Ist Die Bibel Immer Richtig Übersetzt
Ist Die Bibel Immer Richtig Übersetzt
Ist Die Bibel Immer Richtig Übersetzt
Die Übersetzung biblischer Schriften des Alten und Neuen Testamentes ist nach wie vor
unvollkommen, problematisch wie jede Übersetzung und sogar an manchen Stellen einfach
falsch. Dies möchte ich an drei Beispielen aus dem Alten und dem Neuen Testament
aufzeigen.
Das erste Beispiel ist dem Neuen Testament entnommen. Es handelt sich hier um die
Seligpreisungen beim Evangelisten Matthäus. Sehr schnell wird einsehbar, daß die übliche
Übersetzung "Selig die Armen im Geiste" nicht nur unverständlich, sondern sogar rein
sprachlich, also vom Vokabular her und grammatisch, falsch ist. Wenn Sie das genauer
wissen möchten, schauen Sie doch hier (1) nach. Dann werden Sie auch begreifen, warum
Juden den Juden Jesus leichter verstehen können als Fremde.
Als zweites Beispiel möchte ich Sie mit der Einheitsübersetzung des Psalm 73 konfrontieren.
Hier geht das Unverständnis der Übersetzer so weit, daß sie sogar die überlieferte Reihenfolge
der Verse abändern zu müssen glauben. Wenn Sie wissen möchten, warum das nicht nur
unnötig, sondern sogar falsch ist, schauen Sie hier (2) nach. Das Pikante an der Sache ist, daß
auch der berühmte Kirchenvater Augustinus sich eine recht eigenwillige Deutung des
Psalmkerns zu eigen macht, welcher dann der jetzige Papst, Benedikt XVI., begeistert folgt,
obwohl dieselbe zu seiner Persönlichkeit überhaupt nicht paßt.
Das dritte betrifft den seltsamen Einzug Jesu in Jerusalem, der nach dem Evangelisten
Matthäus auf zwei Eseln gleichzeitig reitet (3). Den Hinweis auf diese Seltsamkeit verdanke
ich Ruth Lapide.
Nicht leicht zu deuten und zu verstehen ist das Bild vom "Gläsernen Meer" in der
Offenbarung des Johannes, der letzten Schrift des Neuen Testamentes. Hier ein
Deutungsversuch auf dem Hintergrund biblischer Vorstellungen und Erzählungen: Das
Gläserne Meer (4)
Matthäus zitiert die LXX oft wörtlich, wobei selbst die Überlieferungsvarianten in AT und
NT einander gleichen. Als Beispiel nenne ich Mt 1,23, wo das Zitat buchstabengetreu mit
Jesaias 7,14 übereinstimmt und sogar die Varianten καλέζεις/καλέζοσζιν gemeinsam sind.
Die wörtlichen LXX-Zitate des Mt sind so zahlreich und auffällig, daß man wohlbegründet
annehmen kann, daß dem Evangelisten bei der Abfassung seiner Schrift eine griechische
Version des AT vorgelegen hat und auch sehr vertraut war.
Matthäus deutet auch Kenntnisse des hebräischen AT an, wenn er, wie z.B. in 1,23, den für
Griechen unverständlichen Namen „Emmanuel“ übersetzt.
Für das mir gestellte Thema brauche ich diese Untersuchung nicht weiter fortzuführen. Ich
gehe davon aus, daß ein hellenistischer Jude atl. Zitate dank intensiver Schulung sehr wohl
auf dem hebräischen Hintergrund zu verstehen vermochte.
2. Verfahrensgrundsätze
Bei der Exegese einer jeden einzelnen Seligpreisung gehe ich von folgenden Voraussetzungen
aus: Selig gepriesen werden Menschen, weil einer bestimmten persönlichen Disposition ein
diesbezügliches Äquivalent zuteil wird. Disposition der Betroffenen und Grund der Seligkeit
müssen ferner deutlich messianischen Charakter haben, da nur unter der Voraussetzung, daß
Jesus hier messianisches Heil verkündet, eine derart überschwengliche Seligpreisung
angemessen erscheint.
Ferner möchte ich mich bei der Untersuchung der einzelnen Vokabeln und Wortgruppen der
Seligpreisungen auf Deutungen und Verständnisgrundlagen beschränken, die aus der Kenntnis
von Texten des Alten Testamentes und aus dem Text des Matthäusevangeliums bis zum Beginn
der jeweils zu untersuchenden Textstelle verfügbar sind. Einmal würde meine Arbeit sonst zu
umfangreich. Dann aber gehe ich auch von der Annahme aus, daß der Evangelist Matthäus es
seinen Lesern nicht zumuten wollte, zum Verständnis von Kapitel 5 etwa mühsam in späteren
Kapiteln herumsuchen zu müssen.
3. Quellenbenutzung
Offensichtlich ist die Übersetzung der Seligpreisungen nicht einfach. Der allgemein übliche und
nächstliegende Sinn der griechischen Worte führt nicht unbedingt zu dem vom Autor gemeinten
Inhalt. Die Ursprache messianischer Themen ist eben nicht das Griechische, sondern Hebräisch
in der Form, wie wir es heute noch in den Texten des Alten Testamentes vorfinden.
Wenn also eine Textstelle des Neuen Testamentes nicht auf Anhieb ihren Sinn preisgibt, kann
eine Überprüfung der vorkommenden Vokabeln, Begriffe und Wortgruppen auf dem
Hintergrund ihrer Bedeutung in der LXX neue Deutungsmöglichkeiten ergeben, wobei den
hebräischen Äquivalenten eine besondere Rolle zukommt.
