Pub - Deutsch Als Fremd Und Zweitsprache 2 Halbband PDF
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HSK 35.2
Handbücher zur
Sprach- und Kommunikations-
wissenschat
Handbooks o Linguistics
and Communication Science
Manuels de linguistique et
des sciences de communication
Band 35.2
De Gruyter Mouton
Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache
Ein internationales Handbuch
Herausgegeben von
Hans-Jürgen Krumm, Christian Fandrych,
Britta Hueisen, Claudia Riemer
2. Halbband
De Gruyter Mouton
ISBN 978-3-11-020508-4
e-ISBN 978-3-11-024025-2
ISSN 1861-5090
2. Halbband
XVII. Landeskunde
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte ·
Uwe Koreik und Jan Paul Pietzuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1441
161. Sprachbezogene Landeskunde · Rainer Bettermann . . . . . . . . . . . . 1454
162. Informationsbezogene Landeskunde · Wolfgang Hackl . . . . . . . . . . 1465
163. Interkulturelle Landeskunde · Ulrich Zeuner . . . . . . . . . . . . . . . . 1472
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte · Uwe Koreik . . . . . . . . 1478
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft · Matthias
Grünewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1484
166. Landeskundliche Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und He-
terogenität · Ernest W. B. Hess-Lüttich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1492
Inhalt VII
XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht:
Gegenstände und Ansätze · Swantje Ehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1530
171. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literatur-
vermittlung im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache · Renate
Riedner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1544
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung · Michael
Ewert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1555
173. Literatur im Landeskundeunterricht · Peter O. H. Groenewold . . . . . 1565
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unter-
richt · Heidi Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-
Unterricht · Ulrike Eder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1577
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt · Karl-Heinz Pogner . . . . . 1583
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitspra-
che-Unterricht · Manfred Schewe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1589
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht ·
Camilla Badstübner-Kizik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1596
Indices
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1843
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1861
Inhalt IX
1. Halbband
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
III. Sprachenpolitik
9. Die Verbreitung des Deutschen in der Welt · Ulrich Ammon . . . . . . 89
10. Zuwanderung und Sprachenpolitik der deutschsprachigen Länder · Verena
Plutzar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
11. Die deutsche Sprache in der Sprachenpolitik europäischer Institutionen ·
Konrad Ehlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
12. Sprachenpolitische Konzepte und Institutionen zur Förderung der deut-
schen Sprache in nichtdeutschsprachigen Ländern · Brigitte Ortner und
Katharina von Ruckteschell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
13. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in Deutschland · Matthias Jung, Hans-Jürgen Krumm und Rainer E.
Wicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
14. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in Österreich · Brigitte Sorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
15. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in der Schweiz · Monika Clalüna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
16. Die internationale Institutionalisierung von Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache · Britta Hufeisen und Brigitte Sorger . . . . . . . . . . . . 166
X Inhalt
Wenn man den Faktor ,Lehren‘ im DaZ-Unterricht genauer betrachtet, fällt schnell auf,
dass es sich hier um einen Faktor handelt, der durch zahlreiche unterschiedliche Aspekte,
Bedingungen und Erwartungen geprägt ist und beeinflusst wird. U. a. gibt es Zusammen-
hänge mit der Lehrerausbildung bzw. Lehrerfortbildung (vgl. Art. 151). Um den komple-
xen Faktor ,Lehren‘ insgesamt in den Blick zu bekommen, soll zunächst das Bedingungs-
gefüge, in dem dieser Faktor zum Tragen kommt, dargestellt werden. Danach soll die
Verbindung zu weiteren ausgewählten Bereichen näher beleuchtet werden.
Der Faktor ,Lehren‘ ist ein eigener Faktor in der Faktorenkomplexion (Königs 1983)
Sprachunterricht und bildet mit den Lernenden mit ihren unterschiedlichen Lernerzugän-
gen, den jeweiligen adressatenspezifischen Lernzielen, den Lehrenden und den gesell-
schaftlichen Bedingungen ein komplexes Bedingungsgefüge. Dabei ist vorab festzuhalten,
dass es ein einheitliches Lernziel, das ohne Differenzierung für alle Lerner gleichermaßen
gilt, nicht gibt.
Lernziele beeinflussen die Strukturierung des Lernprozesses aufgrund unterschiedli-
cher Bezugspunkte stark. Man kann dabei zwischen lernerbezogenen, lehrerbezogenen
wie auch zielbezogenen Fragestellungen unterscheiden. Diese wiederum können individu-
eller Natur sein, sich aber ebenso auch auf die gesamte Lernergruppe beziehen oder
lerngruppenübergreifende Strukturen betreffen. Auch können Lernziele auf unterschied-
lichen sprachlichen Ebenen (syntaktisch, lexikalisch, morphologisch, phonologisch, pho-
netisch, pragmatisch) ebenso wie die Aneignung außersprachlichen Wissens (z. B. Lan-
deskunde) oder soziale Ziele den Lehr- und Lernprozess beeinflussen (vgl. Königs 1983).
Um die Probleme mit den jeweiligen Lernzielen für alle Beteiligten, vor allem aber für
1074 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
die Lernenden, so gering wie möglich zu halten, sollten sie mit ihren Bedürfnissen von
Anfang an aktiv in die Unterrichtsplanung einbezogen werden. Die Lehrenden müssen
dafür die spezifischen Bedürfnisse ihrer Lerner erkennen und analysieren können. Da
Deutsch als Zweitsprache im Gegensatz zu Deutsch als Fremdsprache durch das ständige
Ineinandergreifen von gesteuerten und ungesteuerten Erwerbsprozessen gekennzeichnet
ist, muss der Lehrer beispielsweise den Lernstand seiner Lernenden erfassen und spezifi-
sche Fördermaßnahmen ergreifen können. Dazu gehört neben der Fähigkeit zu individu-
eller Lernstandsdiagnose auch die Entwicklung von Fördermaterialien (siehe Art. 146).
Hier einfach der Progression eines Lehrwerks zu folgen, kann den individuellen Bedürf-
nissen der DaZ-Lernenden i. d. R. nicht gerecht werden. Nach Edmondson und House
(2006) ist der Unterricht mit seinen Lehr- und Lernzielen, mit dem gesamten Lehrwerk,
seinem Lehrinhalt, den Methoden und Prinzipien, seinen Übungsformen dem geltenden
Curriculum unterworfen. Hier ist allerdings zu fragen, wer diese Vorgaben in den Curri-
cula macht und inwieweit diese Vorgaben die spezifischen Bedürfnisse der Lerner berück-
sichtigen. Im Idealfall sollte der Lehrer (nur) das lehren, was das Curriculum als Vorgabe
liefert und die Lerner sollten die im Curriculum vorgegebenen Inhalte auch wirklich
lernen können (Lernerperspektive). Faktisch ist Beides nicht immer gegeben: Abweichun-
gen des Lehrers von den curricularen Inhalten sind praktisch nicht kontrollierbar. Unrea-
listische Lernziele, aber auch die Anpassung an veränderte gesellschaftliche Anforderun-
gen führen zu einer ständigen Curriculumsrevision. Die Immigration nach Deutschland
und in andere deutschsprachige Länder und ein wachsender Anteil von Lernern mit
Migrationshintergrund in den verschiedenen Ausbildungsgängen stellen eine gesellschaft-
liche Realität dar, welche die Lernbedingungen in der Schule verändert hat. Das macht
es wiederum notwendig, dass sich auch die Curricula und die Lehrerausbildung verän-
dern müssen (vgl. Beitrag 151 in diesem Band).
Eine weitere, die Eigenständigkeit eines Fachs und damit auch das Fach DaZ beein-
flussende Komponente ist ebenfalls die Frage, ob das Fach in Abhängigkeit von einer
Bezugswissenschaft gesehen wird. In den 1970er Jahren konstituierte sich beispielsweise
das Fach Sprachlehr- und Sprachlernforschung und löste diesen Gegenstandsbereich he-
raus aus den vermeintlichen Basis- oder Bezugswissenschaften Linguistik, Didaktik und
Psychologie (vgl. Koordinierungsgremium 1983). Von dem Koordinierungsgremium im
DFG-Schwerpunkt Sprachlehr- und Sprachlernforschung sind damals weitsichtig auch
bereits vier Projekte aus dem Bereich DaZ gefördert worden. Das waren auf der einen
Seite zwei Projekte zur Zweisprachigkeit griechischer und türkischer Migrantenkinder,
also Projekte mit schulischer Relevanz (vgl. Koordinierungsgremium 1983: 93 ff.), auf
der anderen Seite zwei Projekte zum Zweitspracherwerb ausländischer Arbeitnehmer
(130 f. und 140 f.). Trotz dieser positiven Ansätze wurde das Fach lange Zeit hauptsäch-
lich als Domäne der Erziehungswissenschaften im Rahmen des Faches ,Ausländerpäda-
gogik‘ gesehen, bevor sich auch die Germanistik in den 1980er Jahren zögerlich der
Zweitsprachendidaktik zuwandte (vgl. im Einzelnen Art. 6). Die Einrichtung und die
Benennung von Zusatzstudiengängen können u. E. als Indikatoren auf die Sicht von
DaZ in der Lehrerbildung gewertet werden. Im Jahr 1987 wurde beispielsweise an einigen
Hochschulen in NRW der Zusatzstudiengang „Ausländerpädagogik einschließlich
Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache“ eingerichtet. 1995 wurde der Zusatzstudien-
gang umbenannt in „Interkulturelle Pädagogik“, im Jahr 2000 in „Deutsch als Zweit-
sprache/Interkulturelle Pädagogik“. Diese Benennungen zeigen, dass der Zusatzstudien-
gang im Bewusstsein der einrichtenden Kultusadministration zunächst vornehmlich als
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1075
eine pädagogische Aufgabe angesehen wurde, der auch Anteile von DaZ zugerechnet
wurden. Mit dem Boom der ,Interkulturellen Pädagogik‘ zu Beginn der 1990er Jahre
verschwand der sprachliche Anteil in der Benennung des Zusatzstudienganges ganz aus
dem Namen; auch in Österreich wurde auf die Anwesenheit von Kindern mit Migrations-
hintergrund zunächst dadurch reagiert, dass 1981 für die Lehrenden an Pflichtschulen
das Wahlfach „Interkulturelles Lernen“ eingeführt wurde (vgl. Art. 7). Dies zeigt, dass
die Interkulturelle Pädagogik damals mit dem Anspruch auftrat, für die Integration
nicht-deutschsprachiger Kinder insgesamt die angemessenen Konzepte zu entwickeln
bzw. diese bereit zu halten. Seit Ende der 1990er Jahre wird zunehmend deutlich, dass
der sprachlichen Seite der Integration mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
Das drückt sich auch in der Umbenennung des Zusatzstudiengangs in „Deutsch als
Zweitsprache/Interkulturelle Pädagogik“ aus, in welcher der sprachliche Teil ⫺ diesmal
als DaZ ⫺ deutlich markiert ist. (Vgl. auch Baur 2001). Wie bildungspolitische Entwick-
lungen sich auf DaZ ausgewirkt haben, zeigt sich besonders in Folge der PISA-Studien
2000/2003 und der IGLU-Studie 2003. Da in allen Studien Kinder und Jugendliche mit
Migrationshintergrund erheblich schlechtere Leistungen in der Lesekompetenz als Kin-
der und Jugendliche mit der Muttersprache Deutsch aufwiesen, wurden in Deutschland
wie in Österreich Maßnahmen zur systematischen sprachlichen Diagnose und Förderung
der Migrantenkinder eingeleitet und die Forderung erhoben, DaZ-Kenntnisse in der Leh-
rerausbildung obligatorisch zu vermitteln. In der Erwachsenenbildung wurde die bil-
dungspolitische Bedeutung von DaZ durch die Einrichtung von Integrations(sprach)kur-
sen verstärkt (vgl. auch Abschnitte 2 und 5 sowie Art. 121).
Wenn man sich die Adressaten von DaZ (Tabelle 119.1) vor Augen hält, wird deutlich,
dass DaZ ein sehr breites Tätigkeitsfeld umfasst bzw. sehr verschiedene Tätigkeitsfelder
bedienen muss. So gibt es beispielsweise extreme Unterschiede zwischen DaZ-Lernern,
die als Erwachsene Alphabetisierungskurse im Rahmen der Integrationskurse besuchen,
und Schülern in der Sekundarstufe II, die in eine deutschsprachige Umgebung hineinge-
boren wurden und die gesamte Schule bisher im deutschsprachigen Schulsystem durch-
laufen haben. Das verweist auf die Notwendigkeit, dass von den Adressaten her gesehen
1076 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Betrachtet man in der Faktorenkomplexion den Lerner genauer, ist auf die große Hetero-
genität hinsichtlich zahlreicher Faktoren wie sozioökonomischer Status der Lernenden
(oder ihrer Familien), Alter, kulturelle Unterschiede, Motivation, Lerntyp, Einstellung
zur Zielkultur, Lernerfahrungen und insbesondere Kenntnisse in der Herkunftssprache,
der Zweitsprache Deutsch und in weiteren Fremdsprachen hinzuweisen. Lehrende müs-
sen sich mit den individuellen Besonderheiten der einzelnen Lernenden auseinanderset-
zen und diese im Lernprozess berücksichtigen. Dabei kann es für die Einschätzung des
individuellen Lernprozesses von Seiten des Lehrers z. B. von großer Bedeutung sein, ob
der Lerner zugewandert ist oder in Deutschland geboren wurde, ob er berufstätig oder
arbeitslos ist, ob er viel Zeit oder nur wenig für den Lernprozess einsetzen kann, ob er
in der Freizeit viele oder wenige Kontakte zu deutschsprachigen Kommunikationspart-
nern hat u. a. m. Auch familiäre, finanzielle und aufenthaltsrechtliche Probleme können
den Lernprozess in erheblichem Maße beeinträchtigen.
1078 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
1. Bedingungen für vorschulisches Lehren: Das Lehren von DaZ in diesem Bereich setzt
eine DaZ-Ausbildung von Erzieherinnen voraus, die bislang nirgendwo implementiert
wurde. Dieses Defizit in der Ausbildung ist inzwischen als gesellschaftliches Problem
erkannt worden, es werden neue Modelle der Ausbildung von Erzieherinnen diskutiert
und erprobt (vgl. z. B. Knapp et al. 2008; vgl. auch Art. 151). D. h. der Faktor ,Lehren‘
behindert im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das Lernen in vorschulischen Ein-
richtungen erheblich, da als ,Förderlehrer‘ zu einem großen Teil unqualifizierte Personen,
wie z. B. Studierende des Faches Deutsch eingesetzt werden ⫺ in der irrigen Annahme,
dass ein Deutschstudium allein bereits für den Unterricht in DaZ qualifiziert. Professio-
nelle Unterstützung erwartet man sich auch durch den Einsatz von Studierenden (und
später Lehrenden) mit Migrationshintergrund, ohne dass diese Personen für diese Auf-
gabe in der notwendigen Weise vorbereitet wären. (vgl. Baur 2009)
Ob und in welcher Weise im vorschulischen Bereich bei Fördermaßnahmen differen-
ziert werden kann und soll, muss noch erforscht werden. Allgemein wird in der Bildungs-
politik angestrebt, vor der Einschulung Diagnoseinstrumente einzusetzen, die sprachliche
Defizite bei Kindern aufdecken und eine Förderung vorbereiten sollen (vgl. Art. 146).
2. Bedingungen in der Grundschule: In der Grundschule steigt der Anteil von Kindern
mit Migrationshintergrund ständig und ein großer Teil dieser Kinder wächst zweispra-
chig auf (vgl. Chlosta, Ostermann und Schroeder 2003). Auf diese Situation werden
GrundschullehrerInnen in ihrer Ausbildung unzureichend vorbereitet (Gogolin 2006,
2008a, 2008b; Gogolin und Saalmann 2007). Hier müsste verstärkt differenziert werden.
Zum einen sollte die Sprachförderung im vorschulischen Bereich mit der Förderung in
den ersten Klassen der Primarstufe koordiniert und aufbauend fortgeführt werden, zum
anderen muss in den oberen Klassen der Primarstufe die Lese- und Schreibkompetenz
systematisch beobachtet und ggf. stabilisiert werden. Eine solche differenzierte Betrach-
tungsweise hat auch Auswirkungen auf das ,Lehren‘: Die Bereiche Diagnose und Förde-
rung mit Blick auf den Übergang in die weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I
müssten gezielt ausgebaut werden (vgl. Art. 151).
stellen. Deshalb ist auch eine DaZ-Ausbildung der Fachlehrer notwendig (vgl. Chlosta
und Schäfer 2008).
3. DaZ-Unterricht Speziika
löst. Als Schwierigkeit kommt hinzu, dass das Verhältnis von Herkunftssprache und
Zweitsprache Deutsch bei den Migrantenkindern sehr unterschiedlich ausgebildet ist, so
dass es einen einheitlichen zweisprachigen Ansatz für alle nicht geben kann. Sprachförde-
rung in DaZ bedeutet deshalb immer Absicherung des Lernfortschritts auf der Grund-
lage und mit den Mitteln der Zweitsprache Deutsch (vgl. Kap. 5).
Bei der Bearbeitung konkreter Themen und Inhalte muss immer die Frage gestellt
werden, welche sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich Kenntnisse anzueignen (re-
zeptive Ebene) und was ein Lerner mündlich formulieren und schreiben können muss
(produktive Ebene). Dies wiederum ist von den zu unterrichtenden Adressaten abhängig.
Die Sprachbedarfsermittlung bestimmt die notwendigen Inhalte des Unterrichts, z. B.
Kommunikation im Lebensalltag vs. Erwerb fachlichen Wissens auf der Grundlage eines
entsprechenden Fachwortschatzes. Zu unterscheiden ist hier der objektive Sprachbedarf
(angestrebte Handlungsfelder ⫺ Was ist zu lernen?) gegenüber dem subjektiven Sprach-
bedarf (Bedürfnisse des einzelnen Lerners ⫺ Wie kann und will der Einzelne lernen?).
Besonders sei noch auf einen Unterschied zwischen dem DaZ-Unterricht in der Schule
und in der Erwachsenenbildung hingewiesen: Auch wenn es für die Schule keine ausrei-
chende DaZ-Vorbeitung für die Lehrenden gibt, haben die Schul-Lehrer doch alle eine
grundständige Lehrerausbildung absolviert. Die Lehrqualifikation der Lehrenden in der
Erwachsenenbildung beruht dagegen häufig allein auf einer Zusatzausbildung. Gerade
in der Erwachsenenbildung sind Lernvoraussetzungen und Interessen der Adressaten al-
lerdings sehr unterschiedlich, weshalb die unterrichtsmethodischen Fähigkeiten der Leh-
rer in der Erwachsenenbildung gut ausgebildet sein müssen. Hierbei sind folgende As-
pekte besonders zu beachten: Teilnehmerorientierung (Einbeziehung von Erfahrungen
und Kompetenzen der Lernenden), Wahrnehmung der Kompetenzen der Lernenden, An-
regung zu Diskussionen und zu Erfahrungsaustausch, selbstständiges Arbeiten, Fähigkeit
zur Anpassung der Methoden an die Teilnehmer und an die Inhalte, Binnendifferenzie-
rung, Förderung von Spontaneität und Kreativität, Beachtung der Lerntypen (Anspre-
chen verschiedener Wahrnehmungskanäle bei der Präsentation und Erarbeitung des
Lernstoffs), Förderung von Interaktion, Beachtung der Rollenfunktionen innerhalb der
Gruppe, Förderung der Selbstidentität und Verarbeitung von Versagensängsten.
sche Zielsetzungen), Grob- (Hauptlernziele) und Feinziele (mit Bezug auf Unterrichts-
sequenzen und konkreter Bestimmung des Lernerverhaltens) und ebenso kognitive, affek-
tive, psychomotorische, interkulturelle sowie handlungsorientierte Lernziele (Künzli
David 2007).
Eine Analyse kann auch auf der Grundlage der Beobachtung von Unterrichtsphasen
sinnvoll sein (vgl. Art. 152). DaZ-Unterricht im Bereich der Erwachsenenbildung wird
nach unterschiedlichen Modellen durchgeführt. Zu unterscheiden wären hier beispiels-
weise das TTT-Modell (test ⫺ teach ⫺ test) oder das PPP-Modell (presentation ⫺ prac-
tice ⫺ production) ⫺ Lehrerinput, Übungsphasen, Anwendungsphasen. Grießhaber
(2005) teilt den DaZ-Unterricht (Förderunterricht für Schüler) in folgende Phasen ein:
1. Vorbereitungsphase, 2. Präsentation (Konfrontation mit dem neuen Lernstoff), 3. Ver-
stehenskontrolle, 4. Übungsphase 1 (drill), 5. Phase der Bewusstmachung (Kognitivie-
rung), 6. Übungsphase 2 (Festigung), 7. Transferphase, 8. Phase der freien Anwendung.
Übungstypologien, die hier zur Anwendung kommen, können nach Segermann (1994)
ihrerseits klassifiziert werden. Dabei entscheidet der Lehrende beispielsweise über den
Ort, an dem die Übung stattfindet, über die Wahl des Mediums und des Kanals, über
das Register der sprachlichen Äußerung, über die Sozialform, über den Einsatz von
Hilfsmitteln, über die Lernzielkontrolle und ggf. Beurteilungsform der Leistung und
letztlich auch darüber, welche Motivationsform für die Lerngruppe sinnvoll ist.
Ein weiterer zentraler Faktor für die Analyse und Beurteilung des Lernprozesses ist
die Progression. Bei einer steilen Progression im Bereich der Grammatik sollte darauf
geachtet werden, dass die Progression im Wortschatz nicht zu stark ist (und umgekehrt),
da der eine Bereich den anderen jeweils stützen oder behindern kann. Grießhaber (2005)
unterscheidet dabei folgende Formen der Progression: linear (einmalige Behandlung),
grammatisch (Reihenfolge nach grammatischen Gesichtspunkten), konzentrisch (mehr-
fache Behandlung, komplexe Bereiche werden in einfachere Teilbereiche zerlegt) und
kommunikativ (kommunikative Gesichtspunkte). Durch die Lehrwerke ist die Progres-
sion vorgegeben. Lehrende sollten deshalb überprüfen können, ob es bei den für ihre
Adressaten in Frage kommenden Lehrwerken Unterschiede in der Progression gibt und
welche Progression für die Adressaten mehr oder weniger geeignet ist. Entscheidungen
für die Auswahl von Lernmaterial im Unterricht mit fortgeschrittenen Lernern werden
dabei häufig durch methodische Fragen mitbestimmt (vgl. Art. 137).
Im Bedingungsgefüge des DaZ-Unterrichts spielt das Lehrwerk eine zentrale Rolle. Auf
dem Markt befinden sich einerseits Lehrwerke, die sowohl DaZ- als auch DaF-Lerner
als Zielgruppe ansteuern, andererseits Lehrmaterialien und Lehrwerke, die sich adressa-
tenspezifisch auf DaZ-Lerner konzentrieren, beispielsweise für Spätaussiedler und Kon-
tingentflüchtlinge, Alphabetisierungs-Lehrwerke, Lehrwerke für Frauenkurse, Lehrwerke
mit Berufsbezug u. a. m. (vgl. Art. 137).
Um sich im Angebot der Lehrwerke und Lehrmaterialien besser orientieren und den
Unterricht adressatengerecht gestalten zu können, sollten DaZ-Lehrende in der Ausbil-
dung lernen, Lehrwerke zu analysieren. Das Thema ,Lehrwerksanalyse‘ ist deshalb in
fast allen Ausbildungen obligatorisch. Kriterienkataloge zur Analyse von Lehrwerken
1082 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
sollen dabei helfen, wesentliche Aspekte des mit dem Lehrwerk geplanten Lehr- und
Lernprozesses vorab zu klären (vgl. Kast und Neuner 1994). In der Realität erfolgt die
Auswahl eines Lehrwerks allerdings kaum auf der Grundlage einer Lehrwerksanalyse. I.
d. R. sind es die Schulen und Kursträger, die bestimmen, welche Werke eingesetzt wer-
den. Ob und wie sich ein Lehrwerk bewährt und welche Vermittlungs- und Lernprobleme
auftauchen (beispielsweise, weil die Progression zu steil oder das Übungsangebot zu
schmal ist), lässt sich nur schwer vorab auf der Grundlage einer Lehrwerksanalyse vor-
hersagen. Befragungen von DaZ-Lehrenden, die wir in den letzten Jahren im Rahmen
von Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt haben, bestätigten, dass die Lehrenden
die Vorzüge und die Nachteile eines Lehrwerks im Gebrauch entdecken und nicht eine
systematische Analyse durchführen. Besonders wichtig ist es deshalb für die Lehrenden,
vom Lehrwerk abhängige Mängel, die sich im Unterricht zeigen, selbstständig ,reparie-
ren‘ zu können. Das gilt insbesondere für das Übungsangebot.
Zum schrittweisen Aufbau der Kommunikationsfähigkeit hat sich die Übungstypolo-
gie zum kommunikativen Deutschunterricht von Neuner et al. (1981) bewährt: Stufe A ⫺
Übungen zur Entwicklung und zur Überprüfung von Verstehensleistungen (Heranführung
an authentische Texte, Texterschließung, Textverstehen), Stufe B ⫺ Übungen zur Grundle-
gung von Mitteilungsfähigkeit (reproduktive Übungen; Reproduktion sprachlicher Struk-
turen und Redemittel, stark gesteuerte Kommunikationssituationen, korrekte sprachliche
Form der Äußerungen), Stufe C ⫺ Übungen zur Entwicklung von Mitteilungsfähigkeit
(reproduktive ⫺ produktive Übungen; freiere Gestaltung der Kommunikationssituatio-
nen, offene, wenig gelenkte Übungen), Stufe D ⫺ Übungen zur Entfaltung freier Äußerun-
gen (produktive Übungen, Anregung zur sprachlichen Kommunikation, eigenständige
Gestaltung der Kommunikationssituation). ⫺ Lehrende sollten überprüfen, ob in einer
Übungssequenz bzw. einer Lektion alle vier Stufen vorhanden sind und ob die Fertig-
keitsbereiche, die gelernt werden sollen, auch wirklich geübt werden.
Eine große Unterstützung kann der Faktor ,Lehren‘ durch ein Lehrerhandbuch erfah-
ren. Hier sind meist Vorschläge für Übungen, Projekte, Differenzierungen, Medienge-
brauch, kontrastiv-linguistische Hinweise u. v. a. m. enthalten, die zur Verbesserung des
Unterrichts erheblich beitragen können.
6. Fazit
Die Berücksichtigung der verschiedenen Faktoren im Bedingungsgefüge des DaZ-Ler-
nens verlangt zunächst einmal eine gute Ausbildung der Lehrenden, denn diese werden
sich mit den verschiedenen Faktoren und ihrer Einschätzung in einem durch die Sprach-
lehr- und Sprachlernforschung abgesicherten wissenschaftlichen Kontext nur dann ausei-
nandersetzen, wenn sie dies in der Ausbildungsphase gelernt haben. Zweitens bedarf es
einer hohen Flexibilität auf Seiten der Lehrenden, wenn sie diese Faktoren im Blick
behalten und in ihrem Unterricht berücksichtigen wollen. Drittens werden Lehrende, die
diese Faktoren ernst nehmen, das Bedürfnis haben, sich weiterzubilden, weil sie erken-
nen, dass jede Ausbildung nur erste Einblicke in ihr Tätigkeitsfeld liefert und dass die
Beschäftigung mit diesen Faktoren durchaus positive Auswirkungen auf ihre Tätigkeit
haben kann.
Einige der das Lehren beeinflussenden Faktoren betreffen den Unterricht zentral und
sollten in der Ausbildung deshalb besonders beachtet werden. Dazu gehören Verfahren
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1083
7. Literatur in Auswahl
Ahrenholz, Bernt (Hg.)
2008a Zweitspracherwerb. Diagnosen, Verläufe, Voraussetzungen. Freiburg i. Br.: Fillibach.
Ahrenholz, Bernt (Hg.)
2
2008b Deutsch als Zweitsprache. Voraussetzungen und Konzepte für die Förderung von Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Freiburg i. Br.: Fillibach.
Ahrenholz, Bernt und Ingelore Oomen-Welke (Hg.)
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1084 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
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tik 57(1): 65⫺75.
Gogolin, Ingrid und Wiebke Saalmann
2007 Das Modellprogramm FörMig: (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrati-
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Rösch, Heidi
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Voraussetzungen und Konzepte für die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migra-
tionshintergrund, 233⫺250. Freiburg i. Br.: Fillibach.
Rösch, Heidi
2006 Das Jacobs-Sommercamp ⫺ neue Ansätze zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache.
In: Bernt Ahrenholz (Hg.), Kinder mit Migrationshintergrund. Spracherwerb und Förder-
möglichkeiten, 287⫺302. Freiburg i. Br.: Fillibach.
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1085
Internetadressen
Integrationskurse:
http://www.integration-in-deutschland.de [Zugriff am 2. 3. 2009]
delfin 4:
http://www.callnrw.de/broschuerenservice/commons/index.php?lid⫽15 [Zugriff am 2. 3.
2009]
http://www.stiftung-mercator.org/cms/front_content.php?idcat⫽35 [Zugriff am 2. 3. 2009]
Förderunterricht:
http://www.uni-due.de/foerderunterricht/ [Zugriff am 2. 3. 2009]
Während sich bis Ende der 1990er Jahre in den meisten Ländern der Bundesrepublik die
bildungspolitische und administrative Bezeichnung von Kindern und Jugendlichen mit
Einwanderungshintergrund an deren politischem Aufenthaltsstatus orientierte und diese
in den Statistiken und amtlichen Dokumenten als Kinder ausländischer Arbeitnehmer,
Aussiedlerkinder oder Kinder von Asylbewerbern bezeichnet wurden, gingen Anfang der
2000er Jahre viele deutsche Bundesländer ⫺ ähnlich die Bildungsbehörden in Öster-
reich ⫺ dazu über, diese Gruppe als Kinder mit Migrationshintergrund zusammenzufassen
und sich an der Spracherwerbsbiografie zu orientieren, was verdeutlichen sollte, dass ⫺
unabhängig vom ursprünglichen Zuwanderungsgrund und dem rechtlichen Aufenthalts-
status ⫺ die Kinder „ähnliche Anforderungen in Bezug auf den Erwerb der deutschen
Sprache zu bewältigen haben“ (Gogolin, Neumann und Roth 2003: 63). Auch Charakte-
risierungen wie Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache, Kinder mit anderer Erstspra-
che oder Kinder mit Deutsch als Zweitsprache sind weiterhin üblich.
1086 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
chen, [ist zu] fördern. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Mutter- bzw. Familien-
sprache sowie der Herkunftskultur der Kinder“ (Ministerium für Bildung, Rheinland-
Pfalz 2004: 40).
Auch in den in verschiedenen österreichischen Bundesländern gegenwärtig noch im
Einsatz befindlichen Bildungsplänen wird auf die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der
Kinder mit Migrationshintergrund als Ressource verwiesen, mehr noch, „(…) stehen die
lebensweltliche Mehrsprachigkeit sowie das interkulturelle Lernen als Konzept und als
Bildungsziel im Vordergrund“ (De Cillia und Krumm 2009:12). Im krassen Widerspruch
hierzu verhalten sich jedoch die am stärksten im Einsatz befindlichen Sprachstandsfest-
stellungsinstrumente BESK 4⫺5 (Beobachtungsbogen zur Erfassung der deutschen
Sprachkompetenz 4,5 bis 5-jähriger Kinder) sowie SSFB 4⫺5 (Sprachstandsfeststellungs-
bogen), welche die individuelle Mehrsprachigkeit der Kinder komplett ausblenden.
Als ein zentrales Lehrziel wird in den Bildungs-/Orientierungsplänen der Erwerb
sprachlicher Handlungskompetenz im Deutschen bewertet. Sie betonen, dass „Spracher-
werb ein komplexer, eigenaktiver, konstruktiver Prozess [ist]. Kinder lernen Sprache
nicht nur über Nachahmung, sondern bilden, zunächst unbewusst, eigenständig Hypo-
thesen (…) wobei auch der Prozess des kindlichen Zweitsprachenerwerbs und die beson-
dere Rolle der Erstsprache (Muttersprache) bei Migrantenkindern zu beachten sind“
(Hessisches Sozialministerium / Hessisches Kultusministerium 2007: 66).
Eine unterschiedliche Vorgehensweise zwischen den Bildungs-/Orientierungsplänen
zeichnet sich auch hinsichtlich der Ausführungen bezüglich der Sprachförderung im
Deutschen ab: einige Bildungs-/Orientierungspläne beziehen sich zentral auf das Thema
und haben in der Zwischenzeit umfangreiche Handreichungen vorgelegt, so Niedersach-
sen: Handreichung Fit in Deutsch 2003; Berliner Senatsverwaltung: Handreichung
Deutsch plus 2005; Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein:
Erfolgreich starten. Integratives Sprachförderkonzept 2007; Ministerium für Generatio-
nen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen: Delfin 4 ⫺
Sprachförderorientierungen 2008). Andere Bildungs-/Orientierungspläne, wie beispiels-
weise der bayerische, behandeln das Thema nur am Rande und allgemein.
Im gegenwärtig in Österreich erarbeiteten „Länderübergreifenden Rahmenplan (Bil-
dungsplan) für elementare Bildungseinrichtungen“ bildet die Sprachförderung einen
zentralen Aspekt; ihr ist der gesamte erste Teil des Bildungsplans (Bildungsplan-Anteil
Sprache), der bereits ausgearbeitet vorliegt, gewidmet.
Bereits vor der Fertigstellung der Bildungs-/Orientierungspläne beschlossen nahezu
alle deutschen Bundesländer ⫺ mit Verweis auf die Ergebnisse von Schuleingangsunter-
suchungen ⫺ die Durchführung von Sprachstandserhebungsverfahren sowie daran an-
knüpfend die Entwicklung und Implementierung von Sprachfördermaßnahmen bzw.
-programmen. Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg und Niedersachsen setzten dieses Vor-
haben bereits Anfang der 2000er Jahre in der Weise um, dass sie selbst Verfahren entwi-
ckelten. Andere Bundesländer benötigten für die Konzeption und Implementierung mehr
Zeit. Das DELFIN 4-Screening ist in Nordrhein-Westfalen seit 2008 flächendeckend ver-
bindlich im Einsatz. Baden-Württemberg empfiehlt bis zur flächendeckenden Einführung
des eigenen Verfahrens den Einsatz verschiedener auf dem Markt befindlicher Instru-
mente (vgl. Fried 2004: 27; vgl. auch Art. 146).
Bis auf Bayern und Baden-Württemberg sind alle deutschen Bundesländer dazu über-
gegangen, entweder in der vorschulischen Phase, d. h. im Rahmen des Kindergartenbe-
suchs, oder zur Schuleingangsuntersuchung die Deutschkenntnisse aller Kinder mit und
1088 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Seit Anfang 2000 sind in mehreren deutschen Bundesländern und in Österreich neue
Lehr-/Rahmenpläne für den Bereich Deutsch als Zweitsprache entwickelt und implemen-
tiert worden. Der in Deutschland am weitesten verbreitete ist der vom Bayerischen
Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2001 herausgegebene Lehrplan Deutsch als
Zweitsprache, der in den beiden Bundesländern Berlin und Niedersachsen seit 2002 und
im Land Thüringen seit 2003 in seinen besonderen Teilen unverändert, jeweils ergänzt
um einen landesspezifischen Teil, verwendet wird. Dieser soll im Folgenden exemplarisch
vorgestellt werden: Er ist in seinen besonderen Teilen in unterschiedliche Lernfelder so-
wohl für die Grundschule als auch für weiterführende Schulen, jeweils nach Grund-
und Aufbaukurs, differenziert: „Jedes Lernfeld wird durch Kerninhalte, lexikalische und
syntaktische Mittel sowie Vorschläge für Schüleraktivitäten zum Spracherwerb struktu-
riert. Der Lehrplan ist als Grundlage für verschiedene Unterrichtsformen konzipiert, die
von Übergangs- und Eingliederungsklassen über Intensivkurse bis hin zum Förderunter-
richt in Grundschulen und weiterführenden Schulen reichen. Anders als der sächsische
Lehrplan verfolgt er keine explizite Eingliederungsplanung“ (Gogolin, Neumann und
Roth 2003: 68 f.). Der Lehr-/Rahmenplan basiert auf drei grundlegenden Zielen: Die
Lernenden stehen im Mittelpunkt; der Spracherwerb ist als interaktiver Prozess angelegt
und er findet als interkulturelles Lernen statt (vgl. Rösch 2009). In seiner Berliner Version
wird eine enge Beziehung zur Berliner Handreichung Deutsch als Zweitsprache und dem
dort entwickelten Unterrichtskonzept hergestellt, welche folgende Lehrziele enthält (vgl.
Rösch 2009):
1090 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
3. Ausblick
Die Entwicklungen seit Anfang 2000 zeigen, dass nahezu alle deutschen Bundesländer
und Österreich dazu übergegangen sind, der Förderung der Sprachkenntnisse bei Kin-
dern mit Deutsch als Zweitsprache eine Sprachstandsdiagnose voranstellen. In der Zwi-
schenzeit haben Bundesländer wie Hamburg und Schleswig-Holstein Sprachförderpro-
gramme implementiert, welche die Ergebnisse der Sprachstandsdiagnose zur Grundlage
nehmen. In Berlin und Hamburg werden die Deutsch-als-Zweitsprache-Curricula und
Sprachförderprogramme im Sinne der Nachhaltigkeit als durchgängiges ⫺ d. h. alle Bil-
dungsinstitutionen umfassendes ⫺ Konzept umgesetzt und die Qualität durch Bildungs-
standards sichergestellt (Behörde für Bildung, Hamburg 2008a: 5; Senatsverwaltung für
Bildung, Berlin 2009: 8). Einen entscheidenden Beitrag für diese Entwicklung leistete
das von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
(BLK) zwischen 2004⫺2009 geförderte Modellversuchsprogramm „Förderung von Kin-
dern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FÖRMIG“, an dem zehn Bundeslän-
der teilnahmen und dessen Ziel darin bestand, in den beteiligten Bundesländern „innova-
tive Ansätze zur Optimierung von sprachlicher Bildung und Förderung (weiter) zu entwi-
ckeln, zu evaluieren, für einen Transfer guter Praxis zu sorgen sowie Ergebnisse für die
Bildungsplanung bereitzustellen“ (vgl. www.blk-foermig.uni-hamburg.de).
Trotz der positiven Entwicklungen der letzten Jahre sind noch einige Desiderata zu
beklagen. So ist vielfach die Zahl der Lehrkräfte, die Kinder mit Deutsch als Zweitspra-
che unterrichtlich fördern (können), noch zu gering; ebenfalls unzureichend ist die Zahl
derer, die bisher eine entsprechende didaktische Förderkompetenz im Rahmen von Fort-/
Weiterbildungen erworben haben. Weiterhin ist Deutsch als Zweitsprache immer noch
nicht überall verpflichtender Bestandteil des Lehramtsstudiums. Oft gibt es lediglich ein
bis zwei Pflichtseminare von geringem zeitlichem Umfang oder relativ kurze, nicht ver-
pflichtende Zusatzstudien (vgl. Art. 149 und 151). Die Bezugnahme auf die Erst/-Her-
kunftssprachen der Schülerinnen und Schüler findet in den meisten Lehramtsstudiengän-
gen ebenfalls nicht statt; damit fehlen angehenden Lehrkräften linguistische und didakti-
sche Kenntnisse hinsichtlich der Fehlerschwerpunkte der Schülerinnen und Schüler im
Deutschen.
Der Nachweis der Effektivität laufender Sprachförderprogramme steht noch aus. Es
ist daher in den kommenden Jahren verstärkt das Augenmerk auf die Quoten der erziel-
ten höherqualifizierenden Schulabschlüsse durch Schüler und Schülerinnen mit Migrati-
onshintergrund zu richten, um zu sehen, ob sich die Bildungsintegration dieser verbes-
sert hat.
Deutlich ist, dass die Frage einer erfolgreichen Bildungsintegration von Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund in den kommenden Jahren massiv an Bedeu-
tung gewinnen wird. Angesichts der Tatsache, dass ausreichende Deutschkenntnisse der
wichtigste Prädiktor für den Bildungserfolg sind (vgl. Stanat 2003), wird die (Wei-
ter-)Entwicklung von Deutsch-als-Zweitsprache-Rahmenplänen sowie darauf aufbauen-
den Sprachförderprogrammen sowohl auf der Ebene von Wissenschaft als auch auf der
Ebene der Bildungspraxis noch stärkere Dringlichkeit erhalten. Die Bildungspolitik lässt
bisher positive Zeichen in diese Richtung teilweise noch vermissen, was als fahrlässige
Ausblendung der Thematik interpretiert werden kann.
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1093
4. Literatur in Auswahl
Sprachstandserhebungsverahren (Deutschland)
Bildungs-/Orientierungspläne (Deutschland)
Handreichungen
Ein Verzeichnis aller Deutsch als Zweitsprache Lehr- und Rahmenpläne ist enthalten: Deutscher
Bildungsserver. URL:
http//www.bildungsserver.de/ (14. 12. 2009)
Sekundärliteratur
Barkowski, Hans
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Baumert, Jürgen und Gundel Schümer
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publik Deutschland im Vergleich, 159⫺202. Opladen: Leske & Budrich.
BLK-Programm Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FörMig.
URL: http://www.blk-foermig.uni-hamburg.de (14. 12. 2009)
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK); Bundesministerium für Wissen-
schaft und Forschung (BMWF) und Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum
2007 Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Wien.
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1095
Angesichts der großen Heterogenität der Zielgruppe ging das Bestreben vor Ort eher
dahin, ein „Lerner-differenziertes Lernangebot“ (vgl. Barkowski 1982: 215) bereitzustel-
len, um „die nichtlineare Sprachentwicklung, die unterschiedlichen Lernerfahrungen und
die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen“ (Krumm 2007: 170) der Zugewanderten
zu berücksichtigen.
Eine wichtige Rolle spielte auch die Tatsache, dass eine Klärung dessen, was die
Deutsch als Zweitsprache-Förderung für Erwachsene curricular bedeutete (einschließlich
einer klaren inhaltlichen Trennung von Deutsch als Zweit- und Deutsch als Fremdspra-
che) noch ausstand und zu diesem Zeitpunkt weder durch die zerstückelte Praxis der
Sprachförderung noch durch die wissenschaftliche Diskussion erbracht wurde. Seit dem
Handbuch für den Deutschunterricht mit Arbeitsmigranten (Barkowski, Harnisch und
Kumm 19862) waren keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Deutsch-
didaktik für Zugewanderte mehr erschienen. Die Zeitschrift Deutsch lernen hatte sich
zwar als Forum für Deutsch als Zweitsprache positioniert, grundsätzliche Fragen waren
jedoch noch ungelöst: „Wissen wir genug darüber, wie im Ausland und im Inland gelernt
wird und gelernt werden kann? Was ist noch zu tun, um praxisrelevante Erkenntnisse
darüber zu gewinnen, wie gesteuertes Lernen und ungesteuerter Erwerb tatsächlich för-
derlich oder hinderlich ineinander greifen (…)? Wie hängen Sprache und Integration,
Sprache und Lebensperspektiven miteinander zusammen?“ fragte Reich (2002: 2). Um
solche und andere Fragen neu aufzugreifen und dabei die Vorarbeiten und Kenntnisse
aus der Praxis der zurückliegenden Jahre zu integrieren, hätte es kaum einen günstigeren
Zeitpunkt als die Einführung der Integrationskurse geben können. Eine umfassende
Sprachbedarfsanalyse mit „einer Untersuchung der Sprachlerngeschichten und der Le-
bens- und Lernkontexte der MigrantInnen“ (Krumm 2007: 171) bot sich an. Der Sprach-
bedarf von Zugewanderten wurde jedoch als weitgehend bekannt und verstanden ange-
nommen. Man bezog sich auf
⫺ den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) als
zunächst ausreichende Basis für den Unterricht,
⫺ vorangegangene Evaluationen der deutschen Sprachkursförderung (Social Consult
GmbH 1998 und 1999),
⫺ Erfahrungen von Trägervertretern in der „Bewertungskommission“, einem Experten-
gremium, das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berät.
regierung und Bundesministerium des Innern 2007: 2787). In der österreichischen Integ-
rationsvereinbarung wird in vergleichbarer Weise Integration mit der Beherrschung der
deutschen Sprache gleichgesetzt und wird zur Operationalisierung auf den Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmen Bezug genommen.
Der beträchtlichen Heterogenität der Zielgruppe wird im Konzept für einen bundesweiten
Integrationskurs, das die Integrationskursverordnung weiter operationalisiert, durchaus
Raum eingeräumt. Als Konsequenz wird auf die Notwendigkeit einer Kursdifferenzie-
rung nach Leistung hingewiesen. Entsprechend der persönlichen Voraussetzungen der
Kursteilnehmer sollen „Kurse mit langsamer, durchschnittlicher und schneller Progres-
sion“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005a: 8) gebildet werden. Weiterhin
werden spezielle Zielgruppen definiert, für die „ein besonderer Unterricht oder ein erhöh-
ter Betreuungsaufwand erforderlich ist“ (Bundesregierung und Bundesministerium des
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1099
Innern 2004b: 3373) und die daher in der Ausgestaltung des Integrationskurses besondere
Berücksichtigung finden:
⫺ Zugewanderte mit Alphabetisierungsbedarf,
⫺ Frauen bzw. Eltern, die aus familiären oder kulturellen Gründen keinen allgemeinen
Integrationskurs besuchen können,
⫺ nicht mehr schulpflichtige junge Erwachsene (bis 27 Jahre), die sich auf den Besuch
weiterführender Schulen oder Hochschulen bzw. die Aufnahme einer Ausbildung vor-
bereiten,
⫺ Zugewanderte, die seit längerer Zeit in Deutschland leben, ihre Deutschkenntnisse
jedoch im außerunterrichtlichen Sprachkontakt erworben haben.
Es wären viele andere differenzierende Kriterien zu nennen, denn die Zielgruppe ist durch
besondere Heterogenität gekennzeichnet: Ausgangssprachen, Alter, Lebensumstände,
Motivation, Zielsprachenkontakt und viele mehr. Forschung dazu, welchen (unterschied-
lichen) Lernbedarf diese unterschiedlichen Menschen haben und welcher Unterricht für
sie angemessen ist, steht weitgehend aus.
Im Rahmencurriculum für den österreichischen Integrationskurs wird keine Außen-
differenzierung gefordert. Der Unterricht hat vielmehr „durch seine Methodik der Viel-
falt der Lerntypen gerecht zu werden und unter Bedachtnahme auf die Binnendifferenzie-
rung Raum für die Kursteilnehmer zu schaffen, damit sich diese durch den Unterricht
persönliche Interessensprofile und Handlungsspielräume erarbeiten können.“ (Bundes-
ministerin für Inneres 2005b: Anlage B)
3.4. Sprachstandseststellungen
7. Literatur in Auswahl
Barkowski, Hans
1982 Kommunikative Grammatik und Deutschlernen mit ausländischen Arbeitern. Königstein:
Scriptor.
Barkowkski, Hans
2001 Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache. In: Gerhard Helbig,
Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein
internationales Handbuch, 810⫺827. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin und New York: de Gruyter.
Barkowski, Hans, Michael Fritsche, Richard Göbel u. a.
1986 Hans-Jürgen Krumm (Hg.), In: Deutsch für ausländische Arbeiter. Gutachten zu ausge-
wählten Lehrwerken. 3. Aufl. Mainz: Manfred Werkmeister.
Barkowski, Hans, Ulrike Harnisch, Ulrike und Sigrid Kumm
1986 Handbuch für den Deutschunterricht mit Arbeitsmigranten. 2. bearb. Aufl. Mainz: Man-
fred Werkmeister.
Buhlmann, Rosemarie
2005 Konzeption für die Zusatzqualifizierung für Lehrkräfte Deutsch als Zweitsprache. Erarbei-
tet vom Goethe-Institut im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
Nürnberg: BAMF.
Buhlmann, Rosemarie, Karin Ende, Susan Kaufmann, Angela Kilimann und Helen Schmitz
2008 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. Erstellt im Auftrag des
Bundesministeriums des Innern. Nürnberg: BAMF und München: Goethe-Institut.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005a Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005b Protokoll der konstituierenden Sitzung der Bewertungskommission. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005c Protokoll der 3. Sitzung der Bewertungskommission. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2008 Liste zugelassener Lehrwerke. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2008 Liste der zugelassenen Lehrwerke für den Integrationskurs (Stand: November 2008). Nürn-
berg: BAMF.
Bundesministerin für Inneres
2005a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz §§ 14⫺16. In: Bundesgesetzblatt für die Republik
Österreich I Nr. 100.
Bundesministerin für Inneres
2005b Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Integrationsvereinbarung (Integra-
tionsvereinbarungs-Verordnung ⫺ IV⫺V). In: Bundesgesetzblatt für die Republik Öster-
reich, 449. Verordnung.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2004a Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz). In:
Bundesgesetzblatt, Teil 1 Nr. 41, 1950⫺2011. Bonn: Bundesministerium der Justiz.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2004b Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaus-
siedler (Integrationskursverordnung ⫺ IntV). In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004, Teil
1 Nr. 68, 3370⫺3375.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2007 Erste Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung. In: Bundesgesetzblatt,
Teil 1 Nr. 61, 2787⫺2692.
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1105
1. Ausgangssituation
7⫺8 Jahre:
Lautung & Lexik
S 1: bär das ist kasachisch gib mir\
S 2: und spanisch gib mir heißt dame\
Grammatik: Artikel
S 3: bei deutsche mit artikel\
S 4: aber türkisch moschee schreibt man ohne artikel\
9⫺10 Jahre:
Orthografie
S 4: russisch gibt’s mehr buchstaben als deutsch\
Grammatik: Wortbildung
S 5: zahlen immer falsch ⫺* zwanzig vier\
Jugendliche:
Grammatik: Artikel
S 6: immer hab probleme mit die artikel\
Lautung und Orthografie
S 7: wir haben kein w und kein y/* dafür aber mehr zischlaute\
Grammatik: Gebrauch des Pronomens und Interpretation
S 8: deutsche sagen immer ich\* sagt man polnisch gar nicht\* wir sind mehr bescheiden\
Legende der Minimaltranskriptionen:
S1 ⫽ SchülerIn mit Zählnummer
/ ⫺ \ ⫽ Intonationskurve aufwärts, gleich bleibend, abwärts
* ⫽ sehr kurze Pause
Transkript 122.1.
Wie die letzte Äußerung zeigt, sprechen DaZ-Lernende auch gern über ihre lebensweltli-
chen Erfahrungen und Vorstellungen, wenn es ihnen im Unterricht ermöglicht wird. Sie
vergleichen die Lebensart im Herkunftsland mit der im Zielsprachenland: Kleidung, Es-
sen, Familie, Wohnen, Verkehr, Berufe, Gender, Technik usw. Dazu drei kleine Textaus-
schnitte:
9 Jahre:
S 9: ich finde türkei schön weil da immer so blüten⫺* sind und da gibt’s auch viele früchte da
kann man auch* viel spielen da gibt’s nicht viel autos\** die machen die da⫺* sind nicht
gefährlich\
S 10: das ist ein ast\* und dann die machen den boden rein⫺* und kühe ziehen\* reißt boden auf/*
aber traktor wär besser\
Jugendlicher:
S 11: sport nicht schön hier\ alles muss selber machen\* zuhause diener bringen/* handtuch war-
mes wasser für bad\* und tee\
Transkript 122.2.
Das Bedürfnis nach der Äußerung bisheriger Erfahrungen manifestiert sich nicht nur
in solchen Sprechpassagen. Beobachtungen legen nahe, dass das Unterdrücken solcher
Äußerungen zu nachlassendem Interesse der Lernenden am Unterricht führt. Sie fühlen
sich dann nicht wirklich akzeptiert als die, die sie sind und die etwas zu sagen haben,
und vermuten daher, der Unterricht sei nicht an sie adressiert (Oomen-Welke 2008b:
1108 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
486 f.). Die fatale Folge ist das Abwenden der Aufmerksamkeit von Unterricht und
Deutschlernen.
Für Modelle und theoretische Ansätze zu diesen Fragen sei auf Kap. VIII, Artikel
89⫺91 und auf Holstein und Oomen-Welke 2006 Kap. 5 verwiesen.
Gerade im DaZ-Unterricht, der für viele Lernende die erste institutionelle Begegnung
mit Sprache und Kultur des Aufnahmelandes ist, müssen Befindlichkeit und bisherige
Erfahrungen der Lernenden eine Rolle spielen. Der DaZ-Unterricht selbst findet meis-
tens in Form von Vorbereitungsklassen bzw. Sprachlernklassen, in DaZ-Kursen oder in
einzelnen bzw. regelmäßigen Förderstunden statt; neuerdings gibt es auch Feriencamps
(Decker 2008 zu Vorbereitungsklassen und ihren Faktoren; Rösch 2007 zu Feriencamps;
Rösch 2008 zu DaZ-Kurs oder Lernbegleitung).
DaZ-Lernende kommen nicht als unbeschriebene Blätter, sondern als werdende oder
schon reife Persönlichkeiten mit ihren eigenen Sprachen in den Kurs. Zunächst einmal
haben viele Lernende Angst vor der neuen Situation. Sie geraten oft in eine Umgebung,
die widerständig ist und negative Fremdbilder konstruiert. Hier sind auch Identitäts-
und Motivationsfragen betroffen, denn DaZ-Lernende haben Handlungs- und kulturelles
Wissen, das in der deutschsprachigen Schule zunächst verborgen bleibt, jedoch ein Poten-
zial für den weiteren Unterricht sein kann. DaZ-Lernende können sich allerdings anfangs
nur mit Schwierigkeiten sprachlich verständigen, umso mehr sind sie auf Beobachtbares
und Interpretationen angewiesen, wobei Fehldeutungen nicht ausgeschlossen sind. In
dieser Situation ist es schwer, bei kritischen Rückmeldungen zwischen sach- und perso-
nenbezogener Kritik zu unterscheiden; es entsteht die Gefahr der Misserfolgsmotivierung
(„Das kann ich wieder nicht!“ nach Schmalt 1988), die schon per se Erfolge als zufällig
und Versagen als normal erleben lässt und im Weiteren den Lernerfolg zu einem großen
Teil verhindert, weil die Lernenden selbst nicht daran glauben. Die seit PISA gemessenen
schulischen Ergebnisse von Schülern mit Migrationshintergrund legen Rückschlüsse auf
die Verbreitung dieser Haltung nahe, die dazu führt, Anerkennung außerhalb von Schule
und Lernen zu suchen.
Die Anfangserfahrung, willkommen zu sein, respektiert zu werden und Beiträge leis-
ten zu können, hilft DaZ-Lernenden, sich im Unterricht zu entfalten, Verhaltenssicher-
heit und Stärke zu gewinnen, zu kooperieren und Wir-Identität zu entwickeln. Eine posi-
tive Aufnahme ihrer eigenen Sprachen und ihres Lernverhaltens (auch der sog. Fehler),
die hier „Sinn unterstellen“ genannt wird, stärkt ihre Persönlichkeit und Rolle; ausgren-
zende Erfahrungen bewirken das Gegenteil (vgl. z. B. Kniffka und Siebert-Ott 2007: 104)
die Merkmale der Unterrichtsforschung für erfolgreichen Unterricht referieren).
In diesem Kontext soll besonders an das Face-Konzept nach Goffman (seit 1959)
erinnert werden, das einen Versuch darstellt, Probleme der „Gesichtswahrung“ auch von
Kindern und Jugendlichen zu erklären. Das heißt, auch Kinder und Jugendliche im DaZ-
Erwerb wollen ihr „Gesicht“ respektiert sehen, von anderen akzeptiert und nicht einge-
schränkt oder bedroht werden, z. B. durch Missachtung oder Kritik, durch strikte Anwei-
sungen oder Verbote anstelle von Verstehensangeboten. Auch Kinder und Jugendliche
möchten darüber hinaus positive Anerkennung und Wertschätzung erlangen, selbst wenn
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1109
sie (noch) nicht zielsprachlich sprechen oder nach anderen als den Maximen der Mehr-
heit handeln. Da Gesichtswahrung sich in der Interaktion ereignet und als ein gegenseiti-
ger Prozess funktioniert, als Kooperation, bildet der schonende Umgang der Interakti-
onspartner miteinander, hier der DaZ-Lernenden, der anderen Schüler und Schülerinnen
und der Lehrpersonen, eine Voraussetzung des Gelingens kommunikativer Handlungen
und des schulischen Lernens. Es scheint, dass dieser Zusammenhang den Interagierenden
wenig bewusst ist. Speziell im Kontext der Sprachenvielfalt in der Klasse brauchen die
Schülerinnen und Schüler einen Vertrauensvorschuss z. B. in der Form, dass ihren Be-
obachtungen an Sprache(n) und ihren sprachvergleichenden Bemerkungen (s. Abschnitt
1) Sinn unterstellt wird, dass Sprachaufmerksamkeit und entstehendes Sprachbewusst-
heit in ihren Redebeiträgen erkannt werden und dass der Unterricht sich mit ihren
sprachvergleichenden Fragen beschäftigt, die übrigens für alle interessant sind.
Da die Lernenden in den Prozess des Deutschlernens die schon gelernte(n) Sprache(n)
mitbringen, spielen diese gleichzeitig mit der Zielsprache Deutsch eine Rolle und sollten
zugleich thematisiert werden. Deren Thematisierung schafft günstige Lernvoraussetzun-
gen, erhöht die Motivation und stärkt das Gesicht der Lernenden sowie die Beziehungen
zur Lehrperson und untereinander. Außerdem werden die kognitiven Konstruktionen
der Lernenden im Vergleich besprech- und rekonstruierbar, aushandelnd entwickeln sie
sich weiter. Für Jugendliche und junge Erwachsene untersucht Wildenauer-Józsa (2005),
wann und wie DaF-Lernende ihre bisherigen Sprachen vergleichend nutzen (für Kinder
s. o. und Oomen-Welke 2008a und b).
Es existieren Sets von Unterrichtsroutinen, die von Lehrpersonen in DaZ genutzt
werden, um den Lernenden Respekt zu erweisen und die Vielfalt der DaZ-Klassen von
Anfang an erlebbar zu machen. Dazu gehören die Begrüßung und Verabschiedung in
den Sprachen der Lernenden und andere kleine Alltagsroutinen wie „Guten Appetit“. In
der Grundschule findet man öfter ein Klassenlied auf der Basis von „Paule Puhmanns
Paddelboot“ (Neuner und Vahle 1990), das die Namen der Kinder und die Herkunftslän-
der nennt, z. B.
Anesa kommt aus Bosnien / und Vesna aus Kosovo. / Sie wundern sich die ganze
Zeit, /denn in beiden Ländern begrüßt man sich so: / Dobar dan ⫺ Dowidschenja
⫺ Guten Tag ⫺ Auf Wiedersehn …
Mein Gott, was ist das für ne Schrift, / die Momoko schön schreibt? / In Japan
hat sie es gelernt, / wir hoffen, dass sie bleibt. / Konitschiwa ⫺ Sayonara ⫺ Guten
Tag ⫺ Auf Wiedersehn … (Brigitte Färber, Freiburg)
ist nicht primär abhängig von der Sprachenkompetenz der Lernenden, sondern auch von
der Einstellung der Lehrenden zu den Ausgangssprachen. Die Schülerinnen und Schüler
bereitet die Vielfalt im Unterricht auf die Vielfalt der Welt vor.
Spracharbeit mit vielen Sprachen kann in vielerlei Lernszenarien stattfinden. Die Rollen
der Lehrperson und der Lernenden sind dabei jeweils verschieden. Genannt seien die
folgenden Standardszenarien:
⫺ spontane offene Sprachmitteilung durch SchülerInnen, orientiert an den Fragen und
Bedürfnissen der Lernenden; etwa wie in den Beispielen 122.1 und 122.2; das setzt
voraus, dass die Beobachtungen der Lernenden willkommen sind;
⫺ Vorschläge aufgreifen: Orientierung des Unterrichts an den spontanen Mitteilungen
der Lernenden; Rückgriff der Lehrperson darauf; z. B. gemeinsame Lösung einer
Sprachfrage (z. B. „Welche Wörter hat meine Sprache aus anderen Sprachen über-
nommen?“) durch Vergleich der Sprachen in der Lerngruppe;
⫺ Sprachwissen abrufen, orientiert am DaZ-Curriculum: Bitte um Beiträge aus den
Sprachen der Lernenden zu einem von der Lehrperson oder dem Arbeitsmaterial auf-
geworfenen Problem und seine Diskussion (z. B. Artikel; Vergangenheitstempora;
Höflichkeitsanrede);
⫺ Arbeit mit Materialien wie Sprachensilhouetten, Sprachenbäumen und anderen Mate-
rialien (z. B. Moore 2000: Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen); vgl. Sprach-
welt Deutsch (2003: 199); Krumm (2001: Sprachenbilder); verschiedene Aspekte im
Heft Sprachen öffnen Welten (2001); umfangreiche Materialien mit Arbeitsblättern zur
Sprachen- und Kulturenvielfalt liefern KIESEL sowie Oomen-Welke u. a. 2006: Der
Sprachenfächer).
⫺ Portfolio-Arbeit mit Dokumentation der eigenen Sprache(n) und der Sprachen in der
Klasse (dazu Oomen-Welke 2006; Decker 2007. Vgl. zu den Methoden auch Decker
und Oomen-Welke 2008.).
Unterricht akzeptiert und als bedeutsam bewertet. Andernfalls werden sie auf Dauer
nicht mehr vorgetragen.
(2) Lehrpersonen sind Profis darin, in den spontanen Beiträgen der Lernenden das
Lern- und Reflexionspotenzial zu erkennen. Bei S. 1⫺2 geht es um Artikelsprachen und
artikellose Sprachen, bei S. 6 um die Kasus- und Genusmarkierung des Artikels, bei
S. 4 und S. 7 um das Grapheminventar im Vergleich usw. Die Äußerungen zeigen den
Lehrpersonen, was Lernende wissen und denken, und lassen darauf schließen, was noch
gelernt werden sollte (vgl. Transkripte 122.1 und 122.2).
(3) An die Beobachtungen der Lernenden anknüpfend können diese Aspekte sprach-
vergleichend vertieft werden. Die genannten Beobachtungen werden als Vorschläge für
Unterrichtsthemen aufgefasst, was ihnen mehr Bedeutung verleiht. Zu solchem die Spra-
chen vergleichenden Unterricht können die Lernenden viel aus ihrem Vorwissen beitra-
gen und mit dem Neuwissen rekonstruieren. Beispiele können von den Lernenden aus
verschiedenen Sprachen zusammengetragene Listen von Wörtern (z. B. für Speisen) oder
kurze Sätze (z. B. Ja-Nein-Fragen) sein, die unter ausgewählten Sprachaspekten vergli-
chen werden.
(4) Sprachphänomene, deren Behandlung erforderlich ist, werden allerdings nicht im-
mer spontan thematisiert, sondern müssen oft auch von der Lehrperson zum Thema
gemacht werden. Sprachliche Vielfalt kann dabei erscheinen, wenn die Lernenden nach
dem Äquivalent in ihren Sprachen gefragt werden. Lernende sind auch in der Lage,
kooperativ eine Methode des Vergleichens zu finden. Es gibt eine ganze Reihe von
Sprachthemen in DaZ, die sich gut für sprachliche Vergleiche eignen, z. B. die Bildung
des Plurals im Deutschen, das Subjektpronomen, die Satztopologie usw. (vgl. Oomen-
Welke 2000: 149⫺155).
Erreicht wird ein hohes Maß an selektiver Sprachaufmerksamkeit sowie durch die
bearbeitenden Tätigkeiten auch Orientierung im Bereich verschiedener Sprachen, mehr-
sprachiges Sprachwissen und metasprachliches Wissen. Beides speist die Sprachbewusst-
heit, die wiederum zu höherer Sprachaufmerksamkeit führt und dem Lernen dient.
Sprachgebrauch ereignet sich generell im Kontext kulturellen Handelns (s. Abschnitt 1).
Die vorhandene kulturelle Praxis der Lernenden, ihr kulturelles Wissen und die Dimen-
sionen des Gemeinsamen und der Verschiedenheit sollten in das DaZ-Lernen Eingang
finden, wie auch theoretisch begründet ist (s. Abschnitt 2 und die Artikel 89⫺91 dieses
Buchs). Analog zu den unter 3.2. genannten Stufen lassen sich in diesem Zusammenhang
folgende Stufen beschreiben:
(1 und 2) Spontane Berichte aus der lernerseitigen Lebenswelt und Wahrnehmung als
bedeutsam akzeptieren,
(3) die Mitteilungen der Lernenden als Vorschläge auffassen und aufgreifen,
(4) in passenden Zusammenhängen nach kulturellem Wissen aus den Herkunfts- und
anderen Ländern fragen und es dadurch herbeiholen, um vergleichend zu arbeiten. Das
kann mit Materialien zum Vergleich kultureller Praktiken geschehen und in Portfolios
integriert werden.
1112 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Hier seien einige Dimensionen genannt, die in den Domänen der Schule/Bildung und
der Lebenswelt eine Rolle spielen und die Lernenden herausfordern. Sie können für die
unterschiedlichen Altersgruppen ausgearbeitet werden und produktiv sein:
⫺ Non- und Extraverbales: Zeichensprache, Handzeichen, Mimik, Körperhaltung, Klei-
derordnung bzw. Kleidermode, Wohnen usw. im Binnenvergleich (Unterschiede im
selben Land zwischen Altersgruppen, Regionen, Geschlechtern, Lebensstilen usw.) so-
wie im Vergleich zwischen Ländern und Kontinenten (Oomen-Welke 2004a, 2004b,
2006); Bedeutung der natürlichen Gegebenheiten dabei (Klima, Bodennutzung, Sied-
lungsdichte usw.), Traditionen;
⫺ Texte in verschiedenen Sprachen: einfache Gedichte, Kinderreime, Märchen usw. in
zwei Sprachen; Übersetzungsversuche einfacher Texte aus anderen Sprachen, dabei
Nachdenken über die Bildlichkeit der Sprache, die Textform, Implikationen und Sub-
tilitäten des Ursprungstexts und der Übersetzung (Beispiele bei Loch 1981; Dehn und
Gerdzen 1981; Hüsler-Vogt 1987 und in „Sprachen in der Klasse“ Praxis Deutsch
157/1999; „Sprachenvielfalt im Klassenzimmer“ Fremdsprache Deutsch 31/2004;
„Sprachliche Heterogenität“ Praxis Deutsch 202/2007);
⫺ Die Fassung von Welt durch Sprache: Ähnlichkeit und Verschiedenheit in Zahlensyste-
men (Zahlwörter, Einer vor oder hinter den Zehnern, Fünfersystem, Zehnersystem
oder andere Systemgrundlage usw. (Oomen-Welke demn. im Sprachenfächer; Oomen-
Welke und Kühn 2009: 163 ff.); unübersetzbare Wörter für bestimmte Sachen; sprach-
liche Bilder in Redewendungen und Sprichwörtern; Höflichkeitsausdrücke und gesell-
schaftliche Werte; Sprechen über sich und andere, gesichtsschonende Formulierun-
gen usw.;
⫺ Verschiedene Schriften und Orthografien: Typen von Schriften (von Bilderschriften,
Symbolschriften, logographischen Schriften über Silbenschriften zu alphabetischen
Schriften und Stenografie); unterschiedliche Nutzung des lateinischen Alphabets in
den europäischen Sprachen (Beispiel [š]: dt. sch, engl. sh, frz. ch, ung. s, türk. s˛; z. B.
Belke 1999);
⫺ Allgemeines und Philosophisches: Gespräche über Sprachentstehung, Sprachverschie-
denheit, Sprachkontakt und Spracheinfluss (u. a. Entlehnung); Sprechen und denken;
Symbole (außersprachlich, in der Schrift und in der Sprache kodiert) usw.
Solche Themen lenken nicht vom Lernen des Deutschen als Zweitsprache ab, im Gegen-
teil ermöglichen sie, dass die Lernenden das bisher Gelernte, das neu zu Lernende und
ihre subjektiven Konstruktionen in den Unterricht einbringen und gemeinsam weiterent-
wickeln. Die Lehrperson greift einiges vom spontan Geäußerten heraus und macht es
zum inhaltlichen Unterrichtsthema oder sie schlägt solche Themen selbst vor. Die
Sprachprogression in DaZ ist nämlich nicht auf Lehrbuchtexte angewiesen, sondern
kann für die Lernenden interessantere und bedeutsamere Inhalte wählen; die passenden
Inhalte, die sich in Lehrwerken finden, sollten selbstverständlich benutzt werden.
sowohl für DaZ-Kurse als auch für Regelklassen. „Evaluationen über Einsatzfrequenzen
und Effektivität der o. g. Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien liegen nicht vor, eine
empirische Lehrwerksforschung fehlt.“ (Kuhs 2008: 321; vgl. auch Oomen-Welke und
Schnitzer 2008). Dennoch werden für den hier geforderten DaZ-Unterricht, der die
sprachliche und kulturelle Vielfalt zur Grundlage des Lernens macht, Materialien und
Hilfsmittel dringend benötigt. Man findet Unterrichtsvorschläge in Form von didaktisch-
methodischen Publikationen (z. B. Schader 2000, 2004), in Zeitschriften (s. Abschnitt 4
und Der Deutschuterricht 5/2008) oder als Hefte von Organisationen („Sprachen öffnen
Welten“ 2001). Zwei Serien, KIESEL (ab 2003) und Der Sprachenfächer (Oomen-Welke
u. a. ab 2006) stellen in thematischen Lieferungen Arbeitsblätter zu den o. g. Themen
bereit (vgl. genauer Oomen-Welke 2008b und demn. 2010), die auch, aber nicht aus-
schließlich für DaZ konzipiert sind; speziell Der Sprachenfächer erfordert, dass die Ler-
nenden ihre Sprachen und ihr Handlungswissen vergleichend integrieren. Solche Mate-
rialien können ergänzend genutzt werden. Mehr Materialentwicklung für die sprachliche
und kulturelle Vielfalt ist für das effizientere Lernen erforderlich.
6. Literatur in Auswahl
Ahrenholz, Bernt (Hg.)
2007 Deutsch als Zweitsprache. Voraussetzungen und Konzepte für die Förderung von Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Freiburg: Fillibach.
Ahrenholz, Bernt und Ingelore Oomen-Welke (Hg.)
2008/ 2009 Deutsch als Zweitsprache. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider.
Belke, Gerlind
1999 Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. Sprachspiele ⫺ Spracherwerb ⫺ Sprachvermitt-
lung. Baltmannsweiler: Schneider.
Decker, Yvonne
2008 Deutsch als Zweitsprache in Internationalen Vorbereitungsklassen. In: Bernt Ahrenholz
und Ingelore Oomen-Welke (Hg.), 162⫺172.
Decker, Yvonne und Ingelore Oomen-Welke
2008 Methoden für Deutsch als Zweitsprache. In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke
(Hg.), 324⫺342.
Decker, Yvonne
2007 „Meine Sprachen und ich“. Praxis der Portfolioarbeit in Internationaler Vorbereitungs-
klasse und Förderkurs. In: Bernt Ahrenholz (Hg.), 169⫺185.
Dehn, Mechthild und Rainer Gerdzen
1981 Hänsel und Gretel ⫺ Der Zwerg Veli. Praxis Deutsch 47: 46⫺50.
Gamkrelidse, Thomas W. und Wiatscheslaw W. Iwanow
2007 Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen. Spektrum der Wissenschaft Dossier: Die
Evolution der Sprachen 50⫺57.
Goffman, Erving
1967/dt. 1971 Interaktionsrituale ⫺ Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am
Main: Suhrkamp.
Haferland, Harald und Ingwer Paul (Hg.)
1996 Höflichkeit. (⫽ Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 52).
Holstein, Silke und Ingelore Oomen-Welke
2006 Sprachen-Tandem für Paare, Kurse, Schulklassen. Ein Leitfaden für Kursleiter, Lehrperso-
nen, Migrantenbetreuer und autonome Tandem-Partner. Freiburg: Fillibach.
1114 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Hüsler-Vogt, Silvia
1987 Tres tristes trigres … Drei traurige Tiger … Zaubersprüche, Geschichten, Verse, Lieder und
Spiele für die mehrsprachige Kinder(Garten)-Gruppe. Freiburg i. Br.: Lambertus.
Interkulturelle Kommunikation ⫺ Interkulturalität
2008 (⫽ Der Deutschunterricht LX, 5).
KIESEL Kinder entdecken Sprachen, Erprobung von Lehrmaterialien
o. J. Download unter: http://www.oesz.at/sub_main.php?lnk⫽Publikationen (30. 12. 2010).
Kniffka, Gabriele und Siebert-Ott Gesa
2007 Deutsch als Zweitsprache ⫺ Lehren und Lernen. Paderborn: Schöningh.
Krumm, Hans-Jürgen
2001 Kinder und ihre Sprachen ⫺ lebendige Mehrsprachigkeit. Wien: eviva.
Kuhs, Katharina
2008 Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien für die schulische Vermittlung und Förderung von
Deutsch als Zweitsprache. In: Ahrenholz und Oomen-Welke (Hg.), 315⫺323.
Loch, Waltraud
1981 Cüce Veli, ein türkisches Märchen im Deutschunterricht. Praxis Deutsch 47: 43⫺45.
Moore, Thomas C.
2000 Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen 51. Spektrum der Wissenschaft Dossier: Die
Evolution der Sprachen, 51.
Neuner, Gerhard, Fredrik Vahle
1990 Paule Puhmanns Paddelboot: 10 Lieder zum Singen, Spielen und Lernen. Berlin: Langen-
scheidt.
Oomen-Welke, Ingelore
2010 (erscheint) Sprachliches Lernen im mehrsprachigen Klassenzimmer. In: Volker Freder-
king, Hans Werner Huneke, Axel Krommer und Christel Meier (Hg.), Taschenbuch des
Deutschunterrichts. Baltmannsweiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2008a Präkonzepte: Sprachvorstellungen ein- und mehrsprachiger SchülerInnen. In: Bernt Ah-
renholz und Ingelore Oomen-Welke (Hg.), 373⫺384.
Oomen-Welke, Ingelore
2008b Didaktik der Sprachenvielfalt. In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke (Hg.),
479⫺492.
Oomen-Welke, Ingelore
2006/22007 „Meine Sprachen und ich“. Inspirationen aus der Portfolio-Arbeit in DaZ für Vorbe-
reitungsklasse und Kindergarten. In: Bernt Ahrenholz (Hg.), Kinder mit Migrationshinter-
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Oomen-Welke, Ingelore
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gik. Das Handbuch, 68⫺98. Baltmannsweiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2004b Nonverbales und Körpersprachliches aus verschiedenen Kulturen als semiotische Grund-
frage. In: Otto Schober (Hg.), Körpersprache im Deutschunterricht, 19⫺33. Baltmanns-
weiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2000 Umgang mit Vielsprachigkeit im Deutschunterricht ⫺ Sprachen wahrnehmen und sicht-
bar machen. Deutsch lernen 2: 143⫺163.
Oomen-Welke, Ingelore und Peter Kühn
2009 Sprache und Sprachgebrauch untersuchen. In: Albert Bremerich-Vos, Dietlinde Granzer,
Ulrike Behrens und Olaf Köller (Hg.), Bildungsstandards für die Grundschule: Deutsch
konkret, 139⫺184. Berlin: Cornelsen-Scriptor.
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1115
1. Geschichte
Ende der 1970er Jahre wird man in Deutschland, wie zuvor schon in Großbritannien,
darauf aufmerksam, dass ein nicht unwesentlicher Teil der erwachsenen einheimischen
Bevölkerung nicht über ausreichende Lese-Schreib-Kompetenzen verfügt. Alphabetisie-
rungskurse richteten sich zunächst ausschließlich an Personen mit deutscher Mutterspra-
che. Auch in Österreich und der Schweiz begann man mit einigen Jahren Verzögerung,
den Bedarf an Alphabetisierung für Einheimische zunehmend zu erkennen.
Alphabetierungskurse für MigrantInnen wurden im deutschsprachigen Raum bis
Mitte der 1980er Jahre nur vereinzelt angeboten. 1986 nahm in Deutschland der Sprach-
verband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V. die Förderung von Sprachkursen mit
Alphabetisierung in die Förderrichtlinien auf, nachdem sich in den zunehmend angebote-
nen Deutschkursen zeigte, dass viele Lernende, vor allem Frauen, nicht über ausrei-
chende Lese- und Schreibkenntnisse verfügten. Die Entwicklung von Kursmodellen, Un-
terrichtskonzepten, Diskussionsbeiträgen und Materialien (Baymak-Schuldt 1985) folgte.
Einen Überblick über die Entwicklung der Alphabetisierung mit MigrantInnen in
Deutschland mit grundlegenden und heute noch aktuellen Fragen gibt Szablewski-Çavus
(1991). Auch in der Schweiz, in Österreich und in Südtirol stellte man seit den 1980er
Jahren verstärkt einen Bedarf an Alphabetisierung in den Deutschkursen für MigrantIn-
nen fest.
Alphabetisierung für MigrantInnen findet heute in den deutschsprachigen Ländern
Europas hauptsächlich in Integrationskursen mit Alphabetisierung statt. Die seit den
1980er Jahren entstandenen vielfältigen und differenzierenden Konzepte und Kurse (z. B.
berufsbezogene Alphabetisierung) werden zunehmend auf dieses Angebot reduziert.
boten. Problematisch ist die Situation für nicht alphabetisierte Kinder und Jugendliche
über 10 Jahren (sog. Seiteneinsteiger), da nach der Grundschule in den Schulsystemen
der deutschsprachigen Länder kaum Fördermöglichkeiten für Alphabetisierung existie-
ren.
Der Ansatz der Family Literacy verbindet durch den Einbezug von Familie und Um-
feld zumeist isoliert nebeneinander stehende Maßnahmen in Schule, Erwachsenenbil-
dung, Sozialarbeit und Stadteilarbeit (Elfert und Rabkin 2007). Zunehmende Aufmerk-
samkeit und Förderung ist der berufsorientierten Grundbildung zu wünschen, die Grund-
bildung, Qualifizierung und Beschäftigung von Erwachsenen miteinander kombiniert.
Versuche der Alphabetisierung als Vorlaufmaßnahme vor dem Deutschkurs haben sich
aus zwei Gründen als unzureichend erwiesen: Erstens kann ausreichende Lese-Schreib-
Fähigkeit nicht in wenigen Wochen oder Monaten erworben werden. Zweitens muss ein
Alphabetisierungskurs mit MigrantInnen auch die Vermittlung von DaZ enthalten. Den
MigrantInnen in Alphabetisierungskursen ohne zweitsprachdidaktisches Konzept den
Spracherwerb quasi „nebenbei“ abzuverlangen, ist weder realistisch noch vertretbar.
Zweitschrifterwerb: Anders stellt sich die Sachlage bei MigrantInnen dar, die bereits
eine nichtlateinische Schrift beherrschen. Für sie ist eine kürzere Vorlaufmaßnahme ange-
messen, die auf die Übertragung der erstsprachigen Schriftsprachkompetenz auf die latei-
nische Schrift abzielt. Ein baldiger Wechsel in einen DaZ-Kurs für literate Lernende ist
für diese Gruppe sinnvoll und möglich. Allerdings muss auch in dieser Maßnahme dem
Spracherwerb ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden.
3. Begrilichkeiten
notiert und schließt Elemente einer allgemeinen Grundbildung ein, die über die Grund-
kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens hinausgehen.
Literalitäten als soziale Praxen: Anknüpfend an Barton (1994) wird in der heutigen
Diskussion vermehrt von Literalitäten im Plural gesprochen. Ausgangspunkt ist die
Überlegung, was ein Mensch an literalen Grundfertigkeiten braucht, um in seinen spezifi-
schen Lebenskontexten (privat, beruflich, in Bezug auf Weiterbildung und Teilhabe an
der Gesellschaft) bestehen und sich weiterentwickeln zu können. Dies verlangt eine ver-
stärkt lebensweltliche Situierung von Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen
und die Koppelung an die konkreten Bedarfe der Lernenden in ihren Lebenskontexten.
„Allgemeine“ Schriftsprachkompetenz wird als Abstraktion betrachtet, die sich aus ei-
nem Set literaler Praxen zusammensetzt.
Alphabetisierung als Teil von Basisbildung/Grundbildung: Die aktuelle Definition
von Grundbildung orientiert sich am Referenzrahmen der Europäischen Kommission
(2006), der die Schlüsselkompetenzen definiert, die die Bürgerinnen und Bürger in der
europäischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts für das Bestehen am Arbeitsmarkt und
in der Gesellschaft sowie den Einstieg ins Lebenslange Lernen benötigen. Als Elemente
der Grundbildung werden neben Lesen, Schreiben, Rechnen, Umgang mit neuen Medien
auch Kommunikation, Problemlösung, Arbeiten mit anderen und Lernkompetenz gese-
hen, sowie Deutsch als Zweitsprache für MigrantInnen im deutschsprachigen Raum. Als
problematisch kann die Tendenz der Orientierung an den Kompetenzstufen der EU gese-
hen werden, wenn Kompetenzmessung und Konstituierung von Leistungsstandards Bil-
dung vorwiegend warenförmig beschreiben und in defizitär formulierte Standards um-
schlagen, welche die Würde und Autonomie der Betroffenen in Frage stellen (Klein und
Reutter 2009: 7⫺11).
4. Die Lernenden
Die Lernenden mit Alphabetisierungsbedarf in der Zweitsprache Deutsch sind erwach-
sene ZuwandererInnen in den deutschsprachigen Ländern Europas sowie Kinder und
Jugendliche, die in ihren Herkunftsländern die Schule nicht oder nicht ausreichend lange
besuchen konnten. Die Gründe der Verhinderung des Schulbesuchs sind vielfältig und
reichen von Krieg und ethnischen Konflikten über individuelle und strukturelle Armut
(kein Geld für Schulbesuch, Schulen sind zu weit entfernt, Benachteiligung von Minder-
heiten im Schulsystem, existentiell notwendige Erwerbsarbeit schon in der Kindheit).
Frauen und Mädchen sind besonders stark betroffen: wenn nicht allen Kindern der Fa-
milie der Schulbesuch ermöglicht werden kann, sind meist die (ältesten) Mädchen diejeni-
gen, die anstelle des Schulbesuchs Verpflichtungen im Haushalt und bei der Betreuung
der Geschwister übernehmen müssen (Ritter 2004: 36⫺37).
Der Bildungsbedarf umfasst neben Alphabetisierung (auch in der Muttersprache) und
DaZ auch den Erwerb von sprach- und schriftbezogenen Lernstrategien und Strategien
für den selbstbestimmten Wissenserwerb sowie auf die berufliche und private Lebenssitu-
ation bezogene Fertigkeiten, also Grundbildung im umfassenden Sinn.
Die von den Lernenden mitgebrachten Kompetenzen erstrecken sich von Vorkennt-
nissen in Lesen und Schreiben und in DaZ über mündliche Mehrsprachigkeit und enthal-
ten vor allem auch vielfältige informell erworbene Kompetenzen in privaten und berufli-
chen Bereichen.
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1119
Als Motivation für den Kursbesuch wird an erster Stelle der Wunsch nach Selbstän-
digkeit im Einwanderungsland genannt: schriftliche wie mündliche Kommunikationssi-
tuationen ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, in privaten Rollen als Eltern, Nach-
barn usw. sowie in beruflichen Anforderungen und als mündige BürgerInnen agieren zu
können. Auch Wünsche nach beruflicher Qualifikation und einer besseren Arbeit werden
genannt (Dubis 1999). Bildung ist den illiteraten Zuwanderern als wertvolles Gut be-
wusst: Umfragen in Kursen zeigen, dass nicht wenige der illiteraten Mütter und Väter
ihren Kindern den Besuch von Universitäten und Berufsausbildungen ermöglicht haben.
Studien über Zahlen, Bildungsbedarf, Motivationen und mitgebrachte Qualifikatio-
nen von Zuwanderern mit Alphabetisierungbedarf existieren in den deutschsprachigen
Ländern noch nicht. Die obigen Aussagen stammen aus langjähriger Kurs- und Bera-
tungserfahrung.
Da die Lernprozesse Schriftspracherwerb und Spracherwerb komplex sind und jeder für
sich eine gewisse Zeit, meist mehrere Jahre, erfordert, und die Zuwanderer sowohl Spra-
che wie auch Schrift des Landes, in das sie eingewandert sind, unmittelbar und von
Anfang an benötigen, ist es sinnvoll, die beiden Lernprozesse nicht aufeinander folgend,
sondern koordiniert zu vermitteln. Da auch die Vorkenntnisse und Lernvoraussetzungen
der Lernenden unterschiedlich sind (unterschiedliches Niveau in Schrift und Sprache,
unterschiedliche schulische und außerschulische autodidaktische Lernerfahrungen sowie
mitgebrachte Lernstrategien, unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten der Sprachbe-
wusstheit und Fähigkeit zur metasprachlichen Betrachtung von Sprache und Schrift),
empfiehlt sich ein differenzierendes Konzept der Kombination von Alphabetisierung
und DaZ.
Ein seriöses didaktisch-methodisches Konzept für den Alphabetisierungsunterricht in
DaZ hat somit vier Komponenten zu enthalten:
a) erwachsenen- bzw. jugend- oder kindgerechten Alphabetisierungsunterricht, der die
bei DaZ-AnfängerInnen erst reduziert vorhandene Lingua Franca mit einer geeigne-
ten Didaktik zu ersetzen im Stande ist;
b) ein DaZ-Unterrichts-Konzept, das mit stark reduzierten schriftlichen Materialien aus-
kommt;
c) ein mehrstufiges Konzept, das unterschiedliche Vorkenntnisse in beiden Gegenstän-
den einbezieht sowie Offenheit für individuelle Förderung bietet;
d) lernerInnenorientierten Aufbau von Lernstrategien, die das Erkennen und Erarbeiten
einer Systematik bezüglich Schrift und Sprache sowie die Reflexion unterstützen.
müssen auch metasprachliche Erklärungen nicht nur sprachlich erarbeitet, sondern auch
von ihrer metasprachlichen Komponente her erst aufgebaut werden.
Im folgenden werden einige Konzepte und Ansätze vorgestellt, die sich als nutzbrin-
gend besonders für die Alphabetisierung mit MigrantInnen (Kinder und Erwachsene)
erwiesen haben und die bspw. in den Ansatz des AlfaZentrums der Wiener Volkshoch-
schulen (www.vhs.at/alfazentrum) eingeflossen sind.
Für den schulischen Schriftsprach-Anfangsunterricht entwickelten Brüggelmann und
Brinkmann (1999) ein Konzept, das eine gute Grundlage für den Alphabetisierungsunter-
richt mit Kindern wie auch mit Erwachsenen bietet. Es verdeutlicht die Bereiche, die für
den Anfangsunterricht in Lesen und Schreiben relevant sind: a) Freies Schreiben eigener
Texte; b) Lesen von relevanter Literatur; c) Systematische Arbeit an Schriftelementen
und Leseverfahren, Sprachreflexion und Lese- wie Schreibtechniken sowie Strategien;
d) Aufbau und Sicherung eines Grundwortschatzes.
Ein Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreibstrategien ist darge-
stellt von Günther (1995). Das Modell zeigt, dass der Erwerb der Schriftsprache kein
geschlossener, ungegliederter und zeitlich eng begrenzter Vorgang ist. Es beschreibt den
Schriftspracherwerb von den präliteral-symbolischen Anfängen bis zur integrativ-auto-
matisierten Kompetenz in fünf zweistufigen Phasen. Besonders bedeutsam für die Alpha-
betisierung mit MigrantInnen ist an diesem Modell, dass sowohl notwendige Vorbedin-
gungen für das Erlernen einer alphabetischen Schrift (präliteral-symbolische Phase, logo-
graphemische Phase) einbezogen sind, wie auch aufgezeigt wird, dass es mit dem
Erlernen der Buchstaben nicht getan ist: neben der alphabetischen sind eine orthografi-
sche und eine Phase der Integration und Automatisierung der Lese-Schreib-Strategien
strukturiert dargestellt. Weiters zeigt die Darstellung auf, wie in den beiden Modalitäten
Lesen und Schreiben jeweils neue Strategien den Schriftspracherwerb auf ein höheres
Niveau führen. Dies macht es Unterrichtenden leichter, problematische Phasen bei den
Lernenden erkennen und zielgerichtet zu fördern.
Der Spracherfahrungsansatz (beschrieben in Young und Tyre 1991) bietet eine gute
Basis für lernerorientierten Alphabetisierungsunterricht. Freies sowie stellvertretendes
Schreiben von Anfang an und Arbeiten an den Texten der Lernenden sind wichtige Be-
standteile des Konzepts. Damit ist gewährleistet, dass die Texte relevante Lebenssituatio-
nen der Lernenden betreffen, wodurch die Schreib- und Lesemotivation von Anfang an
höher ist als beim ausschließlichen Arbeiten mit Lehrbuchtexten. Im Alphabetisierungs-
unterricht mit MigrantInnen können diese Texte weiter für sprachliche und sprachsyste-
matische Aktivitäten genutzt werden.
Im Folgenden sind zentrale Aspekte der Phasen (die sich auch immer wieder überlappen)
und exemplarisch einige Lernziele für die Alphabetisierung mit MigrantInnen beschrie-
ben (ausführlicher in Faistauer et al. 2006: 33⫺38). Bei der Beschreibung von Lernzielen
in der Alphabetisierung mit Zuwanderern kann keinesfalls undifferenziert der Bezugsrah-
men des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) ver-
wendet werden, da dieser ausschließlich für literate Lernende entwickelt wurde sowie für
das Lernen einer Fremdsprache, nicht aber für das Lernen des Deutschen als Zweitspra-
che.
1122 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Kritische Phasen zu Beginn des Schriftspracherwerbs sind das Verständnis des alpha-
betischen Prinzips und die Aneignung des phonematischen Prinzips (Dehn 1995) mit der
dafür notwendigen Fähigkeit der Lautidentifikation und -diskrimination: gesprochene
Sprache aktiv auch unter dem Aspekt ihrer Einzellaute wahrzunehmen und zu betrach-
ten. Dies kann bei Menschen, die noch nie eine Schrift erlernt haben, nicht vorausgesetzt
werden, und gleichzeitig kann ein Versäumnis auf dieser grundlegenden Ebene lange
Zeit Probleme beim Lernprozess Schriftsprache verursachen. Erst die Sicherheit beim
Wahrnehmen der Lautgestalt des gesprochenen Wortes (Phoneme) und die Fähigkeit,
dieser Lautgestalt bestimmte graphische Zeichen (Grapheme) in der richtigen Reihen-
folge zuordnen zu können, bilden eine stabile Basis für die Alphabetisierung. Gut auf-
gearbeitete Grundlagen und methodische Anleitungen hierzu für den Alphabetisierungs-
unterricht in der Muttersprache Deutsch finden sich in Kamper (1997), deren Adaption
auf die Lernsituation in der Zweitsprache in Ritter (2004).
In der Phase des lautgetreuen Schreibens (alphabetische Strategie nach Günther 1995)
können Spracherwerb und Schriftspracherwerb voneinander profitieren: das in dieser
Schriftspracherwerbsphase zentrale genaue Hören und Aussprechen von Wörtern und
Sätzen wird durch phonetische und phonologische Spracharbeit unterstützt und umge-
kehrt. Hier darf vor allem nicht mit inhaltlich unzusammenhängenden oder unbekannten
phonetischen Beispielwörtern gearbeitet werden. Auch einfach erscheinende Laut-Zei-
chen-Beziehungen müssen sorgfältig aufgebaut werden, sodass den Lernenden sowohl
die bewusste Erforschung der Phänomene wie auch die implizite Regelbildung möglich
ist. Gleichzeitig ist in dieser Phase zu berücksichtigen, dass die Lesestrategie dieser Phase
nach Günther im Gegensatz zur Schreibstrategie keine alphabetische, sondern noch eine
logographemische ist: Die Lernenden erschließen mit Hilfe des Kontextes und teilweise
„ratendem“ logographemischem Lesen bereits Texte, die sie so noch nicht zu schreiben
imstande wären. Auch dies kann für den Spracherwerb genutzt werden, indem nicht
vereinfachte, sondern inhaltlich interessante Texte eingesetzt werden, die sich auf die
mündliche Spracharbeit beziehen und gerade nicht Wort für Wort entziffert, sondern
inhaltlich erschlossen werden mit Hilfe des im vorangegangenen Sprachunterricht erar-
beiteten Kontextes. So können komplexe schriftliche Texte zu einem gut bekannten Hör-
text eingesetzt werden, aus denen nur bestimmte Elemente schriftlich genauer bearbeitet
werden; auch in stellvertretendem Schreiben entstandene Texte eignen sich.
In der orthographischen Phase geht es vor allem um Kompetenz im eigenständigen
Schreiben komplexerer Texte sowie im Lesen authentischer Texte aus Alltag und Beruf
(Aufbau von Lesestrategien für inhaltsorientiertes Lesen, selektives Lesen, Aufbau von
Textsortenwissen, …). Grundlagen der Orthographie werden weiter ausgebaut, ebenso
Strategien zum Überarbeiten eigener Texte. Auch die Differenzierung von inhalts- und
formorientiertem Arbeiten ist hier noch immer zu beachten, dafür ist eine geeignete Me-
thodik zu verwenden.
Um zu vermeiden, dass die erworbenen Kenntnisse mangels ständiger Praxis wieder
verloren gehen, ist die Unterstützung durch ein betreutes Setting gerade für MigrantIn-
nen notwendig, die für das selbständige Ausüben des Lesens und Schreibens in der deut-
schen Sprache nicht nur mit schriftsprachlichen, sondern auch mit sprachlichen Hürden
kämpfen. Die Phase der Absicherung und Automatisierung schriftsprachlicher Fertigkei-
ten sollte von ihrer Dauer her nicht unterschätzt werden, sie kann zusätzlich genutzt
werden für den parallelen bedarfsorientierten Ausbau der Sprachkenntnisse in DaZ.
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1123
Sprachlernstrategien nur ein Teil der Unterrichtszeit für das Deutschlernen zur Verfü-
gung steht. Inhaltliche Vorgaben können also nur unter den obigen Gesichtspunkten
modifiziert aus DaZ-Curricula übertragen werden.
Bei der Fülle von Lerngegenständen (Schrift, Sprache, Lernstrategien) ist das Auseinan-
derhalten von inhalts- und formorientiertem Arbeiten wesentlich. Beide Prozesse müssen
mit den geeigneten Methodiken und mit genügend Zeit sowie voneinander abgegrenzt
erarbeitet werden. So erfolgt z. B. mündliche Grammatikarbeit am Hörtext erst nach
seiner ausführlichen inhaltlichen Erarbeitung.
Lernerorientierung ist aktives Wahrnehmen der Lernenden und ihrer Ziele, Bedürf-
nisse, Schwierigkeiten, sowie ihrer individuellen Lernfortschritte. Lernerorientierung be-
deutet in ihrer Konsequenz auch Kreativität beim Finden von Lösungsstrategien, die den
Lernenden das Lernen leichter machen und Lernschwierigkeiten überwinden helfen. Sie
macht adäquate Entwicklung von Didaktik und Methodik erst möglich.
Lernerorientierung in der Alphabetisierung mit MigrantInnen unterscheidet sich nicht
grundsätzlich von Lernerorientierung in DaZ-Kursen oder in der muttersprachlichen Al-
phabetisierung in Grundschulen und lässt sich an folgenden Eckpunkten festmachen:
Erheben von Bedarf und Zielen, Einbezug der Interessen und vorhandenen Ressourcen
der Lernenden, sowie Abstimmen von Unterrichtsinhalten, Art und Modus der Aktivitä-
ten auf die Lernenden. Offener Unterricht und Werkstattunterricht erleichtern lernero-
rientiertes Unterrichten.
Lernerorientierung manifestiert sich sowohl im Unterricht wie auch in der Wahl des
Unterrichtsansatzes und der Konzeption der Maßnahmen: Passgenauigkeit von Alphabe-
tisierungs- und Grundbildungsangeboten setzt Bedarfserhebung und Einbeziehen von
Erfahrungen und Sichtweisen der Betroffenen und daraus resultierend differenzierte
Lernangebote voraus. Gerade Menschen ohne positive Erfahrung in formaler Bildung
erleben Lernen als subjektiv sinnvoll, wenn Lernangebote lebenswelt-, kontext- und situ-
ationsadäquat sind. Die Ausrichtung an der Heterogenität der Lernenden darf nicht nur
als Schlagwort im Curriculum vorkommen.
In der Konsequenz von Lernerorientierung entsteht Empowerment der Lernenden
durch Wertschätzung der mitgebrachten Kenntnisse und Erfahrungen, durch Autono-
mieförderung und adäquaten Unterricht, der sich an den Bedürfnissen und Lernzielen
der Teilnehmenden orientiert.
cen der erwachsenen Lernenden lassen es meist nicht zu, dass sie über viele Jahre hinweg
Kurse besuchen ⫺ umso wichtiger ist es, sie im Unterricht für das eigenständige Lernen
auch nach dem Kurs zu befähigen und zu stärken.
Kinder und Jugendliche profitieren von geeigneten Lernstrategien nicht nur für Al-
phabetisierung und Spracherwerb, sondern auch für ihren weiteren Schulbesuch. Auch
für sie gilt, dass die schulischen Maßnahmen für Alphabetisierung und DaZ zeitlich be-
schränkt sind, also ebenfalls Eigeninitiative erforderlich ist, wollen sie erfolgreich durch
Schule und Ausbildung kommen.
6.7. Materialien
Bezüglich der verwendeten Materialien stellt sich die Frage, ob der Einsatz eines kurstra-
genden Lehrwerkes in lerner- und bedarfsorientierten Kursen sinnvoll ist. Derzeit existie-
1126 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
rende Lehrwerke können als Steinbruch genutzt werden (z. B. Vorlagen für die Buchsta-
benarbeit, Hörtexte aus niederschwelligen DaZ-Lehrwerken), für die Textproduktion
und -rezeption empfehlen sich authentische Texte aus den Interessensgebieten der Ler-
nenden sowie die von den Lernenden produzierten Texten, die auch als Grundlage für
sprach- und schriftsystematische Übungen aufgegriffen werden können.
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Der Begriff „Literacy“ wird in der angloamerikanischen Forschung generell für Schrift-
kundigkeit verwendet und ist auf all jene Bereiche der Bildung und Ausbildung bezogen,
die für eine Wissensgesellschaft elementar sind (academic literacy, multimedia literacy
etc.). Die „Literacy“-Forschung beschäftigt sich mit der Frage nach der Rolle und Funk-
tion von Schriftkundigkeit in einer Gesellschaft und deren Einfluss auf die Möglichkeiten
eines Individuums, am sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Leben zu
partizipieren.
Ein Blick auf die historische Entwicklung dieses Begriffs zeigt, dass literacy ursprüng-
lich vor allem als Kennzeichen westlicher, schriftkundiger Menschen betrachtet wurde,
die sich von Angehörigen oraler Gesellschaften durch größere intellektuelle Fähigkeiten
unterscheiden (vgl. Goody und Watt 1962). Diese Sichtweise lag zahlreichen psychologi-
schen und anthropologischen Arbeiten zugrunde und ist als great divide-theory in die
literacy-Diskussion eingegangen (vgl. Street und Lefstein 2007: 37).
Seit Beginn der 1980er Jahre wird literacy nicht mehr als ein bloß individuelles, son-
dern vielmehr als ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen betrachtet und in seiner
grundlegenden Bedeutung für das soziale Zusammenleben und den Fortschritt gesehen.
Literat sein bedeutet demnach nicht nur lesen und schreiben zu können, sondern auch
über die Fähigkeit zu verfügen, mit verschiedenen Optionen der geschriebenen und der
gesprochenen Sprache in einer Schriftkultur umzugehen und über sie als ein „kulturelles
Werkzeug“ zu verfügen (vgl. Brockmeier 1998: 201). Literatheit zeigt sich in der Fähig-
keit, die kulturspezifischen und sozialen Gebrauchszusammenhänge dieser Optionen zu
erkennen und zu berücksichtigen (Kern 2000: 4).
Anfang der 1990er Jahre entstanden zahlreiche interdisziplinäre Forschungsarbeiten
(„New Literacy Studies“), die sich mit literalen Praktiken und ihren sozialen und kultu-
rellen Dimensionen befassen (Street 1995, 1997)). Auch die soziokulturelle Prägung der
literalen Praxis in Bildungsinstitutionen ist in diesem Zusammenhang ein Thema: So
wird etwa die Schule als eine „Mittelschichtinstitution“ bezeichnet (Ehlich und Rehbein
1986: 172), die die literalen Praktiken der Mittelschichtfamilie übernimmt und zur Norm
erhebt (vgl. Street 1995: 104).
Neben soziokulturell ausgerichteten Forschungsarbeiten entstanden auch eine Reihe
von kognitiv orientierten Literacy-Studien, die sich mit den Auswirkungen der literalen
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache 1131
Entwicklung auf die Sprach- und Denkfähigkeiten eines Individuums beschäftigen. Ihr
gemeinsamer Bezugspunkt besteht in der Annahme, dass Schriftlichkeit die Konzeptuali-
sierung von Sprache grundlegend verändert und literale Fähigkeiten neue Perspektiven
des sprachlichen Handelns, Denkens und Lernens eröffnen.
In der neueren Literacy-Forschung spielen auch lerntheoretische und didaktische As-
pekte eine zunehmend bedeutende Rolle. Ein häufig diskutiertes Thema ist kooperatives
Lernen, das als sozial-konstruktivistischer Prozess der Bedeutungsaushandlung betrach-
tet und in seinem Potential für den Sprach- und Wissenserwerb im Unterricht ausgelo-
tet wird.
Kress et al. (2000) plädieren für eine multimodale Perspektive auf kognitive Verarbei-
tungsprozesse und dafür, sprachliche und nichtsprachliche Zeichensysteme aufeinander
zu beziehen („multiliteracies“). „Multimodale Textkompetenz“ (Weidacher 2007) ist in
der Schule vor allem in den Sachfächern gefordert, da nonverbale Zeichensysteme (Dia-
gramme, Tabellen, Statistiken, etc.) für die Konstruktion von Bedeutungen und das Er-
schließen von Fachtexten eine wichtige Rolle spielen.
in der Familie fördert die Textkompetenz eines Kindes, längst bevor es selbst lesen
und schreiben kann. Nicht alle Kinder finden jedoch ein Umfeld vor, in dem sie in
ihrer literalen Entwicklung ausreichend gefördert werden; das gilt für Migrantenkin-
der vielfach in besonderem Maße.
2. Textkompetenz ist eine soziale Fähigkeit, die in der sozialen Praxis des Lesens und
Vorlesens, des Schreibens und des Redens über Texte erworben wird. Das Erzählen
und Besprechen von Alltagserfahrungen, das Aushandeln von Bedeutungen, das Re-
den über Geschichten, das Gespräch über Bücher ist für die literale Entwicklung eines
heranwachsenden Kindes entscheidend. Diese Aktivitäten haben im Alltag längst
nicht aller Lernenden einen selbstverständlichen Platz; das gilt vor allem für Schüle-
rinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.
3. Textkompetenz ist nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kognitive Fähigkeit.
Wissen anhand von Texten zu erwerben bedeutet, Informationen aus Texten zu er-
schließen, mit dem vorhandenen Wissen zu verknüpfen und zu restrukturieren. Das
aus den Texten gewonnene Wissen wird dabei „umgeschrieben“ (representational rede-
scription, Karmiloff-Smith 1992) und muss, um für andere darstellbar zu werden,
sprachlich neu konzeptualisiert werden. In diesem Prozess der Wissenskonstruktion
werden „mentale Modelle“ aufgebaut, geprüft und verändert (Portmann-Tselikas
2007: 275). Auch diese Fähigkeit wird bereits in früher Kindheit angelegt und später
in der Schule weiter entwickelt ⫺ und auch hier gilt, dass nicht alle Lernenden da-
rüber in dem Maße verfügen, wie es die Schule von ihnen verlangt.
4. Textkompetenz ist eine sozial determinierte Fähigkeit. Faktoren wie der Beruf, die
soziale Positionierung und der Bildungshintergrund der Eltern spielen hier eine wich-
tige Rolle; ebenso die sozioökonomische Lage und die Wohnverhältnisse der Familie
(vgl. Brizić 2003, 2007). Migrantenkinder stammen vielfach aus bildungsfernen, sozial
und sozioökonomisch benachteiligten Familien und verfügen daher oft nicht über jene
Voraussetzungen, die eine erfolgreiche Bildungslaufbahn ermöglichen würden.
5. Textkompetenz ist eine transferierbare Fähigkeit, die von der Erst- auf die Zweitspra-
che weitgehend übertragbar ist. So können etwa Lernende, die in ihrer Erstsprache
effiziente Strategien des Lesens entwickelt haben, diese auch beim Lesen in der Zweit-
sprache nutzen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie eine sprachliche Basis aufgebaut
haben, d. h. dass sie grundlegende sprachliche Mittel und Strukturen in der Zweitspra-
che beherrschen (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 57). Viele Zweitsprachenlernende ver-
fügen jedoch weder in ihrer Erstsprache noch in der Zweitsprache über eine gut entwi-
ckelte Textkompetenz und können Transferpotentiale daher auch nicht ausschöpfen.
6. Textkompetenz ist eine kulturell geprägte Fähigkeit. Das betrifft das Verstehen und
Interpretieren von Romanen oder Gedichten ebenso wie das Erschließen, Erklären
oder Diskutieren von Sachtexten. Migrantenkindern sind die kulturgeprägten Formen
der literalen Praxis in der Schule oft weder vertraut noch geläufig.
Textkompetenz wird auch verwendet, um kulturelle Standards zu definieren: Bildungsins-
titutionen wie die Schule legen fest, was gute Texte sind und was einen kompetenten
Umgang mit Texten ausmacht (vgl. Portmann-Tselikas 2005: 1). Kulturelle Standards
bestimmen, wie die Leistungen der SchülerInnen einzustufen und zu beurteilen sind. Die
Normen, die auf diese Weise zum Maßstab erklärt werden, steuern die Art des Denkens,
Verstehens und der Aneignung von Wissen. Schulerfolg ist schließlich nur möglich durch
eine Orientierung an den vorherrschenden kulturellen Standards. Für „bildungsferne“
SchülerInnen, und das betrifft jene mit Migrationshintergrund in besonderem Maße,
werden diese vielfach zur unüberwindbaren Hürde.
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache 1133
(z. B. Grafiken, Diagramme), liefern sie die zentralen Informationen, Konzepte und Ka-
tegorien für das jeweilige Fach. Sachtexte erheben Anspruch auf Objektivität, sie sind
durch eine hohe Informationsdichte, begriffliche Präzision, Explizitheit und komplexe
Formulierungsschemata gekennzeichnet. Im Umgang mit Sachtexten ist von den Schü-
lerinnen und Schülern vor allem die Fähigkeit gefordert, relevante Informationen und
Sinnzusammenhänge zu erkennen, zu verarbeiten und die gewonnenen Erkenntnisse
nachvollziehbar darzustellen (vgl. Portmann-Tselikas und Schmölzer-Eibinger 2008: 9).
Es bedarf der Kenntnis fachspezifischer Denkweisen, Kommunikationsschemata und Be-
griffe, des Wissens um textsortenspezifische Muster und textbildende Prozeduren sowie
um die jeweils relevanten kommunikativen Funktionen und sprachlichen Mittel.
Sachfachliteralität zeichnet sich nach Vollmer (2006: 211) dadurch aus, dass Lernende
in der Lage sind, sich mit den fachlichen Meinungen und Konzepten anderer argumenta-
tiv auseinanderzusetzen und Bedeutungen in einem sachadäquaten Diskurs auszuhan-
deln. Der Wissenserwerb anhand von Sachtexten erfordert nicht nur das Verstehen und
Wiedergeben von Inhalten, sondern auch die Reflexion und kritische Auseinandersetzung
mit fachbezogenen Informationen (vgl. Art. 116).
SchülerInnen, die nicht über diese Fähigkeit verfügen, haben vielfach Probleme, die
Anforderungen an den Wissenserwerb im Sachunterricht zu bewältigen. Das betrifft das
Erfassen, Darstellen und Verknüpfen von Informationen ebenso wie das Diskutieren
und Reflektieren von Beobachtungen, Wahrnehmungen oder Einsichten. Eine besondere
Schwierigkeit besteht vielfach darin, Bedeutungen und Sinnzusammenhänge im jeweili-
gen Kontext zu erkennen und Texte distanziert und aus unterschiedlichen Perspektiven
zu betrachten (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 147). Das betrifft SchülerInnen, die die
Unterrichtssprache als Erstsprache beherrschen, ebenso wie Lernende, für die die Unter-
richtssprache eine Zweitsprache ist. Zweitsprachenlernende sind von diesen Problemen
jedoch bei weitem häufiger und stärker betroffen. Sie verfügen oft nicht über die gefor-
derten sprachlichen, kommunikativen und kognitiven Mittel, die es ihnen ermöglichen
würden, mit der schriftsprachlich geprägten Sprache im Unterricht zurande zu kommen.
Betrachtet man Textkompetenz als Schlüsselkompetenz des Lernens, so kann auf För-
derung von Textkompetenz in den Sachfächern nicht verzichtet werden. Eine Integration
des Sprach- und Sachlernens erweist sich vielmehr als zentrale Voraussetzung für den
schulischen Lernerfolg (Art. 116).
1) Die Arbeit der Lernenden wird ins Zentrum gestellt, und damit wird ihre Fähigkeit,
sich im Lernfeld zu orientieren, zum Ausgangspunkt der sprachlichen und kognitiven
Aktivitäten im Unterricht gemacht.
2) Die Aufgabe, Verständnis über die Sache zu erreichen, wird in die soziale Sphäre
verlagert und ist mit dem Auftrag an die Lernenden verbunden, sich über die Sache
zu verständigen; sprachliches Lernen und Wissenserwerb werden damit als kommuni-
kative und kooperative Praxis im Unterricht verankert.
Weitere theoretische, empirische und didaktische Differenzierungen, die auf diesen
Grundlagen aufbauen, zählen zu den zentralen Aufgaben der gegenwärtigen Forschung
im Bereich der Textkompetenz und des Lernens in der Zweitsprache ⫺ ausgehend davon,
dass eine gezielte Förderung der Textkompetenz wesentlich dazu beitragen kann, den
Schulerfolg und die Bildungschancen von Zweitsprachenlernenden zu erhöhen.
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1. Problemauriss
Interkulturelle Erziehung bezeichnet pädagogische Ansätze, die von der Notwendigkeit
und Chance gemeinsamer Bildung von Kindern unterschiedlicher ethnischer, sprachli-
cher, sozialer, kultureller und religiöser Herkunft ausgehen, Heterogenität also als gegen-
seitige Lernchance verstehen, von der alle Betroffenen profitieren. Während sich interkul-
turelle Erziehung vornehmlich in der Schule und in Bildungseinrichtungen des Elemen-
tarbereichs vollzieht, findet interkulturelles Lernen im Sinn eines lebenslangen Lernens
in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens statt.
Interkulturelle Erziehung ist in den vergangenen Jahren häufig als pädagogische Ant-
wort auf das gesellschaftliche Phänomen wachsender Multilingualität und Multikultura-
lität verstanden worden. Neben Beiträgen zu Fragen von (interkultureller) Erziehung
und Bildung unter historischem Aspekt (Ruhloff 2004) sind aus kulturwissenschaftlicher,
gesellschafts- und bildungspolitischer Sicht systematische Grundlagen erarbeitet worden,
die das Verhältnis zwischen Kultur, Politik und (interkultureller) Pädagogik untersucht
haben (Götze und Pommerin 1992; Hamburger 1994).
Aus der Vielfalt wissenschaftlicher Ansätze seien folgende wissenschaftliche Arbeiten
genannt, die eine konsequente Implementierung interkulturellen Lernens als integralen
Bestandteil aller Schulfächer sowie des gesamten Schullebens einforderten, Curricu-
lumentwicklungen und fachdidaktische Entscheidungen zu Gunsten interkulturellen
Lernens begründeten (vgl. dazu Reich, Holzbrecher und Roth 2000); bildungspolitische
Diskussionen auf Anti-Rassismus- und Friedenserziehung bzw. Umgang mit Frem-
denfeindlichkeit entfachten (Essinger und Uçar 1993), die Implementierung der „euro-
päischen Dimension“ (Luchtenberg und Nieke 1994) und Mehrsprachigkeit statt der
Fortsetzung eines „monolingualen Habitus“ einforderten (Gogolin 1994; Krumm 2009),
interkulturelle, kommunikative Kompetenz bzw. sprachliche Bildung als Schlüsselquali-
fikation und grundlegende Zielsetzung jeglicher interkultureller Erziehung (Luchtenberg
1999; Krüger-Potratz 2005) oder Handlungsorientierung im Rahmen interkultureller
Projektarbeit als angemessenes didaktisches Prinzip auswiesen (Pommerin 1996). Empiri-
sche Untersuchungen etwa zum Integrationsverhalten Heranwachsender mit Migrations-
hintergrund, ihrem Sprachverhalten, Fallstudien zum Umgang von Schulen mit Multi-
kulturalität oder zu Fragen des interkulturellen und interreligiösen Lernens wurden vor-
wiegend in den 1990er Jahren und Anfang 2000 durchgeführt (Kupfer-Schreiner 1994;
Auernheimer et al. 1996; Fischer et al. 1996; Fürstenau, Gogolin und Yagmur (Hg.)
2003).
125. Interkulturelle Erziehung 1139
2. Historischer Rückblick
Aus der Retrospektive zeichnen sich drei große Linien ab, die teilweise parallel zueinan-
der in verschiedenen Bundesländern existierten (vgl. auch Art. 6):
⫺ In den 1950er und 1960er Jahren wurden „Ausländer“ ⫺ zunächst aus Italien und
Spanien und später aus Griechenland und der Türkei ⫺ als „Gastarbeiter“ angewor-
ben. Ohne besondere Fördermaßnahmen wurden deren Kinder in Regelklassen „in-
tegriert“. Ihre Herkunftskultur und ihre muttersprachlichen Ressourcen wurden in
diesen Kompensationsprogrammen nicht nur nicht genutzt, sondern systematisch
ausgeblendet. Die Folgen dieser gescheiterten „Ausländerpolitik“ sind bekannterma-
ßen katastrophal: eine hohe Zahl von Schulabgängern ohne qualifizierten Schulab-
schluss, ein hoher Anteil an „Sonderschülern“, Semilinguismus und Kulturverlust.
⫺ Aufgrund vehementer Kritik an der herrschenden Bildungspraxis der 1960er und
1970er Jahre wurden auf Drängen der ausländischen Eltern, der Ausländerbeiräte
und WissenschaftlerInnen Konzepte des bilingualen Lernens entwickelt, die von der
Hypothese ausgingen, dass Kinder aus Migrantenfamilien erst dann die Zweitsprache
Deutsch erfolgreich lernen können, wenn sie ihre Muttersprache nicht nur auf dem
Niveau alltagssprachlicher Kommunikation beherrschen, sondern sich auch auf einem
hohen Niveau von Schul- und Fachsprachen sicher bewegen können. Es war zweifel-
los ein großer Verdienst der bilingualen Programme, die Muttersprachen der Kinder
systematisch weiter zu entwickeln und ihre kulturellen Wurzeln im Unterricht zu be-
rücksichtigen. Die einseitige Konzentration auf die Herkunftssprachen der Kinder
und ihren Migrationshintergrund ohne nennenswerte Anbindung an die peer group
der Mehrheitsbevölkerung, der Verzicht auf einen gemeinsamen Unterricht in allen
Fächern ohne gezielte Fördermaßnahmen in der Zielsprache Deutsch verhinderte aber
gerade das, was die Befürworter des Ansatzes intendierten, nämlich die Ausbildung
einer ausbalancierten Bilingualität. Stattdessen erfolgten Segregation und Rückzug in
den „Schonraum“ der eigenen Ethnie.
⫺ Als Antwort auf die gescheiterte Assimilationspolitik bzw. Ausländerpädagogik, aber
auch die Segregationspolitik der späten 1970er und 1980er Jahre wurden Konzepte
der interkulturellen Erziehung entwickelt (Pommerin u. a. 1996).
Konstitutive Merkmale interkultureller Erziehung waren:
⫺ Anti-Rassismus bzw. Friedenserziehung
⫺ Respekt vor dem Fremden bzw. Neugier auf das Fremde
⫺ Betonung von Gemeinsamkeiten und Ausgleichen der Differenzen
⫺ Förderung von Mehrsprachigkeit
⫺ Individualisierung des Unterrichts durch offene Lernstrukturen und Handlungs-
orientierung
⫺ Einbezug von Stadtteilarbeit bzw. community education als „Ernstfall des Lernens“
⫺ Neuorientierung der Lehrerrolle und Autonomie der Schule.
lität oder Hybridkultur: Verhält es sich tatsächlich so, dass sich die Multikulturalität ⫺
nach Ansicht der Rechtswissenschaftlerin Seyran Ates ⫺ als folgenschwerer Irrtum mit
verhängnisvollen Folgen für unsere Gesellschaft erwiesen hat, weil Multikulturalität die
realen Konflikte einer pluralen Gesellschaft verharmlost? Insbesondere bezichtigt sie die
„Multikultis“, die Augen vor Zwangsheirat, Ehrenmord oder Rückzug in die eigene Eth-
nie zu verschließen. Unverbindliche Toleranz, die in Wirklichkeit Gleichgültigkeit über-
spiele, ermögliche erst, dass eine demokratische Grundordnung unterhöhlt werden könne
und Parallelgesellschaften entstehen (Ates 2007: 92). Dennoch brauche unsere Gesell-
schaft, so die Autorin, eine effiziente interkulturelle Erziehung (Ates 2007: 1).
Kritik am Multikulturalismus-Konzept und an interkultureller Erziehung erfolgt auch
aus der Sicht der transkulturellen Pädagogik. Multikulturalität würde, so ihre Vertreter,
in der Vorstellung verharren, unverändert vom „Eigenen“ und „Fremden“ auszugehen,
statt den Topos des „fließenden Dazwischen“ ins Blickfeld zu nehmen, Kulturen als
monolithische Blöcke wahrzunehmen statt Mischungen und Überlagerungen, die sich in
einem ständigen Wandel befinden (Welsch 1997; Göhlich et al. 2006). Dass sich hetero-
gene, kulturelle Inhalte in einem Nebeneinander drängen, kulturelle Räume sich durch-
dringen und überlagern, die Kulturen implodieren oder, wie es der Philosoph Byung-
Chul Han in seiner postmodernen Kulturtheorie formuliert ⫺ zu „structangles“ formie-
ren, stellt weder ein Novum dar noch einen Gegensatz zur Multikulturalität, die sich seit
langem von einem statischen Kulturverständnis verabschiedet hat.
Dieses „fließende Dazwischen“ ist ein Lebensgefühl, das vor allem die Dritte und
Vierte Generation prägt. Nach Aussagen von Betroffenen löst es ambivalente Gefühle
aus, da sie sowohl in Deutschland als auch in der Heimat ihrer Grosseltern als Fremde
wahrgenommen werden. Allerdings berge ein Leben in Übergängen auch ungeahnte
Chancen: Die fließenden Übergänge kultureller Anteile und mehrsprachiger Identitäten
eröffneten auch die Perspektive größerer Flexibilität. Schriftsteller, wie etwa Alev Teki-
nay, Trojanow oder José F. A. Oliver haben das Potenzial einer „gemischten Identität“
bereits in den 1980er Jahren keineswegs nur als Wurzellosigkeit, sondern als „kulturelles
Kapital“ und Durchbrechen starrer Systeme und Sehgewohnheiten erlebt. Aus der Viel-
falt von Topographien, Sprachen und „Heimaten“, literarischen Vorbildern und eigener
schöpferischer Kraft gelangten sie zu ihrer persönlichen unverwechselbaren Sprache (Oli-
ver3 1988: 127; Pommerin-Götze 2009: 365⫺369).
Der Hypothese eines Aufgebens von Alterität wurde allerdings heftig widersprochen:
Die Ignoranz von Differenz führt zu einer fatalen Fehleinschätzung der Realität durch
eine postmoderne Transkulturalität oder Hybridkultur. So gelangt etwa der Amerikanist
Helmbrecht Breinig zu dem Schluss, an ein Verschwinden der „Eigen-Fremd-Differenz“
sei nicht zu denken; im Gegenteil, „back to the roots“ sei ein kultureller Trend, den wir
als Gegenentwurf zur Globalisierung überall auf der Welt antreffen, wenn es um das
kulturelle Überleben ethnischer Minderheiten gehe (Breinig 2006: 69⫺82).
Wenn alle Grenzen fließend sind, sich weder in gesellschaftlichen Systemen oder Sub-
systemen markante Besonderheiten feststellen lassen, also alles zur „méttissage culturel“
wird und auch die Identitäten von Individuen in den verschiedenen Kulturen nur noch
als patchwork-Identität existieren, dann erübrigt sich auch jegliche Diskussion um kultu-
relle, soziale und ethische Werte. „Dieser zentrale Gedanke eines Kulturbegriffs der Wert-
orientierung und Normalität fehlt durchgängig in allen postmodernen Kulturtheorien“
so Götze, „seien sie nun der Hybridität, dem Multikulturalismus, der Hyperkultur oder
der Transkulturalität verpflichtet (Götze 2009: 6⫺7).
125. Interkulturelle Erziehung 1141
5. Literatur in Auswahl
Ates, Seyran
3
2007 Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. Berlin: Ull-
stein.
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1996 Interkulturelle Erziehung im Schulalltag. Fallstudien zum Umgang von Schulen mit multi-
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Breinig, Helmbrecht
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Fischer, Dietlind, Peter Schreiner, Götz Doyé und Christoph T. Scheilke
1996 Auf dem Weg zur internationalen Schule. Fallstudien zur Situation interkulturellen und inter-
religiösen Lernens. Münster/New York: Waxmann.
Fürstenau, Sara, Ingrid Gogolin und Kutlay Yagmur (Hg.)
2003 Mehrsprachigkeit in Hamburg. Ergebnisse einer Spracherhebung an den Grundschulen.
Münster/New York: Waxmann.
Göhlich, Michael, Hans-Walter Leonhard, Eckart Liebau und Jörg Zirfas (Hg.)
2006 Transkulturalität und Pädagogik. Interdisziplinäre Annäherungen an ein kulturwissenschaft-
liches Konzept und seine pädagogische Relevanz. Weinheim/München: Juventa.
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Götze, Lutz
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Krüger-Potratz, Marianne
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1144 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
Krumm, Hans-Jürgen
2009 Bunt ist besser als nur deutsch. Mehrsprachigkeit und europäische Identität. In: Thomas
Grimm und Elisabeth Venohr (Hg.), Immer ist es Sprache. Mehrsprachigkeit ⫺ Intertextu-
alität ⫺ Kulturkontrast. Festschrift für Lutz Götze zum 65. Geburtstag, 165⫺184. Frank-
furt a. M.: Peter Lang.
Kupfer-Schreiner, Claudia
1994 Sprachdidaktik und Sprachentwicklung im Rahmen interkultureller Erziehung. Das Nürn-
berger Modell; ein Beitrag gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Weinheim: Deut-
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Luchtenberg, Sigrid und Wolfgang Nieke (Hg.)
1994 Interkulturelle Pädagogik und Europäische Dimension. Herausforderungen für Bildungssys-
tem und Erziehungswissenschaft. Festschrift für Manfred Hohmann. Münster/New York:
Waxmann.
Luchtenberg, Sigrid
1999 Interkulturelle Kommunikative Kompetenz. Kommunikationsfelder in Schule und Gesell-
schaft. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Oliver, José F. A.
3
1988 Lyrik für die zweite Generation. In: Gino Chiellino (Hg.), Die Reise hält an. Ausländische
Künstler in der Bundesrepublik, 126⫺138. München: Beck
Pommerin, Gabriele unter Mitarbeit von Claudia Kupfer-Schreiner, Stefanie Lamprecht, Ulla
Meyer, Iris Schloss, Ibrahim Akman, Johann Mayr und Hans-Martin Quiz
1996 Kreatives Schreiben. Handbuch für den deutschen und interkulturellen Sprachunterricht in
den Klassen 1⫺10. Weinheim und Basel: Beltz.
Pommerin-Götze, Gabriele
2001 Interkulturelles Lernen. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gerd Henrici und Hans-Jürgen
Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch, 673⫺985. Bd. 2.
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de Gruyter.
Pommerin-Götze, Gabriele
2005 Zur Bildungssituation Jugendlicher mit Migrationshintergrund. In: Volker Frederking,
Hartmut Heller und Annette Scheunpflug (Hg.), Nach PISA. Konsequenzen für Schule
und Lehrerbildung nach zwei Studien, 143⫺162. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen-
schaften.
Pommerin-Götze, Gabriele
2009 Einladung zum literarischen Streifzug. Literatur der Fremde an ausgewählten Beispielen.
In: Thomas Grimm und Elisabeth Venohr (Hg.), Immer ist es Sprache. Mehrsprachig-
keit ⫺ Intertextualität ⫺ Kulturkontrast. Festschrift für Lutz Götze zum 65. Geburtstag,
365⫺382. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Reich, Hans H., Alfred Holzbrecher und Hans-Joachim Roth (Hg.)
2000 Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch. Opladen: Leske ⫹ Budrich.
Ruhloff, Jörg
2004 Humanismus, humanistische Bildung. In: Dietrich Benner und Jürgen Oelkers (Hg.), His-
torisches Wörterbuch der Pädagogik, 443⫺454. Weinheim/Basel: Beltz.
Taylor, Charles
1993 Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Welsch, Wolfgang
1997 Transkulturalität. Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen. In: Irmela Schneider
und Christian W. Thomsen (Hg.), Hybridkultur, 67⫺90. Köln: Wienand.
Tab. 126.1.
Ökonomische Didaktische Vermittlungsmethodik
Entwicklung Grundlagen
80er Nationalökonomien, Fachsprachlich und Fachwortschatzorientierung
Jahre Import⫺Export formorientierter und Handelskorrespondenz
Paradigma Fremdsprachen-
unterricht
90er Europäischer Binnen- Verbindung von Pragmatisch angereicherte
Jahre markt, Entwicklung der Formorientierung und oder bestimmte
„new economy“, Pragmatik, Zertifikat Wirtschaftsdeutschkurse
medial beschleunigte Deutsch für den Beruf
Kommunikation (1995)
Gegenwart Globalisierte und Europäischer Individualisierte, bedarfs-
regional-komplementäre Referenzrahmen, basierte Trainingsformen
Produktion und Aufgaben- und und Kursdesigns,
netzbasierte Interaktion Bedarfsorientierung Qualitätsmanagement
Die drei Formen unterscheiden sich in Bezug auf Inhalte, Motivation, Ziele und Rah-
menbedingungen des Unterrichts erheblich. Im berufsvorbereitenden Unterricht sind die
fachsprachlichen Anforderungen flach und in Bezug auf unterschiedliche Berufsfelder
polyvalent zu halten, da subjektive, arbeitsmarktbedingte und technologische Verände-
rungen auch sprachliche Anforderungsprofile rasch verändern. Die Lernzielplanung hat
zudem zu berücksichtigen, dass sich berufliche Sprachverwendung stärker als in der Ver-
gangenheit in mündlicher und informell-schriftlicher Kommunikation manifestiert. Der
GeR kann als Instrument zur differenzierten Planung und Beschreibung der fremd-
sprachlichen berufsbezogenen Handlungskompetenz dienen, da er sowohl in den Kann-
Beschreibungen Bezug auf die Verwendung der Fremdsprache in der Arbeitswelt nimmt
als auch den beruflichen Bereich zu den Lebensbereichen (Domänen) zählt, in denen
Sprache im Kontext sozialer Situationen verwendet wird (GeR, 4.1.1). In der Broschüre
„Arbeitsplatz Europa“ ist, basierend auf den Kann-Beschreibungen des GeR, niveauspe-
zifisch ausgeführt, welche Sprachhandlungen auf den einzelnen Niveaustufen und in ein-
zelnen Fertigkeitsbereichen von beruflicher Relevanz sind (DIHK u. a. 2007).
Für den Unterricht mit Sprachanfängern stellen ein sprachhandlungsbezogenes Trai-
ning, ein kultursensibler und lernerzentrierter kommunikativer Unterricht mit abwechs-
lungsreichen Arbeits- und Sozialformen die beste Grundlage für die Kommunikation in
beruflichen Kontexten dar. Darüber hinaus können eine Reihe konkreter curricularer
Gestaltungsmerkmale der beruflichen Motivation von Deutschlernern vom A1-Niveau
an Rechnung tragen:
⫺ das Einbeziehen beruflicher Themen und Szenarien in die Sprachhandlungsplanung
auf allen Stufen,
⫺ die bewusste Vermittlung von Arbeitstechniken und Lernstrategien von besonderer
beruflicher Relevanz, z. B. Umgang mit authentischen Texten, neuen Medien und gro-
ßen Mengen neuen Wortschatzes,
⫺ die Thematisierung eines beruflich frequenten, fachlich polyvalenten grundlegenden
Wortschatzes schon im Anfangsunterricht.
1148 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
4.1. Wortschatz
in allen Berufsfeldern in hoher Frequenz und vielen Varianten vertreten. Angesichts der
Wortschatzmengen sind zudem die Wortbildungsregeln (rezeptiv) Gegenstand der syste-
matischen Wortschatzarbeit (Ohm, Kuhn und Funk 2007).
4.2. Grammatik
Das Bewusstmachen einzelner Strukturen ist nur sinnvoll, wenn die Kenntnis einer
Struktur bei der Bewältigung eines beruflich-kommunikativen Handlungszusammen-
hangs nützt, wenn Strukturen und Regeln in beruflichen Texten und Verwendungszusam-
menhängen hoch frequent und breit anwendbar sind. Auf der Textebene stehen alle For-
men pronominaler Referenz, berufstypischer Textstrukturen und der Bereich der Kon-
nektoren im Mittelpunkt. Je nach kommunikativer Aufgabenstellung können darüber
hinaus jene Strukturen, die der Präzisierung, der Verkürzung, der Generalisierung und
der Differenzierung dienen, thematisiert werden.
6. Literatur in Auswahl
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Cambridge University Press.
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ERFA-Wirtschaft-Sprache
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http://erfa-wirtschaft-sprache.de/index.php/ [15. 12. 2009].
126. Berufsorientierter Deutschunterricht 1151
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Langenscheidt.
Goethe-Institut und DIHT
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Kuhn, Christina
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Mourlhon-Dallies, Florence
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Ohm, Udo; Christina Kuhn und Hermann Funk
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Schöpper-Grabe, Sigrid und Reinhold Weiss,
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Weber, Hartmut; Monika Becker und Barbara Laue
2000 Fremdsprachen im Beruf. Diskursorientierte Bedarfsanalysen und ihre Didaktisierung.
Aachen: Shaker.
Wilberg, Peter
2002 One to One. A Teacher’s Handbook. Boston: Heinle.
127. Motivierung
1. Einleitung
2. Ansätze in der L2-Motivationsforschung
3. Von der Einsicht in die Motivationsstruktur zur Motivierung von Lernenden
4. Literatur in Auswahl
1. Einleitung
Motivation ist zweifellos einer derjenigen Faktoren, dem die Fremdsprachendidaktik und
fast alle Lehrenden gleichermaßen großen Einfluss wie auch das größte Interventionspo-
tential (durch motivierenden Unterricht) zuweisen. Ansichten wie die, dass die (Lern)-
Motivation von Fremdsprachenlernenden über die Gestaltung des Unterrichts verbesser-
bar ist, indem z. B. gezielt Unterrichtsformen, -inhalte und -materialien an die Lernenden
angepasst werden, sind von jeher Teil der Fremdsprachendidaktik. In einer Steigerung
der Motivation werden Chancen für verbesserte und schnellere Lernergebnisse gesehen.
Unterrichtsmodelle, die sich möglichst nah an Beweggründen von Lernenden für das
Fremdsprachenlernen orientieren, gelten dabei als besonders erfolgversprechend ⫺ sie
sind aber gleichzeitig auch besonders aufwendig, da nicht davon auszugehen ist, dass
Motivierungsstrategien universell wirksam sind, weil die Motiv-/Motivationsstruktur von
Lernenden individuell geprägt ist.
Im Rahmen des bis in die 1990er Jahre vorherrschenden und bis heute prominenten
socio-educational model (vgl. exemplarisch Gardner 1985) wird die Relevanz von (positi-
ven) Einstellungen von Lernenden zur L2 und zur damit verbundenen Kultur sowie
von Orientierungen, die sich auf die Hauptbeweggründe und langfristigen Ziele zum
127. Motivierung 1153
Motivation und Motivationsintensität werden auch dadurch geprägt, dass der Anreiz
zum Lernen entweder vom Lernenden selbst ausgeht oder von außen kommt. Die Selbst-
bestimmungstheorie, die erst seit den 1990er Jahren in der Fremdsprachenforschung Be-
rücksichtigung findet, differenziert zwischen intrinsischen und extrinsischen Verhaltensre-
gulationen von Lernenden und bildet diese innerhalb eines Kontinuums zu-/abnehmen-
der Selbstbestimmung ab (vgl. exemplarisch Noels et al. 2000). Während intrinsisch
motivierte Lernende aus innerem Bedürfnis (Neugier, Selbstverwirklichung, Vergnügen)
eine Zielsprache lernen, benötigen extrinsisch motivierte Lernende Anreize, die außer-
halb der Lernaufgabe liegen. Vier Formen extrinsischer Verhaltensregulation werden un-
terschieden, die durch zunehmende Selbstbestimmtheit charakterisiert sind: (a) externale
Regulation (Konflikte sollen vermieden und Anerkennung gewonnen werden); (b) intro-
jizierte Regulation (Handeln folgt äußerem Druck und wird aus Pflichtgefühl erledigt);
(c) identifizierte Regulation (der Wert einer Lernaktivität wird erkannt und zum eigenen
Nutzen erledigt); (d) integrierte Regulation (die Lernaktivität ist als Ausdruck eines indi-
viduellen Bedürfnisses akzeptiert).
Dass Erfolg nicht nur die Folge motivierten Verhaltens ist, sondern selbst auch das wei-
tere Lernen durch gesteigerte Motivation befördern kann, ist spätestens seit den 1980er
Jahren auch für das Fremdsprachenlernen nachgewiesen. Warum und welche Erfolgser-
lebnisse hierfür wichtig sind, ist Untersuchungsgegenstand der Attributionstheorie, die
Selbstkonzepte von Lernenden in Bezug auf ihre Wahrnehmung von Lernerfolgen/-miss-
erfolgen (z. B. Selbstwirksamkeit, Kontrollüberzeugungen, gelernte Hilflosigkeit) ins
Zentrum rückt. Danach können Erfolgserlebnisse die Motivation verstärken, Misserfolgs-
erlebnisse sie schwächen. Erfolgserlebnisse wirken dann nachhaltig motivierend auf Ler-
nende, wenn diese den Erfolg auf ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Handeln
1154 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
zurückführen können. Haben Lernende regelmäßig den Eindruck, durch ihr Handeln
nichts bewirken zu können, kann dies ein negatives Selbstbild verstärken und die Motiva-
tion nachhaltig beschädigen (vgl. exemplarisch Williams, Burden und Al-Baharna 2001).
Anhand der Fülle der vorhandenen, auch kontrovers diskutierten theoretischen Ansätze
(vgl. auch Art. 97), Komponenten und Prozesse in Bezug auf die L2-Motivation wird
deutlich, dass hieraus nicht unmittelbar Konsequenzen für die Praxis des Fremd- und
Zweitsprachenunterrichts hervorgehen können in der Form, dass das motivierende Po-
tential spezifischer Lernarrangements, -materialien und Lehrtechniken generell prognos-
tiziert werden könnte. Ganz im Gegenteil: Einsicht in die Komplexität, Dynamik und
Individualität des Faktors Motivation muss sich in der allgemeinen Erwartung von Leh-
renden (aber auch von Lernenden) spiegeln, dass Motivierungsstrategien in unterschiedli-
chen Lernkontexten ganz unterschiedliche Auswirkungen (und Nebenwirkungen) haben
können. Für jede Lernergruppe sind ⫺ jeweils neu ⫺ Lernervoraussetzungen, Motive
und Variablen der Willensbildungsprozesse zu beobachten und z. B. auf der Basis gemein-
samer Unterrichtsreflexionen zu diagnostizieren.
Lernende handeln auf der Basis individueller Erwartungen und Ziele; motivieren kann
nur, was für den Lerner in klarem Bezug zu seinen Erwartungen, Zielen und auch Be-
dürfnissen steht. Motivierung impliziert also die gezielte Auswahl an den Interessen und
Bedürfnissen ausgerichteter Unterrichtsgegenstände, Materialien, Medien und Lehrtech-
127. Motivierung 1155
niken. Eine weitere Konsequenz aus der L2-Motivationsforschung ist die Unterstützung
der Lernenden bei der Festsetzung realistischer Lernziele (inkl. Zwischenziele) ⫺ gerade
in Bezug auf die spezifische Sprache Deutsch, die in vielen Regionen und auch im Kon-
text Deutsch als Zweitsprache als besonders schwere Sprache gilt. Und dementsprechend
müssen Lernende bei der Reflexion ihrer Lernfortschritte Hilfestellungen erhalten. Lang-
fristige Ziele und Erfolgserwartungen sind regelmäßig mittels zeitnaher Erfahrungen zu
aktualisieren und aufrechtzuerhalten. Lehrende sollen Lernende zu Erfolgserlebnissen
führen, die diese sich selbst zuschreiben und die sie selbst kontrollieren können ⫺ also
Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit der Lernenden stärken. In Kontexten, in denen
extrinsische Motivationen überwiegen, sollten Lernende dabei unterstützt werden (v. a.
in schulischen Pflichtkontexten), Formen stärker selbstbestimmter Lernmotivation zu
entwickeln, das heißt u. a. wahrzunehmen, dass Unterrichtsaktivitäten und Lerngegen-
stände für ihr gegenwärtiges und mutmaßlich ihr zukünftiges Leben von wirklicher Be-
deutung sind. Flankiert durch Maßnahmen, die Lernende dabei unterstützen, ihren eige-
nen Lernertyp besser kennenzulernen und ihr Lernstil-Repertoire wirklich auszuspielen
(und behutsam zu erweitern), implizieren solche Prinzipien eine Lehrhaltung, die Lerner-
autonomie fördert ⫺ auch indem Lernende grundsätzlich in unterrichtliche Entschei-
dungsprozesse involviert werden und wirklich Verantwortung für ihr eigenes Lernen
übertragen bekommen und wahrnehmen.
Allgemeine Motivierungsprinzipien wie die oben genannten sind im Rahmen unter-
schiedlicher Modelle präzisiert worden. Wicke (2004) stellt für den DaF-Unterricht mit
Jugendlichen „zehn einfache Regeln“ auf, die u. a. auch die Notwendigkeit einer gemein-
samen Zielsetzung von Lerngruppen und die Eigenmotivation der Lehrkraft betonen.
DaF-Unterricht muss danach die Vorerfahrungen der Lernenden einbeziehen und an
vorhandenen Lernmotivationen anknüpfen. Die Lernenden sollen von Themen, Texten
und Aufgaben wirklich betroffen sein, sie müssen für die Lernenden relevant sein. Ler-
nende müssen so oft wie möglich Gelegenheit zur Anwendung des bereits Erlernten er-
halten (möglichst durch Verwendung authentischer Sprache auch in zielsprachlicher Um-
gebung), um dadurch auch Rückmeldung über ihren (erfolgreichen) individuellen Lern-
stand zu erhalten. Lehrer müssen Neugier und Interesse wecken und diese nicht einfach
voraussetzen. Auch sollen sie durch angemessenes Feedback das Selbstvertrauen der Ler-
nenden stärken und sie davon überzeugen, dass Lernen auch soziales Lernen ist (vgl.
Wicke 2004: 15⫺16). Die zentrale Rolle der Lehrkraft, ihrer Vorgehensweisen sowie ihrer
Haltung für den Motivationsprozess heben ebenfalls Apelt (1996), Düwell (1998) sowie
Dörnyei und Csizér (1998) hervor. Der bis heute am weitesten ausgearbeitete Vorschlag
stammt von Dörnyei (2001), der insgesamt 35 (weiter unterteilte) Motivierungsstrategien
unterscheidet, die Maßnahmen vorsehen zur (a) Herstellung grundlegender motivationa-
ler Bedingungen (z. B. unterstützende Unterrichtsatmosphäre, gute Gruppendynamik);
(b) Entfaltung der Ausgangsmotivation (z. B. Verbesserung der Zielorientiertheit der Ler-
nenden, Anpassung von Lehrmaterialien); (c) Aufrechterhaltung der Motivation im wei-
teren Lernverlauf (z. B. motivierende Präsentation von Aufgaben, Lernerautonomieför-
derung); sowie zur (d) (positiven) Selbstevaluation der Lernenden (z. B. Verstärkung mo-
tivierender Attributionen, angepasste Feedbackverfahren).
Maßnahmen zur Motivierung von Lernenden sind nur sehr eingeschränkt planbar,
insbesondere was die Prognose von Konsequenzen und Nebenwirkungen betrifft. Bereits
Solmecke (1983) hat mit seinem Motivations-Handlungsmodell verdeutlicht, dass eine
Maßnahme zur Motivierung einer Gruppe immer auf unterschiedliche Fähigkeiten, Hal-
1156 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
4. Literatur in Auswahl
Apelt, Walter
1996 Motivation und Fremdsprachenunterricht ⫺ Bilanz und Ausblick. Fremdsprachenunter-
richt 40: 81⫺89, 166⫺171.
Clément, Richard and Bastian G. Kruidenier
1983 Orientations in second language acquisition: I. The effects of ethnicity, milieu, and target
language on their emergence. Language Learning 33: 273⫺291.
Dörnyei, Zoltán
2001 Motivational Strategies in the Language Classroom. Cambridge: Cambridge University
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2004 Aktiv und kreativ lernen. Projektorientierte Spracharbeit im Unterricht Deutsch als Fremd-
sprache. Ismaning: Hueber.
128. Lernerautonomie 1157
128. Lernerautonomie
1. Gegenstandsbestimmung
2. Begründung und Bedingungen der Autonomieförderung
3. Anforderungen an Lernende und Lehrende
4. Modellfunktion des Unterrichts
5. Aufgaben
6. Materialien
7. Literatur in Auswahl
1. Gegenstandsbestimmung
Nach Little sind Menschen beim Erfüllen einer bestimmten Aufgabe autonom, wenn
sie diese ohne Unterstützung bewältigen, in anderen Kontexten erworbenes Wissen und
Fähigkeiten auf diese Aufgabe übertragen und flexibel auf die speziellen Bedingungen
und Anforderungen der Aufgabe eingehen können (Little 1999:22). In diesem Sinn ist
Autonomie ein übergeordnetes, langfristiges Entwicklungsziel, das sich nicht auf das Ler-
nen von Sprachen beschränkt, sondern die Entwicklung verschiedenster schulischer und
persönlicher Kompetenzen mit einschließt und über den Rahmen der obligatorischen
Schulzeit hinausweist. Unter Autonomie kann aber auch ein didaktisch-methodischer
Ansatz, eine Fähigkeit, die ein Lernender für das Lernen mitbringt oder ein Prozess, der
gestaltet werden muss, verstanden werden.
Im Bereich der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts existieren drei verschiedene
Interpretationen von Autonomie:
(1) Autonomie in Bezug auf Lernort, -zeit und -rhythmus
(2) Autonomie als Übernahme von Verantwortung für das Lernen
(3) Autonomie als Fähigkeit, eigene Lernprozesse selber zu steuern und zu reflektieren
Unter die erste, technizistische Interpretation von Autonomie im Fremdsprachenunter-
richt fallen Selbstlernprogramme, bei denen die Anwesenheit und die Intervention einer
Lehrperson nicht erforderlich ist, da in den Materialien die notwendigen Anleitungen,
Entscheidungsprozesse und Korrekturhilfen enthalten sind. Im Gegensatz dazu können
die Lernenden in Unterrichtsansätzen, die der zweiten Interpretation von Autonomie
folgen, auf Ziele, Inhalte, Materialien, Vorgehensweisen oder den Unterrichtsablauf Ein-
fluss nehmen. Mit zunehmender Autonomie übernehmen sie immer mehr dieser Entschei-
1158 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
dungen selbst. Bei der dritten Ausprägung von Autonomie kommt die bewusste Refle-
xion über eigene und fremdinitiierte Lernaktivitäten hinzu (Holec 1988: 7⫺9). Nur die
beiden letzten Interpretationen entsprechen der Autonomie im Sinne Littles. Autonomie-
fördernder Unterricht muss es den Lernenden also ermöglichen,
(1) sich im Lehr- und Lerngeschehen zu orientieren
(2) Verantwortung zu übernehmen
(3) über eigene und fremdinitiierte Lern- und Verhaltensweisen zu reflektieren
(Nodari 1994: 39).
Entsprechende unterrichtspraktische Ansätze sind in den 1970er Jahren aus Initiativen
des Europarates hervorgegangen, sie knüpfen aber auch an ältere Ansätze der Reformpä-
dagogik und der Freinet-Pädagogik an. Als Bezugswissenschaften für didaktische Kon-
zepte zur Lernerautonomie gelten die kognitive Psychologie, die Neurowissenschaften
und der Konstruktivismus.
5. Augaben
Autonomiefördernde Aufgaben sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Lernen-
den tatsächlich verschiedene Lernstrategien erproben und ihre eigenen Wege zum Lernen
1160 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
finden können. Genau wie der Unterricht müssen auch Aufgaben in Hinblick auf Ziele,
Vorgehensweisen, mögliche Strategien usw. transparent sein. Eine Lehrperson, die ihre
Lernenden auffordert, einen Text überfliegend zu lesen und einige Fragen dazu zu beant-
worten, schöpft das Lernpotential dieser Aufgabe nicht voll aus. Die Lernenden führen
damit zwar eine spezifische Lesestrategie aus, diese wird aber nicht begründet und als
Lernziel nicht bewusst gemacht. Erst wenn die Lernenden den Sinn und Zweck sowie
auch die Erreichbarkeit der Ziele klar erkennen, setzen sie ihr ganzes Lernpotential ein.
Baurmann (2002: 53) postuliert, dass gute Schreibaufträge eine „milde Form der Beses-
senheit auslösen“. Dieses Postulat gilt auch für autonomiefördernde Aufgaben.
Im Bereich Orientierung im Lerngeschehen kann z. B. durch das Entwickeln einer
Lehrwerksrallye die Aufmerksamkeit der Lernenden auf bestimmte Teile des Lehrwerks
gelenkt werden. Übertragung von Lernverantwortung kann im Rahmen eines Lerntage-
buchs eingeübt werden, in dem die Lernenden eigene Lernziele formulieren. Diese indivi-
duellen Formulierungen können später auch als Hilfsmittel für die Selbsteinschätzung
erzielter Fortschritte dienen. Im Bereich Lerninhalte bietet sich das Erstellenlassen einer
Übungskartei für einen ausgewählten Bereich wie etwa Grammatik an. Wahlangebote,
bei denen die Aufgabenstellung zum Beispiel in der verwendeten Lerntechnik variiert,
bieten den Lernenden Modelle, wie sie einen Lerninhalt unterschiedlich bearbeiten kön-
nen, und erlauben es ihnen, eigene Lernvorlieben zu erproben. Zum Bereich Reflexion
zählen Aufgaben, die die Wahrnehmung für verschiedene Lernweisen schulen oder zu
ihrer Optimierung beitragen. Das kann zum Beispiel geschehen, indem die Lernenden
einander bevorzugte Strategien vorstellen und über deren Effizienz diskutieren (Nodari
1994: 40⫺43, siehe dazu auch Rampillon 2000).
6. Materialien
Gemäß Holec sollen Lernende im Umgang mit Lern- und Lehrmaterialien die Erfahrung
machen können, dass „learning a language does not mean learning material but using
material to learn“ (Holec 1988: 11). Ähnlich wie die Lehrerrolle verschiebt sich auch
die Rolle der Materialien weg von der reinen Instruktion hin zum Hilfsmittel, das den
Lernprozess in Gang bringt oder stützt.
Idealtypisch sollte im Unterricht ausschließlich mit authentischen Materialien gear-
beitet werden. Dies ist zwar denk- und machbar, jedoch kaum realistisch. Lehrwerke
können Lehrpersonen in der Gestaltung eines autonomiefördernden Unterrichts entlas-
ten, wenn sie es den Lernenden einerseits ermöglichen, durch offene Aufgabenformen
schrittweise Verantwortung für verschiedene Lernprozesse zu übernehmen, andererseits
die Reflexion über eigene Lernverhaltensweisen systematisch einzubeziehen und zudem
möglichst authentische Materialien bieten (Nodari 1995: 129). Obschon neuere Lehr-
werke viele Elemente zur Förderung der Lernerautonomie enthalten, scheint das Poten-
tial, insbesondere was die Orientierungsfunktion anbelangt, noch lange nicht ausge-
schöpft.
Der Nutzen von neuen Medien für autonomes Lernen wird allgemein als sehr hoch
eingeschätzt. Insbesondere durch das Internet steht heute eine große Zahl leicht zugängli-
cher, authentischer zielsprachlicher Materialien zur Verfügung. Die neuen Medien sind
aber nicht per se autonomiefördernd. Gerade bei Selbstlernprogrammen auf CD-ROM
128. Lernerautonomie 1161
beschränkt sich die Autonomie häufig auf Aspekte wie die Wahl von Ort, Zeit, Tempo
oder Wiederholungsrate. Oft führen technische Einschränkungen auch zu einer ungünsti-
gen Beschränkung von Übungsformen und Aktivitäten.
Für autonomiefördernden Unterricht sind vor allem Medien geeignet, die für ver-
schiedene Aktivitäten offen sind. Neben den bereits erwähnten authentischen Materialien
gehören dazu verschiedene Softwareprodukte und Internetdienstleistungen, die nicht für
den Sprachunterricht gemacht wurden, aber als Hilfsmittel beim Erstellen von Lernpro-
dukten, als Kommunikationsmittel oder zum Nachschlagen spezifischer Informationen
dienen können (E-Mail-Projekte, Skype-Kontakte, Rechercheaufgaben usw.).
7. Literatur in Auswahl
Baurmann, Jürgen
2002 Schreiben, Überarbeiten, Beurteilen ⫺ ein Arbeitsbuch zur Schreibdidaktik. Seelze: Kall-
meyersche Verlagsbuchhandlung.
Bimmel, Peter und Ute Rampillon
2000 Lernerautonomie und Lernstrategien. Berlin u. a.: Langenscheidt.
Chamot, Anna Uhl
2004 Stand der Forschung zum Einsatz von Lernstrategien im Zweit- und Fremdsprachener-
werb. In: Hans Barkowski und Hermann Funk (Hg.), Lernerautonomie und Fremdspra-
chenunterricht, 10⫺35. Berlin: Cornelsen.
Crabbe, David, Alison Hoffmann and Sara Cotterall
2001 Examining the discourse of learner advisory sessions. AILA Review 15: 2⫺15.
Gremmo, Marie-José and Philip Riley
1995 Autonomy, self-direction and self access in language teaching and learning: The history
of an idea. System 23: 151⫺164.
Holec, Henri
1988 Autonomy and Self-Directed Learning (Education & Culture). Strasbourg: Council of
Europe Press.
Little, David
1995 Learning as dialogue: The dependence of learner autonomy on teacher autonomy. System
23: 175⫺181.
Little, David
1999 Autonomy in second language learning: Some theoretical perspectives and their practical
implications. In: Christoph Edelhoff und Ralf Weskamp (Hg.), Autonomes Fremdspra-
chenlernen, 22⫺35. Ismaning: Hueber.
Neuner-Anfindsen, Stefanie
2005 Fremdsprachenlernen und Lernerautonomie. Sprachlernbewusstsein, Lernprozessorganista-
tion und Lernstrategien zum Wortschatzlernen in Deutsch als Fremdsprache. (Mehrspra-
chigkeit und multiples Sprachenlernen/Multilingualism and Multiple Language Acquisi-
tion and Learning 1). Baltmannsweiler: Schneider.
Nodari, Claudio
1994 Autonomiefördernde Aufgaben im Fremdsprachenunterricht. Versuch einer Typologisie-
rung. Fremdsprache Deutsch 10: 39⫺43.
Nodari, Claudio
1995 Perspektiven einer neuen Lehrwerkkultur. Pädagogische Lehrziele im Fremdsprachenun-
terricht als Problem der Lehrwerkgestaltung (Sprachlandschaft Schweiz). Aarau: Sauer-
länder-Verlag.
1162 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
Rampillon, Ute
2000 Aufgabentypologie zum autonomen Lernen. Ismaning: Hueber.
Weskamp, Ralf
1999 Unterricht im Wandel ⫺ Autonomes Fremdsprachenlernen als Konzept für schülerorien-
tierten Fremdsprachenunterricht. In: Christoph Edelhoff und Ralf Weskamp (Hg.), Auto-
nomes Fremdsprachenlernen, 8⫺19. Ismaning: Hueber.
129. Lernberatung
1. Theoretische Grundlagen
2. Ziele, Funktionen und mögliche Adressaten von Sprachlernberatung
3. Durchführung und mögliche Organisationsformen
4. Literatur in Auswahl
1. Theoretische Grundlagen
Das Konzept der Lernberatung für das Fremdsprachenlernen (Sprachlernberatung)
stützt sich auf folgende unterschiedliche theoretische Ansätze, Wissenschaftsdisziplinen
und Annahmen: So wird davon ausgegangen, dass die Art, wie Menschen Fremdsprachen
lernen, durch eine Vielzahl von individuellen Faktoren beeinflusst wird (vgl. Kap. IX).
Individuelle Lernerfaktoren sind auch innerhalb einer Person als dynamisches Geflecht
zu betrachten; z. B. können Bedarfe und Bedürfnisse, Motivation und Ziele von Fremd-
sprache zu Fremdsprache, chronologisch oder auch lernumgebungsabhängig variieren.
Die Selbstwahrnehmung des Lernenden in seinem gesamten Kontext mit seinen persönli-
chen Eigenschaften, Einstellungen und Sichtweisen ist Grundlage einer Sprachlernbera-
tung.
⫺ In der Diskussion um Lernerautonomie (vgl. Art. 128) wird u. a. davon ausgegangen,
dass Lernende bei der Verarbeitung von Lerninhalten von außen nur eingeschränkt
zu beeinflussen sind. Eine Veränderung der Lehrerrolle hin zur Lernbegleitung und
Lernberatung solle allerdings dazu führen, dass bei Lernenden Reflexionen über den
Lernprozess angeregt werden, damit sie Kontrolle über das eigene Lernen (Steuerung,
Überwachung und Evaluation) ausüben und sich ihren individuellen Voraussetzungen
gemäß weiterentwickeln können. Basierend auf Rückmeldungen aus der Beratungs-
praxis und gestützt auf empirische Untersuchungen (vgl. u. a. Claußen 2009) nutzt
eine (individuelle) Sprachlernberatung die Reflexionen über die internen und externen
Lernerfaktoren direkt, um davon ausgehend mit dem Lernenden gemeinsam ⫺ durch-
aus kleinschrittige ⫺ Lernverfahren und Wege hin zum Nutzen für den Lernprozess
zu erarbeiten.
⫺ Weiterhin berücksichtigt das Konzept der Sprachlernberatung Erkenntnisse aus der
humanistischen Psychologie, z. B. die Einsicht, dass Menschen die Lösung für ihre
129. Lernberatung 1163
Probleme in sich tragen (vgl. z. B. Rogers 1985). Eine strukturierte Beratung kann es
dem Lernenden also ermöglichen, zu einem Verständnis seiner selbst zu gelangen und
auf Grund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen. Noch nicht
völlig geklärt ist die Frage, an welchem Punkt des Beratungsgesprächs vom Sprach-
lernberater basierend auf Fachwissen über Sprachlernprozesse klare Empfehlungen
gegeben werden können/sollten.
⫺ Zurückgegriffen wird für den konkreten Beratungsprozess auf Arbeiten aus der
(Kommunikations-)Psychologie, der allgemeinen pädagogischen Beratung und ent-
sprechende Gesprächstechniken (vgl. u. a. Bachmair et al. 1999; Siebert 2001).
Die genannten Grundlagen werden zum Teil unterschiedlich gewichtet und führen daher
auch zu unterschiedlichen Konzeptionen, Organisationsformen und Durchführungsmög-
lichkeiten, die u. a. von den Bedingungen vor Ort und von den entsprechenden Adressa-
ten beeinflusst sind (vgl. hierzu z. B. die Beiträge in der Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht (Online) 11, 2, 2006; Wehmer 2003). Das hier vertretene Kon-
zept der individuellen Sprachlernberatung wurde zunächst für das Sprachenlernen im
Hochschulkontext entwickelt (vgl. u. a. Mehlhorn 2005). In, neben und außerhalb von
Kursen sollen Lernende in individuellen Beratungssitzungen zur Reflexion ihres Sprach-
lernverhaltens angeregt werden. Als „Experte für die eigene Person“ können sie Verant-
wortung für ihren Sprachlernprozess übernehmen und gemeinsam mit dem Sprachlern-
berater als „dem Fachexperten für das Fremdsprachenlernen“ Möglichkeiten zur Opti-
mierung finden.
