen! Wohlgefallen. Es ist
sein Wohlgefallen, es ist Er selber, der ill uns wirket; aber es ist unser, zu
wollen und zu thun, weil Er ill uns wirket. Überblickt die ganze Geschichte
der Gemeinde, wie ihr sie ill der Schrift findet, und ihr werdet sehen, daß es
immer so gewesen ist. Als Gott eine erwählte Allzahl aus der Masse des
Verderbens, das zuletzt zu faul geworden war, als daß selbst seule Geduld es
hätte tragen können, erretten wollte, da rettete Er die erwählten Acht — wie?
Durch ein Wunder? Nennt es ein Wunder, wenn ihr wollt, aber es war
mechanisch geuug, als Noah begann, Vrett alls Brett zu legen, sie mit Nägeln
befestigte und die Arche baute. Es war eine einfache Handlung des Glaubens
und eine sehr vernünftige Handlung dazu, ein Schiff zu bauen; doch in diesem
Schiff wurden Gottes erwählte Acht erhalten. I h r seht die Gnade Gottes und
den Gehorsam Noahs. I h r wißt, daß der Allmächtige den Plan zur Arche
entwarf, und menschliche Hände sie verfertigten nach dem Muster, das Er ge-
geben. Geht weiter, zu einen» noch erstaunlicheren Werke göttlicher Macht, als
Gott sein Volk aus Ägypten führte mit hoher Hand und ausgerecktem A r m ;
als Er sie durch das Meer führte, wie durch die Wüste, und die Tiefen aufrecht»
stehen ließ wie einen Haufen, als wären sie gefroren im Schöße des Meeres.
Hier offenbarte sich Gott herrlich, so daß das ganze Lied dem Herrn gesungen
ward, und dem Herrn allein: „Singet dem Herrn, denn Er hat eine Herr«
liche That gethan, Roß und Wagen hat Er ins Meer gestürzt!" Dennoch,
dennoch, seht ihr nicht jenen ruhigen, sanftmütigen Manu mit ausgestrecktem
Stabe, das Sinnbild der stetigen menschlichen Mittel inmitten der Wunder
Iehovahs? Gott teilt das Meer, nicht Mose; aber Gott teilt nicht das Meer
ohne Moses Stab. So auch, als der Fels Wasser gab in der Wüste, Moses
Stimme und nachher Moses Stab mußte das Wasser aus dein Felsen bringen.
Und als der Jordan geteilt ward, gingell die Füße der Priester zuerst bis
an den Rand des Flusses, und dann: „Was war dir, du Jordan, daß du
dich zurückwandtest?" Sprachen die Priester zu ihm? Wer wähut das?
Und dennoch that Gott es nicht ohne die Priester. So war es mit der Er>
670 Alttestamcutliche Bilder.

oberung der verschiedenen Städte unter Iosua. Bei jener ersten und denk»
würdigen, der Eroberung von Jericho, thaten sie nur wellig, als die Manern
an dem siebenten Tage umfielen; aber ihr werdet euch erinnern, daß diese
Mauern nicht fielen, bis das Volk sieben Tage um die Stadt herumgezogen
war, und sie fielen auch nicht ohne den Ton der Posaunen und das Feld»
geschrei der Menge. Wendet ench ferner zu der Zeit der Nichter, wie befreite
Gott sein Volk da? Null, ineine Freunde, ihr findet, daß es das eine M a l der
Ochsenstecken Samgars ist, und das andre M a l der Eselskinnbacken in der Hand
Simsons; einmal ist es Gideons Fackel und Krng, und dann wieder Iephthas
gutes und treues Schwert. Allezeit ist es wahr, daß Gott Mittel hat, und
die Dinge der Erde auswählt, um das tmt des Himmels auszuführen. Aber
ich würde euch vielleicht ermüden, wenn ich die Geschichte der Könige erwähnte
und die Propheten durchginge; deshalb laßt nns gleich zu den apostolischen
Zeiten kommend Das alte Rom sollte unterworfen werden; die tiefgewurzelten
Götzendienste von Jahrhunderten sollten allsgerottet und die fabelhaften Gott»
heiten voil ihren Piedestalen hernntergeworfen werden. Der Geist des Herrn
konnte es in einem Augenblick thun; Er hätte alle Menschen von der Thorheit
der Abgötterei überführen können; wenn Er schweigend die Seelen angehaucht,
wären sie voll der Sünde überführt worden und hätten sich zu dem großen
Vater der Geister gewandt. Eine Offenbarung Christi hätte jedem Menschen
gegeben werden können ohne einen einzigen Prediger. Aber gefiel es I h m ,
dies zu thun? Nein, meine Brüder, Er that es nicht. Die zwölf Fischer
mußten zuerst das Wort verkünden, und nachher mußten solche Männer wie
Timotheus und die, welche die wahren „Nachfolger der Apostel" waren, in
jedem Lande das Wort der Wahrheit predigen. Zeigt mir eine einzige
Periode ill der Geschichte der Gemeinde, wo Gott ohne Werkzeuge gewirkt hat,
und ich wtll euch sagen, daß ich zweifle, ob Gott da überhaupt gewirkt habe,
wenn ich nicht die Werkzeuge sehe, die Er gebraucht hat. Nehmt die
Reformation, könnt ihr an sie denken, ohne an Gott zu denken? Aber zu
gleicher Zeit, könnt ihr sie nennen ohne die Namen von Luther und C a l v i n
und Z w i n g l i und Melanchthou? Dann in der späteren Reformation in
England, als unsre schlummernden Gemeinden plötzlich aus ihrem Schlaf ge-
weckt wurde», wer that es? Der Heilige Geist selbst; aber ihr könnt nicht
von dieser Erweckung sprechen, ohne die Namen von W h i t e f i e l d und Wesley
zu nennen, denn Gott wirkte vermittelst ihrer, und Er wirkt immer noch durch
Mittel. Ich pflegte auf die Bemerkung zu achten, die betreffs der Erwecknng
im Norden voll Irland gemacht wurde, daß kein hervorragendes Werkzeug
dabei zu sein schiene. I l l dem Augenblick, wo ich dies sah, hatte ich Miß-»
trauen dagegen. Wäre es Gottes Werk gewesen, völliger entwickelt durch den
Gebrauch von Werkzeugen, so glaube ich, hätte es nicht so schnell ein Ende
Aie Pfeile des Heils vom Herrn.

genommen. W i r gestehen euch zu, daß Gott ohne Mittel wirken kann, und
selbst wenn Er Mittel gebraucht, gebührt I h m die Ehre, deun es ist alles
sein eigen; doch ist es die Regel gewesen und wird die Regel bleiben, bis der
Tag der Mittel zu Ende sein wird; gerade wie Gott den Menschen dadnrch
rettete, daß Er selbst das menschliche Fleisch annahm, so beruft Er überall in
der Welt die Menschen dadurch, daß Er zu ihnen durch Menschen von ihrem
eignen Fleisch uud Blut spricht. Gott wird Fleisch — wenu ich einen so
starken Ausdruck iu einem eingeschränkten Sinne gebrauchen darf — in seinem
Heiligen Geiste, wird Fleisch in den erwählten Menschen, besonders in seiner
Gemeinde, in der Er wie in eiuem Tempel wohnt; nno dann gefällt es I h m ,
durch diese Gemeinde die Welt zu segnen. Nun müssen wir dies immer fest«
halten. W i r sollen nicht die Pfeile still liegen lasseu und sagen: „Gott wird
sein eignes Werk thun; Elisa wird die Pfeile schießen." Dies ist Trägheit;
davon haben wir genug gehabt. Seht auf jeue Gemeinden, die sprechen:
„Gott wird sein eignes Werk thun." I h r werdet finden, je mehr diese Leute
davon schwatzen, daß Gott fein eignes Werk thun wird, desto mehr sinken sie
in eine gefährliche Apathie. Keine Sonntagsschule; keine Sorge für die Ve>
kehrung von Seelen! sondern Bigotterie, Bitterkeit, Mäkelei und Verleumdung
aller, die willig sind, in des Herrn Weinberg zu arbeiten. Und wenn sie
Brüder, deren Bekehrung uuter audrer Predigt, als die ihre, stattgefuudeu hat,
an sich gelockt haben, so schwatzen sie, als wenn diese aufs ueue bekehrt wärm
und die Wahrheit nicht gekannt hätten, bis sie das besondere, vortreffliche,
superfeine, heißgepreßte Evangelium hörte», daß sie selber vortragen. All der»
gleichen findet sich bei ihnen; ihr seht ein Gemüt, welches das Gegenteil von
Liebenswürdigkeit ist, einen S i n n , der ganz klar dem widerspricht/der in Jesu
Christo war. Auf der andren Seite ist es ein ebenso gefährlicher I r r t u m , zu
glauben, daß wir die Pfeile nehmen und ohne Gott schießen sollen. Dies ist
in der That der gefährlichste von den beiden; obgleich ich, wenn ich zwei
Teufel miteinander vergleichen soll, nicht weiß, welcher der schlimmste von
diesen bösen Geistern ist; der Geist, der träge sagt: „Überlaß es Gott," oder
der Geist, der an Gottes Werk geht ohne Vertraue» auf Gott. O Herr
Zebaoth, es ist nicht durch Heer, noch durch Kraft, sondern durch Deinen
Geist; desungeachtet zwinget uns die Liebe Christi, in seiner Sache unsre
Kraft zu brauchen uud zu verzehren.

II.
Uud nun laßt uns zweitens den schlaffen K ö n i g tadeln.
Der Prophet gab ihm Bogen und Pfeile nnd hieß ihn auf die Erde
schießen. Es ward ihm überlassen. Gott wußte und hatte vorher bestimmt,
wie viele Siege er gewinnen sollte; aber doch ist es wunderbar, wie unsre
672 Alttestamentliche Bilder.

freien Handluugen genau Gottes Vorherbestimmungen entsprechen. I h m wird


befohlen, zu schießen, und er schießt einmal; er spannt seinen Bogen und
schießt wieder; ein drittes M a l spannt er den Bogen und dann wirft er ihn
schlaff auf den Boden und der Prophet ist zornig auf ihn, denn er wird nur
drei Siege haben. Der König ist zu tadeln und streng zu tadelu; aber da er
tot nnd dahin ist und unser Tadel ihn nicht viel berühren kann, laßt uns
die tadelu, die ihm jetzt nachahmen, und wir meinen, daß wir sehr viele der«
selben Art finden können.
Wie viele Gläubige habeu u u r wenig Glauben uud scheinen
ganz z u f r i e d e n , n u r so wenig zu haben. Sie können die Verheißung
Gottes nicht ergreife» uud gläubig hoffen, sie erfüllt zu sehen. Sie kennen
ihren eignen Anteil an Christo; sie sind geborgen genug, aber sie sind für
gewöhnlich elend genug. Sie können nicht Gott beim Worte nehmen, und
deshalb lasten ihre zeitlichen Leiden und ihre geistlichen Sorgen schwer auf
ihnen. O, daß sie Gnade hätten, die Erde sechsmal zu schlagen! O, daß sie
es verstünden, alle ihre Bürden auf Den zu werfen, der für sie sorgt! O,
daß der Herr ihnen neue» Glauben gäbe, so daß sie I h m unbedingt vertrauten
und ihre Seele in den Händen Dessen ließen, der sein Herzblut vergoß, um
sie vom Zorne zu erretten! Wie? mir ist es nicht bekannt, lieben Freunde,
daß irgend eine Notwendigkeit für uns da ist, beständig zu zweifeln, zu
fürchten und zu zittern. Einige meinen dies, aber das ist, weil sie keine hohe
Vorstellung von dem Stande eines Gotteskindes haben und von der Stufe,
die es nach Gottes Willen erreichen soll. Sie schießen drei Pfeile und sagen
dann: „Ich bin errettet; das ist genug; ich werde m deu Himmel kommen."
O, daß sitz fortführen zu schießen, bis sie einen Himmel hienieden erhielten,
bis sie in starken! Glauben anfingen, „ihr Anrecht auf die himmlischen
Wohnungen klar zu lesen," und mit uuaussvrechlicher Freude sich zu freuen.
I h r seht eilte andre Klasse von Leuten, welche ganz ebenso sind betreffs
i h r e r E r k e n n t n i s . Sie verstehen nicht die tiefen Dinge Gottes; sie sind
zufrieden, das zu wissen, was eine Seele vom Verderben errettet, und das
Heilmittel, das in Christo bereitet ist, aber sie kennen nicht die Lehre von
Gottes erwählender Liebe uud geben nichts darum, sie kennen zu lernen. Sie
tauchten nie hinab in die Lehre von Gottes unveränderlicher Treue gegeu
sein erwähltes Volk; sie lassen die tiefen Dinge Gottes liegeil für starke
Männer, aber sie selbst sind es znfrieden, Kindlein zu fein. O , lieben
Frennde, wie vieles verlieren die, welche das Forschen in dem Wort Gottes
vernachlässigen; und was für Segnungen schleudern die von sich Hillweg, die
willig siud, in Unwissenheit über die höheren Wahrheiten der Offenbaruug zu
bleiben! Ich wollte, daß sie, anstatt dreimal zu schießen, soviel Gnade
Gottes hätten, mehr und immer mehr zu schießen, bis sie begriffen, mit allen
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 673

Heiligen, welches da sei die Breite, und die Länge, und die Tiefe, und die
Höhe der Liebe Christi, die alle Erkenntnis übertrifft.
I h r werdet vielleicht diese selben Leute oder andre ihnen gleiche sehen,
die sehr z u f r i e d e n sind m i t i h r e m täglichen W a n d e l und V e r -
halten l Sie sind keine Trunkenbolde; sie fluchen nicht; sie sind äußerst
wahrhaft; sie brecheu den Sabbat nicht, aber wenn ihr dies sagt, so habt ihr
ungefähr alles von ihnen gesagt, was ihr sagen könnt. Ihre Religion scheint
sie sittlich gut gemacht zu haben, aber es würde schwer wahrzunehmen sein,
daß sie sie heilig gemacht habe. Es ist sehr wenig Hausandacht da; nicht viel
Interesse für die Bekehrung ihrer Kinder; cs ist ein zorniges Temperament
da, das vielleicht ein wenig gezügelt ist, aber mau hält es für uumöglich, es
noch mehr zu zügeln, uud verstattet sich deshalb einen gelegentlichen Ausbruch
desselben; es ist vieles da, was in den Augen der Welt vielleicht nicht un»
verträglich mit dem Glauben ist, aber was sich sicherlich nach dem Urteil des
Geistes Gottes nicht damit verträgt. Diese Brüder haben in der That drei',
mal geschossen und haben die Erde ein» oder zweimal geschlagen, aber sie
haben die ihnen anklebenden Sünden niemals rein ausgefegt; sie dulden noch
immer einige voll ihnen; sie haben keine hohe Stufe der Heiligkeit erreicht.
Nun, ich bin so weit wie uur irgend einer von dem Glauben entfernt, daß
ein Mensch je in diesem Leben vollkommen fein wird, aber ich will nie zu<
frieden sein, bis ich es bill; uud wenn ich nicht vollkommen sein kann, so
will ich mit Gottes Gnade suchen, so nahe wie möglich da hinan zu kommen.
Und dies sollte das Streben jedes Christen sein. Nicht um sich zu erretten,
sondern weil. er errettet ist, sollte er nach den höchsten Gnaden der Heiligkeit
ringelt und streben, daß Gott durch ihn hindurch leuchten möge wie durch eine
Lampe, so daß die Menschen erkennten, daß er bei Jesu gewesen und von
I h m gelernt hätte. Hoher Glaube, hohe Erkenntnis, hohes Leben: o, was
für selige Christen würden wir haben, wenn diese drei zusammen gingen!
So gibt es auch viele Christen, die nicht mehr als dreimal schießen, in«
dem sie an sehr geringer Freude sich genügen lassen. O, die vielen,
vielen Christen, die ihr ganzes Leben lang der Knechtschaft unterworfen sind!
Nun, Christus kam, solche von der Furcht des Todes zu erlösen, doch obgleich
Christus kam, dies zu thuu, ist es bei ihnen nicht geschehen. Sie empfangen
nicht den Geist der Kindschaft, sondern scheinen den Geist der Knechtschaft
empfangen zu haben, abermal sich zu fürchten und sie meinen, dies sei die
Regel für das Volk Gottes. Wenn sie von einigen Heiligen lesen, die Berge
erstiegen und liebliche Gemeinschaft mit Christo gehabt haben, sagen sie: „Ach,
solche Menschen sind ungewöhnlich und solche Erfahrungen sind wie Engel»
besuche, wenige und selten; wir können dazu nicht hinankommen." Ich glaube,
lieben Freunde, dies Gefühl beschleicht uns alle. W i r lesen das Leben eines
S p u i g e o n , Alttestllmentllche Vllder. 43
6?4 Alttestamentltche Oilder.

Mannes wie V r a i n e r d , und wir schließen das Buch, seufzen und sagen:
„ O , ich könnte nie so Gott geweiht sein wie er." W i r haben das Leben von
W h i t e f i e l d gelesen, und wenn wir fertig sind, sagen w i r : „ A h , ein außer-
ordentlicher Mann — ein sehr außerordentlicher M a n n ! Es ist nicht wahr«
scheinlich, daß ich je seinen Eifer haben werde." Und wenn wir uns zum
Alten Testament wenden und von Abraham lesen, sagen wir: „ J a , Abrahams
Glaube war sehr wunderbar; aber wir betrachten ihn nicht als ein Muster,
das wir nachahmen sollen; wir denken, sein Glaube ist etwas hoch ill eiller
Nische Aufgestelltes, das wir nie erreichen können." Meine Brüder, dies ist
alles verkehrt. Ich glaube, daß der Christ nicht damit zufrieden sein sollte,
Abraham gleich zu sein, weil Abraham im Duukel lebte, ehe die Sonne auf»
gegangen war. Es war wenigstens nur Dämmerung in Abrahams Tagen;
uud doch, wenn er soviel Glauben hatte, als er nur durch den trüben Rauch
geopferter Widder und Farren fehen konnte, wieviel mehr Glauben und Zuver«
ficht auf Gott sollten ihr und ich haben, wenn wir Christum selber seheu,
und wenn Gott zu uns durch seinen Sohn spricht! Schande über uns, daß
wir uns begnügen, solche Zwerge zu sein, wenn wir zu Riesen hillanwachsen
könnten, daß wir hier unsre Zeit vertändeln, wenn wir uns unsterblich machell
und unsren Herrn verherrlichen könnten. Wie ist es, daß wir zufrieden sind,
erst eine magere Ähre hervorzubringen und dann eine dünne, wenn sieben
Ähren auf einein Halme sein sollten, wie bei der Fülle in Ägypten? Wie ist
es, daß wir nur hier uud da eiue Weintraube haben, während wir, wenn
wir mehr Zweige trieben, wenn wir mehr Glauben und Vertrauen zu Gott
hätten, den Weinstöcken Eskols gleichen könnten, deren Trauben zu schwer für
ernen Mann zu tragen waren? J a , ich fürchte, es ist in unsrem christlichen
Lande sehr, sehr viel von diesem Zurückbleiben hinter dem, was wir fein
könnten. W i r strecken uus nicht zu dem, was da vorn ist, sondern sprechen:
„ I c h bin errettet," und sind zufrieden und sitzen nieder, ehe wir das vor«
gesteckte Ziel erreichen uud das ergriffen haben, um deswillen wir von Christo
I e f u ergriffen sind.
Nun wünsche ich eure Aufmerksamkeit auf einen Augenblick, während
ich versuche, euch einige der Ursachen zu zeigen, weshalb der König nicht
mehr schoß.
Ich kann es nicht für gewiß sagen, aber ich denke, einige der Ursachen,
die ich euch geben will, mögen richtig fein. Vielleicht w a r er ziemlich
m i l d e gegen die S y r e r gesinnt. Es ist wohl möglich, daß er fühlte,
als wenn er ihnen nicht gar zu viel Schäden thuu möchte; er wollte siegreich
sein, er wollte seinen Feind unter den Füßen haben, aber wenn er mehr thäte,
würde er ihn ganz und gar zertreten, und das wollte er eben nicht. So,
denke ich, wollen einige Christen nicht zu hart mit ihren Sünden verfahren;
Die Pfeile des Heils vom Herrn.

sie haben eine Art heimlicher Zärtlichkeit für ihre bösen Neigungen. O lieben
Freunde, wie sehr zornig werden wir, wenn jemand uns ein wenig zu deutlich
nnsre Fehler vorhält, und wie zornig sind wir über alles, was unsrer
Lieblingssünde den Hals abzuschneiden versucht. Ach, wir wissen nicht, wie
zärtlich wir gegen nusre Sünden sind, während die Nalterbrut im Neste zer»
treten werden sollte! W i r sagen oft, wenn wir sie verwuuden: „ J a , sie
niederhalten; aber nein — ich könnte sie nicht alle aufgeben — ich könnte es
nicht — nein, ick) muß mir ein wenig erlauben; dies und das muß da sein."
Die Axt an die Wurzel des Vanmes zu legen, ist kein angenehmes Geschäft.
Schneidet die großen Zweige ab, wenn ihr wollt, aber die Axt an die Wurzel
legen — nein, wir lieben das nicht. Es ist um unsres natürlichen Verderbens
willen im Grunde doch eine Anhänglichkeit an unsre Sünden in uns. Der
alte Mensch sagt: „schone sie;" uud es gehört viel Gnade, und triumphierende
Gnade dazu, um zu sagen: „Nein; haue selbst Agag iu Stücke vor dem
Herrn, und laßt nicht einmal die besten von den Schafen oder bell Rindern
verschont bleiben." Weichlichkeit gegen die Sünde wird uns stets im Wachs«
tum der Gnade hindern. W i r werden Gottes Bogen nicht so viel gebrauchen,
wie wir es sollten, wenn wir einmal beginnen, uns selber zu schonen, unsrer
Bequemlichkeit zu pflegen und das Fleisch zu verzärteln.
Ferner fuhr der König vielleicht nicht mit Schießen fort, weil er dachte,
daß es sich kaum f ü r i h n passe, a l s Bogenschütze gebraucht zu
werden. „Warum soll ich hier immer stehen," dachte er, „und Pfeile
schießen? Ich hatte nichts dagegen, als des Propheten Hand auf mir war,
zu schieße», aber hier zu stehen uud die Erde zu schlagen, ist kaum eine Be»
schnftigung für einen König."
Und dann dachte er vielleicht, daß er drei Siege haben s o l l t e , und
das würde genug fein. „Wie? es wird etwas Wundervolles sein! Drei
Siege, einer nach dem andren, werden ganz genug sein, mich mit ewigem
Nuhln zu krönen, und ich will nichts weiter als das;" und deshalb schoß, er
nur dreimal. Und wie mancher Gläubige scheint zu sagen: „Kann ich immer
Wache über meine bösen Neigungen halten? Soll ich es so genall nehmen
und so sehr in Gottes Nähe leben? Was, soll ich soviel beten? Soll ich
soviel in der Bibel forschen und mich soviel mit ihr beschäftigen? Nein,
wenn ich einige meiner Sünden besiegen und ein achtbares Mitglied der Ge«
meinde sein kann, ein wenig i l l der Sonntagsschule thue und dann in den
Himmel komme, das ist genug." I h r wünscht nicht, seht ihr, gut gemacht zu
werden; ihr wünscht nicht, Christo gleich gemacht zu werden; ihr wünscht nicht,
über eure Sünden triumphieren zu können; ihr mißversteht euren hohen Beruf;
ihr meint, zu einem Sklaven berufen zu sein, während ihr zum Herrschen
berufen seid; ihr bildet euch ein, daß ihr berufen seid, Sacktuch zu tragen,
43'
676 Alttestamentliche Bilder.

wenn euch geheißen ist, Purpur und feine Leinwand anzulegen; ihr denkt,
daß Gott euch auf einen Dunghaufen berufe, während Er euch auf einen
Thron berufen hat; ihr meint, daß ihr nur hier und da sein follt, beim
Scharmützel im Kriege, während Er euch bestimmt hat, in den Vorderreihen
zu stehen und beständig für seiue Sache zu streiten.
Ich denke auch, daß der Köuig angefangen haben m a g , zu
z w e i f e l n , ob die Siege wirklich kommen würden. Er wußte sehr
gut, daß er nicht viele Soldaten hatte, uud daß Syrien sehr stark war, deshalb
dachte er: „Nun, es gehört schou Glaube dazu, zu denken, daß ich sie dreimal
schlagen werde, aber es ist nicht wahrscheinlich, daß ich es zum vierteumal
thun werde." Er zweifelte an der göttlichen Macht uud der göttlichen Ver<
heißung, wegen seiner eignen Schwachheit; uud mancher Ehrist thut das. Ich
denke, Brüder, wir, die im Predigtamt stehen, könnten weit mehr für Gott
thun, als es der Fall ist, wenn wir den Gedanken an unsre eigne Schwachheit
nicht den an Gottes Kraft überschatte» ließen! Wie! Was kann ein Mann
nicht thun, wenn er Glauben an Gott hat? Ohne Christnm können wir nichts
thun; aber denkt an die umgekehrte Seite dieses Satzes, daß mit I h m wir
alles thun können. Wenn Er mit mir sein will, kann ich alles thun und alle
Leiden tragen. Laßt uns dies nicht vergessen; und laßt niemals das Gefühl
menschlicher Schwachheit unsre klare Erkenntnis der Macht uud Majestät Gottes
stören. Laßt uns oft fchießen, denn so oft wir schießen, wird Gott unsrem
Glauben antworten.
Und haltet ihr es nicht auch für sehr wahrscheinlich, daß der König
des Propheten P l ä n e verachtete? Wie, scheint er zu denken, dies ist
abgeschmackt, die Erde so zu schlagen! Wenn Menschen da wären, auf die er
schießen sollte, so würde er die Pfeile nicht sparen; aber die Erde auf diese Weise
zu schlagen — abgeschmackt! lächerlich! S o gehen auch wir oft eines Segens
verlustig, weil wir Gottes Plätte nicht lieben. W i r haben selbst ein neues
Schema gemacht; es ist nicht die Predigt dcs Evangeliums — die ist alt-
modisch; wir wollen etwas andres versuchen; das ist besser, als an die Land«
straßen und Zäune gehen undsienötigen, hereinzukommen. Nein, wir wollen
einen kürzeren Weg als diesen; wir bleiben dabei, uus einzubilden, wenn wir.
eine göttliche Anordnung aufgäben, wenn wir vielleicht betreffs der Taufe
unsren Mund hielten, wenn wir diese uud jeue Lehre zurechtschnitten, so
würden wir besser vorwärts kommen. Ach! dies ist alles verkehrt, lieben
Freunde. Fleischliche Politik mag ihren Platz im Kabinett und in der
Regierung des Landes einnehmen, aber niemals im Hause Gottes. Wenn
Recht Recht ist, so handelt danach; wenn Got befiehlt, thut es, und über«
laßt die Folgen I h m . Wenn Er euch auf die Erde fchießen heißt, schießt
auf die Erde. I h r mögt keinen Syrer da sehen; aber jedesmal, wenn ihr
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 677

schießt, findet der Pfeil das Herz eures Feindes, und ihr werdet ihn nieder-
schmettern.
Ich wollte, lieben Frennde, ich könnte heute abend so zu euch sprechen,
daß ich den Gliedern dieser Gemeinde*) einen hohen nnd edlen Ehrgeiz ein»
flößte, viel für Gott zu thuu, und viel für Gott zu empfangen, viel Gnade zu
empfange»; viel Heiligkeit zu haben; viel Arbeit zu thun. Knrzum, ich wünschte,
ich könnte sie in einen solchen Herzenszusland bringen, wie der Prophet ihn in
Jonas zu sehen wünschte; daß sie die Pfeile nähmen und sie abschössen.

III.
D e r gerechte Z o r n des P r o p h e t e n ist unser dritter Pnnkl; und
wir meinen, w i r k ö n n e n seinen Z o r n w o h l r e c h t f e r t i g e n .
Wir sehen nicht gern einen Greis oder einen Sterbenden zornig, aber
ich meine, der Prophet that hier recht, zornig zu sein, selbst in der Stunde
des Todes. O, wie liebte er das Volk, und wie weinte er bei dem Gedanken,
daß ihr König ihnen im Lichte stände, nnd sie köstlicher Vorrechte beranbtel
Nun, lieben Freunde, wenn ich auf viele Gemeiudeglieder blicke und sehe, wie
gänzlich träge und sorglos sie in Christi Sache sind, nnd wie viele Christen
so tot zu sein scheinen wie die Sitze, ails denen sie sitzen, und nicht mehr
Gnade haben als Weltlinge; so denke ich, wenn meine Seele von einer heiligen
Leidenschaft gegen sie erglühte, könnte ich mit mehr Recht als Jona sagen:
„Villig zürne ich."
W i e v i e l leidet I s r a e l durch die S c h l a f f h e i t des K ö n i g s ! O
Christen, ihr leidet selber; ihr verliert tansend Tröstungen! Was ihr für
Gott thun könntet, seid ihr unfähig zu thun; das, wovon ihr euch selber
nähren könntet, verliert ihr, weil ihr nicht weiter gehen nnd höhere Stufen
suchen wollt. Und all eure Brüder leiden auch. Eure Gebete in der Vet>
stunde haben nicht die Wärme nnd Salbung, die sie haben würden, wenn ihr
mehr in Gottes Nähe lebtet. Enre Erfahruug ist ihnen nicht so nützlich, wie
sie es sein könnte, wenn ihr mehr mit Christo wandeltet. Der ganze Kirchen«
schätz wird von euch beraubt. Mitgliedschaft der Gemeinde ist eine Art Handels»
gesellschaft; wir, jeder von nns, nehmen alls dem Kapital heraus und legen
hinein. Es ist ein Gebetsschatz da; wir alle wünschen, daß mall für uus
bete; das ist das Herausnehmen; wir müssen a l l e Gebete in den Schatz legen,
und die Mitglieder, welche nicht beten — und sind solche da? — und die Mit«
glieder, welche nicht über Seelen senfzen — nnd sind nicht solche da? — die
Mitglieder, welche keinen Eifer für Gott haben — und es gibt solche? —

*) Die Predigt ist bei Eröffnung der Kapelle einer andren Londoner Baptisten-
gemeinde ganz in der Nähe des Tabernakels gehalten. A. d. Üb.
878 Mtestamcntliche Bilder.

berauben den Gotteskasten; und ich weiß nicht, ob ich sie nicht Ananias und
Sapphira vergleichen kann, denn sie behalten einen Teil des Preises zurück.
Gott sei ihnen gnädig; aber die Gemeinde hat sehr durch sie gelitten.
Wie leicht hätte der T r i u m p h erreicht werden können. Wie?
wenn dieser König mehr Pfeile geschossen hätte, wäre Syrien ganz überwunden
und in Stücke gerissen worden; aber weil er hierin schlaff war, schwang
Syrien über gefangene Mädchen sein stolzes Banner, und trauernde Witwen,
deren Männer in der Schlacht erschlagen waren, weinten in den Gassen
Samarias. Der Teufel freut sich, wenn er schlummernde Christen sieht. Die
Welt lacht sich ins Fäustchen über die heutigen Vekenller, weil sie sagt: „ I n
den alten Puritanischen Zeiten waren wir bange, wenn wir einen Christen
sahen; ah l wenn ein Mann Mitglied der Gemeinde in jenen Tagen wurde,
so war er ein Mann, der meinte, was er sagte. Aber o! es sind so viele
voll ihnen jetzt, die nur Gemeindeglieder werden, um respektabel zu sein; sie
gehen nur zu einem Gotteshause der Kundschaft wegen, damit die Leute mit
ihnen handeln und sich betrügen lassen; damit sie mit ihnen schwatzen und
ein so müßiges Geschwätz hören, wie sie es nicht von Leuten auf der Gasse
vernehmen, die nie ein christliches Bekenntnis abgelegt haben. Ahl wir haben
die Gemeinde fast überwunden und zerstört, wenn wir ihre Glieder sich so be»
tragen sehen." Diese Leute, die Christen sein mögen, die aber nur halbe
Christen sind; diese Leute, die nicht ganz kalt sind, aber die auch nicht warin
sind; diese Leute, die ich nicht mit den Schlacken wegschaufeln möchte, die aber
doch so mit schlechtem Metall versetzt sind, daß ihr sie kaum reines Gold
nennen könnt; diese Leute sind es, die machen, daß die Tochter Philistäas sich
freut und die Söhne des Gegners triumphieren.
W i e w a r d I e h o v a h s Name entheiligt. I n Syriens Straßen lachten
sie über Jehovah. Sie sagten, ihre Götter seien größer als Er. O, was für
eine Schmach ist es, daß ihr und ich je Christo mehr Schmach bereiten, als
Er nm unsertwillen schon erduldete! Meine Brüder und Schwestern, was
denken wir von uns selber, wenn wir je in irgend einem Maße den Herrn
von neuem gekreuzigt und Schande über I h n gebracht haben? Es sind
nicht nur die Christen, deren Wandel geradezu ihrem Bekenntnis wider-
spricht, welche dieses thun, sondern solche Christen, die nicht suchen, höhere
Stufen zu erreichen, die zufrieden sind, arm in der Gnade zu sein, wenn sie
reich sein könnten. Ich glaube, solche Menschen bringen Christo viel Unehre
durch ihre Zweifel, durch ihre harten Gedanken von Christo, durch ihre trüb»
seligen Gesichter und oft auch durch ihren Mangel an Eifer, ihren Mangel
an Gebet und ihre Oberflächlichkeit in den Wegen Gottes. Blickt uni euch
her und seht, wie geschäftig die Menschen ill der Welt sind! Wenn ein
Mann Geld machen will, seht, wie früh er aufsteht, wie spät er aufsitzt, und
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 679

das Brot der Sorge ißt! Es ist wunderbar, was für Scharfsinn Menschen
aufwenden, um Vergnügen zu gewinnen, was für verzweifelte Anstrengungen
sie machen; wie sie nach Indien gehen, und unter dem glühenden Himmel
schwitzen, und dein Fieber dort trotzen. Seht, wie am Nordpol kühne und
brave Männer ihr Leben geopfert haben, um eine Durchfahrt zu erzwingen.
Menschen sind willig gewesen, für wissenfchaftliche Experimente gesellige An-
nehmlichkeiten aufzuopfern, ihre Gesundheit zu wagen und ihr Leben zu ver<
lieren. Es scheint mir, daß jedermann enthusiastisch ist, ausgenommen die
Christen, und daß Menschen ihr Blut erhitzen können über jeden Gegenstand,
ausgenommen Religion; daß in diesen Tagen das Eis der Gemeinde Gottes
gegeben und das Feuer auf die Welt > geworfen ist. Blickt auf des Teufels
Anwälte, wie sie Meer und Land umziehen, einen Proselyten zu machen.
Wenn i h r tot und stumpf seid, werden sie hier bei euren nächsten Nachbarn
nicht so sein, in S t . Georges Kathedrale.*) I h r mögt sorglos betreffs der
Armen sein, aber sie werden es nicht sein; ihr mögt vielleicht aufhören, viel
zu beten und viel zu thun, aber ihr werdet finden, daß sie nicht mit ihren
Zauberformeln aufhören. Wie? wenn der Teufel zu einem Manne kommt,
fagt er zu ihm: „Komm mit m i r ; ich wünsche, daß du Weib und Kinder
heute abend verlassest; komm mit mir," und fort geht der Mann zu irgend
einer niederen Kneipe. „Ich wünsche, daß du hier hineingehst," sagte der
Teufel, und der Mann geht hinein, vielleicht ein respektabler Mann, wie die
Welt sagt. „ N u n , " sagt der Teufel, „wünsche ich, daß dn Vier und Grog
trinkst; es wird dir den Kopf schwindlig machen; es wird deine Augen rot
machen morgen früh, und vielleicht dir das äslirium tisinßns zuziehe»."
„Ich will es thun," sagt der Mann, und es schmeckt ihm lieblich und süß,
als wäre es ein Trunk himmlischen Nektars. Es mag sein, daß er taumelnd
nach Hause geht oder getragen werden muß, aber er ist ganz willig, wieder
und immer wieder hinzugehen, obgleich er seine Kinder zu Bettlern macht,
und sein weinendes Weib und seine hungernde Familie sieht. Er thut es
alles so fröhlich, und denkt in der That, daß er ein sehr guter Kerl sei und
sich nur einen Genuß verschasse, während er unsagbares Elend über seine
Familie bringt. I h r werdet zuweilen einen Mann in Laster fällen sehen,
seinen eignen Körper an den Nano des Grabes bringen, und sich selbst zu
eiller faulen Masse machen auf Befehl des Teilfels, und doch murrt er nie
über feinen Herrn, denkt nie daran, von ihm hinwegzulaufen; und hier ist
mein Herr und Meister, dessen Dienst vollkommene Freiheit ist, der uns
bessere Speise und besseren Trank gibt, als Engel je genossen; der, je mehr
wir für I h l l thun, uns desto mehr belohnt und desto, mehr Kraft zur Arbeit

*).Eine katholische Kirche.


680 Alttestamcntliche Bilder.

gibt, nnd doch sind wir kalt nnd stumpf nnd tot; nnd wenn wir gebeten
werden, etwas zu thun, antworten wir, es würden so viele Ansprüche an uns
gemacht; und wenn man uns zum Anschluß an ein Unternehmen anffordert,
mit dem ein wenig Unehre oder Unbequemlichkeit verbunden ist, treten wir
znrück, wollen im Bett liegen und der Gemächlichkeit pflegen. O, was für
eine Schande, was für eine Schande ist dies! Prophet, dn thatest recht, zornig
zu sein! Ich möchte, daß einige glühende Seelen zn nns kämen, und selbst bitter
mit nns sprächen, wenn sie nns nnr fühlen lassen könnten, daß das Leben
ein „Wirkliches, ein Ernstes ist," nnd daß die Sache Christi es erfordert,
daß Geist, Seele und Leib ill höchster Anspannung sind, in ernstlichster Au»
strengung, sich „darlegen und dargelegt werden," selbst bis aufs V l u t ; der
Sünde widerstehen und fiir die Herrfchaft Christi streiten.
Nun, ich nahm diesen Text, weil es mir schien — ich weiß nicht, wie es
ench scheint — als wenn er eine Lehre für enren Prediger nnd für euch selber
wäre. Hier seid ihr in diese nene Kapelle gekommen, nnd in eine euch
ueue Nachbarschaft. W i r , die hier aus andren Gemeinden gekommen sind,
wünschen ench, wie es in einen» alten Gebetbuche heißt: „Glück im Namen
des Herrn." W i r wünschen euch das höchste und beste Wohlergehen, das wir
für uns selber wünschen. Aber wir wünschen euch einzuprägen, daß die Ge-
meinde, während Gott ihr helfen nnd beistehen wird, stets thätig sein muß.
Jeder einzelne muß sein Teil in diesem heiligen Kampfe, in diesem Kreuzzug
wider die Sünde thnn. Ich bitte den Bruder E., nie seine Hand vom
Schießen der Pfeile abzulassen. Wenn Gott ihn in einem Unternehmen segnet,
fo möge er noch ein zweites beginnen. Wenn er sieben Seelen bekehrt sieht,
möge er tranern, daß es nicht acht sind. Wenn er das Haus voll sieht, möge
er auch dann nicht zufrieden sein, sondern nm etwas noch darüber hinaus
bitten; und wie der Adler nicht rnht, sondern aufwärts stiegt, immer der
Sonne zu, fo möge sein Lanf sein, vorwärts und aufwärts, und dem Gebote
treu, bis der Herr ihn in seine Herrlichkeit aufnimmt, in die Nuhe, die noch
für das Volk Gottes vorhanden ist.
Und ihr, die ihr hier seid, sitzt nicht still. Sagt nicht: „Wohl, wenn
wir diese Sitze recht voll bekommen, wollen wir zufrieden sein." Ich hoffe,
ihr werdet sie voll haben, aber ich hoffe, ihr werdet dann nicht zufrieden sein.
Nein, laßt es dann euer Ziel sein, zu beten, daß Gott die Inhaber der Sitze
bekehren möge, so daß die Zuhörerschaft eine Gemeinde werde. Und seid dann
nicht zufrieden, bittet, daß die Gänge gefüllt werden, daß Gott die Stehenden
bekehre und daß eure Gemeinde die Mauern des Hauses, in dem ihr zusammen»
kommt, sprengen möge. Denkt nicht, daß euer Maßstab einer Betstunde ein
niedriger sein müsse. Beginnt nicht, zu sagen: „Wenn wir zwanzig oder
dreißig bei der Vetstnnde haben, das ist genug." Viele unsrer Gemeinden
Die Pfeile des Heils vom Herrn. 681

erreichen selbst dieses Maß nicht. Seid nicht einmal mit fünfzig zufrieden,
sondern fahrt fort zu schießen. J a , Bruder E., fahre fort; und ihr, Glieder
der Gemeinde, fahrt fort, eure Pfeile zu schieße». Bittet nicht Gott um ein
Weniges, sondern thut euren Mnnd weit auf, und Gott wird ihn füllen;
sorgt dafür, daß ihr ihn so weit aufthut, wie ihr es nur könnt. Bittet I h n
um Großes, und weuu ihr bittet, so bittet nicht, als wenn ihr glaubtet, sehr
waghalsig zu sein; nein, sondern bittet, weil es sicher ist, daß Er geben wird.
Glaubt, daß Gott euch eine gnädige Nechlfertiguug geben kann und will, für
euren Glauben an I h n . Bittet auch, weil Er weiß, was euer Herz uicht
einmal begreifen kann, denn Er kann überschwenglich thun über alles, was
ihr bitten könnt. Seid nicht zufrieden, ich bitte euch, wenn ihr eine gute,
respektable, starke Gemeinde der Denomination seid. Begnügt euch damit nicht.
Ich sage es mit großer Trauer, wir haben einige Gemeinden gekannt, die „fein
liefen;" sie bekamen ein gutes Gotteshaus, ein sehr hübsches Gebäude mit
kleinen Stückchen gefärbten Glafes und die Gesichter der Leute am Sonntag
waren in allen Farben; und als sie diese Stufe erreicht hatten, sagteu sie:
„Nun, wir sind sehr respektable Leute; wir wollen die Armen nicht haben, wir
wollen nicht Hinallsgehen an die Zäune, Landstraßen und in die Hintergassen
und sie hereinholen." Wirklich, sie gleichen mitunter einigen von unsren
alten Dienern; ihr wißt kaum, wer Herr und wer Diener ist; so mag Gott
der Herr kaum wissen, wer Herr in der Gemeinde ist — diese Leute oder Er
selber, denn sie wollen nicht thun, was Er ihnen sagt; sie sind zu groß dazu
geworden; sie konnten es einst thun, aber jetzt nicht mehr. Nun, das wird
hier noch in manchen Jahren nicht der Fall sein; ich hoffe, daß es nie der
Fall sein wird, mögt ihr stets eine treue Gemeinde, eine thätige Gemeinde sein,
bis der Herr selber kommt. Gott gebe, daß ihr fortfahrt, eure Pfeile zu
schieße», daß ihr große Dinge erwartet und große Dinge thut.
Und nun, ihr Mitglieder dieser Gemeinde, und wir alle, die hier gegen»
wärtig sind, laßt uns aufs neue uns Gott weihen. Laßt uns heute abend
darüber nachsinnen, ob wir nicht zu wenig Pfeile abgefchossen haben; ob wir
nicht zu hoch von dem Wenigen, das wir gethan, gedacht haben; ob wir nicht
hätten mehr thun können; ob wir nicht mehr thun müssen; ob wir nicht nun
für die Zukunft Gottes Verheißungen fester glauben, fein Wort kühner predigen,
es andren häufiger sagen, freigebiger für Gottes Sache sein, ernster zu Gott
beten, uns dem Herrn noch völliger weihen und hingeben wollen. Ich bin
gewiß, es ist noch Raum für große Verbesserung in den Besten von uns.
O Herr, was für ein Funke ist meine Liebe zu D i r ! O, daß D u ihn zu
einer Flamme anfachen möchtest, bis er Wachholderkohlen gliche! Uni die
Worte eines allen Predigers zu gebrauchen: „David sprach: Der Eifer um
Dein Halls hat mich gefressen, aber es wird lange Zeit währen, bis einige
682 Alttestllmentliche Bilder.

Leute gefressen sind; es hat noch nicht an ihnen zu nagen begonnen, und es
ist nicht zu fürchten, daß sie gefressen werden." Null, ich möchte einen Mann
von seiner Religion „gefressen" sehen. Ich möchte, daß der Christ sich so ganz
dem mächtigen Wirbelwind der göttlichen Gnade hingäbe, daß er ihn hinweg«
führte und ihn gleich einem Strohhalme ill seinem gewaltigen Laufe machte.
Der Herr gebe euch Kraft und Gnade, I h m euch so hinzugebe» und I h m so
zu dienen.
Möge Gott nun seinen Segen hinzufügen um Christi Jesu willen. Amen.
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 683

46.
Jonas Entschluß, oder: Blicket
wiederum!
„Daß ich gedachte, ich wäre vor Deinen Augen verstoßen, ich
würde Deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen." Jona 2, 5.
Nach der engl. Üb. : „Da sprach ich, ich bin vor Deinen Augen
verstoßen; dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen
Tempel."

Ü ) a s f ü r ein kompliziertes Geschöpf ist der Mensch! Die,


welche sich einbilden, ihn völlig beschreiben zu können, verstehen ihn nicht. Er
ist ein Rätsel und ein Widerspruch. Wie ein Dichter gesagt hat: „ I n meinen
und in andrer Augen bin ich ein Labyrinth nur von Geheimnissen." Hier
ist z. V. das Bekenntnis Davids: „So närrisch war ich und unwissend: ich
war wie ein Tier vor Dir. Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn D u hältst
mich bei meiner rechten Hand." (Ps. 73, 22. 23.) Paulus sagt: „Ich
elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich
danke Gott durch Iesum Christ, unsren Herrn." (Nom. 7, 24. 25.) Er ist
mit aller Kraft durch den Geist Gottes in dein inwendigen Menschen gestärkt,
und doch ist er die Schwachheit selber. I n dein Text scheint Jona in einem
verzweifelnden Zustande zu seilt: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;" und
doch hat er Hoffnung, denn er faßt den Entschluß: „dennoch will ich wiederum
blicken nach Deinem heiligen Tempel." Alles scheint verloren, und dennoch
ist nichts verloren, so lange der Mensch noch zu Gott aufblicken kann. Gott
kann ihn nicht sehen, fo denkt er; doch redet er davon, auf Gott zu blicken, —
dies ist sonderbar, nicht wahr? Es ist, als wenn er sagte: „Ich bin vor
Deinen Augen verstoßen, und D u bist doch der, den meine Augen fehen."
Ich kenne kein trüberes Wort, das menschliche Lippen sprechen können, als
dieses: „Ich bill vor Deinen Augen verstoßen;" ich kenne keinen hoffnungs»
volleren Entschluß, den das menschliche Herz fassen kann, als diesen: „Doch
will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel." O, ungeprüfter
684 Alttestllmentliche Bilder.

und unerfahrener Bruder, sei nicht aus der Fassung gebracht, wenn du dich
selbst nicht begreifen kannst; im Gegenteil, nimm es als eins der Zeugnisse
an, daß göttliches Leben in dir ist, wenn du dir selbst ein Geheimnis wirst.
Wenn dll wie ein Schulknabe dein eignes Bild auf der Tafel mit einem
Griffel zeichnen und sagen kannst: „Dies bin ich ganz nnd gar," nun, dann
wirst du ausgewischt werde» und dein Bild wird vergessen sein; aber ein
unsterblicher Geist, in dem Gott wohnt, und der Sonne, Mond und Sterne
überleben soll, ist nicht so schnell gezeichnet. Obwohl du eil« Bruder des
Wurms, und der Verwesung verwandt bist, so bist du dennoch I h m nahe an»
verwandt, der auf dem ewigen Thron sitzt. Weite Regionen eines Wunder«
landes liegen zwischen deinem Zustande als der elenden Beute des Todes und
deinem Teil als Erbe Gottes durch Christum Iesnm. Die Menschheit ist eine
große Tiefe. Ich setze sie nicht dem bodenlosen Abgrund der Gottheit an die
Seite, aber ich weiß nichts andres, was sie übertrifft.
Unser Text führt mich ferner dahin, zu bemerken, daß der Glanbe i n
einem Kinde G o t t e s , wie auch die Umstände sein mögen, doch i n
den V o r d e r g r u n d t r i t t . Hier ist Jona in einer so elenden Lage, daß er
sagt: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen;" und doch, trotz dessen, erklärt
er: „Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel." Die
große atlantische Woge kommt herangerollt, sie geht nicht nur über Füße und
Brust des Glaubens, sondern erhebt sich weit über sein Haupt, und für den
Augenblick scheint der Glaube ertränkt. Wartet einen Moment und, das
Antlitz rötlich von der Welle und die Locken triefend von der Flut, hebt der
Glaube sein Haupt wieder empor und ruft: „Dennoch will ich blicken nach
Deinem heiligen Tempel." Schreibt als Wahlspruch des Glaubens, Invicta; er
reitet immer auf dein weißen Pferde, „siegend und um zu siegen." Der Glaube
ist das Kind des Allmächtigen und hat teil an seiner Allmacht; er ist von dem
Ewigen geboren nnd er besitzt seine Unsterblichkeit. I h r mögt ihn zertreten
und zermalmen, aber jedes Stückchen lebt; ihr mögt ihn ins Feuer werfen,
aber er kann nicht verbrennen, und es kann auch kein Geruch des Braudes an
ihm haften; ihr könnt ihn in die große Tiefe schleudern, aber er muß wiederum
in die Höhe kommen. Der Glaube hat ein Auge, das gemacht war, um das
Sonnenlicht einzusaugen, und so lange Gott eine Sonne ist, werden Glaubens'
äugen da sein, sich seiner zu freuen. Wenn wir Glauben haben, so ist das
in uns, was die Welt überwindet, Satans Pläne vereitelt, die Sünde besiegt,
das Leben regelt und den Tod aufhebt. Alle Dinge sind möglich dem, der
da glaubet. Der Glaube triumphiert überall, obgleich sein Leben eins der
fortgesetzten Prüfung ist. Der menschliche Verstand wird zerbrochen wie des
Töpfers Gefäß, und die Vernunft ist schwach wie ein Spinngewebe; aber der
Glaube bleibt und wachset und herrscht in der Kraft des Höchsten.
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 685

Bitte, beachtet, denn es mag zum Trost einiger der hier Anwesenden
sein, daß Jona in einer ganz eigenartigen Lage war, und doch kam ihm der
Glaube sehr zu statten. I h r habt von Joseph im Kerker gelesen; aber seine
Gefangenschaft war nichts im Vergleich mit dein Begräbnis Jonas im Banch
des Fisches. I h r habt von Hiob auf einem Aschhaufen im äußersten Elend
gelefen, — es ist ein trauriger Zustand; aber es sind viele Hiob in einem
Jona, wenn wir nach diesem Elend und Unglück rechnen. Als lebendiger
Mensch in einem lebendigen Grab zn liegen, war schrecklich. Jona litt ohne
Zweifel von jenen Unannehmlichkeiten, die ohne ein Wunder seinem Leben
rasch ein Ende gemacht hätten. Eine dunkle, drückende, pcstilenzialische Zelle
wäre besser gewesen als der Magen eines Haifisches, oder was es sonst für
ein Fisch gewesen sein mag, der ihn verschlungen hatte. Das Sonderbare
dabei ist, daß er seine Lage kannte und wußte, wann das Ungeheuer in
den Grund des Meeres tauchte, wann es dnrch eine Wiese von Meergras
ging, wann es sich einem großen Berge näherte, und wann es wieder an die
Oberfläche stieg. Dies macht das Wnnder um so auffallender, denn man ist
geneigt, zu denken, daß er im Schlaf gelegen oder wenigstens halb bewußtlos
gewesen sei in diesem sonderbaren Versteck. Seine Lage war so, wie nie ein
sterblicher Mensch sie vorher oder nachher gekannt hat. Nun, zuweilen ge>
schieht es, daß Einzigartigkeit dem Schmerz einen Stachel verleiht. Wenn
ein Mensch glaubt, daß niemand je so gelitten, wie er es thut, so hält er
dafür, daß sein Fall fast ein hoffnungsloser sei. Lieber geprüfter Freund, du
kannst dies nicht mit irgend einer Gewißheit sagen, des bin ich sicher; denn
du hast Gefährten in jedem Kummer; aber Jona konnte es mit völliger
Wahrheit sagen: er war, wo nie ein Mensch zuvor gewesen nnd nie ein
lebender Mensch seitdem gewesen ist. Seine Prüfuug war ganz ihm eigen:
kein Fremder kam dazwischen: in seiner Trübsal halte er keinen Vorgänger
und keinen Nachfolger; er war der Erste und der Letzte, der drei Tage und
Nächte im Bauch eines Fisches zugebracht hat. Er war einzigartig im höchsten
Grade, und doch — hier ist der Segen dabei — war sein Glanbe in seiner
Lage gewachsen. I h r könnt den Glauben nicht verbannen, seine Heimat ist
überall. I h r habt auf dem Pfennig von der Isle ok ^ l a u jene drei Beine
gesehen, die immer aufrecht stehen, wie ihr die Münze auch dreht: so ist der
Glaube — werft ihn, wohin ihr wollt, er fällt immer auf seine Füße. Wenn
der Glaube in einen» kleinen Kinde ist, so gibt er dein Kinde Weisheit über
seine Jahre hinaus; wenn er i n einem von Alter gebeugten Greis ist, so
macht er ihn stark in seiner Schwäche; wenn der Glaube i n dem Einsamen
ist, so beglückt er ihn mit der besten Gesellschaft; wenn der Glaube in der
Mitte von Gegnern ist, bringt er dein Menschen die besten der Freunde. Der
Glaube macht uns in Schwachheit stark, in Armut reich und im Tode
686 Alttestamentliche Bilder.

lebendig. Habt ein festes Vertrauen ans Gott, nnd ihr braucht nicht zu
fragen, was geschehen wird, — alles muß gut mit euch sein. Krumm oder
gerade, bergauf oder bergab, durch Feuer oder durch Wasser, wenn du glaubst,
fo ist dein Pfad des Königs Hochweg. Wenn der» Glaube nicht fehlt, so
fehlt nichts. Der Glaube wappnet einen Mann von Kopf zu Fuß mit Erz,
durch das weder Schwert noch Speer noch vergifteter Pfeil je dringen kann.
Keine Waffe, ob sie gleich anf dem Amboß der größte», List des Teufels ge-
schmiedet wäre, kann dir schaden, o Gläubiger! Du bist so sicher wie Er, an
den du glaubst; denn „Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine
Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und
Schild."
Wenn ich jetzt einem Kinde Gottes, das in Not ist, zu einer festen Nnhe
in Gott verhelfen könnte, fo würde ich mich in der That freuen. O. daß der
Heilige Geist mir dabei helfen möchte!
Beachtet zuerst sorgfältig das U r t e i l des Verstandes. „Ich bin vor
Deinen Augen verstoßen;" und zweitens den Entschluß des Glaubens:
„Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel." Dieses
beides fand sich, gedenkt daran, in einem Menschen zu gleicher Zeit.