Matthäus läßt in 4,17 Jesus begründen: „genähert nämlich hat sich die Königsherrschaft der
Himmel.“ Diese Aussage ist Anlaß und Inhalt der Verkündigung Jesu in Galiläa und weiteren
Gegenden. Zeitpunkt und Ort der Bergpredigt werden nicht genannt. Erwähnt werden nur ein
Berg und als Zuhörer eine ungeordnete Menge und die Schüler Jesu. Diese Äußerlichkeiten
bleiben recht unbestimmt. Eindeutig und mehrfach fixiert Matthäus die Thematik der
Verkündigung Jesu, den Anbruch der messianischen Heilszeit (4,23) und deren Zeichen (4,24),
die allerdings Jesus selbst wirkt. Dieser letztere Umstand unterscheidet ihn deutlich von anderen
Lehrern. Damit ist auch für die Zuhörer ein besonderer Erwartungshorizont gegeben.
1. Mt 5,3
Die erste Seligpreisung entspricht offensichtlich dem messianischen Charakter des Kontextes.
Selig werden hier Leute genannt, weil ihrer die Königsherrschaft der Himmel ist. „Μακάριοι“
bezeichnet demnach eine einzigartige, unüberbietbare Freude, die in der göttlichen Dimension
des zuteil gewordenen Glücks ihren Grund hat.
ΒΑΙΛΔΙΑ
Schon bei seiner Geburt bezeichnen in Mt 2,2 die Magier Jesus als König der Juden. In 3,2
verkündet Johannes „das Königtum der Himmel“. In 3,3 wird Jesaias 40,3 zitiert: „Bereitet den
Weg für Jahwe“. „Die Himmel“ öffnen sich über Jesus (3,16). In 4,17 verkündet Jesus selbst
„die Königsherrschaft der Himmel“, während in 4,23 gesagt wird, daß er in den Synagogen
lehrt und „die gute Nachricht von der Königsherrschaft“ überbringt. An dieser Stelle ist der
Ausdruck „βαζιλεία“ bereits so sehr inhaltlich geprägt, daß Matthäus die üblichen Zusätze, wie
„θεοσ“ oder „ηων οσρανων“ wegläßt. Es bleibt nur noch die Frage zu beantworten, warum
Matthäus vorzugsweise „βαζιλεία“ mit „ηων οσρανων“ ergänzt anstatt mit „ θεοσ“. Ein
gewollter Bedeutungsunterschied ist nicht nachweisbar. Eher scheint Matthäus hier sich
wörtlich an den hebräischen Grundbegriff gehalten zu haben - malkut schamaim.
ΡΝΔΤΜΑ
Schwierig ist die Definition derer, denen dieses Glück zuteil wird. Wer sind die „πηωτοι ηω
πνεύμα-ηι“? Rein vokabelmäßig bezeichnet „πηωτός“ den Zustand des Bettlers und bietet das,
wonach jemand bettelnd ist, im Dativ1[1]. Selig werden also hier Menschen genannt, denen als
nach „ ηω πνεύμαηι „ bettelnden die Königsherrschaft Gottes zuteil wird. Logischerweise kann
in diesem Zusammenhang aus der großen Bedeutungsbandbreite des Wortes „πνεσμα“ nur die
Übersetzung richtig sein, die dem engsten Kontext entspricht. Mit „πνεσμα“ kann also hier nur
göttlicher Geist gemeint sein, wie in Jesaias 61,1: „Geist Jahwes auf mir“.
Dem Leser des Matthäusevangeliums ist der Begriff „πνεσμα“ in 5,3 bereits bekannt. In 1,18
wird die Schwangerschaft Marias auf „heiligen Geist“ zurückgeführt. Josef wird in 1,20c mit
denselben Worten vom Engel informiert. In 3,11 spricht Johannes von der Taufe „in heiligem
Geist“. In 3,16 kommt „Geist Gottes“ auf Jesus herab. „Von dem Geist“ wird Jesus nach 4,1 in
die Wüste geführt. In allen diesen Beispielen vor 5,3 ist also mit „πνεσμα“ ausschließlich
Ganz im Sinne des Alten Testamentes meint demnach hier „πνεσμα“ das innere Wesen Gottes,
seine wirkende Kraft - Ruach Jahwe.
ΠΣΩΥΟ
Die bisherigen Ergebnisse legen es nahe, dem Wort „πηωτός“ weitere Aufmerksamkeit zu
widmen. In der LXX kommt es ca. 100 mal vor, am häufigsten für das hebräische „ani“. Dieses
hebräische Wort bezeichnet „die Stellung der Niedrigkeit gegenüber dem Antwort
Erheischenden. ...; primär drückt das Wort also ein Verhältnis u nicht eine soziale Notlage
aus.“(ThW 6,888,10-15). „Indem der Mensch, der wirklich ani Jahwes ist, sich ihm gegenüber
vertrauensvoll als solcher naht, gewinnt ani eine religiöse Bdtg: demütig u geradezu fromm...“
(25-27).
Charakteristisch für den πηωτός /ani ist, daß er sich in einem sonst aussichtslosen Streit an Gott
wendet, „von dem er weiß, daß er dem Armen Hilfe zugesagt hat, die dieser nun geradezu in der
Weise der Geltendmachung eines Rechtsanspruchs erheischt.“ (ThW 6,891,25-892,1).