Berater bieten dafür individuelle Anleitung, Hilfe und Betreuung an, etwa
⫺ bei der Bewusstmachung der individuellen Voraussetzungen, der jeweiligen persönli-
chen Zusammenhänge und der Entscheidungsbedingungen (z. B. könnten folgende
Überlegungen Ausgangspunkt für weitere Entscheidungen sein: „Ich kann schon ganz
gut Diskussionsbeiträgen folgen, wenn nicht zu schnell gesprochen wird; ich kann mich
noch nicht selbst beteiligen. Vielleicht wage ich es aber auch einfach nicht, weil ich Angst
davor habe mich zu blamieren? [Was heißt für mich eigentlich „blamieren“?] Ich will
zunächst herausfinden, was ich schon spontan äußern kann. Dafür mache ich Folgen-
des: ….“).
⫺ bei der möglichen Passung der gesamten den Lernprozess beeinflussenden Faktoren
mit den eigenen Zielen (z. B.: „Ich habe leider nicht viel Zeit; doch auch ich lerne eine
Sprache nicht im Schlaf, ich muss … tun, wenn ich … können will.“).
⫺ beim Erkennen von Lernschwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten (z. B.: „Ich weiß
überhaupt nicht, wie ich mich auf die Prüfung vorbereiten kann; versucht habe ich schon
Folgendes …. Ich weiß aber nicht mal, wie die Dozentin bei der Bewertung vorgeht.
Vielleicht sollte ich das erst einmal herausfinden.“).
⫺ beim Finden geeigneter Lernwege und -strategien (als mögliche Weiterführung des
obigen Beispiels z. B.: „Ich nehme mir vor die Dozentin zu fragen, worauf sie bei der
Bewertung dieser Prüfung besonderen Wert legt; dann komme ich noch mal, damit wir
1164 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
besprechen können, wie ich mich sinnvoll in der mir verbleibenden Zeit vorbereiten
kann.“).
⫺ beim Finden geeigneter Lernmaterialien und -situationen (z. B. als Ausgangspunkt für
einen Deutschlerner im Ausland: „Ich möchte mich auf einen Praktikumsaufenthalt in
Deutschland vorbereiten; habe schon einen A2-Kurs gemacht und frage mich, wie ich
mich in den verbleibenden zwei Monaten etwas besser darauf vorbereiten kann. Ich habe
mir z. B. Folgendes gedacht … und wollte fragen, ob es vielleicht noch andere Möglich-
keiten gibt.“).
⫺ beim Motivationsaufbau, Aufbau von Selbstwirksamkeit (z. B. als Ausgangspunkt:
„Ich habe das Gefühl, ich lerne überhaupt nichts mehr dazu; ich komme im Kurs immer
gut klar, aber ich sehe keine Fortschritte mehr und verliere langsam die Lust, überhaupt
noch am Kurs teilzunehmen. Ich frage mich, was ich tun kann, um wieder etwas zufriede-
ner mit meinem Sprachenlernen zu sein.“).
⫺ beim konkreten Umsetzen von eigenen Entscheidungen (z. B.: „Ich nehme mir für die
nächste schriftliche Prüfung vor, besonders auf eine klare Argumentation (was heißt das
genau?) zu achten; ich weiß ja, dass das zählt. Ich schreibe mir noch mal die wichtigsten
Strukturierungsmittel auf; die suche ich aus … heraus; und dann versuche ich, schon
mal ein paar einfache Argumentationen auszuprobieren.“).
⫺ beim Erkennen von Lernfortschritten und bei der Evaluation des eigenen Lernens
(z. B.: „Ich nehme mir vor, am Ende der nächsten Woche in Stichpunkten zu notieren,
was ich dann besser kann, auch wenn es nur ein paar Ausdrücke sind, die mir wichtig
sind.“).
Die Erfahrungen aus Beratungen mit erwachsenen Fremdsprachenlernern können nicht
direkt auf das Sprachenlernen im schulischen Kontext übertragen werden (zu einigen
Vorschlägen vgl. z. B. Kleppin und Mehlhorn 2008). Möglicherweise sollte für eine effek-
tive Nutzung von Sprachlernberatung vor allem bei jüngeren Schülern und insbesondere
beim Erlernen der ersten Fremdsprache zunächst im Unterricht z. B. durch eine Integra-
tion von Lernberatungselementen ein gewisser Grad an Lernerautonomie entwickelt wer-
den. Beratungselemente im Unterricht könnten z. B. sein: die Anregung zur Reflexion
interner Bedingungen und Voraussetzungen (z. B. Lernstile, Lernstrategien, Erfahrung
von Selbstwirksamkeit, interne Motive) und Möglichkeiten der Weiterentwicklung (z. B.
Entwicklung geeigneter Lernstrategien); die Auseinandersetzung mit den externen Lern-
bedingungen und -voraussetzungen (z. B. zu erreichende Mindeststandards, vorgegebene
Lernzeiten, -orte, Elternwünsche) und Möglichkeiten des Abbaus von Lernhindernissen
und Motivationsbarrieren; das Setzen eigener Lernziele, die an die Unterrichtssituation
angepasst sind bzw. die außerhalb der Unterrichtssituation realistisch zu erreichen sind;
das Erkennen von eigenen Lernschwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten (z. B. in ange-
leiteten und vom Lehrenden/Beratenden moderierten Gesprächen mit anderen Schülern,
zu solchen Verfahren vgl. z. B. Helmling 2005); das Erkennen von eigenen Lernfortschrit-
ten und der Aufbau von Selbstwirksamkeit u. a. durch das Einbringen von Selbstevalua-
tionsverfahren.
Lernzeit usw.) zusammenzustellen, d. h. die Ausgangsposition zu klären und für das wei-
tere Vorgehen zu motivieren. Bei der Erhebung der Sprachlernbiographie erhält einerseits
der Berater wichtige Informationen über den Lerner, andererseits wird dem Lerner selbst
durch die konkreten Fragen zu seinem bisherigen Lernen selbst möglicherweise schon
vieles bewusst. Das erste Treffen kann darüber hinaus dazu genutzt werden, dem Lerner
die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Beratung aufzuzeigen. Allgemeingültige
Rezepte sind nicht zu erwarten. Bei den folgenden Beratungsgesprächen wird auf kon-
krete Bedürfnisse und Ziele eingegangen, diese werden in Verbindung mit den Lernerfak-
toren und den konkreten Bedingungen gebracht, auf Verbesserungsmöglichkeiten hinge-
wiesen und möglicherweise ein bestimmtes Lernproblem bearbeitet. Dabei können z. B.
Lernerlogbücher, Sprachenportfolios oder eigene Produktionen als Beratungsunterlagen
genutzt werden (vgl. z. B. Gick 2004; Langner 2006). Die letzte Phase dient der abschließ-
enden Evaluation. Dabei kann dem Lerner eventuell bisher Erreichtes vor Augen geführt
und ein positiver Ausblick auf das weitere Vorgehen gegeben werden.
Die einzelnen Beratungsgespräche können weiterhin in Phasen untergliedert werden,
die in einer Sitzung mehrfach und zyklisch durchlaufen werden (zu den einzelnen Phasen
vgl. Brammerts, Calvert und Kleppin 2005).
Die unter 1. schon genannten Gesprächstechniken dienen als Reflexionsanstöße und
Gesprächsimpulse. Dazu gehören z. B. offene Fragen, aktives Zuhören, Spiegeln durch
Beschreiben und Zusammenfassen, Mitteilen von Beobachtungen, vorsichtiges Interpre-
tieren anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse, Herstellen von Verbindungen zwischen
genannten Faktoren, Akzentuieren, Erweitern und Konkretisieren von Lerneraussagen,
vorsichtiges Zuschreiben von Ursachen, Initiieren und Anbieten von möglichen Schluss-
folgerungen, Konfrontieren mit anderen Möglichkeiten und evaluierendes Feedback (vgl.
Culley 1996 und zu konkreten Fragebeispielen für das Fremdsprachenlernen Mehlhorn
2005).
Organisationsformen für Beratungen hängen von unterschiedlichen Gegebenheiten
ab, wie z. B., ob Berater und Lerner sich am gleichen Ort befinden, ob der Berater gleich-
zeitig auch der Lehrer ist, ob der Lerner selbstgesteuert oder in einem Kurs lernt. Prä-
senzformen werden, soweit dies zeitlich und örtlich möglich ist, momentan noch Distanz-
beratungen vorgezogen, da hierbei leichter ein wirklicher Dialog mit allen nonverbalen
Elementen zustande kommen kann. Dies wird sich mit den immer besseren technischen
Möglichkeiten über das Internet audiovisuell zu kommunizieren, möglicherweise noch
verändern (vgl. hierzu z. B. die Beiträge in der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdspra-
chenunterricht (Online) 11. 2. 2006).
Formen der Implementierung von Sprachlernberatung in unterschiedlichen Lernum-
gebungen und für unterschiedliche Adressaten sind sicherlich noch weiter zu entwickeln,
was sich auch auf das Konzept auswirken wird.
4. Literatur in Auswahl
Bachmair, Sabine, Jan Faber, Claudius Henning, Rüdiger Kolb und Wolfgang Willig
1999 Beraten will gelernt sein. Ein praktisches Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. 7.
Auflage. Weinheim: Beltz.
Brammerts, Helmut, Michael Calvert und Karin Kleppin
2005 Ziele und Wege bei der individuellen Lernberatung. In: Helmut Brammerts und Karin
Kleppin (Hg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch, 53⫺60. 2.
Auflage. Tübingen: Stauffenburg.
1166 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
Claußen, Tina
2009 Strategientraining und Lernberatung. Auswirkung auf das Kommunikations- und Lernver-
halten ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen. Tübingen: Stauffenburg.
Culley, Sue
1996 Beratung als Prozeß. Lehrbuch kommunikativer Fertigkeiten. Weinheim: Beltz.
Gick, Cornelia
2004 Einstiege ins Europäische Sprachenportfolio. Einige Ideen aus der Praxis für die Praxis.
Babylonia 46, abrufbar unter: http://www.babylonia-ti.ch/BABY204/PDF/didbeitr46.pdf.
Helmling, Brigitte
2005 Peergruppenarbeit ⫺ Tandems lernen von Tandems. In: Helmut Brammerts und Karin
Kleppin (Hg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch, 83⫺91. 2.
Auflage. Tübingen: Stauffenburg.
Kleppin, Karin und Grit Mehlhorn
2008 Sprachlernberatung im schulischen Kontext. Fremdsprache Deutsch 38: 47⫺51.
Langner, Michael
2006 Dokumente zur Sprachlernberatung. Zur Vorentlastung in Sprach(lern)projekten. Zeit-
schrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 11(2). (Online).
Mehlhorn, Grit (unter Mitarbeit von Karl-Richard Bausch, Tina Claußen, Beate Helbig-Reuter und
Karin Kleppin)
2005 Studienbegleitung für ausländische Studierende an deutschen Hochschulen. Teil I: Handrei-
chungen für Kursleiter zum Studierstrategienkurs. Teil II: Individuelle Lernberatung ⫺ Ein
Leitfaden für die Beratungspraxis. München: iudicium.
Rogers, Carl R.
1985 Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt a. M.: Fischer.
Siebert, Horst
2001 Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. Neuwied: Luchterhand.
Wehmer, Silke
2003 Lernberatung. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.),
Handbuch Fremdsprachenunterricht, 344⫺346. 4., überarbeitete Auflage. Tübingen: Fran-
cke.
Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 11(2).
2006 Themenheft zur Sprachlernberatung. (Online).
130. Augabenorientierung
1. Einleitung
2. Aufgabenorientierung als komplexer Begriff
3. Merkmale von Aufgaben
4. Ergänzungen und Fragen
5. Literatur in Auswahl
1. Einleitung
Aufgabe und aufgabenorientierter Unterricht sind seit einigen Jahren zentrale Themen
einer durchaus kontrovers geführten Diskussion in unterschiedlichen Bereichen der Di-
130. Aufgabenorientierung 1167
daktik. In Bezug auf den Fremdsprachenunterricht verbindet sich mit ihnen der An-
spruch auf eine Erneuerung der unterrichtlichen Verfahren auf dem Stand des heutigen
Wissens zum Spracherwerb und zum Lernen im schulischen Kontext (vgl. Skehan 1998).
Auf der anderen Seite stehen Zweifel an der Neuheit und der Wirksamkeit der mit dem
Ansatz verbundenen Konzepte oder an der Möglichkeit, Aufgabe als Begriff hinreichend
scharf zu definieren und damit das Konzept gegenüber anderen abzugrenzen (vgl. dazu
die Beiträge in Bausch et al. 2006 sowie Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth
2005b).
Die Beschäftigung mit Aufgaben ist nichts Neues; sie begleitet die Fremdsprachendi-
daktik seit jeher. Die aktuelle Ausformung, die diese Auseinandersetzung in der hier
diskutierten Aufgabenorientierung gefunden hat, hat ihre Wurzeln in der angelsächsi-
schen Diskussion, die vor allem mit den Begriffen task und task based language learning
operiert (Nunan 1989, 2004; Willis 1996; Ellis 2003). Je nachdem, wie konsequent die
entsprechenden Verfahren eingesetzt werden, kann man unterscheiden zwischen einem
streng aufgabenbasierten und einem aufgabenorientierten Zugang. Im Folgenden wird
ausschließlich der letztere Begriff verwendet.
Das Konzept der Aufgabenorientierung kann deshalb durchaus als neuer Ansatz (der
in leicht divergierenden Versionen vertreten wird) mit eigenem Profil gelten. Seine Inno-
vationskraft, aber auch seine Brisanz gewinnt er durch die Fokussierung auf die Aufgabe
als Zentrum des didaktischen Denkens, darüber hinaus durch seine Stoßrichtung, die
sich nicht zuletzt in seiner didaktischen Selektivität zeigt: Wesentliche Bausteine des tra-
ditionellen Unterrichts, v. a. die lehrerzentrierte Anlage der Unterrichtsarbeit, sind in
diesem Konzept nicht zu finden oder werden zumindest entscheidend marginalisiert.
Eine Konsequenz aus der spezifischen Konstruktion dieses Ansatzes ist, dass der Be-
griff der Aufgabe nicht ein für alle Mal konkret definiert werden kann. Aufgaben spiegeln
didaktische Konzepte und Überzeugungen wider, mit diesen variieren auch die Kriterien,
nach denen Aufgaben angelegt und beurteilt werden. Als übergreifendes Konzept bleibt
der Ansatz zudem zwangsläufig allgemein, ein Rahmen für die Entwicklung von konkre-
ten Aufgabenstellungen und Curricula.
Aufgaben sind in diesem Konzept Instrumente zur Gestaltung unterrichtlicher Lehr-/
Lernhandlungen, sie sind entscheidend für deren Professionalität und Effizienz. Es mag
Gründe geben, auch das, was sich jemand individuell vornimmt, als eine (selbstgestellte)
Aufgabe zu bezeichnen. Damit ist jedoch das Terrain des Unterrichts verlassen, das für
die hier geführte Diskussion zentral ist.
Wichtige Punkte für die weitere Beschäftigung mit dem Ansatz sind u. a.:
⫺ Aufgaben im oben diskutierten Sinn stehen im Zentrum der Diskussion. In den Über-
legungen der Proponenten dieses Ansatzes spielen zusätzlich auch sog. pre-task- und
post-task-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Ohne die Berücksichtigung von deren Po-
tenzialen ist eine sinnvolle gesamthafte Beurteilung des Ansatzes kaum möglich (vgl.
dazu Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth 2005a).
⫺ Authentizität gehört zu den gewichtigen Forderungen an Aufgaben. Je nachdem, wie
dieser Begriff genau gefasst wird, kann die Beurteilung von Aufgaben höchst unter-
schiedlich ausfallen.
⫺ In den ursprünglichen Versionen des Ansatzes wird der mündliche Sprachgebrauch
und die Förderung der Flüssigkeit in den Vordergrund gestellt. Angesichts der Tradi-
tionen der kontinentalen Sprachdidaktik und der sich entwickelnden Formen einer
literalen Didaktik auch im fremdsprachlichen Bereich wird dieser Aspekt des aufga-
benorientierten Unterrichts sicherlich noch expliziter Bearbeitung bedürfen (vgl. die
Beiträge in Bausch et al. 2007).
⫺ Angesichts der Wichtigkeit, die der Bedeutungsorientierung zugemessen wird, stellt
sich die Frage nach der Möglichkeit strukturierter Arbeit an Grammatik im Rahmen
dieses Ansatzes (dazu auch Willis 1996; Littlewood 2000). Entsprechend wichtig wer-
den anschließbare Zugänge, wie sie etwa in Überlegungen zur Förderung des (schrift-
lichen) Outputs oder zur Formfokussierung (focus on form) zum Ausdruck kommen
(vgl. Swain 1995; Doughty und Williams 1998).
⫺ Ein Problem, das sich in der Entwicklung von Unterrichtsmaterial ergibt, ist die Ver-
folgung übergreifender curricularer Ziele über längere Sequenzen von Aufgaben hin-
weg. Wichtige Impulse liefern hier der Szenario- und Projektansatz (Di Pietro 1987;
Legutke 1991: Kap. 5 und 6; vgl. Art. 131).
⫺ Viele Aspekte des aufgabenorientierten Unterrichts bedürfen empirischer Untersu-
chung. In Ansätzen sind Lernprozesse und Lerneffekte untersucht worden (z. B.
Eckerth 2003).
⫺ Aufgabenorientierung ist als Thema für die Lehrerbildung ein erst in Ansätzen er-
schlossener Bereich.
5. Literatur in Auswahl
Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2006 Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
schung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr.
Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2007 Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-
sprachenunterrichts. Tübingen: Narr.
Di Pietro, Robert J.
1987 Strategic Interaction. Learning Languages through Scenarios. Cambridge: Cambridge Uni-
versity Press.
130. Aufgabenorientierung 1171
131. Projektorientierung
1. Definition
2. Projektunterricht in der Fremdsprachendidaktik
3. Phasen der Projetkarbeit
4. Inhalte
5. Produkte
6. Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse
7. Lerneffekte
8. Literatur in Auswahl
1. Deinition
Die Idee, Unterricht in Form von Projekten zu organisieren, zeichnet sich durch eine
bemerkenswerte Langlebigkeit und Beharrlichkeit aus. Durch John Dewey und William
Heard Kilpatrick (1935) zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Project Method in den päda-
gogischen Diskurs eingeführt, überstand der Projektunterricht alle didaktischen Strö-
mungswechsel der vergangenen Jahrzehnte. Dass seine Attraktivität und Aktualität bis
heute ungebrochen erscheinen, muss zu einem Teil allerdings der Unbestimmtheit des
Begriffes zugeschrieben werden (Oelkers 1997: 22), denn zu keinem Zeitpunkt seiner
langen Geschichte gab es eine einheitliche Theorie des Projektunterrichts.
Ein weitgehender Konsens besteht jedoch darüber, Projekte als zeitlich begrenzte und
auf ein bestimmtes Ziel oder Produkt gerichtete Unternehmungen im Rahmen von insti-
tutionalisierten Lehr- und Lernprozessen zu verstehen, bei denen die selbständige Aktivi-
tät der Lernenden eine herausgehobene Rolle spielt. Grundlegend ist dabei die Annahme,
dass das Lernen durch eine handelnde, verschiedene Fertigkeiten integrierende Auseinan-
dersetzung mit komplexen Situationen begünstigt wird. Die praktische Erfahrung, ge-
wonnen in eigenverantwortlich gestalteten Problemlösungs- oder Aushandlungsprozes-
sen, bildet daher den Dreh- und Angelpunkt von Unterrichtsprojekten.
Freys (2007) Modell einer „Projektmethode“ stellt zweifellos den bekanntesten Versuch
im deutschsprachigen Raum dar, den Projektunterricht in einzelne Phasen aufzugliedern
und damit Lehrenden ein Planungswerkzeug an die Hand zu geben. Der Projektunter-
richt wird bei Frey zu einem Algorithmus, der sich scheinbar losgelöst von Zielen und
Inhalten anwenden lässt. Speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelte Stoller
(2002: 112) ein sehr ähnliches Modell in 10 Stufen: 1. Thema verabreden; 2. Zielsetzung
1174 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
4. Inhalte
Einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt für eine Systematisierung bietet die Frage nach
der inhaltlichen Gestaltung eines Projekts. Anhand dieses Kriteriums werden zum Bei-
spiel Textprojekte (Erstellen einer Kurs-Homepage, globale Simulationen, u. ä.), Korres-
pondenzprojekte (z. B. E-Mail-Partnerschaften), Umfrageprojekte oder Begegnungspro-
jekte (z. B. das „Airport-Projekt“ von Legutke 2006, bei dem Schülerinnen und Schüler
auf dem Flughafen in Frankfurt Interviews auf Englisch mit Passagieren führen) vonei-
nander unterschieden. Eine Typologie, die allerdings nur bedingt überzeugen kann, denn
die gebildeten Kategorien sind keineswegs trennscharf. Je nach Thema und Zielsetzung
bringt die Praxis eher diverse Mischformen dieser Projekttypen hervor.
5. Produkte
Zu den umstrittenen Punkten in den Debatten um den Projektunterricht zählt die Frage,
ob als Ergebnis ein materielles Produkt angestrebt werden sollte. Das betrifft insbeson-
dere den Fremdsprachenunterricht, vollzieht sich das Lernen dort doch vor allem über
kommunikative Prozesse, in denen Situationen gemeinsam gedeutet und ausgehandelt
werden. Die daraus resultierenden Einsichten oder Verhaltensänderungen lassen sich
aber weit schwieriger dokumentieren als handwerkliche Tätigkeiten. Es erscheint somit
folgerichtig, dass Stoller (2002: 111) auch Aufführungen (z. B. Theaterstücke), Veranstal-
tungen (z. B. Diskussionsrunden) oder organisatorische Strukturen (z. B. den Aufbau ei-
nes Austauschprogramms) als mögliche „Produkte“ der Projektarbeit im Fremdspra-
chenunterricht betrachtet.
7. Lerneekte
Dieser Aspekt führt zum neuralgischen Punkt des Projektunterrichts, denn der Vielzahl
an theoretischen Überlegungen und Erfahrungsberichten steht nur eine verschwindend
geringe Zahl empirischer Untersuchungen gegenüber. Die mit dieser Unterrichtsform
verknüpften positiven Lerneffekte tragen daher häufig hypothetischen Charakter.
Mit ihrem Project Framework unternehmen Beckett und Slater (2005) den Versuch,
die potenziellen Lerneffekte von Projektunterricht aus der Perspektive der Beteiligten
mit Hilfe eines Evaluationsbogens systematisch darzustellen. Und in einer Fallstudie ma-
chen sie deutlich, dass dieses Modell ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Planung und
Reflexion von Projekten darstellen kann. Um zu umfassenden Aussagen über die Lern-
prozesse im Projektunterricht zu kommen, sind jedoch weitaus komplexere Untersu-
chungsdesigns notwendig, an denen nach wie vor Mangel besteht.
Die Erkenntnisse, die aus den wenigen empirische Forschungen zu diesem Thema
bisher hervorgegangen sind, lassen es angebracht erscheinen, den Projektunterricht nicht
mit überhöhten Erwartungen zu belasten. Mit Blick auf die Lehrenden zeigen diese
Studien (Schart 2003, vgl. auch Beckett 2006), dass sich Projekte aus gegensätzlichen
Perspektiven sinnvoll arrangieren und mit vielen Zielen und Aktivitäten zweckmäßig
verknüpfen lassen. Lehrende interpretieren die Projektidee auf der Grundlage ihres be-
ruflichen Selbstverständnisses. Sie formen sich ihre eigene, für sie praktikable Projekt-
konzeption, indem sie diese weitestgehend widerspruchsfrei mit ihren Vorstellungen eines
effektiven Fremdsprachenunterrichts verschmelzen. Dabei erfahren einzelne Aspekte be-
sondere Aufmerksamkeit, während andere vernachlässigt oder weitgehend ausgeblendet
werden. Entsprechend vielfältig fallen die Lehrziele aus, die mit dieser Unterrichtsform
1176 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
verbunden werden und die sich auch sehr stark von den Erwartungen unterscheiden
können, mit denen die Lernenden in den Unterricht kommen. Hoffmann (2008) zeigt in
ihrer Studie, wie schwierig es ist, Lerneffekte zu planen, da einzelne Lernende die kom-
plexen Aktivitäten der Projektarbeit sehr unterschiedlich als Lernmöglichkeit auslegen
und nutzen.
Vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse erscheinen longitudinale Studien notwendig,
die auf das individuelle Lernen im Projektunterricht ebenso fokussieren wie auf die sozia-
len und kommunikativen Prozesse. Nur so wird sich klären lassen, in welcher Form
Projekte tatsächlich einen Beitrag für das Erlernen einer Fremdsprache in unterschiedli-
chen institutionellen Kontexten leisten können.
8. Literatur in Auswahl
Beckett, Gulbahar H.
2006 Project-based and foreign language education: theory, research, and practice. In: Gulba-
har H. Beckett und Paul Chamness Miller (Hg.), Projct-Based Second and Foreign Lan-
guage Education, 3⫺18. Greenwich: Information Age Publishing.
Beckett, Gulbahar H. und Tammy Slater
2005 The project framework: a tool for language, content, and skills integration. English Lan-
guage Teaching Journal 59(2): 108⫺116.
Dewey, John und William H. Kilpatrick (Hg.)
1935 Der Projekt-Plan. Grundlegung und Praxis. Weimar: Böhlau.
Frey, Karl
2007 Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. 9. überarbeitete Auflage. Weinheim:
Beltz.
Hackl, Bernd
1994 Forschung für die pädagogische Praxis. Wien: Österreichischer Studienverlag.
Hoffmann, Sabine
2008 Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Narr.
Kumaravadivelu, B.
2006 Understanding Language Teaching. From Method to Postmethod. Mahwah, NJ: Law-
rence Earlbaum.
Legutke, Michael
2006 „Projekt Airport ⫺ Revisited: Von der Aufgabe zum Szenario.“ In: Almut Küppers und
Jürgen Quetz (Hg.), Motivation Revisited. Festschrift für Gert Solmecke, 71⫺80. Berlin:
LIT Verlag.
Nunan, David
2004 Task-Based Language Teaching. Cambridge: Cambridge University Press.
Oelkers, Jürgen
1999 Geschichte und Nutzen der Projektmethode. In: Dagmar Hänsel (Hg.), Handbuch Pro-
jektunterricht, 13⫺30. Weinheim: Beltz.
Schart, Michael
2003 Projektunterricht ⫺ subjektiv betrachtet. Eine qualitative Studie mit Lehrenden für Deutsch
als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider.
Stoller, Fredricka L.
2002 Project work: a means to promote language and content. In: Jack C. Richards und Willy
A. Renandya (Hg.), Methodology in Language Teaching, 107⫺120. Cambridge: Cam-
bridge University Press.
132. Sprachlernspiele
1. Fragmentarische Bestandsaufnahme
2. Positionierung
3. Begriffsbestimmung
4. Spieltypologie und Spielarten
5. Spielziele und Lernziele
6. Altersgemäßer Einsatz
7. Funktionalität und Effizienz
8. Fazit
9. Literatur in Auswahl
1. Fragmentarische Bestandsaunahme
Lernen und Spielen im Fremd- oder Zweitsprachenunterricht? Das erste wird im Prinzip
nicht angezweifelt, das zweite dagegen verursacht des Öfteren Einwände. Bereits in der
Vergangenheit wurden Spiele oftmals als altersspezifische soziale Erscheinungsform der
Kindheit betrachtet, was zur auch heute noch bekannten Dichotomie führte, Kinder
durften spielen, Jugendliche und Erwachsene dagegen nicht (mehr). Dieser dichotome
Standpunkt kann bei Kant, Buytendijk, Schaller, Stern, Schleiermacher, Freud u. a.
nachgewiesen werden (vgl. Kacjan 2003: 15⫺20). Der ablehnenden Meinung schlossen
sich in der Geschichte der Pädagogik auch einige bekannte Pädagogen an, wie z. B. der
Gnostiker Klemens von Alexandreia (ca. 150⫺215 n. Chr.), der Spiele allgemein ab-
lehnte, oder Jacqueline Pascal, die Spiele bzw. den Entzug der Spiele als Disziplinierungs-
maßnahme missbrauchte. Dem gegenüber betont Groos (1922) vor allem die funktiona-
len Aspekte der Spiele, er spricht z. B. von der Einübungs-, Ergänzungs- und Erholungs-
funktion der Spiele, die je nach Alter der Spielenden unterschiedlich stark in den
Vordergrund treten. In der Fremdsprachendidaktik und -methodik werden spätestens seit
der kommunikativen Wende und den Diskussionen um das frühe Fremdsprachenlernen
didaktische Spiele thematisiert, aber ebenfalls in dichotomischer Manier. Sie wurden
zwar als Lernmittel bei Kindern gepriesen, eine systematische theoretische Fundierung
blieb aber aus. Selbst heute gibt es nur wenige umfassende und systematische Spieltypo-
logien (vgl. Meyer 1987; Dauvillier und Lévy-Hillerich 2004; Kacjan 2008), aber zahlrei-
che Versuche, eine begrenzte Auswahl bestimmter, im DaF-/DaZ-Unterricht einsetzbarer
didaktischer Spiele sprachdidaktisch zu kategorisieren (Lohfert 1983; Behme 1988; Pfau
und Schmid 2001; Europarat 2001 u. a.). Die begrenzte Spielauswahl vermittelt auf den
ersten Blick zwar ein systematisches Bild, bei genauerer Betrachtung wird allerdings
deutlich, dass es sich nur um einen fragmentarischen Ausschnitt aus dem Gesamtbild
der Sprachlernspiele handelt.
Der Einsatz von Sprachlernspielen im DaF-/DaZ-Unterricht hängt von vielen ver-
schiedenen Aspekten ab, die wichtigsten werden im Folgenden etwas näher erläutert.
2. Positionierung
Die Begriffe „Spiel“ und „spielen“ werden in sehr vielen Bereichen des Lebens verwendet.
Insbesondere der Begriff „Spiel“ wird oft in Zusammensetzungen oder metaphorisch
1178 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
3. Begrisbestimmung
In Anbetracht der Vielfältigkeit der Erscheinungsformen der Spiele ⫺ auch der Sprach-
lernspiele ⫺ kann keine für alle Spiele gültige Definition gegeben werden, aber es soll
dennoch versucht werden, den Begriff näher zu bestimmen.
Spiele sind freiwillige, affektbesetzte, geistige oder körperliche Aktivitäten, die von
dem/den Spielenden als Spiel bezeichnet werden. Sie werden intensiv und ernsthaft ein-
zeln, in Paaren oder Gruppen durchgeführt. Spiele sind zweckfrei, erfüllen aber unter-
schiedliche Funktionen. Sie finden in einer räumlich und zeitlich festgelegten Spielwelt
statt, die sich von der realen Lebenswelt unterscheidet, und haben unter normalen Um-
ständen keine negativen Auswirkungen auf den Spielenden oder Folgen für ihn und seine
Umgebung. Spiele haben keine Zeitgrenzen, sie finden zwar in der Gegenwart statt, kön-
nen sich aber außer auf die Gegenwart auch auf die Vergangenheit und/oder die Zukunft
beziehen. Ebenso können sie plötzlich einsetzen und abrupt aufhören, ohne dadurch an
Wert zu verlieren. Wichtige Elemente der Spiele sind der Zufall, das Fällen von persönli-
chen Entscheidungen und häufige Wiederholungen mit variierenden Fortsetzungen, die
die für Spiele typische Spannung aufbauen. Alle Spiele haben als weiteres Strukturmerk-
mal verbindliche Regeln, die von dem/den Spielenden entweder im Voraus bestimmt oder
während des Spiels festgelegt, entwickelt und/oder variiert werden.
Spiele erfüllen wichtige didaktische Funktionen: Sie befriedigen die Spiellust, erleich-
tern das Lernen, beschäftigen und fördern die Fantasie, steigern die Motivation und
fördern das Selbstvertrauen der Spielenden (vgl. Kacjan 2003: 48⫺49). Diese Funktionen
werden durch eine fremdsprachliche Didaktisierung der Spiele bewusst und verstärkt ver-
folgt.
Die herrschende Begriffsvielfalt im Bezug auf Sprachlernspiele, die für das DaF-/
DaZ-Lernen eingesetzt werden können, weist auf ein akutes terminologisches Problem
hin: Die zahlreichen Begriffe werden teilweise synonym verwendet, obwohl mit ihnen
prinzipiell unterschiedliche Spiele bezeichnet werden. Das Problem gründet in der fehlen-
den klaren Bedeutungsbegrenzung der Begriffe, da selbst die aktuelle Fachliteratur zu
den Sprachlernspielen nicht einheitlich ist. Sie werden als Spiele, Sprachspiele, spielerische
Aktivitäten, aktuelle Spielformen für die Schule, Unterrichtsmittel, Aktivitäten mit be-
stimmten Regeln, Sprachlernspiele oder noch anders bezeichnet (vgl. Kacjan 2003, 2008).
Da die Bezeichnungen Spiel und didaktisches Spiel zu allgemein sind und das Sprachspiel
von Wittgenstein (1918/1989) sprachphilosophisch geprägt wurde, erscheint die Bezeich-
nung Sprachlernspiel am ehesten geeignet, als Sammelbezeichnung für alle diejenigen
didaktischen Spiele verwendet zu werden, mit deren Hilfe eine Sprache im institutionellen
Kontext erlernt wird (Kleppin 2003; Kacjan 2008).
132. Sprachlernspiele 1179
es unumgänglich, dass die Lehrkräfte bei der Auswahl und Anpassung der einzelnen
Sprachlernspiele sehr aufmerksam die einzelnen Faktoren berücksichtigen.
Obwohl die Sprachlernspiele stark situationsgebunden sind, ermöglicht es ihre große
Variabilität, die sich u. a. in der außerordentlichen Variationsbreite der sprachlernspiel-
spezifischen Lernziele zeigt, dass sie sowohl im Fremdsprachenunterricht als auch im
Zweitsprachenunterricht und nicht zuletzt selbst im Muttersprachenunterricht effektiv
und sinnvoll eingesetzt werden können.
6. Altersgemäßer Einsatz
Unterschiedliche Sprachlernspiele sprechen unterschiedliche, zum Teil auch spezifische
Altersgruppen an (vgl. Kacjan 2008), gewisse Tendenzen der vier großen Spielkategorien
können aber dennoch festgehalten werden: Bewegungsspiele entsprechen vor allem dem
Bewegungsdrang und den Bedürfnissen der Kinder bis zu zwölf oder höchstens vierzehn
Jahren. Danach sind diese Spiele mit wenigen Ausnahmen kaum mehr einsetzbar.
Sprachelementspiele und kommunikative Spiele sind altersunabhängig einsetzbar, müssen
aber stets bezüglich des Themas und der Komplexität der jeweiligen Zielgruppe ange-
passt werden.
Das darstellende Spiel ist bis zur Sekundarstufe II gut, ab der Tertiärstufe jedoch
kaum mehr einsetzbar, da Erwachsene sprachökonomisch vorgehen und ihre Lernresul-
tate mit ihrem Energieeinsatz abgleichen und bestimmte Lernformen bei nicht auf den
ersten Blick evidenter Effizienz sofort aus ihrem Lernprozess ausschließen.
8. Fazit
Sprachlernspiele sind vielseitige Lern- und Lehrmittel, deren Einsatz von der Lehrkraft
theoretische und praktische Grundkenntnisse, vor allem aber sehr viel Fingerspitzenge-
fühl verlangt. Bereits die Auswahl des passenden Sprachlernspiels ist eine große Heraus-
forderung, bei der die Interessen der Zielgruppe und die zu erreichenden Lernziele beach-
132. Sprachlernspiele 1181
tet werden müssen. Nicht minder wichtig sind die Anweisungen und die Leitung der
Sprachlernspiele, da ohne verständliche Spielanweisungen und gerechter Spielleitung
keine angenehme, lernfördernde und produktive Spielatmosphäre entstehen kann, in der
mithilfe der Sprachlernspiele konstruktiv, produktiv und aktiv die gesetzten Lernziele
erreicht werden können.
9. Literatur in Auswahl
Behme, Helma
1988 Miteinander reden lernen. Sprechspiele im Unterricht. München: iudicium.
Dauvillier, Christa und Dorothea Lévy-Hillerich
2004 Spiele im Deutschunterricht. Fernstudieneinheit 28. Berlin u. a.: Langenscheidt.
Europarat (Hg.)
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin
u. a.: Langenscheidt.
Groos, Karl
1922 Das Spiel. Zwei Vorträge: 1. Der Lebenswert des Spiels. 2. Das Spiel als Katharsis. Jena:
Gustav Fischer.
Kacjan, Brigita
2003 Spiele im frühen DaF-Unterricht/Igre pri zgodnjem poučevanju nemščine. Unveröffentlichte
Magisterarbeit. Ljubljana: Filozofska fakulteta.
Kacjan, Brigita
2008 Sprachelementspiele und Wortschatzerwerb im fremdsprachlichen Deutschunterricht mit Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen. Maribor: ZORA.
Kleppin, Karin
2003 Sprach- und Sprachlernspiele. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen
Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 263⫺266. 4. Auflage. Tübingen/Ba-
sel: Francke.
Lohfert, Walter
1983 Kommunikative Spiele für Deutsch als Fremdsprache. München: Hueber.
Meyer, Hilbert
1987 Unterrichtsmethoden II: Praxisband. Frankfurt am Main: Cornelsen.
Pfau, Anita und Ann Schmid
2001 22 Brettspiele. Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett.
Wittgenstein, Ludwig
1989 Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914⫺1916. Philosophische Untersuchungen.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp. [1. Aufl. 1918].
133. Sozialormen
1. Relevanz und Einordnung von Sozialformen
2. Klassenunterricht
3. Gruppenarbeit
4. Partnerarbeit
5. Einzelarbeit
6. Simultaner Einsatz unterschiedlicher Sozialformen
7. Literatur in Auswahl
2. Klassenunterricht
Dem Klassenunterricht liegt die instruktivistische Vorstellung zugrunde, dass die gesamte
Lerngruppe einen gemeinsamen mentalen Fokus ausbildet und dass Lernen sich auf der
Grundlage von Präsentationen und gemeinsamen Klassengesprächen vollzieht. Damit
wird eine gewisse Homogenität der Lerngruppe vorausgesetzt, die durch entsprechende
äußere Differenzierungsmaßnahmen herbeizuführen ist.
Im Frontalunterricht steht die Darbietung im Vordergrund, die typischerweise von der
Lehrperson, bei Referaten aber auch von Lernenden übernommen wird. Die charakteris-
tische Sitzanordnung ist dabei auf die Lehrbühne ausgerichtet. Als Beispiele aus dem
Sprachunterricht lassen sich Grammatikerklärungen, Strategiedemonstrationen, die Prä-
sentation von Audio- und Videomaterialien, die Aufführung von Rollenspielen sowie
auch das aktive und passive Konzert im Rahmen der suggestopädischen Methode anfüh-
ren. Übergänge zum Einbezug der Lernendengruppe stellen u. a. das Erzählen von Ge-
133. Sozialformen 1183
schichten zur Sprachförderung (Klein und Merkel 2008), das Total Physical Response
Storytelling (Davidheiser 2002) oder das audiolingual geprägte Chorsprechen dar.
Von diesem darbietenden Frontalunterricht ist das fragend-entwickelnde Unterrichts-
gespräch abzugrenzen, das auch als Plenumsarbeit bezeichnet wird. Eine charakteristische
Sitzordnung für diese Sozialform ist das Hufeisen; typische sprachliche Handlungsmuster
beim Unterrichtsgespräch sind u. a. das Aufgaben stellen/Aufgaben lösen, der Lehrervor-
trag mit verteilten Rollen (Ehlich und Rehbein 1986: 8⫺29, 59⫺87) und die mündliche
Fehlerkorrektur (Havranek 2002). Das Unterrichtsgespräch findet im DaF-/DaZ-Unter-
richt beispielsweise bei lehrergesteuerten Gesprächen über Lesetexte oder bei der Auswer-
tung von Ergebnissen aus Phasen der Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit statt. Auch
im Hinblick auf den Fachunterricht mit DaF-/DaZ-Lernenden ist die sprachliche Kom-
plexität des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs von besonderer Bedeutung
(Grießhaber 2005).
Beim Kreisgespräch fungiert die Lehrperson anders als im Unterrichtsgespräch nicht
als Gesprächsleitung, sondern ist als gleichberechtigtes Mitglied in den Sitzkreis integ-
riert. Diese Sozialform findet im DaF-/DaZ-Unterricht z. B. beim Meinungsaustausch
oder im Erzählkreis der Grundschule (Schramm 2007) Anwendung; darüber hinaus er-
fährt sie beim Community Language Learning die besondere Ausprägung, dass die Lehr-
person zu Zwecken der Übersetzung außerhalb des Stuhlkreises positioniert ist und den
Lernenden dort flüsternd den Rücken stärkt.
Der Klassenunterricht ist die am häufigsten eingesetzte Sozialform: Für den Bereich
Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung ermittelte Demmig (2007: 137)
einen Anteil von 65 Prozent der gesamten Unterrichtszeit. Die Beliebtheit des Klassenun-
terrichts bei Sprachlehrpersonen steht in deutlichem Widerspruch zu der kritischen Ein-
schätzung dieser Sozialform in der pädagogischen und fremdsprachendidaktischen Dis-
kussion, die insbesondere die Gefahr der Passivität und Unselbständigkeit der Lernen-
den, das Problem der hohen Redeanteile der Lehrperson und die Dominanz bestimmter
Handlungsmuster thematisiert (Storch 1999: 297). Dies hat dazu geführt, dass man sich
mit dem Ziel der Innovation stärker auf die Erforschung binnendifferenzierender Sozial-
formen konzentriert hat. Demmig (2007: 182) hält deshalb eine „detaillierte empirisch
fundierte Forschungsarbeit zum Thema Unterrichtsphasen in der Großgruppe im DaF/
DaZ (bzw. Fremdsprachenunterricht allgemein) [für] längst überfällig“. Weiterer For-
schungsbedarf zum Klassenunterricht ergibt sich zweifellos auch aus dem Einsatz digita-
ler Medien wie beispielsweise des Interactive Whiteboard oder der Videokonferenz (Schli-
ckau 2000) sowie aus der veränderten Rolle des Frontalunterrichts bei offenen Unter-
richtsformen (Gudjons 2007).
3. Gruppenarbeit
Der Einsatz von Gruppenarbeit wird lerntheoretisch unter Bezugnahme auf den Kon-
struktivismus damit begründet, dass die Lernenden in der sozialen Interaktion jeweils
individuelle Wissensstrukturen aufbauen, die aufgrund der Selbsttätigkeit und der damit
einhergehenden Motivation und emotionalen Beteiligung einen höheren Grad an Kom-
plexität und Verarbeitungstiefe aufweisen, als dies beim Klassenunterricht der Fall ist.
Neben sprachlichen und kognitiven Lernzielen wird mit Gruppenarbeit auch die Förde-
1184 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
rung von Methoden- und Sozialkompetenzen und somit von Lernerautonomie verfolgt.
Weitere wichtige Gründe für den Einsatz von Gruppenarbeit im Fremdsprachenunter-
richt sind, dass der einzelne Lernende sich häufiger äußern kann, dass Binnendifferenzie-
rung die Berücksichtigung individueller Unterschiede erlaubt und dass deshalb insbeson-
dere bei lernschwächeren Teilnehmenden bessere Lernfortschritte zu verzeichnen sind
(Schwerdtfeger 2001: 39⫺41). Angesichts der Tatsache, dass Gruppenarbeit im Vergleich
zu dieser hohen Wertschätzung seitens der Fremdsprachendidaktik in der Praxis ver-
gleichsweise selten eingesetzt wird ⫺ in Demmigs (2007: 137) bereits genannter Untersu-
chung nur in 15 % des gesamten DaZ-Unterrichts ⫺ wurden häufig die Befürchtungen
der Kursleitenden thematisiert (Karagiannidou 2007a: 75) und Hinweise zur Entkräftung
dieser Argumente bzw. zum Umgang mit Störungen gegeben (Meyer 1987b: 254⫺277;
Schwerdtfeger 2001: 51⫺67).
Laut Storch (1999: 308) ist Gruppenarbeit im DaF-/DaZ-Unterricht insbesondere
zum Aktivieren von Schülerwissen, für Gespräche, Diskussionen, gelenktes entdeckendes
Lernen, zum Erfinden von Inhalten, für die Projektarbeit sowie für Gruppenspiele geeig-
net. Schwerdtfeger (2001: 41⫺43) plädiert im Hinblick auf die Gruppenarbeit für Aufga-
ben mit Informationslücken und für Entscheidungsaufgaben. Als weitere Beispiele lassen
sich Schreibkonferenzen und Lesezirkel nennen; darüber hinaus schätzen viele Lernende
das Gruppenpuzzle (Jigsaw), bei dem sie sich in einer ersten Runde in Expertengruppen
über bestimmte Themenbereiche austauschen und ihr Expertenwissen in einer zweiten
Runde an andere Mitlernende weitergeben.
Gruppenarbeit lässt sich nach Ziebell (2002: 66) in vier Phasen unterteilen. Nach
der Vorbereitungsphase durch die Lehrperson vor dem Unterricht erfolgt im Unterricht
zunächst die Informationsphase, für die insbesondere verständliche, vorzugsweise schrift-
liche Arbeitsaufträge als essentiell erachtet werden. Bei der Gruppenbildung bietet sich
die innere Differenzierung nach Themen, Leistungsniveaus, Lernstrategien, Lernstilen,
Aufgabenstellung und Lernwegen an (Schwerdtfeger 2001: 105⫺118); es lassen sich ne-
ben Wahlgruppen aber auch Nachbarschaftsgruppen und Zufallsgruppen bilden
(Schwerdtfeger 2001: 100⫺104). Bei der Durchführung der Gruppenarbeit wird es in der
Regel als zielführend erachtet, wenn die Lehrperson sich weitestgehend zurückhält, durch
unaufdringliche, auf Zuhören orientierte Besuche an den Gruppentischen jedoch deutlich
ihre Beratungsbereitschaft signalisiert. In der vierten Phase der Präsentation und Auswer-
tung stehen die Ergebnissicherung und die Integration der Ergebnisse in den Unterrichts-
verlauf im Vordergrund (Schwerdtfeger 2001: 154⫺159).
Empirisch wird die Gruppenarbeit schwerpunktmäßig im Hinblick auf die Interaktion
der Gruppenmitglieder erforscht. So zeigt Chavez (2007) beispielsweise an amerikani-
schen, universitären DaF-Lernenden auf, dass sie ihre Gruppeninteraktion stark am Vor-
bild des jeweiligen Lehrenden im Klassenunterricht ausrichten. Schramm (2009) verdeut-
licht am Beispiel einer DaZ-Fördergruppe, dass die Kinder bei Produktionsdefiziten
nicht nur als Sprechende Kompensationsstrategien einsetzen, sondern dass sich auch die
Zuhörenden aktiv an einem produktionssichernden Handeln beteiligen. Peuschel (2009)
untersucht dagegen die Gruppenarbeit von DaF-Lernenden zur Vorbereitung eines pod-
casts anhand der schriftlichen Vorbereitungsstufen bzw. der daraus rekonstruierten Ent-
wicklung des Endprodukts des Radiobeitrags. Exemplarisch für die thematische Band-
breite der zahlreichen empirischen Forschungsarbeiten zur Gruppenarbeit im DaF-/DaZ-
Unterricht seien aber auch Studien zur Gruppenarbeit in der Lehrerausbildung (Karagi-
annidou 2007b), zur Projektarbeit (Hoffmann 2008) und zu Einsatzmöglichkeiten der
133. Sozialformen 1185
4. Partnerarbeit
Partnerarbeit wird ähnlich häufig wie Gruppenarbeit und damit deutlich seltener als
Klassenunterricht eingesetzt (Demmig 2007: 137), erfordert aber im Vergleich zur Grup-
penarbeit weniger Organisationsaufwand und Störungsbearbeitungen und wird deshalb
von Lehrkräften in der Regel gegenüber der Gruppenarbeit favorisiert. Als Formen der
Partnerarbeit lassen sich das kooperative Lernen, Helfer- bzw. Tutorensysteme und das
gegenseitige Lehren (reciprocal teaching) unterscheiden. Laut Storch (1999: 309⫺310)
eignet sich die Partnerarbeit im DaF-/DaZ-Unterricht insbesondere für „natürliche Zwei-
eraktivitäten“ wie die gemeinsame Vorbereitung oder Einübung eines Dialogs, dialogi-
sche sprechbezogene Übungen sowie auch für das gemeinsame Problemlösen beim Erar-
beiten grammatikalischer Regularitäten, bei Verstehensstrategien beim Leseverstehen, bei
Aufgaben zum Klassifizieren und Ordnen, bei der Fehlerbearbeitung und bei der koope-
rativen Produktion schriftlicher Texte.
Im Unterschied zur Gruppenarbeit gehört die Partnerarbeit im Fremdsprachenunter-
richt laut Demmig (2007: 36) zu den sehr wenig theoretisch bearbeiteten Themen; als
Forschungsdesiderat benennt sie den Wunsch der Lehrenden nach „eine[r] speziell auf
die Partnerarbeit und das Helferprinzip zugeschnittene[n] Methodik-Didaktik“ (Demmig
2007: 167). Von den wenigen empirischen Studien zur Partnerarbeit im DaF-/DaZ-Un-
terricht sei exemplarisch die Untersuchung von Hardy und Moore (2004) bei universitä-
ren DaF-Lernenden zum Einfluss von Kontext und Aufgabenstruktur bei der Bearbei-
tung von Videomaterialien auf konversationelle Bedeutungsaushandlungen in Zweier-
gruppen genannt. Ware und Kramschs (2005) Analyse von Missverständnissen bei der
telekollaborativen Partnerarbeit verdeutlicht dagegen das kulturbezogene Lernpotential
eines in den Sprachunterricht integrierten E-Mail-Austauschs, bei dem anschließend eine
Reflexion der Missverständnisse erfolgt.
5. Einzelarbeit
Die Einzelarbeit, die auch als Still- oder Alleinarbeit bezeichnet wird, erlaubt es den
einzelnen Lernenden, nach ihrem jeweiligen individuellen Lerntempo vorzugehen und
ggf. aus verschiedenen Lernangeboten zu wählen. Demmig (2007: 137) benennt den An-
teil am Gesamtunterricht mit 5 %. Einzelarbeit findet im DaF-/DaZ-Unterricht laut
Storch (1999: 310) beim stillen Lesen, bei persönlichen schriftlichen Äußerungen, bei der
Vorbereitung persönlicher Aussagen und bei der Bearbeitung von Hörverstehensaufga-
ben Anwendung. Weitere sinnvolle Einsatzmöglichkeiten bieten sich bei Übungen im
Sprach- oder Computerlabor sowie in einem lernerzentrierten Unterricht auch bei der
individuellen Zielbestimmung und bei der Selbstevaluation.
1186 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
7. Literatur in Auswahl
Abrams, Zsuzsanna I.
2001 Computer-mediated communication and group journals: Expanding the repertoire of
participant roles. System 29(4): 489⫺503.
Belz, Julie A. und Andreas Müller-Hartmann
2002 Deutsch-amerikanische Telekollaboration im Fremdsprachenunterricht ⫺ Lernende im
Kreuzfeuer der institutionellen Zwänge. Die Unterrichtspraxis/Teaching German 36(1):
68⫺78.
Chavez, Monika M.
2007 The orientation of learner language use in peer work: Teacher role, learner role and
individual identity. Language Teaching Research 11(2): 161⫺188.
Davidheiser, James
2002 Classroom approaches to communication: Teaching German with TPRS (Total Physical
Response Storytelling). Die Unterrichtspraxis/Teaching German 35(1): 25⫺35.
Demmig, Silvia
2007 Das professionelle Handlungswissen von DaZ-Lehrenden in der Erwachsenenbildung am
Beispiel Binnendifferenzierung. Eine qualitative Studie. München: iudicium.
Derhartunian, Elzbieta
2006 Einkaufen: Wortschatzwiederholung mal anders! Stationen zur Binnendifferenzierung
beim Wortschatzlernen. Fremdsprache Deutsch 35: 44⫺46.
Ehlich, Konrad und Jochen Rehbein
1986 Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr.
Grießhaber, Wilhelm
2005 Sprache im zweitsprachlichen Mathematikunterricht. Verbale und nonverbale Verfahren
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2007 Frontalunterricht neu entdeckt ⫺ Integration in offene Unterrichtsformen. 2. durchgesehene
Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
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2004 Foreign language students’ conversational negotiations in different task environments.
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2002 Die Rolle der Fehlerkorrektur beim Fremdsprachenlernen. Frankfurt a. M.: Lang.
Hoffmann, Sabine
2008 Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Narr.
133. Sozialformen 1187
134. Tandem-Lernen
1. Die Grundkonstellation des Tandem-Lernens
2. Grundformen der didaktischen Nutzung
3. Ausgestaltung der Kommunikations- und Lernsituation
4. Tandem in der Forschung
5. Literatur in Auswahl
Das Tandem-Lernen beruht auf einer einfachen Grundkonstellation, die jeweils an die
personalen und kontextuellen Bedingungen angepasst werden kann: Zwei Personen mit
jeweils anderen Erstsprachen kommunizieren miteinander. Sie tun dies in der Absicht,
partnerschaftlich und im Wechsel von- und miteinander zu lernen, indem sie die besonde-
ren Potenziale der Kommunikations- und Lernsituation Tandem gezielt für ihre Zwecke
nutzen. Diese Potenziale ergeben sich, weil die Interaktionspartner über Kompetenzen
verfügen, die der Partner bemüht ist, sich anzueignen, und weil zwischen ihnen durch die
Tandem-Situation zumindest implizit ein spezifischer Gesprächs- und Handlungsrahmen
geschaffen wird, der die Verbindung zwischen authentischer Kommunikation einerseits
und Lehr-Lern-Interaktion andererseits erst ermöglicht. Hierzu gehört insbesondere,
dass das Tandem auf Gegenseitigkeit beruht, d. h., dass beide Partner möglichst in glei-
chem Maße von der Kooperation im Tandem profitieren. Die große Nähe zu ,normalen‘
Kommunikationssituationen, die wechselseitige Lernabsicht und die sich daraus ergeben-
den Überlappungen von Interaktionszielen bedingen dabei die bisweilen schwierig zu
realisierende Notwendigkeit einer weitgehenden Balancierung zwischen den Lern- und
Kommunikationsabsichten sowie den jeweiligen Interessen der Tandempartner (Schmel-
ter 2004: 120⫺126).
Durch implizite Festlegung von Zweck und Ziel der Kommunikation zwischen den
Tandempartnern, durch konkrete Absprache oder durch Vorgaben durch den didakti-
schen Rahmen (s. u.) werden zugleich herkömmliche Konventionen der Kommunikation
außer Kraft gesetzt und lernförderliche ermöglicht (z. B. korrigierende Eingriffe, das Ein-
üben und Wiederholen von spezifischen Kommunikationssituationen). Da aus der Kom-
munikation im Tandem selten eine unmittelbare Bedrohung von Interessen der Lernen-
den erwächst und die Interaktion somit zumeist nicht unter besonderem Handlungsdruck
erfolgt, kann das Tandem hinsichtlich des sprachlichen und kulturellen Lernens als ein
„Schonraum“ bezeichnet werden, der ein vergleichsweise gefahrloses Erproben und Ein-
üben von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen ermöglicht. Durch die zumeist indi-
viduelle Festlegung der Kommunikationsgegenstände ist zudem stärker als z. B. im
Fremdsprachenunterricht gesichert, dass die Lernenden an den nicht-sprachlichen Inhal-
ten der Kommunikation interessiert sind. Insofern stellt das Tandem-Lernen eine Verbin-
dungsstelle zwischen unterrichtlich gesteuerten Lehr-Lern-Kontexten und authentischen
Sprachhandlungssituationen in der Fremdsprache dar. An die Stelle von Sprachkursen
wird das Tandem-Lernen aber dennoch nur sehr bedingt treten können (Schmelter 2004:
103⫺134).
134. Tandem-Lernen 1189
kulturell gebundenen Verhaltensweisen, die der Tandempartner in der Regel zwar als
Experte beherrscht, zumeist auch beschreiben kann, aber nur in Ausnahmefällen reflek-
tiert erklären kann.
Hier liegen die besonderen Potenziale von Tandem-Kursen (u. a. DFJW 1999, 2005;
Herfurth 1993) bzw. von Beratungsangeboten (siehe u. a. die Beiträge in Brammerts und
Kleppin 2001). In ihnen kann durch spezifische Aufgabenstellungen, die von den Kursor-
ganisatoren bzw. den Beratern vermittelt werden, das Lernen bestimmter Sprachbereiche
oder interkultureller Aspekte eher erreicht werden. Darüber hinaus kann hier (z. B. in
Plenumsphasen) eine Systematisierung sprachlicher Phänomene erfolgen. Da jeder Ler-
ner im Tandem immer auch nur ein Repräsentant einer Sprache und Kultur ist, eignen
sich Plenumsphasen in Tandemkursen dazu, Arbeitsergebnisse der Einzeltandems zu
sammeln, Einzelaussagen zu relativieren und daraus ein komplexeres Bild der jeweils
anderen Sprache(n) und Kultur(en) zu vermitteln. Die Vermittlung von erfahrungsgemäß
besonders geeigneten Vorgehensweisen in der Tandem-Kommunikation (z. B. hinsichtlich
der Formulierung von Lernzielen und deren Erarbeitung im Tandem, der Korrektur, der
Absprache von Regeln zur Sicherung des Prinzips der Gegenseitigkeit) lässt sich in Tan-
dem-Kursen eher sicherstellen als in didaktisch gestalteten Umfeldern mit nicht-obligato-
rischen Beratungsangeboten. Insofern ist die Einbettung von Einzeltandems in traditio-
nelle Sprachkurse oder in Tandemkurse insbesondere bei jüngeren bzw. unerfahrenen
Fremdsprachenlernern sinnvoll.
Neben dem Präsenztandem gewann das medial vermittelte Tandem-Lernen auf Dis-
tanz mit der Verbreitung der Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet an Bedeu-
tung. Für den Bereich Deutsch als Fremdsprache haben sich hierdurch vielfältige neue
Möglichkeiten ergeben, auch über weite Entfernungen hinweg zu einem engeren und
authentischen Austausch mit deutschsprachigen Personen zu gelangen. Die diversen von
der Europäischen Union geförderten, internationalen Projekte zum Tandem-Lernen über
E-Mail bzw. Internet (Brammerts und Little 1996; Brammerts und Kleppin 2001) haben
erheblich zur Entwicklung von geeigneten Arbeitsformen und Begleitmöglichkeiten sowie
zur empiriegestützten Konzeptbildung beigetragen. In diesen Arbeiten werden auch die
eventuell anderen Vorgehensweisen in der Kooperation mit dem Tandempartner, die sich
aus dem veränderten Kommunikationsmedium ergeben, hervorgehoben (Kötter 2002):
So sind gemeinsame Absprachen über Vorgehensweisen (s. u.) durch die asynchrone
Kommunikation über E-Mail zeitaufwendiger und schwieriger als im direkten Aus-
tausch, wo visuelle Kommunikationsaspekte den Lernern das Erkennen von Missverste-
hen, Unbehagen etc. erleichtern können. Häufig wird daher das E-Mail-Tandem durch
den zeitweiligen Rückgriff auf synchrone Kommunikationsmedien (z. B. Telefon, Chat)
ergänzt.
Die erfolgreiche Nutzung der Potenziale des Tandem-Lernens setzt ebenso wie guter
Unterricht eine reflektierte Bestimmung von Lernzielen und die Wahl angemessener Vor-
gehensweisen voraus. Dabei müssen die Lerner sicherstellen, dass ihre jeweiligen Partner
ihnen aufgrund ihrer Kompetenzen tatsächlich beim Erreichen der Ziele helfen können.
Dies setzt im Idealfall regelmäßige Absprachen z. B. zur expliziten Festlegung von Hand-
134. Tandem-Lernen 1191
lungsmustern voraus. Diese betreffen u. a. die Sprachenwahl, die Aufteilung der gemein-
samen Zeit, die Wahl von Themen und Inhalten, Form und Umfang der Fehlerkorrektur,
das Geben von Beispielen usw. Hierzu liegen neben den häufig über Internet zugängli-
chen Hilfen von Tandem-Anbietern mittlerweile eine Reihe von Handbüchern vor, die
sowohl von Lernenden als auch von Tandem-Anbietern nutzbringend eingesetzt werden
können (Baguette et al. 2001; Brammerts und Kleppin 2001; Brammerts und Little 1996;
DFJW 1999, 2005; Holstein und Oomen-Welke 2006; Wolff 2001).
5. Literatur in Auswahl
Apfelbaum, Birgit
1993 Erzählen im Tandem. Sprachlernaktivitäten und die Konstruktion eines Diskursmusters in
der Fremdsprache. (Zielsprachen: Französisch und Deutsch). Tübingen: Narr.
Baguette, Friedhelm, Helmut Brammerts, Herta Fidelak und Mechthild Schlag-Redmond (Hg.)
2001 Sprachenlernen im Tandem. Ein Leitfaden für die Schule. Bönen: Verlag für Schule und
Weiterbildung.
Bechtel, Mark
2003 Interkulturelles Lernen beim Sprachenlernen im Tandem. Eine diskursanalytische Untersu-
chung. Tübingen: Narr.
Brammerts, Helmut und Karin Kleppin (Hg.)
2001 Selbstgesteuertes Lernen im Tandem. Ein Handbuch. Tübingen: Stauffenburg.
Brammerts, Helmut und David G. Little (Hg.)
1996 Leitfaden für das Sprachenlernen im Tandem über das Internet. Bochum: Brockmeyer.
Deutsch-Französisches Jugendwerk (Hg.)
1999 Die Tandem-Methode. Theorie und Praxis in deutsch-französischen Sprachkursen. Stuttgart
u. a.: Klett.
1192 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
zeitlichen, ortsbedingten oder anderen Gründen das Angebot eines Unterrichts in Bil-
dungseinrichtungen, bei dem Lernende und Lehrende zeitgleich und in einem Raum an-
wesend sind, nicht annehmen können oder wollen bzw. die Lernangebote vor Ort durch
Distanzlernangebote ergänzt haben möchten. Beim konventionellen Fernunterricht, also
in Fernlernkursen, Fernlehrgängen und Fernstudiengängen können Lehrangebote wahr-
genommen, berufliche Aus-, Fort-, Weiterbildungen und Studiengänge durchgeführt so-
wie Bildungsabschlüsse und Zertifikate erworben werden. Es ist eine gesellschaftlich etab-
lierte Form des Bildungszugangs, die in Deutschland durch das Fernunterrichtsgesetz
(FernUSG) gesetzlich geregelt ist. Dem Wortlaut dieses Gesetzes nach ist Fernunterricht
„die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen
und Fähigkeiten, bei der 1. der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwie-
gend räumlich getrennt sind und 2. der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg
überwachen“ (FernUSG, §1, 1). Einsendeaufgaben, die die Institution distribuiert und
die Lernenden bearbeiten, stehen hierbei im Mittelpunkt des Prozesses (vgl. Kerres 1998:
299⫺305). Die Zahl der Anbieter von zugelassenen Fernlehrgängen in Deutschland sowie
die Teilnehmerzahlen steigen kontinuierlich: Im Jahre 2007 zählte man bereits 335 In-
stitute und mehr als 250.000 TeilnehmerInnen, beides Zahlen, die sich innerhalb von
10 Jahren verdoppelt hatten. Der Sprachenbereich umfasst dabei 9 % aller Fernlehr-
gangsangebote (Quelle: Forum DistancE-Learning ⫺ Fernunterrichtsstatistik 2007).
Der Begriff des Distanzlernens kann nicht mit dem Begriff des Fernlernens und somit
mit dem Konzept des Lernens im klassischen Fernunterricht gleichgesetzt werden, auch
wenn der englische Begriff distance learning für Fernlernen dies nahezulegen scheint. Mit
dem Einzug der digitalen Medien in unterschiedliche Lernkontexte erfährt der Begriff
des Distanzlernens eine Erweiterung. Er umfasst nun alle Angebote traditioneller Fern-
lerneinrichtungen, wie z. B. Fernuniversitäten, bezieht aber auch Bereiche des telemedia-
len bzw. telematisch unterstützten Lernens außerhalb dieser Fernlernkontexte ein. Der
Begriff Distanzlernen umfasst also alle Formen des Fern- und Tele-Lernens und spielt
somit ebenfalls an konventionellen Universitäten, die virtuelle Seminare anbieten, oder
bei Firmen, die ihren Mitarbeitern arbeitsplatznahe mediengestützte (computer- und/
oder webbasierte) Weiterbildungen anbieten, eine Rolle. Für den akademischen Bereich
bedeutet dies exemplarisch, es werden: „(…) alle Formen der wissenschaftlichen Aus-
und Weiterbildung gefasst, die orts- und zeitunabhängiges Studieren auf der Grundlage
neuer Technologien beinhalten“, also „nicht nur Angebote klassischer Fernstudienein-
richtungen, sondern auch telematisch unterstützte Lehre an Präsenzuniversitäten, da
diese ehemals getrennten Bereiche ohnehin immer stärker zusammenwachsen“ (Arnold
2001: 16).
Präsenzlernen oder Präsenzunterricht bezeichnet den Unterricht im Klassenzimmer,
bei dem sich der Lehrende und die Lernenden zur selben Zeit an einem Ort zusammenfin-
den. Der Begriff des Präsenzlernens dient darüber hinaus im Kontext des mediengestütz-
ten Lernens der Abgrenzung von allen Formen des räumlich getrennten Lernens und
wird meist in Zusammenhängen benutzt, in denen Formen des Präsenz- und Distanzler-
nens gemeinsame Lernszenarien bilden, wie beim so genannten Blended-Learning, auch
hybrides oder kombiniertes Lernen genannt (vgl. Abschnitt 5). Ist davon nicht die Rede,
verwendet man den Begriff Präsenzlernen in der Regel nicht, sondern benutzt den un-
markierten Begriff Unterricht (vgl. Rösler 2007: 17⫺18).
Neben oben erwähnter Begriffserweiterung verschmelzen aufgrund der neuen Mög-
lichkeiten auch die Grenzen der klassischen Funktionen unterschiedlicher Bildungsanbie-
1194 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
was bedeutet, dass dort auch kommunikative und kooperative Elemente zwischen Ler-
nenden keine Rolle spielen und somit die Möglichkeit, Wissen im Dialog hervorzubrin-
gen, kaum entwickelt ist. Das ist auch der Grund dafür, warum Fernlehrgänge häufig
mit Formen des Präsenzlernens kombiniert werden (vgl. Lang 2002: 36) (siehe auch Ab-
schnitt 5).
Die in Abschnitt 2 erwähnte mediale Entwicklung des Fernlernens gibt bereits Hin-
weise darauf, wie sich diese Art des Lernens im Hinblick auf seine Sozialformen und
die Interaktivität zwischen Lernenden und Lehrenden sowie zwischen den Lernenden
untereinander verändert hat. Tenberg (2003), der Taylors Modell mit Fokus auf die Inter-
aktionsmöglichkeiten zwischen Lernenden, Tutor und Material erweitert, kommt zu dem
Ergebnis, dass sich die Interaktionsmöglichkeiten mit dem Aufkommen der digitalen
Medien flexibler gestalten und dass nun vor allem Interaktionen und Kooperationen
zwischen den Lernenden, die in den ersten Generationen der Mediennutzung überhaupt
nicht vorhanden waren, nun auch räumlich getrennt ⫺ synchron (z. B. Text- und Voice-
Chat, Audio- und Videokonferenz) und asynchron (z. B. E-Mail, Foren) ⫺ möglich und
in ihrer Gestaltung vielfältig sind. Das gemeinsame Lernen in kooperativen Lernszena-
rien wie Projekten und anderen gruppenbildenden Arbeitsformen spielt nun auch beim
Fernlernen durch die Verwendung digitaler Kommunikations- und Kooperationsmedien
sowie interaktiver Lernplattformen eine wichtige Rolle. Tenberg stellt fest, dass diese
Interaktionsformen kooperatives Lernen „im Rahmen einer reziprok multiperspektivi-
schen Dialogstruktur“ (Tenberg 2003: 216) ermöglichen und dass sie dadurch die Voraus-
setzungen für Lernen als autonomen Erkenntnis- und Interpretationsprozess schaffen.
Die zunehmende Verbreitung telematischer Lehr- und Lernformen im Fernunterricht
liegt also sicherlich auch darin begründet, dass die Vorteile von Fernstudien nun mit
kooperativen Lernformen kombiniert werden können (vgl. Arnold 2001: 24). Bereits
2001 beschreibt Arnold einen internetbasierten Kurs der Open University mit 10.000 Teil-
nehmenden „als richtungsweisendes Beispiel für ein kooperatives Lernszenario, da hier
trotz der großen Teilnehmerzahl das Kursgeschehen um Tutorengruppen als Kristallisati-
onspunkte organisiert ist und Kommunikation und Kooperation unter den Studierenden
an zentralen Stellen in das Gesamtkonzept eingebettet ist“ (Arnold 2001: 76). Auch die
FernUniversität Hagen baut seit 1996 eine virtuelle Universität aus, die sich unter ande-
rem dadurch auszeichnet, dass nun Gruppenarbeit über das Netz unterstützt werden
kann (vgl. Arnold 2001: 82). Für die Fremdsprachendidaktik ist diese Entwicklung im
Bereich der Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten von großer Bedeutung
und begründet die verstärkte Nutzung von Fernlernangeboten sowie anderen Distanz-
lernangeboten auch in diesem Fachgebiet.
sich in Deutschland außerdem beim größten Mittlerinstitut der deutschen Sprache und
Kultur, dem Goethe-Institut. Der Bereich Multimedia und Fernlehre des Goethe-Insti-
tuts verzeichnet ca. 2.000 Neueinschreibungen (Fernkursteilnehmer) pro Jahr und seit
Jahren ist ein stetiges Wachstum zu beobachten (persönliche Mitteilung der Abteilung
„Multimedia und Fernlernen“ des Goethe-Instituts). Darüber hinaus bieten auch Univer-
sitäten DaF-Fernlernkurse an, wie z. B. die Ludwig-Maximilians-Universität München
mit ihrem interaktiven Deutschlernportal Deutsch-Uni-Online (DUO, s. http://www.
deutsch-uni.com).
Telemediale Fernlernkonzepte wie das unidirektionale Tele-Teaching, bei dem Vorle-
sungen per TV oder per Internet übertragen werden, spielen im Sprachlernbereich eine
eher untergeordnete Rolle. Wie oben beschrieben, zieht der Sprachenunterricht vor allem
aus den neueren Möglichkeiten der mündlich-visuellen Kommunikationsmedien seinen
Gewinn, aber auch die medial schriftliche Kommunikation per Chat und E-Mail ermögli-
chen bereits seit einigen Jahren vielversprechende kommunikative Lernszenarien. Einen
interessanten Einblick in die Möglichkeit der Nutzung digitaler Medien bei einem Fern-
lernkurs für den Anfangsunterricht DaF gibt Liebscher (2003), die beschreibt, wie ein
ursprünglich klassisch organisierter Fernlernkurs mit Printmaterialien in einen aufgaben-
orientierten Online-Fernlernkurs übertragen wurde. Bemerkenswert bezüglich der Kurs-
aktivitäten der TeilnehmerInnen ist die Dominanz der authentischen Kommunikation
zwischen den Lernenden, die sich synchron über Chat und asynchron über ein Message
Board vollzieht und damit „eine stärkere Hinwendung zum natürlichen Spracherwerb
im Rahmen bedeutungsvoller Interaktion“ stattfindet (Liebscher 2003: 140). Das selbst-
gesteuerte Lernen sowie das gemeinschaftliche Lernen spielen bei diesem Konzept eine
große Rolle. Erwähnte Kommunikationsmedien sowie neuere Medien, wie Wiki, Podcast
oder Blog, die sich durch die Verbreitung des Web 2.0, dem Internet der zweiten Genera-
tion, einen Namen gemacht haben und bei denen die Inhaltsnutzer zu Produzenten wer-
den, sind ebenfalls geeignet, das gemeinsame und projektorientierte Lernen zu fördern
(vgl. u. a. Schmidt 2009; Würffel 2008).
Der mündliche Austausch per Audio-Konferenz steht im Mittelpunkt der Betrachtung
von Hampel (2007). Sie beschreibt eine audiographische Lernplattform, die an der Open
University u. a. im DaF-Bereich zum Einsatz kommt und macht deutlich, dass die Nut-
zung multimedialer Lernplattformen und digitaler Lernumgebungen hohe Anforderun-
gen an Lehrende und Lernende stellt und dass die dafür benötigten Kompetenzen (new
literacies) erst erworben bzw. durch ein geeignetes didaktisches Design gefördert wer-
den müssen.
6. Literatur in Auswahl
Arnold, Patricia
2001 Didaktik und Methodik telematischen Lehrens und Lernens. Münster: Waxmann.
Arnold, Rolf und Ingeborg Schüssler
1998 Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Leben. Darmstadt: Wis-
senschaftliche Buchgesellschaft.
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http://www.forum-distance-learning.de/fdl_3fa8cd6be43e.htm, Abrufdatum: 23. 10. 08.
Hampel, Regina
2007 New literacies and the affordance of the new media: Using audiographic computer con-
ferencing for language learning. In: Susanne Schneider und Nicola Würffel (Hg.), Koope-
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Hess, Hans W.
2003 Lerner als Kunden. Informationstechnologie im Alltagseinsatz. Deutsch als Fremdsprache
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Kerres, Michael
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Oldenbourg.
Lang, Norbert
2002 Lernen in der Informationsgesellschaft. In: Ute Scheffer und Friedrich W. Hesse (Hg.),
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Klett-Cotta.
Launer, Rebecca
2008 Blended Learning im Fremdsprachenunterricht ⫺ Konzeption und Evaluation eines Modells.
Online: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn⫽990295613&dok_var⫽d1&dok_ext⫽
pdf&filename⫽990295613.pdf, Abrufdatum: 23. 10. 2008.
1198 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte
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2003 Ein Modell kooperativen Lernens für einen Fernlernkurs Deutsch als Fremdsprache.
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Pförtsch, Waldemar A.
2002 Lernen in der New Economy. In: Ute Scheffer und Friedrich W. Hesse (Hg.), E-Learning:
Die Revolution des Lernens gewinnbringend einsetzen, 119⫺135. Stuttgart: Klett-Cotta.
Rösler, Dietmar
2007 E-Learning Fremdsprachen. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg.
Schmidt, Torben
2009 Mündliche Lernertexte auf der Zweinull-Bühne ⫺ Mediale Inszenierungen im Englisch-
unterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. Forum Sprache (Online) 1: 24⫺42.
Taylor, James C.
2000 New millenium distance education. In: Venugopal Reddy und Srivastava Manjulika
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http://www.usq.edu.au/users/taylorj/publications_presentations/2000IGNOU.doc, Abruf-
datum: 23. 10. 2008.
Tenberg, Reinhard
2003 Interaktionsformen und Neue Medien aus der Sicht des Fernlernens. Deutsch als Fremd-
sprache 40(4): 210⫺219.
Würffel, Nicola
2008 Kooperatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht: Potentiale des Einsatzes von So-
cial-Software-Anwendungen am Beispiel kooperativer Online-Editoren. Zeitschrift für In-
terkulturellen Fremdsprachenunterricht 13(1). (Online).
1. Begri
Den Begriff Medien trifft man in unterschiedlichen Disziplinen, und entsprechend unter-
schiedlich sind die Vorstellungen, die mit ihm einhergehen. Ein Linguist versteht unter
einem Medium zunächst die gesprochene oder geschriebene Substanz, die in der Sprache
vorkommt; durch das Medium wird also die physikalische Vermittlung der Botschaft
realisiert. In einem weitgefassten Medienbegriff kann eine Brille ein Medium sein, wenn
man Medien als kompensatorische Mittel für körperliche Beschränktheiten auffasst. In
den Kommunikationswissenschaften wird Medien zumeist auf die technischen Mittel be-
zogen, die dazu beitragen, Botschaften an ein potentiell unbegrenztes Publikum zu ver-
mitteln, der Fokus liegt hier traditionell auf der Beschäftigung mit Massenmedien.
Die unterschiedlichen Vorstellungen von Medien sind verbunden mit der Analyse un-
terschiedlicher Ausschnitte von Welt mit unterschiedlichen Methoden. Entsprechend
problematisch ist die direkte Übernahme eines geistes- oder sozialwissenschaftlichen Me-
dienbegriffs in die Didaktik. Nähme man z. B. die sprachwissenschaftliche Auffassung
von der physikalischen Vermittlung von Botschaften als Ausgangspunkt, dann wäre in
der Fremdsprachendidaktik alles unter Mediengesichtspunkten zu betrachten. Über-
nähme man hingegen die Fokussierung auf Massenmedien, dann spielten Medien in der
fremdsprachendidaktischen Diskussion nur in bestimmten Teilbereichen eine Rolle.
Die fremdsprachendidaktische Mediendiskussion hat sich aber nicht zu fragen, ob sie
eher in der Tradition von Shannon und Weaver (1949), McLuhan (1964) oder wem auch
immer steht. Sie kann nicht einfach aus einer linguistischen, medienwissenschaftlichen,
semiotischen oder kommunikationswissenschaftlichen Perspektive abgeleitet werden,
sondern muss selbst bestimmen, welcher Blick auf die Medien für ihren Gegenstandsbe-
reich Lehren und Lernen von fremden Sprachen von Relevanz ist. Ein fremdsprachendi-
daktisches Medienverständnis hat als Ausgangspunkt die Idee von Medien als Mittlern,
die dafür sorgen, dass Wissen und Fertigkeiten erworben werden. Für das Fremdspra-
chenlernen sind Medien sowohl Transporteure von Information als auch Vehikel der
Kommunikation. Behandelt werden müssen deshalb auf der einen Seite die Bereitstellung
und die Gestaltung von Medienarrangements, auf der anderen Seite die Integration von
Medien in Lehrprozesse und die Verwendung von Medien durch die lernenden Indivi-
1200 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
duen. Ein Blick auf all diese Aspekte ist notwendig, um zu vermeiden, dass Medien
einseitig z. B. nur als Vermittlungsinstrumente gesehen werden.
Für eine angemessene Einschätzung der Funktion von Medien für das Fremdspra-
chenlernen ebenfalls notwendig ist eine Unterscheidung im Hinblick auf deren Verwen-
dung innerhalb oder außerhalb des zielsprachigen Raums. Wer Deutsch als Fremdspra-
che außerhalb des deutschsprachigen Raums lernte, für den war eine gute Medienausstat-
tung traditionell wichtiger als für jemanden, der Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache
innerhalb des deutschsprachigen Raums lernte (vgl. zu den Implikationen dieser Unter-
scheidung Rösler 1994: 5⫺13), da ihm der lebensweltliche unmittelbare Zugang zur deut-
schen Sprache und zur deutschsprachigen Welt fehlte. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts
nimmt der Teil des Lebens, der medial bestimmt ist, zu, so dass auch für die Lernenden
außerhalb des deutschsprachigen Raums natürliche mediale Interaktionen in deutscher
Sprache verstärkt zum Alltag gehören (können), dennoch ist die Unterscheidung von
unmittelbarer Erfahrung des deutschsprachigen Raums vs. stärker durch Medien vermit-
telter Zugang zu diesem für eine zielgruppenangemessene Gestaltung des Deutschlernens
weiterhin von großer Bedeutung.
Auch mit einer Konzentration auf die fremdsprachendidaktische Perspektive auf die Me-
dien ist nicht eindeutig festzuhalten, was alles zu Medien dazugehört und wie man sie
kategoriell unterteilen kann. Das wird deutlich, wenn man zwei Überblicksartikel aus
fremdsprachendidaktischen Handbüchern gegenüberstellt.
In der ersten Auflage dieses Handbuchs wurde von Schwerdtfeger (2001) beschrieben,
wie der Begriff Unterrichtsmedien ab Anfang der 1960er Jahre in der deutschen fremd-
sprachendidaktischen Diskussion den Begriff Unterrichtsmittel zu ersetzen begann. Als
für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache relevante Medien angeführt wurden:
Lehrbuch;
Bilder, Photographien, Diapositive, Filmstreifen;
Tonband/-kassetten, Schallplatte, Radiosendungen, Sprachlabor;
Tonfilme, Fernsehfilme, Fernsehsendungen, Videofilme;
Computer und Multimedia (Schwerdtfeger 2001: 1018).
Diese Medien wurden dort in technische und nichttechnische sowie in visuelle, auditive
und audiovisuelle Medien unterteilt. Interessant ist an dieser Aufstellung, dass mit dem
Lehrbuch zwar ein didaktisches Printmedium angeführt wird, dass aber Massenmedien
in Printform wie Zeitungen und Zeitschriften nicht vorkommen, obwohl sie didaktisch
ebenso relevant sein können wie auditive oder audiovisuelle Massenmedien.
In Praktische Handreichungen für den Fremdsprachenlehrer stellt Jung derartigen Klas-
sifizierungen ein seiner Auffassung nach „vom Lerner her konzipiertes Medienkatego-
riensystem“ (Jung 2006a) entgegen:
Es ist wenig sinnvoll, einen eingeführten Begriff wie Massenmedien, bei dem die Sprach-
gemeinschaft an Rundfunk, Fernsehen usw. denkt, lediglich für Briefmarken und Plakate
zu verwenden, aber diese überhaupt mit aufzuführen, ist sinnvoll, denn Personen und
Sachen, die auf einer Briefmarke abgebildet sind, haben für Jung eine gute Chance, „sich
im kollektiven Gedächtnis der Nation einzunisten oder zu verfestigen“ (Jung 2006b: 240),
und können von daher durchaus einen Beitrag zur Landeskundevermittlung leisten. Die
mit diesen beiden zitierten Aufstellungen angedeutete Unterschiedlichkeit der Vorstellun-
gen von dem, was unter fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten alles zu den Me-
dien gehört, macht es erforderlich, dass man bei der Rezeption von Texten zur Medien-
nutzung immer genau schauen muss, über welche Medien im jeweiligen Text konkret
geredet wird. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden die gedruckten Komponenten
eines Lehrwerks, also z. B. Lehrbuch, Arbeitsbuch, Lehrerhandbuch oder Glossar nicht
weiter behandelt, vgl. dazu den Art. 137.
In einem Sprachlabor traf ein Lerner zumeist auf einen auf Tonband bzw. Kassette aufge-
zeichneten Text, der Arbeitsanweisungen und zumeist auch Lösungsbeispiele enthielt.
Die Übungen enthielten Pausen, in die der Lerner eine mündliche Reaktion sprechen
konnte. Eine vierphasige Übung zum Beispiel besteht aus Aufgabe, versuchter Antwort
des Lerners, richtiger Antwort und Wiederholung der Antwort. Zu den Sprachlabor-
übungen gehören Hör- und Diskriminierungsübungen, Übungen zum Hörverstehen,
Nachsprechübungen und Übungen zur gelenkten Sprachproduktion vor allem in Form
von Strukturübungen (pattern drills), die nach Art der vom Lerner vorzunehmenden
Manipulation des Sprachmaterials klassifiziert werden konnten als Austauschübungen,
Veränderungsübungen, Analogieübungen, Ergänzungsübungen oder Übersetzungsübun-
gen (vgl. Nübold 2006: 301⫺302).
Das Sprachlabor kam Anfang der 1960er Jahre in die deutschen Schulen, bereits Mitte
der 1970er Jahre wurde die Frage, ob es sich um eine Fehlinvestition handele, diskutiert,
seit Anfang der 1990er Jahre ist das Sprachlabor in den öffentlichen Schulen kaum noch
vorhanden. Der Einzug des Sprachlabors in die Klassenzimmer war mit dem Glauben
an die Überlegenheit einer bestimmten allgemeinen Methode verbunden, das Auftauchen
der audiolingualen Methode wurde als Verbesserung des Fremdsprachenlernens gesehen.
Die zweifelsohne vorhandenen Vorteile wie die Individualisierung des Übens und die
große Sprechzeit pro Lerner innerhalb einer Unterrichtseinheit traten bald hinter eine
Kritik zurück, die auf die Überforderung der Lernenden im Hinblick auf die Selbstkor-
rektur, die Starrheit der Unterrichtsgestaltung (ganze Stunden im Sprachlabor, starrer
Ablauf, Vereinzelung der Lernenden), die Formfokussierung usw. verwies. Und so fest
war die Verbindung von Sprachlabor und audiolingualer Methode, dass trotz differen-
zierter Versuche, über das Drillen hinausgehende Verwendungsweisen des Sprachlabors
zu diskutieren (vgl. z. B. Krumm 1975), eine veränderte Einschätzung der Bedeutung der
audiolingualen Methode und der mit ihr verbundenen linguistischen und psychologi-
schen Ansätze Strukturalismus und Behaviorismus auch zur Abwertung der Sprachlabor-
arbeit generell führte: Die kommunikative Wende Mitte der 1970er Jahre führte zu einem
Statusverlust des Sprachlabors. Gefragt wurde nicht, ob die überdimensionierten Erwar-
tungen an das Sprachlabor auf die Einschätzung der Funktionalität bestimmter Übungen
für das Lernen reduziert werden müssten, stattdessen repräsentierte das Sprachlabor nun
einen falschen Ansatz, der zu überwinden war. Man kann inzwischen spekulieren, ob
mit der Wiederentdeckung der Chunks in der Fremdsprachendidaktik zu Beginn des 21.
Jahrhunderts auch eine Wiederentdeckung des repetitiven Übens im Sprachlabor einher-
gehen wird. Da das Sprachlabor inzwischen als Teilbereich eines Multimedialabors gese-
hen werden kann, das weitaus mehr kann, als nur Übungen zur Verfügung zu stellen,
kann es sein, dass die Grundidee des Sprachlabors ⫺ ohne methodische Überhöhungen,
sondern reduziert auf seine Funktionalität ⫺ wieder eine Rolle spielen könnte.
Die Bedeutung der visuellen Medien hat Schwerdtfeger (2001) für das Fremdsprachenler-
nen wie folgt zusammengefasst:
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1203
Visuelle Medien erregen und halten die Aufmerksamkeit der Lernenden. Sie spre-
chen die Emotionen der Lernenden an und vermögen so, die Lernenden zu sprach-
lichem Handeln zu motivieren.
Visuelle Medien schaffen einen Bezug zur gesprochenen und geschriebenen Ziel-
sprache und vermögen, unbekannte mündliche und schriftliche Texte verständlich
zu machen.
Visuelle Medien vermögen, die regionalen und sozialen Spezifika der geschriebe-
nen oder gesprochenen Sprache zu verdeutlichen.
Gestik, Mimik und Körpersprache werden durch visuelle Medien als unverbrüchli-
cher Teil der zu lernenden Fremdsprache verdeutlicht.
Visuelle Medien dienen als mnemotechnische Hilfe, d. h. sie fördern das Erinne-
rungsvermögen der Lernenden und unterstützen mündliche und schriftliche Äuße-
rungen der Lernenden in der Fremdsprache. Sie erleichtern das Hörverstehen der
zu lernenden Sprache.
Visuelle Medien fördern die Erweiterung des Wortschatzes und stützen Struktur-
übungen.
Visuelle Medien eigenen sich zum Einsatz auf jeder Stufe des fremdsprachlichen
Lernprozesses. (Schwerdtfeger 2001: 1023⫺1024)
Eine Verstärkung der Tendenz zur Visualisierung zeigt sich in DaF seit der kommunikati-
ven Wende, nicht zuletzt verbunden mit dem Namen Theo Scherling (vgl. Scherling und
Schuckall 1992), in der zunehmenden Visualisierung in Lehrwerken, durch Zeichnungen,
die funktional und nicht ornamental sind, und durch Grammatikdarstellungen, die ver-
suchen, Anschaulichkeit durch Visualisierung zu gewinnen. Mit dem Aufkommen der
digitalen Medien ist diese Visualisierung einen Schritt vorangetrieben worden dadurch,
dass zumindest in Ansätzen ersichtlich ist, welche Funktion animierte Grammatikdarstel-
lungen übernehmen können (vgl. Roche und Scheller 2004).
Am Beispiel des Einsatzes von Filmen zeigt Schwerdtfeger (2001), wie sich die didakti-
sche Einstellung zu sich bewegenden Bildern änderte. Ehnert (1984: 7) zitierend weist sie
darauf hin, dass traditionell Anforderungen an das Medium Film gestellt worden waren,
die sich auf den Lernprozess bezogen und das Medium nicht in erster Linie als eigenstän-
digen kulturellen Gegenstand betrachten wollten:
das Bildobjekt soll sich möglichst ruhig verhalten oder nur langsam bewegen; bei
schnellen Bewegungen muss die Einstellung entsprechend lang sein,
die Perspektive soll möglichst einheitlich (Augenhöhe, keine Kamerafahrt) sein; es
sollen nur wenige Einstellungen (Totale und Großaufnahme) erfolgen; der Zoom
soll nicht oder wenig eingesetzt werden, und es sollen wenige Überblendungen
stattfinden,
die Einstellungen sollen 16 bis 20 Sekunden dauern. (Schwerdtfeger 2001: 1025)
In den Übungen wird berücksichtigt, dass der Film eine vom Filmemacher kon-
struierte Wirklichkeit ist und damit nie Abbild einer wie auch immer gearteten
Wirklichkeit.
1204 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
In den Übungen wird daher berücksichtigt, dass der Film eine Zeichenkomposi-
tion ist, in der in spezifischer Weise mit Zeit und Raum umgegangen wird. Filmspe-
zifische Zeichen sind z. B. Kameraeinstellungen, Schnitt, Kamerafahrt, Kamera-
perspektive, Töne, Musik, Farben, Licht etc.
In den Übungen steht die in den Filmen gesprochene Sprache also nicht isoliert
im Zentrum, sondern immer nur eingebunden in das Gewebe aller anderen filmi-
schen Zeichen.
In den Übungen werden die Zeichen der Filmsprache, d. h. die speziellen filmi-
schen Erzählungen mit den Deutungen, die die Betrachter ihnen geben, konfron-
tiert.
Die Deutungen der Lernenden sind eingebunden in ihre persönlichen emotionalen
und kognitiven Prozesse, diesen wird in den Übungen Rechnung getragen.
So entstehen filmspezifische Wahrnehmungsübungen, in denen für die Deutungen
von filmspezifischen Zeichen und nonverbalem Verhalten durch die Lernenden
immer auch der Ausdruck von Gefühlen für mündliche und schriftliche Aufgaben
im Mittelpunkt stehen (sic!). (Schwerdtfeger 2001: 1025)
Diese Gegenüberstellung zeigt, dass Film und Fernsehen in der Entwicklung der Didak-
tik der audiovisuellen Medien als eigenständige kulturelle Produkte Raum gewannen und
nicht mehr nur als Vehikel für zu lernende Sprache eingesetzt wurden. Zwei sich schein-
bar widersprechende Tendenzen sind seit Anfang der 1970er Jahre auszumachen: Obwohl
die Bilder nun schon seit mehr als hundert Jahren das Laufen gelernt haben, sind Filme,
die Sprachverwendung situiert in Kontexten zeigen und von daher sprachliches Material
hervorragend einführen könnten, im Unterricht oft ein Randphänomen; die meisten
Sprachkurse haben weiterhin das Lehrbuch und nicht den Film als ihr Ausgangsmedium.
Gleichzeitig hat es aber methodische Bewegungen gegeben, die mit einem erhöhten Ein-
satz von und vor allem mit der Kombination verschiedener Medien arbeiteten: die Arbeit
mit einem Medienverbund, den man heute vom Standpunkt der digitalen Medien aus
rückblickend den analogen Medienverbund nennt. In Frankreich entwickelte sich die
audio-visuelle, global-strukturelle Methode. Alles kam zum Einsatz: Kassetten, Dias,
Overhead-Projektor, Film, Fernsehen. Die Lernenden waren in Gefahr, medial überrollt
zu werden, und die Lehrenden konnten leicht auf eine Rolle als Medientechniker redu-
ziert werden, die Handlungsanweisungen aus Lehrerhandbüchern, die im Detail Vorge-
hensweisen vorschrieben, zu folgen hatten. Lernende, die über muttersprachliche Verglei-
che, kognitiv oder auch nur über die analytische Kraft des Notizenmachens lernten,
hatten in diesen durchorganisierten, multimedialen Sprachlernprogrammen ihre Schwie-
rigkeiten. Festzuhalten war jedoch zumindest anfänglich meist eine erhöhte Motivation
durch die zum damaligen Zeitpunkt noch sehr ungewohnte Medienüberflutung und die
entsprechend geschulten, von ihrem Medienlabor zunächst begeisterten Lehrer. Gleich-
zeitig lag in der durchgeplanten Konfrontation mit den unterschiedlichen medialen Re-
präsentationen von Zielsprache und -kultur auch der Kern des Scheiterns der analogen
Medienverbünde: Nicht nur wurden Lehrer vom Kabelsalat und den an sie herangetrage-
nen technischen Ansprüchen abgeschreckt, der minutiös geplante Ablauf des Unterrichts
widersprach auch den Vorstellungen eines annähernd selbstbestimmten Umgangs mit der
angebotenen Vielfalt.
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1205
Sprachlabor und analoge Medienverbünde sind Belege dafür, dass sich bereits im Verlauf
des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Medialisierung des Fremdsprachenlernens fest-
stellen lässt. Im 21. Jahrhundert zeigt sich die zunehmende Medialisierung der Lebens-
verhältnisse, die auch Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen hat, im Kontext der
digitalen Medien unter anderem an den folgenden Tendenzen:
⫺ Die klassischen Massenmedien erleiden einen Bedeutungsverlust, neue Leitmedien
etablieren sich.
⫺ Das klassische Sender-Empfänger-Verhältnis ist spätestens seit Web 2.0 durch den
sogenannten user generated content austauschbar.
⫺ Die Medienbotschaften erreichen einen immer größeren Anteil an der Konstruktion
von Wirklichkeit, die Fiktionalitätsgrenze wird immer häufiger unkenntlich.
⫺ In der Bildungsdebatte hat das Konzept der multiliteracy (vgl. New London Group
1996) als Leitkonzept den traditionellen Schriftspracherwerb abgelöst.
Diese veränderte gesellschaftliche Mediennutzung führt für die Fremdsprachendidaktik
zu interessanten neuen Angeboten. Es kommt zunächst zu einem motivationalen Extra-
profit beim Einsatz eines neu auftretenden Mediums, der wie schon beim analogen Medi-
enverbund auch bei den digitalen Medien vorhanden ist, aber nur kurzfristig anhält:
„Der motivationale Anreiz durch die Medienverwendung im Unterricht hat sich zu allen
Zeiten in dem Maße relativiert, in dem das Medium ohnehin Teil des Alltags wurde und
damit nichts Außergewöhnliches mehr war“ (Funk 2000: 14).
Deshalb muss in der fremdsprachendidaktischen Diskussion die Befassung mit der
Funktionalität des Medieneinsatzes an erster Stelle stehen: Der Einsatz digitaler Medien
ist dann sinnvoll, wenn er sinnvoll ist. Weder eine Überhöhung des Einsatzes digitaler
Medien durch ein trivialisiertes Autonomiekonzept (vgl. Rösler 1998; Hess 2001 und
Schmenk 2008) noch ein an den Lernerinteressen (vgl. Hess 2003) vorbei konzipierter
Medieneinsatz helfen Lernenden beim Deutscherwerb. Man sollte also nicht aus dem
Vorhandensein der Medien didaktische Konzepte für deren Anwendung entwerfen, son-
dern fragen, welchen Beitrag die Medien zur Lösung von Fragen leisten, die sich der
Fremdsprachendidaktik generell stellen. Die Diskurshoheit liegt also bei der Didaktik,
nicht bei den Bastlern von Anwendungen. Neue Ideen für den Medieneinsatz können
das Lehren und Lernen von Fremdsprachen beflügeln, sie können aber auch didaktische
Rückschritte bedeuten, wenn die Begeisterung für den Medieneinsatz die didaktische
Reflexion und die Aufnahme der didaktischen Diskussion zum jeweiligen Gegenstand
ausblendet.
Mit dem Aufkommen des Computers wurde versucht, diesen für das Üben von Form-
aspekten zu verwenden. In gewisser Weise erfolgte damit eine Wiederaufnahme der
Konzeption des Sprachlabors: Individualisiert konnten die Lerner sich besser einem
Lernproblem widmen als im Klassenverband. Aufgrund der programmiertechnischen
Gegebenheiten und der sich entwickelnden Autorensoftware war dieses Üben zunächst
1206 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
wendig ist deshalb eine systematische Lehrmaterialanalyse auch von digitalem Lehrmate-
rial (vgl. Roche 2003), die stärker rezeptionsanalytisch als die traditionell eher werkana-
lytische Lehrwerkanalyse der Printwerke sein muss (vgl. Rösler 2008: 376⫺377).
Wende ein hohes Gut für die Fremdsprachendidaktik sind, für das einst eigene didakti-
sche Zeitschriften wie Authentik gegründet wurden, ist einfacher geworden. Besonders
durch den digitalen Transport auditiver und audiovisueller Materialien haben auch weit
vom Zielsprachenland entfernte Klassenzimmer einen schnellen Zugriff auf Hör- und
Hörsehtexte, was sich u. a. in der wachsenden Beliebtheit von Podcasts zeigt. Die jeweils
aktuellen Nachrichtensendungen aus Radio und Fernsehen sind ebenso abrufbar wie
spezielle Internetdienste; YouTube u. ä. liefern von Individuen gedrehte Filme oder Aus-
züge aus professionellen Produktionen, immer mehr authentische Stimmen von Mutter-
sprachlern und Deutschlernenden stehen den Lehrenden und Lernenden zur Verfügung.
Diese Vielfalt produziert neue Herausforderungen für die Fremdsprachendidaktik.
Während die Eingeschränktheit von Material vor dem Aufkommen des Internet je nach
Sichtweise als Zensur oder qualitätssichernde Maßnahme von Verlagen beschrieben wer-
den konnte, erlaubt die Anarchie des Netzes die Verbreitung beliebiger und beliebig vieler
Texte. Dies bedeutet, dass die Qualitätssicherung auf die Rezipienten verschoben ist.
Waren für einen Fremdsprachenlerner außerhalb des deutschsprachigen Raums zuvor
der Lehrer und das Lehrwerk sowie, wenn er Glück hatte, eine gut ausgestattete Biblio-
thek und ein guter Kurzwellenempfänger seine von einer Redaktion oder einem Lektorat
kontrollierten Hauptinformationsquellen, so ist er bei Texten aus dem Internet darauf
angewiesen, die Quellen durch seine eigene Medienkompetenz angemessen einschätzen
zu können. Für die Didaktik gilt: Die Arbeit mit authentischen Materialien aus dem
Internet muss so durch auf die jeweiligen Stadien des Spracherwerbs zugeschnittene Auf-
gabenstellungen und Vermittlungen von Strategien begleitet werden, dass die Lernenden
erfolgreich mit diesen umgehen können. Dies kann z. B. bedeuten, dass bereits im sehr
frühen Anfangsunterricht stark gesteuerte Ausflüge ins Netz unternommen werden, bei
denen die Zahl der anzusteuernden Seiten begrenzt ist, die Aufgabenstellung nur selekti-
ves Lesen erfordert und die schriftliche oder mündliche Mitteilung der gefundenen Lö-
sung mit dem vorhandenen sprachlichen Können möglich sein muss (vgl. dazu ausführli-
cher Rösler 2007: 160⫺168). Ebenso wie im traditionellen Fremdsprachenunterricht in
Bezug auf die erste Arbeit mit Ganzschriften, auf die Arbeit mit Filmen usw. ist auch
bei der Arbeit mit Texten aus dem Internet also dafür zu sorgen, dass das über die
Lehrwerkprogression hinausgehende Arbeit mit authentischen Texten mit Aufgabenstel-
lungen verbunden ist, die dafür sorgen, dass Lernende so früh und so erfolgreich wie
möglich mit zielsprachlichem Material umgehen lernen.
Neben der Vielfalt des vorhandenen Materials ist dessen Aktualität ein weiterer
Grund für die Arbeit mit dem Internet, vor allem dann, wenn es um landeskundliche
Inhalte im weitesten Sinne geht. Entsprechend haben sich für diesen Bereich eine Reihe
von Aufgabentypen herausgebildet, z. B. WebQuests, bei denen Lernende eine bestimmte
Aufgabe durch das Aufsuchen von Seiten im Netz lösen müssen, oder kooperative Spiele
wie z. B. Odyssee (vgl. Grätz 1999), bei der Gruppen von Lernenden ihren eigenen Stand-
ort anderen Lernenden in verrätselter Form präsentieren und den anderer Gruppen erra-
ten müssen (vgl. zur Vielfalt von Aufgaben für den DaF-Unterricht unter Einbeziehung
des Internets Biechele et al. 2003).
kann. Für Kooperationsprojekte aller Art gilt auch weiterhin der Satz, dass es egal ist,
in welchem Medium man sich nichts zu sagen hat, wenn man sich nichts zu sagen hat.
Wie bei den klassischen Kooperationsprojekten sind also auch bei digitalen Kooperati-
onsprojekten die Fragen der Inhalte, der Rahmenbedingungen der beteiligten Institutio-
nen usw. zuerst zu klären, die Bereitstellung von Kommunikationskanälen allein hilft we-
nig.
Reinhard Donath, einer der deutschen Pioniere des kooperativen Lernens mit digita-
len Medien, hat dies in seinen zehn goldenen Regeln für die digitale Projektarbeit (http://
www.schule.de/englisch/tipps_neu.htm) festgehalten, die im folgenden in einer sprachlich
leicht überarbeiteten Fassung wiedergegeben werden:
1. Partnerlehrkraft langfristig vor Projektbeginn suchen.
2. Zeit ⫺ Thema ⫺ Erwartungen ⫺ Wünsche mit Partnerlehrkraft intensiv koordinie-
ren und dabei mit der Partnerlehrkraft „ins Gespräch“ kommen, sich kennen lernen.
3. Projekt und Zeitrahmen der Lerngruppe vorstellen: Ideen sammeln, Neugier wecken,
Thema/Themen festlegen, Interessen formulieren.
4. Absprachen mit Lerngruppe zur Organisation der Arbeit im Projekt: Gruppen bil-
den, Gruppenregeln, Ansprechpartner in der Gruppe; E-Mail-Adressen für die Grup-
pen und/oder individuelle Lerner im Netz einrichten; alle E-Mails werden als Kopie
(CC) an Lehrkraft geschickt.
5. Ständige Kommunikation mit Partnerlehrkraft, mindestens einmal pro Woche.
6. Lernertagebücher führen lassen (was wurde in den Gruppen gemacht, was wurde
gelernt, welche Methoden sind benutzt worden, neu gelernte Wörter, unbekannte
Wörter und Strukturen), Zwischenberichte über den Stand der Arbeit im Plenum.
7. Unterschiedliche Meinungen von allen ins Plenum einbringen lassen, austauschen,
nicht bewerten, sondern Gründe für das Andere, Neue, Unbekannte, Verstörende
finden. Wie gehe ich damit um, was bedeutet das für mich?
8. Ergebnisse zusammenfassen: Reader ⫺ Webseiten ⫺ Poster ⫺ Ausstellung im Klas-
senraum/Flur, andere Lerngruppen einladen und Ergebnisse vor Publikum präsentie-
ren.
9. Evaluation: Was habe ich gelernt, was war für mich neu/verstörend, wie habe ich
das mit meiner Partnerin/meinem Partner gelöst; wie habe ich methodisch gearbeitet,
wie möchte ich weitermachen?
10. Auswertung mit der Partnerlehrkraft: Verlauf des Projektes inhaltlich und metho-
disch reflektieren; Was haben wir voneinander, miteinander und bei diesem Projekt
gelernt? Wollen wir so ein Projekt noch einmal machen? Was machen wir dann ge-
nauso, was machen wir anders?
Kooperationsprojekte sind durch die technischen Möglichkeiten häufiger realisierbar ge-
worden, sowohl solche zwischen Deutschlernenden und Deutschlernenden, Deutschlern-
enden und Muttersprachlern als auch zwischen Deutschlernenden und zukünftigen
Deutschlehrern, die in Kooperationsprojekten als Tutoren fungieren (vgl. Tamme 2001).
Die Zunahme derartiger Projekte ging mit einer Zunahme der Beforschung einher (vgl.
z. B. die Beiträge in O’Dowd 2007 sowie Belz und Thorne 2006). Die Beschleunigung
der Interaktionsmöglichkeiten bringt dabei nicht nur Vorteile, sondern kann auch zu
einer stärkeren Oberflächlichkeit oder gar zu einem interkulturellen Aneinandervorbeire-
den und zu interkulturellen Missverständnissen führen, wenn die Kooperationen nicht
sorgfältig vorgeplant sind (vgl. dazu Müller-Hartmann 2000; Belz und Müller-Hartmann
2003 oder O’Dowd und Ritter 2006).
1210 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Dass Kooperationen durch die digitalen Medien leichter initiierbar geworden sind,
zeigt sich neben den Klassenkorrespondenzen vor allen Dingen am Tandem-Konzept
(vgl. Brammerts und Little 1996), das inzwischen im Internet auf eine gut entwickelte
Kontaktbörse verweisen kann. Die Grundkonstellation des Tandem hat sich dabei nicht
verändert: Weiterhin kommunizieren Personen, die Experten für ihre eigene Sprache
sind, in gemeinsam ausgehandelter Weise miteinander, weiterhin gibt es kein klassisches
Lehr-Lernverhältnis. Geändert hat sich die Form des Austausches, die zunächst über E-
Mail, inzwischen per Skype oder vielleicht demnächst in virtuellen Welten stattfindet.
Zu beobachten ist beim Einsatz digitaler Medien für DaF die paradoxe Situation, dass
man sowohl eine Tendenz zur weitergehenden Individualisierung des Lernens als auch
zur weiteren Verbreitung kooperativen Lernens beobachten kann (vgl. Rösler 2006b).
Von den ersten alleinstehenden CALL-Übungen auf dem Computer zu webbasierten
multimedialen Lernumgebungen hat das Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien in
kurzer Zeit einen weiten Weg zurückgelegt. Begrifflich wird auf die neue Vielfalt zum
einen weiterhin mit CALL referiert, parallel dazu hat sich CMC (computer mediated
communication) als Terminus etabliert, der anzeigt, dass zwischen der Digitalisierung von
Lernmaterial und den Möglichkeiten, Sprachlernende und Lehrende auf verschiedenste
Weise miteinander interagieren zu lassen, zu trennen ist. Wie rasant die Entwicklung ist,
zeigt ein Blick auf die nur sechs Jahre auseinanderliegenden Publikationen Platten (2003)
und Biebighäuser und Marques-Schäfer (2009), die sich mit dem Potential von Chats für
DaF beschäftigten. Stand im Artikel von 2003 noch das Design eines didaktischen Chat-
Raums im Mittelpunkt und war der Chat dort eindeutig ein getipptes Gespräch, so wer-
den im Artikel von 2009 Daten aus diesem Text-Chatraum mit Daten aus einem Voice-
Chat in der virtuellen Welt Second Life kontrastiert. Die technologische Entwicklung hat
es in kürzester Zeit möglich gemacht, den Chat vom Text Chat, einer medial schriftli-
chen, konzeptionell eher mündlichen Textsorte (vgl. Rösler 2007: 58⫺61), in eine mediale
und konzeptionelle Mündlichkeit, den Voice-Chat, zu überführen, der für das Thema
Förderung mündlicher Sprachproduktion im Fremdsprachenunterricht eine ganz andere
Rolle spielen kann als die getippten Dialoge im Text-Chat.
Die multimedialen Lernumgebungen gestatten heute die Zusammenführung unter-
schiedlicher Medien in das eine Medium; unterschiedliche Wahrnehmungskanäle der Ler-
nenden können zugleich angesprochen, Inhalte gleichzeitig in geschriebener oder gespro-
chener Sprache, mit und ohne filmische und musikalische Realisierung präsentiert wer-
den. Durch Voice over IP können die Lernenden miteinander und mit Muttersprachlern
weltweit sprechen, Videokonferenzen führen oder sich in Gestalt von Avataren in virtuel-
len Welten treffen. Waren Kooperationsprojekte zunächst auf den Austausch per Mail
beschränkt, steht inzwischen Kooperationswilligen z. B. in Lernplattformen über Mail,
Text-Chat und Voice over IP hinaus ein reiches Repertoire an synchronen und asynchro-
nen Mitteln zur Kommunikation zur Verfügung: Whiteboards, Foren, Wikis, Blogs, Mind-
mapping-Programme usw. Im Gegensatz zur getippten Mündlichkeit in Chats sind Wikis,
Blogs und andere Online-Schreibaktivitäten tatsächlich technische Möglichkeiten, im
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1211
DaF-Unterricht das Schreiben und sogar das kooperative Schreiben zu fördern (vgl. z. B.
Ballweg 2008 oder Würffel 2008).
Seit dem Aufkommen von Orten des kooperativen Schreibens ebenso wie von Pod-
casts, Social Software usw., also seit der mit dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefassten
Entwicklung, gehört es immer mehr zur Lebenswelt eines Teils der Menschheit, sich im
Netz zu präsentieren und Beziehungen in Web 2.0-Anwendungen virtuell zu pflegen.
Dies kann auch in Sprachlernkontexten dazu führen, dass die Lernenden selbstbestimmt
Inhalte (multimedial) präsentieren und mit einem real existierenden Publikum kommuni-
zieren (vgl. als Beispiel Schmidt 2009). Die Geschichte der Fremdsprachendidaktik ist
voll von derartigen Versuchen, der Fremdbestimmung im Klassenzimmer durch inhaltli-
che Selbstbestimmung entgegenzuwirken, z. B. mit an Freire, Freinet und Rogers anklin-
genden emanzipatorischen oder gruppendynamischen Konzepten. Wie bei diesen ist auch
bei Versuchen im Kontext der digitalen Medien abzuwägen, wo die Gefahr einer Verabso-
lutierung der inhaltlichen Selbstbestimmung besteht, die den Spracherwerb behindern
könnte, und wo aufregende Publikationsmöglichkeiten im Netz problematisch sein kön-
nen. Ein Lerner, der in einem Blog in einem sprachlich wenig fortgeschrittenen Zustand
einen Text publiziert, kann sehr stolz darauf sein, dass er mit der Welt kommuniziert
und dass die Welt ihm Kommentare schickt. Dieser Eintrag im Blog kann aber aufgrund
seines Öffentlichkeitscharakters auch gegen ihn verwendet werden, wenn später evtl. ein
Personalchef sich um die Sprachkompetenz eines Bewerbers kümmert. Die gesellschaftli-
che Debatte um die Neujustierung des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit,
die durch die digitalen Medien aufgekommen ist, ist auch für den Einsatz der digitalen
Medien im Fremdsprachenunterricht ein relevantes Thema: Es ist jeweils abzuwägen, ob
und wie weit die Motivation schaffende Möglichkeit, sich real der Welt mitzuteilen, von
der didaktischen Schutzfunktion eines Lehrenden, dafür zu sorgen, dass sich Schüler
nicht bloßstellen, gerahmt werden muss.
kommunikativen Didaktik. Solange der Blick der Didaktiker auf das Lehren und Lernen
des Deutschen fokussiert bleibt und vor allem solange das Lernen mit neuen Medien
durch empirische Forschung wie z. B. von Schmidt (2007, kooperatives Arbeiten mit
individualisierender Lernsoftware), Würffel (2008, Strategien bei der Arbeit mit digitalem
Selbstlernmaterial) und Scheller (2009, animierte Grammatikdarstellung) begleitet wird,
besteht die Chance, dass weder durch immer schöner blinkende Geräte noch durch fun-
kelnde allgemeine Konzepte, die die neuen Medien für die Durchsetzung eines schon
wieder neuen Paradigmas missbrauchen, dem Fremdsprachenlernen im Namen einer
technologischen Entwicklung Lehr- und Lernweisen aufgezwungen werden, die für die
jeweils konkreten Lernenden nicht angemessen sind.
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Mit Begriffen wie Lehrbuch, Lehrwerk, Unterrichts- bzw. Lehrmedium, Lehr- und Lernma-
terialien u. a. wird all das bezeichnet, was dazu dient, Lernen anzuregen, zu stützen und
zu steuern. Dabei signalisiert Lehrwerk gegenüber Lehrbuch, dass außer dem schriftlichen
Material auch Medien, evtl. Internet-Plattformen o. ä. dazugehören und einen Medien-
verbund bilden.
Auch wenn die Lehrkraft die Entscheidungen über die Verwendung von Lehrmaterial
trifft, so nehmen Lehr-/Lernmaterialien schon dadurch, dass aus der Vielfalt authenti-
scher Materialien ausgewählt und das angebotene Sprachmaterial in eine Reihenfolge
gebracht wird, Einfluss auf den Ablauf des Lehr-Lernprozesses. Lehrmaterialien können
als Ergänzung zum Unterricht oder aber kurstragend konzipiert sein, d. h. dass sie dem
vorgesehenen Curriculum entsprechen bzw. sich der Unterricht an ihrer Progression ori-
entiert. Auch kurstragendes Lehrmaterial wird jedoch vielfach von Lehrenden als „Stein-
bruch“ benutzt (vgl. Rösler und Skiba 1987), um den eigenen Unterricht zu erweitern
oder an die Bedürfnisse einer Lerngruppe anzupassen.
Im Hinblick auf die Rolle von Lehrwerken im Deutschunterricht werden im Folgen-
den vier zentrale Relationen herausgehoben:
1.1. Lehrwerke und Lehr-/Lernziele: Lehrwerke orientieren sich in der Regel an vorhan-
denen Curricula oder Prüfungen, um damit ihre Verwendungschancen zu verbessern und
eventuell vorhandene Zulassungshürden zu passieren. Sie bilden die Lehr- und Lernziele
im Bereich der Texte und Themen, der Grammatik, der Vermittlung von Lernstrategien
oder im Bereich des interkulturellen Lernens ab und bringen den Lehrstoff in eine Rei-
henfolge, die eine systematische, zielgerichtete Progression erlaubt. Sind keine Lehrpläne
vorhanden, rücken Lehrwerke gelegentlich an ihre Stelle und stellen die curriculare Leitli-
nie für den Unterricht dar. Die Niveaustufenbeschreibungen des Gemeinsamen europä-
ischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) dienen insbesondere im Bereich der Erwach-
senenbildung als Orientierungsgröße für Prüfungen wie auch für Lehrwerke.
1.2. Lehrwerke und Lehrinhalte: Außerhalb des deutschsprachigen Raumes stellen die
in Lehrwerken enthaltenen Texte und Themen den zentralen Zugang zur fremden Spra-
che und Kultur dar und legen damit fest, in welchen Situationen, mit welchen Texten die
1216 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
deutsche Sprache im Unterricht erlernt und praktiziert werden kann. Mit der kommuni-
kativen Methode hat sich für Lehrwerke die Forderung nach authentischen Texten und
die Orientierung an Alltagssituationen durchgesetzt, so dass literarische Texte vielfach
ganz aus den Lehrwerken verschwunden waren. Seit den 1990er Jahren zeichnet sich
hier jedoch eine Schwerpunktverlagerung ab: Im Hinblick auf interkulturelle Lehr- und
Lernziele und Lehrinhalte haben literarische Texte wieder an wieder an Bedeutung ge-
wonnen (vgl. Mummert 2006).
Was die Landeskunde betrifft, so verträgt sich die Forderung nach Aktualität nicht
mit dem klassischen Lehrbuch, das schnell veraltet. Hier erscheint das Internet als Alter-
native: Die Vernetzung von Daten, die Verbindung von Text, Bild und Ton und die
Aktualität sind Bereiche, in denen ein klassisches Lehrwerk, auch wenn es den Medien-
verbund nutzt, nicht mehr konkurrenzfähig ist (vgl. Art. 138). Allerdings hapert es hier
wie bei der Orientierung am GeR an der zielgruppenspezifischen Auswahl und Adaption.
Aufbereitete Medien (Zeitungen wie z. B. Authentik oder der Österreich-Spiegel ) werden
als ein Mittelweg zwischen authentischem Material und einer didaktisch verantworteten
ziel(gruppen)orientierten Auswahl angeboten.
1.3. Lehrwerke und die Lernenden: Lehrwerke richten sich an die Lehrkräfte; Lernende
erleben Lehrwerke in der Regel als eine Vorgabe, die dazu führt, eigene Interessen im
Unterricht zugunsten einer Orientierung am Lehrwerk zurückzustellen (vgl. Quetz 1976).
Immer wieder sind daher Versuche gemacht worden, Unterricht unter Verzicht auf Lehr-
werke in stärkerem Maße an den Lernenden zu orientieren. Der französische Reformpä-
dagoge Célestin Freinet hat insbesondere die „Gleichschaltung“ und die „Indoktrina-
tion“ der Lernenden durch Lehrbücher kritisiert und den Unterricht ohne Lehrbuch,
durch Handeln und Kommunikation und ein produktives Umgehen mit Medien und
Materialien (z. B. durch schuleigene Druckereien, in denen schülereigene Texte „veröf-
fentlicht“ werden), zum Programm erhoben (vgl. Dietrich 1995: 26⫺29). Mit der Forde-
rung nach Lern(er)autonomie ist dieser Gedanke seit den 1990er Jahren wieder aufgegrif-
fen worden: Die Übertragung unterrichtsrelevanter Entscheidungen an die Lernenden
gerät in Konflikt mit der Steuerung des Unterrichts durch Lehrwerke.
ermöglichen (z. B. Sprachbrücke von Gudula Mebus et al. 1989⫺1990 und Sichtwech-
sel von Martin Hog et al. 1984 bzw. Sichtwechsel Neu von Saskia Bachmann et al.
1995 f.);
e) Als fünfte Generation bezeichnet Götze Lehrwerke, die er der ,mentalistischen
Wende‘ in der Methodik zurechnet, die also in stärkerem Maße kognitives Lernen ins
Zentrum rücken (z. B. Die Suche von Volker Eismann et al. 1993 f.). Die Abgrenzung
dieser fünften Lehrwerkgeneration ist allerdings strittig, da von einer kognitiven
Wende im Bereich der Methodik keineswegs durchgehend die Rede sein kann, eher
vielleicht von einem Ende starrer Methodenkonzeptionen, was auch dazu führt, dass
neuere Lehrwerke keinem einheitlichen methodischen Konzept mehr verpflichtet sind
(vgl. die Diskussion in Bausch et al. 1998) und sich vor allem an Prüfungsvorgaben
und dem GeR orientieren.
2. Lehrwerkentwicklung
In der DDR galten Lehrwerke als wichtige Instrumente zur „Umsetzung von Grundposi-
tionen der Erziehung und Bildung in die Praxis des Unterrichts.“ (Breitung et al. 1982:
19). Am Herder-Institut spielte die Entwicklung von Lehrmaterial daher eine wichtige
Rolle; seine Entwicklung war auch Gegenstand theoretischer Reflexion. In Westeuropa
dagegen war und ist die Entwicklung von Lehrwerken nur selten Gegenstand wissen-
schaftlicher Überlegungen. Das mag darin begründet sein, dass in die Entwicklung von
Lehrmaterial in hohem Maße kommerzielle Überlegungen einfließen, auch darin, „dass
sich der kreative Prozeß der Ausarbeitung eines Planungsschemas einer systematischen
Beschreibung entzieht“ (Neuner 1994: 230). Insgesamt ist wohl zu bedenken, dass das
Verhältnis der Fremdsprachendidaktik zur Unterrichtspraxis eher analytischer Natur ist,
während Präskription, sowohl was die Unterrichtsplanung, als auch was die Lehrwerk-
entwicklung betrifft, als unwissenschaftlich angesehen wird. Allerdings werden immer
wieder Forderungen nach stärker theoriegeleiteter Lehrwerkentwicklung erhoben (vgl.
Tulodziecki 1983). Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Textverständlichkeit und
Textverarbeitung, insbesondere mit Hilfe des sog. Hamburger Verständlichkeitskonzepts
(vgl. Langer et al. 1981) ist versucht worden, Grundsätze für die Gestaltung von Lehrma-
terial zu entwickeln. Wißner-Kurzawa (1985) hat anhand der Konstruktion von gramma-
tikalischen Texten für den Französischunterricht nachweisen können, dass die Verständ-
lichkeit von Instruktionstexten unter Nutzung solcher Erkenntnisse optimiert werden
kann. Konzepte des autonomen Lernens haben zu Überlegungen geführt, wie denn Lehr-
werke gestaltet werden können, die den Lernenden zu mehr Selbstbestimmung beim
Fremdsprachenlernen verhelfen. Nodari entwickelt entsprechende grundlegende Prinzi-
pien der Lehrwerkgestaltung, die die Verknüpfung des Sprachenlernens mit allgemein-
erzieherischen Zielen, Grundlagen für kommunikatives und kooperatives Sprachhandeln
im Unterricht und die Förderung des autonomen Lernens betonen (Nodari 1995: 181⫺
182). Auch bei diesen Grundsätzen wird deutlich, dass sich die Lehrwerkgestaltung nicht
linear aus wissenschaftlichen Erkenntnissen (hier etwa der Kognitionswissenschaften) ab-
leiten lässt, sondern in solche Grundsätze stets die bildungspolitischen Leitvorstellungen
der jeweiligen Zeit einfließen (vgl. genauer Krumm und Duszenko 2001).
1218 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Eine kritische Auseinandersetzung mit Lehrwerken findet in vielfältiger Form statt, seit
es Lehrwerke gibt: Die Entscheidung eines Lehrenden oder einer Institution, ein be-
stimmtes Lehrwerk zu verwenden, beruht auf der Anwendung mehr oder weniger be-
wusster Beurteilungs- und Auswahlkriterien. Der Schulausschuss der deutschen Kultus-
ministerkonferenz ließ z. B. 1977 die Lehr- und Lernmittel für Deutsch als Fremdsprache
(gemeint waren die für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht in Deutschland geeigne-
ten Lehrmaterialien) überprüfen und gab dazu eine Empfehlung ab (vgl. Schulausschuß
1977). Jedes Lehrwerk, das in Österreich an öffentlichen Schulen verwendet werden soll,
unterliegt einem Prüfungsverfahren durch eine vom Unterrichtsministerium berufene
Kommission; die Zulassungskriterien (u. a. Übereinstimmung mit dem Lehrplan, Be-
rücksichtigung der Selbsttätigkeit des Schülers, Berücksichtigung österreichischer Ver-
hältnisse, Gleichbehandlung von Mann und Frau) sind durch eine im Bundesgesetzblatt
veröffentlichte Ordnung festgelegt (vgl. Müller 1976).
Mit der Gründung eines „Arbeitskreises Lehrwerkforschung ⫺ Lehrwerkkritik“ ha-
ben Heuer und Müller den Anstoß zur Entwicklung einer wissenschaftlichen Lehrwerk-
kritik gegeben (vgl. Heuer und Müller 1973, 1975; Neuner 1979). Das Mannheimer Gut-
achten hat diese Impulse für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache aufgegriffen. Entstan-
den ist es auf Grund einer Anregung der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes der
Bundesrepublik Deutschland: Eine interdisziplinär zusammengesetzte Kommission von
Wissenschaftlern unter dem Vorsitz von Ulrich Engel vom Institut für Deutsche Sprache
in Mannheim erarbeitete einen Kriterienkatalog zur Bewertung von Lehrwerken (vgl.
Krumm et al. 1975) und legte umfassende Analysen der seinerzeit gängigen, in der Bun-
desrepublik publizierten Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache vor (vgl. Engel et
al. 1977, 1979). Die Kriterien des Mannheimer Gutachtens bewerten die didaktischen
Konzeptionen, die linguistischen Grundlagen wie z. B. den Ausschnitt der vermittelten
Sprache, die Art der Grammatikvermittlung, Texte und Kontrastivität, und die Themen-
planung, wozu die Frage der Literatur und der Landeskunde gerechnet wird (zu den
Kriterien im einzelnen vgl. Engel et al. 1979: 9⫺29).
Lehrwerkkritik versucht, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse, unterrichtliche
Erfahrungen und didaktische Zielvorstellungen in einer hermeneutischen Lehrwerkana-
lyse zu bündeln. Sowohl die Auswahl der zu Grunde gelegten Kriterien als auch deren
Anwendung auf konkrete Materialien stellen, selbst wenn die Lehrwerkkritik als interdis-
ziplinäre Teamarbeit angelegt ist, Formen einer subjektiven Interpretation dar, die ⫺
auch im Falle des Mannheimer Gutachtens ⫺ durchaus kontrovers diskutiert werden
können (vgl. die Diskussion in Zielsprache Deutsch 1978). Zugleich wurde mit dem
Mannheimer Gutachten für das Fach eine Tradition der Lehrwerkkritik und -analyse
begründet (vgl. z. B. Schmidt 1994). Gegenüber der Behauptung, nur Erfahrung erlaube
eine angemessene Beurteilung von Lehrwerken (vgl. die Kritik an einer „spekulativen
Lehrwerkkritik“ bei Heindrichs et al. 1980: 149⫺150) steht hinter den Lehrwerkgutach-
ten die Überlegung, dass Erfahrung auch blind machen könne für neue Ansätze und
Möglichkeiten, dass es also erforderlich sei, Lehrwerke auch unabhängig von ihrer prak-
tischen Erprobung auf die Übereinstimmung mit didaktischen und fachlichen Konzepten
zu überprüfen. Anhand von Lehrwerken für den Sachunterricht in der Schule haben
Rauch und Wurster (1997) deutlich machen können, dass eine Schreibtischevaluation von
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1219
4. Lehrwerkorschung
Im Unterschied zur Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse, die das Lehrwerk als Produkt
untersuchen, zielt Lehrwerkforschung im Sinne einer Wirkungsforschung auf den Lern-
und Unterrichtsprozess. Dabei ist zwischen einer systematischen Erprobung von Lehr-
werken eventuell schon im Rahmen ihrer Entwicklung und einer Wirkungsforschung, die
die Nutzung der Lehrwerke durch Lehrende und Lernende und ihre Wirkung insgesamt
oder aber von einzelnen Elementen auf die Beteiligten untersucht, zu unterscheiden.
Schließlich ist auch die historische Forschung in Betracht zu ziehen, geben Lehrwerke
doch einen Einblick in das Verständnis des Sprachenlehrens und -lernens in der Vergan-
genheit.
4.1. Lehrwerkerprobung: Auch wenn Lehrwerkautoren oder -verlage immer wieder auf
eine der Publikation vorausgegangene Erprobung von Lehrwerken verweisen, hat sich
im Bereich des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache kein Standard etabliert, nach
dem solche Erprobungen systematisch durchgeführt und auch publiziert werden. Sie hät-
ten Auskunft zu geben über erreichte Wirkungen, über Fehleinschätzungen und auf
Grund der Erprobung durchgeführte Korrekturen (vgl. Krumm 1982). Solche Erprobun-
gen ließen sich als erste Stufe einer unterrichtsbezogenen Lehrwerkforschung betrachten
und würden vor allem die Lehrwerkentwicklung auf eine empirische Grundlage stellen.
Einen Schritt in diese Richtung leistete die Darstellung der Begleituntersuchung zu dem
Projekt Sprachbrücke, in dem es um die Entwicklung von Curricula und Lehrmaterialien
für den Deutschunterricht mit Familienangehörigen der amerikanischen Streitkräfte in
1220 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Deutschland ging (Legutke 1997a). Die Erprobung des Materials schloss die Untersu-
chung des Gebrauchs, den Lehrende und Lernende von dem Materialangebot machen,
ein (De Leeuw und Legutke 1997; Legutke 1997b). Auch hier fehlen allerdings Auskünfte
darüber, welche Konsequenzen im Konkreten für die Überarbeitung des Lehrmaterials
gezogen wurden.
4.2. Lehrwerkwirkung: Die Untersuchung der Wirkungen von Lehrwerken auf den Un-
terrichtsprozess, ihrer Nutzung durch Lehrende und Lernende kann teilweise an Er-
kenntnisse in anderen Fächern (z. B. hinsichtlich der Stereotypenforschung) und anderer
Fremdsprachen anknüpfen und hieraus Konsequenzen auch für den Deutschunterricht
ableiten. So dürften die folgenden, in anderen Unterrichtsfächern gewonnenen Erkennt-
nisse durchaus auch für den Deutschunterricht zutreffen:
a) Bis weit in die 1980er Jahre wird der Unterricht bis zu 80 % vom Lehrmaterial domi-
niert; Lehrende tendieren dazu, das Ausbrechen der Lernenden aus den Vorgaben des
Lehrwerks immer wieder zu verhindern und den Unterricht am Lehrwerk zu orientie-
ren (vgl. Quetz 1976; Niskanen 1987). Dass Lehrende den Aktualisierungsspielraum
kaum nutzen, den ihnen Lehrwerke bieten, mag auch in einer fehlenden Ausbildung
begründet sein.
b) Die Verwendung von schriftlichem Lehrmaterial „scheint als Ergebnis das Verschwin-
den von schülerzentrierten und kooperativen Arbeitsformen (…) und eine deutliche
Einseitigkeit im Gebrauch von Aktivitätsformen hervorzubringen“ (Koskenniemi und
Koumulainen 1983: 17). Das könnte aber auch darin begründet sein, dass Lehrende
Materialien vermissen, die es erlauben, unterschiedlichem Lernverhalten gerecht zu
werden (vgl. Niskanen 1987: 13⫺14).
c) Untersuchungen zur Entwicklung der Lernersprache legen die Vermutung nahe, Ler-
nende würden die im Lehrwerk gelieferten Kommunikationsmodelle strukturell ver-
einfacht und unter Reduktion von semantischer Komplexität übernehmen (vgl. Hül-
len und Lörscher 1979), wenn Lehrende nicht gegensteuern.
d) Die wenigen vorliegenden Untersuchungen über die Reaktionen der Lernenden auf
Lehrwerke zeigen eher negative Einschätzungen des Faktors Lehrwerk. 1986 hatten
bei einer Umfrage des Goethe-Instituts 61,2 % der Befragten ihre Lehrbücher als ins-
gesamt nicht positiv beurteilt, auch in der Studie von Slivensky, bezogen auf den
Deutschunterricht in Japan, bleiben die Einstellungen zum Nutzen von Lehrwerken
eher negativ.
Tab. 137.1: Haben Sie mit Ihrem Lehrbuch viel gelernt? (Slivensky 1996: 210)
Kommunikatives Lehrbuch: Grammatisch orientiertes Lehrbuch:
n ⫽ 127 n ⫽ 423
in %
Ja, sehr viel 1,6 3,8
ziemlich viel 27,7 30
nicht so viel 58 61,7
Zu wenig 3,9 2,8
An seinen Lehrbüchern erkennt man ein Volk. Ihre soziologische Funktion ist eine
doppelte: sie spiegeln und sie prägen. Das Lesebuch gehört zu jenen institutionel-
len Einrichtungen, die, aus dem Nationalcharakter herausgewachsen, ihrerseits
diesem zu einer festen Form verhelfen. (Minder 1953: 1)
So betrachtet Karnein (1976) das Sprachbuch von Meister Jörg nicht nur als frühes
Lehrwerk unter dem Aspekt der vermittelten Sprache, sondern zugleich als Dokument,
das Auskunft über den Gebrauchswert der deutschen Sprache gibt. Bei Krauskopf (1985)
werden französische Deutsch- und deutsche Französischlehrwerke daraufhin untersucht,
wie das jeweilige Fremdbild ausgestaltet ist und ob die Aufbereitung der Themen zur
Vermeidung von Missverständnissen beitragen kann. Wegner (1997) bezieht in ihre um-
fangreiche Studie zur Geschichte des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts in Frank-
reich und England seit 1900 auch die dort erschienenen Deutschlehrwerke ein. Ihre Ana-
lyse macht deutlich, dass sich jenseits des universalen fremdsprachendidaktischen Kon-
senses über eine kommunikative Orientierung des Unterrichts und der Lehrwerke
nationale Traditionen und Tendenzen in den Richtlinien und Lehrwerken der beiden
Länder behaupten: Während der Deutschunterricht in Frankreich sich bis in die Gegen-
wart als eine éducation civique versteht, die auch auf einer „Abgrenzung vom Anderen
durch historisch-ethnische, kulturelle und literarische Konstrukte beruht“, zielen
Deutschunterricht und Lehrwerke in England auf „social competence“ und interkultu-
relle Verständigung (alle Zitate: Wegner 1999: 426⫺427).
5. Regionale Lehrwerke
Wie problematisch es sein kann, methodische Konzepte bzw. Lehrwerke, die im deut-
schen Sprachraum entwickelt wurden, direkt in andere Bildungskontexte zu übertragen,
zeigen die Studie von Ngatcha (1991) zu Kamerun ebenso wie die Untersuchung von
Röttger (2004) zu Griechenland: Röttger weist nach, dass bereits innerhalb Europas
Selbst- und Fremdbilder, historische Konstellationen und Dominanzverhältnisse sich
auch in der Reaktion auf und Arbeit mit Lehrwerken spiegeln, so dass ein Methoden-
1222 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
und Materialtransfer einer interkulturellen Reflexion und Didaktik bedarf. Auch Grüne-
wald (2005), der in einer Longitudinalstudie prüft, wie sich die Deutschland- und Deut-
schenbilder bei japanischen Deutschlernenden verändern, arbeitet die methodischen und
inhaltlichen Nachteile europäischer Lehrwerke für den Deutschunterricht in Japan he-
raus (vgl. auch Terada und Holzer-Terada 2002). Auch im Fach Deutsch als Fremdspra-
che ist daher seit den 1980er Jahren eine Debatte über Methodentransfer und die Not-
wendigkeit regionaler Lehrwerke entstanden (vgl. Krumm 1987 sowie im einzelnen Brei-
tung und Lattaro 2001). Als Beitrag zu dieser Diskussion sind die Kriterien für die
Lehrwerkanalyse anzusehen, die auf spezifische Lehr- und Lernbedingungen in einzelnen
Ländern Bezug nehmen und in der Regel auch unter Einbeziehung von Experten und
Praktikern dieser Länder entwickelt wurden: Beispiele hierfür sind der Stockholmer Kri-
terienkatalog (vgl. Krumm et al. 1987 und 1994), dem die Situation in den nordischen
Ländern zu Grunde liegt, und der Brünner Kriterienkatalog, der in der tschechischen
Republik erarbeitet wurde (vgl. Jenkins 1997). Als beispielhaft kann auch das von der
Europäischen Union geförderte Projekt „Interkultureller Dialog durch regionalisierte
Lehrwerke (idial)“ angesehen werden, in dem regionalspezifische interkulturelle Lehrma-
terialien für den Deutschunterricht bulgarisch-, polnisch- und slowakischsprachiger Ler-
nender sowie umgekehrt Material für Bulgarisch, Polnisch, Russisch und Slowakisch für
deutschsprachige Lernende entwickelt wurde.
Die Erkenntnis, dass eine Anpassung von Methoden und Lehr-Lernmaterial an Ler-
nende mit anderen sprachlichen, kulturellen und Lernerfahrungen nicht nur in anderen
Kulturräumen, sondern ebenso für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht bei Lernen-
den mit Migrationshintergrund im deutschen Sprachraum erforderlich ist, setzt sich ge-
rade erst durch, wobei die Lehrwerkentwicklung für Deutsch als Zweitsprache den An-
sprüchen an eine interkulturelle, angepasste Methodik noch nicht immer gerecht wird
(vgl. Art. 6).
6. Perspektiven
Lehrwerkforschung und Lehrwerkanalyse verfolgen stets mehrere Zwecke: die Weiterent-
wicklung unserer Kenntnisse über Sprachlehr- und -lernprozesse ebenso wie eine kon-
krete Verbesserung des vorhandenen Lehrmaterials. Folgende Gesichtspunkte könnten
für die weitere Entwicklung leitend sein:
1. die Weiterentwicklung von Analysekriterien, um Lehrenden für die Lehrbuchauswahl
und Lehr-Lernmaterialautoren für die Entwicklung von Lehrwerken begründete und
dem jeweiligen Erkenntnisstand entsprechende Gesichtspunkte an die Hand zu geben;
2. die vorausgehende Erprobung und begleitende Evaluierung von Lehr-Lernmaterialien
im Sinne einer Praxisforschung, die die Lehrenden und, soweit möglich, auch die
Lernenden in den Erprobungs-Entwicklungs-Zyklus einbezieht (vgl. März 1996);
3. die weitere Erforschung der Wirkungen von Lehrwerken, wobei es zunächst einmal
darum geht zu untersuchen, wie Lehrende und Lernende überhaupt das Material nut-
zen, ob sie die Aktualisierungsspielräume ausschöpfen; auch die Klärung der Rolle
zahlreicher Einzelfaktoren steht weiterhin aus: so die Rolle von visuellen Darstellun-
gen, der graphischen Aufbereitung und technischen Konfektionierung ebenso wie ins-
besondere der Zusammenhang zwischen Lehrwerkgestaltung und Lernerwartungen;
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1223
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138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1227
Zielsprache Deutsch
1978 Sonderteil: Kritische Beiträge zum Mannheimer Gutachten. Heft 2.
1. Einleitung
worin der Mehrwert der jeweiligen Medien oder Werkzeuge bestehen kann bzw. nach
ersten Forschungsergebnissen besteht. Unter dem Begriff der elektronischen Umgebung
wird in einem sehr weiten Sinne jede Kontaktmöglichkeit des Lernenden mit der Sprache
verstanden, die über einen Computer hergestellt wird. Ein kurzes Fazit schließt den Arti-
kel ab.
3. Oline-Anwendungen
3.1. Oline-Medien
Elektronische Lexika
Ein Beispiel für authentische elektronische Medien sind die elektronischen Versionen
von Lexika, die inzwischen zu fast allen Papierversionen alternativ zur Verfügung stehen.
Der große Vorteil einer elektronischen Version im Vergleich mit der Papieralternative
besteht in ihrer Datenbankbasierung, die z. B. differenzierte Suchfunktionen erlaubt, wo-
durch Lernende große Mengen von Informationen gezielt nach den von ihnen gesuchten
durchforsten können. Mitschian weist (im Zusammenhang mit dem Gebrauch von elek-
tronischen Wörterbüchern, vgl. Mitschian 2004: 56) aber zu Recht darauf hin, dass der
vermeintliche Vorteil einer Suchfunktion sich gerade im Bereich des Lernens auch als
Nachteil erweisen kann: Im Fall der Lexika wird die Möglichkeit eines inzidentellen
Lernens möglicherweise reduziert, da Lernende sich nicht durch das Lexikon blättern
müssen (und dabei vielleicht zufällig andere spannende Einträge entdecken, in Bezug auf
das Lesen von Hypertexten auch als Mitnahme- bzw. serendipity-Effekt bezeichnet, vgl.
Eibl 2004: 135), sondern gezielt zur gesuchten Information kommen und auch nur diese
präsentiert bekommen. Gleichzeitig bietet die Hypertext- und Multimediastruktur vieler
digitaler Lexika jedoch auch Anreize zum Weiterlesen, die ein traditionelles Lexikon
nicht in gleicher Weise zur Verfügung stellen kann (z. B. komfortablere Nutzung von
Verweisen durch Hyperlinks; zusätzlich zu Bildmaterialien auch Videos oder Audioda-
teien etc.).
1230 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Sprachkorpora
Einen weiteren, zunehmend wichtigeren Bereich bilden Sprach- (und spezifische Ler-
ner-) Korpora. Die größte Sammlung von Sprachkorpora zur deutschen Sprache bietet zur-
zeit das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (http://www.ids-mannheim.de/kl/
projekte/korpora/). Sprachkorpora (wie z. B. auch das WWW) können unter Verwen-
dung von korpuslinguistischen Analyseprogrammen von Lernenden für die selbstgesteu-
erte Auseinandersetzung mit Wortschatz oder bestimmten sprachlichen Strukturen einge-
setzt werden (vgl. zu Möglichkeiten der Nutzung der Ergebnisse der Korpuslinguistik
für den DaF-Unterricht die in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache eröffnete Reihe
von Beiträgen, u. a. Fandrych und Tschirner 2007; ein kostenloses Analyseprogramm
bietet z. B. das IDS zum kostenlosen Download an: http://www.ids-mannheim.de/
cosmas2/web-app/).
Hörbücher/Audiovisuelles Material
Andere interessante Möglichkeiten bietet der Einsatz von Hörbüchern oder von audi-
ovisuellem Material auf CD-ROM oder DVD. Im Vergleich zu den entsprechenden tradi-
tionellen Medien auf Kassette oder Video liegen die Vorteile der digitalen Varianten
darin, dass Lernende innerhalb der Texte leichter navigieren können, dass sie im Rahmen
von Unterricht nicht auf eine zentrale Bedienung durch die Lehrperson angewiesen sind,
sondern die Audio- und Videodateien in ihrem Lernrhythmus abspielen können (größere
Lernerkontrolle), und dass sie bei Filmen häufig zwischen mehreren Sprachversionen
wählen können (zum Einsatz audiovisuellen Materials vgl. Art. 139).
Elektronische Wörterbücher
Zu den adaptierten Medien können elektronische Wörterbücher oder auch Lexika
gezählt werden, die in Form von Schülerwörterbüchern oder Kinderlexika für eine ganz
spezifische Lern- bzw. Zielgruppe konzipiert worden sind. Zum Teil finden sich elektroni-
sche Wörterbücher auch als ein Element von Lernsoftwareprogrammen auf CD-ROM
oder DVD (siehe 3.1.3.).
Lernsoftware
Symptomatisch für die Einschätzung von Lernprogrammen durch die Forschung er-
scheint die Äußerung Roches (2008b), der kritisiert:
Dieser Einschätzung Roches kann man nur zustimmen, auch wenn man einschränkend
sagen muss, dass solche Produkte natürlich auch bei Alleinlernenden ⫺ in sicherlich
spezifischen Bereichen wie z. B. dem Wortschatzerwerb, dem Erwerb grammatischer
Strukturen oder der Aneignung von Faktenwissen (vgl. Rüschoff und Wolff 1999: 79) ⫺
durchaus lernfördernd wirken können, vor allem dann, wenn die Lernenden eine ausrei-
chend hohe Motivation mitbringen. Dem Autor ist auch darin zuzustimmen, dass der
Umfang der wissenschaftlichen Forschung zu diesen Programmen in keiner Weise ihrer
hohen Verbreitung entspricht; der von ihm angemerkte mangelnde Nachweis nachhalti-
ger Lerneffekte (vgl. Roche 2008b: 357) kann also auch darauf zurückgeführt werden,
dass der Einsatz von Lernsoftware in verschiedenen Lernkontexten bisher viel zu selten
in quantitativen und qualitativen Langzeitstudien untersucht worden ist ⫺ weder in Hin-
blick auf Lernerfolge noch auf individuelle Bearbeitungen durch einzelne Lernende.
Schon kleinere qualitative Erhebungen machen deutlich, wie unterschiedlich Lernende
mit dem gleichen Material umgehen (vgl. Nandorff 2004) und welche Potenziale der
Einsatz von Lernsoftware z. B. im Unterricht bieten kann, wenn sie dort in Partnerarbeit
eingesetzt wird (vgl. Schmidt 2007). Geforscht wird außerdem mit Bezug auf einzelne
Aspekte von Lernsoftware, die als besonders medienspezifisch und als Quelle für einen
Mehrwert im Vergleich zur Bearbeitung ähnlicher Materialien auf Papier angesehen wer-
den: Dazu zählen die Bereiche der integrierten Wörterbücher und Glossare, der Gram-
matikanimation, der Fehleranalyse und des Feedbacks sowie der programminternen
Lernsteuerung, wobei sich die Forschung nicht nur auf den Bereich der geschlossenen
Multimediaprogramme auf CD-ROM oder DVD bezieht, sondern auch auf vergleich-
bare Programme, die im Internet angeboten werden.
Grammatikanimation
Bisherige Forschungen zu den Möglichkeiten und Lerneffekten animierter Gramma-
tikanwendungen finden sich vor allem im Bereich der Wechselpräpositionen, des Prono-
mens es, der Wortbildung und der Satzklammer. Studien haben gezeigt, dass die Ani-
mationen bei individuell Lernenden zu einer besseren Verarbeitung der Inhalte führen
können; dabei muss aber gesichert sein, dass es tatsächlich zu einer Entnahme aufgaben-
relevanter Informationen kommen kann und nicht stattdessen der Lernprozess durch die
Visualisierung zusätzlich erschwert wird, weil die Animation die Lernenden kognitiv stär-
1232 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
ker belastet (vgl. Scheller 2009). Rösler plädiert zu Recht dafür, Grammatikanimationen
in Zukunft stärker zu Bereichen zu entwickeln, die kognitiv nicht so einfach zu vermitteln
sind (vgl. Rösler 2008: 378).
und Entwicklung auf diesem Gebiet voranschreiten, hat dabei vor allem, aber nicht nur,
mit der Komplexität des Gegenstands (der natürlichen Sprache) zu tun. Das Gebiet
zeichnet sich auch durch die in der Fremdsprachenforschung eher ungewohnte Situation
aus, dass Fortschritte und Ergebnisse nicht offen kommuniziert werden, da die Entwick-
lung eines funktionierenden intelligenten Sprachanalysesystems hohe Renditen ver-
spricht. Einen Einblick in tatsächlich vorliegende Produkte (und vor allem in die dahin-
ter liegende Technik) zu erhalten, ist deshalb nicht ohne Weiteres möglich (ein Beispiel
für solch ein Programm ist der German Tutor, der maßgeblich durch Heift entwickelt
und von dieser in mehreren Studien beforscht worden ist, vgl. Heift und Schulze 2007).
3.2. Oline-Werkzeuge
Autorenprogramme
Durch bestimmte sogenannte Makros können Textverarbeitungsprogramme zu me-
thodisierten Werkzeugen werden: So bietet das kostenpflichtige Programm ZARB Leh-
renden die Möglichkeit, in Word unterschiedliche Übungstypen zu erstellen. Programme,
mit denen das Erstellen interaktiver Aufgaben und Übungen ermöglicht wird, die offline
oder online am Computer oder zum Teil ausgedruckt auf Papier bearbeitet werden kön-
nen, nennt man Autorenprogramme. Das zurzeit bekannteste Programm ist HotPota-
toes. Daneben existieren kommerzielle Programme, mit denen eine Vielzahl verschiedener
Aufgabenformate umgesetzt werden können, die aber aufgrund ihrer Komplexität häufig
eine hohe Einarbeitungszeit notwendig machen und für Laien deshalb eher ungeeignet
sind (vgl. Ulrich 2005: 9).
4. Online-Anwendungen
4.1. Online-Medien
Hyperfiction
Merkmale der medienspezifischen Textsorte Hyperfiction sind ihre Hypertextstruktur,
ihre Offenheit und zum Teil auch ihre Multimedialität. Das Lesen von Hyperfiction stellt
die Lesenden vor besondere Herausforderungen, da die Rezeption dieser Texte anders
verläuft bzw. verlaufen muss als die Rezeption linearer Texte auf Papier: Den Lesenden
wird kein kohärenter Text präsentiert, sondern diese schaffen sich ihren Text durch das
Anklicken bestimmter Links selbst; sie sind also ständig zum Treffen von Entscheidungen
gezwungen und darüber hinaus mit den Schwierigkeiten der Kohärenzbildung konfron-
tiert (vgl. Gölitzer 2003: 127).
Lernertexte
Eine andere Textsorte, die zwar keineswegs medienspezifisch ist, die aber im Zuge des
Einsatzes digitaler Medien im DaF-/DaZ-Unterricht an Bedeutung gewonnen hat, ist die
der Lernertexte. Durch die digitalen Verbreitungsmöglichkeiten haben Lernende (privat
oder in institutionellen Kontexten) die Möglichkeit gewonnen, ihre neu erworbenen
Sprachenkenntnisse z. B. in eigenen Blogs oder Podcasts (vgl. 4.2.1.) auszuprobieren und
zu hoffen, dass die Welt auf sie reagiert und sie Zugang zu einer authentischen Kommu-
nikation erhalten, die ihnen das Klassenzimmer nie in gleicher Weise bieten kann (vgl.
Rösler 2008: 384). Gleichzeitig können solche Texte von anderen Lernenden wiederum
für das eigene DaF-/DaZ-Lernen genutzt werden ⫺ entweder, indem Lernende auf solche
von anderen Lernenden im Internet eingestellte Texte reagieren, oder auch, indem solche
Texte Teil der von ihnen benutzten digitalen Lehrwerke werden, wodurch diese wiederum
an „didaktischer Authentizität“ gewinnen könnten (Rösler 2004: 387).
wird, die noch dazu nicht in einem anderen Medium, sondern in demselben erfolgt.
Lernende rezipieren also z. B. nicht nur die Einträge eines enzyklopädischen Wikis, son-
dern verfassen auch eigene Einträge, sie verfolgen nicht nur Blog-Tagebücher von Gleich-
altrigen aus dem Zielsprachenland, schauen sich deren Videoclips an oder hören deren
Schulpodcast, sondern sie nehmen über die Kommentarfunktion Kontakt auf, fragen
nach, verweisen vielleicht auf eigene oder andere für sie interessante Blogs, Videoclips,
Fotos, Podcasts etc.
Wie schon unter 3.1.3. angesprochen, existieren viele der Offline-Medien im Bereich der
adaptierten Medien auch online ⫺ so gibt es zahlreiche kostenlose wie auch kommerzielle
Online-Wörterbücher oder auch Online-Lexika für bestimmte Zielgruppen. Zu den on-
line verfügbaren adaptierten Medien gehören zahlreiche (kleinere oder umfangreichere)
Online-Grammatiken. Daneben gibt es auch sogenannte Wörternetze, d. h. elektronische
Wortschatzressourcen, die auf dem Prinzip der semantischen Vernetzung aufbauen und
dem Lernenden beim Wortschatzerwerb helfen sollen, indem sie den Aufbau des menta-
len Lexikons simulieren. Informationen aus semantischen Datenbanken werden hier in
dynamisch visualisierten Wörternetzen zugänglich gemacht. Jeder Eintrag ist ein Hyper-
link, der zu einem neuen Teilnetz führt; außerdem können Zusatzinformationen zu jedem
Eintrag eingestellt werden (wie Bedeutungsumschreibungen, Kontexte, Audiofiles etc.).
„Auf diese Weise werden verschiedene lexikalische Informationsebenen ausgehend von
der semantischen Verknüpfung verfügbar, was in der linearen Darstellungsweise eines
Print-Wörterbuches so nicht geleistet werden kann“ (Plieger 2007: 192).
Ein weiteres Beispiel sind die Podcasts der Deutschen Welle, die tagesaktuelle Nach-
richten in kurzen Audiodateien liefern und in zwei Versionen, einer normal gesprochenen
und einer langsam gesprochenen, existieren. In den Bereich der adaptierten Medien gehö-
ren schließlich noch Sprachlernportale, die als Einstieg in den Internet-Dschungel dienen
können. Für den Bereich des schulischen Lernens sind z. B. die Internetseiten der Zent-
rale für Unterrichtmedien (ZUM; http://www.zum.de/) oder das facettenreiche Portal
von Lehrer-Online (http://www.lehrer-online.de/) zu nennen, auf denen Lehrende und
Lernende systematische Übersichten zu nichtdidaktisierten (wie auch didaktisierten)
Materialien finden; für den außerschulischen Bereich bieten sich die Seiten des Goethe-
Instituts (http://www.goethe.de) oder das DaF-Portal des IIK (http://www.iik.de/
indiik.html) als Ausgangspunkte an.
Writing Lab an der TU Darmstadt u. a. Ballweg 2008), sowie Portale von Verlagen, in
denen diese in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Qualität lehrwerkbeglei-
tendes Online-Material anbieten (vgl. dazu die jeweiligen Verlagsseiten im Internet), zum
Teil kostenfrei, zum Teil aber auch kostenpflichtig.
Vieles von dem, was unter 3.1.3 zur Lernsoftware auf CD-ROM oder DVD gesagt
worden ist, gilt auch für Online-Lernprogramme oder Aufgaben- und Übungssammlun-
gen. Eine Integration innovativerer Medien oder Werkzeuge findet sich aber eher in inter-
netgestützten Angeboten, u. a. weil diese häufiger aktualisiert, überarbeitet, ergänzt, neu
gestaltet werden bzw. werden können und in dieser Form dann allen Anwendern ⫺ an-
ders als vergleichbare Angebote auf CD-ROM oder DVD ⫺ allen Nutzenden direkt
zur Verfügung stehen. Ebenso finden sich im WWW deutlich vielfältigere Formen von
didaktischen Materialzusammenstellungen, z. B. solche, die im Blended Learning-Modus
benutzt werden sollen (also Formen des Online-Lernens und des Präsenzlernens verbin-
den, vgl. das Themenheft von Fremdsprache Deutsch 42/2010), oder solche, die der Ler-
nende ⫺ angeleitet oder mit Unterstützung durch einen Online-Tutor (vgl. dazu 4.2.1.) ⫺
benutzen soll bzw. benutzt.
In einer Zwischenbilanz zum Einsatz digitaler Medien im Bereich DaF im Jahr 2008
versucht Rösler, die erfolgten bzw. die möglicherweise in naher Zukunft zu realisierenden
Veränderungen zu beschreiben. Die umfassendsten scheinen für ihn dabei die im Bereich
der Lehrmaterialerstellung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Bereich
der Lehrmaterialanalyse zu sein: So sieht er die Möglichkeit, dass es in der Lehrmaterial-
erstellung (begünstigt u. a. durch die Möglichkeiten digitaler Distributionsweisen) end-
lich zur „zielgruppengenaueren Produktion eines Lehrwerks on demand“ (Rösler 2008:
375) kommen könnte ⫺ und damit die in der fremdsprachendidaktischen Forschung
lange geforderte Regionalisierung von Lehrwerken in zufriedenstellender Weise realisiert
werden könnte. Gleichzeitig könnte und sollte die steigende Komplexität der Lehrmateri-
alverbünde sinnvollerweise dazu führen, dass die Lehrmaterialanalyse in naher Zukunft
in einer empirischen Unterrichtsforschung aufgeht (vgl. Rösler 2008: 377).
4.2. Online-Werkzeuge
Eine besonders bedeutsame Rolle kommt den Online-Werkzeugen im DaF-/DaZ-Lernen
für Kommunikations- und Kooperationszwecke zu, denn hier lässt sich am deutlichsten
und in größtem Umfang ein Mehrwert gegenüber einem DaF-/DaZ-Lernen ohne Inte-
gration des Internets erkennen (vor allem natürlich für den Bereich DaF): Die Möglich-
keiten für Lernende, mit Sprechern oder mit anderen Lernenden der Zielsprache (außer-
halb ihrer eigenen Lerngruppe) in einen (authentischen) Kontakt zu treten, waren noch
nie so zahlreich und einfach zu realisieren wie heutzutage ⫺ wobei die Entwicklung
des WWW zum Mitmachnetz diese Möglichkeiten (zumindest theoretisch) noch einmal
erweitert hat. Im Folgenden werden sowohl die Werkzeuge als auch mögliche Einsatzsze-
narien beschrieben.
Foren
Erstaunlich wenig Forschung gibt es im Bereich DaF/DaZ bisher zum spezifischen
Einsatz von asynchronen Diskussionsforen im Fremdsprachenunterricht, obwohl auch
dieses Werkzeug schon lange existiert, fester Bestandteil jeder Lernplattform ist und sei-
nen Platz im computergestützten Fremdsprachenunterricht gefunden hat ⫺ sei es zur
Fortführung von im Präsenzunterricht begonnenen Diskussionen, sei es für reine Online-
Meinungsaustausche etc. Forschungsergebnisse aus Nachbardisziplinen weisen u. a. auf
die Bedeutung der Betreuung durch Lehrende hin; so kann z. B. deren inhaltlich struktu-
rierende Moderierung von Foren helfen, die Kohärenzbildung und mentale Vernetzung
bei den Lernenden zu unterstützten (vgl. u. a. Berkemeyer 2008).
1238 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Lernplattformen
Bei Lernplattformen handelt es sich um auf einem Server installierte Software, die
sowohl Zugriff auf unterschiedliche Formen von Daten ermöglicht als auch Organisati-
1240 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
E-Portfolios
Ein Beispiel für methodisierte Werkzeuge sind die E-Portfolios, die die Vorteile digita-
ler Medien mit denen der Papierportfolio-Idee verbinden. E-Portfolio-Software wird
ähnlich wie eine Lernplattform von einer Institution auf einem eigenen Server installiert
und kann von den Lernenden per Browser erreicht werden; E-Portfolios bieten sowohl
die Möglichkeit zur Sammlung und Darstellung eigener Produkte als auch die der Selbst-
einschätzung (vgl. zum allgemeinen Einsatz von E-Portfolios und speziell zum Europä-
ischen Sprachenportfolio die Beiträge in Hornung-Prähauser et al. 2008).
5. Fazit
DaF-/DaZ-Lernen kann durch einen didaktisch sinnvollen Einsatz elektronischer Umge-
bungen bereichert, erleichtert, verändert werden. Eine der wichtigsten Funktionen be-
steht darin, durch die Integration des Internets die Künstlichkeit des Fremdsprachenun-
terrichts (zumindest in Teilen) hintergehbar zu machen (vgl. Rösler 2008: 374). Die letz-
ten Jahre des vermehrten Internetgebrauchs haben aber auch gezeigt, dass es für einen
gelingenden Einsatz des Engagements, des Mutes und der Kompetenz der Lehrenden
bedarf. Diese brauchen dafür vor allem eine angemessene mediendidaktische Aus- und
Fortbildung; über deren sinnvolle Konzeptionierung muss intensiver nachgedacht wer-
den.