I.
Zuerst ist hier das U r t e i l des Verstandes.
Beachtet, bitte, daß es im Texte zuerst kommt. Der Verstand entscheidet
hastig: „Ich bin vor Deinen Augen verstoßen." Es ist bemerkenswert, daß
der Unglaube stets der erste im Sprechen ist. Wenn David sagt: „Ich sprach
in meiner Hast," so werdet ihr wahrnehmen, daß etwas zu bekennen ist, was
unweise und unwahr war. Unglaube kann nicht warten; er muß das Wort
haben; er plappert seine einfältige Seele bei der ersten Gelegenheit aus. Wenn
ihr ruhig und geduldig sein könnt, so werdet ihr zu Gottes Ehre sprechen;
aber wenn ihr hastig und ungeduldig seid und notwendig schwatzen müßt, sobald
das Leiden über euch kommt, so ist es fast eine absolute Gewißheit, daß ihr etwas
sagt, was ihr gern später zurücknehmen würdet. Unsre hastigen Worte.werden
oft in Wermut getaucht und uns zurückgegeben, daß wir sie hinunterschlucken
müssen. Schweige eine Weile still, mein Bruder, oder wenn dn sprechen mußt,
sprich zu deineni Gott, lind nicht gegen I h n ; sprich mit deinem Gott, und nicht
mit dir selber. Selbstgespräche sind häufig eine Vermehrung des Wehes. Das
Herz bringt sich selbst in Gährung und Hitze und erzeugt ein inneres Fieber, das
die Seele austrocknet. Wenn ein Gefäß eines Ventils bedarf, so wird ihm nicht
dadurch geholfen, daß man im Innern hermnrührt; doch ist dies der Fall, wenn
wir mit David sagen: „Ich schütte mein Herz alls bei mir selbst." Besser ist das
Wort: „Schüttet das Herz vor I h n , aus," vor dem lebendigen Gott. Bruder,
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 687

sprich nicht zu dir selbst, damit du nicht wie ein Wahnwitziger erscheinst; du
magst deine Seele außerordentlich quälen dnrch dieses einsame Murren; sprich
du zu deinem Gott. Selbst weun du hastige Worte äußerst und Worte des
Unglaubens, so werden sie besser in seiner Gegenwart gesprochen, als in
deinen! Herzen gemnrmelt; hören wird Er sie jedenfalls; aber wenn Er sieht,
daß in deinem Herzen kein Falsch ist, obgleich viel Ungeduld, so will Er dir
frei allen kindischen I r r t u m der zn hastigen Rede vergeben und dir helfen,
dich unter deinem Weh aufrecht zu erhalten. Sprich, denn Schweigen tötet;
aber sprich zu Gott, denn Er ist voll Mitleid. Beherzige die Warnung des
Textes indes, und sei langsam zum Murren in der Erinnerung daran,
daß die fleischliche Natur immer rasch zum Reden ist, und sicher, Verkehrtes
zu reden.
Dieses U r t e i l des Verstandes w a r ferner scheinbar sehr richtig.
„Ich sagte, ich bin vor Deinen Augen verstoßen." Schien es nicht so? Jona
hat versucht, vor Gott zu fliehen, und Gott hatte ihn mit einem Sturm ver»
folgt uud fast das Schiff in Stücke zerbrochen um seiuetwilleu. Das Resultat
des Sturmes war, daß er ins Meer geworfen wurde, uud im Meer hatte ein
großer Fisch ihn verschlungen, und ward hillabgetragen, bis die Fluten ihn
umringten. Bestätigte nicht seine ganze Umgebung den Argwohn, daß er ein
Verstoßener sei? Konnte er erwarten, daß das Wort des Herrn je wieder zu
Jona, dem Sohne Amithais, kommen würde? Konnte er hoffen, je wiederum
in der fröhlichen Menge zu stehen, die den heiligen Tag im Hause des Herrn
feierte, oder sein Dankopfer auf Iehovahs Altar darzubringen? Nein; wenn
er nach feinem Gefühl urteilte, so blieb ihm nichts übrig, als der Schluß, zu
dem er hier kam. Er hatte nichts mehr als das bloße Leben, und das, in
einer solchen Lage, daß er kaum wünschen konnte, es verlängert zu haben.
Er hielt mit sehr viel anscheinendem Grunde dafür, daß er vor Gottes Augen
verstoßen sein müsse. Doch war es nicht so; und deshalb fordere ich diejenigen
von euch auf, die begonnen haben, ihren Gott nach dein zu beurteilen, was
sie fühlen und sehen, ihre Meinung zu berichtigen und in Zukunft fehr miß-
trauisch zn sein betreffs ihrer Fähigkeit, gerechtes Urteil über Gottes Handeln
mit ihnen zu fällen. Gott fei Dank, ihr werdet unrecht haben, wenn ihr
verzweifelt. Es ist viel besser, euren Glauben zu zeigen dadurch, daß ihr auf
Gott vertraut, als eure Thorheit zur Schau zu stellen, indem ihr sprecht: „Ich
bin verstoßen."
Da dies Urteil des Verstandes richtig zu sein schien, muß Jona gefühlt
haben, daß es sicherlich v e r d i e n t sei. Wenn der Herr mit Jona nach
seinen Sünden gehandelt hätte, so wäre er ein Verstoßener gewesen. Er war
nach Joppe geeilt nnd hatte das Fährgeld bezahlt, um nach Tarsis oder
anderswohin zu gehen, weil er vor Gott fliehen wollte. Nun, was für eine
688 Alttestamentliche Bilder.

Strafe war passender für ihn, als daß er vor den Augen Gottes verstoßen
würde? War es nicht in Joppe seine Frage gewesen.- „ W o soll ich hinfliehen
vor Deinem Geist?" War dies nicht sein Verlangen: „ W o soll ich hinfliehen
vor Deinen! Angesicht?" Nun, er hatte feine Antwort — er wurde hinab»
getragen, bis die Tiefe ihn rund umher einschloß. Seine Verkehrtheit ward
ihm heimgegeben: er war in seiner eignen Münze bezahlt worden; und was
konnte Jona anders fühlen, als daß er „mit seinen eignen Wegen gefüllt"
war? Wäre er im Meer gestorben, so hätte er nicht des Herrn Gerechtigkeit
bezweifeln können. Wenn er als ein Verstoßener Hinweggetrieben worden, so
wäre es nur eine gerechte Vergeltung für einen Allsreißer gewefen, der sich
weigerte, feinem Herrn zu dienen. Dies muß ihn doppelt traurig gemacht
haben; ein schuldiges Gewissen ist die bitterste Znthat von allem. Als jede
Welle in Jonas Ohr heulte: „ D u verdienst es," da war er in der That in
einer bösen Lage.
Ein scharfer Stachel in seinem Elende war der, daß Gottes Hand so
augenscheinlich dabei w a r . Er sieht es und zittert. Beachtet, wie er
alles Gott zuschreibt: „ D u warfst mich in die Tiefe mitten im Meer, daß die
Fluten mich umgaben; alle Deine Wogen und Wellen gingen über mich."
Wir können einen Schlag von einem Feind ertragen, aber eine Wunde von
unfrem bestell Freund ist hart. Wenn der Herr selbst wider uns auszieht, ist
der Krieg einer, vor dem man Zittern muß. Wenn der Bote des Schmerzes
von Jehovah selber beauftragt ist, und wir das wissen, so schließt die bloß
fleischliche Vernunft, daß alles auf immer vorbei ist, und daß wir hinfort
nichts thun können, als niedersitzen und sterben. Der Glaube denkt nicht so;
aber dies ist die Art des Fleisches und des Verstandes.
Beachtet, daß dies Urteil des Verstandes: „Ich bin verstoßen von
Gott," sehr b i t t e r f ü r J o n a war. I h r könnt an der Art, wie er davon
spricht, sehen, daß es ihm eine schwere Bürde war, und doch scheint es
sonderbar, daß dies der Fall. Hier ist ein Mann, der, als sein Herz nicht
war, wie es sein sollte, vor dem Herrn zu flieheu suchte, und deshalb absicht»
lich an die Meeresküste ging, sich freute, ein Schiff zu finden, das nach einem
fernen und fast unbekannten Lande bestimmt war, und der das Fährgeld
bezahlte mit dem festen Vorsatz, von Gott hinweg zu kommen; und nun, da
er denkt, daß er von Gott hinweg ist, da ist er voll Gram und Traurigkeit.
Hierbei erkennen wir die Kinder Gottes selbst in ihrem schlimmsten Zustande.
O ihr, die ihr das Volk Gottes seid, ihr mögt zuweilen in eurem Eigensinn
wünschen, daß ihr von dem allerforschenden Auge hinweg könntet; aber wenn
ihr es vermöchtet, so würde es Hölle für euch sein. Wenn du ein Kind
Gottes bist, so mußt du vor dem Augesichte Gottes weilen; es ist dein Leben,
und du kannst nicht glücklich anderswo sein. O, erlöster, wiedergeborner
Jouas Entschluß, oder: Blicket wlederum! 689

Mensch, es ist jetzt unmöglich für deinen einmal erneuerten Geist, je in den
armseligen Elementen deines früheren Zustandes glücklich zu sein: außerhalb
der göttlichen Atmosphäre himmlischer Liebe ist keine Ruhe für dich. D u bist
für diese Welt verdorben, o Erbe der künftigen Welt! Es gab eine Zeit, wo
ihre Leckerbissen deinem Geschmack süß waren und deine Seele hätte davon
satt werden können; aber dieser Tag ist jetzt vorüber: du mußt das Himmels«
brot essen oder hungern. Wenn on nicht glücklich in deinem Gott bist, so bist
du verurteilt, nirgends glücklich zll sein. Es ist dir keine Wahl gelassen.
Deine eigenste Natur ist jetzt so beschaffen, daß, wie die Magnetnadel nicht
rnhen kann, wenn sie «licht nach ihrem P o l zeigt, so dein Herz niemals ruhig
sein kann außer ill Jesu. Das Licht seines Angesichtes muß Licht für dich
sein oder du mußt in Finsternis wandeln; deine Melodie muß von Jesu
Lippen kommen, sollst ist nichts für dich da als Heulen und Zähneknirschen;
dein Himmel muß in seiner Umarmung sein, denn es ist nirgends anders ein
Himmel für dich. Auch wünschteil wir nicht, daß es anders wäre. Ich bin
gewiß, ich kann aus tiefster Seele sagen, daß, wenn Gott mich verließe, es
für mich eine Hölle sein würde, schlimmer als D a n t e oder M i l t o n sie sich
vorstellen konnten. Wie, wenn ich noch meinen heiligen Beruf zu erfüllen
und zu predigen hätte! Welches Wehe, ohne I h n zu predigen! Was für ein
hohles Blendwerk! Wenn ich genötigt wäre, die äußere Form des Gebets
uud eiues moralischen Wandels aufrecht zu halten, welche Eitelkeit der Eitel-
keiten wäre das alles ohne meinen Herrn! Ohne Gott! Brüder, Schwestern,
könnt ihr den Gedanken tragen? Weder die Qnal der Hölle, noch ihr Feuer,
noch ihr nicht'sterbender Wnrm, noch irgend etwas Schreckenvolles, das man
darstellen kann, verursacht solches Entsetzen, als der bloße Gedanke, von Gott
getrennt zu sein. Vor seinen Augen verstoßen werden, wäre Hölle in der
That! Nlni, ich sollte denken, wäre Jona in einem ruhigen Gemütszustände
gewesen nnd fähig, die Dinge im Lichte der Wahrheit zu betrachten, so hätte
er etwas Gruud zu der Hoffnung gefunden, daß er nicht von Gott verstoßen
sei, eben weil ihn die Vorstellung von dem Verstoßensein so unglücklich machte.
W i l l der Herr eine Seele verlassen, die über solches Verlassen tief traurig ist?
Kein Geist ist völlig von Gott verstoßen, so lange er sich nach Gott sehnt.
Wenn du ohne Gott zufrieden sein kannst, so bist du m der That ein Ver-
lorner; aber wenn in dir eine brennende, tiefe Unzufriedenheit ist bei dem
bloßen Gedanken, von deinem Gott getrennt zu werden, dann bist du sei», und
Er ist dein, uud keiue ewige Scheidung soll zwischen dir und- I h m stattfinden.
So habe ich etwas voll der Kraft dieses Urteils des Verstandes dar.
gethcm: „Ich biil vor Deinen Angen verstoßen;" aber ich möchte auch ferner
zeigen, daß es nicht wahr w a r . Es war Gruud vorhailden zur Traurigkeit,
aber nicht zn diesem verzweifelnden Schlüsse. Das Urteil war nicht von ge>
S p u r g e o n , Alttestamentliche Bilder. 44
650 Alttestamentliche Bilder.

nttgenden Beweisen unterstützt. Es war sehr uiel mehr, als Jona hätte sagen
sollen. Was, lebendig im Meere, Jona; lebendig in der Tiefe! Lebendig in
dem Bauch eines Fisches! Und dabei sagen, daß du vor Gottes Augen ver-
stoßen wärest! Gewiß, wenn Gott irgendwo in der Welt war, so war es in
jenem großen Fische. Wo hätten bessere Beweise seiner gegenwärtigen Macht
und Gottheit sich finden können, als da, wo Er einen Mann lebendig erhielt
in einem lebendigen Veinhause? Hier war ein fortwährendes, stehendes
Wunder, drei Tage und drei Nächte lang; und wo ein Wunder ist, wird
Gott sehr sichtbar gesehen. Wenn Jona die Meere und die tiefen Orte der
Erde hätte fragen können, so würden sie ihm gesagt haben, daß der Herr nicht
weit entfernt sei. Wenn er den Fisch selbst hätte fragen können, so würde
dieser anerkannt haben, daß Gott da sei. Wenn die, welche in Schiffen auf
das Meer gehen, die Werke des Herrn und seine Wunder in der Tiefe sehen,
so hätte der sie noch viel mehr sehen können, der in eines Fisches Vnnch in
das Meer hinabging. Es gibt einen Spruch, den Jona nie gehört haben
konnte, den ich euch für die Zeit empfehle, wo ihr dahin kommt, wo Jona
war. Ich nehme nicht an, daß ihr jemals buchstäblich in einem Fifch be>
graben sein werdet; aber ihr mögt geistlich ebenso tief sinken, wie der Prophet
es that. Was für ein Sprnch ist es: „Wer zu mir kommt, den will ich
nicht hinausstoßen!" Jona sagte: „Ich bin verstoßen," aber das war nicht
wahr. Armer Jona! Die Schiffsleute stießen ihn ans, aber Gott that es
nicht; er ward aus dem Schiff gestoßen, aber nicht aus den Augen Gottes.
Der Herr war stets treu, und es ist seine Regel, niemals sein Volk zn ver»
stoßen; wie David sprach: „Denn der Herr wird nicht ewiglich verstoßen,
sondern Er betrübet wohl und erbarmet sich wieder nach seiner großen Güte."
Merkt euch den Spruch, den ich von unsres Herrn eignen Lippen allführte:
„Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen." Zweifelt nie an diesem
heiligen Wort. Er will nie, nie einen einzigen hinausstoßen, der I h m ver»
traut. So daß, wenn dlt je in eiller Lage sein solltest, die ebenso hoffnungs«
los scheint als die des Propheten in der Mitte des Meeres, du doch gewiß
sein kannst, daß du nicht verstoßen, noch hinausgestoßen bist. Wer sagt, daß
er hinausgestoßen sei, sagt mehr, als wahr sein kann; denn die unfehlbare
Verheißung lautet: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus»
stoßen." Es gebührt lins nicht, eine Lüge gegen den Gott der ganzen Erde
zu schmieden. Er spricht nicht das, was falsch ist, sondern alls seinem
Munde geht Wahrheit hervor. Selbst wenn alle Dinge in der Erde und
Hölle schwören, daß der Herr einen aus seinem gläubigen Volke verstoßen
hätte, so wäre es unsre Pflicht, ihnen allen nicht zu glauben; denn es ist un-
möglich, daß Er irgend einen Gläubigen hinausstoßen sollte, aus welchem
Grund oder welcher Ursache es auch sei.
Jouas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 691

II.
Folgt mir, lieben Freunde, und möge der Herr es euch zum Nutzen
sein lassen, wenn ich während der noch übrigen Zeit bei d e m Entschluß
des G l a u b e n « verweile. O , das; der Heilige Geist „denselben teuern
Glauben" wie ill Jona wirkell möge. „Dennoch," spricht Jona, „selbst wenn
ich verstoßen bill, dennoch will ich wiederum blickeil nach Deinem heiligen
Tempel."
Jona war ein Mann Gottes, als er in seinem schlimmsten Gemüts'
zustande sich befand; zu keiner Zeit war das ewige Leben ganz in ihm er-
loschen. Eine häßliche Art von Heiligen, dieser Jona, wenn er in seiner
üblen Laune war! Ein stolzes, selbstbewußtes, eigensinniges und mürrisches
Wesen, schwer zu lieben! Doch, wie eine Muschel cille köstliche Perle ill
ihrer rauhen Schale tragen kann, so barg dieser harte Prophet i l l seinem
Innern ein unschätzbares Kleinod des Glaubens: außerordentlichen, mächtigen,
triumphierenden Glauben, einen Glanben höchsten Grades.
Dieser G l a u b e t r i e b i h u zum Gebet. Das Kapitel beginnt: „Und
Jona betete zu dein Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches." Jona hatte
nicht gebetet, als er nach Joppe hinabging. Er hatte sein Schicksal in seine
eigne Hand genommen und überließ Gott nichts bei dieser raschen Seereife.
Wie konnte er das in solcher Gemütsstimmung? Er bezahlte sein Fährgeld
nach Tarsis; er betete nicht um Gottes Segen für diefe Allsgabe, dessen bin
ich ganz gewiß. Als das Meer sich zu rühren begann und stürmisch ward,
war er unten im Schiff, aber er betete nicht; nein, er schlief ein. Sein Ge-
wissen war betänbt und wie mit einem heißen Eisen versiegelt worden; es
war kein Gebet in i h m , sondern eine gewisse Erstarrung der Seele und
Lethargie des Herzens. Und nun kommt er in den Bauch des Fisches, einen
sehr engen, toten Platz, wo man denken sollte, er würde ill einem Zustand
der Schlafsucht oder Ohnmacht liegen, wenn es überhaupt für ihn möglich
wäre, zu leben; doch da beginnt er zu beten. I h r werdet Gottes Kinder
betend finden, wo ihr denkt, sie würden verzweifeln; und auf der andren
Seite mögt ihr finden, daß sie nicht beten, wo ihr denkt, sie würden sehr viel
im Gebet sein. „ O , " sagt jemand, „wenn ich alle meine Zeit für mich haben
könnte und nicht die Sorge für die Familie und das Geschäft hätte, wieviel
Zeit würde ich im Gebet zubringen!" Würdest du das? Ich möchte «licht
Gewähr leisten für deine, große Andacht. Einige von denen, die am welligsten
Zeit zum Gebet haben, beten am meisten, und die, welche die meiste Gelegen»
heit haben und in eiller entsprechenden Umgebung leben, werden zu oft träge
ill ihrem Flehen gefunden. Jonas Vetkapelle war eng, und das preßte das
Gebet aus ihm heraus. Er betete nicht nnten im Schiff, wo er Raum genug
und überflüssig hatte; aber er betete, wo er nicht auf feine Kniee fallen oder
44'
Alttestamenttiche Mtder.

seine eigne Stimme hören konnte. I n einen lebendigen Sarg gelegt, begann
er sein Flehen. Man könnte es für schwer halten, den Bauch der Hölle zur
Pforte des Himmels zu machen, aber Jona that das. Er betet, und einer
der sichersten Beweise des lebendigen Glaubens ist das Gebet. Wenn du
nichts andres thun kannst, so kannst du beten, und wenn du ein Kind Gottes
bist, wirst du beten, so gewiß wie ein Mensch atmet oder ein Kindlein schreit:
du kannst nicht anders. Gebet ist dein Lebensodem, deine Heimatsluft. Ob
auf dein Lande oder auf der See, Gebet ist dein Leben, und du kannst nicht
ohne dasselbe sein, wenn du in der That uou oben geboren bist. Antworte,
lieber Hörer, ist es nicht so? Es ist nicht das Gebetbuch, sondern der Gebets«
glaube, den wir haben müssen. Hast du solchen Glauben?
Ich bitte euch indes, zu beachten, daß dieser Glaube Jonas sich nicht
durch Gebet zu Gott im allgemeinen zeigte, sondern daß die Stelle lautet:
„Und Jona betete zu dem H e r r n , seinem G o t t . " Wie ungemein de»
deutsam ist das l Wenn ihr in euer Zimmer geht und zu Gott betet, als
jedermanns Gott, so habt ihr gethan, was jeder Hans, Peter und Heinrich
thun kann, aber in euer Kämmerlein gehen und zum Herrn schreien als zu
eurem Gott, das ist etwas, was nur ein Erbe der Gnade thun kann. O, zu
rufen: „Mein Vater und mein Freund! Mein Vundesgott. Mein Gott, zu
dem ich vor Iahreli gesprochen habe und den ich so manches M a l gehört habe.
Du, den ich liebe. D u , der D u mich liebst, Jehovah, mein Gott." Dies
Ergreifen Gottes als unsres Gottes ist etwas, wovon der VorhostVerehrer
Gottes nichts weiß. Haben einige von euch überhaupt einen Gott? „ O , "
sagst du, „ich weiß, daß es einen Gott gibt." Ja, ich weiß, daß es eine
Bank gibt, aber das macht mich nicht reich. Was ist euer Gott für mich?
Ich muß fagen: „mein Gott," sonst kann ich nicht glücklich sein. Hast du
einen Gott für dich selbst, ganz für dich selbst; wenil das, so wirst du das
Gebet des Glaubens beten, wenn du dich I h m nahst, und dies wird beweisen,
daß, wie auch dein Zustand sein mag, du nicht vor den Augen des Höchsten
verstoßen bist.
Es ist eins an dein Jona, wovon ich besonders wünsche, daß ihr es
beachtet: wie sein Glaube ihn beten machte und ihn zu dem Herrn, seinem
Gott, beten machte, so hatte sein Glaube ihn auch v e r t r a u t mit der
H e i l i g e n S c h r i f t gemacht. „ W a s ! " sagt ihr: „wie weißt du das?" Er
hatte nur eine kleine Bibel im Vergleich mit der unsren, aber er hatte viel
davon in seinem Gedächtnis aufbewahrt. Augenscheinlich liebte er das Buch
der Psalmen, denn sein Gebet ist voll von Davids Ausdrücken. Seid so gut,
Jonas Gebet anzusehen. Ich denke, ich habe recht, wenn ich sage, daß nicht
welliger als siebell Auszüge aus den Psalmen in diesem Gebet und seiner
Vorrede sind. Es war Jonas eignes Gebet, und kein Mensch setzte es für ihn
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 693

zusammen, denn er war weit weg von den Wohnungen der Menfchen; doch
führte ihn fein Herz zu dem, was er früher gelesen und fein Gedächtnis kam
ihm mit sehr passenden u n d kräftigen Worten zu Hilfe, die von einem früheren,
fehr geprüften Knecht des Herrn geborgt waren. Eine tiefe Erfahrung ist ge«
nötigt, ihre Zuflucht zur Schrift zu nehmen, uni Ausdrücke zu finden. Mensch'
liche Aussprüche genügen für oberflächliches Werk, aber wenn alle Wellen
und Wogen Gottes über uus gehen, so sprechen wir mit Psalmenworten.
Wenn unsre Seele in uns ermattet, so werden wir nicht durch menschliche
Lieder belebt, sondern wir wenden uns zu den ernsten, lieblichen Melodien
des von Gott eingegebenen Wortes. Wenn ein wahres Kind Gottes in Not
ist, so ist es wunderbar, wie teuer ihm die Bibel wird, — ja selbst ihre
Worte. Ich sage, selbst ihre Worte; denn ich kümmere mich nicht um den
Hohn, mit dem man einen Glauben an „Wörtliche Inspiration" behandelt.
Wenn die Worte nicht inspiriert sind, so ist es der Sinn auch nicht, weil kein
Sinn da seilt kann, ohne Worte. Meine Seele weiß, was es ist, ihre Hoff-
nung an ein einziges Wort Gottes zu hängen; und ihr Vertrauen angenommen
zu finden. Ich möchte nicht einmal den Ausdruck unfrer Übersetzung an
manchen Stellen ändern; nicht daß ich durch eine Übersetzung gebunden bin,
denn Gottes Origiual ist das, was wir als unfehlbar annehmen; aber doch
gibt es Übersetzungen, die augenscheinlich richtig sind, denn des Herrn eigner
Geist hat sie seinen Heiligen unaussprechlich teuer gemacht. Es gibt Umstände,
die mit den Worten manches Textes verbunden sind und mit der Art, wie
Gott durch diese Worte auf uns gewirkt, und ill solchen Fällen hängen wir
selbst an ullsrer Übersetzung mit aller Kraft. Ich denke, ihr werdet finden,
daß geprüfte Heilige die bibelfestesten Heiligen sind. I m Sommerwetter freuen
wir uns all Gefällgen, aber in Winterstürmen fliehen wir zu den Pfalmen.
Leere Nameuchristen citieren Dickens oder George E l i o t , aber leidende
Gotteskinder citieren David oder Hiob. Diese Psalmen sind wunderbar. David
scheint für uns alle gelebt zu haben; er war nicht so sehr ein Mensch, als
alle Menschen in ei ne in. Auf die eine oder andre Weise berührt der große
Kreis seiner Erfahrung den eurigen und den meinigen, und der Heilige Geist
hat uns durch David mit den besten Ausdrücken versehen, die wir vor dem
Herrn im Gebet brauchen können. Gebt mir den Glauben, der die Schrift
liebt. Der Glaube kommt durchs Hören, und Hören dnrch das Wort Gottes,
und wahrer Glaube liebt immer das Wort, aus dem er entsprang; er nährt
sich davon und wächst dadurch. I n dem Verhältnis, wie die Leute anfangen,
die Schrift zu kritisieren und die Echtheit voll diesem und jenem zu bezweifeln,
in demselben Verhältnis rücken sie aus der Zone des Glaubens heraus: die
Region der Kritik ist kalt wie das Polarmeer; der Glaube liebt eine wärmere
Atmosphäre. Der Glaube der Erwählten Gottes hängt an Gott und hat
694 Altteslamcntliche Bilder.

Ehrfurcht vor seinem Wort. Von jeglichem Wort, das aus dem Munde
Gottes gehet, lebet der Mensch, und von solcher Speise lebte Jona, wo andre
gestorben wären.
Ich wünsche recht in meinen Text hineinzugehen, wenn ich euch bitte,
zu bemerken, daß der Glaube es w a g t , zn Gott m i t einem „dennoch"
zu kommen. Jona sprach: „Dennoch will ich wiederum blicken nach Deinem
heiligen Tempel." Der Glanbe traut in seilten schlimmsten Umständen auf
Gott. Hängt ihm ein Gewicht an, legt ihn« eine Last auf, schließt ihn ein,
dennoch blickt er allein auf Gott. O Gott, ich vertraute D i r einst, als ich
jung war und fühlte, daß ich einen Heiland nötig halte; ich kam damals zu
Dir und blickte auf Iesum und fand sogleich Frieden; aber damals kannte
ich nicht das Übel der Sünde, wie ich es jetzt kenne. Was dann? Nun mit
dieser neuen Kenntnis will ich dennoch auf Iesum blicken. Ich kannte damals
nicht das Verderben meines Herzens, wie ich es jetzt kenne, aber doch will ich mit
diesem neuen Gefühl der Schuld blicken, wie ich es zuerst that. Ich kannte
damals Deinen großen und schrecklichen Zorn wider die Sünde nicht, wie ich
ihn jetzt kenne; aber doch will ich mit dieser volleren Erkenntnis auf Dich
blicken. Ich kannte nicht die Last des Lebens damals, wie ich sie jetzt kenne; ich
kannte nicht die Macht des Satans über mich, wie ich sie jetzt kenne; dennoch will
ich wiederum blicken nach Deinem heiligen Tempel. M i t all diesen neuen Lasten
und frischen Hindernissen thue ich heute, was ich vor vielen Jahren that; ich werfe
mich auf Dich, mein Herr, und vertraue auf Deinen unvergleichlichen Rat des
Heils durch das teure Blut Christi. Er war einst meine Wonne, Er ist noch
meine Wonne. Dies ist die Beharrlichkeit und Entschlossenheit des Glaubens.
Er springt über alle Mauern und kriecht durch alle Hecken mit seinem: „Dennoch."
Komme, was da wolle, er hat auf Christum geblickt, und ist entschlossen, dies
zu thuu, was auch geschehen und auf eillen andren Weg hindeuten möge.
Nach dem Hebräischen sollte das Wort dnrch „nur" statt durch „dennoch"
wiedergegeben werden: „nur will ich wiederum blicken nach Deinem heiligen
Tempel." D e r G l a u b e blickt n u r auf Gott. Der Glaube kommt allein
zu seinem Gott und sucht keine Gesellschaft, ihn aufznmuntern. Als wir
zuerst errettet wurden, war es durch den Glauben allein, und wir müssen
immer noch in derselben Weise errettet werden. Bei Jona waren alle Stützen
hinweggenommen; er hatte nichts, worauf er blicken konnte im Bauche des
Fisches auf dem Grunde des Meeres; aber er vertraute Gott, und das war
alles. Er konnte nicht sehr klar denken, noch vor Menschen bekennen, oder
irgend etwas sein oder thun; denn er war in einem Quartier eingeschlossen,
das zu eng zum Handeln war; aber er konnte wiederum nach dem Tempel
Gottes blicken, und dies allein that er. Er konnte den Glaubensblick geben,
wenn alles Blicken mit den Allgell außer Frage gestellt war. Wie konnte er
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 695

wiffen, in welcher Richtung er nach dein Tempel blicken müsse, wenn rund
um ihn her die dunkle See rollte? Sein Blicken war innerlich und geistlich,
und er war zufrieden, dies zu thun, und dies allein. Sein Thun war blicken,
blicken, nur blicken. Sei es unser: zu glauben, zu glauben und wiederum zu
glaubeu. Jona blickte wiederum nach dem Ort, wo Gott sich offenbarte, und
wir blicken auf die Perfou des Herrn Jesu Christi, m dem alle Fülle der
Gottheit leibhaftig wohnt. Er blickte nach dem mit dem Opferblut besprengten
Gnadenstuhl, wo der Herr gewohnt war, zu vergeben und alle flehenden
Sünder zu segnen, und wir blicken auf Iesum als die große Sühue. Zu
diesem Blick wollen wir als Grund uusres Vertrauens nichts hinzufügend
Nur Jesus ist unsre Hoffnung, und nur zu I h m wollen wir blicken. Wir
wollen nichts zu unsrem Blick, unsrem Blick auf Christum, hinzuthun; Er
allein ist uusre Stütze und Trost. Es ist eine gesegnete Sache, von allen
untergeordneten Hoffnungen frei zu werden, und durch den Glauben allein zu
leben. Mischungen genügeu uicht in der Stuude der Versuchung. Ein ein»
fältiges Auge ist das, was nötig ist: die geringste Teilung unsres Vertrauens
ist schmerzhaft und gefährlich. Wenn ihr etwas voll eurem ersten Lichte ver-
loren habt, so blickt wiederum; blickt nach seinem heiligen Tempel, und das
Licht wird euch sicher zurückkehreu.
Bemerkt ihr hier, daß der G l a u b e dahin getrieben w i r d , sein
erstes T h u n zu w i e d e r h o l e n : „Dennoch will ich wiederum blickeu." I h r
wißt, der Glaube wird auch uoch auf andre Weise beschrieben; er ist ein
Nehmen, Ergreifen, Besitzen, Sich-Nähren: aber der Glaube ist zu allererst ein
Blicken; und so wird es, wann immer ihr in große Not geratet, weise sein,
zum Aufang eures Vertrauens eure Zuflucht zu nehmen und darall bis zum
Ende festzuhalten. Wenn ihr nicht ergreifen könnt, so blickt doch. Es gibt
mehrere Grade des Glaubens; und wenn ihr nicht den höheren Grad er-
reichen könnt, so wird es weise sein, euch den niederen völlig anzueignen.
Erinnert euch, die niedrigste Form des Glaubens wird erretten, und selbst das
kleinste Maß von Glauben genügt zur Errettung, wenn auch uicht zur Tröstung.
Blickt! Blickt auf I e f u m ! „Es ist Leben in einem Blick." Es ist Himmel
in einem Blick. „Blicket auf mich, und werdet errettet, alle Enden der Erde."
Blicke l Wenn dll nicht ausziehen kannst zum Kampf im Glaubeu, so stehe still
und blicke im Glauben. Wenn du die Herrlichkeit des Herrn nicht verkünden
kannst, so blicke doch. Wenn dll nicht erzählen kannst, was Gott für dich
gethan hat, fo fahre fort, im Glauben zu blicken, um zu sehen, was Gott
für dich thun w i r d . Thue du dein erstes Werk, und da dein erstes Werk ein
einfacher Blick auf den Gekreuzigten war, so blicke wiederum auf I h n .
Hiermit will ich schließen lind die lieben, hier gegenwärtigen Freunde
bitten, selbst wenn sie alles übrige meines Textes vergessen, doch dieser zwei
696 Nlttestamentlichc Bilder.

Worte zu gedenken: „ B l i c k t w i e d e r u m . " Wenn einige von euch in großer


Not sind, so heiße ich euch heimgehen mit diesen zwei Worten, die in ihrem
Herzen erklingen: „Vlickt wiederum!" Wenn ihr einmal geblickt habt, aber
in neue Finsternis gefallen seid, blickt w i e d e r u m . Ich beabsichtige heute
morgen, und ich möchte euch bitten, mir darin zu folgen, zu meinem Herrn
Jesu Christo wiederum zu blicke», wie ich es zuerst g/than. Es ist häufig
etwas sehr Wohlthätiges, die Grundlagen von nenem zu untersuchen, und
wieder beim Anfang anzufangen. Ich blickte ans Christum vor dreiunddreißig
Jahren oder mehr; eiuige von euch thaten dasselbe. Aber der Teufel mag
sagen: „Dein Glanbe war Einbildung; deine Bekehrung war eine Täuschung."
Sei es so, o Satan; wir wollen nicht mit dir streiten; aber wir wollen von
diesem Augenblick an wieder beginnen. Es ist eine solche Gnade, daß der
Glaube nicht alt zn werden braucht, ehe er uns errettet: der in diesem Augen»
blick geborne Glanbe errettet die Seele schon bei seiner Geburt. I s t es so,
daß dein Glaube nicht mehr als fünf Minuten alt ist, mein Bruder? Hast du
eben erst begonnen, Christo zu vertrauen? Nun, dein Glaube hat dich eben«
so wirksam errettet, als der Glaube eines Mannes, der seit fünfzig Jahren an
Christum geglaubt hat. Wir müssen jeden Tag von neuem glauben; der
gestrige Glanbe nützt für heute nicht. Laßt uns jetzt auf Iesum Christum am
Kreuze blicken und I h m hente morgen vertrauen, wie wir I h m nie zuvor
vertraut haben. Es wird jedem gut thun, aufs neue zu dem Kreuze zu blicken,
das die einzige Hoffnung seiner Seele ist. Es ist nichts besänftigender
für den Geist, als die Sünde zu bekennen und die Gnade anzuuehmen in der
ursprünglichen Weise und zu Jesu zu gehen, gerade wie wir zuerst zu I h m
gingen. Laßt uns das diesen Allgenblick thun.
Jemand sagte neulich stolz, daß er nicht länger sündigen könne:
„Ein armer Sünder bin ich, und nichts,
Mein all' in allem ist Jesus Christ."
Er war darüber hinaus! Hals über Kopf, das ist ein M a u u ! Er
ist eben vom Dunghaufen aufgestanden, und nun auf e i n m a l ein großer
Herr geworden! Nichts genügt für ihn a l s :
„Sieh', er kommt mit Sieg gekrönt.
Blast Posaunen, schlagt die Trommeln!"

Ach, der hochmütige Heuchler! Schande über deu stolzen Selbst-


verherrlicher! Wenn er sich nnr selbst kennte, würde er sein Nichts bekennen
mit größerem Nachdruck als je, uud würde wie der Zöllner rufen: „Gott sei
mir Sünder guädig." Ich glaube, in dem Maße wie ein Kind Gottes in
der Heiligung wächst, wird feilte Demut tiefer, uud in dem Maße wie es zur
Jonas Entschluß, oder: Blicket wiederum! 697

Vollkommenheit fortschreitet, sinkt es in seiner eignen Achtung. O, daß die


Mellschen das Seifenblasenmachen anfgeben wollten, was in gewissen Kreisen
so sehr bewundert scheint! W i r haben viel Anlaß gehabt, über das niedere
Leben mancher Vekenner zn trauern, aber das „höhere Leben" andrer ist nicht
eill bißchen besser; es ist falsch, stolz, tadelsüchtig und uupraktisch. Die, welche
mit Vollkommenheit prahlen, werden viel zu betrauern haben, wenn sie einmal
zur Besinnung kommen und in Wahrheit vor dem lebendigen Gott stehen.
Kein Mensch redet davon, daß er ohne Sünde lebe, bis er in dem Netz der
Selbsttäuschung gefangen ist. Ich bin manches Jahr mit Gott gewandelt, uud
habe das Licht seines Angesichtes genossen, aber meine Erfahrung ist, daß ich
heute einen viel niedrigeren Platz einzunehmen habe, als ich je zuvor einnahm,
während:
„Nichts ist, des ich mich rühmen kann."

Brüder, ob i h r es thun wollt oder nicht, ich fliehe zu dem Kreuze


wiederum. I u den Fels des Heils verberge ich mich wiederum. Wer unter
uns wagt aus dieser göttlichen Freistätte herauszugehen? „Jesus, unsrer
Seele Freund, laß nns fliehen an Dein Herz." W i r alle wollen singen, als
wenn es zum erstenmal wäre:
„Gerad' wie ich bin — ohn' andres Gut,
Als Dein für mich vergoss'nes Blut
Und Dein Gebot: Komm her zu mir.
So komm ich, Gottes Lamm, zu Dir."

Lieben Freunde, wir sind es Gott schuldig, wir sind es Christo schuldig,
wir sind es dein Evangelium schuldig, daß wir jeden Tag mit gleicher Einfalt
ungeteilten Vertraueus glaubeu. Fahrt fort, an Christum zu glauben, „zu
welchen! ihr gekommen seid, als zu dem lebendigen Stein." W i r sollen durch
den Glauben leben. I h r mögt ganz sicher sein, daß es euch gestattet ist, dies
zu thun, denn Christus ist immer der Süllderheiland. Wenn ihr nicht als
Heilige zu I h m kommen könnt, so kommt als Sünder. Wenn deine Untauglich-
keit zur Gemeinschaft mit I h m als sein Diener dir vor die Seele tritt und
deili Herz bricht, so gedenke daran, daß du stets als eill verloruer Sohu
zurückkehren kannst. Wenn ihr nicht auf den grünen Auen weiden könnt wie
die Schafe der Herde, so übergebt euch der starken Hand Dessen, der das ver»
lorne Schaf sucht. Wenn ihr nicht zu Jesu kommen könnt wie ihr solltet, so
kommt gerade wie ihr seid. Wenn eure Kleider nicht rein sind, wie sie es
sein müßten, so kommt und waschet sie weiß in dem Blute des Lamines.
Dies sollte jeden Tag bereitwilliger voll uns gethan werden, denn es
sollte immer leichter werden, unsrem Gott zu glauben, je mehr die Erfahrnng
feine Treue beweist. Wenn es mit uns am schlimmsten steht, so laßt uns
698 Alttestamentliche Bilder.

mit unerfchüttertem Glauben vertrauen. Denkt daran, daß dies die Zeit ist,
wo wir Gott am meisten durch den Glauben verherrlichen können. Christo
vertrauen, wenn du ein leichtes Gefühl der Sünde hast, wenn dein Herz froh
und dein Antlitz hell ist, ist nur ein geringes Vertrauen auf I h n , aber glauben,
daß Er dich reinigen kann, wenn dein Herz fchwarz ist wie die Hölle, wenn
du keinen einzigen guten Zug in deinem ganzen Charakter sehen kannst, wenn
du nichts als Fehler und Unvollkonnuenheit in deinem Leben siehst, wenn all
deine äußeren Umstände von einem zornigen Gott zu sprechen scheinen, nnd
alle Gefühle deines Innern dir mit Gericht von seiner Rechten drohen, —
dies heißt in der That glauben. Solchen Glauben verdient der Herr von dir.
O, wenn du nur ein kleiner Süuder bist, so mag ein kleiner Heiland und ein
kleiner Glaube für dich hinreichen; wenn du nur wenig Furcht, wenig Bürden,
wenig Sorge hast, und wenig bedarfst, nun, dann kannst du deinen Herrn
nicht viel erproben oder Ihm viel trauen. Aber wenn du bis an den Hals
in Leiden bist, ja, wenn sie dir über den Kopf gehen wie bei Jona, und du
fast zur Verzweiflung getrieben bist, dann hast du einen großen Gott und
solltest I h n verherrlichen durch großes Vertrauen. Wenn du versucht bist, ge>
waltsam Hand an dich zu legen oder eine andre rasche und böfe That zu thun,
thue nichts dergleichen, sondern vertraue dich deinem Gott an, und dies wird
I h m mehr Ehre bringen, als Seraphim und Cherubim Ihm geben können.
Der Verheißung Gottes glauben, wie du sie in seinem Worte liesest, ist etwas
Großes. I h r glauben, ob du krank oder traurig bist oder dem Tode nahe,
dies heißt: den Herrn verherrlichen. Brüder, wenn ich lebe, will ich der Ver-
heißung glauben, wenn ich sterbe, will ich der Verheißung glauben, und wenn
ich auferstehe, will ich der Verheißung glauben. Laßt uns entschlossen sein,
zu glauben, ob die Welt in Flammen wäre und ihre Säulen sich bewegten.
Laßt uns glauben, ob die Sonne in Finsternis und der Mond in Blut ver<
wandelt würde. Laßt uns glauben, ob alle Mächte der Erde znm Kampfe
aufgestellt wären, und Gog und Magog sich zum Streit versammelten. Laßt
uns glauben, ob die Posaune zum Gerichte bliese, und der große weiße Thron
im offenen Himmel stände! Weshalb sollten wir zweifeln? Der Bund, der
mit der Verheißung und dem Eide bestätigt und mit dem Blute Jesu be>
kräftigt ist, stellt jeden Gläubigen unter den breiten Schild der göttlichen
Wahrheit; und was für Ursache kann zur Furcht da sein? O, mein Hörer,
glaubst du an Christum? Traust du deinem Gott? Wenn du das versichern
kannst, so bist du nicht nur ein Erretteter, sondern du bringst schon Gott Ehre.
Möge Er dir helfen, fo zu thun. Amen.
Der Bilderstürmer. 699

47.

Der Bilderstürmer.
„Er that ab die Höhen und zerbrach die Säulen und rottete
die Haine aus und zerstieß die eherne Schlange, die Mose gemacht
hatte; denn bis z» der Zeit hatten ihr die Kinder Israel geräuchert, und
man hieß sie Nehusthan. Er vertrauete dem Herrn, dem Gott Israels,
daß nach ihm seinesgleichen nicht war unter allen Königen Judas,
noch vor ihm gewesen." 2 Kön. 18, 4. 5. („Und er hieß sie
Nehusthan." Engt. Üb.)