In Jesaias 50,10b wird diese Situation des Armen so beschrieben: „Wer im Dunkel lebt und
wem kein Licht leuchtet, der vertraue auf den Namen Jahwes und verlasse sich auf seinen
Gott.“ In Jesaias 61,1 finden wir fast vollständig die Bestandteile von Mt 5,3: „Geist Jahwes auf
mir, denn er hat mich gesalbt; gute Nachricht zu bringen den Armen, hat er mich gesandt.“
Aus diesen und vielen andern Texten des AT geht deutlich hervor, daß nicht irgendeine wie
auch immer geartete Not Grund für die Seligpreisung sein kann, sondern die vollständige
Ausrichtung auf Gott, von dem allein Heil erwartet wird. Dieses Heil ist in Jesus erschienen.
Die Königsherrschaft der Himmel ist durch ihn und in ihm angebrochen. Wer sie herbeigesehnt
hat wird glücklich gepriesen, weil seine Sehnsucht nun in Erfüllung gegangen ist.
Andersherum: Wer nur im Besitz und Genuß materieller Güter das Ziel seiner Wünsche sah,
kann nicht selig gepriesen werden, weil er den Anbruch der Königsherrschaft Gottes nicht
gewünscht hat, schon gar nicht als höchst erstrebenswertes Gut, wie den Schatz im Acker oder
die kostbare Perle.
Die Begriffe „πνεσμα“ und „πηωτός“ gehören also sehr eng zusammen. Beide Worte erweisen
sich als von der LXX besonders geprägt. Man kann in „πηωτοι ηω πνεύμαηι“ den Inbegriff
messianischer Heilserwartung sehen, dem dann die durch Jesus verkündete und in ihm
angebrochene Gottesherrschaft mit ihrer Seligkeit entspricht.
2. Mt 5,4
Wer sind die Trauernden, „οι πενθοσνηες“? Welcher Art ist deren Tröstung, deretwegen sie
seliggepriesen werden?
ΠΔΝΘΔΙΝ
Interessant sind zu diesem Begriff einige Bestimmungen des ThW. In 6,41,5 ist von
„öffentlicher Trauerbekundung“ die Rede. Bezüglich der LXX wird besonders auf
Heilsweissagungen verwiesen (6,42,20f). „Erfüllt sein werden die Tage deiner Trauer.“ (Is
60,20). Offensichtlich ist also hier nicht die Rede von privater Trauer oder persönlichem
Kummer, sondern von einer allgemeinen Grundstimmung fast ritueller Natur.
Damit liegt bereits die richtige Deutung dieser Vokabel im Zusammenhang der Seligpreisungen
offen vor Augen. Israels Trauer ist identisch mit der Sehnsucht nach der Erfüllung der
Verheißung. Wer auf die Erfüllung seines größten Wunsches harrt, kann nicht aus vollem
Herzen froh sein.
ΠΑΡΑΚΑΛΔΙΝ
Wahrer Trost kommt von Gott allein, lehrt Jesaias (57,18). „Der größte Tröster aber an Gottes
Statt ist sein Knecht, zu dessen Hauptaufgaben es gehört, den Armen die frohe Botschaft zu
bringen und damit παρακαλέζαι πάνηας ηοσς πενθοσνηας (Is 61,2).“ (ThW 5,787,35 - 788,2).
Somit besteht die Seligkeit der Trauernden nicht etwa in freundlichen Worten tröstenden
Zuspruchs, sondern darin, daß die Ursache der Trauer beseitigt und damit die Trauer in größte
Freude verwandelt wird.
Im Text des Matthäus wird das Futur „παρακληθήζονηαι“ gebraucht, während wir in Mt 5,3 die
Königsherrschaft der Himmel als gegenwärtig beschrieben bekommen. Vermutlich ist dieser
Tempusunterschied rein sachlich begründet. Der Tröster ist zwar bereits gegenwärtig. Die
Tröstung selbst setzt jedoch das Erkennen der Anwesenheit des Trösters voraus. Erst dann wird
Trauer in Freude verwandelt.
3. Mt 5,5
Warum werden die Sanftmütigen das Land erben? In welcher Beziehung soll da jemand
sanftmütig sein? Was für ein Land gibt es damit zu erben? In messianischem Kontext sollte
auch hier ein entsprechender Zusammenhang zu entdecken sein.
ΠΡΑΤ
Die lexikalische Auskunft bietet für πραύς „mild, freundlich, sanftmütig, wohlwollend“ (ThW
6,645,28). Als Gegensätze werden „rauh, hart, heftig, ...zornig, ...gewalttätig“ genannt, „soziale
Tugend im menschlichen Umgang“ (646,28).
In der LXX wird 8 mal πραύς für das hebräische „ani“ gebraucht, was sicher als eine gewisse
Bedeutungsverwandtschaft zu „πηωτός“ gedeutet werden muß. Ähnlich wird demnach „der sich
Gott gegenüber als Knecht fühlende u ihm still u widerspruchslos sich unterordnende“ als
„πραύς“ gesehen (ThW 6,647,24f). „Harren auf Gott ... nicht die überlegene Distanz des
Weisen“ (648,30f). In Psalm 37,11 ist von den πραεις / anawim die Rede, die das Land erben
werden.
Sie sollen sich nicht über die Bösen erregen, sich nicht ereifern wegen der Übeltäter, sondern
auf den Herrn vertrauen (Ps 37,1.3).