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1. Einleitung
Sagt ein Bild wirklich mehr als 1.000 Worte? Oder kann etwa ein Laut mehr als 1.000
Bilder zeigen? Über die Rolle audiovisueller Medien im Fremdsprachenunterricht ist je-
denfalls viel spekuliert worden. Viele Lehrwerke orientieren sich an der Annahme, dass
Bilder per se eine universelle Sprache darstellen, die lautliche und graphemische Systeme
ersetzen kann, und ein paar alternative Methoden basieren umgekehrt auf der Annahme,
mit lautmalerischen Verfahren ließen sich semantische und funktionale Eigenschaften
von Sprachen vermitteln (direkte Methode, total physical response, vgl. Lado 1977). Em-
pirische Untersuchungen gibt es jedoch nur zu einzelnen Aspekten der Medialität, meis-
tens zur Ausspracheschulung (vgl. Richter 2002; Lewalter 1997) und erst seit relativ kur-
zer Zeit zum Einsatz von Computeranimationen im Spracherwerb (Scheller 2009, kritisch
zum Einsatz auditiver Verfahren in suggestiven Methoden Baur 1996). Während die bis-
herige Beschäftigung mit Medien im Spracherwerb verbreitet behavioristische, motivatio-
nale oder missionarische Züge trug, geht es in diesem Beitrag um die Darstellung von
Prinzipien, Potenzialen und Problemen des Einsatzes von Medien unter dem Aspekt der
Mehrwerterzielung. Hieraus lassen sich in der Folge Verfahren für Unterricht und Er-
werb ableiten.
1244 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
Wenn es ⫺ wovon heute alle Welt ausgeht ⫺ Ziel des Unterrichts ist, kommunikative
Kompetenzen für Alltag und Beruf zu vermitteln, dann kann dies nur unter Berücksichti-
gung authentischer Rede- und Schreibanlässe, Situationen, Kontexte und Kommunikati-
onsziele geschehen. Da die verschiedenen Medien in der Kommunikation in Alltag und
Beruf pragmatisch verwendet werden und dabei unterschiedliche Gattungen hervorbrin-
gen (in direkter monologischer oder dialogischer Kommunikation, in elektronischer
Kommunikation über Telefon, Chat, E-Mail, Foren, Blogs, Wikis, Video-Konferenzen
etc.), lassen sich diese Medien ganz natürlich auch im Unterricht verwenden. Nur die
technische Ausstattung muss dafür vorhanden sein, entweder vorinstalliert oder ⫺ zu-
nehmend ⫺ von den Lernenden mitgebracht. Entscheidend für den Medieneinsatz sind
die angestrebten Kompetenzen, die Interessen der Lernenden und die Themen. Besonders
eignen sich die elektronischen Medien als Arbeitswerkzeuge, wie sie in elektronischen
Textverarbeitungsprogrammen, Ressourcen (Wörterbüchern, Thesauri, Rechtschreibprü-
fungen etc.), Fahrplänen, Fragebögen, Design- und Konstruktionsprogrammen, Bestell-
formularen, Auskunftsprogrammen (z. B. Wetterberichten) und interaktiven Spielpro-
grammen und vielem mehr zur Verfügung stehen. Diese Nutzungsmöglichkeiten sind
unter anderem im aufgabenbasierten und fallbasierten Lernen, in der Szenariendidaktik,
der interkulturellen Sprachdidaktik und dem konstruktionistischen Lernen bereits ange-
legt (vgl. Roche 2008a; Fischer et al. 2007; Hölscher, Piepho und Roche 2006; Piepho
2003; Hölscher 2005, 2004, 2003; Fischhaber 2002; Beers 2001; Mayer et al. 1999; Issing
1997; Goldman-Seagall 1998; Papert 1980). Auch die Nutzung der Medien selbst und die
kulturspezifischen Differenzierungen der Textgattungen können dabei zu einem Thema
der Beschäftigung in der Fremdsprache werden. Ansonsten bedarf es eigentlich keines
gesonderten Aufwandes.
Zur Erzielung von Lerneffekten werden auditive und visuelle Medien bisher vorwiegend
in illustrativen, unterhaltenden und automatisierenden Funktionen eingesetzt. Mit Hilfe
von Bildern können beispielsweise außersprachliche Referenzen zu Gegenständen, Ereig-
nissen und Abläufen hergestellt werden. Das schließt so unterschiedliche Dinge wie die
Illustration von semantischen Merkmalen, landeskundlichen Gegebenheiten und Orten
der Lautproduktion mit ein. Diese Darstellungen können schließlich im Sinne behavio-
ristischer Lernverfahren als Referenz (Stimuli) für die Sprachproduktion dienen. In wel-
chem Medium die visuelle Information dargeboten wird, ist dabei meist zweitrangig.
Das Verfahren bleibt das gleiche. Inwieweit diese Verfahren aber tatsächliche Lerneffekte
erzielen, ist weitestgehend unbekannt. Zwischen didaktischer Intention und Lerneffekt
1246 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
klafft meist eine große Lücke (vgl. den folgenden Abschnitt). Neuere Trainingspro-
gramme für die Aussprache etwa stellen nicht nur den Ort der Lautproduktion im Mund-
Rachenraum dar, sondern vergleichen darüber hinaus die Lautproduktion des Lerners
mit der eines Mustersprechers und visualisieren die Abweichungen und Übereinstimmun-
gen mittels oszillographischer Aufzeichnungen. Diese sollen dem Lerner zur Fehlerana-
lyse und -korrektur dienen. Auch wenn diesen Darstellungen ein heuristischer Wert nicht
abgesprochen werden kann, so muss doch auf zwei gewichtige Beschränkungen hingewie-
sen werden: Erstens lässt sich das Lautsignal mit der heute verfügbaren Technologie
nicht so akkurat analysieren, wie es die Trainingsprogramme suggerieren (Harrington
2009 i.V.). Die Folge: Die Analyse ist oft ungenau. Zweitens ist es auch versierten Spre-
chern kaum möglich, die visuelle Darstellung steuernd auf die lautliche Produktion zu
übertragen. Die Lautproduktion ist höchst automatisiert und entzieht sich weitestgehend
der bewussten Kontrolle. Die Folge: Korrekturversuche basieren auf dem Zufallsprinzip.
Zur systematischen Schulung der Aussprache sind auditive Trainingsverfahren am ehes-
ten geeignet, wenn Ort und Zeit des Trainings sinnvoll in eine Handlungskette integriert
und die Trainingsgegenstände semantisiert sind, das Training also Bedeutung hat und
nicht als mechanische Drillübung verstanden wird (z. B. bei den Bedeutungsunterschie-
den des Pluralmorphems ü oder ä). Das schließt nicht aus, dass es in einem solchen
Handlungsumfeld auch kurze, fokussierte Auszeiten für grammatische und phonetische
Übungen geben kann. Aber auch hier ist eine Anbindung und Rückkoppelung an die
Bedeutung und den pragmatischen Kontext angeraten (vgl. hierzu etwa die lautliche
Darstellung/Visualisierung verschiedener Telefonzeichen in deutschen Telefonbüchern
oder die Möglichkeiten theatralischer, comichafter und literarischer Lautmalereien und
Texte in Konkreter Poesie).
Beim Einsatz in der Landeskundevermittlung spielen visuelle und auditive Medien oft
eine vorwiegend illustrierende und folkloristische Rolle, die auch aus plurizentrischen
Motiven begründet wird (vgl. die DACHL-Initiative www.dachl.net). Lerntheoretisch ist
dieser Einsatz weniger begründet. Hieraus entsteht jedoch oft ein Widerspruch zur Effi-
zienz des Unterrichts, da die Materialien meist bereits wichtige Grundlagenkenntnisse
zum Verstehen voraussetzen, die den Lernern aber erst mit dem Material vermittelt wer-
den sollen.
So wie sich die Bildhaftigkeit für die Vermittlung von Sprache als Vorteil erweisen
kann, so kann sie auch zu einem Hindernis in der Kommunikation werden. Zum einen
verfestigen sich Bilder in der Entwicklung einer Sprache in gewissem Maße, zum anderen
korrespondieren kulturspezifische Wahrnehmungsmuster verschiedener Kulturen nur
teilweise und unterliegen selbstverständlich der Variation. Mit dem Medium der visuellen
Übertragung zu Illustrationszwecken verbinden sich in der interkulturellen Kommunika-
tion daher oft unrealistische Vorstellungen über die Kommunikationserleichterung. An-
dererseits werden die rezeptionsästhetischen Potenziale des Mediums zu wenig für didak-
tische Zwecke genutzt (vgl. die instruktiven und praxistauglichen Beiträge in Hölscher
und Hunfeld 2001 der LIFE-Reihe, die exemplarischen Problematisierungen in Behal-
Thomsen, Lundquist-Mog und Mog 1993 sowie die Ausführungen zu interkulturellen
Aspekten der medial gestützten Lehre in Roche und Macfadyen 2004). Die zunehmende
Visualisierung der Kommunikation und die Synergiebildung von visuellen, graphemi-
schen und lautlichen sprachlichen Zeichen bieten für den Unterricht eine Fülle von
authentischen Kommunikations- und ästhetischen Gestaltungsmitteln, z. B. Graffiti,
Schriftzüge, visuelle/konkrete Poesie oder Musik, Klangexperimente und Lautspielereien,
Schriftfilme und Schriftanimationen in künstlerischen Filmen, Vor- und Abspannen,
Werbespots und Musikvideos (Packard 2006, besonders Kap. 2.3 und Kap. 7).
Die Wahrnehmung von Bild und Ton variiert von Betrachter zu Betrachter und bildet
kulturspezifische Gemeinsamkeiten aus. Als solche Konstrukte eröffnen sie ungeahnte
Einblicke in die Denkweisen anderer Menschen und Kulturen, sind also ein ausgespro-
chen gut geeignetes Mittel, um sich Bilder von Kulturen zu machen. Die Aufgaben der
Sprach- und Kulturvermittlung in Bezug auf die Nutzung semiotischer Verfahren werden
durch die Medien nicht notwendigerweise vereinfacht. Vielmehr verlangt die Medialität
verschiedener sprachlicher Systeme den Abschied von rudimentären kommunikativen,
didaktischen und medialen Konzepten und eine Hinwendung zu wissenschaftlich grun-
dierter Forschung sowie sorgsamer Planung, Koordination und didaktischer Kompetenz
für die Lehrpraxis.
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2004 9(1).
Die Wortschatzdidaktik und -methodik ist im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache revisionsbedürftig. Die meisten Arbeiten sind sprachstrukturell motiviert (vgl.
z. B. Löschmann 1993), zudem ist es bislang nicht gelungen, die wenigen nützlichen Ar-
beiten (vgl. z. B. zur Kontextualisierung der Wortschatzarbeit Neuner 1990, zur Semanti-
sierung Köster 1994 oder zur interkulturellen Semantik Müller[-Jacquier] 1994) zu einem
konsensfähigen didaktischen Wortschatzkonzept zusammenzufügen. Auch im Bereich
des muttersprachlichen Deutschunterrichts gibt es wenige konzeptionelle Anregungen,
die Praxis der Wortschatzarbeit folgt den Vorgaben der traditionellen Lexikologie, wobei
die Aufgaben und Übungen isoliert und kontextfrei präsentiert werden (vgl. z. B. Ulrich
2007). Neue konzeptionelle Anregungen kommen vor allem aus den Fremdsprachenphi-
lologien und den kognitivistisch-konstruktivistisch orientierten Nachbardisziplinen (vgl.
z. B. Rohrer 1985; Kielhöfer 1994; Börner und Vogel 1993, 1994; Quetz 1998). Zusam-
menfassend muss konstatiert werden: Es fehlt in den Bereichen Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache eine kohärente, erwerbsorientierte und kompetenzbezogene wortschatzdi-
daktische Konzeption, die darauf abzielt, die Sprachhandlungskompetenzen der Schüler
aufzubauen und zu fördern (vgl. die Vorschläge bei Kühn 2000 und Steinhoff 2009). Es
ist daher auch nicht verwunderlich, wenn es an der methodischen Umsetzung mangelt
und eine stärkere Wortschatzförderung angemahnt wird (vgl. Willenberg 2008).
Die bisherigen Ansätze zur Wortschatzdidaktik sind zu statisch: Wörter und Wort-
schatz sind weniger Besitz, sondern eher Werkzeuge zum Aufbau von Textverstehens-
und Textproduktionskompetenzen. Aus diesem Grunde sollte man auch auf die Rede-
weise vom (aktiven und passiven) Wortschatz(besitz) oder von Wortschatzkenntnissen
verzichten; dies gilt auch für die Diskussion um den sogenannten Grundwortschatz, der
unzutreffender Weise als lexikalisches Lernquantum aufgefasst wird (vgl. zur Kritik
Kühns 2007a: 161⫺162). Solche Begriffe suggerieren eine nicht vorhandene Wortschat-
zautonomie und die Illusion, man könne den Wortschatz (aus)lernen. Der Wortschatz
ist jedoch nicht lernbar ⫺ so lautet die provozierende und plausible These Hausmanns
(1993: 479): „Die Sprache ist nur in den Texten Sprache. Der Rest ist Konstrukt. Der
Sprachschatz ist also kein Wortschatz, sondern ein Formulierungsschatz.“ Dies bedeutet:
Wortschatzarbeit darf somit nicht an isolierten Wörtern oder Sätzen erfolgen und rein
sprachsystematisch angelegt sein, sondern an authentischen Texten. Die Wortschatz-
arbeit steht damit in enger Verbindung mit dem Lesen und Hören sowie dem Sprechen
140. Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen 1253
und Schreiben von Texten und ist entweder auf das Lese- und Hörverstehen oder auf
die Textproduktion bezogen. Es empfiehlt sich deshalb von rezeptiver und produktiver
Wortschatzarbeit zu sprechen. Wortschatzarbeit muss beim Sprachgebrauch der Lernen-
den ansetzen und auf den Ausbau und eine Verbesserung ihrer schriftlichen und münd-
lichen Sprachhandlungskompetenz hin funktionalisiert sein. Eine kompetenzorientierte
Wortschatzarbeit sollte also von Texten ausgehen und auch wieder zu Texten führen.
Eine solche erwerbsbezogene, textfundierte und kompetenzorientierte Wortschatzdidak-
tik und -methodik lässt sich als Dreischritt modellieren (vgl. Kühn 2000b): Wörter se-
mantisieren (rezeptive Wortschatzarbeit), vernetzen (reflexive Wortschatzarbeit) und ge-
brauchen (produktive Wortschatzarbeit).
2. Rezeptive Wortschatzarbeit
Die rezeptive Wortschatzarbeit bezieht sich auf das Verstehen und Erklären von Wörtern
und Formulierungen aus Texten. Dabei lassen sich unterschiedliche Semantisierungsver-
fahren und -prozesse denken: Lehrergesteuerte Semantisierungstechniken wie z. B.
(1) über lexikalische Mittel (Wortbildung, Wortfeldeinordnung (Nennung von Synony-
men, Antonymen, Hyponymen), Vergleich mit Internationalismen oder Fremdwör-
tern, Übersetzungsäquivalente, lexikalische Paraphrase oder Definition, Kollokati-
onsangaben),
(2) über visuelle, auditive oder gestische Mittel (Anschauungsobjekt, Zeichnung, Bild,
Foto, Video, Handlungen, Gestik, Mimik),
(3) über die Situationsspezifik (Bezug auf Teilnehmer, ihr Vorwissen, Situationsbeschrei-
bung, Bezug auf vorangegangen Unterricht) oder
(4) über Alltagserfahrungen (Final-, Kausal-, Temporalkonsequenz) (vgl. Müller[-Jac-
quier] 1994: 99⫺100).
Als besonders effektiv werden Semantisierungstechniken betrachtet, die die Lernenden
in die Lage versetzen, selbständig unbekannte Wortbedeutungen aus Texten zu entschlüs-
seln:
(1) Semantisierungsdiskurse zwischen Lehrendem und Lernenden, in denen die Lernen-
den aktiv ihre Semantisierungsbedürfnisse äußern und aus Mehrfacherklärungen die
passende auswählen können (vgl. Köster 1994: 44⫺76).
(2) In der Diskussion um die Semantisierungstechniken wird ⫺ besonders aus lernpsy-
chologischer Perspektive ⫺ das eigenständige Inferieren und Rekonstruieren aus dem
Kontext herausgestellt. Auf Grund der Textumgebung und des Sprachen- und Welt-
wissens besteht die Möglichkeit, das zu erschließende Wort semantisch genauer zu
bestimmen. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang das im Fremdspra-
chenunterricht bekannte incidental vocabulary learning, bei dem über das Texte-Lesen
neue Wörter semantisch erschlossen und gelernt werden.
(3) Semantisierungstechniken müssen die Fähigkeit einschließen, kulturspezifische Be-
deutungen zu entschlüsseln. Hier geht es insbesondere darum, am Beispiel sogenann-
ter Hotwords (z. B. Kopftuch, Gastarbeiter oder Heimat) aber auch im Alltagswort-
schatz (z. B. Brot vs. pain) kulturspezifisch bedingte Bedeutungsunterschiede aufzu-
decken und zu thematisieren (vgl. Müller[-Jacquier] 1994; Luchtenberg 2000; Kühn
2006), um die Lernenden für interkulturelle Fragestellungen zu sensibilisieren; hierzu
1254 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
ließen sich auch Wörterbücher heranziehen (vgl. Kühn 2002). Durch eine kultursensi-
tive Semantisierung lassen sich kulturspezifische Erfahrungen, Alltagsgewohnheiten,
Wertvorstellungen oder Stereotype der Wortverwendung thematisieren.
(4) Wenn im Kontext von Semantisierungen das autonome Lernen im Vordergrund ste-
hen soll, kommt der Benutzung von (Lerner-)Wörterbüchern eine herausragende Be-
deutung zu. Die Wörterbuchbenutzungsforschung hat allerdings gezeigt, dass Lerner
bei weitem nicht in der Lage sind, die Möglichkeiten, die (Lerner-)Wörterbücher
bieten, auszunutzen. Dies kann einerseits an der mangelhaften Nachschlagefertigkeit
liegen ⫺ insbesondere im Bereich Deutsch als Zweitsprache ⫺ oder andererseits
durch die Konzeption der auf dem Markt befindlichen Wörterbücher verursacht sein:
allgemeine einsprachige Wörterbücher des Deutschen sind für Semantisierungszwe-
cke in der Regel ungeeignet, Lernerwörterbücher weisen ebenfalls noch viele
Schwachstellen auf (z. B. komplizierte Wortdefinitionen, unverständliche Erklärun-
gen, mangelhaftes Definitionsvokabular, unbefriedigende Kultursensitivität.
3. Relexive Wortschatzarbeit
Seit Beginn der 1980er Jahre hat die Wortschatzarbeit und -vermittlung eine neue theore-
tische Fundierung erfahren und eine neue Qualität gewonnen: Die Linguistisierung der
Wortschatzdidaktik im Sinne einer systematischen Darstellung und Vermittlung lexikali-
scher Wortschatzstrukturen (klassische Wortfeldtheorie) hat das Augenmerk zu stark auf
das Was gelenkt. Dies führte zur Verdrängung der Frage, wie Lernende Wörter und
Formulierungen lernen, behalten, erinnern und abrufen können. Im Mittelpunkt dieser
Diskussion steht die Modellierung des mentalen Lexikons, in dem der Wortschatz netzar-
tig strukturiert ist. Die Netzwerkmodellierung ist vielseitig: Sachnetze, Kollokations-
netze, affektive Wortnetze, Wort-Frames und Skripts, Wortfelder, Wortfamilie, Klang-
netze usw. Je strukturierter und vielseitiger ein Wort vernetzt ist, desto sicherer ist es
abgespeichert und desto besser kann es abgerufen werden.
Zur Wortschatzarbeit gehört in einer reflexiven Phase also auch das Notieren, Sam-
meln und Ordnen der Wörter und Formulierungen. Methodisch ist dies denkbar in Form
netzwerkartiger Gruppierungen (Diagramme, Wortbilder, Wortigel, Mindmaps) in einer
lernerautonomen Wörterwerkstatt (vgl. Wolff 2000). Während die traditionellen Aufga-
ben und Übungen zum Wortschatz in einer logisierenden Rekonstruktion der lexikali-
schen Beziehungen bestehen, ergeben sich für eine lernerpsychologisch orientierte Wort-
schatzarbeit neue, kreative und konstruktive Aufgaben- und Übungstypen. Auch bei der
reflexiven Wortschatzarbeit können Lernerwörterbücher nützliche Hilfestellungen anbie-
ten ⫺ sofern sie nach dem Modell des mentalen Lexikons konzipiert sind (vgl. für
Deutsch als Zweitsprache z. B. Kühn 2007/2009).
4. Produktive Wortschatzarbeit
Bei der produktiven Wortschatzarbeit geht es um die Anwendung und den Gebrauch des
Wortschatzes in entsprechenden Texten und Situationen. So wie die Semantisierung mit
der Lesedidaktik korreliert, so muss die produktive Wortschatzdidaktik mit der Sprech-
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Linguistische Grammatiken sollen ihren Gegenstand umfassend, widerspruchsfrei und
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141. Materialien für das Grammatiklehren und -lernen 1259
2. Didaktische Grammatiken
Didaktische Grammatiken wählen aus dem Gesamtbereich der Grammatik einer natürli-
chen Sprache die häufigsten, schwierigsten und fehlerträchtigsten Teile aus und stellen
diese dar. Dazu ziehen die Autoren häufig unterschiedliche Grammatiktheorien heran
und wenden diese auf ihren Gegenstand an. Gelegentlich gibt es zweisprachig-kontrastive
didaktische Darstellungen.
Didaktische Grammatiken werden oft adressatenorientiert geschrieben: So gibt es
Lehrergrammatiken (Häussermann und Kars, Latour, Buscha) und Schülergrammatiken
(Dreyer und Schmitt, Reimann, Götze), daneben Produktionsgrammatiken (Rug und To-
maszewski, Fandrych und Tallowitz) und Rezeptionsgrammatiken, zumal zur Entwick-
lung des Leseverstehens (Heringer). Kontrastive Darstellungen finden sich häufig: Als
Beispiel sei die Grammatik von Msia Gwenzadse (Tbilissi) genannt. Hier werden, in
Anlehnung an funktional-kommunikative Darstellungen bei Engel, Buscha und Götze,
Funktionen sprachlichen Handelns und deren sprachliche Ausdrucksmittel im Deutschen
und Georgischen verglichen und durch Übungen ergänzt.
Die früher gebrauchte Unterscheidung von Resultatsgrammatiken (Normative Gram-
matiken) und Prozessgrammatiken (Grammatiken der Beschreibung von Erwerbsprozes-
sen/Erwerbssequenzen) wird heute nicht mehr vorgenommen, da sich die Hoffnung, Er-
werbsprozesse (Artikelsystem, Endstellung des finiten Verbs in abhängigen Sätzen, Stel-
lung der Negationspartikel nicht, Bildung zusammengesetzter Tempusformen usw.)
ließen sich generalisieren und in Grammatiken beschreiben, nicht erfüllt hat: Die Hirn-
forschung hat nachgewiesen, dass alle Spracherwerbsprozesse individuell unterschiedlich
und allenfalls in Ansätzen verallgemeinerbar sind. Zu den häufig gebrauchten didakti-
schen Grammatiken gehören:
Vorschläge oder Ablehnungen formuliert hat. Das Ziel ist, die Öffentlichkeit bewusst
oder unbewusst falsch zu informieren oder zu verschweigen, wer was gesagt hat, oder es
wird vorausgesetzt, dass die Mitglieder des Kabinetts bekannt sind.
3. Pädagogische Grammatiken
Pädagogische Grammatiken sind Teile oder Zusätze (Zusatzbände) von Lehrwerken,
also grammatische Erklärungen in Lehrwerken des Deutschen als Fremdsprache/Deut-
schen als Zweitsprache, versehen mit Übungsbeispielen. Alle Lehrwerke verfügen über
solche Pädagogischen Grammatiken, die in jüngster Zeit auch mit neuen Medien (Ton-
träger, CD-Rom, Videomaterialien) ausgestattet sind. Besonderer Beachtung erfreut sich
dabei das so genannte E-learning, also das individuelle Lernen von Sprache und Gram-
matik mit elektronischen Medien. Zu den pädagogischen Grammatiken gehören auch
die Übungsgrammatiken: Beispielhaft werden hier genannt:
5. Literatur in Auswahl
Barkowski, Hans
1986 Kommunikative Grammatik und Deutschlernen mit ausländischen Arbeitern. Königstein:
Athenäum.
1262 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien
1. Einleitung
Kompetenzen sind die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fer-
tigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kogni-
tiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen.
(GER 2001: 21)
3. Kompetenzmodelle
Drei Modellierungen kommunikativer Kompetenz sind in der Fremdsprachendidaktik
und im Bereich des language testing besonders einflussreich geworden: das Modell von
Canale und Swain (1980; Canale 1983), dasjenige von Bachman und Palmer (1996; Bach-
man 1990) und das Modell des GER (2001). Das Modell von Canale und Swain und der
GER sind deskriptive Modelle. Bachmanns Modell ist hingegen als Funktionsmodell
intendiert, indem strategische Kompetenzen eine zentrale Stellung einnehmen. Aus Platz-
gründen wird hier nur der Ansatz des GER genauer besprochen. Zur vergleichenden
Diskussion der drei Modelle siehe u. a. Lenz (2006), Harsch (2006), Schneider und North
(2000) und die dort zitierte Literatur.
Mit dem GER (2001) liegt ein sehr umfassendes und differenziertes Kategoriensystem
zur Beschreibung von kommunikativen Kompetenzen vor, das verschiedene Tendenzen und
Entwicklungen aufnimmt, systematisiert und z. T. weiter ausdifferenziert. Sehr klar he-
rausgearbeitet wird im GER die Handlungsorientierung von Kompetenz. Das ist eine
1266 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
deutliche Parallele zu Klieme (vgl. oben, Abschnitt 2), wobei die Handlungsorientierung
im GER mit dem Konzept kommunikativer Aufgaben (tasks) und deren Bewältigung
verknüpft ist. Im GER werden Sprachenlernende in erster Linie als sozial Handelnde
betrachtet, die „unter bestimmten Umständen und in spezifischen Umgebungen und
Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben bewältigen müssen“ (GER 2001: 21). Zur
Bewältigung dieser Aufgaben greifen Lernende auf eine Vielzahl von Kompetenzen (!)
zurück, darunter allgemeine Kompetenzen, die bei sprachlichen und nicht sprachlichen
Handlungen eingesetzt werden (savoir, savoir faire, savoir être und savoir apprendre; vgl.
GER 2001: 22⫺23 und Abschnitt 5.1.1⫺5.1.4) und kommunikative Sprachkompetenzen,
welche zum Handeln mit Hilfe von spezifischen sprachlichen Mitteln befähigen (linguisti-
sche, soziolinguistische und pragmatische Kompetenzen; GER 2001: 24⫺25 und Ab-
schnitt 5.2). Weiterhin gehören sprachliche Aktivitäten resp. kommunikative (Sprach-)
Aktivitäten (die Terminologie ist hier schwankend) zum Ansatz des GER, worunter „die
Ausübung der kommunikativen Sprachkompetenz eines Menschen in einem bestimmten
Lebensbereich“ verstanden wird und zu denen rezeptive, produktive, interaktive und
sprachmittelnde Aktivitäten sowie damit einhergehende Strategien gezählt werden (GER
2001: 21, 25 und Abschnitt 4.4).
Die Beschreibung der kommunikativen Sprachkompetenzen im GER ist Bachmans
Sprachwissen (language knowledge) recht ähnlich, doch es zeigen sich auch Unterschiede,
u. a. im Pragmatikverständnis der beiden Ansätze. Strategien des Sprachgebrauchs spie-
len im GER eine ebenso wichtige Rolle wie bei Bachman, doch werden sie im GER auch
konkret und in der gleichen Weise ausformuliert und sogar skaliert, wie die kommunika-
tiven Aktivitäten selbst. Beispielsweise werden im Anschluss an die Skalen zur mündli-
chen und schriftlichen Interaktion drei Skalen zu Interaktionsstrategien präsentiert:
„Sprecherwechsel“, „Kooperieren“ und „um Klärung bitten“ (GER 2001: 88⫺89).
Die grosse Wirkung des GER ging und geht allerdings nicht von diesem umfassenden
Beschreibungssystem für Kompetenzen aus, auch nicht von der durchgängigen Frage-
struktur, mit der die Kompetenzen für die verschiedenen Benutzer des GER (z. B. Curri-
culumsverantwortliche) präsentiert werden, sondern von den illustrativen Beispiel-Ska-
len, d. h. von denjenigen Kompetenzbeschreibungen oder „Deskriptoren“ („Kann …“),
die in einem Schweizer Forschungsprojekt empirisch validiert und skaliert, d. h. einem
von sechs Niveaus (A1 bis C2) zugeordnet werden konnten (vgl. Schneider und North
2000) und die aus diesem Projekt in den GER übernommen wurden. Skalierte Deskripto-
ren bietet der GER sowohl für „kommunikative Aktivitäten und Strategien“ als auch
für „kommunikative Sprachkompetenzen“ an. Erstere setzen konsequent die Handlungs-
orientierung um (was können Lernende auf einem Niveau typischerweise tun?) und sind
zu Einzelskalen wie z. B. „Gespräche zwischen Muttersprachlern verstehen“ zusammen-
gestellt, die ihrerseits den klassischen vier Fertigkeiten (hier dem Hörverstehen) zugeord-
net sind. Demgegenüber fokussieren die Deskriptoren zu den kommunikativen Sprach-
kompetenzen Merkmale der sprachlichen Qualität der Handlungen (wie gut kann jemand
auf einem Niveau sprachlich handeln?) und sind zu Einzelskalen wie z. B. „Grammati-
sche Korrektheit“ oder „soziolinguistische Angemessenheit“ zusammengestellt. ⫺ Zur
Kritik am GER, die indessen kaum das Kompetenzmodell, sondern u. a. Aspekte der
Skalen betrifft, vgl. Bausch et al. (2003) und dagegen Schneider (2003).
Festzuhalten ist, dass ein erheblicher Unterschied zwischen dem GER als umfassen-
dem Beschreibungssystem für Kompetenzen und dem GER als Sammlung illustrativer
Beispielskalen besteht und dass die starke Wirkung des GER zu einem grossen Teil auf
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1267
letzteren basiert ⫺ und/oder auf den (nie empirisch validierten) Konkretisierungen und
Ergänzungen dieser Skalen in Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2005), mit denen die
GER-Skalen oft verwechselt oder in eins gesetzt werden.
Wie GER-Deskriptoren für spezielle Kontexte und Zielgruppen adaptiert und weiter
entwickelt werden können, zeigen beispielsweise die folgenden Veröffentlichungen: für
junge Lernende in der öffentlichen Schule ⫺ Lenz und Studer (2004); für das berufsorien-
tierte Fremdsprachenlernen ⫺ Vogt (2007); für den Bereich Deutsch als Zweitsprache ⫺
das Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache (Goethe-Institut
2008).
Das Rahmencurriculum illustriert sehr gut, wie das Konzept von Sprachenlernenden
als sozial Handelnden für die heterogene Gruppe „MigrantInnen in Deutschland“ umge-
setzt werden kann. Im Zuge einer umfassenderen Bedarfserhebung wurden Handlungs-
felder bestimmt, die entweder für die gesamte Zielgruppe oder aber nur für eine Gruppe
von MigrantInnen relevant sind (z. B. Umgang mit der Migrationssituation vs. Betreu-
ung und Ausbildung von Kindern). Als Lernziele werden Sprachhandlungen präsentiert,
die innerhalb dieser Handlungsfelder bedeutsam sind. Die Lernziele verstehen sich als
Maximalangebot, aus denen für drei verschiedene Migrationsgruppen ausgewählt werden
kann. Die Sprachhandlungen selbst, etwa „Auskunft geben“, werden a) durch Kann-
Beschreibungen konkretisiert (z. B. „Kann einfach und kurz von seinen/ihren Erfahrun-
gen berichten, z. B. über Unterstützung durch Familienangehörige in Deutschland.“), b)
der jeweils vorrangigen Aktivität zugewiesen (hier dem Sprechen) und schliesslich c) im-
mer auf demjenigen Niveau situiert, auf dem die Handlungen zuerst sinnvoll umgesetzt
werden können (hier A2; insgesamt werden die GER-Niveaus A1, A2 und B1 berück-
sichtigt). ⫺ Zu bedenken ist dabei, dass die Deskriptoren des Rahmencurriculums eine
Achievement-Perspektive spiegeln. Dies schränkt ihre direkte Verwendbarkeit für Tests,
die eine Aussenperspektive an das Gelernte herantragen (proficiency tests), ein.
Vor diesem Hintergrund soll nun ein Blick auf Bildungsstandards für Fremdsprachen
in den deutschsprachigen Ländern geworfen werden. Die Grundfrage von Bildungsstan-
dards lautet: Über welche Kompetenzen müssen die SchülerInnen zu einem bestimmten
Zeitpunkt in der Schullaufbahn verfügen, wenn wichtige Bildungsziele der Schule als
erreicht gelten sollen?
4. Bildungsstandards
In den angloamerikanischen und in wenigen europäischen Ländern (z. B. Grossbritan-
nien, Niederlande) sind Standards in unterschiedlicher Form seit Längerem feste Steue-
rungsgrössen im Bildungssystem. In den deutschsprachigen Ländern dagegen sind Bil-
dungsstandards ein Kernelement aktueller Reformentwicklungen, für die sich v. a. drei
Gründe bezeichnen lassen (vgl. u. a. Timm 2006): erstens die grossen internationalen
Leistungsvergleichsstudien wie TIMSS und PISA, zweitens die Diskussion um Qualitäts-
management, die zunehmend auch auf pädagogischem Gebiet geführt wird, und drittens
die bereits 1991 vom Europarat beschlossene Entwicklung eines Europäischen Referenz-
rahmens (zum GER siehe oben, Abschnitt 3).
Vor dem Hintergrund v. a. der angloamerikanischen Erfahrungen und bezogen auf
das Klieme-Gutachten (vgl. oben, Abschnitt 2) geht man in den deutschsprachigen Län-
dern davon aus, dass das Setzen von Zielen, welche die Schulen erreichen sollen, für das
1268 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
Erreichen dieser Ziele effektiver ist als die Steuerung (allein) auf der Basis von Lehrplä-
nen und Lehrmitteln. Formuliert werden daher Erwartungen an die Lernergebnisse der
SchülerInnen (performance standards) und man nimmt an, dass Regulierungen auf der
Seite der Ergebnisse (der SchülerInnen) bzw. des Outputs (der Schulen) einen wichtigen
Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen leisten können. Komplementär dazu
soll den Schulen in verschiedenen Bereichen eine grössere Autonomie zugestanden wer-
den, zum Beispiel auf unterrichtsmethodischer Ebene. Allerdings ist die gebräuchliche
Formel „Regulierung des Outputs statt Inputsteuerung“ in doppelter Weise ungenau,
denn einerseits wird, parallel zur Entwicklung von Standards, an neuen Lehrplänen und
Lehrmitteln gearbeitet, also auf der Input-Seite (zum Verhältnis von Standards, Curri-
cula und Lehrmitteln vgl. Bausch et al. 2005), und andererseits entspricht die Einführung
von Bildungsstandards erst in Kombination mit externen Monitoringverfahren, im Zuge
derer systematisch erfasste Lernergebnisse an die Standards rückgebunden bzw. mit die-
sen verglichen werden, einem outputorientierten Steuerungskonzept (siehe u. a. Labudde
2007). Und schliesslich ist auch der Begriff Output selbst zu präzisieren: Gemeint ist eine
Ergebnisorientierung im Sinne einer Orientierung an vergleichbaren Zielvorgaben, die als
wesentlich erachtete Fachinhalte explizieren. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu
Schulnoten: Zwar ist auch das traditionelle Notenschema ergebnisorientiert, jedoch sind
Schulnoten auf Gruppennormen bezogen und ihnen fehlt der Bezug auf ein fachinhaltli-
ches Lernzielkriterium, das über den Rahmen eines zufällig zusammengesetzten Klassen-
zimmers hinaus gültig und akzeptiert ist. Insofern geben Noten kaum Aufschluss über
die in einem Fach oder einem Lerngebiet erreichten tatsächlichen Kompetenzen. Genau
das sollen Standards in Verbindung mit Monitoringverfahren leisten: Sie sollen aufzei-
gen, was die SchülerInnen am Ende einer Lernperiode tatsächlich wissen und können,
wobei dieses Wissen und Können auf Kernbereiche ausgewählter Fächer bezogen wird.
Insgesamt ergeben sich somit sehr hohe Ansprüche an die Entwicklung von Bildungs-
standards: Bildungsstandards sollen fachliche Kerninhalte als vergleichbare Lehrziele
vorgeben. Sie sollen auf Kompetenzmodellen basieren, die, Klieme et al. (2003: 74) fol-
gend, sowohl die verschiedenen Anforderungen beschreiben, deren Bewältigung von den
SchülerInnen erwartet wird (Kompetenzmodell als Komponentenmodell; primär eine di-
daktische Aufgabe), als auch Abstufungen dieser Anforderungen aufzeigen, auf denen
die Schülerleistungen situiert werden können (Kompetenzmodell als Stufenmodell; eine
komplexe empirisch-psychometrische Aufgabe, die über die Entwicklung von Testaufga-
ben zu den Kompetenzkomponenten läuft). Und schliesslich sollen Bildungsstandards
niveaubezogene Vorgaben machen, was gleichzeitig kontroverse pädagogische und bil-
dungspolitische Fragen aufwirft.
In Bezug auf diese hohen, wohl generell nur partiell erfüllbaren Ansprüche und bei
der konkreten Ausgestaltung der Bildungsstandards sind die deutschsprachigen Länder
bisher recht unterschiedliche Wege gegangen. Für Einzeldarstellungen vgl. Oelkers und
Reusser (2008); aktuelle Tendenzen besprechen u. a. Harsch (2007) (Deutschland) sowie
Lenz und Studer (2008) (Schweiz). Ein grosser Teil der Informationen über die Stan-
dards, einschliesslich der gesetzlichen Grundlagen und Beispielen für Testaufgaben, fin-
den sich jetzt auch auf den Websites der für die Entwicklung der Standards zuständigen
Institutionen, für Deutschland: http://www.iqb.hu-berlin.de/bista; für Österreich u. a.:
http://www.bifie.at/bildungsstandards; für die Schweiz: http://www.edk.ch/dyn/20692.
php.
Im Bereich der Fremdsprachen wurden bis jetzt Bildungsstandards für Englisch und
Französisch sowie ⫺ in der Schweiz ⫺ auch für Deutsch entwickelt. Die Standards fo-
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1269
kussieren die Abschlussphase der obligatorischen Schule und betreffen die erste (in der
Schweiz auch die zweite) schulische Fremdsprache. (Parallel dazu wurden auch Stan-
dards für die Schulsprache Deutsch entwickelt, die ⫺ und das wird noch zu wenig disku-
tiert ⫺ auch SchülerInnen betreffen, die Deutsch als zweite oder dritte Sprache lernen.)
Die derzeit vorliegenden Standards in Deutschland und in Österreich sind als Regel-
standards konzipiert. Mit diesen Standards, deren empirische Abstützung erst begonnen
hat, wird ein durchschnittliches Anforderungsniveau fokussiert (in Deutschland z. B. A2/
B1 für die klassischen vier Fertigkeiten; ohne Niveauangabe wurden von der KMK auch
Standards für sprachliche Mittel sowie für interkulturelle und methodische Kompetenzen
gesetzt). Im Gegensatz dazu hat man sich in der Schweiz für Basisstandards entschieden.
Basisstandards zielen auf ein Mindestniveau, das (fast) alle SchülerInnen erreichen kön-
nen sollten. Anders als in Deutschland und in Österreich wurden im Schweizer Projekt
bereits in der Erarbeitungsphase der Standards repräsentative und kleinere empirische
Untersuchungen durchgeführt, die zwei Ziele hatten: Sie dienten einerseits sowohl der
Validierung von Aspekten des gewählten Kompetenzmodells (das sich an den GER an-
lehnt; Lenz und Studer 2008) als auch der Testaufgaben, durch die das Modell operatio-
nalisiert wurde, und andererseits der Feststellung der in den Schülerpopulationen tat-
sächlich vorhandenen Kompetenzen. Aufbauend darauf wurde in Zusammenarbeit mit
Fachdidaktikern ein Expertenvorschlag für Standards ausgearbeitet, der in den Katego-
rien des Kompetenzmodells formuliert ist und der sich bezüglich der Anforderungsni-
veaus an den in den Untersuchungen festgestellten Leistungen orientiert. Beispielsweise
bewegt sich der Vorschlag für einen Basisstandard in DaF am Ende der obligatorischen
Schulzeit (7 Lernjahre in der Westschweiz) im Bereich des Niveaus A2, wobei beim Spre-
chen und bei den rezeptiven Fertigkeiten höhere Erwartungen angesetzt werden als beim
Schreiben. Im Schweizer Standard-Projekt erfolgte auch eine ausführliche Auseinander-
setzung mit interkulturellen und methodischen Kompetenzen, jedoch wurde bewusst da-
rauf verzichtet, für diese (überfachlichen!) Kompetenzbereiche Bildungsstandards vorzu-
schlagen, die im Sinne von separaten outcomes und in der Art der Fertigkeiten überprüf-
bar sind.
Kritisch diskutiert werden Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht im
Sammelband von Bausch et al. 2005 (vgl. auch Timm 2006). Zu den hauptsächlich ange-
mahnten Risiken der Standards gehören: die Reduktion von Lehrzielen und weiter des
Lehrens und Lernens auf das, was sich in Sprachprüfungen erfassen lässt (verbunden oft
mit dem Teaching-to-the-test-Argument), die Nivellierung von Leistungen (mit der Vari-
ante „Nivellierung nach unten“ bei Basisstandards), die Einzelfach-Orientierung, die Ver-
mischung von Testfunktionen.
Zu einigen dieser Punkte gibt es durchaus gute Gegenargumente (vgl. u. a. Schneider
2007). So können Tests zu Bildungsstandards, die handlungsorientierte Aufgaben u. a.
zum Hörverstehen und zum Sprechen umfassen, auch einen wünschbaren Reformeffekt
auf grammatik- und wortschatzlastige Schul(übertritts)prüfungen haben und einen auf-
gabenorientierten Unterricht stärken. Andere Punkte dagegen sind nicht einfach von der
Hand zu weisen, z. B. ist die ,Arbeitsteilung’ bisheriger Standard-Projekte mit Projekten
für die Schulsprache hier und die Fremdsprachen dort nicht geeignet, die Entwicklung
einer ,eigentlichen‘ (d. h. integrativen) Mehrsprachigkeit zu fördern.
Auf der anderen Seite sind Bildungsstandards zweifellos auch mit Chancen verbun-
den. Z. B. können Standards zu mehr curricularer Kohärenz in den Schulen führen, weil
der Bezug der Standards auf gestufte Kompetenzmodelle die schulstufenübergreifende
1270 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
5. Bilanz
Für eine genauere Einschätzung der Projekte zu den Bildungsstandards in den deutsch-
sprachigen Ländern ist es zweifellos noch zu früh. Feststellen lässt sich einstweilen die
Tendenz, Bildungsstandards zu überschätzen. Ob die Standards zur intendierten Quali-
tätsverbesserung des Fremdsprachenunterrichts beitragen, hängt nicht nur von den Stan-
dards ab, sondern insbesondere auch davon, was auf Seiten der Aus- und Weiterbildung
von Lehrpersonen, der Lerngelegenheiten und -bedingungen sowie der Lehrpläne und
Lehrmittel getan wird.
6. Literatur in Auswahl
Bachmann, Lyle F.
1990 Fundamental Considerations in Language Testing. Oxford: Oxford University Press.
Bachman, Lyle F. und Adrian S. Palmer
1996 Language Testing in Practice: Designing and Developing Useful Language Tests. Oxford:
Oxford University Press.
Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2005 Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen: Narr.
Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen in der Diskussion. Tübingen: Narr.
Canale, Michael
1983 On some dimensions of language proficiency. In: John W. Oller (Hg.), Issues in Language
Testing Research, 333⫺342. Rowley, Mass.: Newbury House.
Canale, Michael und Merrill Swain
1980 Theoretical bases of communicative approaches to second language teaching and testing.
Applied Linguistics 1: 1⫺47.
Chomsky, Noam
1965 Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Mass.: MIT Press.
Europarat
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin:
Langenscheidt.
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile Deutsch. Berlin: Langenscheidt.
Goethe-Institut und Bundesministerium des Innern
2008 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München: Fell. On-
line: http://www.integration-in-deutschland.de/ [Suche „Rahmencurriculum für Integrati-
onskurse“] (18. 06. 2009).
Harsch, Claudia
2006 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen: Leistung und Grenzen. Die Bedeutung
des Referenzrahmens im Kontext der Beurteilung von Sprachvermögen am Beispiel des
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1271
1. Einleitung
Eine Prüfung, gesehen von einem unbekannten Maler im 18. Jahrhundert: Ein junger
Mann steht in der Mitte eines Raumes ⫺ das Haupt demutsvoll gesenkt, die Hände
ungeschickt vom Körper gestreckt. Ihm gegenüber eine vielköpfige Jury aus perückenge-
schmückten Figuren. Mit einer Mischung aus Schadenfreude und Verachtung blicken die
Herren Prüfer auf den armen Prüfling im Kreuzverhör. Klar wird hier, dass Prüfen kein
wertfreier Vorgang ist, sondern mit Macht zu tun hat. Bevor die Geprüften einen würdi-
gen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen, haben sie sich diesem schmerzhaften
rite de passage zu unterziehen.
Nicht nur in der Vergangenheit hat das Thema Leistungsmessung negative Gefühle
aller Schattierungen in uns hervorgerufen. Da Tests und Prüfungen in vielen Schulen
zum Taktgeber des Unterrichts geworden sind, belasten sie auch heute das Klima des
Lehrens und Lernens. Das hat damit zu tun, dass hier zwei Funktionen des Prüfens
und Beurteilens im Widerstreit miteinander liegen: die Entwicklungsfunktion und die
Steuerungs- bzw. Auswahlfunktion.
Während die Entwicklungsfunktion die Evaluation der Lernentwicklung zum Ziel
hat, um daraus Informationen für weiteres Vorgehen zu gewinnen, somit also eine zu-
tiefst pädagogische Aufgabe beinhaltet, geht es bei der Steuerungsfunktion darum, gesell-
schaftlich relevante Entscheidungen wie Versetzungen, Übergänge im Schulsystem oder
den Eintritt in Berufswege und Studiengänge zu begründen. Wo begrenzte Kapazitäten
zur Verfügung stehen ⫺ Stichwort Numerus-clausus-Fächer an den Hochschulen ⫺ mün-
det diese Steuerung in eine Auslese. Der negative Beigeschmack, den die Begriffe Leis-
tungsmessung und -kontrolle heutzutage bei vielen fortschrittlichen Pädagogen haben,
rührt daher, dass im Schulalltag die Steuerungsfunktion die Entwicklungsfunktion häufig
überlagert. Sie erkennen allzu deutlich, dass Tests als unerwünschten Nebeneffekt eine
Einengung der Lernziele mit sich bringen. Gelernt wird häufig nur noch der Prüfungs-
stoff. Im Erwachsenenunterricht dagegen ändert sich das Bild allmählich. Hier tritt der
Aspekt der Freiwilligkeit stärker in den Vordergrund. Leistungskontrollen erfolgen im
Rahmen des Schulunterrichts meist auf unfreiwilliger Basis. Tests und Prüfungen in der
Erwachsenenbildung erfüllen dagegen zunehmend die Funktion einer Serviceleistung, für
die vom Kunden ein expliziter Bedarf angemeldet wurde. Hinzu kommt noch ein weiterer
wesentlicher Unterschied: Während Prüfungsinhalte und -verfahren im Schulsystem noch
weitestgehend von nationalen Traditionen geprägt sind, orientiert man sich im Erwachse-
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1273
Fragt man in den Ländern der Europäischen Union nach, welches sprachliche Niveau
die Schulabgänger erreichen, fällt es Lehrkräften und Schulleitern häufig nicht leicht,
dies in wenige Worte zu fassen. Deutsche Schüler, die nach ihrem Leistungsniveau in
einer Fremdsprache gefragt werden, antworten zum Beispiel: „Ich habe eine Zwei im
Abitur, Leistungskurs“. Für die Welt jenseits des eigenen nationalen Bildungssystems
sind solche Angaben kaum aussagekräftig und damit inadäquat für die Mobilität in Eu-
ropa und der Welt. Mit dem Voranschreiten der Globalisierung und Mobilität von Ar-
beitskräften nimmt der Bedarf an Transparenz zu. Nicht nur ein internationaler Ver-
gleich, sondern schon der Vergleich der Bildungsabschlüsse verschiedener Bundesländer
ist nicht eins zu eins möglich. Aus diesem Grund erarbeiten die Bundesländer so ge-
nannte Bildungsstandards für die verschiedenen Schulfächer. Bezogen auf die modernen
Fremdsprachen beschreiben die Bildungsstandards den Grad des Sprachkönnens, den
die Lernenden in verschiedenen Schularten und Klassenstufen erreichen sollen. Die Ur-
heber dieser Idee internationaler Leistungsvergleiche bzw. eines einheitlichen Bezugsrah-
mens arbeiten für internationale Institutionen ⫺ die OECD und den Europarat. Die
OECD setzt auf die normative Kraft eines standardisierten Tests, dem sich die Schülerin-
nen und Schüler aller teilnehmenden Länder unterziehen. Der Europarat setzt auf die
normative Kraft eines gemeinsamen Bezugsrahmens.
Die OECD überträgt die Denkweise der Ökonomie auf den Bildungssektor. Schulleis-
tungen haben den Stellenwert einer Ressource. Sie sind Voraussetzung für die wirtschaft-
liche Leistungsfähigkeit eines Landes. Mittels standardisierter Tests werden Leistungen
von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern gemessen. Die Studie vergleicht so unter-
schiedliche Bildungssysteme wie die Japans, Finnlands, Mexikos und Deutschlands ver-
mittels ein und derselben Messlatte und stellt danach eine Rangordnung her.
Die beiden bisher durchgeführten PISA-Untersuchungen beschäftigten sich mit den
Fächern Naturwissenschaften, Mathematik und Lesefähigkeit. Um Fremdsprachen-
kenntnisse ging es dagegen bereits bei DESI (Deutsch Englisch Schülerleistungen Interna-
tional ). Allerdings beschränkte sich diese Studie entgegen dem Namen mit den Schüler-
leistungen der 9. Klasse in allen Schularten auf Deutschland. Die Erhebung Surveylang
im Auftrag der EU-Kommission soll dagegen im Jahr 2011 europaweit die Fremdspra-
chenkenntnisse von 15-Jährigen in Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italie-
nisch untersuchen.
Die Strategie des Europarats ist offener angelegt als die internationalen Vergleichsstu-
dien. Es geht um das Etablieren eines gemeinsamen Bezugssystems für alle europäischen
Sprachen. Dazu dient die Publikation Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für
Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (GER), der zunächst auf Englisch (2000) und 2001 in
deutscher Sprache erschien. Der Referenzrahmen stellt eine Art Werkzeugkasten dar. Mit
Hilfe von Skalen definiert er,
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1275
des unter Umständen lebenslangen Lernens von Gürtel zu Gürtel hoch. Dabei ist jeder
Gürtel ein klar definiertes Ziel. Auf einmal zum schwarzen Gürtel zu gelangen, wäre ein
demotivierend langer Weg.
Die Fragen 1, 2 und 3 lassen sich unter das Kriterium der Validität von Tests bzw.
Prüfungen subsumieren. Prüfungen und Tests nennen wir valide, wenn sie angemessene,
sinnvolle und nützliche Schlussfolgerungen zu den vorher definierten Zielen und Inten-
tionen zulassen. Bei einer Prüfung, deren Ziel das Feststellen von sprachlichen Fähigkei-
ten auf einem bestimmten Sprachniveau ist, sollte dieses Niveau durch ein externes Be-
zugssystem wie den GER klar definiert sein. Darüber hinaus sollten andere Kenntnisse
und Fähigkeiten, wie z. B. Intelligenz, Weltwissen oder Konzentrationsfähigkeit, nicht
die ausschlaggebenden Faktoren sein. Ein Kursabschlusstest ist nur dann valide, wenn
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1277
er mit den Zielen, die im Lehrplan formuliert sind und dem Unterricht zugrunde liegen,
übereinstimmen.
Mit der Frage 1 ist ein weiteres Gütekriterium verbunden, das die Qualität von Tests
und Prüfungen bestimmt, nämlich die Forderung, dass die gewählten Testverfahren die
Formen und Inhalte des vorausgegangenen Unterrichts angemessen widerspiegeln und
u. U. sogar positive Rückwirkungen auf den Unterricht haben. In der englischsprachigen
Literatur ist dieser Aspekt mit dem Terminus back-wash- bzw. wash-back-Effekt einge-
führt (Wall und Alderson 1993). So ist es gelungen, den wenig kommunikativen Fremd-
sprachenunterricht durch die Einführung des Referenzrahmens und (mündlicher) Prü-
fungen zu modernisieren. Der Weg einer Lehrplanreform ist vergleichsweise langwieriger.
Freilich gibt es auch eine Kehrseite der Medaille. Die formulierten Ziele, eine bestimmte
Niveaustufe zu erreichen, sollen ⫺ ja müssen ⫺ in immer knapperer Zeit, mit weniger
Lehrenden und weniger Geld erreicht werden. Denn bei der fortwährenden Reform von
schulischen Lehrplänen treten neue Fächer, wie z. B. Computereinsatz in Konkurrenz zu
den traditionellen Fächern, wozu die zweiten Fremdsprachen zählen. Dort, wo Deutsch
als zweite Fremdsprache ⫺ wenn auch oft mit reduziertem Stundendeputat ⫺ erhalten
geblieben ist, stehen die Lehrkräfte unter dem Druck, ihren Unterricht zu optimieren.
Prüfungen erhöhen den Effizienzdruck auf Lehrkräfte und Schüler, Lern- und Prüfungs-
strategien stehen zunehmend im Mittelpunkt des Unterrichts. Prüfungsvorbereitung be-
deutet damit Einüben von Strategien. Die Fähigkeit zum Aktivieren von Vorwissen hilft
beim Entschlüsseln von Lese- oder Hörtexten oft mehr als die Kenntnis der einen oder
anderen Vokabel, der Einsatz von Ratetechniken bei geschlossenen Auswahlantworten
als letzte Rettung ist hinlänglich als test wiseness bekannt.
Die Fragen 4 und 5 berühren die Reliabilität und die Praktikabilität. Das Kriterium
der Reliabilität beinhaltet die Forderung nach der Zuverlässigkeit der Leistungsmessung.
Ein reliabler Test misst sprachliche Fähigkeit zuverlässig und genau. Der ⫺ in jedem
Test ⫺ enthaltene Messfehler hält sich in engen, akzeptablen Grenzen. Die Zuverlässig-
keit von Testergebnissen hängt in hohem Maße von der eingesetzten Bewertungsmethode
ab. Wird das Testergebnis durch das subjektive Urteil eines oder mehrerer Prüfer ermit-
telt, ist Zuverlässigkeit ein besonders wichtiges Thema. Wünschenswert ist eine möglichst
hohe Übereinstimmung zwischen verschiedenen Bewertern sowie eine möglichst hohe
Stabilität der Ergebnisse eines Bewerters zu verschiedenen Zeitpunkten.
Idealerweise sollte ein Test wie ein Metermaß funktionieren: So wie dieses auch bei
wiederholter Messung eines Gegenstandes immer die gleichen Maße anzeigt, so sollte ein
Test für eine bestimmte Leistung immer die gleiche Punktzahl oder Note ergeben. In der
Praxis der Testkonstruktion berührt das Kriterium der Reliabilität Fragen wie die Anzahl
von Aufgaben, d. h. wie viele einzelne Messungen muss man durchführen, um zuverläs-
sige Ergebnisse zu erhalten, oder die Frage der Korrektur- und Bewertungsverfahren,
d. h. bei welchen Verfahren können sich Messfehler einschleichen, die das Ergebnis ver-
fälschen, und dergleichen.
Das Kriterium der Praktikabilität bezieht sich auf den Bedarf an Zeit, Raum und
personellen Ressourcen, wobei sowohl an die Korrekturzeiten als auch an die Qualifizie-
rung der Korrigierenden bzw. Prüfenden zu denken ist. Leistungskontrolle sollte mög-
lichst zeitökonomisch sein. Erfahrungswerte aus der Praxis zeigen, dass 90 Minuten ohne
Pause für die geprüften Personen das Maximum an Belastung darstellen. Geht die ge-
samte Testzeit darüber hinaus, wie etwa bei breit angelegten Feststellungsprüfungen,
sollte die Dauer für einzelne Testteile dieses Maß nicht überschreiten. Nach jedem Testteil
gibt es dann Pausen.
1278 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
Da die Testergebnisse innerhalb kurzer Zeit verfügbar sein müssen, wird bei der Wahl der
Aufgabentypen weitgehend auf korrekturfreundliche Verfahren zurückgegriffen. Deshalb
bestehen Einstufungstest meist aus geschlossenen Aufgaben. Im Gegensatz zu offenen
Aufgabentypen ist die sprachliche Reaktion bei geschlossenen Aufgaben nicht frei ausge-
führt. Vielmehr beschränkt sich die Aktivität der Geprüften bei geschlossenen Aufgaben
auf das Auffinden, Ankreuzen, Ordnen, Zuordnen oder Hervorheben der richtigen Lö-
sungen. Die Bewertung solcher Aufgaben ist zeitsparend und praktisch unabhängig vom
subjektiven Urteil des Korrektors. Geschlossene Aufgaben können mit Hilfe von Schab-
lonen oder Computerprogrammen schnell ausgewertet werden. Sie eignen sich zur Über-
prüfung der rezeptiven Fertigkeiten, denn sie überprüfen lediglich das Erkennen der rich-
tigen Lösung.
Eine klassische geschlossene Aufgabe ist die Multiple-Choice-Aufgabe. Sie besteht in
der Regel aus einem einleitenden Satz bzw. einer einleitenden Frage und mehreren (häu-
fig vier, gelegentlich aber auch nur drei, seltener mehr als vier) Auswahlmöglichkeiten.
Eine der Auswahlantworten ist die richtige Lösung, alle anderen dienen als sogenannte
Distraktoren und sind falsch. Um zu unterstreichen, dass die Anordnung von richtigen
und falschen Auswahlantworten dem Zufallsprinzip unterliegt, wird meist eine alphabeti-
sche Reihenfolge gewählt.
Von ihren Befürwortern sind Multiple-Choice-Aufgaben wegen der Möglichkeit ge-
schätzt, zu realistischen Voraussagen über den Schwierigkeitsgrad und die Trennschärfe
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1279
der einzelnen Aufgaben zu gelangen. Diesen Aufgabentyp setzen sowohl ETS und
UCLES als auch das niederländische Centraal Instituut voor Toetsontwikkeling (CITO)
in Fremdsprachentests regelmäßig ein. Auf der anderen Seite steht die Kritik an der
Validität der Multiple-Choice-Aufgabe. Zum einen wird beanstandet, dass die Aufgaben
in der Praxis häufig schlecht konstruiert, d. h. unnötig kompliziert sind und die Distrak-
toren bewusst auf die falsche Fährte lenken. Dadurch werden den Geprüften Fehler
geradezu untergeschoben. Verfechter von offenen Aufgabentypen kritisieren überdies,
dass mit Multiple-Choice nur das Erkennen der richtigen Lösung überprüft und somit
eine relativ geringe Leistung verlangt wird. Geübte nutzen zudem den Faktor Ratewahr-
scheinlichkeit aus, d. h. die Möglichkeit, auch durch zufälliges Ankreuzen noch einen
gewissen Prozentsatz an richtigen Lösungen zu erzielen. Bei einem Test, der genügend Auf-
gaben umfasst und eine Bestehensgrenze von über 50 Prozent setzt, ist die Erfolgswahr-
scheinlichkeit eines Teilnehmenden durch Raten statistisch gesehen jedoch sehr gering.
Bei Einstufungstests taucht neben der Multiple-Choice-Aufgabe eine Vielzahl von wei-
teren geschlossenen Aufgabentypen auf. Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um
textunabhängige Einzelaufgaben, in denen es um das Erkennen der richtigen Struktur
bzw. der geeigneten Ausdrucksweise geht: Herstellen der richtigen Wortfolge
punkten gelöscht werden, um ganz gezielt bestimmte Themen der Grammatik bzw. be-
stimmte Wortschatzbereiche zu überprüfen, handelt es sich beim Cloze-Test um eine
streng mechanische Tilgung, wobei die Tilgungsfrequenz im ganzen Text beibehalten
wird. Im folgenden Beispiel wurde jedes achte Wort gelöscht (Abb. 143.1). Der erste
Satz, der den Kontext vorgibt, bleibt bei einem Cloze-Test immer intakt.
In diesem Testverfahren wird die Tatsache genutzt, dass Informationen in einem Text
durch mehrere Signale realisiert werden, die sich wechselseitig ergänzen. Eine Kenntnis
von den Aufbaukriterien eines Textes ist zum Lösen dieser Aufgabe also unabdingbar.
Das mechanische Tilgungsprinzip sorgt beim klassischen Cloze-Verfahren dafür, dass ein
Querschnitt von sprachlichen Phänomenen getestet wird. Alle Wortarten sind in den
Lücken gelöscht und nicht nur solche, mit denen Lernende des Deutschen besondere
Schwierigkeiten haben.
Gleichzeitig treten die Grenzen seiner Verwendbarkeit im Rahmen eines Einstufungs-
tests deutlich hervor. Definiert man Klassen- bzw. Kursstufen nach der Beherrschung
bestimmter grammatischer Strukturen, muss ein lehrzielvalider Test genau diese Struktu-
ren testen. Das Zufallsprinzip des Cloze-Tests ist hier eher kontraproduktiv. Forschungs-
ergebnisse zeigen überdies, dass bei sogenannten „natural cloze“-Tests, bei denen weder
auf die Auswahl der Texte noch der Lücken Rücksicht genommen wird, Vorbehalte be-
züglich der Validität angebracht sind (Brown 1993). Deshalb wurde als Alternative zum
klassischen Cloze-Verfahren der modifizierte Cloze-Test entwickelt, bei denen die Lücken
mit Bedacht gewählt werden. Damit können lexikalische oder grammatische Aspekte
gezielt abgefragt werden. Flexibel ist das Cloze-Verfahren im Hinblick auf den Schwierig-
keitsgrad. Je nachdem, ob eine leichtere oder schwierigere Version gewünscht wird, kön-
nen Auswahlantworten als Schüttelkasten oder Multiple-Choice-Auswahl vorgegeben
bzw. keine Vorgaben für die Antworten gemacht werden.
Ein weiteres Testverfahren, das mit ganzen Texten und kontextualisierten Aufgaben
arbeitet, ist der sogenannte C-Test. Das Verfahren wurde in den 1980er Jahren entwi-
ckelt. Es zielt auf das Überprüfen der allen Fertigkeiten zugrundeliegenden sprachsyste-
matischen Kompetenz ab. Lesekompetenz steht als Mittlerfertigkeit im Mittelpunkt, eine
hohe Kompetenz im Verständnis von Textkohärenz spielt in einem C-Test eine wichtige
Rolle. Genauso wie das Cloze-Verfahren beruht es auf dem Konzept der reduzierten
Redundanz. Beim C-Test ist jeweils die Hälfte von jedem zweiten Wort ⫺ vom Wortende
ausgehend ⫺ gelöscht. Hier ein Beispiel von der Homepage des TestDaF-Instituts (2008).
„Fit für TestDaF“ soll eine erste grobe Einschätzung darüber liefern, ob Interessenten
schon über eine ausreichende Sprachkompetenz verfügen, um bei der Prüfung TestDaF
erfolgreich abzuschneiden (Abb. 143.2).
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1281
Die Vorteile des C-Testverfahrens liegen in der Testökonomie ⫺ mit geringem Aufwand
erhält man eine relativ große Menge an Daten. Zudem sind C-Tests vergleichsweise leicht
zu entwickeln und zu bewerten. Die wissenschaftliche Diskussion merkt allerdings kri-
tisch an, dass es dem C-Test an Augenscheinvalidität mangelt. Bei einer Versuchsreihe
mit Englischlernenden in Mexiko hat sich zum Beispiel gezeigt, dass mit dem Verfahren
nicht vertraute Prüfungsteilnehmende erhebliche Schwierigkeiten damit haben können
und nicht einsehen, dass ihre sprachlichen Fähigkeiten darin adäquat zum Ausdruck
kommen (Jafarpur 1995: 194; Grotjahn 1992).
5.3. Selbstevaluation
Im Kontext des selbstgesteuerten Lernens haben in jüngster Zeit auch die Begriffe Leis-
tungsmessung und -bewertung eine neue Konnotation erhalten. Die Lernenden sollen in
die Lage versetzt werden, ihre Leistungen selber einzuschätzen. Damit verlagert sich der
Schwerpunkt von der Lehrkraft hin zu den Lernenden, die selber Informationen über
ihren Kenntnisstand und Lernfortschritt sammeln, um weitere Lernschritte gezielt zu
steuern. Die Beteiligung des Lernenden an den Verfahren der Leistungsmessung fördert
bei ihm die Einsicht in das Lernziel und die nötigen Fähigkeiten. Wichtigster erster
Schritt beim selbstgesteuerten Lernen ist die Selbstdiagnose, d. h. die Evaluation und
Analyse eigener Stärken und Schwächen. Daran schließt sich idealerweise ein gezielteres
d. h. strategisch richtiges Lernen an, bei dem systematisch Lücken gefüllt werden. Das
gezielte Training von Lerntechniken, z. B. zur Verbesserung der Schreibfertigkeit durch
bewusste Korrekturgänge (Rampillon 1996: 38⫺39) kann dabei zur Verbesserung der
Resultate eingesetzt werden.
Selbstevaluation als Analyseinstrument ist weniger eine Frage der Aufgabentypen als
vielmehr eine Frage der Organisation. Die Lernenden erhalten nicht nur die Aufgaben,
sondern die dazugehörigen Antworten bzw. Lösungen sowie Erläuterungen in Form einer
Lernnavigation.
Dem Gedanken der Selbsteinschätzung sowie dem europäischen Gedanken verpflich-
tet ist DIALANG, ein frei im Internet verfügbares computerbasiertes Evaluationsinstru-
ment, das es Fremdsprachenlernenden in 15 Sprachen ermöglicht, sich selbst einzuschät-
zen. DIALANG wurde im Auftrag der Europäischen Kommission entwickelt. Grundlage
dieses Systems ist eine Datenbank von kalibrierten Aufgaben. Die Testergebnisse sind
nach jedem Testmodul (Lesen, Hören, Schreiben, Strukturen, Wortschatz) in Form der
Stufen A1 bis C2 ausgedrückt. Zum Einsatz kommt DIALANG beispielsweise an Uni-
versitäten zur Einstufung von Studienplatzbewerbern.
5.4. Lernortschritt
Versteht man die Instrumente der Leistungsmessung als ein System, bei dem es von
einfachen zu immer komplexeren Prüfungstypen geht, dann lässt sich der Lernfort-
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1283
schrittstest am Anfang der Skala einordnen. Es handelt sich dabei um ein Kontrollinstru-
ment, das an geeigneter Stelle während eines Kurses eingesetzt wird, um der Lehrkraft
Informationen darüber zu liefern, wie effektiv ihr Unterricht war. Den Geprüften bietet
er Informationen darüber, wie effektiv der individuelle Lernprozess war. Der Inhalt der
Tests knüpft in der Regel unmittelbar an den in der vorangegangenen Unterrichtsphase
bearbeiteten Stoff an, ist somit abhängig vom Kurs- bzw. Lehrplan. Wenn das Lehrwerk
solche Tests nicht bereits liefert, erstellt die Lehrkraft diese passend zu den aktuellen
Unterrichtsinhalten. Hier stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Lehrbuch-
aufgabe und Testaufgabe. Im Gegensatz zu Übungsaufgaben im Unterricht unterliegen
Testaufgaben höheren Ansprüchen bei den Gütekriterien Unabhängigkeit und Eindeutig-
keit. Bei einem Test sollten die Geprüften bei jedem Item eine neue Chance erhalten ⫺
zur Differenzierung zwischen einer Aufgabe und einem Einzelelement eines Tests hat sich
im Deutschen inzwischen die englische Bezeichnung Item durchgesetzt. Eine falsch ge-
löste Aufgabe darf also nicht automatisch einen weiteren Fehler nach sich ziehen. Lehr-
kräfte greifen häufig zu dem Instrument der offenen Aufgabe vom Typ Fragen zum (Le-
se- bzw. Hör-)Text, da diese zu jedwedem Inhalt einfach zu erstellen sind:
Die Lösungen zu einer solchen Frage variieren sowohl inhaltlich als auch formal. Bei
der Beurteilung bereiten Lösungen, die zu knapp sind oder zu viele grammatische bzw.
orthographische Fehler enthalten, Probleme. Das Prüfungsziel Rezeption eines Textes
(egal ob Lese- oder Hörtext) gerät in Konflikt mit dem impliziten Prüfungsziel Produk-
tion von frei formulierten schriftlichen Äußerungen. Zwar sollten orthographische und
grammatische Fehler bei Aufgaben zur Rezeption keine Rolle spielen, doch fällt es Kor-
rektoren meistens schwer, Lösungen mit der vollen Punktzahl zu bewerten, die zwar
inhaltlich adäquat aber formal fehlerhaft sind.
Halboffene Aufgabentypen haben gegenüber diesen völlig offenen Aufgaben den Vor-
teil, dass die verlangte produktive Leistung innerhalb eng gesteckter Grenzen bleibt. Ein
halboffenes Verfahren zum Überprüfen des Leseverstehens ist zum Beispiel die mit Lü-
5.5. Kursabschluss
Am Ende eines Kurses besteht bei einer großen Zahl von erwachsenen Kursteilnehmen-
den das Bedürfnis nach einer Dokumentation des Fortschritts, den sie im Verlauf des
Kurses gemacht haben. Bei fremdfinanzierten Kursen hat der Geldgeber häufig ein Inte-
resse daran, den Erfolg der geförderten Maßnahme in Form eines Abschlusstests zu
überprüfen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der weitestgehend durch Steuergelder
finanzierten Integrationskurse für Zuwanderinnen und Zuwanderer in Deutschland im
Jahr 2005. Diese Sprachkurse sind differenziert nach Teilzielgruppen, z. B. schnelle Ler-
nende, Elternkurse, Jugendkurse, Kurse zur Alphabetisierung. Sie umfassen in der Regel
600 Unterrichtseinheiten mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Alle Kurse wurden bis
2009 mit dem Zertifikat Deutsch abgeschlossen, seit 2009 kommt ein speziell für diesen
Zweck entwickelter Deutschtest für Zuwanderer (dtz) zum Einsatz.
Intendiert ist eine enge Verbindung mit dem Lernstoff des vorausgegangenen Kurses.
Das Bindeglied für die Anbindung der Sprachprüfung an den Kurs ist das Curriculum.
Das sog. Rahmencurriculum (Goethe-Institut 2007) beschreibt repräsentative Lernziele
für die Sprachkurse. Diese Lernziele sind zugleich Prüfungsziele. Geprüft wird ein Kern-
bereich, der in allen Kursarten Unterrichtsgegenstand und für alle Teilzielgruppen rele-
vant ist. Das sind zum Beispiel Themen wie die Ausbildung und Betreuung von Kindern.
Eine Prüfungszielbeschreibung legt eine Definition des sprachlichen Niveaus aufgefä-
chert nach sprachlichen Mitteln im Bereich Sprachhandlungen, Intentionen, Notionen,
grammatischen Strukturen und Wortschatz vor und entspricht damit den Anforderun-
gen, die auch an eine Feststellungsprüfung gestellt werden. Rahmencurriculum und Prü-
fungszielbeschreibung bilden die Grundlage für Unterrichtsmaterialien und Lehrwerke,
die in den Kursen eingesetzt werden. Die Kursabschlussprüfung dtz unterscheidet sich
von Feststellungsprüfungen wie dem weltweit seit dem Jahr 2000 für alle Zielgruppen
eingesetzten Zertifikat Deutsch durch den engen inhaltlichen Bezug zu den vorausgegan-
genen Kursen und zu den Bedürfnissen der Zielgruppe.
5.6. Sprachstandsmessung
Die Funktion einer Feststellungsprüfung ist es, die sprachlichen Fähigkeiten der Geprüf-
ten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bestimmen. In der Regel melden sich Interessen-
ten zu einer solchen Prüfung aus freien Stücken an und bezahlen für diese Dienstleistung
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1285
eine Gebühr. Als Gründe, warum sie sich einer Prüfung unterziehen, nennen Lernende
in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit:
a) aus persönlichem Interesse
b) als Nachweis beruflicher Qualifikation
c) als Nachweis im Rahmen der Studienplatzbewerbung
d) als Nachweis im Rahmen des Einreise- und Visarechtes
Was die Prüfungsinhalte angeht, so beschränkt sich die Feststellungsprüfung nicht auf
den Stoff eines bestimmten Kurses oder Lehrplans, sondern legt eine detaillierte Prü-
fungszielbeschreibung zugrunde. Bei einer allgemeinsprachlichen Prüfung orientiert sich
diese an der zukünftigen Sprachverwendung im privaten, beruflichen und öffentlichen
Leben. Im Falle einer fachsprachlich ausgerichteten Prüfung sind die Prüfungsinhalte
auf das jeweilige Fachgebiet, zum Beispiel berufsbezogene Verwendungssituationen, ein-
gegrenzt. Die Prüfungszielbeschreibung gibt Auskunft über Prüfungsziele und -inhalte,
sprachliche Funktionen, Intentionen bzw. Handlungsfelder, den zugrunde gelegten Wort-
schatz und die grammatischen Strukturen, das sprachliche Niveau etc. Seit Veröffentli-
chung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens und der Profile Deutsch beziehen
sich solche Prüfungsbeschreibungen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der
Regel auf die Niveaustufen A1 bis C2 (Grotjahn 2007).
Feststellungsprüfungen umfassen in der Regel Testaufgaben zu allen vier Fertigkeiten,
d. h. Leseverstehen, Hörverstehen, Schriftlicher Ausdruck und Mündlicher Ausdruck.
Prüfungsaufgaben zu der Fertigkeit der Mediation sowie spezielle Grammatik-Teile sind
dagegen selten. Da die Prüfungsergebnisse sich an Endabnehmer, also zum Beispiel Ar-
beitgeber oder Bildungseinrichtungen, außerhalb der prüfenden Institution richten, ent-
stehen besondere Ansprüche an die Augenschein-Validität. Beim Durchsehen der Prü-
fungsaufgaben sollte der gebildete Laie den Eindruck erhalten, dass Testaufgaben für
ihre Zwecke relevante Inhalte und Fertigkeiten überprüfen. Im Zuge der sogenannten
kommunikativen Wende spielt dabei die Verwendung (semi-)authentischer Texte und
handlungsorientierter Aufgabenformen eine entscheidende Rolle.
Bei der Formulierung von Testaufgaben zum Schreiben etwa sollte die kontextuelle
Einbettung realistisch sein. Vor allem muss der Adressat klar sein. Realitätsnahe Schreib-
aufgaben richten sich nicht an den Prüfenden/Korrigierenden, sondern zum Beispiel an
einen Brieffreund. Überdies muss in der Aufgabe definiert sein, welche Form der zu
schreibende Text annehmen soll, d. h. welche Textsorte produziert werden und wie lang
der Text sein soll. Aus Gründen der Fairness sollte den Geprüften bei einer produktiven
Aufgabe, die nach bestimmten Kriterien beurteilt wird, außerdem bekannt sein, worauf
bei der Korrektur Wert gelegt wird.
Bei der Feststellungsprüfung ist außer der Augenscheinvalidität die sogenannte „Kon-
tentvalidität“ von Bedeutung. Sie betrifft die Frage der Testziele. Während die Auffas-
sung, dass Feststellungsprüfungen alle vier Fertigkeiten überprüfen sollen, inzwischen
historisch gewachsen ist, gibt es keinen Konsens darüber, wie jede einzelne Fertigkeit
getestet wird. Dies hängt von den jeweiligen Feinzielen ab. So legt zum Beispiel das
Hörverstehen im TestDaF Wert auf das Verstehen von vorlesungsähnlich strukturierten
Texten. Eine Prüfung zur Fachsprache Wirtschaftsdeutsch wie das vom Deutschen Volks-
hochschul-Verband und vom Goethe-Institut gemeinsam entwickelte Zertifikat Deutsch
für den Beruf (ZDfB) (1995) räumt berufsspezifischen Sprechanlässen und Aspekten in-
ter- bzw. metakultureller Kommunikation eine große Bedeutung ein.
1286 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
6. Computerbasierte Testverahren
Die Vorgabe, in möglichst kurzer Zeit ein möglichst genaues Bild des sprachlichen
Kenntnisstandes der Teilnehmenden zu erhalten, hat in den 1990er Jahren zur Entwick-
lung von computergestützten Testverfahren geführt. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte
BUSINESS LANGUAGE TESTING SYSTEM (BULATS). Das Instrument wird in vier
Sprachen angeboten: Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch. Ein Prüfender ist bei
diesem Computertest nicht beteiligt. Die Ergebnisse werden unmittelbar nach dem etwa
15-minütigen Verfahren in Form eines Protokolls bekanntgegeben. Im Hintergrund die-
ses Testsystems steht eine Bank von kalibrierten, d. h. erprobten und damit im Schwierig-
keitsgrad definierten Aufgaben zu den rezeptiven Fertigkeiten, d. h. Lesen und Hören
sowie Strukturen und Wortschatz.
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1287
7. Literatur in Auswahl
Macht, Konrad
1995 Leistungsmessung und Curriculum. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-
Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 282⫺285. 3. Aufl. Tübingen:
Narr.
Michel, Sister Virgil
1936 Prognosis in German. Modern Language Journal 20: 275⫺87.
Rampillon, Ute
1996 Schüler beurteilen sich selbst. Ein Zugang zum selbstgesteuerten Lernen. Friedrich Jahres-
heft 14: 38⫺39.
Spolsky, Bernard
1995 Measured Words. The Development of Objective Language Testing. Oxford: Oxford Uni-
versity Press.
Taylor, Wilson L.
1953 Cloze procedure: a new tool for measuring readability. Journalism Quaterley 30: 414⫺38.
Wall, Diane und J. Charles Alderson
1993 Examining wash-back: the Sri Lanka Impact Study. Language Testing 10(1): 41⫺69.
1. Einleitung
In einer Zeit der Globalisierung und eines zusammenwachsenden Europas spielen nicht
nur Fremdsprachenkenntnisse eine immer größere Rolle, sondern zunehmend auch deren
Zertifizierung. Die internationale Mobilität in Berufs- und Bildungskontexten erfordert
objektive, aussagekräftige, transparente und vergleichbare Nachweise von Sprachkompe-
tenzen. Entsprechend der erhöhten Nachfrage ist in den letzten Jahren auch der internati-
onale Prüfungsmarkt in Bewegung geraten. Ein deutlicher Meilenstein in Richtung er-
höhter Vergleichbarkeit und Transparenz wurde dabei durch das Erscheinen des Gemein-
samen Europäischen Referenzrahmens (⫽ GER, Europarat 2001) gesetzt. Beinahe alle
größeren internationalen Zertifikatsanbieter und Testorganisationen haben ihre Sprach-
prüfungen gemäß den darin festgelegten Referenzniveaus analysiert, adaptiert bzw. in
Anlehnung daran neue entwickelt. Dies gilt ganz besonders auch für den deutschsprachi-
gen Prüfungsbereich und betrifft nicht nur allgemeinsprachliche Tests und Prüfungen,
sondern auch Prüfungen für besondere Zielgruppen, wie z. B. Prüfungen für Kinder und
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1289
Jugendliche, studien- oder berufsbezogene Prüfungen oder spezifische Prüfungen für Mi-
grantInnen (vgl. Art. 145).
Im folgenden Beitrag soll nach einer kurzen Definition verschiedener Test- und Prü-
fungsverfahren geklärt werden, welche Art von Prüfungen und Zertifikaten im Zentrum
dieses Beitrags stehen und durch welche Merkmale sie sich charakterisieren lassen. An-
schließend stellt eine Übersicht die aktuelle DaF-Testlandschaft dar, gefolgt von einer
kurzen Beschreibung der diversen Prüfungen. In diesem Zusammenhang wird auch auf
die Rolle des GER für den Bereich der Sprachzertifizierung eingegangen.
2. Testarten
Das Überprüfen von Sprachkompetenzen kann je nach Testziel und Funktion in unter-
schiedlichster Art und Weise vorgenommen werden. In der Testtheorie unterscheidet man
prinzipiell zwischen diagnostischen Verfahren, wie z. B. den Einstufungstests (placement
tests), den auf einen Unterricht bzw. Kurs bezogenen Leistungs- bzw. Lernfortschrittsmes-
sungen (achievement tests) und den an vorgegebenen Kompetenz- bzw. Niveaubeschrei-
bungen orientierten Feststellungsprüfungen, die auch als Niveauprüfungen bzw. Qualifika-
tionstests (proficiency tests) bezeichnet werden. Letztgenannte Prüfungen erfassen den
Ausprägungsgrad von vorab definierten Anforderungen sprachlicher Handlungsfähigkeit
in Bezug auf abschätzbare bzw. mögliche zukünftige Verwendungssituationen. Sie sind
als solche, wie später noch ausgeführt wird, meist performanz- bzw. sprachhandlungsori-
entiert und überprüfen unabhängig von Kursen oder Lehrwerken den momentanen
Sprachstand eines Kandidaten, indem sie sich an vorher festgelegten Spezifikationen,
Niveau- und Kompetenzbeschreibungen orientieren. Standardisierte, internationale Zer-
tifikate sind den Definitionen zufolge in diese Kategorie der Niveauprüfungen einzuord-
nen, weshalb im Folgenden ausschließlich auf diese Prüfungen eingegangen wird.
Die meisten in diesem Beitrag erwähnten Prüfungen lassen sich als kommunikativ orien-
tierte Sprachprüfungen bezeichnen. Kommunikative Prüfungen setzen (vereinfacht aus-
gedrückt) nicht sprachliches Wissen, sondern Können, also sprachliche Handlungsfähig-
keit in den Mittelpunkt und sind daher zum größten Teil auch als Performanztests anzu-
sehen. Im Gegensatz zu sog. Kompetenztests (die meist mit theoretischen Modellen
„tieferliegender Grundfähigkeiten“ arbeiten) spiegeln Performanztests realitätsnahes ziel-
sprachiges Verhalten in realitätsnahen, wahrscheinlichen und relevanten Situationen wi-
der (real life approach, vgl. dazu Bachman 1990; Weir 1993; Glaboniat 1998). Vom Ver-
halten und den Leistungen der Testteilnehmenden in diesen Situationen wird abgeleitet,
wie sich eine Person außerhalb des Testzusammenhangs verhalten könnte. Dazu werden
die TestkandidatInnen in möglichst realitätsnahe und kommunikative Akte involviert
und müssen innerhalb einer vorgegebenen Situation und sozialen Rolle unterschiedliche
1290 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
dem GER verlinkt, validiert und evaluiert. Bei aller Euphorie muss aber auch betont
werden, dass der GER in der Fachdiskussion durchaus nicht unumstritten ist, dass er
viele Schwachstellen aufweist und es eine Menge offene und ungeklärte Fragen gibt (vgl.
Bausch et al. 2003). Hinzu kommt, dass die Niveauzuordnung hie und da ⫺ sei es bei
Lehrwerken oder nicht-standardisierten Tests im Internet ⫺ nicht nachvollziehbar ist
und Etikettenschwindel angenommen werden muss. Internationale Sprachprüfungen
nehmen die Zuordnung in der Regel jedoch sehr ernst, womit für den Bereich des Spra-
chentestens durch den GER tatsächlich ein wichtiger Meilenstein gesetzt wurde. Es exis-
tieren nun zumindest Anhaltspunkte, die die Prinzipien wie Vergleichbarkeit, Transpa-
renz und Kohärenz erstmals wirklich ermöglichen.
4. Internationale DaF-Prüungen
4.1. Beispiel Zertiikat Deutsch als Fremdsprache
Bevor im Folgenden die gängigsten DaF-Prüfungen vorgestellt werden, soll die weltweit
am meisten frequentierte Deutschprüfung, das auf dem Niveau B1 angesiedelte Zertifikat
Deutsch (kurz: ZD), beispielhaft etwas detaillierter skizziert werden.
Gemäß den Beschreibungen des GER sollen Lernende auf diesem Niveau zur „selbst-
ständigen Sprachverwendung“ in Alltagssituationen fähig sein, d. h. sie können u. a.
sprachlich „die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet
begegnet“ und „sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persön-
liche Interessengebiete äußern“ (GER B1).
Konzipiert ist das ZD für Lernende ab 16 Jahren, für jüngere DeutschlernerInnen
zwischen 12 und 16 Jahren wird zusätzlich das Zertifikat Deutsch für Jugendliche (ZDj)
angeboten. Das ZDj unterscheidet sich vom ZD lediglich in der Auswahl der Themen
und Texte; Umfang und Format der Aufgaben sowie die Bewertung und letztlich auch
die ausgestellte Zertifikatsurkunde sind identisch.
Erstellt und herausgegeben werden beide Prüfungen (ZD und ZDj) in trinationaler
Zusammenarbeit vom Goethe-Institut (GI) und der telc GmbH/Deutschland, dem Öster-
reichischen Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) und dem Lern- und Forschungszentrum der
Universität Freiburg/Schweiz. Der trinationalen Kooperation zu Grunde liegt die pluri-
zentrische Sprachauffassung des Deutschen, wonach die Standardvarietäten aus
Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz gleichberechtigt nebenei-
nander gestellt sind. In den Prüfungen finden sich daher v. a. in den rezeptiven Teilen
Hör- und Lesetexte aus den drei Ländern.
Die Aufgabenstellungen, d. h. die in der Prüfung zu bewältigenden Situationen mit
unterschiedlichen rezeptiven (Hör- und Lesetexte) und produktiven Anforderungen
(Sprech- und Schreibanlässen) orientieren sich an eigens für das ZD erstellten Spezifika-
tionen, die „Szenarien“, Strategien, Notionen und Themen sowie detaillierte Sprach-
handlungs-, Wortschatz- und Grammatikinventare (Zertifikat Deutsch Lernzielkatalog
1999: 26 und 61⫺371) umfassen. Dieser ZD-Lernzielkatalog geht in großen Teilen wiede-
rum auf die 1980 im Umfeld des Europarats erschienene „Kontaktschwelle“ von Baldeg-
ger et al. 1980 (bzw. dem 1975 erschienenen „Threshold Level“ von Van Ek) zurück.
Somit orientiert sich das ZD nicht wie andere, neuere Prüfungen direkt an den Bestim-
mungen des GER bzw. Profile deutsch, sondern geht noch auf deren Vorarbeiten zurück.
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1293
Auf Grund dieser Zusammenhänge lässt sich zwar generell annehmen, dass sich die meis-
ten der ZD-Spezifikationen mit den Niveaubeschreibungen und Skalen des GER bzw.
den Konkretisierungen in Profile deutsch decken, eine detaillierte Prüfung bzw. Analyse
sowie daraus resultierende Überarbeitung wird in Fachkreisen als längst fällig angesehen.
Erste Schritte in diese Richtung wurden 2008 gesetzt, eine Revision dürfte in den nächs-
ten Jahren zu erwarten sein.
Tabelle 144.1 zeigt u. a. den Aufbau des ZD (auch ZDj) mit den einzelnen Prüfungstei-
len, deren Aufgabenformate und Gewichtung.
Studienspezifische Prüfungen wie TestDaF, DSH oder DSD wurden in die Tabelle 2
nicht aufgenommen, weil sie entweder über mehrere Niveaus gehen (vgl. TestDaF 3⫺5)
oder nicht in dem Ausmaß standardisiert sind wie die anderen.
Auf den Stufen A1 und A2 werden weltweit einerseits die Prüfungen Start Deutsch 1
und 2 des GI und TELC sowie andererseits die Prüfungen Grundstufe Deutsch 1 und 2
des ÖSD angeboten. Die einzelnen Prüfungen sind kommunikativ aufgebaut und doku-
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1295
mentieren auf dem Niveau A1, dass die Teilnehmenden „vertraute, alltägliche Ausdrücke
und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden können“ bzw. auf A2-Niveau, dass
sie sich u. a. „in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen können“. (Es gibt
von Start 1 und 2 auch die Inlandsvarianten für Zuwanderer Start Deutsch 1(z) und
Start Deutsch 2(z), die in den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
geförderten Integrationskursen durchgeführt werden. In Österreich ersetzt die ÖSD-Prü-
fung A1 Grundstufe 1 den früheren Sprachkenntnisnachweis, eine österreichische DaZ-
Prüfung, die bis 2006 als Nachweis zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung/Nieder-
lassungsbewilligung ausreichte. Seit 2006 ist dafür das Niveau A2 erforderlich.
Für beide A-Stufen liegen auch spezifische Prüfungen für Kinder und Jugendliche
vor. So können junge LernerInnen entweder die Prüfungen des Goethe-Instituts Fit für
Deutsch 1 und 2 (v. a. in Italien und Frankreich angeboten) oder die des ÖSD KID 1 und
2 absolvieren.
Während sich auf der Stufe B1 wie oben erwähnt nicht nur die größte, sondern auch
die am längsten existierende Prüfung, das Zertifikat Deutsch (vor 1999: Zertifikat
Deutsch als Fremdsprache) befindet, sind die Prüfungen der drei großen Testanbieter GI,
ÖSD und telc auf den Stufen B2 und C1 relativ neu.
Im Zuge der Zuordnungs- und Anpassungsprozesse der DaF-Prüfungen an den GER
wurde die Zentrale Mittelstufenprüfung (ZMP) des GI 2008 durch zwei neue Prüfungen
abgelöst: das Goethe Zertifikat B2 einerseits und das Goethe Zertifikat C1 andererseits.
Eine ähnliche Entwicklung erfuhr die frühere ÖSD-Prüfung Mittelstufe Deutsch. Sie
wurde Ende 2007 ebenfalls durch zwei neue Prüfungen ersetzt, die B2 Mittelstufe Deutsch
und die C1 Oberstufe Deutsch des ÖSD. Auch Telc bietet seit einiger Zeit Prüfungen auf
diesen Niveaus an, nämlich telc Deutsch B2 (früher: Zertifikat Deutsch plus) und telc
Deutsch C1.
Kenntnisse der Niveaustufe C2 können Lernende beispielsweise durch die Zentrale
Oberstufenprüfung (ZOP), das Kleine Deutsche Sprachdiplom (KDS) und das Große
Deutsche Sprachdiplom (GDS) unter Beweis stellen. Durch die ZOP wird sprachliches
Handeln innerhalb eines breiten Spektrums von Situationen und Themen überprüft. Von
den KandidatInnen werden differenzierte sprachliche Mittel, eine starke Nuancierung
beim Ausdruck und ein breites Repertoire an idiomatischer Ausdrucksweise erwartet.
Der Test für das etwa auf dem gleichen Niveau angesiedelte KDS wird vom GI in Zu-
sammenarbeit mit der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) entwickelt; so
auch das GDS, welches als höchstqualifizierender Abschluss im Bereich DaF außerhalb
einer universitären oder einer Dolmetscher-/Übersetzer-Ausbildung gilt.
Im berufsbezogenen Kontext finden sich auf den höheren Stufen folgende Prüfungen:
Auf B2 ist das vom GI angebotene Zertifikat Deutsch für den Beruf angesiedelt. Dies
ist eine am Arbeitsalltag orientierte Sprachprüfung, die die Kommunikationsfähigkeit in
Situationen des täglichen Berufslebens überprüft.
Das GI bietet in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag
sowie den Carl Duisberg Centren die Prüfung Wirtschaftsdeutsch International (PWD)
an. Geprüft wird die Kommunikationsfähigkeit in Geschäftssituationen. Das Zeugnis
bescheinigt angemessene Kommunikationskompetenz auf der Niveaustufe C1 in typi-
schen Situationen des Geschäftslebens, also bei Präsentationen, in schriftlichen und
mündlichen Verhandlungen, u. Ä.
Eine Prüfung mit ähnlicher Ausrichtung, aber auf noch höherer Stufe ist die Prüfung
C2 Wirtschaftsprache Deutsch (WD) des ÖSD. Das Diplom dient als Nachweis von kom-
1296 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
petenter Sprachverwendung auf der höchsten Stufe des GER und erfordert überdies
fachsprachliche Kompetenz in Wirtschaftsberufen und wirtschaftsnahen Bereichen. Die
Prüfung wurde in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich entwickelt.
Die genannten berufsbezogenen Prüfungen werden sowohl von Fach- und Führungs-
kräften als auch von Wirtschaftsstudenten gerne bei Bewerbungen eingesetzt.
Speziell für studienspezifische Zwecke entwickelt wurde der TestDaF, eine vom TestDaF-
Institut entwickelte und herausgegebene Prüfung zur Eignungs- und Leistungsfeststel-
lung im Hochschulbereich. Der TestDaF wird weltweit angeboten und von allen Hoch-
schulen in Deutschland als Sprachtest für die Zulassung ausländischer Studierender aner-
kannt. Die TestDaF-Niveaustufe 3 entspricht der Stufe B2, die Stufe TestDaF 4 der Stufe
C1 des GER.
Zusätzlich werden an Deutschlands Auslandschulen die DSD-Prüfungen der deut-
schen Kultusministerkonferenz (KMK) angeboten. Von den beiden Prüfungsstufen DSD
1 und DSD 2 garantiert das DSD 2 den Hochschulzugang in Deutschland. Es setzt
ungefähr 1600 Stunden Schulunterricht (in der Regel 7 Jahre) voraus und lässt sich ⫺ in
der seit 2008 vorliegenden, ebenfalls nach dem GER revidierten Version ⫺ auf dem
Niveau C1 einordnen.
Ebenfalls für die Zulassung zum Hochschulzugang in Deutschland wurde die Deut-
sche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH ) entwickelt. Die DSH-Prüfungen
werden ausschließlich in Deutschland, jeweils vor Beginn eines Studiensemesters, ange-
boten. Der Unterschied zu den oben angeführten Prüfungen, die alle unter hohen Quali-
tätsanforderungen zentral erstellt und teilweise auch zentral ausgewertet werden, liegt
bei der DSH im geringeren Grad ihrer Standardisierung: Zwar gibt es eine für ganz
Deutschland geltende Rahmenordnung für die DSH, allerdings gestalten die einzelnen
Universitäten die Prüfungen, d. h. Inhalte und Aufgabenstellungen, selbstständig. Ein
vergleichbares Modell stellt das UNIcert“-Zertifikatssystem dar, das auf einer Rahmen-
vereinbarung deutscher Universitäten und Hochschulen beruht. Träger von UNIcert “
ist der Arbeitskreis für Sprachenzentren (AKS).
Ähnliches gilt auch für universitätsinterne/-eigene Prüfungen oder Tests in Österreich
und der deutschsprachigen Schweiz (z. B. Ergänzungsprüfung Deutsch in Österreich, der
Deutschtest der Universität Bern, die Deutschprüfung der Universität Zürich usw.) oder
für die (Abschluss-)Prüfungen der an den Universitäten angebotenen, studienvorberei-
tenden Deutschkurse (z. B. Vorstudienlehrgänge, Hochschulkurse, Studienkollegs u. Ä.):
Sie unterscheiden sich ⫺ trotz wachsender Bezugnahme auf den GER ⫺ in Schwierig-
keitsgrad, Inhalten, Aufbau und v. a. im Ausmaß ihrer Standardisierung und Qualitäts-
sicherung immer noch so sehr voneinander, dass sie nur sehr eingeschränkt vergleich-
bar sind.
Für den Hochschulzugang stehen somit verschiedene Prüfungen zur Verfügung. Ne-
ben den letztgenannten, studienspezifischen Prüfungen werden aber je nach Universität
und Hochschule bzw. Studienrichtung auch die anderen, oben erwähnten Prüfungen ak-
zeptiert. Entsprechende Informationen findet man für Deutschland im Internet unter
www.sprachnachweis.de. In Österreich werden die ÖSD-Prüfungen an allen Universitä-
ten anerkannt, es werden allerdings je nach Universität unterschiedliche Sprachniveaus
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1297
gefordert und diesen Niveaus entsprechend auch die anderen oben angeführten standar-
disierten Prüfungen akzeptiert. Informationen zur Anerkennung des ÖSD an Österreichs
bzw. auch Schweizer und deutschen Universitäten sind unter www.osd.at abrufbar. Für
die Schweiz findet man die entsprechenden sprachlichen Aufnahmevoraussetzungen im
Internet unter „Studieren in der Schweiz“ (www.crus.ch) und in allen drei Ländern
selbstverständlich auch auf den entsprechenden Informationsseiten jeder einzelnen Uni-
versität.
5. Zusammenassung
Der Überblick über die verschiedenen DaF-Prüfungen spiegelt nicht nur das immer grö-
ßer werdende Angebot am (internationalen) Prüfungsmarkt wider, sondern zeigt die Prü-
fungen auch in ihrer jeweiligen Niveauzuordnung. Dies wäre noch bis vor einigen Jahren
kaum möglich gewesen, bestand doch seit jeher beim Ein- und Zuordnen von Sprach-
zeugnissen das fundamentale Problem der fehlenden Bezugsgröße. Da verschiedene Prü-
fungen naturgemäß verschiedene Inhalte überprüfen, unterschiedliche Schwerpunkte set-
zen und für unterschiedliche Zielgruppen konzipiert sind, war eine Vergleichbarkeit der
Beurteilungen immer sehr schwierig. Erst durch die Entwicklung eines gemeinsamen Re-
ferenzrahmens erfolgte eine grundsätzliche Neuorientierung. Es wurde ein gemeinsames
Bezugssystem geschaffen, an welchem sich kommunikativ orientierte Prüfungen beim
Analysieren, Festlegen oder Interpretieren der eigenen Lern- und Prüfungsziele orientie-
ren können. Wie die bisherige Erfahrung bereits zeigt, wurde durch den GER für den
Bereich des Prüfens und Zertifizierens ein durchaus hilfreiches und taugliches Instrument
geschaffen, das sowohl innerhalb der Sprachen als auch sprachenübergreifend deutlich
mehr Vergleichbarkeit, Transparenz und Kohärenz ermöglicht.
6. Literatur in Auswahl
Bachman, Lyle F.
1990 Fundamental Considerations in Language Testing. Oxford: Oxford University Press.
Baldegger, Markus, Martin Müller und Günther Schneider
1980 Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache. Strassburg: Langenscheidt.
Bausch, Karl-Richard; Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspa-
piere der 22. Frühjahreskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübin-
gen: Narr.
Council of Europe
2002 Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assess-
ment: Language Examining and Test Development. Prepared under the direction of Michael
Milanovic /A.L.T.E), Strasbourg: Council of Europe, Language Policy Division. Verfüg-
bar unter http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/documents/Guide%20October%202002 %
20revised%20version1.doc (30. 11. 2009).
Council of Europe
2009 Relating Language Examinations to the Common European Framework of Reference for
Languages: Learning, Teaching, Assessment (CEF). Manual. Strasbourg: Council of
1298 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
1. Einleitung
Sprachprüfungen Deutsch als Fremdsprache haben eine lange Tradition. Es gibt ein
Spektrum an standardisierten DaF-Prüfungen für verschiedene Zielgruppen, zu unter-
schiedlichen Zwecken und auf allen Niveaus des Gemeinsamen europäischen Referenz-
rahmens (GER) (vgl. Art. 144). Im Gegensatz dazu ist das Angebot an standardisierten
Deutsch als Zweitsprache-Prüfungen sehr begrenzt.
Allgemeines Merkmal von Zweitsprachenprüfungen ist, dass sie Sprachkompetenzen
von Sprachminderheiten in einem Umfeld überprüfen, in dem die entsprechende Sprache
die der Bevölkerungsmehrheit ist, und dass die Prüfungsinhalte Bezug auf dieses Umfeld
nehmen. Für Zweitsprachenprüfungen sind ebenso viele Varianten denkbar wie für
Fremdsprachenprüfungen, jedoch ist weltweit der zunehmend häufigere Kontext für
Zweitsprachenprüfungen der Bereich der Regulierung von Zuwanderung und Einbürge-
rung. Viele Staaten verlangen von Zuwanderern den Nachweis von Kenntnissen in der
Nationalsprache. Begründet wird dies damit, dass hinreichende Sprachkenntnisse die
Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und dass über die Sprache eine erfolgreiche
Integration in die Aufnahmegesellschaft möglich ist. Oft werden Zweitsprachenprüfun-
gen als Instrument der Zuwanderungsbeschränkung eingesetzt.
Auch in den drei deutschsprachigen Ländern gelten seit einigen Jahren Zuwande-
rungsgesetze. In Deutschland und in Österreich wurden in diesem Kontext in öffentli-
chem Auftrag Prüfungen entwickelt, in der Schweiz ist eine offizielle Prüfung zum Nach-
weis von (deutschen) Sprachkenntnissen nicht vorgesehen.
Zielgruppe des dtz sind Zuwanderer ab 16 Jahren, die die lateinische Schrift beherrschen.
Die KandidatInnen haben freiwillig oder obligatorisch einen Integrationskurs besucht
und schließen den Kurs mit dem dtz ab. Zugelassen sind auch MigrantInnen, die nicht
an einem Kurs teilgenommen haben.
2.2. Prüungsinhalte
2.3. Prüungsteile
Der dtz besteht aus vier Subtests, in denen die Fertigkeiten, Hören, Lesen, Schreiben
und Sprechen getrennt überprüft werden. Der Subtest Hören enthält vier Aufgaben in
geschlossenen Formaten mit insgesamt 20 Items. Ziel ist es zu überprüfen, inwieweit
die TestteilnehmerInnen in der Lage sind, unterschiedlichen kürzeren Hörtexten selektiv
Informationen zu entnehmen. In der ersten Aufgabe werden Telefonansagen oder öffent-
145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache 1301
2.4. Bestehensbedingungen
Der dtz ist durch komplexe Bestehensbedingungen gekennzeichnet. Die rezeptiven Sub-
tests Hören und Lesen werden in der Bewertung zusammengefasst. Bei einer maximalen
Punktzahl von 45 Punkten wird das Ergebnis des rezeptiven Prüfungsteils als A2-Niveau
gewertet, wenn 20 Punkte erreicht worden sind. Ab einer Punktzahl von 33 wird ein
Prüfungsergebnis auf der Niveaustufe B1 eingeordnet.
Die produktiven Prüfungsteile werden ⫺ kriteriumsorientiert ⫺ von zwei Prüfern
unabhängig voneinander bewertet. Zur Bewertung des Subtests Schreiben werden die
1302 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
In Österreich regelt das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in
Österreich (NAG), das am 01. 01. 2006 in Kraft trat, die Zuwanderung von Menschen,
die nicht aus dem EWR-Gebiet stammen (Drittstaatsangehörige). Wollen sich diese Mi-
grantInnen dauerhaft oder längerfristig in Österreich niederlassen, müssen sie deutsche
Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 des GER nachweisen, um „am gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich“ (NAG § 14) teilnehmen zu können.
Dieser Nachweis kann über den ÖIF-Test, der den Abschluss eines Integrationskurses
(Modul 2) bildet, erbracht werden. Die Prüfung soll dabei „die Besonderheiten des Spra-
chenlernens von Migranten sowie deren spezifische Lernvoraussetzungen“ (BGBI.II, Ab-
satz I.5) berücksichtigen.
Beim ÖIF-Test, entwickelt vom Österreichischen Integrationsfonds, Fonds zur Inte-
gration von Flüchtlingen und Migranten, handelt es sich um eine nach einheitlichen
Standards konzipierte Feststellungsprüfung. Die Testsätze werden zentral erstellt, die
Prüfungen werden dezentral, an zertifizierten Instituten von zertifizierten PrüferInnen
durchgeführt und ausgewertet.
Zielgruppe des ÖIF-Tests sind erwachsene MigrantInnen, die einen dauerhaften Aufent-
halt in Österreich anstreben.
3.2. Prüungsinhalte
Die Inhalte der Prüfung basieren auf dem Rahmencurriculum für die Deutsch-Integrati-
onskurse und sind am Alltag der MigrantInnen („Lebensraum Österreich“) orientiert.
Es werden authentische Situationen aus dem sozialen und beruflichen Alltag abgebildet
(u. a. Wohnen, Arbeit, Beruf/Ausbildung, Einkauf). Die TeilnehmerInnen sind gefordert,
dem A2-Niveau entsprechend situationsadäquat zu agieren und reagieren, u. a. die eigene
Meinung und Bedürfnisse zu vertrauten Themen zu äußern, Auskünfte einzuholen oder
145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache 1303
zu geben. Sie sollen nachweisen, dass sie authentische Texte im Rahmen von Sprach-
kenntnissen auf A2-Niveau lesend verstehen und Hörtexten in deutlich artikulierter (ös-
terreichischer) Standardsprache folgen können.
3.3. Prüungsteile
Der ÖIF-Test setzt sich aus vier Subtests (Modulen) zusammen, in denen die Fertigkeiten
Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen getrennt überprüft werden. Das Modul Lesen
umfasst drei geschlossene Aufgaben mit insgesamt 10 Items zu unterschiedlichen Kurz-
texten. Ziel ist zu überprüfen, inwieweit die TestteilnehmerInnen in der Lage sind, einen
Text global, selektiv bzw. detailliert zu verstehen. In den beiden ersten Aufgaben werden
jeweils mehrere semi-authentische Kleinanzeigen, z. B. Mietangebote oder Stellenanzei-
gen, präsentiert, denen Aussagen bzw. Personenprofile zugeordnet werden sollen. Die
dritte Aufgabe besteht aus einem kurzen (adaptierten) Zeitungstext zu einem Alltags-
thema, z. B. Gesundheit, zu dem Mehrfachwahlaufgaben gestellt werden. Das Modul
Lesen dauert 30 Minuten.
Das Modul Hören enthält drei Aufgaben in unterschiedlichen Formaten (halb-offen
und geschlossen). Ziel ist zu überprüfen, inwieweit die KandidatInnen in der Lage sind,
einen kurzen monologischen Hörtext selektiv zu verstehen. In der ersten Höraufgabe
sollen Informationen aus einer Mobilbox-Nachricht entnommen und auf einem Notiz-
blatt notiert werden, z. B. Tag und Uhrzeit eines Arzttermins. Basis der zweiten Aufgabe
ist eine mündliche Wegbeschreibung, anhand derer die Testteilnehmer den Weg in einem
Stadtplan einzeichnen müssen. In der dritten Aufgabe hören die KandidatInnen vier
unterschiedliche Kurzmeldungen aus dem Radio, zu denen jeweils eine Mehrfachwahl-
aufgabe zu lösen ist. Das Modul Hören dauert ca. 20 Minuten.
Der Subtest Schreiben besteht aus zwei Aufgaben. Ziel ist es zu überprüfen, inwieweit
die KandidatInnen in der Lage sind, ein einfaches Formular mit personenbezogenen
Daten auszufüllen. In der ersten Aufgabe sollen fünf Lücken in einem Formular mit den
persönlichen Daten des Testteilnehmers ergänzt werden. Die zweite Aufgabe fordert von
den KandidatInnen, fünf Ergänzungen für eine fiktive Person in einem Formular vorzu-
nehmen. Die zweite Schreibaufgabe ist anspruchsvoller als die erste, da sie auf zwei Tex-
ten basiert, z. B. einer Rechnung und dem dazu gehörenden Überweisungsvordruck, und
ein gewisses Maß an Lesekompetenz voraussetzt. Der Subtest Schreiben dauert 20 Minu-
ten.
Das Modul Sprechen ist eine Einzelprüfung mit zwei PrüferInnen und enthält drei
Aufgaben zum monologischen und dialogischen Sprechen. Ziel ist zu überprüfen, inwie-
weit die KandidatInnen in der Lage sind, über ihre eigene Person Auskunft zu geben
und einen einfachen Alltagsdialog zu führen. Für die erste Aufgabe werden dem Prüfling
Impulswörter vorgelegt (z. B. Namen, Ausbildung), anhand derer er über sich Auskunft
gibt. In der zweiten Aufgabe soll der Kandidat aus drei Bildkarten, die eine Alltagssitua-
tion darstellen (z. B. im Bus), eine auswählen, die dargestellte Situation benennen und
einen fiktiven Dialog führen. Die Rolle des Gesprächspartners wird dabei von einem
Prüfer übernommen. Im Anschluss daran soll der Kandidat, ausgehend vom Bildimpuls,
über die eigene Situation berichten. Das Modul Sprechen dauert ca. 10 Minuten.
1304 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
3.4. Bestehensbedingungen
Der ÖIF-Test gilt als bestanden, wenn in jedem Modul die vorgegebene Mindestpunkt-
zahl erreicht wurde. Dabei tragen die Module in unterschiedlichem Maße zum Bestehen
bei: Lesen und Schreiben wiegen weniger als Hören und Sprechen. Wird in einem Modul
die Mindestpunktzahl nicht erreicht, so muss der gesamte Test wiederholt werden. Der
Zielgruppe und dem A2-Niveau entsprechend wird der formalen Richtigkeit ein weit
geringerer Stellenwert zugewiesen als dem erfolgreichen kommunikativen Handeln.
4. Fazit
Beide Prüfungen sind vor dem Hintergrund ihrer sozialen und politischen Implikationen
zu sehen. Sie wurden unter bestimmten gesetzlichen Vorgaben erstellt, finden in einem
institutionellen Rahmen statt und tragen zur Regulierung von Zuwanderung bei. Damit
gehören der dtz und der ÖIF-Test in die Kategorie der high stakes tests: Die Testergeb-
nisse bilden die Basis für weitreichende Entscheidungen seitens der Ausländerbehörden.
Werden in Deutschland keine Sprachkenntnisse auf B1-Niveau nachgewiesen, wird die
Frist zur Erlangung der Niederlassungserlaubnis u. U. nicht verkürzt oder eine bean-
tragte Staatsbürgerschaft wird (vorerst) nicht erteilt. Prüfungen dieser Tragweite haben
hohe Anforderungen an die Testgütekriterien zu erfüllen: Sie sollen objektiv, reliabel,
valide, aber auch ökonomisch, fair und transparent sein.
Die an der Entwicklung des dtz beteiligten Institutionen, beide Mitglied der Associa-
tion of Language Testers in Europe (ALTE), bekennen sich explizit zum ALTE Code of
Practice, in dem Qualitätsstandards von Sprachtests und deren Entwicklung niedergelegt
sind, zu deren Einhaltung sich die ALTE-Mitglieder verpflichten.
Der Österreichische Integrationsfonds ist kein ALTE-Mitglied, jedoch ist auch hier
ein Bemühen zu erkennen, Qualitätsstandards zu erfüllen. Der ÖIF-Test ist aufgrund der
geschlossenen Aufgabenformate in den rezeptiven Teilen als ökonomisch und auswer-
tungsobjektiv zu bezeichnen. Die stark gesteuerten Aufgaben in den produktiven Teilen,
die ausführlichen Durchführungs- und Auswertungsanleitungen sowie die genauen Be-
wertungskriterien fördern die Auswertungsobjektivität in den produktiven Testteilen.
Für beide Prüfungen sind die Anforderungen klar definiert und dokumentiert. Mo-
dellsätze und die Rahmencurricula sind öffentlich zugänglich. Damit sind auch die An-
forderungen hinsichtlich der Transparenz erfüllt (zur kritischen Diskussion vgl. Art. 10,
Abschnitt 5).
5. Literatur in Auswahl
Buhlmann, Rosemarie, Karin Ende, Susan Kaufmann, Angela Kilimann und Helen Schmitz
2007 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München: Goethe-In-
stitut.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Goethe-Institut, Telc
2009 Deutschtest für Zuwanderer. Modellsatz Jugendintegrationskurs. München: Goethe-Institut.
146. Sprachstandsdiagnosen 1305
Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (NAG). Bundesgesetzblatt
für die Republik Österreich, BGBI.I Nr. 100/2005 geändert durch BGBI.I Nr. 157/2005,
BGBI.I Nr. 31/2006 und BGBI.I Nr. 99/2006.
Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich. Jahrgang 2005. Teil II. Ausgegeben am 27. Dezember
2005. Nr. 449. Integrationsvereinbarungs-Verordnung ⫺ IV⫺V.
Bundesrepublik Deutschland
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderergesetz) vom
30. Juli 2004. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004. Teil I Nr. 41, herausgegeben zu Bonn am
5. August 2004.
Europarat
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lehren, lernen, beurteilen. Ber-
lin/München: Langenscheidt.
Goethe-Institut/Telc GmbH
2009 Deutschtest für Zuwanderer A2⫺B1. Prüfungsziele, Testbeschreibung. München: Goethe-
Institut.
Österreichischer Integrationsfonds
2006 ÖIF Modelltest. Kommentierter Modelltest 001. Wien.
Österreichischer Integrationsfonds
2006 Testcurriculum. ÖIF-Test. Wien.
Schweizerische Eidgenossenschaft
2009 SR 142.20 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005
(Stand 1. Januar 2009).
Link
Association of Language Testers in Europe (ALTE):
http://www.alte.org/cop/index.php (30. 11. 2009)
146. Sprachstandsdiagnosen
1. Sprachdiagnostik: Stellenwert in Wissenschaft und Praxis
2. Sprachdiagnostik im bildungspolitischen Kontext
3. Anforderungen an die Qualität von Sprachdiagnostik
4. Szenarien der Sprachdiagnostik und Anforderungen an die dabei eingesetzten Verfahren
5. Fazit
6. Literatur in Auswahl
ausgeführt, und sie finden im Rahmen von expliziten, oft ritualisierten Momenten des
Lehr-Lern-Prozesses statt: bei der Einteilung von Lernenden in Gruppen oder zum Ab-
schluss eines Lehrgangs. Dabei ist man auf das Ermitteln und Interpretieren von Indizien
(Indikatoren) angewiesen, um ein Urteil abzugeben: Sprachfähigkeit oder Leistung ist
nicht messbar wie Größe, Gewicht oder Geschwindigkeit, sondern es muss von beobach-
teten Phänomenen auf eine ihnen zugrundeliegende allgemeinere Kompetenz geschlos-
sen werden.
Die hohe Praxisbedeutung sprachdiagnostischer Tätigkeiten korrespondiert weder mit
einer entsprechend regen Forschung noch mit einer gründlichen Qualifizierung des päda-
gogischen Personals für die diagnostischen Tätigkeiten. Entwicklungen in den 1970er
und 1980er Jahren, hauptsächlich im Kontext der Einschätzung von Deutschkenntnissen
zugewanderter Kinder und Jugendlicher, kamen weitgehend zum Erliegen, bis nach der
Wende zum 21. Jahrhundert die Aufmerksamkeit für das Thema wieder wuchs ⫺ erneut
im Kontext von Migration. In der Ausbildung zum Lehramt wird der Bereich der
Sprachdiagnostik im Allgemeinen nach wie vor nur gestreift.
Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen praktischer Relevanz und wissenschaft-
licher Aufmerksamkeit sowie angemessener Qualifikation für die praktischen Tätigkei-
ten? Zu den Gründen dafür gehört, dass der Bereich der Sprachdiagnostik, einschließlich
der Entwicklung der dafür geeigneten Instrumente, traditionell in der Sprachdidaktik
und Sprachlehrforschung eher randständig ist. Für den Bereich des fremdsprachlichen
Lernens wird die Notwendigkeit, wissenschaftlichen Standards standhaltende Instru-
mente zur routinemäßigen Überprüfung von Lernprozessen und -Ergebnissen einzuset-
zen, vielfach nicht gesehen: Die sogenannte Lernzielkontrolle wird gleichsam als dem,
was gelehrt wurde, immanent aufgefasst. So werden etwa die Kontroll-Tests zu Lehr-
buchlektionen vielfach in den Handreichungen für Lehrende mitgeliefert. Für die Über-
prüfung fremdsprachlicher Leistungen, die nicht zur Routine des Unterrichtsalltags ge-
hört, hat sich eine Tradition der (semi-)kommerziellen Entwicklung und Verbreitung von
Tests etabliert. Ein Beispiel dafür ist die Produktion von Sprachtests und Zertifikaten im
Anschluss an den „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“, wie sie
u. a. von den Goethe-Instituten und ihren internationalen Pendants betrieben werden.
Die Expertinnen und Experten für die Entwicklung von Tests für Zertifizierungszwecke
haben sich zu einer spezialisierten Vereinigung ALTE ⫺ The Association of Language
Testers in Europe zusammengeschlossen, zu deren Zielen die Verbesserung und Sicherung
von Standards für die Sprachtestentwicklung gehört, die für die Zertifizierung von
Sprachkenntnissen verwendet werden (http://www.alte.org/).
Hierneben hat sich ein zweiter Bereich der spezialisierten Beschäftigung mit Sprachdi-
agnostik in der Spracherwerbsforschung etabliert. Hier werden in der Regel wissenschaft-
liche Ziele der Beobachtung von Sprachentwicklungsverläufen verfolgt. Die darauf bezo-
genen Instrumente werden üblicherweise nicht mit der Intention einer Praxisrelevanz
entwickelt. Eine Ausnahme hiervon bildet die Ermittlung von Störungen in der kindli-
chen Sprachentwicklung. Hierfür liegen wissenschaftlich geprüfte, standardisierte Tests
vor, die von dafür speziell qualifiziertem Personal in Praxiskontexten eingesetzt und aus-
gewertet werden können. Zu den bekanntesten Instrumenten für das Deutsche gehört der
„Heidelberger Sprachentwicklungstest ⫺ HSET“ (vgl. Grimm und Schöler 21991: 129).
Mit Instrumenten wie diesen ist es möglich, eine auf spezifische, eng umgrenzte As-
pekte konzentrierte Diagnostik durchzuführen ⫺ wie beispielsweise die Überprüfung des
Vorliegens einer Entwicklungsstörung. Sie eignen sich nicht für den Einsatz im üblichen
146. Sprachstandsdiagnosen 1307
⫺ eine soziale Norm; sie erlaubt den Vergleich des Resultats mit den Resultaten der
Angehörigen einer definierten Gruppe (also z. B. einer Schulklasse);
⫺ eine kriteriale Norm; hier wird der Vergleich mit einem allgemeingültigen Kriterium
ermöglicht (also z. B. einer empirisch geprüften Auskunft darüber, über welche
Sprachfähigkeiten Kinder einer bestimmten Altersgruppe normalerweise verfügen);
⫺ eine ipsative Norm; hier geht es um den Vergleich von Resultaten einer Person, die
entweder zu verschiedenen Zeitpunkten oder zu verschiedenen Kompetenzbereichen
überprüft wird. Es kann also entweder um die Frage gehen, welche Entwicklungen
bei dieser Person im gemessenen Leistungsbereich über eine Zeitspanne hinweg ver-
zeichnet werden können, oder darum, ob eine Person in den Leistungsbereichen X
und Y ähnlich oder unterschiedlich abschneidet. Sprachdiagnostisch relevante Fragen
sind z. B., ob eine Person im rezeptiven Bereich, also beim Verstehen, andere Fähig-
keiten zeigt als im Produktiven, also bei Sprechen oder Schreiben.
Nicht nur aus formalen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen sind sog. informelle
Verfahren in der Regel ungeeignet für fundierte Aussagen über Sprachstand oder Sprach-
entwicklung eines Menschen ⫺ mit Ausnahme der Situation, in der die Überprüfung
genau identisch ist mit dem sprachlichen Input, der vorab gegeben wurde (also z. B. beim
Abfragen von Vokabeln; dies würde aber auch bei großzügiger Auslegung üblicherweise
nicht zur Sprachdiagnostik gerechnet).
Zu den Gründen dafür gehört die Komplexität des Geschehens bei der Diagnose
sprachlicher Fähigkeiten. Wenn die Verfahren nicht nach den Regeln der Kunst entwi-
ckelt sind, besteht zum einen die Gefahr, dass etwas überprüft wird, das mit Blick auf
die intendierte Zielsetzung der Prüfung irrelevant ist. Ein Beispiel hierfür ist das in der
Praxis oft beobachtbare Vorgehen, dass das Auftauchen spezieller sprachlicher For-
men ⫺ etwa Artikel oder Pronomen ⫺ kontrolliert wird, weil diese der Beobachtung
leicht zugänglich sind. Dabei wird die Relevanz der Verwendung dieser Formen für Aus-
sagen über Sprachkompetenz oft unterstellt, aber weder sichergestellt, dass sie für die
Sprachentwicklung in einem bestimmten Erwerbsalter auch tatsächlich gegeben ist, noch
hinterfragt, ob sie in bestimmten situativen Kontexten als Äußerungen überhaupt erwar-
tet werden können. Zum anderen besteht bei sog. informellen Verfahren die Gefahr,
dass die Aufgabe, sprachliche Phänomene zu identifizieren und richtig einzuschätzen, zu
vielschichtig und daher nicht angemessen bewältigbar ist. Beispiele hierfür bieten die
zahlreichen Beobachtungsverfahren, die in der Literatur beschrieben oder die zum Kauf
angeboten werden. Hier ist das Risiko hoch, dass das komplexe Sprachgeschehen, das
beobachtet werden soll, verzerrt wahrgenommen wird, weil die Beobachtungsaufgabe
selbst die Kompetenz der Beobachtenden übersteigt. Schulz, Kersten und Kleissendorf
(2009) diskutieren solche Verzerrungen am Beispiel des Beobachtungsverfahrens SIS-
MIK (Ulich und Mayr 2003) ⫺ eines Verfahrens, das von Erzieherinnen in Kindertages-
stätten eingesetzt werden soll. Zur Illustration dient eine Beispielaufgabe aus dem Frage-
bogen zu SISMIK:
„Im Hauptsatz steht das Verb an der richtigen Stelle, z. B. ,der macht immer so‘,
,… ich habe Durst‘, ,… ich muss (auf die) Toilette‘
a) nie, b) selten, c) manchmal, d) häufig, e) das Kind bildet keine Sätze.“
Schulz, Kersten und Kleissendorf weisen darauf hin, dass es nicht nur eines gründlichen
Wissens über den linguistischen Hintergrund solcher Äußerungen bedarf ⫺ etwa: eines
1310 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
Bewusstseins für die Differenz der Verbstellung in Haupt- und Nebensätzen ⫺, sondern
auch einer gezielten Quantifizierung von Situationen, in denen ein beobachtetes Kind
entsprechende Äußerungen potentiell tun kann; ohne diese ist die Aufforderung zur Ein-
schätzung der Häufigkeit des Vorkommens unsinnig (vgl. Schulz, Kersten und Kleissen-
dorf 2009: 130). Hinzu kommt, dass die dieser Beobachtungsaufgabe implizite kriteriale
Norm fragwürdig ist. Die Beobachtung soll dem mündlichen Sprachverhalten von Kin-
dern gelten. Im Mündlichen ist es aber (nicht nur bei Kindern) durchaus üblich, pragma-
tisch angemessene satzförmige Äußerungen ohne Verb zu formulieren oder das Verb in
einer quasi infinitivischen Form zu verwenden. Schulz, Kersten und Kleissendorf (2009:
129) nennen als Beispiel die Verwendung des Imperativstils: Die Aufforderung „Rein-
kommen, Jacke ausziehen“ als Äußerung einer Lehrerin, die Kinder bewegen will, vom
Pausenhof in die Klasse zu kommen, ist dem Kontext angemessen und in diesem Sinne
korrekt. In sprachdiagnostischen Beobachtungen und unzulänglichen Verfahren aber
wird nicht selten eine pragmatisch unangemessene Form als die gesuchte angenommen.
Eine übliche Testfrage könnte etwa lauten: „Was macht das Kind?“ Als „korrekt“ vorge-
geben wird eine Antwort des Typs: „(Das Kind / Es) zieht die Jacke aus“. Pragmatisch
angemessen und im Mündlichen geläufig wäre aber auch hier die Antwort: „Jacke auszie-
hen“.
Es sind mithin zahlreiche Stolpersteine aufgestellt, was die Qualität von sprachdiag-
nostischen Verfahren und die Aussagekraft ihrer Ergebnisse anbelangt. In der Praxis
benötigen Fachkräfte, die sie einsetzen, nicht nur fundiertes linguistisches Wissen, son-
dern darüber hinaus zumindest Grundkenntnisse der Psychometrie ⫺ also des Wissen-
schaftsbereichs, dessen Methodenrepertoire für die Güteprüfung relevant ist ⫺, damit es
nicht zu unbrauchbaren oder gar unsinnigen Resultaten der Sprachdiagnostik kommt.
Szenario 1: Screening
Unter Screening (Reihenuntersuchung) versteht man die Testung einer größeren Zahl
von Probanden mit dem Ziel, bestimmte Risiken abzuschätzen. Am bekanntesten sind
Screenings aus der Medizin: Hier werden sie eingesetzt, um Krankheiten frühzeitig zu
diagnostizieren oder Krankheitsrisiken zu ermitteln.
146. Sprachstandsdiagnosen 1311
Im Bereich der Sprachdiagnostik ist der Begriff Screening im Zusammenhang mit den
bildungspolitischen Aktivitäten populär geworden, die dazu führen sollen, dass Kinder ⫺
insbesondere mit Migrationsbiographie ⫺ möglichst frühzeitig in Sprachfördermaßnah-
men aufgenommen werden. In den meisten deutschen Bundesländern werden inzwischen
bei Vier- oder spätestens Fünfjährigen solche Verfahren durchgeführt, teilweise flächen-
deckend, teilweise nur bei ausgewählten sogenannten Risikogruppen. Ein öffentlich breit
und kontrovers diskutiertes Screening-Verfahren ist das erwähnte nordrhein-westfälische
„Delfin 4“.
Kennzeichnend für Screenings ist, dass sie zu einer ja- oder nein-Antwort führen müs-
sen: etwa zu der Aussage, ob Förderbedarf besteht oder nicht. Sie müssen ferner sehr
ökonomisch, d. h. ohne großen Zeitaufwand durchführbar und auswertbar sein, da es in
der Regel um den Einsatz bei größeren Gruppen geht. Voraussetzung für ihren Einsatz
ist, dass sie standardisiert und normiert sind ⫺ sie müssen also eine den Regeln der Kunst
gemäße Güteprüfung durchlaufen haben, und sie müssen die Norm, an der gemessen ein
Risiko oder eine Abweichung identifiziert wird, eindeutig erklären.
Der Vorzug von Verfahren für Screenings ⫺ vorausgesetzt, sie erfüllen die Qualitäts-
anforderungen ⫺ besteht darin, rasch zu einem begründeten Urteil zu kommen: Die
Werte eines Probanden liegen über oder unter einer festgelegten Grenze oder Norm.
Dieser Vorzug ist zugleich ihr Nachteil mit Blick auf den Einsatz im Kontext der Sprach-
förderung, sei es im Unterricht von Gruppen oder im Einzelfall. Die mit screening-geeig-
neten Verfahren verbundenen Ansprüche erlauben es nicht, differenziert über die Sprach-
fähigkeiten der Getesteten Auskunft zu geben; dem stehen die Wünsche nach zeitsparen-
dem Einsatz und Eindeutigkeit der Ergebnisformulierung entgegen. Eindeutigkeit wird
dadurch erreicht, dass ein zusammenfassendes Maß formuliert wird (z. B. 30 von 100
Punkten ⫽ Förderbedarf). Darin aber gehen die differenzierten Auskünfte über die vom
Getesteten aktualisierten sprachlichen Mittel verloren, an die bei der Förderung oder im
Unterricht angeknüpft werden kann.
Bei der Sprachdiagnostik, die der Gestaltung von Förderung oder Unterricht zugrunde
gelegt werden kann, ist es das Ziel, möglichst genaue Kenntnisse über die sprachlichen
Voraussetzungen zu erlangen, die Lernende für das, was gelehrt werden soll, mitbringen.
Es soll sich ein Bild von den spezifischen Eigenschaften ergeben, die das sprachliche
Wissen und Können des Probanden in einem gegebenen Augenblick und im Hinblick
auf ein Ziel mitbringen. Sprachdiagnostik mit diesem Zweck wird auch als pädagogische
Diagnostik oder Förderdiagnostik bezeichnet. Im Kontext des Deutschen als Zweitspra-
che ist Bestandsaufnahme der sprachlichen Fähigkeiten am Anfang einer Maßnahme ein
verbreiteter Fall, also z. B. bei Aufnahme in einen Kindergarten oder eine Schulklasse.
Je allgemeiner das Förder- oder Unterrichtsziel gehalten ist, desto breiter muss die
Auskunft sein, die sich durch ein Verfahren gewinnen lässt. Sprachliches Wissen und
Können umfasst verschiedene sprachliche Teilbereiche; sprachwissenschaftlich unter-
schieden werden die Bereiche der Lautung (Phonologie), der Bedeutung (Semantik), der
Wortbildung (Morphologie) und der Bildung von Satzstrukturen (Syntax). Um eine Aus-
1312 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
kunft über die Sprachfähigkeiten eines Getesteten zu erlangen, müsste aus jedem dieser
Bereiche ein repräsentativer Ausschnitt abgeprüft werden.
Zudem ist nach dem situativen Charakter einer Sprachverwendung zu differenzieren.
So ist es unangemessen, eine Norm des Schriftdeutschen anzulegen, wenn die Fähigkeit
zur mündlichen Sprachproduktion überprüft werden soll. Außerdem ist zu berücksichti-
gen, dass die verschiedenen sprachlichen Teilbereiche nicht unbedingt füreinander reprä-
sentativ sind. So kann etwa von der Sprachverstehensleistung eines Getesteten nicht auf
seine Fähigkeit zur Sprachproduktion geschlossen werden und umgekehrt. Für schuli-
sche Erfolgschancen besonders relevant ist es, dass von der Beherrschung eines sprachli-
chen Registers nicht auf andere Register geschlossen werden kann. Das Verfügen über
alltägliche Verständigungsfähigkeit ist z. B. nicht aussagekräftig im Hinblick auf die
Frage, ob ein Lernender die spezifischen Redemittel der schulischen Lernbereiche oder
Fächer, also „bildungssprachliche“ Fähigkeiten, besitzt (Gogolin 2006).
Die Komplexität des Sprachgeschehens und die linguistische Expertise, die für seine
Einschätzung erforderlich sind, lassen es ratsam erscheinen, in ihrer Qualität geprüfte
Verfahren, deren Reichweite genau benannt ist, bei der Sprachdiagnostik im Kontext
von Förder- oder Unterrichtsplanung einzusetzen. Der Vorzug dieser Verfahren ist es,
dass eine wohlfundierte Interpretation der Ergebnisse und Einschätzung ihrer Aussage-
kraft möglich ist. Als Nachteil kann angesehen werden, dass ihre Durchführung mit
einigem Zeitaufwand verbunden ist. ⫺ Bedauerlicherweise ist die Auswahl an solchen
Verfahren nicht groß: Zwar existiert eine große Menge an Angeboten, aber nur ein klei-
ner Teil der Instrumente hat angemessene Güteprüfungen durchlaufen (vgl. Übersicht
über den Stand der Entwicklung bei Lengyel, Reich, Roth und Döll 2009). Bei der Aus-
wahl eines Verfahrens zum Deutschen als Zweitsprache ist es ein Qualitätskriterium, ob
bei der zugrunde gelegten Norm angemessen berücksichtigt ist, dass sich die Spracher-
werbskonstellationen einsprachiger und zweisprachiger Getesteter grundlegend unter-
scheiden. Schulz, Kersten und Kleissendorf (2009: 133⫺134) machen auf den wichtigen
Aspekt der Dauer des Sprachkontakts aufmerksam, der bei der Interpretation von Diag-
noseergebnissen zu beachten ist. Für Lerner des Deutschen als Zweitsprache ist es nicht
angemessen, eine an einsprachigen Lernenden entwickelte Altersnorm als Maßstab zu
verwenden; vielmehr muss die Dauer der Kontaktzeit mit der Zweitsprache berücksich-
tigt werden.
Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Auswahl eines Verfahrens ist die Zweisprachigkeit
selbst: Wenn es das Ziel einer Diagnose ist, grundlegende Aussagen über die generelle
Sprachfähigkeit der Probranden zu treffen, ist es erforderlich, dass beide Sprachen in die
Prüfung einbezogen werden (vgl. hierzu Reich 2005). Spracherwerbstheoretische Er-
kenntnisse besagen, dass die Sprachfähigkeiten Zwei- oder Mehrsprachiger nicht als von-
einander getrennte Systeme aufzufassen sind. Vielmehr stehen sie miteinander in Kon-
takt, und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie einander wechselseitig beeinflussen.
So muss ein zweisprachiger Mensch nur einmal das grundlegende Konzept der Zeit er-
werben ⫺ also beispielsweise das Wissen darüber, dass man etwas als in der Vergangen-
heit, der Gegenwart oder der Zukunft geschehend ausdrücken kann. Bei weiteren Spra-
146. Sprachstandsdiagnosen 1313
chen muss dann nicht mehr das Konzept als solches erworben werden, sondern es geht
lediglich noch um die einzelsprachlich unterschiedlichen Weisen, das Konzept zum Aus-
druck zu bringen (Tracy 2007). Um also Grundlegendes über die Sprachkompetenz
Zweisprachiger zu erfahren, ist es notwendig, ihre Fähigkeiten in beiden Sprachen ver-
gleichend zu beurteilen.
Auch hierbei sollten nach den Regeln der Kunst geprüfte Instrumente zum Einsatz
kommen, bei deren Entwicklung berücksichtigt wurde, dass in beiden Sprachen einander
funktionale Äquivalente überprüft werden. Bei der Güteprüfung der Verfahren ist zudem
das Problem der angemessenen Normierung zu berücksichtigen. Für beide Sprachen gilt:
Ein Verfahren, das an einer einsprachig in einsprachigem Kontext lebenden Stichprobe
normiert worden ist, ist für den Einsatz bei Kindern, die dieselbe Sprache als Zweispra-
chige in einer mehrsprachigen Umgebung erlernen, ungeeignet.
Diese Qualitätsansprüche erfüllen im deutschsprachigen Raum bis dato nur einzelne
Verfahren (vgl. Reich, Roth und Neumann 2007). Hier besteht eine besonders empfindli-
che Lücke in Forschung und Entwicklung.
5. Fazit
Sprachdiagnostische Tätigkeiten erfordern ein vertieftes Wissen über linguistische Zu-
sammenhänge ⫺ etwa über Gesetzmäßigkeiten des Spracherwerbs, über die Gestalt der
Sprache selbst, über die Vielfalt, die Funktionsweisen und die Bedeutung der unter-
schiedlichen Register für Sprachaneignung und Sprachgebrauch. Hierfür müssen Päda-
goginnen und Pädagogen gründlich qualifiziert werden. Dies gilt auch für den Fall, dass
in ihrer Qualität geprüfte Instrumente zur Verfügung stehen, die bei der sprachdiagnosti-
schen Tätigkeit Hilfestellung leisten. Die Einschätzung der Angemessenheit für einen
gegebenen Einsatzzweck, die adäquate Durchführung, Auswertung und Interpretation
der Ergebnisse sind nur möglich, wenn hierfür profunde Kenntnisse mitgebracht werden.
Die vielfach an sprachdiagnostische Verfahren geknüpfte Erwartung, dass sie ohne weite-
res von nur oberflächlich qualifizierten Personen sinnvoll eingesetzt werden können, ist
nicht erfüllbar ⫺ ebenso wenig wie die Erwartung, mittels ungeprüfter (informeller) Ver-
fahren, deren Einsatz wenig Zeit und Aufwand kostet, verlässliche sprachdiagnostische
Ergebnisse zu erzielen. Es sind also erhebliche Investitionen zu leisten, bis davon gespro-
chen werden kann, dass im sprachdiagnostischen Feld ein zufriedenstellender Stand er-
reicht ist.
6. Literatur in Auswahl
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natives Beurteilungsinstrument triftige Gründe für die Entwicklung einer neuen Beurtei-
lungskultur, zumindest im Sprachunterricht. Der Artikel ist dementsprechend in drei
Hauptabschnitte unterteilt: das ESP als Konzept, das ESP als pädagogisches Werkzeug,
und das ESP als Schlüsselkomponente für eine neue Sichtweise auf die Beurteilung von
Zweit-/Fremdsprachenkompetenz.
erkenntnis und Fähigkeiten. Das bedeutet, dass die ESP-Inhaber umso geübter in sum-
mativer Selbstbeurteilung sein sollten, je mehr sie sich auf formative Selbstbeurteilung
einlassen. Dieses Argument impliziert, dass ein effizienter Gebrauch des ESP auf reflexi-
vem Lehren und Lernen beruhen muss, welches von Verfechtern von Portfolio-Lernen
und -Beurteilung (Müller 2005), formativer Bewertung (Black und Wiliam 1998) and
dialogischem Lernen (Winter 2004) befürwortet wird.
Die Bildungsprojekte des Europarats im Allgemeinen und seine Fremdsprachenpro-
jekte im Besonderen haben von jeher die Bedeutung der Lernerautonomie hervorgeho-
ben. Lernende können dann als autonom bezeichnet werden, wenn sie explizit Verant-
wortung für ihr eigenes Lernen auf sich nehmen und diese Verantwortung in dem konti-
nuierlichen Bestreben praktizieren, zu verstehen, was, warum, wie und mit welchem
Erfolg sie lernen (siehe z. B. Holec 1979; Little 1991). Wie diese Arbeitsdefinition nahe-
legt, hängt Lernerautonomie wesentlich von Reflexion und Selbstbeurteilung ab. Wir
machen Lernende nicht auf einen Schlag autonom, indem wir ihnen mitteilen, dass sie für
ihr Lernen verantwortlich sind; sie werden allmählich autonom, indem sie die reflexiven
Fähigkeiten zur Planung, Überwachung und Bewertung ihres Lernens entwickeln und
ausüben. Dies nämlich ist der Kern reflexiven Lehrens und Lernens.
Eine der besten Darstellungen reflexiven Sprachunterrichts/-lernens findet sich bei
Leni Dam (1995). Sie beschreibt, wie sie dänische Englischlernende der unteren Sekun-
darstufe in zunehmend anspruchsvolle Reflexion einband, indem sie wiederholt die fol-
genden fünf Fragen stellte: Was lernen wir? Warum lernen wir es? Wie lernen wir? Wie
erfolgreich ist unser Lernen? Was werden wir als nächstes lernen? Diese fünf Fragen
treiben einen Lernkreislauf an, in dem Planung von Durchführung gefolgt ist, nach wel-
cher Beurteilung zu weiterer Planung führt. Bemerkenswert ist, dass Reflexion in jeder
dieser Phasen eine Rolle spielt; ebenfalls bemerkenswert ist, dass formative Selbstbeurtei-
lung ein wesentlicher Bestandteil sowohl der Planungs- und Durchführungsphase als
auch der Beurteilungsphase ist. Denn um effizient zu sein, muss die Planung der Lernen-
den realistisch sein, was bedeutet, dass sie ihre Absichten ständig gegen entwickelte Kom-
petenzen messen müssen; erfolgreiche Durchführung wiederum ist abhängig von effizien-
ter Überwachung, welche als „on-line“ Selbstbeurteilung beschrieben werden könnte.
Der Schwerpunkt des ESP auf Selbstbeurteilung und den reflexiven Prozessen, die
sich daran anschließen, fordert die Frage heraus: Wird das Lernen, wie man Sprachen
lernt, dem (eigentlichen) Sprachlernen im Weg stehen? Schließlich ist die Zeit, die Ler-
nende damit verbringen, über ihre Fertigkeiten in ihren Zielsprache(n) zu reflektieren,
Zeit, die sie nicht darauf verwenden können, weitere Fertigkeiten zu erlernen. Doch
dieser Einwand ist nur dann gültig, wenn die Prozesse der Reflexion und Selbstbeurtei-
lung in der Muttersprache ausgeführt werden. Wenn sie andererseits in der Zielsprache
ausgeführt werden (wie bei Dam 1995), werden sie zu einem wesentlichen und äußerst
wichtigen Bestandteil des Sprachlernens; denn nur wenn Lernende allmählich die Fähig-
keit entwickeln, sich mit Reflexion und Bewertung in ihren Zweit-/Fremdsprachen zu
befassen, können wir von ihnen erwarten, dass sie zu einem der gehobenen Kompetenzni-
veaus fortschreiten, welche eine ebensolche Fähigkeit voraussetzen. Dieses Argument hat
eine klare Implikation für die Gestaltung des ESP: Um den Gebrauch der Zielsprache
für Reflexion und Selbstbeurteilung zu ermöglichen, sollten Selbstbeurteilungs-Checklis-
ten in jeder Sprache, die ein ESP-Inhaber lernt, verfügbar sein.
An diesem Punkt ist es angemessen, zwei Beispiele zu geben. Das erste betrifft die
Entwicklung der Fähigkeit zur Produktion gesprochener Sprache (zusammenh‰ngend
147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen 1319
sprechen) auf dem ersten Niveau des GER. Ich habe den zusammenfassenden Deskrip-
tor im Raster zur Selbstbeurteilung bereits zitiert: Ich kann einfache Wendungen und Sätze
gebrauchen, um Leute, die ich kenne, zu beschreiben und um zu beschreiben, wo ich wohne.
Im irischen ESP für die Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (Authentik 2001) weitet
die Checkliste für A1 zusammenh‰ngend sprechen diese Zusammenfassung auf drei
Deskriptoren aus:
⫺ Ich kann einfache Angaben zu meiner Person machen (z. B. Alter, Adresse, Familie,
Hobbies)
⫺ Ich kann in einfachen Worten und Sätzen beschreiben, wo ich wohne
⫺ Ich kann in einfachen Worten und Sätzen Personen beschreiben, die ich kenne
Jeder dieser Deskriptoren definiert eine einfache kommunikative Aufgabe, und jeder
kann verwendet werden, um eine Lernphase zu gestalten. So kann zum Beispiel die Auf-
gabe, persönliche Angaben zu machen, als Lernziel in der Sprachenbiographie identifi-
ziert werden; Lernende können in ihrem Dossier Vokabular und einfache Satzstrukturen
notieren, die sie benötigen, um diese Aufgabe auszuführen; sie können sich in der Auf-
gabe individuell und in Kleingruppen üben; und sie können ihre Fähigkeit, die Aufgabe
durchzuführen, in der Checkliste festhalten, sobald der Lehrer oder einer ihrer Klassen-
kameraden bestätigen, dass sie dazu in der Lage sind ⫺ nach dieser Herangehensweise
besteht Selbstbeurteilung darin, Behauptungen aufzustellen, deren Gültigkeit von ande-
ren bezeugt werden kann. In der Beurteilungsphase können Lernende darüber hinaus in
ihrer Sprachenbiographie alles das festhalten, was sie über das Sprachenlernen als solches
gelernt haben.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf Niveau B2 und ist dementsprechend komplexer.
Auf diesem Niveau definiert das Raster zur Selbstbeurteilung die Schreibfähigkeit der
Lernenden wie folgt: Ich kann über eine Vielzahl von Themen, die mich interessieren, klare
und detaillierte Texte schreiben. Ich kann in einem Aufsatz oder Bericht Informationen
wiedergeben oder Argumente und Gegenargumente für oder gegen einen bestimmten Stand-
punkt darlegen. Ich kann Briefe schreiben und darin die persönliche Bedeutung von Ereig-
nissen und Erfahrungen deutlich machen (Europarat 2001: 36). Die korrespondierende
Checkliste im irischen ESP für Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (Authentik 2001)
schließt die folgenden Deskriptoren mit ein:
⫺ Ich kann zu sehr vielen persönlichen, kulturellen, interkulturellen und sozialen Themen
klare, detaillierte Beschreibungen abgeben
⫺ Ich kann einen Standpunkt zu einem aktuellen Thema erläutern und die Vor- und Nach-
teile verschiedener Standpunkte erörtern
⫺ Ich kann eine Argumentationskette klar aufbauen, die Ideen logisch verknüpfen und die
verschiedenen Punkte mit entsprechenden Beispielen untermauern
Hier haben wir es nicht, wie im ersten Beispiel, mit einer Liste klar abgegrenzter Aufga-
ben zu tun, sondern mit allgemeineren Funktionen des geschriebenen Textes: detaillierte
Beschreibungen abgeben, Standpunkte erläutern und erörtern, Argumentationsketten
klar aufbauen, Ideen logisch verknüpfen, Punkte mit Beispielen untermauern. Und die
viel größere Komplexität der kommunikativen Fähigkeit der Lernenden auf diesem Ni-
veau impliziert eine weitaus größere Komplexität der Lernaktivität. Im Rahmen einer
Portfolio-Herangehensweise wird die Entwicklung dieser Fähigkeit mit großer Wahr-
scheinlichkeit durch eine Folge von projektbasierten Lernkreisläufen verfolgt. Der erste
1320 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
Schritt in jedem Keislauf besteht darin, mithilfe der Checkliste Schwerpunkt und Reich-
weite des Projekts zu identifizieren. Wird das Thema persönlich, kulturell, interkulturell
oder sozial sein? Welche Art von Texten wird verwendet werden, um thematischen und
linguistischen Input zu liefern? Werden sie deskriptiv oder argumentativ sein, oder bei-
des? Was werden die strukturellen Eigenschaften der Texte sein, die die Lernenden pro-
duzieren werden? Wie genau werden detaillierte Beschreibungen artikuliert werden? Wel-
che Hilfsmittel hinsichtlich Lexik und Syntax benötigt man, um die Vor- und Nachteile
verschiedener Standpunkte zu erörtern oder eine Argumentationskette klar aufzubauen?
Diese und viele andere Fragen, die die Deskriptoren implizieren, werden zu Beginn jeden
Projektkreislaufs gestellt und von Lehrer und Lernenden interaktiv ergründet, und zwar
in der Zielsprache. Als Teil dieses Prozesses können spezifische Kriterien etabliert wer-
den, um die Effizienz einer Beschreibung oder Argumentationskette zu beurteilen. Da-
raufhin werden die Projekte entwickelt, evtl. im Rahmen von (Klein-)Gruppenarbeit.
Reflexivität ⫺ Selbstbeurteilung, aber auch Peer-Beurteilung, welche beide als mentale
Gewohnheiten kultiviert werden ⫺ wird dadurch gewährleistet, dass die Lernenden zu
keinem Zeitpunkt die aus der Planungsphase hervorgegangenen Kriterien und die Not-
wendigkeit, mit der das Projekt diesen Kriterien entsprechen muss, aus den Augen verlie-
ren. Am Ende des Kreislaufs, wenn die Projekte dem Rest der Klasse präsentiert werden,
kann es eine Phase der Peer- und Selbstbeurteilung geben, die sich auf die kommunika-
tive Effizienz der produzierten Texte konzentriert, aber auch auf ihre formale Genauig-
keit. Angenommen, dass der Ausgangspunkt der Lernenden der B1 Kenntnisstand im
Schreiben war ⫺ Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interes-
sieren, einfache, zusammenhängende Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben
und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten (Europarat 2001: 36) ⫺, so werden
sie eine Reihe von Projektzyklen durchlaufen müssen, ehe sie zuversichtlich und plausibel
von sich behaupten können, dass sie die allgemeinen Kriterien textueller Kompetenz, wie
sie die Checklisten-Deskriptoren definieren, erfüllen.
nung der Elemente im Untertitel ⫺ „lernen, lehren, beurteilen“ ⫺ ist kein Zufall und
lenkt die Aufmerksamkeit auf den vielleicht innovativsten Charakterzug des GER. Sein
handlungsorientierter Ansatz beschreibt Kommunikation im Hinblick darauf, was der
Lernende/Benutzer mit Sprache tun kann; jeder „Ich kann“-Deskriptor kann drei sich
gegenseitig beeinflussende Funktionen erfüllen. Er kann dazu verwendet werden, ein
Lernziel zu spezifizieren, einen Schwerpunkt für die Lernaktivität zu identifizieren und
Kriterien zur Beurteilung von Lernergebnissen zu generieren. Die Selbstbeurteilungs-
funktion des ESP ist abhängig von der Tatsache, dass Lernende in der Lage sind, akku-
rate Urteile über ihre Verhaltensfähigkeiten zu fällen, insbesondere wenn diese Urteile
von dem reflexivem Diskurs unterstützt werden, welcher das Portfolio-Lernen prägt.
Wenn Struktur und Inhalt von Tests und Prüfungen das gleiche handlungsorientierte
Verständnis des Sprachgebrauchs widerspiegeln, dann sollten sie das Portfolio-Lernen
unterstützen und die Selbst- and Peer-Beurteilung, die für den ESP-Gebrauch von so
zentraler Bedeutung ist, ergänzen.
Verwenden Lernende das ESP, um ihr Sprachlernen zu planen, zu überwachen und
zu überprüfen, so bringen sie ihre Subjektivität in explizite Interaktion mit objektiven
(empirisch gewonnenen) Beschreibungen von Sprachkompetenz. Lernende konstruieren
nach und nach ein Bild ihrer sich erweiternden sprachlichen und kulturellen Identität,
das Zeugnis ihrer Errungenschaften wie auch Ansporn zu weiterführender Reflexion ist.
Sie entwickeln ein gesteigertes Verständnis ihrer selbst, insbesondere was ihre Fähigkeiten
in Zweit- und Fremdsprachen betrifft, und werden zunehmend sensibler mit Blick auf die
sprachlichen und kommunikativen Komplexitäten, die scheinbar einfachen Deskriptoren
zugrunde liegen. Doch Lernende verstehen ebenfalls den Sinn von Sprachtests, die auf
der Grundlage des handlungsorientierten Ansatzes des GER erdacht und somit für ihre
eigenen Lernziele relevant sind.
5. Schluss: Zukuntsaussichten
Die Art der Beurteilungskultur, die ich soeben skizziert habe, in welcher Selbst- und
Peer-Beurteilung einerseits und formale Tests und Prüfungen andererseits einander er-
gänzen, liegt in der Zukunft. Die Wirkung des GER war bisher eher partiell als holis-
tisch. Seine Kompetenzniveaus wurden von Institutionen, die Sprachtests durchführen,
europaweit (und zum Teil darüber hinaus) eifrig übernommen, hauptsächlich, weil sie
den Vergleich zwischen Tests ermöglichen. Doch zu behaupten, dass ein Test einem be-
stimmten GER-Niveau entspricht, ist nicht das gleiche, wie zu behaupten, dass dieser
Test unter Berücksichtigung des deskriptiven Apparates des GER entworfen wurde. Die
Kompetenzniveaus sind außerdem in Curricula und Lehrbücher eingegangen, doch sagt
dies wenig darüber aus, in welchem Ausmaß die betrachteten Curricula kommunikativen
Inhalt vorgeben oder die Lehrbücher einen pädagogischen Ansatz verkörpern, für den
Sprachlernen eine Variante der Sprachverwendung ist (Europarat 2001: 21). Mir ist ledig-
lich ein Fall bekannt, in dem ein Zweitsprachen-Curriculum als kommunikatives Reper-
toire definiert ist, welches durch „Ich kann“-Deskriptoren zum Ausdruck gebracht,
durch eine Version des ESP vermittelt, und unter Verwendung von handlungsorientierten
und aufgabenbasierten Tests bewertet wird. Bei diesem Curriculum handelt es sich um
das zum Unterricht von Englisch als Zweitsprache an irischen Grundschulen (IILT 2003)
1322 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle
verwendete. Das ESP (IILT 2004) wurde teilweise als Verbreitungsinstrument für das
Curriculum konzipiert und wurde sehr weitreichend verwendet; und in Umfang und In-
halt spiegeln die Tests die „Ich kann“-Deskriptoren des Curriculums wider.
Unter den Herausforderungen, mit denen DaF/DaZ als Disziplin in den deutschspra-
chigen Ländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts konfrontiert ist, stechen zwei besonders
hervor: die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass eine große Anzahl von Kindern und
Jugendlichen mit Migrantionshintergrund die Deutschkenntnisse entwickeln, die ihnen
vollen Zugang zu Bildung ermöglichen; und die Übernahme von Bildungsstandards, die
eine Bewegung weg von schulbasierter Beurteilung und hin zu einer stärker zentralisier-
ten Kontrollinstanz mit sich bringen. Um diese Probleme erfolgreich anzusprechen, wird
es unter anderem nötig sein, gegen die großflächige Entfremdung der Lernenden vom
Bildungssystem und damit von der Hauptströmung der Gesellschaft anzugehen. In der
Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen haben Portfolios und andere Versio-
nen informeller Beurteilung eine wichtige Rolle zu spielen.
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1. Einleitung
Obwohl die unterrichtlichen Tätigkeiten von Lehren und Lernen in Terminus und For-
schungsfeld der Sprachlehr/lernforschung nominell gleichberechtigt verwendet werden,
ist in den letzten Jahrzehnten wesentlich mehr Fachliteratur über den Lern- als über den
Lehrprozess publiziert worden (vgl. Art. 119). Dies ist nicht zuletzt ein Resultat des seit
Beginn der 1980er Jahre dominanten lernerzentrierten Ansatzes, der ⫺ völlig zu Recht ⫺
alle unterrichtlichen Maßnahmen einschließlich des Lehrens am Lerner und seinen Be-
dürfnissen ausrichtet. Dennoch steht außer Zweifel, dass der Lehrkraft im institutionel-
len Lehr-Lernprozess eine zentrale Rolle zukommt, ist sie es doch, die die komplexe
alltägliche Unterrichtspraxis auf verschiedenen Ebenen maßgeblich gestaltet. Insbeson-
dere das Lehrerverhalten, die Unterrichtsstruktur, die Sprachkompetenz sowie die Stoff-
darstellung sind Unterrichtsvariablen, deren Einfluss auf das Lernverhalten der Schüler
empirisch gesichert gilt (Bromme 1997: 195). Im Fremd/Zweitsprachenunterricht ist die
Lehrkraft zudem die kulturkompetente Interpretin und einfühlsame Vermittlerin zwi-
schen den in den Unterrichtssprachen repräsentierten Kulturen sowie ⫺ insbesondere
aus Lernerperspektive ⫺ die Personifizierung der Institution.
Nachdem die behavioristisch orientierte Sprachlehrforschung hauptsächlich den Ein-
fluss beobachtbarer Variablen auf das Lehrverhalten und den Lehrprozess untersucht
hatte, gewannen mit dem Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Kognitivismus in
den 1970er Jahren die subjektiven Auffassungen und Interpretationen des Unterrichtsge-
schehens seitens der Lehrkraft eine große Bedeutung für die Analyse ihres faktisches
Verhaltens im Lehr-Lernprozess (vgl. Art. 99). Diese Tendenz wurde durch den seit den
1990er Jahren zunehmenden Einfluss des Sozialen Konstruktivismus noch verstärkt, in-
dem die vielfältigen Einflüsse des soziokulturellen und institutionellen Umfeldes auf die
konkrete Tätigkeit von Lehrkräften aus subjektiver Perspektive untersucht werden (vgl.
Art. 89 und 90). Angesichts der Komplexität dieser Einflussfaktoren auf den Unterricht
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1325
Die kognitive Wende der 1960er Jahre brach mit dem Diktum des Behaviorismus, dass
man das Verhalten des Menschen nur im Sinne kontrollierter Reiz-Reaktions-Ketten
beobachten und erklären könne, jedoch das Gehirn des Menschen als unerforschbare
Black Box verstehen müsse, da sich die darin ablaufenden Prozesse einem wissenschaftli-
chen Zugriff entzögen. Kognitionspsychologische Ansätze überwinden dieses mechanisti-
sche Menschenbild, indem sie den Menschen als erkennendes Subjekt verstehen, das sich
aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt, nämlich durch Prozesse von Wahrnehmung,
Vorstellung, Denken, Urteilen, Schließen und sprachlichem Ausdrucks (Edelmann 2000:
114). Der kognitive Ansatz befasst sich also nicht mehr mit dem Erlernen von Verhaltens-
weisen, sondern mit dem Erwerb von Wissen, seiner Enkodierung und Speicherung sowie
seinem Abruf. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Mensch über informationsverar-
beitende kognitive Strukturen verfügt, um überhaupt lernen zu können (vgl. Art. 89).
Um diese komplexen kognitiven Abläufe erklären zu können, greift die kognitive
Psychologie auf die Metapher des Input-Output- Informationsverarbeitungsmodells eines
Computers zurück, wobei das Gehirn die Hardware und die Kognition die Software
darstellt; von besonderem Interesse sind die internen kognitiven Verarbeitungsprozesse,
die als regelgeleitet verstanden werden. Daher ist es das Hauptanliegen der kognitions-
psychologischen Forschung, diese Regeln, die auch das Fremdsprachenlernen determinie-
ren, experimentell aus dem komplexen Kognitionsapparat heraus zu destillieren, indem
Tests zum optimalen fremdsprachlichen Regellernen durchgeführt werden mit dem Ziel
der Erstellung eines optimalen Instruktionsinventars für die Lehrkraft(für eine umfas-
sende Darstellung dieser Forschungsrichtung vgl. Johnson 2004: 46⫺84); dabei werden
jedoch die Probanden ihrer subjektiven Stimme beraubt und als Objekte des jeweiligen
Lehr-Lernexperimentes instrumentalisiert. Das informationstheoretische Lehr-Lernmo-
dell versteht die Lehrkraft vorwiegend als Lieferantin bedeutungsvoller Informationen,
die hauptsächlich sprachlich vermittelt werden. Diese werden von dem informationsve-
rarbeitenden System des Schülers aufgenommen, in ihrer Bedeutung entschlüsselt, an das
vorhandene Vorwissen angekoppelt und aufgrund bestimmter kognitiver Regeln verar-
beitet, um dann als Wissen im Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden, so dass es
jederzeit von dort abgerufen werden kann, z. B. in einer Prüfung.