3 a s erste Gebot lehrt uns, daß nur ein Gott ist, der allein angebetet
werden soll; und das zweite Gebot lehrt, daß kein Versuch gemacht werden
darf, den Herrn darzustellen, und daß wir auch nicht vor irgend eiller Form
heiligen Gleichnisses uns beugen sollen: „ D u sollst dir keiu Bildnis noch
irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, uoch des, das
unten auf Erden oder des, das im Wasser unter, der Erde ist. Bete sie nicht
an und diene ihnen nicht." Diese zwei Gebote verbieten durchaus jeden Götzen«
dienst. W i r sollen keinen andren Gott anbeten; wir sollen nicht den wahren
Gott durch den Gebrauch darstellender Symbole anbeten. Er ist ein Geist, uud
soll im Geist und in der Wahrheit angebetet werden, und nicht durch den
Gebrauch sichtbarer Bilder. Es scheint klar, daß das menschliche Gemüt seit
dem Falle es schwer findet, hierbei zu bleiben. I n der ganzen Welt richten
die Menschen Bilder und Götzen auf, zuerst nicht mit der Absicht, Holz und
Stein allzubeten, sondern damit es ihnen in der Anbetung der Gottheit helfen
solle, ein äußeres Symbol ihrer Gegenwart zu haben. Nach einer Weile gerat
das böse Herz in etwas noch Erniedrigenderes, und das Bild selbst wird an°
gebetet. Sogar das Volk Gottes, die Kinder Israel, die in so besonderer Weise
sich der Gegenwart des Herrn in ihrer Mitte erfreuten, und die durch Gesetz-
geber und von dem Höchsten inspirierte Propheten gelehrt waren, I h n anzubeten,
konnten nicht bei reiner und geistlicher Anbetung bleiben. Obgleich ihrer
Schwäche beim Verständnis der Wahrheit eine ganze Reihe von Vorbildern
700 Alttestamentliche Bilder.

zn Hilfe kam, waren sie doch mit diesen nicht zufrieden, weil sie kein Gleichnis
Gottes enthielten. Die Religion der frommen Juden war hauptsächlich geist»
licher Art, denn nur an dein einen, bestimmten Ort zn Jerusalem war Opfer
erlaubt, und dort standen die heiligen Gefäße des zeremoniellen Gottesdienstes
an geheimen Plätzen und wurden selten, wenn je, uon dem Volke gesehen.
Eine so wenig äußerliche Gottesverehrnng war zu geistlich für das unwieder«
geborne I s r a e l ; das Volk wollte ein äußeres Ritual für andre Orte außer
Jerusalem, und wo nur ein Felsen oder hoher Hügel war, richteten sie einen
Altar für Gotl auf, und es ward einer der „hohen Orte" des Landes ge-
nannt; wo nur ein Hain voll alten Bäumen entdeckt werden konnte, da
sonderten sie den auch ab; dem wahren Gott, merkt euch das — aber doch
ohne göttliche Bestätigung und seinem Gesetz zuwider, da Er nicht bestimmt
hatte, daß irgend welche Haine oder Orte I h m heilig sein sollten, ausgenommen
der eine auserwählte Fleck auf dem Berge Zion. Dann kamen sie zu dem
Gebrauch der Teravhim, symbolische Bilder, Statuen, „Säulen," wie nnsre
Übersetzung sie an dieser Stelle nennt; nicht daß sie diese wirklich als Gott
anbeteten, sondern sie gebrauchten sie, wie sie sagten, als Hilfe bei der An>
betung Gottes. Dies war alles dem göttlichen Gesetz zuwider, und führte zu
einem Vergessen Gottes, raubte I h m seine Anbetung und gab sie stummen Götzen.
Sobald der fromme Hiskia auf den Thron gekommen war und seine Macht in
Besitz genommen hatte, ging er ans Werk, alle diese Haine umzuhauen, die
Bilder zu zerbrechen, nnd soweit er als Herrscher des Landes es konnte, Israel
zur Unterthanenlreue gegen den großen, unsichtbaren Jehovah und zu der geist»
lichen Anbetung, an der Er Wohlgefallen hat, zurückzuführen und die äußer<
liche Anbetung mit Opfern u.nd Gaben auf den einen Tempel in Jerusalem
zu beschränken. Unter den verschiedenen Gegenständen der entarteten Ver-
ehrung Israels war eine.r, bei dem es natürlich erschienen wäre, wenn selbst
ein Reformator ihn geschont hätte; es war die berühmte eherne Schlange, die
Mose in der Wüste gemacht und auf einer Stange erhöht hatte, durch deren
Anschauen Tausende von den giftigen Bissen feuriger Schlangen geheilt waren.
Diese war sorgfältig aufbewahrt, aber da sie ein Gegenstand abergläubischer
Verehrung geworden, zerstörte Hiskia sie.; nach einigen zermalmte er sie zu
Pulver, und er nannte sie mit einem schimpflichen Beinamen „Nehusthan."
Es kann „Schmutz" oder „Grünspan" oder „ein Stück Kupfer" bedeuten.
Der König gab ihr einen Namen, der bezeugte, daß er gegen die ihr bewiesene
abgöttische Verehrung protestierte. Obwohl sie ein interessantes Denkmal war,
mußte sie gänzlich zerstört werden, weil sie eine Versuchung zur Abgötterei bot.
Hier, wenn je in dieser Welt, war eine Reliquie von hohem Altertum, von
unzweifelhafter Echtheit, eine Reliquie, die ihre Hunderte von Jahren gesehen
hatte, bei der es gar keine Frage sein konnte, daß es unzweifelhaft dieselbe
Der Bilderstürmer. 701

Schlange war, die Mose gemacht hatte; und es war überdies eine Reliquie,
die früher Wunderkraft besessen hatte: denn in der Wüste hatte das Anschauen
derselben die Sterbenden errettet. Doch mußte sie iu Stücke zerbrochen werden,
well Israel ihr Weihrauch anzündete. Hinweg damit, es ist ein uerunreinigtes
D i n g ; nennt es mit einem schlechten Namen; zerstoßt es zu Staub; laßt
Israel es uerachteu und vergessen. Wenu die eherne Schlange gemißbraucht
uud zu einem Götzen gemacht wird, so darf sie nicht geschont werden. Thut
das Stück Grüuspau hiuweg; laßt die kupferne Amphibie zu Pulver zermalmt
werden, wenn sie einmal als Nebenbuhlerin Iehovahs aufgerichtet ist oder als
Teilnehmerin der Verehrung, die I h m allein gebührt.
Dies führt mich zu der folgenden Bemerkung. I m Grunde handelten
unsre Reformatoren gnt und uach einem biblischen Vorbild, wenn sie auf
die Götzen Noms Verachtung ansfchütteten uud die Heiligen, Reliquien, Bilder,
Messen und Priester uerspotteten. Sie waren mehr als gerechtfertigt, wenn
sie die Abgöttereien des Papsttnms bloßstellten, und die früher verehrte»
Gegenstände der äußerste» Verachtuug preisgabeu. Es war eiue tiefe Be-
deutung in ihrem Zerbrechen der Kreuze uud Verbrennen der Heiligenbilder.
Das weiße Leinen der uriesterlichen Achselkleider diente gut zu Unterkleidern
für die Armen, und Altarsteine waren vortrefflich fiir die Wand hinter dem
Ofen, aber sie bedeuteten mehr als Nutzen, sie waren ein Protest gegen Aber«
glauben. Heilige Wasserbehälter wurden in jenen praktischen Zeiten oft den
Landleuten gegeben, uni in Schweinetröge verwandelt zu werden. Die kleinen
Glöckchen, mit bellen früher bei der Erhebung der Hostie geklingelt ward,
wurden um die Hälse der Pferde gehangen, und das Kästchen, das die ver-
abscheueuswerte Nachäffuug unfres menschgewordenen Gottes enthielt, welche
die Papisten am meisten anbeteten, ward in Stücke zerbrochen. Keine Ver-
achtung konnte größer sein, als diese Götzen sie verdienten. Die Bilderstürmer
jener Zeit gingen nicht ein bißchen zu weit. Ich könnte wünschen, daß sie
weniger milde gewesen, als sie es waren, und daß kein einziges Ding, das
je von Menschen angebetet worden, auch nur einen Augenblick verschont wäre.
Es Gott nennen! Dann zerbrecht es, ob die Kunst selber damit verdirbt. Es
als etwas Heiliges anbeten! Dann Hillweg damit, ob es aus Gold gemacht
und mit Edelsteinen verziert ist. Was vor Gott ein Grelle! ist, das, wogegen
sein Zorn raucht, sollen wir nicht schonen aus Rücksicht auf andrer Leute
Gefühle oder weil die Vorschriften der Kunst sagen: „Laßt den Götzen er-
halten bleiben."
Als unsre Vorväter, die Nonkorformisten, die staatsgeschaffene Religion
verließen, um eine geistliche Verehrung aufrecht zu halten und sich als Diener
Gottes vereinigten, thaten sie wohl, Protest einzulegen gegen die weniger
grellen Abgöttereien ihrer Zeit. I n ihren Tagen existierte wie jetzt die sehr
702 Alttestameutliche Bilder.

gewöhnliche Abgötterei abergläubischer Ehrfurcht vor Gebäuden. Gewisse Zu«


sammenfügungen von Stein, Ziegel und Holz werden als heilige Orte
betrachtet. M a n denkt, Gott sei innerhalb gewisser Mauern in einer eigen»
tümlicheren Weise gegenwärtig als draußen, wo die Bäume wachsen und die
Vögel singen. Unsre Vorfahren protestierten dagegen, indem sie ihre Gebäude
niemals Kirchen nannten. Sie wußten, daß sie dies nicht sein könnten; sie
wußten, daß Kirchen Gesellschaften von glänbigen Männern nnd Frauen
bedeuten. Sie uauuteu die Orte ihrer gewöhnlichen Gottesdienste „Ver»
sämmlungshäuser;" das ist's, was sie waren und nichts mehr. Die Ehrfurcht
vor Baumaterialien, Kanzeln, Altären, Kirchenstühlen, Kissen, Tischen, Leuchtern,
Orgeln, Kelchen, Tellern lc. ist schiere, klare Abgötterei. „Betet Gott a n , "
ist ein Gebot, das in unsren Tagen mit Donnerton gesprochen werden sollte.
Es ist keiner heilig anßer dein Herrn. „Gott, der die Welt gemacht hat und
alles, was darinnen ist, sintemal. Er eiu Herr ist, Himmels und der Erde,
wohnet nicht in Tempeln mit Händen gemacht. Seiner wird auch uicht von
Menschenhänden gepfleget, als der jemandes bedürfte; so Er selbst jedermann
Leben und Odcm gibt. Höret des Herrn eignes Wort: „Der Himmel ist
mein Stuhl und die Erde meine Fnßbank; was ist es denn für ein Haus,
das ihr mir bauen wollt? Oder welches ist die Stätte, da ich ruhen soll?
Meine Hand hat alles gemacht, was da ist."
Unsre Vorväter widerstanden auch einer andren Abgötterei, die stets noch
in unsrem Lande sich lebendig erhalten; nämlich, das Beobachten von Tagen
und Monaten. Gewisse Tage werden als heilig abgesondert, und mit großer
Ehrfnrcht beobachtet von solchen, die sich Christen nennen. Nicht zufrieden
mit dem Sabbat als dem von Gott zu seiner Verehruug bestimmten Tage,
haben sie, wie das alte Israel, als es uuter der Knechtschaft des Gesetzes war,
Neumonde und bestimmte Feste, für die sie große Ehrfurcht beanspruchen,
denen aber durchaus keine gebührt. Unsre Voruäter sagten: „Dies ist nicht
aus der Schrift, deshalb ist es von Menschen, ist selbstgewählter Gottesdienst
und abgöttisch;" und sie zeigten ihre Verachtuug der Menschengebote durch
offene Nichtachtung heiliger Tage, und wir werden in dieser Hinsicht und in
jeder andren gut thun, ihr reines Zeugnis aufrecht zu halten. Wenn wir
Aberglauben in irgend einer Gestalt sehen, müssen wir der Thorheit nicht
schmeicheln, sondern, soweit wir können, als Bilderstürmer handeln und dawider
reden. Auch in dieser Sache thun viele des Herrn Werk lässig und beten an
im Hause des Nimmon, statt die geistige Anbetung des großen „ I c h bin" un»
verletzt aufrecht zu erhalten.
Aber dies möge über diese Gegenstände genügen, wir haben andre Ge-
danken in unsrer Seele. Ich beabsichtige heute morgen zuerst einen Teil von
Der Bilderstürmer. 703

diesem Vilder'zerbrechenden Werke den Gläubigen zuzuweisen; und zweitens


wollen wir eine andre Form desselben Werkes suchenden Seelen anraten.

I.
Wir haben viel Zerbrechen von Götzen Mr Christen zn thnn.
Es ist viel dauon in der Gemeinde Gottes zu thun, es ist noch viel mehr
dauon in unsren eignen Herzen zu thun.
Zuerst uon allein ist v i e l Zerbrechen von Götzen i n der Gemeinde
Gottes zu thun. Laßt mich einige der Dinge nennen, gegen welche ihr und
ich stets uusren persönlichen Protest einlegen müssen. W i r siud alle zu geneigt,
als Christen ein Maß von Vertrauen auf Männer zn setzen, die Gott in
seiner uuendlichen Gnade zu Führern ill der christlichen Gemeinde erweckt
hat. W i r sollten dankbar sein für den Paulus, der so gut pflanzt, und
den Apollos, der so gut begießt; wir sollen nie mit Verachtung oder Gering-
schätzung auf jene köstlichen Gaben blicken, welche Christns empfing, als Er in
die Höhe fuhr und die Er noch immer seiner Gemeinde gibt, nämlich: Apostel,
Lehrer, Prediger, Evangelisten u. s. w. Ein Mann ist köstlicher als eine Masse
Gold von Ovhir. Wenn Gott der Gemeinde einen Manu gibt, der tauglich
ist, sie zu erweitern, zu kräftigen nnd zu befestige», so gibt Er ihm einen der
reichsten Segen seines Gnadenbnndcs; aber die Gefahr ist vorhanden, daß wir
dem Mann eine falsche Stellung geben, und auf ihn blicken nicht nur mit der
Ehrfurcht, die dem Botschafter Gottes gebührt, sondern mit einem Grade von —
ich muß es so nennen — abergläubischem Vertrauen auf seine Autorität uud
Fähigkeit. Brüder, wir haben abgedankte Heilige, wir verabfcheuen den Ge«
danken, sie zu verehren, uud dennoch mögen wir ganz allmählich ins Kanonisieren
hineingeraten und dem Wesen nach eine andre Reihe Heiliger unter uns auf»
stellen. Ist es nicht wahr, daß manche fast S t . C a l v i n oder S t . L u t h e r
anbeten? Über ihre Lehren hinaus können sie nicht gehen. Über andre
schwingen S t . J o h n W e s l e y oder S t . Charles S i m e o n ein ehrfnrcht-
gebietendes Zepter; und für weit mehrere ist der Prediger, unter dessen Kanzel
sie sitzen und dessen Lehren sie beständig empfangen, Ursache und Grundlage
ihres Glaubens. Ich fürchte, einige der in der christlichen Gemeinde gewirkten
Bekehrungen siud mehr das Werk des Predigers als des Geistes Gottes, und
deshalb geschieht es, daß, wenn der Pastor, der das Werkzeug derselben war,
hinweggenommen wird, der auf die Weisheit oder den Ernst des Mannes ge»
ballte Glaube auch hinweggenommen wird. Der Punkt, zu dem ich euch
bringen möchte, ist dieser, nehmt die Wahrheit von nus all, weun wir sie
euch reill gebe» und wahrhaft Gottes Mnnd für euch siud, aber nehmt sie
nicht an, weil w i r sagen, es ist so. Geht zum Urquell der Wahrheit, forscht
selber in der Schrift und seht zu, ob es sich fo verhält. Laßt nichts für euch
?04 Alttcstamentlichl! Bilder.

eine geistliche Wahrheit sein, wenn nicht der Geist Gottes es in der Schrift
lehrt. Seid nicht zufrieden, mit dein äußeren Ohr zu hören und zn sagen:
„Dies ist wahr, denn der und der Mann Gottes hat es gesagt;" bittet, daß
ihr mit dem Herzen hören mögt und fühlen: „Dies ist wahr, denn Gott hat
es in seinem Wort gesagt, nnd sein Heiliger Geist hat es anch in meinem
Bewußtsein und meiner Erfahrung wiederum geschrieben." W i r müssen über
Menschen Hinanskommen, sonst werden wir bloße Kindlein in der Gnade sein.
Wenn wir die Segnnngen, die Gott nns in nnsren Lehrern und Predigern
gibt, überschätze», so mag Er sie uon nns hinwegnehmen. W i r sollen nicht
die Röhren erheben, sondern die Quelle; nicht den Fenstern, sondern der Sonne
müsse» wir für Licht danken; nicht den Korb, welcher die Speise enthält, oder
den Knaben, der die Vrote nnd Fische bringt, müssen wir verehren, sondern
den göttlichen Meister, der das Vrot segnet und vervielfältigt und die Menge
speiset. Auf Iesnm müssen alle betenden Augen gerichtet sein und ans den
Heiligen Geist, den Offenbarer der Wahrheit, und auf nnsren Vater, der im
Himmel ist; und wir müssen das Evangelium aufuehmen, nicht als das Wort
des Menschen, sondern, wie es das in Wahrheit ist, als das Wort Gottes.
Liebt die Prediger Christi, aber verfallt nicht in die Form der Ehernen»
SchlangeN'Verehrung, die euch zu Knechten der Menschen erniedrigt.
I n der christlichen Gemeinde ist, fürchte ich, in diesem Augenblick zu
viel Rühmen des Talents nnd zu viel Vertrauen ans Bildung. Ich meine
besonders in bezug auf Pastoren. Ich glaube uicht, daß ein Mann Gottes,
der berufen ist, beständig vor denselben Hörern zu predigen, zu gründlich ge-
bildet sein kann, und daß der höchste Grad geistiger Kultur ein Schade für
den christlichen Pastoren sein kann, er sollte eher eine Hilfe für ihn sein.
Möge der Lehrer der Religion sich ja Kenntnis anzueignen suchen, möge er
sich der Lektüre befleißigen und fähig sein, sowohl geistig als geistlich die
Führerschaft zu übernehmeu, aber, o Gemeinde Gottes, stelle du nie menschliche
Gelehrsamkeit an die Statt des ewigen Geistes, denn „es ist nicht durch Heer,
noch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr." Die großen
Wunder der apostolischen Zeit wurden hauptsächlich durch Mäuner gewirkt,
die nach dem Urteil der Welt ungelehrt waren; sie waren von Christo gelehrt
worden und hatten so die edelste Bildung empfangen, aber in klassischen
Studien und philosophischen Spekulationen waren sie nur weuig bewandert,
mit Ausnahme des Apostels Paulus, und der kam nicht „mit hohen Worten
oder hoher Weisheit." Dennoch predigten die Apostel und ihre Anhänger mit
solcher Macht, daß die Welt bald ihre Anwesenheit fühlte. Auf den Stein»
platten, welche die Begräbnisplähe der ersten Christen in den Katakomben
Roms bezeichnen, sind fast alle Inschriften falsch buchstabiert, viele habeu hier
einen griechischen Buchstaben und da einen lateinischen, die Grammatik ist uer»
Her Vilderstürmet. 7()5

gessen und die Orthographie vergewaltigt, ein Beweis, daß viele der ersten
Christen, die den gemarterten Toten ein solches Gedächtnis stifteten, ungebildete
Leute waren: aber trotz dessen vernichteten sie die Weisheit der Weisen und
schlügen die Götter der klassischen Länder. Sie schlugen Jupiter und Saturn,
bis sie in Stücke zerbrochen waren und Venus und Diana von den Sitzen
ihrer Macht herabfielen. I h r e Siege waren nicht durch die Gelehrsamkeit der
Schulen; die hinderten sie — die gnoslische Ketzerei, die Ketzerei vorgeblicher
Erkenntnis, war der Gemeinde Gottes hinderlich, aber nie hilfreich. Ebenso
ist in der Gegenwart die an gewissen Orten so hoch gepriesene Kultur der
Einfachheit des Evangeliums zuwider. Deshalb sage ich, wir verachten nicht
wahre Gelehrsamkeit, aber wir dürfen nicht auf sie vertrauen. W i r glauben,
daß Gott Tausende durch sehr einfache und schlichte Zeugnisse segnen kann
und wirklich segnet; keiner von uns soll seine Zunge schweigen lassen von
Christo, weil er nicht wie die Gelehrten sprechen kann; keiner von uns soll die
Votschaft des Herrn an ihn selber zurückweisen, weil sie von einem ungelehrten
Voten gesprochen wird. W i r sollen nicht unsre Pastoren bloß um ihrer
Talente und Kenntnisse willen wählen; wir müssen ihre Salbung in Betracht
ziehen, wir müssen auf ihren Beruf blicken und sehen, ob der Geist Gottes
mit ihnen ist; wenn nicht, so machen wir Gelehrsamkeit zu uusrer ehernen
Schlange, und sie wird in Stücke zerbrochen werden müssen.
Dasselbe kann von der menschlichen Beredsamkeit gesagt werden. Es ist
eine schöne Sache, wenn ein Mann gut reden kann, und die Worte aus seiner
Seele stießen wie ein Strom und alles vor sich dahinfegeu, wenn sein Herz
vor göttlicher Begeisterung brennt und glüht, wenn er spricht, was er glaubt
und die hohe Wichtigkeit desselben fühlt; aber doch, Bekehrungen durch fleisch,
liche Rhetorik gewirkt, was sind sie? „Was vom Fleisch geboren ist, das ist
Fleisch." Möge der Prediger gut reden — die Wahrheit sollte in den besten
Worten verkündet werden, aber die edelste Sprache, in der ein Mensch je ge»
redet, hat noch nie eine Seele von der Sünde überführt oder ein verwundetes
Gewissen geheilt oder einen Sünder von seinem Tod in den Sünden erweckt.
W i r müssen im Gebet um den Geist Gottes stehen, und all unsre Zuversicht
muß auf I h n gesetzt sein; denn Beredsamkeit ist nur ein tönendes Erz und
eine klingende Schelle, wenn der Heilige Geist nicht da ist.
Indem wir noch mit unsren Bemerkungen betreffs der christlichen Ge>
meinde fortfahren, will ich ferner anführen, daß vielleicht viel Aberglauben ab-
gebrochen werden sollte mit bezug auf ein strenges H ä n g e n an gewissen
O r t e n des christlichen Gottesdienstes. W i r haben versucht, die Wahr»
heit in,einer gewissen Weise auszubreiten, und der Herr hat uns darin ge<
segnet, Und deshalb verehren wir die Art und Methode und vergessen, daß
S p u r g e o n , Alttesiamentllche Vilder. 45
706 Alttestllmentltche Bilder.

der Heilige Geist ein freier ist. Es gibt Leute in unsren Gemeinden, die sehr
ernste Einwände erheben gegen jeden Versuch, Gutes zu thun auf eine Weise,
die sie früher nicht gesehen haben. Für sie hat die Gewohnheit alle Kraft der
Autorität: die Traditionen der Väter sind ihr Gesetz. Kühne Maßnahmen
für Evangelisation erschrecken sie als Neuerungen, als wenn irgend etwas eine
Neuerung sein könnte, wo alles frei ist! Ich kenne Dissidentengemeinden, die
so konservativ an ihren Regeln des Nichtsthuus festhalten, als wenn sie sie
direkt von: Himmel empfangen hätten. I h r Leben ist versteinert, ihre Ordnung
leichenmäßig, ihre Orthodoxie grabartig. „Wie es am Anfang war, jetzt ist
und immer sein wird bis ans Ende der Welt, Amen," scheint der Gesang
vieler guten, aber im I r r t u m befindlichen Christen unter uns zu sein, die sich
nicht denken können, daß etwas gethan werden sollte, wenn es niemals gethan
worden ist. Wenn irgend etwas klar ist in der Lehre unsres Herrn und seiner
Apostel, so ist es dies, daß wir nicht unter Gesetz, Vorschrift und Überlieferung
sind, sondern in die Freiheit der Kinder Gottes gebracht, so daß wir von dem
Geiste geführt werden lind in dein Dienste Gottes nicht nach früheren Bei«
spielen zu jagen oder auf Regulierung zu warten haben, sondern den großen
Grundsätzen des Wortes und der Führung des Geistes folgen müssen, „auf
daß wir ja etliche selig inachen." Ich habe Brüder gekannt, die vor Predigen
unter freiem Himmel erschraken, und doch, was für andres Predigen pflegte
in Christi Tagen zu sein, als das unter freiem Himmel? Ich habe andre
gekannt, die sich entsetzten vor der Idee, daß Christi Name an einem Ort ge>
nannt würde, der zu gewöhnlichen Dingen benutzt wird, als wenn in alten
Zeiten Christus irgendwo hätte gepredigt werden können, wenn es nötig ge>
wesen wäre, einen für christliche Verehrung geweihten Ort zu haben! Es gibt
eine Klasse Leute, die jeden heiligen Plan zur Evangelisation beanstanden,
wie recht und einsichtsvoll er auch sein »nag, wenn er zufällig neu ist, und
hie fortfahren mit der Beanstandung, bis das Werk längst im Gange und
über die Furcht vor ihrem Widerstand oder über die Notwendigkeit ihrer Hilfe
hinaus ist. W i r werden in ein Geschlecht von Schriftgelehrten und Pharisäer»
ausarten, wenn wir diesem Geiste Raum geben. W i r werden wiederum
Sklaven der Traditionen werden, der Legenden und Alt-Weiber «Fabeln, so
schlecht wie die, welche den Judaismus besteckten. I n dem Namen von allem,
was Christus ähnlich ist, hinweg mit allem, was die lebendige Thätigkeit des
Leibes Christi hindert. Fesseln sind darum nicht weniger lästig, weil sie alter«
tümlich find. Laßt die eherne Schlange zerbrochen werden, wenn sie eine
Schranke für den weiteren Fortschritt des Kreuzes wird. Wenn einige sich be<
mühen, uns das Joch der Gewohnheit aufzuzwingen, laßt uns ihueu widerstehen
in dem Geiste des Paulus, der erklärt, da er von denen spricht, die neben ein«
geschlichen waren, „seine Freiheit in Christo Jesu auszukundschaften, daß sie
Her Bilderstürmer. 707

I h n gefangen nähmen": „ W i r wichen denselben nicht eine Stunde, nnterthan


zn fein."
So ist es mit den F o r m e n des Gottesdienstes. Ich habe häufig,
besonders in unsren Landgemeinden, die entschiedensten Proteste gefunden gegen
die geringfügigste Änderung der Routine ihres Gottesdienstes. I h r müßt zu
dieser Zeit singen, denn sie haben immer bei diesem Punkte des Gottesdienstes
gesnngen; ihr müßt in dein andren Augenblicke beten, denn sie haben immer
bei diesem Teil des Gottesdienstes gebetet; und wenn ihr dieselbe Zahl der
Minuten innehalten könnt, die das Gebet gewöhnlich einnimmt, uni so besser.
Der gauze Gottesdienst, obgleich nicht in einem Buche — denn unsre strengen
Brüder würden sich in Empörung erheben gegen ein Buch — ist doch ganz
so stereotypiert, als wenn er aus dein Gebetbuche der Staatskirche genommen
wäre. Nun, ich glaube, daß wir beim öffeutlicheu Gottesdieuste wohl thun
würden, dnrch keine menschliche Regeln gebunden zu sein und nicht ein»
geschränkt durch stereotype Ordnung. Ich mag gern znweilen eine Zwischen»
zeit des Schweigens, uud wir habe» das oft. Warum nicht? Warum sollte
es alles mündlicher Gottesdienst sein? Und warum nicht gelegentlich mit der
Predigt beginnen? I h r , die ihr spät kommt, würdet dann wahrscheinlich eure
Sitten bessern. Und warum sollten wir nicht singen, wo wir gewohnt ge>
wesen sind, zu beten, und beten, wo wir gewohnt waren, zu singen? W i r
sind in der Weltzeit des Geistes, und soviel ich weiß, hat der Geist Gottes
nicht jene Karten inspiriert, die ich mitunter auf der Kanzel angenagelt finde:
„beginnt mit kurzem Gebet, singt, leset, predigt" 2c. Eine Gesetzlichkeit der
Form wächst unter uus auf, und ich lege meines Herzens Protest dagegen ein.
Nicht, daß ihr nnd ich uon diesem Dissidenten » Nitnalismus gelitten haben,
aber gegen an sich gnte Gebräuche muß protestiert werden, wenn sie Knecht,
schaft erzeugen, denn der Geist Gottes blaset, wo Er will, uud wenn wir Gott
nach seiner Führung verehren, so kann der Gottesdienst nicht unveränderlich
dieselbe Form annehmen.
So haben wir ein wenig Vilderbrechen in der Kirche gethan. Nun laßt
uns zu dem Tempel unsrer eignen Herzen uus kehren, und wir werden viel
Werk hier zu thun finden.
Geliebte Brüder uud Schwester», stellt eine Selbstprüfung an die nächsten
fünf Minuten lang etwa: Wie ist's mit deiner jetzigen Stellung als ein Christ?
D n fühlst dich wahrscheinlich nach zehn, zwölf, zwanzig oder dreißig Jahren
sehr weit fortgeschritten im Vergleich mit dem, was du warst, als du zuerst
zu Christo kamst? Fühlst du, daß du es bist? D u kauust jetzt die Unvor-
sichtigkeiteu deines ersten Eifers sehen und du kannst mit nngemessenem Mitleid
auf jene jungeu Leute niederblicken, die fo wenig von dem Weg zum Himmel
45"
70s Alttestamentliche Bilder.

wissen, von dem du so viel weißt, und die so wenig Kraft haben, wovon du
jetzt ein so großes Teil hast, die so wenig die Anschläge des Satans kennen,
vor denen dit dich so geschickt hütest. Lieber Bruder, beglückwünschest du dich
wirklich so zu deiner Förderung? Thust du es? Dann erlaube ein wenig
Vilderbrechen, denn sei versichert, wenn wir dahin kommen, viel Wert auf
nnsre erreichten Vorzüge zu legen, so sind wir sehr nahe daran, ill Selbst-
vertrauen, fleischliche Sicherheit nnd ich weiß nicht was für schädlichen Hochmut
zu gleiten. Geliebte, seid ihr stärker, als ihr wäret? Oder liegt eure Stärke
irgendwo anders als da, wo sie zu liegen pflegte, nämlich in Christo? Seid
ihr weiser, als ihr wäret? Oder habt ihr irgend eine Weisheit, ausgenommen,
daß Christus euch zur Weisheit gemacht ist? Meint ihr wirklich, daß zwanzig«
jährige Erfahrung eure Verdorbenheiten geändert hat, daß eure Leidenschaften
ausgelöscht sind, daß eure sündlichen Neigungen nicht so sind, wie sie waren,
daß ihr in der That weniger nötig habt, zu wachen, weniger nötig, einfach
auf das Verdienst Christi und das Werk seines Geistes zu uertranen? Meint
ihr das? Meint ihr das? „Wer da stehet, der sehe zu, daß er nicht falle."
Ich habe gehört, daß mehr Pferde am Fuß eines Hügels fallen, als fast an
allen andren Stellen, und ich weiß, daß mehr Christen gegen das Ende ihres
Lebens fallen, als zu jeder andren Zeit. Wie ich ench oft gesagt habe, die
Sündenfälle, die im Alten und Neuen Testament berichtet werden, sind nicht
die jungen Männer in der Hitze der Leidenschaft, sondern die von Männern
in hohen oder mittleren Jahren. Lot war kein Knabe, als er sich entehrte.
David war kein junger Mann, als er mit Bathseba sündigte. Petrns war
kein Kind, als er seinen Herrn verleugnete. Die waren Männer von Er-
fahrung und Erkenntnis und Vorzügen. Deine Vorzüge, mein Bruder! O,
kühnes Wort für ein armseliges Ding! Deine Tugenden! Deine Tugenden,
armer Sünder l Abgesehen von dein, was du ill Christo hast, wie abgeschmackt
das Wort! Besser immer noch, zu sagen: „Als die nichts inne haben und
doch alles haben. Es sei aber ferne von mir rühmen, denn allein von dem
Kreuz unsres Herrn Jesu Christi." Verachte ich denn christliche Tugenden?
Durchaus nicht, nur wenn sie vergöttert werden und den Heiland verbergen,
dann nenne ich sie Nehusthan und möchte sie gern in Stücke brechen.
Ferner, lieber Bruder, es mag sein, daß du dich sehr naher Gemeinschaft
mit Christo erfreuest. Wie schön ist es, wenn du versichert bist, daß dein
Freund dein und du sein bist; wenn alle Zweifel nnd Befürchtungen geflohen
sind und du in dem Licht seines Antlitzes wandelst! Wenn wir in solchem
Zustande sind, so gleichen wir dem Petrus und möchten gern drei Hütten
bauen, denn wir sagen: „Meister, hier ist gut sein." Aber wir müssen uns
hüten, daß wir nicht unsre Freuden an die Stelle unsres Meisters erheben.
W i r können sogar unsre Gemeinschaft mit Christo zu einem Götzen machen.
Der Bilderstürmer. 709

indem wir sie höher als Christum selbst stellen. Ich bin nicht errettet und
nicht sicher, weil ich mich sehr freue. Nicht meine Freude, sondern Jesus
errettet mich — Er allein errettet mich. Wenn meine Gemeinschaft unterbrochen
wäre, so würde ich doch sicher in I h m sein, und nun ich mich ihrer erfreue,
fügt sie nichts zu meiner wirklichen Sicherheit oder Annahme vor Gott hinzu.
Ein alter Puritaner sagt, gesetzt, ein Mann gäbe seiner Frau viele Ringe und
Juwelen aus Liebe zu ihr, und sie hielt diese Liebeszeichen so hoch, daß sie
dasäße, diese anblickte und bewunderte und ihren Mann vergäße, würde er
nicht geneigt sein, diese Dinge hinwegzunehmen, um ihre Liebe wieder ihm
zuznkehren? S o mit unsren Gnaden und Freudeu; wenn wir zu hoch davon
halten, so wird der bilderstürmende Hammer kommen, und diese Dinge werden
verschwinden, weil sie den Herrn zllr Eifersucht gereizt haben.
Ferner, wir haben noch ein wenig mehr Arbeit. I h r habt, und ihr
dankt Gott dafür, manche gute Freunde in dieser Welt, teure Freunde, christ»
liche Freunde, zuverlässige Freunde. Haltet sie fest; aber es ist nicht immer
leicht, diese Freunde da zu halten, wo sie sein sollten. Es gibt einen Spruch,
der uus tausend Schmerzen sparen könnte, wenn wir mehr daran dächten:
„Verflucht ist der Mann, der sich auf Menfchen verläßt und hält Fleisch für
seinen A r m ; geseguet aber ist der Manu, der sich auf den Herrn verläßt, und
der Herr seine Zuversicht ist." Und es gibt einen andren Spruch in demselben
T o n : „ S o laßt nun ab von dem Menschen, der Odem in der Nase hat, denn
worin ist er zu achten?" Freundschaft auf jeden Fall und Vertrauen auf die,
die es verdienen auf jeden Fall, aber überschreitet nicht die Grenze, welche
Gott gesetzt hat, haltet nicht das für unveränderlich, was nur Erde ist, und
wähnt das nicht treu, was nur Fleisch ist. Veräuderte Umstände haben viele
Herzen verändert, und andre Stellungen uud Zustände haben traurige Zer-
störungen angerichtet unter Freundschaften, die ewig schienen. Lehne dich auf
deine Freunde, aber nicht mit deinem ganzen Gewicht; vertraue und habe
Zuversicht, wie du es darfst, aber laß deine innerste Hoffnung, deinen tiefsten
Glauben sich auf jenen A n n lehnen, den du nicht fehen kannst, der aber
dennoch das Weltall aufrecht hält.
Nun eill Wort, das noch schärfer schneiden mag, es betrifft unsre ver«
wandtschaftlichen Beziehungen im Familienkreis. Ich wäre der Letzte, der gegen
die Liebe sprechen würde, die dem Gatten, der Gattin, den Kindern und Ge>
schwistern gebührt. Das Christentum pflegt jede häusliche Liebe. W i r lieben
keinen von den Unsrigen hienieden darum weniger, weil unser Herz den
Heiland über alles liebt. Aber, Geliebte, man kann Kind oder Gattin oder
Gatten an die Stelle Jesu setzen. Die Unsrigen sollen geliebt, aber nicht an»
gebetet werden. Jener kleine Edelstein war gegeben, um geschätzt zu werden,
710 MUestamenlliche Bilder.

aber nicht über die eine köstliche Perle hinaus. Hütet euch, eure irdische
Liebe zur Abgötterei zu entweihen; weihet sie lieber, indem ihr Gottes Ehre
darin sucht, so wird es gut mit euch stehen; denn wenn ihr Kinder Gottes
seid, was für einen Abgott ihr auch anbetet, Gottes großer Hammer wird
wider ihn aufgehoben werden. I h r werdet das Kiud verlieren, oder es mag
leben, um euer Fluch zu sein; ihr werdet die Liebe verlieren, die ihr für so
köstlich haltet, oder ihr werdet sie haben, aber sie wird euch irre führen. Ge»
liebte, ich weiß, es ist vieler Herzen Werk, dieser Art zu thun.
Und das ist ferner auch der Fall mit den Bestrebungen unsres Geistes.
Ich sehe nicht ein, warum es nicht das Streben eines christlichen Mannes sein
sollte, an Gelehrsamkeit hervorzuragen, in der Wissenschaft fortzuschreiten oder
im Geschäft Erfolg zu erzielen; wenn er dies nicht thut, wird er sich wahr«
scheinlich nicht auszeichnen, und es kann keinen Grund geben, warum ein
Christ immer im Nachtrab sein sollte; aber diese erlaubten weltlichen Ziele
müssen an ihrem Platz gehalten und höheren Zwecken untergeordnet sein, sonst
wird das, was an sich recht ist, unrecht werden, dadurch, daß es an den un-
rechten Platz gestellt wird. D u magst jenen Zweig des Wissens verfolgen,
junger Mann, aber zuerst trachte nach dem Reich Gottes. Wünschest du ein
Künstler zu sein und dich unsren ersten Malern anzureihen? Ich möchte dich
keinen Augenblick entmutigen; durch den geschickten Gebrauch jenes Pinsels
magst du zum höchsten Platze i n deiner Kunst dich erheben; aber dennoch bete
die Palette nicht an, beuge dich nicht nieder vor jener ausgespannten Lein-
wand: es gibt etwas Besseres, wofür du leben sollst, als das Malen. Stndent,
ich wundere mich nicht über deinen Wunsch, dich auszuzeichnen. Warum sollten
christliche Männer nicht die ersten in allen Fächern der Gelehrsamkeit sein?
Aber dennoch, es gibt höhere Gegenstände als Zoologie, Geologie, Mathematik
und Astronomie. Hütet euch also, ich bitte euch, davor, irgend etwas dahin
zu setzen, wo Christus sein sollte. Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes
und seiner Gerechtigkeit. Immer Gott zuerst und dann das übrige, damit ihr
Gott verherrlichen möget durch jede Fähigkeit und jeden Einfluß, der euch
dazu die Mittel verleiht. Ich bitte euch, achtet hierauf, sonst werdet ihr eure
Götzen zerbrochen und eure Bestrebungen zerstört sehen.
So sind wir in den Tempel nnsrer Herzen gegangen und haben hier
den Hammer ein wenig gebraucht.

II.
Nun wünsche ich eine Zeitlang mit denen zu sprechen, welche J e s u m
suchen. Es gibt etwas Niederbrechen der Götzen für sie zu thun. Ich bitte
Gott, den Heiligen Geist, es zu thun.
Der Bilderstürmer. 711

Der Weg des Heils liegt in dem Kommen zu Christo, in dem Ver«
trauen auf Jesu,» Christum allein. Weshalb ist es, daß fo viele sich dessen
weigern, und in dem Grenzland der Wünsche unerrettet bleiben? Manche
denken, sie müßten erst viel besser sein, als sie find! sie haben Fehler zu ver»
bessern, ihr Gemüt ist in unrichtigem Zustande, sie müssen zurechtgebracht
werden und sie versuchen dies zu thuu, mit der Absicht, wenn sie sich besser
fühlen, ihr Vertrauen auf Iesum zu setzen. O, daß mein Hammer all dies
in Stücke schmettern könnte! Mein Freund, du solltest besser sein, dein Ge«
müt sollte in besserem Zustande sein; ich gebe all dieses zu, aber wenn du
diese Verbesserung deiner an die Stelle des Werkes Christi setzest, so gehst du
den sicheren Weg zum Verderben. Deine Gerechtigkeit ist nicht das, was
nötig ist, sondern Christi Gerechtigkeit, und wenn du meiust, daß du dich für
I h n tauglich machen mußt, so kennst du nicht das Evangelium. Komm zu
Jesu, wie du bist. Das Bewußtsein deiner Sünde und Unvollkommenheit
wird dich nur instandsetzen, seine Vollkommenheit und seine errettende Macht
zu schätzen. Suche nicht in dir selber einen Teil deiner Errettung, wenn du
es thust, so muß ich dein Gutes „Nehusthan" nennen und es mit Unflat und
Dung vergleichen! Blicke auf Iesum, und auf Iefum allein, alles andre
wird dich betrügen. Siehe, wie Er die Sünde trug, und für sie gestraft
ward, und wie seine Gerechtigkeit beim Vater gilt, und siehe nicht auf
irgend welche Vorbereitung oder Tauglichkeit, die nach deiner Meinung in dir
selber ist.
Bei einigen ist die eherne Schlange, die sie aufrichten, ihr Sünden»
gefühl: entweder fühlen sie ihr Bediirfnis nach einem Heiland nicht, wie sie es
sollten, oder sie fühlen es, und glauben deshalb in dem rechten Zustande zu
sein. Nun glaubt mir, ihr mißversteht oft die Verheißungen Christi. Jene
unvergleichliche Verheißung: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühfelig
und beladen seid," wird für eine Verheißung gehalten, die den Mühseligen
und Veladenen gegeben sei. Meine Brüder, die Verheißung ist nicht der
Mühseligkeit oder dein Veladensein gegeben. „Wem deun?" fragt ihr. Die
Verheißung ist dein Kommen zu Christo gegeben: „Kommt her zu mir, und
ich will euch Nuhe gebeu." I h r möget mühselig und beladen sein, so lange
ihr wollt, aber ihr werdet nicht Ruhe durch eure Mühe erhalten, es ist das
Kommen zu Christo, was Ruhe gibt. Denkt nicht, ein Gefühl, daß ihr
Christum nötig habt, sei Errettung; es ist das Kommen zu Christo, das Ver-
trauen, das Hoffen auf I h n allein, das euch den Segen bringt. Zaudert
also nicht. Das richtigste Gefühl der Sünde, ob es lobenswert ist wie die
eherne Schlange, muß zerbrochen werden, wenn ihr euch darauf verlaßt, denn
es ist ein Antichrist.
712 Alttestamentliche Bilder.

Viele hier Anwesende verlassen sich auf ihre Furcht vor Selbsttäuschung.
„Ich wollte gern auf Christum vertrauen," sagt eiller, „aber ich fürchte mich
so vor Selbsttäuschung." Und denkst du, deine Furcht vor Vermessenheit sei
etwas Besseres als der Glaube an das Zeuguis Gottes von seinem Sohne?
D u mnßt so denken, sonst würdest du sie nicht dem Glauben vorziehen? An
Iesum Christum glauben, — das heißt, auf Gottes eigne» Sohn sich verlassen,
der in den Tod gegeben wurde, weil unsre Sünde auf I h n gelegt war — an
I h n zu glauben einfach mit kindlicher Zuversicht, ist der Weg des Heils; aber
du ziehst vor, es nicht zu thun, weil du fürchtest, dich zu täuschen; du ziehst
vor, voll Vorsicht zu zögern, anstatt dich dem Glauben zu nähern. Hinweg mit
deiner vergötterten ehernen Schlange — hinweg damit. Gib die Fnrcht auf
oder behalte sie, wie du willst, aber komme zu Jesu.
Viele von euch, ist mir bange, verlassen sich auf das Anhören von
Predigten. „Ich werde noch eines Tages gut werden," fagt jemand, „ich bin
immer im Tabernakel oder immer in meiner Kirche," oder: „Ich gehe hin,
einen guten Prediger des Evangeliums zu hören und ich werde einen Segelt
davon haben." Was, denkst du, das Heil komme durch bloßes Predigt-Hören?
Ah, Mann, Verantwortlichkeit kommt, wenn das Evangelium ehrlich gepredigt
wird, aber nichts mehr, wenn du nicht die Botschaft glaubst, die du hörst.
Glauben ist der wesentliche Punkt, das Kommen zu Jesu, sonst lache ich über
Predigthören und Predigthalten dazu, wenn ihr dies als Grundlage eures
Heils ansehet. Es ist nicht die armselige Posaune, die das Jubeljahr macht,
sie kündigt es nur an. O, daß ihr die Freiheit erlangtet, welche die Posaune
ankündigt.
Aber einige von euch mögen sagen: „Ich höre nicht nur Predigten,
sondern ich lese die Bibel regelmäßig!" J a , und ich lobe dich dafür, aber
wenn du dir einbildest, in einem guten und richtigen Zustande zu sein, weil
du ein Vibelleser bist, so muß ich dir sagen, daß du als ein Ungläubiger
schon gerichtet bist, und daß, während du die Bibel liesest, eben diese Bibel
dich richtet. Fahre fort, sie zu lesen — ich hoffe, du wirst weiter kommeu,
und an Iesum glauben; aber so lange du nicht an Iesum glaubst, magst du
deine Bibel lesen, so viel du willst, sie wird, sie kann dich nicht erretten. Was
sagt dein Heiland? Er sagt (so lese ich das Original): „ I h r suchet in der
Schrift, denn ihr meinet, ihr habt das ewige Leben darinnen, und sie ist es,
die von mir zeuget; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben
haben möget." Sehr viele studierten in seinen Tagen die Schrift, wollten
aber nicht an I h n glauben. I h r könnt verloren gehen mit Kenntnis der
Schrift so gut, wie ohne dieselbe, wenn ihr in dem Buchstaben bleibet und
nicht Zum Geist des Wortes geht.
Der Bilderstürmer. 713

Es gibt andre, die einen ehernen Götzen aus ihren Gebeten machen.
„Ich bin nicht errettet," sagt einer, „ich habe nicht Christo vertraut, aber ich
bete." Ich tadle enre Gebete nicht, so wenig ich ein Recht habe, die eherne
Schlange an ihrem Platz zu tadeln, aber wenn ihr voraussetzt, daß ihr dnrch
Beten errettet werdet, so irrt ihr euch sehr. Wer nicht durch das Kreuz er«
rettet werden will, wird es niemals durch sein Kämmerlein. Wer nicht durch
Christi Wunden errettet werden will, soll nicht Errettung finden durch seine
eignen Seufzer und Thränen. Dort am Kreuze ist deine ganze Hoffnung,
Sünder, und wenn du sie nicht haben willst, so ist keine andre da; nein, ob
deine Kniee anch hart würden vom Knieen, und deine Augen blind vom
Weinen; so würdest du doch keine Pforte znm Himmel finden und keine
Hoffnung der Barmherzigkeit, als nur in dem gekreuzigten Heiland. Fliehe
zu I e f u , und du bist errettet, halte dich fern von Jesu, und deine Gebete
beschimpfen nur den Heiland, denn du setzest sie an seine Stelle. Ich
mnß diese Dinge abbrechen — sie sind Götzen, wenn sie das Kreuz Jesu
verbergen.
Und so ist es, und damit schließe ich, mit allem ungläubigen Vernünfteln
und aufrührerischen Bedenken, woran einige Leute so reich sind. Manche der
Suchenden erheben beständig neue Schwierigkeiten. Wenn ihr einen Zweifel
löset, so haben sie einen andren; wenn ihr den löset, so erfinden sie einen
dritten. Ihre Zweifel, Schlüsse und Fragen sind wie eine endlose Kette; zieht
ein Glied herauf und es folgt ein andres. I h r e Befürchtungen sind gleich
einer Kette von Schlammeimern, die voll Schlamm heraufkommen, umgekehrt
werden und geleert, nur um wieder voll heraufzukommen. M a u kann sie
nicht trösten, ihre Seele will sich nicht trösten lassen. Wenn ein Zehntel des
Scharfsinns, den sie aufwenden, um gegen Gottes Gebot, das ihnen Glauben
befiehlt, zu rebellieren, gebraucht würde zu einfacher Erforschung dessen, was
sie gläubig annehmen sollten, so würden sie zum Glauben kommen und von
ihren Zweifeln errettet werden. Denkt ihr, daß ihr weise seid, wenn ihr
Gründe zu entdecken sucht, weshalb ihr verdammt werden solltet. Ich kann
mir kaum eiuen Manu in der Zelle der Verurteilten — und diese ist es, in
der jeder Ungläubige ist — vorstellen, der versuchte, Gründe ausfindig zu
machell, weshalb er nicht begnadigt werden sollte. Dort liegt die Begnadigung
vor ihn«, uud er durchsucht störrisch den Schatz der Logik, um Beweisgründe
gegen seine Begnadigung und Ursachell für seine Hinrichtung zu finden. D u
Narr, willst du durch dein Vernünfteln umkommen? Sünder, laß mich dir
sagen, laß deine künstlichen Vernunftschlüsse an jenes Holz genagelt werden,
an dem Jesus starb. Kreuzige sie. D u argwöhnst zu viel, du bedenkst zu
viel, du fragst zu viel. Hier ist es — nimm es auf, wie ein kleines Kind
seines Vaters Wort aufnimmt: „Gott war in Christo, und versöhnte die Welt
714 Alttestamentliche Bilder.

mit I h m selber, und rechnete ihnen ihre Siinden nicht zu." „Des Menschen
Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." „Wer
an I h n glaubet, der wird nicht gerichtet." „Wer den Sohn Gottes hat, der
hat das Leben." „Glaube an den Herrn Iesum Christum, so wirst du selig;"
denn: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber
nicht glaubet, der wird verdammet werden." Hier ist alles Einfachheit; macht
es nicht geheimnisvoll. Hier ist alles klar wie am Mittag; schließt das Licht
nicht aus. Gott gebe euch Gnade, diese eure Götzen abzubrechen und euren
Heiland jetzt anzunehmen, um Jesu willen. Amen.
Hiskin und die Gesandten. 715

48.

Hiskia und die Gesandten.


„ I u der Zeit sandte Brodach, der Sohn Baledans, des Sohnes
Baledans, Königs zu Babel, Briefe und Geschenke zu Hiskia, denn er.
hatte gehöret, daß Hiskia krank war gewesen. Hiskia aber war fröhlich
nlit ihnen, und zeigte ihnen das ganze Schatzhaus, Silber, Gold,
Spezerei und das beste Öl nnd die Harnischkammer und alles, was in
seinen Schätzen vorhanden war. Es war nichts in seinem Hause und
in seiuer ganzen Herrschaft, das ihnen Hiskia nicht zeigte."
2 Kön. 20. 12. 13.

l i n d was denn? War es nicht die natürlichste Sache von der Welt?
Wer unter uns würde nicht den Fremden fein Haus, seinen Garten, seine
Bibliothek gezeigt haben, und alle kleinen Schätze und Merkwürdigkeiten, die
er zufällig besäße? Uud wenn Hiskia etwas stolz auf seinen Reichtum war?
War es nicht doch ein sehr natürlicher Stolz, daß er, der Beherrscher eines
so kleinen Gebietes, durch Sparsanlkeit und gute Negierung im stände gewesen
war, einen so großen und mannigfaltigen Schatz aufzuhäufen? Zeigte das
nicht, daß er klug und haushälterisch war; uud durfte er sich nicht den
babylonischen Gesandten als ein Beispiel darstellen von dem, was diese
Tugenden für ihu gethan? Ganz recht, dies ist gellau so, wie der Mensch es
ansieht, aber Gott sieht es anders an: „ E i n Mensch stehet, was vor Augen
ist, der Herr aber stehet das Herz an." Die Dinge sind vor Gott nicht, was
sie uns scheinen. Handlungen, welche anscheinend auf der Oberstäche und
sogar soweit wie das menschliche Urteil gehen kann, gleichgültig oder selbst
lobenswert erscheinen mögen, können vor Gott so hassenswert sein, daß sein
Zorn dawider entbrennt. W i r sehen eine Nähnadel an, und unsrem bloßen
Auge ist sie so glatt wie Glas, aber wenn wir sie unter das Mikroskop
bringen, erscheint sie sogleich rauh, wie eine unbearbeitete Eisenstange. Es ist
ungefähr ebenso mit unsren Handlungen. Sie mögen um ihrer Trefflichkeit
willen nach unsrem Urteil und nach dem unsrer Mitmenschen so glatt und
716 Alttestamentliche Bilder.

glänzend wie eine Nähnadel sein, aber wenn sie unter die Prüfung des all»
sehenden Gottes kommen, so sind sie voll Rauheit der Sünde. Unsre Lilien
mögen Gottes Nesseln sein, und unsre Gärten nicht besser als eine Wüste vor
seinen Augeu.
Doch ist's noch eine andre Betrachtung, die sis) uns gleich beim Beginn
dieser Sache aufdrängt, nämlich, daß Gott eine andre Regel hat, nach der
Er das Thun seiner Kinder richtet, als die, welche Er bei den Handlungen
der Fremden allwendet. Ich kann glauben, daß, wenn Hiskia seine Gesandten
zu Vrodach geschickt hätte, dieser heidnische Monarch den jüdischen Gesandten
alle seine Schätze ohne irgend welche Sünde hätte zeigen können; Gott wäre
nicht zum Zorn gereizt worden, und kein Prophet hätte auch nur ein Wort
des Tadels oder der Drohuug geäußert; aber Hiskia ist nicht wie Brodach
und darf nicht thun, was Vabnlonier thun können. Valedan ist nur ein
Knecht in Gottes Reich, und Hiskia ist ein Fürst; der eine ist ein Fremder,
der andre ein teures und hochgeliebtes Kind. W i r alle haben verschiedene
Handlungsweisen mit den Menschen, je nach der Beziehung, in der sie zu uns
stehen. Wenn ein Fremder auf der Straße wider euch spräche, würdet ihr es
nicht fühlen, ihr würdet kaum böse sein, wenn auch die Behauptung ehren«
rührig wäre; aber wenn das Weib eures Herzens so spräche, würde es euch
das Herz durchbohren, und wenn euer Kind euch verleumdete, würde es euch
in die Seele schneiden. Wenn wir Menschen Vertraulichkeit zeigen und unser
Herz ihnen öffnen, so erwarten wir, daß sie mit einer Aufmerksamkeit und
Zartheit gegen uns handeln, wie wir es von Fremden vernünftigerweise gar
nicht erwartet! könnten, und wir legen an ihre Handlungen einen besonderen
Maßstab a n ; wir wägen, sozusagen, die Handlungen Fremder in den gewöhn-
lichen großen Wagschalen, die nicht schwanken würde» bei eiuer Unze oder
selbst bei einem Pfnnd, aber das Thun unfrer Freunde wägen wir in fo
genauer Wage, daß selbst die Feder aus dem Flügel einer Fliege das Zünglein
schwanken macht. Es ist eine ernste Sache, ein Günstling des Himmels zu
sein, denn wo ein andrer ungestraft sündigen mag, wird ein Kind nicht über-
treten ohne schwere Züchtigung. Wenn du in den Himmel Blicke hast thun
dürfen, so mußt du Sorge tragen, daß deine Seele keusch gegen Gott ist;
wenn du mit dem Geheimnis des Höchsten begnadigt bist, so mußt du ganz
besonders nnter denen sein, die I h n fürchten;.wenn nicht, so wird Er zu dir
sprechen, wie Er zu seinem begnadigten Israel sprach: „Aus allen Geschlechtern
auf Erden habe ich allein euch erkannt; darum will ich auch euch heimfuchen
in aller eurer Missethat." Es mag Verrat von einem Hofmann sein, von
dem König zu sprechen, wie ein Fremder es ruhig thun kann; wer ins Kabinett
zugelassen wird, muß nicht nur ohne Fehler in seiner Treue sein, sondern
über allen Verdacht hinaus.
^»istia und die Gesandten.