Der Gegenbegriff „gewalttätig“ macht deutlich, daß nicht zorniges Fordern, nicht
Gewaltanwendung die Verheißung zur Erfüllung bringen werden, sondern die völlige
Unterordnung unter Gottes königliche Herrschaft.
ΓΗ
Wie Psalm 37,11 bereits anklingen läßt, kann „γη“ hier in der Seligpreisung nur im
Zusammenhang mit der Verheißung Gottes an Abraham gesehen und gedeutet werden. „Doch
die Armen werden das Land erben, sie werden Glück in Fülle genießen.“ Das hier verheißene
Land kann als „das in der messianischen Herrlichkeit vollendete Palästina“ gedacht werden
(ThW 1,676,26f). Im späteren Judentum wurden derartige Verheißungen von Lesern der LXX
universalistisch auf die ganze Erde bezogen (676,27f.Anm.2). Auch an eine zukünftige Welt
mag man denken (676,29).
ΚΛΗΡΟΝΟΜΔΙΝ
„κληρονομειν“ als Verheißung zur Seligkeit weckt im jüdischen Zuhörer Jesu Erwartungen, die
weit über simplen Grundbesitz hinausgehen. Hier steht die heiß ersehnte Erfüllung der an
Abraham ergangenen messianischen Verheißung an. Wie ein roter Faden durchzieht der
κληρονομία /nachala - Gedanke das gesamte AT. Der Besitz Kanaans durch Israel beruht auf
göttlicher Setzung. Jeder Stamm, jede Familie, der einzelne Volksgenosse hat eigenen Erbanteil
am Lande. Josua hat das Los „vor Jahwe geworfen“ (Jos 18,6). Der Besitz des Landes ist also
Wille Gottes. (ThW 770f). Wegen der Treulosigkeit Israels ist dieser heilige Besitz immer
wieder außer Kraft gesetzt, suspendiert, in Frage gestellt. Die Vollendung der Verheißung wird
zur messianischen Heilserwartung und bekommt damit eschatologischen Charakter (ThW
3,772f).
Dieses Heil ist nun in Jesus erschienen. Deshalb sind selig alle, die es in frommer Unterordnung
unter Gottes Plan erwartet haben.
4. Mt 5,6
Hunger und Durst sind bedrohliche Grunderfahrungen. Sättigung bringt Beseitigung dieser
Nöte, jedoch nicht Seligkeit. Der Zusatz, „nach der Gerechtigkeit“, muß demnach engen
Zusammenhang mit Seligpreisung haben, da durch ihn Hunger, Durst und Sättigung in einem
übertragenen Sinn gebraucht erscheinen. In Amos 8,11 heißt es dementsprechend: „Seht, es
kommen Tage ..., da schicke ich den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst
nach Wasser, sondern nach einem Wort Jahwes.“
ΓΙΚΑΙΟΤΝΗ
Hunger und Durst zielen nicht auf irgendeine Gerechtigkeit zur bloßen Beseitigung einer
individuellen Ungerechtigkeit. Der bestimmte Artikel hebt die hier gemeinte Gerechtigkeit aus
dem allgemeinen Sprachgebrauch deutlich heraus, führt zu einer gewissen Verabsolutierung
und legt hier nahe, an die Gerechtigkeit Gottes zu denken.
Einen besonderen Sinn bekommt „δικαιοζύνη“ auf dem Hintergrund des atl. „sedakah“, einem
Verhältnisbegriff! (ThW 2,197,10-15): „Gerecht ist, wer Ansprüchen gerecht wird, die jemand
an ihn kraft eines Verhältnisses hat. Und auch Gottes Gerechtigkeit betätigt sich in erster Linie
als bundesgemäßes Walten in Gemeinschaft mit seinem Volk.“ Bundesgemäßes Handeln Gottes
ist natürlich in letzter Konsequenz die ersehnte Sendung des Messias.
Dementsprechend gilt auch in der Synagoge der Messias als „der Gerechte“. „Die Synagoge
liebt die Bezeichnung ‚Messias unsre Gerechtigkeit’.“ (ThW2,188,21-29).
Damit ist der Sinn der 4. Seligpreisung klar: Selig wird genannt, dessen Verlangen nach der
verheißenen Sendung des Messias erfüllt wird.
5. Mt 5,7
Wer sind die Barmherzigen, die Barmherzigkeit erlangen werden? Die übliche Deutung stellt
nicht zufrieden. Barmherzigkeit Gottes gegenüber menschlicher Not und Schwäche bringt
Erleichterung, Aufatmen, aber nicht unüberbietbare himmlische Seligkeit, wie sie dem Kontext
entspricht.
ΔΛΔΟ
In der LXX wird „ελεος“ in der Regel als Übersetzung für „chesed“ genommen (ThW
2,475,31f). „Im AT wird durch chesed ein Verhalten (des Menschen oder Gottes) bezeichnet,
das aus einem Gegenseitigkeitsverhältnis entspringt; es ist das Verhalten, das in solchem
Verhältnis der eine vom andern erwarten darf, und zu dem er dem andern verpflichtet ist.“
(476,1-4). Treue ist die diesem Verhältnis entsprechende Haltung (7-8). „Auch Gottes chesed
beruht auf der berith, durch die er sich dem Volke frei verpflichtet hat, so daß der Fromme an
Gottes chesed appellieren kann, was freilich voraussetzt, daß der Mensch seinerseits den
Bundesverpflichtungen nachgekommen ist.“ (476,23-26).