Dabei wird die Rolle des Lernenden nicht mehr nur als die eines passiven Rezipienten
aufgefasst, sondern er wird auch als aktiver Gestalter des Lernprozesses verstanden, der
die Lerninhalte letztlich subjektiv im Prozess der Informationsverarbeitung strukturiert
und rekonstruiert. Die Lehrkraft fungiert im Lehr-Lernprozess als eine Art Lernberater,
indem sie zunächst einmal die der jeweiligen Lerngruppe angemessenen Lehrmethoden,
1326 XV. Lehrerinnen und Lehrer
Unterrichtsinhalte und didaktischen Verfahren auswählen muss, bevor sie von den Ler-
nenden in gezielten problemlösenden Übungen angewendet werden. Während der
Übungsphasen kommt der Lehrkraft die Funktion zu, die Lernenden bei ihrer Arbeit zu
beobachten, um ihnen ggf. Hilfestellungen zu geben, damit der angestrebte Lernerfolg
eintreten kann.
Aufgrund der Komplexität der fremden/zweiten Sprache und ihres soziokulturellen
Kontextes gilt für den kognitiv orientierten Fremd/Zweitsprachenunterricht, dass die
Lehrkraft bemüht sein muss, erfahrungsbezogene Lernsituationen zu schaffen, in denen
die Lernenden nicht nur die Regeln der anderen Sprache und ihrer kommunikativen
Verwendung, sondern auch die konzeptuelle und kategoriale Organisation des soziokul-
turellen Wissens der anderen Sprachgemeinschaft erlernen können, indem es zu mutter-
sprachlichen und eigenkulturellen Normen, Mustern und Kategorien in Beziehung ge-
setzt wird. In der kognitiven Lernpsychologie geht man davon aus, dass zu erlernende
Inhalte lediglich geeignet strukturiert und repräsentiert werden müssen, um von dem
Lerner adäquat aufgenommen zu werden. Sollte der Lernprozess nicht erfolgreich ver-
laufen, werden die Ursachen dafür der unpassenden Repräsentation (Didaktik, Metho-
dik), dem Medium (Lehrbuchdesign, Unterrichtsstil) oder dem Lernenden (Motivation,
Aufmerksamkeit) zugeschrieben.
Allerdings senden diese kognitiven Informationsverarbeitungsmodelle ein falsches
Signal für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Es wird nämlich impliziert, dass ein
sukzessives Erlernen der relevanten Regeln automatisch zu einer angemessenen fremd/
zweitsprachlichen Performanz in lebensweltlichen Situationen der fremden Sprachge-
meinschaft führt. Jedoch liegen diesen Verarbeitungsmodellen idealisierende und homo-
genisierende Sichtweisen hinsichtlich menschlicher Kommunikation zugrunde, die die je-
weilige Ambiguität sowie die pragmatische und soziokulturelle Kontextabhängigkeit des
subjektiven Bedeutungsaushandlungsprozesses nicht erfassen können (Bruner 1996: 5).
Die individuelle Kognition ist eben nicht eine autonome, in sich selbst abgeschlossene
Einheit, sondern sie ist in fundamentaler Weise ein soziales Konstrukt. Daher können die
generalisierten kognitiven Regeln, auf denen die Lehrkraft ihre Unterrichtsbemühungen
aufbaut, nur bedingt relevant sein, wenn das erlernte fremdsprachliche Wissen tatsäch-
lich in der alltäglichen Lebenspraxis des fremden Landes angewendet werden soll (Do-
nato 2000). Wells (1999: 90) kommentiert:
Es wäre daher geboten, die Annahmen der Uniformität regelgeleiteter menschlicher kog-
nitiver Prozesse, des Strebens nach Generalisierbarkeit experimentell gewonnener For-
schungsergebnisse, der Existenz einer Wirklichkeit für alle Menschen sowie des idealen
Menschen, der sich in einer externen Realität vermittels eines enormen Informationspro-
zessors mit einer Stimme verhält, zu hinterfragen (Kukla 2000).
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1327
Ein Ansatz, der dies zu leisten versucht, ist der Soziale Konstruktivismus, der seit den
1990er Jahren in Europa und in den USA an Bedeutung für die Erforschung und Praxis
des Fremd/Zweitsprachenunterrichts gewinnt und u. a. auf den lerntheoretischen Theo-
rien Jean Piagets, Lev Vygotskijs und Jerome Bruners basiert. Im Gegensatz zum Kogni-
tivismus geht der Soziale Konstruktivismus von der Einzigartigkeit menschlichen Verste-
hens und Handelns aus, von der Existenz multipler Realitäten und dem menschlichen
Gehirn als autopoetischem System, das jedoch perturbierbar ist. Lernen findet nicht
aufgrund hypostasierter kognitiver Regularitäten statt, sondern Lernen wird als ein kon-
struktiver Prozess verstanden, der auf den subjektiven Erfahrungen und Interessen jedes
einzelnen Lerners aufbaut, der eigene Werte, Überzeugungen, Muster, Gefühle und Vor-
erfahrungen in den Lernprozess einbringt. Wissen existiert also nicht unabhängig vom
einzelnen Lerner; es wird vielmehr immer intersubjektiv-dynamisch generiert und subjek-
tiv konstruiert. Daher wird das instruktionistische Lehrparadigma zunehmend durch das
konstruktivistische Lernparadigma abgelöst.
Lernen entwickelt sich aus subjektiven, letztlich jedoch soziokulturell induzierten
Handlungsintentionen, und Handeln vollzieht sich in sozialen Situationen; es ist somit
immer situativ und kontextuell gebunden. Wenn Lernen als aktives Konstruieren von
Wissensstrukturen verstanden wird, bedingt dies eine Neudefinition sowohl der Rolle des
Lerners als auch des Lehrers in konstruktivistischen Lehr-Lernsituationen. Da Wissen
nicht direkt vermittelt werden kann, soll der Lerner dazu angeregt werden, sein Wissen
aktiv und konstruktiv zu erweitern, d. h. das Konstruktionspotenzial des Lernenden soll
im Unterricht durch reichhaltige, vielfältige, erfahrungsbezogene und bedeutungsvolle
Lern- bzw. Konstruktionsmöglichkeiten gefördert werden. Dabei muss auch die Affekt-
lage des Lernenden berücksichtigt werden, denn: „Affekte wirken wie Schleusen oder
Pforten, die den Zugang zu unterschiedlichen Gedächtnisspeichern öffnen oder schlie-
ßen“ (Ciompi 1997: 97).
Aufgrund der hohen Individualität von Konstruktionsprozessen kann die Lehrkraft
im Klassenzimmer nicht mehr nur von einem richtigen Weg der Wissensvermittlung aus-
gehen, sondern sie muss ein Spektrum verschiedener Lernmöglichkeiten und Lernwege
anbieten, aus dem die Lernenden individuell auswählen und kombinieren können. Der
Lehr-Lernprozess muss daher inhaltlich wie auch methodisch-didaktisch flexibel und
vielseitig gestaltet werden. Erfolgreiches Lernen setzt eine hohe Motivation des Lerners
voraus, die auch durch den Lehrprozess generiert und aufrechterhalten wird, indem Ler-
nende stets zum Hinterfragen angeregt werden, um so ihr Interesse am Lernstoff zu
fördern. Je besser die Lehrkraft den individuellen Lerner kennt, desto besser wird sie die
Lernangebote an seinen spezifischen Erfahrungen, Interessen und Bedürfnisse ausrichten
können. Es wird also kein Transfer fertigen Wissens betrieben, sondern die Auseinander-
setzung mit Erklärungsansätzen regt Lernende dazu an, eigenes Wissen zu konstruieren,
das wiederum auf andere Kontexte übertragen werden kann. Lehren und Lernen sind
somit eher prozess- als produkt- orientiert (vgl. Art. 90).
Lerninhalte stellen nur einen Anreiz zur explorierenden Auseinandersetzung mit ihnen
dar; sie sollten nicht zu sehr didaktisch reduziert werden, da dann der Aspekt der interes-
sierten und explorierenden Auseinandersetzung mit ihnen potenziell limitiert wird. Daher
gilt der Grundsatz, dass die Lerninhalte im Prinzip so komplex sein sollten wie sie in der
Wirklichkeit außerhalb des Klassenzimmers bzw. in der fremden Sprachgemeinschaft
existieren; sie können jedoch gerade im Anfängerunterricht entsprechend der Vorerfah-
rungen und des Vorwissens des Lernenden lernfördernd strukturiert werden.
1328 XV. Lehrerinnen und Lehrer
kognitiver, affektiver sowie sozialer und psychischer Prozess, nicht als statische Gegeben-
heit (Altmayer 2004; Witte 2009).
Die Verantwortung für das Lernen wird allmählich vom Lehrer auf den Lerner verla-
gert, der seinen konstruktiven Lernprozess zunehmend selbst steuert. Eine ideale Lehr-
kraft, die diese Art von Lernerautonomie ermöglicht, verfügt über die Fähigkeit, Aufga-
ben zielgruppengerecht auszuwählen und aufzubereiten, den Zeitpunkt von Interventio-
nen angemessen auszuwählen, mit den Lernenden auszuhandeln, wie (und was) sie lernen
möchten, ehrliches und unterstützendes Feedback zu leisten, auf einzelne Lerner einzuge-
hen, andere Ansichten gelten zu lassen sowie sprachbezogene (accuracy) und mitteilungs-
bezogene (fluency) Aufgaben ausgewogen zu verwenden.
Die hohe Individualität von Sprachlernprozessen lässt aus konstruktivistischer Sicht
kollektive Lernkontrollen wie Tests, Klassenarbeiten oder Prüfungen unsinnig erschei-
nen, sofern sie an alle Lernenden die gleiche Erwartungshaltung stellen. Eine Bewertung
subjektiver Leistungen nach objektiven Urteilskriterien ist bezüglich des tatsächlich er-
weiterten subjektiven Konstruktionspotenzials jedes einzelnen Lernenden wenig aussage-
kräftig; sie könnte höchstens Indikatoren für die Lehrkraft bieten, wo die Lehr-Lernsi-
tuationen noch optimierbar ist. Daher sind die Desiderate eines genuin konstruktivisti-
schen Lehr-Lernmodells nur schwer mit der gesellschaftlichen Selektionsfunktion der
Institution Schule vereinbar.
3. Subjektive Unterrichtstheorien
Obwohl also die Stellung und Funktion der Lehrkraft nun als weniger wichtig für den
Lernerfolg angesehen wird als noch im Kognitivismus, hat dennoch die Persönlichkeit
der Lehrkraft samt ihrer Einstellungen, Handlungen und Haltungen einen zentralen Ein-
fluss auf das Lehr-Lern-Arrangement, ist sie es doch, die die lerngünstigen Arrangements
vorbereitet und zur Verfügung stellt. Auch wenn sie dabei wissentlich schülerorientiert
vorgeht, wird sie in nicht unerheblicher Weise von bestimmten biografisch konstituierten
Motiven, Erwartungen und Werten sowie von ihrem fachlichen und psychologischen
Wissen geleitet (Krapp und Weidenmann 2001: 299⫺304).
Aspekte von individuellem Lehrerbewusstsein und -handeln rücken daher im kon-
struktivistischen Lehrparadigma ins Zentrum des Interesses, das den mentalen und affek-
tiven Konstruktionsprozessen der individuellen Lehrkraft einen entscheidenden Einfluss
auf ihr Lehrverhalten zubilligt. Forschungsarbeiten dieser Richtung haben ergeben, dass
für das faktische Unterrichtshandeln der Lehrkräfte ihre subjektiven Unterrichtstheorien
(auch psychologisches Alltagswissen, naive Verhaltenstheorie, träges Wissen, implizite
Theorie, intuitive Theorie, pragmatische Alltagstheorie, Berufstheorie, Lehrertheorie u. a.
genannt) von zentraler Bedeutung für ihr faktisches Lehrverhalten sind. Das Theorem
der subjektiven Unterrichtstheorie basiert auf der Prämisse, dass im Rahmen des zielge-
richteten Handelns die Lehrkraft ihren Handlungsraum aktiv-kognitiv konstruiert; das
heißt, dass sie die oft mehrdeutigen, rasch wandelbaren, teilweise unvorhersehbaren und
immer kontextabhängigen Situationen, mit denen sie im Unterrichtsprozess konfrontiert
wird, fortlaufend analysiert, interpretiert und in bestimmter Weise rekonstruiert, um
schließlich eine subjektive Handlungslinie zu entwickeln, die durch ihre Realisierung wie-
derum neue Unterrichtssituationen schafft.
1330 XV. Lehrerinnen und Lehrer
auf eine eingeschränkte subjektive Wahrnehmung und Analyse der aktuellen Gesamtsitu-
ation zurückzuführen sind, was wiederum zu verstärkter, oft selbst inszenierter Spannung
und Angst führt, die eine differenzierte Wahrnehmung und Lösung von Unterrichtsprob-
lemen erschwert.
Auch wenn die subjektiven Unterrichtstheorien einer Lehrkraft im Prinzip verände-
rungsresistent sind, können sie dennoch modifiziert werden (Dann 1994: 174⫺175).
Dazu ist eine gründliche Explizierung des subjektiv-theoretischen Wissens der Lehrkraft
ebenso eine Voraussetzung wie eine nachhaltige Konfrontation des Lehrenden mit neuen
Theoriebeständen zu der jeweiligen Thematik bzw. Problematik, ggf. auch in Form von
neuem Wissen anderer Lehrkräfte, so dass sie auch als subjektiv relevant von der betref-
fenden Lehrkraft rekonstruiert werden. Schließlich muss sich das neue Wissen als geeig-
neter für die Problemlösung als die bisherigen Subjektiven Unterrichtstheorien bewäh-
ren, indem sie in gezielt herbeigeführten Situationen angewendet werden. Dann (1994:
174) nennt in diesem Zusammenhang gedankliches Vorwegnehmen, Beobachtung von
Modellpersonen, spielerisches Handeln in hypothetischen Situationen und Probehandeln
unter erleichterten sowie realen Situationen, so dass nach entsprechender Einübung und
Bewährung es schließlich zu einer Routinisierung der nunmehr verbesserten Handlungs-
vollzüge kommen kann.
und Schüler im Klassenzimmer einnehmen (Wright 1987). Eine Würdigung dieser Fakto-
ren ist grundlegend für das Verständnis von Lehr- und Lernaktivitäten, denn Kommuni-
kation in Rollenverhältnissen geschieht oft in spezieller Weise, indem ihre Form standar-
disiert und ritualisiert ist (McCarthy 1991). Gerade Lehrkräfte, die langfristig in der
Praxis tätig sind, beklagen sich über die massiven Einschränkungen des Lehr-Lernpro-
zesses, denen sie ⫺ zumindest im öffentlichen Schulwesen Deutschlands ⫺ als vereidigte
Staatsbeamte unterworfen sind. Ihnen wird lediglich eine moderate pädagogische Frei-
heit im Rahmen staatlich genehmigter Lehrwerke und zu erfüllender Lehrpläne gewährt.
Schüler nehmen die Lehrkraft als mit Disziplinargewalt versehene Repräsentantin der
Institution Schule wahr, deren Interesse nicht der Person des individuellen Schülers gilt,
sondern der Erfüllung eines abzuarbeitenden vorgegebenen Lehrplanprogramms sowie
der Kontrolle und Bewertung von Schülerleistungen. Nach einem etwa zwanzigjährigen
Rollentraining als Schüler haben einige Lehrkräfte, insbesondere in der beruflichen An-
fangsphase, wiederum Probleme mit dieser reziproken Rollenzuweisung, die sich in Rol-
lenunsicherheit und Rollenkonflikten niederschlagen kann (Mönnighoff 1992).
Darüber hinaus werden Lehrkräfte permanent mit einer Vielzahl divergierender Rol-
lenerwartungen von ihren Interaktionspartnern (Schüler, Eltern, Kollegen, Vorgesetzte,
Schulaufsichtsbeamte u. a.) konfrontiert, was sich im Kontext mangelnder Möglichkeiten
der Überprüfung, inwieweit sie persönlich diesen Erwartungen entsprechen, konflikthaft
auf die eigene Rollenwahrnehmung und -ausübung auswirken kann. Die rollenbedingte
Auseinandersetzung der Lehrkraft mit diesen diversen Interaktionspartnern kann wider-
sprüchliche Rollenerwartungen hervorrufen, was wiederum den Rolleninhaber unter Rol-
lendruck setzen kann. Eine Lehrkraft, die z. B. das Kind eines engen Freundes oder des
Schuldirektors in der Klasse unterrichtet, muss sich diesem Schüler gegenüber genauso
verhalten wie gegenüber allen anderen Schülerinnen und Schülern, ohne sich von seinen
Abhängigkeiten korrumpieren zu lassen; dies kann Rollenkonflikte bis hin zum Rollen-
stress verursachen.
Rollenkonflikte können jedoch auch aus der Rolle selbst entstehen. Während sich die
Lehrerrolle in dem kognitivistischen Lehr-Lernmodell hauptsächlich auf Instruktion und
Beurteilen beschränkte (Gudjons 2001: 257), sind die Rollenerwartungen inzwischen we-
sentlich erweitert worden, da die Lehrkraft als Lern-Initiator nunmehr auch geplante
und organisierte Lerngelegenheiten schaffen muss. Gleichzeitig muss sie sensibel für das
Konstruktionspotenzial jedes einzelnen Lernenden sowie für seine außerschulischen
Probleme sein; zudem muss sie konsequent in der Notenvergabe, konstruktiv in ihrem
Feedback sowie jederzeit souverän und beherrscht in ihrem Verhalten sein. Dies kann zu
einer permanenten Rollenüberforderung führen, die sich häufig in einem Burn-Out Syn-
drom niederschlägt.
Lehrer und Schüler begegnen sich in der Institution Schule nicht auf freiwilliger Basis,
sondern in einem vorweg definierten Beziehungsverhältnis, das höchst asymmetrisch ist.
Auch wenn die Lehrkraft bereit wäre, ihre sozial-institutionelle Rolle als Lehrkraft zu-
gunsten ihrer didaktischen Lehrerrolle im Interesse eines emanzipatorischen Unterrichts
zurückzunehmen, so kann sie dennoch nicht mit ihren Schülerinnen und Schülern auf
wirklich gleicher Ebene interagieren, da die Lehrkraft immer zugleich als Bewertungs-
und Kontrollinstanz fungiert; zumindest aus Lernerperspektive nimmt sie die Äußerun-
gen der Lernenden stets auch unter dem Aspekt einer gewissen Notenrelevanz auf. An
diesem institutionell begründeten Rollendilemma können letztlich progressive Konzepte
eines kommunikativen DaF/DaZ-Unterrichts scheitern, die von einer symmetrischen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1333
5. DaF/DaZ Ausbildung
Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als
Zweitsprache (DaZ) existieren an fast allen Universitäten im deutschsprachigen Raum
(vgl. Art. 149). Im Hinblick auf die skizzierten Rollenanforderungen wäre es wichtig,
dass folgende Bereiche durch das Studium abgedeckt werden: Spracherwerbstheorien,
Erstsprachenerwerb, Zweitsprachenerwerb (gesteuert und ungesteuert), Fremdsprachen-
erwerb/Fremdsprachenlernen (gesteuert), linguistisches sowie psychologisches und päda-
gogisches Grundlagenwissen, Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (Grammatik,
Wortschatz, Aussprache, Lektüre), Unterrichtsplanung, Unterrichtsbeobachtung und ⫺
analyse, Lehr- und Lernmittelanalyse, Landeskunde der deutschsprachigen Länder, In-
terkulturalität, Literatur, Fachsprachendidaktik, Fehleranalyse und -korrektur, Testen
und Bewerten.
Spezifische Ausbildungsangebote für Deutsch als Zweitsprache existieren überwie-
gend in Form von Zusatzausbildungen, d. h. als Qualifikationsmöglichkeit für angehende
oder bereits praktizierende Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Ihre Einrichtung
ist motiviert durch die Tatsache, dass der Unterricht im Regelfall von Schülern und
Schülerinnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft besucht wird (vgl. Art. 122 und
Art. 124). Die Absolventen dieser Studiengänge sollen in die Lage versetzt werden, Un-
terricht in multi-ethnischen Lernumgebungen zu erteilen. Eine derartige Lehr-Lernsitua-
1334 XV. Lehrerinnen und Lehrer
tion mit ihrer z. T. extremen sprachlichen und kulturellen Heterogenität stellt in zweifa-
cher Hinsicht eine Herausforderung für die Lehrkraft dar: Der Unterricht muss einerseits
garantieren, dass alle Lernenden in der multikulturellen Gesellschaft handlungsfähig
sind, und er muss andererseits den jeweils spezifischen Bedürfnissen eines jeden Schülers
Rechnung tragen. Daraus ergibt sich ein pädagogischer Maßnahmenkatalog, der neben
der Entwicklung des Deutschen als Zweitsprache und der Förderung muttersprachlichen
Lernens auch die Problematisierung von Ethnozentrismus, die Analyse unterschiedlicher
Wertekanons und Verhaltensnormen umfassen muss.
Die Erwartungen im Bereich der Pädagogik sind ähnlich anspruchsvoll. Die Konzepte
von Erziehung und Sozialisation müssen aus einer interkulturellen Perspektive analysiert
werden können und ihre Auswirkung auf die institutionellen Bedingungen und die päda-
gogischen Vorgaben sollen auf dieser Basis evaluiert werden können. Hinzu kommen
noch alltagspraktische Überlegungen hinsichtlich der aktuellen Gestaltung eines Unter-
richts in multilingualen und multikulturellen Lerngruppen (vgl. Art. 125). Um diesen
Anforderungen gerecht zu werden, muss die Lehrkraft Kenntnisse bezüglich der sozialen,
wirtschaftlichen, kulturellen, rechtlichen, religiösen und politischen Folgen von Migra-
tion erwerben. Eine Beschäftigung mit der Theorie und Geschichte der Migration, mit
Fragen der Nation und des Rassismus werden daher als Grundlagenwissen vorausgesetzt.
Während für die Schule erst in jüngster Zeit nicht nur Zusatzangebote, sondern auch
Pflichtmodule im Bereich Deutsch als Zweitsprache angeboten werden, ist die Erwachse-
nenbildung einen Schritt weiter: Für das Unterrichten in den sog. Integrationskursen
wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz zunehmend eine entsprechende Fach-
qualifikation vorausgesetzt (vgl. Art. 121 und 151).
6. Institutionelles Umeld
Das institutionelle Umfeld von DaF und DaZ ist sehr unterschiedlich. Während bei
Deutsch als Zweitsprache sämtliche Lebensstadien vom Kindergarten bis zur Erwachse-
nenbildung abgedeckt werden müssen (Billmann-Macheta und Kölbl 2007: 684⫺685),
beschränkt sich die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache weitestgehend auf den
Sekundarbereich und die sich daran anschließenden Felder der Fort- und Weiterbildung.
Diese Unterschiede sind jedoch von geringerer Relevanz als die jeweiligen Lernerpo-
pulationen. Der DaF-Unterricht wendet sich zumeist an homogene Gruppen von Schü-
lern in Regelschulen, die bereits über eine gewisse Grundausbildung verfügen (d. h. in
ihrer jeweiligen Muttersprache die entsprechenden Curricula durchlaufen haben) oder an
Lernende, die freiwillig an den entsprechenden Institutionen (z. B. Goethe-Institut)
Deutsch lernen. Da die deutsche Sprache nach wie vor den Ruf hat, schwierig zu
sein, hat man bei DaF-Lernenden im Ausland häufig bereits eine motivierte, ehrgeizige
und z. T. sehr leistungswillige Lernerpopulation mit oft auch einem überdurchschnittli-
chen Bildungshintergrund (Harden 1989). Neben fundierten Kenntnissen der deutschen
Grammatik erwarten Lernende dieses Typs dementsprechend umfassende Kenntnisse vor
allem der deutschen Geschichte, Kultur und Politik sowie der der Sprache unterliegenden
kulturellen Deutungsmuster (Altmayer 2004).
Die Lernergruppen bei Deutsch als Zweitsprache sind dagegen meist deutlich ver-
schieden von den oben beschriebenen, was sich häufig bereits innerhalb der Vorschul-
erziehung zeigt, die in vielen Bundesländern in der Form von Sprachförderprogrammen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1335
integraler Bestandteil der Curricula ist (vgl. Art. 120). Nicht nur die teilweise extreme
linguistische Heterogenität hinsichtlich der Muttersprachen in den Lerngruppen stellt ein
Problem dar. Darüber hinaus gibt es Schwierigkeiten, die in den sozialen und ethnischen
Unterschieden ihre Wurzeln haben. Die DaZ-Lehrkraft muss daher auf jeden einzelnen
Schüler eingehen und seine Lernprobleme diagnostizieren, um ihn sodann von dort abzu-
holen, wo er sich im Lernkontext gerade befindet. Dies ist umso schwieriger, als Ler-
nende sich immer auch in einer ungesteuerten Spracherwerbssituation befinden, da sie
im Alltag vielerlei Kontakt mit der Zweitsprache haben. Daher kann der DaZ-Unterricht
keine systematisch lineare Progression verfolgen, sondern muss durch eine zyklische Pro-
gression sicherstellen, dass die Lehrkraft tatsächlich alle Lernenden erreicht.
Weitere wichtige, allerdings häufig unterschätzte Faktoren sind die geplante Verweil-
dauer, die Situationsdefinition der Beteiligten sowie die Freiwilligkeit des Aufenthaltes.
Das Verlassen der Heimat geschieht nicht selten unter Zwängen, über deren Natur zu
spekulieren hier nicht der Ort ist. Manchmal ist eine Rückkehr geplant, was die aktuelle
Situation als vorübergehendes Provisorium erscheinen lässt. Die Motivation, sich mehr
als gerade überlebensnotwendig auf die Zielsprache und -kultur einzulassen, ist dann
möglicher Weise relativ gering. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich bereits sprach-
lich-kulturelle „Sub-Kulturen“ gebildet haben, d. h. ein gewohntes soziales Umfeld in
der Herkunftssprache existiert (Kniffka und Siebert-Ott 2008). Werden in einer solchen
Situation von staatlicher Seite weitergehende Integrationsbemühungen verlangt, z. B.
durch die Bindung von Aufenthaltsbewilligungen an bestimmte sprachliche Mindestan-
forderungen, dann kann mit einer eher defensiven, dem Lernprozess wenig förderlichen
Haltung seitens der Lernenden gerechnet werden. Diese Ablehnung kann durch religiöse
und weltanschauliche Grundmuster verstärkt werden, vor deren Hintergrund die Zielkul-
tur (und damit auch die Sprache) nicht nur als äußerst fragwürdig erscheint, sondern
darüber hinaus möglicherweise sogar mit dem gewohnten Wertekanon derart kollidiert,
dass eine grundsätzliche Ablehnung zwangsläufig ist (vgl. dazu auch Bommes und
Radtke 1993; Harden 2000; vgl. Art. 121). Der Lehrer kann dann in eine Situation gera-
ten, von den Lernenden vor allem als Repräsentant der staatlichen Institutionen betrach-
tet zu werden, was negative Rückwirkungen auf die Offenheit der Lehr-Lernsituationen
haben kann.
8. Ausblick
Die Erforschung der Rolle des Lehrers und der Lehrerin im Unterricht insbesondere des
Deutschen als Fremdsprache ist immer noch sehr eurozentrisch ausgerichtet, was sich
u. a. in Publikationen niederschlägt, die Kompetenzen und Funktionen einer idealen
Lehrkraft in einem Kontext der Ersten Welt postulieren, der jedoch keine universale
Gültigkeit beanspruchen kann. Es wäre also notwendig, erstens auf die Realität der
Fremd/Zweitsprachenlehrkraft samt den restriktiven Umweltbedingungen vor Ort zu fo-
kussieren und zweitens empirische Untersuchungen zu kulturangemessenen Adaptionen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1337
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Longman, 62⫺77.
1. Vorbemerkung
Bei der Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitspra-
che ist zwischen Ländern, in denen schulischer Deutschunterricht und die entsprechende
Lehrerausbildung durch staatliche Regelungen bestimmt sind, und solchen, wo dies nicht
der Fall ist und wo jede Schule eigene Anforderungen an die Lehrkräfte artikuliert, zu
unterscheiden. Aber selbst in den Ländern, die die Lehrerausbildung staatlich regeln,
herrschen höchst unterschiedliche lokale, regionale und nationale Strukturen. Schließlich
ist zu beachten, dass es je nach Land und Situation gemeinsame oder unterschiedliche
Strukturen für die Ausbildung zum Deutsch-, Englisch- oder Spanischlehrer etc. gibt,
abhängig davon, ob die jeweilige Sprache zum Pflichtangebot gehört, ob sie bereits in
der Primarstufe oder nur an bestimmten weiterführenden Schulen angeboten wird. Ein
grundsätzlicher Unterschied ist schließlich im Hinblick auf den Zweitsprachenunterricht
im deutschen Sprachraum und den Fremdsprachenunterricht in nichtdeutschsprachigen
Ländern zu machen. Der vorliegende Beitrag muss sich auf Grundsätzliches mit Schwer-
punkt auf Deutschland und Österreich konzentrieren. Für Spezifika der einzelnen Län-
der sei daher auf die Länderberichte im XIX. Kapitel verwiesen.
Die Vermittlung von Fremdsprachen war bis in das 18. Jh. hinein eine Aufgabe von
Gouvernanten und Sprachmeistern, also muttersprachlichen Autodidakten ⫺ eine Tradi-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1341
tion, die bis heute in der Beliebtheit von native speakers als Sprachlehrkräften fortbe-
steht. Die Muttersprache ⫺ so der Gedanke ⫺ beherrsche jeder Mensch so gut, dass er
sie auch als Fremdsprache vermitteln könne. Erst mit dem Ende des 18. Jhs., im Zuge
einer stärkeren staatlichen Regulierung des Unterrichtswesens, entstehen Regelungen für
eine systematische, fachlich fundierte Lehrerausbildung (zur Geschichte der Lehreraus-
bildung allgemein vgl. Gerner 1975; zur Entwicklung der Fremdsprachenlehrerausbil-
dung vgl. von Bhück 1995). Die heute weitgehend übliche Ausbildung von Fremdspra-
chenlehrerInnen (für die Sekundarstufe) im Rahmen der Philologien entwickelte sich in
Parallelität zu den Studien in Griechisch und Latein, um für die lebenden Fremdsprachen
ein ähnliches Prestige zu etablieren. Die Neuphilologie an den Universitäten verdankt
der Lehrerausbildung weitgehend ihre Institutionalisierung, ohne allerdings die Studien-
inhalte auf die künftige Berufsrolle ihrer Absolventen abzustimmen. Universitäten sahen
und sehen sich teilweise noch heute nicht als Ausbildungsstätten, sondern orientieren
sich in ihrem Unterrichtsprogramm an der Fachsystematik: Wer sein Fach versteht, so
der Grundgedanke, könne es dann auch gut unterrichten. So berechtigt auch heute noch
in zahlreichen Ländern ein vorwiegend philologisch orientiertes Germanistikstudium, in
dessen Zentrum Mediävistik, Sprach- und Literaturwissenschaft stehen, zu einer Tätig-
keit als Deutschlehrer, auch wenn inzwischen zum Teil ergänzende pädagogische Studien
(pädagogisches Begleitstudium, Referendariat, Unterrichtspraktikum o. ä.) hinzugekom-
men sind und in den letzten Jahren v. a. im europäischen Raum im Rahmen des Bologna-
Prozesses Germanistikstudiengänge deutlicher berufsorientierend konturiert werden.
Während die Lehrerausbildung in Westeuropa seit den 1950er Jahren zunächst stag-
nierte ⫺ erst mit dem Bologna-Prozess und der Entwicklung von Bildungsstandards sind
neue Entwicklungen in Gang gekommen ⫺, sind mit dem durch die Öffnung des „Eiser-
nen Vorhangs“ entstandenen großen Bedarf an qualifizierten Fremdsprachenlehrern in
zahlreichen mittel- und osteuropäischen Ländern neue Wege der Lehrerausbildung be-
schritten worden. Mit dem Wegfall des Russischen als Pflichtfremdsprache und der Öff-
nung nach Westeuropa explodierte die Nachfrage nach Fremdsprachenunterricht vor
allem in Englisch und anfänglich auch in Deutsch; die mittel- und osteuropäischen Re-
formstaaten standen vor der Notwendigkeit, rasch möglichst viele Lehrkräfte zu qualifi-
zieren. Da die Universitäten mit ihrer philologischen Tradition als zu schwerfällig er-
schienen, wurde in manchen Ländern ein neuer Weg beschritten: In Polen und in der
Tschechischen Republik z. B. wurden unabhängig von den Universitäten Kurzstudien
an eigens gegründeten Lehrerkollegs bzw. Zentren eingeführt, die mit einer dreijährigen
Ausbildung (gegenüber dem traditionell fünfjährigen Universitätsstudium) Deutschlehrer
qualifizieren sollten. In Ungarn wurden solche Kurzstudiengänge an den Hochschulen
etabliert (vgl. zur Übersicht Kast und Krumm 1994; Krumm 1999; Krumm und Le-
gutke 2001).
4.1. Überblick
Für die Ausbildung zur Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im deutsch-
sprachigen Raum gelten besondere Bedingungen: Zum einen sind die Studierenden über-
wiegend solche, die es lernen wollen, ihre Muttersprache als Fremd- und Zweitsprache zu
unterrichten, zum andern ist Deutsch an deutschen und österreichischen Schulen keine
Fremdsprache, so dass die Studiengänge für Deutsch als Fremdsprache in beiden Län-
dern nicht als Lehramts-, sondern als Magister- bzw. Diplomstudien angelegt sind. Da-
von zu unterscheiden sind Qualifikationen, die Lehrende im Schulbereich für den Unter-
richt mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund benötigen, die in Studi-
enangeboten für Deutsch als Zweitsprache vermittelt werden (für die wiederum anders
gelagerte Situation in der Schweiz vgl. Art. 8).
Die Situation der DaF-/DaZ-Lehrerausbildung in Deutschland ist ein Spiegel der
Entwicklung des akademischen Fachs Deutsch als Fremdsprache (vgl. Art. 1 und 2). Galt
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1343
das Fach DaF in seiner Gründungsphase als „Kind der Praxis“, dann lag das daran,
dass die Notwendigkeit der fachdidaktischen und wissenschaftlich fundierten Qualifizie-
rung von Lehrkräften für den DaF-Unterricht ein wesentlicher Grund für die Einrich-
tung von akademischen Studiengängen an deutschen Universitäten war. Das Ergebnis
eines Entwicklungsprozesses bis Ende der 1990er Jahre waren akademische Studiengänge
im Rahmen von Magister-, Diplom-, Ergänzungs- und Zusatzstudiengängen bzw. die
Berücksichtigung von DaF-Studienelementen als Teil von anderen Studiengängen (insbe-
sondere Germanistik, aber auch Erziehungswissenschaften sowie Sprachlehrforschung),
die ein höchst heterogenes Gesamtbild und Qualifikationsprofile mit je nach Studienort
unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und Studienvolumina ergaben (vgl.
Henrici und Koreik 1994; Baur und Kis 2002). Diese für Außenstehende und potentielle
ArbeitgeberInnen eher undurchschaubare Situation ist durch die Einführung von unter-
schiedlichen Bachelor- und Masterstudiengängen nicht unbedingt besser geworden (vgl.
die Bemühungen des Fachverbands Deutsch als Fremdsprache [FadaF], eine größere
Transparenz durch die Pflege von aktuellen Informationen zu den Studiengängen in den
und außerhalb der deutschsprachigen Länder durch DaF-Wikis herzustellen: http://
www.fadaf.de/wiki/). Versuche der Fachvertreter, sich auf überregionale Standards und
Kerncurricula zu einigen, sind bisher über Anfangsdiskussionen und schmale Einigungen
nicht hinausgekommen (vgl. das Grundsatzpapier zur curricularen Basis von Bachelor-
und Masterstudiengängen DaF des FaDaF o. J. sowie die Beiträge in Casper-Hehne,
Koreik und Middeke 2006). Die Gründe dafür reichen von berechtigten Schwerpunktset-
zungen und Fachegoismen auf der Basis unterschiedlicher Forschungsprofile bis zur
Problematik notwendiger Polyvalenz von akademischen Studiengängen, die die Viel-
schichtigkeit und Wandelbarkeit möglicher Berufsfelder in der Sprach- und Kulturver-
mittlung im In- wie Ausland erfordert.
An vielen Universitätsstandorten wird Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (zukünf-
tig) im Rahmen des Masterstudiums angeboten, meist auf der Basis eines germanisti-
schen Bachelorabschlusses (u. a. Berlin, Gießen, Göttingen, Marburg, Wien), nur an den
etwas größeren und besser ausgestatteten Standorten (Bielefeld, Jena, Leipzig) werden
konsekutive Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten. Gerade im Rahmen von Ba-
chelorstudiengängen wird die Berufsorientierung als zentrales Ausbildungsziel beschrie-
ben. Hierfür bringen die DaF-/DaZ-Studiengänge in der Regel recht gute Voraussetzun-
gen mit; die Berufsfelder Tätigkeiten in der Sprach- und Kulturvermittlung sowie DaF-/
DaZ-LehrerIn ⫺ mit Schwerpunkt in der Erwachsenenbildung ⫺ waren in fast allen
bisherigen Studienordnungen beschrieben und deutlich ernster gemeint und umgesetzt
als in anderen geisteswissenschaftlichen Studiengängen.
Die akademische Ausbildung von Lehrkräften für den Unterricht Deutsch als Zweit-
sprache und weitere Aktivitäten in der sprachlichen Bildung für Migranten, Flüchtlinge
und Lernende der Folgegenerationen mit Zuwanderungsgeschichte fand in Deutschland
bislang im Rahmen der DaF-Studiengänge, mitunter ⫺ und je nach Engagement und
Möglichkeiten der Akteure an den unterschiedlichen Studienorten ⫺ in Form von Studi-
enelementen im Rahmen der Lehramtsstudiengänge und der Interkulturellen Pädagogik
statt. Die Situation der DaZ-Ausbildung ist mehr als unbefriedigend; erst in der letzten
Zeit werden hier unterschiedliche Anstrengungen unternommen. So finden im Rahmen
der bisherigen DaF-Studiengänge Module und Lehrveranstaltungen zu DaZ stärkere Be-
rücksichtigung. DaZ wird in einigen deutschen Bundesländern und an den Pädagogi-
schen Hochschulen in Österreich zukünftig ein (eher kleines) Pflicht- oder Wahlpflichtele-
1344 XV. Lehrerinnen und Lehrer
ment in den Studiengängen für ein Lehramt sein, z. B. müssen im Rahmen des ab 2011
gültigen Lehrerausbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen sämtliche Studierende aller
Lehrämter (inkl. aller Schulformen, inkl. aller Sachfächer) mindestens sechs Leistungs-
punkte in „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ erbrin-
gen. Eine ähnliche Festlegung existiert für Bremen und Berlin, für Studierende des Lehr-
amts Deutsch in Sachsen; andere Bundesländer werden auf der Basis des Nationalen
Integrationsplans für Deutschland (Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration 2007) nachziehen. In Bayern wird derzeit das neue Unter-
richtsfach Deutsch als Zweitsprache eingerichtet. In Österreich ist die Neuordnung der
Lehrerausbildung im Jahr 2009 noch nicht abgeschlossen, doch drängt das zuständige
Unterrichtsministerium darauf, Module zu Deutsch als Zweitsprache in alle Lehramts-
studiengänge, insbesondere aber in die für die Grundschule aufzunehmen (vgl. Bundes-
ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur und Bundesministerium für Wissenschaft
und Forschung 2008).
Noch ausgeprägter föderalistisch bedingte Heterogenität herrscht in der Ausbildung
von Lehrkräften für den Elementarbereich, der in immer mehr deutschen Bundesländern
als Kernaufgabe der Länder und Kommunen im Bereich der Sprachförderung wahrge-
nommen wird ⫺ hier liegt derzeit noch der Schwerpunkt auf der (leider zentral wenig
abgestimmten) Entwicklung von Instrumenten der frühen Sprachstandsdiagnose (vgl.
Art. 146) und weniger auf der dringlich zu erweiternden Aus- und Weiterbildung von
Erzieherinnen und weiterem Personal von Kindergärten und Kindertagesstätten. In
Österreich fällt die Ausbildung von Kindergarten- und SozialpädagogInnen in die Bun-
deskompetenz: Der Lehrplan Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP)
enthält seit 2007 einen Themenbereich Deutsch als Zweitsprache, der allerdings nur für
die Kollegs für Kindergartenpädaogik (2. Bildungsweg) mit einer Wochenstunde ver-
pflichtend sind (vgl. De Cillia und Krumm 2009).
Trotz aller Unterschiede lassen sich folgende Bereiche als Kernelemente der Ausbil-
dung von DaF- und DaZ-Lehrkräften beschreiben (vgl. auch Krumm 1994; Neuner
1994; Krumm und Legutke 2001):
(1) Ausbildung von Kenntnissen in Bezug auf die deutsche Sprache (sprachwissen-
schaftliche Kompetenz), wobei Bewusstheit und Kenntnisse der (Ir-)Regularitäten in den
linguistischen Gegenstandsbereichen und die Kompetenz zu entwickeln sind, Formen
und Funktionen der deutschen Sprache im phonetisch-phonologischen, grammatischen
und lexikalischen sowie pragmatischen und textuellen Bereich mit fremden Augen sehen,
analysieren und beschreiben zu können.
(2) Wer Sprache(n) lehren will, muss wissen, wie Sprache(n) gelernt werden, welche
Prozesse und Lernschwierigkeiten dabei natürlich auftreten, welche individuellen Unter-
schiede sich bemerkbar machen werden. Dies impliziert die Notwendigkeit der Ausbil-
dung von Kenntnissen in Bezug auf Prozesse des Lernens von Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache sowie einer Kompetenz zur kritischen Rezeption und Reflexion aktueller
Forschungsergebnisse mit dem Ziel, diese Kenntnisse bei der Evaluation, Planung und
Durchführung von Unterricht anwenden zu können. Dass dies noch nicht ausreichend
in den DaF-Studiengängen verankert ist, haben Blex und Schlak (2001) in einer Analyse
der Studienangebote in Deutschland ermittelt.
(3) Ausbildung von Kenntnissen in Bezug auf die Kultur und Gesellschaft (Landes-
kunde) des deutschsprachigen Raums mit Berücksichtigung deutschsprachiger Literatur
einschließlich der damit verbundenen Textsorten und Medien (vgl. Art. 160).
(4) Die Ausbildung interkultureller Kompetenz ist als eine Schlüsselqualifikation zu
betrachten, wobei Prozesse des Fremdverstehens, kulturellen Lernens und der interkultu-
rellen Kommunikation reflektiert werden.
(5) Zentrales Ziel der DeutschlehrerInnenausbildung ist die Ausbildung von Kennt-
nissen und berufsorientierten Kompetenzen in Bezug auf Prozesse des Lehrens von
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache einschließlich weiterer Maßnahmen der sprachli-
chen und interkulturellen Bildung (fachdidaktische Kompetenz). Hierzu gehört das weite
Feld der Methodik/Didaktik (vgl. Kapitel X).
(6) Eng mit der Lehrtätigkeit verbunden ist die Durchführung von informellen und
formellen Tests und Prüfungen zur Sprachstands- und Sprachentwicklungsmessung bzw.
die Vorbereitung der Lernenden auf standardisierte Tests (vgl. Kap. XIV). Insbesondere
für den Bereich Deutsch als Zweitsprache ist die Notwendigkeit der Ausbildung sprach-
diagnostischer Kompetenzen erkannt worden, da ungesteuerte und gesteuerte Lernpro-
zesse zusammenkommen bzw. die Heterogenität der Lernenden erheblich ist.
(7) Noch zu wenig berücksichtigt, aber von zunehmender Relevanz sowohl für
Deutsch als Fremd- wie für Deutsch als Zweitsprache ist die Ausbildung von Kenntnissen
über grundlegende sprachenpolitische, bildungs- und sozialpolitische Entwicklungen
(z. B. europäische Sprachenpolitik und ihr Stellenwert für Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache, Zuwanderungsgesetze und ihre Konsequenzen für Deutsch als Zweitsprache)
und damit verbundene Akteure und Institutionen mit dem Ziel, diese Kenntnisse bei
der Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht und Fördermaßnahmen zu
reflektieren und einzubringen (vgl. Kap. III).
(8) Für deutschsprachige Studierende sind sprachpraktische Studienanteile in einer
weiteren Fremdsprache als Kontrastsprache (insbesondere Migrantensprachen, nicht in-
doeuropäische Sprachen) eine gut erprobte Möglichkeit, aktuelle Lernerfahrungen und
dabei erfahrene Lernschwierigkeiten mit fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen In-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1347
7. Literatur in Auswahl
Baur, Rupprecht und Marta S. Kis
2002 Lehrerausbildung in Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache. Fremd-
sprachen Lehren und Lernen 31: 123⫺150.
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
2007 Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege ⫺ neue Chancen. Online: http://www.
bundesregierung.de/Content/DE/Publikation/IB/Anlagen/nationaler-integrationsplan,
property⫽publicationFile.pdf (03. 01. 2010).
Blex, Klaus und Torsten Schlak
2001 Fremdsprachenerwerbsforschung im Hochschulfach Deutsch als Fremdsprache: Be-
standsaufnahme und Perspektiven. In: Karin Aguado und Claudia Riemer (Hg.), Wege
und Ziele. Zur Theorie, Empirie und Praxis des Deutschen als Fremdsprache (und anderer
Fremdsprachen), 103⫺116. Baltmannsweiler: Schneider.
von Bhück, Karlhans Wernher
1995 Fremdsprachenlehrer-Ausbildung an Hochschulen. In: Karl-Richard Bausch, Herbert
Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 548⫺551.
3. Aufl. Tübingen/Basel: Francke.
Boeckmann, Klaus-Börge
2009 Ausbildungsangebote und Qualifikationsmaßnahmen für Unterrichtende in Österreich:
Die Ausbildungssituation von Lehrenden an Schulen. In: Verena Plutzar und Nadja
Kerschhofer-Puhalo (Hg.), Nachhaltige Sprachförderung. Zur veränderten Aufgabe des Bil-
dungswesens in einer Zuwanderungsgesellschaft, 64⫺75. Innsbruck: Studienverlag.
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur und Bundesministerium für Wissenschaft und
Forschung (Hg.)
2008 Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Language Education Policy Profile:
Länderbericht. Online: http://www.coe.int/t/dg4/linguistic/Source/Austria_Country
Report_final_DE.pdf (30. 12. 2009).
Casper-Hehne, Hiltraud, Uwe Koreik und Annegret Middeke (Hg.)
2006 Die Neustrukturierung von Studiengängen „Deutsch als Fremdsprache“. Probleme und Per-
spektiven. Göttingen: Universitätsverlag.
Casper-Hehne, Hiltraud und Annegret Middeke (Hg.)
2009 Sprachpraxis der DaF- und Germanistikstudiengänge im europäischen Hochschulraum.
Göttingen: Universitätsverlag.
1350 XV. Lehrerinnen und Lehrer
Riemer, Claudia
2006 DaF-/DaZ-Studiengänge und Studiengänge mit DaF/DaZ in Deutschland: Versuch eines
Berichts zum Stand der Studienstrukturreform. In: Hiltraud Casper-Hehne, Uwe Koreik
und Annegret Middeke (Hg.), 55⫺63.
Roggausch, Werner
1997 Deutschlehrerausbildung: Thesen zur Curriculum-Planung. Info DaF 24: 470⫺479.
1. Einührung
Lehrerfortbildung wird in Deutschland und Österreich auch als die dritte Phase der Leh-
rerbildung bezeichnet. Während die beiden vorangegangenen Phasen (Universitätsstu-
dium und Referendariat/Unterrichtspraktisches Jahr) durch Studiengänge und Examina
strukturiert und zeitlich begrenzt sind, erstreckt sich die dritte Phase über das gesamte
Berufsleben der Lehrenden, die für die Strukturierung dieser Phase in der Regel selbst
verantwortlich sind. Gewöhnlich werden unter Lehrerfortbildung alle jene Prozesse ge-
fasst, die die erworbenen Qualifikationen (Wissen und Können) erhalten, aktualisieren
und dem gesellschaftlichen Wandel anpassen helfen. Neben die persönliche Tätigkeit (wie
reflektierende Unterrichtsvor- und -nachbereitung, Studium von Fachliteratur, Gespräch
mit Kollegen) tritt die veranstaltete Fortbildung. Letztere versteht sich immer auch als
gesellschaftlich notwendiger Beitrag zur Innovation institutioneller Lehr- und Lernpro-
zesse (Edelhoff 1999). Der Begriff „Lehrerweiterbildung“ (wird häufig synonym zu Leh-
rerfortbildung verwendet, meint im strengeren Sinne aber, über die Aktualisierung des in
der Ausbildung erworbenen Wissens hinausgehend, den Erwerb zusätzlicher Qualifika-
tionen. In der Praxis spielt diese Unterscheidung in der Regel keine Rolle, so dass auch
der folgende Beitrag beide Aspekte zusammenfasst.
Die Veranstaltungsformen reichen ⫺ je nach regionalen Möglichkeiten und Angebo-
ten ⫺ von mehrwöchigen Intensivkursen an Akademien, Universitäten oder Goethe-
Instituten bis hin zu zweistündigen Seminaren an einer Schule (SCHILF: schulinterne
1352 XV. Lehrerinnen und Lehrer
Fortbildung), von der lokalen Arbeitsgruppe bis hin zur Deutschlehrertagung oder regio-
nalen Deutschlehrertagen, die vielfach das einzige anerkannte Fortbildungsangebot dar-
stellen (zu den Spezifika von Deutsch als Zweitsprache vgl. Art. 151).
Unter dem Einfluss neuerer Ansätze der Kognitions- und Professionstheorie sowie der
Erwachsensenbildung und gestützt durch empirische Studien auf diesen Feldern sowie in
den Fachdidaktiken haben die Diskussionen der letzten 15 Jahre zu einer markanten
Differenzierung des Handlungsfelds Lehrerfort- und -weiterbildung geführt, die sich
nicht zuletzt in Vorschlägen für eine veränderte Fortbildungspraxis niederschlägt (Burns
und Richards 2009; Mann 2005; Legutke 1999). Noch bis in die 90er Jahre waren Kon-
zepte veranstalteter Lehrerfort- und -weiterbildung an Denkweisen technischer Rationa-
lität orientiert (vgl. Schön 1987), die davon ausgehen, dass für Lehrende relevantes Wis-
sen vorwiegend jenseits von deren Handlungskontexten, etwa an den Universitäten, er-
zeugt werde. Lehrerfort- und -weiterbildung hat in diesem Modell dafür zu sorgen, dass
Lehrende die Erkenntnisse der Wissenschaften in richtige Praxis umsetzen. Nicht nur die
Wissensbestände von Lehrenden erscheinen bei solchen Grundannahmen als defizitär,
sondern auch ihre Praxis, da sich die von Forschern erarbeiteten Modelle kaum in der
erwarteten Weise in die Praxis umsetzen lassen. Lehrende sind folglich immer noch nicht
oder noch nicht ganz da, wo sie nach Vorstellungen der Wissenschaft sein sollten. (vgl.
Legutke 1999; Altrichter und Posch 2007). Der rationalistischen Vorstellung vom Wis-
senstransfer durch Fort- und Weiterbildung entsprach in der Regel eine dreischrittige
Vermittlungsform: (i) der Vortrag durch einen ausgewiesenen Experten, (ii) die anschlie-
ßende Diskussion und (iii) die erwartete praktische Umsetzung der neuen Erkenntnisse
durch die Lehrenden.
Ergebnisse der Lehrerwissensforschung (vgl. Schocker-von Ditfurth 2001: 17⫺30;
Woods 1996) zeigen, dass Lehrende in ihren Entscheidungen auf ein komplexes Bündel
von Wissensbeständen, Meinungen und durch die Berufbiographie geprägten Erfahrun-
gen zurückgreifen. Solche handlungsleitenden Konzepte, die entscheidend das berufliche
Selbstverständnis von Lehrkräften bestimmen (Duxa 2001), werden als „Alltagswissen“
(Bach 2009), „subjektive Theorien“ (Caspari 2003) oder „Erfahrungswissen“ (Appel
2000) gefasst und müssen in der Fort- und Weiterbildung ernst genommen werden. Sie
hat nicht die Aufgabe, Defizite zu beheben, sondern einen Dialog über Unterricht zu
ermöglichen, in dem Vertreter beider Bereiche, der Wissenschaft und der Unterrichtspra-
xis, sich um ein Verständnis und eine Verbesserung fremdsprachlicher Lehr- und Lern-
prozesse bemühen. Lernpartnerschaft kann nur gelingen, wenn die Interpretationen, die
die Lehrenden zu ihrer eigenen Praxis liefern, als eigenständige und gleichwertige Argu-
mente im Diskurs akzeptiert werden. Die entscheidende Frage ist, wie ein solcher Dialog
unter den je konkreten Bedingungen möglich ist.
Erkenntnisse der Handlungs- und Professionsforschung (Schön 1987; Tsui 2003) besa-
gen, dass Berufstätigkeit in komplexen Situationen nicht allein als „Anwendung generel-
len Wissens“ konzipiert werden kann. Um die „nicht-routinehaften“, komplexen, ambi-
valenten und durch Wert- und Interessenkonflikte geprägten Anforderungen ihrer Praxis
zu bewältigen, müssen hochqualifizierte Professionelle, zu denen auch Fremdsprachen-
150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache 1353
lehrende gehören, in einer Art „Forschung im Kontext der Praxis“ lokales Wissen produ-
zieren, in der „Anwendung“ evaluieren und ständig weiterentwickeln. Daraus ergibt sich
zwingend, dass Fort- und Weiterbildung stärker als forschende Weiterentwicklung von
Praxis gesehen wird und die Fähigkeit der Lehrenden zu einem reflektierenden Umgang
mit Unterricht fördern muss (Krumm und Portmann-Tselikas 2003). Lehrerfortbildung
ist dann gleichzeitig auch praktische Entwicklung von Theorien (Altrichter und Posch
2007). Da lokales Wissen nicht zuletzt von kulturspezifischen Konzepten und Wertvor-
stellungen zu Bildungsprozessen und Lernformen geprägt wird, ist Lehrerfort- und -wei-
terbildung in besonderer Weise gefordert, dialogische Lernformen zu entwickeln, die die-
sen Bedingungen Rechnung tragen und damit verhindern, dass einem unreflektierten
Methodenexport Vorschub geleistet wird (Hann 2002; Krumm 1987; Meyermann 1995).
Entscheidende Impulse liefert ferner die Ausrichtung von Lehrerbildung an (Schlüs-
sel-)Kompetenzen, die die komplexe und für Bildungsprozesse notwendig integrierte För-
derung von fachlichen, fachdidaktischen, sprachlichen, sozialen sowie medialen Teilkom-
petenzen hervorhebt und deren Entwicklung im Handlungsfeld eines konkreten Klassen-
zimmers als individuelle und kooperative Lernprozesse situiert (Hallet 2006). Eine solche
Situierung von Lehrkompetenz in der Lernwelt des Klassenzimmers (Legutke 2009) weist
der Fähigkeit der Lehrenden zum analytisch reflektierenden Umgang mit eigenem und
fremdem Unterricht eine Schlüsselrolle zu. Denn nur wenn das Vertraute des eigenen
Unterrichts in neuem Licht wahrgenommen werden kann, besteht eine Chance, etablierte
Handlungsroutinen zu erweitern und langfristig zu verändern.
Aus der Differenzierung des Handlungsfelds Lehrerfort- und -weiterbildung lässt sich
unschwer eine Reihe von Prinzipien ableiten, welche Planung und Durchführung konkre-
ter Maßnahmen und Initiativen leiten sollten. Diese Prinzipien liegen auch dem von
der Europäischen Union in Auftrag gegebenen „Europäischen Profil für die Aus- und
Weiterbildung von Sprachenlehrkräften“ (Kelly und Grenfell 2004) zugrunde. Gruppiert
nach den Feldern Struktur, Wissen und Verstehen, Strategien und Fertigkeiten sowie Werte
werden insgesamt 40 Teilelemente beschrieben, die in ihrer Gesamtheit ein differenziertes
und interdisziplinär ausgerichtetes Lehrerbildungsprogramm ausmachen können. Als be-
sonderes Merkmal sind die konsequente Integration unterrichtspraktischer Erfahrungen
und deren kontinuierliche Reflexion in allen Teilbereichen hervorzuheben. Für die Leh-
rerfort- und -weiterbildung ist entsprechend zu fordern: (1) Sie muss nicht nur in der
Wahl der Themen und Lernformen den lokalen Bedingungen Rechnung tragen, sondern
auch den Raum schaffen, damit das Alltagswissen der Teilnehmenden Gegenstand des
Fortbildungsdiskurses werden kann. (2) Sie muss erwachsenengemäße Lernerfahrungen
im Umgang mit relevanten Themen und Aufgaben ermöglichen, die in einem erkennba-
ren Bezug zur konkreten Unterrichtspraxis stehen und ermöglichen, dass letztere aus
einer neuen Perspektive wahrgenommen werden kann. (3) Sie muss begleitende Reflexio-
nen ermöglichen und unterstützen, die helfen, konkrete Erfahrungen zu verallgemeinern
und auf bestehende Wissens- und Erfahrungsbestände zu beziehen. (4) Sie muss dazu
beitragen, dass Lehrende auf der Basis der Erfahrungen und ihrer Reflexion neue Hand-
lungsmöglichkeiten für die eigene Praxis entwerfen und in der Lage sind, diese im eigenen
1354 XV. Lehrerinnen und Lehrer
Unterricht zu erproben. (5) Sie muss kontinuierlich sein und die Gelegenheit zur Über-
prüfung neuer Konzepte und Handlungsangebote über einen längeren Zeitraum möglich
machen. Sie muss folglich zyklisch angelegt sein. (6) Punktuelle und diskontinuierliche
Angebote sind wenig geeignet Kompetenzentwicklung zu befördern. (7) Sie muss sich
ferner darum bemühen, der notorischen Vereinzelung von Lehrenden entgegenzuwirken,
indem sie die Entwicklung der Kooperationsfähigkeit von Lehrern an ihrem Handlungs-
ort befördert, verbunden mit dem Aufbau von kollegialen Netzwerken mit Ideenbörsen,
Materialaustausch und partnerschaftlicher Supervision, aber auch mit gemeinsamer Ziel-
definition, Handlungsplanung und Evaluation geleisteter Arbeit.
Diese Prinzipien werden in den Seminar- und Arbeitsformen der Lehrerfort- und -wei-
terbildung in sehr unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen. Der starke Erfahrungs-
und Handlungsbezug, den die Prinzipien fordern, schließt weder den Vortrag eines ange-
reisten Experten noch die klassische Fachtagung aus. Vielmehr stellt sich die Frage, wie
letztere so zur Lernwerkstatt werden kann, dass sie mit ihren Angeboten tatsächlich Teil
eines Gesamtangebots beruflichen Lernens bildet. So wie die Frage berechtigt ist, ob und
wenn ja, in welcher Weise der Vortrag des aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz
angereisten Experten wirklich verdient, als Baustein eines regionalen Fortbildungsange-
bots bezeichnet zu werden.
Vielversprechend für die kontinuierliche Professionalisierung von Lehrkräften sind
Fortbildungsinitiativen, die sich Formen der Aktions- und Lehrerforschung bedienen
(vgl. Art. 153). Die Forschungstätigkeiten sind so in die Gesprächskultur einer „professi-
onellen Gemeinschaft“ am Handlungsort Schule integriert; Beginn, Steuerung und Been-
digung der Prozesse liegen bei den forschenden Lehrern. Die Interpretation von Ergeb-
nissen wird im kollegialen Gespräch ausgehandelt. Die Beteiligten werden ermutigt, ihre
eigenen Erfahrungen zu veröffentlichen. Die Forschungstätigkeiten unterliegen einem
„ethischen Code“. Externe Kursleiter, Fortbilder, Wissenschaftler haben lediglich die
Rolle von Beratern, Moderatoren und kritischen Freunden, die ihre eigene Aktionsfor-
schung betreiben können (Burns 2009).
Die verschiedenen Praxisansätze von Lehrerfort- und -weiterbildung, die nach solchen
Prinzipien gestaltetet sind, rechnen mit höchst aktiven und kooperativen Teilnehmenden
und weisen den Experten eine neue, partizipatorische und dialogische Rolle zu, die hohe
Anforderungen an deren fortbildungsdidaktische Kompetenz stellt (vgl. Legutke 1995:
7⫺11).
deutschsprachigen Länder und ihrer Fachexperten neu diskutiert und bestimmt werden,
um Gefahren eines didaktischen Imperialismus durch Methoden- und Materialexport zu
begegnen (vgl. Art. 12). (4) Die Institutionalisierung von Fortbildung, die Bündelung und
Vernetzung von Ressourcen, Kompetenzen und Ideen ist ein weiterer Brennpunkt, denn
eine staatlich finanzierte, organisierte und flächendeckende, veranstaltete Lehrerfort-
und -weiterbildung ist für Deutsch als Fremdsprache die Ausnahme. (5) Von vordring-
licher Bedeutung für viele Bildungskontexte ist die Zertifizierung von Fortbildung.
(6) Obwohl der Fortbildung der Fortbilder eine zentrale Bedeutung zukommt, wurden
folgende Fragen bisher kaum bearbeitet: Wer sind die Fortbilder? Wer bildet sie aus und
fort? Welche Curricula und Standards müssen für diese Gruppe entwickelt werden und
wie werden regionale Belange berücksichtigt ? (Legutke 1994). (7) Es besteht ferner wenig
Klarheit über den Zusammenhang von didaktisch-methodischen und sprachlichen As-
pekten von Fortbildung. Die Annahme, dass Fort- und Weiterbildung in der Zielsprache
sinnvoll sei, weil sie zugleich die Chance nutze, die sprachliche Kompetenz zu fördern,
muss zumindest so lang als problematisch gelten, wie die notwendigen Sprachhandlungs-
und Bezeichnungsmittel nicht systematisch erschlossen sind. (8) In den 1990er Jahren
startete das Goethe-Institut ein Fortbildungsprojekt (Legutke 1995), welches das Ziel
verfolgte, die Fortbilder dazu anregen, eigene Lernprozesse zu rekonstruieren, zu doku-
mentieren und zu analysieren. Durch systematische Spurensicherung, verbunden mit Ma-
terialangeboten, sollten besondere Kontextbedingungen transparent, übergreifende Fra-
gestellungen zugänglich gemacht und ein professioneller Diskurs über Lehrerfortbildung
gefördert werden. Dieses Projekt ist über einen erfolgreichen Start kaum hinausgekom-
men. Ob es angesichts der Möglichkeiten der digitalen Medien als Datenbanklösung mit
einer interaktiven Lernplattform wiederbelebt und weiterentwickelt werden kann, wäre
zumindest zu prüfen.
Mit diesen Brennpunkten sind Aufgabenfelder einer Fort- und Weiterbildungsdidakitk
für Deutsch als Fremdsprache benannt, die neben theoretischen Bemühungen einer empi-
risch ausgerichteten Fort- und Weiterbildungsforschung bedarf, die ⫺ von wenigen Aus-
nahmen abgesehen ⫺ bis heute kaum entwickelt ist (Ehlers und Legutke 1999).
5. Literatur in Auswahl
Altrichter, Herbert und Peter Posch
2007 Lehrer erforschen ihren Unterricht. 4. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Appel, Joachim
2000 Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München: Langenscheidt.
Burns, Anne
2009 Action Research in Second Language Teacher Education. In: Anne Burns und Jack Ri-
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1. Einleitung
Bis heute ist eine genaue Differenzierung der Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote
von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) allein von
der Benennung her nicht möglich, da DaF häufig als Oberbegriff von DaF und DaZ
benutzt wird (vgl. auch Art. 149). DaZ ist heute eine von DaF zu unterscheidende Lehr-
qualifikation, die für den Unterricht mit Arbeitsmigranten und ihren Kindern qualifizie-
ren soll. Dabei sind die Bereiche der vorschulischen Erziehung, der schulischen Erziehung
und der Erwachsenenbildung zu unterscheiden. Erst in den 1970er Jahren ist in das
öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass es für DaZ eine spezifische Qualifikation geben
muss (vgl. Mahler 1974; Meyer-Ingwersen et al. 1977). Eine eigene grundständige Ausbil-
dung für das Tätigkeitsfeld DaZ hat es an deutschen Hochschulen bis zur Umstellung
auf die Bachelor-Master-Strukturen zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings nicht ge-
geben (vgl. auch Baur 2001). Das lag vor allem daran, dass eine DaZ-Qualifikation
zunächst fast ausschließlich als Zusatzqualifikation für die Schule (Schwerpunkt Primar-
stufe) gesehen wurde. Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich eine
DaZ-Ausbildung auch auf die vorschulische Erziehung und zweitens in der Schule auch
auf die Sekundarstufe I und II sowie zusätzlich auch auf die Sprachlichkeit des Fachun-
terrichts erstrecken muss und dass auch die Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung eine
spezifische berufsorientierte Aus- oder zumindest Fort- und Weiterbildung erhalten müs-
sen.
1358 XV. Lehrerinnen und Lehrer
der Lehrgang zur Zeit in sechs parallelen Durchgängen und insgesamt zum 9. Mal durch-
geführt. Das neue Volksschulgesetz des Kantons Zürich (2005 angenommen) sieht vor,
dass der Unterricht von Deutsch als Zweitsprache nur noch von Lehrpersonen erteilt
wird, welche sich im Rahmen einer Weiterbildung im Umfang eines Zertifikatslehrgangs
nachqualifizieren.
Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat festgelegt, welche
Inhalte von den Lehrenden im Rahmen einer 140 Stunden umfassenden Zusatzqualifizie-
rung für DaZ behandelt werden müssen. Die folgende Tabelle 151.1 ist dem vom BAMF
vorgegebenen Curriculum entnommen:
Institutionen, die eine solche Zusatzqualifikation anbieten wollen, werden vom BAMF
geprüft und zertifiziert. So bietet z. B. das Goethe-Institut, das an der Entwicklung dieser
Zusatzqualifikation federführend mitgewirkt hat, je nach Voraussetzung der Teilnehmen-
den eine volle und eine auf 70 Unterrichtseinheiten verkürzte Form der Qualifizierung
an. Auch der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), der in Österreich im Auftrag des
Innenministeriums für die Integrationskurse zuständig ist, zertifiziert und evaluiert die
anbietenden Institutionen, wobei auch die Qualifikation der dort tätigen Lehrkräfte ge-
prüft wird.
Mit der Studie von Duxa (2001) liegt eine erste Aufarbeitung der Situation und Prob-
lematik von Fort- und Weiterbildung im DaZ-Bereich vor. Duxa macht darauf aufmerk-
sam, dass die methodischen Fähigkeiten nur durch die Integration von unterrichtsprakti-
151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache 1361
schen Erfahrungen vermittelt und erworben werden können. Diese würden in der univer-
sitären Ausbildung häufig vernachlässigt. Hier liegt sicher die Stärke der vom BAMF
vorgeschriebenen Zusatzqualifikation. Positiv ist zu vermerken, dass das Erlernen einer
fremden Sprache zumindest in einer Kurzform hier enthalten ist und sich auch in den
universitären Studiengängen durchzusetzen scheint. Durch die Selbsterfahrung beim Ler-
nen einer fremden Sprache wird bei (künftigen) LehrerInnen sowohl die Lernerperspek-
tive (Wie lerne ich? Wie fühle ich mich als Lerner in der Lerngruppe? Welche Schwierig-
keiten habe ich?) als auch die Lehrperspektive (Wie würde ich unterrichten? Was finde
ich gelungen, was weniger gelungen?) angesprochen. Diese bewusste Sprachlernerfahrung
ist für DaZ-Lehrende auch deswegen so wichtig, weil sie in der Regel als Muttersprachler
des Deutschen eine Sprache unterrichten, für deren Besonderheiten und Schwierigkeiten
sie oft selbst nicht sensibilisiert sind (vgl. Baur 2000). Um die gewünschten Reflexions-
prozesse zu unterstützen, kann das Erlernen einer (neuen) fremden Sprache sinnvoll mit
dem Führen eines Lernertagebuchs verbunden werden.
5. Schlussbetrachtung
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152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse 1363
1.2. Im Zusammenhang mit der empirischen Wende der Unterrichtsforschung hat auch
die Lehreraus- und Lehrerfortbildung eine ,empirische Wende‘ vollzogen und nutzt Ver-
fahren der Unterrichtsbeobachtung (vgl. Abschnitt 4). Die reflexive Didaktik sieht den
Unterrichtsprozess als eine zyklische Abfolge von Planung ⫺ Durchführung ⫺ Evalua-
tion ⫺ Reflexion ⫺ Planung usf. Damit sich die hierfür nötige Reflexivität bei Lehrenden
entwickelt, müssen sie es lernen, eigenen Unterricht bewusst wahrzunehmen und zu ana-
lysieren (vgl. die Beiträge in Krumm und Portmann-Tselikas 2003 sowie Art. 101).
1.3. Versuche, die Qualität von Unterricht und Lehrkräften zu messen und zu beurteilen,
haben sich seit den 1970er Jahren unter Stichworten wie Professionalisierung, Lerner-/
1364 XV. Lehrerinnen und Lehrer
gen ein Stück weit vermieden werden. Noch besser ist es, durch einen zweiten Beo-
bachter ein Korrekturelement einzubauen, wie dies z. B. bei amtlichen Lehrproben im
Schulwesen meist der Fall ist. Auch der Videomitschnitt gibt Gelegenheit, Wahrneh-
mungen durch wiederholte Beobachtung zu überprüfen.
4.2. Die Unterrichtsforschung hatte sich zunächst zum Ziel gesetzt, Merkmale ,guten
Unterrichts‘ zu erarbeiten (vgl. Brophy und Good 1974/1976). Unterrichtsbeobachtung
spielte daher in den Vergleichsuntersuchungen zur Effektivität von Unterrichtsmethoden
eine wichtige Rolle (vgl. von Elek und Oskarsson 1973). Wichtige Fragestellungen waren
die Auswirkungen des Lehrverhaltens auf die Lernergebnisse und Lernprozesse, um Cha-
rakteristika eines ,guten Fremdsprachenlehrers‘ empirisch zu ermitteln (vgl. Allwright
1988; Peck 1988), ebenso wie die Suche nach den Bedingungen für gute Lernergebnisse
auf Seiten des ,guten Sprachenlerners‘ (vgl. Naiman u. a. 1978). Im Bereich der Lehrer-
ausbildung entwickelten Krumm (1973) und Nehm (1976) Verfahren der Evaluation von
Ausbildungskonzepten mit Hilfe von Microteaching und Unterrichtsbeobachtung.
4.3. Für die Aktions- oder Handlungsforschung (vgl. Art. 153) ist die Analyse von Unter-
richtsprozessen mit dem Ziel einer gezielten Unterrichtsentwicklung insbesondere im an-
gelsächsischen Raum, aber auch in Österreich, fester Bestandteil der Lehrerfortbildung
(Legutke und Thomas 1991: 304 ff.).
1368 XV. Lehrerinnen und Lehrer
4.4. Mit den 1980er Jahren ist an die Stelle einer mehr oder weniger ausschließlich auf
Beobachtungsdaten basierenden Forschung die Kombination der Fremdbeobachtung
mit introspektiven Daten getreten (vgl. Abschnitt 2) und auch die Sprachlehrforschung
hat ihr Methodenrepertoire entsprechend erweitert. Zimmermann (1984, 1990) kombi-
niert z. B. Unterrichtsbeobachtungen mit Lehrer- und Schülerinterviews, um dem Wider-
spruch zwischen methodischen Einsichten und konkretem Lehr- und Lernverhalten bei
der Grammatikvermittlung auf die Spur zu kommen. Im Bochumer Tertiärsprachenpro-
jekt (Kleppin und Königs 1991; Bahr u. a. 1996) wurden Unterrichtsbeobachtungen
und ⫺aufzeichnungen im Verbund mit introspektiven Daten genutzt, um Spezifika des
Lehrverhaltens und der Lernenden beim Umgang mit Fehlern und Korrekturen, bei der
Semantisierung, im Hinblick auf die Einsprachigkeit und die Kognitivierung herauszuar-
beiten. Unterrichtsbeobachtung hat sich im Bereich der Sprachlehrforschung als Be-
standteil eines forschungsmethodischen Gesamtkonzepts etabliert (vgl. Bahr u. a. 1996:
24 ff.; vgl. auch Krumm und Portmann-Tselikas 2003).
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153. Aktionsorschung/Handlungsorschung
1. Definition
2. Quellen der Aktionsforschung
3. Aktionsforschung im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen
4. Kontroversen
5. Literatur in Auswahl
1. Deinition
Aktionsforschung ⫺ auch als Handlungs- oder Praxisforschung bezeichnet ⫺ ist ein
Oberbegriff für eine heterogene Gruppe von Forschungsmodellen aus den empirischen
Sozialwissenschaften, denen die grundlegende Auffassung gemeinsam ist, dass Menschen
im Prozess der Bewältigung alltäglicher Lebenspraxis Erkenntnisse von wissenschaftli-
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1371
cher Bedeutung hervorbringen. Die Generierung dieses Wissen erfolgt in einem Kreislauf
von Aktion und Reflexion, der die zielgerichtete Veränderung eines sozialen Geschehens
und deren systematische Analyse aneinander koppelt. Der Perspektivenvielfalt und der
Wertgebundenheit des Handelns in sozialen Gruppen gilt dabei eine besondere Aufmerk-
samkeit.
Von der Unterrichtsforschung lässt sich die Aktionsforschung vor allem dadurch ab-
grenzen, dass es sich nicht um Untersuchungen an Lehrenden oder über Lehrende han-
delt, sondern um eine Form von Forschung, die von Lehrerinnen und Lehrern selbst
betrieben wird (vgl. Altrichter und Posch 2007: 15). Die Lernenden sowie das weitere
soziale Umfeld wie etwa Eltern und das Verwaltungspersonal der betreffenden Bildungs-
einrichtung in die Forschung einzubeziehen, kann je nach Fragestellung sinnvoll oder
sogar unerlässlich sein. Darüber hinaus stellt die Zusammenarbeit mit Forschenden aus
dem akademischen Bereich eine Möglichkeit dar, begrenzte zeitliche Ressourcen auszu-
gleichen, auf methodisches Expertenwissen zurückzugreifen und über die Konfrontation
mit einer externen Sicht Distanz zu den eigenen Interpretationen zu gewinnen.
Für die Disziplin Deutsch als Fremd- und Zweitsprache kann die Aktionsforschung
somit als eine systematische Untersuchung alltäglicher Lehr- und Lernprozesse durch
die Lehrenden selbst beschrieben werden. Sie zielt auf das Verstehen einer konkreten
Unterrichtssituation und deren kontinuierliche Verbesserung und vollzieht sich in einem
zyklischen Wechsel von Forschungs- und Entwicklungsphasen.
Die Aktionsforschung stellt eine methodische Erweiterung alltäglicher Denkprozesse
dar. Im Unterschied zur intuitiven Interpretation des Unterrichtsgeschehens führt sie
zu einer selbstkritischen Reflexion auf der Grundlage von Informationen, die mit Hilfe
bestimmter Strategien gewonnen werden (Anderson und Herr 2005: 3). Vor allem quali-
tative Methoden der empirischen Sozialforschung wie Tagebücher, Interviews oder
Gruppendiskussionen finden dabei Verwendung, weil diese das Erfassen komplexer Si-
tuationen begünstigen, aber auch quantitative Instrumente und Verfahren wie etwa stan-
dardisierte Fragebögen oder Quasi-Experimente können sinnvoll eingesetzt werden. Für
eine angemessene Methodenwahl bieten zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahre
umfassende Hilfestellungen (z. B. Burns 2009; Richards and Farrell 2005).
bereits vor Kurt Lewin wichtige Argumente für den Einsatz von Aktionsforschung liefer-
ten (siehe Dewey 1984). So räumte Dewey den Erfahrungen der Lehrenden den zentralen
Stellenwert bei der Generierung von handlungsrelevanten Theoremen und Konzepten ein
und plädierte deshalb für ein reflexives Lehren, bei dem die Praktikerinnen und Praktiker
in einem forschenden Habitus die Motive, Folgen und Beschränkungen ihres alltäglichen
Handelns selbst ergründen.
Weitere bedeutsame gedankliche Grundlagen für die Aktionsforschung stammen von
Donald Schön (1983), der das Zusammenwirken von verschiedenen Wissenstypen beim
Handeln in mehreren Feldern professioneller Praxis anschaulich beschrieb und daraus
die Notwendigkeit ableitete, eine forschende Haltung als notwendiges Element professio-
nellen Lehrens zu betrachten. Schöns Kritik galt vor allem dem Versuch, soziales Gesche-
hen nach dem Vorbild technologischer Prozesse zu gestalten. Einerseits, so Schön, über-
schätze dieses „Modell technischer Rationalität“ die Möglichkeiten theoretischen Wis-
sens und instrumentellen Handelns bei der Bewältigung praktischer Probleme in
komplexen Kontexten, die eher von Ungewissheiten als von Kausalzusammenhängen
geprägt seien. Andererseits blende es das Potenzial und die Individualität der beteiligten
Personen aus. Dem setzte Schön seine Vorstellung von reflektierenden Praktikerinnen
und Praktikern entgegen, die angesichts der Instabilität und Einzigartigkeit sozialer
Konstellationen die Fähigkeit entwickeln, eigene Handlungsmuster und Situationsdefini-
tionen beständig zu hinterfragen.
Zu vergleichbaren Konsequenzen gelangte auch die englische Curriculumbewegung,
die sich Ende der 1960er Jahre herausbildete und mit Lawrence Stenhouse (1985) und
John Elliott (2007) zwei wichtige Mentoren der Aktionsforschung hervorbrachte. Sten-
house setzte mit seiner Argumentation an der Erfahrung an, dass Implementionsstrate-
gien für curriculare Innovationen häufig zum Scheitern verurteilt sind, weil sie die akade-
mische Forschung idealisieren und zugleich den Bildungsprozess trivialisieren. Das Cur-
riculum kann für ihn deshalb immer nur eine hypothetische Realisierung von Theorien
über die Natur von Wissen und das Wesen von Lehr- und Lernprozessen darstellen, die
einer praktischen Überprüfung durch forschend tätige Lehrende bedarf.
John Elliott schließlich erwarb sich das Verdienst, Lehrende in zahlreichen Kooperati-
onsprojekten bei dieser Form von Forschung unterstützt zu haben. Sein Plädoyer für
eine „evidenzbasierte Praxis“ nimmt bei der Wertgebundenheit aller pädagogischen Tä-
tigkeiten ihren Ausgang. Da normative Setzungen immer mehrere Varianten der prakti-
schen Umsetzung zuließen, so sein Ansatzpunkt, sollten Lehrende bestrebt sein, die Pas-
sung zwischen ihren Werten und Handlungen kontinuierlich und mit Hilfe wissenschaft-
licher Methoden zu untersuchen. Elliott lenkte damit den Blick auf den besonderen
Stellenwert, der den praktischen bzw. subjektiven Theorien von Lehrerinnen und Lehrern
bei der Gestaltung von Unterricht zukommt.
Seit einigen Jahren lässt sich für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ⫺ ebenso wie in
der gesamten Fremdsprachenforschung (Burns 2007) ⫺ ein zunehmendes Interesse an
der Aktionsforschung ausmachen, welches in theoretischen Arbeiten zum Thema (z. B.
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1373
Boeckmann 2002; Riemer 2002) ebenso seinen Ausdruck findet wie in empirischen Stu-
dien (z. B. Ngatcha 2004; Schart 2008; Rankin und Becker 2006; Warneke 2007).
Dass sich im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen erst relativ spät
ein Bewusstsein für das Potenzial von Aktionsforschung herausbildete, lässt sich unter
anderem auf den Einfluss der bis in die 1990er Jahre dominierenden Forschungsperspek-
tive zurückführen, aus der das Lernen vor allem als ein individueller, kognitiver und
weniger als ein sozialer Prozess konzipiert wurde. Nicht zuletzt aus der Erfahrung he-
raus, dass sich viele der Implikationen, zu denen die Ergebnisse kognitiv orientierter
Studien führen, nicht mit den Anforderungen der alltäglichen Unterrichtspraxis in Ein-
klang bringen lassen, gewann in den 1990er Jahren der soziokulturelle Ansatz an Zu-
spruch. Dieser versucht ein Licht auf eben jene Aspekte zu werfen, die zuvor weitgehend
ausgeblendet blieben: die enge Bindung des Lernens an die lokalen Gegebenheiten und
die Bedeutung der subjektiven Situationsdeutungen der am Unterricht beteiligten Perso-
nen (Block 2003; van Lier 2004). Das Lernen wird aus soziokultureller Sicht als ein
dynamischer, durch wechselseitige Abhängigkeiten der Beteiligten geprägter und damit
tendenziell unkontrollierbarer Prozess betrachtet. Er lässt sich also nicht losgelöst von
den Lerngemeinschaften verstehen, in denen er sich vollzieht. Eine schlüssige Folge dieses
Perspektivenwechsels ist das verstärkte Interesse an der Rolle der Lehrenden im Gesamt-
gefüge Unterricht.
Parallel dazu überwand die Fremdsprachendidaktik ihre Fokussierung auf den me-
thodischen Aspekt des Unterrichts (Kumaravadivelu 2006). Die Aufmerksamkeit
verschob sich dadurch von der Effizienz des Lehrens nach einer universal anwendbaren
Methode auf die Qualität jedes einzelnen Lernumfeldes. Lehrende werden nun als Spezia-
listen für die Gestaltung anregender Unterrichtsumgebungen und reichhaltiger Lernmög-
lichkeiten gesehen und sollen mit Flexibilität, Offenheit und Sensitivität auf die örtlichen
Gegebenheiten reagieren (Allwright 2005; Breen 2007). Das wiederum verstärkt den Ruf
nach einem professionellen Handeln, bei dem sich Intuition und systematische Formen
der Erkenntnisgewinnung über das eigene Tätigkeitsfeld ergänzen.
4. Kontroversen
thodische Vorgehen stelle. Angesichts der beschränkten Ressourcen an Zeit und Energie,
über die Lehrende verfügen, plädiert er statt dessen mit seiner Konzeption einer Explora-
tory Practice für eine pragmatische Herangehensweise: Lehrende sollten die alltäglichen
Lehr- und Lernaktivitäten dazu nutzen, gemeinsam mit ihren Lernenden Ungewissheiten
und neue Möglichkeiten zu erkunden und die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Ge-
schehen zu thematisieren. So entstehe lokales Wissen, das zur Weiterentwicklung des
Unterrichts genutzt werden könne (Allwright und Hanks 2009).
Autoren wie Carr und Kemmins (1986) oder Greenwood und Levin (1998) vertreten
dagegen einen dezidiert problematisierenden Ansatz. Aus ihrer Perspektive vernachläs-
sigt die Konzentration auf individuelle Probleme oder auf Forschungstechniken die
Wahrnehmung der historisch und kulturell bedingten Rollen- und Kräfteverteilungen in
Institutionen. In ihrer Variante einer kritischen Aktionsforschung ist es entscheidend,
dass sich Lehrende zu Forschungsgruppen zusammenschließen und gemeinsam die Ver-
antwortung für eine systematische Verbesserung ihres Arbeitsumfeldes übernehmen. Die
Aktionsforschung wird deshalb als ein lebenslanger, emanzipatorischer Prozess beschrie-
ben, der nicht nur zu Einblicken in die eigenen Werte, pädagogischen Vorstellungen und
Rituale verhilft, sondern zugleich auch die Identität der gesamten Berufsgruppe stärkt.
Das professionelle Selbstbewusstsein der Lehrenden gilt als wichtige Voraussetzung, um
innerhalb von Bildungsinstitutionen demokratischere Strukturen zu erreichen und da-
rüber hinaus auch das traditionelle Hierarchie- und Prestigefälle zwischen Theorie und
Praxis zu überwinden.
Dieser Aspekt verweist auf eine weitere zentrale Kontroverse um die Aktionsfor-
schung, denn ihr adäquates Verhältnis zum akademischen Wissenschaftsbetrieb ist ein
seit langem intensiv diskutierter Gegenstand. Von Anfang an musste sich die Aktionsfor-
schung mit Zweifeln an ihrer Wissenschaftlichkeit auseinandersetzen (vgl. Blum 1955).
Dass sie nicht danach strebt, einen methodisch kontrollierten Abstand zwischen For-
schenden und Beforschten, Fakten und Werten oder Denken und Handeln zu halten,
macht zugleich ihre besondere Stärke und Schwäche aus. Einerseits lässt sich nur auf
diesem Weg Wissen generieren, das für den betreffenden Kontext von unmittelbarer Rele-
vanz ist. Andererseits setzt genau an diesem Punkt der häufig eingebrachte Vorwurf
unzureichender Generalisierbarkeit und mangelnder Objektivität an.
Es kann als ein Konsens innerhalb der Aktionsforschung gelten, dass bestimmte Stan-
dards erfüllt sein müssen, um überhaupt von Forschung sprechen zu können. Allerdings
treffen die traditionellen Gütekriterien empirischer Sozialforschung auf breite Ableh-
nung. Die Forderung nach Generalisierbarkeit beispielsweise verkennt das Wesen der
Aktionsforschung, der es gerade darum geht, Singuläres zu verstehen und kontextgebun-
denes Wissen zu generieren. Die Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit der Darstel-
lung, die Vertrauenswürdigkeit der Erkenntnisse oder die umfassende Transparenz im
Hinblick auf den gesamten Forschungsprozess werden als jene alternativen Qualitäts-
merkmale gesehen, an denen es sich entscheidet, ob die Ergebnisse einer Untersuchung
für andere Kontexte Relevanz gewinnen können. Die Generalisierung wird demnach als
ein kommunikativer Prozess zwischen Produzenten und Rezipienten von Aktionsfor-
schung konzipiert (Duff 2008: 42; Greenwod und Levin 1998: 68).
Der Vorwurf mangelnder Objektivität wiederum bezieht sich auf die logistische
Schwierigkeit forschender Lehrender, sich als Handelnde und Beobachtende an zwei Or-
ten zugleich aufhalten zu müssen. Die Befangenheit gegenüber den eigenen Werten und
Urteilen, die für jede Form von Forschung eine Herausforderung darstellt und sich in
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1375
keinem Fall vollends überwinden lässt, ist für die Aktionsforschung daher ein besonders
sensibler Bereich. Neben dem Einsatz von Forschungsmethoden, die die Perspektiven-
vielfalt berücksichtigen und damit Werte- und Interessenkonflikte zugänglich machen,
stellt die Kooperation mit externen Forschenden einen nahe liegenden Weg dar, um eine
kritische Distanz zu den eigenen Situationsdeutungen aufzubauen. Kontrovers diskutiert
wird jedoch der Anteil, den beruflich Forschende in diese Partnerschaft einbringen soll-
ten (z. B. Stewart 2006). Augenfällig ist, dass nach wie vor nicht nur die theoretischen
und methodischen Arbeiten zur Aktionsforschung häufig aus dem akademischen Bereich
kommen, sondern auch die Impulse für konkrete Untersuchungen. Die Diskussionen
über eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen internen und externen Forschenden werden
sich aber erst dann als fruchtbar erweisen, wenn weitaus mehr Studien vorliegen, an
denen sich die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kooperationsformen nachvollzie-
hen lassen.
Auch eine Antwort auf die Frage, welchen Beitrag die Aktionsforschung zur Weiter-
entwicklung der wissenschaftlichen Disziplin Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ins-
gesamt zu leisten im Stande ist, scheitert derzeit noch daran, dass viel mehr über sie
geschrieben als mit ihr gearbeitet wird. Und so gilt es bereits als ein Topos in den Veröf-
fentlichungen zur Aktionsforschung, in einem Atemzug deren Potenzial zu betonen und
zugleich auf den Mangel an Beispielen zu verweisen (z. B. Dörneyei 2007: 191⫺196;
Greenwood 2002). Neue Modelle der Ausbildung, in denen Phasen systematisch reflek-
tierter Praxis eine zentrale Rolle spielen (z. B. Schocker-von Ditfurth 2001; Warneke
2007), werden möglicherweise dazu beitragen, dass künftige Lehrende die Aktionsfor-
schung als festen Bestandteil ihrer professionellen Identität betrachten.
5. Literatur in Auswahl
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2. Kulturtheoretische Positionierung
bzw. Studierende des Faches Deutsch in der betreffenden Region. Auch im Fach Deutsch
als Fremdsprache innerhalb des deutschen Sprachraums werden vergleichbare Anstren-
gungen gelegentlich unternommen (vgl. z. B. Mog und Althaus 1992 oder in jüngster Zeit
von Schilling 2006). Dabei zeigt sich gerade in diesen Darstellungen ein grundsätzliches
Problem: Sie beruhen nicht auf eigener gemeinsamer Forschung, sondern greifen mehr
oder weniger selektiv auf Forschungsarbeiten und -ergebnisse verschiedener Disziplinen
wie der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder der Geographie zurück und entwer-
fen auf dieser Basis ein Bild des Zielsprachenlandes, das nicht selten eher das subjek-
tive ⫺ auch durch die jeweilige Fachperspektive bestimmte ⫺ Bild der jeweiligen Autoren
ist, dessen tatsächlich wissenschaftliche Fundiertheit für die Landeskunde in Deutsch
als Fremdsprache jedenfalls häufig zweifelhaft bleibt. Vor allem aber bieten sich einer
Landeskunde, die sich lediglich als Anwendungsfach für wissenschaftliches Wissen be-
greift, das anderswo und auf der Basis anderer, von landeskundlichen Lehr- und Lern-
kontexten völlig unabhängiger Erkenntnisinteressen erarbeitet wird, keine Perspektiven
für die Entfaltung ihrer eigenen spezifischen Forschungsinteressen. Ähnlich unklar bleibt
das hier erwähnte Verhältnis zwischen erkenntnisleitendem Interesse und Gegenstands-
perspektivierung auch in neueren Ansätzen einer Aufwertung und Verwissenschaftli-
chung der herkömmlichen Landeskunde, etwa in Wierlachers Konzept essayistisch ver-
fahrender „Landesstudien“ (vgl. Wierlacher 2006) oder in Wormers Überlegungen zu
einer xenologisch-transkulturellen und transdisziplinär-vergleichenden Landeskundewis-
senschaft (vgl. Wormer 2004). So sinnvoll und richtig die von Wierlacher wie Wormer
geforderte und bislang sicherlich eher unterentwickelte Kooperation zwischen Vertretern
des Faches Deutsch als Fremdsprache und anderen Fachwissenschaften zweifellos ist
(vgl. Koreik 2009: 25⫺28), so wenig lässt sich doch daraus allein eine eigenständige
wissenschaftliche Perspektivierung des Gegenstandsbereichs der Landeskunde und damit
deren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit herleiten. Insgesamt wird man in Bezug auf das
wissenschaftliche und disziplinäre Selbstverständnis einer sich zur Kulturwissenschaft
weiter entwickelnden Landeskunde und auf die damit ja eng zusammenhängende Frage
der Gegenstandskonstituierung einer solchen Wissenschaft noch einigen Diskussions-
und Klärungsbedarf konstatieren dürfen.
(Reckwitz 2000: 84) Begriff von Kultur zugrunde, wonach diese nicht in einem Set mehr
oder weniger gleichförmiger Verhaltensweisen oder Mentalitäten besteht, sondern uns
mit einem Fundus an (kollektivem) Wissen versorgt, das uns in die Lage versetzt, der
Welt um uns herum, aber auch unserem eigenen Leben Sinn und unserem Handeln Ori-
entierung zu geben (vgl. dazu und zum Folgenden Altmayer 2004: 147⫺165, 2006a,
2006b, vgl. auch Art. 156). Unter Verwendung (und Umdeutung) eines Begriffs, der ur-
sprünglich aus der objektiven Hermeneutik stammt, aber auch in anderen soziologischen
und pädagogischen Kontexten heimisch geworden ist, werden die musterhaft verdichte-
ten und im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Einzelelemente dieses Wissens als kultu-
relle Deutungsmuster bezeichnet. Der für den DaF-Kontext konstitutive Bezug zur Spra-
che und damit zum Fremdsprachenlernen besteht dabei insbesondere darin, dass wir im
Sprachgebrauch, d. h. in alltäglicher, aber auch in medialer und schriftlicher Kommuni-
kation, in hohem Maß auf solche kulturellen Deutungsmuster zurückgreifen, sie bei un-
seren Gesprächspartnern oder den Adressaten von Texten oder Medienangeboten aller
Art in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert
voraussetzen. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Deutsch als Fremd-
sprache besteht nach diesem Konzept dann vor allem darin, die im alltäglichen Sprachge-
brauch in aller Regel implizit bleibenden kulturellen Deutungsmuster, die wir im Deut-
schen verwenden, zu rekonstruieren, d. h. sie auf die Ebene des Expliziten zu heben, sie
sichtbar und damit auch lernbar zu machen.
Während die bisher diskutierten Forschungsansätze eher die Frage nach den Inhalten
eines kulturbezogenen Lernens fokussieren, beschäftigen sich die im Folgenden darge-
stellten Konzepte und Ansätze mit den vielfältigen Bezügen zwischen Kultur und fremd-
sprachlichen Lernprozessen. Dabei spielt Kultur in (mindestens) zweierlei Hinsicht eine
Rolle: Zum einen nämlich als Gegenstand des Lernens und zum anderen als kulturelle
Orientierung, die die Lernenden selbst mitbringen, die ihre Perspektiven auf den Gegen-
stand und ihre Lernprozesse selbst wesentlich mitkonstituieren und beeinflussen. Letzte-
res wird in einer nicht nur, aber auch im Fach Deutsch als Fremdsprache angesiedelten
Forschungsrichtung auf die Frage zugespitzt, inwieweit sich hier von kulturspezifischen
Lehr- und Lerntraditionen sprechen lässt und in welcher Weise diese Traditionen tatsäch-
lich fremdsprachliche Lernprozesse negativ oder positiv beeinflussen. Nicht zuletzt liegen
dieser Frage vielfältige Erfahrungen westlicher Lehrkräfte in nicht-westlichen, insbeson-
dere asiatischen und afrikanischen Bildungsinstitutionen und die offenbar immer wieder
auftauchenden Schwierigkeiten bei der Realisierung der als modern und westlich angese-
henen Unterrichtsmethoden (z. B. der kommunikativen Didaktik oder des autonomen
Lernens) zugrunde, die auch immer wieder zur Problematisierung des „Methodenex-
ports“ und zur Forderung nach angepassten Unterrichtsformen geführt haben (vgl. u. a.
Gerighausen und Seel 1986). Dabei setzte sich im Zusammenhang mit dem interkulturel-
len Paradigma in den Fremdsprachenwissenschaften zunächst die Tendenz durch, diese
Schwierigkeiten auf unterschiedliche, insbesondere kulturell bedingte und in diesem Sinn
kulturspezifische Lehr- und Lerntraditionen eines Landes oder gar einer ganzen Region
zurückzuführen. Allerdings haben die Versuche, diesen Zusammenhang durch entspre-
chende empirische Daten zu belegen, bisher nicht zu entsprechenden Ergebnissen ge-
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1383
führt, vielmehr hat sich in letzter Zeit eher eine gewisse Ernüchterung in dieser Frage
ausgebreitet. So haben Barkowski und Eßer (2005) beispielsweise erneut auf die Schwie-
rigkeiten hingewiesen, den Faktor Kultur in diesem Kontext als eine Kategorie mit wis-
senschaftlicher Aussage- und Erklärungskraft operationalisieren zu können, und Guest
(2006) für den Kontext des Englischen und im Anschluss daran Boeckmann (z. B. 2007)
für Deutsch als Fremdsprache haben gezeigt, dass viele Arbeiten in diesem Bereich sich
unreflektiert auf teilweise fragwürdige Quellen berufen, deutlich unterkomplexe kultur-
theoretische Kategorien zugrunde legen und insgesamt Tendenzen der Dichotomisierung,
Stereotypisierung und Essentialisierung von Kulturen aufweisen. Hier sind zweifellos
noch erhebliche theoretische und empirische Anstrengungen erforderlich, um zu einiger-
maßen zuverlässigen und auch für didaktische Zwecke belastbaren Ergebnissen zu kom-
men.
Zu den eher traditionellen Fragen, mit denen sich die kulturwissenschaftliche Forschung
im Kontext Deutsch als Fremdsprache von jeher beschäftigt hat, gehört auch die nach
Einstellungen zum und stereotypischen Bildern und Vorstellungen vom Zielsprachen-
land. Dabei ist für den Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache allerdings die
literatur- oder medienwissenschaftlich orientierte imagologische Forschung, die nach
Deutschlandbildern in Literatur und/oder Medien anderer Länder fragt (vgl. dazu z. B.
Stierstorfer 2003), weniger relevant. Von weitaus größerer Bedeutung sind empirische
Ansätze, die nach dem Einfluss stereotypischer Bilder auf die fremdsprachlichen und
kulturbezogenen Lernprozesse (vgl. Art. 158) und nach Veränderungen solcher Bilder bei
Lernern des Deutschen als Fremdsprache, bedingt durch Aufenthalte im Zielsprachen-
land, durch mediale Einflüsse oder durch entsprechende Interventionen im Unterricht,
fragen.
Das Schlagwort interkulturell prägt seit den späten 1980er Jahren als Ausdruck eines
dominant gewordenen Lehr- und Forschungsparadigmas im kulturwissenschaftlich-lan-
deskundlichen Bereich nicht nur zahlreiche Auseinandersetzungen im Fach Deutsch als
Fremdsprache. Die Diskussionen reichen dabei einerseits von einem interkulturellen An-
satz in der Landeskundevermittlung über interkulturelle Kommunikation bis zur inter-
kulturellen Kompetenz und andererseits von der grundsätzlichen Frage, wie der Begriff
interkulturell präzise zu erfassen sei bis zur Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn
von Begriffen wie interkulturelles Lernen. Gelegentlich wird sogar das Konzept interkul-
turelle Kompetenz als grundsätzlich überflüssig angesehen, da es durch das Konzept der
sozialen Kompetenz bereits ausreichend abgedeckt sei, und es angesichts der Tatsache,
dass Kulturen keine in sich abgeschlossenen Entitäten darstellen, keineswegs möglich sei,
hier eine größere Präzision zu erlangen.
Gerade jedoch die letztliche Vagheit des Begriffs interkulturell und die Tatsache, dass
je nach wissenschaftlicher Disziplin die Begrifflichkeit enger oder weiter gefasst wird,
1384 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
wird die globale Verbreitung des Begriffs in einer Zeit der Globalisierung, in der weltwei-
ter Handel und Austausch zu einer umfassenden Grunderfahrung geworden sind, be-
günstigt haben. Mag die Kritik am Interkulturalitätskonzept auch noch so begründet
sein, so wird man dennoch davon ausgehen müssen, dass die Auseinandersetzung damit
noch auf längere Sicht sehr facettenreich und Fächer übergreifend stattfinden wird. Ins-
besondere die aktuelle Tendenz zur empirischen „Messung“ interkultureller Kompetenz
anhand von Stufenmodellen (vgl. die entsprechenden Beiträge in Schulz und Tschirner
2008) wird angesichts eines Bedarfs aus der Wirtschaft einerseits und andererseits dem
allgemeinen Trend zu Kompetenzbeschreibungen, der Festlegung von Bildungsstandards
und deren Evaluationen eine zunehmend größere Rolle spielen, auch wenn bisher weder
die Kriterienraster und Stufenbeschreibungen allgemein zu überzeugen vermögen, noch
Messinstrumente entwickelt wurden, die eine „Messung“ interkultureller Kompetenz
operationalisierbar erscheinen lassen ⫺ und sowieso noch weitgehend ungeklärt ist, wie
sich die Erfassung interkultureller Kompetenz mit didaktischen Ansprüchen im Fremd-
sprachenunterricht in Einklang bringen lässt.
Interkulturell wird jedenfalls ein wichtiges Schlagwort und der damit zusammenhän-
gende Gesamtkontext ein Forschungsfeld für das Fach Deutsch als Fremdsprache blei-
ben, bei dem es viele Berührungspunkte mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern
geben wird und geben muss.
In der Literaturdidaktik hat sich beispielsweise vor dem Hintergrund eines prozess-
haften, hybriden und diskursiven Kulturbegriffes eine die Philologien übergreifende Dis-
kussion um neue interkulturelle Ansätze oder auch Transkulturalität als kulturelles Phä-
nomen und didaktisches Konzept entwickelt (z. B. Hallet 2002), wobei der Sprachunter-
richt als Handlungsraum gestaltet werden soll, in dem die Lerner an kulturellen
Veränderungsprozessen diskursiv beteiligt werden.
Landeskundliche bzw. kulturbezogene Inhalte sind aus den Lehrwerken bzw. Lernmate-
rialien für Deutsch als Fremdsprache heute nicht mehr wegzudenken. Auch eher allge-
meinsprachliche Lehrwerke für den Anfänger- oder Fortgeschrittenenunterricht orientie-
ren sich mehr oder weniger deutlich an interkulturellen Zielsetzungen und fordern die
Lernenden gerne zu Vergleichen zwischen der deutschen Wirklichkeit und ihren „eigen-
kulturellen“ Erfahrungen auf. In jüngster Zeit sind in der Lehrwerkentwicklung im Be-
reich der Landeskunde vor allem drei Tendenzen erkennbar: Lehrwerke, die dem landes-
kundlichen DACH-L-Konzept verpflichtet sind und neben der Landeskunde Deutsch-
lands auch Österreich und die Schweiz gleichberechtigt einbeziehen (vgl. Nitzschke 1998;
Clalüna et al. 1998; Fischer et al. 1998; Matecki 2006; vgl. auch Art. 167), Lehrwerke für
die neuen Orientierungskurse des BAMF (vgl. Kaufmann et al. 2006; Kilimann et al.
2008; Gaidosch und Müller 2009) sowie Lehrwerke, die neuere kulturwissenschaftliche
Diskussionen etwa zur kulturellen Bedeutung von Erinnerung und Erinnerungsorten auf-
greifen und in konkrete Lernmaterialien umsetzen (vgl. Schmidt und Schmidt 2007).
Vergleichsweise ruhig geworden ist dagegen die Diskussion über das landeskundliche
Potenzial des Internet bzw. digitaler Medien, das noch in den 1990er Jahren allgemein
als sehr hoch eingeschätzt wurde; hier hat sich eine durchaus heilsame Ernüchterung
breit gemacht.
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1385
Die Erforschung kultureller Lernprozesse ist im Grunde genommen das größte Desiderat
in diesem Bereich des Fachs. Erst langsam hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die
Darstellung einzelner in der Regel gelungenerer Unterrichtsprojekte zwar didaktische
Anregungen zu geben vermag, aber keine gesicherten Erkenntnisse über den Lernprozess
und seinen Ertrag liefert. Klar ist dabei, dass eine derartige empirische Forschung im
Wesentlichen nur im Rahmen von Longitudinalstudien erfolgen kann und damit auf
Qualifikationsarbeiten und drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte ⫺ von denen es in
diesem Bereich des Fachs bisher kaum welche gab und gibt ⫺ begrenzt ist.
Kultur gilt im Kontext der Kulturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache als
ein Vorrat an vorgängigem, in Tradition und Sprache gespeichertem und überliefertem
Wissen (Deutungsmustern), das innerhalb sozialer Gruppen zirkuliert und auf das die
Individuen zum Zweck der deutenden Herstellung einer gemeinsamen Welt und Wirk-
lichkeit und einer gemeinsamen Handlungsorientierung zurückgreifen können und müs-
sen. Sie ist ein sprachlich-diskursives Phänomen, das sich nicht mittels empirisch-quanti-
tativer, sondern nur mittels rekonstruktiv-qualitativer Forschungsmethoden erschließt.
Die inhaltliche Erforschung der Kultur der deutschsprachigen Länder sollte sich daher
auch nicht als eine Forschungsrichtung konstituieren, die es mit beobachtbaren und em-
1386 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
pirisch beschreib- und messbaren Verhaltensweisen zu tun hat, sondern als eine Wissen-
schaft, die es mit zeichenhaften Sinnzuschreibungsprozessen, also mit Kommunikation,
Sprache, Texten, kurz: mit Diskursen zu tun hat. Als eine auf Diskurse im Sinne der
geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskursforschung bezogene Forschungsrichtung
aber kann sich die Kulturwissenschaft an hochgradig innovative und im besten Sinne
transdisziplinäre methodische Entwicklungen anschließen, wie sie derzeit zwischen Lin-
guistik, Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaften stattfin-
den und die auf die Erarbeitung verschiedener und jeweils disziplinspezifischer, aber auch
disziplinenübergreifender diskursanalytischer Forschungsmethoden hinauslaufen. Dabei
ist allen derzeit vorliegenden Konzepten und Forschungsansätzen dieser Richtung die
Grundannahme gemeinsam, dass sich die gesellschaftliche und geschichtliche Realität
nicht unmittelbar, sondern nur über die Analyse und Rekonstruktion von diskursiven
Deutungsprozessen erschließt (vgl. u. a. Keller 2005).
Die Aufgabe diskursanalytischer Forschung besteht vorrangig darin, thematisch defi-
nierte deutschsprachige Diskurse daraufhin zu untersuchen, von welchen kulturellen
Deutungsmustern sie Gebrauch machen, wie diese Muster im betreffenden Diskurs re-
präsentiert sind und wie sie verwendet werden. Die übergeordnete Zielsetzung besteht
dabei darin, durch diskursanalytische Forschung die ja in aller Regel in alltäglicher und
medialer Kommunikation implizit bleibenden, als allgemein und selbstverständlich be-
kannt vorausgesetzten kulturellen Deutungsmuster in einem rekonstruktiven Zugang
sichtbar und damit letztlich auch erlernbar zu machen. Dabei kann die kulturwissen-
schaftliche Forschung an die teilweise recht elaborierten methodischen Konzepte anderer
Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft, der Linguistik oder der Soziologie anknüp-
fen und viele weiterführende Anregungen von daher beziehen, sie muss sich aber darüber
hinaus auch und vor allem als spezifisch kulturwissenschaftliche Diskursanalyse begrei-
fen, für die insbesondere die Frage nach der diskurskonstituierenden Rolle bzw. der Prä-
senz kultureller Deutungsmuster in Diskursen im Vordergrund steht. Methodische Mo-
delle liegen dafür bislang erst in Ansätzen vor (vgl. Altmayer 2007; Maringer 2009) und
bedürfen noch der genaueren Ausarbeitung und Verfeinerung.
Über den im engeren Sinne inhaltlichen Kontext der Kulturforschung im Fach
Deutsch als Fremdsprache hinaus sind diskursanalytische Methoden in der letzten Zeit
auch für die Analyse von Lehrwerken und Lernmaterialien bedeutsam geworden. Hinter-
grund ist dabei die in der Schulbuchforschung entstandene thematische Diskursanalyse,
die Lehrwerke und Lernmaterialien in einen größeren thematischen Diskurszusammen-
hang eingebettet sieht und nach den gesellschaftlichen Wissensordnungen fragt, die in
Lehrwerke eingehen und mit ihnen hervorgebracht und distribuiert werden (vgl. Höhne
2004; Ucharim 2009).
allerdings einerseits, dass wer nach Stereotypen fragt (und das trifft angesichts des Er-
kenntnisinteresses auf einen Großteil der Fragen zu), auch Stereotypen als Antwort er-
hält. Andererseits hat bereits Picht (1980: 122) darauf hingewiesen, dass eine derartige
Befragung die Form des Urteils bereits vorstrukturiere, indem sie die Verallgemeinerung
von Eigenschaften auf ganze Nationen bereits als möglich voraussetze.
Über den Prozess der Aneignung von Kenntnissen oder sogar der Veränderung von
Einstellungen lassen sich mit einem quantitativ angelegten Untersuchungsdesign kaum
wesentliche Erkenntnisse gewinnen; allenfalls indirekt, wenn wie in dieser Studie zusätzli-
che Parameter wie die Befragung der Lehrkräfte, Lehrwerkanalyse und eine Analyse der
Medienberichterstattung, also qualitative Untersuchungsmethoden, hinzugezogen wer-
den. Auch wenn wie in diesem Fall eine quantitativ ausgerichtete Studie durchaus zu
interessanten Ergebnissen kommt wie die wenn auch nur geringfügige Veränderung von
Werturteilen nach einem Jahr Deutschunterricht, so bleibt festzuhalten, dass ein aus-
schließlich quantitativ angelegter Untersuchungsansatz in diesem Zusammenhang kaum
geeignet scheint, der wichtigen Frage nach den kulturellen Lernprozessen Antworten zu
liefern, was allerdings auch nicht das Erkenntnisinteresse des Verfassers war. Der Einsatz
quantitativer Erhebungsverfahren ⫺ und hier gibt es in der Ausbildung in den DaF-/
DaZ-Studiengängen noch einen erheblichen Nachholbedarf an solider Schulung in statis-
tischen Verfahren ⫺ scheint in diesem Kontext eher sinnvoll zur Überprüfung bereits
anderweitig entwickelter begründeter Hypothesen, wofür sich qualitative Untersuchun-
gen anbieten.
5. Ausblick
Wenn es, wie es sich andeutet, gelingt, verstärkt solide empirische Forschungsarbeiten ⫺
und da solche mit einem qualitativen Ansatz gefolgt von eher quantitativ ausgerichteten
Studien ⫺ vorzulegen, und es zudem dabei gelingt, am Diskurs in den Kulturwissenschaf-
ten zu partizipieren, dürfte die kulturwissenschaftliche Komponente des Fachs Deutsch
als Fremdsprache in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen als bisher.
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155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1391
1. Einleitung
Um den Begriff des Fremdverstehens im Kontext des Sprachenlehrens- und -lernens ist
es in den letzten Jahren ruhig geworden. Vielmehr haben sich seit Erscheinen des Ge-
meinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und in Deutschland den Bil-
dungsstandards für die erste Fremdsprache durchaus auch im Bereich Deutsch als
Fremdsprache andere Themen in den Vordergrund geschoben: Kompetenz- und Output-
orientierung, Niveaustufen, Testbarkeit, Standards (vgl. für Deutsch als Fremdsprache
z. B. Glaboniat et al. 2005). Aktuell spricht man somit eher von interkulturellen Kompe-
tenzen als von Fremdverstehen. In diesem komplexen Bereich der interkulturellen Kom-
petenz spielt aber durchaus auch das Verstehen bzw. das Fremdverstehen eine Rolle ⫺
allerdings hat sich der Fokus der Betrachtung seit Anfang der 1990er Jahre verschoben:
Ging es damals in erster Linie um eine differenzierte, gerade auch theoretische Ausleuch-
1392 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Verstehen wird also hier nicht als ein lediglich „regelgeleitetes Dekodieren“ (Bredella und
Christ 1995: 10) aufgefasst, sondern als ein kreativer Akt, der zu Identitätsveränderungen
führen kann. In dieser Enttrivialisierung fremdsprachlichen Lernens liegt aus meiner
Sicht ⫺ neben den differenzierten Arbeiten zum Verstehensprozess selbst ⫺ der Haupt-
verdienst dieser Forschergruppe.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1393
Im Folgenden gehe ich auf einige Konzepte ein, die für die Entwicklung des Fremd-
verstehenskonzept Anfang der 1990er Jahre von besonderer Bedeutung waren (zur Wei-
terentwicklung dieser Konzepte vgl. Abschnitt 4).
2.1. Fremdheit
Der Kategorie der Fremdheit wurde von Beginn an eine zentrale Bedeutung zugeschrie-
ben. Fremdheit, so Bredella und Christ, manifestiere sich in dreifacher Weise für die
Lernenden: Sie lernen eine fremde Sprache, die fremde Sprache ist Teil und Ausdruck
einer fremden Kultur, und sie begegnen Personen, die ihnen als Angehörige einer anderen
Kultur und einer anderen Sprachgemeinschaft fremd sind (Bredella und Christ 1995: 11).
Das Fremde wurde dabei nicht als ein objektiver Tatbestand, sondern als eine relationale
Kategorie des Bewusstseins aufgefasst. Auf jeden Fall erfährt die Fremdartigkeit im Hin-
blick auf Sprache, Kultur und Repräsentanten dieser Kultur eine herausragende Bedeu-
tung für die Begründung des Fremdverstehenskonzepts.
2.2. Verstehen
Bereits in der grundlegenden Publikation zur Didaktik des Fremdverstehens, auf die ich
mich hier beziehe (Bredella und Christ 1995), wird das Kernproblem benannt, das im
Laufe der Jahre immer wieder bearbeitet, diskutiert und verfeinert wurde (vgl. z. B. die
Ausführungen in Bredella, Christ und Legutke 1997: 11⫺33): Wie kann man Fremdes
verstehen, ohne dass man es auf das Eigene reduziere? Inwieweit ist Verstehen an das
Vorverständnis des Verstehenden gebunden und somit nicht in der Lage, voraussetzungs-
los den Anderen in seiner Andersheit zu verstehen? Inwieweit ist Verstehen gar lediglich
ein Akt der Projektion und verstärkt ethnozentrische Sichtweisen, anstatt sie zu überwin-
den? (vgl. Bredella 1994: 21⫺23; für eine sehr grundlegende Diskussion dieser Thematik
aus hermeneutisch-philosophischer Perspektive vgl. Kögler 1992). Während andere Ver-
stehen als zentrales didaktisches Konzept in Frage stellten (vgl. z. B. Hunfeld 1993),
wurde insbesondere von Bredella bis in die jüngste Zeit hinein ein Konzept von Verstehen
vertreten, das über eine solche Vereinnahmung hinausgeht und Fremdverstehen im Sinne
eines Wechselspiels zwischen Innen- und Außenperspektive als „dynamischen unab-
schließbaren Bildungsprozess mit Rückwirkung auf das eigene Selbst- und Weltverständ-
nis“ (Bredella 2007: 11) konzipiert.
2.3. Perspektivwechsel
Eine Grundannahme war, dass der Verstehensprozess zwischen zwei Perspektiven oszil-
liert, einer angenommenen „Innenperspektive“ und einer „Außenperspektive“. Mit In-
nenperspektive, so Bredella und Christ (1995: 16), war gemeint, dass eine fremde Kultur
von innen heraus verstanden werden soll, d. h., es wird versucht, die fremde Kultur mit
den Augen der Mitglieder dieser Kultur zu sehen. Dies bedeute, die eigenen Werte, Nor-
men und Verhaltensweisen temporär zu suspendieren und quasi in die fremde Kultur
1394 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
„einzutauchen“ (vgl. dazu auch Bechtel 2009: 142). Eine Außenperspektive einzunehmen
hingegen bedeutete, dass die fremde Kultur immer auch mit den eigenen Augen, basie-
rend auf dem jeweiligen unhintergehbaren Vorverständnis, verstanden wird. Dies impli-
ziere, dass man sich der anderen Kultur nicht vorbehaltlos anpasst, sondern die Phäno-
mene aus einer kritisch distanzierten Haltung zu deuten lernt. Das Wechselspiel und
Ineinandergreifen dieser Perspektiven machen nach Bredella und Christ ein produktives
Fremdverstehen aus, das gekennzeichnet ist von Empathie, aber eben auch von kriti-
scher Reflexion.
In seinem Beitrag von 2007 differenziert Bredella die Idee der Außenperspektive noch
weiter aus: Er unterscheidet hier zwischen Außenperspektive I und II: Außenperspektive
I bezieht sich auf das Begreifen fremdkultureller Phänomene auf der Basis des eigenen
Vorverständnisses. Die Außenperspektive II komme dann dadurch zustande, dass Au-
ßenperspektive I durch den Versuch der Einnahme der Innenperspektive modifiziert
wird:
Dabei (bei der Einnahme von Außenperspektive I, AH) erfahren wir jedoch, dass
wir lernen müssen, unsere Vorstellungen und Auffassungen einzuklammern und
eine Innenperspektive zu entwickeln, um das Fremde in seiner Verschiedenheit
vom Eigenen in den Blick zu bekommen. Auf diese Weise lernen wir, dass die
fremde Sprache und die fremde Kultur nicht nur verzerrte Formen unserer eigenen
Sprache und Kultur darstellen, sondern ihrer jeweiligen eigenen Logik folgen. Aber
damit sind unsere Vorstellungen und Auffassungen nicht verschwunden, sondern
kommen auf einer reflektierten Stufe wieder ins Spiel, die nun auch die Auffassun-
gen und Sichtweisen des Anderen umgreift, die ich als Außenperspektive II be-
zeichnen will. (Bredella 2007: 24)
Wird diese Außenperspektive II eingenommen, bedeutet dies, dass nicht nur eine Anglei-
chung an das eigene Vorverständnis geschehen ist, sondern ein Drittes entstehen kann,
das über Fremdes und Eigenes hinausgeht. Die Idee der Außenperspektive II bringt zum
Ausdruck, dass der Verstehensprozess immer von dem eigenen Bezugspunkt ausgeht,
auch bei der Einnahme der Innenperspektive, dass aber dadurch eine Horizonterweite-
rung bzw. ein Drittes entstehen kann.
In den verschiedenen Arbeiten zum Fremdverstehen spielte auch immer der Aspekt der
Verständigung eine zentrale Rolle. Einerseits ist Verständigung eng mit dem Verstehens-
konzept verbunden, andererseits stehen die beiden Konzepte in einem deutlichen Span-
nungsverhältnis zueinander (Bredella, Christ und Legutke 1997: 17): Verstehen schließt
keineswegs automatisch Verständigung mit ein, und Verstehensprozesse implizieren oft
auch explizit ein Nicht-Einverstandensein.
Verstehen und Verständigung stehen in direktem Zusammenhang mit der oben darge-
stellten Innenperspektive und den Außenperspektiven. Verstehen komme, so Bredella,
durch das Einnehmen der Innenperspektive zustande, während Verständigung die Ver-
mittlung zwischen Innen- und Außenperspektive darstelle.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1395
Ich muss zunächst eine Innenperspektive einnehmen: Ich muss verstehen, was der
Andere meint, ohne gleich die Frage zu beantworten, ob das, was er meint, auch
wahr ist und ob ich es für mich übernehmen kann. Um Naturreligionen zu verste-
hen, muss ich sie von innen verstehen, ohne die Frage zu stellen, ob ich mich zu
ihnen bekenne. Das Verstehen des Fremden hat somit seine Berechtigung, wenn
man das Fremde in seiner Andersheit wahrnehmen will. (Bredella 2002: 148)
Was ist nun für das Lernen von Sprachen das wichtigere Ziel? In Bredella und Christ
(1995: 15) wird Verstehen als für den Fremdsprachenunterricht wichtigeres Ziel benannt;
allerdings ermögliche Fremdverstehen oft auch Verständigung, und stellt somit eine
Voraussetzung dafür dar. In Bredella (2002) wird jedoch nicht nur Verstehen im Sinne
des Einnehmens der Innenperspektive als wichtiges Ziel von Fremdverstehen im Unter-
richt dargestellt, sondern explizit auch das Einnehmen der Außenperspektive, und zwar
mit dem ausdrücklichen Anspruch auf Verständigung.
3. Weiterührende Fragestellungen
Neben der theoretischen Ausdifferenzierung des Konzepts Fremdverstehen und der Bear-
beitung der Einwände gegen dieses Konzept, insbesondere dem Vorwurf der Projektion
eigener Vorstellungen auf Andersartigkeit und der Durchsetzung eigener Interessen
durch den Verstehensprozess, kristallisierten sich auch schon während der 1990er Jahre
andere Themen heraus, die mit dem Fremdverstehenskonzept indirekt in Zusammenhang
stehen. Beispiele sind die Konzeptualisierung von Kultur bzw. Fremdkultur im Kontext
interkulturellen Verstehens sowie die Frage nach der Angemessenheit der Dichotomie
des Eigenen und Fremden für Sprachlernprozesse in kulturell und sprachlich heterogenen
Gesellschaften.
Neben dem Konzept Fremdverstehen wurde und wird auch aktuell das Konzept des
Interkulturellen Verstehens verwendet, so z. B. von Bredella (2002). Damit steht nicht nur
die Kategorie der Fremdheit zur Debatte, sondern ebenfalls die Kategorie der Kultur
sowie der Interkulturalität. Vor allem Anfang der 1990er Jahre wurde im Kontext des
Giessener Kollegs Kultur in erster Linie als Fremdkultur verstanden und zunächst wenig
im Hinblick auf epistemologische Fragen problematisiert (im Mittelpunkt stand die Ar-
beit am Verstehenskonzept). Hingegen wurde in der Kulturtheorie und den Kulturwis-
senschaften das Konzept bereits damals intensiv bearbeitet und reflektiert. Ich kann hier
zu dieser komplexen Thematik nur einige kurze Anmerkungen machen (vgl. für ausführ-
lichere Darstellungen Hu 1995, 1999, 2003: 52⫺78). Seit den 1990er Jahren ist in den
Kulturwissenschaften sowie verwandten Disziplinen eine Dekonstruktion essentialisti-
scher Kulturkonzepte zu beobachten (vgl. auch Risager 2009). Es herrscht weitgehend
Konsens darüber, dass Kulturen nicht unabhängig von der Perspektive der Betrachter
existieren. Auch die lange Zeit herrschende Vorstellung von Kulturen als kohärenten und
voneinander abgrenzbaren Entitäten mit jeweils kulturspezifischen Charakteristika, die
1396 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
in Alltagstheorien auch durchaus immer noch lebendig ist, gilt weitgehend als obsolet.
Vertreten wird dagegen ein diskursiv-reflexives Konzept von Kultur, das als Vermögen
zur Bedeutungsstiftung angesehen wird: „Kultur erscheint als ein Prozess fortschreiten-
der reflexiver Semantisierung, durch welche ununterbrochen Sinnressourcen geschaffen
und distribuiert, aber auch subvertiert und zerstört werden“ (Böhme 2000). Kultur und
Sprache sind somit untrennbar. Bei Göller wird dies auch explizit auf das Phänomen der
interkulturellen Kommunikation bezogen:
Gleichzeitig wird neben diesem epistemologischen Wechsel der Blickrichtung der Akzent
nicht mehr auf den kollektiven Konsens gelegt, sondern vielmehr stehen Differenzen,
Widerstreit, Synkretismus und Hybridität sowie idiosynkratische Deutungsmuster und
Verarbeitungen im Mittelpunkt. Kultur wird nicht mehr als „integrativer Kitt“ der Ge-
sellschaft (Hörning und Winter 1999: 8) gesehen, sondern im Gegenteil ist nun die Ent-
larvung von kultureller Homogenität als Inszenierung Ziel der reflexiv-kritischen Arbeit
(zur gewandelten Metaphorik in der Beschreibung kultureller Phänomene vgl. auch Hu
2005). Schließlich hat auch die Kategorie der Macht für kulturelle Zusammenhänge an
großer Bedeutung gewonnen. Bei Wägenbaur (1995: 23) z. B. werden insbesondere objek-
tivierende und essentialisierende Kulturkonzepte „als metaphorisch-metonymische Vehi-
kel zur Durchsetzung von Machtinteressen“ bezeichnet.
Dieser neue Blick auf das Kulturkonzept hat auch Konsequenzen für die Rede von
interkulturellem Verstehen und interkultureller Kommunikation bzw. stellt eine Heraus-
forderung für traditionelle Sichtweisen dar, die gerade in der Fremdsprachendidaktik
wenig hinterfragt weiterzuleben scheinen (vgl. Risager 1998). Die Kategorie der Herkunft
rückt nun in den Hintergrund zugunsten des in der Interaktion stattfindenden Diskurses:
Interkulturelle Kommunikation, in der interkulturelle Verstehensprozesse angebahnt
werden können, findet dann statt, wenn sich GesprächspartnerInnen über kulturelle Ent-
würfe, Abgrenzungen, Werte oder Normen austauschen, streiten oder wenn sie sich selbst
innerhalb dieser Entwürfe verorten. Interkulturelle Kommunikation in diesem Sinne
kann also durchaus auch zwischen SprecherInnen derselben Sprache oder desselben Lan-
des stattfinden. Die Möglichkeit, dass Menschen, die in verschiedenen und weit vonei-
nander entfernten Regionen der Welt leben und sich in unterschiedlichen Sprachen zu
Hause fühlen, eher und intensiver auf im oben genannten Sinne kulturelle Themen zu
sprechen kommen, ist dabei durchaus nachvollziehbar, keineswegs aber selbstverständ-
lich (vgl. Hu 1999: 297⫺298).
Für die Didaktik des Fremdverstehens bzw. interkulturellen Verstehens stellten diese
kulturtheoretischen Entwicklungen durchaus eine Herausforderung dar. Die Frage der
Interkulturalität wie auch das Konzept der Fremdkultur wurden dadurch ihrer Selbstver-
ständlichkeit enthoben und erfuhren im Laufe der Zeit zusehends mehr Aufmerksamkeit.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1397
3.2. Zur Dichotomie des Eigenen und Fremden: die Geahr der
Überbetonung von Fremdheit
Obwohl ⫺ wie oben erwähnt ⫺ das Konzept des Fremdverstehens aus Gründen der
Vereinnahmung des Fremden immer wieder in Frage gestellt wurde, wurde die Kategorie
der Fremdheit auch von diesen Kritikern nicht in Frage gestellt. Fremdheit blieb eine
zentrale Kategorie, die sogar noch mehr an Gewicht hinzugewann, als nun das Fremde
als nicht verstehbar fremd belassen werden sollte und als ein Wert hervorgehoben wurde
(Hunfeld 1993). Von anderen wurde aber Fremdverstehen aus anderen Gründen kriti-
siert, nämlich im Hinblick auf eine Überbetonung des Fremden. Dies geschah insofern
indirekt, als sich die Kritik auf die Dichotomie „eigen“ vs. „fremd“ bezog, das Konzept
„Fremdverstehen“ aber genau diese Dichotomie mit beinhaltet bzw. voraussetzt. Die
Polarisierung zwischen Fremdem und Eigenem wurde als künstliche Dichotomie in Frage
gestellt; es wurde gefragt, ob andere Menschen nicht dadurch erst fremd gemacht, Ge-
meinsamkeiten ausgeblendet, Menschen mit ihren komplexen Persönlichkeiten durch Be-
tonung ihrer ethnischen Fremdheit um entscheidende Facetten verkürzt gesehen werden
(vgl. z. B. Hamburger 1990; Zimmermann 1989). Auch die Forschungen von Seiten der
Psychoanalyse, insbesondere Julia Kristevas Buch „Fremde sind wir uns selbst“ (Kristeva
1990) sowie die erkenntnistheoretischen Reflexionen in den Sozialwissenschaften und
der Philosophie stellten die Polarisierung zwischen „eigen“ und „fremd“ in Frage (z. B.
Waldenfels 1990, 1997). Gerade für die Fremdsprachendidaktik musste kritisch gefragt
werden, inwiefern es tatsächlich sinnvoll ist, das Konzept „Fremdverstehen“ zu einer
leitenden sprachendidaktischen Kategorie zu erheben. Angesichts meiner eigenen empiri-
schen Studien (Hu 1996, 2003), in denen kulturelle Heterogenität eine wichtige Rolle
spielte, habe auch ich die Frage gestellt, inwieweit durch eine starke Betonung der
Fremdheit bei Sprachlern- und -lehrprozessen die Gefahr besteht, im Hinblick auf kon-
krete, in der Lebenspraxis sich vollziehende Verstehensprozesse im Vorhinein die Katego-
rie des Fremden zu betonen, obwohl sie von den betroffenen Personen möglicherweise
nicht als zentrales Moment ihres Diskurses angesehen wird (vgl. Hu 1997: 37). Fremdver-
stehen sollte von daher keine normative didaktische Kategorie darstellen, die jegliche
Verstehensprozesse von Lernenden unter der Perspektive der Fremdheit betrachtet. Ob
die Lernenden in einer konkreten Situation jemand anderes als fremd empfinden, ist im
Allgemeinen nicht im Voraus zu bestimmen.
Das Konzept des Fremdverstehens selbst hat sich allerdings weniger durchgesetzt ⫺ viel
häufiger ist dagegen die Rede von Interkulturellem Lernen oder aktuell von Interkultu-
reller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht. Kennzeichnend ist der Titel des von Lo-
thar Bredella und Herbert Christ im Jahr 2007 herausgegebenen Sammelbandes „Fremd-
verstehen und Interkulturelle Kompetenz“ ⫺ denn das Konzept der Interkulturellen
Kompetenz ist es, das zurzeit eine zentrale Rolle in den Curricula, aber auch in der
theoretischen und empirischen Arbeit spielt. Fremdverstehen oder interkulturelles Verste-
hen ist dabei ein Teil dieses wesentlich weiteren und durchaus auch erklärungsbedürftigen
Konzepts der interkulturellen Kompetenz (vgl. Rathje 2006; Fleming 2009; Risager
2009). So taucht z. B. in dem Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz von
Michael Byram (1997) savoir comprendre als ein Teilbereich interkultureller Kompetenz
auf, und in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache werden in dem Bereich
der Interkulturellen Kompetenzen u. a. folgende Ziele formuliert, die deutliche Bezüge
(wenngleich hier sehr plakativ und wenig problembewusst) zur Didaktik des Fremdver-
stehens aufweisen: Die SchülerInnen
⫺ können sich in Bezug auf die Befindlichkeiten und Denkweisen in den fremdkulturel-
len Partner hineinversetzen,
⫺ kennen gängige Sicht- und Wahrnehmungsweisen, Vorurteile und Stereotype des eige-
nen und des fremdkulturellen Landes und setzen sich mit ihnen auseinander,
⫺ können kulturelle Differenzen, Missverständnisse und Konfliktsituationen bewusst
wahrnehmen, sich darüber verständigen und gegebenenfalls gemeinsam handeln.
(KMK 2003: 18)
Die aktuelle Situation ist dabei durch folgende Besonderheit gekennzeichnet: Obwohl
Interkulturelle Kompetenz aktuell als Schlüsselqualifikation hervorgehoben wird, er-
scheint paradoxerweise die Entwicklung und Förderung gerade dieser Domäne sprach-
lich-kulturellen Lernens in einem standard- und kompetenzorientierten Unterricht inso-
fern bedroht, als sie zu den wenig operationalisierten und schwer ⫺ möglicherweise zum
Teil gar nicht ⫺ messbaren Bereichen gehört. Vorstellbar sind nun zwei Szenarien: Ent-
weder hofft man darauf, dass neben den leichter testbaren Kompetenzen wie z. B. dem
informationsentnehmenden Lese- oder Hörverstehen genügend Freiräume für interkultu-
relle, reflexive, ethische und ästhetische Aspekte sprachlichen Lernens bleiben, so dass
diese noch einen ihnen gebührenden Raum behaupten können ⫺ auch wenn sie sich
nicht der Philosophie der Niveaustufung und Outputorientierung unterwerfen. Die an-
dere Option besteht darin, auch die schwer messbaren Kompetenzen so weit zu operatio-
nalisieren, zu stufen und durch Aufgaben zu normieren, dass sie ⫺ zumindest in einem
gewissen Maße ⫺ evaluierbar werden. Wolfgang Zydatiß fordert dies eindringlich, da er
sonst diese Lernbereiche in großer Gefahr sieht, denn
es stellt sich der Fremdsprachendidaktik in ihrer Gesamtheit die Frage, ob sie sich
diesem ergebnisorientierten Denken (⫽ outcome matters) ⫺ zumindest in Teilbe-
reichen (z. B. in der Literaturdidaktik oder der Inhaltsdimension des interkulturel-
len Lernens) ⫺ grundsätzlich verweigert, oder ob sie sich im ureigenen Interesse
(z. B. um nicht gänzlich aus dem Curriculum hinauskatapultiert zu werden) in
diesen Prozess aktiv einbindet. (…) Wenn die Literaturdidaktik und die Didaktik
des interkulturellen Lernens ihre Ziele im Fremdsprachenunterricht verankern
wollen, dann müssen sie aktiv an der Konzeption und Validierung von Überprü-
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1399
Angesichts dieser Situation sind in der aktuellen Forschung andere Aspekte in den Mit-
telpunkt gerückt: Zum einen die Frage der empirischen Erforschung kultureller Lernpro-
zesse und zum anderen die Frage der Evaluation interkultureller Kompetenzen (vgl. Hu
2009). In einem interdisziplinär angelegten und länderübergreifenden Band (Hu und By-
ram 2009) ist der aktuelle Forschungsstand zu diesen Entwicklungen niedergelegt. Zent-
rale Gesichtspunkte der aktuellen Forschungen sind z. B. die kritische Sichtung von theo-
retischen Modellierungen von Interkultureller Kompetenz und ihrer Entwicklung, die
empirische Rekonstruktion von kulturellen Lernprozessen, die Verzahnung fremdspra-
chenerwerbstheoretischer und entwicklungspsychologischer Forschungen zu kulturellen
Lernprozessen bei Kindern und Jugendlichen sowie die Möglichkeiten der Evaluation
und psychometrischen Messung von Interkultureller Kompetenz.
Für die aktuelle Situation, die sich durch den Trend zur Kompetenzorientierung stär-
ker mit der empirischen Rekonstruktion kultureller Lernprozesse befasst und vor allem
auch mit deren Evaluation und Messbarkeit, stellt die Ausschärfung des Verstehenskon-
zepts, so wie sie in den 1990er Jahren vorangetrieben wurde, eine nach wie vor wertvolle
Basis dar. Verstanden als explizit unabschließbarer fragiler Bildungsprozess mahnt das
Konzept des Fremdverstehens gerade in der heutigen Diskussion an, nicht allzu simplifi-
zierend Festschreibungen interkultureller Kompetenzstufen vorzunehmen.
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1402 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
hohn schon Mitte des 20. Jahrhunderts ausgemacht haben wollten (vgl. Kroeber und
Kluckhohn 1952); eine gründliche, der ganzen Komplexität des Begriffs und zugleich
dem Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung und der kulturtheoretischen Diskus-
sion gerecht werdende Auseinandersetzung, die sich um eine Einengung und Nutzbarma-
chung des Begriffs für die spezifischen wissenschaftlichen und praktischen Belange des
Faches ernsthaft bemühen würde, ist aber immer noch die eher seltene Ausnahme (vgl.
z. B. Barkowski 2001; Altmayer 1997). Vielmehr herrscht immer noch ein naiver, d. h.
nicht weiter begründeter oder theoretisch hergeleiteter Gebrauch vor, der in aller Regel
Kultur im Sinne eines auf Nationen oder ethnisch definierte Gruppen bezogenes und als
nach innen homogen, nach außen different gedachtes Orientierungssystem versteht, das
das Verhalten der einer Gruppe zugehörigen Individuen weitgehend determiniert. Im
besten Fall stützt man sich bei der Verwendung dieses Begriffsverständnisses auf ein-
schlägige Definitionen, wie sie beispielsweise der Psychologe Alexander Thomas oder der
Kulturanthropologe Geert Hofstede vorgelegt haben (vgl. z. B. Thomas 1993: 380; Hof-
stede 2001: 9). Erst in jüngster Zeit deutet sich ein größeres Problembewusstsein in dieser
Frage an, das sich in dem Bemühen äußert, unterschiedliche begriffsgeschichtliche Tradi-
tionen und kulturtheoretische Ansätze in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Aller-
dings ist auch hier bislang die Tendenz vorherrschend, möglichst die ganze Breite der
Begriffsbedeutung trotz ihrer offenkundigen Inkomplementaritäten für die insbesondere
praktischen Belange des Faches nutzbar zu machen (vgl. Biechele und Padrós 2003: 21,
40; Skiba 2007; Eßer 2006: 3⫺7).
Im Folgenden soll daher versucht werden, die verschiedenen Bedeutungsvarianten
von Kultur, ausgehend von der etymologischen und begriffsgeschichtlichen Entwicklung
und auf der Basis vorhandener Typologien (vgl. Busche 2000; Reckwitz 2000: 64⫺90),
zunächst in aller Deutlichkeit als verschieden herauszuarbeiten und jeweils auf ihre Ver-
wendbarkeit für den Kontext des Faches DaF/DaZ zu prüfen. Dabei sind mit diesem
Kontext vor allem die wissenschaftlichen und erst in zweiter Linie die praktischen Inte-
ressen und Aufgabenstellungen unseres Faches angesprochen.
Etymologisch geht Kultur auf lat. colere (,pflegen‘, ,anbauen‘) zurück, ein Wort, das
ursprünglich aus dem landwirtschaftlichen Kontext kommt und sowohl den Prozess als
auch das Ergebnis der Pflege und der Bebauung der Felder meint. Von hier aus wurde
der Ausdruck bereits in der lateinischen Antike vom landwirtschaftlichen auf den
menschlichen Bereich übertragen und konnte dort dreierlei bedeuten: Erstens die Sorge
des Menschen um sich selbst, die Pflege seines äußeren Erscheinungsbildes, aber auch
seines Charakters; zweitens die Pflege von Tugenden, Wissenschaft und geistigen Anlagen
(cultura animi); drittens die Pflege des religiösen Brauchtums und die Verehrung der
Götter (vgl. Fisch 1992: 684⫺685). Alle drei Bedeutungsvarianten finden wir auch im
heutigen Sprachgebrauch noch wieder, etwa wenn wir davon sprechen, jemand sei kulti-
viert oder unkultiviert oder auch in Ausdrücken wie Kulturbeutel oder Kult.
1404 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Die eigentliche Karriere des spezifisch neuzeitlichen Begriffs Kultur (und seines inhaltlich
zunächst weitgehend bedeutungsgleichen Parallelbegriffs Zivilisation) ist aber eng mit
dem Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung in Europa und mit der Kolonisierung
der außereuropäischen Welt seit dem 17. Jahrhundert verbunden. Der während des Mit-
telalters weitgehend vergessene antike Begriff wird aufgegriffen und erlebt zunächst eine
beispiellose Ausweitung auf nahezu sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens. Ange-
legt ist dies bereits bei dem deutschen Naturrechtslehrer Samuel Pufendorf, bei dem
Kultur erstmals absolut, d. h. ohne ein Genitivattribut gebraucht wird, das angibt, was
Gegenstand der Pflege und Kultivierung ist. Kultur gilt hier ganz allgemein als Gegensatz
zum vorgesellschaftlichen Naturzustand des Kampfes aller gegen alle, aus dem sich der
Mensch durch eigene Anstrengung, nämlich durch Bearbeitung der ihn umgebenden wie
der eigenen Natur, herausarbeiten muss. Das bei Pufendorf angelegte Potenzial des Be-
griffs kommt aber erst dadurch zur Entfaltung, dass im Lauf des 18. Jahrhunderts der
dem Begriff ursprünglich inhärente Gedanke der Pflege und Bearbeitung natürlicher An-
lagen vom Individuum auf Gesellschaften, Nationen, ja die ganze Menschheit übertragen
wird. Im Kontext der aufklärerischen Geschichtsphilosophie gewinnt der Begriff nun
zusätzlich eine zeitliche Dimension, er bezeichnet den Prozess der fortschreitenden Ent-
wicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Menschen zum immer Besseren, und er
bezeichnet darüber hinaus auch die Resultate bzw. Zwischenetappen dieses Prozesses
selbst. In diesem sehr weiten Sinn brachte der Begriff Kultur (und vielleicht stärker noch
der Parallelbegriff Zivilisation) das Bewusstsein und den Anspruch der europäischen Ge-
sellschaften zum Ausdruck, dem als wild, kulturlos oder unzivilisiert geltenden Rest der
Welt überlegen zu sein, und wurde für lange Zeit zum wichtigen Legitimationsmuster für
die Kolonisierung, Ausbeutung und Versklavung eben dieser außereuropäischen Welt.
Die begriffsgeschichtlichen Belege aus den wichtigen europäischen Sprachen zeigen, dass
entgegen früheren Annahmen (vgl. z. B. Elias 1976, Bd. 1: 3⫺6) die Ausdrücke Kultur
und Zivilisation zwar auf sehr unterschiedliche wortgeschichtliche Ursprünge zurückge-
hen, aber in den Diskursen der europäischen Aufklärung weitgehend bedeutungsgleich
verwendet wurden (vgl. Fisch 1992: 681⫺682). Dies ändert sich erst zu Beginn des
19. Jahrhunderts zunächst insbesondere im deutschen Sprachraum, wo die eher äußeren,
auf das gesellschaftliche Leben bezogenen Aspekte des bisherigen gemeinsamen Bedeu-
tungsumfangs der Zivilisation, die inneren, auf die geistige Bildung und Entwicklung des
Individuums bezogenen Aspekte hingegen der Kultur zugesprochen werden. Zugleich
wird Zivilisation als äußerlich gegenüber der Kultur abgewertet und zur bloßen Vorstufe
der Kultur in der menschlichen Entwicklung herabgesetzt. Am Ende des 19. und zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Kontext des Ersten Weltkriegs, werden diese
unterschiedlichen Entwicklungsstufen gar zu einem scharfen Gegensatz umgedeutet und
mit nationaler Bedeutung aufgeladen, wonach Kultur für die vermeintlich deutsche Ori-
entierung an inneren Werten, Zivilisation hingegen für die westliche Bevorzugung des
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1405
Äußerlichen, der gesitteten Umgangsformen und des gesellschaftlichen Lebens, der Poli-
tik, der Ökonomie und der Technik stehen sollte (vgl. Pflaum 1967; Fisch 1992: 746⫺
752; Bollenbeck 1994: 268⫺277).
Die scharfe Differenzierung zwischen Kultur und Zivilisation, zumal in ihrer extremen
nationalpolitischen Aufladung, darf heute zweifellos als überholt gelten. Relevant ist sie
allerdings insofern immer noch, als die damit einhergehende Einengung des Bedeutungs-
umfangs von Kultur auf hochwertige künstlerische und intellektuelle Betätigung und de-
ren Produkte in Kunst, Literatur, Musik und Philosophie, wie sie zunächst speziell im
deutschen Sprachraum vorgenommen wurde, bis heute im alltäglichen Sprachgebrauch
Bestand hat und sich in den meisten anderen Sprachen ebenfalls eingebürgert hat (Cul-
ture with a capital ,C‘, vgl. Eagleton 2001: 26⫺27). Darüber hinaus ist dieses Verständnis
von Kultur auch die Basis für den nunmehr wertneutral verstandenen sektoralen Begriff
von Kultur, der das neben Politik, Wirtschaft und Sozialstruktur stehende gesellschaft-
liche Teilsystem der institutionalisierten Produktion, Distribution und Diskussion von
Weltdeutungen bezeichnet (vgl. Reckwitz 2000: 79⫺84) und der in mindestens zweierlei
Hinsicht auch im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bzw. der Fremd-
sprachenwissenschaften nach wie vor Verwendung findet: Zum einen nämlich gilt Kultur
in diesem Sinn als ein Gegenstand der traditionellen Landeskunde neben Geschichte,
Politik, Geographie und Wirtschaft (vgl. u. a. Luscher 2008; Lüsebrink 2003: 157⫺184;
Nitzschke 1998); und zum anderen haben wir es auch im Rahmen der auswärtigen Kul-
turpolitik mit Kultur in dem hier angesprochenen sektoralen Sinn zu tun, auch dann,
wenn man, wie seit den 1970er Jahren weitgehend üblich, von einem erweiterten Kultur-
begriff ausgeht (vgl. Kretzenbacher 1992). Denn dieser erweitert zwar den Gegenstands-
bereich des Begriffs über die kanonisierte Hochkultur der Madrigalchöre, der klassischen
Literatur und der Malerei hinaus auf eher alltagskulturelle Phänomene wie Arbeiterlie-
der, Comics und Graffiti, verbleibt damit aber wie der engere Begriff der deutschen Tra-
dition auch im Bereich der Artefakte und stellt auch den grundsätzlich normativ-werten-
den Charakter des Begriffs nicht in Frage.
ihn umgebenden Natur handelt, auch nicht um den Inbegriff besonders herausgehobener
Ergebnisse („Werke“) menschlicher Geistestätigkeit, sondern um eine Vielzahl teilweise
recht unterschiedlicher Formen des Umgangs mit der Natur und der Gestaltung des
gesellschaftlichen Lebens. Diese Pluralisierung und Relativierung von Kultur zu Kulturen,
die bei Autoren wie Herder bereits am Ende des 18. Jahrhunderts angelegt war, kommt
vor allem in der englischsprachigen Ethnologie bzw. Kulturanthropologie des 19. und
20. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung. Als maßgeblich gilt dabei bis heute die Begriffs-
definition des britischen Ethnologen Edward B. Tylor aus dem Jahr 1871: „Culture or
Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes
knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits ac-
quired by man as a member of society“ (zit. nach Fisch 1992: 757).
Zwar können sich Tylor und seine Zeitgenossen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
von einer normativen und prozesshaften Vorstellung von Kultur und von der Überzeu-
gung von der Überlegenheit westlich-europäischer Kultur bzw. Zivilisation gegenüber den
„Primitiven“ oder „Naturvölkern“ nicht nachhaltig lösen, gleichwohl ist die für die He-
rausbildung des wissenschaftlichen Kulturbegriffs notwendige Pluralisierung und Relati-
vierung in dieser Definition bereits deutlich angelegt, gilt Kultur (bzw. Zivilisation) hier
doch als Kennzeichen jeder Form menschlicher Vergesellschaftung und nicht mehr nur
einer besonderen und in bestimmter Weise ausgezeichneten oder höherwertigen. Ent-
scheidend für die Durchsetzung eines pluralischen und relativistischen Konzepts von
Kultur war jedoch weniger die britische als vielmehr die amerikanische Ethnologie bzw.
Kulturanthropologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die vor allem mit Namen
wie Franz Boas, Alfred Kroeber, Ruth Benedict und Margaret Mead verbunden ist. Kul-
tur wird in der dezidiert anti-evolutionistischen und anti-rassistischen Orientierung der
Boas-Schule zum Gegenbegriff zu der auch in den USA in den 20er und 30er Jahren
des 20. Jahrhunderts sehr populären Kategorie der Rasse aufgebaut und dient dazu,
Verhaltensunterschiede zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen
nicht auf (pseudo-)biologische, sondern auf soziale Ursachen zurückführen zu können
(vgl. Hauck 2006: 63⫺66). Auf der Basis umfangreicher Feldforschungen insbesondere
bei verschiedenen Gruppen amerikanischer Ureinwohner gehen die Vertreter und Vertre-
terinnen der Boas-Schule davon aus, dass jede ethnische Gruppe ein spezifisches Orien-
tierungssystem entwickelt, das sich durch durchgängige und homogene, nur für diese
Gruppe charakteristische Muster auszeichnet. „A culture, like an individual“, so heißt
es beispielsweise in dem Klassiker Patterns of Culture (1934) von Ruth Benedict, „is a
more or less consistent pattern of thought and action“ (Benedict 1952: 33). Individuen
gelten nach dieser Auffassung als vollständig durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimm-
ten Gruppe und damit einer bestimmten Kultur determiniert:
Die hier zum Ausdruck kommende Auffassung von Kultur als einem mehr oder weniger
geschlossenen und homogenen System von standardisierten Mustern, die den einer ethni-
schen Gruppe angehörigen Individuen gemeinsam sind und wodurch diese sich von den
Angehörigen anderer ethnischer Gruppen mehr oder weniger deutlich unterscheiden,
wurde zwar zunächst am empirischen Material aus kleinen und überschaubaren Gruppen
entwickelt, aber schon bald ⫺ angeregt durch die Bedürfnisse des amerikanischen Mili-
tärs während des II. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit ⫺ im Rahmen der so genann-
ten „Nationalcharakterstudien“ auf ganze Nationalstaaten wie Japan (vgl. Benedict
1946) oder Russland (Gorer und Rickman 1949) übertragen. Dieses Konzept von Kultur
wurde später auch zur Grundlage der Erforschung interkultureller Kommunikation und
spielt, vermittelt über Autoren wie den amerikanischen Kulturanthropologen Edward
T. Hall, den niederländischen Sozialanthropologen Geert Hofstede oder den deutschen
Psychologen Alexander Thomas, auch in den verschiedenen Fremdsprachenwissenschaf-
ten und deren Überlegungen über den kulturellen Faktor beim Fremdsprachenlernen,
über interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz oder eine interkulturelle Landes-
kunde, bis heute eine herausragende Rolle.
In letzter Zeit wird allerdings auch die Kritik an diesem Verständnis von Kultur immer
lauter, das die Widersprüche und Heterogenitäten moderner Gesellschaften und die ge-
rade im Zeitalter der Globalisierung immer deutlicher werdenden Vermischungen und
Verwischungen kultureller Orientierungen unterschlägt, die Individuen auf völlig einsei-
tige und unangemessene Weise auf ihre nationale bzw. ethnische Identität festlegt und
zudem das Denken in pauschalisierenden und stereotypischen Kategorien eher fördert
als hinterfragt (vgl. z. B. Hu 1995: 21⫺22; Hansen 2000: 247⫺266; Altmayer 2003: 122⫺
126; Altmayer 2006a: 48⫺50; Küster 2005: 59⫺63). Bislang allerdings ist es im Kontext
von DaF/DaZ, aller Bemühungen um größere Differenzierung zum Trotz, nicht gelun-
gen, die Vorherrschaft dieses homogenisierenden und essentialistischen Kulturkonzepts
nachhaltig zu erschüttern. Dabei liegt mit dem bedeutungsorientierten Verständnis von
Kultur, das sich vor allem im Kontext aktueller kulturwissenschaftlicher Positionen in
Disziplinen wie der Soziologie, der Ethnologie oder den Geschichtswissenschaften weit-
gehend durchgesetzt hat, längst eine Alternative vor, die auch für die wissenschaftlichen
und praktischen Belange des Faches Deutsch als Fremdsprache interessante Perspekti-
ven bietet.
als cultural turn beschrieben wird (vgl. u. a. Bachmann-Medick 2006) und der die For-
schungsperspektive in den Sozial- und Kulturwissenschaften von allgemeingültigen no-
mothetischen Erklärungsmodellen menschlichen Verhaltens auf die Ebene der symboli-
schen Ordnungen und subjektiven Sinnzuschreibungen verschiebt. Unter Rückgriff auf
unterschiedliche Theorietraditionen, die von Phänomenologie, Hermeneutik und Verste-
hender Soziologie bis zu Symbolischem Interaktionismus, (Post-)Strukturalismus und
Sozialkonstruktivismus reichen, gehen die Vertreter und Vertreterinnen aktueller kultur-
wissenschaftlicher Forschungsansätze davon aus, dass die (soziale) Wirklichkeit nicht
unmittelbar gegeben, sondern in Akten diskursiver Deutung und Sinnzuschreibung von
den Akteuren selbst erst konstituiert wird, dass demnach die Aufgabe kultur- und sozial-
wissenschaftlicher Forschung vorrangig darin besteht, diese sinnkonstituierenden Akte
in einem nicht etwa kausal erklärenden, sondern verstehenden Zugriff zu rekonstruieren.
Im Hinblick auf die Neubestimmung des Begriffs Kultur kommt dabei der interpretativen
Ethnologie, die vor allem mit dem Namen Clifford Geertz verbunden ist, eine entschei-
dende Rolle zu. In Geertz’ bis heute höchst einflussreichem Buch Dichte Beschreibung
(1973; dt. 1983) findet sich die bekannte Definition von Kultur als „selbstgesponnenem
Bedeutungsgewebe“: „Der Kulturbegriff, den ich vertrete […], ist wesentlich ein semioti-
scher. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene
Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Unter-
suchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern
eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht“ (Geertz 1995: 9).
Allerdings erweist sich diese auch im Kontext von DaF/DaZ häufig (und meist unkri-
tisch) zitierte Auffassung von Kultur bei genauerem Hinsehen als problematisch, weil die
Metapher vom „Bedeutungsgewebe“ zwar prinzipiell die subjektive Sicht der Beteiligten
hervorhebt, allerdings viel zu allgemein und ungenau ist, als dass sie für konkrete Kultur-
analysen, insbesondere in Bezug auf komplexe Industriegesellschaften, wirklich taugen
würde. Hinzu kommt, dass Geertz aus methodischen Gründen dazu neigt, Kulturen aus
der Sicht des Kultur gleichsam als Text interpretierenden Ethnografen doch wieder zu
harmonisieren und zu homogenisieren, wenn auch nicht mehr auf der Ebene des be-
obachtbaren Verhaltens, so doch auf der Ebene der zu interpretierenden Bedeutungszu-
schreibungen. Deutlich wird dies vor allem an Geertz’ Analyse des balinesischen Hah-
nenkampfs, dem der Ethnograf wie einem Text eine bestimmte soziale Bedeutung zu-
schreibt, dabei eine vermeintliche Einheitlichkeit dieser Bedeutung unterstellt und damit
die sozialen Differenzen und Konflikte zwischen den eine Gesellschaft ausmachenden
Individuen und Gruppen, die sich immer auch in Konflikten um die „richtige“ Deutung
von Wirklichkeit niederschlagen, ausblendet (vgl. dazu Geertz 1995; Berg und Fuchs
1993; Lenk 1996; Altmayer 2004: 132⫺135). Insofern spricht vieles dafür, bei der Re-
formulierung eines für den Kontext von DaF/DaZ brauchbaren, hinreichend differen-
zierten und gleichwohl noch handhabbaren Begriffs von Kultur auf Theorieansätze und
Konzepte zurückzugreifen, die über Geertz hinausgehen. Hier bieten insbesondere die
Diskursforschung im Anschluss an Foucault und die neuere Kultur- und Wissenssoziolo-
gie interessante Anknüpfungspunkte.
Ein in den letzten Jahren innerhalb des Faches DaF/DaZ entwickeltes Konzept von
Kultur, das sich an den erwähnten Theorieansätzen orientiert, diese aber nicht einfach
für die Forschung und/oder Praxis anwendet oder übernimmt, sondern ⫺ ausgehend von
den spezifischen Interessen des Faches ⫺ auf ihre Eignung hin prüft, legt einen Begriff
von Kultur zugrunde, wonach diese nicht in einem Set mehr oder weniger gleichförmiger
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1409
Verhaltensweisen oder Mentalitäten besteht, sondern uns mit einem Fundus an (kollek-
tivem) Wissen versorgt, das uns in die Lage versetzt, der Welt um uns herum, aber auch
unserem eigenen Leben Sinn und unserem Handeln Orientierung zu geben (vgl. dazu
und zum Folgenden Altmayer 2004: 147⫺156, 2005: 156⫺157, 2006a, 2006b). Unter
Verwendung (und Umdeutung) eines Begriffs, der ursprünglich aus der objektiven Her-
meneutik stammt, mittlerweile aber auch in anderen kultur- und wissenssoziologischen,
aber auch pädagogischen Kontexten heimisch geworden ist, kann man die musterhaft
verdichteten und im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Einzelelemente dieses Wissens
kulturelle Deutungsmuster nennen. Der für den DaF/DaZ-Kontext konstitutive Bezug
zur Sprache und damit zum Fremdsprachenlernen besteht dabei insbesondere darin, dass
wir im Sprachgebrauch, d. h. in alltäglicher, aber auch in medialer und schriftlicher Kom-
munikation, in hohem Maß auf solche kulturellen Deutungsmuster zurückgreifen, sie bei
unseren Gesprächspartnern oder den Adressaten von Texten oder Medienangeboten aller
Art in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert
voraussetzen. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Deutsch als Fremd-
und Zweitsprache besteht nach diesem Konzept dann vor allem darin, die im alltäglichen
Sprachgebrauch in aller Regel implizit bleibenden kulturellen Deutungsmuster, die wir
im Deutschen verwenden, zu rekonstruieren, d. h. sie auf die Ebene des Expliziten zu
heben, sie sichtbar und damit auch lernbar zu machen.
5. Ausblick
Nach einem viel zitierten Bonmot des Soziologen Niklas Luhmann handelt es sich bei
Kultur um „den schlimmsten Begriff, der je gebildet wurde“ (Luhmann 1995: 398). Man
wird die spezifisch systemtheoretischen Gründe, die Luhmann zu diesem Verdikt veran-
lasst haben, nicht bemühen müssen, um ihm angesichts der Allgegenwart des Begriffs in
wissenschaftlichen und medialen Diskursen auf der einen und seiner semantischen Vag-
heit, Vieldeutigkeit und Unübersichtlichkeit auf der anderen Seite eine gewisse Berechti-
gung zubilligen zu können. Es war allerdings nicht zuletzt diese Vieldeutigkeit und Vag-
heit, die dem Begriff zu seiner geradezu beispiellosen medialen und wissenschaftlichen
Karriere verholfen und ihn zu einem der Leitbegriffe unserer Zeit gemacht haben. Darin
besteht sicherlich auch eine Chance insofern, als unter der weitgehend bedeutungsoffenen
Kategorie der Kulturwissenschaft(en) traditionelle Fächergrenzen gesprengt und völlig
neue transdisziplinäre Koalitionen und Vernetzungen gebildet werden können (vgl.