Wir bemerke» also, daß die hier berichtete Handlung des Hiskia nicht
auf der Oberstäche eine sündliche ist, und daß die Sünde sich nicht so sehr in
der Handlung selbst, als in den Beweggründen findet, über die w i r nicht
Nichter sein können, die aber Gott sehr genau richtete uud sehr strenge ver-
urteilte: und wiederum bemerken wir, daß diese Sünde Hiskias bei andren
vielleicht gar keine Sünde gewesen wäre, daß sie selbst, wenn sie von andren
aus demselben Beweggrund gethan wäre, doch vielleicht Gott nicht so erzürnt
hätte; aber da Hiskia, sogar mehr als die meisten Heiligen der Schrift, mit
besonderem Dazwischentreten der göttlichen Vorsehung und ausgezeichneten
Ehren von Gottes Hand begnadigt war, so hätte er sorgfältiger sein sollen.
Seine Sünde, ob klein in andren, wurde groß in ihm, weil er von Gott so
geliebt war. Ein Mann mit einem abgetragenen und befleckten Kleid kann
ohne sein Gewand zu verderben dahin gehen, wo ein andrer, der in Weiß ge-
kleidet ist, sich nicht wagen darf; ein Fleck wird auf einem schmutzigen Ge«
waude nicht gesehen, aber je reiner das Kleid, desto schneller wird der Fleck
entdeckt, und gerade darum, weil Hiskia eiu so ungemein heiliger und von
Gott begnadigter Mann war, ward seine Sünde sichtbar, und Gott suchte sie
sofort mit Züchtigung heim.

I.
Um darzuthun, was Hiskias Vergehen war, wird es das beste für mich
sein, damit zu beginnen, daß ich seine U m s t ä n d e n n d L a g e z u r Z e i t
d e r H a n d l u n g beschreibe.
Wir werden einer ziemlich ausführlichen Veschreibuug bedürfen; zuerst
wollen wir bemerken, daß er g a n z b e s o n d e r e G n a d e n e r w e i s u n g e n
e m p f a n g e n h a t t e . Sanherib war in das Land eingefallen mit einem
Heer, das für unbesiegbar gehalten ward, und wahrscheiulich auch unbesiegbar
für alle bekannten Mittel der Kriegsführung jener Zeit war: er hatte jedes
Land verheert und unzählige Gefangene weggeführt und jede Stadt geplündert,
die er belagert hatte; aber als er vor die Stadt Jerusalem kam, war er nicht
im stände, auch nur einen Wall gegen sie aufzuwerfen oder einen Pfeil auf
sie abzufchießen, denn Gott trat in besonderer Weise dazwischen, und Sanheribs
Heer, geschlagen vom plötzlichen Hanch der Pestilenz oder von der tödlichen
Luft des Samum, fiel tot auf der Ebeue nieder. Dies war eine denkwürdige
Befreiung von einem fo gigantischen Feinde, daß er dein Leviathan verglichen
ward, in dessen Nachen der Herr einen Haken warf und ihn wiederum den
Weg führte, den er gekommen war. Außerdem war der König von einer
Krankheit wiederhergestellt, von der es verkündet worden war, daß sie tödlich
sei. I h m war eine merkwürdige Errettung vor den Pforten des Todes ge»
worden; wo ein andrer hätte sterben müssen, war er instandgesetzt, nach drei
718 Alttestllmeutliche Bilder.

Tagen ins Haus des Herrn zu gehen. Überdies hatte es Gott noch gefallen,
in Verbindung mit seiner Genesung für ihn zu thun, was Er vorher nur noch
für Iosua gethan, nämlich die Ordnung des Himmels zu unterbrechen und
die Sonne zehn Stufen am Zeiger Ahas zurückgehen zu lassen, ein Zeichen,
durch das seines Kucchtes Glaube gestärkt werden sollte. Dies war kein Ge»
ringes, wenn der Tod von unten und der Himmel von oben in ihrem Laufe
aufgehalten wurden für das begünstigte Kind des Himmels, wenn der Schatten
des Grabes und der Glanz der Sonne gleicherweise für ihn bewegt wurden,
um die Freundlichkeit des Herrn zu zeigen.
Zu all diesem gab der Herr noch eine ungewöhnlich lange Zeit des
Wohlergehens. Alles ging wohl. Wenn ihr die Berichte leset, die in den
Büchern der Chronika gegeben sind und auch im Iesaia, so werdet ihr finden,
daß er reich wurde durch Geschenke von den benachbarten Königen, die wahr»
scheinlich in Furcht gesetzt waren dadurch, daß Sanheribs Heer in dein Lande
Hiskias vernichtet worden war, und vielleicht wurde er auch durch Handel be-
rühmt, wie Salomo vor ihm es geworden. Hiskia, obwohl nur ein kleiner
Fürst, sah sich plötzlich reich und hatte außerdem eins in seinem Schatz, was
nicht unter den Schätzen irgend eines andren lebenden Menschen entdeckt werden
konnte, nämlich eine Verordnung vom Hofe des Himmels, daß er fünfzehn
Jahre leben sollte. Was würden einige Monarchen nicht darum gegeben
haben, wenn sie hätten gewiß sein können, daß ihr Leben in täglicher Gefahr
so lange Zeit erhalten bleiben würde? Kein Gewicht an Perlen oder Korallen
hätte ein zu großer Preis für solches Gut geschienen. Hiskia war in jeder
Hinsicht ein glücklicher Monarch; der Mann, dem der König der Könige gern
Ehre anthat. Dieses große Wohlergehen war eine große Versuchung, weit
schwerer zu tragen, als Nabsakcs Brief und alle Übel, welche der feindliche
Einfall über das Land brachte. Ah, Frennd, es ist ein sehr nötiges Gebet:
„ I n allen Zeiten unsres Reichtums, behüte uns, lieber Hcrr»Gott." Viele
Schlangen lauern unter den Blumen des Glückes: hohe Plätze sind gefährliche
Plätze; es ist nicht leicht, einen vollen Becher mit einer festen Hand zu trageu,
ein beladener Wagen hat eine starke Achse nötig, und ein gut gefüttertes Pferd
einen strammen Zügel.
Wir dürfen nicht vergessen, daß Hiskia zu dieser Zeit ganz besonderes
Ansehen genoß. Begünstigt zu seiu, wie er es war, hätte er ertragen
können, wenn er in Znrückgezogenheit gelebt; aber er war auf eine hohe Zinne
gestellt, da alle Völker rings umher von der Vernichtung des assyrischen Hccrcs
gehört haben mußten. Sanhcrib war der gemeinschaftliche Feind aller kleineren
Herrscher, lind selbst die großen Könige, wie der König von Ägypten, hatten
tödliche Furcht vor der Macht Assyriens; cs war deshalb sicherlich weit und
breit bekannt, daß des Tyrannen Flügel im Lande Iuda beschnitten wären.
Hiskia und die Gesandten. 719

Das Zurückgehen der Sonne muß auch alle Völker mit Staunen erfüllt haben.
Es scheint, daß. die babylonischen Gesandten kamen, um nach diesem Wunder-
zu fragen, denn sie waren ein Volk, das sich viel mit Beobachtungen der
Himmelskörper beschäftigte. Der Mund der Welt war voll von Hiskia. Jeder»
mann hatte von ihm gehört, jedermann sprach von ihm. Seine Heilung,
sein Sieg und sein Reichtum waren das allgemeine Gespräch überall, wo
Menschen zusammenkamen. Was für eine Versuchung ist dies! Wenn viele
Augen auf eiuen gerichtet siud, so können sie, wenn die Gnade Gottes es
nicht verhindert, wie die Allgen des fabelhaften Basilisken wirken, der seine
Bellte bezaubert. Vor dem Herrn wandeln im Lande der Lebendigen ist froh»
liches und sicheres Wandeln; aber vor Menschen wandeln ist voller Gefahr.
M i t Beifall begrüßt werden, sich in der Volksguust founen, ist immer gefährlich.
Eili volles Segel braucht viel Ballast, fönst wird das Fahrzeng umschlagen.
Viel Gnade war in dein uus vorliegenden Falle nötig, aber diese stichle der
König nicht, wie er es hätte sollen.
H i s k i a hatte sehr v i e l Gelegenheiten, Nutzen zn stiften. Wie»
viel hätte er thuu können, den Gott Israels zu ehren! Ich weiß kaum eiuen
Mann, einen uon Gott gesandten Propheten ausgenommen, der eine so Herr»
liche Gelegenheit hatte, die Größe und Güte des Herrn zu verkünden; denn
daß jedermann von ihm sprach, stand im Zusammenhang mit zwei Wundern,
die Gott gethan hatte, die dem großen, Wunder-wirkeuden Jehovah reichliches
Lob hätten einbringen sollen. Wie, Hiskia, wärst du bei rechtem Verstande
gewesen, uud hätte die Guade dir deiue volle Vernunft bewahrt, was für
eine Predigt hättest du halten können mit dem Tod unter dir und dem
Himmel über dir als Text der ewigen Macht und Gottheit als Thema!
Brüder, er hätte die Höfe der Fürsten von dem Raulen Iehovahs erklingen
lassen können. Er hätte sich in den Hintergrund des Bildes stellen sollen und
die Erde mit seinem Zeuguis für die Ehre Gottes füllen. Wis gut hätte er
in der Sprache triumphierenden Frohlockens ausrufen können: „Wo sind die
Götter zu Hemath und Arphad? Wo sind die Götter zu Sepharvaim, Hella
und I v a ? " Welcher voll diesen errettete die Völker voll Sanherib? Welcher
von diesen konnte seine Anbeter von tödlicher Krankheit wieder gesund machen?
Welcher von diesen konnte zum Schatten der Sonne sagen: Gehe zurück am
Zeiger Ahas? Aber Jehovah herrschet über alles; Er ist Köuig im Himmel
droben uud auf der Erde hienieden. Meine Brüder, es scheint mir, wenn er
wie Mose eine Ode des Triumphs verfaßt, und die Weiber hätte tanzen lassen
wie Mirjam, während der jauchzende Gesang auf zum Himmel stieg: „Kommt,
laßt uns dem Herrn lobsingen, denn Er hat eine herrliche That gethan!" so
wäre das viel besseres Werk für ihn gewefen, als diesen Gesandten seine
Schätze zu zeigen, uud seinen eignen Namen nnter den Menschen zu erheben.
720 AlttestaMeutliche Bilder.

Er vor allen andren Menschen hatte die V e r p f l i c h t u n g , seinen G o t t


zu lieben und sich I h m ganz zu weihen. Alles Leben ist dem Geber des
Lebens heilig und sollte I h m geweiht sein; aber ein übernatürlich verlängertes
Leben hätte in besonderer Weise Gott gewidmet sein sollen. Der Mensch,
dessen Odem in seiner Nase ist, worin soll er geachtet werden? (Ies. 2, 22.)
Warum soll er sich rühmen? Aber der, dessen Odem ihm durch ein Wunder
zmückgegebeu ist, muh ihn nicht brauchen, um sich selbst zu verherrlichen.
Gott sei die Ehre für unser Leben, wenn es uns nur einmal gegeben ist,
aber, o, mit welchem Eifer sollte Gott alle Ehre dafür haben, indem es uns
zweimal gegeben ist! Aber es steht von ihm geschrieben in den Büchern der
Chronika: „Hiskia vergalt nicht, wie ihm gegeben war; denn sein H'erz
erhob sich." Er genoß die Segnungen, aber er beugte sich nicht vor dem
Geber; er gedachte der Frucht, aber vergaß den Baum; er trank aus dem
Strom, aber gedachte nicht geuug der Quelle; seiue Felder wurden vom Tau
getränkt, aber er war dem Himmel nicht dankbar genug, von dem der Tau
herabfiel. Er stahl das Holz vom Altar der Liebe und brannte es auf dem
Herde des Stolzes.
Meiue Brüder, wir dürfen Hiskia nicht zu hastig verurteilen. Es ist
Gottes Sache, zu verurteilen, aber nicht die unsre, denn ich bin überzeugt,
wären wir an Hiskias Stelle gewesen, so hätten wir dasselbe gethan. Beachtet
jetzt, worin sein Hochmut Nahrung fand. Er konnte zu sich sagen: „ I n
meinem Gebiete ist das größte der Heere vernichtet und der mächtigste der
Fürsten gedemütigt worden. Er, dessen Name ein Schrecken in jedem Lande
war, kam in mein Reich, und schmolz dahin wie der Schnee vor der Sonne.
Groß bist du, o Hiskia! groß ist dein Land, denn dein Land hat Sanherib
Verschlungen und der Zerstörung des Verderbers ein Ende gemacht." Denkt
auch daran, daß er etwas hatte, was ihm mehr als alles andre eine Ver»
suchung war, er hatte die Gewißheit, noch fünfzehn Jahre zu leben. Sterbliche,
wie wir sind, jeden Augenblick in Gefahr des Todes, werden wir dennoch
sicher; aber gebt uns fünfzehn Jahre gewiß, und ich weiß nicht, ob der Himmel
droben hoch genug für unsre Häupter sein würde und die ganze Welt groß
genug für die Aufgeblasenheit unsres Stolzes. W i r würden sicher ruhmredig
und groß werden, wenn die Schranke steter Sterblichkeit hinweggenommen
würde. Der König mochte in seinen selbstgefälligen Augenblicken zu sich gesagt
haben: „Nicht nur bin ich also unsterblich fünfzehn Jahre, sondern auch der
Himmel ist lim meinetwillen gestört worden. Seht, was für ein Liebling des
Himmels ich bin." Er sagte nicht mit David: „Wenn ich sehe die Himmel,
Deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die Du bereitest, was ist der
Mensch, daß D u seiner gedenkest?" sondern er hörte ein satanisches Flüstern
in seiner Seele: „Wie groß bist du, daß die Sonne selber, das Licht des
Hislia und die Gesandten. 721

Tages und das Ange des Himmels dir zu Gefallen zurückgehen muß!"
Außerdem ist es nicht so leicht, unser Leben aus großer Gefahr errettet zu
sehen, und doch zu fühlen, daß wir persönlich von wenig Bedeutung sind.
Was sind wir für Gott? Er könnte uns alle entbehren. Die größten Männer
der Welt würden, wenn sie aus der Schöpfung hinweggewischt würden, Gott
nicht mehr Verlust verursachen als der Verlust einer Fliege dem Besitzer von
Königreichen; und. doch, wenn unser Leben erhalten wird, so sind wir sehr
geneigt, anzunehmen, daß wir sehr notwendig seien, wenigstens für die Ge-
meinde, wenn nicht für die göttlichen Ratschlüsse felbst. Wenn Hiskia ferner
seine Vorräte überblickte, fo sah er viel, was ihn aufblähen konnte, denn welt»
liche Besitztümer sind für den Menschen, was das Gas für den Ballon ist.
Ach, meine Frennde, diejenigen, die irgend etwas von vielen Äckern, Gold
und Silber, Kunstwerken, Kostbarkeiten u. s. w. kennen, wissen, was für eiue
Tendenz diese haben, ihre Eigentümer anfzublähen. Er muß gefühlt haben,
wenn er durch seine Rüstkammer, seine Gewürz» und Schatzkammern ging:
„Ich bin ein großer M a n n . " Dann kamen alle die Gesandten voll ver«
schiedenen Ländern, krochen zu seinen Füßen und zollten ihm Ehrfurcht wegen
seines jetzigen Glückes. Es war mehr, als sein armer Kopf ertragen konnte,
und da sein Herz sich von Gott entfernt hatte, so ist es wenig zu verwundern,
daß Hochmut die Seele Hiskias in Besitz nahm.
Um unsre Beschreibung der Umstände zu vollenden, es scheint, daß
G o t t zu dieser Z e i t seinen D i e n e r i n einem gewissen M a ß e v e r .
lassen hatte, um i h n zu p r ü f e » . „ D a aber die Botschafter der Fürsten
von Babel zu ihm gesandt waren, zu fragen nach dem Wnnder, das im Lande
geschehen war, verließ ihn Gott also, daß Er ihn versuchte, auf daß kund
würde alles, was in seinem Herzen war." Es scheint, daß um seiner Er»
Hebung willen die Gnade Gottes in ihren mehrtägigen Einwirkungen eine
Zeitlang ihm entzogen w a r ; nicht daß Gott ihn so verlassen, daß er aufgehört
hätte, eiue errettete Seele zu sein, aber er wurde in einem gewissen Maße
verlassen, um ihn zu prüfen und ihn sehen zu lassen, was er sei. Er war
so groß geworden, so stolz auf die Gunst Gottes, daß wahrscheinlich Selbst-
gerechtigkeit sich eingeschlichen hatte, und er begann, sich zu sagen: „Ich bin
nicht, wie andre Menschen sind. Gewiß, ich bin vor dem Herrn mit voll-
kommenem Herzen gewandelt." Ein Grad von Selbstgerechtigkeit thnt sich,
wie ich meine, in seinem Gebet kund, als er sein Antlitz zur Wand kehrte.
Er litt, glaube ich, zu der Zeit au zwei Krankheiten, nicht nur an einer
schwellenden Beule, sondern an schwellendem Eigendünkel, und Gott verließ
ihn, damit er sähe, daß er im Grunde doch ein alberner, armer Sünder sei.
Hier, lieben Freunde, ist genug, um seme Thorheit zu erklären, denn wenn
die Gnade Gottes die Besten von uns verließe, fo könnte der allwissende Gott
S p u r g e o n . Alttestamentliche Nlld«. 46
722 Alttestamentliche Bilder.

allein vorhersagen, was wir thun würden. I h r , die am wärmsten für


Christum seid, würdet lall wie Laodicea werden; ihr, die ihr gesund im
Glauben seid, würdet vom I r r t u m allgefault werden; ihr, die ihr jetzt vor
dem Herrn aufrichtig und lauter wandelt, würdet so schwach sein, daß die erste
Versuchung eure Festigkeit bräche. Es würde von uns gesagt werden, wie
von jenein einst glänzenden, aber jetzt gefallenen Stern: „Wie bist du vom
Himmel gefallen, o Luzifer, Sohn des Morgens?" Hell w.ie wir sind, wenn
die Gnade auf uns fcheint, sind wir nichts als Finsternis selber, wenn der
Herr sich zurückzieht. Es ist gesagt worden, daß ill dem gesundesten Granat»
avfel stets einige verfaulte Körner sind, und daß der weißeste Schwan einen
schwarzen Schnabel hat; nnd wir können hinzufügen, daß Würmer unter dein
grünsten Nafen sind und toter Menschen Leichname alls dem Grunde der
ruhigsten See. I n dem besten Christen ist Sünde genug, ihn zum schlimmsten
Übertreter zu machen, wenn Gott ihn verlassen sollte. Jemand, der sich selbst
nur wenig kannte, schrieb, er sei so voll von Christo, daß für den Teufel kein
Raum sei, aber mir schien, ich sähe den Pferdefuß aus dieser prahlerischen
Rede hervorgucken. Lieben Brüder, ich hoffe, wir werden es nicht nötig haben,
daß uns unsre Nichtigkeit in derselben Weife gelehrt wird, wie Hiskia sie
lernte.' Ich will es gern theoretisch wissen, daß in mir, das ist in meinem
Fleisch, nichts Gutes wohnet, und ich möchte es auch durch das Lehren Gottes
des Heiligen Geistes erkennen; aber ich bete für euch uud für mich, daß wir
nie unsre Verdorbenheit erfahrungsmäßig lernen, indem Gott uns verläßt, so
daß sie völlig zu Tage tritt. Es gibt vielleicht keine Art, uus die Schlechtig»
keit unsres Herzens so gründlich zu lehren, als wenn wir den Anschlägen des.
selben überlassen werden; vielleicht werden wir nie nnsre Thorheit kennen, bis
es''uns gestattet wird, als Thoren zu handeln, aber o, verhüte es, Herr! ver-
hüte es durch Deine Gnade! Besser durch Schmerz zu lernen als durch Sünde!
Besser in Gottes Kerker zu liegen, als in des Teufels Palast zu schwelgen.
I h r , seht jetzt die Umstände klar. Er ist ein Mann, der Glück hat, in stolzem
Herzenszustand, mit tiefer Ebbe der Gnade in feiller Seele; er ist nun bereit,
die Beute der Versuchung zu werden.

II.
Wir müssen uns jetzt dazu wenden, d e n V o r f a l l selbst u n d d i e
K u n d e , d i e d a r a u s entstand, zu betrachten
Babylon, eine Provinz Assyriens, hatte das assyrische Joch abgeworfen,
und Brodach'Valedan wünschte natürlich, Bundesgenossen zu bekommen, damit
sein kleines Reich stark genug würde, sich gegen die Assyrer zu behaupten. Er
hatte mit großem Vergnügen gesehen, daß das assyrische Heer in Hiskias Land
vernichtet worden war, und da er wahrscheinlich das Wunder nicht anerkannte.
Htskia und die Gesandten.

dachte er, daß Hiskia das Heer geschlagen hätte, und schickte seine Gesandten
in der Absicht, einen Vundesvertrag mit einem so großen Fürsten zu schließen.
Die Gesandten langten an. Nun war Hiskias Pflicht in diesem Falle sehr
klar. Er hätte die Gesandten mit gebührender Höflichkeit empfangen sollen,
wie es ihrem Amte geziemte, und ihr Kommen als eine Gelegenheit be»
trachten, vor den götzendienerischen Vabyloniern ein Zeugnis von dem wahren
Gott Israels abzulegen. Er hätte ihnen erklären sollen, daß die geschehenen
Wunder von dein einen lebendigen uud wahren Gott gewirkt wäreu, und dann
hätte er auf die Frage des Iesaia: „Was haben sie gesehen in deinem Hause?"
antworten können: „ I c h habe ihnen von den mächtigen Thaten Iehovahs
erzählt, ich habe seinen großen Nuhm verkündet und habe sie nach ihrem
Lande zurückgesandt, um überall zu erzählen, daß der Herr, der allmächtige
Gott, regiert." Er hätte sehr vorsichtig mit diesen Männern sein sollen. Sie
waren Götzendiener, und deshalb keine passende Gesellschaft für die Anbeter
Iehovahs. Als sie zu ihm kamen, hätte er fühlen sollen: „Hier bin ich in
Gefahr," wie wir fühlen würden, wenn wir unter Pestkranken umherwandelten.
Er hätte sich überdies hüten müssen, nicht mit seiner eignen Macht zu prahlen,
da es klar war, daß die gewirkten Wunder nicht zu seiner Ehre, sondern allein
znnl Ruhm des Herrn waren. Er hatte nicht das Heer erschlagen, er hatte
nicht die Sonne zurückgehen lassen, er hatte sich nicht durch seine Geschicklich'
keit von der Krankheit wiederhergestellt; es war Gott und Gott allein, dem er
alle Ehre hätte zuschreiben müssen. Er hätte uicht auf seine Schätze eitel sein
sollen, denn dies führte ihn dahin, diesen diebischen Herren zu zeigen, wo
reichlich Naub zu finden sei, ihre Bemühungen zu lohnen. Was er zu thun
hatte, war klar genug. Er hätte ihnen von Jehovah sagen, den wahren Gott
verkünden, sie mit Höflichkeit behandeln und dann entlassen sollen, dankbar,
von eiller solchen Versuchung frei zu werden. W i r können nun wahrnehmen,
worin seine Sünde lag. Ich denke, sie lag in fünf Punkten. Zuerst erhellt
es aus der Stelle in Iesaia 3 9 : daß er große Freude an i h r e r G e s e l l ,
schaft hatte. Es heißt: „Des freute sich Hiskia." I n unsrem Kapitel wird
gesagt: „ E r war fröhlich mit ihnen." Er war sehr froh, sie zu sehen. Es
ist ein böses Zeichen, wenn ein Christ großen Trost an der Gesellschaft des
Weltlings findet, besonders wenn dieser Weltling profan ist. Die Vabylonier
waren niedrige Götzelldiener, es war böse von dem Anbeter Iehovahs, sie an
sein Herz zu pressen. Er hätte denken sollen: „Eure Götter verabscheue ich,
denn ich bete den Herrn an, und ich kaun auch keine enge Freundschaft mit
euch eingehen, weil ihr keine Liebhaber des Herrn, meines Gottes, seid."
Höflichkeit ist der Christ allen Menschen schuldig, aber die unheilige Vertraulich,
keit, mit der ein Gläubiger einen Unwiedergebornen als seinen Busenfreund
aufnimmt, ist eine Sünde. „Ziehet nicht an fremdem Joch mit den Un-
46*
724 Alttestamentliche Bilder.

gläubigen," ist nicht nur ans Heiraten anwendbar, sondern auf alle andren
vertraulichen Verbindungen, die einem Zusammenjochen gleichkommen. Ich
wollte nicht als ein Christ meinen Namen in derselben Firma mit einem un«
göttlichen Mann verbinden, denn ob ich will oder nicht, wie groß auch meine
Nechtschaffenheit sein mag, wenn es meinen! Kompagnon gefällt, zweifelhafte
Handlungen zn thun, so trage ich in einem Maße die Verantwortlichkeit für
feine Sünden sowohl vor Gott als vor Menschen. Es ist gut, wenn die, die
znsammengejocht sind, beide denselben Weg ziehen; aber was für Gemeinschaft
hat Christus mit Velial? Hier war Hiskias erste Sünde — gerade dieselbe
Sünde, in die Iosaphat fiel, als er in Verbindung mit dein götzendienerischen
König von Israel Schiffe machte, die nach Tarfis gehen sollten, um Gold zu
holen; die Schiffe wurden zerbrochen zu Ezeou-Geber; und mit Recht, denn
wenn Gottes Diener Verbindungen schließen mit Gottes Feinden, was könneu
sie andres als Unzufriedenheit von ihren» Herrn erwarten?
Die nächste Sünde, die er beging, war die, daß er sich äugen»
scheinlich auf i h r B ü n d n i s lehnte. Hiskia war der König eines kleinen
Gebietes, fast so nnbedentend als eins der kleinen deutschen Fürstentümer, und
seine wahre Stärke wäre darin gewesen, daß er sich ans seinen Gott gelehnt
und mit seiner militärischen Macht durchaus nicht geprunkt hätte. Gott war
es, der ihn verteidigt hatte, warum sollte er nicht noch immer auf den un-
sichtbaren Jehovah vertranen? Aber nein, er denkt: „Wenn ich mich mit den
Babnloniern verbinden könnte, sie sind eiu aufstrebendes Volk, es würde gut
für mich sein." Merkt euch dies: Gott nimmt es scharf mit den Seinen,
wenn sie seinen Arm verlassen um eines Anns voll Fleisch willen. O Lieb-
haber des Herrn Jesu, wenn du den Arm deines Herrn verlassest, wenn du
aufhörst, dich auf I h n zu lehnen und beginnest, dich auf deine eigne List oder
Politik oder auf deinen liebsten und besten Freund zu lehnen, so wirst du
dafür zu leiden haben. „Verflucht ist der Maun, der sich auf Menschen ver«
läßt und hält Fleisch für seinen Arm und mit seinem Herzen vom Herrn
weicht. Der wird sein wie die Heide in der Wüste und wird nicht sehen den
zukünftigen Trost, sondern wird bleiben in der Dürre, in der Wüste, in einem
unfruchtbaren Lande, da niemand wohnet. Gesegnet aber ist der Mann, der
sich auf den Herrn verläßt und der Herr seine Zuversicht ist. Der ist wie
ein Baum am Wasser gepflanzet und am Bach gewurzelt. Denn obgleich
eine Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben
grün, und sorget nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern er bringt
ohne Aufhören Früchte." Es war dies Weichen von Gott, dies Aufhören
mit dem Wandeln im Glauben, dies Verlangen, sich in fleischlicher Weise
auf den König von Babylon zu verlassen, was den Herrn zum Zorn
reizte.
Hiskia und die Gesandten. 725

Seine nächste Sünde w a r sein unheiliges Schweigen von seinem


Gott. Er fcheint ihnen kein Wort von Iehouah gesagt zu haben. Wäre es
höflich gewesen? Die Etikette verlangt hentzutage oft von einem Christen, daß
er seine Religion der Gesellschaft nicht aufdringen foll. Pfui über solche Etikette!
Es ist die Elikelte der Hölle. Wahre Höflichkeit gegen die Seele eines Neben-
menschen läßt'mich zu ihm fvrechen, wenn ich glaube, daß seiue Seele in Gefahr
ist. Jemand klagte einst, daß R o w l a n d H i l l zu eifrig sei, und dieser erzählte
ihm als Antwort darauf die folgende Geschichte. „Als ich einst in der Nähe
eines Dorfes eine Kalkgrube einstürzet! fah, in der sich mehrere Männer be«
fanden, lief ich in das Dorf und schrie: H i l f e ! Hilfe! Hilfe!' uud niemand
sagte: ,Ach, wie aufgeregt ist der alte Herr, er ist viel zu eifrig;' mm, und
wenn ich eine Seele umkommen sehe, soll ich nicht um Hilfe fchreien und eifrig
fein? Gewiß, für Seelen foll inan mehr forgen als für Körper." Aber heut>
zutage muß man, wenn man der Mode folgen will, in allen Gesellschaften ge-
knebelt sein. M a n muß sich nicht aufdrängen, nicht zu bestimmt in seinen
Meinungen sein, wenn Leute vou gutem Ton gut von einem denken sollen.
O Mann, wenn eine Krankheit im Lande herrscht, so ist der Arzt nie ein Auf»
dringlicher uuter sterbenden Menschen; und ebenso werdet ihr, die ihr Christum
habt, die wahre Arzuei, nie in Gottes Augeu Aufdringliche sein, wenn ihr mit
Klugheit, aber doch mit Kühnheit von dem Evangelium Jesu Christi sprecht.
Schande über enre stummen Zungen! Schande über eure schweigenden Lippen,
wenn ihr nicht von I h m sprecht! O, bei der Liebe, die Jesus am Kreuze
gezeigt hat, habt etwas vou dieser Liebe für eure Mitmenschen; und wie
Er durch alles brach, selbst durch die Vaude des Lebens und des Todes,
damit Er euch erretten möge, so brecht ihr durch eiuige dieser nichtigen Bande,
damit ihr vielleicht etliche errettet.
Mittlerweile beachtet, daß Hiskia sein Schweigen von Gott in trauriger
Weife dadurch ersetzte, daß er sich selber l a u t rühmte. Wenn er wenig
von seinem Gott zu sagen hatte, so wußte er desto mehr von seinen Svezereien,
feinen Waffen, seinem Gold und Silber zu sagen; und ich vermute, daß er
den Gesandten die Wasserleitung und die andren Wuuder der Ingenieurkunst
zeigte, die er ausgeführt hatte. Ah, Brüder, die Etikette erlaubt uns, von
Menfchen zu sprechen, aber von Gott müssen wir schweigen. Gott verhüte,
daß wir uus solcher Regel unterwerfen. Es war so gut, als weun er zu
ihnen sagte, während er ihnen alle diese Schätze zeigte: „Seht, was für ein
großer Mann ich b i n ! " Er wird es nicht in Worten gesagt haben, aber das
war der Sinn dabei — Selbstoerherrlichung, und Selbstverherrlichung dazu
gerade vor denen, die daraus Vorteil zieheu wollten.
Gewiß also lag seine Sünde darin, daß er sich auf gleiche S t u f e
m i t diesen V a b n l o n i e r n stellte. Gesetzt, er wäre hingegangen, sie zu be-
726 Alttestamentliche Bilder.

suchen, was würden sie ihm gezeigt haben? Nun,siehätten ihm ihre Sveze»
reien, i h r e Waffen, i h r Gold und Silber gezeigt. Jetzt kommen sie, ihn
zu besuchen, und er ist ein Anbeter des unsichtbaren Gottes, und er rühmt
sich gerade derselben Schätze, auf die auch sie ihr Vertrauen setzten. Wenn
ein Christ beständig handelt wie ein Weltmensch, kann es möglich sein, daß er
recht handelt? Wenn die zwei Handlungen genau dieselben sind, und ihr
keinen Unterschied wahrnehmen könnt, ist nicht ernste Ursache da zum Argwoh»,
daß kein Unterschied vorhanden ist? Denn an den Früchten sollt ihr den
Baum erkennen, und wenn zwei Bäume genau dieselbe Frucht trage», ist nicht
Ursache zu dem Verdacht da, daß sie dieselbe Art von Bäumen sind? Lieben
Freunde, mögen ihr und ich diese Sünde des Hiskia scheuen und nicht ver-
suchen, uns den Sündern in bezug auf die Freuden dieses Lebens gleich»
zustellen. Wenn sie sagen: „Hier sind unsre Schätze," so laßt uns ihnen er»
zählen von „der Stadt, die einen Grund hat, welcher Baumeister und Schöpfer
Gott ist" und sagen: „Unser Schatz ist droben." Laßt uns jener edlen
Römerin nachahmen, die, als ihre Freundin ihr all ihre Kleinodien gezeigt,
wartete, bis ihre Knaben aus der Schule kamen, und aufsiedeutend, sagte:
„Dies sind meine Juwelen." Laßt ein sanftes Wort fallen, wenn ihr den
Weltling sein Glück rühmen hört und sprecht: „Ich habe auch ineine irdischen
Annehmlichkeiten, für die ich dankbar bin; aber meine besten Freunde sind
nicht hier, sie entspringen weder aus dem Korn, Wein oder Ö l , und weder
Spezereien, noch Gold, noch Musik könnten sie mir verschaffen. Mein Herz
ist im Himmel, mein Herz ist nicht hier: ich habe mein Herz an das gehängt,
was droben ist; Jesus ist meine Freude und seine Liebe ist meine Wonne.
D u erzählst mir von dem, was du liebst, erlaube mir nun, dir von dem zu
sagen, was ich liebe. Ich habe dich geduldig angehört, nun höre auch du eins
von den Liedern Zions; ich bin mit dir über dein Besitztum gegangen, nun
laß mich dich über das meine führen; du hast mir von dem Guten erzählt,
dessen du dich freuest, nun schenke mir auf ein paar Minuten deine Auf«
merkfamkeit, während ich dir von noch besseren Dingen sage, die mein
Teil ausmachen." Der Herr nimmt es scharf mit den Seinen, wenn
sie sich der Segnungen schämen, die Er ihnen gibt, und wenn sie sich
nie des Kreuzes Christi rühmen, so haben sie gute Ursache, sich ihrer selbst
zu schämen.
Dies halten wir also für seine Sünde. Wenn wir alles zusammen«
fassen, so war es Freude an weltlicher Gesellschaft; ein Anfang, sich auf einen
Arm von Fleisch zu lehnen; wenig von Gott sprechen, viel aus sich selber
machen, und sich auf eine Stufe mit Weltlingen stellen, indem er seinen
Ruhm in dem suchte, worin sie den ihrigen fetzten.
Hiskia und die Gesandten. 727

III.
Die dritte Sache wollen wir sehr kurz behandeln, nämlich d i e S t r a f e
« n d die Vergebung.
Wir können gewöhnlich eines Menschen Sünde in seiner Strafe ge>
schrieben finden. W i r säen die Dornen, nnd dann peitscht Gott, uns mit
denselben. Wenn Jesus dich liebt, mein Bruder, meine Schwester, und irgend
etwas in der Welt ist, das dich von I h m zurückhält, so wird Er es hinweg'
nehmen. Es mag ein Lieblingskind, es mag deine Gesundheit, es mag dein
Reichtum sein; Gott haßt die Götzen und wird niemals dulden, daß irgend
etwas zwischen der Liebe nnfres Herzens und I h m selber steht. Es mag eine
sehr schmerzliche Operation sein, aber es wird eine sehr nötige sein, daß Gott
deinen Götzen in Stücke zermalmt, und dich dcwon trinken läßt mit Bitterkeit
und Schmerz. Überdies merkt euch, Er drohte, ihu durch dieselben Leute zu
strafen, mit denen er gesündigt hatte. „ D u warst so fröhlich, während du
diesen Babyloniern deine Schätze zeigtest, diese selben Leute sollen sie hinweg«
nehmen." Und so, Brüder, sollen die Dinge, auf die wir vertrauen, uns
täuschen; wenn wir unsre Herzen von Gott wegnehmen und sie irdischen
Dingen geben, werden diese irdischen Dinge ein Fluch für uns werden. Unsre
Sünden sind die Mütter uusrer Schmerzen.
Als Strafgerichte gedroht wurden, demütigten sich Hiskia uud das Volk.
Wenn ihr und ich der Züchtigung entgehen wollen, so müssen wir uns
demütigen. Das Kind, das seinen Nucken der Nute darbietet, soll nicht sehr
hart geschlagen werden. Unterwerfung wendet die Schläge der Hand Gottes
leichter ab, als irgend etwas andres. Doch obgleich Gott die Strafe hinweg»
nahm, soweit es Hiskia betraf, so nahm E r doch nicht die Folgen h i n -
weg. I h r seht, die Folgen davon, daß er den Vabyloniern die Schätze zeigte,
waren diese: sie gingen zurück und erzählten ihrem König: „Dieser kleine Fürst
hat einen sehr großen Vorrat von Svezereien und Waffen und allerlei Kostbar-
keiten; wir müssen binnen kurzem eiuen Streit mit ihm anfangen und seinen
reichen Bienenstock plündern. W i r müssen diese kostbaren Schätze nach Babylon
bringen, sie werden uns die Mühen des Krieges lohnen." Das war das
gewisse Resultat der Thorheit Hiskias; und obgleich Gott die Sünde vergaß
und verhieß, die Strafe von Hiskia abzuwenden, so nahm Er doch nicht die
Folgen für eine andre Generation hinweg. So mit uns. Manche Sünde,
die ein Gläubiger begangen, hat Gott vergeben, aber die Folgen kommen
darum doch; auch mag die Schuld verziehen werden, aber die Sünde könnt
ihr nicht ungeschehen machen, die bleibt, und eure Kinder und Kindeskinder
mögen für die Sünden zu leiden haben, die Gott euch vergeben hat. Einem
Verschwender mag seine Vergeudung vergeben werden, aber Er sendet einen
Strom von Armut hinab zur nächsten Generation. Einige Sünden thun be<
728 Alttestamentliche Vilder.

sonders viel Schaden in dieser Art, nnd ich zweifle nicht, daß alle Sünde nn-
vermeidlich dem, der sie begeht, Unheil bringt nnd allen um ihn her in einem
Maße, und daß Gott, der die Sünde vergibt, die Folgen sich vollziehen läßt.
Das ist eine sehr ernste Sache, nicht wahr? I h r laßt den Fluß frei, er wird
immerdar stießen. Die Handlung von heute wird auf alle Zeit einwirken;
mehr oder weniger entfernt wird sie auf jedes kommende Jahrhundert ein»
wirken; denn du wirkst auf einen andren Meuschen ein, nnd dieser andre
Mensch auf einen andren, nnd die Ewigkeit selbst wird ihre Hallen entlang
das Echo zittern hören von der That eines Augenblicks, die du vielleicht ge«
dankeulos gegeu den lebendigen Gott begingst. Dies sollte uus sicherlich sehr
sorgsam in unsrem täglichen Wandel machen.

IV.
Ich habe nun zu schließen, indem ich euch bitte, nachdenkend d i e
Gehren a u s dieser E r z ä h l u n g zu e n t n e h m e n , denn ich finde, daß
ich keine Zeit habe, es zu thun, ausgenommen in ein paar Winken. Diese
Erzähluug ist von Unterweisung. Sie brauchte ein halb Dutzend Predigten
statt eilier. Die Lehren indes, welche obenauf liegen, sind diese. S e h t
also, was i n jedes Menschen Herz ist. Dies war in Hiskias Herzen, er
war einer der besten Menschen; das Gleiche ist in eurem Herzen. D u bist
heute demütig, du wirst morgen so stolz sein wie Satan, wenn Gottes Gnade
dich verläßt. D u kennst wenig, mein lieber Vrnder, selbst wenn du eine neue
Kreatur bist, du kennst wenig die Schlechtigkeit deiner alten Natur. Vielleicht
ist es für keinen von uns möglich, seine ganze Fähigkeit zur Süude zu kennen.
Laßt nur die zurückhaltende Hand der Vorsehung uud der Gnade weggezogen
werden, und der Weiseste von uns mag ein Wahnsinniger dllrch die Wut der
Sünde werden. O Gott, lehre uns unsre Herzen kennen und hilf uns, daran
zu denken, wie schwarz sie sind, laß uns nie stolz sein.
Ferner, zittert vor allem, was dieses Übel eures Herzens zu Tage
treiben kann. Vor allem seid bange vor dem Wohlergehen; seid dankbar,
aber seid nicht übermäßig froh; wandelt demütig mit eurem Gott. Laßt eine
doppelte Wache vor eurem Herzen stehen. Ein Seeräuber greift selten ein
Schiff an, das ohne Ladung ausgeht. Das vollbeladene Schiff ist es, das
der Pirat zu gewinnen sucht, und so ist es mit euch: wenn Gott euch mit
Gütern beladet, so wird der Teufel versuchen, euch zu kapern, wenn er kann.
Stellt eine doppelte Wache aus, und haltet eure Barke so weit aus seinem
Kurs wie ihr könnt; und wenn ihr in Versuchung gestoßen werdet, und mit
Weltmenschen verkehren müßt, dann seid vor allem wachsam, damit ihr nicht
in dem Nctz gefangen werdet. Reichtum und weltliche Gesellschaft sind die
Hiskia und die Gesandten. 729

zwei Krebsgefchwüre, die das wahre Leben der Gottseligkeit verzehren. Christ,
sei auf der Hut vor ihnen!
Sollten wir nicht ans dieser Erzählung lernen, jeden T a g gegen
R u h m r e d i g k e i t zu kämpfen. Ach, es sind nicht nur die, welche an hervor«
ragenden Stellen stehen, die in Gefahr sind, sondern alle andre»'. Ich erinnere
mich, einmal einen Schuß mit weit mehr Erfolg, als ich wußte, abgefeuert zu
haben. Eine gewisse Person hatte oft zu mir gesagt, daß sie ernstlich für mich
bete, daß ich mich nicht überhöbe, denn sie könne meine Gefahr sehen, uud
nachdem ich dies so viele Male gehört, daß ich es wirklich auswendig wußte,
machte ich die Bemerkung, ich dächte, es würde meine Pflicht sein, auch für
sie zu beten, daß sie sich nicht überhöbe. Es amüsierte mich sehr, als die
Antwort kam: „Ich habe keine Versuchung, stolz zn sein; meine Erfahrung ist
so, daß ich in gar keiner Gefahr bin, aufgeblafen zu werden;" sie wußte uicht,
daß ihre kleiue Rede ungefähr die stolzeste Behauptung war, die gemacht werden
konnte, und daß jedermann sie für die zudringlichste und stolzeste Person auf
zehn Meilen in der Nuude hielt. Glaubt ihr nicht, daß ebensoviel Stolz in
Lumpen sein kann, als im Kleide eines Ratsherrn? Ist es nicht möglich, daß
ein Mann ebenso stolz auf einem Kehrichtwagen sein kann, als wenn er in
der königlichen Karosse führe? Ein Mann mag ebenso stolz sein mit einem
Fußbreit Landes, wie Alexander mit all seinen Königreichen, und ebenso hoch«
mutig mit ein paar Groschen, wie Krösus mit all seinen Schätzen. Betet
gegen den Stolz, lieben Freunde, wer ihr auch sein mögt. Der Stolz wächst
auf einem Dunghaufeu sowohl wie in des Königs Garten. Betet gegen Stolz
und Ruhmredigkeit, uud Gott gebe euch Gnade, sie niederzuhalten.
Und dann, gesetzt, ihr hättet diesem Raum gegeben, seht auf das L e i d ,
was es euch b r i n g e n w i r d , uud wenn ihr diesem Leid entgehen wollt, so
ahmt dem H i s k i a nach u n d d e m ü t i g t euch. Herunter! Mann, herunter!
„Gott widerstehet den Hoffärtigen" : so lange ihr oben seid, widerstehet Er euch,
„aber den Demütigen gibt Er Gnade." Wenn Gott mit dem Stolz des
Menschen ringt, mag der Mensch sich sträuben, wie er will, Gott wird ihn
niederwerfen; aber wenn der Mensch unterliegt, so erhebt Gott ihn. Niemand
ist so bereit, einen gefallenen Feind aufzurichten als unser Gott. Beuge dich
also, Christ, und wenn du dir nicht irgend eines besonderen Stolzes bewußt
bist, sei demütig, weil du dir dessen nicht bewußt bist, denn Stolz ist wahr-
scheinlich da. Wenn wir meinen, demütig zu sein, dann sind wir am stolzesten,
und vielleicht mag es sein, daß wir, wenn wir über unsren Stolz trauern,
wahrhaft demütig sind. Laßt uns durch Iesum Christum zu Gott gehen, und
I h n bitten, unsren Stolz zu erforschen, wenn er vorhanden ist, uud uns am
Fuße des Kreuzes niederbeugen.
730 Alttestamentliche Bilder.

Zuletzt, laßt uns Gott anrufen, uns nie zu verlassen. Herr,


nimm Deinen Heiligen Geist nicht von uns! Ziehe nicht Deine zurückhaltende
Gnade von uns ab! Du hast gesagt: „Ich, der Herr, behüte ihn und feuchte
ihn bald, daß man seiner Blätter nicht vermisse; ich will ihn Tag und Nacht
behüten." Herr, behüte mich allenthalben. Behüte mich in dem Thal, damit
ich nicht über meinen niedrigen Stand murre! Behüte mich auf dem Berge,
damit ich nicht schwindlig werde aus Stolz, so hoch erhoben zu sein! Behüte
mich in der Jugend, wenn meine Leidenschaften stark sind! Behüte mich im
Alter, wenn ich mir auf meine Weisheit etwas einbilde, und deshalb ein
größerer Thor sein mag, als selbst die Inngen! Behüte mich, wenn es zum
Sterben geht, damit ich nicht an, letzten Ende Dich noch verleugne! Behüte
mich im Leben, behüte mich im Sterben, behüte mich in der Arbeit, behüte
mich im Leiden, ' behüte mich im Kampfe, behüte mich in der Ruhe, behüte
mich überall, denn überall habe ich Dich nötig, o mein Gott.
Der Herr behüte uns im Aufsehen auf Iesum und im alleinigen Ver«
trauen auf sein vollendetes Werk. Wenn wir noch nie Christo vertraut haben,
so möge der Herr uns dahin bringen, daß wir uns jetzt auf seinen lieben
Sohn verlassen! O Sünder! es ist nur eine Thür der Hoffnung für dich,
und diese ist offen. Vertraue Jesu nnd liebe I h n . Amen.
Manasse. 731

49.

Manasse.
„Aber Manasse vcrführete Iuda und die zu Jerusalem, daß sie
ärger thaïe», denu die Heiden, die der Herr vor deu Kindern Israels
vertilget hatte. Und wenn der Herr mit Manasse uud seinem Volk
reden ließ, merkten sie nicht darauf. Darum ließ der Herr über sie
kommen die Fürsten des Heeres des Königs zu Assur; die nahmen
Manasse gefangen mit Fesseln, und banden ihn mit Ketten und brachten
ihn gen Babel. Und da er in Angst war, flehete er vor dem Herrn,
seinem Gott, und demütigte sich sehr vor dem Gott seiner Väter. Und
bat und flehete I h n . Da erhörete Er sein Flehen, und brachte ihn
wieder gen Jerusalem zu seinem Königreich. Da erkannte Manasse,
daß der Herr Gott ist." 2 Chron. 33, 9—13.