Auf dem Hintergrund des atl. Gebrauchs erhält die fünfte Seligpreisung somit einen ganz
anderen Sinn, als gemeinhin angenommen. Es geht hier nicht um Barmherzigkeit als soziale
Tat. Vielmehr wird hier selig gepriesen, wer wegen seines treuen Festhaltens am Bund und
Erfüllung der eingegangenen Bündnisverpflichtungen nunmehr die von Gott aufgrund des
geschlossenen Bundes zu erwartende Antwort erfahren darf, die Erfüllung der Verheißung, den
in Jesus erschienenen Messias.
6. Mt 5,8
Wer sind die Herzensreinen? Inwiefern werden sie Gott schauen? Welcher innere
Zusammenhang besteht zwischen Herzensreinheit und der Schauung Gottes? Üblich ist die
Auffassung, daß, wer Gott schaut, sterben muß.
ΚΑΡΓΙΑ
Wie bei καρδία schon angedeutet, kommt im Zusammenhang der Seligpreisungen für καθαρός
nur eine religiöse, kultische Reinheit infrage, eine Reinheit, die den ganzen Menschen mit
seinem inneren Sein und Wollen betrifft (ThW 3,610,45). Ferner muß die hier gemeinte
Reinheit eine spezifisch jüdische sein, die den auf Jahwes Verheißung harrenden Juden
charakterisiert. Dieser Jude hat alles gemieden, „was mit fremdem Kult zusammenhängt und
damit Jahwe zuwider ist.“ (ThW 3,419,12). Er ist tief in seinem Herzen Jahwe treu, „ein wahrer
Israelit, in dem kein Betrug ist“ (Joh 1,47).
Reinheit ist Vorraussetzung für Begegnung mit Gott. Die entscheidende Gottesbegegnung
Israels liegt in der Erfüllung der Abraham gegebenen Verheißung, besteht in der Teilhabe an
der nahegekommenen königlichen Herrschaft Gottes und bedeutet damit Seligkeit.
7. Mt 5,9
Die Grundbedeutung von schalom ist nicht „Friede“, - das wäre eine Verengung - sondern
„Wohl-sein“ (400,35f). Über „das Wohlbefinden eines Volkes“ läßt sich schalom als eine
„Verhältnisbestimmung“, „ein Verhältnis friedlichen Einvernehmens“ (401,4.f) definieren. Sehr
eng verknüpft mit schalom erscheint „berith“. Schalom ist demnach ein Vertragsverhältnis und
wird zum „Ausdruck für ein Verhältnis des Friedens, das von der Gesinnung derer, die den
Bund schließen, abhängig ist. Kein Wunder, daß der Begriff schalom in dieser Betonung dazu
geeignet war, die letzten prophetischen Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Gott und
Gottesvolk anzudeuten.“ (ThW 2,401,9-25).
Jahwe gewährt dem Volke „berith schalom“. Jes. 54,10: „Meine Gnade wird nicht von dir
weichen, und der Bund meines Heils (berith sch'lomi) soll nicht wanken.“ (401,26f). Güter und
Werte, die das Wort schalom umfaßt, sind Gabe Jahwes, werden von ihm erbeten und auf ihn
als Geber zurückgeführt. Somit wird schalom, „wo es in seinem Vollgehalt verwendet wird, ein
religiöser Begriff.“ Der religiöse Akzent von schalom dürfte sogar älter sein als die rein profane
Verwendung. (401,29-40).
ΔΙΡΗΝΟΠΟΙΟΙ
Wenn schalom allein Gabe Jahwes und nicht Menschenwerk ist, dann kann für ειρηνοποιοί
nicht angenommen werden, daß hier Menschen als Friedensstifter in einem rein profanen
Zusammenhang zu denken sind. Nach allem bisher Gesagten liegt es nahe, die ειρηνοποιοί als
diejenigen zu verstehen, die Voraussetzungen für schalom als Gabe Jahwes schaffen, die also
entsprechend der engen Beziehung zwischen schalom und berith durch getreues Festhalten am
Bunde Jahwes, durch Erfüllung der Bündnisverpflichtung ihrerseits, die entsprechende Antwort
Jahwes ermöglichen.
ΤΙΟΙ ΘΔΟΤ
Das Vater-Sohn-Verhältnis umschreibt die „Beziehung Jahwes zu Israel oder den Israeliten“
(ThW 8,352,21ff). Auf Seite 353 charakterisiert das ThW die zwei Seiten dieser Beziehung, in
der einerseits die Herrschaft und Eigentums- und Verfügungsgewalt des Vaters, anderseits die
Unterordnung des Sohnes, also die Unterwerfung Israels unter Jahwe anklingen. Auch
Heimsuchungen und erziehende Strafe gehören zum väterlichen Handeln, sind Ausdruck
väterlicher Liebe. Der Vater wartet auf die Umkehr verlorener Söhne und ist bereit, sie wieder
als Söhne anzunehmen (353,28-32).
Söhne Gottes werden also die genannt, die sich bündnisgemäß wie Söhne verhalten und
dadurch die Voraussetzung für umfassendes „Wohlsein“ als Gabe Jahwes schaffen.
8. Mt 5,10
In dieser Seligpreisung taucht wieder der Begriff „δικαιοζύνη“ „ auf, aber anders als in V.6
ohne bestimmten Artikel. Dementsprechend kann an dieser Stelle analog zu V.6 nur
bundesgemäßes Verhalten von Israeliten gemeint sein, die wegen ihrer Treue zum Jahwebund
Verfolgung erleiden.