Art. 154). Hier liegt aber andererseits auch ein Problem insofern, als die Vagheit ihres
Kernbegriffs der begrifflichen Präzision kulturwissenschaftlicher Diskurse nicht unbe-
dingt förderlich ist. Insofern sind Zweifel, ob wir es bei Kultur überhaupt noch mit einem
wissenschaftlichen Begriff zu tun haben, mit einem Begriff also, dem eine erklärende oder
zumindest analytische Kraft für wissenschaftliche Problemstellungen zukommt, ange-
sichts der Allgegenwart dieses Begriffs, seiner Funktionalisierungen und Inanspruchnah-
men für die unterschiedlichsten Zwecke nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten.
Dies gilt auch und nicht zuletzt für den Kontext des Faches DaF/DaZ, das sich ⫺ wie
schon gesagt ⫺ in Sachen Begriffsreflexion und Theoriebildung gerade im Bereich der
Kulturstudien bzw. Landeskunde bisher nicht unbedingt besonders hervorgetan hat. Es
wird für die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Begriffs Kultur im Kontext von
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache vor allem auf dreierlei ankommen:
1410 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
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1. Entwicklungsetappen
1.1. Kontexte
Ausgehend von der Grundannahme, eine deutsche Germanistik decke als Mutterspra-
chen- bzw. Nationalphilologie grundsätzlich die Lerninteressen und Ausbildungsziele
ausländischer Studierender nicht hinreichend ab, entwickelten Wierlacher (zusammenfas-
send in 2003b: 2⫺3) und Thum (u. a. 1993) die Kontur des kulturwissenschaftlich ausge-
richteten Lehr- und Forschungsgebiets Interkulturelle Germanistik (IG) und gründeten
1984 mit einer Gruppe von Kollegen die gleichnamige Gesellschaft. Angesichts der man-
nigfaltigen Manifestationen von Interkulturalität fragten die BeiträgerInnen in den
Hauptpublikationsorganen für interkulturelle Germanistik, dem Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache (JbDaF) und in der Reihe Publikationen der GiG nach möglichen Mittler-
funktionen des Faches und seiner AbsolventInnen und wie kulturwissenschaftlich das
oftmals philologisch-sprachdidaktisch verstandene Fach ausgerichtet sein müsse. Ange-
stoßen durch kontinuierliche Selbstreflexionen und „weltoffene und selbstbewußte“
(Wierlacher 1987: 149) Positionierungen der IG sowie sicherlich dadurch provoziert, dass
sie „nicht die Linguistik, sondern die Textwissenschaft und ihre Einbettung in eine ver-
gleichende Fremdkulturwissenschaft zum zentralen Forschungs- und Lehrgebiet“ machte
(Wierlacher 1987: 145), eröffneten bundesrepublikanische Fachgebiete DaF einen ähnli-
chen, jedoch plurizentrischen Positionierungsdiskurs (vgl. die Beiträge zur sog. „Struk-
turdebatte“ in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache 1994⫺1999; vgl. Art. 2). In den
teils 100 Jahre länger bestehenden germanistischen Instituten im Ausland wurden die
bundesrepublikanischen Selbstverständnisdiskurse und fremdheitswissenschaftlichen
Einforderungen nur vereinzelt und kaum als konstruktive Anstöße zu polylogischen Er-
kenntnisprozessen (Wimmer 2003) aufgenommen (vgl. u. a. Kreutzer 1996 und die Pole-
mik in Zimmermann 21991), insbesondere dann, wenn die Ziele der IG an übersteigerte
Anforderungen geknüpft wurden wie exzellente Fremdsprachen- und Literaturkenntnisse
1414 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
eines anderen Kulturraums (Lämmert 1996: 13⫺14), eigen- und fremdkulturelle Doppel-
kompetenzen (Ihekweazu 1985) oder fremdsprachenerwerbsspezifische Vorerfahrungen
der Lerner (Pleines 21991: 136). So sinnvoll solche Kompetenzen sind, ihre Einforderung
illustriert die Annahme, IG hätte die Aufgabe, Kulturvergleiche zu erstellen ⫺ was nöti-
genfalls germanistische Abteilungen im Ausland fachkundiger erfüllen ⫺ statt verschie-
dene Perspektiven auf Manifestationen deutschsprachiger Kulturen methodisch und ver-
gleichend zur anreichernden Beschreibung zu nutzen und somit eine Koordination von
Perspektiven, Interpretationen und Resümees zu fördern. Der angestoßenen Debatte
folgten Versuche, auf einer Meta-Ebene zu einer konstruktiven Streitkultur bezüglich
bildungspolitischer Ausrichtungen zu finden (Hu 1999), die auf kulturelles Mitteln ohne
heimliche Kolonialisierungstendenzen angelegt sind und interdisziplinäre Perspektiven
auf bislang philologisch gefasste Lehr- und Forschungsgegenstände miteinander verbin-
den.
Der Ausdruck Interkulturelle Germanistik ist ein Dach- und Fachbegriff. Er be-
zeichnet eine interdisziplinäre germanistische Fremdkulturwissenschaft, die in For-
schung, Lehre, Organisation von der Kultur(en)gebundenheit germanistischer Ar-
beit ausgeht, kulturelle Vielfalt der Ausgangspositionen, Fragestellungen und An-
näherungsweisen nicht für ein Handicap, sondern für einen Vorteil hält, im Dialog
der Kulturen praktisch werden und zur internationalen Zusammenarbeit befähigen
will. Leitziel interkultureller Germanistik ist, der kulturellen Vielfalt des Interesses
am Deutschen und den deutschsprachigen Ländern sowie dem Bedarf an transkul-
tureller Verständigung besser gerecht zu werden als es bisherige Modelle von Ger-
manistik vermochten. Zu diesem Zweck erhöht interkulturelle Germanistik ihre
Komplexität, indem sie sozial- und geisteswissenschaftliche mit xenologischen Fra-
gestellungen im Sinne einer angewandten Kulturwissenschaft zusammenführt, der
es um wechselseitige Aufklärung von Theorie und Praxis geht. Als interdisziplinäre
Fremdkulturwissenschaft mit Eigenschaften einer vergleichenden Kulturanthropo-
logie stellt interkulturelle Germanistik ein Netz aus sachlichen und dialogischen
Bezügen dar. (Wierlacher 2003a: IX; Hervorh. im Original)
1.3. Schlüsselthemen
Die Notwendigkeit empirisch begründeter Zugänge zu Konstruktionen von Fremdheit
in interkultureller interpersonaler Kommunikation, zu literarischen Interpretationen
oder zur kulturwissenschaftlichen Landeskunde betrifft insbesondere die fachspezifi-
schen, fälschlicherweise an Goffman angelehnten Rahmenbegriffe, denen laut Wierlacher
(2003a: X⫺XI; Hervorheb. im Original) „nach strenger Prüfung eine tragende Funktion
in der Architektur interkultureller Germanistik zukommt: Anerkennung, Bildung, Blick-
winkel, Dialog, Distanz, Empathie, Fremdheit, Grenze, Höflichkeit, Interdisziplinarität,
Interkulturalität, Kritik, Kultur, Lernen, Lesen, Professionalität, Schweigen, Tabu, Tole-
ranz, Vergleichen, Vermittlung, Wissen. Zusätzlich gelten weiterführende Leitbegriffe wie
Internationalität der Wissenschaft, Aneignung oder Kommunikation (…)“.
Solche standardisierenden Aufzählungen bieten der IG allerdings keine konzeptuellen
Perspektiven. Erweitert man sie um bislang kaum wahrgenommene Themenkreise in
nicht-deutschsprachigen Ländern, ergibt sich eine weniger programmatisch als thema-
tisch agierende interkulturelle Germanistik (iG). Diese entwickelt sich inzwischen als
Gegenstandsbestimmung von unten, gespeist auch durch empirisch ausgerichtete Ansätze
(vgl. einzelne Beiträge in Kuruyazici et al. 1998; Wierlacher und Bogner 2003; Riemer
2008 oder Hess-Lüttich et al. 2009).
nens (z. B. im Tandem, vgl. Art. 134). Aus ihr ergeben sich sowohl Hinweise für die
Darstellung grammatischer Regeln als auch für Verfahren einer interkulturellen Didaktik
(Müller[-Jacquier] 1992), die eine systematische Ausbildung interkultureller Verstehens-
und Handlungskompetenzen anstrebt.
4. Landeskunde, Kulturvergleich und internationaler Kulturaustausch (kulturwissen-
schaftliches Modul): Kulturwissenschaftlich geht es der iG weniger um möglichst objek-
tive landeskundlich-institutionenbezogene Beschreibungen von Manifestationen deut-
scher Kultur, als um Fallstudien zu ausgewählten fremdkulturellen Rezeptionen und um
die Erarbeitung entsprechender Perspektiven auf Deutsches. Auf der Grundlage von ge-
schichtlichem, institutionellem und soziologischem Wissen sowie von Kenntnissen im
Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik dient diese Komponente der Ent-
wicklung von Fähigkeiten, kulturell Fremdes und Eigenes in ihrer Wechselwirkung prak-
tisch zu erfahren, zu beschreiben und zu analysieren. Empirisch-methodisch werden dazu
auch Feldforschungen durchgeführt, in deren Rahmen ethnographische Methoden durch
praktische Fremderfahrungen erarbeitet und auf ausgewählte Diskurse zu spezifischen
Formen des Alltagslebens in Deutschland ⫺ einschließlich der Erinnerungskulturen ⫺
zurückgespiegelt werden (vgl. das Fortbildungsmodell Erlebte Landeskunde in Bach-
mann et al. 1995).
5. Deutschsprachige Literatur als fremde Literatur (literaturwissenschaftliches
Modul): Die Literaturwissenschaft iG beschäftigt sich mit fremdperspektivischen Inter-
pretationen deutschsprachiger Literatur. Das interkulturelle Potenzial der Literatur
(Mecklenburg 2003: 434; Krusche 2003: 467⫺468 unterscheidet genauer zwischen leser-
und textseitigen Reflexionen „kulturbedingter Lese-Differenz“) wird also nicht nur aus
literarischen Texten gewonnen. Vielmehr ergeben sich Analyse-Daten aus den Manifesta-
tionen von Wirkungen, auch aus ad hoc-Deutungen durch Nichtmuttersprachler (vgl.
das Verfahren „interkultureller Lesergespräche“, Krusche 21993). Ziel ist es, ein textbezo-
genes oder kulturthemenorientiertes Verständigungshandeln (Thum und Lawn-Thum
1982) zu erzeugen, das Ausgangspunkt, Forschungsgegenstand und auch Ziel literari-
scher Interpretation ist.
6. Interkulturelle Kompetenzen (berufsorientierendes Modul): In allen Komponenten
iG wird das erworbene Wissen mit berufsbefähigenden analytischen Strategien und
handlungsbezogenen Kompetenzen in interkulturellen Situationen verbunden. Ziel ist
es, komponentenspezifische Fertigkeiten auszuweisen und mit Blick auf interpersonale
Interaktionen hin zu operationalisieren. Als typische Praxisanforderungen gelten der
Sprachunterricht als multikulturelle Lernsituation, die Herausbildung spezifischer Ko-
operationsformen in internationalen Teams, der Wissenstransfer fremdkultureller Erfah-
rung (Hormuth 2009) oder Mediationsprozesse in kulturell bedingten Konfliktsituatio-
nen (Busch und Schröder 2005). Eine besondere Stellung nimmt die Vermittlung interkul-
tureller Kompetenzen in der Weiterbildung ein (interkulturelles Training). Diese gilt als
wichtiger, praxisbezogener Forschungsgegenstand (Nazarkiewicz 2002) und bietet Stu-
dierenden ⫺ auch an Hochschulen, vgl. die Aktivitäten von Hochschul-Netzwerken
(Bosse 2009) ⫺ die Möglichkeit, berufsrelevante Erfahrungen zu sammeln und an der
Internationalisierung der Hochschulen mitzuwirken.
7. Forschungspositionen und -methoden interkultureller Germanistik (forschungs-
orientierendes Modul): Die interdisziplinäre Anlage interkultureller Germanistik verlangt
nach klaren Positionierungen bezüglich gegenstandsspezifischer, methodischer empiri-
scher Verfahren. Bislang wird z. B. unter dem Stichwort Professionalität die Frage nach
1418 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
3. Entwicklungslinien
4. Literatur in Auswahl
Krusche, Dietrich
1993 Literatur und Fremde. Zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz. 2. Auflage. München:
iudicium.
Krusche, Dietrich
2003 Lese-Differenz. Der andere Leser im Text. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.),
Handbuch interkulturelle Germanistik, 467⫺474. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Kuruyazici, Nilüfer, Sabine Jahn, Ulrich Müller, Priska Steger und Klaus Zelewitz (Hg.)
1998 Schnittpunkte der Kulturen. Stuttgart: Heinz.
Lämmert, Eberhard
1996 Germanistik interkulturell: Ein Gruß nach vorn aus Westafrika. Ein Geleitwort. In: Leo
Kreutzer (Hg.), Andere Blicke. Habilitationsvorträge afrikanischer Germanisten an der Uni-
versität Hannover, 7⫺15. Hannover: Revonnah.
Lüdi, Georges
2005 Wissenschaft zwischen Mehrsprachigkeit, Monolingualisierung oder Sprach(en)losigkeit.
In: Eva Neuland, Konrad Ehlich und Werner Roggausch (Hg.), Perspektiven der Germa-
nistik in Europa. Tagungsbeiträge, 310⫺324. München: iudicium.
Matthes, Joachim (Hg.)
1992 Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs.
Göttingen: Schwartz.
Matusche, Petra (Hg.)
1989 Wie verstehen wir Fremdes? Aspekte zur Klärung von Verstehensprozessen. München: Goe-
the-Institut.
Mecklenburg, Norbert
2003 Interkulturelle Literaturwissenschaft. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.),
Handbuch interkulturelle Germanistik, 433⫺439. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1986 Interkulturelle Verstehensstrategien ⫺ Vergleich und Empathie. In: Gerhard Neuner
(Hg.), Kulturkontraste im DaF-Unterricht, 33⫺84. München: iudicium.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1992 Grundpositionen einer interkulturellen Didaktik des Deutschen als Fremdsprache. In:
Burkhard Krause, Ulrich Scheck und Patrick O’Neill (Hg.), Präludien. Kanadisch-deut-
sche Dialoge, 133⫺156. München: iudicium.
Müller, Klaus
2003 Konstruktivistische Perspektiven kultureller Wirklichkeit. In: Alois Wierlacher und And-
rea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germanistik, 88⫺96. Stuttgart/Weimar: Metz-
ler.
Müller-Jacquier, Bernd
2004 „Cross-cultural“ versus interkulturelle Kommunikation. Methodische Probleme der Be-
schreibung von Inter-Aktion. In: Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.), Konzepte der Interkultu-
rellen Kommunikation. Theorieansätze und interdisziplinäre Bezüge, 69⫺113. St. Ingbert:
Röhrig.
Müller-Jacquier, Bernd
2007 Xenismen als Verfremdungen. In: Angelika Redder (Hg.), Diskurse und Texte. Festschrift
für Konrad Ehlich zum 65. Geburtstag, 585⫺597. Tübingen: Stauffenburg.
Nazarkiewicz, Kirsten
2002 Keine Angst vor Stereotypen! Hilfestellungen zum Umgang mit ethnischen Stereotypisie-
rungen in interkulturellen Trainings. Culture Scan 2(4). http://www.uni-hildesheim.de/
~haensch/culturescan/4Nazarkiewicz.pdf [Zugriff am 2. 2. 2009].
Pleines, Jochen
1991 Aufgaben der Sprachwissenschaft und „Interkulturelle Kommunikation“ für Deutsch als
Fremdsprache. In: Peter Zimmermann (Hg.), Interkulturelle Germanistik. Dialog der Kul-
turen auf Deutsch? 2. Auflage, 113⫺138. Frankfurt a. M.: Lang.
1422 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Riemer, Claudia
2008 DaF/DaZ und empirische Forschung: Wechselnde Herausforderungen. In: Christoph
Chlosta, Gabriela Leder und Barbara Krischer (Hg.), Auf neuen Wegen: Deutsch als
Fremdsprache in Forschung und Praxis, 1⫺16. Göttingen: Universitätsverlag.
Sadji, Amadou Booker
1993 Demokratisierung in Schwarzafrika. Probleme und Möglichkeiten interkultureller Ver-
ständigung nach der deutschen Vereinigung. In: Bernd Thum und Gonthier-Louis Fink
(Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik, 235⫺240. Mün-
chen: iudicium.
Thum, Bernd
1993 ,Interkulturelle Germanistik‘ in der deutschen Muttersprachengermanistik. Ihre gegen-
wärtigen fachlichen Bedingungen und Leistungen. In: Bernd Thum und Gonthier-Louis
Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik, 117⫺162.
München: iudicium.
Thum, Bernd und Elisabeth Lawn-Thum
1982 „Kulturprogramme“ und „Kulturthemen“ im Umgang mit Fremdkulturen: Die Südsee
in der deutschen Literatur. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 8: 1⫺38.
Wierlacher, Alois
1987 Deutsch als Fremdsprache als interkulturelle Germanistik. In: Dietrich Sturm (Hg.),
Deutsch als Fremdsprache weltweit. Situationen und Tendenzen, 145⫺156. München: Hue-
ber.
Wierlacher, Alois
2003a Vorwort. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germa-
nistik, IX⫺XII. Stuttgart: Metzler.
Wielacher, Alois
2003b Interkulturelle Germanistik. Zu ihrer Geschichte und Theorie. Mit einer Forschungsbiblio-
graphie. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germa-
nistik, 1⫺45. Stuttgart: Metzler.
Wierlacher, Alois
2003c Professionalität. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle
Germanistik, 293⫺302. Stuttgart: Metzler.
Wierlacher, Alois und Corinna Albrecht (Hg.)
1995 Fremdgänge. Eine anthologische Fremdheitslehre. Bonn: Inter Nationes.
Wierlacher, Alois und Andrea Bogner (Hg.)
2003 Handbuch interkulturelle Germanistik. Stuttgart: Metzler.
Wimmer, Franz Martin
2003 Polylogische Forschung. In: Theo Hug (Hg.), Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? (4 Bde,
2 CDs), 382⫺393. Baltmannsweiler: Schneider.
Zimmermann, Peter (Hg.)
1991 Interkulturelle Germanistik. Dialog der Kulturen auf Deutsch? 2. Auflage. Frankfurt
a. M.: Lang.
1. Begrisverständnis
Mit der kommunikativen Wende in der Methodik des Fremdsprachenunterrichts und
seiner Ausrichtung auf das Lernziel interkulturelle Kommunikation rücken nicht nur die
Sachthemen der Landeskunde stärker in den Blick des Fachs Deutsch als Fremdsprache,
sondern auch das Verhältnis zwischen der Herkunftskultur der Lernenden und der Ziel-
sprachenkultur. Damit erhalten auch die Vorstellungen voneinander, die Erwartungen
an und die Bilder vom Anderen Bedeutung in Wissenschaft und Unterricht.
Teil des zugrundeliegenden Kulturverständnisses ist eine reflexive Betrachtung des
Selbst- und Fremdbildes, also die Reflexion des Eigenen und des Fremden. Bewusste und
unbewusste Bilder von den Fremden und dem Fremden, vom Eigenen und den Eigenen
bedürfen als Grundlage gelingender interkultureller Begegnung der Thematisierung.
Fremdbilder und ihre Reflexion werden damit zum Thema der Wissenschaft, zu einem
didaktischen Mittel und zum Gegenstand von Lehrwerken und Unterricht. In der vierten
der 1990 veröffentlichten ABCD-Thesen zur Landeskunde wird dies programmatisch
formuliert:
Primäre Aufgabe der Landeskunde ist nicht die Information, sondern Sensibilisie-
rung sowie die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Um-
gang mit fremden Kulturen. Damit sollen fremdkulturelle Erscheinungen besser
eingeschätzt, relativiert und in Bezug zur eigenen Realität gestellt werden. So kön-
nen Vorurteile und Klischees sichtbar und abgebaut sowie eine kritische Toleranz
entwickelt werden. (ABCD-Thesen 1990: 16)
Stereotypen und Vorurteile werden in den folgenden Bereichen des Fachs thematisiert:
Landeskunde, das Deutschlandbild in Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien, literari-
sche Selbst- und Fremdbilder, (Selbst-)Erfahrungsberichte von Fremdsprachenvermitt-
lern, die Kulturkontraste jedoch mehr verarbeiten als analysieren sowie Einstellungen
von Deutschlernern zum Zielsprachenland (vgl. Grünewald 2005). Die Beschäftigung mit
den Begriffen Stereotyp, Vorurteil oder (Fremd-)Bild weist eine gewisse Unschärfe auf,
die aber auch die wissenschaftliche Diskussion insgesamt widerspiegelt. Ein Rückgriff
auf die umfangreiche sozialpsychologische Literatur über Vorurteile und Stereotype kann
diese Unschärfe nicht beseitigen, konkurrieren doch eine große Zahl von Ansätzen und
Methoden miteinander (vgl. Petersen und Six 2008). Kompliziert wird die Begriffsfrage
nicht zuletzt dadurch, dass sich Alltags- und wissenschaftlicher Sprachgebrauch unent-
wirrbar ineinander verwoben haben.
Ein knapper, verkürzender Überblick setzt dennoch eine genauere Bestimmung des-
sen voraus, was unter Stereotyp und Vorurteil bzw. unter Fremdbildern zu verstehen ist,
1424 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Noch unklarer, so Picht, sei der Gebrauch des Begriffs Stereotyp. Er entwickelt dann
eine auf die Sozialpsychologie des Deutschlandbildes zugeschnittene Definition: Vorur-
teile sind demzufolge Einstellungen zu einem Gegenstand, die schon vor einer intensiven
Beschäftigung mit diesem (fremdkulturellen) Gegenstand vorhanden seien. Vorurteile,
damit folgt er cum grano salis den Überlegungen von Allport ([1950] 1971), dienen dem
Individuum bei der „Orientierung und Auswahl auf dem Weg durch die verwirrende und
bedrohliche Fülle der Erscheinungen“ (Picht 1980: 121). Entscheidend für die Abkehr
von älteren, rein kognitiven Modellen ist die These, dass ein Abbau von Vorurteilen
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1425
„illusionär“ sei, zumal für Picht Fremd- und Selbstbild, das Urteil über die eigene wie
über fremde Gruppen untrennbar verbunden sind (Picht 1980: 121⫺122).
Seine Kritik richtet sich zugleich auch gegen eine Übernahme von Umfrageergebnis-
sen aus der Stereotypenforschung, gegen deren quantifizierende Auflistung und Abfrage
von Einstellungen anhand vorgegebener Eigenschaftslisten wie sie seit den 1930er Jahren
immer wieder variiert wurden: „Die Art der Befragung strukturiert die Form des Urteils,
das sie selbst zu ermitteln versucht, selbst vor. Sie setzt die Verallgemeinerung von Eigen-
schaften auf ganze Nationen als gegeben voraus, die dann als Vorurteil festgestellt wird“
(Picht 1980: 122). Um die „Subjekt-Objekt-Relation in der Beschäftigung mit anderen
Ländern (…) sozialwissenschaftlich lokalisierbar und didaktisch nutzbar“ zu machen,
fordert Picht, nicht ganze Länder oder grob bestimmte Sozialgruppen zu untersuchen,
sondern „das Verhältnis zum Ausland in den Zusammenhang der sozialen und kulturel-
len Abläufe zu stellen“ (Picht 1980: 126). Damit sind sowohl soziale als auch psychologi-
sche Differenzierungen in die Stereotypenüberlegungen des Fachs Deutsch als Fremd-
sprache eingezogen. Stereotypen bzw. Vorurteile werden in ihrem sozialisatorischen Kon-
text, in ihrer sozialen Gebundenheit, in ihren psychologischen Gehalten und Funktionen,
in ihrer Kommunizierbarkeit gesehen.
Erweitert wird dieses Modell von Bausinger (1988). In einer kulturwissenschaftlich
ausgerichteten Stereotypentheorie fragt er nach dem Wechselverhältnis von beobachteter
Wirklichkeit ⫺ hier verstanden als Alltagsphänomene oder anthropologische Gegeben-
heiten ⫺ und Stereotypie. Er sieht in diesem Verhältnis weniger Prozesse der Fehlwahr-
nehmung, spricht im Gegenteil dem Subjekt das Recht auf seine subjektive Wahrneh-
mung zu. Stereotypen werden von Bausinger als „unkritische Verallgemeinerungen ver-
standen, die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen Veränderungen relativ resistent
sind. Stereotyp ist der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung“
(Bausinger 1988: 160). Die Mängel dieser Form der nichtreflexiven Wahrnehmung und
Verarbeitung der Außenwelt werden auch hier als solche anerkannt: Übergeneralisierung,
Erstarrung, Immunisierung bleiben problematische sozialpsychologische Mechanismen
des Alltagsbewusstseins und der Wahrnehmung. Stereotype enthalten für Bausinger je-
doch durchaus auch positive Elemente:
(1) Stereotypen sei ein relativer Wahrheitsgehalt beizumessen,
(2) Stereotype könnten als Ordnungskategorien gesehen werden, die Komplexität redu-
zieren und somit eine wichtige Orientierungsfunktion für das Subjekt besitzen,
(3) sie böten Identifikationsmöglichkeiten an, Stereotype haben so auch eine „realitäts-
stiftende Wirkung“. (Bausinger 1988: 161)
Mit diesem Paradigmenwechsel, mit der Anerkennung der Komplexität einerseits und
der Enttabuisierung sowie Entmoralisierung andererseits, werden ⫺ wie dies auch von
Picht aufgezeigt wird ⫺ Stereotype, Fremdbilder selbst zu einem Unterrichtsgegenstand.
Das Ziel ist nun nicht mehr Vermeidung oder Eliminierung; Stereotype, so Bausinger,
„sind aufzuheben (…) im dreifachen Sinne: Sie sollen beseitigt werden, aber auch aufbe-
wahrt und auf eine höhere Stufe gehoben. Diese höhere Stufe ist dann erreicht, wenn
ihnen mehr Komplexität zugeführt, wenn sie relativiert und erklärt werden“ (Bausinger
1988: 168⫺169).
Diese Forderungen scheinen, wenigstens partiell, in der Unterrichtspraxis und in der
Lehrwerksentwicklung rasch aufgenommen worden zu sein. Die in dieser Zeit erschiene-
nen Lehrwerke wie „Sichtwechsel (neu)“ (Bachmann, Gerhold, Müller und Wessling
1426 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Die „Bestimmung des Charakters einer Person nach ihrem Herkunftsland“ gewinnt im
Übergang zur Neuzeit eine immer größere Bedeutung (Stanzel 1997: 19). Traditionelle,
meist sozial geprägte Charakter- oder Verhaltenstypen werden ethnisiert, formen sich in
der Epoche des Nationbuilding zu Nationalcharakteren. Quellen dieser Auto- und Hetero-
sterotype sind unterschiedliche, oft weit zurückreichende Wahrnehmungsmuster, die auf
christliche Morallehre (Sieben Todsünden) ebenso rekurrieren wie auf die antike Vorstel-
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1427
lung vom Barbar, auf vormoderne Wissenschaftskonzepte wie die Humoral- oder Klima-
zonenlehre (vgl. Stanzel 1997). Tradiert werden solche ethnisch-nationalen Charakterty-
pen über bildliche und schriftliche Medien (erstmals in nuce in den Eigenschaftslisten
der Völkertafeln des 18. Jahrhunderts), Reiseberichte und ethnographische Literatur
ebenso wie (Typen-)Komödien oder Malerei etc.
Fremdbilder „sind notwendigerweise immer um Grade stereotyper“ als Bilder von der
eigenen Gesellschaft, „d. h. das Ausmaß der ihnen zugrundeliegenden Verallgemeinerun-
gen ist größer als beim Selbstbild, bei dem ja immer die autoptische Erfahrung des Be-
obachters an seiner unmittelbaren heimatlichen Umgebung zumindest partiell und lokal
als Korrektiv gegen die Verallgemeinerung wirksam wird. Räumliche Distanz und Grad
der Fremdheit sind also als Parameter der Stereotypie zu berücksichtigen“ (Stanzel 1997:
33). Hinter dieser historisch-literarischen Dimension macht Stanzel auch eine psychologi-
sche aus: Stereotype, Fremdbilder lassen „zwei konträre Manifestationen eines psychi-
schen Grundmusters, nämlich der Unsicherheit über die eigene Identität, erkennen: Aver-
sion gegenüber und Furcht vor dem Fremden, Xenophobie, und Überzeugung von der
eigenen moralischen Überlegenheit, Ethnozentrik“ (Stanzel 1997: 33).
Dieser literaturwissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Analyse von Fremdbil-
dern entsprechen zwei weitere Ansätze, die über die Genese von Fremdbildern und deren
Tradierung Auskunft geben können. Die Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“
von Maurice Halbwachs (1985) und darauf aufbauend die zum „kulturellen Gedächtnis“
der Forschergruppe um Jan und Aleida Assmann (1988, 1991) können die Frage der
Genese von Fremdbildern weiter klären. A. Assmann (1991, 2008), wie auch Weinrich
(1964) gehen davon aus, dass Gedächtnis sich in Form eines „Magazins“, eines (imaginä-
ren) Raums, manifestiere. Soziale Kommunikation oder künstlerische Objektivationen
speichern und tradieren Erinnerung, die mit dem Gedächtnis ein Begriffspaar bildet,
wonach unter Erinnerung der „akute Vorgang des Einprägens und Rückrufens spezifi-
scher Inhalte“ zu verstehen wäre, unter Gedächtnis eine „virtuelle Fähigkeit“, ein „orga-
nisches Substrat“ (A. Assmann 1991: 14). „Das ,kollektive Gedächtnis‘ ist ein Oberbe-
griff für all jene Vorgänge organischer, medialer und institutioneller Art, denen Bedeu-
tung bei der wechselseitigen Beeinflussung von Vergangenem und Gegenwärtigem in
soziokulturellen Kontexten zukommt“ (Erll 2005: 5⫺6). Entsprechend wird der Oberbe-
griff des kollektiven Gedächtnisses ausdifferenziert in kulturelle, kommunikative, histori-
sche, soziale, mediale Gedächtnisse (Erll 2005).
Wie in einem Magazin, einem „Archiv“ (J. Assmann 1988), sind im kommunikativen
Gedächtnis alltägliche, im kulturellen Gedächtnis alltagsferne Wissensbestände aufbe-
wahrt. Erinnerung wird durch Riten, Feste, Bilder, Texte wach gehalten und aktualisiert.
Neuere Definitionen von Stereotypie in der Sozialpsychologie weisen bei allen sonsti-
gen Unterschieden hier auch eine Konvergenz mit der kulturwissenschaftlichen Gedächt-
nisforschung auf, indem Stereotype als „kognitive Strukturen“ verstanden werden, „die
sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Angehörigen sozialer
Kategorien enthalten“ (Eckes 2008: 97).
2.2. Wahrnehmungsmuster
Fremde und Fremdes werden in tradierten, sozial und kulturell vermittelten Mustern
wahrgenommen. Dabei spielt die direkte wie die mediale Kommunikation in spezifischen
sozialen Feldern, Gruppen, Milieus eine ebenso große Rolle wie gruppen- oder indivi-
1428 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
Als Sozialisationsprodukt ist das Verhältnis von Individuen zum Fremden in kulturelle
und soziale Strukturen eingeflochten. Die unbewussten Reaktionsweisen in der Begeg-
nung mit dem Fremden, die affektiven Anteile, die psychischen Mechanismen wie Projek-
tionen, Gegenübertragungen, Angst, Abwehr, Faszination etc. stellen mithin nichts ande-
res dar als eine offene Matrix, die mit einer gesellschaftlich vorgeprägten Bildwelt gefüllt
wird. Man bedient sich vorgefundener, medial vermittelter Bilder. Gebunden an das so-
ziale Gedächtnis einzelner Gruppen, werden komplexe Vorstellungen von anderen Län-
dern, sozialen Gruppen, Gegenständen etc. übermittelt, perspektiviert und in das eigene
Sinnsystem integriert. Familienmythologien, mediale Informationsversatzstücke, auch
Wunschbilder, werden im Laufe der Sozialisation nur bedingt zusammenhängende Bild-
elemente angesammelt und formen komplexe Fremdbilder, die Teil des Habitus, also
inkorporiert sind.
Die zentrale Frage der sozialpsychologischen Stereotypenforschung lautet: Wie kon-
gruent oder inkongruent sind Äußerungen über Fremdes mit der Wirklichkeit? Indem
sich Wirklichkeit jedoch erst aus der Erfahrung der Subjekte und gesellschaftlichen
Gruppen, aus ihrer Kommunikation konstituiert und damit ein sich wandelndes Konst-
rukt ist, muss die Fragerichtung umgekehrt werden. Entscheidend ist nicht die Distanz
zu einer normativ festgelegten Wirklichkeit, entscheidend ist die psychologische, soziale,
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1429
kulturelle Funktion der Bilder für das Individuum bzw. für die Gruppe, der das Indivi-
duum angehört. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um nationalkulturelle Stereo-
type handelt. Nicht der Wahrheitsgehalt selbst ist entscheidend, vielmehr sind es die
identitätsstiftenden oder -stabilisierenden Funktionen der Fremdbilder, sei es für die Na-
tion als Ganze, die sich in der Diskriminierung anderer selbst erhöht, sei es in der Faszi-
nation an der Exotik, die individuell unterdrückte Wünsche auf den anderen projiziert.
4. Literatur in Auswahl
ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht
1990 IDV-Rundbrief 45, Sept. 1990: 15⫺18.
Allport, Gordon W.
1971 Die Natur des Vorurteils. Hg. u. komm. v. Carl Friedrich Graumann. Köln: Kiepen-
heuer & Witsch [1950].
Assmann, Aleida
1991 Zur Metaphorik der Erinnerung. In: Aleida Assmann und Dietrich Harth (Hg.), Mnemo-
syne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, 13⫺35. Frankfurt a. M.: Fi-
scher Wissenschaft.
Assmann, Aleida
2008 Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. 2. Aufl.
(Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik 27). Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Assmann, Jan
1988 Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Jan Assmann und Tonio Hölscher
(Hg.), Kultur und Gedächtnis, 9⫺19. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Wissen-
schaft.
Bachmann, Saskia, Sebastian Gerhold, Bernd-Dietrich Müller und Gerd Wessling
1995/1996 Sichtwechsel. Mittelstufe Deutsch als Fremdsprache. 3 Bde. München etc.: Klett.
Bausinger, Hermann
1988 Stereotypie und Wirklichkeit. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14: 157⫺170.
Behal-Thomsen, Heinke; Angelika Lundquist-Mog und Paul Mog
1993 Typisch deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentalität. München/Berlin: Langen-
scheidt.
Eckes, Thomas
2008 Messung von Stereotypen. In: Lars Eric Petersen und Bernd Six (Hg.), Stereotype, Vorur-
teile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen, 97⫺110. Wein-
heim/Basel: Beltz.
Erdheim, Mario
1988 Die Psychoanalyse und das Unbewußte in der Kultur. Aufsätze 1980⫺1987. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Erll, Astrid
2005 Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar:
Metzler.
Götze, Lutz
1993 Kultur, Kulturbegriff, Kulturpolitik. Zielsprache Deutsch 24(1): 52⫺56.
Grünewald, Matthias
2005 Bilder im Kopf. Eine Logitudinalstudie über die Deutschland- und Deutschenbilder japani-
scher Deutschlernender. München: iudicium.
Halbwachs, Maurice
1985 Das kollektive Gedächtnis. Mit einem Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Hans Maus.
Frankfurt a.M: Fischer Wissenschaft.
Lippmann, Walter F.
1964 Die öffentliche Meinung. München: Rütten & Loening [1922, Public Opinion. New
York: Macmillan].
Mog, Paul, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Althaus (Hg.)
1992 Die Deutschen in ihrer Welt. Tübinger Modell einer integrativen Deutschlandkunde. Berlin
etc: Langenscheidt.
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2008 Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen.
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1964 Typen der Gedächtnismetaphorik. Archiv für Begriffsgeschichte 9: 23⫺26.
individuelle Kompetenz ⫺ das (implizite) Wissen als Mitglied einer Kultur um die zentra-
len Bedeutungen und Regeln der eigenen und fremden Kultur, die nicht abfragbar oder
reflektiert, sondern im Handeln erkennbar sind (Vester 1996: 99⫺101) ⫺ auszubauen
und ein erweitertes Kulturverständnis aufzubauen.
Die Debatte, an welchem Ort die Erkenntnisse einer vergleichenden Kultur- und Men-
talitätsforschung im fremdsprachlichen Unterricht Einzug finden sollten, muss über die
Erörterung der nicht unproblematischen und in den letzten Jahren viel diskutierten Be-
griffe von Kultur und Mentalität erfolgen. Dies wird in der Vielfalt der Kulturdefinitio-
nen deutlich. Der Kulturpsychologe Thomas definiert in Weiterentwicklung des Kultur-
standardmodells von Hofstede (1980/1993) Kultur als ein Orientierungssystem, das aus
spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft tradiert wird. Sie struk-
turiert „ein für die sich in der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches
Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzung zur Entwicklung eigenständiger
Form der Umweltbewältigung“ (Thomas 1993: 380). Über die Beachtung zentraler Merk-
male des kulturspezifischen Orientierungssystems, den sog. „Kulturstandards“, d. h. allen
„Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns […], die von der Mehrzahl
der Mitglieder einer bestimmten Kultur als für sich persönlich und andere als normal,
selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden“ (Thomas 1993: 381; 1999:
109⫺110) können im interkulturellen Vergleich Unterschiede und Gemeinsamkeiten fest-
gestellt werden.
Altmayer wendet sich gegen dieses von Hofstede und Thomas entwickelte Konzept
einer Kulturstandardtheorie und kritisiert die Festlegung von Kulturstandards als zu
weit homogenisierend, (stereo-)typisierend und die Individuen determinierend. Zugleich
betont er weniger einen normativ gefassten Kulturbegriff etwa wie ihn Götze vertritt
(Götze 2005: 131⫺135), sondern sieht Kultur in einer Trägerfunktion, die „uns vor allem
mit einem Repertoire an gemeinsamen Wissen versieht, das dazu dient, uns selbst, unsere
Umwelt und unserem Handeln Sinn zu geben“ (Altmayer 2006: 184). Hier nähert sich
Altmayer Bausinger, der mit dem Begriff der kulturellen Komplexität auch abweichenden
Kulturwerten, Werten, die von alterierenden Verhaltensformen ganzer Gruppen in unse-
rer Gesellschaft ständig von Neuem definiert werden (intragesellschaftlicher Kulturbe-
griff) und die durch die Aktivitäten aller Mitglieder als Mitgestalter der kulturellen Ein-
maligkeit einer Gruppe geformt wird, ihr eigenes Recht zuerkennt und eben damit einem
mehr subjektorientierten, vom jeweiligen Angehörigen einer Kultur her zu denkenden,
Kulturverständnis den Weg bahnt (Bausinger 1999: 227⫺228). Hansen differenziert in
diesem Zusammenhang in Mono-, Multi-, Super- und Globalkollektive mit jeweils be-
stimmenden kulturellen Identifikationsangeboten und verweist so auf die Pluralität von
Kollektiven (2003: 194⫺206). Zugleich trägt dieser Ansatz der Entwicklung des Individu-
ums in einer postmodernen Gesellschaft Rechnung, da es sich je nach Kontext mit wech-
selnden Gruppen/Kollektiven identifiziert und somit eine Identität entwickelt, die eine
hybridhafte Kombination oder Konstellation von Identitätsbruchstücken darstellt. Indi-
viduen können als Mitglieder verschiedener Kollektive eine außerordentliche Heterogeni-
tät und Diversität aufweisen und sich dennoch mit ihrer Sprach- und Kulturgemeinschaft
identifizieren. „In unterschiedlichen Kommunikationssituationen kann das Individuum
jeweils neue Formen der Identität testen“ (Teske 2002: 173). Kultur wird damit zu einer
imaginären Konstruktion „aus einer Vielzahl von Praktiken, die potentiell vieldeutig sind
und erst in ihrer Realisierung (u. a. mit Blick auf Sprecher und Kontext) eine Bedeutungs-
einschränkung erfährt“ (Teske 2002: 24).
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1433
Wenn Altmayer Kultur also definiert als einen „Vorrat an vorgängigem, in Tradition
und Sprache gespeichertem und überliefertem Wissen (Deutungsmuster) (…), das inner-
halb sozialer Gruppen zirkuliert und auf das die Individuen zum Zweck der deutenden
Herstellung einer gemeinsamen Welt und Wirklichkeit und einer gemeinsamen Hand-
lungsorientierung zurückgreifen können und müssen“ (2006: 191), so betont er in erster
Linie die eigenverantwortlich intendierte Entscheidungsfreiheit des Subjektes in jeder
Phase seines Seins, in dem das Individuum auf einen Vorrat an kulturellem Wissen zu-
rückgreifen kann (2006: 186) und bewusste Entscheidungen über seine Handlungsweisen
trifft, die sinngebend sind.
Dieses eher vom Individuum her gedachte, subjektorientierte Verständnis von Kultur
birgt allerdings in strikter Abgrenzung zur objektivistischen Determinierung das Risiko,
eine mehr oder weniger starke Prägung der individuellen Mentalität bzw. Weltsicht durch
gemeinsame, spezifisch kulturelle Phänomene der Geschichte, Geographie, Religion, Sit-
ten, Bräuche, Politik usw. zu vernachlässigen. Die Konstruktion der individuellen Identi-
tät ist ein sozialer Prozess, vermittelt durch die kulturell vorgegebenen Sozialisierungsins-
tanzen bzw. -institutionen wie Familie, Schule, Peer Group, Berufsfeld, wobei wesentli-
che Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster als kollektivinterne Emotionen,
Wertvorstellungen und Normen in das individuelle Bewusstsein aufgenommen und inter-
nalisiert werden.
Kultur ist zusammenfassend zu verstehen als etwas Dynamisches, vielfach Differen-
ziertes, Prozesshaftes und Deskriptives, als ein bestimmtes Repertoire an Bedeutungs-
mustern und Zeichensystemen (Kulturstandards wie Werte, Normen, Bräuche und allge-
meine Wissensbestände wie Traditionen, Rituale, Glaubensvorstellungen, Mythen), über
das Gruppen, Kollektive, Organisationen oder Gesellschaften zu einem bestimmten, im-
mer wieder neu zu definierenden Zeitpunkt ihrer Entwicklung verfügen und damit Orien-
tierungsfunktion besitzen. In ihrer Orientierungsfunktion sind Bedeutungs- und Zeichen-
systeme bzw. Symbolsysteme fortwährend Veränderungen der Lebensverhältnisse unter-
worfen, wobei Elemente einer Kultur in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich
eingebracht werden („kulturelle Flexibilität“) und ein ständiger Austausch von kulturel-
len Informationen zwischen Kulturen stattfindet. Kulturelle Bedeutungsmuster lassen
Raum für Deutungen und Interpretationen. Der Einzelne wird durch die intrakulturellen
Bedeutungsmuster beeinflusst, aber nicht völlig dominiert, indem er seine Umwelt, seinen
sozialen Kontext beeinflusst und in ständigem Austausch mit diesen (historische) Bedeu-
tungsmuster mehr oder weniger verändert (Biechele und Leiprecht 1996: 33⫺35; Wolf
2001: 1182).
Mit dem Begriff der Kultur eng verbunden ist der der Mentalität. Kultur verbindet
mit Mentalität, dass sie „keine historische, gleichsam naturhafte Größe darstellt, sondern
selbst ein Produkt sozialer Prozesse und damit eine historische (…) veränderliche Größe
ist“ (Vester 1996: 14). Der Bestand dessen, womit eine jeweilige Gesellschaft und deren
soziale Gruppen sowie deren Individuen stillschweigend rechnen, wird zum Gegenstand
einer Mentalitätsforschung. Nicht mehr das Handeln der als fertig unterstellten Men-
schen, sondern der Prozess der Menschwerdung, der „subjektive Faktor“, wird zum In-
halt der Forschung, was u. a. dem lateinischen Wort mens als Wortwurzel von Mentalität
zu entlehnen ist, dem neben der Bedeutung von Geist und Verstand ebenfalls der Ge-
danke der Sinnesart, des Gemüts bzw. der Gemütsaffekte zu Grunde liegt. Diese kollek-
tiv geprägten individuellen Affekte und Sensibilitäten, der Bereich des Pathos, meinen
demnach nicht nur Vorstellungen, Einstellungen und evtl. Regeln, sondern auch gefühls-
1434 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
mäßig getönte Orientierungen, die, wie Ortega y Gasset schreibt, profunde Glaubensge-
wissheiten des Menschen sind, die er kaum bewusst denkt, die er aber lebt, die er ist
(Ortega y Gasset 1951: 20⫺24). Die Ideen eines Menschen sind austauschbar, während
das Mentale, das Unmittelbare, das in seinem Ursprung Freiliegende der Person betrifft,
und damit nicht nur sein Denken, sondern auch Empfindungen und Verhaltensweisen
offenbart. „,Mentalität‘ meint etwas langfristiger und in ,tieferen‘ Schichten des (Un)Be-
wußtseins Angelegtes, das vor allem auch Affekte und Emotionen einbezieht“ (Vester
1999: 437). Dies verweist rückwirkend aber auch auf die nur begrenzte Freiheit des Indi-
viduums, sich eine kollektive Identität und Mentalität auszusuchen (Vester 1999: 440).
Das Mentale manifestiert sich in Kommunikation und Verhalten (Gestik, Mimik, Proxe-
mik, Prosodie usw.), aber auch in kulturell immanenter, charakteristischer Artikulation
in Form von Artefakten und Mentefakten, deren individuelle Kulturträger das Indivi-
duum, und deren kollektiver Kulturträger die Gruppe ist.
Der Vergleich ist, wie bereits Pauldrach (1992: 12) feststellt, die beliebteste Methode
einer Gegenüberstellung von Kulturen. Im Vergleich von Mentalität und Weltsicht ver-
schiedener Kulturen erfolgt vor dem Hintergrund des Wissens um die zu vergleichenden
Phänomene und des Vergleichs unterschiedlicher individueller und kollektiver Sicht- und
Deutungsweisen einer sich ständig verändernden Lebenswirklichkeit eine Kontrastierung
explizit differenzierter kultureller Deutungsmuster sinngebenden Handelns.
Der Vergleich in der landeskundlich orientierten Kultur- und Mentalitätsforschung
ist als Mittel zur Erkenntnisgewinnung mit seiner Konnotation „Bewertung“ und der
Gefahr der Typisierung (Stereotypenbildung) nur bedingt heranziehbar, insofern als ver-
schiedene Orientierungssysteme, wie sie Kulturen darstellen, nie ein und derselben Ebene
entstammen können (Wolf 2001: 1180). Wenn Pauldrach also den „alltäglichen“ Ver-
gleich als Methode der Erkenntnisgewinnung kritisiert und aus diesem Grund das Wissen
um die zu vergleichenden Gegenstände voraussetzt, die im interkulturellen Vergleich kon-
trastiert werden, so muss der Erkenntnis Raum gegeben werden, dass viele Erscheinun-
gen in anderen Kulturen und Mentalitäten nicht vergleichbar sind, uns daher immer
fremd, aber auch anziehend bleiben werden. Als Ziel der Erkenntnisgewinnung findet
der Vergleich „seinen Platz am Ende des Verstehens- und Verständigungsprozesses zwi-
schen zwei Gesellschaften und Kulturen“ (Pauldrach 1992: 13).
Die vier Dimensionen erweiterte er in weiteren empirischen Arbeiten um eine fünfte, das
Zeitbewusstsein (Hofstede 1993: 190, 2001: 79⫺372).
Diese Dimensionen, die Neuner als „Universalien“ bzw. universelle/elementare Da-
seinserfahrungen ausdifferenziert (Neuner 1989: 361⫺362) unterscheiden sich in ihren
Erscheinungsformen von Kultur zu Kultur z. T. erheblich. Sie gewinnen als Grundlage
für die vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung im Fach Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache ihre Relevanz. Die konkreten Ausprägungen der typisierten anthropologi-
schen Grundkategorien beschreiben Lebensweise, Denken und Fühlen der Menschen in
der jeweiligen Zielkultur und geben damit als „tertia comparationi“ Inhalte vor, die mit
den konkreten Ausprägungen der Ausgangskultur vergleichbar werden, wobei allerdings
der eher eurozentrische Vergleich sehr unterschiedlicher Kulturen als nicht angemessen
erkenntnisfördernd in Frage gestellt wird (Wormer 2007: 11).
Ertelt-Vieth (2005) greift, diese Kritik beinhaltend und kulturtheoretisch aufbauend
auf Geertz‘ semiotisches Verständnis von Kultur als „selbstgesponnenem Bedeutungsge-
webe“ (Geertz 1999: 9) im Sinne einer vergleichenden Symbol- und Ritualforschung der
interpretativen Kulturanthropologie, das in der russischen Ethnopsycholinguistik entwi-
ckelte Modell der „Lakunen“ auf und versucht in ihren empirischen Arbeiten zum rus-
sisch-deutschen Schüleraustausch interkulturelle Wahrnehmungs- und Lernprozesse ver-
ständlicher zu machen. Lakunen sind „kulturspezifische Elemente (Realia, Prozesse, Zu-
stände) eines Textes (im weitesten Sinne), die den Erfahrungen der Träger einer anderen
Kultur nicht entsprechen. Sie können das Verstehen erschweren, aber auch motivieren“
(2005: 74), und werden in subjekt-kulturpsychologische Lakunen, in Lakunen der Kom-
munikationsfähigkeit und Lakunen des kulturellen Raums eingeteilt und dabei vielfach
differenziert (Ertelt-Vieth 2005: 75). Für die vergleichende Kultur- und Mentalitätsfor-
schung sind sie insofern interessant, als sie per definitionem interkulturell ausgerichtet
sind, weil sie nur in der Begegnung von Vertretern mindestens zweier Kulturen auftreten
und als Basis der kulturvergleichenden Analyse von Verhalten, Sprache und Bedeutungen
Anwendung finden (2005: 73⫺75), die Gefahr einer Subjektivierung aber nicht ganz aus-
schließen können.
Ähnlich verweist Müller-Jacquier, auf die Interaktions- und Kommunikationsdyna-
mik interkultureller Prozesse Bezug nehmend, auf den Begriff „Interkultur“, der eine
kommunikative „Zwischenkultur“ bezeichnet, „die durch Kulturkontakt konstruiert
wird“ (1999: 37). Demnach haben interkulturelle Kommunikationssituationen eine ei-
gene, interaktive Dynamik, „in der Kommunikations- und Verhaltensregeln ausgehan-
delt werden und deren Verlauf durch diese Kommunikations- und Kulturstandards der
Beteiligten nur in begrenztem Maße gesteuert wird und demzufolge vorhersehbar ist“
(Lüsebrink 2003: 314⫺315). Das von Müller-Jacquier entworfene, auch für kultur- und
mentalitätsvergleichende Forschung interessante Raster für die Analyse interkultureller
Kommunikationssituationen umfasst zehn Komponenten, die kultur- und mentalitätsbe-
dingte Verhaltens- und Handlungsweisen, Unterschiede, aber auch Fehlinterpretationen
und Missverständnisse, „Critical Incidents“, verständlich und damit über den Vergleich
erklärbar und behandelbar machen können (1999: 57⫺99): soziale Bedeutung/Lexikon,
Sprachhandlungen/Sprechhandlungssequenzen, Gesprächsorganisation, Themen, Di-
rektheit/Indirektheit, Register, paraverbale und nonverbale Faktoren, kulturspezifische
Werte/Einstellungen, kulturspezifische Handlungen (Lüsebrink 2003: 315⫺316).
Mit der aktuellen Debatte um die Etablierung der Landeskunde als Kulturwissen-
schaft gewinnen Konzepte wie das einer xenologisch-transkulturellen (-transnationalen),
1436 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
rien netzwerkartig miteinander verbindet und damit die Verflechtung menschlicher Le-
benswirklichkeit aufzeigt. Dies muss unter besonderer Berücksichtigung unseres deutsch-
sprachigen Kulturraums in seiner Verschiedenheit erfolgen.
Der Integration und Akkulturation der in Deutschland lebenden Migranten stehen häu-
fig unüberwindbare Barrieren gegenüber, weil deren lebensweltliche Voraussetzungen
völlig andere Implikationen mit sich führen als die, die in deren soziokultureller Wirk-
lichkeit gegeben sind. Soziokulturelle Wirklichkeit wird als die Gesamtheit der auf ein
Individuum einwirkenden Prozesse verstanden, die sein Leben und Handeln prägend
beeinflussen, im Wechselspiel von elementaren Erfahrungs- und Sozialisierungsprozessen
sein Bewusstsein formen und als Mentalität konstruieren sowie sein kulturelles Wissen
in einer Gesellschaft entwickeln. Diese Inkongruenz, in der die Menschen leben, verstärkt
die Ausprägung jeweilig spezifischer Denk- und Handlungsmodelle, denen unterschiedli-
che Parallel-Welten bzw. Konzeptionen von Lebenswirklichkeit zu Grunde liegen.
Für einen interkulturellen Unterricht in Deutsch als Fremd- und besonders Zweit-
sprache stellt sich die Frage, wie die in einer vorgegebenen Lebenswirklichkeit zu vermit-
telnden Kenntnisse von Regeln, Normen, Werten einer Gesellschaft, einer Kultur und
die daraus resultierenden Verhaltens- und Handlungsmuster, die sich in den unterschied-
lichen Alltagssituationen manifestieren, zu didaktisieren sind. Dies setzt ein Beschrei-
bungsmodell voraus, das von einem kulturellen Fundament ausgeht, das einerseits die
Basis für die im Interkulturellen geforderte Empathie, Ambiguitätstoleranz und Sensibili-
sierung bietet, Gemeinsames betont und Unterschiede benennt, andererseits aber auch
auf kulturellem und mentalitätsorientiertem Feld Möglichkeiten für Vergleiche erschließt,
das jeweilige kulturelle Wissen systematisiert und dadurch eine Didaktisierung ermög-
licht. Ein solches Modell ist Kultur als Kultext. Kultext meint in diesem Zusammenhang
die Verflechtung von Bestandteilen des kulturellen Wissens und des Bewusstseins eines
Individuums und Kollektivs, ein Netzwerk aus Wissensbeständen aller Art, das nicht nur
die kognitive Komponente umfasst, sondern auch Erfahrungen, Erwartungen, Einstel-
lungen, Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen beinhaltet, die vom Mentalen
konstruiert werden und damit nicht unmittelbar offen liegen. Gleichsam synaptischen
Konnektoren beeinflussen und bedingen sie sich wechselseitig und bringen sich zugleich
gegenseitig hervor, erzeugen einander. Hinter dem Terminus Kultext verbirgt sich die
Erkenntnis, dass alle Aspekte der Lebenswirklichkeit auf enge Weise miteinander ver-
flochten sind und einen Gesamtkomplex an Wissens- und Bewusstseinsbeständen erge-
ben, dessen Beschreibung sehr schwer im Einzelnen greifbar und festzuhalten ist. Kultext
wird damit einerseits zum Synonym für die Verstrickung aller Aspekte von Lebenswirk-
lichkeit, will andererseits aber auch ein Beschreibungskonzept sein, eine Deskription von
Leben als „selbstgesponnenem Bedeutungsgewebe“ (Geertz). Das kulturelle Fundament
bestimmt als suprakulturelle Dimension die Grundpfeiler von Orientierungssystemen,
grundlegende Normen, Werte und Konzepte des Handelns, Lebensziele, die die in einem
definierten Kollektiv existierenden kulturspezifischen Ausprägungen von Kulturstan-
dards ummanteln. Es bestimmt die Einstellung zu Erziehung, Krankheit, Kleidung, Psy-
che usw. und wird in seiner Konkretisierung durch Faktoren wie Klima, geomorphologi-
1438 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
sche Gegebenheiten oder Naturkatastrophen beeinflusst. Jede Kultur entwickelt auf der
Grundlage dieses kulturellen Fundaments eine charakteristische Sicht der Welt, die das
kulturelle Bewusstsein des Einzelnen, aber auch das kollektive Wissen bestimmt. Zeit-
und Raumverständnis, Individualität und Kollektivität formen und prägen unter Einbe-
zug vielfältiger weiterer Prozesse und Faktoren auch hier die Herausbildung des kulturel-
len Wissens und Bewusstseins.
Mit dieser kulturspezifischen Weltsicht verknüpft sind Dimensionen menschlicher
Existenz (Mueller-Liu 2009: 121⫺122). Ziel des Beschreibungs- bzw. Erfassungsmodells
ist ein Konzept, das von der Gleichheit aller zu beschreibenden Varianten ausgeht und
das kultur- und mentalitätsvergleichende Kategorien wie sie z. B. Teske, Altmayer und
Neuner vorschlagen in ihren Bestandteilen und Strukturen zwar aufgreift, seinen Schwer-
punkt aber in einem übergreifenden kulturellen Fundament gründet und dadurch die
Möglichkeit der Übertragung auf andere Weltsichten bietet. Die Struktur des Modells
ist ausgelegt auf zahlreiche Querverbindungen und Schnittflächen zwischen den einzelnen
Bestandteilen, Ebenen und Schichten des fundamentalen Grundkonzeptes, den Grund-
einstellungen menschlicher Existenz, dem kulturellen Basiswissen und Bewusstsein, dem
kulturellen Wissen usw., die noch konkretisiert werden müssen (Wolf und Mueller-Liu
i.V.). Das Beschreibungsmodell beabsichtigt ebenso wie alle kulturellen Modelle sowohl
im Detail wie auch in der Struktur/im Aufbau einer leichteren, systematischeren und
zweckdienlicheren Erfassung und Didaktisierung der Landeskunde in Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache und damit auch der vergleichenden Kultur- und Mentalitäts-
forschung zu dienen.
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Jahrhundert ⫺ aufgezeigt am Beispiel einer wissenschaftlichen Landeskunde. Zeitschrift
für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12(2). (Online).
Von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Landeskunde im Fach Deutsch als
Fremdsprache ist die Aufteilung des Fachs in eine linguistische, lehr-/lernwissenschaft-
liche, literaturwissenschaftliche und eben auch landeskundliche Ausrichtung (vgl. Henrici
und Koreik 1994: 16⫺19; vgl. Art. 2). Diese Aufteilung sei, so Altmayer (2004a: 14),
„mittlerweile weithin akzeptiert“, die Wirklichkeit aber sehe für die landeskundliche Aus-
richtung angesichts mangelnder institutioneller Anbindung, fehlender wissenschaftlich
fundierter Ausbildung von Lehrkräften und nicht ausreichend ausgeprägter wissenschaft-
licher Forschung anders aus. Inzwischen lassen entsprechend denominierte Lehrstühle,
ein Zuwachs an einschlägigen Ausbildungsangeboten (vgl. Althaus 2009: 131; Koreik
2009: 5) und eine intensivierte forschungsmethodologische Diskussion für die Zukunft
hoffen.
Das Problem der Aufteilung des Fachs in Ausrichtungen und das damit einhergehende
Verständnis von Landeskunde als wissenschaftlicher Teildisziplin ist mittlerweile jedoch
viel grundsätzlicher. Was für die Beschreibung der sich entwickelnden DaF- und auch
DaZ-Studiengänge und damit auch des Fachs einmal sinnvoll war, war seinerzeit schon
nicht ganz unproblematisch, da sich die Systematisierung weitgehend an den Denomina-
tionen der Lehrstühle sowie dem Lehrangebot an den einzelnen existierenden Studien-
gängen orientierte. Ein Blick in die landeskundliche Diskussions- und Forschungsland-
schaft, auf die sich weiter vertiefenden fächerübergreifenden Debatten und auf die damit
zunehmende theoretische und thematische Komplexion verdeutlicht jedoch, dass sich
1442 XVII. Landeskunde
eine solche strukturale Sicht auf DaF und Landeskunde als Fach und Teildisziplin als zu
schablonenhaft erweist.
Nicht nur stellt sich die Landeskunde bereits seit den 1980er Jahren mit entscheiden-
den Anregungen aus der Romanistik und Anglistik als eine die Philologien übergreifende
Diskussion dar, auch erscheint eine trennscharfe Abgrenzung der Landeskunde von Kon-
zepten wie z. B. interkulturelles Lernen bzw. interkulturelle Kompetenz kaum noch mög-
lich. Zudem sind spätestens seit den cultural turns deutliche Schnittmengen in For-
schungsfragen und -methodologien zwischen den Bereichen des Fachs einerseits und den
Philologien und den Sozial- und Kulturwissenschaften andererseits zu beobachten (vgl.
Art. 154).
Landeskunde lässt sich nicht länger als eine klar abgrenzbare wissenschaftliche Teil-
disziplin des Faches DaF/DaZ darstellen, vielmehr als ein theoretisch-begriffliches Kon-
zept, das im Rahmen fremdsprachendidaktischer Debatten als ein Interpretations- und
Argumentationsmuster zur Bezeichnung (und Konturierung) der soziokulturellen Di-
mensionen von Sprache, Spracherwerb und Sprachgebrauch dient. Der fach- und for-
schungssystematische Bezugsrahmen kann also weder Landeskunde als wissenschaftliche
Teildisziplin noch Landeskunde als Konzept, sondern nur jener fremdsprachenwissen-
schaftliche Diskurs sein, in dem der Nexus von Sprache und Kultur unter Erwerbs- und
Vermittlungsperspektive den zentralen Begründungszusammenhang für theoretische, di-
daktisch-methodische oder unterrichtspraktische Positionen darstellt. In diesem Diskurs
stellt Landeskunde als ebenso wirkmächtiges wie tradiertes Konzept schließlich nur eines
von sechs Kernkonzepten dar, die durch die Begriffe Realienkunde, Kulturkunde, Lan-
deskunde, interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz und kulturwissenschaftli-
che Ansätze gekennzeichnet werden können.
Die Auseinandersetzung mit Landeskunde auf den Ebenen des internationalen, des
deutschsprachigen und des im engeren Sinne landeskundlichen Diskurses führt schnell
zu einer gewissen Ratlosigkeit, scheint die Vielzahl an Begriffen doch mit der Vielzahl
an Versuchen zu korrelieren, „typologische Klarheit in die ausufernde Landeskunde-
Debatte zu bringen“ (Veeck und Linsmayer 2001: 1161). So stehen sich im internationa-
len Diskurs Bezeichnungen wie civilisation, culture étrangere, cultural studies, area studies,
realia, kulturorientering, kulturkunnskap, kulturforståelse oder auch culture pedagogy (vgl.
Risager 2007) gegenüber, während sich im deutschsprachigen Diskurs scheinbare Syno-
nyme wie Landeswissenschaften, Deutschlandstudien, Leutekunde oder Kulturstudien fin-
den. Nicht zuletzt ist die engere Landeskunde-Diskussion geprägt durch ⫺ meist als
Ansätze propagierte ⫺ Attribuierungen wie pragmatisch oder sozialwissenschaftlich,
kognitiv, kommunikativ oder interkulturell, sprach- oder informationsbezogen, implizit
oder explizit usw., die es in ihrer Reinform nicht gibt (vgl. Art. 161⫺163).
Dabei wird schnell offensichtlich, dass sich das Problem der Begrifflichkeiten, gekenn-
zeichnet durch einen „nicht unwichtigen, aber ermüdenden Kampf um den richtigen bzw.
durchsetzbaren Begriff“ (Koreik 2009: 3), nicht in der Frage der diversen Benennungen
erschöpft, sondern sich hinter den Begriffen jeweils spezifische Konzeptualisierungen des
Gegenstandes verbergen. Indem Kramsch (1991: 219⫺26) die nicht unerheblichen Unter-
schiede zwischen US-amerikanischen, französischen und deutschen Diskussionen zur
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1443
Vermittlung von Sprache und Kultur herausarbeitet, verdeutlicht sie, dass es sich bei
civilisation, cultural studies und Landeskunde nicht um äquivalente Begriffe, sondern um
Konzepte handelt, die in unterschiedlichen bildungspolitischen, theoretischen und didak-
tischen Begründungszusammenhängen stehen und nur bedingt übersetzbar sind. Zudem
liegen die terminologischen Schwierigkeiten in der häufig unklaren Bezugnahme auf die
verschiedenen Ebenen der Landeskunde begründet, die von Simon-Pelanda (2001: 42)
„als Gegenstandsbereich in der Forschung, als Inhalt in der Ausbildung der Lehrenden,
als thematische Progression im Unterricht und als Ergebnis staatlicher Fremdsprachen-
politik“ differenziert wurden.
In welchen Dimensionen der Differenz Begriffsdebatten als Sachdebatten über Ziele,
Wege und Mittel der Landeskunde als Konzept geführt werden, lässt sich an folgenden
vier Spannungsfeldern verdeutlichen: Erstens verweisen Begriffe wie Landeskunde, -wis-
senschaft oder -studien auf unterschiedliche Ansichten über den Grad an Wissenschaft-
lichkeit bzw. Praxisbezug und auf den jeweils vorrangig betonten Anwendungsbereich.
So ist zum einen die Forderung charakteristisch, zwischen Unterrichts- und Forschungs-
ebene ⫺ z. B. mittels der Begriffspaare Landeskunde/-wissenschaft (Höhne und Kolboom
1982) oder Kulturlehre/-wissenschaft (Casper-Hehne 2006) ⫺ auch terminologisch zu
unterscheiden. Zum anderen ist die weiterhin unklare fach- und wissenschaftssystemati-
sche Verortung der Landeskunde angesprochen, die Altmayer (2004a) in einem Verständ-
nis von Wissenschaft begründet sieht, das sich über Forschungsgegenstände der Bezugs-
wissenschaften (u. a. Politik- und Geschichtswissenschaften) und nicht über das eigene
erkenntnisleitende Interesse (Unterstützung landeskundlicher Lernprozesse) definiert.
Zweitens werden mit Konzepten wie Kultur-, Landes- oder Leutekunde jeweils unter-
schiedliche Lehr-, Lern- bzw. Forschungsgegenstände fokussiert, die u. a. aus der Totali-
tät der gesellschaftlichen Wirklichkeit eines Landes, aus den pragmatischen Erfordernis-
sen des Fremdsprachengebrauchs oder aus den semantischen Bezügen des zu lernenden
Sprachmaterials abgeleitet werden. Zugleich steht den divergierenden Gegenstands- und
Inhaltsbezügen eine vergleichbar divers interpretierte Lerner- und Lernprozessorientie-
rung gegenüber, mit der die Frage notwendigen soziokulturellen Hintergrundwissens hin-
ter die interessen- und bedarfsorientierte Entwicklung lernfördernder Curricula und Ver-
fahren tritt. Drittens impliziert die Rede von landeskundlichen Modellen, Ansätzen und
Konzepten die jeweils sehr unterschiedliche Berücksichtigung dreier Argumentations-
ebenen, die sich mit Richards und Rodgers (2007: 18⫺35) als Approach (u. a. sprach-,
kultur- und lerntheoretische Bezüge), Design (v. a. curriculare bzw. didaktisch-methodi-
sche Fragen) und Procedure (u. a. Lehr-/Lerntechniken, Übungsformen) bezeichnen las-
sen. Hier ist zu beobachten, dass sich ⫺ dem für DaF/DaZ konstitutiven Praxisbezug
entsprechend ⫺ ein großer Teil der Landeskunde-Diskussion auf Design- und Procedure-
Ebene bewegt und die Konzeptionsebene häufig nur fragmentarisch entwickelt bleibt.
Gleichzeitig wird in der aktuelleren Diskussion die traditionell unterbelichtete Approach-
Ebene zum Ausgangspunkt genommen, um teils grundsätzliche Kritik an den kulturtheo-
retischen Grundannahmen älterer Ansätze zu üben und theoretisch differenziertere Mo-
delle zu entwickeln, die als Grundlage intensivierter empirischer Forschung oder innova-
tiver didaktischer Konzeptionen dienen (sollen). Viertens ist der Diskurs Sprach- und
Kulturerwerb im Allgemeinen und Landeskunde im Speziellen seit jeher durch ein mehr
oder minder reibungsloses Ineinandergreifen (u. a. sprach-, lehr-/lern-)wissenschaftlicher
Diskurse und (u. a. bildungs-, sprach-, kultur-)politischer Diskurse geprägt. Während
ältere und aktuelle Bestrebungen, die Landeskunde sozial- oder kulturwissenschaftlich
1444 XVII. Landeskunde
„Die ,Landeskunde-Diskussion‘ könnte man seit ihren Anfängen als Abfolge exklusiv
behaupteter Ansätze kennzeichnen, als ,Pendelschwungbewegungen‘ von realistischen zu
idealistischen Zielen, von anwendbarem Wissen zu individueller Bildung, von Fertigkei-
ten zu Fähigkeiten, von pädagogisch zu politisch legitimierten oder gesetzten Zielen ⫺
und vice versa“ (Simon-Pelanda 2001: 48). Diese zutreffende ⫺ und vermutlich auch für
die Zukunft gültige ⫺ Feststellung lässt eine Darstellung der Entwicklungslinien der
Landeskunde in linear aufeinanderfolgenden, klar abgrenzbaren Epochen und Phasen
von vorneherein als problematisch erscheinen, wenngleich auch nur der differenzierte
Blick auf die mäandernde Entwicklung Fortschritte, Defizite wie auch sich überschnei-
dende und wiederholende Diskurse offenbart.
Schaut man sich ältere Darstellungen landeskundlicher „Entwicklungslinien“ (u. a.
Christ 1979; Neuner 1994; Koreik 1995) an, scheint sich eine historisierende Perspektive
durchgesetzt zu haben, in der die Entwicklung der Landeskunde als fremdsprachenwis-
senschaftliche Teildisziplin zwar immer wieder von Kontroversen geprägt ist, letztlich
jedoch als linear-progressiver Fortschritt von klassischen zu aktuellen Ansätzen und
Konzepten zu beschreiben ist. Der jeweils stark konventionalisierte Erzählstrang folgt
folgendem Muster: Der ursprünglichen Realienkunde des späten 19. Jahrhunderts folgt
die stärker komparatistisch angelegte Kulturkunde der ersten Dekaden des 20. Jahrhun-
derts, die ⫺ zwischen 1933 und 1945 als Volkstumkunde instrumentalisiert ⫺ in der
Nachkriegszeit neben Re-Education (BRD) und der Erziehung zur sozialistischen Persön-
lichkeit (DDR) weiter besteht und erst in den späten 1960er Jahren durch die Landes-
kunde abgelöst wird. Während die 1960er bis 1980er Jahre von einem Spannungsfeld
zwischen sprachimmanenten (pragmatischen) und sozialwissenschaftlichen Landes-
kunde-Konzepten geprägt ist, wird aus Sicht der 1990er Jahre der traditionellen kogniti-
ven Landeskunde (1960er) eine kommunikative (ab den 1970ern) und schließlich eine
interkulturelle Landeskunde (ab den 1990ern) nachgeordnet, die zur Jahrtausendwende
den Status quo markiert.
Führte man diesen Erzählstrang bis zur Gegenwart fort, wäre im Folgenden ⫺ ebenso
vereinfacht ⫺ der Übergang von einer interkulturellen Landeskunde hin zu einer kultur-
wissenschaftlichen Landeskunde nachzuzeichnen, in dessen Verlauf sich die Landeskunde
seit den 1990er Jahren nicht nur verstärkt Diskussionen über interkulturelle Kommuni-
kation, interkulturelles Lernen und interkulturelle Kompetenz(en) anschließt, sondern in
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1445
2. Landeskunde im Kontext
Wesentliches Grundmerkmal der Realienkunde der ca. letzten drei Jahrzehnte des 19.
Jahrhunderts war die Betonung utilitaristischen Wissens über Land und auch Leute im
Gegensatz zum bis dahin vorherrschenden Prinzip der Sprachvermittlung, bei dem in
Tradition des altphilologischen Sprachunterrichts nach der Grammatikvermittlung die
Übersetzung literarischer Klassiker als höchstes Ziel galt. Ein sich verstärkt internationa-
lisierender Handel und Verkehr (und weniger offen genannt militärische Aspekte) dienten
als Argumentationsfolie für die Forderung nach einer fortschrittlicheren realistischen
Sprachausbildung, in der alle wichtigen Fakten über Staat und Gesellschaft vermittelt
werden sollten. Kenntnisse über den Alltag im Zielsprachenland und insbesondere Wis-
sensbestände über Geographie, Geschichte, den Staatsaufbau und die Wirtschaftszusam-
menhänge sollten vermittelt werden. Diese Zielsetzung wurde als pragmatischer Fort-
schritt hin zu einem modernen Sprachunterricht gesehen und war dabei stark dem positi-
vistischen Denken des 19. Jahrhunderts und einer enzyklopädischen Betrachtungsweise
verpflichtet.
Der zu einem Konzept verdichtete Diskursstrang Realienkunde kann entweder zur
Abgrenzung einer Kulturkunde oder Landeskunde dienen ⫺ oder ist aber als realien-
kundliches Prinzip auch in aktuellen Diskussionen und Entwicklungen (Renaissance des
Faktischen in Lehrwerken, u. a. für Orientierungskurse; vgl. Art. 164) zu rekonstruieren.
Das Grundprinzip der vor allem in den 1920er Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen
und auf vielen Tagungen propagierten Kulturkunde war der angestrebte Vergleich der
Kulturen, der zum methodischen Bildungsprinzip erhoben wurde und alle Bereiche des
1446 XVII. Landeskunde
neusprachlichen Unterrichts durchdringen sollte. Ziel war es nun nicht mehr, enzyklopä-
dische Wissen, d. h. additiv zusammengefügte Realien, über das Zielsprachenland zu ver-
mitteln, sondern die fremde Kultur in ihrer Gesamtheit zu betrachten und damit das
Wesen des fremden Landes und Volkes im Kontrast zum eigenen zu verstehen, den Volks-
charakter zu erfassen. Eine gewisse, die Auseinandersetzung von Anfang an mit prä-
gende, stereotypisierende Stilisierung des deutschen Wesens im Kontrast zum sogenann-
ten Wesen anderer Völker führte in den 1930er Jahren zu einer nahtlosen Überführung
der Kulturkunde in eine der nationalsozialistischen Rassenideologie entsprechenden
deutschen Wesensschau.
Entsprechend erscheint auch der Diskursstrang Kulturkunde konzeptuell verdichtet
entweder als historische Kontrastfolie nunmehr landeskundlicher Ansätze ⫺ oder aber
als kulturkundliches Prinzip, das auch aktuelle Diskussionen über interkulturelles Ler-
nen oder Fremdverstehen (in der Auseinandersetzung mit dem Fremden das Eigene re-
flektieren) durchzieht.
Seit Ende der 1960er Jahre hat sich ⫺ nachdem nach dem Krieg zunächst an Ideen der
Kulturkunde der 1920er Jahre angeknüpft wurde sowie Fakten vermittelt wurden ⫺ der
Begriff Landeskunde durchgesetzt und trotz aller Kritik bisher hartnäckig gehalten. Dies
ist zum einen auf die konzeptionelle Vagheit des zunächst als Ersatz für den als belastet
erachteten Begriff Kulturkunde zurückzuführen, zum anderen auf die Vielfalt und Varia-
tionsbreite dessen, was unter diesem Begriff schrittweise subsumiert und entwickelt
wurde. Der Abschied von der traditionellen Kulturkunde war zugleich zunächst ver-
knüpft mit einem nicht nur auf Kommunikation ausgerichteten, sondern auch auf Eman-
zipation der Lerner zielenden Fremdsprachenunterrichts als ein Reflex auf eine kritische
Gesellschaftstheorie. Innerhalb des gut dreißigjährigen Diskurses über Landeskunde ha-
ben sich zahlreiche der Pendelschwünge erneut gezeigt, die seit dem 19. Jahrhundert die
Diskussion bestimmen. Dazu gehört das die Landeskunde in ihren Zielen und Inhalten
prägende Spannungsfeld zwischen Nützlichkeits- und Bildungsprinzip (vgl. Rössler
2007), das sich in den 1970er Jahren in einem pragmatischen und einem sozialwissen-
schaftlichen Ansatz der Landeskunde, wie auch in den 1990er Jahren in einem pragmati-
schen und einem pädagogischen Verständnis von interkulturellem Lernen widerspiegelt.
Bereits in den Stuttgarter Thesen (Robert Bosch Stiftung und Deutsch-Französisches
Institut 1982) wird Kritik an einer einseitig sprechfertigkeitsorientierten und faktenorien-
tierten Vermittlung landeskundlicher Inhalte als erster Schritt hin zu einer transnationa-
len Ausrichtung geübt und die Synthese des pragmatischen und sozialwissenschaftlichen
Ansatzes versucht. Ein kulturkontrastives Vorgehen und lernerzentrierter landeskundli-
cher Unterricht sollte von der Wahrnehmung als kulturell geprägtem Prozess ausgehen
und auf authentische Kommunikationssituationen sowie „auf das Verstehen und Erör-
tern dargestellter fremder und eigener Wirklichkeit in sprachlichen und nichtsprachlichen
Dokumenten“ vorbereiten (Robert Bosch Stiftung und Deutsch-Französisches Institut
1982: 11).
Jedoch bleibt auch in den 1990er Jahren die Frage nach einem landeskundlichen The-
menkatalog im Vagen, wobei Neuners Versuch, elementare Daseinserfahrungen als anth-
ropologische Grundkategorien als Themen festzulegen (Neuner 1994: 23) zumindest auf
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1447
Auch wenn gelegentlich nicht von interkultureller Kompetenz, sondern vom Lernziel
Kulturkompetenz (Buttjes 1996) die Rede ist, scheint sich interkulturelle Kompetenz als
zentrale Begrifflichkeit durchzusetzen und ersetzt frühe Diskussionen über interkulturelle
Kommunikation, welche Knapp und Knapp-Potthoff bereits (1990: 66) als „die inter-
personale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, die sich im Blick
auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen For-
men symbolischen Handelns unterscheiden“, definiert haben. Hier knüpfen einige der
kulturwissenschaftlichen Ansätze (vgl. u. a. Altmayer 2004a) an, während die als Landes-
kunde bezeichnete Diskussion über spracherwerbsrelevantes soziokulturelles (Hinter-
grund-)Wissen unter erheblichen Handlungsdruck gerät, einer „Entkulturalisierung und
Preisgabe der Inhalte“ (Rössler 2007: 9) im Rahmen standard- und kompetenzorientier-
ter Curricula mit neuen Konzepten zur Auswahl und Sequenzierung von Inhalten zu be-
gegnen.
Auch wenn die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde bereits ein zentrales Desi-
derat älterer Debatten darstellt (vgl. u. a. Wormer 2004) bildet sich im Zuge disziplin-
übergreifender Entwicklungen (vgl. Art. 154) unter dem Terminus kulturwissenschaftliche
Ansätze seit der Jahrtausendwende ein eigenständiger fremdsprachenwissenschaftlicher
Diskursstrang heraus, der sich einerseits nur noch partiell auf landeskundliche Fragestel-
lungen und Inhalte bezieht, der andererseits neben interkulturellem Lernen und interkul-
tureller Kompetenz das Konzept Landeskunde in seiner tradierten Bedeutung als Lehr-/
Lern- und Forschungsgegenstand grundsätzlich herausfordert, wenn nicht gar abzulösen
im Begriff ist.
Dabei stellen kulturwissenschaftliche Ansätze kein klar zu erfassendes, methodisch
oder inhaltlich definierbares Paradigma, sondern vielmehr ein komplexes Konglomerat
unterschiedlichster Forschungsschwerpunkte und -gegenstände dar, denen u. a. „der
Blick auf die Konstruktion kollektiver Sinnstiftung bzw. Orientierungsmuster (und) das
Aufbrechen der unglücklichen Verquickung von Kultur, Nation und Sprache“ gemein-
sam ist (vgl. Schmenk 2006: 267).
Kulturwissenschaftliche Ansätze in den Philologien sind auf zumindest drei Diskussi-
onsebenen zu verorten: Neben der v. a. in der Anglistik mittlerweile etablierten Diskus-
sion über eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Literatur- bzw. Textdidaktik stehen
die unter den Konzepten sociocultural paradigm und language socialization insbesondere
im angloamerikanischen Kontext betriebene, kulturwissenschaftlich fundierte Sprach-
erwerbsforschung sowie schließlich die Versuche einer kulturwissenschaftlichen Transfor-
mation der Landeskunde im deutschsprachigen Raum (vgl. Hu 2005). In der stark litera-
turwissenschaftlich orientierten, kulturwissenschaftlichen Textdidaktik werden die neu-
eren Literatur- und Kulturwissenschaften als Bezugswissenschaften der Literatur- und
Textdidaktik verstanden, um über theoretisch-konzeptionelle Bezüge auf cultural studies,
gender studies und postcolonial studies das Verhältnis von Literatur, Kultur und Fremd-
sprachendidaktik neu zu bestimmen. Vereinzelte Konzepte ⫺ z. B. Intertextualität, Nar-
rativität, Performativität ⫺ werden in ihrem Nutzen für die (Fremdsprachen-)Didaktik
als theoretische Disziplin und für die Unterrichtspraxis reflektiert (vgl. exemplarisch Hal-
let 2002), wobei die kulturtheoretische Aktualisierung des fremdsprachendidaktischen
1450 XVII. Landeskunde
3. Herausorderungen
Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, die unterschiedlichen Diskursstränge auch
über die Fächergrenzen hinaus zusammenzuführen, egal unter welchem begrifflichen Eti-
kett dies geschieht. Der Bereich, durch den die verschiedenen Ebenen der Landeskunde
dabei zusammengeführt werden müssen, ist die Forschung. Der Landeskunde ⫺ wie auch
den Diskurssträngen interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz und den diver-
sen kulturwissenschaftlichen Ansätzen ⫺ mangelt es vor allem an empirischer Grundla-
genforschung mit der beispielsweise anhand qualitativer Studien (möglichst Longitudi-
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1451
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1454 XVII. Landeskunde
1. Begrisverständnis
Sprachbezogene Landeskunde kann als ein Oberbegriff verstanden werden, unter dem
integrative Unterrichtskonzepte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zusammenge-
fasst werden, welche die Berücksichtigung des Zusammenhangs von Sprachenlernen und
Kulturvermittlung/Kulturverstehen im Fremdsprachenunterricht (Interdependenz) zum
zentralen Anliegen haben. Eine solche Landeskunde ist kommunikativ und interkulturell
konzipiert und unterscheidet sich in dieser Akzentuierung von einer eher explizit angeleg-
ten, gegenstandsbezogenen oder auch problemorientierten Landeskunde. Sprachbe-
zogene Landeskunde im engeren Sinne wird auch als implizite, sprachinhärente oder
sprachimmanente Landeskunde bezeichnet (Lüger 1991: 14⫺15). In der auf Lernstufen
gerichteten Unterrichtspraxis wird sprachbezogene Landeskunde häufig nur mit der ers-
ten Lernstufe (frühes Deutsch) verbunden, die sich besonders mit dem Kulturwortschatz
im Sinne der kulturellen Dimension sprachlicher Zeichen befasst. In der weiteren Pro-
gression ist die ausgeprägte Verknüpfung von sprachbezogener Landeskunde mit funkti-
onal-expliziter Kontext-Landeskunde eine Voraussetzung für kulturelles Verstehen. Als
Ort der Begegnung mit Zielsprache und Zielkultur ist der Deutschunterricht zwar immer
auch implizit landeskundlich, aber erst durch methodische Implikationen kann Landes-
kunde im Sinne von Sprachenlernen als „Kulturlernen“ realisiert werden (Krumm 1999:
32). Ihre konsequente Ausprägung findet die sprachbezogene Landeskunde daher im
interkulturellen Ansatz der Landeskunde im Kontext der Erweiterung der kommunikati-
ven zur interkulturellen Didaktik (Pauldrach 1992: 7).
161. Sprachbezogene Landeskunde 1455
schen Kulturen unter Berücksichtigung der zeitlichen, räumlichen und sozialen Bedin-
gungen, vermittelt werden und ist auf die Entwicklung sprachlicher und sozialer Kompe-
tenz gerichtet. In einem ganzheitlich und integrativ verstandenen interkulturellen Kon-
zept von Landeskunde wird in der Aneignung landeskundlichen Wissens eine wesentliche
Bedingung für adäquate Sprachverwendung gesehen (Weimann und Hosch 1993: 516).
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind in der Fremdsprachendidaktik ver-
schiedene, nicht strikt voneinander zu trennende Grundpositionen auszumachen: a) eine
eher kulturwissenschaftlich begründete Position, die sich aufgrund der Vieldeutigkeit des
Kulturbegriffs in verschiedene Richtungen auffächert (Altmayer 2004: 51). Sie stellt sich
beispielsweise als Konzept kulturwissenschaftlicher Textanalyse dar, das u. a. beim Zu-
sammenhang zwischen Wortbedeutungen und soziokulturellem Rahmen ansetzt (Alt-
mayer 2004: 225); b) eine fremdsprachendidaktische, lerntheoretische Richtung, in der
z. B. wie im D-A-CH-Konzept (vgl. Art. 167) vom Lernprozess als Integration von lan-
deskundlichem Lehren und Lernen im Kontext interkulturellen Lernens ausgegangen
wird (Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 7⫺8). Auch die Interkulturelle Sprachdi-
daktik reklamiert die Integration der Landeskundevermittlung in den Spracherwerb als
nicht unerheblichen Beitrag für die Prägung des Begriffs „Interkulturelles Lernen“
(Gnutzmann und Königs 2006: 6). „Landeskunde“ gilt in interkulturellen fremdspra-
chendidaktischen Ansätzen auch als ein Element interkultureller Kompetenz, wobei tra-
ditionelle landeskundliche Inhalte als facts & figures mit fremdsprachlicher Kompetenz
verbunden werden (Volkmann 2002: 28); c) in primär kommunikationstheoretischen An-
sätzen tritt zum Beispiel an die Stelle von landeskundlichem das kulturspezifische Wis-
sen, welches als funktionales spezifisches Wissen über andere Kommunikationsgemein-
schaften angenommen wird und prinzipiell unvollständig ist. Die Beziehung zur Sprache
stellt sich hierbei als Wissen über Sprache und kulturadäquater Sprachverwendung dar
(Knapp-Potthoff 1997: 200⫺202).
2. Begrisgeschichtliche Aspekte
Die Frage nach der Verbindung von Sachlichem und Sprachlichem im Fremdsprachen-
unterricht geht bis zu dessen Anfängen zurück, z. B. in der natürlichen Grundorientie-
rung mit dem methodischen Aspekt der sinnlichen Anschauung als Ausgang des fremd-
sprachigen Lehrprozesses (Apelt 1991: 118).
Man kann die Wurzeln sprachbezogener Landeskunde mit Christ (1979: 80) bis Wil-
helm von Humboldt zurückverfolgen, „der von der Grundannahme ausgeht, dass alle
Sprachen historische und soziale Phänomene sind und dass sie folglich Kenntnisse und
individuelle und kollektive Erfahrungen aufbewahren und somit einen großen Teil der
Reichtümer einer Kultur“ darstellen. Ihre Vorläufer findet die sprachbezogene Landes-
kunde insbesondere bei den Verfechtern der natürlichen Lernmethode in der Zeit der
Reform des neusprachlichen Unterrichts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit
deren Forderung nach Verbindung von Sprach- und Sachunterricht in Studientexten für
den Fremdsprachenunterricht. Parallel zu den sprachintegrativen Ansätzen und teilweise
in Konkurrenz zu ihnen existierten solche Ansätze fort, in denen die Landeskunde als
eigenständiges Element behandelt wurde, aber zugleich auch als Anwendungsfeld für
erworbene Sprachfertigkeiten galt und sich in kulturellen Inhalten von Sprachlerntexten
161. Sprachbezogene Landeskunde 1457
3. Inhaltliche Aspekte
4. Methodische Aspekte
Es gibt für die sprachbezogene Landeskunde keine spezifischen, von den allgemeinen
Methoden des Fremdsprachenunterrichts unabhängigen Methoden. Für den integrativen
Fremdsprachenunterricht kann generell geltend gemacht werden, dass modernes landes-
kundliches Lernen „auf die Kombination von (kognitivem) Wissenserwerb, dem Erfassen
von (affektiven) Steuerungsmechanismen und der Regeln (operativen) Handelns“ zielt
(Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 103). Letztlich vollzieht sich der integrative
Spracherwerb über Texte, die als Lerntexte mit landeskundlicher Thematik oder als expli-
zit landeskundliche Verstehenstexte Äußerungsanlass sind oder landeskundliches Wissen
vermitteln (Storch 1999: 157). Nach Penning (1995: 632) können explizit landeskundliche
Texte und Materialien in informationsbetonte und meinungsbetonte Texte unterschie-
den werden.
Hierbei handelt es sich um authentische Texte und Materialien, welche sich besonders
für die Realisierung der landeskundlichen Seite des Lernens eignen. Für diesen Typ von
Texten gibt es spezifische Erschließungsstrategien zur Informationsentnahme, wie sie
etwa von Delmas und Wendt entwickelt worden sind (Bettermann 2001: 1259) oder kom-
plexe integrative Verfahren wie z. B. das von Zeuner (2008: 75) dargestellte Modell zur
integrativen Didaktisierung landeskundlicher Texte. Auch für das Verstehen literarischer
Texte sind spezifische sprachlich-landeskundliche Strategien, z. B. auf der Sprach- und
Stilebene, erforderlich (Ehlers 1998: 433).
161. Sprachbezogene Landeskunde 1461
Bestimmte Strategien und Techniken eignen sich besonders für einen landeskundlich
orientierten Sprachunterricht, der es den Lernenden ermöglicht, die in das Sprachmate-
rial inkorporierten landeskundlichen Inhalte zu erkennen und zu verstehen. Dazu gehö-
ren u. a. Strategien und Techniken der konfrontativen Bedeutungsermittlung in der
Wortschatzarbeit. Hierbei wird die Semantisierung nicht isoliert sprachanalytisch durch-
geführt, sondern als integrativer Lernprozess organisiert, in dessen Ergebnis landeskund-
liche Komponenten von Einzelbedeutungen und Bedeutungsbeziehungen erschlossen
werden können (Müller[-Jacquier] 1994: 63). Im Hinblick auf den Umgang mit kultur-
spezifischen Texten im fortgeschrittenen Niveau bietet sich der kulturtheoretische Ansatz
„kulturelle Deutungsmuster“ an, der kulturelles Lernen an den Kategorien Raum, Zeit,
Identität und Wertorientierungen festmacht (Altmayer 2006: 50⫺56).
Die sprachbezogene Landeskunde wird in der Unterrichtspraxis auch mit expliziter
Landeskunde und kontextualen Verfahren verbunden, die zum Verstehen der zentralen
Lerngegenstände beitragen. Verstehen entsteht allerdings nicht allein über die Ebenen
Lexik, Wortbildung, Syntax und Textstruktur, sondern bedarf auch des Einbeziehens von
Kontextwissen in engerem und weiterem Sinne als landeskundliches Hintergrundwissen
(Lüger 1991: 32). Daher kommen auch solche Strategien, Techniken und Verfahren in
Betracht, die insbesondere der Sprachanwendung dienen, wie z. B. die Suchfragen-Strate-
gie (Müller[-Jacquier] 1994: 82⫺83).
Die Arbeit mit landeskundlicher Lexik fokussiert auf den Umgang mit kulturellen
Schlüsselwörtern und -wendungen, in denen kulturelle Inhalte amalgamiert sind. Die
Kenntnis solcher kulturell angereicherter Begriffe hilft den Lernenden, komplexe Zusam-
menhänge herzustellen und den kulturellen Dialog erfolgreicher zu gestalten. Ausgangs-
punkt für die Identifizierung von Schlüsselwörtern können kommunikative Kategorien
sein, die von thematischen Bereichen (z. B. Öffentlich) ausgehen, als Subthemen kategori-
siert und schließlich in Texten präsentiert werden (Europarat 2001: 54⫺58), welche kul-
turspezifischen Wortschatz enthalten (Glabionat u. a. 2005: 216⫺226). Schlüsselwörter
haben in der Regel längerfristigen Bestand, können aber durch aktuelle Verständigungs-
wörter konkretisiert oder variiert werden (z. B. Arbeitslosengeld ⫺ Hartz IV; Kinder-
geld ⫺ Kindergeldsünder; Finanzkrise ⫺ Rettungspaket).
Wie komplex landeskundliche Spracharbeit sein kann, zeigt sich am Beispiel der Ar-
beit mit idiomatischen Wendungen, Sprichwörtern, Redensarten, Parolen und Losungen,
die meist einer historischen und aktuellen Bedeutungs- und Gebrauchsperspektive bedür-
fen. Ihr Ziel ist jedoch nicht der Aufbau komplexen Wissens, sondern die Ermöglichung
von Einsichten in die Weite, Vielfalt und Einzigartigkeit der Welt.
Die Schlüsselphänomene können in Texten und Materialien identifiziert werden, wel-
che sich darauf beziehen, wie Leute wohnen, sich erholen, kontaktieren, am gesellschaft-
lichen Leben partizipieren, sich versorgen, arbeiten, sich bilden und vergnügen, wovon
Leute träumen, wovor sie Angst haben usw. (Weimann und Hosch 1993: 515). Die Spra-
che wird in dieser Sichtweise konsequent in ihrer Kontaktfunktion und in ihren Impulsen
zur Identitätsfindung gesehen. Handlungs- und Verhaltensweisen werden als Erweiterung
landeskundlicher Inhalte verstanden. Um sprachlich und nonverbal ausgedrückte Ver-
haltensweisen in interkulturellen Begegnungssituationen geht es auch im von Heringer
generalisierten Rich Point-Konzept Michael Agars, gekennzeichnet durch sogenannte
„heiße Stellen“ (Hotspots) wie z. B. „Ja und Nein sagen“ und kulturspezifisch angerei-
cherte „heiße Wörter“ (Hotwords) wie z. B. „Schmäh“ und „Heimat“ (Heringer 2004:
162⫺175). Derartige konzeptionelle Ansätze können als sprachlich-kulturelles Erklä-
1462 XVII. Landeskunde
rungs- und Verstehensmuster für den Lernprozess adaptiert und angewendet werden.
Ansätze für einen integrativen Fremdsprachenunterricht bietet auch die Kulturemtheorie
an, welche „das Zusammenwirken von informationstragenden Einheiten in der zwischen-
menschlichen Kommunikation“ in Kulturemen wie z. B. „Begrüßen“ verdeutlicht und
analysiert (Oksaar 2003: 38⫺39).
Eine wichtige Lernunterstützung ist der Einsatz landeskundlich relevanter Bilder (Fo-
tos von Kulturlandschaften und Personen, Kunstbilder, Landkarten, Schaubilder etc.).
Diese dienen nicht nur der Illustration von Texten oder der reinen landeskundlichen
Information. Sie können beispielsweise zu bestimmten landeskundlichen Themen als mo-
tivierender Sprech- und Schreibanlass eingesetzt werden (Macaire und Hosch 1996: 75⫺
98), aber ihre eigentliche Bedeutung für eine sprachbezogene Landeskunde liegt wohl in
der Sensibilisierung für subjektive und verschiedene, oft überraschende Sichtweisen auf
die eigene und fremde Kultur, aber auch in der bildhaften Unterstützung für die Erklä-
rung schwer erschließbarer sprachgebundener „bildhafter“ Sachverhalte oder Symbol-
wörter.
Eine besondere Rolle bei der Gestaltung eines Fremdsprachenunterrichts, in dem kul-
turelles Lernen und Sprachlernen sinnvoll miteinander verbunden werden und zwar nicht
nur als Wahrnehmungsschulung, sondern auch als Verbindungsmöglichkeit von sprachli-
chem und inhaltlichem Lernen über authentische Kommunikationsanlässe kommt dem
Einsatz von Musik- und Bildkunst zu (Badstübner-Kizik 2007: 28). In der Bildhaftigkeit
von Sprache und der Sprachlichkeit von Bildern sowie der Musikalität von Sprache und
der Sprache der Musik, überhaupt im Zusammenspiel der wichtigsten Formen menschli-
cher Kommunikation liegen noch zu erschließende Potenzen für einen ganzheitlichen
Prozess des Spracherwerbs.
5. Literatur in Auswahl
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1464 XVII. Landeskunde
1. Einleitung/Vorbemerkung
Ein Blick in die Geschichte des DaF-/DaZ-Unterrichts bestätigt, dass der Landeskunde
im Kontext unterschiedlichster Leitvorstellungen zwar sehr verschiedenartige Aufgaben
zugeschrieben worden sind, die Notwendigkeit von Information und kognitivem Wissen
stand und steht jedoch durchwegs außer Zweifel. Selbst die Reduktion auf ein praktisch-
instrumentelles Verständnis des Sprachunterrichts kann auf die kulturelle Einbettung der
Sprache nicht ganz verzichten, erst recht muss bei der expliziten Verschränkung von
Sprach- und Kulturvermittlung oder in Hinblick auf allgemeine Bildungsziele reflektiert
werden, was aus der/den zu vermittelnde(n) Realität(en) unter welchen Gesichtspunkten
1466 XVII. Landeskunde
2. Historische Entwicklung
Informationsbezogene Landeskunde, die sich von einer handlungsorientierten oder inter-
kulturellen Landeskunde abgrenzt, hat ihre historische Grundlage im Wesentlichen in
der Realienkunde. Damit opponierte die Reformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts
gegen das altphilologische Erbe, gegen die Ausrichtung auf Sprachwissen und Gram-
matikdrill für das Sprachkönnen und entsprechendes Wissen. Die Realienkunde blieb
freilich dem positivistischen Ideal des 19. Jahrhunderts und ihren Wurzeln im enzyklopä-
dischen Denken und dem Kanon der Bezugswissenschaften verpflichtet.
Im Umfeld historischer und bildungspolitischer Entwicklungen wurde die Realien-
kunde in den 1920er Jahren zum Kontrastbegriff der sich entwickelnden Kulturkunde. In
der Gegenüberstellung von Realien und Kultur ist damit früh die Polarisierung zwischen
einem wissensorientierten und einem wertorientierten landeskundlichen Sprachunterricht
zu erkennen, der die Kulturkunde für politische und ideologische Vereinnahmung durch
den Nationalsozialismus anfällig machte.
Anfang der 1970er Jahre bekam der Fremdsprachenunterricht mehrfach neue Im-
pulse. Gefördert von den gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er Jahre kam es
auch in der Bundesrepublik Deutschland zur breiten Etablierung der Sozialwissenschaf-
ten und in den landeskundlichen Referenzwissenschaften selbst zu entscheidenden me-
thodischen und inhaltlichen Neuorientierungen. Lehrstühle für Zeit- oder Wirtschaftsge-
schichte wurden gegründet, Alltagsgeschichte und oral history sollten den erstarrten Wis-
senschaftsbetrieb aufbrechen, die Angewandte Geographie und die Kulturgeographie
etablierten sich, in der Literaturwissenschaft herrschten rezeptionsästhetische und sozial-
geschichtliche Arbeiten vor. Schließlich begann sich der Studienbereich DaF/DaZ auch
in der Bundesrepublik als Wissenschaft zu etablieren.
5. ABCD-Thesen
Vor diesem Hintergrund verweisen die ABCD-Thesen (1980) auf den prozesshaften und
dynamischen Charakter der Landeskunde und verzichten bewusst auf „Vollständigkeit
der Informationen im Hinblick auf ein hypothetisches Landesbild“ (These 2). Die Thesen
bilden also den Versuch, die zukunftsweisenden Aspekte der Landeskundediskussion der
1980er Jahre zusammenzufassen und als Aufgabe zu formulieren. Daher plädieren sie
auch im Sinne neuer Orientierungen im Fremdsprachenunterricht für die Abkehr von
enzyklopädischen Ansätzen. Die Landeskunde mahnt damit die weitgehend vernachläs-
sigte Herausforderung der kommunikativen Wende ein, dass nämlich in einem hand-
lungs- und erfahrungsorientierten Fremdsprachenunterricht auch unbestritten notwen-
dige Kenntnisse konsequenterweise weder als Faktenwissen noch als authentischer Kon-
text im Rahmen des Sprachunterrichts nachgeliefert werden dürfen. Wenn Verstehen ein
dialogischer Prozess im Gefüge von Wissen, Verstehensmöglichkeiten und den Verste-
hensvoraussetzungen ist, dann genügt es nicht, semantische Einheiten zu entschlüsseln.
Vielmehr wird dieses Gefüge selbst Teil des Verstehensprozesses, umso mehr, wenn es
sich um kulturell differente Lebenswelten der Dialogpartner handelt. Für den Unterricht
bedeutet dies, dass die Lernenden mittels Projekten die Chance erhalten müssen, selbst
und autonom ein Bild der Zielsprachenkultur entwickeln zu können und sich dabei so-
wohl der eigenen kulturellen Prägung als auch der fremdkulturellen Perspektiven dieses
Bildes bewusst zu werden. Wird die Lernerzentrierung ernst genommen, müssen die
Lernprozesse und die Eigen- und Fremdperspektiven bewusst gemacht und reflektiert
162. Informationsbezogene Landeskunde 1469
werden, muss auf strategisches Wissen mindestens soviel Wert gelegt werden wie auf
Sachinformationen. (Vgl. Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1997, 1998).
Krusche betont deshalb das „Prinzip des konkreten Ausgangspunkts“ (Krusche 1997:
77): Denn nicht spezialwissenschaftliche Abhandlungen, sondern der Einstieg über an-
schauliche Details führt zu einem facettenreicheren und komplexeren Bild. Dabei spielt
die Literatur eine zentrale Rolle, jedoch nicht mehr als Objekt und Ziel des Landeskun-
deunterrichts, sondern als ein Mittel, mit dem „die Unterschiede von eigener und fremder
Wirklichkeit und subjektiver Einstellungen bewußtgemacht [!] werden, zumal literarische
Texte gerade dadurch motivieren, daß sie ästhetisch und affektiv ansprechen“ (ABCD
1990: 28). Literatur wird also für den landeskundlich orientierten Sprachunterricht nicht
bloß wegen allfälliger Referenzen zur Wirklichkeit und der in ihr enthaltenen Realitäts-
partikel wichtig. Da wir trotz aller Bemühungen um Authentizität und umfassende Infor-
mation nicht die Wirklichkeit selbst vermitteln, sondern höchstens die Lernenden darauf
vorbereiten können, mit der Wirklichkeit zurechtzukommen, kommen wir im Umgang
mit Fakten und Informationen nicht ohne Interpretationsvorgang zurecht, brauchen wir
Orientierungsfähigkeiten, die sich gerade im Umgang mit Literatur erarbeiten und
üben lassen.
6. Lernort
Der Erwerb landeskundlicher Kompetenz als umfassender kommunikativer und inter-
kultureller Kompetenz ist notwendig auf den Ort des Lernens bezogen. Dies gilt nicht
nur für das spezielle landeskundliche Lernen als erlebter Landeskunde, des konfrontati-
ven Lernens in Nachbarländern oder in Lernsituationen, in denen das fremdsprachliche
Lernumfeld zu konstruieren ist (vgl. Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 5), son-
dern besonders für den Bereich Deutsch als Zweitsprache. Hier verlaufen ja nicht nur
die Sprachenlern- und -erwerbsprozesse nichtlinear und im Nebeneinander von ungesteu-
ertem und gesteuertem Erwerb, sondern auch die Aneignung von Orientierungen, Verhal-
tensweisen und notwendigem Wissen zur Teilhabe an den Rechten und gesellschaftlichen
Möglichkeiten. Dass zur Erreichung dieser Ziele vor allem in Integrationskursen die
überholten Themenkataloge erst recht nicht ausreichen, weil „Sprachlern- und -spracher-
werbsprozesse [!] nur dann erfolgreich [sind], wenn sie die nicht nur sprachliche, sondern
auch kulturelle, lebensgeschichtliche, familiale und soziale Heterogenität der Zielgruppe
zum Ausgangspunkt von Lernprogrammen machen“ (Krumm 2007: 176), hat Krumm
in seinem Plädoyer für ein modulares Curriculum überzeugend skizziert.
stand begriffen wird, der sich in „Texten“, also in kommunikativen Handlungen einer
Sprachgemeinschaft manifestiert. Diese weitgefassten „Texte“ werden dahingehend ana-
lysiert, inwiefern sie „von jenen als gemeinsam unterstellten lebensweltlichen Wissensbe-
ständen Gebrauch gemacht haben, die wir (…) als ,Kultur‘ ausgemacht haben. ,Kultur‘,
so zeigt sich, besteht nicht aus den ,Texten‘, sie gibt sich aber darin zu erkennen“ (Alt-
mayer 2004: 145). Wie Wormer, der „die Tatsache perspektivierter individueller Bedeu-
tungen und Wahrheiten (einschließlich vermeintlicher Fakten), die immer wieder neu aus-
gehandelt werden müssen, in den Vordergrund [rückt]“ (Wormer 2007: 11), geht es auch
bei Altmayer um eine ⫺ in diesem Fall ⫺ kulturwissenschaftliche Textanalyse, die er als
„Rekonstruktion präsupponierter Deutungsmuster“ (Altmayer 2004: 244⫺250) versteht.
9. Literatur in Auswahl
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162. Informationsbezogene Landeskunde 1471
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schule Kassel.
1. Einührung
Das Konzept der interkulturellen Landeskunde entstand ⫺ obwohl auch kritisiert (vgl.
Thimme 1995) ⫺ in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es wurde erkannt,
dass Verständigungsfähigkeit in einer Fremdsprache nicht auf die korrekte Verwendung
eines fremden sprachlichen Systems oder die situationsadäquate Verwendung von Spra-
che allein reduziert werden kann. Damit erhielt die Landeskunde eine Aufwertung, denn
Kulturverstehen und Fremdverstehen trat als gleichberechtigtes Lernziel neben das Ziel
fremdsprachlich-kommunikativer Kompetenz. So definierte Buttjes: „Landeskunde
meint alle Bezüge auf die Gesellschaften, deren Sprache im Fremdsprachenunterricht
gelernt wird.“ Dabei „geht es aber weniger um einen Raum oder eine Region (,Land‘)
als um eine sprachlich artikulierte kulturelle Praxis. Es geht auch weniger um einen
abgrenzbaren Wissensbestand (,Kunde‘), als vielmehr um eine sprachlich vermittelte in-
terkulturelle Kompetenz“ (Buttjes 1989: 113).
Der didaktischer Ort des interkulturellen Ansatzes von Landeskunde ist im Fremd-
sprachenunterricht, sein übergeordnetes Ziel besteht in der gleichberechtigten Entwick-
lung von kommunikativer und kultureller Kompetenz im Sinne von Fremd- und Kultur-
verstehen, Inhalte dieser Landeskunde können alle Repräsentationen der Zielkultur im
Unterricht sein, soweit sie für die Lernenden bedeutsam sind (Pauldrach 1992: 6).
Auch im interkulturellen Ansatz ist Wissen über die andere Kultur die Grundlage für
Verstehen, aber zum einen wird dieser Wissensstoff nicht aufgrund möglichst vollständi-
ger Landesbilder wie beim kognitiven Ansatz gewonnen, sondern interkulturelle Landes-
kunde nutzt andere Selektionskriterien für ihre Inhalte. Zum anderen bleibt interkulturell
ausgerichteter Fremdsprachenunterricht nicht bei der Wissensvermittlung stehen und er
will auch nicht in erster Linie Informationen vermitteln. Es geht ihm vor allem um die
Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kul-
turen und Gesellschaften. Das Wissen über die fremde Welt wird immer vor dem Spiegel
der eigenen sozio-kulturell geprägten Erfahrungen der Lernenden gewonnen. Bekannte
und eingeübte Lebenskontexte des Alltags (Kommunikationssituationen, Rollen, Verhal-
ten) werden konfrontiert mit den relevanten Alltagskontexten für das Handeln in der
fremden Sprache und Kultur (Neuner 1994). Dadurch sollen ethnozentrische Sichtweisen
relativiert, Vorurteile abgebaut und Fremdverstehen (Altmayer 2004: 70⫺71) entwickelt
werden.
163. Interkulturelle Landeskunde 1473
5. Methodische Zugangsweisen
Ein grundlegendes Konzept interkultureller Landeskunde ist die Organisation von „Be-
gegnung als reale Face-to-Face-Situation oder über Simulationen, Texte, Lehrwerke“
(Krumm 1998: 528). Diese Begegnung mit der Kultur des Zielsprachenlandes wird über
die drei klassischen Zugänge zur Landeskunde ermöglicht, den Zugang über die Sprache,
den Zugang über die Menschen und ihr Handeln und den Zugang über exemplarische
Manifestationen (Krumm 1998: 537).
Zugang über die Sprache zur Kultur lässt sich finden durch die Vermittlung von
Wissen über sprachliche und kulturelle Kommunikationsnormen und -gewohnheiten
(z. B. in Rollenspielen) sowie Sprachaufmerksamkeitsübungen (House 1996), durch das
Hinterfragen der kulturellen Bedeutungsebene von Wörtern (Müller[-Jacquier] 1994b),
durch Entdecken kulturbedingter Unterschiede in Textstrukturen. Textverstehen selbst
kann auch als „Dekodierung von Kultur“ (Hennecke und Schröder o. J.: 10) verstanden
werden, Texte eröffnen über das unter ihrer Oberfläche liegende präsupponierte Wissen
Zugang zur Kultur, in der sie entstanden sind (Altmayer 2002, 2004).
Fremderfahrungen im interkulturellen Lernprozess (vgl. Müller[-Jacquier] 1994a: 155)
lassen sich im Unterricht besonders gut über handlungsorientiertes Arbeiten machen.
Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und lerneraktiver Unterricht, in
dem die zwischen dem Lehrer und den Lernern vereinbarten Handlungsprodukte die
Gestaltung des Lernprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes
Verhältnis zueinander gebracht werden (Jank und Meyer 1991). Er ermöglicht es beson-
ders gut, das Konzept der Begegnung mit der fremden Kultur (Krumm 1998: 528) zu
verwirklichen, denn Begegnung bedeutet auch immer ein aktives Zugehen auf das, dem
begegnet werden soll. Eine wichtige Methode handlungsorientierten Arbeitens ist die
Projektarbeit (vgl. dazu u. a. Krumm 1991: 5⫺6), die vielfältige Formen und Möglichkei-
ten der Begegnung mit dem Anderen, Fremden und damit Fremderfahrungen als Voraus-
setzung für interkulturelles Lernen ermöglichen.
Exemplarische Manifestationen beschreibt Krumm als diejenigen institutionellen, his-
torischen und kulturellen Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge für unsere Alltags-
kultur herstellen. Als Beispiel nennt er „die Mauer“ in Deutschland: Zweiter Weltkrieg
und Teilung, Ostpolitik und Wiedervereinigung, Fall der Mauer, Mauer im Kopf, Wohl-
standsgraben. Eine der zentralen Manifestationen für den Begegnungsansatz in der Lan-
deskunde stellen für Krumm „Grenzen“ und Grenzerfahrungen dar (Krumm 1998: 537).
Krumm hält Netzwerkbildung in diesem Zusammenhang für ein wichtiges Konzept der
Landeskunde. Ausgehend von der Alltagserfahrung der Lernenden können so systemati-
sche Verknüpfungen entstehen, die „die Gefahr eines <Realiensalates>“ verhindern
können (Krumm 1998: 539).
Ein weiteres wichtiges methodisches Feld für interkulturelle Landeskunde ist die Ar-
beit mit Stereotypen, d. h. mit dem Bild vom Zielsprachenland, das die Lernenden im
Kopf haben und in den Unterricht mitbringen. Dabei geht es wegen der verschiedenen
1476 XVII. Landeskunde
Funktionen von Stereotypen (vgl. u. a. Brunzel 2002: 85⫺89) nicht darum, diese zu be-
kämpfen, sondern die Lernenden „zu einer selbstreflektierenden und intersubjektiven
Herangehensweise [an Stereotype] anzuregen und ihnen somit zu ermöglichen, die Fakto-
ren, Mechanismen und Reaktionen besser zu verstehen, welche innerhalb der interkultu-
rellen Kommunikation zum Tragen kommen“ (Lipiansky o. J.).
Eine weitere wichtige Methode ist das Vergleichen, eine komplizierte sprachliche und
kognitive Tätigkeit, die ein Identifizieren (Gleichheit feststellen), Differenzieren (Unter-
schiede/Nichtgleichheit feststellen) und eine Komparation (Verschiedenheit in der Gleich-
heit messen) einschließt. Damit ist nicht der alltägliche Vergleich, wie ihn Menschen
ständig mehr oder weniger bewusst vollziehen, gemeint, sondern eine bewusste Ver-
gleichshandlung, die am Ende des Verstehensprozesses steht (Pauldrach 1992: 13).
Diese methodischen Zugangsweisen wurden in der einen oder anderen Form in unter-
schiedlichen Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache umgesetzt, die als interkulturelle
Lehrwerke zu einer in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts neuen Lehrwerkge-
neration gehörten. Dies sind zum Beispiel „Sprachbrücke“ (Mebus et al. 1987), „Sicht-
wechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung“ (Hog, Müller[-Jacquier] und Wessling
1984) und „Sichtwechsel Neu“ (Bachmann et al. 1995). Die Lehrbücher „Typisch
deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentalität“ (Behal-Thomsen, Lundquist-
Mog und Mog 1993) und „Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde“ (Lund-
quist-Mog 1996) stehen dabei in engem Zusammenhang mit dem in der Reihe „Fremd-
sprachenunterricht in Theorie und Praxis“ erschienenen Band „Die Deutschen in ihrer
Welt ⫺ Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde“ (Mog und Althaus 1992).
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Zugleich ist damit ein äußerst hoher Anspruch formuliert, der sich je nach Lernergruppe
und sprachlichem Niveau nur begrenzt wird einlösen lassen. Gerade auch bei der Einbe-
ziehung historischer Themen in den Deutschunterricht spielen Lernort, Vorbildung, Zu-
sammensetzung der Lernergruppe (national homogen oder nicht?), das Alter der Lernen-
den, die Motivation für den Spracherwerb, zur Verfügung stehende Medien und die Qua-
lifikation der Lehrenden eine bedeutende Rolle.
Immer wieder wird betont, dass die Vermittlung historischer Themen im DaF- und
DaZ-Unterricht der Erklärung der Gegenwart zu dienen habe, also kein Geschichtswis-
sen um des Faktenwissens willen zu vermitteln sei. Dabei bieten sich eher Themen der
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte 1479
jüngeren Geschichte an, also Themen wie Nachkriegszeit in den deutschsprachigen Län-
dern, Teilung der deutschen Staaten, Mauerfall und deutsche Vereinigung. Gleichzeitig
werden der Nationalsozialismus und seine verheerenden Folgen immer wieder auch
Thema in bestimmten Kontexten sein müssen, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach
wie vor die Gegenwart prägt (dazu Ghobeyshi 2002).
Phänomene der Gegenwart lassen sich allerdings häufig nur erklären, wenn man wei-
ter in die Geschichte zurückblickt. So ist die weltweit einzigartige Theaterdichte im
deutschsprachigen Raum ohne die bis ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts reichende
Vielstaaterei und den durch das Bürgertum geschaffenen Zusammenhang von Stadt und
Theater und der Einrichtung von Stadttheatern als Symbol für die Emanzipation vom
Adel nicht zu erklären.
In den ABCD-Thesen wird nicht nur der Zusammenhang von Vergangenheit und
Gegenwart betont, sondern zudem die Zukunft und die Relativität der Bewertung ge-
schichtlicher Ereignisse und Prozesse angesprochen. Aus der Geschichte lässt sich zwar
vielleicht lernen ⫺ der Umgang mit der Weltwirtschaftskrise in der ausgehenden ersten
Dekade des 21. Jahrhunderts zeigt, dass aus den Erfahrungen von 1929 gelernt wurde ⫺
jedoch einen konkreten Zusammenhang zur Zukunft herzustellen, ist eine Forderung,
der sich Historiker in der Regel verweigern, und eine Umsetzung im Sprachunterricht
dürfte allenfalls Gesprächsanlässe bieten, welche lediglich zu Spekulationen einladen.
Die Relativität geschichtswissenschaftlicher Darstellungen hingegen hat nicht nur einen
hohen erkenntnistheoretischen Stellenwert, sondern ist zudem je nach Zusammensetzung
der Lernergruppe von einiger Brisanz, da Lerner nicht selten aus Lernkulturen kommen,
in denen Geschichtskenntnisse weitgehend unhinterfragt als positivistisch gesichertes
Wissen vermittelt werden. Dabei ist eindeutig, „(…) dass Geschichte immer wieder aus
einem bestimmten Blickwinkel wahrgenommen und überliefert wird“ (Sauer 2008: 17).
Die Auswertung neu zugänglicher Quellen, andere geschichtswissenschaftliche Ansätze
und auch jeweils vorherrschende gesellschaftspolitische Strömungen führen nicht selten
dazu, dass historische Ereignisse und Prozesse neu bewertet werden und sich eine andere
Lehrmeinung durchsetzt, wie beispielsweise die Nachwirkung der „Fischer-Kontroverse“
um das Ausmaß der deutschen Schuld am Ausbruch des 1. Weltkriegs deutlich gezeigt
hat. Eine derartige Meta-Ebene der Betrachtung lässt sich im Landeskundeunterricht
allenfalls in Ansätzen realisieren, allerdings kann „[m]ithilfe multiperspektivischer Zu-
gänge (bei der Auswahl der Themen, bei der Auswahl und Bearbeitung historischer Quel-
len, bei der Bewertung von Ereignissen, …) [versucht werden] historische und gegenwär-
tige Konflikte von verschiedenen Seiten zu betrachten und sich dabei der Relativität
der eigenen (nationalen, geschlechtsspezifischen, sozialen, …) Sichtweise bewusster zu
werden“ (Grabe 2004: 25).
Auch wenn die Geschichte der deutschsprachigen Länder im Gesamtspektrum landes-
kundlicher Themen im Deutschunterricht eine sehr wichtige Rolle spielt, da sich tatsäch-
lich Phänomene der Gegenwart häufig gut aus der Vergangenheit ableiten lassen und
damit Land und Leute in den Gesamtzusammenhängen verständlicher werden, und auch
wenn hervorragende mit vielen Zusatzmaterialien versehene Unterrichteinheiten in aller
Welt durchgeführt werden, die über Geschichtsthemen im Sprachunterricht kulturelle
Deutungsmuster (Altmayer 2004: 147⫺158) verdeutlichen helfen, so ist doch die am häu-
figsten praktizierte Realität die des Unterrichts mit Lehrwerken, in denen Geschichtsthe-
men meist nur kurz behandelt werden (können).
1480 XVII. Landeskunde
Zuwanderer [A2⫺B1]“ ⫺ kurz DTZ genannt), entstand der Bedarf an gezielt einsetzba-
rem Unterrichtsmaterial. Während für den (im Jahr 2009) 600 Stunden umfassenden
Sprachkurs verschiedene der gängigen Lehrwerke aus den DaF-Verlagen zugelassen sind,
mussten für den anschließenden zunächst 30, dann 45 Stunden umfassenden „Orientie-
rungskurs“ neue Unterrichtsmaterialien entwickelt werden, die auf die inhaltlichen Vor-
gaben des BAMF ⫺ einer der vier Themenschwerpunkte lautet: „Überblick über die
jüngere deutsche Geschichte“ ⫺ zugeschnitten sind und auf den abschließenden Test
vorbereiten. Die fünfundzwanzig Fragen des Tests, von denen dreizehn richtig beantwor-
tet werden müssen, beinhalten Fragen wie: Welche Gruppe leistete Widerstand gegen
Hitler und die Nationalsozialisten? oder: Wie wurden die Bundesrepublik Deutschland
und die DDR zu einem Staat? Da immer vier Antwortvorgaben gemacht werden, hatte
und hat der Test einen Rückkoppelungseffekt auf das Unterrichtsmaterial, mit dem ge-
zielt Faktenwissen vermittelt werden muss. Welche Erträge der Orientierungskurs mit
dieser faktenorientierten Geschichtsvermittlung erbringt, ist bislang nicht untersucht
worden. Die mit dem Bereich der Landeskunde befassten Vertreterinnen und Vertreter
im Fach DaF/DaZ sind von dieser Entwicklung überrascht worden.
Eine völlig andere Neuerung stellt das von Schmidt und Schmidt (2007) herausgeg-
ebene Lehrwerk „Erinnerungsorte. Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht“ dar. Aus
der Erfahrung heraus, dass es für eine bestimmte Art der Landeskunde- und Geschichts-
vermittlung keine geeigneten Materialien gab, haben fünfzehn ehemalige Lektorinnen
und Lektoren in Anlehnung an das Konzept des französischen Historikers Pierre Nora
zu dreizehn deutschen Erinnerungsorten Unterrichtseinheiten erstellt. Diese „eröffnen
exemplarisch Wege in und durch die deutsche Geschichte und sind als Zusatzmaterialien
für den Sprach- und Landeskundeunterricht gedacht“ (Schmidt und Schmidt 2007: 6).
Zwei dem Buch beigefügte CD-Roms bieten eine Fülle an Zusatzmaterialien ⫺ auch
Hörtexte ⫺ und erlauben eine vielschichtige Herangehensweise in jeweils mehreren Un-
terrichtsstunden an deutsche Erinnerungsorte wie den Kölner Dom oder Weimar ⫺ Bu-
chenwald. Die Auswahl ist auf materielle Erinnerungsorte beschränkt und berücksichtigt
vor allem den Norden und Osten Deutschlands. Die Arbeit mit dem Unterrichtsmaterial
setzt zumindest Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1, meistens jedoch auf B2 oder C1
des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) voraus.
die in sich legitim und gut begründbar sind“ (337). Es ist nachvollziehbar, dass weiterhin
im Sprachunterricht ein politikgeschichtlicher Ansatz dominiert, um wesentliche Grund-
informationen zu vermitteln und damit ein Bezugsraster herzustellen; für das Verständnis
der Gegenwart sind jedoch weiterhin verstärkt sozial- und alltagsgeschichtliche Frage-
stellungen zu berücksichtigen. Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis ha-
ben dabei in den letzten Jahren zu Recht auch im Fach DaF/DaZ einen gewissen Stellen-
wert bekommen, da Sprachunterricht kein Geschichtsunterricht ist und die Näherung an
die Menschen im Zielsprachenland das vorrangige Ziel sein muss ⫺ und diese sind ge-
prägt durch ihr Geschichtsbewusstsein. Hier werden allerdings die harten geschichtswis-
senschaftlichen Deutungen verlassen, und Erkenntnisse aus der oral history oder sozial-
wissenschaftliche Studien (z. B. Welzer, Moller und Tschuggnall: 2002) bilden die Basis
für fundierte Materialerstellung.
Insgesamt muss die Forderung bestehen bleiben, dass nicht nur die Lehrenden, son-
dern vor allem die Ersteller von Lehrmaterialien in ausreichendem Maße auf die Er-
kenntnisse aus der Geschichtswissenschaft zurückgreifen und ggf. die Unterstützung von
Historikern suchen.
5. Literatur in Auswahl
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Welzer, Harald, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall
2002 „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt
a. M.: Fischer.
1. Einleitung
Sprache beschreibt die historisch gewachsenen kulturellen, politischen und sozialen Ver-
hältnisse, zudem kommen Sprachlernende früher oder später direkt oder indirekt mit
diesen Bedingungen in Berührung ⫺ aus diesem Grund stellen Politik und Gesellschaft
zwei zentrale Themenfelder der Landekundevermittlung von Fremdsprachen und eo ipso
von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache dar. Eine Fremdsprachenwissenschaft, die
dies als Basis nimmt, kommt nicht umhin, auf die Fragen, welche politischen und gesell-
schaftlichen Aspekte welchen Lernenden wann und auf welche Art vermittelt werden
sollen bzw. von den Lernenden zu erarbeiten sind, zielgruppenspezifische Antworten zu
entwickeln und in konkrete Methoden und Materialien umzusetzen.
2. Begriliches
gänge des Gesellschaftlichen zum Politischen sind dabei ⫺ wie etwa im Bereich der Sozi-
alpolitik ⫺ ebenso fließend wie die zur Alltagskultur als Spielregeln und Verhaltensnor-
men, die eine Gruppe von Menschen verbinden.
5. Deutsch im Zielsprachenland
Für die Landeskunde DaZ hat es durch die migrationspolitischen Entscheidungen der
politischen Institutionen sowohl in Deutschland wie auch in Österreich seit Anfang des
neuen Jahrtausends erhebliche Veränderungen gegeben. Die Neuordnung der Zuwande-
rungs- und Einbürgerungsgesetzgebung beinhaltet dabei teils obligatorische, teils fakulta-
tive Sprachkurse mit landeskundlichen Komponenten und Tests. Das staatliche Vorge-
hen, u. a. die Auflösung des seit 1974 bestehenden Sprachverbandes als Organisator von
Deutschsprachkursen für ImmigrantInnen, wurden zwar im Vorfeld u. a. von Krumm
(2003) für Deutschland und Österreich kritisiert, letztlich hatten akademische Kreise je-
doch keinen angemessenen Einfluss auf die migrationsspezifischen Entwicklungen der
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft 1489
letzten Jahre. Für Deutschland gilt, dass für die landeskundlichen Orientierungskurse,
die im Rahmen der im Zuge des Zuwanderungsgesetzes 2005 institutionalisierten sprach-
lich fokussierten Integrationskurse abgehalten werden, von Seiten des Bundesministeri-
ums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein aus drei Modulen bestehendes Curricu-
lum im Umfang von 45 Unterrichtseinheiten (UE) festgelegt wurde. Als Leitziel ist die
„Vermittlung von Alltagswissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur
und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen
Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlich-
keit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit“ (BAMF 2007: 6) vorgesehen.
Eine „positive Bewertung des deutschen Staates“ im Rahmen der als „maßgeblich“ be-
zeichneten affektiven Lernziele wird ideologisch unverhohlen angestrebt, wobei der
Gefahr einer explizit angesprochenen „falschen Ausrichtung der Unterrichtskonzeption
durch einzelne Lehrkräfte“ mittels einer engen didaktisch-methodischen Vermittlungs-
vorgabe begegnet werden soll (BAMF 2007: 7). Im Einzelnen umfassen die Module in-
haltlich die Themen „Politik in der Demokratie“ (19 UE, Modul I), „Geschichte und
Verantwortung“ (9 UE, Modul II) und „Mensch und Gesellschaft“ (13 UE, Modul III).
So positiv die durch diese Entwicklung induzierte, lange Zeit angemahnte Entwick-
lung von landeskundlichen Lehrmaterialien für Anfänger zu sehen ist, so bedenklich
erscheint es, dass die von den Verlagen herausgegebenen Lehrmaterialien deutlich gesell-
schaftskritische Töne vermeiden. Da diese Materialien teilweise auch im Ausland einge-
setzt bzw. punktuell von den Verlagen in nur leicht veränderter Form für den Auslands-
einsatz angeboten werden, sind Auswirkungen auf die auswärtige Landeskundever-
mittlung in Form einer affirmativen Darstellung der deutschsprachigen Länder zu
prognostizieren.
7. Perspektiven
Konzeptionell-theoretisch bietet sich das primär für die Lehrkraftausbildung gedachte,
aber auch allgemeiner zu interpretierende Konzept des „adaptiven Oszillierens“ an (De-
morgon und Molz 1996). Gemeint ist damit die Vermittlung der Fähigkeit zur flexiblen
Austarierung kultureller Spannungsgegensätze von u. a. Kontinuität und Wandel, Verein-
heitlichung und Differenzierung, Öffnung und Abgrenzung. Des Weiteren könnte eine
Adaption und Weiterentwicklung der Theorie sozialer Repräsentationen (Moscovici
2000) als System von Ideen, Werten und Praktiken, das Individuen und Gruppen die
Konstruktion einer Sinnstruktur über Personen und Geschehnisse in ihrer sozialen Um-
gebung ermöglicht, fruchtbar sein.
Dringend erforderlich ist zudem eine umfassende Lehrwerkanalyse über landeskundli-
che und hierbei insbesondere soziale und politische Inhalte und Vermittlungsaspekte. Die
operationalen Probleme angesichts eines zunehmend unübersichtlichen und schnelllebi-
gen Lehrwerkmarktes könnten dabei durch ein mosaikartiges Analysepuzzle z. B. im
Rahmen von Qualifizierungsarbeiten gelöst werden.
Deutlich intensivere Anknüpfungspunkte, Verbindungen und Allianzen in eher unter-
richtspraktischer Hinsicht müssten schließlich zur politischen Bildung und Forschungen
über politische Kulturen deutschsprachiger Länder hergestellt werden. Diese sind von
beiden Seiten bislang nur wenig entwickelt, obwohl eine deutliche Überlappung hinsicht-
lich der zentralen Fragen von themenspezifischen Auswahlkriterien, exemplarischem und
interkulturellem Lernen, Vergleichsmethodik usw. besteht (Sander 2005). Auch die Wie-
deraufnahme und Aktualisierung bereits existierender, jedoch in Vergessenheit geratener
Konzepte kritisch-politischer Landeskunde erscheint sinnvoll.
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1. Alltagskultur
Der Alltag der deutschsprachigen Gesellschaften ist im 21. Jahrhundert in vielen gesell-
schaftlichen Subsystemen geprägt durch eine kulturelle Pluralität, die in DaF-Curricula
und landeskundlichen Lehrmaterialien ihren Niederschlag finden muss, insofern und in-
soweit diese ein realistisches Bild des Alltags vornehmlich der kontemporären urbanen
Regionen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz zu zeichnen streben.
Im Zeichen weltweit rückläufiger Studierendenzahlen im Fache verschärft sich zuneh-
mend die Frage nach der Rechtfertigung für die Empfehlung, Deutsch zu lernen, um
möglicherweise davon leben zu können (Hess-Lüttich, Colliander und Reuter 2009). Man
166. Landeskundl. Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und Heterogenität 1493
darf vermuten, dass das nur dann der Fall ist, wenn Deutsch (als Fach, als Gegenstand,
als Fertigkeit usw.) in einer jeweiligen Region der Welt als relevant empfunden wird.
Deshalb richtet sich der Blick nicht nur nach innen (auf Kanon und Kernbestand) und
zurück (auf die Fachgeschichte), sondern auch auf Fragestellungen, die gleichsam von
außen (aus der Gesellschaft) an das Fach herangetragen werden (vgl. Art. 165). Sie er-
wachsen aus der Problematisierung von Gegenständen und Sachverhalten, die auch das
Lernumfeld des Lernenden in dessen Alltag wesentlich bestimmen. Dazu gehören zent-
rale Problemfelder wie Migrationsfolgen und die kulturellen Gewinne/Kosten globaler
Vernetzung in den deutschsprachigen Gesellschaften, die sich nicht zuletzt auch in (zu-
nächst oft unmerklichen oder kaum bewussten) Veränderungen von Zeichenpraxis und
Kommunikationsroutinen im Alltag ausweisen.
Auf allen Zeichenebenen werden solche Veränderungen kommunikativ relevant. Ak-
zente, Xenismen, sprachliche Schemata und dialogische Rituale, subkulturell geteilte Ge-
steninventare, gruppentypische oder regionspezifische Jargons etc. gewinnen den Status
als beziehungsdefinierende und interaktionsregelnde Sinn-Systeme des Alltags, die über
ihre Symptomfunktion hinaus ikonische Funktionen als Mitgliedschaftsausweis oder
Ausgrenzungsimpuls übernehmen können (vgl. Müller-Jacquier 2008: 21⫺22). Bei Be-
gegnungen von Kommunikatoren verschiedenkultureller Sozialisation neigen nicht we-
nige der Teilnehmer (zumal in bestimmten Subkulturen) zur Homogenisierung ihrer Zei-
cheninventare als Symbol ihrer Kollektividentitäten. Zu den Migrationsfolgen gehört
auch in den deutschsprachigen Gesellschaften die Zunahme solcher kulturellen Über-
schneidungssituationen im Alltag, in denen über die eigenkulturell internalisierten Zei-
chengebrauchs- und -deutungskompetenzen hinaus fremdkulturelle gefordert sind, die
als systematisch falliblere konfliktträchtiges Potential bergen.
Dies rechtfertigt nicht nur, sondern erzwingt den Erwerb (bzw. die Vermittlung) von
Handlungskompetenzen, die gerade in interkulturellen Situationen teildivergierende Zei-
chengebrauchsinventare zu ermitteln und ggfs. metakommunikativ zu explizieren erlau-
ben. Für die Außensicht auf die Kultur(en) des deutschsprachigen Raums in Mitteleuropa
hat das die Konsequenz, im Kanon der Gegenstände einer theoretisch fundierten und
empirisch aktualisierten Landeskunde dem Umstand der kommunikativ alltagsrelevan-
ten Binnendifferenzierung systematisch Rechnung zu tragen. Wo der Kommunikations-
alltag u. a. von Multikulturalität und Heterogenität geprägt ist, lernen die Interagieren-
den in ihrem Zeichengebrauch mit komplexeren Überlappungssituationen sensibler um-
zugehen oder sich auf mutuell geteilte Regeln erst zu verständigen.
Für den wissenschaftlichen Zugang bedeutet dies, sich auf einen Diskurs der Differenz
einzulassen, in dem divergierende Prämissensysteme der Interaktion zur Disposition ste-
hen. Im Rahmen eines in der Denktradition von Wilhelm v. Humboldt stehenden dialog-
basierten Kommunikationsmodells (vgl. Hess-Lüttich 1981) richtet sich das Interesse
also auf das Gemeinschaftshandeln von in verschiedenen Kulturen sozialisierten Kom-
munikatoren, das in potentiell heterogenen Semiosen Bedeutung generiert (vgl. Müller-
Jacquier und ten Thije 2005). Die mittlerweile sehr elaborierten Verfahren der kritischen
Diskursanalyse und der linguistischen Gesprächsanalyse können dazu eine Fülle von
empirischen Daten liefern, um den komplexen Prozess der Ko-Konstruktion alltäglichen
Verständigungshandelns besser zu verstehen (und ggfs. für die L2-Didaktik fruchtbar zu
machen). Interkulturelles Missverstehen wird damit ex negativo zum Impuls für die
schärfere Einsicht in die Bedingungen, Mechanismen und Wirkungen eines Zeichenaus-
tauschs, der sich aus divergierenden Code-Repertoires speist.
1494 XVII. Landeskunde
2. Multikulturalität
Die meisten westlichen Gesellschaften entwickeln sich im 21. Jahrhundert als Folge der
technologischen und ökonomischen Globalisierung und damit einhergehenden Migrati-
onsbewegungen zu multikulturellen Gemeinschaften. Der deutschsprachige Raum in
Mitteleuropa ist da keine Ausnahme. Den tatsächlichen Anteil der Fremden in den
166. Landeskundl. Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und Heterogenität 1495
Anders als in laizistischen Ländern wie Frankreich führt die diffuse Verflochtenheit
von Staat und christlichen Kirchen (mit ihren starken politischen Lobbys) in Deutsch-
land immer wieder zu Abgrenzungsproblemen und juristischen Auseinandersetzungen
mit z. T. widersprüchlichen Urteilen etwa zu Fragen religiöser Manifestationen von Mi-
noritäten (besonders muslimischen) in öffentlichen und beruflichen Sphären (Kopftuch
vs. Nonnenhabit, Minarettstreit, Muezzinruf vs. Glockengeläut, Teildispens vom Schul-
unterricht usw.). Solange der politische Wille zur Durchsetzung einer solchen Trennung
fehlt, wird sich die Hoffnung auf allgemeine Akzeptanz eines übergreifenden Dachs, un-
ter dem sich wie im umbrella-Modell des australischen Soziologen (polnischer Herkunft)
Jerzy Smolicz die verschiedenen Subkulturen mit ihren divergierenden Perspektiven und
religiösen Prämissen versammeln und entfalten können, kaum erfüllen (vgl. Watts und
Smolicz 1997).
Umso dringlicher wäre ein verbindlicher Orientierungsrahmen an öffentlichen Institu-
tionen und Bildungseinrichtungen, der im Respekt vor kultureller Diversität der Tradi-
tion der europäischen Aufklärung verpflichtet bleibt und der Freiheit individueller
Selbstentfaltung erst das Fundament von Grundrechten und Bürgerpflichten, Recht und
Verfassung und gemeinsamer Sprache bietet. Für das Schul- und Bildungssystem mit der
zunehmenden kulturellen Heterogenität seiner Populationen ist das eine ernste Heraus-
forderung.
3. Heterogenität
Im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl der Immigranten in den DACHL-
Ländern kontinuierlich an, bis Einschränkungen des Asylrechts und Einwanderungsbe-
grenzungsgesetze in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts diese Zahl stabilisiert hat.
Dies gilt auch für die Kinder der Einwanderer an den Schulen. In Deutschland etwa
registriert das Statistische Bundesamt für das Schuljahr 2007 an allgemeinbildenden
Schulen 9,6 % ausländische Schüler, allerdings in gegenüber deutschen Schülern deutlich
unterschiedener Verteilung auf die Schularten (19,2 % an Hauptschulen; 4,3 % an Gym-
nasien): Während mehr als ein Viertel der deutschen Schüler die Hochschulreife erreicht,
gelingt dies nur 3,6 % der ausländischen Schüler; während 8 % der deutschen Schüler die
Schule ohne Abschluss verlassen, sind es 20 % der ausländischen. Dem aus solchen Be-
funden abzuleitenden Handlungsbedarf sucht die interkulturelle Erziehung Rechnung zu
tragen (vgl. Pommerin-Götze 2001).
Dabei ist (in Deutschland) über Jahre hinweg mit jeweils guten Argumenten die Frage
kontrovers erörtert worden, ob dem Erwerb zuerst des Deutschen (als Öffentlichkeits-
sprache) oder der Erziehung zur Mehrsprachigkeit von vornherein der Vorzug zu geben
sei. Die Alternative ist m. E. falsch gestellt. Von der Pflicht, die deutsche Sprache zu
erwerben, kann kein Schüler entbunden werden, der in Deutschland zu leben und zu
arbeiten wünscht (sonst kann er sich nicht integrieren und wird keine Stelle finden).
Die Gesetzgebung trägt dem heute endlich Rechnung. Andererseits ist Mehrsprachigkeit
offizielle EU-Bildungspolitik, die mehreren Modellen Raum gibt (z. B. Muttersprache
L1 ⫹ Nachbarsprache L2 ⫹ Englisch L3 oder ⫺ in welcher Reihenfolge auch immer ⫺
romanische Sprache L1 ⫹ germanische Sprache L2 ⫹ slawische Sprache L3 oder Deutsch
L1 ⫹ Englisch als lingua franca L2 ⫹ Herkunftssprache L3 in den Dachl-Ländern oder
1498 XVII. Landeskunde
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167. DACH-Landeskunde
1. Einleitung
2. Geschichte und Prinzipien
3. Lehrerfortbildung
4. Lehrmaterialien
5. Unterrichtsmethoden
6. Bilanz und Ausblick
7. Literatur in Auswahl
1. Einleitung
Landeskunde in Deutsch-Lehrbüchern in und vor den 1980er Jahren war vor allem eine
Landeskunde der damals existierenden beiden deutschen Staaten, später wurde daraus
eine Landeskunde Deutschlands. Österreich, die Schweiz oder Liechtenstein wurden ⫺
wenn überhaupt ⫺ meist nur anekdotisch, nicht aber systematisch in die Lehrwerke und
den Unterricht integriert. Umgekehrt betrieben die Lernmaterialien, die in verschiedenen
167. DACH-Landeskunde 1501
traut gemacht werden bzw. lernen, dass in DACH auch unterschiedliche Aussprachestan-
dards existieren. DACH-Materialien schließen leichte regionale Färbungen bei Hörtexten
mit ein; im rezeptiven Bereich geht es um Sensibilisierung und die Entwicklung von
flexiblen Verstehensfertigkeiten. Im sprachproduktiven Bereich sieht der DACH-Ansatz
kein spezielles Phonetiktraining vor.
Schließlich ist DACH-Landeskunde auch im Kontext von Mehrsprachigkeit zu sehen,
das heißt, Deutsch als Fremdsprache wird nicht als Einzelphänomen verstanden, sondern
eingebettet in den Rahmen von Mehrsprachigkeit und einer multikulturellen Welt. Darin
ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, „sich sowohl den DACH-Kulturen zu nähern als
auch Anregungen aufzugreifen, die eigene(n) Kultur(en) etwas differenzierter zu sehen“
(Clalüna, Fischer und Hirschfeld 2007).
Neben Anregungen in Bezug auf die methodisch-didaktische und inhaltliche Ausrich-
tung des Landeskunde- bzw. Sprachunterrichts werden in den Thesen auch organisatori-
sche und sprachenpolitische Forderungen erhoben: DACH-Landeskunde bedingt enge
Kooperationen unter Fachleuten der deutschsprachigen Länder insbesondere bei der
Entwicklung landeskundlicher Materialien, bei der Ausbildung von Lehrenden, bei Lehr-
buchprojekten, bei der Förderung bi- und multilateraler Fortbildung.
3. Lehrerortbildung
Die ABCD-Thesen und das DACH-Konzept zeigten zuerst in der Lehrerfortbildung
konkrete Ergebnisse. Auf Initiative des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV)
und der nationalen Deutschlehrerverbände wurde seit 1992 eine Reihe von DACH-Semi-
narien zur erlebten Landeskunde konzipiert und in den drei deutschsprachigen Ländern
durchgeführt. Ziel dieser Seminarien ist es, dass die Teilnehmenden die plurizentrische
Soziokultur konkret erleben und für den eigenen landeskundlichen Unterricht nutzbar
machen. Unter Soziokultur wird hier in Anlehnung an die Soziologie und Sozialpsycho-
logie die Gesamtheit der operativen, kognitiven und affektiven Kenntnisse und Fähigkei-
ten verstanden, die für das Handeln im Zielsprachengebiet nötig sind (Simon-Pelanda
2001: 932). In den trinationalen DACH-Seminarien erfahren die Teilnehmenden erlebte
Landeskunde in den drei deutschsprachigen Ländern und setzen sich mit gemeinsam
festgelegten Themen auseinander.
Der DACH-spezifische Ansatz der Lehrerfortbildung ist durch folgende Merkmale
gekennzeichnet (Goethe-Institut 2001: 2):
⫺ Zielsprachenkultur(en): Die Zielkultur der Landeskunde ist nicht allein Deutschland.
Im Seminar erwerben die Teilnehmenden ein differenziertes Bild des deutschsprachi-
gen Raumes auf nationaler und regionaler Ebene.
⫺ Binnendifferenzierung: Im Verlaufe des Seminars vergleichen die Teilnehmenden ne-
ben der Ausgangs- und Zielsprachenkultur auch verschiedene deutschsprachige Län-
der oder Regionen.
⫺ Perspektivierung von Wirklichkeit: Es gibt nicht nur eine Sicht auf die deutschspra-
chige Wirklichkeit. Im Seminar machen sich die Teilnehmenden Selbst- und Fremdbil-
der bewusst und reflektieren Stereotypen im Kontext.
⫺ Wissen und Erfahrung: Bei der erlebten Landeskunde geht es weniger um Faktenwis-
sen, als vielmehr um reflektierte Erfahrungen in der Zielsprachenkultur.
167. DACH-Landeskunde 1503
Die Rollen der Teilnehmenden und die Rollen der Moderierenden werden im DACH-
Seminar ausdrücklich thematisiert und geklärt. Die DACH-Seminare zeichnen sich da-
durch aus, dass Orte und auch Moderierende wechseln. Die Teilnehmenden bilden mithin
die Konstante des Seminars, weshalb ihnen eine besondere Bedeutung zukommt. Ent-
sprechend ihrer Herkunft haben die Teilnehmenden unterschiedliche Blickwinkel auf das
Rahmenthema. Durch mitgebrachte Gegenstände und persönliche Erzählungen werden
kulturelle Unterschiede erkennbar. Die Vielfalt der Perspektiven auf das Thema ermun-
tert dazu, bestimmte Aspekte auch in den DACH-Ländern zu erforschen. Das persönli-
che Interesse der Teilnehmenden am Rahmenthema bildet die Grundlage für die Bildung
der Arbeitsgruppen. Die Projektarbeit verlangt von den Teilnehmenden die Bereitschaft,
1504 XVII. Landeskunde
4. Lehrmaterialien
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Veröffentlichung der ABCD-Thesen steht das
„Lehrbuchautorensymposium“ 1994 in Linz, Österreich, auf dem die Prinzipien einer
„DACH-Landeskunde“ von einer breiteren Fachwelt diskutiert wurden. Etwas später
als geplant kommt es 1998 noch zur Veröffentlichung der schon in den Thesen angekün-
digten Buchreihe „Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder“, bei der viele der Beiträge
auch von den VerfasserInnen der Thesen stammen (Goethe-Institut 1998; Koch 1999).
Seit Anfang der 1980er Jahre bahnen sich allmählich plurizentrische Elemente ihren
Weg in verschiedene Deutschlehrwerke. Zunächst allerdings nur vereinzelt, als Zusatz-
informationen und weniger als (DACH-)Prinzip. Als eines der ersten weltweit verbreite-
ten Lehrwerke bot Deutsch aktiv in den 1980er Jahren ein „Österreichisches Beiheft“
zum Lehrbuch als Zusatzmaterial an, in dem die in unterschiedlichen Kapiteln erwähnten
deutschen Realien durch österreichische ergänzt bzw. ersetzt wurden (Baktir und Waitz-
bauer 1982). Andere Lehrwerke, wie etwa Stufen, starteten von Anfang an Versuche, den
gesamten deutschsprachigen Raum mehr einzubeziehen. Einen eigenen Weg ging das
Wortschatzlehrwerk Memo (Häublein et al. 1995), das in seinen „Regioboxen“ der bin-
nendeutschen Lexik jeweils österreichische und schweizerische Vokabel gegenüberstellte,
allerdings ohne auf semantisch-kulturelle „A“ und „CH“- Spezifiken näher einzugehen
(vgl. Abb. 167.1).
An den zuletzt erschienenen Mittelstufenlehrwerken Ziel (Dallapiazza et al. 2008 und
2009), Aspekte (Koithan et al. 2007) und Mittelpunkt (Daniels et al. 2007) lässt sich
ablesen, dass auch Alltagsthemen, die Darstellung von Persönlichkeiten aus Geschichte
und Wissenschaft, Kunst und Kultur aus allen deutschsprachigen Regionen fallweise
berücksichtigt werden.
Hör- und Printtexte aus DACH sind inzwischen regelmäßiger Bestandteil in den vom
Goethe-Institut und dem Österreichischen Sprachdiplom angeboten standardisierten
Sprachprüfungen (vgl. Abb. 167.2). Die Berücksichtigung von Standardvarietäten be-
trifft hier allerdings nur den rezeptiven Bereich und bewegt sich innerhalb der entspre-
chenden Lernzielkataloge und Referenzsysteme (Profile Deutsch, Lernziel-Katalog Ös-
terreichisches Sprachdiplom Deutsch, Lernziel-Katalog Zertifikat Deutsch).
Systematisch und am umfassendsten ist der DACH-Ansatz bisher im Lehrwerk „Di-
mensionen“ (Jenkins et al. 2002, 2003, 2006) verwirklicht worden. In diesem Lehrwerk
wechseln reine Informationsaktivitäten (auch in Bezug auf unterschiedlichen Sprachge-
brauch) mit Sensibilisierungsübungen zu Sprachaufmerksamkeit, findet sich Realien-
kunde mit Einblicken in historische Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede neben Hörver-
stehensaufgaben mit Sprecherinnen und Sprechern aus verschiedenen DACH-Regionen
(vgl. Abb. 167.3 und 167.4). Hin und wieder werden exemplarische Einblicke in dialekta-
len Sprachgebrauch vorgeführt, allerdings ohne Anspruch, als produktives Lernziel zu
dienen. Journalistische und literarische Texte, Fotos, Interviews und andere Hörtexte
gewähren in verschiedenen Abschnitten des Lehrwerks beispielhafte Einblicke in den
Alltag von Menschen aus DACH.
1506 XVII. Landeskunde
5. Unterrichtsmethoden
Die Ziele und Unterrichtsmethoden des Landeskundeunterrichts sind stark geprägt vom
jeweiligen Lernort. Grundsätzlich kann man drei Lernsituationen unterscheiden: Lernen
im Zielsprachenland, Lernen in Nachbarländern und Lernen in weit(er) entfernten Län-
dern (Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 5). Beim Lernen in einem deutschspra-
chigen Land wenden die Lernenden Strategien des Verstehens und des Wissenserwerbs im
Kontakt mit Muttersprachlern an. Sie lernen soziokulturelle Codes im Alltag als erlebte
Landeskunde und machen sich ungewohnte Perspektiven und fremde Bilder bewusst.
Beim Lernen in Nachbarländern findet das landeskundliche Lernen vor allem in interkul-
turellen Kontaktsituationen statt. Die kontrastierende Landeskunde arbeitet dann Ähn-
lichkeiten und Unterschiede der Soziokultur zweier Länder heraus und bietet den Ler-
nenden Orientierungswissen zu den Kulturen der deutschsprachigen Länder. In weiter
entfernten Ländern sind unmittelbare landeskundliche Begegnungen eher selten. Im Lan-
deskundeunterricht müssen die Lehrenden Kulturkontakte zuerst möglich machen. Die
erlebbare Landeskunde vermittelt Begegnungen mit Muttersprachlern oder macht die
Soziokulturen der deutschsprachigen Länder über Medien verfügbar. Oft finden Ler-
nende auch kulturelle Berührungspunkte mit deutschsprachigen Ländern im eigenen
Land.
Es gibt bis heute keine ausgearbeitete DACH-Übungstypologie. Trotzdem lassen sich
einige typische und erprobte Aktivitäten einer DACH-Landskunde beschreiben. Eine
erste Gruppe von Aktivitäten lässt sich unter dem Titel „interkulturelle Sensibilisierung“
zusammenfassen. Das Ziel dieser Aktivitäten ist es, die unterschiedlichen Lebenswelten
in den deutschsprachigen Ländern überhaupt erst wahrzunehmen. Je nach Auswahl des
Wirklichkeitsausschnittes treten nationale, regionale, aber auch soziale Unterschiede der
Lebenswelten zu Tage. Die Lernenden erkennen oder erfahren Unterschiede und entwi-
ckeln durch binationale oder trinationale Kulturkontraste ein differenzierteres Bild der
deutschsprachigen Länder. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht sind besonders Sprich-
wörter, Redewendungen und traditionelle Geschichten ergiebige Quellen für Vergleiche
von Menschen- und Weltbildern.
Die interkulturelle Sensibilisierung betrifft nicht nur verschiedene Wirklichkeitsaus-
schnitte, sondern auch unterschiedliche Beobachterstandpunkte. Bei der Analyse von
Fremd- und Selbstbildern werden Vorurteile, Stereotypen und Klischees nicht etwa ver-
bannt, sondern dazu genutzt, den perspektivischen Blick auf kulturelle Phänomene deut-
lich zu machen. Interessante interkulturelle Erkenntnisse ergeben sich aus dem Vergleich
von Assoziationsnetzen zu zentralen Begriffen, z. B. zu abstrakten Begriffen wie „Frei-
heit“, „Bildung“, „Reichtum“, aber auch zu alltäglichen Begriffen wie „Strasse“, „Brot“,
„Spiel“. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten, dass die Lernenden ethnozentrische Be-
schränkungen überwinden sollen und Offenheit für neue Interpretationen und Erfahrun-
gen gewinnen.
Sowohl in der Lehrerfortbildung zur Landeskunde wie auch im landeskundlich orien-
tierten Fremdsprachenunterricht selbst gehört die thematische Recherche zu den wichtig-
sten Aktivitäten. Die Recherche ist projektorientiert, da die Aufgabenstellung die Pla-
nung und Bearbeitung eines Themas umfasst und auf ein konkretes Produkt ausgerichtet
ist. Die Recherche ist zudem lernerorientiert, da sie den Lernenden die Möglichkeit bie-
tet, mitzuentscheiden und mitzugestalten. Durch die Recherche entwickeln die Lernen-
den Fertigkeiten im Umgang mit der fremden Kultur und sie erwerben ein Orientierungs-
1508 XVII. Landeskunde
wissen, das nicht nur Fakten, sondern auch Interpretationen und Wertungen beinhaltet.
In der DACH-Lehrerfortbildung hat sich bewährt, ein generatives Thema als Ausgangs-
punkt für die Recherche zu setzen. Ein Thema eignet sich dann als generatives Thema,
wenn es interessant, thematisch offen, sprachlich ergiebig und kulturell differenzierbar
ist. So wurden beispielsweise DACH-Seminarien zu Rahmenthemen „Grenzen“ oder
„Brücken“ durchgeführt. Das Thema liegt in unterschiedlichen Kodierungen vor, in der
Form von historischen Dokumenten, Filmen, Fotos, literarischen Texten, Liedern usw.
Durch Recherche und Interpretation erschliessen die Lernenden verschiedene Facetten
des gemeinsamen Rahmenthemas. Entscheidend für den Erfolg der Recherche ist einer-
seits die Kunst des (Nach-)Fragens und andrerseits die Kunst des Infragestellens (Fischer
2007: 20). Landeskundliche Recherche benötigt authentische Materialien und geeignete
Kulturkontakte. In entfernten Ländern bietet das Internet oft die einzige Quelle für sol-
che Informationen und Kontakte. Die virtuelle Landeskunde spielt deshalb in den letzten
Jahren eine zunehmend wichtige Rolle. Die verschiedenen nationalen Deutschlehrerver-
bände haben strukturierte und kommentierte Linklisten zur Landeskunde zusammenge-
stellt, die sich als Ausgangsbasis für selbständige Recherchen eignen.
Im projektorientierten Landeskundeunterricht stellt die Recherche den ersten Schritt
bei der Bearbeitung des Themas dar. Bei den weiteren Schritten geht es darum, die Infor-
mationen zu interpretieren, zu kategorisieren, zu vergleichen, zu kontrastieren und zu
generalisieren. Die Lernenden bereiten die Ergebnisse der Recherche zu einem Produkt
auf, das innerhalb oder ausserhalb der Schule präsentiert werden kann. Produktideen
für landeskundliche Projekte sind beispielsweise (Goethe-Institut 2001):
⫺ Text: Bericht, Dossier, Essay, Wandzeitung, Leseheft, Infoblätter, Webseiten …
⫺ Bild: Diashow, Fotogalerie, Bilderbogen, Collage …
⫺ Audio: Interview, Feature, Nachrichten, Radiosendung, Umfrage …
⫺ Video: Kurzfilm, Nachrichten, Fernsehsendung, Interview …
⫺ Spiel: Rollenspiel, Talkshow, (verstecktes) Theater, Kartenspiel, Brettspiel …
Eine häufig verwendete Form der Präsentation ist das Themendossier, zu dem auch
Checklisten für Lehrende und Lernende existieren. Beurteilungskriterien für Themendos-
siers sind die Qualität der Information, Leserfreundlichkeit, inhaltlicher Zusammenhang,
persönliche Auseinandersetzung, Gestaltung usw. (Koch 1999).
Vereinzelt werden auch komplexe Lernumgebungen im Landeskundeunterricht einge-
setzt, wie z. B. Planspiele oder Simulationen. Dabei übernehmen die Lernenden vorgege-
bene Rollen und versuchen sie angemessen zu interpretieren und zu spielen. Die komple-
xen Lernumgebungen sind zwar aufwendig in der Vorbereitung und in der Betreuung,
gestatten aber den Lernenden, mit Verhaltensweisen zu experimentieren und so die eigene
Phantasie bei der Lösung der Aufgaben einzusetzen.
Der landeskundlich orientierte Unterricht nach den DACH-Prinzipien ist immer auch
begleitet von Reflexion und Evaluation. Die Lernenden dokumentieren die Reflexion in
einem Arbeitsjournal oder abschliessend im Dossier. Die Evaluation umfasst sowohl
Selbst- wie auch Fremdevaluation. Die zentralen Evaluationsbereiche sind die Ziele, das
Vorgehen, das Verhalten der Gruppe und die Ergebnisse, wobei jeweils Erfolge und Prob-
leme thematisiert werden.
Abschliessend lässt sich der Entwicklungsstand einer DACH-Unterrichtsmethodik
folgendermassen zusammenfassen: Es gibt eine Reihe sinnvoller und erprobter Aktivitä-
ten, die, abgeleitet aus den allgemeinen Prinzipien landeskundlicher Arbeit, auch auf das
167. DACH-Landeskunde 1509
Blickt man auf die letzten Jahre DACH-landeskundliche Aktivitäten zurück, ist festzu-
stellen, dass sich die oben genannten Ansätze im landeskundlich orientierten Fremdspra-
chenunterricht etabliert haben. Eine eigene DACH-Methodik existiert allerdings nicht.
Allgemeine Prinzipien landeskundlichen Arbeitens und Unterrichtens (wie z. B. Projekt-
arbeit, Themenrecherchen, unterschiedliche Präsentationsformen der Ergebnisse) lassen
sich problemlos unter DACH-Perspektive erfolgreich anwenden. Dabei bleibt festzuhal-
ten, dass die Sensibilisierung für intrakulturelle Probleme des deutschsprachigen Raumes
und das Arbeiten mit kulturellen Varietäten Hauptprinzipien der DACH-Landeskunde
sind, denn „nationalkulturelle Fixierungen und Stereotypisierungen durch Kontrastie-
rung, Regionalisierung und Vergleich zu vermeiden“ (Biechele und Padrós 2003: 106),
gehört zum Kernbereich des DACH-Konzepts.