!llanasse wurde drei Jahre nach seines Vaters denkwürdiger Krankheit


geboren. I h r werdet euch erinnern, daß Hiskia von eiller tödlichen Krankheit
befallen ward, und Iesaia, der Prophet, zu ihm kam und sagte: „ S o spricht
der Herr: Beschicke dein Haus, denu du wirst sterben und nicht leben bleiben."
Er scheint über diese Nachricht bestürzt uud erschrocken gewesen zu sein und
ließ seinen Gefühlen in bitteren Thrä'nen freien Lauf. Augenscheinlich fürchtete
er sich zu dieser Zeit, dein Tod ins Angesicht zu schaueu. Wahrscheiulich hatte
er sich einem weltlichen Sinne hingegeben; und außerdem lag es als eine
schwere Last auf seinem Herzen, daß er keinen Sohn hatte, den er als seinen
Nachfolger im Reich hinterlassen konnte. I n tiefer Traurigkeit der Seele
wandte er deshalb sein Angesicht gegen die Wand und betete zum Herru.
M i t kläglichem Weinen und ernstem Flehen bat er um Erhaltung seines Lebens.
Sein Gebet ward gehört, seine Thrä'nen gesehen, und seilte Bitte von Gott
bewilligt. Seine Tage wurden um fünfzehn Jahre verlängert. I n dem
dritten dieser fünfzehn Jahre ward ihm sein Sohn Manasse geboren. Hätte
er gewußt, was für ein Sohn an seiner Statt aufkommen würde, so dünkt
mich, hätte er's zufrieden sein können, lieber zu sterben, als der Vater eines
solchen Verfolgers des Volkes Gottes und eines solchen Beförderers des Götzen»
732 Nlttestllmentliche Bilder.

dienstes iln Lande zu sein. Ach! sehr oft wissen wir nicht, um was wir beten.
Wir mögen etwas begehren, das uns ein Gut scheint, das sich aber als ein
wirklicher Fluch für uns und Tausende von andren erweisen würde. D u
betetest, Mutter — ja, du betetest inbrünstig — um das Leben jenes Kindleins,
und es gefiel Gott, es dir zu nehmen. D u kannst nicht wissen, welche Gemüts»
art das Kind gezeigt hätte, welchen Versuchungen es ausgesetzt geweseil wäre,
was für Folgen sein Leben gehabt haben würde. Hätten einige Eltern die
Geschichte ihrer Kinder von dem Tage ihrer Gebnrt an lesen können, so hätten
sie vielleicht mit Recht gewünscht, daß sie nie geboren worden wären. W i r
thun besser, solche Dinge Gott zn überlassen und uns seinem unumschränkten
Willen zu unterwerfen. Er weiß es besser als wir, denn sein Nat ist wunder»
bar, und Er führet es herrlich hinaus. Gott sei Dank, diese Angelegenheiten
sind nicht in unsren Händen; sie ruhen in viel besseren und weiseren, als die
unsrigen es sind.
Manasses Mutter hieß Hephziba, eiu schöner Name. Ich möchte wissen,
ob Hiskia ihr den Namen beilegte, weil sie seine Freude war oder weil seine
Dankbarkeit ihm dies eingab, da er sich selbst in seinem Gott frente. Ich kann
mir kaum denke», daß er zu einer solchen Zeit eine erwählt haben würde,
die nicht auch Gott erwählt hatte; deshalb laßt uns an sie als an eine gott-
selige Frau denken. Aber in diesem Falle konnte sie nur wenig Freude an
ihrem Sohne haben; und zuweilen, sollt ich meinen, wenn sie ihn das Volk
Gottes mit dem Schwert verfolgen und mit frecher Hand fündigen fah, muß
sie bereit gewesen sein zu sprechen: „Heißt mich nicht mehr Hephziba, sondern
heißt mich Mara, denn der Herr hat mich sehr betrübet." Es ist nicht immer
so, daß das, was uns heute froh macht, uus auch morgen froh macht. W i r
wollen Kinder als ein Erbteil des Herrn betrachten; sie sind die Frende unsres
Herzens und die Vlnmen unsres Hanses. Aber was werden sie uns sein,
wenn die fröhlichen, harmlosen, spielenden Tage der Kindheit verflossen sind?
Wenn Gott nicht seinen Segen mit ihnen sendet, so mag die Vermehrung
unsrer Familie das Leid unsres Lebens werden. Schlechte Leidenschaften und
Neigungen entwickeln sich in unsren Kindern mit ihrem Wachstum, und wenn
die Gnade Gottes nicht ihre sündlichen Triebe dämpft, so mögen wir den
Tag zu beklagen haben, an dem sie geboren wurden. Manasses Name be-
deutet: „Vergeßlichkeit." Ich hoffe, sein Vater vergaß nicht seine Erziehung
und überließ ihn nicht jenen jungen Höflingen, die sich immer in die Paläste
der Könige drängen und von denen man ziemlich sicher annehmen kann, daß
sie der Seele eines jungen Prinzen mehr Eitelkeit als Tugend einflößen und
seine Gunst und Gönnerschaft für die beim Volk beliebte Partei gewinnen
werden. Es gab eine ritualistische Sekte in jenen Tagen, die Götzendienst
trieb und Verachtung auf die evangelischen Brüder ausschüttete, deren Sache
Manage. 738

sein Vater Hiskia so ernst sich angenommen nnd sie sein ganzes Leben lang
verteidigt hatte. Diese neue, von den Heiden importierte Religion hatte ihre
verführerischen Anziehungskräfte. War nicht in ihrem Schaugepräge vieles,
was dem Auge gefiel, und in ihrem Gottesdienst vieles, was das Ohr ent-
zückte? Die schönen Kunstwerke ihrer Götterstatuen und die große Prachtent'
faltung in allen Zeremonien, sagten diese einem gebildeten Geschmack nicht zll?
Die altmodische, puritanische Weise, nur in einem Tempel anzubeten, wo der
Gottesdienst kahl war und es kaum irgend etwas zll sehen gab, ausgenommen
von den Priestern selber, war allmählich veraltet. Wäre es nicht besser, mit
der Zeit fortzuschreiten, sich Baal und Astharoth zuzuweuden, den sinnlichen
Neigungen des gemeinen Volkes Rechnung zll tragen nnd Frenndschafts-
bündnisse mit Völkern zu »lachen, die andre Glaubeusbekenntnisse haben?
Mich sollte es nicht wuudern, wenn sie zu dem jungen Mann in dieser Art
gesprochen hätten, nnd er, — vergessend, was Gott für seinen Vater gethan,
und vergessend, daß in der langen Geschichte des Hauses Iuda das Volk immer
gestraft worden war, wenn es sich zu deu Götzen gewandt hatte, nnd daß
es ihm nur wohlergangen war, wenn es dem lebendigen Gott anhing, — in
die Schlinge gefallen wäre uud mit frecher Hand gesündigt hätte.
Ich werde ihn euch zuerst vorführeu a l s ein w i d r i g e s Ungeheuer
von S ü n d e ; dünn, zweitens, werde ich euch zeigen, wie die Hand Gottes
ihm folgte, bis er ein klägliches Schauspiel des Elends w u r d e ; danu
werden wir — gelobt sei Gott! — in eine klarere Atmosphäre hillaufzusteigen
haben, wenn wir ihn euch darstellen als das, was er nachher wurde, e i n
W u n d e r der Gnade; uud endlich werden wir ihn zu bewundern haben als
ein köstliches V i l d echter Buße.

I.
Wir müssen damit beginnen, daß wir ihn als e i n w i d r i g e s Mn>
geheuer V o n S ü n d e betrachten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend
einer von meinen Hörern ein so großer Sünder wie Manasse gewesen sein
kann. Ich will nicht versuche», einen Vergleich zwischen ihm und irgend
einem andren zu ziehen. Doch würde ich mich nicht wundern, wenn einige
von euch dahin geführt würden, für sich selber einen solchen Vergleich zll
ziehen. Wenn das, so bitte ich den Herrn, euch ein solches Gefühl eurer
Schuld zll geben, daß es euch zwingt, Vergebung zu suchen.
Schwer war das Vergehen und trotzig die Gottlosigkeit Manasses, daß
er all die guteil Werke seines frommen Vaters zunichte machte. Was Hiskia
mühsam an dem Gewebe gewirkt hatte, begann er aufzutrennen, so schnell er
konnte. Was der Vater für Gott aufgebaut hatte, riß der Sohu nieder; und
was der Vater niedergeworfen hatte, weil es böse war, begann der Sohlt so»
734 Alttcstameutliche Bilder.

fort wiederherzustellen. Ich muß bekennen, ich habe Söhne das Gleiche thun
sehen. Weil sie ihres Vaters Frömmigkeit haßten, die ein Zügel für ihre
Sünde war, gelobten sie, daß, wenn sie je die Macht bekämen, zu thun wie
sie wünschten, eine Änderung im Hanse sein sollte. Als ich letzte Woche bei
einem gewissen Hause vorbeifuhr, sagte ein Freund zu mir: „Manche Betstunde
ist in jenen« Landhause gehalten, die Leute pflegten von weit her dahinzu«
kommen und zn beten." „Und ist das denn jetzt nicht mehr so," fragte ich,
„werden keine Betstunden dort mehr gehalten?" „ O nein," antwortete er,
„der Vater starb, und fein ruchloser Sohn kam in den Besitz. Eine Vet»
stuude! New. Er verbot seiner Mutter, dergleichen zu versuchen; und
nachdem er ihr alles genommen, was des Habens wert war, und das kleine
Landgut ruiniert hatte, ging er davon, und man hat seit vielen Jahren nichts
von ihm gehört."
Soweit er konnte, hatte er alles niedergerissen, was seinem Vater ge-
hört hatte und ihn an seinen Gott erinnerte. W h i t e f i e l d pflegte von einem
gottlosen Sohn zu erzählen, der gesagt, er wolle nicht in demselben Hause
lebeu, das seiu Vater bewohut hätte, weil jedes Zimmer im Hause nach seines
Vaters Religion röche und er dies nicht ertrage»« könne. Es gibt Leute,
welche in solcher Weise Unheil stiften. Aber ach! junger Mann, du kaunst
nicht in einer fo schrecklichen Weise sündigen, ohne außergewöhnliche Schuld
auf dich zu laden. Es wird dessen gedacht werden, daß du gegell das Licht
sündigst; es wird am letzten großen Tage in Erinnerung gebracht werden, daß
für dich gebetet ward, daß der rechte Weg dich gelehret ward; auch wirst du
nicht so wohlfeil sündigen wie andre — andre, sagte ich? Ich meine solche,
die, wenn sie übertreten, nur einem bösen Beispiel folgen und auf dem Pfade
laufen, den ihre Eltern sie gelehrt haben. O , wie trauere ich über un»
göttliche junge Männer, die ihres Vaters Gott mit Verachtung und Hohn
behandeln.
Manasses Sünde ward erschwert dadurch, daß es ihm gefiel, den aller«
schlimmsten Beispielen zu folgen. Obwohl er in seinem Vater eins der besten
Muster von Reinheit hatte, war ihm das nicht recht, er mußte seine Augen
umherwerfen, um zu sehen, wem er nachahmen könne. Auf wen, denkt ihr, ver>
siel er? Nun, auf Ahab — jenen Ahab, von dem Gott gesagt hatte, daß er
einen jeglichen ans seinem Hause ausrotten wolle und nicht einen übrig lassen;
eine Drohung, die ausgeführt worden war, denn das Blut AHabs war auf
dem Acker Naboths von den Hnnden geleckt worden, und Isebel, sein Weib,
hatten die Hunde gefressen. Dennoch mußte dieser juuge Mann durchaus
Ahab als Vorbild wählen, deshalb stellte er Baal als Gott ans, wie Ahab es
vorzeiten gethan. Die gleiche Thorheit habe ich viele junge Männer in
unsren Tagen begehen sehen. Es mag sein, daß hier einige sind, die niemand
Manasse. 735

gefunden haben, dein sie nachahmen konnten, bis sie zuletzt irgend einen zügel-
losen Menschen, vielleicht aus der Vergangenheit, ausgesucht und zum Führer
erwählt haben. Die Hälfte der Iugeud Englands war zu einer Zeit voll
Lord B y r o n bethört. Der Glanz seines Genies machte sie blind für die
schreckliche Farbe seines Charakters und die Nbschenlichkeit seines Betragens,
und so folgten sie jählings seinem Pfad, weil er, fürwahr, ein großer Mann
und ein Dichter war. Sie affektiertell Witz und sprachen reinen Sittell Hohn.
Wehe den Menschen, deren Empfindungen, deren Sprache und deren Hand-
lungen die Dreistigkeit und Verwegenheit der lasterhaften Charaktere verraten,
mit denen sie wetteifern wollen! Obgleich sie es besser wissen sollten, wählen
sie absichtlich die schlimmsten Vorbilder zur Nachahmung. Was für Un-
geheuerlichkeiten begeht der Mellsch in der Sünde!
Dieser Mallasse suchte sich ungewöhnliche und ausländische Sünden aus.
Schlecht wie Ahab war, hatte er doch nicht die Heere des Himmels augebetet;
das war ein assyrischer Götzendienst, und dieser Mann mußte durchaus von
Assyrien und Babylonien einen Götzendienst einführen, der ganz neu war.
Er richtete das Bild Afchera auf, das ihr vielleicht auf den Platten gesehen
habt, die von Ninive gekommen sind: ein Baum, der Seelen trägt und
der alle Heere des Himmels abbildeil soll. Er ließ dies anfertigen und setzte
es in das Haus Gottes zur Anbetnng. Wir lesen ill den Propheten, daß das
Volk vor dem Tempel zu stehe» und sich vor der aufgehenden Sonne zu
ueigen pflegte und das Heer des Himmels allbetete. Er war nicht zufrieden
mit gewöhnlicher Sünde. Wir haben Sünder dieser Klasse gekannt: sie sind
uicht damit zufrieden, nur zu sündigen, wie andre es thun, sie setzen ihren
Ehrgeiz darin, irgend eine nene Sünde zu erfinden. Wie Tiberius, der einen
Preis dafür ausbot, wenn ihm jemand ein neues Vergnügen erfinden könnte,
wünschten sie eine nene Art der Gottlosigkeit zu entdecken, um die Aufmerksam-
keit auf sich zu lenken. Sie müssen besonders sein ill allein, was sie unter«
nehmen, sogar wenn es dazu kommt, besonders gottlos zu sein. So war
Manasse. Er war nicht zufrieden, mit andren Schritt zu halten, und die
schlechten Sitten seiner Zeit mitzumachen; rasch wie sie flogen, mußte er sie
doch alle überflügeln.
Noch mehr, er beleidigte Gott ills Allgesicht. Hier gipfelte vielleicht seine
Sünde. Es war ihm nicht genug, Götzentempel zn ballen für Götzendienst,
sondern er mußte die Götzen und ihre Altäre in den Tempel Iehovahs setzen.
Solche Anmaßung macht uuser Blut erstarren, wenn wir daran denken. Und
ach! man zittert, es zu sagen, nicht wenige haben so auf ihre Leiber und ihre
Seelen den Fluch des Allmächtige» herabgerufen. So rasend sind sie in ihrer
Übertretung gewesen, daß sie ihre Hand erhoben uud ihrem Schöpfer getrotzt
haben. Wäre Er nicht Gott gewesen — der Gott aller Geduld — so hätte
736 Alttestameutliche Bilder.

Er ihren Trotz geahndet und sie plötzlich in die Hölle hmavgestoße»; aber da
Er Gott ist und kein Mensch, so hat Er sie ertragen. Er ist zu groß, um
durch ihre Beleidigungen aufgebracht zu werden. Er hat sie beiseite gelegt
und ruhen lassen und ihre Unwissenheit nnd Vermessenheit übersehen alls
eine Weile, bis ihre Missethat voll ist; und dann wird Er sie in seiner Ge»
rechtigkeit ihnen auf ihre» Kopf vergelten. Es sind nicht wenige in uusrer
großen Stadt, die beständig alles thun, was sie können, uni Gott zu er>
Zürnen und zu zeigen, wie wenig sie I h n ehren, wie gänzlich sie seine Rechte
an ihren Gehorsam verkennen. Sie schweifen sogar ab, um Lästerungen in
ihrer gewöhnlichen Unterhalt«»«, anzubringen und ihren Widerwillen nnd ihre
Verachtung für alles auszudrücken, was keusch und lieblich, heilig und göttlich
ist. Ein solcher war Manasse. Er richtete die Altäre falscher Götter im Haufe
des lebendigen Gottes auf.
Ist nicht sein Charakter schwarz genug? Nein, wir haben noch nicht
die dicksten Farben aufgetragen. Uns wird gesagt, daß er seine Kinder durchs
Feuer gehen ließ; das heißt, er ließ sie dnrch die rotglühenden Arme des
Moloch gehen, damit sie auf immer, fo lange sie lebten, dieser teuflifchen
Gottheit angehören »lochten. Wenn wir auch nicht behaupten, daß Menschen
dies heutzutage thun, so mallgelt ihnen doch nur wenig an dieser Gransam'
keit und diesem Verbreche». Ma»cher Ma»» lehrt sei» Ki»d, hitzige Getrci»ke
zu trillke»; erzieht es ill Gewohnheiten, die es, wie er weiß, z»r Trunksucht
führen werden; thut fein äußerstes, das Kind durch die glühendrotcn Arme
des Bra»ntweintellfels, des Molochs der Gegenwart, gehen zu lasse». Mancher
Mail» hat sein Ki»d lästern gelehrt; we»» er es sich »icht absichtlich vor»
ge»omme», hat er es doch wirklich dahi» gebracht, i» vollem Bewußtsein dessen,
was er that. Was war seil: Beispiel andres, als ein absichtlicher Unterricht?
Ach, es gibt Lente, die Freude an den Sünden ihrer Kinder zn haben
scheinen und über die Gottlosigkeiten lachen, - die sie ihre eignen Kinder gelehrt
haben. Spreche ich zu eiuem Vater, der viele Jahre lang niemals am So»»-
tag ei» Gotteshaus besuchte, — der oft betruuken uud taumelnd nach Haus
gegangen, und nun, obgleich selbst etwas gebessert, seinen Sohn sich in jedes
Laster stürzen sieht, in dem er selbst einst lebte? Laß mich dich frage»:
Wunderst du dich darüber? Wunderst du dich darüber? D u hast deine
Kinder durch die Flammen gehen lassen, wie ist es dal»» zu verwu»dern, daß
sie versengt sind und der Geruch des Fellers au ihnen ist? O, es ist eine
schreiende Sünde, daß die Menschen nicht nur selbst zur Hölle gehen wollen,
sondern, daß sie auch noch ihre Kinder mit sich schleppen müssen. Mancher
Mann ist nicht zufriede», sich selbst zu ruiuiere», so»der» muß auch noch ein
junges Weib zu Grunde richten, das einst vielleicht religiösen Sinn hatte. Er
wird ihr Gatte und verbietet ihr, das Gotteshaus zu befuchen. Seine Kinder
M a nasse. 737

mögen zur Sonntagsschule geschickt werden, nm sie am Nachmittage los zn


sein, aber alles Gnte, das sie dort lernen, ist schnell wieder verflogen bei den
Auftritten und Worten, die sie unter dem Dach ihres Hauses sehen und hören.
Eine Menge von Leuten in dieser Stadt — wir wissen es und sie müssen es
selbst wissen, ruinieren ihre Kinder, führen Überlegterweise ihr Verderben herbei.
Ist dies eine geringe Sünde, ein unbedeutender I r r t u m in ihrer Erziehung?
Sicherlich nicht.
Manasse ging aber noch weiter, denn er machte ein Bündnis mit den
Teufeln. Es gab zu seiner Zeit gewisse Personen, welche behaupteten, mit
abgeschiedenen Geistern zu sprechen und annahmen, daß der Teufel die Mittel
hätte, ihnen Zukünftiges zu enthüllen. Nun, ob dieser Verkehr mit Haus»
geistern eine Täuschung und Iüge ist, wie ich es vermute, oder ob ein Geheimnis.
Satans darin einbegriffen ist, weiß ich nicht; aber gewiß ist, daß Manasse
versuchte, dem Teufel so nahe zu kommen, als er's vermochte. Wenn er ihn
zum Freund erhalten konnte, so war er's wohl zufrieden, einen Bund mit der
Hölle zu machen, falls dies nur seinen Zwecken entsprach. Wenn er nur gutes
Glück hatte, so kümmerte er sich wenig um Gott; er befragte einen Zauberer.
Der Aberglaube führte ihn dazu, aber das Wort Gottes verachtete er gänzlich.
Und es gibt einige, die dies gethan haben, einige hier Anwesende vielleicht. Ich
will nicht annehmen, daß sie sich jenem albernen Aberglauben hingegeben oder
ihre Zuflucht zu jenen betrügerischen oder betrogenen „Mediens" genommen
haben, die ihre Kunst im Dunkeln ausüben. Ich sollte denken, in diesen
neueren Zeiten der Volksbildung wäre jeder reif, in ein Irrenhaus gesperrt
zu werden, der sich in dieser Schlinge fangen ließe. Bildung sollte euch vor
Betrug schützen. Aber es gibt Leute, die, wenn der Teufel ihnen nur helfen
wollte, ihm fröhlich genug die Hand schütteln würden und sagen: „Will-
kommen, Freund, freu' mich, dich zu treffen." Wenn sie den Teufel nicht be-
wirten, so ist es nicht ihre Schnld. Sie haben den Tisch für ihn gedeckt und
das Haus für ihn eingerichtet und machen sich ganz bereit für jeden bösen
Geist, der zu ihnen kommen will. O, was für ein Frevel ist dies? sie wollen
nicht Gott haben, sie wollen Satan haben. Sie stoßen den großen Vater im
Himmel von sich, aber den Erzfeind der Seelen — mit ihm schließen sie eine
Verbindung und machen einen Bund mit ihm. Konnte die Sünde noch weiter
gehen? Sie konnte es und sie that es; denn dieser Mann führte das ganze
Volk in die I r r e . Als König hatte er große Macht, und er brauchte seine
Autorität und übte feinen Einfluß aus, um seine Unterthanen zu verleiten,
seinem lasterhaften Beispiel zu folgen. Ich stelle mir oft vor, was das Ent-
setzen eines Menschen sein wird, der in grober Sünde gelebt hat, wenn er in
der andren Welt denjenigen begegnet, die er verraten und zur Missethat ver-
führt hat, wenn er in dem trüben Dunkel jenes unerträglichen Abgrundes ein
SPUlgeon, Alttestamentltche Vllder. 47
738 Älttestamentliche Bilder.

Paar Augen zu sehen beginnt, die ihn zu fesseln und zu halten scheinen. Er
erkennt sie; er hat sie früher irgendwo gesehen, und diese Augen blitzen Feuer
in feine Seele, als wenn sie ihn ganz verzehren wollten, und eine Stimme
sagt: „Tausend Flüche über dich! Du bist der, der mich zuerst in die Sünde
brachte — mich von einem tugendhaften Heim und von gottesfürchtigen
Freunden hinweglockte, nm an deiner Missethat teilzunehmen. Verderben über
dich auf ewig!" Was für Gesellschaft werden sie aneinander haben an diesem
Ort der Qual! Wie werden sie mit den Zähnen knirschen in schrecklicher Wut
und einer den andren allklagen, daß er sein Verderber gewesen. O, es ist
Wehe genug für einen Mann aufbehalten, der sich selbst ruiniert, aber wer
kann die Qualen nennen, die dessen Seele martern werden, der seine Mit«
geschöpft verrät und sie in ewiges Elend stürzt? Wahrlich, lieben Freunde,
wir stehen entsetzt vor dem Bilde eines solchen Mannes wie Manasse; er setzt
seiner Sünde keine Grenze. Er sündigte mit beiden Händen gierig, und als
die Voten Gottes kamen, ihm dies zu sagen, ward er zornig über sie. Die
Überlieferung sagt, daß er den Propheten Iesaia ill zwei Hälften sägen ließ,
weil er es wagte, ihn zu tadelu. Aber nicht aus der Überlieferung, sondern
aus der Offenbarung lernen wir, daß er Jerusalem in Vlut schwimmen ließ
von einem Ende bis zum andren und alle tötete, die nicht auf seinen Wegen
wandeln und seinem Beispiel folgen wollten. Verfolgung der Heiligen Gottes
ist eine scharlachrote Sünde, die lallt zum Himmel uni Nache schreit. Manasse
war neben andren Verbrechen auch dieser Sttude schuldig.

II.
Meinem Herzen ist weh und meine Zunge ist der Erzählung müde.
Laßt mich zu einem andren Teil der Erzählung übergehen. Dieses schreckliche
Ungeheuer von Schuld wurde bald e i n besondere« Kchauspiel d e s
E l e n d s . Wenige Worte werden genügen, das zu beschreibe». Der assyrische
König sandte feinen Hauptmann, Tartan, der die Stadt belagerte, bis sie
zerstört ward und der König floh. Es scheint, daß er sich in einem Dorn»
gebüfch verbarg und herausgezogen und an Händen und Füßen mit schweren
Eisenketten gefesselt wurde. Es ist bis auf diese Zeit eine Darstellung erhalten
geblieben von einem jüdischen König — wir können nicht sicher sein, daß es
Manasse ist — der vor den König von Babylon geschleppt wird. Jedenfalls
zeigt sie uns, wie Manasse behandelt wurde, ob das Gleiche einem andren
jüdischen Könige geschah oder nicht. Er hat zwei Ringe — einen Ring an
jedem Knöchel und einen schweren Bolzen dazwischen, und seine Hände sind in
derselben Art gefesselt. Er wird vor den König zu Babylon gebracht. Hier
scheint er ins Gefängnis geworfen und eingekerkert gehalten zu fein. Die
Grausamkeiten der assyrischen Monarchen werden durch die Denkmäler an den
Manasse. 739

Wänden ihrer eignen Paläste bezeugt, darum kann ich der Erzählung des
H i e r o n y m u s vollen Glauben schenken, daß dieser Manafse selbst in ein
ehernes Gefäß gesetzt ward, das bis zum äußersten Grade erhitzt wurde, und
daß der assyrische König ihn höhnte, weil er sein eignes Kind in derselben
Weise durchs Feuer hatte gehen lassen. Daß er manchen langen Monat in
einem dunklen und traurigen Kerker zubringen mußte, wo nnr soviel Brot
und Essig ihm gegeben wurde, als zur Erhaltung seines Lebens notwendig
war, scheint gewiß. Er muß elend bis zum äußersten Grade gewesen sein —
seine Krone dahin, seil: Königreich verwüstet, seine Unterthanen in unerhörten!
Elend schmachtend. Uns wird gesagt, daß das Unglück, welches Gott über
das Land brachte, ein solches war, von dem, der es hörte, seine beiden Ohren
gellten. Darum wird auch der König unbeschreibliche Leiden von der Hand
des assyrischen Tyrannen erduldet haben. Ah, Sünder, obgleich du dich in
deinen Übertretungen verhärtest, wirst du nicht ungestraft bleiben. Ein bitteres
Ende wartet deiner. Sorglos wie du bist, junger Mann, wird doch deines
Vaters Gott sich nicht immer spotten lassen. D u hast dein Weib und deinen
Freund verfolgt, aber ihr Unglück wird binnen kurzer Zeit in deinen eignen
Busen zurückkehren. Deine Anmaßung wird ein Ende nehmen und dein Lohn
seinen Anfang. O, ich wünsche, deine Missethat käme bald zu Ende, und dies
Ende wäre deine Bekehrung. Wenn es nicht hierzu kommt, so ist deine Aus»
ficht iu der That trübe, denn dein gänzliches Verderben wird den Lauf, den
du nimmst, beschließen.
Vielleicht spräche ich zu einem, der in herzloser Sünde gelebt hat, bis er in
hilfloses Elend gesunken ist. Es scheint, als wenn in dieser Menschenmenge
auf dich hingewiesen wird, denn dein Herz ist nahe daran, vor Schmerz zu
brechen. Dein Vermögen ist verloren, deine Gesundheit zerstört, dein Ruf ver«
nichtet; du bist ein bloßes Wrack, ein aufgegebenes Schiff, das auf dem dunklen
Meer treibt. Es ist niemand da, der Mitleid mit dir hätte. D u bist ein
Ausgestoßener. Sogar deine alten Gefährten haben dich verlassen. Der Teufel
selbst scheint dich treiben zu lasse». D u bist ganz vereinsamt und »lochtest auf»
schreien und deine eigne Totenglocke läuten: „Verloren! verloren! verloren!"
Nun, ich habe eine Votschaft von Gott an dich. Ich komme, uni mit dir im
Name» Gottes über diesen Mann Manasse zu sprechen, in der Hoffnung, es
werde auch in bezug auf dich wahr sein, daß du, uachdem du ein Ungeheuer
von Sünde und ein Schauspiel des Elends gewesen bist, nun auch, wie Manasse
es ward, ein Denkmal der Gnade wirst.

III.
G i n W u n d e r der Gnade. O, ich staune über Manasses Si'mde
nicht halb so sehr als über Gottes Barmherzigkeit. Da war der Mann im
47'
740 Alttestamentliche Bilder.

Gefängnis: er hatte nie an seinen Gott gedacht, ausgenommen um seilte Herr-


schaft zu verachten und seine Gesetze zu übertreten, bis er in diesen Kerker
eingemauert ward. Dann fing sein Stolz an zu brechen; sein hochmütiger
Sinn mußte zuletzt nachgeben. „Wer ist Jehovah, daß ich I h m dienen sollte?"
hatte er oft gesagt. Aber jetzt ist er in Iehouahs Hand. Halb verhungert
im Gefängnis liegend, ein zertretener Mann, beginnt er zu schreien: „Jehovah,
was für ei» Narr bin ich gewesen! Ich habe D i r Trotz geboten, bis zuletzt
Deine unumschränkte Macht mich aufgehalteu und Deiue uuendliche Gerechtigkeit
begonnen hat, meine Missethaten zu rächen. Was soll ich thun? Wo soll ich
mich vor Deinem Zorn verbergen? Wie kann ich entrinnen? Ist es möglich.
Deine Vergebung zu erlangen?" Er begann sich zu demütigen; Gottes Geist
kam und demütigte ihn immer mehr; er sah, wie thöricht er gewesen war, wie
gottlos sein Charakter, wie gransam, wie abscheulich seilt Verfahren. So brachte
er Tage und Nä'chle mit Weinen und Klagen zu. Es war nicht das Ge-
fängnis, das ihm am härtesten war, seine Seele war ill eiserne Bande geschlagen.
Da zuckte es plötzlich durch seine Seele, daß Gott Erbarmen mit ihm haben könne,
und er begann zu beten. O, was für ein zitterndes Gebet war jenes erste.
Mich deucht, Satan sagte zu ihm: „Es nützt dir nichts zu beten, Manasfe.
D u hast dem lebeudigen Gott ins Angesicht getrotzt; Er wird dir sagen, daß
du zu den Götzen gehen sollst, denen du gedient hast, und dich an die Bilder
wenden, die du aufgerichtet, und dich vor dem Heer des Himmels beugen, das
du aligebetet, und sehen, was diese all für dich thun können." Nein, in seiner
furchtbaren Verzweiflung fühlte er, daß er beten müsse, und gewiß, das erste
Gebet, das er hinauf seufzte, muß gewesen sein: „Gott sei mir Sünder gnädig."
Und nl seiner tiefen Erniedrigung fuhr er inimer noch fort zu beten und zu
Gott zu flehen. Und uuser Vater, der im Himmel ist, hörte ihn. Sobald
ihr I h m ein betendes Herz bringen könnt, will. Er euch eine vergebende Antwort
bringen. Sobald Er sein armes Kind gebrochen sah und es sein Unrecht
bekannte, hatte Er Mitleid mit ihm, Er hörte und erhörte Manasse, und ver>
tilgte seine Misfethat wie eine Wolke und seine Sünde wie den Nebel. Ich
denke, ich sehe Manasse mit seinem Bissen Brot, niemals genug, seinen Hunger
zu stillen, und seinem kleinen Tropfen Essig, zu sich selber sagen: „ A h , ich
verdiene nicht dieses!" Er dankte Gott selbst für diese kärgliche Nation in der
Tiefe seines Gewahrsams in dem Gefühl, daß es Gnade war, die ihn leben
ließ. „Warum sollte ein lebendiger Mensch klagen, ein Mensch über die Strafe
seiner Sünde?" (Klaget. Ieremias 3, 39.) Und so geschah es, daß er die
Freiheit wieder erhielt. Der König von Assyrien beschloß aus politischen
Gründe», die ich nicht zu erwähnen brauche, den König wieder auf seinen
Thron zu setzen. Er dachte, er hätte ihn genug gebrochen und gedemütigt, er
würde einen guten Vizekönig und einen treuen Statthalter abgeben und bange
Manasse. 741

sein, sich wieder zu empören; so öffnete er eines schönen Tages Manasses Ge«
fängnis weit nnd sagte ihm, daß er ihn wieder nach Jerusalem senden wollte.
Und als er ihm das sagte, da wußte Manasse, daß Jehovah Gott sei. Dieser
Schluß wurde ihm aufgezwungen durch die Gnade, die er empfing. „Wer
anders," mußte er sagen, „als der höchste Gott hätte mich aus diesem schreck»
lichen Kerker herausbringen, mich von der Macht des tyrannischen Königs
erlösen oder sein Herz bewegen können, nachzugeben uud Mitleid mit mir zu
haben?" Als er zurück nach Jerusalem fuhr, wie brach sein Herz fast vor
Dankbarkeit! Mich deucht, ich sehe ihn, als er zuerst wieder die Mauern des
Tempels erblickte, den er so übermütig entweiht hatte. Gewiß, er warf sich
auf sein Antlitz und weinte sehr, und stand dann auf und lobte den Namen des
Herrn, der all seine Übertretuugen vergeben hatte. Und als er in Ierusulem
einzog und das Volk sich um ihn sammelte, wie muß die Begrüßung gewesen
sein. Wo sind jene Höflinge, die seine Gefährten gewesen waren, die ihn znr
Sünde verleitet hatten, kommen sie nnd wimmern um ihn herum? Was für
eine Abweisung werden sie erhalten! Wie wird er ausrufen: „Geht hinweg.
Ich bin ein andrer Mensch, ich will nicht eure Gesellschaft oder euren Rat."
Sind einige von jenen armen Leuten da, die im Hintergründe stehen — die
Leute, die zusammenzukommen pflegten, um zu beten und Jehovah anzubeten,
treu erfunden unter den Untreuen — solche, die ihre Bibel zu verstecken
pflegten, weil sie von einem Zufluchtsort zum andren gejagt und gehetzt
wurden, ein paar Übriggebliebene, die den Klauen der Verfolger entgingen —
kommen sie vorwärts? Wie blickt er sie an und sagt: „ A h , ihr Knechte
Iehovahs, ihr seid meine Brüder. Gebt mir eure Hand, denn auch ich habe
Barmherzigkeit von: Himmel gefunden und bin, wie ihr, ein Kind Gottes."
Ich bürge euch dafür, es war Singen an dem Abend in Jerusalem bei der
kleinen Schar treuer Gläubiger; und es muß Singen auch im Himmel
gewesen sein, denn die Engel müssen sich gefreut haben über eine Bekehrung,
die so unwahrscheinlich, so unglaublich schien.
„Was? Manasse errettet? Manasse, dieser Bluthund, ist er durch Er»
Neuerung seines Sinnes in ein Lamm der Herde Gottes verwandelt? Was?
er, der blutbefleckte Verfolger, ist er ein Vekenner des Glaubens geworden,
den er einst ausrotten wollte?" Ach ja! Wohl mag Vifchof H a l l fagen:
„Wer kann sich beklagen, daß der Weg zum Himmel ihm versperrt sei, wenn
er einen solchen Sünder eingehen sieht? Klage dich des Schlimmsten an, du
geängstete Seele l Hier ist einer, der Menschen mordete, Gott trotzte und Teufel
anbetete, dennoch findet er den Weg zur Buße. Wenn du lasterhaft bist wie
er, wisse, daß nicht deine Sünde, sondern deine Unbußfertigkeit es ist, die dir
den Himmel verschließt. Wer kann nun an Deiner Gnade verzweifeln, o
Gott, der die Thränen eines Manasse angenommen sieht?" — Ich kannte eine
742 Alttestamentliche Vilder.

alte Dame, die nicht auf der Eisenbahn fahren wollte, weil sie glaubte, daß
einige Brücken in schlechtem Zustande seien, insbesondere die Brücke nahe bei
ihrem Hause. Sie konnte nicht überredet werden, diese zu passieren, weil sie
fürchtete, daß sie unter ihrem Gewicht niederbrechen würde, obgleich Tausende
von Zentnern jeden Tag hinübergefahren wurden. Über solche Thorheit kann
jeder lächeln. Aber wenn ich jemand sagen höre: „Ich habe so viel Sünde be«
gangen, daß Gott sie nicht vergeben kann," so denke ich, daß seine Thorheit
noch weit größer ist. Seht diesen ungeheuren Zug an, der über die Brücke
ging; seht Manasse beladen mit schweren Verbrechen! Merkt, welch ein Zug
von Sünden hinter ihm ist! Dann seht auf die Brücke und achtet darauf,
ob sie schwankt unter den Lasten von Sünden, die über sie dahin rollen.
Ah, nein, sie trägt dieselben und sie würde das Gewicht tragen, wenn alle
Sünden, die je von Menschen gethan sind, über ihre Bogen dahin rollten.
Christus ist im stände, „bis zum äußersten alle zu erretten, die durch I h n zu
Gott kommen." Ich weiß nicht, wo meine Augen denjenigen suchen sollen, an
den diese Botschaft gerichtet ist; daß er irgendwo in dieser Versammlung ist,
daran hege ich keinen Zweifel. Spreche ich zu einer Schwester, die in einer
unbewachten Stunde den Pfad der Tugend verließ und feitdem den Weg der
Schande gegangen ist? Ich bitte dich, nimm die Votschaft an, ich über-
bringe sie dir: die größte Sünde, die äußerste Schuld, die uuglaublichste
Missethat, die schändlichsten Übertretungen können vergeben und sollen aus»
getilgt werden. Der Erlöser lebt, das Opfer ist dargebracht, der Bund ist
besiegelt. Wende dich nun zum Herrn von ganzem Herzen, bekenne deine
Sünden, gib dein Ich auf. Traue auf die unendliche Gnade Gottes in Christo
Jesu, seinem Sohn. „Der Gottlose lasse von seinem Wege ab, und der
Übelthäter von seinen Gedanken, und bekehre sich zum Herrn, so wird Er sich
seiner erbarmen, und zu unsrem Gott, denn bei I h m ist viel Vergebung."

IV.
Unsre Schlußbetrachtuug ist die, daß Wanasse e i n O t t d w a h r e r
Süße wurde.
Sogleich hörte er auf. Böses zu thun. Er ging geradeswegs zum
Tempel und riß die Götzen nieder. Wie gern wäre ich mit ihm gewesen und
hätte mit Hand angelegt beim Zerstören derselben! Heruuter stürzten die
Bilder, dann wurden die Altäre niedergerissen, jeder Stein wurde aus der
Stadt geschafft und hinweggeworfen. Gott gebe, daß jeder Altar und jedes
B i l d in unsrem Lande niedergerissen, in Stücke zertrümmert und der Staub
davon in die Gossen geworfen werde! Möge das, was ein äußerster Greuel
vor dem Himmel ist, gerechten Unwillen auf Erden erregen. O, daß unser
Land so protestantisch wäre, daß keine Achtung vor schönen Künsten es die
Manasse. 743

faulen Gottseligkeiten dulden ließe! Manasse beeilte sich, den Schaden gut
zu machen, den er angerichtet. Dies ist's, was jeder Bekehrte zu thnu ver>
sucht, alles Böse, was er veranlaßt hat, bemüht er sich aufzuhallen; er nimmt
Rache an seinen früheren Erfindungen; seine beiden Hände hebt er gegen sie
auf, läßt seine Stimme laut werden und übt seinen Einfluß alls.
Überdies genügte nicht: Manasse begann sofort, Gutes zu thun. Schnell
fing er an, den Altar des Herrn auszubessern, die Gottesdienste lind die Ver«
richtungen des Tempels ill ihrer ursprünglichen Reinheit nach dem Gesetze
Gottes wiederherzustellen. So wird ein wahrhaft Bekehrter wünschen, sich an
das Volk Gottes anzuschließen und nach den Ordnungen seines Hauses sich zu
richten. Manasse unterdrückte seine Dankbarkeit nicht, sondern brachte Gott
Dankopfer dar; er vergaß nicht die frommen Tribute, die er für die große
empfangene Gnade schuldig war. Gleich jener großen Sünderin, deren Dank«
barkeit im Evangelium berichtet wird, — das Weib, das ein Glas mit Salbe
brachte und es zerbrach — gleich ihr, denke ich, liebte er viel, weil ihm viel
vergeben war.
Und dann, in sein Reich wieder eingesetzt, fing er an, seinen hohen Ein»
ftllß für heilige Zwecke zn gebrauchen. Er regierte seine Unterthanen in der
Furcht des Herrn und »lachte das Gesetz Gottes zum Gesetz des Lalldes, indem
er allen fremden Göttern entsagte, und sich streng an das göttlich inspirierte
Buch hielt. O, daß Gott das Herz eines reuige» Sünders hier sogleich geueigt
machte, diese Frucht der Bekehrung zu bringen. Was für eine Veränderung
würde in seinem Hause sein! Was für einen Unterschied würde seine Familie
sehen l Was für ein verwandelter Mann würde er in seinem täglichen Berufe
sein, ob er Arbeitgeber oder Arbeiter wäre! Er würde die Bekehrung derer
suchen, die er früher irre geleitet; die, welche er einst verhöhnte uuo mit Schimpf»
namen belegte, würden feine liebsten Gefährten werden. „Kann Gott dies
thun?" sagt einer. O, meine lieben Hörer, der Gott, der große Sünden
vergeben kann, kann auch harte Herzeu wandeln. Ruft I h u an; wenn ihr
unerrettet seid, leite euch sein Geist dahin, jetzt Errettung zu suchen. Wartet
nicht bis zur nächsten Morgensonne. Wenn ihr selbst errettet seid, so leite der
Heilige Geist euch dazu, für andre zu beten uud ihr jetziges uud ewiges Wohl
zu sucheu. Wachet und betet, laßt euren eignen Glauben an Gott euch an»
treiben, zu glauben, daß alle Dinge möglich sind. Gebt sie nie auf, gebt sie
nie auf. Bist du eine Mutter, du weißt uicht, wie mächtig sich deine Für»
bitte erweisen kann. Ich «lochte wissen, ob die arme Hevhziba noch am Leben
war, als Manasse bekehrt wurde. Sie hatte ohne Zweifel in seiueu jungen
Tagen um ihn getrauert. Wohl, weun sie es nicht erlebte, die Frucht ihrer
Gebete zu sehen, so lebten doch ihre Gebete, und ihre Thränen wurden mit
reichen Zinsen wiederbezahlt. Es ist mancher Mutter Sohn da, dessen Herz
744 Alttestamcntliche Bilder.

sich zu Gott wenden wird, lange nachdem seiner Mutter Gebeine in den
Kirchhof gelegt sind. „Die Weissagung wird ja »loch erfüllet werden zu seiner
Zeit; ob sie aber verziehet, so harre ihrer." Dein Sohn wird noch zur
Seligkeit gebracht werden durch deine Gebete. Fahrt fort zu beten, Brüder
und Schwestern, für die, deren Sünden und Schmerzen euch schwer auf dem
Herzen liegen. Fahrt fort zu beten, und Gott wird euch hören. O, anner
Sünder, die Gnade Gottes ist das Gegenmittel für des Menschen Verzweiflung.
Glaubt an seine Gnade, sucht feine Gnade. Werfet euch auf seine Gnade,
und ihr werdet seine Gnade finden zum ewigen Leben. Amen.
Daniels unerschrockener Mnt. 745

5«.

Daniels unerschrockener M u t .
„Als nun Daniel erfuhr, daß solch Gebot nnterschneben wäre,
ging er hinauf in sein Haus (er hatte aber an seinem Sommerhause
offene Fenster gegen Jerusalem). Und er fiel des Tages dreimal auf
seine Kniee, betete, lobte und dankte seinem Gott, wie er denn vorhin
zu thun Pflegte." Dan. 6, 10.

3 a n i e l war zu einer hohen weltlichen Stellung erhoben, aber seine


Seele war auch eine erhobene. Oft bedeutet äußerer Fortschritt innere Ab«
nähme. Zehntausende sind durch Erfolg berauscht worden. Obwohl sie sich
gut anließen, als sie den Lauf begannen, um den Preis zu gewinnen, kamen
sie in Versuchung, sich abzuwenden, die goldenen Äpfel zu pflücken, und gingen
so der Krone verlustig. Es war nicht so mit Daniel — er war ebenso lauter
vor Gott in seinem hohen Stande als in seinen niederen Tagen; und dies
erklärt sich daraus, daß er die Energie seines äußerlichen Bekenntnisses dnrch
beständige, verborgene Gemeinschaft mit Gott aufrecht hielt. Es war, wie
uns gesagt wird, ein hoher Geist in ihm, und er war ein Mann des Gebetes;
daher ward ihm der Kopf nicht durch feine Erhöhung verdreht, sondern der
Herr hatte an ihm seine Verheißung erfüllt: „die Füße seiner Knechte gleich
den Füßen der Hinden zu machen, daß sie können stehen auf den hohen
Orten." (2 Sani. 22, 34.) Doch obwohl Daniel feine Lauterkeit bewahrte,
so fand er seine Stellung keine ruhige. Wie die Vögel an den reifsten
Früchten picken, so griffen seine neidischen Gegner ihn a n ; und wie die hervor»
ragendsten Krieger die Pfeile des Feindes am meisten anziehen, so zogen die
Ehren Daniels ihm viel Feindschaft zu. Sucht also nicht, Geliebte, sucht also
nicht mit übermäßigem Verlangen oder unrnhigem Ehrgeiz groß unter den
Großen der Erde zu sein. Es gibt köstlichere Dinge als Ehre und Reichtum.
Ein persischer König, der zweien seiner Hofleute ein Zeichen seiner Huld geben
wollte, gab dem einen einen goldenen Becher nnd dem andren einen Kuß: der,
welcher den Becher empfangen, fühlte sich zurückgesetzt und beneidete den
746 Alttestamentliche Bilder.

Hofmann, der den Kuß von des Herrfchers eignem Munde erhalten hatte.
Und laßt mich fagen, möge, wer da will, die Reichtümer und Ehren der Welt
bekommen, welche ihren goldenen Becher ausmachen, wenn ihr den Kuß der
Huld von Gottes Lippen empfanget nnd desfen Süßigkeit in eurer innersten
Seele fühlt, fo habt ihr mehr als sie erhalten; ihr habt keinen Grund, zu
klagen, ob dieser Kuß auch in Armut und Krankheit zu euch käme, sondern
solltet euch freuen, daß Gott euch würdig geachtet in seiner unendlichell Gnade,
mehr geistliche Güter zu empfangen, öd ihr auch welliger weltliche habt.
L u t h e r erklärte, alle Größe der Welt sei uur ein Knochen, den Gott einem
Hunde zuwürfe, „denn," fagte er, „ E r gibt dem Papst und dein Türken mehr
als allen seinen Heiligen zusammen," und so ist es wahrlich. Groß, vornehm
und reich zu sein, mag das Los eines Hamans sein, der an einen Galgen
gehängt wird, während Gottes wahrer Knecht im Thore sitzen mag und Ver«
achtung tragen wie Mardachai. Besser mit Lazarus leiden, als mit dem
reichen Mann schwelgen, denn die Liebe Gottes entschädigt reichlich für zeitliche
Nachteile. Besser eine Unze göttlicher Gnade, als eine Tonne weltlicher Güter.
Obwohl das Gute nicht kommt in Gestalt der Segnungen linker Hand, des
äußeren Glückes, so sei mehr als zufrieden, wenn du den Segen rechter Hand,
der geistlichen Freude gewinnst.
Das Beispiel des Daniel stelle ich heute eurer Betrachtung vor, in dem
Glaube», daß dies Zeiten sind, wo es uns not thut, ebenso fest und ent»
schlössen zu sein, wie er, und daß jedenfalls für einen jeglichen unter uns,
ehe wir unsre Krone gewinnen, Gelegenheit kommen werde, wo wir unsren
Fllß fest niedersetzen und standhaft und nachgiebig für den Herrn und seine
Wahrheit sein müssen.

I.
Zuerst laßt mich eure Aufmerksamkeit lenken auf D a n i e l s g e w o h n t e
A n d a c h t : sie ist uusrer eingehenden Betrachtung würdig. W i r hätten vielleicht
nie etwas davon gewußt, wenn er nicht so schwer geprüft worden wäre, aber
Feuer bringt das verborgene Gold zu Tage.
D a n i e l s gewohnte Andacht. Uns wird gesagt, daß er früher vor
der Prüfung die beständige Gewohnheit des Gebets hatte. E r betete v i e l .
Es gibt eillige Formen des geistlichen Lebens, die nicht durchaus wesentlich
silld, aber das Gebet gehört zum eigentlichen Wesen desselben. Wer kein
Gebet hat, dem fehlt der eigentliche Odem des göttlichen Lebens in der Seele.
Ich will nicht fagen, daß jeder, der betet, ein Ehrist ist, aber ich will sagen,
daß jeder, der aufrichtig betet, es ist; gedenkt darall, Menschen mögen auf
eine Art beten und fogar in ihrem Kämmerlein beten, und doch sich selbst
täuschen; denn wie die Frösche hinauf in die Schlafzimmer kamen, fo drängt
Daniels unerschrockener Mut. 747

die Heuchelei sich ein in die verborgenen Orte, wo die Menschen vorgeben,
Gott zu verehren; indes sage ich, daß eine fröhliche Beständigkeit in aufrichtiger,
einsamer Andacht ein solches Merkmal der Gllade ist, daß der, welcher sie hat,
daraus schließen «lag, daß er ein Kind Gottes ist.
Daniel hatte stets Gegenstände für das Gebet und Ursachen zum Gebet.
Er betete für sich selber, daß er in seiner hohen Stellung nicht stolz sich über«
heben, daß er nicht gefangen werden möge ill den Schlingen feiner Neider,
und nicht ill die gewöhnlichen Bedrückungen und Unrechtlichkeiten orientalischer
Herrscher geraten. Er betete für fein Volk. Er fah viele aus dem Hause
I u d a , die nicht in so glücklichen Umständen waren wie er selbst. Er gedachte
derer, die in Banden waren, als wenn er mit ihnen gebunden wäre. Die,
welche Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch waren, brachte
er in den Glaubensarmen vor seinen Gott. Er bat für Jerusalem. Es be»
trübte ihn, daß die Stadt wüste lag, daß immer noch das Brandmal der
chaldä'ischen Zerstörer auf dein Berge Zion war, dem schönen, einst die Freude
der ganzeil Erde. Er bat um die Rückkehr aus der Gefangenfchaft, die, wie
er wußte, von Gott verordnet war. Er bat für die Ehre feines Gottes, daß
der Tag kommen möge, da die Götzen ganz abgethan würden, und die ganze
Erde wissen follte, daß Jehovah im Himmel herrscht und uuter dm Menschen«
lindern. Es wäre- köstlich gewesen, am Schlüsselloch von Daniels Kämmerlein
zn horchen, nnd die mächtigen Fürbitten zu hören, die hinauf zum Herrn der
Heerscharen gingen.
Wir lesen ferner, daß er mit all feinen Gebeten D a u k f a g u u g verband.
Beachtet dies, denn fo viele vergessen es. „ E r betete, lobte und dankte feinem
Gott." Gewiß, es ist eine armselige Andacht, die immer bittet uud niemals
Dank darbringt! Soll ich von der Güte Gottes leben nnd I h m niemals
dankell für das, was ich empfange? Gewiß, Gebete, in denen kein Dank ist,
sind selbstsüchtig: sie berauben Gott; nnd will ein Mensch Gott berauben —
Gott berauben sogar in seinen Gebeten — und doch erwarteil, daß seine Ge-
bete Erfolg haben? Habe ich nicht oft hier gesagt, daß Beten und Loben dein
Atmen gleicht, durch das wir leben? W i r atmen die Luft ein nnd atmen sie
dann wiederum aus: das Gebet nimmt tiefe Züge der Liebe und Gnade
Gottes ein, und dann atmet das Lob sie wiederum alls. Daniel hatte gelernt,
ebensowohl zu loben als zu beteil, und Gott jenen süßen Weihrauch dar»
zubringen, der voll verschiedenen Suezereieu gemacht war, von ernsten Wünschen
und Verlangen, mit Dank und Anbetnng gemischt.
Es ist der Beachtung wert, daß der Text sagt:. „Daniel betete, lobte
und dankte seinem Gott." Dies bezeichnet die wahre Seele des Gebets —
dieses vor Gott kommen. O Brüder, ertappt ihr euch nicht oft darauf, daß
ihr zu dem Wind betet und in der Einfamkeit Worte äußert, als wenn ihr
748 Nlttestamentliche Bilder.

nur von den vier Wänden gehört würdet, die euer kleines Zimmer einschließen?
Aber Gebet, wenn es rechter Art ist, kommt vor Gott, fühlt die Majestät des
Gnadenstnhls und sieht das Blut des ewigen Bundes daran gesprengt; es
nimmt wahr, daß Gott uns durch und durch sieht, jeden Gedanken liefet und
jeden Wunsch belltet; ihr fühlt, daß ihr in das Ohr Gottes sprecht und seid
jetzt gewissermaßen i
„Gesunken in der Gottheit tiefstes Meer
Und Unermcßlichteit rings um euch her."