ΓΙΩΚΔΙΝ
In der LXX hat διώκειν vielfach die Bedeutung religiöser Verfolgung, besonders in den
Psalmen (ThW 2,232,47ff). In dieser Form paßt die Vokabel sehr gut in dem messianischen
Kontext. Nicht irgendeine profane Gerechtigkeit im Verhalten anderen Menschen gegenüber
zieht hier Verfolgung auf sich, sondern die praktizierte Bundestreue der Israeliten bringt religiös
motivierte Verfolgung.
Natürlich erfolgt die Seligpreisung nicht wegen erlittener Verfolgung, sondern rein deshalb,
weil jetzt Gott, der andere Bündnispartner, mit der Königsherrschaft der Himmel seinen
Vertragsanteil, seine „δικαιοζύνη“ einbringt, die dem auch in Verfolgung treu gebliebenen
himmlische Seligkeit bedeutet.
9. Mt 5,11.12
Vers 11 bringt eine doppelte unerwartete Wendung in der bisherigen Abfolge der
Seligpreisungen. Mit „μακάριοι εζηε“ werden einerseits die Zuhörer direkt angesprochen.
Andererseits bringt Jesus mit „ένεκεν εμοσ“ sich selbst in unmittelbaren Zusammenhang mit
allem bisher Gesagten. In V.12 wird dann der Makarismus noch zweifach gesteigert mit
„ταίρεηε και αγαλλιαζθε“. Als Grund hierfür wird „viel Lohn in den Himmeln“ genannt. Der
Schluß von V. 12 mit dem Hinweis auf die Verfolgung der Propheten zeigt nochmals deutlich
den messianischen Kontext auf. Sie, die Propheten, mahnten das Volk Gottes immer wieder zur
Bundestreue, forderten diese auch von den Machthabern und erlitten dafür vielerlei Gewalt. Im
Bekenntnis zu Jesus als dem erschienenen Messias soll nun die Bundestreue Israels ihre
Vollendung finden.
Die Ankündigung von Schmähung, Verfolgung und Verleumdung für die Treuen verkündet
ihnen damit aber auch das Schicksal der Propheten. Dementsprechend wird der viele Lohn
erst „εν ηοις οσρανοις“, „in den Himmeln“, in Aussicht gestellt. Damit wird deutlich gesagt,
daß die wahre Königsherrschaft Gottes eben keine irdische Reichsgründung hier auf dieser
Erde in dieser Zeit mit Ministerposten für die ersten Mitglieder sein wird.
C Zusammenfassung
Der Evangelist Matthäus bietet 9 Seligpreisungen, von denen die ersten 8 in den Details ihrer
Kernaussage übereinstimmen: Das Jahwe-treue Israel wird selig gepriesen, weil die Stunde
der Erfüllung der an Abraham ergangenen Verheißung gekommen ist. Wenn man davon
ausgeht, daß Matthäus in seiner Fassung der Bergpredigt Jesu mehrere einzeln gehaltene
Reden in ihren repräsentativen Aussagen kombiniert hat, dann ist jeweils eine der ersten 8
Seligpreisungen als Einleitungsmotto, als messianische Begrüßung denkbar.
Die achte Seligpreisung mit dem Thema erlittener Verfolgung wegen Treue zum Jahwebund
hat Matthäus mit Absicht an den Schluß der allgemeinadressierten gestellt. Sie ergibt eine
gewisse Überleitung zur neunten, in der die Zuhörer direkt angesprochen werden. In dieser
letzten Seligreisung, die auch in der Reihenfolge der Bergpredigten Jesu am Ende gestanden
haben dürfte, offenbart Jesus sich selbst als denjenigen, dessen Ankunft Ursache und Ziel
aller Seligpreisungen ist. Damit erreichen die Seligpreisungen ihren Höhepunkt, aber auch
gleichzeitig einen neuen Akzent, nämlich den der Nachfolge unter dem Zeichen des Kreuzes,
hier noch als vage Andeutung, in späteren Kapiteln des Matthäusevangeliums aber um so
deutlicher.
Wenn man bei Matthäus Redetexte Jesu sucht, deren Einleitung die neunte Seligpreisung
gewesen sein könnte, so paßt in diesen Kontext sehr gut Mt 16,24-27. Hier spricht Jesus zu
seinen Schülern über die Kreuzesnachfolge.
Auch Teile des 9. und 10. Kapitels könnten unter dem Leitwort der Seligkeit der Verfolgten
um seines Namens willen gestanden haben.
D Die Absicht des Matthäus
Wenn man nun abschließend noch nach der kompositorischen Absicht des Evangelisten fragt,
so ist der werbende Charakter der Seligpreisungen in ihrer neunfachen Massierung
unübersehbar. Ein frommer Jude, der diesen Text liest, wird geradezu genötigt, sich zu dem
angesprochenen Kreis des treuen Israel zu zählen, dem die Erfüllung der Verheißung in Jesus
zuteil geworden ist.
Es liegt die Vermutung nahe, daß zur Zeit der Abfassung des Matthäusevangeliums die
Überzeugung Israels vom Messiasamt des Jesus von Nazareth noch Hauptziel der
apostolischen Verkündigung war. Diese Deutung entspricht voll dem Tenor der
Apostelgeschichte: Die Verkündigung der Botschaft beginnt fast durchweg am Sabbat in der
jeweiligen örtlichen Synagoge. Selbst in Athen bespricht Paulus sich zunächst in der
Synagoge mit den Juden (Apg 17,17).