Der landeskundlich orientierte Fremdsprachenunterricht unter DACH-Perspektive
legt generell Wert auf Vergleiche zwischen den deutschsprachigen Ländern. Noch wenig
Beachtung finden bisher intra-intrakulturelle Differenzen, also Unterschiede innerhalb
zweier oder mehrer Regionen eines DACH-Landes. Besonders bezüglich der deutschen
Realität (nach 1990) ist bisher im Rahmen von DACH wenig Konkretes geleistet worden.
Zukünftige DACH-Seminare sollten in angemessenem Umfang auch deutsch-deutsche
Kulturunterschiede thematisieren, insbesondere die Ost-West-Problematik. Damit wird
auch an das angeknüpft, was bei den ABCD-Thesen zu Beginn der 1990er Jahre eine
wichtige Rolle spielte.
Aktuelle DaF-Lehrwerke verweisen auf lexikalische Unterschiede in der Schweiz, in
Österreich und Deutschland (Paradebeispiele: Matura ⫺ Abitur; Paradeiser ⫺ Tomate,
Jänner ⫺ Januar), zuweilen begegnet uns der Wiener Stephansdom anstelle des Kölner
Doms in DaF-Lehrwerken. Bei diesen plurizentrischen Elementarbeispielen bleibt es al-
lerdings in der Regel. Damit verbundene, wirklich kulturelle Unterschiede in den
deutschsprachigen Ländern werden selten thematisiert.
Klar sein muss in diesem Zusammenhang folgendes: „DACH ist einer unter vielen
Aspekten, den Deutsch-Lehrende und Lehrbuchautorinnen und -autoren zu berücksich-
1510 XVII. Landeskunde
tigen haben. Nicht in jeder Phase des Lernens und Lehrens ist Sensibilisierung für die
Vielfalt des deutschsprachigen Kulturraumes bzw. für die Varietäten der deutschen Spra-
che gleichermaßen relevant. DACH ist auch nicht ,Deutsch mal 3‘ oder gar als Schikane
zu verstehen, sondern kann auch eine tolle Bereicherungsmöglichkeit sein.“ (Clalüna et
al. 2007: 45). Mit einer bloßen numerischen Addition lexikalischer bzw. soziokultureller
Varietäten des deutschsprachigen Raums ist jedoch niemandem gedient, einer quantitati-
ven Abfrage derselben in diversen Tests schon gar nicht. Dies sei an dieser Stelle aus-
drücklich erwähnt, stellen uns doch die europäischen Reformprozesse im Hochschulkon-
text der letzten Jahre mehr und mehr unter Zertifizierungs- und Testzwang.
Wünschenswert für die Zukunft ist, dass sich „DACH“ als Begriff im landeskundli-
chen Kontext weiter etabliert wie Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre der Begriff
„ABCD“.
Dabei scheint notwendig, dass der DACH-Begriff, neben der Vermittlung von kultu-
reller Vielfalt im deutschsprachigen Raum im Rahmen von Lehrwerken bzw. Fortbil-
dungsseminaren, auch eine sprachpolitische Komponente für Österreich, die Schweiz und
Deutschland erfährt, indem sich die drei Länder die weltweite Förderung von Deutsch
als Fremdsprache in eine gemeinsame Agenda schreiben.
7. Literatur in Auswahl
ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht
1990 Fremdsprache Deutsch 3: 60⫺61.
Baktir, Elfi und Manfred Waitzbauer
1982 Deutsch aktiv. Österreichisches Beiheft 1; Materialien zur Landeskunde. Berlin/München:
Langenscheidt.
Biechele, Markus und Alicia Padrós
2003 Didaktik der Landeskunde. (Fernstudieneinheit 31). München: Langenscheidt.
Clalüna, Monika, Roland Fischer und Ursula Hirschfeld
2007 Alles unter einem D-A-CH-L? Fremdsprache Deutsch 37: 38⫺46.
Dallapiazza, Rosa-Maria, Sandra Evans, Roland Fischer, Angela Kilimann, Anja Schürmann und
Maresa Winkler
2008 Ziel B2/1. München: Hueber.
Dallapiazza, Rosa-Maria, Sandra Evans, Roland Fischer, Angela Kilimann, Anja Schürmann und
Maresa Winkler
2009 Ziel B2/2. München: Hueber.
Daniels, Albert, Stefanie Dengler, Renate Köhl-Kuhn, Monika Lanz, Ilse Sander, Wolfram Schlen-
ker und Ulrike Tallowitz
2007 Mittelpunkt. Stuttgart: Klett.
Fischer, Roland
2007 Landeskunde im DaF-Unterricht ⫺ wohin geht die Reise? Ausblicke 25: 19⫺23.
Goethe-Institut (Hg.)
1998 Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder. 4 Bände. Regensburg: Dürr und Kessler.
Goethe-Institut (Hg.)
2001 Erlebte Landeskunde. Handbuch für Spracharbeit. Teil 5. München: Goethe-Institut.
Hackl, Wolfgang, Michael Langner und Hans Simon-Pelanda
1998 Landeskundliches Lernen. Fremdsprache Deutsch 18: 5⫺12.
Häublein, Gernot, Martin Müller, Paul Rusch, Theo Scherling und Lukas Wertenschlag
1995 Memo. Wortschatz- und Fertigkeitstraining zum Zertifikat Deutsch als Fremdsprache. Lehr-
und Übungsbuch. Berlin/München: Langenscheidt.
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1511
Jenkins, Eva-Maria, Roland Fischer, Ursula Hirschfeld, Maria Hirtenlehner und Monika Clalüna
2002 Dimensionen 1. Lernstationen 1⫺5. München: Hueber.
Jenkins, Eva-Maria, Roland Fischer, Ursula Hirschfeld, Maria Hirtenlehner und Monika Clalüna
2003 Dimensionen 2. Lernstationen 6⫺10. München: Hueber.
Jenkins, Eva-Maria, Monika Clalüna, Roland Fischer und Ursula Hirschfeld
2006 Dimensionen 3. Lernstationen 11⫺18. München: Hueber.
Koch, Leo
1999 Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder. Begleitband. Anregungen ⫺ Arbeitsformen ⫺
Merkblätter. Regensburg: Wolf.
Koithan, Ute, Helen Schmitz, Tanja Sieber, Ralf Sonntag und Nana Ochmann
2007 Aspekte Mittelstufe Deutsch. Berlin/München: Langenscheidt.
Simon-Pelanda, Hans
2001 Landeskundliches Lernen und Lehren. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici
und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache: Ein internationales Handbuch,
931⫺941. Band 1. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2).
Berlin/New York: de Gruyter.
Instrumente zur Beschreibung der Sprachkompetenzen dar, und dies hat unter anderem
zu dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Goethe-Institut Inter
Nationes 2001) sowie im Jahr 2000 zu der Entscheidung der Bildungsminister über die
Einführung des Europäischen Sprachenportfolios (vgl. Ballweg und Stork 2008) geführt.
Andererseits gibt es die aktuelle sprachensoziologische Entwicklung, in deren Kontext
diese politischen Ziele formuliert werden: Nämlich eine europäische Sprachenlandschaft,
in der Englisch als allgemeines Kommunikationsmittel und als erste Fremdsprache in
den Bildungssystemen immer mehr an Bedeutung gewinnt, und in der immer weniger
Menschen Deutsch als Fremdsprache lernen oder studieren wollen oder Deutsch in der
internationalen Kommunikation benutzen ⫺ und dies trotz der zentralen und wirtschaft-
lich sehr bedeutenden Position Deutschlands in Europa und trotz der Tatsache, dass
Deutsch diejenige Sprache ist, welche die meisten Europäer als Erstsprache sprechen.
Diese Entwicklung wird noch begünstigt durch die Sprachen- und Bildungspolitik in den
diversen Mitgliedsstaaten, die typischerweise Englisch in den Vordergrund stellt und es
daneben in vielen Fällen den Schülern/Eltern und Studierenden selbst überlässt zu ent-
scheiden, welche Sprache sie als ihre eventuelle zweite Fremdsprache erlernen möch-
ten.
Duesberg (2006) bietet einen Überblick über die Lage für Deutsch als Fremdsprache
in ausgewählten Ländern Europas und der übrigen Welt. Danach befindet sich Deutsch
überall quantitativ auf dem Rückzug, außer in China, wo der Technologietransfer aus
Deutschland immer noch als entscheidend angesehen wird. Was Europa angeht, so be-
handelt der Artikel Frankreich, Italien, Türkei, Ungarn, Russland, Schweden und Groß-
britannien. Der allgemeine Trend ist ein Rückgang für Deutsch als erste Fremdsprache,
und an den meisten Orten auch als zweite Fremdsprache. Duesberg betont, dass vieler-
orts in dem Bemühen, diesen Trend umzukehren, mit Revisionen des Faches Deutsch im
Hochschulangebot experimentiert wurde, damit es in geringerem Maße mit Literatur-
und Kulturgeschichte identifiziert wird und stattdessen öfter als Deutschstudien im Rah-
men von Studiengängen in Wirtschaft, Handel, Naturwissenschaften und Technologie
erscheint. Er sieht dies als eine notwendige Entwicklung, um das Prestige der Disziplin
zu steigern und mehr Studierende zu erreichen. Diese Entwicklung ist auch im Rahmen
des vorliegenden Beitrags interessant, denn sie bedeutet, dass Studierende, die sich tat-
sächlich entschließen Deutsch zu studieren, in vielen Fällen nicht die Gelegenheit erhal-
ten, eine tiefere, wissenschaftlich fundierte Einsicht in die Geschichte, Kultur, Literatur
und Sprache Deutschlands (und der übrigen deutschsprachigen Länder) zu gewinnen.
Kenntnisse von der Gesellschaft und interkulturelle Kompetenzen erhalten unter diesen
Umständen eventuell geringere Priorität.
Gleichzeitig kann man gerade in Europa relativ leicht Erfahrungen vom Leben in den
deutschsprachigen Ländern insgesamt sammeln. Für diejenigen, die es sich leisten kön-
nen (und EU-Bürger sind), gibt es viele Möglichkeiten für persönliche Kontakte und
erlebte Landeskunde durch touristische Reisen, Austauschprogramme und Studienauf-
enthalte in deutschsprachigen Ländern. Hinzu kommen noch die besonderen Möglich-
keiten des Unterrichts in Nachbarsprachen in den Grenzregionen.
Die widersprüchliche Situation für Deutsch als Fremdsprache in Europa bedeutet,
dass alle, die mit dem Fach zu tun haben, SchülerInnen, Lehrende, StudentInnen und
WissenschaftlerInnen, sich unter einem realen oder potentiellen Argumentationsdruck
befinden: Sie müssen ihre Wahl von Deutsch einer Öffentlichkeit gegenüber verteidigen,
die es nicht als selbstverständlich ansieht, dass jemand ein besonderes Interesse an der
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1513
2.1. Begrisdiskussion
Landeskunde ist ein Begriff mit vielen verschiedenen Bedeutungen, was sich deutlich in
der Geschichte und der fortdauernden Diskussion des Terminus spiegelt. Landeskunde
(genauso wie Realienkunde, Kulturkunde, Wesenskunde usw.) hat eine spezifische Be-
deutungsgeschichte, die stark von vermeintlichen Äquivalenten in anderen Sprachen, wie
zum Beispiel civilisation im französischen Sprachunterricht oder cultural studies in briti-
schen Sprachunterricht, abweicht. Landeskunde ist ein Ausdruck, der nicht nur in Bezug
auf Deutsch als erste und zweite Fremdsprache verwendet wird, sondern bisweilen auch
im Rahmen des Unterrichts anderer Sprachen, und zwar als internationaler Fachtermi-
nus, der sich insbesondere auf elementare geographische und (zeitgenössische) historische
Kenntnisse sachlicher Natur über die zielsprachigen Länder bezieht, ein Wissen also, das
notwendige Voraussetzung für sinnvolle sprachliche Kommunikation und auch für ein
tieferes Verständnis von Kulturen und Gesellschaft ist. Von diesem sachlicheren Aus-
gangspunkt her erwarb der Begriff ein immer breiteres Bedeutungsfeld und erfährt
gleichzeitig Konkurrenz durch andere, wissenschaftlicher orientierte Termini.
In der Germanistik wird üblicherweise zwischen drei Ansätzen der Landeskunde un-
terschieden: dem kognitiven, dem kommunikativen und dem interkulturellen Ansatz
(Weimann und Hosch 1993). Wissenschaftstheoretisch kann man die drei Ansätze auch
als positivistisch, pragmatisch und hermeneutisch charakterisieren. Speziell im interkul-
turellen Ansatz sind aber mehrere Fachausdrücke im Spiel: Kulturverstehen, kulturelle
Bewusstheit, Fremdverstehen, Kulturwissenschaft, interkulturelles Lernen, interkultu-
relle Kompetenz, Wahrnehmung nationaler Stereotypen. Eine Einführung in diesen An-
satz der Landeskundedidaktik ist Biechele und Padrós (2003). Als relevante Publikatio-
nen auf dem Feld interkultureller Kompetenz sind auch zwei neuere Anthologien zu
nennen: Bredella und Christ (2007) sowie Hu und Byram (2009).
Ein spezielles Thema ist die Frage der geographischen Referenz von Landeskunde:
Genügt es auf Deutschland einzugehen, oder sollen alle deutschsprachigen Länder be-
handelt werden? Diese Thematik, die unter dem Begriff D-A-CH-L (Deutschland, Öster-
reich, die Schweiz, Liechtenstein) bekannt ist (vgl. Art. 167) und wo es auch um Fragen
der Identität geht, wurde beispielsweise von Krumm (1999) diskutiert, der unterstreicht,
dass der Unterricht die innere Diversität des deutschen Sprachraums als Ganzem sowie
die entsprechenden unterschiedlichen Beziehungen zu Europa und zur EU sichtbar ma-
chen sollte.
1514 XVII. Landeskunde
Zahlreiche Analysen des Deutschlandbilds in Lehrwerken liegen schon vor (vgl. Ammer
1988; Friz 1991; Byram 1993; Tenberg 1999; Wegner 1999). Im Folgenden soll auf einige
neuere Untersuchungen näher eingegangen werden (Sercu 2000; Fink 2003 und Maijala
2007, wobei Sercu 2000 auch eine Untersuchung der Einstellungen von SchülerInnen
und ihrer Vorstellungen von Deutschland einschließt).
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1515
Die Untersuchung von Sercu (2000) basiert auf einem großen empirischen Forschungs-
projekt zum Deutschunterricht im flämischsprachigen Belgien. Die Untersuchung bezog
592 SchülerInnen in sechs Schulen ein und konzentrierte sich auf zwei Klassenstufen, die
eine mit SchülerInnen im Alter von 15 Jahren und die andere mit SchülerInnen von 18
Jahren. Die Schulen lagen in zwei verschiedenen Gegenden in Belgien: zum einen in
Luxemburg nahe der deutschen Grenze, zum anderen in Westflandern, das am weitesten
von Deutschland entfernt liegt. Die Untersuchung behandelte sowohl die Vorstellungen
der SchülerInnen von Deutschland als auch den kulturellen Inhalt sechs verschiedener
Lehrbücher, die in den betreffenden Klassen verwendet wurden. Sercu fokussierte die
Analyse nur auf Deutschland allein, nicht auf die deutschsprachigen Länder. Die Analyse
der interkulturellen kommunikativen Kompetenz der SchülerInnen wies Variationen
nach Geschlecht, Alter und geografischem Gebiet nach, doch das allgemeine Bild zeigte,
dass die SchülerInnen nicht sehr viel über Deutschland wussten und die deutsche Kultur
als nicht besonders interessant ansahen. Das Schema Deutschland ⫽ Krieg kam häufig
vor, besonders wenn sie anscheinend ihnen Mangel an speziellem Wissen kaschieren woll-
ten. Bei der Analyse der Lehrwerke gab es im Ergebnis eine analytische Unterscheidung
zwischen zwei Sichtweisen auf den Kulturunterricht in den Lehrbüchern: die Touristen-
perspektive von außen und die Familienperspektive von innen. Die erstere Sicht tendiert
zur Hervorhebung kultureller Unterschiede, sie enthält viele informative Details über
Gesellschaft und Kultur und weist eine relativ flache Beschreibung von Personen auf.
Die andere tendiert zur Betonung von Unterschieden und Ähnlichkeiten, es finden sich
weniger Informationen über Gesellschaft und Kultur, doch die Beschreibung von Perso-
nen ist runder. Sercu gelangt unter anderem zu dem Schluss, dass interkulturelle Kompe-
tenz am besten unterstützt wird, wenn Lehrbücher viele verschiedene Sichtweisen enthal-
ten, solche von innen und solche von außen, und wenn Themen klar auf das Wissen und
die Interessen von SchülerInnen ausgerichtet sind.
Fink (2003) berichtet über eine kleinere Untersuchung dreier Lehrbücher für Deutsch-
Anfänger (13 Jahre) in Dänemark. Er ging von gegebenen Kriterien zur Lehrbuchana-
lyse, wie den in Ammer (1988), aus und folgert, dass das Deutschlandbild in den betref-
fenden Lehrbüchern sehr allgemein und oberflächlich sei. Es ist von Tourismus und
Alltagsleben beherrscht und liefert kein differenziertes Bild des Landes. Anstatt neue
Bilder und Eindrücke vorzuschlagen, behalten die Lehrbücher die vorhandenen Sche-
mata und Stereotypen bei und entwickeln sie weiter oder verstärken sie noch.
Maijala (2007) behandelte Deutsch-Lehrbücher für 16⫺19-Jährige in Frankreich,
Finnland, Norwegen, Estland und Großbritannien. Maijala betrachtet historische The-
men in den Lehrbüchern und zeigt, wie historische Themen mit den verschiedenen inter-
nationalen Beziehungen dieser Länder zu Deutschland in Verbindung gebracht werden
können.
Ein größeres Forschungsprojekt auf diesem Gebiet ist das von Byram und Risager
(1999), das dänische und britische FremdsprachenlehrerInnen als Kulturvermittler und
politische Akteure im europäischen Integrationsprozess behandelt. Im Folgenden wird
jedoch auf ein jüngeres Projekt eingegangen, nämlich das von Sercu et al. (2005). Ferner
1516 XVII. Landeskunde
Theorie und Praxis aufzubauen. Im Folgenden werden einige dieser Arbeiten benannt,
mit einem Schwerpunkt auf denjenigen, die in anderen europäischen als den deutschspra-
chigen Ländern erschienen sind. Einige dieser Arbeiten behandeln speziell das Fach
Deutsch, andere behandeln allgemeiner das Sprachstudium und sind so potentielle Inspi-
rationsquellen für das Fach Deutsch. Drei Hauptpunkte in dieser Entwicklung könnten
genannt werden:
⫺ Wie kann man Landeskunde theoretisch erfassen und sie wissenschaftlicher gestalten?
⫺ Wie kann man Interdisziplinarität entwickeln und nutzen?
⫺ Wie kann man mit Multikulturalität und Globalität umgehen?
Die folgenden Wissenschaftler behandeln diese Punkte alle auf unterschiedliche Weise.
Zunächst sind einige der auf diesem Feld im deutschsprachigen Raum besonders aktive
Autoren zu erwähnen, nämlich Altmayer (Altmayer 2004), Bredella (Bredella und Christ
2007) und Wierlacher (Wierlacher 2006). Sie befassen sich sämtlich mit Fragen des inter-
kulturellen oder Fremdverstehens, und speziell Altmayer betont die globale Perspektive
und einen kulturwissenschaftlichen Ansatz, der Dynamik, Heterogenität und Polyvalenz
im Verstehen von Kulturen und Texten herausarbeitet.
Zu wichtigen Publikationen in Europa außerhalb des deutschsprachigen Bereichs sind
folgende Arbeiten zu rechnen: Hansen (2002, 2004), Kundrus (2008), Guilherme (2002),
Byram (2008) sowie Risager (2006, 2007).
Die Arbeiten von Hansen (2002, 2004) sind zwei Anthologien, die eine neue Definition
der Sprachstudien als „neue Philologien“ behandeln. Die Autoren argumentieren, dass
ein humanistischer Ansatz bei der Globalisierung sowohl Sprachkompetenz als auch eine
Kritik des Eurozentrismus verlange. Laut einem Vorschlag geht es bei Interdisziplinarität
nicht nur um Zusammenarbeit zwischen der spezifischen Sprachdisziplin und benachbar-
ten Disziplinen wie Geschichte und Politik, sondern auch um die Zusammenarbeit zwi-
schen Sprachfächern, zum Beispiel vermittels Übersetzungsprozessen nicht nur im
sprachlichen Sinn, sondern auch allgemeiner im kulturellen Sinn. Die Kritik am Euro-
zentrismus ist auch das Thema bei Kundrus (2008), einer Einführung zu einem Abschnitt
über deutschsprachige postkoloniale Literatur, der als Teil eines größeren Werks über
Kontinentaleuropa und seine Kolonien publiziert wurde.
Guilherme (2002) ist von kritischer Pädagogik und der deutschen kritischen Tradition
inspiriert, und sie argumentiert auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung in
Portugal, dass die Sprachfächer mehr als heute zur Entfaltung eines kritischen kulturel-
len Bewusstseins beitragen sollten, einschließlich eines Bewusstseins von den Menschen-
rechten und der Diskriminierung. Der Unterricht sollte SchülerInnen und Studierende
dazu erziehen, partizipierende BürgerInnen in einer multikulturellen und multiperspekti-
vischen Welt zu werden. Auch Byram (2008) betont, unter anderem auf Grund einer
ausgedehnten Tätigkeit im Europarat, eine interkulturelle Bürgerschaft als allgemeines
Ziel des Sprachunterrichts und von Sprachstudien; und vor diesem Hintergrund würde
er Deutschstudien nicht nur auf die deutschsprachigen Länder beziehen wollen, sondern
auch auf Europa und die EU.
Risager (2006) präsentiert ein neues Verständnis vom Verhältnis zwischen Sprache
und Kultur in globaler Perspektive. Es ist dies eine theoretische Arbeit, in der nicht nur
die Konzepte von Sprache und Kultur dekonstruiert werden, sondern auch ein Verständ-
nis der Schnittstelle zwischen Sprache und Kultur in Anerkennung von Dynamik und
Komplexität aufgebaut wird. Risager (2007) stellt eine Fortsetzung dar, in welcher der
1518 XVII. Landeskunde
4. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
Ammer, Reinhard
1988 Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. Die Gestaltung des
landeskundlichen Inhalts in den Deutschlehrwerken der Bundesrepublik Deutschland von
1955 bis 1985 mit vergleichenden Betrachtungen zum Landesbild in den Lehrwerken der
DDR. München: iudicium.
Ballweg, Sandra und Antje Stork
2008 DaF-Lehrende und das Europäische Sprachenportfolio. Info DaF 35(4): 390⫺400.
Basteck, Elisabeth F.
2004 Zwischen Geschichtsunterricht und Auslandsvorbereitung: Landeskunde-Unterricht an
spanischen Universitäten. Info DaF 31(1): 29⫺51.
Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen:
Narr.
Biechele, Markus und Alicia Padrós
2003 Didaktik der Landeskunde. Berlin etc.: Langenscheidt.
Bredella, Lothar und Herbert Christ (Hg.)
2007 Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenz. Tübingen: Narr.
Byram, Michael (Hg.)
1993 Germany: Its Representation in Textbooks for Teaching German in Great Britain. Frankfurt
a. M.: Diesterweg.
Byram, Michael und Karen Risager
1999 Language Teachers, Politics and Cultures. Clevedon: Multilingual Matters.
Byram, Michael
2008 From Foreign Language Education to Education for Intercultural Citizenship. Essays and
Reflections. Clevedon: Multilingual Matters.
Delouis, Anne Friederike
2008 Le CECRL: compte rendu du débat critique dans l’espace germanophone. Les Langues
Modernes 2: 19⫺31.
Duesberg, Peter
2006 Aktuelle Tendenzen weltweit und Herausforderungen für die deutschsprachigen Länder.
Info DaF 33(5): 411⫺437.
Europäische Kommission
2003 Promoting Language Learning and Linguistic Diversity: an Action Plan 2004⫺2006. (Com-
munication 449). Brussels.
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1519
Fink, Matthias C.
2003 Das Deutschlandbild in dänischen Lehrwerken für den Deutschunterricht in der Folke-
skole. Info DaF 30(5): 476⫺488.
Friz, Susanne
1991 Das Bild von England, Amerika und Deutschland bei Fremdsprachenlernern und in Fremd-
sprachenlehrwerken. Ein Beitrag zur komparativen Landeskunde. München: Tuduv-Ver-
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Goethe-Institut Inter Nationes et al. (Hg.)
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. (Europarat). Berlin: Langen-
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2002 Critical Citizens for an Intercultural World. Foreign Language Education as Cultural Poli-
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2002 Changing Philologies: Contributions to the Redefinition of Foreign Language Studies in the
Age of Globalisation. Copenhagen: Museum Tusculanum Press.
Hansen, Hans Lauge (Hg.)
2004 Disciplines and Interdisciplinarity in Foreign Language Studies. Copenhagen: Museum Tus-
culanum Press.
Hu, Adelheid und Michael Byram (Hg.)
2009 Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. In-
tercultural Competence and Language Learning. Models, Empiricism, Assessment. Tübin-
gen: Narr.
Krumm, Hans-Jürgen
1999 Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Über den Umgang mit Verschieden-
heit im DaF-Unterricht. In: Hans Barkowski und Armin Wolff (Hg.), Alternative Vermitt-
lungsmethoden und Lernformen auf dem Prüfstand, 31⫺61. Regensburg: Fachverband
Deutsch als Fremdsprache.
Kundrus, Birthe
2008 Germany and its Colonies: Introduction. In: Prem Poddar, Rajeev S. Patke und Lars
Jensen (Hg.), A Historical Companion to Postcolonial Literatures. Continental Europe and
its Empires, 199⫺204. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Li Yuan
2007 Integrative Landeskunde. Ein didaktisches Konzept für Deutsch als Fremdsprache in China
am Beispiel des Einsatzes von Werbung. München: iudicium.
Maijala, Minna
2007 Zur Analyse von landeskundlichen bzw. geschichtlichen Inhalten in Lehrwerken für
Deutsch als Fremdsprache. Deutsch als Fremdsprache 44(3): 174⫺180.
Ministère de l’Éducation Nationale
2007 Programmes de l’enseignement de langues vivantes étrangères au collège, allemand. (Le
Bulletin Officiel 7, 26 avril, hors série).
Mog, Paul und Hans-Joachim Althaus (Hg.)
1992 Die Deutschen in ihrer Welt. Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde. Berlin etc.:
Langenscheidt.
Risager, Karen
2006 Language and Culture: Global Flows and Local Complexity. Clevedon: Multilingual Mat-
ters.
Risager, Karen
2007 Language and Culture Pedagogy: From a National to a Transnational Paradigm. Clevedon:
Multilingual Matters.
Sercu, Lies
2000 Acquiring Intercultural Communicative Competence from Textbooks. The case of Flemish
adolescent pupils learning German. Leuven: Leuven University Press.
1520 XVII. Landeskunde
Sercu, Lies mit Ewa Bandura, Paloma Castro, Leah Davcheva, Chryssa Laskaridou, Ulla Lund-
gren, Maria del Carmen Méndez Garcı́a und Phyllis Ryan
2005 Foreign Language Teachers and Intercultural Competence. An International Investigation.
Clevedon: Multilingual Matters.
Tenberg, Reinhard (Hg.)
1999 Intercultural Perspectives. Images of Germany in Education and the Media. München: iudi-
cium.
Trad, Ahmed Rafik
2001 Tabuthemen in der interkulturellen Kommunikation. Ein Beitrag zur Landeskundedidaktik
im DaF-Studium. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Undervisningsministeriet
2004 Fælles mål. Faghæfte 17. Tysk. Copenhagen.
Wegner, Anke
1999 100 Jahre Deutsch als Fremdsprache in Frankreich und England. München: iudicium.
Weimann, Gunther und Wolfram Hosch
1993 Kulturverstehen im Deutschunterricht. Ein Projekt zur Lehrerfortbildung. Info DaF
20(5): 514⫺523.
Wierlacher, Alois
2006 Landesstudien als Kulturwissenschaftliche Essayistik. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache
32: 165⫺179.
Der Ausdruck Germanistik außereuropäischer Länder ersetzt hier den Begriff außereuro-
päische Auslandsgermanistik, der in der vorigen Ausgabe dieses Handbuchs verwendet
wurde. (Vorliegender Beitrag ist eine um etwa die Hälfte gekürzte und aktualisierte Fas-
sung des ursprünglichen Artikels [Kussler 2001].) In der neueren Diskussion hält man
die Unterscheidung zwischen Inlandsgermanistik und Auslandsgermanistik von der Sache
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1521
her zwar mehrheitlich für brauchbar, hinsichtlich der Begrifflichkeit aber für unzurei-
chend (vgl. u. a. Sitta 2004; Helbig 2005; Fabricius-Hansen 2006; Fandrych 2006; Petkov
2005; Grucza 2006). Unscharf ist das Begriffspaar deshalb, weil es in den deutschsprachi-
gen Ländern neben der Germanistik als Grundsprachenphilologie zahlreiche Institute bzw.
Studiengänge für Deutsch als Fremdsprachenphilologie gibt (vgl. Petkov 2005: 70⫺71),
die ⫺ ebenso wie die Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern ⫺ von vornhe-
rein „zweisprachig und interkulturell bzw. kulturkontrastiv ausgerichtet sind“ (Fandrych
2006: 77). Zu unterscheiden sind also drei Versionen des Fachs: die Germanistik in den
deutschsprachigen Ländern (Inlandsgermanistik) als Grundsprachenphilologie, die Germa-
nistik im deutschsprachigen Raum (Inlandsgermanistik) als Fremdsprachenphilologie und
die Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern (Auslandsgermanistik) als Fremd-
sprachenphilologie. Diese drei Varianten haben zwar denselben Gegenstand: die deutsche
Sprache, Literatur und Kultur; aber während für die Grundsprachengermanistik in erster
Linie dieser Gegenstandsbereich konstitutiv ist, sind es für die Fremdsprachengermanis-
tiken die Lehrenden und Lernenden, für die dieser Gegenstandsbereich ein fremder ist
oder die sich mit diesem als einem fremden beschäftigen. Die Grundsprachengermanistik
setzt die Kompetenz der Studierenden in ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Kultur
voraus (vgl. Helbig 2005: 5; Wierlacher 2003: 504), in den Fremdsprachengermanistiken
müssen die Kompetenzen in der für die Studierenden fremden Sprache und der korres-
pondierenden fremden Kultur in der Regel erst entwickelt werden. Die Fremdsprachen-
germanistiken im In- und Ausland sind somit im Unterschied zu den Grundsprachenger-
manistiken grundsätzlich adressatenorientierte Fächer und als solche konzeptionell näher
verwandt. Sie unterscheiden sich dadurch, dass die Inlandsvariante innerhalb des Ziel-
sprachenraums und der Zielkultur operiert, so dass ihre Studierenden auf ihre unmittel-
bare Erfahrung der fremden Um- und Sprachwelt zurückgreifen können.
diejenige zwischen Inlands- und Auslandsgermanistik. Sie beruht wohl auf der Annahme,
dass Lehrende und Studierende im Fach Germanistik in den europäischen Ländern bes-
ser über den deutschen Sprachraum im Zentrum Europas informiert sind als solche au-
ßerhalb Europas: „In den europäischen Ländern ist die Begegnung mit (…) der deut-
schen Sprache und Kultur schon seit langem soziale interkulturelle Realität, während
man in vielen nichteuropäischen Ländern auf diese Begegnung erst vorbereitet werden
muss“ (Petkov 2005: 72).
Die außereuropäische Germanistik ⫺ mit ihrer von Land zu Land nach Sprache,
Kultur, Wissenschaftsstil, sozialen, ökonomischen und institutionellen Bedingungen un-
terschiedlichen Prägung ⫺ ist ein außerordentlich komplexes, uneinheitliches Gebiet. Ge-
nerell zu beobachten ist allenfalls, dass sich die Germanistiken in den sog. „westlichen“
außereuropäischen Ländern (z. B. USA, Kanada, Australien) z. T. erheblich von denen
in anderen Teilen der Welt unterscheiden und dass man sich im Ausland nach wie vor
an der Germanistik im deutschsprachigen Raum orientiert, und zwar zunehmend an der
fremdphilologischen Variante. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Germanistik in vielen
außereuropäischen Ländern ursprünglich in Anlehnung an Varianten der europäischen
Auslandsgermanistik etablierte. So entstand z. B. in Kanada (vgl. Batts 1993), Australien
(vgl. Stoljar 1993) und Indien (vgl. Ganeshan 1991) zunächst eine Germanistik englischer
Prägung, im frankophonen Afrika eine an Frankreich orientierte (vgl. Sturm 1987: 13).
Im Laufe der Entwicklung kam es dann wiederholt zu Um- und Neuorientierungen,
aus denen weitverzweigte und vielschichtige Wechselbeziehungen resultierten; und zwar
sowohl zwischen einzelnen Ländern und der europäischen In- und Auslandsgermanistik
als auch innerhalb einzelner Länder und Regionen. So ist die Germanistik heute interna-
tional durch ein engmaschiges Netz institutioneller und individueller Beziehungen ver-
knüpft.
studium beginnt im Allgemeinen mit dem Anfängerunterricht, wird aber zumeist erst im
Gradiertenprogramm als solches im engeren Sinne realisiert. Das Undergraduate-Pro-
gramm besteht überwiegend aus sprach- und textdidaktischen Veranstaltungen, in denen
es ⫺ wie etwa an der Chulalongkorn Universität in Thailand, einem typischen Beispiel
(vgl. die zahlreichen Länderberichte, die regelmäßig in der Zeitschrift InfoDaF erschei-
nen) ⫺ um Aussprache, Satzbau, Grammatik sowie Hör-, Lese-, Sprech- und Schreibfä-
higkeit geht (vgl. Saengaramruang 2007). Speziell zur Landeskunde gibt es dort im Un-
dergraduate-Programm nur zwei Kurse: „Introduction to German Civilization“ and
„Present Day Germany“ (vgl. http//www.arts.chula.ac.th/⬃west/German/BA_index.html
[10. 5. 2010]). In neueren Curricula findet die Landeskunde mehr Berücksichtigung; und
zwar als praktische Grundlage für künftige berufliche Aufgaben. Interkulturelle Perspek-
tiven werden stärker einbezogen, wenn auch noch nicht systematisch). Das M.A.-Pro-
gramm folgt dann der herkömmlichen Einteilung in Sprache, Literatur und Kultur, er-
gänzt durch zwei Veranstaltungen zur Einführung in die DaF-Didaktik. Dem Themenbe-
reich Kultur sind fünf (von insgesamt 24) Veranstaltungen gewidmet: „Politics, society
and culture in Germany“ I und II; „Seminar on special topics in German culture“; „Ger-
man art, music and literature“ sowie „Germany after unification“ (Vgl. http://www.
academic.chula.ac.th/search/showprograms.asp?ID_Program⫽322320 [Online 19. 12.
2008]).
Dieses Beispiel belegt eine Auffassung, über die ⫺ zumal außerhalb Europas ⫺ weit-
gehend Konsens besteht: dass die fremde Kultur im DaF-Unterricht nur exemplarisch
und tatsachenorientiert umrissen werden kann (s. oben 1.2). Aber selbst diese verkürzte
Landeskunde stellt hohe Anforderungen an die Lehrenden. Handelt es sich um Orts-
kräfte, die vielleicht selber noch nie in einem deutschsprachigen Land waren, besteht die
Gefahr einer Simplizifierung oder Stereotypisierung der fremden Kultur. Verlässt man
sich bezüglich der Landeskunde auf ein Lehrwerk oder Materialien aus dem deutschspra-
chigen Raum, bleibt die Ausgangslage der Lerner unberücksichtigt. Beschränkt man sich
auf reine Faktenvermittlung, wird „die Einführung (…) stärker an Mentalitäten ausge-
richteter Zugänge (…) erschwert“ (Krumm 1996: 564). Diesen Problemen kann z. T.
durch regionale Lehrwerke abgeholfen werden, wie sie in vielen Ländern entwickelt wur-
den. Auch das WWW mit seinen vielfältigen authentischen Informations- und Anschau-
ungsmöglichkeiten kann den Landeskunde-Unterricht wesentlich bereichern.
ein auffallender gemeinsamer Nenner dieses Diskurses (vgl. z. B. Batts 1993: 178; Hallet
2001: 113; Hohendahl 1996: 530; Prokop 1996: 35; insbesondere Wierlacher und Bogner
(2003: 595⫺665, Kapitel 5). Daraus resultierte eine stark kulturvergleichende Tendenz,
die eine Verschiebung von der Philologie zu interdisziplinären (überwiegend soziologisch-
kulturwissenschaftlichen) Regionalstudien bewirkte. Was ehedem „Germanistik“ hieß,
wurde in „German Studies“, „Deutschlandstudien“, „Deutsche Studien“, „Area Stu-
dies“, „Cultural Studies“ oder „European Studies“ umbenannt.
Diese Entwicklung tendierte dazu, die Geltungsreichweite des Landeskundebegriffs
ins Grenzenlose auszudehnen, wenn er u. a. sowohl „die Sozialisationsstruktur“ der Ler-
ner als auch „typische Sozialisationsmuster“ und „die Kollektivgeschichte“ der Zielkul-
tur(en) wie auch der Ausgangskultur(en) umfasst, und wenn alle diese Bereiche darüber
hinaus „unbedingt der fächerübergreifenden, interdisziplinären und interfakultativen Er-
gänzung (…) nicht nur (…) durch Geschichte, Soziologie, Anthropologie etc., sondern
auch durch Natur- und Technikwissenschaften“ bedürfen (vgl. Ramin 1989: 233⫺235).
Man bezeichnete die Landeskunde deshalb als „(Un-)Fach“ (Schmidt 1977: 25), den
Terminus als „Monsterbegriff“ (Ramin 1989: 231) und empfahl der Fremdsprachenger-
manistik „pragmatische Teillösungen“ (Weinrich 1980: 44) durch eine Verknüpfung der
Landeskunde mit der Textlinguistik und der Literaturwissenschaft. Einen dieser beiden
Wege sind zahlreiche Germanisten bzw. Institute in der Tat (zunächst) gegangen. Wich-
tige Anstöße gaben in diesem Zusammenhang Köhring und Schwerdtfeger (1976) und
Schmidt (1977).
Die Realisierung des interkulturellen Ansatzes (vgl. Wierlacher und Bogner 2003) er-
folgte am ausgeprägtesten in sog. German-Studies- oder Cultural-Studies-Programmen,
die sich vielerorts etabliert haben, z. B. in Australien (vgl. Kretzenbacher 2004), Kanada
(vgl. Prokop 1996), Südkorea und Japan (vgl. Duesberg 2006) sowie in den USA (vgl.
Seeba 2003). Das früheste Modell dafür stammt interessanterweise aus einem nicht-
deutschsprachigen Land Europas. Es wurde in den 1960er Jahren von Pierre Bertaux an
der Sorbonne entwickelt; und zwar als „kritische Deutschlandkunde“, die nach dem
Prinzip der „integrierten Pluridisziplinarität“ funktioniert: d. h., es lehren „nicht nur Li-
teraturwissenschaftler als Germanisten, sondern auch jüngere deutschsprachige Histori-
ker, Politologen, Wirtschaftswissenschaftler, Kunsthistoriker usw.“ (Witte 1976: 160⫺
164). Diese „Pluridisziplinarität“ ist im außereuropäischen Ausland allerdings schwer zu
realisieren, weil Nichtgermanisten, die ein anschließbares Fach kompetent in deutscher
Sprache vertreten können, dort selten sind. Deshalb werden German-Studies-Programme
oft nicht in deutscher Sprache angeboten. Trotzdem hat Bertaux’ Modell international
nachhaltig gewirkt, vor allem in den USA, wo es seit 1970 entsprechende Programme
gibt (vgl. Lützeler 1987: 679), aber z. B. auch in Kanada (vgl. Prokop 1996) und Austra-
lien (vgl. Kretzenbacher 2004).
Nach Lützeler (1987: 679⫺680) sind die Deutschlandstudiengänge in den USA aus
„einer Krisensituation an den amerikanischen Universitäten (…)“ seit Ende der 1960er
Jahre hervorgegangen, „als das studentische Interesse an Fremdsprachen (…) merklich
nachließ“; u. a. weil die sog. language requirements abgeschafft wurden (vgl. Hohendahl
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1525
1996: 528). Dies gilt ⫺ zeitversetzt ⫺ für viele entsprechende Entwicklungen in der Ger-
manistik außerhalb Europas.
Interkulturell ausgerichtete German-Studies-Programme resultierten freilich nicht nur
aus Krisensituationen. Auch ⫺ und vor allem ⫺ die interkulturelle Germanistik sowie
textwissenschaftliche Ansätze, die in den 1970er Jahren den Leser in den Mittelpunkt des
Interesses rückten (Rezeptionsästhetik und empirische Leserforschung), und die damit
korrespondierende Übernahme erziehungswissenschaftlicher Kategorien wie Lernerori-
entierung (nach Robinsohn 1972) haben in diesem Zusammenhang nachhaltig gewirkt
(vgl. auch Wierlacher 1980).
So ähnlich die Ausgangssituationen in den einzelnen Ländern auch gewesen sein mö-
gen, so unterschiedlich waren die Maßnahmen, mit denen man darauf reagierte. Von der
einfachen Zusammenlegung, z. T. ohne Programmänderungen, von Deutsch mit anderen
Fremdsprachen zu „(Modern) Foreign Languages“ über Gruppierungen unter neuem
Namen wie „Europe Studies“ und unter Hinzufügung entsprechender neuer Veranstal-
tungen zum bestehenden Programm bis zu völlig neu konzipierten German-Studies-Studi-
engängen mit interdisziplinärer Ausrichtung und eigenen akademischen Abschlüssen ist
eine Vielfalt von Möglichkeiten nachzuweisen. Auch im engeren Bereich der Literatur-
wissenschaft haben sich neue Formen der interfachlichen Kooperation herausgebildet
(vgl. Adolphs 1992). Entsprechend vielfältig sind die möglichen Abschlüsse (vgl. Prokop
1996: 34). Trotzdem gilt bis heute Lützelers kategorische Feststellung: „Eine Theorie von
German Studies gibt es nicht“ (Lützeler 1987: 685).
Einwände begleiteten den interkulturellen Ansatz und die auf ihm fußenden Studien-
gänge von Anfang an. Sie richteten sich einerseits gegen die Betonung der Unterschiede
zwischen den Kulturen, durch die das Gemeinsame und Verbindende verdeckt werde,
andererseits gegen die Art der Unterscheidung, die das Fremde dem Eigenen subsumiere
(vgl. Simo 1987: 696⫺697). Zumal die Ineinssetzung von „Kultur“ mit „Nation“ oder
„Sprache“ wird mit der Begründung abgelehnt, die meisten Menschen seien heute ⫺
infolge von „Migrationsprozessen sowie von weltweiten (…) Kommunikationssystemen
(…) und von ökonomischen Interdependenzen“ ⫺ transkulturell geprägt, ja „kulturelle
Mischlinge“. Deshalb könne man nicht mehr von der „Existenz klar unterschiedener, in
sich homogener Kulturen“ ausgehen, sondern müsse „auf ein vielmaschiges und inklusi-
ves, nicht auf ein separatistisches und exklusives Verständnis von Kultur“ abzielen
(Welsch 1995: 40⫺43). Schon 1980 hatte Bausinger (1980: 61) festgestellt, dass „wesentli-
che Muster (…) der Kultur längst übernational geworden“ seien; und Baumgratz und
Neumann (1980: 165⫺167) wollten entsprechend transnationale statt interkultureller
Kommunikationsfähigkeit zum Ziel des Fremdsprachenunterrichts erhoben wissen. Auch
Kelletat und Siegel (1990: 191) plädierten dafür, „den zu engen Begriff ,interkulturell ‘
durch ,transkulturell ‘ zu ersetzen“. Der Begriff „Transkulturalität“ kennzeichnet somit
die „Hybridisierung“ heutiger Kulturen, in der die herkömmliche Kategorisierung „Eige-
nes“ und „Fremdes“ nicht mehr trennscharf ist (vgl. Eckerth und Wendt 2003: 11⫺12) und
globale und kulturübergreifende Phänomene und Fragestellungen von großer Bedeutung
sind (vgl. Hallet 2001: 117⫺120). Eine „xenologisch-transkulturelle, vergleichende wis-
senschaftliche Landeskunde“ stellte ⫺ auf der Basis dieses Konzepts ⫺ Wormer (2004: 5)
vor, deren Untersuchungsgegenstände zivilisatorisch-kulturelle Handlungen, Phänomene
1526 XVII. Landeskunde
und Strukturen sind, die sich in Texten und Bildern aller Art manifestieren (vgl. Altmayer
2004a: 7). In diesem Rahmen wird dem Verfahren der (kulturwissenschaftlichen) Text-
analyse, die konzeptuell und methodisch auf Hermeneutik, Handlungstheorie und Se-
miotik Bezug nimmt (vgl. Wormer 2007: 10), große Bedeutung beigemessen. Altmayer
(2004b) hat die Konzepte und Methoden der kulturwissenschaftlichen Textanalyse in die
Forschungspraxis umgesetzt und die Ergebnisse ausführlich dokumentiert.
Der transkulturelle Ansatz hebt allerdings deutlich auf Situationen ab, wie sie beson-
ders in Europa und im nordamerikanischen Raum bestehen. Es kann daher nicht ver-
wundern, dass das Konzept der Transkulturalität bislang wenig Verbreitung gefunden
hat. Für die Länder der Dritten Welt kann es allenfalls eine zukunftsweisende Funktion
beanspruchen, auch bezüglich der Implementierung und evtl. Adaptierung des Ansatzes
an die Gegebenheiten im jeweiligen Kulturkreis. Außerdem scheint es „nach den neuesten
empirischen Untersuchungen (…) fraglich (…), ob Mobilität, direkter Kontakt und glo-
bale Mediendurchdringung zu einem besseren Verständnis anderer Menschen führt“
(Bolten 2006: 12⫺13). Der Ertrag des transkulturellen Ansatzes für die Fremdsprachen-
philologien besteht insbesondere in der Erkenntnis, dass es „unterschiedliche Grade von
Vertrautheit und Fremdheit zwischen den Kulturen und damit auch unterschiedliche
Grade von Verstehensmöglichkeiten“ gibt (Epp 1989: 109).
4. Literatur in Auswahl
Adolphs, Dieter W.
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169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1527
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Auftakt einer international durchgeführten Langzeituntersuchung zu Veränderungen des
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Wormer, Jörg
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Jahrhundert ⫺ aufgezeigt am Beispiel einer wissenschaftlichen Landeskunde. Zeitschrift
für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12(2). (Online).
eine echte Kommunikation und tragen damit auch zur Realisierung des kommunikativen
Ansatzes im Klassenraum bei. Betont wurden ebenso die Lust am Lesen und damit der
Motivationsfaktor für das Lernen im Fremdsprachenunterricht. Literarische Texte die-
nen nicht nur der Informationsentnahme, sondern wollen unterhalten und ein Vergnügen
am Lesen bereiten und sind daher nicht einer pragmatisch-instrumentellen Funktionali-
sierung unterzuordnen.
Ein weiteres Argument zur Legitimierung des Einsatzes literarischer Texte war päda-
gogisch motiviert und stammte vor allem aus dem schulischen Kontext. In dieser Sicht
fördern literarische Texte die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Schü-
lerInnen, indem sie zur Identifikation anregen, zum Abarbeiten und Ausdifferenzieren
von Inhaltskonzepten (Figuren, Situationen, Geschehnisse) und zu Korrekturen dessen,
was ein Schüler an Weltsicht und Haltung mitbringt.
Auf der Suche nach Merkmalen, die den fremdsprachlichen Literaturunterricht vom
muttersprachlichen unterscheiden, werden als erstes die Fremdsprache, die damit einher-
gehende größere Distanz zwischen Text und Leser sowie Leseunterschiede zwischen mut-
ter- und fremdsprachigem Leser genannt. Einige Autoren sehen die Andersheit des
fremdsprachigen Lesens vor allem in der Lesegeschwindigkeit (Hunfeld 1980; Weinrich
1981). Der fremdsprachige Leser liest langsamer, weil die Fremdsprache nicht so geläufig
ist und weil die Gegenstände unvertraut, fremd und nicht ohne weiteres zugänglich sind.
Literarische Texte entschädigen den Leser jedoch für seinen Mehraufwand durch reichere
Inhalte und schaffen eine Brücke, um die Diskrepanz zwischen beschränktem Sprachver-
mögen einerseits und dem bereits entwickelten kognitiven Apparat der Lernenden und
ihren Inhaltsbedürfnissen andererseits überwinden zu helfen. Hunfeld (1980) und Wein-
rich (1981) heben die Korrespondenz zwischen dem fremdsprachenspezifischen Lesever-
halten und der Eigenschaft literarischer Texte, den Leser zu irritieren und seinen unge-
brochenen Lesefluss durch Techniken der Deautomatisierung und Verfremdung zu hin-
tertreiben, hervor und plädieren dafür, dieses Potential im Fremdsprachenunterricht
produktiv zu nutzen.
Die Neusituierung von literarischen Texten im Deutschunterricht führte dazu, den
Zusammenhang von Sprachenlernen, Literatur und Landeskunde neu zu bestimmen.
Während in der einen Richtung literarische Texte eher Spracherwerbszielen untergeord-
net wurden, betonte eine andere Richtung den Eigenwert literarischer Texte (Bredella
1985) und formulierte Lehr- und Lernziele, die sowohl dem ästhetischen Charakter litera-
rischer Texte als auch ihrer Erkenntnisfunktion, Wissen über die fremde Wirklichkeit zu
erlangen, gerecht zu werden versuchen. Da literarische Texte eine Fülle von Weltaspekten
und Perspektiven auf die Welt enthalten, bieten sie dem fremdsprachigen Lerner die
Möglichkeit, seinen eigenen Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizont zu erweitern, den
eigenen Blickpunkt zu relativieren und mehr von der Zielsprachenkultur und ihren Ange-
hörigen verstehen zu lernen.
den 1970er Jahren zu einen eigenen Fach entwickelt hat (vgl. Art. 157). Sie hat es sich
zur Aufgabe gemacht, deutsche Literatur als eine fremdkulturelle zu thematisieren und
eine Hermeneutik kulturräumlicher Fremde zu entwickeln. Ihre Vertreter (Krusche 1985;
Wierlacher 1980a, 1980b, 1985) betonen, dass LeserInnen unterschiedlicher sprachlicher
und kultureller Herkunft gegenüber einem deutschsprachigen literarischen Text ihre eige-
nen Perspektiven einnehmen, die von ihrem kulturellen Hintergrund bestimmt sind. Die
kulturräumliche Distanz zwischen Text und Leser ist das besondere Merkmal, das fremd-
sprachiges Lesen charakterisiert, im Unterschied zum muttersprachigen Lesen, bei dem
vorrangig die zeitliche Distanz innerhalb eines Kulturraumes hermeneutisch reflektiert
wurde. Verstehen vollzieht sich in dieser Perspektive in einer Dialektik von Eigenem und
Fremdem. Kulturmündigkeit und das Gelten Lassen kultureller Andersheiten bilden die
obersten Leitziele (Wierlacher 1980b).
Zu den Aufgabenstellungen einer fremdkulturellen Literaturvermittlungslehre gehört
es, kulturspezifische Lektüren und Rezeptionsbedingungen zu erforschen und zu klären,
wie Distanzen zwischen Eigenem und Fremdem durch Vermittlungsarbeit überbrückt
werden können. Literarische Texte nehmen Bezug auf verschiedene außertextuelle Wirk-
lichkeitsbereiche und überlassen es dem Leser, Verbindungen zwischen ihnen herzustel-
len. Damit sind für den fremdkulturellen Leser erhöhte Anforderungen verbunden, da
einige Bezüge kulturgeschichtliche Kenntnisse und literarisches Bildungswissen voraus-
setzen und somit nicht auf der Basis universaler Konzepte erschlossen werden können.
Kulturelle Kompetenz, als ein anzustrebendes Lernziel, entwickelt sich durch solche zu
erbringenden Verknüpfungs- und Integrationsleistungen in Auseinandersetzung mit lite-
rarischen Texten (Krusche 1985).
Die Interkulturelle Germanistik hat durch ihre Thematisierung fremdkultureller Lese-
weisen, Perspektiven und Rezeptionsbedingungen den Blick auf deutschsprachige Litera-
tur gegenüber der Inlandsgermanistik erweitert und eine hermeneutische Reflexion des
Verstehens unter kulturräumlichen Bedingungen ausgelöst, die im Bereich von Deutsch
als Fremdsprache produktiv wirksam geworden ist. Die konkreten Fragestellungen der
literarischen Praxis hat sie jedoch weniger zu ihrem Thema gemacht. Auch steht der
Nachweis kulturspezifischer Lektüren bislang aus. Der Versuch, anhand der Keller-No-
velle „Pankraz“ kulturdifferente Deutungen zu erzeugen (Wierlacher und Eichheim
1992), zeigt die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Bemühens. Kulturspezifische
Merkmale waren in den Lektüren kaum zu erkennen. Entweder fanden sich Textinterpre-
tationen bei allen Lesergruppen, oder es überwogen die individuellen und geschlechter-
differenten Merkmale gegenüber den gruppenunterscheidenden kulturellen Merkmalen
(İpşiroğlu und Mecklenburg 1992). Um in Textdeutungen fremdsprachiger Leser kultur-
spezifische Elemente identifizieren zu können, müsste geklärt werden, was ein Element
der jeweiligen Ausgangskultur ist und wie und nach welchen Kriterien es in Textdeutun-
gen identifiziert werden kann, im Unterschied zu persönlich geprägten oder intersubjekti-
ven Elementen. Ebenfalls müsste die Vergleichbarkeit von Lektüren in den verschiedenen
kulturellen Kontexten durch ein einheitliches methodisches Vorgehen gesichert sein.
4. Kulturwissenschatliche Neuorientierung
Gegenüber einem traditionellen Landeskundeverständnis, das sich auf die Vermittlung
von Fakten über die Zielsprachenkultur beschränkte, hat sich seit den 1990er Jahren ein
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1535
gehört zu den Eigenschaften der Texte, dass sie an der Textoberfläche vieles ungesagt
lassen und nicht explizieren, was zum Verständnis erforderlich ist. Das geschieht im Ver-
trauen darauf, dass Leser über die Voraussetzungen verfügen, um verborgene Zusam-
menhänge zu erfassen. Unterstellt wird ein geteiltes Wissen über die Welt, Sprache, Texte
und Gattungen; diese gemeinsame Verständigungsbasis steht unter den Bedingungen von
Fremdsprachlichkeit und zeitlicher, kultureller Distanz zwischen Text und Leser in Frage.
Sie herzustellen, fordert Interpretationsarbeit. Insofern ist das Lesen ein interaktiver und
konstruktiver Akt, als der Leser Informationen beisteuern muss, um zu einer kohärenten
Struktur und damit zu einem Verstehen zu gelangen.
Zu den Grundannahmen der Literaturwissenschaft und einer didaktisch geleiteten
Lesepraxis gehört, dass Gattungskonventionen und Textsortenspezifika das Verstehen
lenken, eine je eigene Lesehaltung fordern und die Interpretationsspielräume wiederum
begrenzen. Das Lesen und Verstehen erzählender Texte fordert eine spezifisch narrative
Kompetenz, die beim Lesen aber auch in anderen medialen Präsentationen des Narrati-
ven, wie Film, zur Anwendung kommt. Ein Bindeglied zwischen einem kognitionspsy-
chologisch fundierten Lesekonzept und dem Narrativem bieten selektive und inferentielle
Aktivitäten des Lesers, jene Schlüsselkompetenzen, ohne die ein Verstehen von Erzähl-
texten nicht möglich ist Sie bieten eine operationale Grundlage für die Beschreibung von
Leserhandlungen, die auf die Herstellung von Kohärenz zielen, wie z. B. Motive und
Beziehungen zwischen Figuren ableiten.
Eine Lese- und Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremdsprache muss die
Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses berücksichtigen, der durch eine ei-
gene Dynamik und ein eigenes Zusammenspiel verschiedener Variablen bestimmt ist,
wie das Verhältnis von Mutter- und Fremdsprache, die Fremdsprachenkenntnisse, die
Leseflüssigkeit und das kulturelle Wissen.
im Vertrauen darauf, dass Leser über das vorausgesetzte Wissen verfügen, um fehlende
Verbindungsstücke, ausgesparte Selbstverständlichkeiten und unausgesprochene Absich-
ten zu erschließen. Diesen Vertrag, den die Lesenden stillschweigend eingehen, der auf
Ketten von Annahmen über ein gemeinsames kulturelles Wissen und wechselseitigen Er-
wartungen beruht, sollte nicht einseitig zugunsten des Lesers aufgelöst werden, damit
Textverstehen nicht in Beliebigkeit zerfällt, sondern immer auch den Konventionen und
Regeln der Erzeugung von Texten und ihren Welten folgen, um das Textverständnis zu
objektivieren und den Lerner mit den erforderlichen Kompetenzen für den Umgang mit
fremdliterarischen Texten auszustatten.
Eine Didaktik des Buches empfiehlt sich auch als ein Beitrag zur fremd- und ins-
besondere zweitsprachlichen Lesesozialisation und einer Buch- und Lesekultur. Dazu
gehören z. B. Besuche von Bibliotheken und Buchhandlungen mit Arbeitsaufträgen, Ko-
operationen mit Autoren, Lesekisten, freie Lesestunden, Erstellen einer Schülerzeitung,
Vorbereiten einer Buchausstellung, Nutzen des Internets für die Literaturarbeit, Roman-
verfilmungen, Anfertigen eines Literaturkalenders und eine Jugendbuchwoche.
9. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch
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1542 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
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1994 Die Suche. Das andere Lehrwerk. München: Langenscheidt.
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1983 Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhr-
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1984 Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht in der Sekundarstufe I. Hanno-
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1984 Sichtwechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung. Ein Deutschkurs für Fortgeschrittene.
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2007 Dialoge zwischen den Kulturen. Interkulturelle Literatur und ihre Didaktik. Baltmannswei-
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Kast, Bernd
1985 Jugendliteratur im kommunikativen Deutschunterricht. München: Langenscheidt.
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1543
1. Einleitung
In der Debatte um die Konturierung einer eigenständigen literaturwissenschaftlichen Per-
spektive im Fach zu Beginn der 1980er Jahre hat man sich sehr früh auf zwei Paradigmen
festgelegt, in deren Denkzusammenhängen sich auch neuere Arbeiten zumeist bewegen.
So wurde zum einen ⫺ vor dem Hintergrund des im kommunikativen Fremdsprachenun-
terricht zentralen Prinzips der Lernerorientierung ⫺ das literarische Kommunikations-
modell der Rezeptionsästhetik zur Grundlage der wissenschaftlichen Reflexion von Lite-
ratur und Literaturvermittlung im Fach erklärt, in dem das Verhältnis von Text und
Leser als ein dialogisches konzipiert und dem Leser eine zentrale Rolle bei der Konstitu-
tion der Bedeutung literarischer Texte zugewiesen wird. „Bedeutungen literarischer Texte
werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt der Interaktion
von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen (…)“ (Iser [1970] 1975: 229) ⫺
so das von Iser formulierte Credo der Rezeptionsästhetik, das einer Literaturwissenschaft
und -didaktik, die sich allein auf die Autorität des Autors oder des Textes beruft, den
Boden entzog. In literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Konzepten im Fach
Deutsch als Fremdsprache wurde der Lerner dementsprechend primär als Leser in den
Blick genommen, dessen Auseinandersetzung mit dem Text sich vor dem Hintergrund
individueller, aber auch kulturell geprägter Erfahrungen vollzieht. In der Engführung
von Lerner und Leser wurde dabei allerdings eine gesonderte Reflexion der Lernerper-
spektive vernachlässigt. Darüber hinaus wurden grundlegende Unklarheiten der Rezept-
ions- und Wirkungstheorie, die u. a. die Frage nach dem Stellenwert der Textvorgabe für
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1545
die Rezeption und Fragen des genauen Zusammenspiels von Textvorgabe und Leserakti-
vität betreffen, kaum diskutiert, sondern oftmals weitgehend unreflektiert in Konzepte
der Arbeit mit Literatur im Fach Deutsch als Fremdsprache transferiert.
Zum anderen postulieren die meisten Ansätze die Kategorie kulturelle Fremdheit als
Basiskategorie. Damit legen sie für die Auseinandersetzung mit Literatur im Fach ein
interkulturelles Paradigma zugrunde, das diese mit dem Ziel verbindet, Unterschiede von
eigener und fremder Wirklichkeitssicht bewusst zu machen. In der dichotomen Gegen-
überstellung von eigen- und fremdkultureller Literatur, einer eigen- und einer fremdkul-
turellen Perspektive auf literarische Texte und von jeweils quasi hinter den Texten liegen-
den und die Auseinandersetzung mit Texten bestimmenden fremden und eigenen Kultur-
räumen zeichnet sich ein essentialistischer Kulturbegriff ab. Dieser wird jedoch der
inneren Differenzierung und äußeren Verflechtung von Kulturen sowie der Komplexität
und Dynamik kultureller Prozesse nicht gerecht. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher
und kultureller Globalisierung und dem Phänomen weltweiter Migration wurde deshalb
in den letzten 20 Jahren im Zusammenhang unterschiedlicher Disziplinen ein dynami-
scher Kulturbegriff ausgearbeitet, der die Denkkategorien interkultureller Ansätze radi-
kal in Frage stellt und deren Ablösung oder zumindest Neubestimmung erforderlich
macht. Während hieraus in der Fremdsprachendidaktik im Allgemeinen (vgl. z. B. Hu
2007) und in der Diskussion um neue Landeskundekonzepte im Fach Deutsch als
Fremdsprache im Besonderen (z. B. Altmayer 2006) bereits Konsequenzen gezogen wur-
den, steht die Entwicklung von Konzepten für die Arbeit mit Literatur, die dem Rech-
nung tragen, noch am Anfang.
Dass sich die Rezeption literarischer Texte aus der Perspektive der eigenen Kultur und
der Perspektive „kulturräumlicher Distanz“ (Krusche 1985) unterscheiden, dass mithin
fremdsprachige und in anderen kulturellen Kontexten sozialisierte Leser, die sich mit
deutschsprachiger Literatur auseinandersetzen, eine eigene Rezeptionsposition einneh-
men, die es zu berücksichtigen und produktiv zu machen gilt, stellt die grundlegende
These des Anfang der 1980er Jahren entwickelten literaturwissenschaftlichen Ansatzes
der interkulturellen Germanistik dar. Der Begriff der interkulturellen Germanistik stand
dabei für Bestrebungen, das damals neue universitäre Fach Deutsch als Fremdsprache
als ein germanistisches Fach zu konzipieren. Im Zusammenhang der 1984 gegründeten
Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik und deren zahlreichen Publikationen wurde
jedoch schon bald der Anspruch zur Entwicklung einer umfassenden Fremdkulturwissen-
schaft vertreten (vgl. Art. 157).
In ihrem literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Ansatz knüpft die interkultu-
relle Germanistik an theoretische Grundlagen der philosophischen Hermeneutik Gada-
mers an. Durch die Postulierung einer „Hermeneutik kulturräumlicher Distanz“ (Kru-
sche 1985) setzt sie sich jedoch gleichzeitig von deren ausschließlicher Ausrichtung auf
das Verstehen von Texten ab, die in einer historischen Distanz zum Rezipienten liegen.
1546 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Während bei Gadamer die Möglichkeit des Verstehens an das Bestehen eines wirkungsge-
schichtlichen Kontinuums zwischen Rezipient und Text gebunden ist, wirft die interkul-
turelle Germanistik in der Polarisierung von Fremd- und Eigenkultur die Frage nach
dem Verstehen von Texten auf, die aufgrund ihrer Zuordnung zu einem fremden Kultur-
raum gerade nicht bruchlos an eigene Traditionszusammenhänge angeschlossen werden
können. Da Fremdverstehen, wie Wierlacher (1985) hervorhebt, immer nur auf der Basis
des eigenen Vorverständnisses erfolgen könne, Texte also auf der Grundlage eigener kul-
tureller Erfahrungszusammenhänge jeweils unterschiedlich konkretisiert werden, komme
es darauf an, kulturdifferente Lektüren nicht unter dem Verdikt eines falschen Verstehens
zu unterbinden. Fremdkulturelle Lektüren seien vielmehr für eine „Hermeneutik des
Komplements von kulturell differenten Außenansichten und kultureller Innendeutung“
(Wierlacher 1985: 11⫺12) produktiv zu machen. GermanistInnen verschiedener Her-
kunftsländer mit Interesse am kulturellen Austausch, aber auch Lehrenden und Lernen-
den im interkulturellen Literaturunterricht im Fach Deutsch als Fremdsprache biete die
Zusammenschau von kultureller Innen- und Außenperspektive die Einnahme verschiede-
ner kultureller Verstehensrollen. Dies ermögliche ein umfassendes Kulturverstehen, in
dem Fremdheit zum „Ferment“ der Kulturentwicklung werde (Wierlacher 1985). Ober-
stes Lernziel bilde der Aufbau von „Kulturmündigkeit“, die über die Auseinandersetzung
mit „fremdkulturellen“ Zusammenhängen auch die Erkenntnis der eigenen kulturellen
Voraussetzungen umfassen sollte (Wierlacher 1980: 157). Die zentrale Mittlerrolle zwi-
schen Kulturen, die literarischen Texten hier zugewiesen wird, leitet sich dabei aus einem
rezeptionsästhetisch begründeten Literaturverständnis ab, das von einer grundlegenden
Deutungsoffenheit literarischer Texte ausgeht, deren Bedeutungspotential es in der Inter-
pretation durch den Anschluss an mögliche, außerhalb des Textes liegende Referenzrah-
men zu konkretisieren gelte (Steinmetz 1992).
Literaturdidaktisch umgesetzt findet sich dieser Ansatz in Krusches Konzept des in-
terkulturellen Lesergesprächs (Krusche 1985), das darauf abzielt, Leser aus verschiede-
nen „Kulturkreisen“ mit dem literarischen Text ins „Gespräch“ zu bringen, ihnen subjek-
tive Lese-Erfahrung zu ermöglichen und in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit
dem Text kommunizierbar und untereinander vergleichbar zu machen. In der Akzentuie-
rung subjektiver Lese-Erfahrung knüpft Krusche an die Leseakt-Theorie Isers an, die
davon ausgeht, dass literarische Texte Wirklichkeit nicht abbilden, sondern dem Leser
Einstellungen und Perspektiven anbieten, „in denen eine durch Erfahrung gekannte Welt
anders erscheint“ (Iser 1975: 233). Aufgrund der für literarische Texte charakteristischen
strukturellen Unbestimmtheit ist der Leser ⫺ will er die ihm vom Text angebotenen
Einstellungen und Perspektiven konkretisieren ⫺ jedoch auf seine eigene Erfahrung ver-
wiesen. Im Akt des Lesens vollzieht sich also eine „Verflechtung von Fremd- und Selbst-
erfahrung“ (Krusche 1985: 141). Ziel der Arbeit mit Literatur im Fremdsprachenunter-
richt müsse es dementsprechend sein, dem Leser Texte so zu vermitteln, dass er ⫺ ohne
sein Lesen durch zu viele Zusatzinformationen zu hemmen ⫺ „diese Fremde für sich
entdecken, sie im Leseakt selbst realisieren kann“ (Krusche 1985: 186). Fremdverstehen
vollzieht sich also nach Krusches Konzept sowohl in der Auseinandersetzung des Lesers
mit dem fremden Text als auch in der Kommunikation über verschiedene fremdkultu-
relle Lektüren.
In der Ausrichtung auf die Formulierung von Unterschieden in der Reaktion auf
Texte, die in eine Reflexion von unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen der Lek-
türe einmündet, ist das interkulturelle Lesergespräch dabei unmittelbar auf Wierlachers
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1547
Von der Idee der systematischen Erfassung und Festschreibung kulturspezifischer Lektü-
ren hat sich die Forschung inzwischen verabschiedet. Aufrechterhalten wird jedoch auch
in neueren Konzepten zumeist das Anknüpfen an leserorientierte Literaturtheorien und
an das interkulturelle Paradigma der Entgegensetzung von kulturell Fremdem und Eige-
nem ⫺ bei durchaus unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in der Frage nach den herme-
neutischen Voraussetzungen und Konsequenzen kulturdifferenter Rezeption. So steht im
Mittelpunkt der im Folgenden exemplarisch dargestellten Ansätze wechselweise die
Fremdheit des Handelns der im Text dargestellten Figuren (Mummert 2006), die Fremd-
heit der ästhetischen Gestaltungsmittel (Ehlers 1992 und 1994) und die Fremdheit der
Konventionen des Umgangs mit literarischen Texten (Müller-Peisert 2006).
Mummert zielt mit ihrem didaktischen Konzept einerseits darauf ab, die Lerner zu
ermutigen, ihre eigene Erfahrung in die Lektüre einzubringen und über die Einführung
rezeptionsästhetischer Begrifflichkeit formulierbar und reflektierbar zu machen. Ande-
rerseits geht es ihr darum, die Empathiefähigkeit der Lerner in Bezug auf das Verhalten
und die Weltsicht der literarischen Figuren gezielt zu fördern, um sich in die fremde
Welt, die ihnen im Medium des Textes entgegentritt, hineinzuversetzen. Dabei ist das von
Mummert vertretende Interpretationskonzept stark inhaltsorientiert: Im Zentrum der
von ihr angeleiteten Lerner-Interpretationen steht die Beschreibung und Beurteilung von
Figurenverhalten sowie die sich daraus ableitende „Gesamt-Deutung“ der Texte (Mum-
mert 2006: 44). Angestrebt werden dabei „Erkenntnisse über die fremde fiktionale, die
fremde reale Welt“ sowie eine Erweiterung des eigenen Bewusstseins über den „Prozess
der Assimilation des bisher Fremden in den eigenen Erfahrungshorizont“ (Mummert
2006: 23⫺24). Kulturelles Lernen ist bei Mummert also nicht über den Umweg der Gene-
rierung und des Vergleichs kulturspezifischer Lektüren angestrebt, sondern über die un-
mittelbare Auseinandersetzung mit der fremden Kultur im Medium der Texte, die jedoch
auf einer literatur- und kulturtheoretisch problematischen Gleichsetzung des literarischen
Textes mit der „fremde(n), reale(n) Welt“ fußt.
Zwar geht auch Ehlers in ihrem für die Fortbildung von DaF-Lehrenden entwickelten
Ansatz zur Didaktisierung narrativer literarischer Texte (Ehlers 1992) von der Notwen-
digkeit aus, den Leser zu ermutigen, seine eigene, subjektive Vorerfahrung bei der Lek-
türe literarischer Texte zu aktivieren, dieses bildet jedoch nur den ersten Schritt in ihrem
Konzept der gezielten Schulung ästhetischer Wahrnehmungsfähigkeit, das den Hauptfo-
kus auf die Erschließung der Spezifik der ästhetischen Gestaltungsmittel der Texte legt.
Eine Didaktik, die allein auf die Füllung der Unbestimmtheitsstellen des Textes aus der
Vorerfahrung des Lesers ausgerichtet sei, verfehle, so Ehlers, die im Text angelegte
Fremdheitserfahrung, da der Leser mit ihr „nur die eigene Welt in den fremden Text
hinein[projiziert]. Das aber wäre kein Lernen, kein Sehen und kein Verstehen“ (Ehlers
1992: 13).
In ihrem Ansatz zur Schulung ästhetischer Lesekompetenz stützt sich Ehlers auf Isers
Konzept des impliziten Lesers (Iser 1972), das von einer weitgehenden Steuerung der
Sinnbildung durch textuelle Vorgaben ausgeht und damit das u. a. im Begriff der Unbe-
stimmtheit angelegte Missverständnis der beliebigen Konkretisierung des Textes aus der
Erfahrung des Lesers auszuräumen sucht, das auch Mummerts Ansatz sowie weite Teile
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1549
und „appreciation of form as meaning“ (Kramsch 2006: 251) umfasst und darauf abzielt,
dem Lerner Fähigkeiten und Strategien zum Umgang mit der grundlegenden Offenheit,
Veränderbarkeit und Ambivalenz kultureller Deutungsmuster zu vermitteln. Unter der
Bedingung der zunehmenden Komplexität kultureller Bedeutungsbildungsprozesse
müsse der Lerner nicht nur Bedeutungen verstehen und kommunizieren, sondern auch
die Praxis der Bedeutungsbildung selbst erfassen können. Dabei komme der Arbeit mit
Literatur ein zentraler Stellenwert zu: „Through literature, they [learners; R. R.] can
learn the full meaning making potential of language“ (Kramsch 2006: 251). Literatur
müsse wieder stärker in den (universitären) Fremdsprachenunterricht einbezogen wer-
den, jedoch nicht mit dem Fokus auf ihre geschichtliche Einbindung, sondern auf ihre
spezifisch literarische Qualität. In ähnlicher Weise plädiert Nünning dafür, in der Arbeit
mit Literatur die „spezifisch literarischen Formen fiktionaler Wirklichkeitsdarstellung“
(Nünning 2001: 8) und die „Perspektivenvielfalt“ von Literatur zu nutzen, um die Fähig-
keit zu fördern, mit konkurrierenden und möglicherweise auch konfligierenden Deu-
tungsmustern umzugehen.
Darauf, dass Literarizität für die Arbeit mit Literatur in DaF-Kontexten auch im
Zusammenhang ihrer Funktionalisierung für Prozesse des kulturellen Lernens eine Basis-
kategorie bilden muss, weist auch Dobstadt (2009) hin. Unter Literarizität versteht er
dabei im Rückgriff auf Jakobson (1972) die Einstellung des Rezipienten bzw. Produzen-
ten eines Textes auf die Nachricht als solche und die daraus resultierende Lockerung
der vermeintlich engen Verbindung von Signifikant und Signifikat, die Derrida in der
Formulierung der „suspended relation to meaning and reference“ (zitiert nach Dobstadt
2009: 24) gefasst hat. Daraus resultiert zum einen ein Netz interner Äquivalenzbeziehun-
gen und Verweisungen (der Aspekt der „form as meaning“ bei Kramsch 2006: 251), das
für die „besondere Lesbarkeit“ (Dobstadt 2009: 25) von Literatur verantwortlich sei.
Zum anderen bieten literarische Texte aufgrund der gelockerten, aber nicht gänzlich auf-
gehobenen Verbindung von „meaning und reference“ die Möglichkeit, potentiell unend-
liche referentielle Bezüge an sie anzuschließen, ohne dass diese jemals ganz vom Text
gedeckt wären. In ihrer prinzipiellen Un(aus)deutbarkeit und Ambiguität entziehen sie
sich letztlich jedoch einem völligen Verstehen. Gerade dieses Spiel der Bedeutungen gelte
es im Zusammenhang eines Landeskundekonzeptes zu nutzen, das sich der Tatsache
stellt, dass „,Fremdverstehen‘ von einem selbstverständlich gegebenen Ziel zu einem im-
mer wieder neu zu reflektierenden, nie zu Ende kommenden Prozess geworden ist“ (Dob-
stadt 2009: 23). In der Arbeit mit Literatur gelte es dementsprechend, den Lerner über
die Verfolgung möglicher Referenzbezüge gezielt in das im literarischen Text angelegte
Spiel der Konstituierung und Suspendierung von Bedeutung hineinzuführen.
Auch in dem theoretisch fundierten und didaktisch differenziert ausgearbeiteten Kon-
zept von Belke (u. a. 2007) bildet Literarizität bzw. Poetizität die Basis für die Sprachar-
beit in multilingualen Lerngruppen im Primarschulbereich. Dabei wird die Universalität
elementarer poetischer Strukturen, wie Reim, Rhythmus, Parallelismus und Reihenbil-
dung, und deren ästhetische Funktion, die die Aufmerksamkeit in spezifischer Weise auf
die Sprache selbst lenkt, gezielt zum impliziten Erwerb grammatischer Strukturen ge-
nutzt.
Ähnlich wie Dobstadt unterscheidet auch Krusche (u. a. 2001, 2003) in seinen neueren
Publikationen zwischen zwei in ihrer Wirkung interagierenden Textangeboten, zu deren
analytischen Erfassung er ⫺ im Gegensatz zu seinem früheren Ansatz ⫺ nicht auf Kate-
gorien der Wirkungsästhetik Isers zurückgreift, sondern auf die grundlegende Differen-
1552 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
zierung von Symbolfeld und Zeigfeld in Karl Bühlers Sprachtheorie. Dabei versteht Kru-
sche literarische Texte gleichermaßen als „prägnantes Sprachkonstrukt“, das als solches
in seiner Wirkung nicht zuletzt auch über linguistisch basierte Analysen erschlossen wer-
den könne (zur linguistischen Analyse literarischer Wirkungsbedingungen siehe u. a.
Riedner 1996), und als „Anlaß zu uneinheitlichen Reaktionen darauf“ (Krusche 2001:
12). Während mögliche Kontextbezüge literarischer Texte sich aus den im Text eingesetz-
ten nennenden sprachlichen Mitteln des Symbolfeldes ergäben, das durch die Lockerung
des Verhältnisses von Signifikant und Signifikat im literarischen Text für das potentiell
unendliche Spiel möglicher Bedeutungskonstitutionen verantwortlich sei, stelle sich die
innertextliche Kohärenz primär über deiktische Sprachmittel her, die der Orientierung
des Lesers in Bezug auf die „Sprecher-Hörer-Konstellation und die Nähe-Ferne-Relation
in Zeit und Raum“ dienen (Krusche 2003: 471). Während die intra- wie auch interkultu-
relle Differenz von Deutungen an die sprachlichen Mittel des Symbolfelds gebunden sei,
resultiere eine (relative) Konstanz von Lektüren aus den deiktisch realisierten anschauli-
chen Orientierungen im Text. In der Unterscheidung beider Wirkungsdimensionen litera-
rischer Texte zielt Krusche auf eine Didaktik, die es dem Leser erlaubt, im Lesergespräch
individuelle Leseerfahrungen zu formulieren, die dabei jedoch an die Matrix der anschau-
lichen Orientierungen im Text rückgebunden werden können und einer intersubjektiven
Verständigung zugänglich sind. Dabei geht es darum, die poetische Fremdheit des Textes
nicht auflösen, sondern aufrechtzuerhalten und einsehbar zu machen. An die Stelle der
Fokussierung kultureller Alterität tritt in Krusches Neukonzeption des Lesergesprächs
der Austausch über die poetische Alterität des literarischen Textes, der damit Teil der
„Fremdsprache Literatur“ im Sinne Hunfelds (2004) bleibt. Erste Ansätze zu einer Di-
daktik, die die Fremdheit des Textes in seiner literarischen Qualität für die Zwecke des
DaF-Unterrichts nutzt, entwickelt Schiedermair (2010) im Rückgriff auf Krusches Theo-
rie literarischer Wirkung. Auf der Phänomenologie des Fremden von Waldenfels basiert
das Modell zu Literatur und Fremdheit von Leskovec (2009), das Fremdheit (in Form
von alltäglicher, struktureller und radikaler Fremdheit) als grundlegendes Element von
Literatur versteht. Welche Funktionen diese Konzepte im Zusammenhang von kulturwis-
senschaftlich ausgerichteten Lernzielen des Fremdsprachenunterrichts im Einzelnen über-
nehmen können, bleibt jedoch noch zu reflektieren.
5. Literatur im Auswahl
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1997 Gibt es eine Literaturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache? Ein Beitrag zur
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2001 Landeskunde mit literarischen Texten. Zu einer neuen Fernstudieneinheit. Deutsch als
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2006 Landeskunde als Kulturwissenschaft. Ein Forschungsprogramm. Jahrbuch Deutsch als
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2007 Poesie und Grammatik. Kreativer Umgang mit Texten im Deutschunterricht mehrsprachiger
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2008 Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft. Mün-
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Besondere Heftigkeit gewann der Kampf um den Kanon in den USA in einer Identi-
tätspolitik, die seit den 1980er Jahren um die Begriffe race, class und gender kreiste
(Assmann 2006). Vertreter sozialer und kultureller Minderheiten, die den gesellschaft-
lichen Ausschluss nicht-dominanter Kulturen und Gruppierungen monierten und ihr
Recht auf jeweils eigene Traditions- und Identitätswahrung und -erforschung reklamier-
ten, kritisierten den literarischen Kanon als Aushängeschild kultureller Hegemoniean-
sprüche einer europäisch geprägten, weißen Bürgerschicht. Unterstützung leistete eine
weit verbreitete Kritik an einer eurozentrischen Perspektive und an linearen Geschichts-
bildern. Die Ablehnung des herausragenden Stellenwerts der westlichen Kultur an den
Universitäten spitzte sich zu in der Parole von den „toten weißen europäischen Män-
nern“ (vgl. Grimm 2002: 41). Als Reaktion formierte sich vornehmlich auf dem nicht-
akademischen Buch- und Zeitschriftenmarkt eine neo-orthodoxe Opposition, die durch
das zunehmende Gewicht minoritärer Diskurse und das verbreitete „Canon Bashing“
(Bromwich 1988) die große Literatur auf den Lehrplänen bedroht sah und den Verlust
des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags befürchtete. Teilweise erweiterte sich
die Diskussion zu einer generellen Auseinandersetzung mit dem Werterelativismus und
der pluralistischen Ausrichtung der Universitäten. In der Verteidigung einer europäisch
geprägten Tradition klassischer Literatur, wie sie Harold Bloom vortrug (vgl. Grimm
2002: 43⫺47), konnte dabei noch einmal die Vorstellung eines Kanons als eines zeit-
losen, quasi naturwüchsigen Gebildes Gestalt annehmen. Auf eine andere Ebene geho-
ben wurde das Thema erst durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Kanon-
Debatten, indem gezeigt werden konnte, welche Rolle die Nation als imaginierte Gemein-
schaft (Anderson 1996), die institutionellen Rahmenbedingungen und die soziale Prä-
gung der Beteiligten im Prozess der Kanonbildung spielen (Gorak 1991: 221⫺260; Go-
rak 2001).
Die amerikanischen Kanon-Debatten hatten bildungspolitische Rückwirkungen auf
die Curricula und Leselisten an Schulen und Universitäten und trotz der Tendenz zur
Parzellierung auch auf die Herausbildung von erneuerten und erweiterten Kanones, die
inzwischen viel stärker als früher nicht-europäisch geprägte Literaturen und Kulturen
sowie Migrantenliteratur berücksichtigen. Unter adressaten- und rezeptionsspezifischen
Gesichtspunkten fanden auch die geforderte Kolonialismuskritik und polyethnische Be-
trachtungsweisen Eingang in führende Literaturgeschichten und Anthologien. Dass sich
daraus Auswirkungen auf das Selbstverständnis nationalstaatlicher Identität ergeben,
liegt nahe. Insgesamt lässt sich aber eine Neigung zum Ausgleich feststellen. Auf der
anderen Seite ist nämlich in letzter Zeit eine Tendenz zur Rückkehr zu klassischen Auto-
ren und zum Klassiker-Studium zu vermerken (vgl. Grimm 2002: 47⫺51). Überhaupt
scheinen auch im internationalen Maßstab ⫺ ungeachtet der Diskussionen, die weiterhin
über die Vor- und Nachteile von Kanones geführt werden ⫺ pragmatische Lösungen
heute am ehesten Akzeptanz zu finden (Winko 2007: 264). Generell ist die Notwendig-
keit, literarische Traditionen zu rekonstruieren und in Form von Kanones oder Leselisten
zu vermitteln, im akademischen Bereich weithin unumstritten. Zugleich haben Literatur-
wissenschaft und -kritik im Nebeneinander von Sub-, Gegen- und Alternativkanones, die
sich für die verschiedenen sozialen und ästhetischen Teilbereiche von Kultur herausgebil-
det haben, ein kreatives Potential erkannt, das vermittelt und erforscht wird.
1560 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
kennung ⫺ zu nennen wären viel beachtete Autoren wie Rafik Schami, Terézia Mora,
Feridun Zaimoğlu, Zafer Senocak und Ilja Trojanow. Problematisch erscheint indessen,
dass in der Rezeption z. T. biographische und persönliche Aspekte dominieren und dem
Phänomen eine umfriedete Sonderstellung innerhalb der deutschsprachigen Literatur zu-
gewiesen wird. Dabei bleibt mitunter unberücksichtigt, dass die Texte mit Blick auf das
Ineinander von Fremdheitserfahrungen und kulturellen Selbstwahrnehmungen faszinie-
rende ästhetische Erfahrungen vermitteln, die weit über die konkrete Migrationsthematik
hinausführen.
Sinnbild der Präsenz von Migrationsliteratur in Deutschland ist der renommierte
Adelbert-von-Chamisso-Preis. Der Namensgeber dieser Ehrung verweist auf die Traditi-
onslinien interkultureller Literatur, auf Migrations- und Exilerfahrungen von Menschen,
die in Zeiten von Repression, Vertreibung und Verfolgung im Ausland oder in Deutsch-
land Aufnahme fanden ⫺ zu denken wäre an die deutschen Emigranten in Frankreich
vom Ende des Ancien Régime bis zur Restauration, an die französischen Revolutions-
flüchtlinge in Deutschland, an die großen Auswanderungsbewegungen im 19. Jahrhun-
dert, an den breiten Strom von Künstlern und Schriftstellern, die vor den Nationalsozia-
listen in viele Länder der Erde flüchteten. Im gleichen Zusammenhang anzuführen sind
Vertreter der deutschen Literatur mit nichtdeutscher Herkunft oder Nationalität wie Ni-
kolaus Lenau, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Franz Werfel, Joseph Roth, Paul Celan,
Elias Canetti, Libuše Monı́ková, Emine Sevgi Özdamar, Herta Müller und viele andere,
des weiteren die deutschsprachigen Minderheitenliteraturen im Ausland, im Elsaß, im
Baltikum, in Belgien, Luxemburg, Rumänien, Ungarn, Russland, Israel, Kanada, Brasi-
lien, Argentinien, Südafrika und den USA, schließlich literarische Werke von Autoren
wie Horst Bienek, Günter Grass, Siegfried Lenz, Peter Härtling, Christa Wolf, die das
Thema Umsiedlung, Flucht und Vertreibung behandeln (Esselborn 2001: 342, 343).
Aus der Sicht einer Interkulturellen Literaturwissenschaft innerhalb und außerhalb
des Fachs Deutsch als Fremdsprache verdienen es alle diese Literaturen, stärker ins
Blickfeld gerückt zu werden. Das gleiche gilt für koloniale und postkoloniale Literaturen
(Madsen 1999), das ganze Gebiet der Reiseliteratur, Utopien, Abenteuerromane, Robin-
sonaden und andere Genres, die ein hohes kulturreflexives Potential aufweisen (Gutjahr
2002: 357). Gleichwohl kann die Aufgabe nicht bloß darin bestehen, nationalkulturell
geprägte Kanones um interkulturelle Literatur zu ergänzen; zur Diskussion steht viel-
mehr das interkulturelle und ästhetische Potential der gesamten älteren und neueren
deutschen Literatur. Eine solche Perspektivierung wäre verbunden mit einer Öffnung hin
zu Literaturen der europäischen Nachbarländer, zu kleinen Literaturen sowie zum weiten
Feld einer nicht mehr eurozentrisch konfigurierten Weltliteratur.
Mit Blick auf die Kanondebatten sind schließlich die Aufgaben einer solchen For-
schungsrichtung im Verhältnis zur Germanistik zu benennen, die sich nicht erst durch
den Bologna-Prozess und immer enger werdende weltweite Verflechtungen vor die Auf-
gabe gestellt sieht, das Konzept „Nationalphilologie“ zu überwinden (Gutjahr 2006a).
Die Interkulturelle Literaturwissenschaft kann mit den ihr eigenen Forschungsparadig-
men dazu beitragen. Für das Fach Deutsch als Fremdsprache liegt dabei eine Chance
in der Etablierung einer transnationalen Germanistik, wie Ehlich (2007: 430⫺459) sie
entworfen hat. Den Bezugs- und Orientierungsrahmen bietet die multikulturelle, -lin-
guale und perspektivische Vielfalt Europas, eines Kontinents, der die Voraussetzungen
hat, neue Formen gesellschaftlicher Interaktion und kulturellen Austauschs realisieren
zu können, ohne dass kulturelle Differenzen einer universalistischen Homogenisierung
preisgegeben werden.
1562 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Im Rahmen des breiten Spektrums an Modellen, Konzepten und Arbeitsfeldern, das die
interkulturelle Literatur- und Literaturlehrforschung inzwischen umfasst, dominieren im
Fach Deutsch als Fremdsprache anwendungsorientierte Verfahrensweisen mit didakti-
schem, rezeptionstheoretischem, kulturthematischem und empirischem Profil. Ein Prob-
lem besteht dabei, wie unter anderen Vorzeichen teilweise auch in der grundsprachlichen
Germanistik, in der Tendenz, die Literatur bloß als äußeres Vehikel zu behandeln und
ihren ästhetischen Charakter auszublenden. So werden literarische Texte häufig bloß
auf ihre Funktion als Medium der Kulturvermittlung reduziert. Demgegenüber ist mit
Mecklenburg (1987) darauf zu bestehen, dass poetischer Alterität auch im Kontext kultu-
reller Alterität eine konstitutive Rolle zukommt. Qua ihrer Differenz zur empirischen
Lebenswirklichkeit erfüllt sie eine tragende Rolle für das Verständnis von kultureller
Differenz und interkulturellen Konstellationen. Überhaupt scheint es auch im Rahmen
des Fachs Deutsch als Fremdsprache an der Zeit ⫺ wie gerade auch Vertreter der Aus-
landsgermanistik fordern ⫺, neben Vermittlungsaspekten die Literatur selbst wieder stär-
ker in den Blick zu nehmen, und zwar unter Wahrung ihres Kunstcharakters. Die Debat-
ten über literarische Kanones und die interkulturellen und ästhetischen Potentiale von
Literatur können dazu einen gewichtigen Beitrag leisten.
Zwei Aspekte verdienen in diesem Zusammenhang exemplarisch hervorgehoben zu
werden, nicht zuletzt um grundlegende Einsichten und ihren historischen Bezugsrahmen
noch stärker zu profilieren: Zum einen scheint es geboten, wie es Gutjahr (2002: 356,
357) für eine interkulturelle Literaturgeschichte vorschlägt, einen der Germanistik vo-
rausgehenden Traditionsstrang kulturwissenschaftlicher Schriften zu rekonstruieren, der
mit Johann Gottfried Herder, Georg Forster und Alexander von Humboldt beginnt und
sich kontinuierlich fortsetzt bis hin zu „den kulturkritischen Schriften von Sigmund
Freud, Georg Simmel und Max Weber, Ernst Cassirer, Walter Benjamin, Max Horkhei-
mer, Theodor W. Adorno und Norbert Elias“. Zum anderen zeigt sich sehr deutlich, dass
neuere interkulturelle Ansätze, wie auch ihre praktischen Applikationen, rückgebunden
sind an historische Problemkonstellationen und Konzepte. So zeichnet sich schon in
älteren Texten wie den oben genannten direkt oder indirekt die Erkenntnis ab, dass
Kulturen grundsätzlich auf Offenheit und einen grenzüberschreitenden Austausch im
Weltkontext angewiesen sind. Dazu gehört ein Bewusstsein für den relationalen Charak-
ter des Fremden und die Interdependenz der Standpunkte. In der Konsequenz bedeutet
das eine Aufhebung der Opposition von Fremdem und Eigenem. Anhand ausgewählter
Texte lässt sich veranschaulichen, wie tradierte Bewertungsmuster aufgebrochen werden
durch Annäherungen an ein Wissen um das Neben- und Ineinander von Fremderfahrun-
gen und kulturellen Selbstwahrnehmungen (Ewert 2006: 516⫺522). Dieses Terrain wäre
im Hinblick auf das Projekt einer interkulturell orientierten Literaturgeschichte noch
intensiver zu erschließen. Die dabei zutage tretenden Einsichten eröffnen nicht selten
einen Blick auf heutige Fragen und Probleme interkultureller Kommunikation. Im Ein-
zelnen könnten sich sogar Perspektiven ergeben, die eine frappierende Aktualität besit-
zen.
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1563
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Gutjahr, Ortrud
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1987 Über kulturelle und poetische Alterität: Kultur- und literaturtheoretische Grundprobleme
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173. Literatur im Landeskundeunterricht 1565
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2008 Kanon, literarischer In: Ansgar Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturthe-
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in ihrer das rein Kognitive übersteigenden, multiperspektivischen und das ganze Spek-
trum der Lebenswelt umfassenden Qualität gesehen. Die quantitativ und qualitativ stark
angewachsene Jugendliteratur eröffnet zudem verstärkt die Möglichkeit, mit lernerorien-
tierten Erlebnisperspektiven zu arbeiten. Sie entspricht damit als Medium in idealer
Weise den Forderungen der modernen Landeskundedidaktik.
Dennoch sind zwischen den einzelnen Landeskundekonzepten deutliche Unterschiede
hinsichtlich der Rolle der Literatur zu konstatieren: In einer mehr traditionellen kogni-
tiven Landeskunde, die sich monodisziplinär an der Geschichte als Leitwissenschaft
orientiert (Koreik 1995), sind literarische Texte ein didaktisches Mittel, in einer kultur-
wissenschaftlichen und interkulturellen Landeskunde dagegen sind sie Teil eines erkennt-
nistheoretischen Konzepts (Altmayer 2004).
Altmayer (2002) erläutert auf hohem theoretischen Niveau den Begriff der „kulturel-
len Deutungsmuster“. Dabei handelt es sich um „selbstverständlich bekannte Wissensele-
mente“ innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft, die aber für Mitglieder einer an-
derssprachigen Gemeinschaft nicht ohne weiteres verständlich sind. Die von Altmayer
(2004) ausgearbeitete Hypertext-Methode ähnelt dem „Prinzip der kommunizierenden
Texte“, mit dem Groenewold zu vernetzten Textfeldern gelangt (Groenewold 1997, I:
239⫺244), die direkt als Ausgangsmaterial für einen auf Deutungsmuster abzielenden
interkulturellen Landeskundeunterricht verwendbar sind. Im Unterschied zu Altmayer
geht es bei Groenewold jedoch um den Kontrast und die vergleichende Analyse von
Deutungsmustern in der interkulturellen Begegnung zwischen Angehörigen zweier Natio-
nen (Groenewold 1997, I: 172⫺185), wozu auch ein Anhang mit Textbeispielen und einer
Unterrichtseinheit gegeben wird (Groenewold 1997, I: 327⫺376). Es werden also auch
fremdsprachige Texte einbezogen, die eine Außenperspektive auf die Zielkultur eröffnen.
Dahinter steht der Anspruch auf die Entwicklung einer binationalen Begegnungsge-
schichte der jeweiligen Selbst- und Fremdbilder über mehrere Generationen hinweg, die
sich in Texten repräsentieren. Für die Unterrichtspraxis wird hierzu mit kurzen, meist
literarischen Textfragmenten gearbeitet, die gezielt auf kulturelle Deutungsmuster hin
ausgewählt werden.
In den Praxisfeldern des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als
Zweitsprache ist die postulierte Bedeutung der Literatur nur vereinzelt in Konzepte über-
setzt worden, die den theoretischen Ansprüchen gerecht werden. Bei den Bestrebungen,
die Landeskunde als interdisziplinäres wissenschaftliches Fach zu etablieren, kommt die
didaktische Umsetzung der Theorie in Unterrichtsmaterial oft zu kurz. Sobald Literatur
im Landeskundeunterricht einen Stellenwert erhalten soll, der über formale Qualitäten
wie die Abwechslung von Textsorten hinausgeht, sollte die Frage beantwortet sein, wel-
cher Konzeption der Landeskunde sich der Unterricht verpflichtet fühlt: Bei einem expli-
ziten und kognitiven Landeskundeverständnis mit thematischer Orientierung auf histori-
sche, gesellschaftliche und lebensweltliche Elemente der Zielgesellschaft kommen andere
Texte zum Zuge als bei einer sich kulturwissenschaftlich und interkulturell verstehenden
Landeskunde, die auf die verschiedenen Perspektiven und Wahrnehmungsweisen in einer
multikulturellen Gesellschaft abzielt. Die beiden Konzeptionen schließen sich jedoch
nicht aus. Sie können auch im Wechsel angeboten werden und sich im Idealfall sogar
sinnvoll ergänzen.
Auf der anderen Seite bieten die Autoren von Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien
ein vielfältiges Spektrum von Beispielen für den Einsatz von Literatur im Landeskunde-
unterricht. Sie sehen sich jedoch immer wieder mit dem Problem der Komplexität und
173. Literatur im Landeskundeunterricht 1567
des Umfangs literarischer Texte konfrontiert, die die Verwendung vieler interessanter
Texte unmöglich macht bzw. einen unrealistischen Zeitaufwand erfordern würde. Daher
finden sich im unterrichtspraktischen Material der Verlage viele theorieunabhängige
Sammlungen und Didaktisierungen bewährter Kurztexte, die in eher zufällige Zusam-
menhänge eingebettet sind.
Die Arbeit mit Jugendliteratur wird bei Didaktikern als zielgruppenadäquater Aus-
weg gesehen, stößt aber was Komplexität und Umfang betrifft, letztlich auf dieselben
Probleme. Auch dezidierte Befürworter der Literatur im DaF-Unterricht widmen dem
Pro und Contra ausführlich Raum (Koppensteiner 2001: 11⫺22) und entscheiden sich
auch bei landeskundlichen Themen oft für die kürzeste aller Gattungen, die Lyrik (Kop-
pensteiner 2001: 129⫺141).
Die gleichzeitige Bedienung aller Aspekte von Landeskunde und Literaturdidaktik
für verschiedenste DaF-/DaZ-Zwecke kann zum Verlust von Konzeptionsschärfe führen
und den Unterricht seiner Effektivität berauben. Bischof, Kessling und Krechel (1999)
bieten gut ausgearbeitete Unterrichtsbeispiele vom impliziten über den expliziten bis zum
interkulturellen Landeskundeunterricht an. Lehrer können diese Beispiele direkt anwen-
den, sie erhalten jedoch keine Handreichungen zur Entwicklung kohärenter Unterrichts-
konzeptionen, in denen Literatur nicht als mehr oder weniger zufällig zu bearbeitendes
Material dasteht.
rechtfertigt sich aber im Hinblick auf das höhere Niveau in Anspruch, Thematik und
Wirklichkeitsnähe der Erzählungen und der künstlerischen Qualität und realitätsge-
treuen Sorgfalt der Zeichnungen. In der angelsächsischen Fremdsprachendidaktik häufen
sich die Veröffentlichungen zur Arbeit mit Graphic Novels im Unterricht für Englisch
als Fremd- und Zweitsprache und im Geschichtsunterricht. Der Mehrwert des neuen
Genres besteht in der Vertrautheit jedes Lernenden mit dem Medium und in dem für den
Unterricht idealen Umstand, dass sich Text und Bild die Aufgabe des Erzählens teilen,
dass also trotz des fremdsprachlichen Textes immer schon ein miterlebendes und mitge-
staltendes Verständnis des Geschriebenen durch den betrachtenden Leser gewährleistet
ist. Cary (2004) zeigt die didaktischen Möglichkeiten, die sich daraus auch für multilin-
guale Lernergruppen ergeben; Morrison, Bryan und Chilcoat (2002) bieten eine ausge-
zeichnete Anleitung für die Selbstproduktion von Comics im landeskundlich-geschicht-
lichen Unterricht, Munier (2000) für den breiteren Einsatz von Comics im Geschichts-
unterricht.
Für den Landeskundeunterricht bieten sich mehrere Typen der Graphic Novel an: in
erster Linie zeichnerische Umsetzungen von deutschen Romanen, die starke landeskund-
liche Komponenten enthalten. So ist Uwe Timms in viele Leselisten aufgenommener
Roman „Die Entdeckung der Currywurst“ von der Zeichnerin Isabel Kreitz (2005) in
eine adäquate Bildergeschichte übersetzt worden. Auch für jüngere Lerner geeignet ist
ihre Adaption von Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ (Kreitz 2009). Der 500-Sei-
ten-Roman „Der erste Frühling“ des Jugendbuchautors Klaus Kordon wurde vom
Zeichner Christoph Heuer und der Autorin Gerlinde Althoff in realistisch-harte Bildse-
quenzen vom Frühjahr 1945 in Berlin umgewandelt (Kordon, Althoff und Heuer 2007).
Auch einzelne Kapitel und Sequenzen lassen sich gut im Landeskundeunterricht verwen-
den.
Es gibt keinen didaktischen Grund, hier auf ursprünglich deutscher Literatur zu be-
harren, da auch qualitativ hervorragende übersetzte Graphic Novels mit landeskundli-
cher Thematik zur Verfügung stehen wie die in den Jahren zwischen 1928 und 1933
spielenden Berlinromane des Amerikaners Jason Lutes (2003⫺2008). Die Holocaust-
Thematik findet eine eindringliche und anspruchsvolle Behandlung in Art Spiegelmans
„Maus“ (2008) und Joe Kuberts „Yossel“ (2005). Kubert wählt die Form eines Skizzen-
buchs: Ein Fünfzehnjähriger zeichnet im Warschauer Ghetto das ihm widerfahrende
Elend und die Geschichten, die ein Rabbi ihm von den Vernichtungslagern erzählt. Die
Texte sind hier länger, informativer und weniger der im Comic vorherrschenden Dialog-
form verpflichtet.
3. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
2002 Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaft-
lichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 6(3): 1⫺25.
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
1570 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Rösch, Heidi
2000 Jim Knopf ist nicht schwarz. Anti-/Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur. Balt-
mannsweiler: Schneider.
Rösch, Heidi
2006 Migration in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. In: Heinz Ludwig Ar-
nold (Hg.), Literatur und Migration, 222⫺232. München: edition text ⫹ kritik.
Rox-Helmer, Monika
2006 Jugendbücher im Geschichtsunterricht. Schwalbach: Wochenschau-Verlag.
Sauer, Michael
2007 Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Stuttgart: Klett-
Kallmeyer.
Sauer, Michael
2008 Historische Lieder. Stuttgart: Kallmeyer.
Spiegelman, Art
2008 Maus. Frankfurt a. M.: Fischer.
Zimmermann, Holger
2004 Geschichte(n) erzählen. Geschichtliche Kinder- und Jugendliteratur und ihre Didaktik.
Frankfurt a. M.: Lang.
1. Einleitung
Migrationsliteratur ist ein gattungsübergreifender Begriff und kann auch als literaturhis-
torische Epoche verstanden werden, denn im Zentrum stehen Lyrik, Prosa und einige
wenige dramatische Werke aus der Zeit nach der Arbeits- und Systemmigration nach
Deutschland, also seit den 1970er Jahren. Den Auftakt bildet Aras Örens Berlin-Trilogie
Was will Niyazi in der Naunynstraße (1973), Der kurze Traum Kagithane (1974) und Die
Fremde ist auch ein Haus (1980), die er als Poem in türkischer Sprache verfasst und ins
Deutsche übersetzt publiziert, bevor sie Jahre später auch in türkischer Sprache er-
scheint. Daran wird ein wichtiges Merkmal deutlich: Die Schreib- und Publikationsspra-
che sind nicht immer identisch.
1572 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
In den 1980er Jahren erscheint eine Vielzahl von Anthologien und Einzelwerken (Die
Literaturangaben zu den genannten Primärtexten finden sich unter: „Bibliografie Migra-
tionsliteratur: Kurzporträts und Veröffentlichung von und zu AutorInnen der deutsch-
sprachigen Migrationsliteratur“. Im Internet verfügbar unter: http://www.ph-karlsruhe.
de/cms/index.php?id⫽roesch, Link zu Literaturlisten, Bibliografie Migrationsliteratur);
1985 wird der Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung für AutorInnen
etabliert, deren Muttersprache und kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist und die
mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten. Der
polynationale Literatur- und Kunstverein nimmt 1980 seine Arbeit auf und beendet sie
1987 wieder. Dennoch hat die PoLiKunst-Bewegung die Migrationsliteratur nachhaltig
beeinflusst: Die Gedichtbände von Gino Chiellino Mein fremder Alltag (1984), Sehnsucht
nach Sprache (1987) und Sich die Fremde nehmen (1992) zeigen die Entwicklung von einer
Außenperspektive über die Reflexion der migrationsspezifischen Sprachsozialisation zur
dominanzkritischen Innenperspektive. Letzteres zeigt sich auch in Franco Biondis Orien-
tierung an der Arbeiterliteratur naturalistischer Prägung, die Unterprivilegierten einen
Platz in der Kunst verschafft, indem er „Gastarbeiterdeutsch“ zur Literatursprache er-
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1573
Bereits Ende der 1980er Jahre gelingt Akif Pirinçci mit Felidae (1989), einem Katzen-
krimi, ein kommerzieller Bestseller, der auch als Zeichentrickfilm und Comic gestaltet
wurde. Dieser Roman trägt ähnlich wie die Werke Rafik Schamis phantastische Züge
und bewegt sich demzufolge scheinbar außerhalb der realistischen Migrationsliteratur.
Durch die fabelhafte Verfremdung ist der Text nicht sofort als Migrationsliteratur er-
kennbar. Doch der Autor inszeniert das Leben in einer Parallelgesellschaft und wird mit
diesem Werk zum jungen Wilden der Migrationsliteratur, der nicht nur der Einwande-
rungsgesellschaft, sondern auch den Minderheiten einen Spiegel vorhält. Er thematisiert
Rassismus und die Folgen von Rassismus, die sich als Fundamentalismus äußern (kön-
nen).
Im Unterschied zu den PoLi-Künstlern klagen die jungen Wilden nicht mehr an,
sondern rücken das Leben der Minderheiten ins Zentrum, ohne Rücksicht auf politische
Korrektheit, die sich aus einer bewussten Minderheitenperspektive ergeben kann. Dabei
spielt die Mehrheitsbevölkerung nur noch indirekt eine Rolle: So thematisiert Zoran
Drvenkar mit Niemand so stark wie wir (1998) mit großer sprachlicher Authentizität und
rasantem Erzähltempo das Lebensgefühl pubertierender Jugendlicher in einer multiethni-
schen Gesellschaft, in der Menschen ohne Migrationshintergrund höchstens Randfiguren
darstellen. Seine Protagonisten bewegen sich in einer Spirale von Gewalt, der sie kaum
entrinnen können.
Fatih Akin taucht in seinen Filmen Getürkt (1996), Im Juli (1999), Solino (2000) und
auch Gegen die Wand (2003) ebenfalls in das Leben von (türkischen) Migranten ein und
zeigt es schonungslos. Doch er bezieht anders als Zoran Drvenkar Position und lässt im
1574 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Der Ort der Handlung ist das Herkunfts- und/oder Aufnahmeland oder aber ein fiktiver
Ort. Zentral sind dabei die Übergänge zwischen Orten, oft auch das Dazwischen, das
immer seltener als Problem, sondern als Chance und Aufbruch in eine neue Dimension
beschrieben wird.
Die Figurenkonstellation ist häufig multiethnisch, wobei MigrantInnen oft zu Trägern
der Zukunftsideen werden. Neben flächenhaften, dichotomen Figurenzeichnungen etwa
bei Franco Biondi gibt es multiperspektivische Ansätze zur Vermeidung von Kulturalisie-
rungen etwa bei Rafik Schami. Die Figuren werden doppelt, das heißt aus der Eigen-
und einer Fremdperspektive, oder als transkulturelle GrenzgängerInnen gezeichnet, die
sich nicht mehr über das Eigene und das Fremde definieren lassen.
Die Zeit der Handlung konzentriert sich auf Migrations- und Globalisierungsprozesse
der Gegenwart, zum Teil auch auf die Zeit vor der Migration und beleuchtet diese in
ihrer gesellschaftlichen, politischen und historischen Bedeutung. Dabei werden etwa von
Gino Chiellino auch aktuelle politische Ereignisse (wie die deutsche Einheit) lyrisch kom-
mentiert.
Die Sprache der Migrationsliteratur ist im Plural zu denken. Vor allem in der Lyrik
erscheinen neben zweisprachigen Paralleltexten mehrsprachige Gedichte, die den Leser-
Innen keine Übersetzungen liefern. Interlinguale Texte bzw. Textstellen liefern türkische
AutorInnen wie Emine Sevgi Özdamar in ihrer Berlin-Istanbul-Trilogie Sonne auf halbem
Weg (2006). Die Autorin, die in deutscher Sprache schreibt, integriert die bildhaftere
türkische Ausdruckweise ins Deutsche und schafft damit eine Interlingualität, die von
den Märchen, Mythen, Sprichwörtern und Metaphern ihrer türkischen Herkunft geprägt
ist und punktuell bewusst gegen die Semantik und Grammatik des Deutschen verstößt.
Damit funktioniert ihre Sprachkraft auf einer ganz anderen Ebene als die, die Feridun
Zaimoğlu in dem Erzählband Kanak Sprak (1995) zutage fördert, indem er Minderhei-
tenangehörige in ihrer Sprache zu Wort kommen lässt und ihre Aussagen ⫺ im Unter-
schied zu Franco Biondi, der den Ethnolekt als Literatursprache nutzt ⫺ ohne literari-
sche Verdichtung einfach stehen lässt.
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1575
beschränken sollten, sondern den in der Literatur geführten Diskurs über Migration,
Multiethnizität etc. nachvollziehen und damit auch den interkulturellen Gehalt des Tex-
tes in den Blick nehmen sollten. Damit ihre besondere Perspektive und Stellung inner-
halb der deutschen Literatur und Gesellschaft deutlich wird, ist es vor allem im Ausland
sinnvoll, einen Transfer auf das Land der Lernenden und deren Literatur anzuleiten und
das Thema Migration als weltweites Phänomen zu behandeln.
In der Inlandssituation des DaZ-Unterrichts bietet sich eine vierdimensionale Be-
trachtung an (vgl. Klettenhammer 1994): Auf außertextueller Ebene wird die Herkunfts-
kultur im Vergleich zur Aufnahmegesellschaft betrachtet. Die inhaltliche Ebene bezieht
sich auf Formen kultureller Repräsentation im Text, die zur Bewusstmachung eigener
und fremder kulturspezifischer Regeln und Umgangsformen herangezogen werden. Auf
thematischer Ebene werden Rollenklischees im Zusammenhang mit gesellschaftlichen
Veränderungen und Bedingungen hinterfragt und schließlich wird auf ästhetischer Ebene
die Form des Textes z. B. als Satire herausgearbeitet. Vor allem dieser letzte Punkt birgt
Ansätze einer Didaktik der Migrationsliteratur, die von der Spezifik ausgewählter Werke
ausgeht und diese für Unterrichtsprozesse nutzbar machen will ⫺ egal ob im DaF-, DaZ-
oder im gemeinsamen DaZ-DaM-Unterricht.
Grundlegend ist das Verständnis von Literatur und speziell von Migrationsliteratur
als Grenzgängerin der Kulturen, das Interkulturalität nicht nur auf der Ebene der Leser-
Text-Beziehung, der Rezeption, sondern als Dimension versteht, die bereits die Produk-
tion des Textes bestimmt. Ihr auf die Spur zu kommen ist Aufgabe der Literaturwissen-
schaft; sie für den Unterricht erfahrbar zu machen ist Aufgabe der Literaturdidaktik
(vgl. Wintersteiner 2010).
6. Literatur in Auswahl
Abraham, Ulf und Mathis Kepser
2006 Literaturdidaktik Deutsch: eine Einführung. Berlin: Schmidt.
Ackermann, Irmgard und Harald Weinrich
1986 Eine nicht nur deutsche Literatur. Zur Standortbestimmung der „Ausländerliteratur“. Mün-
chen: Piper.
Amirsedghi, Nasrin und Thomas Bleicher (Hg.)
1997 Literatur der Migration. Mainz: Kinzelbach.
Amodeo, Immacolata
1996 „Die Heimat heißt Babylon“. Zur Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik
Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Biondi, Franco
1991 Arbeitsthesen zur Literatur der Fremde. Die Brücke 7(5): 14.
Chiellino, Carmine (Hg.)
2000 Interkulturelle Literatur in Deutschland. Stuttgart: Metzler.
Klettenhammer, Sieglinde
1994 Brücke zwischen den Kulturen. Migrantenliteratur als Beitrag zur Friedenserziehung. ide
18(1): 64⫺77.
Paefgen, Elisabeth
1997 Textnahes Lesen. 6 Thesen aus didaktischer Sicht. In: Jürgen Belgrad und Karlheinz
Fingerhut (Hg.), Textnahes Lesen. Annäherungen an Literatur im Unterricht, 14⫺23. Balt-
mannsweiler: Schneider.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1577
Rösch, Heidi
1992 Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext. Frankfurt a. M.: Verlag für interkulturelle
Kommunikation.
Rösch, Heidi
2008 „deutsche Sprache gute sprache“ ⫺ Migrationsliteratur und ihre Didaktik. In: Sigrid
Thielking (Hg.), Lesevermögen ⫺ Lesen in allen Lebenslagen, 151⫺169. Frankfurt a. M.:
Lang.
Spinner, Kaspar H.
2006 Kreativer Deutschunterricht. Identität ⫺ Imagination ⫺ Kognition. 2. Aufl. Seelze: Kall-
meyer.
Wintersteiner, Werner
2006 Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung, Globalisierung. Klagenfurt/Celovec: Drava.
Wintersteiner, Werner
2010 Transkulturelle Literaturdidaktik. In: Heidi Rösch (Hg.), Literarische Bildung im kompe-
tenzorientierten Deutschunterricht, 33⫺48. Freiburg: Fillibach.
1. Einleitung
Seit den 1960er Jahren setzte sich der Begriff Kinder- und Jugendliteratur als Bezeichnung
für ein Teilsystem der Literatur durch, das viele verschiedene Texte und Buchgenres (Bil-
derbücher, Kinderlyrik, Adoleszenzromane etc.) umfasst, wobei Texte für Kinder bis
zum Alter von 12 Jahren zumeist als Kinderliteratur bezeichnet werden, während der
Begriff Jugendliteratur ältere Lesende als Zielgruppe fokussiert (für eine genauere Be-
griffsbestimmung vgl. Eder 2007: 286; Ewers 2000: 2⫺14).
DaZ-Unterricht und legten entsprechende Untersuchungen vor (vgl. etwa für DaF: Kast
1985, für DaZ: Belke und Lypp 1985). Kast entwirft in Jugendliteratur im kommunikati-
ven Deutschunterricht eine Vielzahl von Unterrichtsmodellen zu unterschiedlichen Texten
der damals aktuellen Kinder- und Jugendliteratur (z. B. zu Jugendromanen, Hörspielen,
Liedern, Gedichten und Comics). Die damit initiierte Beschäftigung mit der Thematik
wurde in den letzten Jahrzehnten zwar nur fragmentarisch, aber doch kontinuierlich
weitergeführt. Diverse Fachzeitschriften veröffentlichten eigene Hefte zur Kinderliteratur
im Fremdsprachenunterricht (vgl. Fremdsprache Deutsch 1994; ÖDaF-Mitteilungen
2000) und seit 1997 ist dem Thema regelmäßig im Rahmen der Internationalen Deutsch-
lehrertagung (IDT) eine eigene Sektion gewidmet. Mit ihrem Aufsatz Fremdsprachenler-
nen und Kinder- und Jugendliteratur legten O’Sullivan und Rösler (2002) zudem eine
kritische Bestandsaufnahme der didaktischen Publikationen zum Einsatz von Kinder-
und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht vor. Der deutliche Schwerpunkt der
Auseinandersetzung liegt bei der Erarbeitung und Darstellung konkreter Unterrichtsma-
terialien. So erschienen beispielsweise mehrere Didaktisierungen von kinder- und jugend-
literarischen Ganzschriften für den DaF- bzw. DaZ-Unterricht (für DaF etwa Ehlers
1993 und Jenkins et al. 1998, für DaF und DaZ: Villarmé 2001).
Im Rahmen des aktuellen theoretischen Fachdiskurses lenkt Rösch den Fokus auf
die spezifischen Möglichkeiten, die die Arbeit mit Kinder- und Jugendliteratur für das
interkulturelle Lernen im Unterrichtskontext bietet. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt
zwar im Bereich der allgemeinen Literaturdidaktik, sie berücksichtigt dabei aber immer
wieder auch die Lesesituation von Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erlernen (vgl.
Rösch 1997, 2000). Auch O’Sullivan und Rösler wollen in Kinder- und Jugendliteratur im
Fremdsprachenunterricht (erscheint voraussichtlich 2011) zeigen, wie kinder- und jugend-
literarische Texte den Spracherwerb und die Herausbildung interkultureller Sensibilität
fördern können.
Eder bringt in ihren Arbeiten aktuelle Erkenntnisse zur Literaturvermittlung in der
Fremd- bzw. Zweitsprache mit ausgewählten Aspekten der allgemeinen wissenschaftli-
chen Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendliteratur in Verbindung. Während sie
in Die Komplexität der Einfachheit ⫺ Kinder- und Jugendliteratur im Unterricht Deutsch
als Fremdsprache (2007) deutlich macht, inwiefern die spezifische Einfachheit kinderlite-
rarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht genützt werden kann, fokussiert sie in
Mehrsprachige Kinder- und Jugendliteratur für mehrsprachige Lernkontexte (2009) auf
den Unterricht des Deutschen als Zweitsprache. Sie zeigt, wie mehrsprachige Texte der
Kinder- und Jugendliteratur als Sprachlerntexte genützt werden können (vgl. Eder 2009:
37⫺63) und greift damit einen Themenbereich auf, der trotz der ansonsten äußerst diffe-
renzierten fachlichen Diskussion zum Thema Mehrsprachigkeit in der Fremd- und Zweit-
sprachenforschung bislang kaum wahrgenommen wurde.
Gleichzeitig mit der ersten theoretischen und literaturdidaktischen Auseinanderset-
zung mit Kinder- und Jugendliteratur im DaF-/DaZ-Unterricht begannen auch einzelne
Institute bereits in den 1980er Jahren, entsprechende Lehrschwerpunkte in die universi-
täre Ausbildung von Lehrenden zu integrieren. So initiierte etwa eine niederländische
Arbeitsgruppe, die sich aus Vertretern des Goethe-Instituts Amsterdam zusammensetzte,
die Integration eines Curriculum-Bausteins Jugendliteratur in den Studiengang Deutsch
als Fremdsprache (vgl. Kast 1985: 13). Heute gehören entsprechende Lehrveranstaltungen
bereits an einigen Universitäten (u. a. Dresden, Erlangen, Gießen, Hamburg, Jena, Trier,
Wien) zum Lehrangebot.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1579
nen Protagonisten ihm mit Ablehnung und Hass, die sich auch in ihrer kantigen Sprache
widerspiegeln und sie schließlich dazu bringen, den Ball „Rack-Zack-Ecktum“ zu ver-
nichten (Ulitzka und Gepp 1993: o. S.). Doch der kleine, eckige Junge, der den Ball
gefunden hat, ist nun neugierig geworden. Er folgt einem Luftballon und entdeckt ein
Kind, das ihm mit seinem runden Gesicht zulächelt. Gemeinsam fahren sie auf einem
Tretroller in eine Welt, die nicht nur aus Ecken besteht.
Luchtenberg (1999: 188⫺191) verweist auf die „doppelte Ebene interkultureller Kom-
munikation“, die sich ergibt, wenn im Rahmen interkultureller Lernkonzepte eine diffe-
renzierte interkulturelle Unterrichtskommunikation über die interkulturellen Kommuni-
kationssituationen in literarischen Texten in Gang kommt. Da aber auch die Interkultu-
relle Kinder- und Jugendliteratur selbst nicht selten diskriminierende Textelemente
enthält, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten bei der Auswahl und im
Unterricht unumgänglich. In ihrem Buch Bilderbücher zum interkulturellen Lernen (1997)
entwickelt Rösch (1997: 25⫺26) hierfür eine Kriterienliste:
Ein entsprechend differenzierter und kritischer Diskurs über Interkulturelle Kinder- und
Jugendliteratur fördert die interkulturelle Wahrnehmungsfähigkeit und das interkultu-
relle Verständnis nachhaltig.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1581
5. Ausblick
Aufgrund ihrer spezifischen Einfachheit eignen sich zahlreiche Texte der Kinder- und
Jugendliteratur hervorragend für den Einsatz im DaF- und DaZ-Unterricht. Wenn die
jeweiligen Texte sorgfältig und dem Lernkontext entsprechend ausgewählt werden, kann
Kinder- und Jugendliteratur sowohl beim Sprachenlernen mit Kindern als auch im Un-
terricht mit erwachsenen Lernenden sinnvoll eingesetzt werden (vgl. Eder 2007: 293⫺
295). So ist etwa die Didaktisierung zu Hackls Erzählung Abschied von Sidonie (Jenkins
et al. 1998) nicht nur im Hinblick auf fortgeschrittene jugendliche Lernende, sondern
durchaus auch für die Arbeit mit Erwachsenen konzipiert. Mit Hilfe konkreter Arbeits-
aufträge trainieren die Lernenden hier wichtige Techniken für das Lesen und Verstehen
fremdsprachiger Literatur, wie etwa das Bilden von Hypothesen über den weiteren Ver-
lauf der Handlung oder das Erschließen einzelner Wörter und Sinneinheiten aus dem
Kontext. Im Laufe der Lektüre erfahren sie viel über das Leben im Nationalsozialismus.
Zugleich werden die Lernenden anhand der Erzählung über das tragische Schicksal des
Roma-Mädchens Sidonie dazu motiviert, sich mit Vorurteilen gegenüber Minderheiten
und deren Folgen in Vergangenheit und Gegenwart sowie mit verschiedenen möglichen
Verhaltensweisen von Menschen in Extremsituationen auseinanderzusetzen. Leider gibt
es bislang kaum derartige Unterrichtsmaterialien, die Kinder- und Jugendliteratur für
erwachsene Lernende aufarbeiten.
Das Potenzial kinderliterarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht spricht ei-
nerseits für die Etablierung des Themas im aktuellen Fachdiskurs und andererseits für
eine breite Einführung entsprechender literaturdidaktischer Lehrveranstaltungen in der
Ausbildung von DaF- und DaZ-Lehrkräften und KindergartenpädagogInnen, die diese
zu einer zielgruppenorientierten Auswahl und Verwendung von Kinder- und Jugendlite-
ratur befähigen und sie mit geeigneten Unterrichtsmaterialien vertraut machen.
6. Literatur in Auswahl
Fremdsprache Deutsch
1994 Themenheft: Literatur im Anfängerunterricht. Fremdsprache Deutsch 11.
Jenkins, Eva-Maria, Margit Doubek, Susanna Gratzl-Ploteny, Silvia Rief und Stefanie Villarmé
1998 Erich Hackl: Abschied von Sidonie. Erzählung. Didaktische Bearbeitung für den Unterricht
Deutsch als Fremdsprache mit fortgeschrittenen Jugendlichen und Erwachsenen. Text und
Arbeitsaufträge für die Lernenden ⫹ Informationen für Lehrerinnen und Lehrer. Wien:
eviva.
Kast, Bernd
1985 Jugendliteratur im kommunikativen Deutschunterricht. (Fremdsprachenunterricht in Theo-
rie und Praxis.) Berlin et al.: Langenscheidt.
Luchtenberg, Sigrid
1999 Interkulturelle kommunikative Kompetenz. Kommunikationsfelder in Schule und Gesell-
schaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Lypp, Maria
1984 Einfachheit als Kategorie der Kinderliteratur. (Jugendliteratur und Medien 9.) Frankfurt
a. M.: Lang.
Lypp, Maria
1994/1995 Zum Begriff des Einfachen in der Kinderliteratur. Ein Diskussionsbeitrag. Kinder-
und Jugendliteraturforschung 1: 43⫺45.
Lypp, Maria
2000 Vom Kasper zum König. Studien zur Kinderliteratur. (Kinder- und Jugendkultur, -literatur
und -medien 8.) Frankfurt a. M.: Lang.
O’Sullivan, Emer und Dietmar Rösler
2002 Fremdsprachenlernen und Kinder- und Jugendliteratur. Eine kritische Bestandsauf-
nahme. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 13(1): 63⫺111.
ÖDaF
2000 Themenheft: Kinder- und Jugendliteratur. ÖDaF-Mitteilungen 2.
Rösch, Heidi
1997 Bilderbücher zum interkulturellen Lernen. Baltmannsweiler: Schneider.
Rösch, Heidi
2000 Entschlüsselungsversuche. Kinder- und Jugendliteratur und ihre Didaktik im globalen Dis-
kurs. Baltmannsweiler: Schneider.
Rösler, Dietmar und Emer O’Sullivan
erscheint Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht. (Standardwissen Lehramt
2993). Stuttgart: UTB. (erscheint voraussichtlich 2011).
Ulitzka, Irene und Gerhard Gepp (Ill.)
1993 Das Land der Ecken. Wien: Picus.
Villarmé, Stefanie
2001 Renate Welsh: Das Vamperl. Didaktische Bearbeitung für den Unterricht Deutsch als
Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache. Primarstufe. Sekundarstufe I. Arbeitsblätter und
Hinweise für den Unterricht. Wien: eviva.
1. Einleitung
Schreiben ist im Bereich der Fremd- und Zweitsprachendidaktik (L2) lange Zeit stiefmüt-
terlich behandelt worden. Oft als eine Art verkappter Rechtschreib- und Grammatikun-
terricht mehr gehasst als geliebt, hat die sogenannte vierte Fertigkeit sich aber seit den
1990er Jahren zu einer anerkannten Disziplin gemausert (Krumm 1989, vgl. auch Artikel
110). Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die kognitive, kommunikative und
kreative Prozessdidaktik und die Unterrichts- und Sozialform der Schreibwerkstatt, die
sich als mehr oder weniger feste Bestandteile des Muttersprachenunterrichts eingebürgert
haben. Sie sind spätestens seit der Rezeption der L2-Produktionsmodelle von Börner
(1992) und Krings (1994) und den didaktischen Initiativen von Mummert (1989) und
Pommerin, Kupfer-Schreiner und Lamprecht (1996) auch im DaF-Unterricht und seit
dem Projekt von Stippinger (1996) auch im DaZ-Bereich angekommen.
Texte als komplexe Zeichen haben gemäß Bühlers (1978 [1934]) semiotischem Orga-
nonmodell neben der Darstellungs- und Appellfunktion eine Ausdrucksfunktion, ver-
standen als Symptom für den Sprecher/Schreiber, der u. a. Gefühle oder Meinungen
kundtut. Eine Funktion, die Jakobson (1960) in seinem Kommunikationsmodell als emo-
tive Funktion neben die referentielle, poetische, konative und phatische Funktion stellt.
Diese Ausdrucks- oder emotive Funktion steht im Mittelpunkt jener Varianten der Pro-
zessdidaktik und Schreibwerkstatt, die das freie und literarische Schreiben propagieren,
während kommunikativ-funktionales Schreiben die Darstellungs- und Appellfunktion im
Rahmen einer stärker pragmatischen, Textsorten-orientierten und sozial-interaktiven
Schreibdidaktik hervorhebt.
2. Kreatives Schreiben
Pope (2005), einer der führenden Erforscher der Geschichte, Theorie und Praxis des
Konzeptes Kreativität, liefert eine respektable Arbeitsdefinition, die auch für den Bereich
des L2-Lernens äußerst relevant ist. Für ihn ist Kreativität „(…) die Fähigkeit, etwas
Frisches zu machen, zu tun oder zu werden; etwas, das wertvoll für andere oder für uns
selbst ist [wobei es mehr als nur ein ,Selbst‘ per Person gibt]“ (Pope 2005: XVI). Pope
1584 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
wählt bewusst den Ausdruck „etwas Frisches“, um klarzustellen, dass es um mehr als
nur „etwas Neues“ geht, und weist mit den Verben „machen“, „tun“, „werden“ darauf
hin, dass Kreativität mittels eines Objekts (gemacht), einer Handlung (getan) oder eines
andauernden Prozesses (geworden) realisiert werden kann.
Kreatives Schreiben umfasst das freie Schreiben als Mittel der Selbsterfahrung und
Selbstdarstellung und das personale Schreiben, mit dem SchreiberInnen Individuelles,
Emotionales und zutiefst Eigenes erforschen und preisgeben. Kreativität ist aber auch
generell mit im Spiel, wenn LernerInnen eigene Texte ohne Vorlagen (aber nicht notwen-
digerweise ohne Schreibanstöße und Formvorgaben) verfassen und damit etwas „Fri-
sches“ hervorbringen, das wertvoll für sie selbst und andere ist.
Kreatives, im Sinne von „natürlichem Schreiben“ soll laut Rico (1983) beide Hirnhälf-
ten, besonders die oft vernachlässigte rechte Hirnhälfte zum Einsatz bringen. Rico baut
auf Erkenntnissen der Hirnforschung auf, die bis zum Ende der 1990er Jahre vom Hemi-
sphärenmodell (vgl. Rico 1983: 67) geprägt waren. In dem Modell werden den Hirnhälf-
ten unterschiedliche Funktionen zugeordnet: Die rechte Hälfte steht für ganzheitliches,
emotionales „Designdenken“ (bildliches Denken und Analogien), die linke für rationales
„Zeichendenken“ (lineares, begriffliches und logisches Denken). Obwohl die neuere
Hirnforschung gezeigt hat, dass dieses Modell stark revidiert werden muss, hat es großen
Einfluss auf die kreative Schreibbewegung gehabt, die wiederum nicht ohne Einfluss auf
die L1- und später die L2-Schreibdidaktik blieb. Unter der Aufnahme reformpädagogi-
scher Ansätze werden auch im Bereich der L2-Deutschdidaktik vor allem subjektorien-
tierte Texte (durchaus auch mit literarischen Ansprüchen an „Nachwuchspoeten“, vgl.
Mummert 1989) mit dem Ziel der eigenen Identitätssuche und -findung propagiert ⫺ frei
nach dem Motto „Lass Deinen inneren Schreiber los!“ (Rico 1983: 15).
Beim kreativen Schreiben soll mit Mitteln der freien Assoziation und der Ideenver-
knüpfung (Mind Mapping und Clustering), der Phantasiereise, aber auch des Schreibens
nach literarischen Modellen (von 1,2,3,4,1-Gedichten über Haikus zu Kurzgeschichten
oder Theaterstücken) „lustbetontes Schreiben“ (Schreiter 2002: 15) ermöglicht werden,
so dass der Spaß am Erlernen einer L2 nicht bei der Fertigkeit Schreiben verloren geht.
2.2. Kritik
Die didaktischen Ansprüche an das kreative Schreiben, wie es vor allem im anglo-ameri-
kanischen Raum in Werkstätten im schulischen und universitären Lern-/Lehrkontext
praktiziert wird, sind nicht ohne Kritik geblieben. So kritisiert Wandor (2008) in scharfen
Worten die Werkstattpraxis dafür, dass sie als kreatives Schreiben von zwei widersprüch-
lichen, unvereinbaren ideologischen Konzepten geprägt sei. Dies führe zu einer wider-
sprüchlichen Mischung von Extrempositionen: dem Double-bind von romantischer Muse
und professionellem Schreiber auf der einen Seite und der Überbetonung des psychothe-
rapeutischen Prozesses als Selbstsuche und -darstellung auf der anderen. Die Double-
bind-Situation erwecke bei den LernerInnen darüber hinaus den Eindruck, dass der Kern
des kreativen Schreibens eigentlich nicht gelehrt werden kann, aber gleichzeitig, dass sie
mit dem Ziel trainiert werden, professionelle SchreiberInnen zu werden (vgl. Wandor
2008: 218⫺219). Wahres kreatives Schreiben, für Wandor eine Form imaginativen Den-
kens (Wandor 2008: 7), müsse die komplexen Beziehungen zwischen den unterschiedli-
chen Quellen und Mitteln des imaginativen Denkens einerseits und dem Streben nach
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt 1585
Wissen und Quellen in der Welt „out there“ andererseits berücksichtigen ⫺ einschließlich
stilistischer und Textsortenkonventionen. Im L2-Unterricht, wo nicht professionelle
SchreiberInnen oder LiteratInnen das exklusive Ziel der Lehr-/Lernprozesse sind oder
nicht nur das Ich der SchreiberInnen im Vordergrund steht, sondern es vor allem um die
Produktion schriftlicher Texte in einer anderen Sprache geht, lassen sich die Ziele Wan-
dors wahren kreativen Schreibens durchaus erreichen ⫺ sowohl beim kreativen als auch
beim kommunikativen Schreiben.
3. Schreibwerkstätten
Für das Gelingen von (L2-)Schreibwerkstätten müssen eine Reihe von Voraussetzungen
erfüllt sein (vgl. Swarbrik 1994):
⫺ eine Atmosphäre, die zum gemeinsamen Austausch von Ideen ebenso ermuntert wie
zu Unabhängigkeit und gegenseitigem Respekt für kreative Ideen,
⫺ die Fähigkeit, in Arbeitsteilung und in Zusammenarbeit zu schreiben,
⫺ LehrerInnen, die nicht so sehr als RichterInnen, sondern mehr als BeraterInnen gese-
hen werden,
⫺ Bedarf und Grund für das Schreiben.
Das Hauptziel ist es, den Lernenden eine Stimme zu verleihen. Dabei stehen Textsorten-
konventionen und ihre Erforschung sowie feste Vorgaben für die Form der Texte nicht
im Widerspruch zur Kreativität. Ganz im Gegenteil: Sie machen diese oft erst möglich.
Wie selbst bei einfachen formellen Vorgaben Kreativität zum Ausdruck kommen kann,
zeigt folgendes 1,2,3,4,1-Gedicht einer dänischen Deutschstudentin. Die Studentin folgt
hier zunächst dem vorgegebenen Muster (1. Zeile: 1 Wort, 2. Zeile: 2 Wörter etc.;. letzte
Zeile: das gleiche Wort wie in der 1. Zeile), um eine Stimmung poetisch auszudrücken.
Sie spielt aber auch kreativ mit dem Muster durch die Erweiterung der Anzahl der Zeilen
und mit Hilfe von Zeilensprüngen sowie (ironischen?) literaturgeschichtlichen Anspielun-
gen.
1586 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Herbst
und Regen
Schönheit und Wehmut
Freude und Nieseln, Freude
und Tod, Freude und Leid;
Und Königreiche entstehen und Königreiche fallen
Ein Schritt auf dem Weg des Lebens
Und du bist konkret und du bist Poesie
Herbst
3.2. Prozessdidaktik
Wichtiger Baustein der Methodik der Schreibwerkstätten ist die Prozessdidaktik. Auf-
bauend auf kognitiven Problemlösungsmodellen liegt das Hauptgewicht dieser Didaktik
nicht auf dem Endprodukt, sondern auf dem Prozess der Textproduktion mit den Haupt-
komponenten Ideengenerierung, Planung, Umsetzung und Bearbeitung. Obwohl diese
Komponenten in den Modellen der SchreibforscherInnen nicht linear angeordnet sind,
werden sie in der Praxis oft weniger als rekursive Prozesse als aufeinander folgende
Phasen (miss-)verstanden. Es finden sich aber auch Werkstattmodelle, die die Rekursivi-
tät der Prozesse ernst nehmen und darüber hinaus für unterschiedliche Schreibertypen
oder -profile offen sind. In ihnen üben die SchreiberInnen Teilprozesse und Teilfertigkei-
ten einzeln und/oder integrieren sie in einem komplexen Projektverlauf (Pogner 1994).
In komplexen Unterrichtsprojekten mit arbeitsteiliger oder gemeinsamer Textproduktion
erhalten die SchreiberInnen die Möglichkeit, in didaktischen Schleifen und Reflexions-
phasen eigenen Sprachgebrauch und eigene Schreibprozesse zu beobachten ⫺ und zu
verbessern (Pogner 1991).
Die meisten schreibdidaktischen Werkstattmodelle gehen von dem Grundgedanken
aus, dass Probleme von LernerInnen beim Produzieren von Texten in einer fremden oder
sogenannten zweiten Sprache in erster Linie Schreibprobleme sind. Doch auch Probleme
mit der Sprache (Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik) werden in den Werk-
stätten aufgegriffen, wenn beim Feedback und in Revisions- oder Umschreibprozessen
neben Adäquatheit der Sprache auch Korrektheit thematisiert und eingeübt wird. Vor
allem Krings (1994) und Börner (1992) betonen im Übrigen die fremdsprachlichen Kom-
ponenten des L2-Schreibprozesses. Krings (1994) moduliert die L2-Komponente als eine
kognitive Schleife, bestehend aus Identifikation des L2-Prozesses, Aktivierung von L2-
Strategien, Bewerten der Problemlösung und der Entscheidung über die Lösung in L2.
Börner (1992) beschreibt die Selbststeuerung der SchreiberInnen anhand einer Anzahl
von Schreibmaximen und Schreibstrategien. Zu ihnen zählen
⫺ Linearitätsmaximen (z. B. „Überprüfe den laufenden/letzten/vorletzten Satz“ oder
„Revidiere zum Schluss“),
⫺ Textplanungsmaximen (z. B. „Berücksichtige deine Leser“ oder „Sei kohärent“),
⫺ Ausdrucksmaximen (z. B. „Suche den bestpassenden Ausdruck für das, was du
meinst“) ,
⫺ sprachbezogene Maximen (z. B. „Misstraue ,falschen Freunden‘“; „Schreib gramma-
tisch korrekt“; „Vermeide Wiederholungen“),
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt 1587
4. Kommunikativ-unktionale Textproduktion
Seit der sogenannten pragmatischen Wende werden Texte vor allem als eine komplexe
sprachliche Handlung gesehen, mit der SchreiberInnen versuchen, eine kommunikative
Beziehung zu ihren RezipientInnen (LeserInnen) aufzubauen (Brinker 1988: 6). Schrei-
berInnen wenden sich an (potentielle) LeserInnen, weil sie bestimmte Intentionen verfol-
gen; sie schreiben, um etwas zu erreichen. Gute Texte sind geprägt vom Ausbalancieren
der reziproken Bedürfnisse der SchreiberInnen, etwas mitzuteilen, und der LeserInnen,
das Geschriebene zu verstehen, um etwas zu erfahren. Dieser dialogistische und sozial-
interaktive Ansatz, zusammengefasst in dem Satz „Schreiben begleitet nicht nur Handeln
(…), sondern ist selbst eine Form des Handelns“ (Pogner 1999: XII), betont die kommu-
nikative Funktion von Texten und die Wichtigkeit der Anpassung an die LeserInnen. Im
Vordergrund stehen deshalb die Intentionen der SchreiberInnen und die Adäquatheit des
kommunikativen Angebots, das der Text den LeserInnen macht. Auch beim kommunika-
tiven Schreiben müssen SchreiberInnen kreativ sein, d. h. Frisches jenseits von Repro-
duktion und Routine hervorbringen, und von ihnen bisher nicht hervorgebrachte sprach-
liche Lösungen produzieren, um ihre Ziele zu erreichen.
Man bekommt keine sprachlich bewussten SchreiberInnen ohne echte LeserInnen,
und es gibt keine leserfreundlichen Texte ohne interessierte LeserInnen. Deshalb sollten
kommunikative L2-Werkstätten im Sinne des entdeckenden Lernens so eingerichtet sein,
dass die LernerInnen für reale LeserInnen (inner- und außerhalb des Unterrichtsraumes)
und in Respons zu realen Schreibanlässen schreiben. Die LeserInnen sollten darüber
hinaus Teile des Feedbacks für die oben genannten didaktischen Schleifen und Reflexi-
onsphasen in individuellen und/oder kollektiven Textproduktionsprozessen der Ler-
nerInnen liefern. Die sogenannten neuen Medien und elektronischen Schreibumgebun-
gen (E-Mail, Wikis, Social Software) ermöglichen virtuelle Schreibwerkstätten, bei denen
die TeilnehmerInnen nicht unbedingt am gleichen Ort (zur gleichen Zeit) sein müssen,
um an kooperativer oder kollaborativer Textproduktion teilzunehmen (vgl. Platten 2008;
Würffel 2008).
5. Zusammenassung
Schreibwerkstätten ⫺ egal ob sie mit expressiver oder kommunikativ-funktioneller Text-
produktion arbeiten ⫺ verlangen von den SchreiberInnen Kreativität, d. h. die Sprache
in einer weniger gelenkten Art zu benutzen als in einer Lückentext-, Drill- oder anderen
1588 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Lehrbuchübung. Sie motivieren dazu, „(…) mit der Sprache zu experimentieren, um eine
Idee auszudrücken oder die gleichen Ausdrücke in verschiedenen Kontexten zu verwen-
den“ (Swarbrik 1994: 143). Darüber hinaus stellen sie einen Lehrraum dar, in dem
sprachliches Bewusstsein, Können und Wissen mit der Reflexion über und Verbesserung
von Schreibprozessen kombiniert werden können. Sprachliches Können schließt dabei
auch das Kennen und Beherrschen von Textsortenkonventionen ein, das bei fortgeschrit-
ten LernerInnen und fortgeschrittenem Spracherwerb mit dem Bewusstsein von Konven-
tionen und Erwartungen von bestimmten Diskursgemeinschaften (Pogner 2007) ergänzt
werden kann.
6. Literatur in Auswahl
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1. Einleitung
In englischsprachigen Ländern wird zunehmend der Fach- und Sammelbegriff Applied
Drama bzw. auch synonym dazu Applied Theatre (Taylor 2003; Nicholson 2005) verwen-
det, um ein eigenständiges Forschungs- und Praxisfeld zu bezeichnen. Er bezieht sich
1590 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
auf Bereiche, in denen die dramatische Kunst bzw. Theaterkunst nicht rein ästhetischer
Selbstzweck ist, sondern Bezugspunkt und Inspirationsquelle für performative Aktivitä-
ten, mit denen in diversen Anwendungsbereichen, z. B. in der politischen Bildung oder
in (sozial-)pädagogischen Feldern, ganz bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Im kon-
kreten Anwendungsbereich des fremd- und zweitsprachlichen Unterrichts geht es dabei
um sprach-, literatur- und kulturbezogene Ziele.
Im Bildungssystem Großbritanniens ist die Dramapädagogik (Drama in Education)
als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin fest verankert (zu disziplintypischen For-
schungskonzepten vgl. Ackroyd 2006). Ebenso ist Drama als eigenständiges Schulfach
seit etlichen Jahrzehnten etabliert, und eine Fachdebatte um Drama als Unterrichtsme-
thode wird dort schon seit langem geführt (vgl. Bolton 1979, 1984). Von dieser Debatte
ist die deutsche Fremd- und Zweitsprachendidaktik seit den 1990er Jahren beeinflusst
worden.
Der Begriff dramapädagogisch, in der Fachdiskussion erstmalig in der Zeitschrift Info
DaF (1988/4) verwendet, ist nach wie vor üblich zur Kennzeichnung eines DaF-/DaZ-
Unterrichts, in dem Mittel des Theaters eingesetzt werden, um allgemeinpädagogische
und bestimmte fachbezogene Ziele zu erreichen (vgl. z. B. den thematischen Schwerpunkt
„Dramapädagogik und fremdsprachlicher Deutschunterricht“ in Ausgabe 2004/1 der In-
ternet-Zeitschrift German as a Foreign Language (www.gfl-journal.com)). Seitdem aller-
dings immer mehr Bundesländer die Einführung des Schulfaches Darstellendes Spiel vo-
ran treiben, an den Hochschulen entsprechende Lehreraus- und -fortbildungsprogramme
etabliert werden und eine in ihrer Fachidentität gestärkte deutsche Theaterpädagogik
sich zunehmend für diverse Anwendungsfelder, einschließlich Fremd- und Zweitspra-
chenunterricht, öffnet, wird gelegentlich auch der Begriff „theaterpädagogisch“ in eng
verwandtem Sinne verwendet (verwiesen sei hier auf das Fachorgan Zeitschrift für Thea-
terpädagogik ⫺ Korrespondenzen; http://www.theaterpaedagogik.org).
3. Extracurriculare Inszenierungsormen
An vielen Schulen und Hochschulen ist es gängige Praxis, dass SchülerInnen und Studie-
rende sich außerhalb des regulären Unterrichtsprogramms freiwillig an einem Projekt
beteiligen, das sie in autonomer Regie oder unter Anleitung von Lehrpersonen und/oder
professionellen Theatermachern durchführen mit dem Ziel, vor einem kleinen, internen
oder auch breiteren öffentlichen Publikum ein Theaterstück aufzuführen. Diese ⫺ an
auslandsgermanistischen Abteilungen oft von LektorInnen geleitete ⫺ produktorientierte
Arbeit ist in der Regel sehr zeitaufwändig, kann sich über mehrere Wochen und Monate
erstrecken und erfordert daher hohe Motivation und großen Arbeitseinsatz auf Seiten
1592 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
der Beteiligten. In der Regel wird ein kanonisches deutsches Drama inszeniert. Erste
Versuche, allgemeine Kriterien für die Auswahl geeigneter Stücke zu bestimmen, finden
sich in dem vom DAAD (o.J.) Anfang der 1980er Jahre herausgegebenen Theaterhand-
buch. Es wäre an der Zeit, auf dieser Grundlage eine neue Kriterienliste zu erstellen, die
der gegenwärtigen Vielfalt gerecht wird. Denn inzwischen dienen vielerorts lyrische und/
oder epische Texte deutschsprachiger Autoren, aber durchaus auch von den Projektbetei-
ligten selbst verfasste Texte als Inszenierungsgrundlage. In enger Orientierung an der
Praxis des professionellen Gegenwartstheaters wird mit frischen Inszenierungsformen ex-
perimentiert. So erarbeitet zum Beispiel Zimmermann (2007) mit kanadischen Germanis-
tik-Studierenden eine literatur-, kultur- und musikwissenschaftlich sorgfältig recher-
chierte szenische Collage, die eine besondere Energie durch die bewusste Nutzung der
produktiven Spannung zwischen den Kunstformen Theater und Oper bezieht. In einem
von Fischäss (2008) geleiteten Projekt bilden Texte, die von den Studierenden selbst ver-
fasst wurden, das Grundmaterial für die Erarbeitung von Szenen, die sich in eine vorge-
gebene Handlungsstruktur einfügen. Die Konzeption des Stückes verfolgt das Ziel, neben
der Erweiterung theoretischer Kenntnisse in der Fremdsprache auch Lernfortschritte der
Kursteilnehmer im Sprachhandeln und in der szenischen Interpretation literarischer
Texte zu erzielen.
Dass die Beteiligten im Laufe der Probenarbeit und Aufführungen nebst nachhaltig
wirksamen Lernerfahrungen in Bezug auf Sprache, Literatur und Kultur auch für die
persönliche Entwicklung bedeutsame Selbsterfahrungen machen, ist bereits oft doku-
mentiert worden (z. B. Bourke 1993). Matthias (2008), die für den Zeitraum 1992⫺2006
auswertet, welchen Stellenwert Formen aufführungsbezogener Theaterarbeit an den
deutschen Abteilungen in den USA und Kanada hatten, hält es für angemessen, solche
Projekte aufgrund ihres enormen Potentials aus dem extracurricularen Schatten heraus
zu holen und stärker in das Curriculum einzubinden.
4. Intracurriculare Inszenierungsormen
Literaturvermittlung ist in vielen DaF-/DaZ-Kontexten integraler Teil des regulären Un-
terrichts bzw. Studienprogramms. Je nach Kontext gibt es dafür entsprechende Begrün-
dungen, ebenso für die Wahl bestimmter Arbeitsformen (vgl. z. B. Tütgen 2006). Ähnlich
wie im muttersprachlichen Deutschunterricht (vgl. z. B. Scheller 2004) lässt sich beobach-
ten, dass handlungs- und produktionsorientierte Arbeitsformen auch im fremdsprachli-
chen Unterricht nunmehr weit verbreitet sind. Ausgehend von der These, dass heutige
Studierende, deren Sozialisation stark von den neuen (Internet-)Medien geprägt wurde,
anders wahrnehmen als frühere Generationen, plädiert z. B. Schewe (2003) für hand-
lungsorientierte Formen des Umgangs mit Literatur, die sich eng an Formen ästhetischer
Praxis orientieren (in diesem Kontext sei speziell auf das Konzept von Huber 2003 ver-
wiesen). Inspirationsquelle ist dabei insbesondere die Theaterkunst, durchaus aber im
Zusammenspiel mit anderen ästhetischen Feldern (Musik, Bildende Kunst, Tanz).
So wird zum Beispiel in Schewe und Wilms’ (1995) dramapädagogischer Bearbeitung
von Alfred Anderschs Roman Sansibar oder der letzte Grund Ernst Barlachs Skulptur
„Der Lesende Klosterschüler“, der als Bindeglied der spannenden Romanhandlung fun-
giert, zu einem Ausgangs- und Bezugspunkt im Unterricht, in dessen Verlauf Schüler
bzw. Studierende z. B. Romanfiguren in Farbe und Form übersetzen und zueinander
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1593
5. Literatur in Auswahl
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1. Begrisbestimmung
Die Begriffe Kunst und Musik erweisen sich einerseits als sehr komplex, andererseits als
ungenau. Im allgemeinen wird Kunst als Sammelbegriff für bildende (Malerei, Graphik,
Collage, Photographie, Plastik, Objektkunst), bauende (Architektur) und angewandte
(Kunsthandwerk, Design) Künste gebraucht, weiter gefasste Definitionen schließen dar-
stellende Künste (Theater, Tanz, Film), Kombinationen aus den genannten Bereichen
(Aktionskunst) und Musik ein. Die Grenzen zur Literatur sind durchlässig. Im Kontext
des Fremdsprachenunterrichts wird Kunst aus Gründen der Reproduzier- und Handhab-
barkeit meist auf „Bildkunst“ und letztlich auf Bilder reduziert. Damit sind im Unter-
schied zu logischen und analogen Bildern in der Regel Abbildungen, konkret die Bildsor-
ten Photographie, Zeichnung, Gemälde und Collage, gemeint und zwar unabhängig vom
Bildträger (Original vs. Reproduktion: Kopie, website, Diapositiv, Folie, Prospekt, Ka-
lender, Ansichtskarte, Plakat, Briefmarke, Buch usw.), von Form, Entstehungszeit, Au-
tor, Inhalt oder künstlerischem Gehalt. Mit Musik werden gestaltete akustische Impulse
bezeichnet, der Begriff umfasst Instrumental- wie Vokalmusik unterschiedlicher Funk-
tion sowie Klänge und Rhythmen. Die Grenzen zu den darstellenden Künsten (Bühnen-
musik, Tanzmusik, Filmmusik) sowie zur Literatur (Vokalmusik) sind durchlässig. Im
Fremdsprachenunterricht werden unter Musik im Allgemeinen Lieder im weitesten Sinne
sowie kurze Instrumental- oder Rhythmussequenzen verstanden. Neben „Bild-, Musik-
und Geräuschmedien“ werden auch „Verbundmedien“ (Bilder bzw. Töne/Klänge mit
Textpassagen, illustrierte bzw. vertonte Texte) unterschieden, letztere enthalten einen
deutlichen Sprachzusatz (z. B. Textillustration, beschriftete Karikatur, Comic, Sprechge-
sang, Film usw.). Das Kunstkriterium wird bei beiden Medien großzügig gehandhabt,
nach allgemeinem Konsens gelten Authentizität, Gestaltetheit, Bedeutungstiefe (Bedeu-
tungsvielfalt) und Mehrdeutigkeit (subjektive Deutbarkeit, Offenheit, Problemhaftigkeit)
neben einer gewissen Repräsentativität als entscheidende Merkmale, ebenso ein Mehr-
wert gegenüber der Realität, der Fragen und Reflexion initiieren kann (Hellwig 2000).
In der Praxis werden die in fremdsprachendidaktischen Materialien enthaltenen (gestalte-
ten) Photographien, Karikaturen und Bildgeschichten mit unter Kunst subsumiert.
tung von Bildern und Tönen ablaufenden Prozesse zu systematisieren und daraus ein-
zelne Verwendungsfunktionen abzuleiten. Nach dem in der Fremdsprachendidaktik am
häufigsten zitierten Modell des Bildverstehens (Weidenmann 1994) werden in einer Vor-
phase kontextabhängige Konzepte und Schemata aktiviert, die durch Instruktionen und
Erwartungshaltungen moduliert werden können. Der dann einsetzende Wahrnehmungs-
prozess ist durch automatische Normalisierungsversuche der Bildbotschaft geprägt (Initi-
alphase, präattentative Phase). Ist der Normalisierungsbedarf gedeckt, nimmt die Auf-
merksamkeit rapide ab. Nur die Zufuhr neuer Informationen kann den Kontakt mit
einem Bild weiter rechtfertigen. Die Wahrnehmung erfolgt bis dahin weitgehend unbe-
wusst und sprachunabhängig, ihr Ziel ist „natürliches Bildverstehen“, eine Gesamtwahr-
nehmung, die sich auf verinnerlichte Wissensstrukturen stützt („ökologischer“ Verste-
hensmodus „erster Ordnung“). Auf einer höheren Stufe wird die Wahrnehmung durch
Interessen, Vorwissen, Sehaufgaben und hervorgehobene Details gesteuert, es kommt
zu einem fakultativen „indikatorischen“ Bildverstehen „zweiter Ordnung“ (attentative,
elaborative Phase). Die Wahrnehmung wird systematischer und entwickelt sich entlang
der Bedeutung des Dargestellten und seiner Anordnung, der mentale Verarbeitungsauf-
wand wächst, es wird zusätzliches Wissen aktiviert. Diese Verstehensstufe ist erlernbar.
Sie impliziert ein Hinausgehen über inhaltliche und eine Einbeziehung formaler Gestal-
tungsmerkmale (ikonischer Code). Verbalisierung gilt auf dieser Stufe als eine der wich-
tigsten Bildverarbeitungsstrategien. Sie kann unterschiedliche Formen annehmen und ist
aufgabenabhängig (z. B. Benennen, Beschreiben, Interpretieren). Ein sprachlicher Kon-
text (z. B. Titel, Aufgabenstellung, Begleittext) kann die Bildwahrnehmung entscheidend
steuern. Eine Ergänzung hierzu bildet das Modell interkulturellen Bildverstehens (Sturm
1990). Semantisches Verstehen läuft über eine rasche Normalisierung und oberflächliche
Interpretation der als bekannt wahrgenommenen Objekte und ihrer Merkmale ab. Die
Erkenntnis (und Reflexion) eines Widerspruches zwischen „Augenschein“ und verschlos-
senem Sinn kennzeichnet das hermetische Bildverstehen. Entsprechende Zusatzinforma-
tionen bzw. Instruktionen können in hermeneutisches Bildverstehen überleiten, das
durch weiterführende Such- und Frageaktivitäten gekennzeichnet ist. Als entscheidende
Funktionen und Leistungen von Bildern verdienen Visualisierung, Informationsüber-
mittlung, Hilfe zur Organisation und Intensivierung von Lernprozessen und enrichment
(Einstimmung, Motivation, Belohnung, Dekoration) im Kontext der Fremdsprachendi-
daktik als besonders relevant hervorgehoben zu werden. Für die Phase des sprachgebun-
denen (indikatorischen/attentativen/elaborativen) Bildverstehens kann in Aktivierungs-
funktion, Konstruktions- und Instruktionsfunktion sowie Anwendungs- und Kontroll-
funktion differenziert werden (z. B. Biechele 1998; Doelker 1998). Seit Beginn der 1990er
Jahre wird im Rahmen der (für die anglistische Fachdidaktik entwickelten) prozessorien-
tierten Mediendidaktik die Hauptleistung künstlerischer Medien in der Initiierung
sprachproduzierender Prozesse gesehen, gekoppelt an einen auf der Grundlage neuher-
meneutischer Erkenntnisse entwickelten Bildungsbegriff (z. B. Gienow und Hellwig 1993;
Blell und Hellwig 1996; Küster 2003). Die Rolle von Kunst (und Musik) wird dabei vor
allem als Auslöser von in einzelne Prozesse aufgefächerten, persönlich bedeutungsvollen
fremdsprachlichen Schreibvorgängen gesehen, die relevante Bildungsanlässe in den
Fremdsprachenunterricht hineintragen können, im Mittelpunkt stehen damit sprachevo-
zierende, orientierende sowie persönlichkeitsbildende Funktionen. Daneben spielte im-
mer schon die Entdeckung der deutschsprachigen Kultur(en) eine Rolle (z. B. Charpen-
tier, Cros, Dupont und Marcou 1995).