Dies ist beten, wenn wir uns Gott nahen. Mir ist es gleich, wenn ihr
auch nicht ein einziges Wort äußert, falls ihr die Majestät Gottes fo über«
wältigend fühlt, daß Worte nicht am Platze sind; Stillschweigen wird viel
ausdrucksvoller, wenn ihr mit Schluchzen, Thränen und unaussprechlichen
Seufzern euch beugt. Dies ist das Gebet, das von Gott erringt, was es will,
und das der Majestät des Himmels lieb ist. So betete Daniel, lobte und
dankte, nicht vor Menschen, um von ihnen gesehen zu werden, nicht in der
Einsamkeit vor sich selber, um sein Gewissen zufrieden zu stellen, sondern „vor
seinem Gott," vor dem er dreimal täglich Gehör hatte.
Dies kleine Wort „seinem" muß ich indes nicht übergehen. Er betete
und dankte „seinem Gott." Er sprach nicht zu Gott bloß als Gott, der
allem und jedem gehören könnte, sondern seinem Gott, dein er sich verbunden
hatte durch einen feierlichen Beschluß, nicht von seinem Dienste zu weichen,
und dieser Beschluß war die Folge davon, daß Gott beschlossen hatte, ihn zu
erwählen, ihn zu seinem Eigentum zu machen nnd ihn anszusoudern zu seinem
Lobe. Seinem Gott. Es scheint mir das Wort „Bund" zurückzurufen,
seinem „Vundesgott," als wenn er einen Bund mit Gott geschlossen hätte
nach dem Worte des Allerhöchsten: „Ich will ihr Gott fein, und sie sollen
mein Volk sein." Ein wahrer Sohn Abrahams, Isaaks und Jakobs war
dieser Daniel, als er Gott ansah wie seinen Gott, sein Eigentum, I h n be»
anspruchte, und singen konnte, wie wir es zuweilen in jenem lieblichen Liede
thun: „Er ist mein Gott, mein eigner Gott!" O, zu fühlen, daß der Herr
ganz mir gehört! Mein Gott, mein Gott, wenn kein andrer Menfch I h n be>
anspruchen kann; mein Vater, mein Hirte, mein Freund, mein Herr und
mein Gott! Ja, hier liegt die Macht im Gebet, wenn ein Mann mit Gott
als mit seinem Bundesgott sprechen kann. Diesem Mann kann es nicht miß-
lingen; jeder Pfeil bleibt im Zentrum der Zielscheibe stecken, wenn er „vor
seinem Gott" fleht. Der Mann muß den Engel am Bache Iabok überwinden,
der ihn mit beiden Händen festhält durch einen Glauben, welcher feine Gott-
gewirkten Rechte kennt. Er erbittet nicht Güter voll dem Gott eines andren,
noch verlangt er außerhalb des Bundes etwas, sondern der Gläubige fühlt,
Daniels unerschrockener Mut. 749

daß er seinen eignen Gott um Güter bittet, die schon verheißen und durch
Eid und Vund und Blut ihm gewiß gemacht sind.
Ein paar andre Einzelheiten im Text sind nicht so ganz wichtig, doch
beachtet, daß er d r e i m a l des Tages betete. Das sagt euch nicht, wie oft
er betete, sondern wie oft er in einer betenden Stellung war. Ohne Zweifel
betete er dreihundertmal am Tage, wenn nötig — sein Herz hatte immer
Verkehr mit dein Himmel; aber dreimal am Tage betete er in aller Form.
Man hat mit Recht gesagt, daß wir gewöhnlich drei Mahlzeiten am Tage
nehmen und daß es gilt sein würde, der Seele ebensouiele Mahlzeiten zu
geben. W i r brauchen Führung am Morgen, wir haben abends Vergebung
nötig, bedürfen wir nicht auch der Erfrischung am Mittag? Können wir nicht
um die Mittagszeit sagen: „Sage nur an. D u , den meine Seele liebt, wo
D u weidest, wo D u ruhest im Mittage?" Wenn ihr den Zwischenraum vom
Morgen bis Abend zu lang findet, so legt ein andres goldenes Glied der Kette
ein um Mittag. Es ist keine Regel in der Schrift, wie oft man beten soll,
und keiue Regel, wann man beten soll; es ist des Menschen eignem be>
gnadigten Geiste überlassen, die Zeiten zu bestimmen. W i r haben es nicht
nötig, zu der Knechtschaft des mosaischen Bundes zurückzukommen, unter
Regeln uud Vorschriften zu sein; wir sind dem freien Geiste überlassen, der
seine Heiligen richtig führt. Dennoch, dreimal des Tages ist eine lobens»
werte Zahl.
Beachtet ebenfalls die S t e l l u n g . Diese ist auch von wenig Wichtigkeit,
da wir in der Schrift von Männern lesen, die auf ihrem Bett beteten, mit
dem Gesicht zur Wand gekehrt. W i r lesen uon Dauid, der vor dem Herrn
saß. Eine wie gewöhnliche Stellung war das Stehen vor Gott im Gebet!
doch ist etwas besonders Passendes, vor allem beim einsamen Gebet, in der
Stelluug des Knieens. Es scheint zu sagen: „Ich kann nicht aufrecht vor
Deiner Majestät stehen; ich bin ein Bettler, und ich nehme die Stellung eines
Bettlers a n ; ich bringe meine Bitten vor Dich, großer Gott, mit gebogenem
Knie, in der Stellung eines, der anerkennt, daß er nichts verdient, sondern
sich vor Deiner gnädigen Majestät demütigt." Die Ursache, warum, er bei
der besonderen, im Text erwähnten Gelegenheit kniete, war unzweifelhaft die,
daß er immer gekniet hatte, und deshalb immer knieen wollte, und sich nicht
aus dieser Stellung, geringfügig wie dies sein mochte, durch das Wort eines
Tyrannen vertreiben lassen wollte. Nein, ob die ganze Erde und Hölle auch
gegen ihn wäre, wenn er es mehr zu Gottes Ehre gefuuden hatte, zu knieen,
so wollte er knieen, auch wenn er in die Löwengrube dafür geworfen würde.
Noch eine Bemerkung. Uns wird gesagt, daß Daniel auf seine Knice
fiel und offene Fenster gegen J e r u s a l e m hatte. Dies that er nicht mit
der Absicht, öffentlich zu beten. Es mag sein, daß niemand ihn sehen konnte,
750 Alttestameutllche Bilder.

auch wenn seine Fenster offen waren, ausgenommen die Diener im Hofe. Ich
vermute, das Haus war, wie die ineisten orientalischen Häuser, so gebaut, daß
in der Mitte ein osseuer viereckiger Platz war; und obgleich er nach der
Richtung von Jerusalem sah, gingen die Feilster doch in den Hof, wo er nur
von denen bemerkt wurde, die im Hause wohnten, oder Geschäfte halber
dorthin kamen. Wahrscheinlich kaunten die andren Näte die Stunde, die er
gewöhnlich für seine Andacht bestimmte, und kamen deshalb herein, nm ihn
damit beschäftigt zu siuden. Außerdem müßt ihr bedeuten, daß, obwohl es
hier sonderbar seilt würde, wenn ein Mann bei offenen Feustern beten wollte,
so daß er gehört werden könnte, dies doch bei den Orientalen durchaus nicht
seltsam war, da man die Pharisäer und andre nicht zögern sieht, ihre Andacht
an jedem Ort zu verrichten, wenn die Stunde des Gebetes da ist, lind es
deshalb gar nicht für pharisäisch gehalten ward, wenn er bei offenem Feuster
betete.
Das Feilster nach Jerusalem offen zu haben, mag durch das Gebet
Salomos veranlaßt sein, da er den Herrn bat, wenn das Volk in der Feinde
Land gefangen wäre uud dann den Herrn stlchte, mit dem Gesicht nach dem
heiligen Orte, so möge Er das Gebet hören. Es mag ihm auch geholfen
haben, sich jener teuer» Stadt zu erinnern, zu der das Herz jedes Juden sich
mit Liebe wendet, wie die Nadel nach ihrem Pole zittert. Der Gedanke an
ihre Zerstöruug erhöhte seiuen Erust, die Erinnerung an ihre Sünde demütigte
ihn, uud die Verheißungen in bezug auf sie trösteten ihn. Er wandte sich
gegen Jerusalem. Und was sagt uns dies? Männer und Brüder, es sagt
nns, daß wir Sorge tragen müssen, bei unsrem Gebet die Fenster offen nach
Golgatha zu haben. Kehrt euch weder uach Osten noch nach Westen, aber
laßt eure Seele sich nach dem Kreuze Christi kehren. Das ist der große
Punkt, auf den das Antlitz aller Gläubigen beständig sich wenden muß, wo
Jesus starb, wo Jesus auferstand, wo Jesus am Thron der Gnade uns ver-
tritt. Dahin müssen die Allgen des Glaubens schauen. Vetet immer an
offenen Fenstern nach Golgatha; seht auf das köstliche V l u t ; fchaut fest auf
den auferstandenen Herrn; seht auf die Macht feiner Vertretung, wenn Er von
dent Vater seine Bitte für sein Volk gewährt erhält, und ihr werdet stark
werden, zu ringen, bis ihr obsiegt.
So habe ich euch Daniels gewohnte Andacht dargestellt. Ahmt sie in
allen wesentlichen Punkten nach; lind wo ihr dem Buchstaben nicht folgen
könnt, nehmt ihren Geist in euch auf.

II.
Wir müssen uns nun zu eiuer zweiten Betrachtung wenden, D a n i e l s
Handlungsweise in der Prüfung.
Daniels unerschrockener Mut. 751

Es ist nichts, was Könige nnd Königinnen lieber mögen, als sich in die
Religion hineinmengen. Obgleich jener deutsche Herrscher versuchte, eine Anzahl
Uhren alle zugleich schlagen zu lassen und dies nicht zustaudebriugen konnte, so
gibt es doch ungeachtet des Experimentes nnd seines Mißlingens immer böse
Räte, die der Menschen Gewissen zwingeil wollen. Schlag zu halten. Thorheit ist
in dem Throne, wenn Monarchen Religion begünstigen oder unterdrücken.
Die Cäsaren bringen immer Verwirrung, wenn sie sich in die Dinge Gottes
mischen. I n Daniels Tagen ward ein Gleichförmigkeitgesetz erlassen, in mancher
Hinsicht dem bekannten Gesetz ähnlich, das England aufgedrängt ward.
Darius verordnete, daß kein Mensch ill dreißig Tagen beten solle: unser
Gleichförmigkeitsgesetz befahl, daß kein Mensch zu irgend einer Zeit öffentlich
beten solle ohne sein Buch. Das eine ist nicht viel besser als das andre.
Als jenes Gleichförmigkeitsgesetz erlassen war, standen dem Daniel mehrere Wege
offen. Er hätte z. V . sagen können: „Dies geht für mich nicht an. Ich habe
eine hohe Stellung in der Gesellschaft. Ich bin der Gouverneur aller dieser
Gebiete, und obgleich ich willig bin, etwas für meine Religion Zu leiden, fo
kann doch Gold zu teuer erkauft werde», und deshalb will ich aufhören, zu
beten." Er würde viele Vorgänger und viele Gefährten gefunden habell. Wie
sehr viele haben, wenn es zn der Frage zwischen Leben und Wahrheit, zwischen
Ehre und Christus kam, eine schlechte Wahl getroffen und find elendiglich UM'
gekommen! Daniel scheint die Frage gar nicht aufgeworfen zu haben. Auch
hätte er fagen können: „ N u n , nun, mall mnß klug fein; Gott muß sicherlich
angebetet werden, aber es ist kein besonderer Grund da, weshalb ich ill dem
gewöhnlichen Zimmer oder auch nur ill der Stadt, wo ich wohne, anbeten
sollte; ich kann mich abends zurückziehen oder eine verborgenere Stelle in
meinem eignen Hause finde», und besonders ist keine Ursache da zum Öffnen
der Fenster. Ich kann ber geschlossenen Fenstern beten, nnd das wird vor Gott
ebenso annehmbar fein. Ich denke deshalb, ich will mein Gewissen rein halten,
aber nicht meine Religion aufdrängen in diesen bösen Tagen." Daniel machte
solche Gründe nicht geltend. Er war ein löwenartiger Mann und verschniähte es,
sein Vanner m Gegenwart des Feindes zu senken; denn seht, wenn er in seiner
Stellung nicht gebetet hätte wie zuvor, so wäre es ein Anstoß für die Schwachen
und ein Hohn für die Gottlosen gewesen; die Schwachen hätten gesagt: „Seht,
Daniel ist eingeschüchtert durch den Befehl." Jeder arme Jude im ganzen
Reiche hätte dann eine Entschuldiguug dafür gefunden, daß er feine Grund«
fätze aufgäbe, und die Gottlosen würden gesagt haben: „Bemerkt, er dient
seinem Gott, wenn alles gut, geht, aber seht, wie er sich treiben läßt, wenn
die Not kommt!" Er wollte nicht die Verborgenheit suche», we»n die Klugheit
anriet. Doch der Gedanke hätte ihm kommen können, daß er innerlich beten
könne. Gebete ohne Worte sind ebenso angenehm vor Gott: konnte er dies
752 Alttestameutliche Bilder.

nicht thun? Er fühlte, daß er es nicht dürfe, weil das (besetz nicht innerlich
und des Königs Widerstand gegen die Religion nicht innerlich war. Er glaubte
nicht, äußerlicher ^üge durch innerliche Wahrheit widerstehen zu können. Er
stellte in den Worten nnsres eben gesungenen Liedes „Kraft der Kraft entgegen."
Er wollte ein deutliches äußerliches Bekenntnis seiller eignen Überzeugungen ab«
legen im Gegellsatz zu dem äußerlich verfolgenden Gesetz. Mich wundert indes,
daß nicht jemand ihm in den Sinn gab, zum Köuig zu gehen und die Sache
mit ihm zu bespreche», denn wie in England noch nie ein Beschluß des
Parlaments gefaßt ist, durch den man nicht mit einer Kutsche und Pferden
fahren kann, fo sollte ich denken, daß sie unter sich über dies Dekret hätten
hinwegkommen können mit ein klein wellig Deuteln, besonders wenn sie mit
Kronjnristen und Anwälten gesegnet gewesen wären. Ich kenne ein Buch, in
dem behauptet wird, daß Kinder durch die Taufe wiedergeboren und zu
Gliedern Ehristi und Kindern Gottes gemacht werden. Hunderte von guten
Männern glauben dies keinen Nngenblick, und sind doch im Besitz ihrer
Stellen, weil sie ungeheuchelte Veistimmung und Zustimmung dazu gegeben
haben. Ich darf nicht sagen, daß sie unredlich sind, sonst würde ich gegen
die christliche Liebe fehlen, die so sehr en vo^ue ist, aber ich will sagen, daß
sie ein zusammengerolltes ^) Gewissen besitzen, das einer sehr komplizierten Thätig«
keit fähig ist.
Wirklich, die Gewissen sind in unsren Tagen so schwer zu verstehen und
werden nach so verworrenen Grundsätzen fabriziert, daß man sich kaum ein
Urteil über sie zu bilden vermag, aber da Daniel zufällig keins dieser
rotierenden, doppelt wirkenden Gewissen hatte, so versuchte er nicht, ciuen
neuen Sinn in die Ausdrücke des Gesetzes hineinzulegeil oder einen Vergleich
zwischen demselben und seinen Überzeugungen zu erfinden, sondern ging gerade-
aus auf seinein schlichten Pfade. Er wußte, was das Edikt bedeutete, und
deshalb siel er auf die Kniee vor seinem Gott nieder in direktem Trotz gegen
dasselbe. Ob das Gesetz in einem milderen Sinn gedeutet werden konnte oder
nicht, das kümmerte ihn nicht; er wußte, was Darius damit meinte und was
die Hauptleute und Räte damit meinten, und er wußte auch, was er selbst zu
thun beabsichtigte, und deshalb that er das Rechte und vor seinem Gott bot er
den Löwen Trotz, lieber als daß er sein Gewissen mit etwas Bösem befleckte.
Beachtet sorgfältig, was Daniel that. Er war entschlossen, so zu handeln,
wie er es vorhin zu thuu pflegte. Bemerkt, wie r u h i g er handelte. Er sagte
nicht zu seinen Feinden: „Ich werde nach meiner Überzeugung handeln." Durch-
aus nicht; er wußte, daß Worte an ihnen verloren waren, deshalb griff er zu
Thaten anstatt zu Worten. Er ging ruhig fort, als er fand, daß das Gebot

*) im Original: eonvalut««!.
Daniels unerschrockener Mut. 753

unterschrieben sei — obgleich betrübt, daß so etwas gethan war — ohne ein
einziges Wort des Murrens oder Mäkelns suchte er fein Zimmer. Ich finde
nicht, daß er irgendwie verwirrt oder unruhig war. Die Worte: „wie er
denn vorhin zu thun pflegte," scheinen anzudeuten, daß er ebenso gelassen die
Treppe hinaufging, wie er es sollst gewohnt war. Seine Diener werden aus
seinem Benehmen nicht geschlossen haben, daß irgend ein Gesetz gemacht sei.
Er war stets um diese Zeit zum Beten gegangen, und sie konnten ihn beten
hören, gerade so ernstlich, wie er es immer gethan. Er verließ sich auf Gott
und blieb deshalb in vollkommenem Frieden.
Bemerkt wiederum, wie er ohne Zaudern handelte — sogleich! Er
pausierte nicht; er bat nicht um Zeit, zu bedenken, was er thun sollte. I n
Sachen einer mit Gefahr verbuudeuen Pflicht sind unsre ersten Gedanken die
besten. Wenn etwas durch Religion zu verlieren ist, folgt dem ersten Ge-
danken des Gewissens, nämlich: „ T h u t , was recht ist." Wer braucht zu
fragen, wo die Pflicht den Weg zeigt? Wo Gott befiehlt, da ist kein Raum
für die Vernunft, Spitzfindigkeiten vorzubringen. Doch habe ich keinen Zweifel,
wenn der Teufel i n des Propheten Ohr hätte flüstern können, fo hätte er
gesagt: „ N u n , Daniel, du thätest besser, es eine kleine Weile zu überlegen.
D u bist in einer Stellung, wo du deiuen Freunden wesentlich helfen kannst.
D u hast große Autorität an diesem Hofe; du kannst der wahren Religion
Dienste leisten. D u weißt nicht, wie viele durch dein Beispiel bekehrt werden
können. D u solltest nicht leichtsinnig eine Stellung aufgeben, wo du fo viel
Gutes thun kannst." Diesen Beweisgrund habe ich hundertmal gehört, wenn
Leute angetrieben wurden, aus falschen Stellungen herauszukommen und das
Rechte zu thuu. Aber was haben ihr und ich damit zu thun, uusren Einfluß
und unsre Stellung auf Kosten der Wahrheit aufrecht zu halten? Es ist
niemals recht, ein kleines Unrecht zu thun, um das größte, nur mögliche Gute
zu erlaugen. Wenn ich durch eine Lüge die Flammen der Hölle auslöschen
könnte, fo würde ich es nicht thun. Wenn das Allssprechen einer Lästerung
ein dürres Land von Fruchtbarkeit überfließen machen könnte, so solltet ihr's
verschmähen, sie auszusprechen. Eure Pflicht ist, das Rechte zu thun: die
Folgen stehen bei Gott; und auf die Länge kann es niemals, weder für euch,
noch für andre, gut sein, Unrecht zu thun. Es muß am letzten Ende immer
die schlimmste Politik und die schädlichste Halldlungsweise sein, etwas zu sagen
oder zu thun, was nicht streng redlich, streng rechtmäßig, streng gehorsam
gegen das Gesetz Gottes ist. Gedenkt daran und geht wie Daniel eures Weges
ulld thut eure Pflicht, komme, was da wolle.
I h r werdet auch bemerken, daß Daniel nicht in der Aufregung handelte,
sondern m i t einer v ö l l i g e n K e n n t n i s der F o l g e n . Der Bericht sagt
ausdrücklich: „ A l s nun Daniel erfuhr, daß folch Gebot unterfchrieben wäre."
S p u l g t o n , Alttestnmtntllche Vllder. 48
754 Nlttestamentliche Bilder.

Viele Leute thun in der Hast das Rechte und gehen in einer großen Alls»
regung weiter, als sie bei kaltem Vlute thuu würdeu; aber Daniel, wahrschein-
lich durch einen listigen Anschlag der Räte von der Beratung ausgeschlossen,
hatte nicht sobald gehört, daß der Befehl fest stand, als er ohne Zaudern
seinen Entschluß faßte uud im klaren darüber war. Seine Sache war es
nicht, zu schwanken und aufzuschieben; er hatte alle Data vor sich, und der
Gehorsam gab die Entscheidung. Überschlage die Kosten, junger Mann, ehe
du dich als einen Christen bekennst; lasse dich nicht plötzlich in ein Unternehmen
ein, dem du nicht gewachsen bist. Gib dich dein Herrn, deinem Gott, durch
seine Gnade hin, aber laß es dem Gebot Christi gemäß sein, nachdem du erst
einen Überschlag gemacht hast von dem, was von dir erfordert werden wird,
und suche Gnade von oben, um zu vollbringen, was dir sonst unmöglich
sein würde.
Ich liebe dies Wort und muß wieder darauf zurückkommen: „wie er
denn v o r h i n zu thun pflegte." Er macht keine Änderung; er nimmt
nicht die allergeringste Notiz von des Königs Befehl. An demselben Orte, zu
derselben Stunde, in derfelben Stellung und in demselben Geiste findet man
den Propheten. Dies zeigt uns des Christen Pflicht unter Verfolgung a n : er
sollte in der Verfolgung handeln, wie er es würde, wenn keine da wäre.
Wenn du Gott verehrt hast unter dem Veifall christlicher Freunde, verehre I h n
unter dem Mißfallen der Ungöttlichen. Wenn du als Kaufmann in glück-
licheren Zeiten eine ehrliche Handlungsweise eingehalten hast, weiche um Gottes
willen, um Christi willen nicht von dieser Ehrlichkeit ab, weil die Zeiten sich
geändert haben. Was recht gewesen ist, ist recht, und deshalb bleibe dabei.
Was dll aufrichtig gethan hast, thue immer noch, und Gott wird dir dabei
einen Segen geben. Daniel hätte nicht diese Handlung des Gebetes vollziehen
können, als die Löwengrube die darauf gesetzte Strafe war, wenn er nicht
vorher die Gewohnheit beständigen Gebetes gehabt hätte. Es war seine ver-
borgene Gemeinschaft mit Gott, die ihm Kraft und Stärke gab, weiter zu
gehen. Weil er das Rechte that, fand er^es leichter, beim Rechten zu bleiben,
was auch die Strafe sei. Ich vermute, daß ich zu einem jungen Mann rede,
der vom Lande gekommen ist aus einer gottesfürchtigen Familie, wo er täglich
wahre Religion vor Augen hatte, und nun ist er in einer Werkstatt, wo er zu
seinem Schrecken Iesum verlacht sieht und wo Religion ein Spottname ist.
Nun, Freund, thue, wie du zu Hause zu thun pflegtest; mache keinen Unter-
schied, um eitlen Menschen zu gefallen; sieh' zu, daß du beginnst, so wie du
fortfahren willst. Ich wollte nicht bloß sagen: „Gib nicht den Geist der
Religion auf," sondern: „Gib nicht einmal die Form auf." Der Teufel
gibt niemals etwas für uns auf; gebt nichts für ihn auf. Er sorgt dafür,
mit all seiner Kraft gegen uns zu kämpfen; laßt uns dasselbe gegen ihn
Daniels unerschrockener Mnt. 755

thun. Ich glanbe. Hunderte christlicher Männer bereiten sich ein hartes Los
dadurch, daß sie zuerst ein wenig nachgeben, denn gewöhnlich ist es in dieser
Welt so, daß, wenn ein Mann entschlossen und entschieden ist, die Welt ihn
nach einer kleinen Weile in Rnhe läßt. I n den Baracken, wo ein Soldat
niederkniet, um zu beten, wie oft ist er da ein Gegenstand tausend roher
Scherze gewesen, und hat deshalb alle Gedanken an Kniebeugen aufgegeben!
Doch haben wir von einem wirklich Bekehrten gehört, der, als er ins Regiment
kam, zum Gebet niederkniete; als er dabei beharrte, dies zu thun, sagten seine
Kameraden: „ A h , das ist einer, der Kourage hat, das ist ein echter Kerl;"
und ließen ihn nachher in Nuhe; während er, wenn er einmal in sein Bett
geschlichen wäre ohne Gebet, nie später gewagt haben würde, zu knieen. Nichts
ist so gut, als Daniels Beispiel folgen, indem ihr nie nachgebt, denn so werdet
ihr die Achtung derer gewinnen, die sonst über euch gespottet hätten. Wie
bald fiudet die Welt unsre wahre Meinung heraus! Wir mögen denken, daß
wir unser Spiel so gut spiele», daß man uns nicht ausfindig machen kann,
und daß wir der Welt gefallen und Gott auch gefallen werden, aber das
führt stets zu völligem Mißlingen, und dann haben wir, während die Welt
uns verachtet, nicht den Trost unsres Gewissens, uns zu stärken. O, wenn
unsre Väter, die Pnritaner, nur ein wenig nachgegeben hätten; wenn sie nur
eiuen Knick in ihrem Gewissen hätten machen können, wie manche es jetzt
thun, dann hätte ihr Nachgeben und Einwilligen sie in Bequemlichkeit und
Ehren erhalten, anstatt daß sie aus Haus uud Heimat vertrieben und gehindert
wurden, ihren Mund zu öffnen, um Christum zu predigen; aber wo wäre
denn das Licht des Evangeliums gewesen, das die Völker fröhlich macht? Wo
jene reinen und geheiligten Anordnungen, die sie uns überliefert haben? Nuu
bleibell sie bis zu dieser Stunde durch ihre unerschrockene Entschlossenheit uuter
den Gesegneten, und die Menschen ehren sie. Laßt uns, die Söhne tapferer
Väter, laßt uus uicht feige sein. Gedenkt an die Tage C r o m w e l l s und die
Zeiten, wo die gottlosen Kavaliere die Schneide des Schwertes der Nundkövfe
fühlten; und obgleich wir nicht fleischliche Waffen nehmen, sondern sie gänzlich
meiden, laßt uns doch unsren Feinden zeigen, daß die englische Männlichkeit
noch ill uns ist und wir von demselben Metall sind wie unsre Vorfahren.
I n dem Kampf, der nun vor uns liegt, wollen wir nicht weichen. Gott weiß,
wir sind so gute Protestanten, wie es nur je welche gab, und besser als die
Staatskirchlichen, welche rufen: „Kein Papsttum." Wo würde der Protestan»
tismus sein, wenn er ihnen überlassen wäre? Ist nicht ihre Kirche die
fliegende Brücke zwischen Oxford und N o m , die große Verführerin der
Gläubigen, die große Vundesgenossin Roms? Was ist unsre Volkskirche
leider, als ein Schrittstein zum Papsttum? Und wir, die mit reinen Händen
stehen, die in Lehre und Praxis jeden Tag gegen Rom protestieren, w i r
48*
756 Alttestamentliche Bilder.

werden des Bündnisses mit Rom allgeklagt l Kein grausamer Spott könnte
schlimmer seilt als dieser, aber wir weichen nicht. Wir können es ertragen,
Beelzebub genannt zu werden, wenn's sein muß, aber wir können nicht anders
werden: es ist uns Gewissenssache, und wir wollen dabei verharren, ob
Dechanten schmähen und Priester uns verleumden.

III.
Wir wollen uns zum drittel: Punkt nun wenden, womit wir schließen,
die Verborgene Stutze D a n i e l s . Es war etwas in dein Mann, was
ihm das Mark gab; es war ein geheimes Etwas, das ihn so großartig machte.
Was war dies? Es rührte von mehreren Ursachen her. Es entsprang
daraus, daß Daniels Religion nicht das Ergebnis der Leidenschaft,
sondern tiefgewurzelter Grundsätze war.
I h r werdet bemerken, daß nach der langen Dürre, die wir gehabt haben,
die Blumen ill unsrem Garten sehr welk werden, daß hingegen die Bäume
im Walde so grün sind, als wenn täglich Regenschauer gefallen wären. Ist
dies nicht, weil sie tiefere Wurzeln in den Boden schlagen und Nahrung aus
Vorräten saugen) die an der Sonnenhitze nicht erschöpft werden? So gibt es
manche Menschen, deren Religion der Blume gleicht, die auf der Oberfläche
lebt — sie vertrocknet schnell, wenn die Sonne der Verfolgung brennt; aber
es gibt andre, die gleich den Waldesbäumen ihre Wurzeln in den tiefen Boden
der Grundsätze Hineinsenken, die wissen, was sie wissen, gründlich gelernt haben,
was sie gelernt haben, und fest halten, was sie empfangen haben, und diese
werden in Zeiten der Prüfling aus Quellen verborgener Gnade gestärkt, und
ihre Blätter welken nicht. Weil der Heilige Geist in Daniels Herzen die
Grundsätze des Glaubens gewirkt hatte, ward er in Zeiten der Prüfung aufrecht
gehalten; aber ich zweifle nicht, daß Daniel auch durch das gekräftigt wurde,
was er von den Werken Gottes in alter Zeit gelesen hatte. Er war
ein großer Forscher in den Büchern und hatte gefunden, daß in alten Zeiten
Jehovah ilnlner siegreich gewesen war. Des Propheten Auge glänzte, als er
an Pharao und das Note Meer dachte, an Og, den König zu Vafan und die
Bäche zu Arnon, und als seine Erinnerung weiter flog zu Sanherib und dem
Haken, der in des Leviathans Maul gelegt ward, um ihn den Weg zurück-
zuführen, den er gekommen war. I n dem Gedanken an die Werke des Herrn,
nach denen sein Geist fleißig forschte, fühlte er sich gewiß, daß der lebendige
Gott sich den Seinen treu erweisen werde.
Außerdem ward das Gemüt des Propheten gestärkt durch das, was er
selber gesehen hatte. Er war in nahe Berührung gekommen mit den drei
heiligen Männern, die vor Nebukadnezar gebracht wurden. Wo Daniel zu
dieser Zeit war, wissen wir nicht genau, aber ihm muß diese heldenmütige
Daniels unerschrockener Mut. 757

That gut genug bekannt gewesen sein. Er hatte den König Nebukadnezar
trotzen sehen, hatte den Sohn Gottes mit den drei Helden wandeln und sie
herauskommen sehen, ohne daß man auch nur den Brand des Feuers an ihnen
riechen konnte: hier war große Ermutigung. Außerdem hatte Daniel persön-
liche E r f a h r u n g von seinem Gott. Er stand vor Nebukadnezar, ihm seinen
Traum zu deuten; ja, bei einer noch schrecklicheren Gelegenheit stand er ohne
Furcht und Zittern vor dem König Velsazar, als die Tausende seiner Gäste ihre
Götter lobten und der König und seine Weiber und Kebsweiber in prunkendem
Schmuck Wein aus den Jehovah geweihten Gefäßen tranken. Dieser eine
Mann stand aufrecht vor dem wüsten Haufen, wies auf die geheimnisvollen
Buchstaben und las die schrecklichen Worte: „Mené, mené, tekel, upharsin,"
eines Monarchen Verurteilung in seiner Gegenwart, verkündet von einem unbe-
waffneten Manne! Sah es einem solchen ähnlich, daß er jetzt bange sein
würde? Er, der nicht vor Tausenden wilder Krieger zitterte, soll er jetzt
fürchten, wo nichts als Löwen ill seinem Wege sind? Er nicht. Er hatte in
das Antlitz seines Gottes geblickt und fürchtete nicht das Antlitz eines Löwell;
Jehovah hatte ihn überschattet, und die Grube, ill die er geworfelt werden
sollte, halte nichts Schreckliches für ihn. Seine eigne Erfahrung half dazu,
ihlt zu stärken. Er hatte die Überzeugung, daß Gott ihn befreien würde; und
wenn Gott ihn nicht befreien wollte, so w a r doch seine Liebe zu dem G o t t
I s r a e l s eine solche, daß er sich gern dem Tode hingab. Es ist gesegnet,
ein solches Vertrauen zu haben. I h r Frommen, die ihr geprüft werdet nnd
erwarten könnt, noch mehr geprüft zu werden, ihr werdet nie feststehen, wenn
ihr nicht hierzu gelangt: „Gott kann mich befreien; aber wenn Er es nicht
thut, so will ich gern um Christi willen ein Opfer sein." Ach, manche von
euch möchten wohl Christen seul, aber in der Zeit der Prüfung gebt ihr es
auf; wie der unerfahrene Seemann, der, wenn er ein Schiff mit all seinen
Flaggen geschmückt und die weißen Segel vor dem Winde aufgespannt sieht,
denkt, es müsse eine schöne Sache sein, zur See zu fahren, aber er ist nicht
weit auf dem Meere, ehe die Seekrankheit ihn anwandelt, er fürchtet den
Sturm und gelobt: „Wenn ich nur erst sicher am Ufer bin, so habe ich für
immer vom Seefahren genug." Viele haben gesagt: „ W i r wollen mit Daniel
dem Herrn folgen." J a , und wohl zufrieden sind sie es, mit Daniel in
Susan, in des Königs Palast zu sein, aber wenn es zu der Löwengrube kommt,
dann „Adieu, Daniel." Hütet euch, daß ihr euch nicht täuscht mit einem
guten Bekenntnis, das euch nachher im Stich läßt. Daniel ward nicht im
Stich gelassen, weil feine Liebe zu seiuem Gott tief in seinem innersten Herzen
richte: sie war ein Teil seiner selbst geworden, und von den zwei Händen der
Liebe und des Glaubens gestützt, wurde er gnädig über die rauhen und
dornichten Stellen hinweggetragen.
758 Alttestamentliche Bilder.

Ich will nicht weiter darauf eingehen, damit ich euch nicht ermüde, aber
ich möchte noch sagen, daß wir nicht annehmen dürfen, Daniels Fall sei eine
Ausnahme von der Regel bei Christen gewesen. Denkt daran, daß Daniel
ein Vorbild unfres Herrn Jesu Christi ist. Jesus hatte Feinde, welche I h n
zu verderben suchten; sie konnten nichts an I h m finden „ohne über seinen
Gott." Sie beschuldigten I h n der Gotteslästerung und brachten nachher eine
Anklage der Empörung vor. Er ward in die Grube, in das Grab geworfen:
seine Seele war unter den Löwen. Sie versiegelten sein Grab mit ihrem
Siegel, damit keiner I h n bei Nacht stehlen sollte, aber Er stand wie Daniel
lebendig und unverletzt, und seine Feinde wurden zu Grunde gerichtet. Nun,
wenn Daniel ein Vorbild Christi ist und der Herr Iefns der große Repräsentant
aller, die in I h m sind, so mußt du, Gläubiger, erwarten, daß Menschen da
sein werden, die dich angreifen, die dich besonders in deiner Religion bekämpfen
werden. D u mußt auch erwarten, daß sie eine Zeitlang die Oberhand be-
halten, so daß du in die Grube geworfen wirst, daß sie suchen werden, dich
zu verschließen, als wenn du auf immer vernichtet wärest; aber es wird eine
Auferstehung nicht nur des Leibes, sondern auch des Rufes sein, und du wirst
auferstehen. Wenn die Posaune ertönt, werden nicht nur die körperlichen Ve>
standteile, welche den Menschen ausmachen, sondern auch das Andenken des
Menschen auferstehen; sein guter Name, der unter den Schollen der Ver-
leumdung begraben war, soll zum Leben erstehen, während auf seine Feinde
und ihren Ruf Verderben vom Angesicht des Herrn fallen wird. O, laßt
uns Nachfolger Jesu, des großen Daniel, sein! I n seine Fußstapfen treten,
wohin Er geht! Viel bei I h m fein, ob-in der Einsamkeit oder Öffentlichkeit.
Dies ist ein Wünschenswertes, und obwohl ich euch dazu ermahne, erwarte ich
nicht, daß ihr es in eigner Kraft erreichen werdet, sondern ich weise euch auf
den Heiligen Geist, der dies ill euch wirken und euch „hochgeliebt" (Dan. Il), 19)
machen kann, wie dieser alte Prophet es war. Der Herr segne uns mit
einem feierlichen Entschluß, niemals vom Rechten abzuweichen, sondern Christo
in allen Dingen zu folgen, und I h m soll das Lob dafür gegeben werden.
Amen.
Der hochgeliebte Mann. 759

Der hochgeliebte Mann.


„Fürchte dich nicht, du lieber Mann; Friede sei mit dir, und
sei getrost, sei getrost." Dan. 10, 13.
Engt. Üd.: „O Mann, hochgeliebt, fürchte dich nicht: Friede
sei mit dir, sei stark, ja, sei stark."

sehe einen Einwurf voraus, wenn ich über diesen Text predige und
ihn mit bezug auf Personen in dieser Versammlung gebrauche. „Die Worte
wurden zu Dauiel gesprochen und wir sind keine Daniele," — das ist wahr»
scheinlich die Form, welche der Einwurf in manchen Gemütern annehmen
wird, und meine Erwiderung ist: „Wenn wir nicht Daniele sind, so sollen
wir wenigstens wünschen, es zu sein, und daran denken, daß eine Möglichkeit
dazu da ist; es sind manche Seiten im Charakter Daniels, bei denen wir
durch göttliche Gnade in seine Fußstapfen treten können. Daniel ist nicht
weit über Ulis hinausgestellt als einer, der nicht nachgeahmt werden kann,
sondern er ist ein Beispiel, dem zn folgen unsre Freude sein sollte. „Aber,"
schreit jemand, „wir werden nie Daniels Höhe der Gnade erreichen." Ich
bitte Gott, daß wir es thun. I n allen Zeitaltern sind Menschen der Klasse
gewesen, zu der Daniel gehört. Die vorsündstutliche Periode erzeugte einen
Henoch, der „mit Gott wandelte und nicht war, denn Gott nahm ihn hinweg,"
und der weissagte wie Daniel von dem Kommen des Herrn. I n der patri«
archalischen Periode war ein Abraham, welcher „der Freund Gottes" genannt
ward, mit dein der Herr in ganz besonderer Weise verkehrte. I n den späteren
Tagen, unter dein Gesetz, war da nicht ein David, eilt Mann „nach dein
Herzen Gottes," und obwohl sein Charakter fehlerhafter war, stellt ihn doch
seine nahe Gemeinschaft mit Gott, von der wir in den Psalmen lesen, in die-
selbe Reihe. Wenn ihr mir sagt, daß all diese und viele mehr, die ich nennen
könnte, zu den alten Zeiten und den Tagen der Wunder gehören :c. :c., so
möchte ich euch daran erinnern, daß heutzutage das Kind Gottes unter dem
Evangelium Vorrechte hat, die dein größten Gläubigen in früheren Zeiten
760 Altteslamentliche Vilder.

unbekannt waren; denn selbst Johannes, der Täufer, von dem gesagt ward, daß
unter alleu vom Weibe Gebornen keiner größer sei als er, wird doch kleiner
als der Kleinste im Himmelreich genannt. M i t dein klareren Licht uud der
reicheren Einwohnung des Heiligen Geistes sollten wir anstatt geringer als
Henoch, Abraham, David und Daniel zu sein, diese alle übertreffe». Ferner
«lochte ich euch daran erinnern, daß die Zeit des Neuen Testaments einen
Johannes erzeugte, und gibt es irgendwo ein näheres ku,c8iinilo von Daniel
als Johannes? Diese zwei, obwohl so sehr verschieden an Stellung nnd Um»
ständen, waren in ihrer Sinnesart, ihrem Wandel mit Gott, ihrer Vertrautheit
mit dem Höchsten, und in den außerordentlichen Gesichten der Zukunft, deren
sie gewürdigt wurden, einander so verwandt, daß ich sagen möchte, Daniel
war der Johannes der Propheten, uud Johannes der Daniel der Evangelisten.
Nun, wenn ein Johannes unter dem Evangelium hervorgebracht wird, warum
nicht ein andrer? Wenn zwei, warum nicht zweitausend oder zwanzigtausend?
Und warum kann ich nicht einer von ihnen sein? »lag jeder Christ fragen.
Der Geist Gottes ist nicht eingeschränkt, der Tau vom Himmel ist nicht er«
schöpft, weil er auf Daniels Zweig fiel und auf dem Blatt des Johannes
ruhte. D u kannst ihn haben, mein Bruder, und unter seinem fruchtbar
machenden Einfluß magst du knospen und blühen, und mit jeder Blüte den
Duft der Gemeinschaft Gottes um dich her verbreiten.
Überdies, wenn ich die Frage über unsre Nachahmung Daniels fahren
lasse, so möchte ich hinzufügen, daß ich mich um einer andren Erwägung willen
gerechtfertigt fühle, meinen Text fehr frei zu gebrauchen; denn jeder wahre
Ehrist ist in einem Sinne, und das in einem sehr tiefen nnd wahren Sinne,
ein „hochgeliebter" Mann. Obwohl Verschiedenheiten in der Kundgebung der
Liebe Gottes sind, so daß wir sagen können, es gibt Erwählte ans den Er-
wählten, so sind doch alle Erwählten „hochgeliebt." Es sind auserlesene
Geister unter den Auserlesenen, wie die siebzig, die aus den Jüngern erwählt
waren, die zwölf aus den siebzig, die drei: Petrus, Iakobus und Johannes
aus den zwölfen und Johannes aus den dreien: die Erwählung erhebt sich
immer wieder aus sich selbst heraus und steigt gleich einer Pyramide in die
Höhe; aber dennoch sind die gewöhnlichen Jünger in der Basis der Pyramide
„hochgeliebt," mit einer unendlichen Liebe geliebt. Die schwächsten Kindlein
in der Gnade sind ebenso wahrhaft geliebt als die, welche zum vollen Mannes»
alter in Christo Jesu gekommen sind. Es gibt köstliche Stätten, wo der Sonne
Licht beständig zu ruhen scheint, aber dennoch scheint die Sonne der Liebe
Gottes auf das ganze Feld, das Er erwählt hat. Das gelobte Land erkannte
die höhere Trefflichkeit seines Karmel und seiner Ebene Saron a n ; dennoch
war von Dan bis Ber Seba jeder Acker Land von dem Herrn gesegnet. Jeder
Himmelserbe ist mit demselben Blut erkauft, i n dasselbe Buch des Lebens ein-
Der yochsseliebte Mann. 761

geschrieben, voll demselben Geist berufen, bewahrt durch dieselbe göttliche Macht,
und reift unter denselben geistlichen Einflüssen für die ewige Herrlichkeit; gewiß,
dann ist jeder Gläubige „geliebt," und „hochgeliebt" dazu. Große Liebe hat
in der Errettung eines jeden von uns sich gezeigt und in unsrer Bewahrung
bis auf diesen Tag. Wenn deshalb keiner von uns kühn genug sein sollte,
zu hoffen, daß der Ausdruck des Textes in irgend einer eigentümlichen und
besonderen Weise auf ihn angewandt werden könnte, so wagt doch unser
Glaube ohne Vermessenheit zu erkennen, daß wir hochgeliebt sind, da wir
durch die unumschränkte Gnade Gottes errettet, uud I h m durch das Blut
Iesll Christi nahe gebracht sind. W i r erwarten indes, daß jeder Christ, wenn
er die große Liebe erkennt, die er genießt, auch die großen Verpflichtungen
anerkennt, die ihm daraus entspringen. Dies ist nur gewöhnliche Ehrlichkeit;
wenn wir das Brot der Kinder essen, müssen wir den Gehorsam der Söhne
leisten.
Nun wollen wir zu den Worten selber übergehen- I n ihnen sehe ich
zuerst: einen köstlichen T i t e l : „ O M a n n , hochgeliebt;" zweitens: eine
gewöhnliche Schwachheit sehr sanft getadelt: „fürchte dich nicht;" und
dann drittens: fehr gnädige T r ö s t u n g e n gegeben, um dieser Schwachheit
aufzuhelfen: „ F r i e d e fei m i t d i r ; fei stark, j a , sei stark."