Das Apostelkonzil vom Jahre 49 bringt keine Akzentverlagerung der Missionierung, sondern
entlastet nur die nichtjüdischen Mitglieder. Paulus kommt als Gefangener in Rom an, darf
eine eigene Wohnung beziehen und beruft nach drei Tagen schon die Vorsteher der dortigen
Juden zu sich (Apg 28,17). Das jüdische Echo auf die Verkündigung des Paulus ist auch hier
gespalten.
Im Römerbrief finden wir umfangreiche Ausführungen zur Problematik der Stellung Israels.
In 11,17 bleibt für Paulus Israel der auserwählte Wurzelstock, dem wilde Ölzweige zwischen
die eigenen eingesetzt wurden. Paulus selbst bleibt durch und durch Jude und würde sein Heil
opfern für Israels Bekehrung (Rm 9,1-5).
Summe der Gespräche mit der Synagoge könnte der Hebräerbrief sein, in dem Paulus äußerst
fachkundig die gesamte messianische Argumentation zusammenfaßt.
Somit befindet sich Matthäus mit der Komposition der Seligpreisungen in voller
Übereinstimmung mit dem Tenor der urchristlichen Verkündigung. Dieser Text könnte auch
heute noch in jeder Synagoge vorgelesen werden. Anstoß erregen würde nur das „ένεκεν
εμοσ“der neunten, wenn man es auf Jesus beziehen wollte.
1. Anlaß dieser Untersuchung war ein Zitat aus der Autobiographie Ratzingers2[1]
„Aus meinem Leben“ auf Seite 180. Dort erwähnt er eine Psalmenmeditation des
Augustinus zu den Versen 22 und 23 des Psalms 73 (72): „Ut iumentum factus sum
apud te et ego semper tecum.“ Dazu Ratzinger: „Augustinus hat das Wort vom Vieh
etwas anders aufgefaßt. Das lateinische Wort jumentum bezeichnete vor allem die
Zugtiere, die für die Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, und darin sieht er
nun ein Bild seiner selbst unter der Last seines bischöflichen Dienstes: Ein Zugtier bin
ich vor dir, für dich, und gerade so bin ich bei dir.“
2. Eine Überprüfung der Psalmstelle anhand einer Ausgabe der Einheitsübersetzung
ergab eine weitere Besonderheit. Hier fanden sich die Verse 21 und 22 zwischen den
Versen 14 und 15 eingefügt.
3. In der Biblia Hebraica von Rud. Kittel steht Psalm 73 in der ungeänderten
Versfolge.
4. Dieser Befund macht neugierig. Was steht im hebräischen Text für das lateinische
iumentum? Das Ergebnis ist eindeutig.
( בהמוטbehemot) bedeutet für Psalm 73, Vers 22 laut Lexikon3[2] „das vernunft- und
sprachlose Tier, im Gegensatz zum Menschen“. Die Deutung des Augustinus
entspricht also nicht dem Urtext.
5. Die lateinische Übersetzung von
( בהמוטbehemot) mit iumentum folgt der griechischen Septuaginta mit κηηνώδης
(ktenodes). Beide bezeichnen ein Haustier.
6. Die Gedankenführung des Psalmisten Asaph erscheint in der überlieferten Versfolge
durchaus sinnvoll.
a. In V. 1 wird die Güte Gottes gegenüber Israel und denen, die reinen Herzens
sind, hervorgehoben.
2[1] Josef Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, Erinnerungen, München 1998
8. Thalhofer5[4] ändert an einer Stelle geringfügig die Verseinteilung. Vers 22 lautet bei
ihm: „Ut jumentum factus sum apud te; Et ego semper tecum.“ (Geworden wie ein
Vieh vor dir; Doch bin ich stets bei dir.) Diese gedankliche Verbindung wirkt
gewaltsam. Das Bild von dem Stück Vieh, welches stets bei Gott sich befinden soll,
befremdet arg und macht die vorgenommene Änderung der Verseinteilung
unwahrscheinlich.
9. Die Verknüpfung des hebräischen Textes in Vers 22 erscheint sinnvoll, wenn man ihn
so versteht, daß Asaph im Unterschied zu seinem Volk darum weiß, daß Gott ihn
immer sieht und eben deshalb Asaphs Hand ergreift, um ihn nach seinem Ratschluß zu
leiten V. 24).
5[4] Valentin Thalhofer, Erklärung der Psalmen, 7. Auflage Regensburg 1904; Psalm 72, S.
415-423
10. Die Fehleranalyse zeigt deutlich, daß eine Psalm-Interpretation, welche sich auf eine
lateinische Übersetzung stützt, nicht unbedingt zur eigentlichen Aussage des
hebräischen Urtextes gelangt. Es ist zwar historisch nachvollziehbar, daß der römische
Teil der katholischen Kirche Überlieferungen in lateinischer Sprache besonders
schätzt. Genau dem ist denn auch der passionierte Cicero-Imitator Augustinus zum
Opfer gefallen und hat sich zum kraftstrotzenden Zugtier Gottes befördert. Der
Psalmtext wurde so völlig verfremdet. Nicht das Zugtier leiht Gott seine helfende
Kraft, sondern Gott nimmt den Menschen bei der Hand und leitet ihn. Dieses
Textverständnis dürfte auch Benedikt XVI. eher entsprechen und zusagen.