1598 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Die Wahrnehmung von Musik ist vor allem durch die Temporärität des akustischen
Reizes determiniert. Grundlegende Merkmale des Wahrnehmungsverhaltens gelten auch
hier: In einer Phase der Präperzeption werden Erwartungen, Wissen und Erfahrungen
aktiviert, während des Perzeptionsvorgangs wird das Gehörte schrittweise, oft unbe-
wusst, kategorisiert und kann in einer Postperzeption über (nachträgliche) Assoziatio-
nen, musikbezogene Beobachtungen (z. B. zu Instrumenten, Gattung, Form) und Wer-
tungsversuche (Geschmacksurteil, ästhetisches Urteil, Sachurteil) vertieft und transferiert
werden. Fehlende Erwartungen und Erfahrungen können den Perzeptionsvorgang ex-
trem verkürzen bzw. abbrechen, es sei denn, es kommt zu dominanten außermusikali-
schen Assoziationen („Abdriften“). Höraufgaben können die Wahrnehmung ebenso wie
begleitende Aktivitäten (z. B. Malen, Bewegen) lenken und intensivieren, dosierter Infor-
mationsinput und mehrmaliger Kontakt wirken sich ebenso wie die strukturelle oder
thematische Gruppierung von Höreindrücken positiv auf die Wahrnehmungsleistung aus
(z. B. Kleinen 1994). Musik kann im Fremdsprachenunterricht eine simulative (akusti-
sche Präsentation fremder Kultur) und dekorative (illustrative) Funktion erfüllen. Beson-
ders häufig sind daneben persönlichkeitsbildende (Wecken von Vorstellungskraft und
Kreativität), sozialpsychologische (Aufbau und Intensivierung von Kontakt-, Erlebnis-
und Empathiefähigkeit) und lernpsychologische Funktion. Letztere kann in eine phy-
siologische („Ohrenöffner“), psychohygienische (Entspannung/Aktivierung), suggestiv-
kognitionsfördernde (Optimierung von Wissensaufnahme und -verankerung), emotiv-
motivatorische (Auslösen von lern- und erkenntnisfördernden Emotionen) und assozia-
tionsauslösende Funktion (Vorbereitung und Intensivierung sprachlicher Kreativität)
differenziert werden (z. B. Quast 2005).
5. Literatur in Auswahl
Badstübner-Kizik, Camilla
2006 Fremde Sprachen ⫺ fremde Künste? Bild- und Musikkunst im interkulturellen Fremdspra-
chenunterricht. Das Fallbeispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Gdańsk: Wydaw-
nictwo Uniwersyteckie.
Badstübner-Kizik, Camilla
2007 Bild- und Musikkunst im Fremdsprachenunterricht. Zwischenbilanz und Handreichungen
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Biechele, Barbara
1998 Wahrnehmen, Verstehen, Lernen ⫺ Implikationen für einen Paradigmenwechsel beim
Arbeiten mit Bildmedien. ÖDaF Mitteilungen 1: 18⫺27.
Blell, Gabriele und Karlheinz Hellwig (Hg.)
1996 Bildende Kunst und Musik im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M.: Lang.
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Charpentier, Marc, Rotraud Cros, Ute Dupont und Carmen Marcou
1995 Ihr glücklichen Augen ⫺ Zum Einsatz von Kunstbildern im Fremdsprachenunterricht.
In: Friedrich W. Block und Hermann Funk (Hg.), Kunst Sprache Vermittlung. Zum Zu-
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1601
Die Verbreitung der deutschen Sprache nimmt in Ägypten, im Vergleich zu allen anderen
arabischen Nachbarländern in Afrika und Asien, eine herausragende Stellung ein. Dieses
starke Interesse ist aufgrund der traditionell engen Beziehungen zu Deutschland zu se-
hen.
1. Entwicklungslinien
Gegenwärtig steigt die Nachfrage nach Deutsch als Fremdsprache und der Bedarf an
qualifizierten AbsolventInnen. Auf der einen Seite nimmt die Zahl der deutschen Touris-
ten stetig zu, andererseits verstärken sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ägypten
und Deutschland. Die Kursteilnehmerzahl am Goethe-Institut in der Region Nordafrika
betrug 2006/2007 als höchste in der Welt 25.099, davon 5.244 in Marokko und 6.065 in
Ägypten. Damit beträgt die Zahl ägyptischer Lerner mehr als ein Viertel aller einge-
schriebenen Kursteilnehmer. (Nach Angaben des Goethe-Instituts wurden im oben ge-
nannten Zeitraum 363 Kurse abgehalten.) Daneben trägt in der Erwachsenenbildung eine
große Zahl privater Sprachzentren zur Verbreitung der deutschen Sprache im Land bei.
2. Staatliche Schulen
Im Schuljahr 2007/08 unterrichteten den Angaben des Ministeriums für Erziehung und
Unterricht zufolge 735 Lehrer an insgesamt 456 staatlichen Schulen rund 40.000 Schüler.
In vielen anderen Teilen des Landes wird traditionell Französisch als zweite Fremdspra-
che unterrichtet. Der Deutschunterricht findet in den zwei letzten Jahren der Oberstufe
statt.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Deutsch auch als erste Fremdspra-
che in den drei Deutschen Schulen, der DEO (Deutsche Evangelische Oberschule), der
179. Deutsch in Ägypten 1603
DSB (Deutsche Schule der Borromäerinnen) Alexandria und DSB Kairo unterrichtet.
Das besondere an diesen Schulen ist, dass die deutschen Abiturfächer hier Kernfächer
sind und auf Deutsch gelehrt werden. Arabisch und andere Fächer werden in der Mutter-
sprache unterrichtet.
Die DSB Kairo ist eine Mädchenschule. Sie führt nach jeweils einjährigem Kindergar-
ten- und Vorschulbesuch und anschließenden zwölf Schuljahren zum deutschen Abitur
sowie zum FOS-Abschluss (seit 2004), der zur Fachhochschulreife führt. Im Schuljahr
2007/08 betrug die Zahl der Schülerinnen insgesamt 798, die der Lehrkräfte 64: davon
15 deutsche Auslandsdienstkräfte, 21 deutsche und 28 ägyptische Ortskräfte.
An der DSB Alexandria, ebenfalls eine Mädchenschule, betrug die Zahl der Schülerin-
nen im selben Jahr insgesamt 786. 33 deutsche und 32 ägyptische Lehrer unterrichten
hier. Das Curriculum und der Unterrichtsaufbau sind mit dem der DSB Kairo identisch.
Die DEO ist eine gemischte Schule, die ähnlich wie die beiden oben genannten Schu-
len zum deutschen Abitur führt. Das Spezifische an diesem Schulsystem ist die Einfüh-
rung der so genannten „Neuen Sekundarstufe“ von der 4. bis zur 9. Klasse. Hier werden
ausgezeichnete SchülerInnen aus den ägyptischen staatlichen Schulen gewählt, die den
„DaF-Zweig“ besuchen, um von der zehnten bis zwölften Klasse mit den Muttersprach-
lern im „DaM-Zweig“ das deutsche Abitur zu absolvieren.
Die drei Deutschen Schulen veranstalten gemeinsam pro Jahr ca. zwölf Lehrerfortbil-
dungsseminare mit pädagogischer und fachspezifischer Ausrichtung.
In den vergangenen Jahren sind in Verbindung mit der ZfA neun weitere so genannte
„Neue Partnerschulen“, die ca. 1.600 SchülerInnen in Deutsch als erster Fremdsprache
unterrichten, in Kairo, Alexandria, auf dem Sinai und am Roten Meer entstanden.
1965 folgte die Gründung der Abteilung für Germanistik der Universität Kairo, die
nur Absolventen der drei Deutschen Schulen, maximal 30 pro Jahr, aufnimmt. Das Cur-
riculum ist vorrangig literarisch orientiert und befasst sich mit Titeln und Inhalten vom
Mittelalter bis zur Neuzeit. Zudem werden auch sprachwissenschaftliche Fächer und
Übersetzung unterrichtet. 2007/08 arbeiteten hier sechs Professoren, fünf Assistenzpro-
fessoren und 13 Dozenten.
1969 wurde die Deutschabteilung für Männer an der Sprachen- und Übersetzerfakul-
tät der Azhar Universität gegründet, deren Studenten aus den Azhar-Oberschulen ohne
Vorkenntnisse in Deutsch kommen. Daher liegt der Fokus auf dem DaF-Unterricht,
der in den höheren Semestern durch Sprachwissenschaft und Literatur ergänzt wird. Es
studieren hier ca. 450 Männer, die von zehn Professoren, drei Assistenzprofessoren und
sechs Dozenten unterrichtet werden.
Seit 1993 gibt es eine Abteilung für Deutsch mit linguistischem Schwerpunkt an der
Helwan Universität, zunächst an der Pädagogischen Fakultät und seit 2003 auch an der
Philosophischen Fakultät.
Ebenfalls 1993 entstand an der Sprachen- und Übersetzungsfakultät der Azhar-Uni-
versität der Studiengang Islamwissenschaft auf Deutsch, der in die dortige Deutschabtei-
lung integriert ist. Zugelassen werden nur Absolventen der Azhar-Oberschulen, die über
Deutsch-Vorkenntnisse verfügen. Die Studentenzahl in diesem Fachbereich, in dem drei
Professoren lehren, beläuft sich auf 250. Schwerpunkte der Lehre sind DaF sowie islam-
wissenschaftliche Fächer.
Desweiteren gibt es einen Deutsch-Studiengang an der Sprachen- und Übersetzungs-
fakultät der Universität des 6. Oktober, eine Deutschabteilung für Frauen an der Spra-
chen- und Übersetzungsfakultät der Azhar-Universität, eine Deutschabteilung an der
Philosophischen Fakultät der Universität Menoufia sowie den Germanistikbereich an
der Alsun-Fakultät der Universität Minia.
Darüber hinaus verfügen eine Reihe von privaten Sprachlerninstituten über Deutsch-
abteilungen mit Literatur bzw. Linguistik als Schwerpunkten.
An der 2003 gegründeten GUC (Deutsche Universität Kairo) findet zwar der Unter-
richt in allen Fachbereichen auf Englisch statt, gleichwohl ist für die 6.000 Studierenden
das Erlernen der deutschen Sprache obligatorisch.
Die Absolventen dieser o.g. Studiengänge haben die Möglichkeit, nach dem B.A.-
Abschluss ein postgraduales Studium anzuschließen und einen Master- und Doktorgrad
zu erwerben. Forschungsschwerpunkte sind deutsch-arabische kontrastive Untersuchun-
gen in den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie interkulturelle Themen.
Man kann bei all diesen Studiengängen von einem klassischen Studientyp sprechen,
der bislang lediglich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses diente. Diese
Studieninhalte sind der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation im Land allerdings
nicht mehr angemessen. Mit dem Wegfall der Arbeitsplatzgarantie im öffentlichen Dienst
1998 wurde es für Germanistikabsolventen schwieriger, einen Beruf zu finden. Dies erfor-
dert, dass neue Schwerpunkte gesetzt und Studiengänge entwickelt werden, die eine be-
rufsbezogene Ausbildung fördern und Praxisbezug aufweisen. Dies ist gerade angesichts
der steigenden Zahl der Germanistikstudierenden unabdingbar.
Wie kann die Germanistik hierzulande den schwierigen Herausforderungen gerecht
werden? Als Ziel der Reform sollte ein wettbewerbsfähiger, kommunikativer, offener,
vernetzter und berufsbezogener Fachbereich geschaffen werden. Bestehende inhaltliche
179. Deutsch in Ägypten 1605
Lücken und Desiderate sollten in den Curricula gefüllt werden. Ein weiteres zentrales
Anliegen sollte die Modifizierung der Lern- und Lehrstrategien sowie der Leistungsmes-
sungsmethoden sein.
5. Probleme
Die größte Herausforderung der Germanistik in Ägypten besteht im eklatanten Mangel
an qualifiziertem Lehrpersonal. Die meisten der jährlich ca. 1.000 AbsolventInnen der
Germanistik sind nicht praxisnah und berufsfeldbezogen ausgebildet und mit Nach-
wuchsförderung überfordert. Obwohl die Regierung seit 1990 mehrere Reformversuche
zur Verbesserung der Bildungsstrukturen unternommen hat, bleibt dieses Problem auch
angesichts des starken Bevölkerungswachstums bestehen. Hinzu kommt die geringe At-
traktivität des Lehrerberufs, nicht zuletzt aufgrund der geringen Gehälter. Es findet häu-
fig ein lehrerzentrierter Frontalunterricht statt mit Lehrmethoden basierend auf Auswen-
diglernen und einer Leistungsmessung in Form einer schriftlichen Prüfung am Ende des
Schuljahres. Die mangelnde Kreativität im Unterricht hat zur Folge, dass kommunika-
tive und soziale Kompetenzen sowie die individuelle Fähigkeit, Zusammenhänge zu er-
kennen, zu benennen, Problemlösungen zu erarbeiten und kritisches Denkvermögen un-
genügend ausgeprägt werden.
6. Perspektiven
Zu den bedeutenden Schritten zur Förderung der Qualität der ägyptischen Lehrer zählt
der Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache im arabisch-deutschen Kontext“ (bi-
nationaler Studiengang) am Exzellenzzentrum für Deutsch und Arabisch als Fremdspra-
chen an der Pädagogischen Fakultät der Ain-Schams Universität Kairo, der in Koopera-
tion mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig entstanden ist und den Lehrbetrieb
im Wintersemester 2008/09 aufgenommen hat. Der Studiengang besteht aus vier Modul-
bereichen: Linguistik, Methodik/Didaktik, Landeskunde, Literatur und einem obligato-
rischen Unterrichtspraktikum, das an einer Deutschen Schule in Ägypten zu absolvieren
ist. Das Konzept des Studiums legt großen Wert auf die deutsch-arabischen Beziehungen,
weshalb die Studierenden ein Semester an der jeweiligen Partneruniversität verbringen
sollen. Der Studiengang könnte beispielgebend sein für die Vernetzung und Modernisie-
rung weiterer Studiengänge.
1606 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
7. Literatur in Auswahl
Ägyptisches Ministerium für Erziehung und Unterricht (Hg.)
2000 Kairo⫺Frankfurt und zurück. Lehrbuch für die 11. und 12. Klasse. 2 Bde. Kairo.
Arras, Ulrike
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ägypten. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-
les Handbuch, 1602⫺1609. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswis-
senschaft 19.1⫺2.) Berlin/New York: de Gruyter.
El-Nady, Maha
2006 Deutschunterricht in Ägypten. Grundlegung eines didaktischen Konzepts zur Entwicklung
des Hörverstehens. Universität Kassel: Kassel University Press.
Goethe-Institut e.V. (Hg.)
2007 Jahrbuch 2006/2007. http://www.goethe.de/uun/pub (3. 6. 2010).
Kassem, Nabil
1988 Germanistikstudium, Deutschlehrerausbildung und Deutschunterricht in Ägypten von
der Perspektive der Entwicklung des Landes aus betrachtet. In: Norbert Oellers (Hg.),
Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Selbstbestimmung und
Anpassung. Vorträge des Germanistentages Berlin 1987, 425⫺433. Tübingen: Niemeyer.
Khattab, Aleya
2004 Meine Jahre an der DSB [Deutschen Schule der Borromäerinnen]. Gelebter Dialog der
Kulturen. In: Deutsche Schule der Borromäerinnen (Hg.), 100 Jahre DSB Kairo 1904⫺
2004, 124⫺126. Kairo.
Khattab, Aleya
2007 Schule, Kosmopolitismus und Menschlichkeit. Deutsche Lehrer im Ausland 3: 251⫺257.
Maher, Moustafa
2008 Die ägyptische Germanistik zwischen historischem Momentum und Suche nach neuen
Perspektiven. Kairoer Germanistische Studien 17: 3⫺17.
Winkler, Stefan
2002 Germanistik in den arabischen Staaten und im Iran. In: Deutscher Akademischer Aus-
tauschdienst (DAAD) (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Arabische Länder, Iran,
2.⫺7. 10. 2002. Dokumentation der Tagungsbeiträge, 11⫺24. Bonn: DAAD.
2. Deutschunterricht
2.1. Deutsch an öentlichen Schulen und Hochschulen
Im öffentlichen Bereich wird Deutsch als Wahlfach an Schulen gelehrt, die ein auf „le-
bende Sprachen“ orientiertes Abitur anbieten. Gegen Anfang der neunziger Jahre wurde
fakultativer Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen eingeführt.
Einige Universitäten bieten ihren Studierenden fachorientierte Deutschlesekurse an.
Diese Universitäten und auch andere Hochschulen bieten auch deutsche Sprachkurse
als Service-Leistung für Erwachsene in Nachmittags- und Abendkursen an, meist nicht
über B1.
2.2. Privatschulen
Zwischen 1890 und 1930 entstanden zahlreiche deutsche Privatschulen; 1932 zählte man
176 deutsche Schulen mit insgesamt 13.200 Schülern. Ab 1933 erhielten fast all diese
1608 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Schulen außer u. a. der Cangallo-Schule und der 1934 von Gegnern des Nazi-Regimes
gegründeten Pestalozzi-Schule eine nationalsozialistische Prägung; 1945 wurden sie von
der argentinischen Regierung enteignet und geschlossen; an die fünfzehn wurden später,
oft mit Unterstützung der BRD, unter demokratischen Richtlinien wieder eröffnet.
Gegenwärtig haben die 27 Privatschulen (18 im Großraum Buenos Aires, 9 im Lan-
desinnern), die der Arbeitsgemeinschaft deutscher Schulen in Argentinien angehören, an
die 20.000 Schüler; 21 davon werden von der bundesdeutschen Zentrale für Auslands-
schulwesen (ZfA) personell, materiell und finanziell gefördert. Deutschland entsendet an
die vier „Schulbeihilfeschulen“, die außer der Sprache auch Fächer auf Deutsch lehren,
einen Gesamtschulleiter und mehrere Lehrer; die 17 „Sprachbeihilfeschulen“ werden von
der ZfA durch einen Fachberater und Bundesprogrammlehrkräfte gefördert. Durch die
bundesdeutsche Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (Pasch) wird jetzt Deutschun-
terricht an weiteren 15 Schulen gefördert. An zwei deutschen Schulen gibt es zweispra-
chig orientierte Berufsausbildungsgänge. Auch Österreich und die Schweiz unterstützen
Schulen. Die Schüler können die Sprachdiplomprüfungen der bundesdeutschen Kultus-
ministerkonferenz ablegen. Die Goethe-Schule bietet die allgemeine deutsche Reifeprü-
fung in einem Zusatzjahr an. Seit 1998 nehmen die Schulbeihilfeschulen sowie die deut-
schen Schulen in Montevideo (Uruguay) und Asunción (Paraguay) an der von der ZfA
koordinierten regionalen Fortbildung teil; auch die Sprachbeihilfeschulen können daran
teilnehmen. Die schulinterne Fortbildung (SCHILF) läuft in Eigenregie der Schulbeihil-
feschulen. In Coronel Suárez (im Süden der Provinz Buenos Aires) gibt es gegenwärtig
von der Deutschen Botschaft unterstützte Bestrebungen, sowohl Hochdeutsch als auch
Wolgadeutsch auf einer Schule zu lehren. (Das Projekt war 1994 von Arnd Schmidt
initiiert worden, s. Rosenberg 2001.)
Es finden jedes Jahr eine Deutschlehrertagung und alternierend dazu ein Deutschleh-
rerkongress statt, an denen die deutschen Institutionen sowie der argentinische Deutsch-
lehrerverband und das Lenguas Vivas (siehe 4.1.) zusammenarbeiten.
4. Germanistik
Die Ausbildung von Sekundarschullehrern für Deutsch erfolgt an zwei öffentlichen Insti-
tutionen: Am Instituto Superior de Enseñanza en Lenguas Vivas „Juan Ramón Fernán-
dez“ (das „Lenguas Vivas“) in Buenos Aires und an der Sprachenfakultät der National-
universität Córdoba. Am Lenguas Vivas, das seit Schließung des von deutschen Privat-
schulen gegründeten Deutschen Pädagogischen Seminars (1958⫺1998) auch die DaF-
Primarlehrerausbildung übernommen hat, studieren zur Zeit ca. 50 Lehramtskandidaten.
Die Deutschabteilung wird gegenwärtig von einem Lektor und zwei Sprachassistenten
des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) und einem von der ZfA ent-
sandten Methodikspezialisten unterstützt. Die ZfA unterstützt bedürftige Studierende
finanziell; zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft fördert sie Studienreisen nach
Deutschland.
An der Sprachenfakultät der Universität Córdoba wählen nur einige der Studierenden
die fünfjährige Lehrerausbildung, da es in der Region wenige deutsche Schulen gibt.
Ausbildung und Abschluss sind denjenigen des Lenguas Vivas vergleichbar; die Abteilung
wird von einem DAAD-Lektor unterstützt.
Beide Institutionen und die Rechtsfakultät der Universität Buenos Aires bilden auch
deutsch-spanische Übersetzer aus; die Abgänger der Universitäten Córdoba und Buenos
Aires werden als vereidigte Übersetzer anerkannt. (Die deutsche Übersetzerausbildung
des Lenguas Vivas hatte bis Ende 2008 einen vom DAAD geförderten fünfjährigen Do-
zenten- und Studentenaustausch mit der Universität Hildesheim.) Die Übersetzerab-
schlüsse des Lenguas Vivas und der Universität Córdoba berechtigen auch zur Lehre in
Sekundarschulen.
Die Sprachenfakultät der Universität Córdoba bietet eine licenciatura (ungefähr: Magis-
ter) für Deutsch an. Obwohl man an den philologischen Fakultäten Argentiniens in The-
men der Germanistik promovieren kann, gibt es kein spezifisches Germanistikstudium,
sondern Seminare zu deutscher Literatur innerhalb der Literaturstudien an den National-
1610 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
universitäten Buenos Aires, Córdoba, Cuyo und La Plata sowie an den katholischen
Privatuniversitäten del Salvador und Católica. Es werden auch germanistische Postgra-
duiertenseminare, Forschungsprojekte und Vorträge veranstaltet, u. a. vom 2004 durch
ein Abkommen zwischen der Universität Buenos Aires und dem DAAD geschaffenen
Centro Germano-Argentino. Für Mitte 2010 ist an der Universität Buenos Aires eine ma-
estrı́a in ausländischen Literaturen geplant, worin die deutsche Literatur in Seminaren
sowohl gesondert als auch komparatistisch vertreten sein wird.
Die Asociación Argentina de Germanistas (AAG) veranstaltet alle zwei Jahre eine Ta-
gung; Schwerpunkte sind Literatur, Lehrerausbildung und Übersetzung; die Beiträge
werden in Buchform veröffentlicht. Die AAG publiziert auch seit 2005 das Jahrbuch
Anuario Argentino de Germanı́stica, dessen 4. Band 2008 erschienen ist. (Als Sonderaus-
gabe des AAG erschien 2006 die Dissertation von Lila Bujaldón de Esteves über die
Geschichte der argentinischen Germanistik.) Das Ibero-amerikanische Jahrbuch für Ger-
manistik wird von Miguel Vedda (Argentinien) und Isabel Hernández (Spanien) heraus-
gegeben.
Die zahlreichen in Argentinien auf Deutsch veröffentlichten Bücher ⫺ u. a. die Erst-
ausgabe von Stefan Zweigs Schachnovelle ⫺ vermitteln einen Einblick in die Geschichte
der deutschen Sprache und Kultur und in die verschiedenen ideologischen Lager. (Regula
Rohland erstellt gegenwärtig einen Katalog dieser Veröffentlichungen; er hat bis jetzt ca.
1.300 Einträge, davon 700 unter Autorennamen eingetragene Werke und der Rest meist
von mehreren Autoren oder anonym verfasste; es handelt sich um Romane, lyrische
Dichtung, Zeitungen, Zeitschriften, Statuten, Kinderbücher, Liederbücher usw.; die meis-
ten zwischen 1935 und 1950, Rohland 2004 und persönliche Kommunikation.) Es gibt
eine rege spanischsprachige Forschung zu verschiedensten Aspekten der deutschen Lite-
ratur.
5. Prognose
Quantitativ erleiden die Deutschkenntnisse in Argentinien seit einem halben Jahrhundert
einen ständigen Rückgang: Nach dem 2. Weltkrieg war Deutsch die Haussprache von
rund 300.000 Menschen, also ca. 1,8 % der damaligen 17 Mio. Argentinier; heute dürfte
diese Zahl auf unter 200.000 gesunken sein, d. h. auf ca. 0,5 % der jetzigen 39 Mio.
Argentinier. Deutsch ist auch an den deutschen Schulen fast ausschließlich zur Fremd-
sprache geworden. Die Mercosur-Integration hat zur sprachlichen Folge, dass nach Eng-
lisch Portugiesisch in den spanischsprachigen Ländern und Spanisch in Brasilien zuneh-
mend an Bedeutung gewinnen (Ende 2008 wurde in Argentinien ein Gesetz verabschiedet,
das alle öffentlichen Sekundarschulen verpflichtet, ab 2015 Portugiesisch anzubieten),
was die Lernerpräferenzen anderer Fremdsprachen (Französisch, Italienisch und auch
Deutsch) beeinflusst. Qualitativ dagegen kann das Deutsche in den nächsten Jahren vom
Interesse an deutscher Technologie, Wissenschaft und Forschung sowie an der Gestal-
tung der EU-Institutionen und an innovativen Ausbildungsgängen begünstigt werden.
6. Literatur in Auswahl
Arbeitsgemeinschaft deutscher Schulen in Argentinien:
http://www.agds.org.ar (9. 5. 2010).
181. Deutsch in Australien 1611
oder neben Englisch eine von ca. 240 anderen Sprachen zu sprechen (Clyne 2005: 11).
Durch die Änderungen der Einwanderungsströme in den letzten Jahrzehnten haben man-
che Sprachen, vor allem asiatische, deutliche Zuwächse erfahren, während andere stag-
nieren oder gar abnehmen. Deutsch gehört hier mit einer Abnahme der Sprecherzahl um
33 % von 1991 bis 2001 zu den Verlierern. Im Jahr 2001 befand es sich mit 76444 Spre-
chenden auf Rang 9 aller in Australien gesprochenen Sprachen außer Englisch (Clyne
2005: 12). Der Verlust der Muttersprache ist unter deutschsprachigen Einwanderern und
deren Nachkommen besonders hoch, und so weist Deutsch eine stark überalterte Spre-
chergruppe auf (Clyne 2005: 14⫺21). Wegen der gegenwärtig geringen Einwanderung
Deutschprachiger ist mit einer weiteren starken Abnahme muttersprachlicher Deutsch-
sprechender in Australien zu rechnen.
Neben den Angeboten privater Sprachenschulen und der Goethe-Institute in Sydney und
Melbourne wird Deutsch als Fremdsprache in allen Staaten und Territorien Australiens
außer im Northern Territory an Schulen und Universitäten unterrichtet. Das Angebot
an Sprachen (Languages Other Than Englisch, LOTE) und die curriculare Situation ist
dabei recht unterschiedlich. Universitäten sind traditionell sehr unabhängig in ihrem
Lehrangebot; im Schulbereich liegt die Verantwortung für staatliche Schulen bei den
einzelnen Staaten und Territorien, außerdem gehen etwa ein Drittel der australischen
SchülerInnen auf Privatschulen, die nur in geringem Umfang an staatliche curriculare
Vorgaben gebunden sind. Obwohl Deutsch seit den 1990er Jahren zu den 14 australien-
weit als priority languages geförderten LOTEs und zu den sechs am häufigsten in Schulen
unterrichteten Sprachen gehört (MCEETYA 2005: 4), wird es an Schulen in sehr unter-
schiedlichem Umfang angeboten. So werden zwar in Victoria die Sprachangebote der
staatlichen Schulen jährlich dokumentiert (vgl. DEECD 2007), und das schulische Spra-
181. Deutsch in Australien 1613
chenangebot wird auch durch Kontakt- und Fernunterricht der Victorian School of Lan-
guages so ergänzt, dass 43 Sprachen bis zum Sekundarschulabschluss unterrichtet wer-
den, aber andere Staaten und Territorien bieten weder in der Dokumentation noch in
ihrem schulischen Sprachenangebot Vergleichbares (einen Überblick über Regelungen in
den einzelnen Staaten und Territorien geben Jäger und Jasny 2007: 477).
5. Literatur in Auswahl
Clyne, Michael
2005 Sprachdemographie und Sprachpolitik in Australien: Das wechselhafte Schicksal von
Einwanderersprachen. IMIS-Beiträge 26: 11⫺28.
DEECD
2009 Victorian Department of Education and Early Childhood Development: Languages Other
Than English in Victorian government schools. Melbourne: DEECD.
DIAC
2008 Department of Immigration and Citizenship: The people of Australia -statistics from the
2006 census. Canberra: Commonwealth of Australia.
Group of Eight
2007 Languages in crisis: A rescue plan for Australia. Manuka. ACT: The Group of Eight.
Jäger, Andreas und Sabine Jasny
182. Deutsch in Belarus 1615
2007 Zur Lage der Germanistik in Australien. Informationen Deutsch als Fremdsprache 34(5):
472⫺486.
Kretzenbacher, Heinz L.
2006 Deutsche Sprache und Germanistik in Australien ⫺ ein paar vorsichtig-subjektive Per-
spektiven. Jahrbuch für Internationale Germanistik 38(2): 11⫺33.
MCEETYA
2005 Ministerial Council on Education, Employment, Training and Youth Affairs: National
statement for languages education in Australian schools: National plan for languages educa-
tion in Australian schools 2005⫺2008. Carlton South: MCEETYA.
Nettelbeck, Colin, John Byron, Michael Clyne, John Hajek, Mike Levy, Joe Lo Bianco, Anne
McLaren und Gillian Wigglesworth
2008 Beginners’ LOTE (Languages Other than English) in Australian universities: an audit sur-
vey and analysis. Report to the Council of the Australian Academy of the Humanities.
Canberra: Australian Academy of the Humanities.
StADaF
2006 Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache: Deutsch als Fremdsprache weltweit:
Datenerhebung 2005. http://www.goethe.de/mmo/priv/1459127-STANDARD.pdf.
Truckenbrodt, Andrea und Heinz L. Kretzenbacher
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Australien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein
internationales Handbuch, 1651⫺1658. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommuni-
kationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
unterrichts in Belarus zu tun hat. Die im Jahre 2008 durchgeführte Bildungsreform, die
die Abschaffung einer obligatorischen zweiten Fremdsprache zur Folge hatte, beein-
flusste die Positionierung des Deutschen in der belarussischen Bildungslandschaft nega-
tiv. Inzwischen gibt es Orte, in denen nur Englisch als Schulfach angeboten wird.
Fremdsprachen wurden in Belarus bis 2008 mit unterschiedlicher wöchentlicher Stun-
denzahl auf drei Niveaustufen angeboten. Im Rahmen von Modellprojekten wurde die
Einführung der ersten Fremdsprache ab dem ersten Schuljahr erprobt. Infolge der Bil-
dungsreform wurde dann aber an allen Mittelschulen der erweiterte Fremdsprachenun-
terricht abgeschafft. Die Schulen, an denen verstärkt Fremdsprachenunterricht angebo-
ten wurde, verloren ihren Sonderstatus. Eine Fremdsprache wird seitdem erst ab der
dritten Klasse unterrichtet. Die Stundenzahl für den Fremdsprachenunterricht an den
Mittelschulen in den 3.⫺11. Schulklassen beträgt zwei Wochenstunden, an den Gymna-
sien in den 5.⫺9. Klassen vier Wochenstunden, in der gymnasialen Oberstufe (10. und
11. Klassen) drei bis vier Wochenstunden (je nach dem Typ des Gymnasiums). Laut
belarussischem Bildungsstandard erreichen die SchülerInnen der Mittelschulen in der
11. Klasse das A1-Niveau nach dem GER, die AbsolventInnen der belarussischen Gym-
nasien das B1-Niveau.
Einen kurzen Einblick in die Situation zur deutschen Sprache ermöglicht die Zahl der
AbiturientInnen, die die zentrale Deutschprüfung in den letzten fünf Jahren absolviert
haben: 2005 waren es 3.500 Personen, 2006⫺2009 im Durchschnitt 5.500 Personen. Das
Jahr 2007 bildete mit 6.700 Prüflingen einen Höhepunkt, was darauf zurückgeführt wer-
den kann, dass ein geburtenstarker Jahrgang die Schule absolvierte.
Die Lehrwerksituation im Fach Deutsch als Fremdsprache ist trotz Bemühungen des
Bildungsministeriums nicht zufriedenstellend. Für die oben beschriebenen Niveaustufen
gibt es keine geeigneten, geschweige denn durchgängige Lehrbücher. Es gibt lediglich
zwei „Autorenkollektive“, die maximal zwei Lehrbücher pro Jahr schreiben können.
Adaptionen deutscher DaF-Lehrwerke werden seitens des Bildungsministeriums nicht
gewünscht.
Die meisten Hochschulen und Universitäten bieten Deutsch als studienbegleitendes Fach
(wie z. B. Deutsch als Berufssprache oder Deutsch als Fachsprache) an. Die deutsche
Sprache im Hochschulbereich ist nach dem Englischen sehr gefragt. Die meisten Hoch-
schulen und Universitäten im Land haben eigene Lehrstühle für Deutsch oder Lehrstühle
für Fremdsprachen, die Deutsch als erste oder zweite Fremdsprache anbieten. Die Situa-
tion wird dadurch erschwert, dass die meisten SchulabsolventInnen vorrangig über
1618 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Kenntnisse in der englischen Sprache verfügen, so dass die Bildung von Seminargruppen
mit Deutsch als studienbegleitendem Fach für Fortgeschrittene nicht immer möglich ist.
Die Stundenzahl bewegt sich zwischen 260 und 1200 UE. Verbindlich für alle Studieren-
den ist ein Fremdsprachenkurs mit dem Stundenvolumen in Höhe von 260⫺350 UE.
Zur Zeit spricht man über einen Stundenabbau bis auf 130⫺160 UE. Im Jahr 2006 wurde
eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines neuen Rahmencurriculums für den studienbe-
gleitenden Deutschunterricht an den belarussischen Hochschulen gegründet. Dieses Pro-
jekt wurde inhaltlich und logistisch vom Goethe-Institut Minsk und dem DAAD in Bela-
rus betreut. Das Rahmencurriculum wird seit 2009 als Pilotprojekt an ausgewählten bela-
russischen Universitäten implementiert.
6. Literatur in Auswahl
Furaschowa, Natalia V.
2008 Lingvokulturnaja specifika vtorichnyh znachenij lexicheskih jedinic (na primere glagolov
fizicheskogo dejstvija v sovremennom nemeckom jazyke) [Sprachkulturelle Besonderhei-
183. Deutsch in Belgien 1619
ten der sekundären Bedeutungen von lexikalischen Einheiten (am Beispiel der Hand-
lungsverben in der deutschen Gegenwartssprache)]. Zameshnyja movy u Respublicy Bela-
rus 1: 3⫺8.
Gluschak, Tamara S.
2008 Intertextualnost’ kak konstitutivnyi factor textoobrazovanija [Intertextualität als konsti-
tutiver Faktor der Textgestaltung]. Minskij gos. lingvist. un-t. Vestnik MGLU Ser. 1, Filo-
logia 1(32): 23⫺28.
Gorlatov, Anatoli M.
2005 Aspekty vzaimodejstvija reklamnoj kommunikacii s meshkulturnoj kommunikaciej [As-
pekte der Wechselwirkung von Werbe- und zwischenkultureller Kommunikation], 6⫺9.
In: Nacionalno-kulturnyj komponent v texte i jazyke: Mater. dokl. Meshdunar. nauch. konf.,
7⫺9 aprela 2005 g. Ch. 1. Minsk: MGLU.
1. Einleitung
Als kleines Land ohne nennenswerte Bodenschätze lebt Belgien von seiner Lage zwischen
gesegneten Nachbarn. Da aber je verschiedene Sprachen Spiegel dieser Nationen sind
(Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch), bilden solide Fremdsprachenkennt-
nisse seit eh und je die Voraussetzung gedeihlichen Zusammenlebens und blühender Han-
delsbeziehungen. Belgische Betriebe sind nicht nur auf die Beherrschung der jeweiligen
anderen Landessprache (Französisch bzw. Niederländisch), sondern auch auf Englisch-
und Deutschkenntnisse angewiesen. Der Fremdsprachenunterricht nimmt traditionell im
belgischen Schulwesen einen je nach Schultyp und Abteilung mehr oder weniger stattli-
chen Platz ein. Fast alle Sekundarschüler lernen zwei, viele auch drei Fremdsprachen.
Das Sprachenstudium hat die Rolle einer sog. Hilfswissenschaft abgelegt, die den ande-
ren, eigentlichen Fächern zu dienen habe, und hat innerhalb des Curriculums einen
grundlegenden Platz inne mit eigenen Bildungszielen und autonomer Lernzielbestim-
mung. Die verschiedenen Fremdsprachen sehen Belgier als grundsätzlich, nicht nur poli-
tisch, gleichwertig an. Die Arroganz einer sog. lingua franca schreckt ihn ⫺ nach ein-
schlägigen historischen Erfahrungen ⫺ ab.
Belgien ist ein flächenmäßig kleines, aber auf Grund seiner Mehrsprachigkeit reichlich
kompliziertes Land. Als Bundesland besteht es aus drei sog. Gemeinschaften: die flämi-
1620 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Da Deutsch meistens erst als dritte Fremdsprache gelernt wird, nimmt es im belgischen
Schulwesen keineswegs die Stellung ein, die ihm zukäme. Viele bedauern dies: Beim Stu-
dium bleibt ein Teil der Fachliteratur verschlossen und bei Vorstellungsgesprächen in
Handel und Industrie fehlt oft der entscheidende Trumpf. Auf Grund mangelnder deut-
scher Sprachenkenntnisse ist es für manchen Exporteur schwierig, die Schwellenangst zu
überwinden. Dabei ist nicht zu übersehen, dass der jährliche Warenaustausch allein
schon mit Deutschland um 30 % größer ist (Tendenz abfallend) als mit den französischen
oder niederländischen Nachbarn.
Obwohl sich Deutsch in der Sekundarschule gegen Spanisch oder Italienisch zu be-
haupten wusste und obwohl Deutsch hier zu über 80 % als erste oder zweite Fremdspra-
che gewählt wird, sank der Anteil der französischsprachigen Deutschschüler auf gut 3 %.
In keinem Nachbarland Deutschlands ist er vergleichbar niedrig. Im Schuljahr 1976⫺
1977 hatte es noch einen Schüleranteil von 22,5 % gegeben. Dies hängt damit zusammen,
dass der Unterricht der dritten Fremdsprache in der französischen Gemeinschaft seit
1994 abgebaut wird, so dass die Entscheidung für Deutsch einer Entscheidung gegen
Niederländisch oder Englisch gleichkommt. Der Einbruch des Deutschunterrichts wird
von öffentlicher Seite bedauert.
Die große Mehrheit der DaF-Schüler ist in Flandern zu suchen. Trotzdem bleibt auch
hier der Deutschunterricht großem Druck ausgesetzt. Als ausschließlich dritte Fremd-
sprache blieb das Fach in der Sekundarschule Orchideenfach und Spielball der Refor-
men. Um 1970 war Deutsch im Rahmen einer solchen zum Wahlfach degradiert worden.
Gleichzeitig wurden die Alternativen Spanisch, Italienisch und Russisch eingeführt. 1980
wurde, oft auf Kosten von Deutsch, die Schulwoche auf 32 Stunden begrenzt. 1982
wurden sowohl für die Gründung als auch für den Fortbestand eines Wahlfaches mini-
male Klassengrößen festgelegt. 1985 erschien ein neues Fach auf dem (Stunden)Plan, das
mit Sprachen nicht einmal etwas zu tun hatte, Informatik, häufig zu Ungunsten der
Deutschstunden. Mit einer weiteren Unterrichtsreform, der sog. Einheitsschule (1989⫺
1994), ging ⫺ trotz flexiblerer Kombinationsmöglichkeiten der Grundwahlfächer und
einer besseren Ausgangsposition für Deutsch (wohlgemerkt ausschließlich als dritte
Fremdsprache) ⫺ ein Abbau der Wochenstundenzahl um ein bis drei Einheiten im katho-
lischen Unterrichtswesen einher. An den pädagogischen Hochschulen, an denen Mittel-
schullehrer ausgebildet werden, wurde Deutsch abgeschafft. Auf Grund einer ab 1997
(nur in Flandern) eingeführten Aufnahmeprüfung mit (allgemeinbelgischem) Numerus
Clausus für Medizin und Zahnmedizin war ein neuartiger Andrang der Sekundarschüler
in die naturwissenschaftlichen und mathematischen Abteilungen wahrnehmbar. 2003 trat
183. Deutsch in Belgien 1621
eine Reduktion der Grundwahlfächer in Kraft, was dazu führte, dass im katholischen
Unterricht Deutsch in den Klassen 4 aller Abteilungen des weiterführenden Unterrichts
erstmals seit Jahrzehnten mit einer Wochenstunde wieder als Pflichtfach eingeführt wird.
In allen höheren Klassen dagegen bleibt Deutsch nach wie vor Wahlfach und wird außer-
dem ab dem 1. 9. 2004 im Rahmen der Einführung eines sog. freien ⫺ bzw. leeren ⫺
Raumes, auf zwei Wochenstunden eingedämmt.
Die Entwicklung und Aufgliederung der Wochenstundenpläne haben mit dem Spra-
chenwahlverhalten der Schüler so gut wie nichts zu tun. Inzwischen liegen die Schüler-
zahlen seit dem Schuljahr 2002⫺2003 unter der 20 %-Marke (Schuljahr 2008⫺2009
19 %), was sich nur im oberflächlichen Vergleich mit dem wallonischen Landesteil gut
anhört. Im katholischen Unterricht, der auch die weitaus meisten Schüler beherbergt,
gab es im selben Schuljahr 22,8 % Deutschlernende (vor zehn Jahren noch 26,45 %, vor
25 Jahren 33,70 %), im staatlichen Gemeinschaftsunterricht allerdings nur 7,23 % (vor
zehn Jahren mit 12,08 % das Doppelte, vor 25 Jahren mit 23,24 % das Vierfache; vgl.
Statistische Jahrbücher des flämischen Unterrichts 2008).
4. Lehramtsausbildung in Belgien
Die Lehramtausbildung für die Sekundarstufe II findet an den Universitäten statt (in
Flandern 60, in der französischen Gemeinschaft 30 ECTS-Punkte), was Vor-, aber auch
Nachteile hat. Zu den Nachteilen gehören die Tatsachen, dass sie sich nur am Rande der
Fachausbildung abspielt und außerdem oft von Hochschullehrenden bestritten wird, die
kaum über eigene pädagogische Erfahrung verfügen.
Was hat Deutsch in Belgien zunehmend unbeliebt gemacht? Es gibt erstens eine Reihe
von innerbelgischen Gründen. Schon die belgische Staatsstruktur legt die Wahl der gro-
ßen anderen Landessprache (Niederländisch bzw. Französisch, Letzteres in Flandern so-
gar obligatorisch) nahe, was diese, allerdings auch die dritte Landessprache Deutsch (im
Gegensatz zu Englisch und Spanisch), nicht unbedingt beliebt macht. Für diese Entwick-
lung zeichnen erstaunlicherweise die Medien mit verantwortlich, die eigentlich einen pä-
dagogischen Auftrag zu erfüllen hätten und die Jugend mit den anderen belgischen kultu-
rellen Hintergründen vertraut machen sollten. Trotzdem bestehen hierzulande den
Deutschsprachigen (und Frankophonen) gegenüber kaum Aversionen. Im Gegenteil,
Österreich und die Schweiz, auch Deutschland gehören mindestens in Flandern zu den
gern gesehenen Reisezielen. Für den Widerspruch zwischen dem ausgesprochen hohen
Prestige gerade der deutschsprachigen Länder und dem niedrigen Prestige ihrer Sprache
wird man eine Erklärung suchen müssen. Typisch belgisch ist außerdem immer noch eine
weit verbreitete veraltete, an Latein und Griechisch sowie vorrangig der Schriftsprache
geschulte Methodik. Dabei hatte das Unterrichtsministerium bereits 1895 die direkte
Methode empfohlen. Dies mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass Deutsch in Bel-
gien, wie gesagt, meistens dritte Fremdsprache ist, was dazu führt, dass Zielsetzungen
und Lernstrategien der ersten oder zweiten Fremdsprache (etwa ein hoher Anteil gram-
matikalischen Wissens) allzu oft kritiklos auf die dritte übertragen werden.
Es gibt zweitens auch allgemeinere Gründe, die eine Sprache wie das Deutsche unpo-
pulär machen. Nun ist zumindest die deutsche Morphologie ⫺ im Gegensatz etwa zu
der Lexik für Niederländischsprachige ⫺ im europäischen Vergleich komplex, d. h.
schwierig (drei Genera sind komplexer als zwei; zwei komplexer als eins; neun Möglich-
keiten der Pluralbildung sind komplexer als zwei, geschweige eine oder gar keine usw.).
Diese schreckt so manche potentielle Deutschlernende ab. Außerdem ist an dieser Stelle
die Frage zu stellen, ob der Ausbau und die Fortentwicklung der internationalen Institu-
tionen im allgemeinen wie des Europarates und der EU insbesondere der Verbreitung
183. Deutsch in Belgien 1623
der deutschen Sprache ⫺ und übrigens aller Sprachen bis auf eine einzige ⫺ paradoxer-
weise nicht eher schadet als nützt. Tatsächlich war im Europa der 1950er und 1960er
Jahre das Klima fremdsprachenfreundlicher als heute.
6. Literatur in Auswahl
Kern, Rudolf
2005 Es steht nicht gut um die deutsche Sprache: Eine kritische Rückschau. In: Eva C. Leewen
(Hg.), Sprachenlernen als Investition in die Zukunft. Wirkungskreise eines Sprachlernzent-
rums. Festschrift für Heinrich P. Kelz zum 65. Geburtstag, 219⫺254. Tübingen: Narr.
Nelde, Peter Hans
2001 Europäische Sprachpolitik und Neue Mehrsprachigkeit. Spieghel Historiael: 65⫺82.
Quell, Carsten
1995 Die Europäische Union 1995 ⫺ Mehr Länder, weniger Sprachen? Die Sprachen der euro-
päischen Institutionen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Germanistische Mitteilungen
41: 25⫺45. Statistische Jahrbücher des flämischen Unterrichts 2008. Brüssel.
1. Zur Situation
stämmig. Die meisten leben in der Region Süd, wo sich zur Zeit der Einwanderung
die Siedlungsgebiete konzentrierten: In Rio Grande do Sul beträgt die deutschstämmige
Bevölkerung 12 % der gesamten Einwohnerzahl.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die deutsche Sprache zu einem wichtigen Bestand-
teil des kulturellen Lebens in Südbrasilien. Bis 1937 gab es dort ein gut ausgebautes
Schulwesen (ca. 1.000 Schulen), auch eine deutschsprachige Presse. Deutsche Musik-,
Turn- und Theatervereine prägten das soziale und kulturelle Leben der Städte. Die deut-
sche Kultur genoss ein hohes Ansehen. Eine strenge, ab 1938 aus innenpolitischen Grün-
den vom Diktator Getulio Vargas durchgeführte Nationalisierungspolitik und die Nazi-
herrschaft in Übersee veränderten die Situation tiefgreifend. Die brasilianisch-nationali-
stische Unterdrückung der deutschen Sprache führte zur Diskriminierung von vielen
Menschen in den Siedlungsgebieten, was sich mit dem Kriegseintritt Brasiliens auf Seiten
der Alliierten nur verschärfte. Deutschstämmige Einwanderer wurden zu „Feinden“, der
Kollaboration mit Hitler verdächtig. Es wurde verboten, Deutsch zu sprechen, obwohl
viele der Einwanderer, vor allem im Hinterland, z. T. nur über sehr rudimentäre oder
keine Portugiesischkenntnisse verfügten (Altenhofen 1996).
Nach Kriegsende wurden die Unterdrückungsmaßnahmen nur allmählich aufgeho-
ben. Das Weiterbestehen einer deutschsprachigen Szene in den 50er und 60er Jahren
verdankte sich der Präsenz von exilierten Intellektuellen, die in Brasilien geblieben wa-
ren, und der Tatsache, dass trotz der Jahre der Nationalisierungspolitik ein großes Inte-
resse an Deutsch unter der allgemeinen Bevölkerung und besonders unter Deutschstäm-
migen weiterhin vorhanden war. Mitte der 60er Jahre suchte Brasilien erneut eine rechts-
konservative Militärdiktatur heim. An den Schulen wurde als Fremdsprache fast
ausschließlich Englisch angeboten, die meisten Deutschstämmigen verloren fast vollstän-
dig den muttersprachlichen Kontakt mit Deutsch. Trotzdem gibt es außerhalb Europas
nirgendwo so viele Sprecher des Deutschen wie im Süden Brasiliens (Kaufmann 2003:
29). Die Sprache lebte zumeist auf dem Lande weiter, sowie in einigen wenigen mittleren
Städten in dialektalen, vom Portugiesischen beeinflussten Varianten. Insbesondere durch
die Erinnerungskultur in den Familien blieb eine vage „deutsch-brasilianische“ Identität
im Gedächtnis vieler Menschen erhalten.
Insbesondere ab 1989 wuchs durch die mediale Präsenz vom vereinigten Deutschland
das Interesse für die Sprache wieder. Dies führte in Südbrasilien zu einem deutlichen
Anstieg der Lernerzahlen. Doch unter Nicht-Deutschstämmigen ließ sich das ebenfalls
spüren: Die seit Jahrzehnten bestehende wirtschaftliche Zusammenarbeit und der ständig
erweiterte, partnerschaftlich geförderte wissenschaftlich-technologische Austausch zwi-
schen den Ländern brachten nach der ökonomischen und politischen Stabilisierung Bra-
siliens seit Mitte der 1990er Jahre gute Folgen für die Präsenz des Deutschen hervor.
Heute stellt der Fremdsprachenunterricht eine große Herausforderung für die brasili-
anische Bildungspolitik dar (Spinassé 2005). Von wenigen guten Schulen abgesehen wei-
sen Lehrer nicht selten einen mangelhaften Ausbildungsstand auf, auch unzulängliche
Sprachkenntnisse. In den Schulen werden im Normalfall Fremdsprachen mit nur zwei
Stunden pro Woche unterrichtet. Der Lehrerberuf ist wenig attraktiv, weil schlecht be-
1626 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
zahlt. Die Diagnose von Kaufmann (2003: 33) gilt noch heute: Deutsch wird in Brasilien
„bis auf den Süden fast ausschliesslich in oft sehr teuren Privatschulen unterrichtet“; in
Südbrasilien bieten zwar auch konfessionelle Privatschulen Deutsch an, vorwiegend aber
öffentliche Schulen. Auch in Brasilien ist Englisch die am häufigsten erlernte Fremdspra-
che. Doch Deutsch kann im Süden den Rang als zweite Fremdsprache beanspruchen.
3. Deutsch an Hochschulen
In der Hochschulausbildung bieten sich folgende Möglichkeiten des Studiums im Bereich
Deutsch als Fremdsprache (Letras Alemão): Lehrerausbildung, Übersetzerausbildung,
Ausbildung als Bachelor in Literatur-, Sprach- oder Übersetzungswissenschaft. An vielen
Universitäten bieten Sprachenzentren Deutschkurse für allgemein Interessierte an. Dort
unterrichten zumeist fortgeschrittene Studierende, so besteht für viele die Möglichkeit,
ein Praktikum am Sprachenzentrum der jeweiligen Universität zu absolvieren und schon
während der Ausbildung regelmäßigen Unterricht zu erteilen.
Trotz der eher schlechten Stellung des Lehrerberufs erlebt Südbrasilien einen Anstieg
der Studentenzahlen und eine Erweiterung des Studiengangs Letras auf postgradualer
Ebene. Neben dem bereits traditionellen Master- und Doktoratsprogramm für Deutsch
und deutschsprachige Literatur an der Universität São Paulo (USP) bieten seit 2007 die
Bundesuniversität in Porto Alegre (UFRGS) einen Master in deutschsprachiger Litera-
tur, die Bundesuniversität in Curitiba (UFPR) seit 2009 einen bilateralen Master in DaF
(mit der Universität Leipzig) an. In Magister- und Promotionsprogrammen in Literatur-,
Sprach- und Übersetzungswissenschaft werden ansonsten an verschiedenen Einrichtun-
gen, wie der Bundesuniversität in Florianópolis (UFSC), Forschungsvorhaben im Kon-
text der deutschen Sprache und Literatur angenommen.
4. Perspektiven
Heute steht in Brasilien eine sprachpolitische Wende in Aussicht. Nachdem in den 90er
Jahren des 20. Jahrhunderts die ca. 180 Sprachen der Indios an Prestige gewonnen ha-
ben, und deren Anwendung, Verbreitung und Erforschung dezidiert durch den Staat
unterstützt wurde, behauptet sich zur Zeit eine sprach- und bildungspolitische Initiative
zum Schutz und zur Anerkennung der circa 30 alochtonen Sprachen, d. h. der Immigran-
tensprachen. Dadurch wird das Programm eines mehrsprachigen Fremdsprachenunter-
richts wiederbelebt. Gleichzeitig gewinnt brasilianisches Portugiesisch als internationale
Sprache an Bedeutung. Für die zumeist kleinen Deutschabteilungen an den Universitäten
geht es daher in der integrierten Zusammenarbeit mit den Portugiesischabteilungen um
den Gewinn von politischer Relevanz und Legitimität innerhalb der jeweiligen eigenen
Universität, um den Gewinn an Bedeutung und Visibilität in der Beziehung mit Ministe-
rien auf Landes- und Bundesebene, sowie um die Etablierung des Faches Deutsch als
Fremdsprache in der wissenschaftlichen Szene.
Dem brasilianischen Bildungssystem steht eine Erweiterung und qualitative Umge-
staltung bevor. Millionen Brasilianer in wirtschaftlich bedeutenden Regionen (vor allem
im Süden) weisen eine immer noch effektive Sympathie für die deutsche Sprache auf.
184. Deutsch in Brasilien 1627
Danksagung
Der vorliegende Beitrag ist teilweise auf der Basis einer gemeinsamen Arbeit mit Markus
Weininger (UFSC) enstanden.
5. Literatur in Auswahl
Altenhofen, Cléo Vilson
1996 Hunsrückisch in Rio Grande do Sul. Ein Beitrag zur Beschreibung einer deutschbrasiliani-
schen Dialektvarietät im Kontakt mit dem Portugiesischen. Stuttgart: Franz Steiner.
Kaufmann, Göz
2003 Deutsch und Germanistik in Brasilien. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 35(1):
29⫺39.
Spinassé, Karen Pupp
2005 Deutsch als Fremdsprache in Brasilien. Eine Studie über kontextabhängige unterschiedliche
Lernersprachen und muttersprachliche Interferenzen. Frankfurt a. M.: Lang.
1. Einleitung
Deutsch ist in Bulgarien traditionsgemäß eine der wichtigen Schulsprachen. Auch nach
1990 konnte der Deutschunterricht durch die Konkurrenz des Englischen nicht in den
Hintergrund gedrängt werden (Dimova 2001; Kamburova-Milanova 2005b). Die Bevor-
zugung des Deutschen als Fremdsprache in Schule und Hochschule ist durch die traditio-
nell guten wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Bulgariens zu den deutschspra-
chigen Ländern bedingt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dabei Mittlerorgani-
sationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Im Sekundarbereich wird Deutsch als erste und und zweite Fremdsprache erlernt. Ein
bewährtes Modell für einen intensiven Deutschunterricht (19 Stunden obligatorisch und
3 bis 4 Wahlstunden wöchentlich) bieten die profilierten Gymnasien mit intensivem
185. Deutsch in Bulgarien 1629
Die politische Entwicklung nach 1989 hat die Situierung von Deutsch im Land grundle-
gend beeinflusst. Das Interesse an Deutsch ist in der Schule nach wie vor groß. Besonders
an den profilierten Gymnasien (52 Gymnasien im Land) und in den Berufsgymnasien
(43 im Land) mit intensivem Sprachenunterricht steht Deutsch an zweiter Stelle nach
Englisch. An 22 Sprachengymnasien kann das Deutsche Sprachdiplom Stufe II der Kul-
turministerkonferenz erworben werden. Das Niveau der Sprachenbeherrschung wird
nach den Abschlussergebnissen als sehr hoch eingeschätzt, weil die Motivation ausge-
prägt ist: der Zugang zu den Universitäten in den deutschsprachigen Ländern. Die Fol-
gen dieser Entwicklung sind aber für die bulgarischen Universitäten eher negativ, und
die Studiengänge Germanistik und Deutsch als Fremdsprache sind am stärksten von
dieser Tendenz betoffen (Dimova 2006).
Deutsch wird zwar nicht so häufig gewählt, es mangelt aber trotzdem an qualifizierten
Deutschlehrern in der Grundschule, da der Bedarf an Fremdsprachenlehrerinnen und
-lehrern in der Primarstufe durch die obligatorische Einführung des frühen Fremdspra-
chenunterrichts enorm gestiegen ist: Im Schuljahr 2007/2008 lernten 8928 Schüler in der
1. bis 4. Klasse Deutsch. Die neu etablierten Studiengänge Primarschulpädagogik mit
einer Fremdsprache erfreuen sich jedoch keines großen Interesses (besonders in Bezug
auf Deutsch), so dass momentan intensive Umschulungslehrgänge durchgeführt werden,
um berufstätige Primarlehrende zu befähigen, auch die (am häufigsten gewünschten)
Fremdsprachen Englisch oder Deutsch zu unterrichten.
Die Chancen des Deutschen liegen in der Tendenz, den Intensivunterricht an den
profilierten Gymnasien weiter zu fördern sowie die Möglichkeiten von Deutsch als zwei-
ter Fremdsprache effektiver zu nutzen. An den Universitäten ist eine Diskussion im
Gange, die germanistischen Studiengänge durch verschiedene Fächerkombinationen at-
traktiver zu gestalten.
Inhaltlich hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl die linguistische und die
literaturwissenschaftliche als auch die pädagogisch-didaktische Komponente im Germa-
nistik- und DaF-Studium in Richtung Anwendungsorientiertheit und Interkulturalität
entwickelt. Obligatorische Elemente des Curriculums sind an allen Universitäten Text-
und Pragmalinguistik sowie Landeskunde und Kulturgeschichte der deutschsprachigen
Länder. Als Wahlfächer (ca. 25 % der Lehrveranstaltungen im Curriculum) werden ange-
boten: Interkulturelle Kommunikation, Interkulturelles Lernen, Interkulturelle Literatur,
Frühes Fremdsprachenlernen, Mehrsprachigkeitskonzepte, Kontrastive Linguistik.
Schwerpunkte der Forschung stehen in Zusammenhang mit der Lehre und sind vor allem
gerichtet auf Lehrwerkanalyse (Stefanova 2007a), Lernen, Lehren und Bewerten (Stefa-
nova 2007b), Aspekte der Interkulturalität (Kamburova-Milanova 2005a), frühes Fremd-
sprachenlernen (Stojčeva 2005; Miteva 2002), einzelne Fertigkeiten und Lernstrategien
(Savova 2007; Stojčeva 2005; Miteva 2008), Handlungsorientierung des Sprachunter-
richts (Stojčeva 2004) sowie lexikographische Erfassung von Lernerschwieriugkeiten
(Drumeva 2006). Wichtige Publikationsorgane sind die Zeitschriften Čuždoezikovo obu-
čenie [Fremdsprachenunterricht] und Săpostavitelno ezikoznanie [Kontrastive Linguistik].
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich Deutsch als Fremdsprache werden
Masterstudiengänge vor allem an der Universität Sofia angeboten.
185. Deutsch in Bulgarien 1631
6. Literatur in Auswahl
Dimova, Ana
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Bulgarien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein inter-
nationales Handbuch, 1551⫺1555. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
Dimova, Ana
2006 Buridans Esel zwischen Europäisierung und Globalisierung oder: Warum lernt man in
Bulgarien Deutsch. In: The Language Policy of the EU and European University Educa-
tion, Volume 2, 285⫺291. Veliko Tărnovo: PIC.
Drumeva, Stanislava
2006 Zweisprachige Schulwörterbücher ⫺ Ja oder Nein. In: Zweisprachige Lexikographie und
Deutsch als Fremdsprache, 85⫺100. (Germanistische Linguistik 184⫺185). Hildesheim:
Georg Olms.
Hockickova, Beata und Ljubov Mavrodieva
2001 Arbeitsfeld: Deutschlehrerausbildung. In: 10 Jahre DaF in Bulgarien nach der Wende ⫺
Wo stehen wir, wohin gehen wir?, 62⫺85. Goethe-Institut Sofia/Plovdiv: Lettera.
Kamburova-Milanova, Ivanka
2005a Vermittlungsmodelle interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht. In: Fremd-
sprache-Deutsch-Europäisch ⫺ 2. Internationale Konferenz des DaF-Netzwerks in Szigets-
zentmiklos/Budapest 08.⫺11. September 2005, 15⫺23. Athen/Pallini: Ellinogermaniki
Agogi.
Kamburova-Milanova, Ivanka
2005b Deutsch als Fremdsprache in Bulgarien. Bestandsaufnahme und Perspektiven. In: Sympo-
sium Deutsch als Fremdsprache in Südosteuropa 18⫺20. November 2005, 83⫺92. Tessalo-
niki: Kornelia Sfakianaki Editions.
Miteva, Neli
2002 Probleme und Schwierigkeiten bei der Alphabetisierung in Deutsch als Fremdsprache in
der Primarstufe. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachenunterricht]: 2: 32⫺51.
Miteva, Neli
2008 Die Methode „Dynamisch-integratives Sprechen ⫺ Schreiben ⫺ Lesen“ von Heide
Buschmann. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachenunterricht] 1: 33⫺35.
Savova, Elena
2003 „Literaturdidaktik“ im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Čuždoezikovo obučenie
[Fremdsprachenunterricht] 3: 3⫺4.
Savova, Elena
2007 Lesen als Prozess und als Fertigkeit. Aktivno učene i kritičesko mislene [Aktives Lernen
und kritisches Denken]. Sofia: Bulgarische Lesen-Assotiation, CD-ROM: 166⫺203.
1632 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Stefanova, Pavlina
2007a Čuždoezikovoto obučenie. Učene, prepodavane, ocenjavane [Fremdsprachenunterricht Ler-
nen, Lehren, Bewerten]. Sofia: Siela.
Stefanova, Pavlina
2007b Učebnijat kompleks v teorijata i praktikata na čuždoeyikovoto obučenie [Lehrwerktheorie
und -praxis des Fremdsprachenunterrichts]. Sofia: Anubis.
Stojčeva, Daniela
2004 Handlungsoientierter Fremdsprachenunterricht. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachen-
unterricht] 6: 37⫺43.
Stojčeva, Daniela
2005 Schreiben lernen ⫺ spannend und motivierend. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachen-
unterricht] 6: 24⫺33.
1. Einleitung
Chile war und ist ein Einwanderungsland. Insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert gab
es unter anderen viele Einwanderer aus Europa. Deutschsprachige Migranten hinterlie-
ßen mit der deutschen Sprache im Süden des Landes ein bis heute einflussreiches kultu-
relles Erbe.
Die diversen Einwanderungsetappen, die jede für sich betrachtet verschiedene Erwar-
tungen und Herausforderungen an die Einwanderer stellte, führten zu soziopolitischen,
soziokulturellen und ökonomischen Situationen, welche einen intensiven finanziellen und
kulturellen Austausch zwischen Chile und Deutschland begünstigten. Aus diesem Grund
gewann das Deutsche in den Dörfern und Städten des Südens sowie in den großen Zent-
ren Mittelchiles an Bedeutung. Innerhalb der deutschen Kolonie wie auch in anderen
Einwanderergruppen bestand das Interesse, die Muttersprache im familiären Kontext zu
erhalten und die systematische Vermittlung in Schulen zu etablieren. Daraus folgend
entstanden die Kolonieschulen, unter ihnen die Deutschen Schulen.
186. Deutsch in Chile 1633
2. Deutschunterricht
Die Deutschen Schulen sind ein Aushängeschild der deutschen Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik (Dohmen 2009, briefl. Mitteilung). Dies gilt insbesondere für Chile ange-
sichts der beeindruckenden Zahl von insgesamt 22 Deutschen Schulen. Über die soge-
nannten Begegnungsschulen möchte man junge Chilenen erreichen und ihnen ein aktuel-
les Deutschlandbild sowie natürlich die deutsche Sprache vermitteln. Qualität ist dabei
eine wichtige Voraussetzung. Gute (Schul)Bildung und Mehrsprachigkeit sind wesent-
liche Bedingung, um auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen zu haben. Über die Deutschen
Schulen haben junge Chilenen einen guten Einstieg, besonders nach der Verabschiedung
des Aktionsprogramm der Bundesregierung ⫺ Beitrag der Arbeitsmigration zur Sicherung
der Fachkräftebasis in Deutschland, durch das Absolventen Deutscher Auslandsschulen
bevorzugt zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen werden. Im Jahr 2008 hatten die
Deutschen Schulen eine Zahl von 15.120 Schülern in der Grund- und Sekundarstufe, die
zum DSD I und DSD II führen.
Das 1988 gegründete Institut, dessen Auftrag und Ziel war und ist, ausreichenden Nach-
wuchs an qualifizierten Lehrkräften für den Deutschunterricht an den Deutschen Schu-
len Chiles auszubilden (Schraut 2009, briefl. Mitteilung), bietet zwei Studiengänge an:
das Erzieherinnenstudium für die Arbeit im Kindergarten ⫺ in Chile ist der Kindergarten
integraler Bestandteil der Schule ⫺ und das Studium für das Lehramt an Grundschulen
für die Jahrgangsstufen 1.⫺6. Die beiden bilingualen Studiengänge sind gezielt hand-
lungs- und praxisorientiert organisiert. In den 20 Jahren seines Bestehens absolvierten
am LBI 42 Erzieherinnen und 125 Grundschullehrerinnen ihr Studium.
1634 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Aufgrund verschiedener Faktoren (Cziesla 2001: 1457⫺1458) wurde ab 1980 die Deutsch-
lehrerausbildung an den Universitäten schrittweise eingestellt. Momentan bildet einzig
die UMCE Deutschlehrer für die Oberstufe (die Ausbildung von Oberstufenlehrern der
7.⫺12. Jahrgangsstufe obliegt in Chile allein den Universitäten) aus und verleiht den
akademischen Grad Licenciado en Educación. Der Studienplan umfasst zehn Semester,
und bietet Kurse in den Gebieten Sprache, Kultur und Literatur, sowie Linguistik, Di-
daktik und Methodik und beinhaltet ein obligatorisches Schulpraktikum.
Die Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Angewandten Linguistik, Kultur-
und Landeskundestudien und den Erziehungswissenschaften. Zu betonen ist die Ent-
wicklung des Arbeitsbuchs Pusteblume (Cox und Bascuñán 2008).
An der UdeC wurde die Lehrerausbildung im Jahr 2003 eingestellt. Alternativ bietet man
ein Aufbaustudium an, dessen Ziel die Erlangung des Lehrertitels sowie des akademi-
schen Grades Licenciado en Educación ist. Der Studienplan beinhaltet Sprach-, Literatur-
und Kulturkurse sowie Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache. Das
letzte Semester ist dem Praktikum gewidmet.
Seit 2004 bietet die UdeC einen trilingualen Übersetzer- und Dolmetscherstudiengang
an, der einzige seiner Art in ganz Südamerika (Castro 2005), der den akademischen Grad
Licenciado en Traductologı́a oder Licenciado en Translatologı́a verleiht. Derzeit gibt es
etwa 350 Immatrikulierte, von denen 260 Deutsch als eine der beiden Arbeitssprachen
wählten. Die Schwerpunkte der Ausbildung sind neben dem Erwerb der beiden Fremd-
sprachen die Vertiefung der muttersprachlichen Kenntnisse, Literatur- und Kulturkurse,
(Psycho)linguistik und Translationswissenschaft und ein Praktikum.
Die Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Translationswissenschaften, der
Lexikologie, der Angewandten Linguistik und der Psycholinguistik.
Schulen auf nationaler Ebene in einer Direktorenkonferenz organisiert, die unter einem
gemeinsam vereinbarten Rahmenleitbild die Qualität der Vermittlung der deutschen
Sprache sichert und durch das LBI permanent Lehrerfortbildungen für die Lehrkräfte
anbietet. Zum anderen arbeitet das Goethe Institut eng mit den Lehrerorganisationen
zusammen und trägt mit Fortbildungskursen ebenso zur Weiterbildung aller DaF-Lehr-
kräfte bei. Das GI Santiago mit den beiden Goethe Zentren in Concepción und Viña del
Mar bietet Kurse unterschiedlicher Niveaus und Internationale Prüfungen an. Es bildet
auf chilenischer Ebene ein Netzwerk, welches interessante Kulturangebote der Gesell-
schaft offeriert.
Vier Lektoren mit dem klassischen Format eines DaF-Lektors arbeiten derzeit an den
Universitäten von La Serena, Talca, Concepción und Pontificia Universidad Católica de
Valparaı́so. Der Aufgabenbereich der Lektoren richtet sich nach den Bedürfnissen der
Universitäten, die zum Teil sehr variieren (Babel 2009, briefl. Mitteilung). Darüber hi-
naus gibt es einen Fachlektor im Bereich Jura und den Leiter des IC-Büros in Santiago,
beide sind jedoch nicht im Bereich DaF tätig. Derzeit gibt es außerdem drei Sprachassis-
tentenstellen: Santiago, Concepción und Valdivia.
Vereinzelt gibt es Stipendienprogramme im Bereich DaF: für Studenten im grundstän-
digen Studium gibt es z. B. den Hochschulkundlichen Winterkurs, darüber hinaus fördert
der DAAD auch Sommerkurse an deutschen Universitäten, die DaF-Kurse anbieten.
ist. Gleichzeitig wählen immer mehr deutsche Studierende Chile als das Ziel ihres Aus-
landsemesters bzw. Praktikums. Dieser aktive Austausch fördert nicht nur Wissens- und
Technologietransfer, Forschung und Begegnung, sondern dient auch dem Erhalt der be-
stehenden sehr guten akademischen Beziehungen.
Auch auf politischer Ebene wurden durch staatliche Maßnahmen (Sistema Bicentena-
rio Becas Chile) und Abkommen, u. a. mit dem DAAD, Voraussetzungen geschaffen,
die gut qualifizierten Studierenden den Zugang zu dem Tertiärbereich in Deutschland
ermöglichen.
Wünschenswert wäre es, dass die deutsche Sprache wieder an allen öffentlichen Schu-
len als alternative zweite Fremdsprache gelehrt werden könnte. Mit dem vom Bildungs-
ministerium geförderten Programm Deutsch öffnet Türen (El alemán Abre Puertas http://
www.aleman.mineduc.cl/deutsch.html) als Teil des Programms Sprachen öffnen Türen
(Los Idiomas Abren Puertas) gibt es gute Perspektiven, Deutsch wieder in das chilenische
Schulsystem zu integrieren.
7. Literatur in Auswahl
Bascuñán, Ángel und Luz Cox
2008 Manual de estudio Pusteblume, Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache. Santiago: Fondo
Editorial UMCE.
Castro, Ginette
2005 Diseño de una malla curricular para la carrera de Traducción/Interpretación en Idiomas
Extranjeros. Una adecuación para Chile. In: Eliana Fischer, Eva Glenk und Selma Meire-
les (Hg.), Akten des XI. Lateinamerikanischen Germanistenkongresses, 413⫺418. Band 3.
Sao Paulo: Monferrer.
Cziesla, Wolfgang
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Chile. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internatio-
nales Handbuch, Band 2, 1457⫺1464. Berlin: de Gruyter.
Aufgesuchte Webseiten
Programm El Alemán Abre Puertas:
http://www.aleman.mineduc.cl/deutsch.html.
1. Deutsch an Hochschulen
Die Geschichte von Deutsch als Fremdsprache in China reicht bis in das Jahr 1871
zurück. Mit dem Ziel, Dolmetscher für den diplomatischen Dienst auszubilden, wurde
Deutsch in den Fächerkanon der im Jahre 1862 gegründeten kaiserlichen Pekinger
Fremdsprachenhochschule (Tongwenguan) integriert. Dort lehrte man die deutsche Spra-
che neben Englisch, Russisch, Französisch und später auch Japanisch eng verknüpft mit
anwendungsorientierten Fächern aus den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften,
Jura und Ökonomie.
Nachdem Deutschland 1897 die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht in der Provinz Shan-
dong besetzt hatte, entstanden Schulen und Hochschulen nach dem deutschen Bildungs-
system in Qingdao, Hankou und Shanghai. Ihre Absolventen sollten der deutschen In-
dustrie neue Absatzmärkte erschließen und langfristig sichern. Deutsch als Fremdsprache
erfüllte dafür eine Art Zubringerfunktion.
Einen Sonderfall, der von diesem Muster abwich, bildete die Germanistik vor 1949:
Sie war eng mit der Bewegung des Vierten Mai (Wu-si yundong) von 1919 verbunden:
Die Aufwertung der Umgangs- gegenüber der alten Literatursprache, eine neue um-
gangssprachliche Literatur, die Betonung des Individuums und die umfassende Verbrei-
tung westlicher Philosophie und Erziehungswissenschaft waren nur einige Eckpunkte auf
dem Weg in eine moderne, westlich orientierte Gesellschaft, die den Intellektuellen als
einzige Chance für die Zukunft erschien. Das Studium deutscher Literatur in einem ers-
ten Germanistik-Studiengang, der 1922 an der Universität Peking eingerichtet worden
war, verfolgte diesen anspruchsvollen Weg: Nach einem zweijährigen Sprachenpropädeu-
tikum bildeten deutsche Klassiker, zum Beispiel Goethe, Lessing aber auch Theodor
Storm sowie mediävistische Inhalte (Gotisch, Althochdeutsch) die Hauptinhalte des da-
maligen, vier weitere Studienjahre umfassenden Germanistikstudiums.
Doch ehe das Fach Deutsch und die Germanistik als Institutionen in China richtig
Fuß fassen konnten, verschwanden sie in den 1930er Jahren unter dem Regime der Guo-
mindang Tschiang Kai-Sheks (1887⫺1975) bereits wieder. Aus dieser Zeit blieb vor allem
Schriftliches: Literaturlexika und Literaturgeschichten wie Deguo wenxue (Das ABC der
deutschen Literatur) von Li Jinfa (1928) oder Deyizhi wenxue shi (Die Geschichte der
deutschen Literatur) von Xu Xiangsen, Übersetzungen und interpretatorische Auseinan-
dersetzungen mit Faust, Werther, Wallenstein, Immensee und den Heine-Gedichten. Pro-
bleme, die sich aus der täglichen Sorge um den Lebensunterhalt ergaben, zwangen die
damaligen Germanisten, Unterricht in der deutschen Sprache als zweite oder dritte
Fremdsprache zu geben. Ihr eigentliches, institutionsloses Fach, die Germanistik, konn-
1638 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
ten sie dabei allerdings nicht lehren. Unterricht in Deutsch als Fremdsprache wurde zum
Alltag. Das hat sich bis heute für die überwiegende Zahl chinesischer Germanisten
nicht geändert.
Mit der Gründung der Volksrepublik China 1949 verschmolzen Germanistik und
Deutsch als Fremdsprache zusehends. Der Aufbau des neuen sozialistischen Staates
stand in den frühen 1950er Jahren in fester ökonomischer wie politischer Abhängigkeit
von der UdSSR. Damit war der Weg geebnet für eine Zusammenarbeit auch mit den
sozialistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas, u. a. auch mit der DDR, die sich an
der geografischen Grenze zur amerikanischen „Ideologie des Imperialismus“ (Machetzki
1982) befand.
An der Fremdsprachenhochschule Peking (1949), der heutigen Fremdsprachen-
Universität, der Universität Nanjing (1947 bzw. 1952), der Universität Peking (1952) und
der Fremdsprachenhochschule und jetzigen Fremdsprachen-Universität Shanghai (1956)
wurden die ersten Germanistik-Abteilungen eingerichtet. Konferenzen zur Überset-
zungsarbeit (1951) und zur literarischen Übersetzung förderten die Übersetzungstätigkeit
als Schwerpunkt der jungen volksrepublikanischen Germanistik. In Zusammenarbeit mit
der DDR wurde sozialistische deutsche Literatur wie zum Beispiel Werke von Anna
Seghers, Berthold Brecht, dem jungen Stefan Heym oder Friedrich Wolfs Dramen über-
setzt und ein umfassender Überblick über die deutsche Literatur vom Hochmittelalter
bis in die Gegenwart zu entwerfen.
Mit der ersten Phase der Kulturrevolution (1966⫺1976) zwischen 1966 und 1970 kam
der Hochschulbetrieb faktisch zum Erliegen. Germanisten und Deutschlehrer wurden
wie die meisten Intellektuellen zur körperlichen Arbeit auf das Land geschickt, wo sie
weiter übersetzten und sich mit der deutschen Sprache beschäftigten. Nach 1970, in der
zweiten Kulturrevolutionsphase, erteilte man an den sogenannten Arbeiter-Bauern-Sol-
daten (ABS)-Hochschulen wieder deutschen Sprachunterricht, um sprachkundige Mittler
für den Maoismus-Export in die deutschsprachigen Länder auszubilden. Damit erhielt
der Deutschunterricht wieder einen neuen praktischen Zweck.
In den 1980er und 1990er Jahren hatte das Fach Deutsch wieder einen festen Platz an
den Hochschulen. In China besteht bis heute keine strikte Trennung zwischen DaF und
Germanistik, denn Germanisten sind in der Regel immer auch als Deutschlehrer aktiv
⫺ lehrend und forschend. DaF blieb jedoch ein „Orchideenfach“, das fast nur als Haupt-
fachstudiengang (Germanistik) mit konstant ca. 1200⫺1600 Studierenden (Hernig 2000:
137) eine fachwissenschaftliche Bedeutung hatte. Chinesischen Statistiken zufolge lernten
Mitte der 1990er Jahre rund 16500 Hochschulstudierende studienbegleitend Deutsch. Im
Rahmen germanistischer Forschung wurden erstmals Publikationen rund um Fragestel-
lungen der Methodik und Didaktik Deutsch als Fremdsprache verfasst. Insgesamt traten
drei Arbeitsschwerpunkte auf:
⫺ Rezeption und Anwendung westdeutscher Didaktik und Methodik in China
⫺ Versuche zur Nutzbarmachung kontrastiver Linguistik für Sprachlernprozesse
⫺ Curriculumforschung einschließlich Fehleranalyse mit der Lehrwerkentwicklung als
Abschluss.
187. Deutsch in China 1639
Im 21. Jahrhundert hat sich DaF als Hauptfach numerisch stark entwickelt. Gegenwärtig
studieren nach Schätzungen des Goethe-Instituts Peking knapp 6000 Chinesen als
Hauptfach-Deutschlernende an 46 Hochschulen und Universitäten (www.germancn.
com), weitere 20.000 Studierende lernen in Intensiv- und Extensivkursen Deutsch. Daten
über aktuelle Lernerzahlen sollen nach 2009 erhoben werden.
Hochschuldeutschunterricht in China verfolgt vor allem vier Ausbildungsziele:
⫺ Mittler in Sachen Sprache und Kultur für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbezie-
hungen zu qualifizieren
⫺ Deutschlehrer auszubilden
⫺ Studierende und Graduierte auf ein Fachstudium in den deutschsprachigen Ländern
vorzubereiten
⫺ eine zusätzliche Sprachprüfung (Nebenfach) zu bestehen, nicht unbedingt mit dem
Ziel eines Auslandsstudiums verbunden.
Für die unterschiedlichen Formen von Deutschunterricht an Hochschulen: a) DaF
als Hauptfachstudium (Germanistik), b) DaF als anwendungsorientiertes Nebenfach,
c) DaF in Intensivkursen richtete das Pekinger Bildungsministerium (jiaoyu bu) eigene
Kommissionen ein, die neue Curricula entwickeln, landeseinheitliche Prüfungen ausar-
beiten oder neue Lehrwerke konzipieren. Wichtige Lehrwerke sind Studienweg Deutsch,
das neue landesweit eingesetzte Standardlehrwerk für Hauptfach-Deutschstudenten und
Klick auf Deutsch, das vor allem für Lerner, die studienbegleitend Deutsch lernen, in
enger Kooperation mit dem Goethe-Institut erstellt wurde.
Grundsätzlich sind es die Lehre der deutschen Sprache und die mit ihr verbundenen
kulturellen Besonderheiten der deutschsprachigen Länder, denen das Interesse chinesi-
scher Fachvertreter heute gilt. Junge Deutschlerner und Germanisten sollen verstärkt
sprachliche Handlungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zwischen den Kulturen erwerben.
Hauptfachgermanisten wie Absolventen von Intensiv- wie Extensivkursen sollen ver-
stärkt befähigt werden, den kulturellen Gewohnheiten der deutschsprachigen Länder ge-
mäß sprachlich angemessener agieren zu können. Der Gemeinsame Europäische Refe-
renzrahmen für Sprachen (GER), der in chinesischer Übersetzung vorliegt, gilt als mitt-
lerweile weit verbreitete Richtlinie dafür, wie diese Handlungsfähigkeit in allen Formen
des Deutschunterrichts an Hochschulen, verbessert werden kann, ohne dass eine voll-
ständige Ausrichtung des Hochschuldeutschunterrichts nach dem GER erwünscht ist
(Qian, Wei, Wei und Kong 2008: 35⫺37 In Bildungsfragen liegt die Betonung sehr stark
auf eigenen Bedürfnissen, denen ausländisches Material oder auch Richtlinien anzupas-
sen sind.
Zweiter Schwerpunkt in China ist seit einigen Jahren die Diskussion um verstärkte
Einbeziehung eigenkultureller Besonderheiten in den interkulturellen Vergleich mit den
deutschsprachigen Ländern, etwa in Form einer wissens- und handlungsorientierten in-
terkulturellen Landeskunde, wie u. a. Li (2009) sie vertritt. Vor dem Hintergrund eines
starken kulturellen Eigengefühls in China, das sich nach Öffnung des Landes und den
anschließenden wirtschaftlichen Erfolgen der letzten Jahre verstärkt hat, wirkt diese Ten-
denz konsequent. Entsprechend neu ausgerichteter DaF-Unterricht soll Wissen und Be-
wusstsein für eigene und fremde Verhaltensweisen erzeugen, um selbständiger im Aus-
land oder im Direktkontakt mit Muttersprachlern zu handeln.
1640 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
2. Deutsch an Schulen
Der schulische Deutschunterricht in China war und ist eng verbunden mit den Bedürfnis-
sen des Hochschulwesens. Schulen, die Sprachenunterricht außer Englisch anbieten, er-
füllen bis heute häufig die Funktion einer Vorbereitungsanstalt (prepschool, yubei xue-
xiao) für einschlägige Fremdsprachen- oder Technikstudiengänge. Dieses Modell ist rund
100 Jahre alt und begann mit den ersten polytechnischen Mittelschulen, die mit deutscher
Initiative zwischen 1907 und 1910 in verschiedenen Städten entstanden (Hess 1992: 370).
Die erste wirtschaftliche Expansion Deutschlands in China mit Hochschulgründungen
im noch kolonialen Qingdao, in Hankou und in Shanghai benötigte sprachlich gut vorge-
bildete Kandidaten. Mit dem Niedergang der ausländischen Bildungsinstitutionen bzw.
der Eingliederung in das sozialistische Bildungswesen nach 1949, verlor der Deutschun-
terricht als Vorbereitungsfach zum Studium stark an Substanz. Autoren wie Kahn-
Ackermann (1991) zogen daher zu Beginn der 1990er Jahre noch die Bilanz, dass DaF
an Schulen „praktisch nicht mehr angeboten“ (Hess 1992: 374) werde. Das stimmte nicht
ganz, denn immerhin hatte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an jenen,
damals wenigen, Schulen, die den Fremdsprachenuniversitäten angeschlossen waren,
Deutsch als erste und zweite Fremdsprache erhalten bzw. nach 1949 etabliert. Das Sys-
tem dieser Schulen funktioniert nach dem System des Drachens (yi tiao long xitong).
Vom Schwanz des Drachens, also der Schule an, sollen fremdsprachenkundige Mittler
mit hohem Sprachniveau bis zur Graduiertenstufe an der Hochschule (Master), dem
Kopf des Drachens also, ausgebildet werden (vgl. Hess 1992: 374).
Dieses System, das Deutsch als erste Fremdsprache in den Mittelpunkt stellt, wird bis
heute erfolgreich fortgeführt. Im Jahr 2005 durften erstmals Absolventen einer Fremd-
sprachenmittelschule in Shanghai nach bestandenem Deutschen Sprachdiplom Stufe 2
(DSD II) ohne die obligatorische Hochschulaufnahmeprüfung und ein Studienjahr in
China direkt an deutschen Hochschulen studieren. Bis 2009 wurde nach Informationen
der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) an 28 Fremdsprachenschwerpunkt-
schulen Deutsch als erste Fremdsprache für 2500 Deutschlerner erteilt. Ein weiterer Aus-
bau wird in den nächsten Jahren erfolgen und von der ZfA gefördert. Die Deutschen
Sprachdiplome Stufe I und II (DSD I und DSD II) der Kultusministerkonferenz werden
flächendeckend eingeführt und der Deutschunterricht mit neuen Materialien, Fachbera-
tern und Programmlehrkräften intensiviert.
Seit den ersten Jahren des 21. Jahrhundert setzen auch das Bildungsministerium in
Peking und einzelne regionale Bildungsbehörden auf Mehrsprachigkeit an allgemeinbil-
denden Mittelschulen von Klasse 7⫺12. Nur zwei Jahre nach dem europäischen Jahr der
Sprachen 2001 begann die Erziehungsbehörde Shanghai, als sogenannte kleine Sprachen
vor allem die europäischen Sprachen Deutsch, Französisch und Spanisch neben dem
Japanischen, Koreanischen und Arabischen verstärkt an den Schulen zu etablieren. Das
Konzept Deutsch nach Englisch ist daher seit einigen Jahren für eine zunehmende Zahl
187. Deutsch in China 1641
von Mittelschulen relevant, die mit wenig Raum im dichten Curriculum Deutsch als
zweite Fremdsprache eingeführt haben. Zwischen 2003 und 2005 begannen in Shanghai
allein 17 allgemeinbildende Schulen offiziell (Zhao Caixin auf dem Chinesisch-Deutschen
Bildungsforum vom 3.März 2005 in Hamburg) mit dem Deutschunterricht. Mit dem
weltweiten Projekt Schulen ⫺ Partner der Zukunft (www.pasch.de) der deutschen Bun-
desregierung wurde der Unterricht des Deutschen als erster und zweiter Fremdsprache an
allgemeinbildenden Mittelschulen seit 2008 in ganz China weiter gefördert und verstärkt.
Shanghai begann im Jahre 2004 als Provinz Chinas das Konzept der Mehrsprachigkeit
mit Wahlkursangeboten in den kleinen Sprachen (xiao yuzhong) außer Englisch flächen-
deckend durchzusetzen. Allein die Abteilung Kultur und Bildung des Deutschen General-
konsulats Shanghai, die die Aufgaben eines Goethe-Instituts wahrnimmt, betreute bis
Ende 2008 20 Mittelschulen allein in Shanghai, an denen 2550 Schülerinnen und Schüler
Deutsch in der Regel als zweite Fremdsprache nach Englisch lernten.
Bemerkenswert daran ist, dass diese Entwicklung an den allgemeinbildenden Schulen
Chinas eine Bildungsbewegung von unten war. Besorgt und entschlossen zugleich schau-
ten die ehrgeizigen Eltern vieler Einzelkinder auf die mehr als 1200 deutschen Unterneh-
men allein im Großraum Shanghai (rund 45 % aller deutschen Unternehmen in China)
und forderten die Einführung der deutschen Sprache an der Schule ihrer Kinder. Die
Schulleiter folgten dem Interesse der Erziehungsberechtigten und räumten ⫺ meist auf
Versuchsbasis ⫺ Platz für Deutsch in den oft rund 40 Unterrichtseinheiten pro Woche
umfassenden Stundeplänen frei. Die meisten der neuen Deutsch-Lernangebote sind an
den Oberschulen angesiedelt, die Unterricht für die Klassen 10⫺12 anbieten. Hier wur-
den für besonders begabte Englisch-Schülerinnen und -Schüler Möglichkeiten einge-
räumt, zwei bis max. sechs Wochenstunden Deutsch zu lernen. Weitere Angebote
Deutsch als zweite Fremdsprache findet man an den sogenannten Junior High Schools,
den Unterstufenschulen, die Unterricht der Klassen 7⫺10 anbieten und, sehr vereinzelt,
sogar in den letzen Klassen 4⫺6 von Grundschulen. Die beste Grundlage, extensiven und
daher vom Lernumfang halbwegs ausreichenden Deutschunterricht anzubieten, bieten
Mittelschulen, die sowohl über Unter- als auch Oberstufen verfügen. Sie bieten ihren
Schülern Angebote von 2⫺4 Stunden Deutsch pro Woche. Nur an solchen Schulen kann
mit max. 800 Stunden Deutsch über fünf Jahre ein Niveau erreicht werden, das Mittelstu-
fen-Deutsch-Prüfungen oder ersten Sprachdiplomen ausreichend Stoff gibt. Viele Schu-
len können wegen des Drucks der obligatorischen Hochschulaufnahmeprüfung (gaokao)
nach Klasse 12 gerade einmal 160 Stunden oder noch weniger Deutsch über 2 Jahre
anbieten. Außer muttersprachigen Lehrkräften unterschiedlicher Qualifikation haben
erste Germanistik-Absolventen Teile des schulischen Deutschunterrichts übernommen.
Allerdings fehlt es ihnen in der Regel an methodisch-didaktischer Ausbildung und einem
soliden Stellenprofil, das das Lehramt an Schulen attraktiv macht. Da es kaum Möglich-
keiten gibt, sich mit dem Fach Deutsch für die Hochschulaufnahmeprüfung zu qualifizie-
ren oder sich darin prüfen zu lassen, ist der Erfolg des neuen Faches zumindest in der
Oberstufe der Schulen ohnehin fraglich. In Shanghai machen sich immerhin erste Verein-
heitlichungstendenzen bemerkbar: Ein erstes Lehrwerk für Lernanfänger wurde von der
Erziehungskommission der Stadt verbindlich für alle Schulen mit Deutsch-nach-Eng-
lisch-Unterricht vorgeschrieben.
1642 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
3. Literatur in Auswahl
Hernig, Marcus
2000 China und die interkulturelle Germanistik ⫺ Kulturvergleich, Interkulturalität und Interdis-
ziplinarität im Rahmen der chinesischen „Wissenschaft vom Deutschen“. Einzelfallstudien
zur Situation und Entwicklung der chinesischen Germanistik. München: iudicium.
Hess, Hans Werner
1992 Die Kunst des Drachentötens. Zur Situation von Deutsch als Fremdsprache in der Volksre-
publik China. München: iudicium.
Kahn-Ackermann, Michael
1991 Der Stand der Deutschausbildung in China. Prisma 1: 33⫺35.
Li, Yuan
im Druck Interkulturelle Landeskunde ⫺ Eine kritische Analyse. Tagungsband „Deutsch als
Fremdsprache aus internationaler Perspektive“. München: iudicium.
Machetzki, Rüdiger
1982 Geschichte und Gegenwart der deutsch-chinesischen Kulturbeziehungen. In: Rüdiger Ma-
chetzki (Hg.), Deutsch⫺chinesische Beziehungen ⫺ Ein Handbuch, 207⫺249. Hamburg:
Institut für Asienkunde.
Qian, Minru, Maoping Wei, Yuqing Wei und Deming Kong
2008 Dangdai Zhongguo Deyu zhuanye gangling yu moshi [Richtlinien und Formen des
Deutschstudiums in China heute]. In: Minru Qian, Maoping Wei, Yuqing Wie und De-
ming Kong (Hg.), Dangdai Zhongguo Deyu zhuanye jiaoyu yanjiu baogao [Forschungs-
bericht zur Lage der Lehre im Rahmen des heutigen Deutschstudiums in China], 1⫺103.
Shanghai: Foreign Language Education Press.
Webseite chinesischer Germanisten und Deutschlerner rund um die deutsche Sprache in China
(30. 12. 2009). http://www.germancn.com/?Lang⫽de.
Obwohl DaF in Dänemark durchaus den Stellenwert einer eigenen Disziplin besitzt,
ist die Forschung in diesem Bereich dennoch schwierig einzugrenzen. Daher werden im
Folgenden DaF-relevante Forschungsbereiche exemplarisch aufgeführt. Grammatik ist
die klassische Forschungsdisziplin von DaF in Dänemark, vgl. z. B. Übersichtsdarstel-
lungen wie die Grammatik von Lauridsen und Poulsen (1995), rezeptionsgrammatische
188. Deutsch in Dänemark 1645
Arbeiten (Ditlevsen 2000) oder etwa für das Sprachenpaar Deutsch-Dänisch spezifische
syntaktische Problembereiche (z. B. Bruun Hansen 2001). Im Zuge der wirtschaftlichen
Nutzbarmachung von akademisch erworbenen Deutschkenntnissen spielt die Forschung
im Bereich Wirtschaftskommunikation eine immer größere Rolle (Überblick bei Nielsen
2003). Colliander und Hansen (2002) mit ihrem sprechakttheoretischen Herangehen an
Geschäftsbriefe seien hier exemplarisch genannt. Ein Vertreter der text(sorten)linguisti-
schen Forschung, die sich auch didaktisch umsetzen lässt, ist Nielsen (2006). Auch lexiko-
graphische Forschung ist für DaF ein wichtiges Gebiet (z. B. Barz, Bergenholtz und Kor-
honen 2005). Kultur (z. B. Bohnen und Schlosser 2004) und Literatur (z. B. Pinkert 2008)
gehören ebenfalls zum Inventar dänischer DaF-Forschung. DaZ ist vor allem im Grenz-
land, wo eine deutsche Minderheit von etwa 15.000 Deutsch eher als DaZ denn als DaF
erwirbt, von Bedeutung, vgl. dazu im Überblick Pedersen (2001).
7. Literatur in Auswahl
Barz, Irmhild, Henning Bergenholtz und Jarmo Korhonen
2005 Schreiben, Verstehen, Übersetzen, Lernen. Frankfurt a. M.: Lang.
Bense, Elisabeth
2003 Tysk i Danmark ⫺ Perspektiver for fagets udvikling. Roskilde: Roskilde Universitetscen-
ter.
Bohnen, Klaus Wilhelm A. und Jan Tødtloff Schlosser (Hg.)
2004 Übersetzung als Kulturvermittlung ⫺ im deutsch-dänischen Kontext. København, Mün-
chen: Fink.
Bruun Hansen, Agnete
2001 Zum Problem einer Grammatik für den DaF-Unterricht des Grundstudiums an däni-
schen Hochschulen ⫺ demonstriert am Beispiel es. In: Peter Colliander (Hg.), Linguistik
im DaF-Unterricht, 77⫺99. Frankfurt a. M.: Lang.
Colliander, Peter und Doris Hansen
2002 Sproghandlinger i tysk. 2. Auflage. København: Handelshøjskolens Forlag.
Ditlevsen, Marianne Grove
2000 Die Verständlichkeit von deutschen Fachtexten am Beispiel der Substantivphrase.
Deutsch als Fremdsprache 2: 82⫺86.
Dunn, Rita und Shirley A. Griggs (Hg.)
2003 Synthesis of the Dunn and Dunn Learning-Style Model Research. Who, What, When,
Where, and So What? New York: St. John’s University.
1646 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Fabricius-Hansen, Cathrine
2006 Auslandsgermanistik ⫺ Germanistik im Ausland? Deutsch als Fremdsprache 2: 67⫺70.
Lauridsen, Ole und Sven-Olaf Poulsen
1995 Tysk Grammatik. København: Munksgaard.
Nielsen, Lars
2007 Reformundersøgelse. WissensWert 1: 14⫺16.
Nielsen, Martin
2003 Internationale Wirtschaftskommunikation auf Deutsch: Forschung und Lehre in Däne-
mark ⫺ eine Bestandsaufnahme. In: Ewald Reuter und Marja-Leena Piitulainen (Hg),
Internationale Wirtschaftskommunikation auf Deutsch, 103⫺124. Frankfurt a. M.: Lang.
Nielsen, Martin
2006 Speech acts in sales letters. In: Inger Askehave und Birgitte Norlyk (Hg.), Meanings and
Messages. Intercultural Business Communication, 151⫺170. Århus: Academica.
Pedersen, Karen Margrethe
2001 Sprog og identitet i grænseregionen. In: Susanne Bygvrå, Carsten Yndigegn Hansen,
Jørgen Kühl, Karen Margrethe Pedersen, Troels Rasmussen und Michael Schack (Hg.),
Grænseregionsforskning 1976⫺2001, 221⫺240. Aabenraa: Institut for Grænseregionsfors-
kning.
Pinkert, Ernst-Ullrich
2008 Ach die Dänen mit ihrem ewigen Heine: Aspekte der Wirkungsgeschichte Heines in Däne-
mark im 19. Jahrhundert. In: Christa Grimm, Ilse Nagelschmidt und Ludwig Stockinger
(Hg.), Exemplarische AutorInnen und Texte in der interkulturellen Kommunikation, 63⫺
75. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag.
Verstraete-Hansen, Lisbeth
2008 Hvad skal vi med sprog? Holdninger til fremmedsprog i danske virksomheder i et uddannelse-
spolitisk perspektiv. København: Copenhagen Business School.
Zint-Dyhr, Ingeborg und Peter Colliander
2006 Auslandsgermanistik ⫺ Inlandsgermanistik ⫺ Interferenz ⫺ Disjunktivität ⫺ Komple-
mentarität. Deutsch als Fremdsprache 1: 7⫺13.
Baoulé, Bété und Dioula unterrichten zu lassen. Da die Schule in Côte d’Ivoire dem
französischen System folgt, stehen europäische Fremdsprachen auf dem Schulprogramm.
Seit 1957 wird Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch in den ivorischen
Schulen unterrichtet. In den Anfangsjahren wurde es sogar in manchen Schulen als erste
Fremdsprache vor Englisch angeboten. Seit der Schulreform im Jahr 1977 ist Englisch
alleinige erste Fremdsprache ab der ersten Klasse der allgemeinen Sekundarschule
(6ème), Deutsch oder Spanisch werden als zweite Fremdsprache ab der dritten Klasse
(4ème) erlernt. In den staatlichen Schulen ist die Wahl der zweiten Fremdsprache zwi-
schen Deutsch und Spanisch nicht möglich; die Schüler werden von der Schulleitung
einer deutschen oder spanischen Klasse zugewiesen, damit kein Missverhältnis zwischen
Angebot und Nachfrage beider Fremdsprachen entstehen kann. In den Privatschulen,
wo die Lernenden jedoch die Wahl haben, lässt sich feststellen, dass Spanisch stärker
nachgefragt wird als Deutsch, denn diese ⫺ wie Französisch ⫺ romanische Sprache
erscheint den Eltern und damit auch den Schülern einfacher als Deutsch. Das Monopol
des Englischen als alleinige erste Fremdsprache wird seit dem Schuljahr 2008⫺2009 wie-
der langsam aufgebrochen. In einigen Schulen wurde Deutsch als erste Fremdsprache
unterrichtet und weitere Schulen werden in den nächsten Jahren folgen.
Wie lange und in welchem Zeitvolumen pro Woche Deutsch als zweite Fremdsprache
bisher nach dem BEPC (Brevet d’Etudes du Premier Cycle) angeboten wird, hängt von
dem Schulzug ab. In den Zügen A und B wird Deutsch drei Stunden pro Woche unter-
richtet und bleibt Pflichtfach bis zum Abitur. Hier ist Deutsch auch Abiturprüfungsfach.
In den Zügen C und D wird Deutsch dagegen nur ein bis zwei Stunden pro Woche
unterrichtet und bleibt nur bis zur Seconde (dritte Klasse der Sekundarschule) obligato-
risch, danach ist es nur noch fakultativ (Böhm 2003: 283).
Von seiner Einführung bis Ende der 1960er Jahre wurde der Deutschunterricht von
französischen Deutschlehrenden abgehalten. Im Rahmen des „Frankophonen Pro-
gramms“ der Bundesrepublik Deutschland traten deutsche Deutschlehrende die Nach-
folge der Franzosen an. Zur gleichen Zeit unterstützte Deutschland die Deutschlehrer-
ausbildung an der Pädagogischen Hochschule (Ecole Normale Supérieure). Dank dieser
Kooperation liegt der Deutschunterricht heute ausschließlich in den Händen ivorischer
Deutschlehrender. Von den ersten DeutschlehrerInnen sind manche inzwischen als Fach-
berater für Deutsch tätig. Ihre Arbeit besteht darin, die Deutschlehrenden landesweit bei
methodisch-didaktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Deutschunterrichts
zu unterstützen. Im Rahmen der Lehrerfortbildung vor Ort arbeiten sie mit einem deut-
schen Fachberater und dem Goethe-Institut eng zusammen.
Am Anfang wurde Deutsch mit französischen Lehrwerken unterrichtet, Ende der
1970er Jahre wurden sie durch das in deutsch-afrikanischer Kooperation entstandene
regionale Lehrwerk „Yao lernt Deutsch“ abgelöst. Wegen dessen methodisch-didakti-
schen Mängeln und problematischen landeskundlichen und kulturellen Ansätzen wurde
1991⫺1995 in gleicher Kooperation das 4-bändige Lehrwerk „Ihr und Wir“ entwickelt.
Anders als in Ländern wie etwa Algerien oder Südafrika, wo es nationale Lehrwerke
gibt, wurden die angesprochenen Lehrbücher einheitlich für die Länder des frankopho-
nen Afrika südlich der Sahara erstellt und dann manchmal mit landesspezifischen Vari-
anten verwendet. „Yao lernt Deutsch“ hieß z. B. in Senegal „Abdou lernt Deutsch“.
Das Goethe-Institut ist zurzeit der einzige Anbieter von Deutschkursen im außerschu-
lischen Bereich. Die A1-Stufe ist aufgrund der deutschen Gesetze hinsichtlich der Famili-
enzusammenführung und der Eheschließung sehr gut besucht. Die Stufen A2 und B1
können dagegen wegen geringer Nachfrage nur unregelmäßig stattfinden.
1648 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Deutschschüler hat. Mit der Wiedereinführung von Deutsch als erster Fremdsprache
in der Sekundarschule ist mit einer raschen Progression der Deutschschülerzahl in den
kommenden Jahren zu rechnen.
Wie die Zahl der SchülerInnen hat sich auch die Zahl ihrer BetreuerInnen verändert.
Allein in den staatlichen Schulen stieg die Zahl der Deutschlehrenden in den Jahren von
1995 bis 2001 von 533 auf 660 an. Unter Berücksichtigung der Lehrenden der Privatschu-
len, deren Zahl nicht genau bekannt ist, geht die Gesamtzahl der Deutschlehrenden in
Côte d’Ivoire nach Schätzungen über 1.000 hinaus.
Auch im Hochschulbereich hat Côte d’Ivoire die größte Anzahl von Deutschstudie-
renden im Afrika südlich der Sahara. 1999 studierten 1.250 Studenten Germanistik. Im
Jahre 2009 erreicht allein die Zahl der Deutschstudierenden an der Universität Cocody-
Abidjan 1.200. An der Universität Bouaké sind ungefähr 300 Deutschstudierende immat-
rikuliert. Die Pädagogische Hochschule hatte im akademischen Schuljahr 2008⫺2009
150 Studierende bzw. Praktikanten. In dieser Hochschule steigt die Zahl der Studieren-
den nicht konstant, sie geht manchmal sogar zurück, wenn der Lehrerbedarf nicht so
akut ist oder wenn die finanzielle Situation des Landes die Einstellung einer großen
Lehrerzahl nicht zulässt.
Weil nicht alle Studierenden den Lehrerberuf ergreifen wollen bzw. werden, bietet die
Deutschabteilung im Hauptstudium erste berufsbezogene Zusatzqualifikationen an. So
werden einerseits fachspezifische Sprachkenntnisse für die Bereiche Tourismus und Wirt-
schaftsgeschichte vermittelt. Andererseits können die Studierenden Kurse für Verwal-
tungsrecht oder Kommunikation belegen.
Ein Problem betrifft die Lehrwerke und die Unterrichtsmethoden, die nicht sehr kom-
munikativ orientiert sind, so dass die meisten Deutschlernenden trotz ihrer Deutsch-
kenntnisse in einer kommunikativen Alltagssituation nicht immer erfolgreich sind. Mit
dem regionalen Lehrwerk „Ihr und Wir Plus“, das zur Zeit bearbeitet wird, werden
zukünftig kommunikativere Akzente im Unterricht gesetzt werden können.
Trotz der angesprochenen Probleme hat Deutsch in Côte d’Ivoire Zukunft. Mit der
Globalisierung der Welt lässt sich erwarten, dass die Zahl der Deutschlernenden weiter
ansteigt. Nur eine fremdsprachenunfreundliche Schulreform, ein Rückgang der Geburten
oder schlechte Berufsaussichten könnten die Zunahme der Zahl der Deutschlernenden
und -studierenden in diesem Land bremsen.
4. Literatur in Auswahl
len mit 23 %), der Anteil des Deutschen beträgt zur Zeit lediglich 3 % als erste Fremd-
sprache. Da aus geopolitischen Gründen in Estland die russische Sprache verstärkt als
zweite Fremdsprache gewählt wird (59 %), kommt das Deutsche vor allem als dritte
Fremdsprache in Frage (56 %) (vgl. Sõstar 2008).
3. Germanistik-/DaF-Studium
Seitdem Deutsch vor allem als dritte Fremdsprache gelernt wird, sind die Deutschkennt-
nisse der Germanistikstudenten im Vergleich zu den 1990er Jahren stark gesunken. Da
in Estland zugleich der Zugang zu den Universitäten in allen Bereichen erleichtert wor-
den ist, werden auch keine Aufnahmeprüfungen durchgeführt und alle, die das Staatsexa-
men im Fach Deutsch auf einem durchschnittlichen Niveau abgelegt haben und durch-
schnittliche Leistungen in anderen Bereichen vorweisen sowie ihr Studium selbst bezah-
len wollen bzw. können, können immatrikuliert werden. Da nach der Reform der
Curricula entsprechend dem Bologna-Abkommen der vormals sehr hohe Anteil des
praktischen Deutschunterrichts im Germanistikstudium zurückgegangen ist, ist die Be-
herrschung der deutschen Sprache gesunken. Auch wenn im Sinne der Verwissenschaftli-
chung der Lehre parallel dazu die Kenntnisse in der Linguistik und in der deutschen
Literatur gestiegen sind, bereitet die mangelhafte Sprachkompetenz im Studium sowie
im beruflichen Umfeld Probleme.
1652 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
4. Lehrerausbildung
dung wird mit einer Masterarbeit zu einem allgemein- oder fachdidaktischen Untersu-
chungsthema abgeschlossen.
Der Übergang auf die neuen Curricula hat auch für die Deutschlehrerausbildung in
den letzten Jahren eine Neuorientierung bedeutet. Da der Lehrerberuf im Land allgemein
kein Prestigeberuf ist, entscheiden sich immer weniger (Germanistik-)Studenten für die
Lehrerausbildung. So mangelt es an Nachwuchs an Deutschlehrern und das wiederum
bringt eine Reduktion des Deutschunterrichts an allgemeinbildenden Schulen mit sich.
5. Forschung
Die estnische Hochschulgermanistik ist eine ausgesprochen kleine Disziplin. Es gibt ins-
gesamt knapp 20 einheimische MitarbeiterInnen (vgl. Tarvas 2005). Da dieser Personen-
kreis im Lehrangebot die ganze Breite des Faches abdecken soll, ist das Spektrum der
Forschungsinteressen und der Publikationen sehr bunt. Es gibt sowohl linguistische als
auch didaktische und literaturwissenschaftliche Arbeiten, aber auch Publikationen, die
eher im Kontext der Kulturwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte stehen. Wenn man
die traditionell stärkste Richtung, die Linguistik, betrachtet, so stehen hier Forschungen
im Bereich der Systemlinguistik und Angewandten Linguistik im Zentrum, indirekt sind
dazu auch lexikographische Projekte zu zählen. Am größten ist die thematische Vielfalt
aber im Bereich der Literaturwissenschaft, dort gibt es auch die meisten Promotionen.
Die Literaturwissenschaftlerinnen untersuchen vor allem kontrastiv die Literatur aller
deutschsprachigen Länder und berücksichtigen auch die Tradition der deutschbaltischen
Literatur. Im Bereich Literaturtheorie spielt die Autobiografieforschung eine wichtige
Rolle. Die didaktische Forschung konzentriert sich auf kreative und interaktive Metho-
den und die Problematik der personalen Faktoren im Fremdsprachenunterricht. Im neu
entstehenden Bereich Übersetzungswissenschaft werden unter anderem die translatori-
schen Entscheidungen untersucht.
7. Literatur in Auswahl
Eesti Hariduse Infosüsteem. [Informationssystem des Estnischen Bildungswesens].
http://www.ehis.ee [Zugriff am 30. 11. 2008]
Goethe-Institut Estland.
http://www.goethe.de/ins/ee/tal/uun/deindex.htm [Zugriff am 30. 11. 2008]
Keelehariduspoliitika ülevaade. Eesti. Raport. [Übersicht über die Sprachbildungspolitik. Estland.
Bericht].
2008 Tartu: Haridus- ja Teadusministeerium.
Sõstar, Kersti
2008 Võõrkeelte õpe Eesti üldhariduskoolides ⫺ nüüd ja tulevikus. [Fremdsprachenunterricht
in estnischen allgemeinbildenden Schulen ⫺ heute und in Zukunft.]
http://www.koolielu.ee/pages.php/0710,20181 [Zugriff am 30. 11. 2008]
Riiklik Eksami- ja Kvalifikatsioonikeskus. [Staatliches Prüfungs- und Qualifikationszentrum].
http://www.ekk.edu.ee [Zugriff am 30. 11. 2008]
Tallinna Saksa Gümnaasium. [Das Deutsche Gymnasium Tallinn].
http://www.saksa.tln.edu.ee/de/index.php?option⫽com_content&task⫽section&id⫽6&
Itemid⫽30 [30. 11. 2008]
Tarvas, Mari
2005 Zu den Publikationen estnischer Germanisten. Eine Bestandsaufnahme. Triangulum. Ger-
manistisches Jahrbuch für Estland, Lettland und Litauen 10: 234⫺243.
Tab. 191.1: Deutsch und Englisch als erste Fremdsprache (1. FS) in % im finnischen Abitur von
1945 bis 1980 (nach Haataja, 2005).
Sprache 1945⫺47 1950 1960 1970 1980
Deutsch 94,4 56,9 47,2 40,1 2,8
Englisch 2,8 39,2 50,3 59,1 96,5
Inzwischen ist Finnland seit knapp 15 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Der
1995 erfolgte Beitritt hat sich in der schulischen Fremdsprachenlandschaft deutlich sicht-
bar gemacht, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf DaF. Zudem ist in Finnland bei der
Erneuerung der Rahmenlehrpläne für den grundlegenden Fremdsprachenunterricht
(FSU) im Jahr 1994 als ein fakultatives Fach die zweite Fremdsprache im Primarschulbe-
reich eingeführt worden. Als Begleitmaßnahme hat das finnische Zentralamt für Unter-
richtswesen im Jahr 1996 ein Projekt zur Vervielfältigung und Entwicklung des FSU
gestartet. Zu Beginn des Projekts haben ca. zwei Drittel aller finnischen Kommunen im
Primarbereich eine zweite Fremdsprache angeboten; Deutsch wurde zu dieser Zeit von
16,9 % der Lernenden gewählt. Gegen Ende der Projektlaufzeit (2000/2001) haben insge-
samt 12,8 % aller Schüler im Primarunterricht eine fakultative FS gelernt, darunter fast
40 % DaF. Die weiteren Tendenzen der letzten Jahre sind Tab. 191.2 zu entnehmen:
Tab. 191.2: Wahl v. Deutsch als 1. und 2. FS und Englisch als 1. FS in % von 1994 bis 2006 (nach
Haataja 2005).
Sprache 1994 2000 2004 2006
Deutsch 4,0 2,8 1,6 1,1
Deutsch 15,9 38,7 9,6 7,2
Englisch 86,9 87,6 90,7 91,7
Solche Entwicklungen lassen sich auch für weitere Fremdsprachen (z. B. Französisch,
Russisch) verzeichnen. Gründe hierfür sind u. a. die Entscheidung vieler Elternhäuser für
ausschließlich Englisch, sowie die beträchtlichen Sparmaßnahmen vieler Kommunen, die
sich ausgerechnet im Bereich der schulischen Sprachenerziehung in Form einer schwin-
denden Vielfalt der Sprachlernangebote niederschlagen: Heute kann in ganz Finnland
nur noch in zwei Kommunen die erste Fremdsprache aus fünf Alternativen ausgewählt
1656 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
werden. Eine erneute nationale Fördermaßnahme zur Beibehaltung und Stärkung der
Sprachenvielfalt scheint auch dringend notwendig; eine solche ist im finnischen Bildungs-
ministerium für die Jahre 2009 bis 2011 angekündigt worden.
Die grundlegende Ausbildung der DaF-Lehrkräfte liegt in Finnland bei den Universitä-
ten: Parallel zu bzw. im Anschluss an ein i. d. R. linguistisch orientiertes Fachstudium
der Germanistik bzw. der deutschen Sprache und Kultur wird am Institut für Lehreraus-
bildung eine gesonderte Ausbildung im Gesamtumfang von 60 ECTS absolviert. Diese
besteht aus pädagogischen, psychologischen und (fremdsprachen-)didaktisch-methodi-
schen Kursen, die teilweise für ReferendarInnen aller Fächer und weitestgehend für sol-
che verschiedener Fremdsprachen gemeinsam in finnischer Sprache organisiert werden.
Hinzu kommen unterrichtspraktische Studienabschnitte, die u. a. Unterrichtsversuche
und -hospitationen enthalten und an den Ausbildungsschulen der Universitäten stattfin-
den. Heute erwerben ca. 50 % der Germanistik-Absolvent/-innen in Finnland die schu-
lische Lehrqualifikation für DaF. I.d.R. wird diese zugleich auch für eine weitere
(Fremd-)Sprache erworben, die Kombination von einer Fremdsprache und einem Sach-
fach ist heute noch vergleichsweise selten. Im Zuge der gesamteuropäischen Diskussion
um eine curriculare Verankerung und Verbreitung des integrierten Sprachen- und Sach-
fachunterrichts (CLIL) finden die Fragestellungen u. a. um die doppelte Fakultas jedoch
immer mehr Berücksichtigung. Strukturell gesehen stellen wiederum Maßnahmen zur
Kontinuität zwischen Aus- und Fortbildung, sowie die Intensivierung von Zusammenar-
beit zwischen den fremdsprachlichen Fachdisziplinen und der Fachlehrerausbildung ak-
tuelle Entwicklungen dar.
Die Organisation der Lehrerfortbildung durchläuft in Finnland momentan einen Re-
formprozess. Neben den Kontinuitätsbemühungen zwischen den Aus- und Fortbil-
dungsstrukturen werden strukturelle und inhaltliche Vielfalt, Systematisierung und
Nachhaltigkeit, sowie Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Fortbildungsmaßnahmen
angestrebt. Veranstaltungen für DaF werden im Moment insb. vom Goethe Institut, der
Fachberatung für Deutsch der Zentralstelle für das Ausslandsschulwesen, sowie vom
Staatlichen Fortbildungsinstitut für Bildungswesen in Finnland getragen. Darüber hi-
naus bieten vereinzelt auch das Zentralamt für Unterrichtswesen, die Ausbildungsschulen
und Fortbildungszentren der Universitäten sowie die kommunalen und regionalen Ämter
für Schule und Bildung Fortbildungskurse an. Inhaltlich standen in den letzten Jahren
neben Adaptierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen u. a.
Förderung und Bewertung von mündlichen Sprachfertigkeiten sowie diverse Themen der
fächerübergreifenden Sprachvermittlung im Mittelpunkt. Im Jahr 2007 wurde zudem
eine Seminarreihe zum Aufbau eines Multiplikatorennetzwerks für DaF in Finnland ini-
tiiert, u. a. mit dem Ziel, der o. g. Fortbildungsreform nachzukommen. Insgesamt geht
mit dem Reformprozess für die Zukunft die wichtige Herausforderung einher, eine Kon-
solidierung und synergetische Weiterentwicklung von Kooperationsstrukturen zu erwir-
ken. Unter dem Motto des lebenslangen Lernens wird im Bereich DaF auf eine kontiuier-
liche und regelmäßige Fortbildungsteilnahme und damit auf eine ganzheitliche Festigung
und Förderung der beruflichen Professionalität der Deutschlehrkräfte abgezielt.
191. Deutsch in Finnland 1657
5. Ausblick
Gegenwärtige Tendenzen der finnischen Germanistik-Forschung lassen künftig auf eine
noch stärkere Berücksichtigung von DaF auch auf der Schulebene schließen. Diese Ent-
wicklung ist nicht nur für die Forschung per se ein Gewinn, sondern vielmehr für den
gesamten Fachbereich und dessen Förderung und Präsenz über Domänen- und Instituti-
onsgrenzen hinweg. Es lässt sich auch im Zeichen der plurilingualen Sprachenerziehung
insgesamt ein Plädoyer aussprechen für die Festigung von Kooperationen und Dialog-
1658 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
6. Literatur in Auswahl
Haataja, Kim
2005 Integriert, intensiviert, oder nach ,altbewährten‘ Rezepten? Über Auswirkungen der Lernum-
gebung und Unterrichtsmethodik auf den schulischen Fremdsprachenerwerb. Marburg: Tec-
tum.
Korhonen, Jarmo
2008 Deutsche Sprache und Germanistik in Finnland. Jahrbuch für internationale Germanistik
XXXIX Heft 2: 61⫺72. Frankfurt a. M.: Lang.
1. Vorbemerkungen
Die heutige Situation des Deutschunterrichts an französischen Schulen wie auch des
Germanistikstudiums an den Universitäten ist das Ergebnis verschiedener Faktoren, die
einerseits im Zuge der sogenannten Globalisierung europaweit sichtbar werden, anderer-
seits aber auch auf landesspezifische Gegebenheiten zurückzuführen sind, welche sich
wiederum zum Teil aus der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen ergeben.
Die Entwicklung in den letzten Jahren lässt sich durch eine Reihe von Feststellungen
beschreiben, die zwar als relativ paradox betrachtet werden können aber eben deshalb
sowohl die schwierige Lage der deutschen Sprache in Frankreich besser erklären als auch
gleichzeitig mögliche Auswege zeigen können.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind in den letzten Jahrzehnten durch zwei wich-
tige politische Ereignisse geprägt worden, die sich mit einem Abstand von 35 Jahren auf
192. Deutsch in Frankreich 1659
den Status der Partnersprache jeweils anders ausgewirkt haben. Gemeint ist zunächst der
Élysée-Vertrag, der 1963 den Weg für eine intensive bilaterale Kultur- und Sprachenpoli-
tik geöffnet hat und dadurch wesentlich zur Aussöhnung der beiden Völker nach fast
einem Jahrhundert feindlicher Beziehungen beigetragen hat. Der zweite politische Akt
ist ein Ereignis von internationaler Tragweite: Durch den Fall der Mauer und den Eini-
gungsprozess erhielt das vereinigte Deutschland ab 1990 ⫺ und in den nachfolgenden
Jahren durch die EU-Erweiterung ⫺ ein neues Bewusstsein und eine neue Position in
Europa, machtpolitisch, wirtschaftlich, aber auch kulturell. Dass das deutsch-französi-
sche Tandem dadurch aus dem gewohnten Rhythmus seiner Konsenskultur gebracht
wurde und erst wieder Tritt fassen musste, darf nicht wundern; dass im Schul- und Hoch-
schulwesen sowie im öffentlichen Leben die neu gewonnene Position der deutschen Spra-
che weitgehend verkannt blieb, gehört hingegen zu jenen paradoxen Wendungen der
Geschichte, die sich erst aus einer Analyse des politischen Umfelds erklären lassen.
2.2.
ist manchmal auch ein konkreter Weg
Die ersten offiziellen (kultur)politischen Erklärungen und Stellungnahmen in den 1960er
Jahren haben schnell zu konkreten Maßnahmen geführt, und die Besonderheit des
deutsch-französischen Verhältnisses hat sich mehrfach in einschneidenden Aktionen zur
Stärkung der Partnerschaft zwischen beiden Ländern niedergeschlagen. So wurde im
Zuge des Élysée-Vertrags 1963 das Deutsch-französische Jugendwerks (DFJW) / Office
franco-allemand pour la jeunesse (OFAJ) gegründet, das bis heute rund 8 Millionen junge
Menschen aus beiden Ländern gefördert hat, die an rund 300000 Begegnungen und Aus-
tauschprogrammen für Schule, Beruf, Wissenschaft, Kultur oder Sport teilgenommen
haben. Im Hochschulbereich unterstützt der Deutsche Akademische Austauschdienst
(DAAD) in Frankreich seit über 40 Jahren die deutsch-französische Kooperation in
Lehre und Forschung. Im Studienjahr 2009⫺2010 werden an französischen Universitä-
ten 52 LektorInnenstellen vom DAAD finanziell unterstützt. Hinzu kommen weitere 17
vom DAAD vermittelte LektorInnen. Eine weitere, für die deutsch-französische Annähe-
rung und Zusammenarbeit wichtige Institution ist die 1997 durch das Weimarer Abkom-
men ins Leben gerufene Deutsch-französische Hochschule / Université franco-allemande,
die das 10 Jahre zuvor eingerichtete Deutsch-französische Hochschulkolleg / Collège
franco-allemand pour l’enseignement supérieur abgelöst hat. Ihre Hauptziele sind die Stei-
gerung der Mobilität von Studierenden und Dozenten, die Durchführung integrierter
Studiengänge in allen Fächern mit doppeltem Abschluss und die Stärkung binationaler
Fachkompetenzen bei den Absolventen.
Auch von der Republik Österreich bekommt Frankreich Unterstützung im Bereich
Sprache: Als Fortsetzungsorgan zum 1993 gegründeten Verein Österreich Kooperation
hat seit Januar 2010 der Österreichische Austauschdienst GmbH sowohl das Lektoratspro-
gramm übernommen (im Studienjahr 2009⫺2010 sind 15 Lektoren aus Österreich an
französischen Universitäten tätig) als auch weitere Aufgaben wie DaF-Praktika und das
Sprachassistenzprogramm, das FremdsprachenassistentInnen an Schulen vermittelt.
2.3.
und nun? wohin?
Solche Wege in Form von Organisationen, Institutionen oder Anstalten haben zwar vieles
möglich gemacht und anfangs zweifellos zur Beibehaltung bzw. Etablierung des Deut-
1660 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
schen an französischen Schulen beigetragen, dennoch bleibt heute nach der Überwin-
dung der Zweiteilung Deutschlands und Europas die erwartete Auswirkung der langer-
sehnten politischen Versöhnung auf das Sprachverhalten aus. Deutsch hat in den letzten
zwanzig Jahren trotz Einigungsprozess und neu behaupteter Rolle der deutsch-französi-
schen Partnerschaft und bei allen großzügigen institutionellen Fördermaßnahmen weiter
an Ansehen verloren und hat an den Schulen seinen zweiten Platz nach Englisch längst
eingebüßt. Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig und reichen von mentalitätsge-
schichtlichen und sprachenpolitischen zu (schul)systembedingten Faktoren. In den letz-
ten drei Jahren lässt sich allerdings ein Aufwärtstrend verzeichnen, der optimistisch inter-
pretiert werden könnte, wenn die materiellen Bedingungen für einen sinnvollen Sprach-
unterricht in den Schulen (Primar- und Sekundarstufe) gegeben wären.
3. Deutsch an Schulen
Deutsch gehört in Frankreich zu dem offiziellen Sprachenangebot und kann ⫺ zumindest
theoretisch ⫺ fast überall als erste, zweite oder dritte Fremdsprache gelernt werden. Die
konkrete Wirklichkeit ist aber alles andere als positiv, auch wenn seit Kurzem ernst zu
nehmende Indizien auf eine Verbesserung der Lage deuten. Im Jahr 2008 lernten knapp
8 % aller Schüler Deutsch als erste Fremdsprache und 14 % hatten es als zweite Fremd-
sprache gewählt. Insgesamt sind es 823389 Deutschlerner, d. h. 15,4 % der Schüler in der
Sekundarstufe (MEN 2009, 123). Der Prozentsatz hat sich im Vergleich zu den vorherge-
henden Jahren stabilisiert; die ersten Zahlen seit dem Herbst 2009 deuten sogar einen
unverkennbaren Aufwärtstrend an.
3.1. Primarstue
Die größte Sorge vor allem für die Zukunft bereitet die Primarstufe: Hier sind für
Deutsch bis heute überall nur rückwärtige Zahlen zu verzeichnen. Englisch hat seine
vorherrschende Stellung nun zum Quasimonopol ausgebaut, zumal an vielen Schulen die
entsprechende Lehrkraft für Deutsch fehlt oder versucht wird (und zwar mit Erfolg), die
Eltern umzustimmen, die sich für ihr Kind ursprünglich Deutsch gewünscht hatten. Dass
der frühe Fremdsprachenunterricht (eigentlich eher eine Sensibilisierung als ein richtiger
Unterricht) sich als ein Hindernis für das spätere Erlernen des Deutschen erweist, ist um
so bedauerlicher, als die Ergebnisse bei nur anderthalb Stunden pro Woche bis heute ⫺
auch für eine angeblich einfache Sprache wie Englisch ⫺ insgesamt ziemlich dürftig blei-
ben.
3.2. Sekundarstue
Nach den fünf Jahren in der Grundschule kommen alle Schüler ins Collège, nach dessen
Absolvierung die meisten das Lycée besuchen, entweder das Lycée professionnel (Berufs-
schule) oder das Lycée d’enseignement général et technologique (Gymnasium). Aus Presti-
gegründen entscheiden sich heute nur wenige nach dem Collège für eine Lehre. Dies
192. Deutsch in Frankreich 1661
bedeutet, dass viele Jugendliche sich auf das Abitur vorbereiten, was zwangsläufig zu
einer starken Differenzierung beim Abitur und bei den entsprechenden Zweigen an den
Gymnasien geführt hat. Sprachen haben dabei einen unterschiedlichen Stellenwert.
3.2.1. Collège
Als einheitliche Schulform nach der Grundschule ist das Collège in den letzten Jahren
mehrfach ins Feuer der Kritik geraten. Gleichzeitig ist man dort aber besonders um
Innovationen und Anpassungen bemüht, die dem Fremdsprachenunterricht zugute ge-
kommen sind. Um dem Trend entgegenzuwirken, der durch die Vorherrschaft des Engli-
schen an den Grundschulen entstanden ist und die Wahl von Deutsch als erste Fremd-
sprache bedroht hat, sind seit 2000 sogenannte classes bilangues eingerichtet worden, in
denen die Schüler ab der 6. Klasse zwei gleichgestellte Sprachen parallel lernen können
(mit jeweils 3 Wochenstunden). Diese Maßnahme hat sich vielerorts zunächst sehr positiv
auf die Zahl der Deutsch lernenden Schüler ausgewirkt. 2008 haben 8,3 % der Sextaner
eine solche Klasse mit Deutsch und Englisch gewählt; im Elsass (Académie de Stras-
bourg) waren es gar 49,4 %. Im Herbst 2009 haben die classes bilangues noch einmal
deutlich zum Anstieg der Zahl der Deutschlerner beigetragen und für Optimismus ge-
sorgt.
Zu den positiven Paradoxen, die trotz jahrelangem Abwärtstrend zu erwähnen sind,
gehört der eher rege Lehrbüchermarkt. Noch bevor die classes bilangues eingerichtet
wurden, wurde beim Didier Verlag ein neues Konzept in die Wege geleitet, aus dem das
Lehrwerk Aufwind entstand (6.⫺9. Klasse), das den Lernenden als Mitwirkenden in den
Lehrprozess einbezieht. Auch für Deutsch als zweite Fremdsprache war dieser Verlag
bahnbrechend. Die zwei Bände der Reihe Zusammen (8. und 9. Klasse) enthalten erste
Schritte in Richtung Sprachenvergleich (Deutsch⫺Englisch).
3.2.2. Lycée
Neben den zwei bzw. drei Haupttypen (lycée d’enseignement général et technologique und
lycée professionnel), die auf drei Abitur-Typen vorbereiten: allgemeinbildend, technolo-
gisch und berufsorientiert (2009 waren es jeweils 53 %, 26 % und 21 % der Kandidaten),
gibt es auch beim baccalauréat général drei Hauptausrichtungen: literarisch, naturwissen-
schaftlich und mathematisch, mit unterschiedlichem Ansehen (in der hier gewählten Rei-
henfolge steigend). Auch wenn Fremdsprachen ⫺ d. h. auch Deutsch ⫺ beim literarisch
orientierten Abitur und in den entsprechenden Klassen eine wesentlich größere Rolle
spielen, bestehen bis heute strukturell bedingte Probleme, die die Effizienz des Unter-
richts stark beeinträchtigen.
⫺ Zum einem ist die Zahl der Wochenstunden stark reduziert worden; zum anderen
herrscht in vielen Klassen ⫺ zumal bei Sprachen mit kleinen Schülerzahlen ⫺ oft eine
große Heterogenität.
⫺ Auf der oberen Stufe wird immer öfter ohne Lehrbuch gearbeitet, was ein systemati-
sches und systembezogenes Lernen stark einschränkt oder sogar unmöglich macht
⫺ Dass die Lehrbücher für Deutsch in den letzten Jahren ohne das Mitwirken von
Sprachspezialisten (aus den Bereichen Sprachwissenschaft, Spracherwerb, Sprachdi-
1662 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
daktik) entstanden sind, zeigt auch, wie wenig die Rolle von Sprachstrukturen und die
systematische Arbeit an der Sprache beim Lehren und Lernen berücksichtigt werden.
⫺ Seit 1992 sind an vielen Schulen der Sekundarstufe sog. sections européennes einge-
richtet worden, in denen eine Fremdsprache besonders gefördert wird. Auf dem col-
lège erhalten die Schüler einer solchen Europaklasse einen umfassenderen Sprach-
und Landeskundeunterricht; auf dem lycée werden bestimmte Fächer wie Geschichte,
Erdkunde oder Biologie in der Fremdsprache unterrichtet.
Ein wichtiger Meilenstein der deutsch-französischen Annäherung und Zusammen-
arbeit ist in diesem Zusammenhang das gemeinsame Geschichtsbuch, das von den
Verlagen Klett (Stuttgart/Leipzig) und Nathan (Paris) realisiert wurde. Im Mittel-
punkt steht die europäische Geschichte, die aus zwei Perspektiven betrachtet wird.
⫺ Als weiteres markantes Ergebnis der deutsch-französischen Kooperation im Schulwe-
sen muss hier noch das 1994 eingeführte Abibac, der gleichzeitige Erwerb des deut-
schen Abiturs und des französischen baccalauréat, erwähnt werden. Der Unterricht
in der Partnersprache beträgt mindestens 9 Wochenstunden und muss in der Regel
drei Jahre lang vor dem Erwerb des Abschlusses belegt werden.
4. Deutsch an Hochschulen
Die Lage der Germanistik an den französischen Universitäten ist seit einigen Jahren
ziemlich gespannt und für viele Institute besorgniserregend. Der zur Zeit zu verzeich-
nende Aufwärtstrend in der Sekundarstufe hat sich für die Germanistik an den Hoch-
schulen (noch) nicht positiv ausgewirkt, aber Studiengänge mit Deutsch als zweitem
Hauptfach und vor allem die Besucherzahlen von Deutschkursen für Hörer aller Fakul-
täten erlauben eher eine optimistische Sicht auf die nächsten Jahre.
4.1. Germanistik
Dass die Germanistik in den letzten Jahren den erhofften Sprung nach oben nicht ge-
schafft hat, hat unterschiedliche Gründe. Interessant sind hier vor allem die internen
Gründe, denn sie erlauben einen Blick in das Fach selbst, seinen Status und sein Erneue-
rungspotential.
Das traditionelle Germanistikstudium in Frankreich ist durch zwei wichtige Merk-
male charakterisiert: Es ist sehr stark literatur- bzw. kulturwissenschaftlich geprägt und
verläuft auf einem sehr hohen Niveau. Seit einigen Jahren wird die Kluft zwischen dem
Deutschunterricht an den Gymnasien und den Erwartungen an den Universitäten immer
größer, und die Studienanfänger haben es oft sehr schwer. Die Sprachwissenschaft fristet
an vielen Universitäten ein kümmerliches Dasein. Dass viele Germanistikstudierende kei-
nen systematischen Einblick in die Linguistik und ihre Fragestellungen bekommen und
somit auch keinen sprachwissenschaftlichen Zugang zur Sprache, ist überhaupt sehr
problematisch, nicht nur für angehende Lehrer, sondern auch bei anderen Berufsberei-
chen, in denen Sprache und Kommunikation im Mittelpunkt stehen. Auch die Didaktik
des Deutschen ist an den Universitäten kaum vertreten; durch die Anbindung der päda-
gogischen Institute (IUFM / Instituts universitaires pour la formation des maı̂tres) an
192. Deutsch in Frankreich 1663
die Universitäten könnte sich das Fach etablieren ⫺ allerdings müssten dann Stellen
geschaffen werden.
Der Bologna-Prozess hat jedoch viele Institute dazu ermuntert, ihr Angebot zu erneu-
ern bzw. zu erweitern. In den letzten Jahren sind Doppelstudiengänge mit Germanistik
als zweitem Hauptfach eingerichtet worden: so z. B. jeweils in Kombination mit Franzö-
sisch, Geschichte, Kunstgeschichte, oder auch mit Jura oder Wirtschaft. Wichtig ist im-
mer, dass die beiden Fächer mit möglichen Berufsbereichen in Verbindung gesetzt wer-
den. Germanistik-Institute, die diesen Weg gewählt haben, verzeichnen zurzeit steigende
Studentenzahlen.
Der Studiengang LEA (Langues étrangères appliquées), der Deutsch mit einer anderen
Sprache (meistens Englisch) und einem praxisorientierten Unterricht von sog. Sachfä-
chern (Jura und Wirtschaftswissenschaft bzw. BWL) kombiniert, hat sich seit seiner
Gründung Anfang der 1970er Jahre zahlenmäßig sehr gut etabliert.
Was Deutsch betrifft, so enthält der Studiengang außer den Sprachkursen, die sich
auf Gebrauchstexte stützen und die Lerner in mündlicher sowie schriftlicher Fachkom-
munikation trainieren sollen, auch landeskundliche Kurse sowie Kurse über die Ge-
schichte der deutschen Wirtschaft. Ab dem 5. Semester wird intensiver mit Fachtexten
gearbeitet. Die Masterstudiengänge bieten meistens eine Spezialisierung in den Bereichen
Außenhandel und Finanzen oder im Fachübersetzen. Anvisiert wird eine spätere Anstel-
lung in Industrie und Handel oder auch in anderen Dienstleistungsbereichen.
Der Studiengang LEA ist im Prinzip für Studierende gedacht, die von Anfang an in
mindestens zwei Sprachen sehr motiviert und sehr gut sind. Dies bedeutet auch, dass
Studierende mit exzellenten Voraussetzungen nach Abschluss eines solchen Studiums ent-
sprechend gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben. In Frankreich bleiben heute
noch in Industrie und Handel viele Stellen frei, weil die Bewerber die erwarteten nötigen
Deutschkenntnisse nicht mitbringen.
Der Deutschunterricht für Hörer aller Fakultäten, LANSAD genannt (langue pour spéci-
alistes d’autres disciplines) erfährt seit kurzer Zeit an vielen Universitäten einen Aufwärts-
trend. Dies ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass seit der Neuregelung der
Studiengänge jedes Diplom den Unterricht in mindestens einer Sprache enthalten soll.
Dass viele Studierende Deutsch weiterlernen oder ⫺ sehr oft ⫺ als Anfänger lernen
wollen, hängt damit zusammen, dass sie im Laufe der (Schul)jahre eingesehen haben,
wie wichtig die Kenntnis dieser Sprache für ihre weitere universitäre Ausbildung (etwa
in den Fächern Musikwissenschaft, Geschichte oder Archäologie) bzw. für ihren Ver-
kaufswert auf dem Arbeitsmarkt sein kann. Die germanistischen Institute haben inzwi-
schen begriffen, welch große Chance ihnen durch die neue Nachfrage gegeben wird. Es
werden oft Kurse angeboten, die auf das Herkunftsfach der Teilnehmer zugeschnitten
sind und nach deren Interessen und Bedürfnissen gestaltet werden.
1664 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
An diesem Punkt lässt sich nur eine zwiespältige Bilanz ziehen: In der globalisierten
Welt und in einem Europa, das immer noch nach seiner Identität sucht, werden Spra-
chen ⫺ in erster Linie Englisch ⫺ nach ihrer Nutzbarkeit eingeschätzt und bewertet.
Deshalb bleibt auch die Attraktivität des Deutschen an seiner möglichen Anwendung
haften. Durch die Einrichtung bilingualer Schulklassen, durch den persönlichen Einsatz
vieler Deutschlehrer, die immer wieder vor den Schülern und ihren Familien für die Wahl
des Deutschen als erste oder zweite Fremdsprache plädieren, haben sich die Zahlen in
der Sekundarstufe verbessert. Es muss zweifellos noch an den Inhalten und Unterrichts-
formen in der Oberstufe (lycées) gearbeitet werden, damit die Schüler bessere Fertigkei-
ten erreichen, die ihnen später das Studium (und das Leben) erleichtern. Dass die germa-
nistischen Institute sich auch erneuern müssen, ist eine wichtige Herausforderung und
Chance der kommenden Jahre, die nicht verpasst werden darf. Vor dem Hintergrund der
heutigen Fächerstruktur und -hierarchie an den Schulen muss die Nachfrage nach
Deutsch für Anfänger an den Hochschulen als deutliches Zeichen für das weiter beste-
hende Interesse an dieser Sprache gedeutet werden. Die Hoffnung, dass die deutsche
Einigung ihre Zeichen auch nach zwanzig Jahren noch setzen könnte, ist vielleicht gar
nicht so unrealistisch.
5. Literatur in Auswahl
Association pour le développement de la langue allemande en France (A.D.E.A.F.) (Hg.)
2009 Les classes bilangues. Bulletin n∞ 104/juin 2009.
Ministère de l’Education nationale (MEN) (Hg.)
2009 Repères et références statistiques. Chapitre 4: Les élèves du second degré.
deutschen Sprache und Kultur. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass sich die deutsche
Sprache lange Zeit als wichtigste Fremdsprache (nach dem Russischen, aber vor dem
Englischen) und vor allem als Bildungssprache etablieren konnte. Die Nachfrage nach
deutschen Gouvernanten war ziemlich groß, Deutsch spielte eine ähnliche Rolle wie
Französisch in vielen anderen Ländern. Sogar in der sowjetischen Zeit schickten viele
Tbilisser ihre Kinder zur Erziehung in deutschsprachige Kindergärten. Nach 1941 wur-
den viele Erzieherinnen, die man nach der württembergischen Tradition „Tanten“ nannte,
samt anderer Deutschstämmiger ins Wolga-Gebiet und nach Kasachstan deportiert.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts studierten und promovierten viele Jugendliche
aus wohlhabenden Familien in Deutschland, und auch später, in den kurzen Unabhän-
gigkeitsjahren Georgiens (1918⫺1921), hat die damalige georgische Regierung das Stu-
dium von über 100 jüngeren Leuten in Deutschland finanziert. Entsprechend haben viele
Gründer der ersten georgischen Universität 1918 ihre Ausbildung in Deutschland be-
kommen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Tbilisser Universität nach dem
Muster deutscher Hochschulen aufgebaut war.
Trotz der Deportation der Georgiendeutschen im Jahre 1941 wurde Deutsch als
zweite Fremdsprache in vielen Schulen weiterunterrichtet. 1947 wurde die erste germanis-
tische Fakultät gegründet, an der bis heute Germanisten im Bereich Germanistische
Sprach- und Literaturwissenschaft ausgebildet werden.
4. Literatur in Auswahl
Glück, Helmut, Fried H. Nielsen und Manana Paischadse (Hg.)
1995 Deutsch in Georgien. Bamberg: Collibri-Verlag.
194. Deutsch in Ghana 1667
3. Entwicklungstendenzen
Das Goethe-Institut in Accra, die Ghanaian-German Economic Association, der Ghana-
ische Deutschlehrerverband u. a. Einrichtungen versuchen, durch kulturelle Angebote die
Beziehungen zwischen Ghanaern und Deutschen aufrechtzuerhalten, was allerdings nicht
immer gelingt. Nach einer aktuellen Untersuchung des Verfassers haben Ghanaer und
Deutschsprachige, die insbesondere in deutschsprachigen Firmen zusammenarbeiten,
kaum die Gelegenheit, sich auf Deutsch zu unterhalten. Ghanaer haben auch wenig
Chancen, ein deutschsprachiges Land zu besuchen, wo sie sich Deutschkenntnisse aneig-
nen oder schon vorhandene Kenntnisse auffrischen könnten. Für manche Firmen sind
die Deutschkenntnisse von Ghanaern und Aufenthalte in einem deutschsprachigen Land
unwichtig, da alle oder die meisten geschäftlichen Verhandlungen auf Englisch abgewi-
ckelt werden.
Es ergibt sich ein zwiespältiges Bild: Der Mangel an Praxis bzw. Konversation mit
Muttersprachlern, der Mangel an Lern- und Lehrmitteln und der Mangel an Lesemate-
rialien zur weiteren Förderung der erworbenen Sprachkenntnisse führen dazu, dass die
Nachfrage nach Deutsch aktuell stagniert bzw. sinkt. Die deutsche Sprache gilt als sehr
oder zu schwer und nicht erlernbar. Auch das Bild der Deutschen ist vielfach negativ (zu
kriegerisch, kalt und unfreundlich).
194. Deutsch in Ghana 1669
4. Literatur in Auswahl
Bemile, Sebastian K.
1994 Multilingualism in Ghana. In: Thomas Bearth, Wilhelm J. G. Möhlig, Beat Sottas und
Edgar Suter (Hg.), Perspektiven afrikanistischer Forschung, 39⫺55. Köln: Köppe.
Bemile, Sebastian K.
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ghana. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache, ein internationa-
les Handbuch, Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺
2). 1631⫺1634.
Bemile, Sebastian K.
2004 Sprachenvielfalt in Ghana ⫺ auch im Deutschunterricht. Fremdsprache Deutsch 31:
52⫺55.
1. Rahmenbedingungen
Fremdsprachen haben traditionell eine feste Position im griechischen Bildungswesen,
denn fremdsprachliche Kompetenzen stellen in Griechenland nach wie vor einen zusätzli-
chen Wert der beruflichen Qualifikation dar. Die griechische Politik zum Fremdspra-
chenlernen wird heutzutage durch die europäische Politik zur Mehrsprachigkeit bedingt;
daher werden innovative curriculare Maßnahmen getroffen, neue Lehrmaterialien entwi-
ckelt und weitere Sprachen in die Schule eingeführt.
Die deutsche Sprache wird zwar traditionell sehr hoch in der griechischen Gesellschaft
angesehen, steht aber nicht auf dem ersten Platz auf der Liste der gefragten Fremdspra-
chen. Deutsch wird als Verkehrs- und Wissenschaftssprache durch Englisch verdrängt
und weitere Sprachen, wie Italienisch, Spanisch u. a., beteiligen sich aktiv am Spiel (Ki-
liari 2004); demzufolge schwächt sich allmählich die ehemals starke Nachfrage nach
Deutschunterricht ab (StADaF 2006: 25).
195. Deutsch in Griechenland 1671
2. Gegenwärtiges Proil
2.1. Deutschunterricht
Deutschlehrende für alle Stufen werden an den Philosophischen Fakultäten der Universi-
tät Athen und Universität Thessaloniki in den Abteilungen für deutsche Sprache und
Literatur (vgl. http://www.gs.uoa.gr und http://web.auth.gr/del) ausgebildet. In beiden
Fällen handelt es sich um einen Diplomstudiengang, der acht Studiensemester umfasst
und sich in ein Grund- und ein Hauptstudium gliedert. In beiden Abteilungen werden
nach erfolgreichem Ablegen der Panhellenischen Hochschul-Aufnahmeprüfung, bei der
außer fachlichen Kenntnissen auch Deutsch-Kenntnisse auf dem B1-Niveau nachgewie-
sen werden müssen, jährlich je etwa 150 Studierende neu immatrikuliert. Studierende
weisen wegen des unterschiedlichen Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse auch sehr un-
terschiedliche sprachliche Voraussetzungen auf. Da die meisten Lehrveranstaltungen in
der Sprach- und Literaturwissenschaft bereits ab dem ersten Semester in deutscher Spra-
che abgehalten werden, ist Sprachpraxis in den ersten vier Semestern von großer Wichtig-
keit und deren erfolgreicher Abschluss ist sowohl in Thessaloniki als auch in Athen
Voraussetzung für den Übergang zum Hauptstudium. Darüber hinaus bilden eine inter-
kulturelle Ausrichtung für die Kultur- und Literaturwissenschaft sowie ein komparativer
Ansatz zur Sprachwissenschaft wichtige Orientierungen für das Gesamtstudium.
Angesichts der Perspektive, dass die überwiegende Mehrheit der Absolventen DaF
unterrichtet, besitzt auch das Kursangebot zur Fremdsprachendidaktik einen besonderen
Stellenwert. Sowohl in Thessaloniki als auch in Athen wird der Bezug zur DaF-Lehrpra-
xis auch durch ein Hospitationspraktikum während des Hauptstudiums hergestellt.
Mittlerweile gibt es im Bereich des Postgraduierten-Aufbaustudiums mehrere zweijäh-
rige Studiengänge mit Schwerpunktsetzungen vor allem in der Sprach- und Literaturwis-
senschaft, die von beiden Abteilungen selbstständig oder in Zusammenarbeit mit anderen
Abteilungen der Philosophischen Fakultät durchgeführt werden. Außerdem wird an der
Griechischen Fernuniversität Patras ein ebenfalls zweijähriges Postgraduiertenstudium
angeboten, das speziell die „Didaktik des Deutschen als Fremdsprache“ betrifft (vgl.
http://www.eap.gr). Der erfolgreiche Abschluss eines Aufbaustudienganges ist Vorausset-
195. Deutsch in Griechenland 1673
zung für die Aufnahme eines Promotionsstudiums, mit einer Mindestdauer von drei Jah-
ren. Die Thematik der Dissertationen bewegt sich zumeist im literatur- oder sprachwis-
senschaftlichen Bereich.
Fortbildungsseminare vor allem mit methodisch-didaktischen Schwerpunkten werden
vom Goethe-Institut, von den Griechischen Deutschlehrerverbänden und zusätzlich für
die Lehrkräfte im staatlichen Bildungswesen von den staatlichen Fortbildungsinstitutio-
nen unter Mitwirkung zahlreicher Mitglieder des Lehrkörpers beider Germanistik-Abtei-
lungen und von den Schulräten für Deutsch angeboten.
Lehre und Forschung werden vorwiegend in Linguistik, Methodik und Didaktik des
Deutschen als Fremdsprache und Literaturwissenschaft verbunden, wenngleich auch die
Fachrichtungen Übersetzungswissenschaft sowie Kultur- und Geistesgeschichte und
Sprachpraxis vertreten sind.
3. Perspektiven
Die Zahl der Deutschlernenden und entsprechend die der Deutschstudierenden nimmt
weltweit ab (vgl. StADaF 2006: 25; Frankfurter Allgemeine, 20. 03. 2008: 8). Das betrifft
auch die Nachfrage nach dem Erlernen der deutschen Sprache in Griechenland. Immer-
hin könnte Deutsch als Sprache mit ökonomischer Stärke und kulturellem Prestige über
die Konkurrenz anderer Sprachen hinweg als zusätzliche Berufsqualifikation anerkannt
werden, wenn auch die deutsche Sprachpolitik viel konsequenter Maßnahmen und dyna-
mische Aktionen zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland ergreifen würde, um
ihre Stellung als Amts-, Arbeits- und Verkehrssprache in Europa zu stärken. In einem
solchen Zusammenhang könnte das Deutsche in einem Land wie Griechenland, welches
aus langer Tradition wirtschaftliche, kulturelle und vor allem durch die griechischen Ar-
beitnehmer menschliche Kontakte zu Deutschland hat, eine zweite unentbehrliche Wahl
von vielen Lernern sowohl im schulischen wie im außerschulischen Bildungsbereich sein,
wenn motivierende Voraussetzungen für zukünftige praxisbezogene berufliche Perspekti-
ven hergestellt werden.
Im Hinblick darauf wäre m. E. eine Akzentuierung der Ausbildung in Athen und
Thessaloniki vor allem im Bereich DaF, und zwar Deutsch als Zweit- oder Tertiärspra-
che, oder vor allem als Sprache für den Beruf sinnvoll, um durch ein erweitertes, vielfälti-
ges Profil der Deutschlehrenden den zunehmenden Marktbedarf effizient zu decken. Wei-
terhin sollte man die Lehrenden auf die Anforderungen des Deutschunterrichts in grie-
chischen multikulturellen und multilingualen Klassen hinsichtlich einer plurikulturellen
Kompetenz sensibilisieren.
In Richtung Forschung sollte man den interkulturellen Blick auf beide Sprachen und
die deutschsprachigen Kulturen interdisziplinär intensivieren und berufsbezogene Kennt-
nisse in europäische Kontexte integrieren, um diesbezüglich eine vertiefte Kooperation
im europäischen Hochschulraum anzuregen.
4. Literatur in Auswahl
Europäische Kommission
2004 Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt: Aktionsplan 2004⫺2006. Brüssel.
1674 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Kiliari, Angeliki
2004 Die deutsche Sprache in Griechenland. In: Hans-Gert Roloff (Hg.), Jahrbuch für Interna-
tionale Germanistik. Jahrgang XXXVI, Heft 1: 13⫺22, Bern: Lang.
StADaF (Koord.)
2006 Deutsch als Fremdsprache. Datenerhebung 2005. Auswärtiges Amt, DAAD, Goethe-Insti-
tut, Zentralstelle für das Auslandwesen.
dungskanon gehört. Deutsch gilt mehr als andere Fremdsprachen als anspruchsvolles
Fach, für das man nur mit besonderem Arbeitseinsatz gute Ergebnisse erzielen kann.
Viele Schulen, die für die jährlichen League Tables und die regelmäßigen Schulinspektio-
nen gute Prüfungsergebnisse vorweisen müssen, ermutigen daher nur besonders leis-
tungsstarke Schüler dazu Deutsch zu wählen. Aus Kostengründen und weil qualifizierte
Fremdsprachenlehrer rar sind, bieten viele Gesamtschulen das Fach Deutsch erst gar
nicht an. Französisch ist traditionsgemäß die erste Fremdsprache und Spanisch erfreut
sich immer größerer Beliebtheit als Sprache, die man mit Urlaubserlebnissen oder dem
als exotisch empfundenen Lateinamerika verbindet. Deutsch dagegen wird in Großbri-
tannien schlimmstenfalls mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht, meistens
aber mit dem Bild von Deutschen als humorlosen, wenn auch effektiven Zeitgenossen,
die sich über die EU in die Belange Großbritanniens einmischen wollen. Derartige Stere-
otype und Vorurteile werden immer dann ausgeräumt, wenn es zu tatsächlichen Begeg-
nungen kommt, etwa durch Schulaustauschprogramme (Elspaß 1999).
Im Primarbereich hat sich durch die Einführung der National Language Strategy am
meisten getan: 2009 boten 92 Prozent aller Grundschulen des Landes Unterricht in einer
oder in mehreren modernen Fremdsprachen an, 22 Prozent mehr als 2006. Dieser Unter-
richt konzentriert sich allerdings in überwältigendem Ausmaß auf Französisch; Spanisch
folgt mit 25, Deutsch mit lediglich zehn Prozent (Wade, Marshall und O’Donnell 2009).
Es ist aus den Statistiken nicht zu ersehen, wie viele qualifizierte Fremdsprachenlehrer
es für Grundschulen gibt. Zur Zeit wird ein Lehrplan für den Fremdsprachenunterricht
in der Grundschule entwickelt und in Pilotprojekten getestet. Die Evaluierung eines sol-
chen Projektes kam zu dem Ergebnis, dass der Fremdsprachenunterricht an Grundschu-
len in den meisten Fällen nicht von qualifizierten Lehrern erteilt wird, sondern von
Grundschullehrern, die gewisse Kenntnisse in einer Fremdsprache haben, von ausländi-
schen Sprachassistenten oder von Fachlehrern, die stundenweise von benachbarten Se-
kundarschulen ausgeliehen werden. Der Bericht bemängelt das Fehlen eines Konzeptes
von Progression und dass man sich bisher kaum Gedanken über den Übergang zum
Sekundarbereich gemacht habe (Wade, Marshall und O’Donnell 2009).
Im Sekundarbereich I hat das Fach Deutsch seit dem Ende der 1990er Jahre einen dra-
matischen Einbruch erlitten. Nach Statistiken, die vom britischen Department for Chil-
dren, Schools and Families (DCSF) erhoben und vom National Centre for Languages
(CILT) ausgewertet wurden, ergibt sich, dass der Anteil von englischen Schülern eines
Jahrgangs, der eine GCSE-Prüfung (den Sekundarstufe-I-Abschluss) in Fremdsprachen
ablegt, seit 2001 von 78 Prozent auf 44 Prozent gefallen ist. Ein deutlicher Einschnitt ist
zwischen 2004 und 2006 zu erkennen, also nach dem Inkrafttreten der National Lan-
guage Strategy (CILT secondary stats 1). Für das Fach Deutsch zeigt sich zwischen 1999
und 2007 ein Rückgang von 40 Prozent im gesamten Großbritannien (CILT secondary
stats 1).
1676 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Die Trends für die Fächer Französisch, Deutsch und Spanisch an staatlichen Schulen
in England zeigen, dass 1994 21 Prozent eines Schülerjahrgangs Deutsch lernten. Dieser
Anteil fiel bis 2009 auf 11 Prozent. Die Entwicklungen in Schottland entsprechen diesem
Trend (CILT secondary stats 1).
der modernen Gesellschaft anzupassen und legt großen Wert auf aktive Sprachkompe-
tenz, ein Auslandsjahr, in dem praktische Berufserfahrung gesammelt werden kann, und
Inhalte, die auf die Vermittlung von kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwick-
lungen in den deutschsprachigen Ländern zielen. Hier ist die Unterrichtssprache weitge-
hend Deutsch, und alle Prüfungen werden in deutscher Sprache abgehalten. Die 65 Uni-
versitäten, die Deutsch als vollwertiges Studienfach anbieten, gestalten ihre Lehrpläne
entweder nach einem dieser beiden Muster oder finden eine eigene Lösung dazwischen
(Jaworska 2009).
Wie in der Schule hat das Fach Germanistik / German Studies auch an den Universitä-
ten gegenwärtig einen schweren Stand: Im Jahre 2000 boten in Großbritannien 126 Uni-
versitäten Studiengänge in Germanistik / German Studies an, 2006 waren es noch 65,
was einen Rückgang von 48 % bedeutet (AHRC Review of Research in Modern Languages
2006). Tendenziell sind es eher die jüngeren Universitäten und vor allem die früheren
Fachhochschulen, die sich ihrer Studiengänge in modernen Fremdsprachen aus Kosten-
gründen entledigen. Für Universitäten am anderen Ende der Skala gehören diese Studi-
engänge dagegen zu einem akademischen Profil in den Geisteswissenschaften, das man
nicht verlieren will. Dies bewirkt, dass die Studiengänge, in denen traditionellere Germa-
nistik gelehrt wird, wieder an Dominanz gewinnen. Auch die Studentenbewegungen ge-
hen deutlich in diese Richtung. Nur noch wenige germanistische Institute im Land wer-
den als German Departments verwaltet. Das Fach Deutsch ist vorwiegend als Teil einer
School of Modern Languages repräsentiert. Nach der Higher Education Statistics Agency
(HESA) waren im akademischen Jahr 2003/04 286 forschungsaktive Wissenschaftler und
Dozenten im Bereich German Studies / Germanistik an britischen Hochschulen beschäf-
tigt. Noch im Vorjahr waren es 58 mehr, was auch hier auf einen deutlichen und rapiden
Rückgang schließen lässt. 37 Prozent der Universitätslehrer in den modernen Fremdspra-
chen sind keine Briten (AHRC Review of Research in Modern Languages 2006). Dies hat
seine Ursache ebenfalls in der Krise der modernen Fremdsprachen in Großbritannien,
denn über Jahrzehnte waren zu wenige britische Hochschulabsolventen an einer wissen-
schaftlichen Karriere in diesem Bereich interessiert. Die Lücke wird seither mit Bewer-
bern vor allem aus dem europäischen Ausland gefüllt. Hier entstehen oft Probleme, die
auf unterschiedliche akademische Traditionen zurückzuführen sind. Das deutsche Sys-
tem bildet Spezialisten aus, während der britische Hochschulalltag All Rounder mit Inte-
resse am interdisziplinären Arbeiten fordert. Der 2006 vom Arts and Humanities Research
Council (AHRC) publizierte Bericht Review of Research in Modern Languages hat erge-
ben, dass trotz der insgesamt schwierigen Lage für die modernen Fremdsprachen die
Forschungsleistungen beeindruckend sind. Der Bericht konstatiert jedoch ebenfalls, dass
es in den modernen Fremdsprachen in Großbritannien immer weniger Sprachwissen-
schaftler gibt.