I.
Am Beginn des Textes glänzt e i n köstlicher T i t e l . Daniel wird
ein Mann genannt, der „hochgeliebt" ist, oder wie einige es lesen, „ein
Mann der Wünsche," ein wünschenswerter Mann vor Gott, mit dem Gott
Gemeinschaft zu haben wünschte, an dessen Gesellschaft der Herr Freude hatte.
Er war ein Mann, „hochgeliebt."
Nun, die große Liebe Gottes zu Daniel wird sehr deutlich in seinem
Charakter gesehen. Ich werde nicht seinen Charakter als den Grund beschreiben,
weshalb Gott ihn liebte, weit entfernt, aber ich will seinen Charakter be-
zeichnen als die Wirkung der großen Liebe Gottes zu ihm. Gott liebte ihn
sehr, und deshalb gab Er ihm dies und jenes.
Das erste Zeichen von des Herrn großer Liebe zu Daniel, das wir
betrachten wollen, war dies: G o t t gab i h m f r ü h e F r ö m m i g k e i t . Von
seiner Jugend an fürchtete Daniel Gott. W i r wissen nicht die Zeit, wann er
dahin gebracht wurde, den Herrn völlig zu kennen, aber es muß in seinen
Kinderjahren gewesen sein; denn während er noch ein Knabe war, finden
wir ihn für den Gott seiner Väter als ein Mann handeln. Es ist wahr,
feine Jugendjahre wurden in der Gefangenschaft zugebracht. Er war ans
dem königlichen Hause I u d a und ward hinwcggl'führt nach Äabylon, aber
es war etwas Bedeutsames darin, daß er zu derselben Zeit gefangen geführt
762 Alttestamentliche Bilder.

wurde, als die heiligen Gefäße aus dem Tempel zu Jerusalem genommen
wurden. Wie, wenn ich sagte, er selbst war eins der heiligen Gefäße? Denn
er war in der That ein Gefäß, das zum Gebrauch des Meisters geeignet war,
und er und die goldenen Gefäße aus dem Hause des Herrn waren zusammen
in Gefangenschaft, doch immer noch unter göttlicher Obhut, so daß sie nicht
durch unheiligen Gebrauch entweiht werden durften. Meine lieben Freunde,
niemand kann je das große Vorrecht überschätzen, in der Kindheit oder
Jugend zu Gott gebracht zu werden. Wenn es nur wäre, vor dem Schaden
bewahrt zu sein, den eine Sündenlanfbahn der Seele bringt, wenn es nur
wäre, der Neue über das Vergangene zn entgehen, die eintreten wird, wenn
das Gewissen später von der Sünde gereinigt ist, wenn es nur wäre, jene köstlichen
Stunden des frühen Morgens des Lebens gerettet und sie in: Dienste des
Herrn benutzt zu haben, wenn es nur aus diesen drei Gründen wäre, —
und sie sind nur ein Teil einer großen Anzahl, — so sind sie etwas, wofür
wir ewig die besondere Liebe Gottes zu preisen haben. Ich berufe mich auf
die, welche in reiferen Jahren dahin gebracht sind, den Herrn zu lieben und
auf die besonders, die I h n erst im Greisenalter kennen gelernt haben. Geliebte
Brüder, ihr liebt den Herrn, der euch zu sich berufen hat, aber habt ihr nicht
oft in eurem Herzen gesagt: „Wollte Gott, ich hätte I h n gekannt wie Timotheus,
auf meiner Mutter Knieen!" Und ist es nicht zu dieser Zeit der liebste Wunsch
eurer Seele, daß eure Kinder die Entscheidung für Gott nicht so lange auf-
schieben, wie ihr es gethan, sondern daß sie sich dem Volke Gottes anschließen,
während noch der rosige Hauch der Jugend auf ihren Wangen ist? Ich
weiß, ich spreche ench aus dem Herzen. I h r seid deshalb Zellgell dafür, daß
frühe Frömmigkeit ein köstlicher Segen ist, und der, welcher ihn empfangen,
mag heute morgen meinen, einen Engel sagen zu hören: „ O Mann, hoch»
geliebt, als du noch Kind warst, hatte der Herr Freude an dir."
Aber zweitens, die große Liebe Gottes zu Daniel zeigte sich ill seiner
f r ü h e n u n d gründlichen Nichtübereinstimmung m i t der W e l t . Er
war in eine besonders gefährliche Lage versetzt, fern von jeder gottesfürchtigen
Gesellschaft, hinweggenommen von jedem geheiligten Einfluß eines frommen
Vaterhauses oder einer gottseligen Vormundschaft; er war hinweggeführt in
ein götzendienerisches Land und an einem götzendienerischen Hofe zu einem
abergläubische»! Berufe herangebildet. Alles ward gethan, was gethan werden
konnte, den jungen Hebräer den Gott seiner Väter vergessen zu machen.
Sogar seill Name ward verändert sowohl wie der seiller drei würdigen Mit»
gefangenen. Sie hatten großartige Namen im Hebräischen, von denen jeder
eine heilige Wahrheit bezeichnete, aber diese wurden in bloße babylonische
Titel verwandelt, damit sie vergäßen, daß sie Juden seien und den Namen
Gottes selbst vergäßen! Allenthalben um sich herum sahen sie Abgötterei,
Der hochgeliebte Mann. 763

Lüste und Verbrechen. Es war nichts da, wenn sie umhergingen oder wenn
sie zu Hause blieben, was sie nicht an die Greuel der Heiden erinnerte. Doch
war es hier, als er nur noch ein Knabe war, wo Daniel sich „vorsetzte ill
seinem Herzen, daß er sich mit des Königs Speise und mit dem Wein, den
er selbst trank, nicht verunreinigen wolle, und bat den obersten Kämmerer,
daß er sich nicht verunreinigen müsse." Das Fleisch und der Wein, die
Daniel gebracht worden wären, würden nicht voll der Art gewesen sein, wie
ein Israelit sie genießen durfte. Das Fleisch hätte mit Blut verunreiuigt
oder das Tier durch Erdrosseln getötet sein können, das gegell das levitische
Gesetz war; und oft war das Fleisch, was die Vabylonier aßen, das eines un»
reinen Tieres. Der Wein war auch wahrscheinlich den falschen Göttern geweiht,
indem ein Teil desselben zum Trankopfer gemacht ward, und das Fleisch war
den Götzen dargebracht; deshalb beschloß Daniel, lieber weit zu gehen, als
nicht weit genug, und wollte sich überhaupt gar uicht mit des Königs Fleisch
und Wein verunreinigen. Es ist immer am sichersten, wenn ihr im Kampf mit
einem tödlichen Feinde seid, eine sehr hohe Mauer zwischen euch und ihm zu
haben. Es wird kein Fehler sein, daß sie zu hoch ist, wenn der euch zu ver<
derben sucht. Eine Scheidewand, die wir zwischen uns und der Sünde auf»
richten, wird nie zu breit oder zu tief sein. Daniel beschloß mit überraschender
Entschiedenheit, daß er sich nicht mit des Königs Speise verunreinigen wolle.
Nun, das war eine entschiedene Stellung für ein Kind — einen bloßen
Schulknaben nenne ich ihn, denn er war damals in der Schule der Wahrsager
uud wurde ill der Weisheit der Chaldäer unterrichtet — er war nur ein Schüler,
und doch war er hierin sehr entschlossen. Entschlossen, aber nicht unklug: er
forderte die Verfolgung nicht heraus, sondern ging mit jener sanften Höflichkeit
zu Werke, die stets eine so geziemende Gefährtin der Festigkeit ist. Das
Luavitßi- i n inoäo sollte immer verbunden seul mit dem i'ortiwi- i n ie.
Sanfte Manieren sind ein passendes Kleid für feste Gruudsä'tze. W i r lesen
deshalb: Daniel „bat den obersten Kämmerer, daß er sich nicht müßte verun»
reinigen. Und Gott gab Daniel, daß ihm der oberste Kämmerer günstig und
gnädig ward," so daß er, nachdem er die Furcht geäußert, daß Daniels Ge-
sundheit leiden möchte, wenn er nicht die vorgeschriebene Speise äße, ihm er-
laubte, einen Versuch zu machen. Der Versuch einer Kost von Gemüse und
Wasser fiel sehr befriedigend aus. Daniel und seine Freunde hatten sowohl
bessere Gesundheit uud schärferen Verstand als die übrigen jungen Studenten
in dem College. War es nicht ein Großes für diesen jungen Helden, einen
solchen Standpunkt eingenommen zu haben? W i r mögen hoffen, daß der,
welcher gut beginnt, auch gut weitergehen w i r d ; aber o, verabscheue, junger
Christ, alles Schwallken am Anfang, alles Schachern mit der Welt, alle
Bemühungen, mit dem Bösen zu unterhandeln, alle Versuche, zu sehen, wie
764 Alttestamentliche Bilder.

nahe du an die Sünde heran gehen kannst. Wenn du nicht gleich beim
Beginn gründlich für Gott bist, so fürchte ich, wirst du es niemals fein.
Christen sollten in der Gnade wachsen, aber es thut mir leid, zu fagen, daß
viele voll ihnen von Schwachheit zu Schwachheit gehen, und all das, fürchte
ich, weil kein gesunder Anfang da war. Jeder Baumeister wird euch sagen,
daß es notwendig fei, eilten guten Grund zu legen. Laßt die Grundlage
eurer Religion Entschiedenheit, Entschlossenheit, Aufrichtigkeit nnd Gründlichkeit
fein. Ein halb und halber Christ hat einen fchönen Schein der Gottseligkeit,
baut sehr rasch und streicht mit seinen» ungelöschten Kalk an, nnr um einen
Fall zu sichern. Möge Gott uns zu tiefen Christen machen, die wissen, was
sie wissen, und meinen, was sie meinen und beabsichtigen, für Gott und feine
Wahrheit mit feiner Hilfe eutfchieden zu fein. Daniel war ein hochgeliebter
Mann, weil er fo früh sich durch seine Nichtübereinstimmung mit der Welt
auszeichnete.
I m späteren Leben finden wir ein andres liebliches Ergebnis der Liebe
Gottes i n seinem m u t i g e n V e r t r a n e n auf Gott. Er ward bei wenigstens
zwei Gelegenheiten bernfen, den höchsten, nur erdenklichen M u t zu beweisen.
Nebukadnezar hatte einen Traun« gehabt. Daniel hatte ihm früher einen
Tramu ausgelegt und erhielt deshalb bei dieser Gelegenheit Zutritt zum König.
Er hörte des Königs Traum, aber die Deutung war eine, die dem Tyrannen
das schwerste Unglück verkündete, wie sollte er ihm die Nachricht bringen?
Wenn der Monarch nnr seinen Finger aufhebt, fo rollt Daniels Kopf auf den
Fllßboden. Das ganze Reich Babylon war nnter der abfoluten Herrfchaft des
Despoten Nebukadnezar, und dennoch zauderte Daniel nicht, ihm zu sagen, daß
er wahnsinnig werden und sein Haar so groß als Adlersfedern und feine
Nägel wie Vogelsklauen wachsen follten, und daß er von den Leuten verstoßen
werden würde. Mich deucht, ich sehe ihn mit furchtloser Miene und Stimme
den Monarchen heißen, sich von seinen Sünden durch Gerechtigkeit loszumachen
und von seiner Missethat ledig dnrch Wohlthat an den Armen, damit Gott
Geduld haben möge mit seinen Sünden. Nun, in unfren Tagen gehört kein
großer Mut dazu, die Wahrheit zu sprechen, weil kein schneller Tod den kühnsten
Voten Christi erwartet. W i r leben in Tagen der Freiheit, in denen wir
glauben können, was uns gefällt und beinahe fagen, was wir wollen; aber es
gehörte heroifcher M u t dazu, damals gleich einem Nathan zu kommen und zu
sprechen: „ D u bist der Manu," nicht zu einem David mit Gnade Gottes
in seinem Herzen, sondern zu einem, der keine Furcht Gottes hatte, einem
Nebukadnezar, der sich selbst für einen Gott hielt. Und das war eine tapfere
That, in jener entsetzlichen Nacht, als Daniel vor Belsazar und seinem Hofe
stand, während die Fürsten und Herren der verschiedenen Provinzen vcr»
sammelt waren, und dort die Schrift an der Wand deutete. Erinnert euch.
Der hochgeliebte Mann. 765

er war von Krieger« umgeben, die ihn im Augenblick hätten töten können,
und er stand vor einem jnngen und stolzen Mollarchen, der ausschweifend und
herrisch war, und Blutvergießen für nichts achtete, nnd er hatte ihm zu sagen:
„ M a n hat dich in eiller Wage gewogen und zu leicht erfunden; dein König»
reich ist den Medern und Persern gegeben." Es gehörte kein kleiner Geist
dazu, der strenge Ausleger des Endurteils eiues Monarchen zu sein: als er
jung war, hatte er Nebukadnezar gegenübergestanden, und als er grau in
Jahren war, stand er mit demselben ruhigen, tapferen Geiste Velsazar gegenüber
und tadelte ihn wegen seiner Sünden und seines stolzen Trotzes gegen den
Herrn, den Gott Israels. Er war ein hochgeliebter Mann, daß er ein solcher
Löwe war inmitten aller seiner Feinde.
Hiermit verbunden als ein andrer Beweisgrund der Liebe Gottes zu
ihm war sein wunderbares E r t r a g e n des Glückes. Wenn ich gesagt
habe, daß frühe Frömmigkeit ein großer Beweis voll Gottes besonderer Zu-
neigung zu einem Menschen ist, so denke ich, kann ich wohl sagen, daß die
Kraft, Achtung des Volkes, Erfolg im Leben, Reichtum und Rang zu ertragen,
auch ein sehr besonderes und eigentümliches Zeichen göttlicher Gunst ist. Er
war noch ein Jüngling zu der Zeit, als er zu Nebukadnezar ging und ihm
seinen Traum und die Deutung desselben sagte. Ich nehme an, er war un»
gefähr siebzehn Jahre alt, als er in des Königs Thor saß uud das Oberhaupt
aller Weisen des Königs in Babylon war. Kaum war diese Zahl von Jahren
über seinem Haupte dahingerollt, als Hesekiel von ihm sprach als einem, der
als der weiseste Mann seiller Zeit bekannt war. I l l der Anrede an den
König von Tyrus sagt Hesekiel: „Bist du weiser denn Daniel?" Nun, wenn
ein junger Mann zu einer solchen Stellung erhoben ist, so kennen wir alle,
oder meinen es zu thun, die Gefahren, von denen er umgeben ist. Sogar
ein Mann, der Erfahrung hat, findet nicht immer, daß die hohen Plätze der
Macht ihm einen leichten Platz für seine Füße gewähren; aber wenn ein
junger uud unerfahrener Mann dort stehen kann, so muß er ein hochgeliebter
Mann sein. Und dann denkt daran, daß während der dreiunduierzig oder
mehr Jahre der Negierung Nebukadnezars Daniel einer der Großen des
Reiches war; die ganze Negierung Velsazars hindurch bis zur Zeit Darius des
Meders finden wir stets noch Daniel als einen der Großen in der Regierung.
Belsazar hatte ihn zum drittelt Mann im Königreich gemacht, weil damals,
wie ich annehme, zwei Könige waren, und deshalb nicht zum zweiten Mann
gemacht werden konnte, aber er war der nächste nach den Königen im ganzen
Reich; doch seht ihr ihn nie ein Gefühl seiner eignen Größe verraten. Sein
Buch ist ungemein frei von dem Wuufche, sich selbst darzustellen. Habt ihr
nicht oft zu wissen gewünscht, wo er war, als die drei heiligen Männer ill
den brennenden Feuerofen geworfen wurden? Ich denke, wenn ich das Buch
766 Alttestamentliche Bilder.

Daniel geschrieben, so hätte ich gern ein oder zwei Verse hineingesetzt, um zn
erklären, wo ich gewesen. Aber Daniel vergißt sich selbst so, er rechtfertigt
sich nicht, er sncht nicht, Verdacht abzuwenden und läßt uns frei, zu denken,
was wir wollen. W i r können gewiß sein, daß er edel handelte, aber er ver»
sucht nicht, uns den Gedanken zu erwecken. Er selbst ist nichts, der Dienst
seines Volkes und seines Gottes — dies war es, was alle seine Gedanken in
Anspruch nahm. O, es ist edel, einen Mann auf die hohen Plätze des Reich»
tums llnd des Standes erhoben, Krolle und Purpurmautel tragen und dennoch
demütig mit seinem Gott wandeln, uud seine Pflicht ohne Versäumnis erfüllen
zu sehen, gerade wie die, die nicht so hohe Dinge habeil, mit denen sie
versucht werden. Ich las diese Woche von einem Schiff anf der See, das
von einem Sturm überfalleu wurde; eine bergarlige Welle, eine wahre Wasser»
Alpe ging über dasselbe hinweg, löschte die Maschinenfeuer sogleich aus, fegte
das Nad und Steuer hinweg, so daß das Schiff wie ein Log zwischen zwei
Wellen lag. Nun, mancher Mann ist ebenso gewesen, eine große Masse Neich»
tmn und Glück ist über ihu gekommen, hat die Feuer seines früheren Eifers
ausgelöscht, alle Stellerkraft seiner Seele hinweggenommen und er hat wie ein
Log gelegen, das zwischen den Wellen der Weltlichkeit uud des Stolzes hin»
und hergeworfen wird, und ist ein gänzliches Wrack geworden. Aber Daniel
war ein hochgeliebter Mann, denn Gott stellte ihn auf feinen hohen Platz
und machte feine Füße wie die Füße der Hinden.
Ein weiteres Beispiel von Gottes großer Liebe zu ihm erscheint in
seilier Festigkeit i n der P r ü f u n g . Es wird für die meisten Menschen
eine besondere Zeit kommen, in der sie auf die Probe gestellt werdeil, und dies
geschah bei Daniel in seinem Gleisenalter. Es waren einige, die es nicht
ertragen konnten, daß er immer in den politischen Sachen an der Spitze stand,
und diese machten ein Komplott wider ihn, aber sie fanden nichts gegen ihn,
ausgenommen seinen Gottesdienst. Sie verlangten einen Erlaß, daß niemand
in dreißig Tagen etwas bitten sollte, ausgenommen vom Köuig. Aber Daniel
kümmerte sich wenig um Erlasse: es war seine Gewohnheit, sich dreimal am
Tage vor seinem Gott zu beugell bei offenen Fenstern nach jenem teuren Lande
hin, das er immer noch liebte, obgleich er diese vielen Jahre daraus verbannt
gewefen; uud mit jener strengen Herzenseinfalt, die so hervortretend in ihm
war, ging er hin, um zu bete» zu derselben Zeit, uni die er gebetet haben
würde, wenn kein Erlaß gewesen wäre: er änderte nichts am Feilster, weder
im Auf- noch Zumachen, fondern wie er es früher zu thun pflegte, fo beugte
er das Kuie nnd betete. Die Löwengrube war ihm uichts — seine Pflicht
war alles, und wenn der Weg der Pflicht durch den Nachen wilder Bestien
ging, fo verfolgte er ihn dennoch. Und ihr kennt das Nesultat und wie Gott
seinen Knecht rechtfertigte. Wahrlich, ich hätte sagen können, als er i n die
Der hochgeliebte Manu. 767

Grube geworfen ward, in der die Löwen wüteten, daß der Märtyrer ein hoch-
gcliebter Mann war; aber alle bekennen dies, wenn sie ihn von Darins ge-
ehrt, lebendig alls der Grnbe gebracht sehen, wohin Gott seinen Ellgel gesandt
hatte, ihn zu bewahren — da bekannten alle, die ihn sahen, daß er ein hoch»
geliebter Mann war.
Laßt mich hinzufügen, daß wir hier nicht vergessen dürfen, wie Gottes
Gnade und Liebe fichtbar darin leuchteten, daß sie Daniel zu einem Manne
so beständiger Andacht machten. Jeder Tag war Zenge seiner steten
Regelmäßigkeit im Gebet. Nicht, daß er ein Pharisäer war und die eine Zeit
für besser als die andre hielt, sondern weil er wahrscheinlich fühlte, wie die
meisten von uns es gethan haben, daß, wenn wir nicht eine bestimmte Zeit
zum Gebet haben, wir es leicht ganz versäumen. Dreimal des Tages, was
auch vorfallen mochte — ungeachtet des ungeheuren Druckes der Geschäfte alls
des Staatsmanns Seele — dreimal des Tages schrie er zu seinem Gott. Und
dann hatte er seine besonderen Zeiten außerdem. Drei Wochen finden wir
ihn mit Gebet und Fasten zubringen. Das Dach seines Hauses war Zeuge
senier regelmäßigen Andachten, aber seine besonderen Gebete waren bei den
einsamen Weiden des Baches, und da schrie er lind rang mit seinem Gott;
und wir finden, daß er infolge davon mit Offenbarungen voll oben begnadigt
ward, die er niemals hätte empfangen können, wäre seine Alldacht weiliger
regelmäßig oder andauernd gewesen. Es ist keilt geringes Zeichen der Liebe
Gottes zu einem Manne, wenn dieser im Geist des Gebetes lebt, wenn das
Gebet seine Freude ist, und wenn Jahr auf Jahr das Gebet ihm nichts Ein»
förmiges wird, wenn es ihm ein wirkliches ist, ja, wenn er fo hungert nach
mehr Gebet, daß er längere Zeiten der Übung desselben widmet. Wenn Gott
ihm das Vorrecht gibt, mächtig im Gebet zu werden, dann ist er ein hoch-
geliebter Mann. Macht im Gebet ist eine der göttlichstell Gaben unsres Herrn.
Ich könnte hier heute den Namen eûtes nennen, einen euch wohlbekannteil
Namen, eines, dessen Gebete Gott diese vielen Jahre erhört und ihm geholfen
hat, Tausende von Waisen zu ernähren und eine große Zahl Missionare alls'
zusenden. Jedesmal, wenn w i r an ihn denken, denken wir ait ihn als einen
hochgeliebten Mann. Und jedesmal, wenn ich auf einen Mann blicke, der
mächtig im Gebete ist, der dnrch Flehen Segnungen auf feine eigne Familie,
die Gemeinde und seilte Nachbarschaft herabbringt, fo weiß ich, daß dies ein
Mann ist, der i l l der That hochgeliebt ist.
Ich denke, ich habe euch gezeigt, daß die äußeren Zeichen der Liebe
Gottes zu Daniel solche waren, wie viele von uns sie in einem Maße genossen
haben und noch mehr genießen können, denn hier sind einige, die in ihrer
Jugend errettet wurden, einige, die früh anfingen, entschieden für Gott zu sein,
einige, die mutig für Christum gewesen sind und die den Glauben nicht ver«
768 Alttestamemliche Bilder.

leugnet, die Glück ertragen haben und Unglück dazu, und die durch die Gnade
gelernt haben, mit Gott zu ringen. Vielleicht werden sie sich selber -nicht er«
kennen, aber wir mögen im stände seilt, sie zu erkennen und sie hochgeliebte
Männer zu heißen.
M i t einem Wort, es war ein Zeichelt der Liebe Gottes zu Daniel, was
allem die Krone aufsetzte, und das war die vollkommene Gleichförmigkeit
i n feinem ganzen Leben. Daniel fcheint mir so sehr wie möglich ein voll-
kommener Charakter zu sein. Wenn mich jemand fragte, um welcher be-
sonderen Tugend willen ich ihn hervorhebe, so wüßte ich kaum zu autworteu.
Es ist eine Vereinigung aller Vorzüge in seinem Charakter. Ebensowenig
meine ich irgend etwas entdecken zu können, worin er fehlerhaft war. Ein
Sünder war er unzweifelhaft vor dem Auge Gottes; vor Menschen ist er
fehlerlos. Er war ein wohl abgewogener Charakter. Es ist ein Gleichgewicht
aufrecht gehalten zwischen den verschiedenen Gnaden eben wie ill dem Charakter
des Johannes, der auch außerordentlich schön ist. Es ist vielleicht ein Allstrich
von Lieblichkeit beim Johannes, eine zarte Weichheit, die wir nicht im Daniel
finden; es ist etwas mehr von dem Lamm in dem Apostel, aber doch sind
beide, jeder in seiner Art, vollkommen. Das ganze Leben Daniels hindurch
finden wir keinen Fehler; nirgends unterliegt er. Es war ein großes Er-
eignis da, bei dem er hätte unterliege» können, aber Gott half ihm hindurch.
Hier stand er, ein Geschäftsmann, eine lange Lebenszeit durch, ein Mann, der
die Bürde des Staates trug, und dennoch konnte keine Anklage des Unrecht»
thuns gegen ihn vorgebracht werden. Ein Mann, der große Geschäfte ab«
zumachen hat, wird gewöhnlich beschuldigt, daß das eine oder andre Unrecht
durch seine Unterbeamten gethan sei, sogar, wenn er selber streng redlich ist;
aber hier war ein Mann, der durch die Gnade so redlich und aufrichtig i l l
allem, was er that, gemacht war, daß nichts, nicht einmal von seinen Feinden
gegen ihn vorgebracht werden konnte, ausgenommen seilte Religion. Eiu
großes Merkmal der Gnade dies, ein viel zu seltenes Zeichen der Frömmig-
keit. Viele sind Christen und werden hoffentlich in den Himmel kriechen;
aber ach! ach! ach! je weniger von dem Mallgel an Übereinstimmung zwischen
ihrem Glauben und Leben gesagt wird, desto besser. Es ist eilt besonderes
Merkmal eines hochgcliebten Mannes, wenn voll Anfang bis zu Ende durch
Gottes Gnade Glauben uud Waudel bei ihm übereinstimmen.

II.
Aber die Zeit wird mir zu kurz, ich muß eilen, um zweitens zu bemerken,
daß Daniel einer gewöhnlichen Schwachheit unterworfen war.
Er war bei eiuer Gelegenheit voll Furcht, und deshalb fvrach ein Engel zu
ihm: „Fürchte dich nicht." Ich freue mich hierüber, weil es uns lehrt, daß
Der hochgeliebte Mann. 769

selbst die besten Menschen sehr großer Furcht unterworfen sein können. Ich
war froh, vorhin in nnsrem Bibelabschnitt zu lesen, daß Daniel ans seinem
Allgesicht lag, stumm war n. s. w., denn es zeigt, daß er unsren Schwachheiten
nuterworfen war, und daß er, groß wie Gott ihn machte, doch nichts in sich
selbst war nud alle seine Größe der Gnade Gottes verdankte. Diese Furcht
von feiten Daniels war damals nicht eben das Ergebnis persönlichen Leidens,
sie kam vielmehr über ihn, nachdem er dnrch Offenbarnngen von Gott hoch»
geehrt war; seine Furcht entsprang aus dem Anblick seines H e r r n und aus
einem G e f ü h l seiner eignen U n w ü r d i g k e i t . Nur eben ein Wort hier«
über. D u magst ein hochgeliebter Mann fein nnd deshalb einen klareren
Anblick des Herrn Iefu haben als andre; und gerade aus diesem Grmlde
magst du vielleicht größere Scham und Verwirrung empfinden, sobald du an
dich selbst denkst. Erinnert euch, wie Daniel von sich sagt: „Es blieb aber
keine Kraft in mir, nnd ich ward fehr ungestaltet und hatte keine Kraft mehr."
O Geliebte, weun der Herr euch je mit viel Liebe nnd mit nahem Zutritt zn
sich selber begnadigt, so müßt ihr auch die andre Seite davon erwarten —
das heißt, ihr müßt euer Nichts, eure Schlechtigkeit und Nuwürdigkeit fühlen,
und wenn ihr dies fühlt, so wundert's mich nicht, wenn ihr beinahe wünscht,
nie geboren zn sein, nnd fühlt, als wenn je eher dies Leben endete, desto
besser es wäre — fühlt, als wenn ihr untüchtig wäret, irgend etwas für
Gottes Volk zn thun, untüchtig fogar, Christi Namen zu tragen, nnd doch
mögt ihr die ganze Zeit über hochgeliebt und außerordentlich gesegnet sein.
Blickt auf Hiob; als er ganz bedeckt mit böfen Schwären ist, rechtfertigt er
sich ill gewissem Grade, aber in dem Augenblick, wo er seinen Gott sieht,
was fagt er da? „Ich habe von D i r mit den Ohren gehört, aber nun stehet
Dich mein Auge; darum verabscheue ich mich selbst." Es ist sicher stets so —
große Liebe Gottes wird große Demut der Seele in euch bewirken nnd euch
tief i l l dell Staub daniederlegen. Spreche ich zu einem Bruder, der kürzlich
mehr von der Mißgestalt feines Herzens herausgefunden hat, als je zuvor?
Kam er heute morgen hierher, rufend: „Ach, wehe mir." Nein, lieber Bruder,
nicht „wehe dir," fondern: „ O hochgeliebter Mann," obwohl du dies durch
einen Anblick deines Herrn herausgefunden hast, so fürchte dich nicht, dies ist
ein Segen und kein Fluch für dich.
Vielleicht war auch die große Furcht Daniels erweckt durch die A u f -
schlüsse, die i h m gegeben w a r e n über die Geschicke der Nationen nnd
besonders seines eignen Volkes. Gerietet ihr je in diesen Zustand und begannt
auf die Welt und auf euer Land und auf die Gemeinde zu blicken, und hattet
ihr dann einen Anfall voll Zittern? Ich versichere euch, es ist ungemein leicht,
das Kleid Ieremias," des weinenden Propheten, anzulegen. Wenn wir auch
nur im eignen Vaterlande umherblicken, fo fehen wir überall Unheil hervor»
S p u r g e o n , Alttestamentliche Vllder. 49
770 Alttestamentliche Bilder.

treten und Irrtum herrschen, und die Sache der Wahrheit scheint wie eine
vom Sturm umhergeworfene Varke, fast ein Wrack. Gewiß, wir können Raum
genug für Weinen und Klagen finden. Und wenn wir auf die Welt im
ganzen und großen blicken, lind sehen, wie der Unglaube sich verbreitet: „Weh
ist mir!" mögeu wir sagen. Ja, Daniel hatte die Geschichte der Welt ans
eine lange Periode der Zukunft hinaus gesehen, deshalb war er voll Furcht.
Uud seid ihr auch voll Furcht? Nun, es ist ein Teil des Loses der Männer,
die Gott sehr liebt, daß sie die Not der Zeiten tragen, und in bezug auf ihr
Zeitalter Christo gleich siud, und die Sünden der Menschen auf ihrem Herzen
tragen, und für sie bei dem lebendigen Gott bitten.
Ich denke anch, daß Daniels Schmerz zum Teil durch die Wiederholung
der Worte veranlaßt war: „Das Gesicht ist wahr, aber es ist noch eine
lange Zeit dahin." Es schien immer wieder Daniel zu übermannen. „Die
Zeit ist lang." Ich kenne kein Leid, das mein Herz schwerer drückt, als dies.
Es scheint eine entsetzlich lange Zeit, seit Gott ein Wunder gethan hat — solch
eine Zeit, seit in der Kirche irgend etwas Großes geschehen ist^ Das Christen'
tum hält, nur eine erbärmliche Minderzahl der Menschheit unter seiner Macht:
die Zahl der evangelischen Christen in der Welt ist eine elende Fraktion im
Vergleich mit der Masse von Götzendienern, Mohammedanern, Katholiken und
dergleichen. Die wahren Gemeinden scheinen nicht zu wachsen und mittler-
weile ergehen die Herausforderungen der Ungläubigen an uus, und wir
scheinen nicht den Mut zu haben, darauf zu antworten, wie man darauf
antworten sollte. Ein taufend und achthundert Jahre und mehr sind ver»
gangen, und kein Fortschritt oder kaum einer! O Herr, wie lange! Wie lange!
Wie lange! Wie lange! Und doch, Jehovah ist der Herr, ja. Er ist der alleinige
Gott, und Er könnte in einem Augenblick die Finsternis der Menschheit er«
leuchten, und sein Geist könnte Männer erwecken, die gleich Feuerflammen durch
die Mitternacht der Zeiten blitzen. Warum zögert Er? Dies ist der Ruf,
den die Gemeinde überall emuor sendet, wo sie in Gottes Nähe lebt. Und
wenn einige hier so begnadigt sind, von Gott geliebt zu werden, so bin ich
gewiß, dies wird auf ihnen lasten: „Wie lange, Herr, wie lange? Warum ver«
ziehst Du?"
III.
Nun schließen wir, indem wir die Tröstungen beachten, die der Engel
dem Daniel brachte, und welche er in dem Maße, wie wir hochgeliebt und
von gleicher Furcht befallen sind, auch uns bringt.
Er fagte ihm zuerst: „Friede sei mit dir." So sagt er zu jedem von
den Gottgeliebten hier: „Friede sei mit dir." „Warum sorgst du, warum
grämst du dich, wirst hin- und hergeworfen in deinem Gemüt? Friede fei
mit dir."
Der hochgeliebte Mann. 771

Laß zuerst Friede mit dir sein, weil du „hochgeliebt" bist. Was
immer geschieht oder nicht geschieht, du bist hochgeliebt. Der Herr liebte dich,
noch ehe die Erde war. Er erlöste dich mit dein Vlute seines eignen Sohnes,
Er hat dich zur Gemeinschaft mit Jesu berufen — Friede — du bist geliebt,
gibt dir das nicht Friede? „ S t i l l , mein Kindlein," sagt die Mutter, „liege
still und schlummere," nnd der süßeste Ton in ihrem Schlummerlied ist die
Erwähnung ihrer eignen Liebe. So, teures Kind Gottes, sei still, sei ruhig,
dn bist vom Himmel geliebt.
Und danach, fürchte dich uicht, Friede sei mit dir, Gott regiert noch —
Er regierte die Welt, ehe du geboren wärest und führte seine» Willen ails;
Er wird sie regieren, wenn du tot bist, und wird seine Ratschlüsse erfüllen.
Warum quälst du dich? Wozu nützt dein Sorgen? D u bist an Vord eines
Schisses, das du uicht steuern könntest, felbst wenn der große Kapitän dich an
den Helm stellte, uon dem du nicht einmal ein Segel reffen könntest, doch
.forgst du und quälst dich, als wenn du Kapitän und Steuermann wärest.
O, fei ruhig — Gott ist Meister — meinst du, all dieser Lärm und Wirrwarr
in der Welt bedeute, daß Gott seinen Thron verlassen habe? Nein, Mann,
seine Renner stürzen wild vorwärts und sein Wagen ist der Sturm, aber es
ist ein Gebiß in ihrem Maule, und Er hält die Zügel fest und führt sie wie
Er will! Jehovah ist noch der Herr — glaube es, Friede fei mit dir — fei
nicht bange!
Und wenn du unruhig bist über die Länge der Zeit, — womit missest
du? M i t deinem eignen Alter von siebzig Jahren oder mit Tagen und
Wochen — missest du so? Hast du je die Meßschnur des Ewigen gesehen und
weißt du, daß, wenn diese Welt Millionen auf Millionen Jahre dauern sollte,
sie nur ein Puukt sein würde zwischen den zwei Ewigkeiten, die vorhergegangen
und folgen? Gottes Lebeul Es ist nicht aus dem Ticken der Uhr zusammen»
gesetzt! Er kann warten, Er kann warten! Er kann Generationen böser
Menschen aufeinander folgen lassen, ja, Er könnte zehntaufend mal zehntaufend
Jahre dein Teufel gestatten, seine Kette durch die Welt zu schleppen und
dennoch am Ende weit überwinden und ein um so glorreicherer Überwinder
sein, um der Lauge des Kampfes willen. Es ist ein Kinderstreit, der nur eine
Stunde währt, aber gewaltig ist der Kampf der Nationen, wenn sie von Jahr
zu Jahr miteinander ringen, wenn ein Feldzug den Krieg nur eröffnet, wenn
ein zweiter nur den Streit anfacht, wenn ein dritter nur die Leidenschaften
entflammt und ein andrer nur alle Wut der Kämpfer hervortreten läßt
und erst lange nachher zum Schluß der große Krach kommt, der alles
endet. Sollen die Kriege Gottes kürzer von Dauer sein, als die Kämpfe
der Menschen? D u hast erst einen Feldzug gesehen oder vielleicht die erste
Salve der Artillerie, die den Kampf eröffnet; du hast nicht das Kreuzen
49*
?72 Alttestamentliche Bilder.

der Bajonette gesehen, das noch kommen mag, denn eine Zeit der Trübsal,
wie sie die Welt noch nie gesehen, ist noch aufbehalten. Aber bleibe dn dessen
gewiß, es ist alles kurz vor I h m , bei dein tausend Jahre sind, wie ein Tag
uud ein Tag wie tausend Jahre. Komm herab von dem Meßplatz, Kind,
komm herab! Es ist Gott, der wiegt und mißt. Bleibe dn davon, sitze zu
seinen Füßen und sei still. Sei still, es ist alles gut, es wird sicherlich gut
enden. Gott ist noch der Herr.
Dann fügt er hinzu: „sei stark," als wenn diese Vefürchtnugen Daniel
schwach machten und als wenn es wichtig sei, daß er stark wäre. Nun, wenn
überhaupt irgend eine Wichtigkeit in uns ist, und es ist nicht viel, so wird
das, was wir an unsrem gegenwärtigen Platze thun können, sicherlich all unsre
Stärke erfordern. Und da unsre Furcht uns ganz entschieden für alle prak«
tischen Zwecke schwächt, so sollte sie abgeschüttelt werden. Daher sagt der
Engel zweimal: „Sei stark, ja, sei stark;" und, Geliebte, wir sollten stark im
Glauben sein, denn Gott verdient es. Er hat uns Verheißungen unsrer
Sicherheit, seiues endlichen Sieges und des Triumphes seiner Sache gegeben,
nnd Gott hat noch nie gelogen. Warum sollten wir denn an Ihn« zweifeln?
Die, welche I h m trauen, sind noch nie zu schänden geworden. Er verdient,
daß wir uns auf I h n verlassen, und wenn die Dinge noch fchwärzer würden
und die Zeiten schlimmer nnd die wahre Religion fast ganz unterdrückt wäre
und nur noch in eines einzigen Mannes Herzen lebte, so sollte dieser Mann
glauben, daß Gott dennoch Sieger bleiben würde und sollte keine Zweifel
haben, denn warum sollte er dem Vater nnfres Herrn Jesu Christi mißtraue«,
dem Unfehlbaren, dem Unveränderlichen und Wahrhaftigen! O Vrnder, da du
diefen Grund und Halt für deine Stärke hast, so gedenke daran, daß dein
Werk alle deine Stärke von dir verlangt. Wie kannst du beten mit diesen
Zweifeln im Innern? Wie willst du andre lehren, während du felber zweifelst?
Wie kannst du deinen Dienst ausrichteu, wenn Seufzer von dir aufsteigen?
Gesang, lieblicher Gesang ist das, was von dem Arbeiter für den Herrn, den
Gott Israels, ausströmen sollte. Sei also stark. Falle nieder vor dem Herrn
in ernstem Gebet und bitte I h n , dein ängstliches Sorgen hinwegzunehmen,
und dich, da du hochgeliebt bist, stark zu machen.
Bedenkt, Geliebte, besonders ihr, die irgendwie hervorragend sind, daß
andre sich nach euch richten werden, und wenn ihr mit verhaltenen! Atem,
mit Zitternden Worten sprecht, so werden andre auch schwach sein. Deshalb
fürchtet euch nicht — seid stark, ja, seid stark. Und bedenkt, es ist im Grunde
gar keine Ursache zur Angst dal Habt ihr nicht lange genug gelebt, um zu
sehen, daß stets, wenn Menschen gemeint haben, die Sachen gingen am
schlimmsten, sie am besten gegangen sind. Es ist eine Strömung unter der
Oberfläche, die das Auge nicht sieht, die oft stärker ist als der obere Fluß.
Der hochgeliebte Mann. 773

Und außerdem, wenn es nicht so wäre, habt ihr nie gesehen, haben eure Väter
euch nicht gesagt, daß der dunkelste Teil der Nacht der ist, der dem auf-
dämmernden Tage vorhergeht? Habt ihr nie bemerkt, daß, wenn die wahre
Religion entweder in eurer eignen Seele oder in der Welt zurückgegangen
scheint, sie plötzlich wieder einen Sprung vorwärts thut? Es kommen Wellen ans
Ufer nnd jede scheint stärker als die vorige; aber dann kommt eine, die sie
alle zurücknimmt, und ihr mögt denken, daß das Meer von seiner Stärke
nachläßt: doch die Flut kommt heran, sie kommt, selbst während die Welle
so weit zurückweicht. Alles wirkt für den Fortschritt, obgleich hier und da ein
Rückschritt scheiueu mag. Dort ranscht der Strom daher wie ein mächtiger
Niagara, und du bist nah am Ufer in einen: kleinen Strudel, drehst dich rund
und rund in einem einzigen Wirbel, und du sagst: „Der Strom fließt in ver<
kehrter Richtung, er hat keinen Fortschritt gemacht, ich bin dieser Kreisbewegung
müde." A h ! aber du bist nie in dem breiten Strom gewesen, oder wenn
dein Auge darauf geschaut hat, so ist es von dem Anblick seiner Breite und
Länge geblendet worden, und dn hast ihn nicht verstanden. Der Herr regiert,
der Herr, der allmächtige Gott, regiert und Jesus sitzt an seiner Seite, während
die Wahrheit, gleich seinem Engel, seiner Fußspur folget, immer noch mächtig.
Und der Geist, der eine Zeitlang seine große Macht verhüllt und sich in den
geheimen Kammern seiner Gemeinde verborgen hat, wird hervorgehen, und der
Tag soll kommen, wo des Herrn Wahrheit unter dem Volk mit Macht ver-
kündet wird, ja, mit solcher Macht, daß die Welt sich davor beugen soll, und
der Lobgesang emporsteigen wird zum Herrn, dem allmächtigen Gott, denn Er
soll angebetet werden vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang!
O, ihr jungfräulichen Seelen, die ihr dem Lamme nachfolget, wo es hin-
gehet, folget I h m stets nach! Haltet eure Kleider unbefleckt von der Welt.
Seid der Wahrheit nnd dem Gewissen streng treu. I h r seid Hochgeliebte, laßt
euren Geist uicht verzagen. Es entfalle keinen! Menschen das Herz um des
Goliaths willen, der uus entgegentritt! Er ist nur ein Geschöpf und wird
schwindelt und sterben. Fürchtet euch nicht, Friede fei mit euch, seid stark, ja,
seid stark! Der Herr stärke euch. Amen.
774 Alttestllmentliche Bilder.

Die Götzen abgeschafft.


„Ephraim, was sollen mir weiter die Götzen?" Hos. 14, 8.

(Götzendienst war die große Sünde der zehn Stämme, die durch Ephraim
vertreten wurden; es ist überhaupt die Sünde des ganzen menschlichen Ge»
schlechts. Wenn wir von Götzendienst sprechen, brauchen wir nicht an Stein-
und Holzblöcke zu denken, und an Schwarze, die vor ihnen knieen; denn unser
Vaterland ist mit Götzen überfüllt. Ebensowenig braucht ihr in die Straßen
zu gehen, um sie zu finden; bleibt, wo ihr seid, uud seht ins eigne Herz
hinein, da werdet ihr Götzen finden. Dies ist die eine, so leicht anklebende
Sünde unsrer Natur: von dem lebendigen Gott uns abzukehren und uns
Götzen der einen oder andren Art zu inachen; denn das Wesen der Abgötterei
ist dies: Irgend etwas mehr als Gott zu lieben, auf irgend etwas mehr zu
vertrauen als auf Gott, zu wünschen, daß wir einen andren Gott hätten, als
wir wirklich haben, oder Zeichen und Wunder hätten, durch welche wir I h n
sehen könnten, irgend ein äußerliches Symbol oder eine Darstellung, die mit
den Augell gesehen oder mit den Ohren gehört werden kann, lieber, als in
einem unsichtbaren Gott zu ruhen und der treuen Verheißung Dessen zu
glauben, den das Auge nicht gesehen und das Ohr nicht gehört hat. I n der
einen oder andren Form ist diese große Sünde der Hauptfchade in dein
Menschenherzen; und selbst in den Erretteten ist dies eine der Entwickeluugen
des übriggebliebenen Verderbens. W i r können sehr leicht einen Götzen aus
irgend etwas «lachen und auf verschiedene Art. Ohne Zweifel machen viele
Mütter und Väter Abgötter aus ihren Kindern, und ebenso vergöttern viele
Gatten und Gattinnen sich gegenseitig, und wir können selbst aus Pastoren Götzen
machen, wie es früher Hirten-Götzen gab. Ebenso gewiß ist es, daß mancher
denkende Mann einen Götzen aus seinem Verstände macht und mancher andre
aus seinem Gold oder sogar aus jenem kleinen Heim, ill dem er soviel Zu«
friedenheit genießt. Der unwissende Papist hält sein Kruzifix empor und ver<
Die Götzen abgeschafft. 775

ehrt dies, und das ist sein Götze; aber Menschen, die besser unterrichtet sind,
nehmen oft die Bibel, lesen sie, und ohue durch den Buchstaben in den Geist
einzudringen, vertrauen sie auf das bloße Vibellesen und «lachen das Wort
selber so zu einem Götzen, indem sie auf ein bloßes Bekenntnis oder das
Lesen der Schrift sich verlassen und nicht dadurch zu einer wahren Verehrung
Gottes im Herzen hindurchdringen. Jedes Ding, das zwischen uns und den
persönlichen Verkehr unsrer Seele in Glaube, Liebe und Hoffnung mit Gott,
wie er in Christo Jesu geoffenbart ist, tritt, wird ein Götze für uns.
Es gibt Götzen aller Art, von mehr oder weniger innerem Werte.
Gerade wie in körperlichen Dingen ein Götze aus Holz gemacht ist, ein
andrer aus Stem, ein andrer aus Silber, und ein andrer aus Gold, so daß
diese Götzen an Wert verschieden sind, und doch alle Götzen, so mögen die
Menschen, je nach ihrer verschiedenen Gemütsart, einen Abgott aus diesem
oder jenem machen, ein jeder nach feinem eignen Gefallen. Viele dieser
Götzen mögen, an und für sich betrachtet, gut genug sein, aber wenn sie zu
Abgöttern gemacht werden, so sind sie darum nicht besser. Ein goldener Götze
ist vor Gott ebenso verhaßt wie ein hölzerner; und so wird das teuerste und
beste Ding auf Erden, wenn ihm verstattet wird, als Abgott zwischen uns und
Gott zu treten, ein Greuel vor den Augen des Höchsten. O, Bruder, wenn
du der Vorsehung Gottes nicht trauen kannst, sondern fühlst, als wenn du
etwas sichtbaren Vorrat haben mußt, um dich darauf zu stützen, fo vergötterst
du deiue Ersparnisse oder das Geld, das du begehrst. Wenn du nicht die
bloße Verheißung nehmen und alles für Gott wagen willst, sondern etwas
über Und neben dem Worte Gottes verlangst, um darauf zu ruhen, so ver»
götterst du deine eigne Selbstsucht. Wenn du Zeichen und Proben und Ve>
glaubigungen der Dinge haben mußt, die Gott deutlich erklärt hat, und
Gott nicht glauben willst, bis du bestätigenden Beweis hast, so spielst du die
Rolle des Götzendieners. Doch verlangt die menschliche Natur beständig noch
mehr als den allgemeinen Gott, weil sie fleischlich ist, daß sie dem Unsichtbaren
nicht trauen will. Es ist deshalb ein hohes Gnademoerk, wenn Gott einen
Menschen dahin bringt, zu sagen: „Was sollen mir weiter die Götzen?"
Ich bitte um eure Aufmerksalnkeit für vier Punkte.

I.
Und der erste ist dies: ich möchte, daß ihr die NMtMschviinkte
W a c h t i n dieser U o r h e v s a g l M g beachtetet. „Ephraim soll sagen (engl.
Üb.): was habe ich weiter mit Götzen zu thun?"
Gott spricht von Ephraim, als wenn Ephraim thun würde und thuu
müßte, was Er erklärt, daß er thun soll. ^Ephraim soll sagen: was habe
ich weiter mit Götzen zu thun?" Aber wer war dieser Ephraim? Wenn
776 Alttestamentliche Bilder.

wir ihn als einen einzelnen betrachten, so stellt er die zehn Stämme Israels
dar zu der Zeit, als sie den fremden Göttern dienten, Ephraim ist ein Mensch
und hat deshalb einen eignen Willen; er ist ein verderbter Mensch und hat
deshalb einen hartnäckigen Willen; nnd doch spricht Gott von ihm so be-
stimmt, als wenn er keinen Willen hätte, und erklärt, daß er sagen soll:
„Was habe ich weiter mit Götzen zu thun?" Es würde sehr schwer sein, zu
sagen, was der Wind thun soll — sehr hart, zu sagen, was die Wellen thnn
sollen; aber des Menschen Wille ist veränderlicher und unberechenbarer, als
Wind und Wellen. Doch spricht Golt, als wenn Ephraim ganz in seiner
Hand wäre, und Er sagt uns, was Ephraim sagen soll und in Wirklichkeit,
was er fühlen soll. Es ist wunderbar — nicht wahr? — daß Gott, der des
Menschen Unbeständigkeit nnd Eigenwillen kennt, so von dem Gemüt des
Menschen spricht und erklärt, was er sagen soll nnd was er fühlen soll.
Null, i l l all diesem ist zu beachten, daß keine Vergewaltigung des
menschlichen Willens dabei ist. Menschen sind keine Holzblöcke oder Klumpen
nnbewußten Thons. Gott hat den Menschen zn einem Geschöpf gemacht, das
für sich selber will, beschließt nnd urteilt, und Er behandelt ihn als solches.
Es gibt Leute, die sich einzubilden scheinen, daß, wenn wir von Gott als
allmächtig in dein Reiche des Geistes sprechen und von seinen Erklärungen,
was Menschen thun nnd fühlen sollen, wir darum die Freiheit des Handelns
leugnen. Ganz und gar nicht. W i r find ine bereit, um einer Wahrheit
willen eine andre zu leugnen, nnd wir glauben ebenso von Herzen an die
Freiheit des Handelns, wie all die Vorherbestimmung. Es ist niemals unsre
Gewohnheit gewesen, eine Wahrheit zu töten, um Raum für eine andre zu
machen. Es ist Raum genug für zwei Wahrheiten ill der Seele eines Menschen,
der willig ist, wie ein kleines Kind zu werden. J a , es ist Raum in einem
gelehrigen Herzen für fünfzig Wahrheiten, ohne Streit beisammen zu leben.
Gott behandelt Menschen als Menschen und als vernünftige Geschöpfe.
Da Er ihnen die Kraft des Urteils und des Willens verliehen hat, behandelt
Er sie danach und Er wendet nicht diejenige Gewalt bei der Seele an, die
man rechtmäßigerweise bei einem Stück Metall braucht, wenn es durchbohrt
oder geschmolzen werden soll, nicht einmal solche Kraft, wie mall rechtmäßig
brauchen kann bei „Rossen und Maultieren, die nicht verständig sind, welchen
man Zanm und Gebiß muß ills M a u l legen, wenn sie nicht zu dir wolleil."
Nein, nein. Es gibt keinen Menschen unter dem Himmel, dessen Willen Gott je
Gewalt angethan. Er hat den Willen der Erretteten um so freier gemacht
durch die Einschränkungen, welche die Gnade ihm auferlegt hat. Die Gnade
fesselt nicht den Willen, sondern macht ihn frei; und wenn ein Mensch auf-
richtig fagt: „Was sollen mir weiter die Götzen?" obgleich diefe Rede ganz
dem Streben seines früheren Lebens entgegengesetzt ist, fo sagt er dies doch
T i e Götzen abgeschafft. 777

mit voller Veistimmnng feines Herzens; ja, er fagte nie etwas billiger als
diefes, wenn Gott durch feine Kraft „ihn willig gemacht hat am Tage
feiner Macht." (Pf. 110, 3, engt. Üb.)
Ich «lochte wissen, ob ihr im stände feid, lieben Brüder, diese zwei großen
Wahrheiten zu ergreifen und festzuhalten: zuerst, daß der Menfch ein Gefchöpf
ist, das für alle feine Handlungen verantwortlich ist und freien Willen hat,
und fo eingerichtet ist, daß Gott felber diesen freien Willen nicht vergewaltige»
will, uud doch diese andre Wahrheit, die wir mit aller Kühnheit behaupten,
daß Gott ebenso allmächtig im Reich des Geistes uud freien Willens ist, als
in dem Vereich des bloß Körperlichen. Er stehet die Berge an, so raucheu
sie, Er rühret die Erde an, fo zittert sie, das Meer gehorcht I h m uud bleibt
stehen, wo Er es gebietet; ja, Erdbeben und Stürme sind ganz uuter seiner
Herrschaft. Niemand, der an einen allmächtigen Gott glaubt, zweifelt daran,
aber es ist ebenso wahr, daß den dunklen Verstand Gott mit einem Blitz
seines Geistes erleuchtet, daß die eiserne Sehue des hartnäckigen Willens Gott
hinwegnimmt, und die Neiguugen — weun das Herz wie Stein ist, kalt, tot,
schwer, unbeweglich, so hat Er einen Weg, den Stein in Fleisch zu waudelu.
Er kanu thun, was Er will mit den Menschen, und wenn sein Geist alle seine
Kraft aufwendet, ob die Menfchen auch widerstehen' mögen, fo ist doch ein
Puukt da, über den hinaus der Widerstand gänzlich aufhört und die Seele in
freudige Gefangenfchaft des überwindenden Geistes Gottes geführt wird.
Nnn wird jemand wiederum sageu: „Aber wie vereinst dn diefes? Du
sprichst nun den Behauptungen entgegen, die du vorhin machtest." Nein, mein
lieber Bruder, das thue ich nicht. Sie sind beide wahr; der Mensch ist frei,
doch Gott ist ein Herrfcher in der Welt des freien Geistes, der seinen eignen
Weg geht und so bestimmt fvricht, ohne Wenn und Aber. Wißt ihr nicht,
daß Er feinen Willen haben wird und des Menschen Wille sich willig seinem
Willen beugen soll, denn Er ist der Herr allein. Laßt mich euch Gottes „ w i l l "
lesen, Gottes wunderbares „will," wie es in diesem Kapitel steht: „ S o w i l l
ich ihr Abtreten wieder heilen, gern w i l l ich sie lieben; dann soll mein Zorn
sich von ihnen wenden. Ich w i l l Israel wie ein Tau sei», daß er blühen
s o l l wie eine Rose, und seine Wurzeln sollen ausschlage» wie Libanon. Und
seine Zweige sich ausbreiten, daß er sei so schön als ein Ölbaum; uud soll
so guten Geruch geben wie Libanon. Ephraim soll sagen: was habe ich
weiter mit Götzen zu thun?" Gott spricht voll Menschen, als wenn sie ganz
und gar Puppen in seiner Hand wären, und doch in andren Selten hält Er
ihnen ihre persönliche Verantwortlichkeit vor; beide Lehren sind wahr. Laßt
es nicht eure oder meine Sache sein, zu fragen, wie sie vereinigt werden
können, viel weniger eine dieser Wahrheiten wegzuwerfen, fondern laßt uns
beide festhalten, denn diefe zwei werden ein Leitfaden fein durch manches Ge-
778 Alttestamenttiche Bilder.

heimnis verworrener Lehre und in das Licht Gottes führen bei manchem
dnnklen Allsspruch. Ich freue mich, den allmächtigen Herrn so göttlich davon
sprechen zu hören, was der Mensch thnn soll, und ich bete die erstaunliche
Weisheit und Macht an, welche über Freihandelnde herrschen kann.