11. Als wichtige Konsequenz ergibt sich für die ökumenischen Übersetzungsbemühungen
der Heiligen Schrift, auf römisch-lateinische Dominanz zu verzichten. Da es sich bei
den Heiligen Schriften des Christentums, sowohl des Alten als auch des Neuen
Testamentes, um wesenhaft jüdische Textzeugnisse handelt, erscheint eine verstärkte
jüdische Beteiligung an den ökumenischen Übersetzungsbemühungen unverzichtbar.
Das wissenschaftliche Potential ist vorhanden. Eigentlich ist sogar ein schlichter
ökumenischer Bibelkreis ohne jüdische Beteiligung beeinträchtigt.
Im Dezember 2005, Burghard Schmanck
Wer dann bei den Evangelisten Markus und Lukas die Parallelstellen liest, der findet dort
allerdings nur einen Esel und zwar ein Fohlen, auf welchem noch kein Mensch gesessen hatte,
das also noch nicht zugeritten bzw. noch nicht an das Tragen von Lasten gewöhnt war.
Schaut man nun bei dem vom Matthäus zitierten Propheten Sacharja (9,9) nach, erlebt man
eine neue Überraschung. In der lateinischen und griechischen Version sitzt der messianische
König anscheinend unmißverständlich ebenfalls auf zwei Eseln.
Interessant wird es dann bei der deutschen Übersetzung dieses Prophetentextes. Da reitet der
König „auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin“.
Vermutlich liegt hier ein Mißverständnis des hebräischen „und“ vor. Dessen Sinn ergibt sich
nämlich nur aus dem jeweiligen Textzusammenhang. Man muß also zuvor den Sinn verstehen
und kann danach erst richtig übersetzen. Dieser Sinn ist hier einfach spezifizierend, nämlich
„und zwar“.
Dann lautet der hebräische Urtext: „reitend auf einem Esel, und zwar auf einem Füllen, dem
Sohn einer Eselin“. Damit ist die deutsche Einheitsübersetzung an dieser Stelle richtig,
während die lateinische und die griechische Version das hebräische „und“ nur rein
mechanisch und daher mißverständlich übernommen haben. Matthäus hat das möglicherweise
nicht mehr verstanden und daher die Szene um einen zweiten Esel bereichert.
Wenn man hingegen an der Zweizahl der Esel festhalten will, dann sollte man sich für eine in
der Textüberlieferung angebotene singularische Variante für Vers 7 entscheiden. Danach
würden die Kleider eindeutig auf das Fohlen gelegt (επ’ ασηον/ασηω), und Jesus setzte sich
darauf.
Apk 4,6
Und im Angesicht des Thrones: wie ein gläsernes Meer, wie Kristall …
Apk 15,2
Und ich sah: wie ein gläsernes Meer, gemischt mit Feuer, und die Sieger über das Tier und
über sein Bild und über die Zahl seines Namens, stehend auf dem Meer, dem gläsernen …
Der Seher sieht etwas, das auf ihn wirkt wie ein gläsernes, also durchsichtiges Meer, klar und
durchsichtig-schön wie ein Kristall, aber auch fest wie Glas: Die Sieger stehen auf dem Meer,
dem gläsernen. Dieses Meer sieht er "im Angesicht des Thrones". Damit ist das gläserne Meer
als ein Teil des Himmels bezeichnet.
In der Schöpfungserzählung der Bibel, Genesis 1,6.7, erschafft Gott das Himmelsgewölbe als
Scheide zwischen dem Wasser unterhalb und oberhalb. Damit ist der Ursprung der
Vorstellung vom himmlischen Meer vor Gottes Thron klar.
Die Formulierung "wie ein gläsernes Meer" zwingt dazu, die Beschreibung als "gläsern" und
"wie Kristall" im übertragenen Sinne zu verstehen. Dieses Meer ist ruhig, nicht aufgewühlt
und frei von Wellen und Wogen; es ist nicht gefahrvoll und stürmisch, sondern ruhig, klar und
durchsichtig. Wie könnte es im Angesicht des Thrones Gottes anders sein!
Das gläserne Meer trägt die Sieger. Es gibt keine Gefahr des Ertrinkens. Man mag bei diesem
Bild an die Geschichte von Jesu Gang über das Wasser des "Galiläischen Meeres" denken (Mt
14,22-33; Mk 6,45-52; Joh 6,16-21). Wie die Sieger auf dem gläsernen Meer stehen, so geht
Jesus über das Wasser, als sei es fest und tragend. Daß es aber nicht das tragende Wasser über
dem Himmelsgewölbe, also das himmlische Wasser ist, erfährt Petrus sehr augenfällig.
Gottes Macht bändigt auch die Wasser des Schilfmeeres (Exodus 14.15) für den gefahrlosen
Durchzug Israels. Das Lied der Sieger in Apk 15,3 ist das Lied des Moses von damals aus
Exodus 15.
"Gemischt mit Feuer" läßt an die Gotteserscheinung im "brennenden Dornbusch denken"
(Exodus 3,2.3). Die Flamme, welche den Dornbusch nicht verbrennt, ist Zeichen für die
unmittelbare Anwesenheit Gottes, der zu Moses spricht.
Feuer in derselben Bedeutung findet sich in Exodus 13,21, in der Feuersäule, in der Gott
nachts vor den Israeliten herzieht.
3. April 2012
Burghard Schmanck