II.
Aber nun zweitens, in unsrem Texte sehen wir eine w u n d e r b a r e
V e r ä n d e r u n g . „Ephraim soll sagen: was habe ich weiter mit Götzen
zu thun?"
Wer ist dieser Ephraim? Nun, wenn ihr das Buch Hosea durchleset,
so werdet ihr ihn beständig wiederkehren finden. Ephraim: „Wer war es?"
Wer ist es, der da sagt: „Was habe ich weiter mit Götzen zu thun?" Ich
will euch es sagen. Es ist derselbe Ephraim, von dem der Herr gesagt hatte:
„Ephraim hat sich zu den Götzen gesellet, so laß ihn hinfahren."
Dies ist eine andre Sprechweise, nicht wahr? Zu eiller Zeit ist er
„geleimt" an seine Götzen, denn dies ist das im Urtext gebrauchte Wort, ge-
leimt an sie, als wenn er daran klebte und nicht davon wegzubringen wäre.
Und hier spricht er: „Was habe ich weiter mit ihnen zu thun?" Was für
eine Verändernng ist dies! Ist dies derselbe Mann? J a , derselbe Mann.
Aber merkt darauf, was die Gnade Gottes für ihn gethan hat. Seht auch, wie
entschlossen er ist. Er spricht deutlich und bestimmt: „Was habe ich weiter mit
Götzen zn thun?" Ist dies derselbe, von dem wir in einem früheren Kapitel lesen,
„Ephraim ist eine thörichte Taube ohne Herz." J a , er war „eine thörichte
Taube ohne Herz," und jetzt spricht derselbe Ephraim: „Was habe ich weiter
mit Götzen zu thun?" als wenn er ein neues, erleuchtetes, kühnes und ent»
schiedenes Herz erhalten hätte. Dies ist eine Verändernng, nicht wahr? Der
Mann, der an seine Götzen geleimt war und voll Unbeständigkeit, selbst wenn
Besseres vor ihn kam, ist nun ganz getrennt von dem, worauf er vorhin ballte,
und haßt es, er schwankt und zaudert nicht länger, sondern tritt fest auf nnd
fragt mit rühmlicher Naschheit: „Was habe ich weiter mit Götzen zu thun?"
Es ist eine große Veränderung; aber eine, wie viele von uns sie erfahren
haben, und eine, wie jeder hier sie erfahren muß, sonst kann er nie vor dem
Angesichte Gottes angenommen werden. Bekehrung, die erste Frucht der
Wiedergeburt, bringt einen solchen Wechsel ill einem Menschen hervor, als
wenn er tot und begraben gewesen und dann zu einem neuen Leben erweckt
wäre. Es ist eine eben solche Veränderung, als wenn der Mensch getötet
wäre und dann wieder eine neue Kreatur in Christo Jesu gemacht.
Ich möchte wissen, ob ihr alle eine solche Veränderung gefühlt habt.
Ich treffe manchmal Personen an, die behaupten, Christen nnd Gläubige und
all das zu sein, aber sie haben nie irgend eine Veränderung erfahren, daran
Die Götzen abgeschafft. 779

sie sich erinnern seit ihrer frühesten Kindheit. Wohl, lieber Freund, es muß
eine solche Veränderung da gewesen sein, wenn du eln Ehrist bist. Ich will
nicht sagen, daß du den Tag und die Stunde wissen mußt, aber verlasse dich
darauf, wenn du jetzt bist, was du warst, als du geboren wurdest, so bist du
in der „bitteren Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit." Wenn keine Um»
kehr stattgefunden hat, so gehst du den verkehrten Weg; jeder Mensch muß
von den» Wege umkehren, dem Vater Adam sein Gesicht zuwandte, denn unser
Antlitz ist der Sünde und dem Verderben zugewandt, und wir müssen ganz
umgekehret werden, so daß wir unser Gesicht der Heiligkeit und dem ewigen
Leben zuwenden. Wo keine solche Umkehr ist, da ist die ernsteste Ursache zur
Herzens'Erforschung und Demütigung und zum Suchen des Heils. Hast du
eine große Verwandlung erfahren? Die Notwendigkeit dafür habe nicht ich
aufgestellt, erinnert euch dessen. Es ist jenes tiefernste Werk des Neuen
Testaments: „ I h r müsset von neuem geboren werden." Es muß eine völlige
und totale Umänderung mit euch vorgehen, so daß ihr die Dinge haßt, welche
ihr einst liebtet, und die Dinge liebt, die ihr haßtet: eine so große Ver»
cinderung, wie in Ephraim war, der vorher an seine Götzen geleimt war und
sie jetzt verabscheute. Ich bitte euch alle, zu forschen uud zu sehen, ob ein
solcher Unterschied in euren Herzell gemacht ist durch den Heiligen Geist, denn
ein I r r t u m hierin wird verhängnisvoll sein.
Wenn ihr nie eine solche Erneuerung erfahren, so senfzt das Gebet
hinauf, daß der Heilige Geist euch in dein Geist eures Gemüts ernellern möge;
und wenn ihr hofft, daß eine solche Verwandlung stattgefunden, so möge Gott
geben, daß es eine wirkliche bleibende Bekehrung sei, so daß ihr in der Gnade
bleibt und aus Kraft in Kraft geht, bis die Götzen gänzlich abgethan sind nnd
eure ganze Natur der Tempel des lebendigen Gottes wird.
So haben wir denn zweierlei bemerkt: eine nnumschränkte Vorhersagung
und eine wunderbare Änderung.

III.
Drittens, es liegt ill unsrem Text e i n B e k e n n t n i s e i n b e g r i f f e n .
Ephraim soll sagen: „Was habe ich weiter mit Götzen zu thun?" „Weiter
mit Götzen!" Dann, Ephraim, hattest du viel mit Götzen zu thun bisher?
„ J a , " sagt er mit Thränen im Auge, „das hatte ich." Heuchler meinen
weniger, als ihre Sprache ausdrückt, aber wahrhaft Bußfertige meinen mehr,
als ihre bloßen Worte aussprechen können. Das Bekenntnis des Textes
kommt um so mehr aus dein Herzen, weil es ein schweigendes ist, und sozu-
sagen unabsichtlich entschlüpft.
Seht ernstlich zu, lieben Hörer, denn vielleicht beten einige von euch
Götzen all. Wir wollen in den Tempel eures Herzens gehen und sehen, ob
780 Alttestamentliche Bilder.

wir einen falschen Gott da finden können. Ich gehe in ein Herz hinein nnd
wenn ich aufblicke, sehe ich ein riesiges Götzenbild da; es ist Über und über
vergoldet nnd mit glänzenden Gewändern bekleidet; seine Augen scheinen
Edelsteine zu sein und seine Stirne ist wie „reines Elfenbein, mit Saphiren
geschmückt;" es ist ein sehr beliebtes Götzenbild für das Auge. Kommt nicht
zu nahe, prüft nicht zu strenge, denkt ja nicht daran, einen Blick in das
Innere des hohlen Schangepräges zu werfe». Inwendig werdet ihr alle Art
von Schmutz und Fäulnis finden, aber die Außenseite des Abgottes ist ge-
schmückt mit der größten Knnst und Geschicklichkeit und ihr könnt euch sogar
darin verlieben, wenn ihr steht und es aufchaut. Was ist sein Name? Sein
Name ist S e l b s t g e r e c h t i g k e i t . Wohl gedenke ich der Zeit, da ich dies Vild
allzubeten pflegte, welches meine eignen Hände gemacht hatten, bis eines
Morgens meinem Gotte der Kopf abgeschlagen war, und nach und nach fand
ich, daß er feine Hände verloren und bald fand ich, daß der Wurm ihn ver-
zehrte, und mein Gott, den ich verehrte und dem ich traute, zeigte sich als
ein Hansen Dung und Dreck, während ich ihn für eine Masse soliden Goldes
gehalten, mit diamantenen Augen. Ach, es gibt viele, denen keine Offen-
barnng zu teil geworden. I h r Götzenbild ist noch in vortrefflichem Zustande.
Wahr, vielleicht, um Weihnachten gerät es ein wenig in Unordnung, und sie
fühlen, daßsiesich nicht ganz betrugen, wie sie sollten, als die Flasche so frei
herumging, aber sie haben den Goldschmied herbeigerufen, das Götzenbild neu
mit Gold zu überlegen und die abgeschabten Stellen frisch zu vergolden. Sind sie
nicht seitdem zur Kirche gewesen? Gingen sie nicht am Weihnachtsmorgen in
ein Gotteshaus uud brachten alles wieder zurecht? Haben sie nicht Ertra-
gebete hergesagt und ein wenig mehr Almosen gegeben? So haben sie ihren
Gott wieder abpoliert und er sieht sehr respektabel aus. Ach, es ist so leicht,
ihn wieder auszuflicken, meine Brüder, bis die Lade des Herrn hereinkommt,
und dann können alle Schmiede in der Welt diesen Gott nicht aufrecht halten.
Wenn das Evangelium Jesu Christi i» die Seele eiugeht, dann beginnt sofort
dieser wundervolle Gott sich zu beugen, und wie Dagon, der vor der Lade des
Herrn zerbrochen ward, wird die Selbstgerechtigkeit zertrümmert. Aber es gibt
Tausende überall in der Welt, die diesen Gott verehren, und ich will euch
sagen, wie sie zu ihm beten. Sie sprechen: „Ich danke dir, Gott, daß ich
nicht bin, wie andre Leute" u. s. w., nicht genau in des Pharisäers Worten,
aber in derselben A r t : „Herr, ich danke dir, daß ich niemanden betrüge und
meine Kinder ehrbar erzogen habe. Gott, ich danke dir, daß ich ein regel-
mäßiger Kirchengänger oder Besucher religiöser Versammlungen gewesen bin
mein lebenlang. Gott, ich danke dir, daß ich kein Flucher bin, noch ein
Trunkenbold oder etwas derart. Ich bin weit besser, als die meisten Leute;
und wenn ich nicht in den Himmel komme, so wird es sehr schlimm um meine
Die Götzen abgeschafft. 781

Nachbarn stehen, denn sie sind nicht halb so gut wie ich." I n solcher Weise
wird diese ungeheuerliche Gottheit verehrt. Ich spreche nicht von dem, was in
Hindostan gethan wird, sondern von einem Götzendienst, der sehr zum gnten
Ton bei uns gehört. Der Gott der Selbstgerechtigkeit ist der oberste Gemalt-
haber in Millionen Herzen. O, daß jeder Verehrer dieses Gottes dahin ge-
bracht würde, zu sagen: „Was habe ich weiter mit diesem abscheulichen Götzen
zn thun?"
Eine andre Art von Gott habe ich in dem menschlichen Herzen gesehen,
es ist der Götze einer Lieblingssünde. Jemand sagte vor kurzem: „Wohl,
ich glaube, es ist viel au der Neligiou; aber sehen Sie, ich bin beim Welt»
rennen, und ich könnte das nicht aufgeben. Wie könnte ich's? Ich könnte
natürlich nicht ein Christ werden imd als einer bekannt sein, der Wetten ein-
geht." J a , die Nennbahn war sein Gott. Das Nennpferd ist eine ebenso
beliebte Gottheit, als die Kälber zu Vethel waren.
Ein andrer sagt: „ J a , ja. Ich würde geru ein Christ sein, aber Sie
sehen, ich liebe die Flasche; ich muß bei Gelegenheit einen Tropfen zn viel
trinken; nicht oft, wie Sie wissen, aber dann und wann bei einem Gastmahl,
einem Festtage oder bei einer sonstigen Feier. M a n muß sich znweilen be-
trinken, nicht wahr? Und was schadet es? Ich könnte es nicht aufgeben."
Sie sagen das nicht mit Worten, aber es ist das, was sie meinen, Tauseude
von ihnen. Sie müsse» Bacchus als ihren Gott behalten uud ihm ihre Opfer
darbringen. Und ach, was für Opfer bringen sie! Wie ruinieren sie ihre
Gesundheit und zerstören selbst das Leben, bringen ihre Kinder an den Bettel-
stab, machen ihr Weib elend, und alles, um diesen Dnnghaufengott des
Truukes zu verehre».
Andre haben andre Lieblingssünden. Ich brauche sie nicht alle zu er-
wähnen; in der That, ich könnte es nicht, denn die Wange der Bescheidenheit
würde erröten, wenn ich gewisse Laster nennen wollte, von denen Männer uud
Frauen fühlen, daßsienicht davon lassen können. Sie »lochten gern i n ihren
Sünden errettet werden, aber nicht v o n ihren Süuden. Sie möchten Gott wohl
auf gewisse Art verehre», aber der erste Platz muß ihrer Liebliugslust gegeben
werden. O Mann, es kümmert mich nicht, welcher Götze es ist, aber wenn
irgend etwas in der Welt ist, das du mehr als Christum liebst, so kauust du
me das Antlitz Gottes mit Freuden sehen. Wenn es eine Sünde gibt, in der
du beharren willst, so bitte ich dich, ändere dich darin, imd haue sie ab, wen»
es auch deine rechte Hand wäre uud reiße sie aus, weun es auch das rechte
Auge wäre. Es ist dir besser, daß du zum Leben ein Krüppel oder eiuäugig
eingehest, denn daß du zwei Hände und zwei Augen habest und werdest i n
das höllische Feuer geworfen. Lieblingssünden müssen abgeschworen werden,
wenn man Christum genießen will.
782 Alttestamentliche Bilder.

Seht, wie die Götzendiener uneinig sind; einer betet das gerechte Selbst
an und ein andrer das sündige Selbst; aber beide Götzen müssen gänzlich
abgethan werden^ , '
I n den Herzen einiger Menschen sehe ich die Liebe zu V e r g n ü g u n g e n .
Dieser Gott sitzt in vielen Herzen auf dem Throne. Sie werden nicht so
wohl von den gröberen Sünden überwunden, als von ihrem natürlichen
Leichtsinn und Hang zum Tändeln. Sie können nicht denken, sie wollen nicht
denken. Sie sagen, daß sie „Langeweile" haben, wenn sie eine Weile ruhig
sein müssen. Sie wollen immer amüsiert, unterhalten, aufgeregt werden.
Nun, es gibt ein Maß Erholung, das so gut wie Arznei für Körper und
Seele ist, und es gibt angemessene Erholungen. Gott hat für unschuldige
Vergnügungen gesorgt, und wir thun wohl, sie mit Dankbarkeit von nnsrem
himmlischen Vater anzunehmen; aber ein Liebhaber des Vergnügens zu sein,
mehr als ein Liebhaber Gottes, das heißt, tot sein während du lebst. Den
Vauch zu eurent Gott inachen, zu leben, um zu essen und zu trinken, nur
Fleisch verdauen und Wein durchsieben, bloß hier zu leben, um euch zu
amüsieren, — Schmetterlinge, die von Blume zu Blume flattern, keinen Honig
sammeln, sondern nur Vergnügen suchen — dies ist übel. Mann, dies ist
ein Gott, der von keinem verehrt wird, der die Liebe Gottes kennt, denn dessen
Vergnügen ist sein Gott und Vergnügen ist nicht sein Gott. Er wirft oft
genug Diuge beiseite, die er sich sonst hätte verstatten können, uni seinen
Heiland um so mehr zu ehren und zu verherrlichen.
Viele verehren das goldene Kalb. Sie fro'hnen keinem Laster und jagen
keinem Vergnügen nach, außer ihrem einen Laster und ihrem einen Ver<
gnügen, das ihre G o l d g i e r ist. Wenn ihr alle ihre Kräfte aufregen wollt,
so laßt ein Goldstück vor ihnen klingen. Dies verfolgen sie, wie die Hunde
den Fuchs verfolgen, hitzig und rastlose Aus Furcht, daßsiearm fein möchten,
wenn sie alt würden, machen sie sich arm, wenn sie jung sind; und damit
sie nicht zuletzt hungern müssen, hungern sie bis zuletzt. W i r haben einige
gekannt, für die Ehre, Liebe, Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit, Religion, alles dies
nichts gewesen ist, so lange ein Gewinn dadurch zu haben war, daß man dies
aufopferte. Das große Machwerk ihres Vermögeus ist dahingerollt, wie der,
Wagen des Juggernaut, der alles zermalmt, was in seinem Wege ist. Witwen
mochten weinen und Waisen mochten jammern, die Seufzer der Uuterdrückteu
mochten zum Himmel aufsteigen und die Mifsethaten, welche sie begingen,
mochten ihnen vorauf zum Gerichte gehen; aber das war nichts für sie. Sie
erwarben ein Feld nach dem andren und ein Haus nach dem andren und
wurden reicher und reicher; dafür lebten sie und dafür schienen sie zufrieden,
zu sterben. O Gott, bekehre den Menschen, der das Gold anbetet! M i l t o n ,
wie ihr wißt, beschreibt den Dämon der Goldgier als:
D i e Götzen abgeschafft. 783

„Mammon, der Geister Niedrigster, die fielen,


Der selbst im Himmel Blicke und Gedanken
Stets niederwärts gewandt, und mehr bewundert
Der gold'nen Gassen Reichtum, drauf er trat,
Denn alles Göttliche und Heilige
I n seligem Gesichte angeschaut."

Dies Laster ist sehr, herabwürdigend und wohl mag M i l t o n den Mammon
in die Hölle versetzen lind sagen:
„Und niemand wnnd're sich.
Daß Reichtum in der Hölle wächst; der Voden
Verdient am meisten dies kostbare Gift."

Nun, wenn der Herr einen Menschen von der Macht der Teufels be-
freit, so ruft er aus: „Was habe ich weiter den Reichtum zu meinein Götzen
zu machen?" er wird zufriedeu, wird des Herrn Haushalter und gebraucht seiu
Vermögen im Dienste Jesu.
Wir müssen diese Tempel so schnell wie möglich durchgehen, uud iu
keinem zu lange verweilen, denn sie sind nicht lieblich. — Einige haben in
dem Tempel ihres Herzens uu erlaubte Neigungen aufgerichtet. Sie
schließen Verbindungen, die durch das Wort Gottes verboten sind. Ich habe
z. V . einige gekannt, die sich Christen naünten — Gott weiß, ob sie es ge-
wesen sind oder nicht — die ganz das Gebot unsres Herrn beiseite setzten, nicht
am fremden Joch zu ziehen mit den Ungläubigen, und den Geboten des
Fleisches gefolgt sind, indem sie sich mit Ungöttlichen in der Ehe verbauden.
Es ist eine furchtbare Sache, mit einem verheiratet zu sein, von dem ihr bald
auf ewig getrennt werden müßt, einem, der Gott uicht liebt und deshalb nie
euer Gefährte im Himmel sein kann. Wenn ihr schon ill dem Falle seid, so
sollten eure Gebete Tag und Nacht für den Gefährten oder die Gefährtin
eures Herzens aufsteigen, daß sie zu Christo gebracht werde»; aber wenn
irgend ein junger Manu oder ein Mädchen eigenwillig ein solches Band
knüpft, so heißt das, einen Götzen an die Stelle Gottes setzen. Weinen und
Heulen wird bald danach kommen.
Jede Art von Liebe, die das Herz von Jesu trennt, ist Götzendienst, und
ach, ich fürchte, der Götzen sind so viele, wie der Bäume des Feldes. Herr,
nimm sie von uus hinweg!
Eine große Anzahl Leute verehrt einen Götzen, welcher Mensch en lob
genannt wird. Sie sprechen ungefähr fo: „ O ja, du hast wohl recht, aber
du siehst, ich kann es nicht thun." Nun, warum uicht? „Warum? ich weiß
nicht, was mein Onkel dazu sagen würde, oder ich kann nicht sagen, wie es
meiner Frau gefallen würde. Ich bin nicht sicher, ob mein Großvater es
billigen würde." Die Furcht vor Verwandten und die Angst vor der öffent»
784 Alttestllmentliche Bilder.

lichen Meinung halten viele in geistiger und sittlicher Knechtschaft, und die
Menschenfurcht hält noch viele mehr. Ich bemitleide die, welche nicht zu thnu
wagen, was sie für recht halten. Mir scheint es die großartigste Freiheit zu
sein, die Freiheit, womit Christus uus frei »nacht, die Freiheit, alles zu wagen
und zu thnn, was das Gewissen in seinem Namen befiehlt. Aber eine Menge
Leute haben andre Leute zu bitten, daß sie ihnen erlauben, zu atmen, ihnen
erlauben, zu denken, ihnen erlauben, etwas zu glauben; und es gibt nichts,
was sie so fürchteu, als Frau Stadtgespräch. Der kleiue Kreis, in dem sie
leben, ist ihr alles. Was wird So-und.so davon denken? Der Handwerker
wagt nicht ins Gotteshaus zu gehen, weil die Zimmerlente in der Werkstatt
über ihn herfallen würden. Seine Kameraden würden zu ihm sagen: „Holla l
Was, bist dn einer von diesen methodistischen Leuten?" Viele Männer, die
sechs Fuß hoch sind, sind Feiglinge und sind bange vor irgend einem Kleinen,
der nur halb ihre Länge hat. Sie sind bange, daß irgend ein unnützer
Geselle sich auf ihre Kosten lustig macht, nndsichverspottet zu sehen, das scheint
etwas Schreckliches. O, arme Seelen! Arme Seelen! All die Spöttereien,
die ihnen wahrscheinlich zu teil würden, werden lauwarmes Wasser sei», ver»
gliche» mit dem brühend heißen Kessel, in den einige von uns Jahr nach
Jahr geworfen sind, wenn wir nicht ein Wort sagen konnten, ohne daß es
gemißdeutet ward, und keinen Satz sprechen, ohne daß man Lügen von uns
sagte; doch beben sie vor ihren kleinen Verfolgungen zurück, als wären sie ein
großes Märtyrertum. Wir sind lebendig nach all den Angriffen, die auf uns
gemacht wurden, und es steht darum nicht viel schlimmer mit uns; und so
wird es mit euch sein, lieben Brüder, wenn ihr Herz und Mut habt, für den
Herrn Iesum Christum zu wirken und zu wagen. Dieser Götze der Menschen«
furcht verschlingt Tausende von Seelen. Es ist ein blutdürstiger Götze, ebenso
grausam als nur einer der Hindugötzen: diese „Scheu vor Menschen, die zu
Falle briuget." Einige von euch wissen, daß sie ganz und gar niederträchtig
sind und nicht wagen, zu thun, wovon sie wissen, daß sie es thnn sollten, ans
Furcht, der eiue oder andre könnte eine Vemerkung darüber machen, wie
sonderbar und wunderlich sie seien. Gott helfe euch, diesen Götzen abzuthun.
So haben wir dies stillschweigende Bekenntnis betrachtet, daß wir in sehr
übler Weise mit den Götzen zu thun gehabt haben.
IV.
Der letzte Punkt soll die entschiedene Frage sein: „Was habe ich
weiter mit Götzen zu thun?"
Laßt uns sie so stellen: „Was habe ich weiter mit ihnen zu thun?
Ich habe genug mit ihnen zu thuu gehabt. Was haben meine Sünden schon
für mich gethan?" Brüder und Schwestern, seht, was die Sttude schon für
uns und unser ganzes Geschlecht gethan hat. Sie hat jenes schöne Eden, das
Die Götzen abgeschafft. 785

unser Wonnegarten war, zu einer Wüste gemacht, und uns zu Kindern der
harten Arbeit und des Schmerzes. Was hat die Sünde für uns gelhan?
Sie hat uns nnsrer Schönheit entkleidet, sie hat uns voll Gott entfernt, sie
hat den stammenden Cherub mit dem gezückten Schwerte hingestellt, nm uns
von dem Nahen zu Gott abzuhalten, so lange wir in Sünden leben. Die
Sünde hat uns verwnndet, beraubt, uns getötet, uns verderbt. Die Sünde
hat die Krankheit in die Welt gebracht, das Grab gegraben und den Wurm
erzeugt. O Sünde, du bist die Mutter aller Schmerzen und Seufzer und
Klagen und Thränen, die je über Männer und Frauen in dieser Welt kamen.
O elende Sünde, was haben wir weiter mit dir zu thun? W i r haben mehr
als genug vou dir gehabt.
Und haben nicht ihr und ich persönlich ganz geling mit uusren Götzen
zu thun gehabt? Ich habe genug mit meiner Selbstgerechtigkeit zu thun
gehabt, das sage ich kühn; denn o, wie ekelt es mich an, wenn ich denke, daß
ich je solcher Thor gewesen, zu glauben, daß etwas Gutes in mir sei: zu
denken, daß ich je träumen konnte, mit meiller eignen Gerechtigkeit vor Gott
zu treten. O, wie ich den Gedanken verabscheue! Gott verhüte, daß ich je
einen Allgellblick anders als beschämt sein sollte darüber, daß ich mich wegen
etwas gerühmt, was ich thun, fühlen oder sein könnte. Fühlt ihr euch nicht
gedemlitigt bei der Erinnerung an solchen Stolz nnd solche Anmaßung? Was
habt ihr weiter mit dein Götzen des selbstgerechten Ich zu thun? Nichts.
Wir können uns nie mehr davor niederbeugen.
Und was audre Götzen betrifft, habt ihr nicht genug voll ihnen gelitten?
Der Bekehrte, der einst ein Trunkenbold war, sagt: „Ich habe genug mit
dem Becher der Trunkenheit zu thun gehabt." Wo ist Weh? Wo sind rote
Allgen? Nämlich, wo man beim Wein liegt und kommt, auszusaufen, das
eingeschenket ist. Der Weinsäufer hat genug damit zu thuu gehabt. Er hat
schweres Schmerzensgeld bezahlt, nnd nun hat er mit wüstem Leben und Aus-
schweifungen für immer gebrochen. Der Mann, der sich ills Laster gestürzt
hat, wird oft sagen müssen: „Es hat mir an Leib, Seele und Vermögen
Schaden gethan. Was habe ich weiter damit zu thun?" „ A h , " sagte mir
neulich jemand, „als ich in Sünden lebte, war es so kostspielig für mich, daß
ich Jahre brauche, um wiederzugewinnen, was ich an den Teufel nnd mich
selber verschwendet habe. Ich bin nicht das für den Dienst Gottes, was ich
gewesen wäre ohne dieses." Ach, wir haben alle geling davon gehabt —
mehr als genug. Es ist kein Sündenbecher, wie süß er auch in den Tagen
unsres unwiedergebornen Lebens war, von dem wir nicht fühlen, daß wir ihn
nicht mehr wollen, nicht einmal mit allem perlenden Schaum am Rande,
wenn er in die richtige Lage gebracht wird. Er ist uns zum Ekel, — Ekel
bis zum Tode, und der bloße Name verursacht Widerwillen in unsrer Seele.
S p u r g e o n , Alttestamentliche Vtlder. 50
786 Alttestamentliche Bilder.

Was habe ich weiter mit Götzen zu thun, wenn ich erwäge, was die Götzen
für mich gethan haben.
Aber es ist noch eine andre Betrachtungsweise derselben. „Was habe
ich weiter mit Götzen zu thun?" Siehst du und kannst du ertragen/darauf zu
blicken, jenen fremdartigen Anblick: drei Galgen anf einen» Hügel errichtet,
und an dem mittelsten ein wunderbarer Mann in entsetzlichen! Todeskampf an
das Kreuz genagelt. Wenn ihr I h n anseht, so erblickt ihr in I h m eine solche
Majestät inmitten seines Elends, daß ihr I h n sogleich als euren Herrn erkennt.
Seht, es ist der Bräutigam eurer Seele — eures Herzens Geliebter, und Er
ist hier wie ein Missethäter ans Kreuz genagelt, um zu sterbeu. Wer nagelte
I h n da an? Wer nagelte I h n da an? frage ich. Wo ist der Hammer?
Von wo kamen die Nägel? Wer nagelte I h n da an? Und die Antwort ist:
Unsre Götzen nagelten I h n da a n ; unsre Sünden durchbohrten sein Herz!
Ah, denn, was habe ich weiter mit ihnen zu thun? Wenn ich ein Lieblings»
messer hätte und ein Mörder hätte mein Weib damit getötet, meinet ihr, ich
würde es bei Tisch brauchen oder mit mir umhertragen? Hinweg mit dem
verfluchten D i n g ! Wie würde ich den bloßen Anblick desselben hassen! Und
die Sünde hat Christum gemordet! Unsre Götzen haben.uufren Herrn in den
Tod gebracht! Seht am Fuße des Kreuzes und blickt auf seinen gemordeten,
verstümmelten Leib, blutend alls seinen fünf großen Wunden, und ihr werdet
sagen: Was habe ich mehr mit Götzen zu thun? Der Essig und die Galle,
der bllltige Schweiß und Todesschmerz haben meine Seele von all ihrer
früheren Liebe geschieden, und mein Herz für immer dem Seelenfreunde ver-
mählt, dem König der Könige. „Was habe ich weiter mit Götzen zu thnn?"
Nichts scheidet einen Mann so von der Sünde, als ein Gefühl der Liebe und
der Leiden Jesu. Erlösende Gnade und sterbende Liebe — diese länten die
Totenglocke für unsre Lüste und Götzen.
„Ich will mit Deinem Kreuze,
Mein Herr, vereinigt sein,
Der Welt geschminkte Reize
Sind mir nur Seelenpein.".
Nlln mögt ihr euch daran wieder erinnern, daß wir nichts mehr mit
den Götzen zu thun haben müssen, denn Dieselben Sünden, welche unsren
Herrn töteten, werden uns töten, wenn sie können. O, Kind Gottes, du
sündigst niemals, ohne dir selber Schadelt zu thun. Die kleinste Sünde, die
sich je in dein Herz schleicht, ist ein Räuber, der zu töten uud zu zerstören
sucht. D u hast nie Vorteil von der Sünde und kannst es nie haben. Nein,
sie ist Gift, tödliches Gift für deinen Geist. Dulde sie deshalb keiuen Augen-
blick. Was hast du damit zu thun? D u weißt, daß sie böse ist, nur
böse, und das fortwährend. D u weißt, daß sie deinem Glauben schadet, deine
Die Götzen abgeschafft. 787

Freude zerstört, deinen Frieden welken läßt, dein. Gebet schwächt, dein Beispiel
für andre nicht wohlthuend macht; und aus allen diesen Gründen, was hast
dn weiter mit Götzen zu thun?
Überdies, was hast du weiter mit Götzen zu thun, nun du ein Kind
Gottes bist — mm du ein Erbe des Himmels bist? Ein armer Knabe setzt
sich hin und spielt mit Scherben in der Straße und macht Lehmkügelchen mit
seinen Freunden. Eines Tages,kommt ein Bote des Königs, der entdeckt hat,
daß dies ein verlornes Kind vom Palaste ist, er wird nach Hause gebracht,
gewaschen, königlich angekleidet, und ihm wird gesagt, er sei ein Prinz und
Erbe des Königreichs. Wird er wieder zurückgehen und mit den schmutzigen
Knaben in der Straße spielen und ein Straßenbube, ein Ninnsteinkind wiederum
sein? Nein, er nicht! Er wird zu etwas Edlerem erzogen werden> was mehr
seinem Stande entspricht. Und, obgleich ihr und ich einst die Sünde liebten,
welche andre lieben, und Vergnügen fanden, wo andre es finden, so haben
wir nun durch den Glauben die Macht empfangen, Kinder Gottes zu werden,
wir sind Erben Gottes und Miterben Jesu Christi. Was haben wir weiter
«tit Götzen zu thun? Was für Leute sollten wir sein, die der Herr in die
königliche Familie des Himmels aufgenommen hat?
Innerhalb einiger Monate werden einige von uns im Himmel sein,
vielleicht in-einigen Wochen. Was haben wir mit Götzen zu thun? Selbst,
während wir hienieden sind, hat der Herr uns auferwecket und uns mit Ehristo
ins himmlische Wesen versetzt. Was haben wir weiter mit Götzen zu thun?
Zu dieser Stunde sind wir angenommen in dem Geliebten, die Erwählten
Gottes, gerechtfertigt durch den Glauben, unsre Namen in Jesu Hände ge-
zeichnet. Was haben wir weiter mit Götzen zu thun? Wahrlich, die Frage
beantwortet sich selbst. W i r haben nichts mehr mit ihnen zu thun, als Ekel
vor ihnen zu empfinden, nnd wenn sie auch nur auf einen Augenblick in unsrem
Herzen aufgerichtet sind, sie niederzubrechen durch die Macht des ewigen Geistes.
Nun, Geliebte, wenn Gott ein großes Werk in ench gewirkt hat, und
eure Herzen umgewandelt, so daß ihr die Götzen, welche ihr einst anbetetet,
nun verabscheut, so möchte ich euch bitten, von den Götzen wegzubleiben, so
viel ihr könnt. Wenn ihr nichts mit ihnen zu thun habt, geht nicht an die
Orte, wo sie in Ehren gehalten werden. „Was habe ich weiter mit Götzen zu
thun?" Wenn ich wüßte, daß die schwarzen Blattern in einer Straße wären,
so würde ich nicht einen Umweg machen, uni dadurch zu fahren; ich würde
lieber meinen Weg verlassen, um die Plage zu vermeiden. Laßt es so mit
eurer früheren Lieblingssünde sein. Geht so weit davon hinweg, als ihr könnt,
wie ihr es bei einem Aussätzigen thun würdet. I h r habt nichts mehr mit
den Götzen zu thun, darum geht nicht in ihre Tempel und schließt keinen
Bund mit ihren Verehrern. Es ist eine alte rabbinische Überlieferung voll
788 Alttestamentliche Bilder.

den Nazaräern, daß, wie sie keinen Wein trinken sollten, so ihnen auch ver«
boten war, Trauben zu essen oder durch einen Weinberg zu gehen. Das alte
Sprichwort war: „ O , Nazaräer, geh' umher, geh' umher, aber gehe nicht durch
einen Weinberg, damit du nicht versucht werdest, von den Trauben zu essen
und nachher von dem Saft derselben zu trinken." Es ist eine große geistliche
und sittliche Lehre hier für uns. Bleib' so weit von der Sünde weg, wie du
nur kaunst. Wenn du gelernt hast, zu sagen: „Was habe ich weiter mit
Götzen zu thun?" meide den bloßen Schein des Bösen, uud allen Umgang,
der gute Sitten verdirbt. Das Vierhaus, der Tanzsalon und das Theater
sind nicht für euch. Es ekelt mich an, Christen sagen zu hören: „Was
denken Sie von diesem oder jenem thörichten Vergnügen? Meinen Sie, ich
könnte so weit gehen?" Wohl, mein lieber Freund, wenn dir irgend etwas
Vergnügen macht, worin Schmutz ist, so zweifle ich, ob du überhaupt etwas
von der Liebe Gottes kennst. D u erinnerst R o w l a n d H i l l s Bemerkung
gegen den, der ihm sagte, er ginge gern ins Theater. Der Mann sagte:
„Wohl, Sie wissen, Herr H i l l , ich bin ein Mitglied der Gemeinde, aber ich
gehe nicht oft hin, ich gehe nur ein- oder zweimal im Jahre hin, gerade als
besonderes Vergnügen." „ A h , " sagte H i l l , „Sie sind sehr viel schlimmer,
als ich dachte. Gesetzt, es würde erzählt, daß ich Aas genösse und sehr liebte,
mich von verfaultem Fleisch zu nähren. Und gesetzt, jemand käme zu mir
und sagte, ich höre Herr H i l l , Sie essen gern verfaultes Fleisch. O nein,
sage ich, durchaus nicht. Ich esse es nicht regelmäßig, nur ein- oder zwei-
mal im Jahr ein Gericht, gerade zum besonderen Vergnügen. Dann würde
jedermann sagen: Sie lieben es mehr, als wir dachten. Denn wenn arme
Geschöpfe es jeden Tag essen müssen, weil sie nichts Besseres kriegen können,
so ist ihr Geschmack nicht so verdorben, als Ihrer, da Sie sich von gesunder
Nahrung wegwenden und Verfaultes als eine Leckerei betrachten." Wenn
ihr Vergnügen? und Lust finden könnt, wo Sünde der schlimmsten Art sehr
nahe liegt, wo Religion am unrechten Orte sein würde, und wo Christus,
euer Meister, nicht hinkommen würde, so habt ihr nicht gelernt, mit Ephraim
zu sagen: „Was habe ich weiter mit den Götzen zu thun?" Eilt hinweg von
allem, was den kleinsten Sündenstecken an sich hat, und möge Gott euch helfen,
so bis ans Ende zu thun. I s t dies, damit ihr selig werdet «lochtet? Gott
verhüte! Ich spreche nur zu euch, die ihr schon errettet seid. Wenn ihr dies
nicht seid, so ist das erste, ein erneuertes Herz durch den Glauben all Christum
Iesum zu haben, und danach legen wir euch keine Knechtschaft auf und fordern
keine Taxe von euch als Pflicht, aber es wird eure Freude, eure Wonne, euer
Vorrecht sein, nahe bei eurem Meister zu bleiben und zu sagen: „Was habe
ich weiter mit Götzen zu thun?" Gott segne euch um Christi willen. Amen.
Lehmann i i Bernhard, Tchönberg l. M.
Verlagsbuchhandlung I . G. Oncken Nachfolger sPhil. Oickel),
Hamburg, Vorgfelde, Mittelweg 98.
Spezialität: V. Z. Apnrgeons Kchriften.
Die Verleger von O. A . Spurgeons Schriften in englischer Sprache, Herren
Saßmore H: Alabaster, London, England, haben uns auf Zpurgeons predigten «tc.
alle Mcchle erteilt.

Gute Winke für Prediger des Evangeliums ^ r - 23 Vorlesungen aus


! ^ ^ ^ me,nem Prediger » Semmar.
Von C. H. S p u r g e o n . Erste und einzig autorisierte Ausgabe. Band I und I I zu»
sammengebunden mit 11 Illustrationen. Brosch. Mk. 2.50. gut geb. M l . 3. Nicht zu
verwechseln mit einer abgekürzten Nachübersetzung, welche in Stuttgart erschienen ist.

Als E r g ä n z u n g eiuer guten deutschen Homiletik ist das Buch in seiner frischen,
anschaulichen, Packenden Art, in seiner prächtigen Verbindung des heiligsten Ernstes
mit kostbarem Humor geradezu u n ü b e r t r e f f l i c h . (Halte, was du hast.)
Belehrend und unterhaltend zugleich und ein höchst anregendes Wort für meine
lieben Amtsbrüder. (Senior Hnuptpastor B e h r m a n n im „Nachbar.")
Diese Vorträge sind außerordentlich reich an tiefen, erbaulichen Betrachtungen,
an schlagfertigen Bemerkungen und an praktischen, tresslichen, drastischen Vergleichen,
wie sie der durch uud durch eigenartige berühmte Londoner Prediger anzuwenden
liebte. („Evang. Kirchl. Anzeiger.")
Ein Buch voller treffender nnd beherzigenswerter Aussprüche, das keinem Prediger
noch solchen, die es werden wollen, fehlen sollte. („Allianzblatt.")
Das ist der S p u r g e o n , wie er leibt und lebt. Gute Winke, praktische Rat»
schlage, bittere Wahrheiten, köstlicher Humor, alles gewürzt durch eine brennende
Liebe, Seelen für den Herrn zu gewinnen. Wer einem Kandidaten, einem Hilfs-
Prediger, einem Pastor ein gutes Buch schenken will, dem kann ich dies S p u r g e o n sche
Buch nur driugend empfehle». («Licht und Leben.")
Wir wünschen es in der Hand jedes Pastors; es ist von allen Homiletiken die
beste, obwohl in andrer Form, als man sonst diese Disziplin behandelt, und ganz
populär. Die Vorlesuugen sind überaus praktisch und so anziehend geschrieben, daß
man nicht davon los kann. („Evangel. Kirchenblatt," Berlin.)

164 Auszüge aus Predigten, die bis dahin im Druck nicht


erschienen waren, ausgewählt von C. H. S p u r g e o n . Illustriert
durch zahlreiche Anekdote«, Auszüge :c. :c. I. T e i l : A l t e s Testament. Autorisierte
Übersetzung von Prediger Herm. L i e b i g , Stettin. Preis brosch. Mk. 3, geb. Mk. 4.
Ein bedeutungsvolles Werk für alle Prediger und Missionsarbeiter. S p u r g e o n zeigt
hier, wie er seine berühmten und fegensvollen Predigten ausarbeitet.

Die Fülle des hier gebotenen Materials wird von manchem Geistlichen, den die
Arbeit des Amtes an einer ausgedehnten Lektüre hindert, «lit Freuden begrüßt
werden. Wir wünschen dem Buch weite Verbreitung in den Kreisen der Geistlichen,
deren es wert ist. („Evangel. Kirchl. Anzeiger," Berlin.)
Wieder ein neuer Schatz aus S p u r g e o u s Nachlaß, den gewiß mancher viel»
beschäftigte Prediger wird zu schätzen wissen, denn es werden hier über alttestameut»
liche Themata eine große Fülle von Gedanken zusammengeordnet dargeboten. Auch
die Beispiele aus dem Leben sind gut verwendbar. („Volksbote," Basel.)
M i t wenigen Worten deutet S p u r g e o n den Reichtum eines kurzen, alt»
testamentlichen Textes an, natürlich alles im Blick auf Christus. Zahlreiche Anekdoten,
Geschichten, Bemerkungen u. s. w. sind eine sehr willkommene Zugabe zum Text.
Wir freuen uns auf den 2. Teil. („Licht und Leben.")
Aus der Hand des „Fürsten der Prediger" werden Prediger gern und dankbar
dies Hilfsmittel zur Predigtvorbereitung entgegennehmen, das so recht das Gepräge
seines reichbegabten und geistesmächtigen Spenders trägt. Die Entwürfe binden sich
gerade nicht streng an die gewohnten homiletischen Regeln, zeigen aber wohldurch»
dachte Darlegung und sinnvolle Schriftverwertung. Die beigegebenen „Anekdoten" :c.
sind wie feines Gewürz zu «ahrhafter Spcife. („Evaugel. Botschafter.")

P r e i l m t (Entwürfe ^ " ' ^ ^ Auszüge aus Predigten nach neutcstamcntlichen Texten.


^!l ^— !- I I . Teil. Autorisierte Übersetzung von Prediger Hcrm. Lie big,
Stettin. Preis brosch. Mt. 3, geb. Mk. 4.

Die Gleichnisse unsrcs Herrn nnd Heilandes ^ ^ Predigten von C. H.


.—- ! - - S p u r g e o n . Preis des ganzen
Wertes brosch. M t . 5. geb. Mk. 6.
Wer S p u r g e o n kennt, dem braucht man das Erscheinen dieses neuen Werkes
nur anzukündigen, «m ihn verlangend zu machen, es zu besitze». Der wunderbar
gesegnete Prediger, dessen Predigten und Schriften schon in die verschiedensten
Sprachen übersetzt sind, ist hier gerade recht in seinem Elemente, wenn er die Gleich,
nisse des Herrn behandelt. Herrlich ist das Zeugnis von dem „verlornen Groschen,"
wo uns der Mensch gezeigt wird als: verloren, gesucht, gefunden. I n Summa:
die Gleichuispredigtcu S p u r g e o n s stehen ebenbürtig de« zahllose» Predigte« zur
Seite, die von ihm schon gedruckt sind und die immer aufs neue aufgelegt werden
müssen. (Westdeutsche Zeitung, Barmen.)

Die H a U s - P o s t i l l e . ^ Predigten, von E. H. S p u r g e o n . Enthaltend eine Predigt


— ^—! ^ für jeden Sonntag im Jahr. Dritte Auflage. Diese vortreffliche
Auswahl ist sehr beliebt. M i t einem Vollbild des Verfassers als Titel. Gnt geb. Mk. 6.

Man kann wohl sagen. S p n r g e o n predigte eigentlich immer nur eins, nämlich
wie man in Christus ein neuer, seliger Mensch w i r d ; aber dies eine Thema war
ihm der vielseitigste Gegenstand seines Denkens, daher die Mannigfaltigkeit der Gc»
dankenwege in S p u r g e o n s Predigten. — I n vorliegender Haus'Postille tritt diese
Vielseitigkeit auf eigentümliche Weife hervor, indem man zwei Predigtzahrgange zu
einer Sammlung vereinigt hat, die inhaltlich nach dem in gleichem Verlage er-
schienenen „Leitfaden für den Religionsunterricht, eine bündige Darstellung der
Glaubenslehre" so geordnet sind, daß der Leser diesen Gang sogar zweimal macht.
— I n solcher systematischen Anordnung nach dem Schema des baptistischen Lehr»
bûches, welche für die Glieder dieser Gemeiuschaft besonderen Wert haben mag, liegt
sogar ein wesentlicher Unterschied von den Haus'Postillen kirchlichen Gepräges, welche
letzteren, um den Zusammenhang häuslicher und gottesdienstlicher Erbauung zu
wahren, nach dem Lauf des Kirchenjahres sich richten. — Übrigens ist S p u r g e o n s
herzandriuge Predigtweise bekannt genug, und es bedarf kaum noch der Versicherung,
daß geförderte Christen aus dieser Sammluug viel Glaubensnahrung und Antrieb
zur Glaubensbethätiguug (vergl. z. V. Pred. 48—51) empfangen werde«.
(Theol. Litteratur-Bericht.)

N r e d i a t e n ^ " ' ^ ^ " " b 4 (Baud 1 uud 3 vergriffen). Brosch. » Band Mk. 2, geb.
" ^ Mk. 3.30. Band 5. Vrosch. Mk. 3, geb. Mk. 4.05. Band 6. Vrosch. Mk. 2,
geb. Mk. 3.30. — Miniatur-Ausgabe. 4 Bände. Vrosch. ä Band Mk. 1, geb. Mk. 1.80.

Das Evangelium des Reiches. ^ volkstümliche Erttärung des Evangeliums


^ ^ — nach Matthäus. M l t Vorwort von Frau C. H.
S p u r g e o n . M i t Einleitung von O t t o Funcke, Pastor au der Friedeuskirche in
Bremen. Autorisierte Übersetzung. Preis brosch. Mk. 3.75, elegant gebunden Mk. 4.50.

Ter reichbegabte und gesegnete Zeuge Christi hat noch vor seinem Heimgang
diese Erklärung geschrieben und seiue Witwe übergibt sie mit warmen Worten der
Gemeinde, die sie „sehnlichst erwartet hat." (Theol. Litteratur>Bericht.)
Eine volkstümliche Auslegung des Evangeliums Matthäi von dem „Fürsten
unter den Predigern" brauchen wir nur auzuzeigen; sie empfiehlt sich selbst. Es ist
das letzte Werk S p u r g e o n s und verhält sich zu den landläufigen Kommentaren der
Gelehrten wie ein Garten voll Frühlingsblumen zu einem Herbarium. Komm und
Pflücke! („Pfarr-Haus.")

Nentestamentliche Bilder. ^ ^ i n a w l . Neue 2. Auflage. Brofch. Mk. 5. geb. 6.


. Eiue vorzügliche Predigt-Sammlung. Diese „Charakter-Skizzen" werden von Predigern
und Missiousarbeitern gern gelesen werden.

Die Natur und das Reich der Gnade. Ei» «eues Buch I « 55 kurzen m<
- ichnitten wird hier dem Leser eine
Fülle der „köstlichsten Perleu Spurgeonscher Art,"aus der Natur treffende Bilder und
Vergleiche zu ziehen, dargeboten. Preis brosch. Mk. 2.50, geb. M t . 3.

W o r t e der Ermunteruna ^ gliche Leben. Ein neues hochinteressantes Buch.


^- das sich den zwei obigen würdig anschließt. M i t Titel»
bild. Preis brosch. Mk. 1, fein geb. Mk. l.50. Dies Büchlein ist ebenso frisch, inhalts-
reich uud tiefernst wie die sonstigeu Vorschriften des fel. S p u r g e o n . Besonders eignet
sich das Werkchen für Volksbibliotheken und zur Kolportage.
Die 33llttder ^ l i r i s t i ^" ^ Predigten von dem „Fürsten nnter den Predigern."
——!— Diese erscheinen in 4 Quartalsheften von je 12 resp. 13
Predigten im März, Juni, August uud November des Jahres 1897. Preis des ganzen
Wertes brosch. Mk. 5, geb. Mk. 6. Diese Sammlung S p u r g e on scher Predigten
werden jetzt schon vielfach vorausbestellt und sollten in der Bibliothek keines Geistlichen
fehlen.

Tauperlen und Goldstrahlen. Neueste 5. Ausgabe 25. Tausend. Mit eiuem Vor.
- ! . wort von Hauptpastor B ehr m a n » , an der Gr.
Michaeliskirche nnd Senior in Hamburg. Vrosch. Mk. 4.80, eleg. geb. Mk. 6, mit
Goldschnitt Mk. 6.50.
So redet überall innige wahre Frömmigkeit, tiefes Gemüt, ein hochbegabter
Geist. Es find Ergüsse eines gottbegeisterten Herzeus.
(Kirchlicher Anzeiger für Württemberg.)
Kurz, kernig, anregend nach Form und Inhalt mannigfaltig. Auf jeder Seite
Jesus. Wertvoll ist auch das Verzeichnis der behandelten Bibelstellen zum Nach»
schlagen. (Barmer Sonntagsblatt.)
Das Werk ist ein wahrer christlicher Hausschatz, und dazu berufen, in jedem
Hause nächst der Bibel den ersten Platz einzunehmen.
( I I I . Vücherfreuud, Verliu.)
Die deutsche Ausgabe dieses herrlichen Nndachtsbuches ist bereits in vielen
tausend Exemplaren verbreitet worden. Es sind in der That „Tauperlen und Gold«
strahlen," die der christlichen Familie hier geboten werden.
(Anzeiger für die neueste pädagogische Litteralur.)

Kleinode göttlicher Verheißungen, ^ " ^ ' " u c h der ^ 2^ Auf.


- . -—!5—2—5 läge. M,t emem hübschen Titelbild. Vrosch.
Mk. l.50, geb. Mt. 2, geb. mit Goldschnitt Mk. 2.40, cleg. Lederband mit Goldschnitt
Mk. 3. Ein ganz vorzügliches Werkchen; welches sich als Geschentlitteratur zu Ostern
und Weihnachten ganz besonders eignet. Enthält für jeden Tag eine kurze und
lernige Betrachtung des seligen S p u r g e on. Auch möchte» wir dieses Büchlein
eiuem jede« als Reifebegleiter empfehleu.
w l ? V r e d l l t t - E e r i e . Jedes Bäudchen wird 12 Predigten über die nachfolgenden
!—^—» - Themata enthalten. 1. Leiden und Sterben Christi. 2. Die
Auferstehung. 3. Der Heilige Geist. 4. Die Wiederkunft Christi. 5. Das Evangelium
für Sünder. 6. Das Wort Gottes. 7. Der Heilsplan. 8. Heiligung. 9. Das Gebet.
10. Der Glaube. I I . Die Liebe Christi. 12. Die Hoffnung. 13. Predigten für
Suchende. 14. Der Friede. 15. Lob uud Dauk. 16. Die Freude. 17. Neujahrs»
predigten. 18. Weihnachtspredigten. 19. Mission. 20. Wichtige Fragen. 21. Der
Unglaube. 22. Für Betrübte und Geprüfte. 23. Erweckuug. 24. Bekehrung. 25. Christ-
liche Thätigkeit :c. :c. Diese Predigt-Serie wird mit 1898 nach und nach in Heften
k 12 Predigten erscheinen uud dann je 4 in einem Band gebunden werden können.

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