Als akademische Interessenvertretung der britischen und irischen Germanistik fun-
giert die Association for German Studies in Great Britain and Ireland (ASG), die einmal
jährlich zu Konferenzen einlädt, auf denen aktuelle Forschung vorgestellt und allgemeine
Anliegen diskutiert werden. Die Österreich-Kooperation (ÖK) und der Deutsche Akade-
mische Austauschdienst (DAAD) unterstützen die britische Germanistik insbesondere
mit ihren Lektorenprogrammen: Zu Beginn des akademischen Jahres 2008/09 arbeiteten
20 Lektoren der ÖK und 50 DAAD-Lektoren an britischen Universitäten. Von den
DAAD-Lektoraten sind elf sogenannte Fachlektorate, d. h. Spezialisten für Jura, Politik
oder Wirtschaftswissenschaften. Die Zahl der DAAD-Lektoren ist damit seit 1994 um
27,5 Prozent zurückgegangen (Rösler 2001: 1470).
1678 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Die große Mehrheit der britischen Studierenden schreibt sich für einen Bachelor-Stu-
diengang ein. Im Fach Germanistik / German Studies dauert dieses Studium vier Jahre,
von denen das dritte Studienjahr normalerweise im deutschsprachigen Ausland verbracht
wird. Nur wenige Studierende entscheiden sich anschließend zu einem weiterführenden
einjährigen Masterstudium. Im akademischen Jahr 2006/07 studierte etwa ein Drittel
aller Sprachstudierenden eine Sprache (Single Honours), die Mehrheit kombinierte zwei
Sprachen oder eine Sprache mit einem anderen Fach. Die Mehrheit der Studierenden
waren gebürtige Briten (89 %) und weiblich (69 %) (CILT higher education stats 1).
Die Statistiken zeigen, dass es im akademischen Jahr 2006/07 in Großbritannien etwa
5.400 Studierende der Germanistik / German Studies gab, wenn man die Masterstudenten
mitzählt. Seit 1997 hat das Fach Deutsch damit 33 Prozent seiner Studentenzahlen verlo-
ren. Dieser Rückgang hat sich in den letzten Jahren etwas verlangsamt, verglichen mit
dem dramatischen Verlust von 17 Prozent zwischen 1998 und 2001 sanken die Studenten-
zahlen zwischen 2002 und 2007 nur um zehn Prozent. Spanisch hat auch an den Universi-
täten das Fach Deutsch als zweitstärkste Sprache abgelöst (CILT higher education stats
2; diese Statistik berücksichtigt allerdings nicht die 1.540 Sprachstudenten der Open Uni-
versity). Zusätzlich zu den schwindenden Studierendenzahlen gilt es im Universitätsalltag
auch noch andere Schwierigkeiten zu bewältigen: Universitätslehrer beklagen seit einiger
Zeit einen deutlichen Rückgang der Deutschkenntnisse, mit denen britische A-Level-
Absolventen ihr Studium an der Universität beginnen (Kolinsky 1994: 43). Ein auf
mündliche Kommunikationsfähigkeit ausgerichteter Schulunterricht führt dazu, dass
durchschnittliche Studienanfänger kaum Grammatikkenntnisse, große Wortschatzprob-
leme und wenig Allgemeinwissen über die deutschsprachigen Länder mitbringen. Viele
Universitäten haben daher ihre Lehrpläne umgestellt und konzentrieren sich im ersten
Studienjahr auf die Vermittlung von sprachlichen Grundlagen und fachspezifischem All-
gemeinwissen.
4. Literatur in Auswahl
AHRC
2006 Review of research in modern languages. http://www.llas.ac.uk/projects/archive/2498
(29. 11. 2009).
The British Academy
2008 Language Matters 5. Background paper. http://www.britac.ac.uk/reports/language-matters/
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Canning, John
2008 Five years on. The language landscape in 2007. Subject Centre for Languages, Linguistics
and Area Studies. http://www.llas.ac.uk/resources/publications.html (29. 11. 2009).
CILT higher education stats 1.
http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/higher_education_statistics/
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Elspaß, Stephan
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Jaworska, Sylvia
2009 The German language in British Higher Education. Problems, challenges, teaching and
learning perspectives. Wiesbaden: Harrassowitz.
Kolinsky, Eva
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lung der Germanistik in Großbritannien. Info DaF 21(1): 25⫺44.
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gen bis 1985. Stuttgart: Steiner.
1680 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Rösler, Dietmar
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Großbritannien. In: Gerhard Helbig, Lutz
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2009 Review of Modern Foreign Languages Provision in Higher Education. (HEFCE). http://
www.hefce.ac.uk/Pubs/HEFCE/2009/09_41/09_41.pdf (29. 11. 2009).
1. Fremdsprachen in Indien
In den letzten fünf Jahren ist der Bedarf an Fremdsprachenkenntnissen in Indien durch
die Globalisierung sprunghaft gestiegen. Die Auslagerung vieler Geschäftszweige von
ausländischen Firmen nach Indien hat dazu geführt, dass junge Inder mit Fremdspra-
chenkenntnissen mit relativer Leichtigkeit in den Arbeitsmarkt einsteigen. Diese Situa-
tion, die vor etwa fünf Jahren unvorstellbar war, betrifft auch die Rolle des Deutschen
in Indien. Die günstigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt spiegeln sich in einer gestie-
genen Nachfrage nach Deutschunterricht und einer konkreteren Motivation seitens der
Deutschlerner und der Studierenden wider.
Nach einer Erhebung der Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache
(StDaF) von 2005 wird in Indien Deutsch als Fremdsprache an 136 Schulen und an 85
Hochschulen angeboten. Die Zahl der DaF-Lerner im Schulbereich lag 2005 bei 14.900,
während die Zahl von Deutschstudierenden an den Hochschulen 4.500 betrug. 230 Stu-
dierende waren 2005 in den verschiedenen Germanistik-Abteilungen eingeschrieben, d. h.
die Zahl der Deutschlernenden insgesamt betrug 21.470.
197. Deutsch in Indien 1681
2. Deutschunterricht in Indien
Nach dem angelsächsischen Modell kann man in Indien an Colleges nur den Bachelor-
Grad erwerben, während der Magisterstudiengang an den Universitäten absolviert wird.
Ausnahmen liegen lediglich in den Fremdsprachenphilologien vor, in denen an einigen
Universitäten auch ein Bachelorgrad erworben werden kann. Die Trennung von
Deutschstudierenden an Hochschulen und Studenten der Germanistik ergibt sich aus der
Tatsache, dass an vielen Colleges und Universitäten Zusatzkurse, die auch Teilzeitkurse
sind, in Deutsch (und in anderen Fremdsprachen) für Studierende anderer Fächer ange-
boten werden. In der Regel sind es drei Kurse: Certificate of Proficiency, Diploma of
Proficiency und Advanced Diploma of Proficiency. Die Kurse gehen über je ein akademi-
sches Jahr und schließen jeweils mit einer schriftlichen und einer mündlichen Prüfung
ab. Durchschnittlich werden zwischen 4 und 6 Wochenstunden unterrichtet. Die beiden
erstgenannten Kurse bestehen aus reinem Sprachunterricht und nur im Advanced Di-
ploma werden kurze literarische Texte behandelt.
Neben den Colleges und den Universitäten bieten auch die fünf Zweigstellen des Goe-
the-Instituts in Indien, die hier nach dem berühmten Indologen Max Mueller Bhavans
heißen, verschiedene Sprachkurse an, die sich trotz relativ hoher Kursgebühren großer
Beliebtheit erfreuen. Seit einigen Jahren bieten die Max Mueller Bhavans auch Kurse an,
um vor allem auf spezielle Erfordernisse der Wirtschaft einzugehen. Neben „extensiven“,
„intensiven“ und „superintensiven“ Sprachkursen werden auch Spezialkurse wie z. B.
Deutsch für den Beruf, Wirtschaftsdeutsch, Techniken des Übersetzens, Fernlernkurse
und individuell gestaltete Firmenkurse angeboten. Diese breite Palette, die nicht nur
inhaltlich die Wünsche der potentiellen Teilnehmer berücksichtigt, sondern auch die Zeit-
vorstellungen in Betracht zieht, ist eine deutliche Reaktion auf die gewachsene und noch
wachsende Nachfrage nach Deutschunterricht.
3. Germanistikstudium in Indien
3.2. Forschungsschwerpunkte
Obwohl die Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache auch in den Lehr-
plänen vertreten und mehrfach Forschungsgegenstand ist, ist sie vom Umfang des Lehr-
angebots her nicht geeignet, als Lehrerausbildung zu gelten. Zwar wurde in den 1970er
Jahren das Central Institute of English and Foreign Languages in Hyderabad (CIEFL,
heute UEFL ⫺ University of English and Foreign Languages) schwerpunktmäßig mit der
Aufgabe der Lehrerfortbildung beauftragt, aber einschlägige Fortbildungskurse werden
seit vielen Jahren wegen des angeblichen Fehlens einer „kritischen Masse“ nicht mehr an-
geboten.
Neben Fortbildungsmöglichkeiten für existierende Lehrer muss die Deutschlehreraus-
bildung insgesamt erweitert werden. Eine Ausbildung, die diesen Namen verdient, wurde
bislang nur von einigen Max Mueller Bhavans angeboten. Diese Kurse sind jedoch vor-
rangig auf die Bedürfnisse des Sprachunterrichts in den Goethe Instituten gerichtet und
sind daher für angehende Lehrer an Germanistik-Abteilungen nur vom begrenzten Nut-
zen. Da aber die Nachfrage für Fremdsprachen in Indien gewaltig gestiegen ist, müssen
auch Fremdsprachenlehrer gesondert ausgebildet werden, zumal das Goethe Institut in
Indien z. Zt. auch dabei ist, Schulen für den Deutschunterricht zu gewinnen.
In diesem Kontext hat sich die Department of Germanic and Romance Studies an der
University of Delhi bereit erklärt, einen Teilzeitkurs mit einer Dauer von einem Jahr
einzuführen, der 2008 begonnen hat (Diploma in Foreign Language Education). Konzi-
piert wurde dieser Kurs in einer einzigartigen Zusammenarbeit zwischen der Abteilung
und den Kulturinstituten Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Italiens, Portugals und
Spaniens. An der dreijährigen Planungsphase waren auch Experten aus den verschiede-
nen Ländern beteiligt. Diese Zusammenarbeit zwischen Institutionen und über die jewei-
ligen Sprachgrenzen hinaus bietet die Möglichkeit, vorhandene Ressourcen optimal zu
benutzen und sowohl methodologisch als auch in Sachen Lehrmaterialien voneinander
zu profitieren. Der Theorieanteil in diesem Kurs beträgt 116 Stunden, während für die
praktische Arbeit 120 Stunden vorgesehen sind. Dabei wird das wissenschaftliche Stu-
dium an der Universität, teils auch in sprachenübergreifenden Kursen, unterrichtet, wäh-
rend die Kulturinstitute die Praxisphasen betreuen.
Einen weiteren Versuch, die Ausbildung von Deutschlehrkräften auch quantitativ aus-
zuweiten, stellt ein Fernstudienprojekt zur Lehrerausbildung dar, das von der Indira
Gandhi National Open University, dem Goethe-Institut und der Universität Wien entwi-
ckelt wird und 2010 beginnen soll.
4. Überregionale Vernetzungen
Seit einigen Jahren wächst auch die überregionale Vernetzung der einzelnen Abteilungen.
Interessant ist jedoch, dass nicht die einzelnen Abteilungen innerhalb des Landes vernetzt
sind, sondern sie jeweils nur international durch Partnerschaftsabkommen mit Universi-
täten in den deutschsprachigen Ländern kooperieren. Während die Abteilung in Pune
mit den Universitäten in Tübingen und Göttingen Partnerschaftsabkommen hat, hat die
University of Delhi ein ähnliches Abkommen mit der Universität in Heidelberg. Erstma-
lig 2008 läuft eine Germanistische Institutspartnerschaft (GIP) zwischen dem Institut für
1684 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin, dem Department
of Germanic and Romance Studies der University of Delhi sowie dem Centre of German
Studies der Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi. Dieses Programm, das vom Deut-
schen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert wird, sorgt sowohl für den
personellen Austausch auf allen Ebenen wie auch für gemeinsame Seminare und work-
shops, die dem Ideenaustausch und gemeinsamen Projekten dienen.
Einen begrenzten, aber wichtigen Austausch innerhalb der indischen Germanistik gibt
es seit fünf Jahren auch in Form des jährlich vom DAAD unterstützten Symposiums für
Nachwuchswissenschaftler. Das Symposium wird von einem indischen Team (meistens
auch mit einem DAAD-Lektor) und einem hierzu eingeladenen deutschen Experten ge-
leitet. Das Symposium, zu dem M. Phil. und Ph. D.-Studenten aus ganz Indien aufgrund
eines eingereichten Forschungsplans eingeladen werden, besteht einerseits aus der Prä-
sentation und Diskussion der einzelnen Forschungsprojekte und andererseits aus Vorträ-
gen zu ausgewählten Themen. Auf diese Weise ist es möglich, einen Überblick über For-
schungsthemen an den einzelnen Abteilungen zu gewinnen. Einer gewissen inner-indi-
schen Vernetzung wird auch Vorschub geleistet, indem die Studierenden Lehrkräfte aus
anderen Universitäten kennenlernen und sich auch später an sie wenden können. Schließ-
lich sind indische Universitäten in die deutschen und österreichischen Praktikantenpro-
gramme für Deutsch als Fremdsprache eingebunden.
5. Organisationsragen
International ist die indische Germanistik auch in der Internationalen Vereinigung der
Germanistik (IVG) sowie in der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (GIG) ver-
treten. Gegenwärtig gibt es jeweils ein indisches Mitglied im Ausschuss der IVG und im
Vorstand der GIG. Zahlreiche indische Germanisten sind Mitglieder dieser internationa-
len Vereinigungen.
Innerhalb Indiens fungiert die Goethe Society of India (GSI) als Plattform für die
indische Germanistik, obwohl die Mitgliedschaft auch für Vertreter anderer Fachrichtun-
gen offen ist (www.geocities.com/goethe-india/). In regelmäßigen Abständen werden
durch die GSI internationale Konferenzen veranstaltet und die Papers solcher Konferen-
zen erscheinen anschließend in einem Jahrbuch. Sowohl die Konferenzen als auch das
Jahrbuch werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst mitfinanziert.
2006 erschien auch der Sammelband German Studies in India (iudicum) als Nachfol-
gepublikation einer Zeitschrift, die in Indien erschien, aber vor vielen Jahren ihre Publi-
kation eingestellt hatte. Der Wunsch indischer Germanisten nach einem eigenen Publika-
tionsorgan führte zu dem oben erwähnten Band, der aktuelle Beiträge aus der indischen
Germanistik enthält. Der zweite Band in dieser Reihe erschien 2008. Die Bände geben
einen Einblick in verschiedene Aspekte der germanistischen Forschung in Indien, wobei
der zweite Band auch Rezensionen zu interessanten Neuerscheinungen enthält. Die
Bände werden von einem Team indischer Germanisten mit einem DAAD-Lektor / einer
Lektorin zusammen herausgegeben und der DAAD zeichnet sich als Herausgeber die-
ser Bände.
2005 wurde die IndoGerman Teachers Association mit dem Ziel gegründet, die Zusam-
menarbeit zwischen Hochschulen und Praxisfeld zu verbessern (http://indaf.in/). Dieser
Verband ist über die Mitgliedschaft im Internationalen Deutschlehrerverband (IDV)
auch in die internationale Fachdiskussion zu Deutsch als Fremdsprache eingebunden.
197. Deutsch in Indien 1685
7. Literatur in Auswahl
Bhatti, Anil
2007 Germanistik in Indien. Eine Miszelle vom Umgang mit dem Sprachrepertoire. In: Chris-
tian Bode und Dorothea Jecht (Hg.), 20 Jahre „Wandel durch Austausch“. Festschrift für
Prof. Dr. Theodor Berchem. 236⫺242. Bonn: DAAD.
Jecht, Dorothea (Hg.)
2006 German. studies in India. Aktuelle Beiträge aus der indischen Germanistik. Müchen: iudi-
cium.
Kamath Rajan, Rekha
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indien. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici, Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺
2). 1570⫺1575. Berlin/New York: De Gruyter.
Mohr- Sobkowiak, Saskia
2005 Deutsch als Fremdsprache und Germanistik in Indien. Diss., Universität Karlsruhe.
Die deutsche Sprache als Fremdsprache wird wie die anderen europäischen Sprachen in
der letzten Zeit in Indonesien stark von asiatischen Sprachen wie Chinesisch, Koreanisch
und Japanisch verdrängt. Diese Tendenz kann man anhand der Studienbewerberzahl in
der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universitas Indonesia Jakarta beobachten, an
der sowohl europäische als auch asiatische Sprachen als Studiengänge angeboten werden.
Im Studienjahr 2007/2008 wählten neben der englischen Sprache viele Studienbewerber
der fremdsprachlichen Studiengänge Japanisch, Chinesisch und Koreanisch. Trotzdem
hatte im Vergleich zu den anderen europäischen Studiengängen, ausgenommen des Engli-
schen, die Deutschabteilung die meisten Studienbewerber (634 Studienbewerber) (Direk-
torat Pendidikan UI 2007). Im Vergleich zu den 1990er Jahren (Darmojuwono 2001:
1598), zeigt sich, dass das Interesse für Deutsch als Folge der ständig wichtiger werden-
den Rolle der asiatischen Länder China, Korea und Japan in der indonesischen Wirt-
schaft etwas nachlässt, da Absolventen leichter eine Stelle finden, wenn sie Englisch und
eine asiatische Fremdsprache beherrschen.
Der Studiengang Germanistik in Indonesien kann von dem Deutschunterricht in der
Oberschule (Klassen 10, 11, 12) nicht getrennt betrachtet werden. Indonesien gehört zum
Netzwerk „Schulen: Partner der Zukunft“, in dem vorläufig zehn Schulen im ganzen
Land mit vielen Schulen aus der ganzen Welt vernetzt werden. Außerdem hat sich auch
durch Wettbewerbe in Deutsch als Fremdsprache für Schüler auf nationaler und interna-
tionaler Ebene (Olympiade für DaF) das Ansehen von Deutsch in Indonesien erhöht.
Deutsch wird als Schulfach genauso ernst genommen wie Physik, Mathematik usw. Ge-
genwärtig gibt es in Indonesien 435 Oberschulen und ca. 50 Fachoberschulen, die
Deutsch als Fremdsprache anbieten.
Außerhalb der formellen Bildungsinstitutionen ist das Goethe-Institut seit fast 50 Jah-
ren das wichtigste Zentrum für den Deutschunterricht. Laut Umfrage des Goethe-Insti-
tuts Jakarta im Jahr 2007 sind die Mehrheit der Kursteilnehmer Schüler und Studenten
(im Alter von 15 bis 23), die mit dem Ziel, ein Studium in Deutschland aufzunehmen,
Deutsch lernen.
Noch vor 15 Jahren waren die Verwendungsmöglichkeiten der deutschen Sprache im
Alltagsleben in Indonesien beschränkt, die Mehrheit der Deutschlerner konnte Deutsch
hauptsächlich nur im Unterricht anwenden. Mit der raschen Entwicklung der elektroni-
schen Kommunikationstechnologie gehört Deutsch aber inzwischen zu den Fremdspra-
chen, die im Alltag in verschiedenen Bereichen relevant sind, z. B zur Informationssuche
in elektronischen Zeitungen/Zeitschriften, im Fernsehen, Kommunikation per E-Mail,
Chatten usw.
198. Deutsch in Indonesien 1687
2. Germanistikstudium in Indonesien
Gegenwärtig gibt es 14 Hochschulen in Indonesien (12 staatliche Universitäten, 1 private
Universität und 1 Fachhochschule), die sich mit der deutschen Sprache, Literatur und
Kultur beschäftigen. Die Deutschstudiengänge in Indonesien haben kein einheitliches
Curriculum. Zwei Orientierungen sind aber zu unterscheiden, nämlich (a) an den Univer-
sitäten, die die Fächer deutsche Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Deutsch-
landkunde als Schwerpunkte vorsehen, und (b) die ehemaligen Pädagogischen Hoch-
schulen, die in Universitäten umgewandelt wurden und ursprünglich stärker pädago-
gische Komponenten im Curriculum vorsahen (Darmojuwono 2001: 1595). Das Fach
Germanistik in Indonesien (außer an den Pädagogischen Hochschulen) orientierte sich
bis in die 1980er Jahre am Curriculum des Germanistikstudiums in Deutschland und
war entsprechend philologisch ausgerichtet. Wie in vielen Ländern befand sich das Fach
Germanistik in Indonesien in einem Dilemma, nämlich Ansprüchen eines philologischen
und eines berufsorientierten fremdsprachlichen Studiengangs gerecht zu werden. Ange-
sichts der Berufschancen der AbsolventInnen haben die Universitäten in das Bachelor-
Programm berufsorientierte Ausbildungselemente aufgenommen, wie z. B. Deutsch für
den Tourismus, Wirtschaftsdeutsch, Übersetzung.
Da die Mehrheit der Germanistik-Studiengänge an den ehemaligen Pädagogischen
Hochschulen angesiedelt ist, arbeiten mehr als die Hälfte der Absolventen der Deutsch-
abteilungen nach dem Studium als Deutschlehrer. Dagegen liegen die Tätigkeitsfelder der
Absolventen der klassischen Universitäten in der Mitarbeit bei deutschen Institutionen
und Wirtschaftsunternehmen (Verwaltung, Dolmetschen, Übersetzern, Marketing, Ma-
nagement), bei internationalen und indonesischen Firmen, im Tourismus, im Medienbe-
reich, in der staatlichen Verwaltung und Diplomatie sowie im selbständigen Bereich (z. B.
als Übersetzer, Reiseleiter).
Da nicht alle Studierenden mit Deutschvorkenntnissen in das Studium eintreten, ist
der Sprachunterricht an den Deutschabteilungen für Studierende ohne Vorkenntnisse
konzipiert. Hier gibt es eine enge Zusammenarbeit der Deutschabteilungen der ehemali-
gen Pädagogischen Hochschulen mit dem Goethe-Institut; eine gemeinsame Prüfung
wurde entwickelt, die sich nach dem Zertifikat Deutsch richtet, um die Grundkenntnisse
der Studierenden festzustellen.
An der Universitas Indonesia liegen die Schwerpunkte des Curriculums in der Sprach-
und Literaturwissenschaft und seit ca. 5 Jahren können Studierende ihre Examensarbeit
wieder in Kulturwissenschaft wie in den 1970er und 1980er Jahren schreiben. Deswegen
liegt der Schwerpunkt des Sprachunterrichts am Anfang des Studiums stärker auf der
rezeptiven Komponente. Da seit 2006 die Universitas Indonesia ein lizenziertes TestDaF-
Zentrum in Indonesien geworden ist, besteht für die Studierenden die Möglichkeit, die
TestDaf-Prüfung abzulegen. Nach den Ergebnissen von TestDaF und TestDaF-Erpro-
bungen haben die Studierenden im dritten Studienjahr (6. Semester) im Durchschnitt das
Niveau B2 abgeschlossen. Im Leseverstehen und Hörverstehen wurden im Jahr 2007 die
TestDaF-Niveaustufen 3 und 4 und im schriftlichen und mündlichen Ausdruck wurde
durchschnittlich das TestDaF-Niveau 3 erreicht.
Die linguistischen Fächer an der Deutschabteilung der Universitas Indonesia bestehen
aus Phonetik/Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik; außerdem
gibt es Wahlfächer in Fachsprache, Soziolinguistik, Textlinguistik, Methodik und Didak-
tik DaF sowie Interkultureller Kommunikation. Die Wahlfächer ermöglichen den Stu-
1688 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
dierenden eine Erweiterung ihrer linguistischen Kenntnisse sowie eine Vorbereitung auf
Probleme und Aufgaben im späteren Berufsleben.
Die Schwerpunkte in der Literaturwissenschaft sind literarische Werke nach 1945,
deren Themen für Indonesien aktuell sind, aber gleichzeitig ein Bild von Deutschland
repräsentieren können. Themen wie Hungersnot, Toleranz, das Fremde und das Eigene
etc. werden aus der interkulturellen Perspektive diskutiert. Die Auswahl der literarischen
Werke richtet sich nicht nach der Berühmtheit eines Autors, sondern eher nach dem
Interesse am Thema. Behandelt werden auch klassische Werke, deren Themen Anknüp-
fungspunkte zu Erfahrungen der Studierenden besitzen; zu deren besseren Verständnis
werden oft Filme als Unterrichtsmaterial eingesetzt.
Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich mit Themen wie Multikulturalität, Pop-Kul-
tur und Medien, die mit interkulturellen Methoden analysiert werden.
Im Jahr 1999 wurde auf dem südostasiatischen Germanistentreffen in Bangkok von Rog-
gausch (2000: 9) festgestellt, dass an einer großen Zahl von Hochschulen die philologi-
schen Studiengänge im Umbruch seien. Mit dieser Problematik ist auch das Germanistik-
studium in Indonesien konfrontiert. Auf der einen Seite soll das Germanistikstudium die
philologischen Komponenten, nämlich die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft
im Curriculum behalten, da sie einen gründlichen Zugang zu den deutschen Lebenswel-
ten und Denkweisen ermöglichen. Auf der anderen Seite müssen die AbsolventInnen
berufsorientierte Fertigkeiten im Rahmen des Studiums entwickeln, so dass sie nicht
nur Kenntnisse über die deutsche Sprache und Literaturwissenschaft vorweisen können,
sondern diese Kenntnisse auch in die Praxis bei der Vermittlung zwischen zwei Kulturen
umsetzen können. In Zeiten von Internationalisierung und Globalisierung wird es immer
wichtiger, dass die Studierenden nicht nur fließend Deutsch sprechen lernen. Vielmehr
müssen sie die Fähigkeit entwickeln, interkulturell zu kommunizieren, was u. a. mit Hilfe
elektronischer Kommunikationsmedien angestrebt werden kann, z. B. durch direkte
Kommunikation mit Studierenden in deutschsprachigen Ländern zur Verbesserung der
Sprachkenntnisse und Anwendung von Kenntnissen über die deutsche Kultur in der
Kommunikation.
An allen Universitäten Indonesiens liegt der Schwerpunkt der Beschäftigung mit den
deutschsprachigen Ländern auf Deutschland, so dass literarische Werke und Kulturen
Österreichs und der Schweiz nur am Rande oder überhaupt nicht erörtert werden. Die
Erweiterung des Lehr- und Forschungsgegenstands um die anderen deutschsprachigen
Länder wäre eine Bereicherung für das Germanistikstudium in Indonesien, v. a. im Hin-
blick auf die Vielfalt der deutschen Sprache.
Der Fortbestand des Germanistikstudiums in Indonesien hängt von verschiedenen
Faktoren ab: von der Lehr- und Forschungsqualität der DozentInnen, die zur Zeit durch
DAAD-LektorInnen unterstützt werden; von attraktiven Curricula, die sowohl philolo-
gische als auch berufsorientierte Komponenten beinhalten; von Netzwerken und von
der Zusammenarbeit zwischen den DozentInnen in Lehre und Forschung innerhalb des
Indonesischen Germanistenverbands, der im Jahr 2007 gegründet wurde; von der Zu-
199. Deutsch in Irland 1689
Danksagung
4. Literatur in Auswahl
Darmojuwono, Setiawati
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indonesien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein inter-
nationales Handbuch, Band 2, 1594⫺1604 (Handbücher zur Sprach- und Kommunika-
tionswissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: de Gruyter.
Direktorat Pendidikan UI
2007 Statistik Mahasiswa Baru Program Sarjana Jalur PPKB dan UMPTN Depok.
Roggausch, Werner
2000 Vorwort zur Eröffnung des Germanistentreffens in Bangkok. In: DAAD (Hg.), Germanis-
tentreffen Tagungsbeiträge, Bangkok 1999, 9. Bonn: DAAD.
1. Überblick
Das Fach Deutsch hat in Irland stets im Schatten des Französischen gestanden (zur
Geschichte des Deutschen in Irland vgl. Fischer (2000, 461⫺508 und 2003)). Dies wurde
1690 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
in den 1980er Jahren zunehmend als Problem gesehen, weil es der wachsenden wirt-
schaftlichen Verflechtung mit Deutschland auffällig widersprach. Als Resultat spezieller
Förderungsprogramme stieg die Zahl der Deutschlernenden im Sekundar- und Tertiärbe-
reich zunächst stark an (1985: 3,5 % aller Schüler; 1995: 18.4 %). Seit den späten 1990er
Jahren ist jedoch ein nachlassendes Interesse an modernen Fremdspachen zu verzeich-
nen, im tertiären Bereich noch deutlicher als an den Schulen. Als Gründe für diese fach-
bedrohende Entwicklung wären u. a. zu nennen:
⫺ kein Zwang zur Arbeitsmigration mehr in den Jahren des ökonomischen Booms zwi-
schen Mitte der 1990er Jahre und Mitte 2008;
⫺ die zunehmende Bedeutung des Englischen als Weltsprache, auch in deutschen Firmen
und Institutionen;
⫺ eine stärkere wirtschaftspolitische Orientierung am Neoliberalismus US-amerikani-
scher Prägung und eine wachsende Indifferenz der Europäischen Union gegenüber.
In den letzten Jahren hat das Fach Spanisch an Attraktivität gewonnen und insbesondere
an den Universitäten Deutsch zahlenmäßig überflügelt. Die Entwicklung einer natio-
nalen Sprachenpolitik bleibt ein Desiderat, wenn auch in dieser Richtung deutliche
Fortschritte zu verzeichnen sind (vgl. den Bericht Language Education Policy Profile
IRELAND, gemeinsam herausgegeben vom Department of Education and Science und
der Language Policy Division Strasbourg: http://www.education.ie/servlet/blobservlet/
language_education_policy_profile.pdf).
In Irland gibt es sieben Universitäten sowie 16 Institutes of Technology, die den deut-
schen Fachhochschulen vergleichbar sind; an all diesen staatlichen Institutionen wird
Deutsch ⫺ mit unterschiedlicher Akzentuierung im Curriculum ⫺ als Haupt- oder/und
Nebenfach angeboten. Eine erste Übersicht über das tertiäre Bildungssystem liefert der
DAAD Studienführer Großbritannien und Irland (Kypker 2004). In der Regel werden an
den irischen Fachhochschulen Deutschkurse innerhalb wirtschafts-, natur- und ingeni-
eurwissenschaftlicher Studiengänge angeboten. Insbesondere im Bereich der Institutes of
Technology ist es zu einem starken Einbruch der Studierendenzahlen für alle modernen
Fremdsprachen gekommen. Hier sind auf Druck der Fachwissenschaften hin die Fremd-
sprachen aus einer Vielzahl besagter Kurse eliminiert worden.
Die universitären Germanistik-Curricula sind nicht mehr so dominant literaturwis-
senschaftlich ausgerichtet, und immer öfter wird der Oberbegriff German Studies ver-
wendet, um die eindrucksvolle Bandbreite von germanistischen Aktivitäten zu charakte-
risieren. Allgemein ist der Bereich interkulturelle Studien gestärkt worden, der steigende
Einbezug visueller Medien (insbes. Film) ist auffällig, ebenso die Bildung von sprach-
pädagogischen bzw. kulturwissenschaftlichen/landeswissenschaftlichen Studienschwer-
punkten. Die gleiche Tendenz lässt sich auch bei den postgradualen M.A. bzw. M.Phil.-
Kursen erkennen, die derzeit an den germanistischen Abteilungen von vier irischen Uni-
versitäten (Cork, Dublin (UCD und Trinity College), Maynooth) angeboten werden.
Exemplarisch sei das M.A.-Programm in German Studies an der Universität Cork ge-
nannt, in dem die Studierenden Module aus den Studienrichtungen Literature-Art-Media-
Theatre-Film und Language, Drama and Intercultural Pedagogy kombinieren können.
Zwar erwartet die Higher Education Authority (www.hea.ie) von den Hochschulen ver-
stärkte Initiativen im Postgraduiertenbereich, doch können germanistische Abteilungen
solche Erwartungen in Anbetracht allgemein rückläufiger Zahlen zumindest kurzfristig
kaum erfüllen. An allen Universitäten werden germanistische Inhalte zusätzlich (meist
auf Englisch) innerhalb interdisziplinärer Studiengänge, etwa in den Bereichen Überset-
zungswissenschaft, Drama und Theater, Sprachlehr-/lernforschung oder Komparatistik,
vermittelt.
Nachdem irische Germanisten jahrzehntelang im Berufsverband der Conference of
University Teachers of German of Great Britain and Ireland organisiert waren, entwickelte
sich das Bedürfnis nach einer eigenständigen Organisation, die in den späten 1990er
Jahren zur Gründung der Association of Third Level Teachers of German in Ireland
(ATLTGI ) führte (s. www.germaninreland.ie). Dieser Verband entwickelt sich zur Fach-
1692 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
vertretung und zu einer Lobby im Bereich der modernen Fremdsprachen. Seit 2006 gibt
die Organisation das Jahrbuch Germanistik in Ireland heraus.
Die Zahl der Lehrenden ist wie die der Studierenden rückläufig. In den letzten Jahren
sind, vor allem auch aus Gründen der Mitteleinsparung, Universitäten umorganisiert
worden. Im derzeitigen Rezessions-Klima wird auf den Führungsetagen von Universitä-
ten durchaus laut über die Schließung universitärer Sprachenabteilungen nachgedacht.
Ein bleibendes Resultat sind größere Einheiten, in denen traditionelle Germanistikabtei-
lungen zum Teil ihre Budgetautorität und damit relative Unabhängigkeit an übergeord-
nete Schools abgeben mussten. Dies hat in vielen Fällen die Modernen Fremdsprachen
in eine multidisziplinäre Struktur eingeordnet, in der andererseits auch die Chance einer
verstärkten Kooperation zwischen den modernen Fremdsprachen und/oder mit der Mut-
tersprachenphilologie Englisch bzw. Irisch liegt.
DaF als Schwerpunkt existiert insbesondere an den Universitäten Cork, Maynooth
und Dublin (UCD). Beispielhaft seien die folgenden Publikationen genannt, um Schwer-
punktbildungen in der Forschung anzudeuten: An der Universität Cork wird SCENA-
RIO (http://scenario.ucc.ie) herausgegeben (Schewe und Even), eine bilinguale, referierte
Internet-Zeitschrift für Drama- und Theaterpädagogik in der Fremd- und Zweitspra-
chenvermittlung; im Peter Lang Verlag hat sich die Reihe Intercultural Studies and For-
eign Language Learning etabliert (Harden und Witte). Fasst man DaF weiter und ver-
steht die Disziplin als Fremdkultur-Wissenschaft, dann gehören auch kulturkontrastive
Arbeiten ganz direkt zu ihrem Forschungsbereich. Insbesondere am Centre for Irish-
German Studies an der Universität Limerick werden die kulturellen Verbindungen zwi-
schen beiden Ländern sowie die gegenseitigen Bilder, seien sie literarischer oder nicht-
literarischer Art, erforscht.
Zunehmend werden germanistische Inhalte auch auf Englisch unterrichtet bzw. basie-
rend auf Texten in englischer Übersetzung. Hier setzt die aktuelle Kontroverse an, ob
diese Entwicklung dem zentralen Aufgabenbereich der Germanistik, nämlich dem der
Vermittlung deutscher Sprache und fremdsprachlicher Kultur, dienlich ist oder ihn eher
unterminiert.
4. Ausblick
Die Rolle des Deutschen in Irland ist immer eng mit politischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen verknüpft gewesen. Welche Folgen die gegenwärtige Finanzkrise für Ir-
land hat, ist kaum abzusehen. Es ist zu erwarten, dass das abrupte Ende des langjährigen
Wirtschaftsbooms im Jahre 2008 zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen der
Republik Irland und der EU führen wird, nicht zuletzt als Folge einer voraussichtlich
wachsenden wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit von der EU. Schlimmsten-
falls wird man auch wieder mit erhöhter Auswanderung rechnen müssen. Aus einer mög-
lichen Rückbesinnung auf die traditionelle irische EU-Freundlichkeit könnte durchaus
auch wieder ein verstärktes Interesse an europäischen Fremdsprachen resultieren. Inwie-
fern davon der Deutschunterricht profitieren wird, hängt nicht zuletzt auch von wirt-
schaftlichen (und kulturellen) Entwicklungen in den deutschsprachigen Ländern ab.
200. Deutsch in Italien 1693
5. Literatur in Auswahl
Fischer, Joachim
2000 Das Deutschlandbild der Iren 1890⫺1939. Geschichte ⫺ Form ⫺ Funktion. Heidelberg:
Winter.
Fischer, Joachim
2003 The Eagle That Never Landed: Uses and Abuses of the German Language in Ireland.
In: Michael Cronin und Cormac Ó Cuilleanáin (Hg.), The Languages of Ireland, 93⫺111.
Dublin: Four Courts Press.
Kypker, Nicole
2004 Studienführer Großbritannien, Irland. 2. völlig überarb. Auflage. Bielefeld: Bertelsmann.
Schewe, Manfred und Susanne Even (Hg.)
SCENARIO ⫺ Zeitschrift für Drama- und Theaterpädagogik in der Fremd- und Zweitspra-
chenvermittlung. (http://scenario.ucc.ie).
1. Vorbemerkung
Der Italien-Beitrag der ersten Ausgabe dieses Werks (Ponti 2001) widerspiegelt eine Situ-
ation, die einem vergangenen Jahrhundert anzugehören scheint. In den letzten Jahren
haben sich enorme soziale Veränderungen ergeben, deren Ursachen u. a. in der kulturel-
len Globalisierung, im Internet, den Billigflügen, der weltweiten Finanzkrise zu suchen
sind. In Italien werden die Deutschen (von den Österreichern und Schweizern nicht immer
richtig auseinander gehalten) nicht mehr dem negativen Bild gemäß wahrgenommen,
das die geschichtlichen Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins kollektive
Gedächtnis gespeichert hatten. Die deutschsprachigen Touristen, die regelmäßig die ita-
lienischen Kunststädte bevölkern, erscheinen heute als europäische Bürger, die effizient
handeln und kluge politische Leiter wählen. Eine gewisse Anziehungskraft üben zudem
deutsche Städte ⫺ vor allem Berlin und München ⫺ als Urlaubsziele für junge Italiener
aus: Im Zeitraum 1996⫺2005 soll sich die Anzahl der italienischen Touristen in Deutsch-
land um ein 139 % erhöht haben (Statistisches Bundesamt 2006: 34); auf historischer
Ebene lässt sich hiermit eine Gegentendenz verzeichnen: seit dem Mittelalter, als Kriegs-
1694 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
leute, Händler, Studenten und Abenteurer von einem Land ins andere zogen, wurde
überwiegend von Deutschland nach Italien gereist (Glück 2002: 245 u. 260). Die globale
Finanzkrise hat kulturpolitisch bewirkt, dass zunehmend weniger Geld in das italienische
Bildungssystem investiert wird. Parallel dazu erleiden Fachbereiche wie Fremdsprachen
und Philologien, die traditionell den Zugang zur Schulkarriere verschaffen, in den letzten
Jahren einen leichten, aber steten Zahlenrückgang.
Das Grundschema des italienischen Schulsystems ist seit 1963 folgendermaßen geglie-
dert:
Das Diploma di Maturità (Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife) erlaubt seit 1968
freien Zugang zur Hochschulausbildung. Das Universitätssystem in Italien ist seit der
Hochschulreform 2001 auf die europaweit angeglichenen Studiengänge hin dreistufig ge-
staltet:
Die Hochschulreform führte zur Etablierung des akademischen Fachs Lingua e Tradu-
zione Tedesca, d. h. der Deutschen Sprach- und Übersetzungswissenschaft. Diesem, nicht
dem literaturwissenschaftlichen Germanistikbereich, gehört seither der DaF-Bereich an.
Diese Entwicklung könnten die neuesten ministeriellen Richtlinien (vom 27. März 2009)
(Quelle: www.miur.it/0006Menu_C/0012Docume/0015Atti_M/7680Modali_cf2.htm.) auf
die Dauer wieder rückgängig machen.
Da das Promotionsstudium (Dottorato di ricerca) in Italien eine relativ neue Einrich-
tung darstellt (seit 1984), bilden die Promotionsstudiengänge der Germanistik bei 7,3 %
der Doktoranden im gesamten humanistischen Bereich bisher noch eine Art Nische in
200. Deutsch in Italien 1695
der Nische, die aber für die Bildungssituation des Fachs seit Jahren von zunehmender
Bedeutung werden wird (Matteocci 2008: 59).
Was die Lehrerausbildung angeht, wurde der erst 2000 eingeführte Lehramtsstudien-
gang (die Scuola di Specializzazione per l’Insegnamento Secondario) acht Jahre später
schon wieder abgeschafft. Ein derzeitiger Gesetzesentwurf (Proposta di legge Aprea
Nr. 953 vom 12. Mai 2008) (Quelle: http://new.camera.it/dati/leg16/lavori/stampati/
16pdl0001960.pdf.), der im Jahr 2011 verabschiedet werden soll, sieht einen spezifischen
Aufbaustudienkurs mit Magisterabschluss (Laurea Magistrale) vor.
3. DaF-Lernende in Italien
Nach Bekanntgabe des Auswärtigen Amts (Länderinformationen, Teiltext Italien) sind
nicht nur die politisch-wirtschaftlichen Verbindungen, sondern auch die kulturellen Be-
ziehungen zwischen Italien und Deutschland als gut fundiert anzusehen (Quelle:
www.auswaertiges-amt.de.). Letzteres zeigt sich auch durch die Präsenz der ⫺ traditions-
bedingt ⫺ weltweit höchsten Anzahl an von Deutschland geförderten kulturellen Institu-
tionen, darunter die derzeit sieben, in den fünfziger und frühen sechziger Jahren gegrün-
deten Goethe-Institute. In den Jahren 2007⫺2008 ist die Anzahl der Teilnehmenden an
ihren Deutschkursen stabil geblieben: ungefähr 5.500 (berechnet nach Angaben vom
Goethe-Institut 2009: 130). Nach aktuellen Angaben des Bildungsministeriums (Quelle:
http://pubblica.istruzione.it.) umfasst hingegen das schulische Bildungssystem ungefähr
400.000 Deutschlerner, was zeigt, dass die Deutschvermittlung in Italien vor allem hier
ihren Platz hat:
Tab. 200.3:
Grundschule Sekundärstufe I Sekundärstufe II total
2004 2008 2004 2008 2004 2008 2008
Deutsch 55.392 55.959 87.316 148.470 196.631 198.365 402.794
Englisch 2.660.299 2.901.541 1.599.428 1.723.615 2.399.043 2.584.617 7.209.773
Französisch 98.586 42.731 830.700 1.294.015 735.000 749.339 2.086.085
Spanisch 4.713 8.603 64.538 276.298 79.911 124.525 409.426
Die Verbreitung des schulischen Deutschunterrichts ist vorwiegend auf den Norden/
Nord-Osten konzentriert, mit Schwerpunktsetzung auf die Autonome Provinz Bozen-
Südtirol, in der Deutsch offizielle Amtssprache ist. Die derzeit insgesamt relative Stabili-
tät ist allerdings gewissen Gefahren ausgesetzt: Einerseits werden zunehmend neue
Fremdsprachen wie Arabisch und Chinesisch eingeführt und stellen sich neben das wei-
terhin beliebte Spanisch; andererseits erlaubt ein Ende 2007 verabschiedetes Gesetz, „po-
tenziertes“ Englisch als zweite schulische Fremdsprache anzurechnen.
Bei der Immatrikulation ist deshalb künftig mit einer größeren Zahl von Anfängern
der deutschen Sprache zu rechnen, während der tendenziell ansteigende Ausländeranteil
(der gegenwärtig 2,8 % der Studierenden ausmacht) (Matteocci 2008: 63) derzeit vor al-
lem fortgeschrittene Deutschlernende aus den osteuropäischen Ländern mit sich bringt.
Was allgemein die Geschlechterverteilung angeht, stellen im Sprachbereich die Studentin-
nen mit 82,4 % im Jahr 2006 die Mehrheit (Matteocci 2008: 42).
1696 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
6. Literatur in Auswahl
Foschi Albert, Marina
2005 „Andere Länder, andere Sitten“. Germanistik in Italien und ihr Verhältnis zur Inlandsger-
manistik. In: Deutsche Sprache 33: S. 169⫺181.
Glück, Helmut
2002 Deutsch als Fremdsprache in Europa vom Mittelalter bis zur Barockzeit. Berlin/New York:
Walter de Gruyter.
Goethe-Institut e.V. (Hg.)
2009 Jahrbuch 2008/2009. München.
Hepp, Marianne
2006 Vielfalt durch Austausch ⫺ Ein Ausblick. In: Marina Foschi Albert, Marianne Hepp und
Eva Neuland (Hg.), Texte in Sprachforschung und Sprachunterricht, S. 347⫺349. Mün-
chen: iudicium.
Istituto Nazionale di Statistica (Hg.)
2006 I laureati e il mercato di lavoro. Inserimento professionale dei laureati. Indagine 2004.
Roma. www.istat.it.
Matteocci, Giuliana (Hg.)
2008 L’Università in cifre 2007. Roma: Ministero della Pubblica Istruzione. http://www.pubblica.
istruzione.it.
Ponti, Donatella
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Italien. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.) Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-
les Handbuch, 1509⫺1515. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissen-
schaft 19.1⫺2). Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Statistisches Bundesamt (Hg.)
2006 Im Blickpunkt: Verkehr in Deutschland 2006. Wiesbaden. https://www-ec.destatis.de.
Da der Hauptort des Deutschunterrichts an der Hochschule war und ist, sind die Träger
des Deutschunterrichts ProfessorInnen, die sich meist als Literatur- oder Sprachwissen-
schaftlerInnen definieren. Die Studieninhalte der Germanistik im Master- und Doktor-
kurs sind entsprechend philologisch orientiert. Die Schwerpunkte liegen einerseits auf
traditionellen Dichterstudien und der Mediävistik. Anderseits werden kulturwissen-
schaftliche Themen wie Landschaftsdarstellungen, Reiseliteratur, Theater, Medien, Re-
zeption literarischer und ästhetischer Werke, Interkulturalität u. a. m. behandelt. In der
Linguistik werden neben sprachwissenschaftlichen Themen verschiedene Bereiche der So-
ziolinguistik, Korpuslinguistik, Kognitiven Linguistik u. a. zum Gegenstand gewählt. Im
Bereich der Interkulturellen Kommunikation sind linguistische Dialoganalysen relativ
verbreitet, während interdisziplinär angelegte, sozialpsychologische oder kommunikati-
onstheoretische Arbeiten im Vergleich zum englischen Bereich weniger vorkommen. Psy-
cholinguistik, Zweitspracherwerbsforschung und Bilingualismusforschung sind seltener
vertreten. Die Vielfalt des Arbeitsgebiets der heutigen Germanistik spiegelt das Organ
der Japanischen Gesellschaft für Germanistik (JGG) in jährlich mehrmals erscheinenden
Sammelbänden.
Der Begriff „DaF“ ist zwar etabliert, wird jedoch oft noch als ein Anwendungsbereich
von linguistischen Fachkenntnissen verstanden. Selten verfügen Lehrende über ein Lehr-
praktikum, nach dem bei der Einstellung kaum gefragt wird. Auf der anderen Seite gibt
es Versuche von an der Lehrqualifikation Interessierten, die Lehrerbildung zu verbessern.
Sie kooperieren sprachen- und/oder universitätsübergreifend. Beim sprachenübergreifen-
den Vorgehen erweist sich, wenn die traditionelle nationalsprachliche Einteilung instituti-
onell aufgehoben werden kann, die Zusammenarbeit mit der Englischdidaktik als hilf-
reich, wobei einige Fachbegriffe mit unterschiedlichen Definitionen, Schwerpunkten so-
wie der Stellenwert der „Kultur“ berücksichtigt werden müssen (Sugitani 2004). Seit
2003 bietet die JGG mit Unterstützung des Goethe-Instituts einen Fortbildungskurs auf
Semesterbasis an, der durch die Lernmöglichkeit per Internet in Ost- und Westjapan
unter jüngeren Germanisten Teilnehmende findet (vgl. http://www.dokkyo.net/~daf-
kurs/, 28. 11. 2008). Als Themen wurden 2008 u. a. Lehrmethodik, Lernstrategien, ko-
operatives Lernen/autonomes Lernen, Curriculum-Design gewählt. Der Gemeinsame Eu-
ropäische Referenzrahmen (vgl. Yoshijima et al. 2004) und der Plurilingualismus werden
einbezogen. Zunehmend wird der Einsatz von Neuen Medien (ICT) diskutiert und prak-
tiziert. Von einigen Mitgliedern der JGG werden Lernprogramme für japanische Studie-
rende entwickelt und im Internet frei zur Verfügung gestellt (vgl. Sakai 2004).
Für DaF/Sprachlehrforschung veranstaltet die JGG seit 1992 mit Unterstützung des
DAAD sowie des Goethe-Instituts jährlich ein Fachseminar mit ExpertInnen aus
Deutschland. Diskutierte Themen in den letzten Jahren waren z. B. Lernen mit alten und
1700 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
4. Literatur in Auswahl
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile deutsch. Berlin etc.: Langenscheidt.
Hirataka, Fumiya
2007 Plurilingualismus im Fremdsprachenunterricht und Chancen des Deutschunterrichts in
Japan. In: Japanische Gesellschaft für Germanistik (JGG) (Hg.), Neue Beiträge zur Ger-
manistik (Neue Beiträge). Bd. 6 (2): 103⫺114. Tokyo.
JGG (Hg.)
2005 Lernen mit alten und neuen Medien ⫺ Zur Entwicklung regionaler Lehrmaterialien und
technologiegestützter Konzepte. Neue Beiträge Bd. 4(4). Tokyo.
JGG (Hg.)
2007 Sprachprüfung und Sprachenpolitik. Neue Beiträge Bd. 6(2). Tokyo.
JGG (Hg.)
2007 Medien und Sprache. Neue Beiträge Bd. 6(4). Tokyo.
Kühn, Christine (Hg.)
2006 Deutsche Spuren in Japan. Ottrau: Schenk.
Miyanaga, Takashi
1993 Nichidoku-bunka-jinbutsu-kôryûshi [Geschichte des kultur- und Personenaustausches zwi-
schen Japan und Deutschland]. Tokyo: Sanshûsha.
Sakai, Kazumi
2004 Die Deutschlehrerausbildung in der informations- und kommunikationstechnologischen
Landschaft. In: JGG (Hg.), Neue Beiträge. Bd. 3(1): 111⫺122.
Sammori, Yurika
1996 Gengo gijutsu no taikei to shidônaiyô. [Language Arts ⫺ Ihre systematische Förderung].
Tokyo: Meiji-tosho.
Schart, Michael und Makiko Hoshii
2004 Die wissenschaftliche Disziplin Deutsch als Fremdsprache in Japan ⫺ Blick auf eine
Forschungslandschaft. In: Japanischer Deutschlehrerverband (Hg.), Deutschunterricht in
Japan 9: 4⫺20. Tokyo.
Sugitani, Masako
2004 Deutsch als eine zweite Fremdsprache nach Englisch ⫺ Zur Profilbildung in der Sprach-
lehrforschung in Japan. In: JGG (Hg.), Neue Beiträge Bd. 3(4): 57⫺72.
Yoshijima, Shigeru et al.
2004 Gaikokugono gakushû, kyôjû, hyôkano tameno yôroppa kyôtsûsanshôwaku (Überset-
zung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens). Tokyo: Goethe-Institut/Asahi
Verlag.
sie vom Goethe-Institut genannt werden ⫺ arbeiten Hand in Hand mit den einheimi-
schen Inspektoren, indem sie u. a. gemeinsam Fortbildungsseminare für DeutschlehrerIn-
nen veranstalten und an Schulen hospitieren. Seit 2007 werden Lehrmittelzentren in eini-
gen Großstädten eingerichtet, um dem Mangel an geeigneter aktueller Fachliteratur ent-
gegenzuwirken.
Aus kamerunischer Sicht liegt seit 1996 eine offizielle Stellungnahme zum Bereich der
Vermittlung und Aneignung der deutschen Sprache vor, die dem Erlass des Erziehungs-
ministeriums für das Curriculum für den Deutschunterricht an Sekundarschulen zu ent-
nehmen ist. Leitziel des Deutschunterrichts ist es, die Entfaltung der Persönlichkeit der
Lernenden zu fördern sowie kritisches Denken und Handeln zu unterstützen. Ferner
sollen auf der unterrichtlichen Ebene sprachliche, kognitive, affektive, (inter-)kulturelle
und psychomotorische Ziele angestrebt werden. Des Weiteren legt das Curriculum die zu
erwerbenden Kompetenzen in den jeweiligen Klassen, die Lerninhalte, die methodischen
Ansätze, die Testformate und die Bewertungskriterien in der Unter- und in der Ober-
stufe fest.
Derzeit lernen bei 1.200 LehrerInnen ca. 130.000 SchülerInnen ab der 9. Klasse
Deutsch. Auch am Goethe-Institut und an vielen Privatschulen sowie an den neulich
vom Goethe-Institut eingerichteten Sprachlernzentren in Douala und Bafoussam absol-
vieren ca. 2.500 TeilnehmerInnen Deutschkurse im Hinblick auf die Aufnahme bzw.
Fortsetzung des Studiums in Deutschland. Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach
mehr Deutschkursen steigt, da die Erteilung eines Visums zwecks der Familienzusam-
menführung u. a. mit dem Nachweis des Bestehens der Prüfung „Start Deutsch 1“ zu-
sammenhängt. Diese Zielgruppe stellt eine nicht zu vernachlässigende Klientel dar.
4. Perspektiven
Neben dem Erwerb methodisch-didaktischen Wissens, dessen Reflexion sowie der Ent-
wicklung didaktischen Könnens muss sich der afrikanische Fremdsprachenlehrer seiner
aufklärerischen, gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein. Im Zuge der Demokrati-
sierung in den afrikanischen Ländern macht sich eine nie dagewesene, besorgniserre-
gende Intoleranz und Welle von Menschenrechtsverletzungen breit. Will der Lehrer die
Heranwachsenden dazu animieren, dem Zerfall der Gesellschaft nicht gleichgültig zuzu-
schauen, muss er selber eine ethnophobie- und diskriminierungsfreie Haltung seinen
Schülern gegenüber entwickeln. Demnach sollten stärker Interaktionsformen eingesetzt
werden, bei denen die Lernenden eine größere solidarische Kompetenz entwickeln. Denn
innerhalb von Gruppen kann man Probleme adäquater angehen und zu konsensfähige-
ren Lösungen kommen. Dies impliziert, dass der Lehrer den Mut haben muss, einen
Deutschunterricht zu erteilen, in dem schonungslos über gesellschaftliche Missstände ge-
sprochen wird, mit dem Ziel, nach Lösungsansätzen zu suchen.
203. Deutsch in Kanada 1705
5. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt der Bundesregierung
1985 Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Bericht der Bundesregierung. Bonn.
Fonlon, Bernard
1976 The language problem in Cameroon: a historical perspective. In: David R. Smock and
Kwamena Bentsi-Enchill (Hg.), The Search for National Integration in Africa, 189⫺205.
London: MacMillan.
Goethe-Institut
2008 Ihr und Wir plus. München: Les Classiques Camerounais.
Gomsu, Joseph
2006 „Über lokale und allgemeine Bildung“: Georg Forster Projekt einer anderen Moderne.
Georg-Forster-Studien XI: 246⫺264.
Ngatcha, Alexis
1991 Inhalte und Methoden des Deutschunterrichts an Kameruner Sekundarschulen. Bestandsauf-
nahme und Möglichkeiten der interkulturellen Kommunikation. Hamburg: Verlag an der
Lottbeck.
Ngatcha, Alexis
2002 Der Deutschunterricht in Kamerun als Erbe des Kolonialismus und seine Funktion in der
postkolonialen Ära. Frankfurt a. M.: Lang.
Pleines, Jochen
1985 Sprachkonkurrenz und gesellschaftliche Planung. Das Erbe des Kolonialismus. (Osnabrü-
cker Beiträge zur Sprachtheorie 31). Osnabrück: Redaktion Obst.
Simo, David
2006 Suchen und Lernen als Wiedererinnern. Zur Problematik der Erfahrung des Fremden bei
Hubert Fichte. In: Leo Kreutzer und David Simo (Hg.), Weltengarten. Deutsch-Afrikani-
sches Jahrbuch für Interkulturelles Denken, 42⫺54. Hannover: Revonnah.
Sow, Alioune
2003 Entwicklungsoptionen der Goethe-Zeit. München: iudicium.
wird, erst die zweite oder gar dritte Fremdsprache für kanadische Lernende. Es wird
jährlich von ca. 20.000 kanadischen Lernenden in Kindergärten, Primar- und Sekundar-
schulen sowie von ca. 17.000 Studierenden an Universitäten und Colleges gelernt und
steht damit nach Französisch und Spanisch auf Platz drei der meist gewählten Fremd-
sprachen.
Bislang ist Deutsch in Kanada auch als Heim- oder Alltagssprache noch eine der am
meisten verwendeten Sprachen; allerdings ist die Einwanderung aus deutschsprachigen
Ländern seit den 1960er Jahren rapide zurückgegangen. Der kanadische Census von
2006 hat ergeben, dass Deutsch nach den beiden Amtssprachen sowie Chinesisch und
Italienisch nur noch den fünften Platz unter den in Kanada verwendeten Sprachen ein-
nimmt. Zum Vergleich: Anfang der 1990er Jahre war es noch der dritte Platz. Tendenz
weiterhin fallend: Die deutschsprachigen Einwanderergruppen in Kanada verlieren kon-
tinuierlich Mitglieder; einfache demoskopische Hochrechnungen zeigen, dass dies weiter
anhalten wird. Deutsch als Erbsprache (heritage language) gehört damit zu den gefährde-
ten Sprachen, und zwar sowohl aufgrund der stark sinkenden Anzahl seiner Sprecher,
als auch aufgrund der Verteilung der deutschsprachigen Personen im Land: Es sind ins-
besondere die Religionsgemeinschaften der Hutterer und Mennoniten, die weiterhin die
deutsche Sprache pflegen, während in den Städten eine entgegen gesetzte Entwicklung
zu beobachten ist. Dort drohen mit dem Verschwinden deutschsprachiger Gruppierun-
gen eine reduzierte Sichtbarkeit und der Verlust der Lebendigkeit des Deutschen im mul-
tikulturellen Leben. Somit ist absehbar, dass die deutsche Sprache nicht mehr primär als
Erstsprache oder Erbsprache in Kanada angesehen werden kann; sie wird in Zukunft in
erster Linie eine Fremdsprache sein.
4. Tendenzen
Die größte Herausforderung ist weiterhin der Erhalt der Relevanz des Deutschen in
Kanada. Der derzeitige Übergang von Deutsch als Einwanderersprache zum Deutschen
als Fremdsprache birgt dabei Gefahren, eröffnet aber auch Chancen. Neben den traditio-
nellen privaten und öffentlichen Bildungsträgern engagieren sich weitere Einrichtungen
in der Verbreitung und Pflege von Kultur und Sprache deutschsprachiger Länder. Aktiv
an der Entwicklung eines möglichst regen inter- und transkulturellen Austauschs beteiligt
sind v. a. die Goethe-Institute Toronto, Montreal und Ottawa, das u. a. mit Hilfe des
DAAD geförderte Canadian Centre for German and European Studies an den Universitä-
ten York und Montréal, das Institute for European Studies an der Universität British
Columbia sowie das seit 2004 bestehende Waterloo Centre for German Studies. Von der
Kooperation und dem Engagement all dieser Beteiligten wird es abhängen, ob es gelingt,
das Interesse am Deutschen als einer lebendigen modernen Sprache sowohl zu erhalten
als auch zu wecken.
5. Literatur in Auswahl
Prokop, Manfred
2005 DaF an kanadischen Schulen und Hochschulen. Jahrbuch für Internationale Germanistik
37: 63⫺82.
Prokop, Manfred
2008 The dynamics of German language maintenance in Canada. Forum Deutsch 16, Ms., 78 S.
(http://www.forumdeutsch.ca/) (Zugriff am 30. 12. 2009).
204. Deutsch in Kolumbien 1709
1. Einleitung
„Englisch ist unangefochten erste Fremdsprache in Lateinamerika. Allerdings besteht
eine hohe Bereitschaft, kulturelle Angebote aus dem europäischen Raum anzunehmen.
[…] Dadurch erklärt sich eine vergleichsweise gute Position für die deutsche Sprache.“
Diese Feststellung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland (2010) be-
sitzt auch für Kolumbien volle Gültigkeit. Die positive Haltung gegenüber „dem Deut-
schen“ in Kolumbien geht jedoch im Gegensatz zu anderen Ländern Lateinamerikas
nicht auf einen nennenswerten Einfluss deutschsprachiger Einwanderer zurück. Nach
Harnisch und Sagawe (2003: 296) gilt Kolumbien „sowohl aus historischer, als auch
aktueller politischer, wirtschaftlicher und sozialer Perspektive nicht als Einwanderungs-
land“. Obwohl also der Einfluss von Migranten quantitativ nahezu unbedeutend war
und ist, gibt es eine lange Tradition kultureller, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher
Kontakte zwischen Kolumbien und den deutschsprachigen Ländern, die die Entwicklung
Kolumbiens in verschiedenen Bereichen entscheidend beeinflusst haben (Báez Osorio
2004; Biermann Stolle 2001; Hofer 2000; Tapias Ospina 1993).
1710 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Die vier deutschen Auslandsschulen (Bogotá, Barranquilla, Cali, Medellı́n) und das Cole-
gio Helvetia, eine von weltweit 17 Schweizer Schulen im Ausland, stellen mit etwa 5000
Schüler/innen rund 85 % der Deutschlerner an Schulen in Kolumbien. Diese Schulen
gelten in Kolumbien als qualitativ sehr hochrangig und werden vorwiegend von Kindern
der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite des Landes besucht. Neben der kolumbiani-
schen Hochschulreife verleihen sie auch international gültige Abschlüsse. Besonders für
Abgänger dieser deutschsprachigen Schulen steht außerdem eine Berufsausbildung nach
dem Dualen System an dem eng mit deutschen Firmen zusammen arbeitenden Kaufmän-
nischen Berufsbildungsinstitut ICAFT (Instituto Colombo-Alemán para la Formación Tec-
nológica) offen.
Außer den fünf Auslandsschulen bieten laut StADaF-Erhebung von 2005 weitere elf
Schulen im Land Deutschunterricht an, darunter noch andere mehrsprachige Eliteschu-
len. Erwähnenswert sind auch die staatlichen INEM-Schulen (Instituto Nacional de Edu-
cación Media) in verschiedenen Städten, die 1972 aufgrund der Zusammenarbeit mit
der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem Goethe-Institut Deutschunterricht
einführten und ihn teilweise trotz ungünstiger fremdsprachenpolitischer Regelungen und
schulinterner Schwierigkeiten aufrecht erhalten konnten. Ein wesentlicher Grund dafür,
dass sich der Deutschunterricht an kolumbianischen Schulen bisher nicht stärker durch-
setzen konnte, war und ist der Mangel an qualifizierten Deutschlehrern. Wichtig ⫺ nicht
nur für Deutsch ⫺ war in diesem Sinne in den 1980er und 1990er Jahren die Fortbil-
dungs- und Beratungstätigkeit des Pädagogischen Zentrums Bogotá. In den 1990er Jah-
ren war es das Fortbildungszentrum für 5 Länder der Region.
Zu diesem Bereich zählen die etwa 40 Universitäten, an denen Deutsch im Rahmen von
Wahlpflicht- oder fakultativen Kursen für Hörer aller Fakultäten bzw. auch freie Kurse
für Interessenten von außerhalb der Hochschulen angeboten werden. Die StADaF-Erhe-
bung von 2005 zählte über 2100 Deutschlerner/innen in solchen Kursen. Die Tendenz ist
hier steigend, was auch in Kolumbien im Zusammenhang mit den „zunehmend häufige-
ren bilateralen Verträgen zwischen südamerikanischen und deutschen Universitäten“ zu
sehen ist (Dietrich 2007: 10). Zu den universitären Angeboten kommen Deutschkurse an
etwa 30 Sprachinstituten mit insgesamt ca. 1400 Kursteilnehmern (StADaF 2005⫺2006).
Die Zahl der Einschreibungen am Goethe-Institut Bogotá, das seit 1957 hier die führende
Rolle spielt, stieg von 2005 bis 2009 um mehr als 35 %. Eine besondere Stellung nehmen
auch die drei Kulturgesellschaften in Medellı́n, Cali und Cartagena ein, die vom bundes-
deutschen Auswärtigen Amt und vom Goethe-Institut finanziell und akademisch unter-
stützt werden.
pendien vergeben werden. Im August 2007 nahm ein Lektorat an der Universidad de
Antioquia in Medellı́n seine Arbeit auf, dessen Ziel die Einrichtung des binationalen Mas-
ter-Studienganges „Interkulturelle Sprachwissenschaft ⫺ Deutsch als Fremdsprache“ mit
der Pädagogischen Hochschule Freiburg ist. Im August 2008 kam noch ein drittes
DAAD-Lektorat an der Universidad del Valle in Cali hinzu. Dort ist ein interdisziplinärer
Masterstudiengang „Europastudien“ mit dem Schwerpunkt Deutschlandstudien geplant.
5. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
2010 Die Verbreitung und Förderung der deutschen Sprache in Lateinamerika (Stand 23. 2.
2010). http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/
Lateinamerika/DtSprache.html (18. 5. 2010).
Báez Osorio, Myriam
2004 Las Escuelas Normales de Varones del siglo XIX en Colombia. Revista Historia de la
Educación Latinoamericana, Vol. 6: 179⫺208.
Biermann Stolle, Enrique
2001 Distantes y distintos. Los emigrantes alemanes en Colombia 1939⫺194, 26⫺42. Bogotá:
Universidad Nacional de Colombia.
Dietrich, Eduard Georg
2007 Qualität versus Quantität? Ein Beitrag zur Sprachpolitik des Goethe-Instituts in Südame-
rika. DaF-Brücke. Zeitschrift der Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen in Lateinamerika,
Nr. 9: 10⫺12.
Goethe-Institut
2005⫺2009 Jahrbücher. http://www.goethe.de/uun/pub/deindex.htm (18. 5. 2010).
Harnisch, Astrid und Thorsten Sagawe
2003 Kolumbien. In: Wolfgang Gieler (Hg.), Handbuch der Ausländer- und Zuwanderungspoli-
tik: Von Afghanistan bis Zypern, 295⫺299. Berlin u. a.: LIT-Verlag.
205. Deutsch in Korea 1713
Hofer, Andreas
2000 Karl Heinrich Brunner und die Rolle des Europäischen Städtebaus in Lateinamerika in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dissertation. Technische Universität Wien.
Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (Hg.)
2006 Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2005. Berlin/Bonn/Köln/München:
Auswärtiges Amt, DAAD, Goethe-Institut, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen.
Tapias Ospina, Claudia (Hg.)
1993 Presencia Alemana en Colombia. Bogotá: Mayr & Cabal.
einige private Sprachenschulen. Neben diesen Institutionen wird auch ein Radio- und
Fernsehsprachprogramm von einem staatlichen Rundfunk (Educational Broadcasting
System EBS) veranstaltet.
Seit dem Jahre 2000 können die Mittelschüler eine zweite Fremdsprache als Wahlfach
auswählen. Aber an den tatsächlich ausgewählten Wahlfächern ist der fremdsprachliche
Anteil sehr gering (von ca. 2,8 bis 4,6 %), wobei der deutsche Anteil nicht nennenswert
ist.
An Oberschulen ist eine zweite Fremdsprache ein Pflichtfach. Allerdings entscheidet
der Schuldirektor, welche Sprachen an seiner Schule unterrichtet werden ⫺ in der Tat
werden häufig Chinesisch und Japanisch gewählt. Die Zahl der Deutschlernenden an
Oberschulen wird von Jahr zu Jahr immer weniger, so dass Deutsch von den vier am
häufigsten gelernten zweiten Fremdsprachen (Deutsch, Französisch, Chinesisch, Japa-
nisch) inzwischen am seltensten gelernt wird. 1999 waren die Zahlen der Deutschlernen-
den an Oberschulen 397.424, 2001 256.759, 2003 57.742 und 2008 21.004 (Center for
Education Statistics http://cesi.kedi.re.kr/index.jsp).
Dem Unterricht der zweiten Fremdsprachen werden durchschnittlich nur noch 2 Wo-
chenstunden für den Zeitraum von 2 bis 4 Schulhalbjahren zugeteilt. Langsam hat sich
im schulischen Deutschuntericht die kommunikative Methode durchgesetzt. Heute zielen
die Deutschlehrenden vor allem darauf, dass sich die Schüler aus eigenem Interesse mit
der deutschen Sprache und Kultur beschäftigen.
Die Fremdsprachenoberschulen, an denen Deutsch angeboten wird, verfügen über
MuttersprachlerInnen, die für Konversationskurse zuständig sind. Noch vor dem Schul-
abschuss erreichen viele Schüler mit Hauptfach Deutsch das Niveau B1 des europäischen
Referenzrahmens.
Es gibt in Korea 7 Abteilungen, in denen man Deutsch für das Lehramt studieren kann.
Die Lehramtsstudierenden mit Hauptfach Deutsch müssen eine bestimmte Anzahl von
Credits in den Bereichen Pädagogik und Fachdidaktik erwerben und im 7. Semester ein
fünfwöchiges Praktikum absolvieren. Bei der sinkenden Attraktivität von Deutsch als
zweiter Fremdsprache und einem rapiden Schülerrückgang werden seit über 10 Jahren
kaum noch ganze Stellen an öffentlichen Oberschulen ausgeschrieben.
Die Fortbildungen für Deutschlehrende werden vom Goethe-Institut und vom Erzie-
hungsministerium zusammen veranstaltet. Es geht in erster Linie um die Verbesserung
der Sprachfertigkeiten und den Erwerb landeskundlichen Wissens. Darüber hinaus gibt
es Seminare zu Methodik und Didaktik für den Deutschunterricht.
Die Krise der koreanischen Germanistik führt zu einem Boom der Forschung. Die
Schwerpunkte lassen sich in den folgenden vier Kategorien zusammenfassen:
(1) Konzepte für die sprachpraktische Ausbildung: Es werden innovative Unterrichts-
methoden wie z. B. Einsatz von neuen Medien, Verbindung von Sprache und Kultur
im Deutschunterricht, Projektunterricht mithilfe eines E-Mail-Tandemkurses usw.
angewendet.
(2) Vermittlung der Landes- und Kulturkunde: Das Germanistikstudium, das traditio-
nell stark von der Literatur- und Sprachwissenschaft dominiert war, wird zuneh-
mend um die Bereiche Landeskunde bzw. German Studies erweitert.
(3) Interdiszipliäre bzw. fächerübergreifende Forschung: In der Literaturwissenschaft
ist man besonders auf die Bezugswissenschaften wie Medienwissenschaft, Mytholo-
gie und Gender Studies aufmerksam geworden. In der Sprachwissenschaft werden
Mediensprache, Werbesprache, Textanalyse, Gesprächsanalyse, Kontrastive Stu-
dien, Übersetzungsprobleme usw. thematisiert.
(4) Curriculare Entwicklung in Hinsicht auf die interkulturelle Kommunikation: Durch
einen stärkeren Zuzug von ausländischen Arbeitnehmern und deren Familienange-
1716 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
5. Literatur in Auswahl
Ammon, Ulrich und Si-Ho Chong (Hg.)
2003 Die deutsche Sprache in Korea. Geschichte und Gegenwart. München: iudicium.
Korean Educational Development Institute and Ministry of Education
2008 Statistical Yearbook of Education. Seoul.
Lie, Kwang-Sook
2003 Stellung der deutschen Sprache an koreanischen Universitäten. Koreanische Zeitschrift
für Germanistik 86: 103⫺120.
Menke, Michael
2006 Fragebogen zum Stellenwert der deutschen Sprache. DaF-Szene Korea 24: 29⫺37.
Shin, Hyung-Uk
2006 Deutschunterricht in Korea. Entwicklungstendenzen und Herausbildung von ,Deutsch
als Fremdsprache‘. Deutsch als Fremdsprache in Korea 19: 29⫺52.
die als Pflichtschule die Primar- und die Sekundarstufe I umfasst, in der Regel zwei
Fremdsprachen unterrichtet: eine erste obligatorische Fremdsprache ab Klasse 1 und eine
zweite, fakultative Fremdsprache als Wahlpflichtfach ab Klasse 4. Im Vergleich mit ande-
ren in der Pflichtschule vertretenen Fremdsprachen nimmt Deutsch bezogen auf die
Lernerzahlen die zweite Stelle nach Englisch ein. Die Sprachenfolge im Primarbereich ist
nicht festgelegt; sie kann je nach Elternwunsch, Lehrerangebot und sprachenpolitischer
regionaler Schwerpunktsetzung variieren. Dies ermöglicht es, Deutsch in der Sprachen-
folge als erste Fremdsprache in den Regionen mit traditionell großer Nachfrage nach
Deutsch zu erhalten. In den berufsqualifizierenden Mittelschulen und in den Gymnasien
(Sekundarstufe II) wird Deutsch sowohl als weiterführende Fremdsprache als auch als
Anfängersprache angeboten. Besondere Entwicklungen im Schulbereich stellen bilin-
guale Zweige in Gymnasien dar, die in einigen Fächern Deutsch als Unterrichtssprache
anbieten, das an zahlreichen Gymnasien und Mittelschulen eingeführte Zusatzprogramm
zur Vorbereitung auf das Deutsche Sprachdiplom sowie die Gründung einer deutschen
internationalen Schule im Jahre 2003.
Die wichtigsten Akteure der Deutschlehrerfortbildung sind die staatliche Agentur für
Erziehung und Bildung (Schulamt), der 1992 gegründete Kroatische Deutschlehrerver-
band-KDV (www.kdv.hr) und das Goethe-Institut. Als weitere Anbieter treten private
Fremdsprachenschulen oder DaF-Lehrbuchverlage auf. Von zentraler Bedeutung für die
Fortbildung sind ferner die einmal jährlich stattfindenden, internationalen Tagungen des
KDV zu theoretischen und unterrichtspraktischen Fragestellungen des Deutschunter-
richts sowie deutschsprachige Fachzeitschriften: im Bereich der germanistischen For-
schung/Fremdsprachendidaktik die international ausgerichteten Zagreber Germanisti-
schen Beiträge, im Bereich der Unterrichtspraxis der KDV-Info des Kroatischen Deutsch-
lehrerverbandes.
4. Forschungsschwerpunkte
Traditionelle Forschungsschwerpunkte der kroatischen Germanistik liegen vor allem in
der Erforschung und Rezeption der deutschen Sprache (Glovacki-Bernardi 2005; Petro-
vić 2002; Piškorec 1997; Žepić 2001b) und Literatur (Bobinac 2008; Lacko Vidulić 2007)
in Kroatien sowie in einer europäisch orientierten Literaturgeschichtsschreibung (Žme-
gač 1978⫺1984, 1995). Weitere Schwerpunkte bilden Grammatiken, Deutsch-Lehrwerke
und Wörterbücher sowie auf dem Gebiet der Fremdsprachendidaktik Arbeiten zur Lehr-
werkforschung (Häusler 1998) und Curriculumentwicklung (Gehrmann 2007). Neuere
Forschungsschwerpunkte betreffen Deutsch und Kroatisch im Kontakt aus soziolinguis-
tischer, didaktischer und psycholinguistischer Perspektive (Glovacki-Bernardi 2006), in-
terkulturelle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts (Petravić 2007) und des Übersetzens
(Gojmerac 2008) sowie den deutsch-kroatischen Kulturtransfer in der Literatur.
5. Entwicklungslinien
Betrachtet man die Entwicklungslinien, Chancen und Probleme von Deutsch in Kroa-
tien, ist festzustellen, dass trotz einer gegenwärtigen Gesamtzahl von ca. 900 Studieren-
den der deutschen Sprache die Anzahl der Germanistikstudenten und der Deutschlerner
an Schulen und Hochschulen kontinuierlich zurückgeht. Als Wissenschaftssprache au-
ßerhalb der Germanistik taucht Deutsch an den Hochschulen kaum auf. Um diesem
Trend nachhaltig entgegenzuwirken, müsste bereits im Kindergarten und in der Pflicht-
schule an das Konzept europäischer Mehrsprachigkeit angeknüpft werden; vor allem
müsste die zweite Fremdsprache in der Pflichtschule zu einem obligatorischen, nicht
mehr abwählbaren Fachangebot aufgewertet werden. Fremdsprachenlehrerbildung und
-fortbildung, Lehrwerkproduktion und der Unterricht in Fremdsprachen müssten ferner
verstärkt schulform- und altersgruppenspezifisch ausgerichtet und curricular so refor-
miert werden, dass das Erlernen verschiedener Fremdsprachen aufeinander bezogen und
mit den Sprachlernerfahrungen der Lerner verknüpft wird. In einem solchen Konzept,
in dem Mehrsprachigkeit bereits im Schulsystem fest verankert wäre, hätte Deutsch auch
wieder Chancen, Eingang zu finden in den für die Nachfrage nach Deutsch zentralen
Bereich der beruflichen und universitären Fort- und Weiterbildung. Hier vor allem gilt
es, für die beruflichen Perspektiven der Studierenden attraktive, mehrsprachige Angebote
1720 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
mit Deutsch zu schaffen. Mit dem 2007 von den Universitäten Münster und Zagreb
gemeinsam gegründeten, internationalen Lehr- und Forschungszentrum „Zentrum für
Europäische Bildung“ in Zagreb (www.lecee.eu) sind hierzu institutionell erste Schritte
getan.
6. Literatur in Auswahl
Bobinac, Marijan
2008 Zwischen Übernahme und Ablehnung. Aufsätze zur Rezeption deutschsprachiger Dramati-
ker im kroatischen Theater. Wrocław/Dresden: Neisse.
Gehrmann, Siegfried und Dubravka Skender (Bearb.)
2001 Kroatien. In: Bernhard Fabian (Hg.), Handbuch deutscher historischer Buchbestände in
Europa, 19⫺146. Bd 9. Kroatien, Slowenien, Italien. Hildesheim: Olms.
Gehrmann, Siegfried
2007 Mehrsprachigkeit, Sprachenpolitik und DaF-Lehrerbildung im Wandel. In: DAAD
(Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-Europa. Dokumentation der Tagungsbei-
träge, 181⫺202. Bonn: DAAD.
Glovacki-Bernardi, Zrinjka
2006 Forschungsprojekte zu deutsch/österreichisch-kroatischem Sprachkontakt ⫺ theoretische
Profilierung und ideologische Positionen. Zagreber Germanistische Beiträge, Beiheft 9:
3⫺10.
Glovacki-Bernardi, Zrinjka
2005 Österreichisch-kroatische Sprachbeziehungen als Spiegel der Kulturgeschichte. In: Jean-
Marie Valentin unter Mitarbeit von Konrad Harrer (Hg.), Akten des XI. Internationalen
Germanistenkongresses Paris 2005, 95⫺99. Bd. 5. Frankfurt a. M.: Lang.
Gojmerac, Mirko und Pavao Mikić
2008 Kroatische Touristenwerbung in deutscher Übersetzung. Jastrebarsko.
Häusler, Maja
1998 Zur Geschichte des Deutschunterrichts in Kroatien seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt
a. M.: Lang.
Lacko Vidulić, Svjetlan
2006 Imaginierte Gemeinschaft. Peter Handkes jugoslawische „Befriedungsschriften“ und ihre
Rezeption in Kroatien. In: DAAD (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-
Europa, 127⫺151. Bonn: DAAD.
Petravić, Ana
2007 Interkulturelle Kompetenz im DaF-Unterricht in der kroatischen Pflichtschule, In:
DAAD (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-Europa, 234⫺263. Bonn:
DAAD.
Petrović, Velimir
2002 Das Verb im Osijeker Deutsch. In: Zsuzsanna Gerner, Manfred Glauninger und Katha-
rina Wild (Hg.), Gesprochene und geschriebene deutsche Stadtsprachen in Suedosteuropa
und ihr Einfluss auf die regionalen deutschen Dialekte, 223⫺252. Wien: Praesens.
Piškorec, Velimir
1997 Deutsches Lehngut in der kajkavisch-kroatischen Mundart von ÍurIevic in Kroatien.
Frankfurt a. M.: Lang.
Žepić, Stanko
2001a Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kroatien. In: Helbig, Gerhard, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache: ein inter-
nationales Handbuch, 1677⫺1682. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
207. Deutsch in Kuba 1721
Žepić, Stanko
2001b Das Vokabular des Essekerischen. In: Velimir Petrović (Hg.), Essekerisch. Das Osijeker
Deutsch, 79⫺98. Wien: Praesens.
Žmegač, Viktor
1995 Der europäische Roman. Tübingen: Niemeyer
Žmegač, Viktor
1978⫺1984 Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 3 Bde.
Königstein/Ts: Athenäum.
1. Entwicklungslinien
Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache hat in Kuba eine lange Tradition. Zeug-
nisse aus dem 17. und dem 18. Jahrhundert belegen Kontakte mit deutschem Handel
und Kultur. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besuchten renommierte Persönlichkeiten
wie Alexander von Humboldt die Insel, der bis heute als der „2. Entdecker Kubas“ hoch
in Ehren gehalten wird. Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache, mit deutschspra-
chiger Literatur und Kunst erfuhr im 19. Jahrhundert eine erste Blütezeit. Kuba pflegte
den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit vielen Ländern, was dazu führte,
dass man sich immer intensiver auch mit Fragen der Übersetzung und Lehre von fremd-
sprachlichem Gut beschäftigte.
Eine universitäre Ausbildung im Fach Deutsch als Fremdsprache wurde allerdings
erst nach 1959 Wirklichkeit. An der Universität Havanna wurde erstmalig im Jahre 1971
das Studium der Germanistik als Vollstudium eingeführt. Mit der Gründung des Fremd-
spracheninstituts „Maxim Gorki“ explizit zur Ausbildung von FremdsprachenlehrerIn-
nen erfolgte ein weiterer Schritt in Richtung Institutionalisierung auch der deutschen
Sprache im universitären Fächerkanon. 1973 schließlich wurde das Dolmetscher- und
Übersetzungsinstitut „Pablo Lafargue“ eröffnet, wo ebenfalls Deutsch gelehrt wurde.
Außerhalb des Campus entstanden die dem Kultusministerium (MINED) untergeordne-
ten sogenannten Abendschulen, an denen bis heute auch Sprachen wie Deutsch und
Englisch unterrichtet werden.
Das deutschsprachige Land, mit dem Kuba engste Kontakte unterhielt, war die dama-
lige Deutsche Demokratische Republik (DDR). Im Jahre 1979 wurde das Deutschlekto-
1722 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
rat der Botschaft der DDR an der Universität Havanna eingerichtet. Spezialisten, haupt-
sächlich entsandt von der Universität Leipzig und dem Herder-Institut, leisteten in Lehre
und Fortbildung einen wesentlichen Beitrag. In der Folge erfuhr die kubanische Germa-
nistik eine stete Weiterentwicklung und Bereicherung. Als große Meilensteine seien hier
u. a. genannt: die Georg-Weerth-Tagung 1982, die Humboldt-Konferenz 1984, die erste
Nationalkonferenz kubanischer Germanisten und Deutschlehrer 1986, die erste Regio-
nalkonferenz von 1990 (vgl. Wotjak 1990) und die Folgekonferenz 2000, und nicht zu-
letzt die Nationalkonferenzen der Jahre 2001 und 2002. 2006 schließlich krönte der XII.
ALEG-Kongress (Kongress des lateinamerikanischen Germanistenverbandes) die erfolg-
reiche Arbeit der kubanischen Germanistik.
Die Umwälzungen der 1990er Jahre auf der ganzen Welt und in Deutschland insbe-
sondere hatten auch logische Konsequenzen für die kubanische Germanistik (vgl. Her-
nández Eduardo und Pipping de Serrano 2002). Nach einer Periode der Anpassung an
die neuen Verhältnisse begann sich die akademische Zusammenarbeit unter den neuen
Vorzeichen zu etablieren. Der DAAD trat die Nachfolge der Deutschlektorate an und
unterstützt die Germanistikabteilung der Fakultät für Fremdsprachen der Universität
Havanna (FLEX/UH) mit der Entsendung eines Lektors/einer Lektorin, sowie von
SprachassistentInnen und PraktikantInnen.
Auch wenn das Goethe-Institut vor Ort über kein eigenes Institut verfügt, leisten zwei
Repräsentanten praktische Unterstützung in Form von Weiterbildungsseminaren für
DeutschlehrerInnen. Außerdem bereichert das Goethe-Institut durch eine aktive Kultur-
arbeit, insbesondere die Organisation von Kultur- und Filmwochen das deutschsprachige
Spektrum vor allem in Havanna.
Besonders hervorzuheben ist die seit den1970er Jahren bestehende enge Zusammenar-
beit der Germanistikabteilung (FLEX/UH) mit den Universitäten Leipzig und Hum-
boldt-Universität Berlin. Mit diesen werden Kontakte unter anderem in Form von jähr-
lich stattfindenden Alumni-Treffen gepflegt. Besonders die Zusammenarbeit mit der
Universität Leipzig hat eine langjährige Tradition und großen Stellenwert: Ihre Fortbil-
dungsveranstaltungen vor Ort erfreuen sich großer Beliebtheit; im Gegenzug gehen ku-
banische DozentInnen zu Forschungs- und Fortbildungszwecken an die Universität
Leipzig. Weitere Alumni sowohl der Universität Leipzig als auch anderer deutscher
Hochschulen, die insbesondere als Multiplikatoren in verschiedenen Bereichen von
Hochschule, Politik, Wirtschaft usw. tätig sind, sowie Vertreter von Universitäten und
Ministerien ⫺ die häufig gleichzeitig zum Kreis der Alumni zählen ⫺, versammeln sich
einmal im Jahr zu einem Alumnitreffen und Seminar. Außerdem können jedes Jahr zwei
Studenten für ein Jahr Studium an die Humboldt-Universität Berlin geschickt werden.
3. Forschungsschwerpunkte
4. Ausblick
Mit Blick auf eine breite Öffentlichkeitswirkung zur Verbreitung der deutschen Sprache
spielt der von den HochschullehrerInnen der Germanistikabteilung konzipierte und ge-
staltete Fernsehsprachkurs Deutsch für Kubaner eine große Rolle. Hinzu kommen die
Präsenz deutscher Verlage und Autoren auf der großen, jährlich stattfindenden Buch-
messe oder die deutschsprachigen Beiträge bei den Theaterwochen und dem Filmfestival,
die Deutschland ins Bewusstsein rücken lassen.
Die kubanische Germanistik an der Universität Havanna und Deutsch als Fremd-
sprache im Allgemeinen stehen auf festem Boden. Die deutsche Sprache erfreut sich
immer größerer Beliebtheit in der Bevölkerung. Neben dem bereits erwähnten Fernseh-
sprachkurs, der im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, und einem anwachsenden deut-
schen Tourismus, der Kuba als beliebtes Reiseziel wahrnimmt, wird Deutsch weiterhin
als Wissenschaftssprache auf der Insel nachgefragt, z. B im Rahmen der International
Summer School in Economics and Management (ISSEM ) und für die Arbeit mit Fachlite-
ratur (u. a. zu Fragen der Mathematik, der Chemie).
5. Literatur in Auswahl
Dı́az Garcı́a, Neyda
2006 Textlinguistik als Universitätsdisziplin in der Ausbildung von Übersetzern und Dolmet-
schern. In: ALEG (Hg.), Akten des XII. ALEG-Kongresses Havanna und Leipzig. Deutsch
in Lateinamerika: Ausbildung, Forschung und Berufsbezug. CD-ROM-Ed.
Hernández Eduardo, Jorge und Monika Pipping de Serrano
2002 Die Kubanische Germanistik und die Deutsche Sprache auf Kuba. In: DAAD (Hg.),
Germanistentreffen. Tagungsbeiträge Deutschland ⫺ Argentinien ⫺ Brasilien ⫺ Chile ⫺
Kolumbien ⫺ Kuba ⫺ Mexiko ⫺ Venezuela in Sao Paulo 2001, 77⫺84. Bonn: DAAD.
Pino Madroñal, Lucı́a und Adam Concepción Sanchez
2009 Cruzando fronteras sensoriales: la audiodescripción. In: ALEG (Hg.), Akten des XIII.
ALEG-Kongresses in Córdoba, Argentinien. CD-ROM-Ed.
Toledo González, Clara Julia
2006 Acerca de la comunicación no verbal como expresión de interculturalidad entre represen-
tantes de las culturas cubana y alemana. In: ALEG (Hg.), Akten des XII. ALEG-Kongres-
ses Havanna und Leipzig. Deutsch in Lateinamerika: Ausbildung, Forschung und Berufsbe-
zug. CD-ROM-Ed.
Valdés, Verónica
2006 Fundamentos teóricos para un curso de televisión de Lengua alemana. In: ALEG (Hg.),
Akten des XII. ALEG-Kongresses Havanna und Leipzig. Deutsch in Lateinamerika: Ausbil-
dung, Forschung und Berufsbezug. CD-ROM-Ed.
Wotjak, Gerd (Hg.)
1990 Regionalkonferenz Zielsprache Deutsch im regionalen und internationalen Kontext. CD-
ROM-Ed., Universität Leipzig.
1. Einleitung
Die Bedeutung der deutschen Sprache in Lettland ist im vergangenen Jahrhundert stark
gesunken. Vor einem Jahrhundert war ein gebildeter Rigenser ohne Deutschkenntnisse
nicht denkbar, heute sprechen vor allem ältere Menschen noch Deutsch. Bis zum Zweiten
Weltkrieg war Deutsch eine wichtige Minderheitssprache in Lettland. Entsprechend der
Volkszählung von 1993 leben noch 2.600 Deutsche in Lettland, während es vor dem
Zweiten Weltkrieg noch erheblich mehr waren (1935: 62.000). Mit Beginn des 13. Jahr-
hunderts hat Deutsch eine zunehmend wichtige Rolle im wirtschaftlichen wie im kulturel-
len und seit dem 18. Jahrhundert auch im wissenschaftlichen Leben Lettlands gespielt.
Historische Einflüsse hatte das Wirken von Ernst Glück, Garlieb Merkel, Wilhelm Ost-
wald, Friedrich Zander u. a. Der Aufenthalt von Herder in Riga ist bis in die heutige
Zeit von großer Bedeutung. An der 1919 gegründeten Universität Lettlands (LU) gab es
eine große Zahl deutschbaltischer Professoren, wie Leonid Arbuzov Jr. (Historiker), Karl
Blacher (Chemiker) oder Alwil Buchholtz (Geodät).
Die aktuelle Situation für Deutsch in Lettland ist widersprüchlich: Es gibt viele histo-
rische, kulturelle und persönliche Verflechtungen sowie jahrhundertealte Traditionen, die
beide Völker vereinen. Etwa 1.000 deutsche Firmen haben ihre Zweigstellen in Lettland
(Stand: 2008) und es gibt ca. 1.000 gemeinsame deutsch-lettische Unternehmen. Die
Deutsch-Baltische Handelskammer in Estland, Lettland, Litauen leistet seit Jahren er-
folgreiche Arbeit. Deutschland zählt zu den größten ausländischen Investoren in Lett-
land (8,3 % der Direktinvestitionen 2008) und gehört mit einem Volumen von 1.533 Mio.
LVL (Lat) im Jahr 2007 zu den wichtigsten Handelspartnern Lettlands. Die deutschen
Firmen nutzen im internationalen Geschäftsverkehr allerdings hauptsächlich Englisch,
und die Zahl der Deutschlernenden an Schulen und Hochschulen Lettlands sinkt von
Jahr zu Jahr deutlich. Deutsch als Fremdsprache ist nicht mehr so populär wie in den
1950⫺70er Jahren, wobei auch die demografische Situation in Lettland eine wichtige
Rolle spielt.
Verschiedene deutsche, österreichische und schweizerische Einrichtungen in Lettland
leisten wichtige Unterstützung für die Stärkung und Verbreitung der deutschen Sprache,
darunter das Baltisch-Deutsche Hochschulkontor, die Robert Bosch Stiftung, die Fern-
universität Hagen, die diplomatischen Vertretungen deutschsprachiger Länder, das Goe-
the-Institut Riga. Regelmäßig werden in Lettland in Partnerschaft mit den deutsch-
sprachigen Ländern wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen or-
ganisiert. Es bestehen 25 Städtepartnerschaften und 5 Kreispartnerschaften zwischen
Lettland und Deutschland. Viele Universitäten und Hochschulen in Lettland haben Ko-
operationsverträge mit Universitäten und Fachhochschulen deutschsprachiger Länder.
1726 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
4. Literatur in Auswahl
Balode, Ineta
2002 Deutsch-lettische Lexikographie. Eine Untersuchung zu ihrer Tradition und Regionalität im
18. Jahrhundert. (lexicographica series maior 111). Tübingen: Niemeyer.
Brandt, Gisela und Ineta Balode (Hg.)
2005 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache im Baltikum IV. Stuttgart: Heinz Akademi-
scher Verlag.
Brandt, Gisela und Ineta Balode (Hg.)
2007 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache im Baltikum V. Stuttgart: Heinz Akademi-
scher Verlag.
Paškevica, Beate
2006 In der Stadt der Parolen: Asja Lacis, Walter Benjamin und Bertolt Brecht. Essen: Klartext-
Verlagsgesellschaft.
1. Einleitung
Das südlichste baltische Land Litauen durchlief in der Geschichte des letzten Jahrhun-
derts mehrere Phasen der politischen und ideologischen Neuorientierung, wodurch sich
auch die Dichte und die Ausrichtung sprachlicher Kontakte zum europäischen Ausland
und zu Deutschland änderten.
Heute zählt Litauen etwa 3,4 Millionen Einwohner, davon 84,3 % Litauer, 6,2 % Po-
len, 5 % Russen, 1,1 % Weißrussen, 3,4 % Vertreter anderer Ethnien. Die letzten zwei
Jahrzehnte waren von starker Emigration gekennzeichnet: Nicht nur gingen viele russi-
sche, ukrainische und weißrussische Einwohner nach der Wende zurück in ihre Her-
kunftsländer, sondern die Litauer suchten nach der Öffnung der Grenzen auch nach
Alternativen für eine ökonomisch schwache Arbeitsmarktsituation. Diese leichte Wand-
lung der ethnischen Zusammensetzung des Landes hatte Einfluss auf die Vielfalt und die
Verbreitung von Sprachen sowie auch auf ihre Nachfrage in der Gesellschaft und im
Bildungssystem.
209. Deutsch in Litauen 1729
Die Rolle des Deutschen hat sich im Laufe der Geschichte geändert. War die deutsche
Sprache nach der Wende mit der Westorientierung des Landes aufgelebt und hatte einen
festen Platz im schulischen Fremdsprachenangebot eingenommen, so kann man jetzt
zusammen mit der weitgehenden Festigung des Englischen als erster Fremdsprache auch
die Rückkehr des Russischen als zweiter Fremdsprache im schulischen Kontext beobach-
ten (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 52⫺53). Trotzdem bleibt das Deutsche als
zentrale europäische Sprache insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen gefragt, 61 %
aller Deutschlernenden in Litauen wählen es als erste Fremdsprache (vgl. Country Report
Lithuania 2003/2004: 49). Insgesamt lernen 123 629 Personen Deutsch, was 3,64 % der
Landesbevölkerung ausmacht (vgl. StADaF 2005: 2). Diese Werte sind erfreulich und
trotzdem ernüchternd, wenn man den Rückgang der Deutschlernenden in den letzten 5
Jahren bedenkt (vgl. StADaF 2005: 11).
Die meisten Deutschlernenden befinden sich im Schulbereich, in dem sie in der 2.
(Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts) oder in der 4. Klasse (Pflichtfremdsprachen-
unterricht) mit dem Erlernen der ersten Fremdsprache (Englisch, Deutsch oder Franzö-
sisch) beginnen. Die 2. Fremdsprache setzt in der 6. Klasse obligatorisch ein und kann
frei aus dem schulischen Fremdsprachenangebot gewählt werden. In der Sekundarstufe
II sind das Weiterlernen der 2. und das Lernen einer 3. Fremdsprache freigestellt, mit
Ausnahme der verpflichtenden 2. Fremdsprache für SchülerInnen in geisteswissenschaft-
lichen Schulzweigen (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 54). Im Schuljahr 2003/
04 lernten 14,1 % aller SchülerInnen Deutsch als erste Fremdsprache (83,2 % lernten
Englisch), 15,3 % als 2. Fremdsprache (8,2 % Englisch und 74 % Russisch); 19,6 % als 3.
Fremdsprache. Außer Englisch, Deutsch, Russisch und Französisch werden in Litauen
kaum andere Fremdsprachen in der Schule angeboten und gelernt.
Auch im Hochschulbereich haben Fremdsprachen einen festen Stellenwert, die Zahl
der Deutschlernenden beläuft sich auf 21 174. Die Zahl der Deutschlernenden im Er-
wachsenenbereich ist mit 600 Lernenden in 15 Erwachsenenbildungseinrichtungen relativ
gering (vgl. StADaF 2005: 11).
Das Erlernen der deutschen Sprache ist eine der Voraussetzungen für eine berufliche
Laufbahn in der Wirtschaft, im Tourismus und in den sprachenaffinen Berufen der
Fremdsprachenlehrenden und ÜbersetzerInnen/DolmetscherInnen. Ein weiterer wichti-
ger Grund, Deutsch zu lernen, ist ein Hochschulstudium oder ein anderer Bildungsweg
in deutschsprachigen Ländern.
unterstützt (http://www.vikc.lt) und bei der Fortbildung von Deutschlehrenden sowie bei
der Organisation verschiedener Lern- und Kulturprojekte aktiv ist.
Studiengänge in Germanistik und für die Deutschlehrerausbildung werden zurzeit
von sechs litauischen Universitäten durchgeführt. Ein kompletter Bildungsgang in Ger-
manistik (BA, MA, Promotion) kann jedoch nur an der Universität Vilnius und an der
Pädagogischen Universität Vilnius durchlaufen werden; andere Universitäten bieten aus-
schließlich BA-Studiengänge an (vgl. Račienė 2004: 311). Der Lehrerberuf erfordert eine
Lehrerqualifikation, die nach einem klassischen Germanistikstudiengang durch eine Zu-
satzausbildung erworben werden kann. Allerdings können FremdsprachenspezialistIn-
nen (AbsolventInnen von germanistischen BA-Studiengängen) zurzeit auch ohne formale
Lehrerqualifikation an der Schule arbeiten (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004:
82). Einige Kollegien (vergleichbar mit Pädagogischen Hochschulen) bilden ebenfalls
Fremdsprachenlehrende aus, die jedoch ausschließlich an Grundschulen arbeiten können
(vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 83).
Lehrerfortbildungsangebote werden hauptsächlich von dem Pedagogu˛ profesinės
raidos centras ([Zentrum der Berufsentwicklung der LeherInnen], http://www.pprc.lt/
english.html) getragen. Darüber hinaus und konkret für die Fortbildung in der Didaktik
und Methodik des Deutschen als Fremdsprache sind insbesondere das Goethe-Institut
in Kooperation mit dem Valstybés instituciju˛ kalbu˛ centras in Vilnius und das Regionale
Fortbildungszentrum für Deutsche Sprache und Landeskunde Kaunas (http://www.
kpkc.lt/) tätig.
Für den fachlichen Austausch und die Kontaktpflege zu den deutschsprachigen Län-
dern wurde 1993 der Verband der Deutschlehrenden Litauens (VdDL) gegründet (http://
www.vdl.lt/), der auch die Verbandszeitschrift Miteinander zu Themen der Didaktik und
Methodik der deutschen Sprache herausgibt.
6. Ausblick
Der Rückgang der Lernerzahlen und der Nachfrage in den germanistischen Studiengän-
gen zeigt eine negative Tendenz für die deutsche Sprache in Litauen. Notwendige Maß-
nahmen sind in der Finanzierung und der Modernisierung des Bildungsbereichs zu sehen.
Eine inhaltlich aktuelle Fremdsprachenlehrerausbildung müsste auch die neueren Er-
kenntnisse der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Fremdsprachendidaktik berück-
sichtigen, um die Bedürfnisse der LernerInnen zu befriedigen und ihre Motivation zu
fördern. Baužienė (2007) stellt in den Ergebnissen einer Umfrage fest, dass in den litaui-
schen Schulen noch wenig mit dem Konzept der Mehrsprachigkeit gearbeitet wird, und
versucht dies auf die fehlende Qualifikation der FremdsprachenlehrerInnen und das Aus-
bleiben von mehrere Fremdsprachen integrierenden Curricula, Lehrplänen sowie Lehr-
materialien zurückzuführen (vgl. Baužienė 2007: 73⫺74). Auch das integrierte Sachfach-
und Fremdsprachenlernen findet bisher keine Anwendung. Dafür sind in erster Linie die
Qualifikationen der Lehrenden nicht ausreichend (AbsolventInnen der Pädagogischen
Universität sind nur für ein Unterrichtsfach qualifiziert). Weitere Widerstände findet
dieser Ansatz auch in der Auffassung von LituanistInnen, durch das Unterrichten von
weiteren Sachfächern in einer Fremdsprache würde die litauische Sprache gefährdet, die
muttersprachliche Kompetenz würde zurückgehen (vgl. z. B. Country Report Lithuania
2003/2004: 8).
Zusammenfassend lässt sich ein großer Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen fest-
stellen: Entsprechend der Empfehlungen der europäischen Sprachenpolitik ist die Umset-
zung neuerer didaktischer, methodischer und struktureller Konzepte fällig und wird erst
gegenwärtig in Angriff genommen.
7. Literatur in Auswahl
Baužienė, Rūta
2007 Deutsch als Fremdsprache im Rahmen schulischer Mehrsprachigkeit in Litauen. Kalbu˛
studijos. Studies about languages 10: 68⫺74.
1732 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Kommunikation über neue Medien: E-Mail, SMS oder Blogs). Für Luxemburgischspre-
chende ist das Luxemburgische trotzdem selten Schriftsprache, diese Funktion nehmen
entweder das Französische oder das Deutsche ein.
Das Besondere an der Situation in Luxemburg ist nun, dass mehrere Sprachen am
gleichen Ort sowie im gleichen Gespräch gesprochen werden können ⫺ allerdings ist
das Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Luxemburgisch, Deutsch und
Französisch verflochten, komplex und dynamisch. Zum einen ist der jeweilige Sprachen-
gebrauch bzw. der Sprachenwechsel nicht willkürlich und zufällig, sondern durch ein
kompliziertes Zusammenspiel von kulturspezifischen, sozialen, psychologischen, adressa-
tenspezifischen und sprachfunktionalen Faktoren geregelt. Zum anderen kommt es in-
nerhalb der einzelnen kommunikativen Domänen und Funktionsverteilungen häufig zu
Sprachenwechseln oft sogar mitten in einem Satz (codeswitching bzw. code hopping). Die
verschiedenen Sprachen werden zudem oft komplementär benutzt: Es gibt Personen, die
Luxemburgisch sprechen/hören, auf Deutsch lesen und auf Französisch schreiben. Hinzu
kommt eine weitere Entwicklung: Seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
wächst der Anteil hauptsächlich romanischsprachiger Bürger, die zum überwiegenden
Teil nur wenig oder kein Luxemburgisch sprechen und für die Deutsch eine fremde Spra-
che darstellt.
Interessant ist in auch die Einstellung der Luxemburger zu den drei Landessprachen:
Das Deutsche wird von den Luxemburgern gegenüber dem Französischen, Luxemburgi-
schen und Englischen nicht nur als altmodisch, hässlich und grobschlächtig angesehen,
sondern auch noch als eine überflüssige Sprache ⫺ eine frappierende Bewertung ange-
sichts des doch hohen Stellenwertes des Deutschen in der Luxemburger Schriftlichkeit
oder der starken Rezeption deutscher Medien. Das Deutsche hat vor allem nach dem
Zweiten Weltkrieg an Ansehen verloren. Französisch wird als die schönste und kultivier-
teste Sprache, Englisch als die modernste bezeichnet. Das Luxemburgische gilt als die
vertrauteste Sprache (vgl. hierzu Fehlen 2007).
Die Sprachensituation verkompliziert sich nun zusätzlich durch die besonderen demo-
grafischen und sozialen Entwicklungen: In Luxemburg leben 476200 Personen, davon
sind 198 300 Ausländer. Auf Grund dieser Entwicklungen zielen alle sprach- und kultur-
politischen Konzepte auf die Wertschätzung und den Erhalt der Mehrsprachigkeit: Die
Mehrsprachigkeit gilt als „véritable langue maternelle des Luxembourgeois“ (Berg und
Weis 2007: 19). Im gleichen Zusammenhang erfährt das Luxemburgische als Integrati-
onssprache zunehmende Relevanz.
Aufschlussreich für die Sprachensituation in Luxemburg ist auch ein Blick auf die
Literaturen im Land. In mehreren Sprachen zu schreiben, ist für Luxemburger Autorin-
nen und Autoren eine Selbstverständlichkeit. Luxemburg ist somit ein Land mit einer
ausgesprochenen „Tri-Literalität“ mit historischen, sozialkritischen und interkulturellen
Schwerpunkten (vgl. Honnef-Becker und Kühn 2004).
Die Mehrsprachigkeit prägt auch das Schulsystem: 1912 wird für Luxemburg ein Schul-
gesetz erlassen, nach dem neben Deutsch und Französisch auch Luxemburgisch offiziel-
les Schulfach ist. Im luxemburgischen Schulsystem spiegelt sich also die grundsätzliche
1734 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Mehrsprachigkeit des Landes, wobei ⫺ nicht allein in Bezug auf den zeitlichen Um-
fang ⫺ das Deutsche bevorzugt scheint. Die Alphabetisierung erfolgt konsequent auf
Deutsch. Deutsch ist in der Primarschule (Enseignement primaire) zudem auch Unter-
richtssprache in den Fächern Mathematik und Sachkunde. Im Sekundarunterricht (En-
seignement secondaire und secondaire technique) erfolgt der Sach- und Fachunterricht
mit Ausnahme der Mathematik auf den untersten Klassen ebenfalls auf Deutsch. Der
Französischunterricht beginnt im zweiten Halbjahr der zweiten Klasse der Primarschule.
Im Sekundarbereich erhöht sich die Stundenzahl des Französischunterrichts leicht gegen-
über dem Deutschunterricht. Das Luxemburgische spielt im Unterrichtssystem so gut
wie keine Rolle.
2009 wird vom Luxemburger Parlament ein neues Schulgesetz erlassen. Die Reform
wird kulturpolitisch als Jahrhundertreform bezeichnet. Wichtige Änderungspunkte
sind ⫺ neben schulorganisatorischen Neuerungen ⫺ die Einbindung der Früherziehung
(éducation précoce) und Vorschule (éducation préscolaire) in den unterrichtlichen Primar-
bereich, die Abschaffung der Noten in den Vor- und Grundschulen, die Einführung von
zweijährigen Zyklen statt Schuljahren sowie die grundsätzliche Kompetenzorientierung
aller Unterrichtsfächer. Ziel der Reform ist unter anderem die bessere Integration der
Zuwanderer. Am Prinzip der Mehrsprachigkeit wird ausdrücklich festgehalten.
Ausdruck der Mehrsprachigkeit sind auch die Schülerinnen und Schüler mit Migrati-
onshintergrund bzw. die unterschiedlichen Sprachen, die diese Lernenden als Mutterspra-
che sprechen. Im Rahmen der PISA-Studie 2006 betrug der Anteil an Schülerinnen und
Schülern mit Migrationshintergrund 33,5 %, nach der PIRLS-Studie 2006 wachsen etwa
sechs von zehn Schülerinnen und Schülern in Familien mit Migrationshintergrund auf.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Luxemburger Schülerinnen und
Schüler in der internationalen Leseuntersuchung PIRLS 2006 als bestes europäisches
Land auf Rang sechs von insgesamt 39 Teilnehmerstaaten rangierte, obwohl der Lesetest
nicht in der Muttersprache, sondern auf Deutsch durchgeführt wurde (vgl. Berg et al.
2007).
Die grob geschilderte vielschichtige Sprachensituation darf allerdings nicht als Spra-
chenidylle missverstanden werden, denn in allen Schulformen gibt es multilinguale Klas-
sen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund zunehmend größere Schulschwierigkei-
ten haben. Daher gerät gerade die schulpolitische Umsetzung des Luxemburger Spra-
chenmodells zunehmend in die Kritik: Es sei vor allem das Deutsche, das als frühes
Selektionskriterium ⫺ vor allem für Migrantenkinder ⫺ eine Barriere beim Zugang zu
den weiterführenden Schulen bilde. Die PISA- und PIRLS-Studien, an denen Luxem-
burg teilgenommen hat, zeigen allerdings eindeutig, dass mangelnde schulische Erfolge
und unzulängliche Fähigkeiten im Deutschen nicht in erster Linie auf die Andersspra-
chigkeit der Schüler zurückzuführen sind. PIRLS 2006 hat beispielsweise bewiesen, dass
die Grenze zwischen leseschwachen und lesestarken Schülerinnen und Schülern nicht
zwischen Luxemburgern und Migranten oder zwischen den Landes- und Migrantenspra-
chen verläuft, es sind vielmehr interdependente sozioökonomische und migrationsspezifi-
sche Faktoren, die eine Leseschwäche oder Lesestärke nach sich ziehen (vgl. Freiberg,
Hornberg und Kühn 2007: 183⫺196). In der bildungspolitischen und curricularen Dis-
kussion über die Sprachen- und Schulsituation in Luxemburg wird daher konsequenter-
weise am Prinzip der Mehrsprachigkeit festgehalten ⫺ allerdings mit neuen Vorzeichen:
Mit dem Plan d’action von 2007 liegt ein Rahmen für die Neuorientierung des Unter-
richts vor (Berg und Weis 2007). Die Umsetzung dieses Rahmenplans orientiert sich an
210. Deutsch in Luxemburg 1735
der Konzeption des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und ist
für die Unterrichtssprachen durch die Aufstellung von Bildungsstandards konkretisiert
worden (Kühn 2008).
3. Bildungsstandards Sprachen
Auf der Basis der skizzierten multikulturellen und multilingualen Situation sowie des
schulischen Bildungsauftrags werden in den Bildungsstandards Sprachen des Luxembur-
ger Erziehungsministeriums folgende Zielsetzungen verfolgt:
(1) Das Sprachenlernen steht im Kontext einer sprachpolitisch gewollten Mehrsprachig-
keit sowie im Kontext interkultureller Bezugsfelder. Die Kultur der Mehrsprachig-
keit gilt damit als Unterrichtsprinzip an Luxemburger Schulen.
(2) Dem Luxemburgischen fällt in dieser Sprachensituation als Integrationssprache eine
besondere Rolle zu. Daneben kann das Luxemburgische auch als Vehikularsprache
den Spracherwerb des Deutschen in Vor- und Grundschule fördern.
(3) Auf Grund der besonderen Sprachensituation in Luxemburg ist es müßig und ver-
gebliche Liebesmüh, die verschiedenen Sprachen mit linguistischen Begriffen wie
Muttersprache, Fremdsprache, Erstsprache, Zweitsprache, Herkunftssprache, Fami-
liensprache, Begegnungssprache, Partnersprache, Umgebungssprache usw. beschrei-
ben zu wollen. Dies gilt besonders auch für das Deutsche, das auf Grund der
Verwandtschaft zum Luxemburgischen keine tatsächliche Fremdsprache ist. Es ist
jedoch auch keine Zweitsprache, da das Deutsche in Luxemburg nicht als kommuni-
kative Verkehrssprache gebraucht wird. Allerdings wird das Deutsche via Medien
stark rezipiert.
(4) Seine besondere Bedeutung hat das Deutsche als Alphabetisierungssprache, als Sozi-
alisationssprache sowie als Kommunikationssprache in der Schule, besonders auch
in den Sachfächern. Im Deutschen werden zum einen sprachliche Handlungskompe-
tenzen vermittelt, zum anderen hat das Deutsche auch grundlegende Bedeutung für
die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. Auf Grund der ge-
nannten Besonderheiten ist der Deutschunterricht in Luxemburg daher nicht mit
dem Deutschunterricht in anderen Ländern vergleichbar.
Der Deutschunterricht erfolgt grundsätzlich handlungsbezogen und kompetenzorien-
tiert: Den Schülern sollen Kompetenzen vermittelt werden, die sie in die Lage versetzen,
Lese- oder Hörtexte zu verstehen, sich an Gesprächen aktiv zu beteiligen sowie Texte
zu schreiben; Grammatik- und Wortschatz sind in diese zentralen Kompetenzbereiche
integriert. Von einer kompetenzbezogenen Bewertung von Schülerleistungen erhofft man
sich ein differenziertes Bild von Stärken und Schwächen in verschiedenen Kompetenzbe-
reichen.
4. Literatur in Auswahl
Berg, Charles, Wilfried Bos, Sabine Hornberg, Peter Kühn, Pierre Reding und Renate Valtin (Hrsg.)
2007 Lesekompetenzen Luxemburger Schülerinnen und Schüler auf dem Prüfstand. PIRLS 2006.
Ergebnisse, Analysen und Perspektiven zu PIRLS 2006. Münster: Waxmann.
1736 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
1996/97 insgesamt 4.685 Schüler Deutsch, so stieg diese Zahl bis zum Jahr 2007/08 um
etwa 400 % auf genau 18.513. Im selben Zeitabstand stieg die Zahl der Deutschlehrer
von 100 auf genau 199 und hat sich somit verdoppelt. Seit 2005 erfahren die Deutsch-
kurse mit ihrer Einführung in die Unterstufe eine massive Verbreitung, sodass im Schul-
jahr 2007/2008 genau 10.111 Schüler verzeichnet wurden, die Deutsch an 56 Unter-
stufenklassen bei 43 Lehrern lernten. Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinweg-
täuschen, dass Deutsch nach wie vor vielen Schülern an öffentlichen Schulen
aufgezwungen wird.
Hier spielen im Sprachenunterricht im Allgemeinen traditionelle Medien immer noch
eine entscheidende Rolle. Der Einsatz von audiovisuellen oder elektronischen Medien,
die sich für den Sprachunterricht eignen, also die Verwendung von Rundfunk- und TV-
Kursen, Computern und Internet, ist wegen fehlender angemessener Infrastruktur nur in
seltenen Ausnahmefällen möglich. Die Arbeit mit Hörtexten muss daher oft ausfallen.
Deshalb sieht der vor Kurzem vom Ministerium akkreditierte und als innovativ bezeich-
nete „Referenzrahmen für die Abiturprüfung im Fach Deutsch als 2. Fremdsprache“
bei der Leistungsmessung nur das Leseverstehen und den schriftlichen Ausdruck neben
Grammatik und Wortschatz als Prüfungsteile vor.
Die Germanistik wurde 1976 zum ersten Mal als Studienfach an der Universität Rabat
eingeführt und wird seit 1983 auch in Fes ebenso wie in Casablanca seit 1986 als voller
Studiengang angeboten. Im Studienjahr 2008/09 sind insgesamt ca. 600 Studenten in der
Germanistik immatrikuliert, davon etwa 400 in Fes, 120 in Casablanca und 80 in Rabat.
Ihnen stehen insgesamt 23 Universitätslehrkräfte zur Verfügung.
Seit der Durchsetzung der Studienreform im Jahr 2003 dauert die Ausbildung in der
Regel sechs Semester. Die vier ersten Semester bilden das Grundstudium und werden
mit dem Vordiplom DEUG (Diplôme des Etudes Universitaires Générales) abgeschlos-
sen. Hier wird der Akzent auf die Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten durch die
Vermittlung von Grammatik und Wortschatz ebenso wie durch die Einübung im Lese-
und Hörverstehen gelegt. Durch diese intensive Sprachpraxis sollen die Studierenden
befähigt werden, eine Fachveranstaltung im Hauptstudium zu besuchen und wissen-
schaftliche Arbeiten zu verfassen. Nach dem Studienabschluss mit der Licence (⫽ Bache-
lor) haben die Absolventen die Möglichkeit, eine einjährige Referendarausbildung an der
Ecole Normale Supérieure (ENS) oder am Centre Pédagogique Régional (CPR) zu ma-
chen, um die Lehrbefähigung für Deutsch als Fremdsprache in der Sekundar- bzw. Un-
terstufe zu bekommen. Mit der Einführung des Studienganges Deutsch für Übersetzen
und Dolmetschen an der Übersetzer- und Dolmetscherhochschule in Tanger (École Su-
périeure Roi Fahd de Traduction) wurde gegen Ende der 1990er Jahre erstmals ein be-
rufsorientierter Studiengang für Deutsch eingeführt. Die Absolventen germanistischer
Abteilungen haben seit dem Wintersemester 2007/08 auch die Möglichkeit, ein postgra-
duiertes Studium im Masterstudiengang an der Universität Fes zu absolvieren und an-
schließend zu promovieren.
Die Hochschulreform hat den Vorteil gebracht, dass das Modulsystem adoptiert und
damit hinsichtlich der Studieninhalte auf Grund der erlaubten Flexibilität eine entschei-
dende Verbesserung gegenüber dem alten System gewährleistet wurde. Eigentlich strebte
Marokko durch frühere Projektentwürfe längst danach, die Hochschulen nach Markt-
prinzipien zu reformieren und die Universitätsausbildung den Arbeitsmarktanforderun-
gen anzupassen. Schließlich adoptierte es das Studienmodell LMD (Licence, Master und
Doctorat) dem Bologna-Modell entsprechend, das eine Internationalisierung der Hoch-
schulsysteme und eine Vereinheitlichung der Abschlüsse empfiehlt.
Die Entwicklungen der Germanistik sind auf Grund der Studienreform stärker in
einen interdisziplinären Diskurs über Inhalte und Ziele eingetreten, die den gesellschaftli-
chen Nutzen dieser Disziplin berücksichtigen und das Fach dementsprechend inhaltlich
neu konzipieren. Gefragt ist nun ein Studium mit innovativen Lehr- und Lernmethoden,
das die Berufsperspektiven der Absolventen berücksichtigt und diesen dementsprechend
eine adäquate Fachausbildung bietet. Es ist daher notwendig, verschiedene Schwer-
punkte anzubieten, dahingehend, dass nicht nur ein Fachstudium aus interkulturellen
und interdisziplinären Gesichtspunkten angeboten, sondern auch auf den Lehrberuf
ebenso wie auf Tätigkeiten in der Industrie, im Handel und im Tourismus vorbereitet
wird. Auf diese Weise könnte sich der Studierende den Schwerpunkt aussuchen, der ihn
motiviert und von dem er begründet meint, dass er ihm für sein späteres Berufsleben
nützt. In diesem Fall können gewiss Prioritäten festgelegt werden, die den Arbeitsmarkt-
anforderungen am besten entsprechen würden.
211. Deutsch in Marokko 1739
Die Tatsache, dass wir in der Auslandsgermanistik keine reine deutsche Philologie
mehr zu betreiben brauchen, war uns ebenso wie anderen Kollegen bei Curriculumsdis-
kussionen längst bewusst. Dies mag der Grund dafür sein, dass der Hauptschwerpunkt
in den Publikationen vieler marokkanischer Germanisten im Bereich der interkulturellen
Germanistik (vgl. exemplarisch Boubia 1987, 1993; Lamrani 1993, 2003; Lazaare 1998,
2005) und der vergleichenden Literatur- und Sprachwissenschaft (vgl. exemplarisch Jai-
Mansouri 2002, 2005) liegt.
Aus dieser knappen Darstellung der Stellung der deutschen Sprache in Marokko lässt
sich das Fazit ziehen, dass die gesetzlichen Regelungen und sprachenpolitischen Rahmen-
bedingungen einerseits die Entwicklung des Faches Deutsch als Fremdsprache entschei-
dend bestimmen. Andererseits ist es den Universitätslehrkräften teilweise gelungen, im
Rahmen der Hochschulreform die Studieninhalte neu zu definieren, das Germanistikstu-
dium den Arbeitsmarktanforderungen besser anzupassen und damit einen entscheiden-
den Beitrag zur weiteren Entwicklung des Faches zu leisten.
4. Literatur in Auswahl
Boubia, Fawzi
1987 Die Verfremdung der Verfremdung. Thesen zu einer interkulturellen Germanistik im ara-
bischen Raum. Info DaF 14(1): 28⫺33.
Boubia, Fawzi
1993 Legitimationsgrundlagen europäischer Studien im Maghreb. In: Bernd Thum und Gon-
thier-Louis Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik,
181⫺183. (Publikationen der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik 4). München:
iudicium.
Jai-Mansouri, Rachid
2002 Das arabische Majnun-Thema bei André Miquel. In: Dirk Winkelmann und Alexander
Wittwer (Hg.), Von der ars intelligendi zur ars applicandi, 299⫺312. München: iudicium.
Jai-Mansouri, Rachid
2005 Deutsch und Arabisch ⫺ Eine kontrastive Sprachbetrachtung? Informationen zur
Deutschdidaktik 29(2): 44⫺54.
Lamrani, Rachid
1993 Europa und der deutschsprachige Raum als Denkhorizont? Ansichten und Ansätze zu
einer interkulturell und interdisziplinär orientierten Germanistik im Maghreb. In: Bernd
Thum und Gonthier-Louis Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung,
Bildung, Politik, 323⫺326. (Publikationen der Gesellschaft für Interkulturelle Germanis-
tik 4). München: iudicium.
Lamrani, Rachid
2003 Translation und Kulturtransfer. Hermeneutische Modalitäten des Übersetzens als Um-
gang mit dem Anderen. In: DAAD (Hg.), Germanistiktreffen Deutschland ⫺ Arabische
Länder, Iran, 231⫺250. Siegburg: Daemisch Mohr.
Lazaare, Khalid
1998 Marokko in deutschen Reiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Vorstudien
zur deutschen Wahrnehmung einer islamischen Region. (Studien zur neueren Literatur 7).
Frankfurt a. M. u. a.: Lang.
Lazaare, Khalid
2005 Das/Ein Bild Marokkos in deutschen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts. In: Jean-Marie
Valentin (Hg.), Germanistik im Konflikt der Kulturen, 323⫺330. (Akten des XL Internatio-
nalen Germanistenkongresses 9). Bern u. a.: Lang.
1. Einührung
Auch wenn in Mexiko über 60 indigene Sprachen gesprochen werden, wird der Bereich
der öffentlichen Kommunikation fast ausschließlich vom Spanischen dominiert. Unter
den Fremdsprachen hingegen genießt das Englische durch die vertieften Wirtschaftsbe-
ziehungen mit den Nachbarn im angelsächsischen Norden eine unbestrittene Vorrangstel-
lung. Daneben erfreut sich jedoch auch Deutsch einer beständigen und sogar anwachsen-
den Beliebtheit, was sicher nicht zuletzt auf die eindrückliche Präsenz deutscher Firmen
in Mexiko zurückzuführen ist, sowie auf die Tatsache, dass Deutschland der drittgrößte
Handelspartner Mexikos in der Welt und der größte innerhalb der Europäischen Union
ist. Zugleich bewirkt die Steigerung des akademischen und kulturellen Austausches zwi-
schen Mexiko und Deutschland, dass der Bereich Deutsch als Fremdsprache von einer
spürbaren Dynamik geprägt ist. Insgesamt wird die Zahl der Deutschlerner vom mexika-
nischen Deutschlehrerverband inzwischen auf 40.000 bis 45.000 geschätzt, die von ca.
1.300 Lehrern unterrichtet werden (Dettmer 2007: 26).
3. Deutschunterricht
3.1. Schulen
Bereits 1894 wurde das Colegio Alemán Alexander von Humboldt in Mexiko-Stadt ge-
gründet. Heute wird die Deutsche Auslandsschule (DAS) der Hauptstadt von ca. 3.400
Schülern besucht, die sich mittlerweile auf drei Standorte, den Campus Lomas Verdes
(1.129 Schüler), den Campus Xochimilco (1.397 Schüler) und den noch im Aufbau be-
findlichen Campus La Herradura (825 Schüler), verteilen (derzeit insg. 100 aus Deutsch-
land stammende Lehrkräfte, 220 mexikanische Lehrkräfte). Zudem gibt es eine DAS in
Puebla (1.436 Schüler) und eine weitere in Guadalajara (961 Schüler). Insgesamt beläuft
sich die Zahl der Auslandsdienstlehrkräfte auf 47, die der Bundesprogrammlehrkräfte
auf 17. Bis auf die deutsche Schule in Guadalajara besteht an allen DAS die Möglichkeit,
neben dem mexikanischen Abschluss (CCH) auch das Abitur zu machen. Am Colegio
Suizo mit insg. drei Zweigstellen (Mexiko-Stadt, Cuernavaca, Querétaro) besteht die
Möglichkeit, die Prüfung zum Sprachdiplom I und II der KMK abzulegen. Neben diesen
etablierten Auslandsschulen haben mittlerweile das Colegio Alemán Cuauhtémoc Hank in
Tijuana, Baja California Norte, sowie die oben erwähnte Mennonitenschule Escuela Ál-
varo Obregón in Blumenau, Chihuahua, den Status von DSD-Schulen erlangt. Darüber
hinaus hat besonders die vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufene Initiative „Schulen:
Partner der Zukunft“ für Dynamik bei der Förderung von Deutsch an mexikanischen
Schulen gesorgt. Zu den im Rahmen der Initiative geförderten Partnerschulen gehören
bislang die Escuela Nacional Preparatoria (ENP) der UNAM in Mexiko-Stadt, zwei Pre-
paratorias der Universität Guadalajara (UdeG), das Instituto para Formación y Desa-
rrollo Volkswagen in Puebla und die Mennonitenschule La Esperanza im Bundesstaat
Chihuahua.
Es gibt in Mexiko zwei Goethe-Institute, eines in der Hauptstadt und eines in Guadala-
jara. Das GI Mexiko-Stadt verfügt über fünf Stellen für Entsandte und 41 Ortslehrkräfte,
einschließlich der Sprachlehrer. Die Zahl der eingeschriebenen Deutschlerner hat in den
letzten fünf Jahren abgenommen. Dies liegt jedoch nicht an einem schwindenden Inte-
resse an Deutsch, sondern an der steigenden Zahl konkurrierender kommerzieller Anbie-
ter, zu denen in zunehmendem Maße auch die Universitäten gehören. Das GI Guadala-
jara bietet zur Zeit des Verfassens dieses Artikels keinen Sprachunterricht an, da für
diesen Zweck erst ein neues geeignetes, d. h. erdbebensicheres, Gebäude gefunden werden
muss. Die Kulturarbeit wird jedoch ununterbrochen fortgesetzt.
Neben den Goethe-Instituten gibt es noch zwei lokale Kulturgesellschaften in Monte-
rrey und San Luis Potosı́, die Deutschunterricht anbieten. Im zum Volkswagenwerk ge-
hörenden Centro de Idiomas Volkswagen wird Deutsch in mittlerweile fünf Zweignieder-
lassungen in Puebla unterrichtet (insg. knapp 2.000 Schüler, 45 Lehrkräfte, Zahlen nach
Dettmer 2008: 60).
1742 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Bot eine Vielzahl der Universitäten in der Vergangenheit fast ausschließlich Englischun-
terricht an, so hat in den vergangenen Jahren auch an den privaten Hochschulen eine
Erweiterung des Sprachkursangebots auch um Deutschunterricht stattgefunden. Bezogen
auf Studierendenzahl, Frequenz der Kurse und Dauer der Sprachausbildung gibt es fol-
gende Schwerpunkte (Zahlen nach Dettmer 2008, wenn nicht anders erwähnt): Mexiko-
Stadt: Centro de Enseñanza de Lenguas Extranjeras (CELE), Universidad Nacional Autó-
noma de México (UNAM), Semester 2009/02: 732 eingeschriebene Deutschlerner; die
Nachfrage ist deutlich größer, ein DAAD-Lektorat und ein österreichisches Lektorat,
angestrebtes Sprachniveau ist C1; Campus FES Acatlán (zur UNAM gehörig): ca. 1.100
Deutschlerner pro Semester, ein DAAD-Lektorat, eine Sprachassistenz, bis Mittelstufe;
Centro de Lenguas Extranjeras (CENLEX) Zacatenco und CENLEX Santo Tomás des
Instituto Politécnico Nacional (IPN): je ca. 400 Schüler, bis Zertifikat Deutsch; Campus
Azcapotzalco der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM): ca. 150 Schüler. Guada-
lajara: Departamento de Lenguas Modernas der Universidad de Guadalajara (UdeG), ca.
150 Deutschlerner, 10 Lehrer, ein DAAD-Lektorat, ein DAAD-Ortskraftlektorat, ein
österreichisches Lektorat, bis Mittelstufe (pers. Mitteilung Gräfe), Monterrey: Facultad
de Filosofı́a y Letras der Universidad Autónoma de Nuevo León (UANL), ca. 500 Lerner,
12 Lehrer, ein DAAD-Lektorat, eine Sprachassistenz; Benemérita Universidad Autónoma
de Puebla (BUAP), ca. 550 Schüler und 15 Lehrer an drei verschiedenen Einrichtungen;
Universidad Autónoma de Chiapas (UNACH), Tuxtla Gutiérrez, ca. 130 Schüler, 5 Leh-
rer; Centro de Idiomas der Universidad Veracruzana in Xalapa, ca. 200 Schüler. Daneben
gibt es noch an folgenden weiteren Universitäten größere Deutschabteilungen: Mexicali,
La Paz, Morelia, Querétaro, Villahermosa. Insgesamt schätzt das Goethe-Institut die
Zahl der Deutschlerner an Universitäten auf 12.000, die der Lehrkräfte auf 400 (Dettmer
2008: 58). Fandrych (2001: 1440) identifiziert in seinem Überblicksartikel zu DaF in
Mexiko folgende Probleme: „Allgemein leidet der Deutschunterricht an den meisten In-
stitutionen an den niedrigen Gehältern der Lehrenden, den fehlenden Planstellen (meist
wird auf Honorarbasis gearbeitet), an der daraus resultierenden Arbeitsüberlastung der
Lehrenden und den in den Großstädten schwierigen Arbeitsbedingungen, was zu großer
Fluktuation im Lehrpersonal führt.“ Zehn Jahre später hat sich an dieser Situation noch
wenig geändert, auch wenn mittlerweile gewisse Anstrengungen zur Professionalisierung
der Ausbildung unternommen werden (siehe 4.), die in der Zukunft zur Aufwertung des
Lehrberufs und zur Verbesserung der Arbeitssituation der Deutschlehrer in Mexiko füh-
ren könnten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.
guas mit der Spezialisierung für Deutsch zu belegen. Der Studiengang ist als Fernstudium
konzipiert, das in acht Semestern absolviert werden kann.
Mit dem Wintersemester 2008/09 hat ein gemeinsamer Masterstudiengang in Deutsch
als Fremdsprache der Universität Guadalajara mit dem Herder-Institut der Universität
Leipzig begonnen. Schwerpunkte der zweijährigen Ausbildung, die jeweils zur Hälfte an
beiden Hochschulen absolviert wird, sind kontrastive Fragestellungen sowie Aspekte des
sprachlich-kulturellen Kontakts zwischen der deutsch- und der spanischsprachigen Welt.
Die einzige Variante des Germanistikstudiums in Mexiko stellt das 1955 eingerichtete
achtsemestrige grundständige Studium „Letras Alemanas“ an der philosophischen Fa-
kultät der UNAM dar. Das Studium besteht aus einem Pflichtprogramm in deutscher
Literaturwissenschaft, welches durch Wahlpflichtkurse in Linguistik, europäischer Ge-
schichte und Kultur sowie mexikanischer Literatur- und Kulturgeschichte ergänzt wird
(Rall 2002: 92). Im Hauptstudium (Semester 5⫺8) ist eine Spezialisierung in Überset-
zung, Literaturwissenschaft oder Didaktik möglich.
5. Fachverbände
Die wichtigste Körperschaft der Deutschlehrer in Mexiko stellt der 1992 gegründete me-
xikanische Deutschlehrerverband (Asociación Mexicana de Profesores de Alemán, AM-
PAL) dar. Ihm gehören ca. 150 Mitglieder an. Zu den Zielen des Verbandes zählen die
Förderung von Lehre und Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Mexiko
und die Vernetzung der Deutschlehrer in Mexiko untereinander sowie mit ähnlichen
Organisationen im Ausland. Dazu organisiert AMPAL im jährlichen Wechsel Fachta-
gungen (Jornadas AMPAL) und Deutschlehrertreffen (Encuentros AMPAL), die der
Fortbildung und dem kollegialen Austausch dienen sollen.
6. Literatur in Auswahl
Dettmer, Martin
2008 Deutsch lehren in Mexiko ⫺ ein aktueller Überblick. In: Memorias del VII Encuentro
AMPAL, Universidad de Guanajuato, Escuela de Idiomas, 3 al 6 de mayo de 2005, 57⫺63.
Mexiko-Stadt: AMPAL.
Dettmer, Martin
2007 El alemán en México analizado por la Asociación Mexicana de Profesores de Alemán.
In: El idioma alemán en México. Medio de enlace, oportunidades y prestigio, 25⫺28. Me-
xiko-Stadt: AMPAL.
Fandrych, Christian
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Mexiko. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch, 1438⫺1445. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissen-
schaft 19.1⫺2.) Berlin: de Gruyter.
Rall, Dietrich
2002 Situation und Perspektiven der Germanistik in Mexiko. In: Deutscher Akademischer
Austauschdienst (DAAD) (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Argentinien, Brasilien,
1744 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Chile, Kolumbien, Kuba, Venezuela 8.⫺12. 10. 2001, Tagungsbeiträge, 85⫺96. Bonn:
DAAD.
Steffen, Joachim
2008 A vantagem de falar dialeto: aproveitar as variedades não-padrão para a construção de
comunidades multilı́ngües [Der Vorteil Dialekt zu sprechen: Nichtstandardvarietäten für
die Konstruktion von mehrsprachigen Gemeinschaften nutzen]. Revista Contingentia 3(2):
67⫺76.
und Hochschulen angeboten werden. Im Bezug auf das gesellschaftliche Leben ist das
Erlernen von Deutsch als Fremdsprache mit seinen weitaus kleineren Dimensionen mit
Englisch kaum zu vergleichen.
Die mongolische Nationaluniversität ist die erste staatliche Universität, an der man in
den 1960er Jahren Deutsch als Fach unterrichtete, allerdings nur mit wenigen Stunden.
1975 wurde an derselben Universität ein Studienvorbereitungskurs für Studierende eta-
bliert, die nach einem Jahr der Deutschausbildung im Land ihr zukünftiges Studium in
der damaligen DDR aufnehmen sollten. Mit der demokratischen Wende eröffnete man
auch in anderen Bildungsinstitutionen Deutschabteilungen. Die erste Abteilung bzw. der
erste Lehrstuhl für Deutsche Sprache wurde 1990 an der damaligen Hochschule für
Fremdsprachen (heute Universität für Geisteswissenschaften), die zweite DaF-Abteilung
1991 an der mongolischen Nationaluniversität gegründet.
Die wöchentliche Stundenverteilung des jeweiligen Faches hängt von der Spezifik der
Universität bzw. des angebotenen Studiengangs ab. In den studienbegleitenden Deutsch-
kursen wird auf der Basis der im Grundstudium erworbenen Sprachkenntnisse Deutsch
als Fachsprache vermittelt, und zwar als Nebenfach. In diesen Kursen werden Grund-
kenntnisse in etwa 400 Stunden und Fachsprachenkenntnisse in etwa 200 Stunden ver-
mittelt. Zur Verbreitung und der nachhaltigen Pflege der deutschen Sprache und der
deutschsprachigen Kultur tragen in der Mongolei deutsche und österreichische Institutio-
nen wie der DAAD, das Goethe-Institut, die Zentralstelle für Auslandsschulwesen, das
TestDaF-Institut, die Österreich-Kooperation, die Prüfungszentrale des Österreichischen
Sprachdiploms Deutsch (vgl. Art. 12) und mongolische Institutionen wie der Mongoli-
sche Deutschlehrerverband, die Mongolisch-Deutsche Brücke sowie die Gesellschaft der
Freunde der deutschen Sprache gewichtig bei. Der Mongolische Deutschlehrerverband
ist auch Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV).
Wie in den Ländern der Europäischen Union wird auch in der Mongolei die Mehrspra-
chigkeit zum bildungspolitischen Schlagwort. Die Sprachen unserer Nachbarländer ⫺
Russisch und Chinesisch ⫺ werden genauso mit großem Interesse und intensiv gelernt
und gelehrt wie Englisch. Auch im Rahmen des bildungspolitischen Konzepts, das bis
zum Jahr 2015 realisiert werden muss, wird die deutsche Sprache ihre bedeutende Stel-
lung unter den europäischen Sprachen nicht verlieren. Die langjährigen traditionellen
Beziehungen zwischen der Mongolei und Deutschland werden weiter vertieft. Die in den
letzten Jahren zwischen den beiden Staaten und Regierungen abgeschlossenen Verträge
zeigen deutlich, dass ein größerer Akzent auf die Zusammenarbeit in Wirtschaftsberei-
chen wie Bergbau, Straßenbau und Bauwesen gelegt wird. Dadurch entsteht ein sehr
großer Bedarf an Fachkräften mit Deutschkenntnissen. Infolgedessen erhöht sich die Not-
wendigkeit, konkurrenzfähige junge Mongolen auszubilden. Die gegenwärtige Deutsch-
ausbildung an den mongolischen Hochschulen und Universitäten ist eher sprach- und
kulturorientiert. Die Tendenz der letzten Jahre zeigt, dass Deutsch als Fremdsprache mit
anderen Fächern kombiniert vermittelt werden sollte, und zwar mit Tourismus, Ökolo-
gie, Wirtschaft, Jura etc. Entsprechend den sich erneuernden gesellschaftlichen Verhält-
nissen und Bedürfnissen sollte die Deutschausbildung auf ein weiteres, höheres Niveau
gebracht werden. Im engeren Sinne bedeutet dies, die Studieninhalte und -programme
zu verändern und zu verbessern, und im weiteren Sinne, wissenschaftliche Lehre und
Forschung mehr zu fördern.
214. Deutsch in den Niederlanden 1747
5. Literatur in Auswahl
Bolormaa, Baljir und Bishbat Batsuren
2007 DaF-Ausbildung in der Mongolei. In: Deutsch in Zentral- und Ostasien: Erfahrungen,
Partnerschaften und neue Herausforderungen der Zeit, 15⫺23. Ulan-Ude: Druckerei der
burjatischen Staatsuniversität.
Naranchimeg, Khalzkhuu
2007 Die Fremdsprachenpolitik im Bildungsbereich. In: Wissenschaftliche Publikationen der
Universität für Geisteswissenschaften, 48⫺50. Ulaanbaatar: Universitätsdruckerei.
Naranchimeg, Khalzkhuu
2008 Zu Fragen der Fremdsprachenpolitik in der Mongolei. In: Wissenschaftliche Publikationen
der Universität für Geisteswissenschaften, 29⫺35. Ulaanbaatar: Universitätsdruckerei.
Auf die Sekundarbildung bauen folgende Ausbildungsgänge auf: der ein- bis vierjährige
MBO, der vier- bis fünfjähriger HBO und die drei- bis fünfjährige Universiteit. Die Bil-
dungsgänge sind horizontal durchlässig: Man kann (mit einem Jahr Zurückstufung) von
dem VMBO in den HAVO, von dem HAVO in den VWO, von dem MBO in den HBO
und von dem HBO in die Universiteit wechseln.
Das Deutsche hat ⫺ neben dem Pflichtfach Englisch ⫺ im niederländischen Fremd-
sprachenunterricht eine prominente Rolle als typische zweite Fremdsprache. Seine Popu-
larität und die Zahl der Deutschstudierenden nehmen ⫺ nach einem historischen Tief-
punkt zum Ende des 20. Jahrhunderts ⫺ wieder zu, insbesondere wegen der entscheiden-
den ökonomischen Beziehungen zu Deutschland (Ministerie van OCW 2009).
Im Grenzbereich (u. a. in Nijmegen und Maastricht) gibt es Internationale Studien-
gänge auf Deutsch (nach einer Pressemitteilung von Edu-Con Strategic Education Con-
sulting GmbH am 20. 01. 09 studieren 20.000 Deutsche in den Niederlanden), wie z. B.
International Business Economics, Industrielles Produktdesign, Maschinenbau, Software
Engineering, Sozialpädagogik, Physiotherapie.
Deutsch ist in den Niederlanden auch wegen der Migration bedeutsam: Zu Anfang
des 21. Jahrhunderts kamen 14 % der Migranten der 1. und 2. Generation aus Deutsch-
land (NIDI 2003).
Die Universiteiten bieten dreijährige Bachelor- und ein- bis zweijährige Masterstudien-
gänge Deutsche Sprache und Kultur an; 2008 begannen landesweit ca. 100 Studenten
dieses Studium (Commissie Cohen 2008). Das Fachstudium findet auf Deutsch statt,
setzt Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 voraus, nimmt zwei Drittel des dreijährigen
Bachelorprogramms ein und besteht zu 25 bis 30 % aus Seminaren zur Sprachfähigkeit
(Endniveau rezeptiv C1/2; produktiv B2/C1), während 70 bis 75 % dem wissenschaftli-
chen Studium der Landeskunde, der Literatur- und der Sprachwissenschaft gewidmet
sind; ein Auslandssemester an einer deutschsprachigen Hochschule ist obligatorisch. Das
ein- bis zweijährige Masterstudium in der Germanistik erlaubt Spezialisierungen in der
Sprach- und Literaturwissenschaft, der Mediävistik, der Übersetzungswissenschaft und
interkulturellen Germanistik, der Sprachlehrforschung und der Niederlande-/Deutsch-
landstudien; auch zweijährige Forschungsmaster in der allgemeinen Sprach- und Litera-
turwissenschaft stehen Deutschstudenten offen. Studenten mit einem einjährigen Master
in Deutsch können danach die einjährige universitäre Lehrerausbildung (ULO) absolvie-
ren; der Abschluss dieser Ausbildung berechtigt zum Unterricht des Schulfaches Deutsch
in der Sekundarstufe II. Die Universität Utrecht bietet Bachelorstudierenden außerdem
einen zweijährigen Master Sprachunterricht, der Sprachlehrforschung mit Lehrerausbil-
dung kombiniert; auch dieser Studiengang führt zur Lehrbefugnis Sekundarstufe II.
Die Position des Deutschen in den Niederlanden lässt sich durch folgende Tendenzen
charakterisieren:
⫺ Deutsch entwickelt sich Schritt für Schritt von einem obligatorischen zu einem fakul-
tativen Schulfach.
⫺ Einer großen Zahl von bilingualen Schulen mit Englisch als Unterrichtssprache steht
bisher nur eine Schule mit Deutsch gegenüber.
⫺ An den Hochschulen nimmt die Zahl der Deutschstudierenden wieder zu. Durch den
geringen Lehrernachwuchs ist der Mangel an Deutschlehrern groß, und dies wird
vermutlich trotz der wachsenden Studentenzahlen so bleiben.
⫺ Angesichts der weiter zunehmenden beruflichen Beziehungen mit deutschsprachigen
Partnern steigt die Bedeutung der Beherrschung des Deutschen erheblich.
⫺ Die Hogescholen bieten vermehrt Studiengänge auf Deutsch für deutsche Mutter-
sprachler an.
Zurzeit wird die Lehreraus- und fortbildung in den Niederlanden grundlegend verändert.
Bis 2007 bildeten die Universiteiten nur Lehrende für die Sekundarstufe II und die Ho-
gescholen nur Lehrende für die Sekundarstufe I aus. Seitdem zerfließt diese deutliche
Aufgabentrennung, denn beide bieten zurzeit Ausbildungsgänge und Fortbildungen für
(zukünftige) Lehrende der Sekundarstufen I und II an. Zusätzlich hat das Ministerie van
OCW seit einigen Jahren mehrere Programme zur Steigerung der Qualität und Quantität
der Lehrenden ins Leben gerufen, wodurch z. B. die Forschung in den Hogescholen ak-
zentuiert und in ihre curricularen Vorgaben integriert wird, während die Universiteiten
vom Ministerium angespornt werden, ihre Bachelor-Abgänger in einem verkürzten Pro-
gramm für die Sekundarstufe I auszubilden (Ministerie van OCW 2008b). Dazu soll ab
1750 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
2009 landesweit jeder Berufsanfänger in der Sekundarstufe über die Kennisbasis (Wis-
sensgrundlage) für sein Unterrichtsfach verfügen. Diese umfasst alle erforderlichen
Kenntnisse, sowohl auf allgemeinpädagogischem und -didaktischem als auch auf schul-
fachspezifischem Gebiet. An der Entwicklung von gemeinsamen, landesweiten Ab-
schlusstests wird gearbeitet. Für alle universitäre Lehrerausbildungen (ULO’s) formuliert
die Interdisciplinaire Commissie Lerarenopleiding gültige Eingangsvoraussetzungen und
Qualifikationsniveaus (vgl. www.universitairelerarenopleidingen.nl). Nach dem Beispiel
der Registrierung anderer Berufsgruppen in Registern der zur Ausübung eines Berufs
Berechtigten (z. B. der Ärzte) wird auf der Grundlage des Gesetzes BIO (Beroepen In het
Onderwijs) eine Registrierung der Lehrberufe auf der Basis bestimmter professioneller
Standards vorbereitet (De Graaff 2009).
In dieser Situation profitiert der Beruf des Deutschlehrers von zwei allgemeinen Ent-
wicklungen, die in den Niederlanden von einem wachsenden Konsens getragen werden:
Die Wertschätzung des Lehrberufs muss ⫺ auch durch eine bessere Bezahlung ⫺ grund-
legend verbessert werden (Ministerie van OCW 2008b); die professionellen Qualitäten
und insbesondere die fachinhaltlichen und -didaktischen Kompetenzen jedes Fachlehrers
müssen über jeden Zweifel erhaben sein (Ministerie van OCW 2008a). Damit kommt der
Professionalisierung von Deutschlehrenden in Aus- und Fortbildung eine entscheidende
Rolle zu.
Trotz all dieser Bemühungen werden nach aller Wahrscheinlichkeit die Ausbildungen
an den Hochschulen den Bedarf an Deutschlehrern (und auch an anderen Experten des
Deutschen) nicht decken können. Damit hängt die Zukunft des Faches Deutsch an nie-
derländischen Schulen und Hochschulen stark von der Immigration von Studenten und
Fachleuten ab, die in deutschsprachigen Ländern studiert haben.
4.1. Lehrerausbildung
Alle Lehrerausbildungen an den Hochschulen arbeiten mit den im Gesetz BIO (Beroepen
In het Onderwijs) festgelegten sieben Fachkompetenzen, die auf den Lehrberuf SI und
SII zugeschnitten sind (vgl. www.lerarenweb.nl). Es handelt sich um folgende Kompeten-
zen: 1. interpersonelle, 2. pädagogische, 3. fachinhaltliche und fachdidaktische, 4. organi-
satorische, 5. kollegiale, 6. in Zusammenarbeit mit der Umgebung, 7. in Reflexion und
Entwicklung. Zur Sicherung des Niveaus beziehen sich die Abschlussprüfungen der Lehr-
amtstudierenden sowohl auf diese sieben Fachkompetenzen als auch auf die sogenannten
Dublin Descriptors für Bachelor- und Master-Abschlüsse (Inspectie van het Onderwijs
2008).
Die neun Hogescholen haben 2008 die Kennisbasis, die vom Verband der Deutschleh-
rerausbilder (VLoD) entwickelt wurde, in ihr Curriculum integriert. Der allgemeinpäda-
gogische und -didaktische Bereich der Kennisbasis besteht zusammengefasst aus Pädago-
gik und Psychologie für den Lehrberuf in der Sekundarstufe; der schulfachspezifische
Bereich Deutsch beinhaltet in groben Zügen Lerntheorien, Fachdidaktik, Sprachfertig-
keit, sprachwissenschaftliche Themen, Literatur, soziales und kulturelles Wissen. Ansons-
214. Deutsch in den Niederlanden 1751
ten hat jede Hogeschool im Curriculum Inhalte aufgenommen, die entweder charakteris-
tisch für die einzelnen Hogescholen oder abhängig von personellen Besetzungen sind.
Seit 2004 haben die Schulen eine bedeutendere Stelle in der Lehrerausbildung bekom-
men, denn sie tragen eine zunehmende Verantwortlichkeit in der Ausbildung der Lehr-
amtstudierenden; diejenigen Schulen, die den Stempel Opleidingsschool bekommen ha-
ben, sind in Zusammenarbeit mit den Hochschulen zuständig für die Lehrerausbildung
(vgl. www.deopleidingsschool.nl). Diese Verlagerung erfordert ein Überdenken des Cur-
riculums, der Ausbildungsqualitätssicherung und der geteilten Verantwortung der Leh-
rerausbildungen und Schulen. In dieser Praxis des Opleiden in de School (Ausbildens in
der Schule) sehen viele der Beteiligten, d. h. Lehrerausbildungen und Opleidingsscholen
einen Mehrwert, denn durch diese Professionalisierung des Personals sowohl in der
Schule als auch in den Lehrerausbildungen wird eine Brücke zwischen Theorie und Pra-
xis geschlagen; Innovationen können schneller in der Praxis umgesetzt werden.
4.2. Germanistik/DaF-Ausbildung
Seit einigen Jahren hat Forschung einen höheren Stellenwert in den Hogescholen. Dies
zeigt sich in der verhältnismäßig großen Anzahl an sogenannten Lectoraten, die in den
letzten Jahren eingerichtet wurden. Ein Lectoraat besteht aus einem Lector (einer Art
Professor) und einem Kenniskring (d. h. einer zusammenhängenden Forschungsgruppe);
gemeinsam führen sie praxisorientierte Forschung (practitioner research) durch, die un-
1752 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
7. Literatur in Auswahl
Commissie Cohen
2008 Duurzame Geesteswetenschappen. Amsterdam: Amsterdam University Press.
De Graaff, Rick
2009 Professionele talendocenten in een meertalige Europese samenleving [Professionelle Spra-
chenlehrer in einer mehrsprachigen europäischen Gesellschaft]. In: Rick de Graaff und
215. Deutsch in Nigeria 1753
Dirk Tuin (Hg.), De Toekomst van het Talenonderwijs: Nodig? Anders? Beter? 295⫺296.
Enschede: NaB-MVT & Utrecht: Universiteit Utrecht ⫺ IVLOS.
Inspectie van het Onderwijs
2008a Monitor Beleidsagenda lerarenopleidingen 2005⫺2008 [Politische Agenda der Lehreraus-
bildungen 2005⫺2008]. Den Haag: Inspectie van het Onderwijs.
Ministerie van OCW
2008b Krachtig Meesterschap ⫺ Kwaliteitsagenda voor het opleiden van leraren 2008⫺2011 [Qua-
litätsagenda für das Ausbilden von Lehrenden 2008⫺2011]. 1. Aufl. Den Haag: Ministerie
van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap.
Ministerie van OCW
2008 Nota Werken in het Onderwijs 2009 [Nota Arbeiten im Bildungswesen]. 2. Aufl. Den Haag:
Ministerie van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap.
Ministerie van OCW
2009 Parlamentsdokument vom 04. 03. 09: [http://www.minocw.nl/documenten/106136a.pdf]
(Zugriff am 30. 12. 2009).
NIDI (Nederlands Interdisciplinair Demografisch Instituut)
2003 Bevolkingsatlas van Nederland. Demografische ontwikkelingen van 1850 tot heden, 148⫺
161. Rijswijk: Elmar.
2. Gegenwärtige Situation
Gegenwärtig studieren etwa 170 Studenten German im Hauptfach des B.A.-Studiengangs
an drei von insgesamt 37 nigerianischen Universitäten, nämlich in Ibadan, Ile-Ife und
Nsukka, unterrichtet von 18 Lehrkräften. Weitere neun Universitäten bieten DaF als
Wahlpflichtfach (Elective) an. An Sekundarschulen und Pädagogischen Hochschulen
wird kein Deutschunterricht erteilt, jedoch veranstaltet das Goethe-Institut in Lagos
Sprachkurse und betreut die Universitäten im Rahmen der Bildungskooperation. Der
DAAD unterhält zwei Lektorate im Süden des Landes, in Ibadan und Ile-Ife; außerdem
vergibt der DAAD seit 2007 jährlich drei Stipendien zum Besuch von Hochschulsommer-
kursen in Deutschland.
Da es keinen schulischen Deutschunterricht in Nigeria gibt, liegt der Schwerpunkt
der vierjährigen B.A.-Studiengänge German auf dem Sprachunterricht, während landes-
kundliche und literaturwissenschaftliche Kurse größtenteils auf Englisch unterrichtet
werden. Eine komparatistisch-literaturwissenschaftliche Komponente, die sich auf die
Modelle der Interkulturellen Germanistik sowie der Germanistik als Entwicklungswissen-
schaft stützt, ist allenfalls im letzten Studienjahr entfaltungsfähig.
In den M.A.-Studiengängen (im Jahre 2009 insgesamt 9 Studierende) wird hauptsäch-
lich komparatistisch vorgegangen, sei es linguistisch oder literaturwissenschaftlich-kultu-
rell; eine in Bielefeld eingereichte Dissertation behandelt die Fehleranalyse von nigeriani-
schen Deutschlernenden mit Igbo als Muttersprache (Uzuegbu 2003).
beiten, was eine gewisse Stabilität des Faches für die Zukunft erwarten lässt. Insofern
scheint sich die Krisensituation aufzulösen. Hoffnung macht zudem das nach wie vor
starke studentische Interesse am Fach German. Wenn sich diese Stabilisierung, die das
Fach seit der Jahrtausendwende erfahren hat, fortsetzen ließe, sind die Zukunftsaussich-
ten des Faches German in Nigeria durchaus positiv zu bewerten.
Zudem kann sich durch die neu geschaffenen M.A.-Studiengänge eine eigene For-
schungstradition nigerianischer German Studies etablieren, die nicht nur sprach- und kul-
turvergleichend im Sinne eines bloßen Austausches von je kulturell Eigenem vorgeht,
sondern ein intermediäres Feld etablieren kann, das sich im Austausch der Kulturen als
Gebiet eines neuen Wissens herausbildet und erst danach wechselseitige Differenzidentifi-
kation ermöglicht. Es bleibt allerdings ein Desiderat, dass Germanisten in Afrika ⫺
einschließlich der nigerianischen ⫺ stärker kooperieren, um dieses intermediäre Feld im
Sinne einer genuin afrikanischen Germanistik ⫺ statt einer Germanistik in Afrika ⫺ zu
etablieren (Witte 2003).
Danksagung
Ich bin Ifeyinwa Ezeorah und Shaban Mayanja für ihre bereitwilligen und hilfreichen
Auskünfte zu Dank verpflichtet.
4. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt (Hg.)
1985 Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Bericht der Bundesregierung. Bonn: Bon-
ner Universitäts-Buchdruckerei.
Benninghoff-Lühl, Sibylle, Edith Ihekweazu, Eva Kammler, Christoph Ludszuweit und Arnd Witte
1990 Die fremden Werte. Ein kritisches Lesebuch für den Literaturunterricht an afrikanischen
Universitäten. Band I: Lehrerhandbuch; Band II: Textbuch. Bonn: DAAD.
Feuser, Willfried F.
1979 The Role of German Studies in West Africa. In: Willfried F. Feuser (Hg.), Twenty Years
of German Study in Nigeria, 25⫺38. Port Harcourt: Uniport Press.
Feuser, Willfried F.
1992 30 Years of Modern Language Teaching in Nigeria. In: Iroko. Journal of the Nigerian
Association of Teachers of German 1: 14⫺26.
Ihekweazu, Edith
1984 Länderbericht Nigeria. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 10: 264⫺274.
Omolewa, Michael A.
1984 French and German Languages in the Nigerian Secondary School Curriculum: 1859 ⫺
1959. In: Pai Obanya (Hg.), Curriculum in Theory and Practice, 416⫺438. Ibadan: ERSC.
Uzuegbu, Ifeyinwa
2003 Ich kann nicht warten, eine ,graduate‘ zu werden. Eine fehleranalytische Untersuchung
schriftlicher Texte von Igbo Deutschlernenden mit Englisch als Zweitsprache. Frankfurt
a. M.: Peter Lang.
Witte, Arnd
1996 Fremdsprachenunterricht und Eigenkultur. Kulturgeprägte Bedingungen, kulturangemessene
Unterrichtsmethoden und subjektive Lehrtheorien von DaF-Lehrkräften in Nigeria. Mün-
chen: iudicium.
216. Deutsch in Norwegen 1757
Witte, Arnd
2003 Germanistik und DaF in Afrika (Subsahara) ⫺ Geschichte, Bestandsaufnahme, Aussich-
ten. Acta Germanica 30(31): 169⫺179.
Auch an den Hochschulen und Universitäten geht das Interesse für Deutsch stetig zu-
rück. Vor allem an den großen Universitäten in Oslo und Bergen mussten in den letzten
Jahren starke Rückgänge bezüglich der Studentenzahlen verzeichnet werden. Während
es noch in den 1990er Jahren Deutschstudiengänge auch an vielen kleineren Hochschulen
gab, wird nun Deutsch als Studienfach nur noch an den über das ganze Land verteilten
sechs Universitäten (Agder (Kristiansand), Bergen, Oslo, Stavanger, Tromsø und Trond-
heim), an der Norwegischen Wirtschaftsuniversität in Bergen und an den Hochschulen
in Østfold (Südostnorwegen) und Volda (Nordwestnorwegen) angeboten. Sowohl an den
Universitäten als auch an den Hochschulen sind die Studierendengruppen eher klein und
erreichen nur selten mehr als 30 Teilnehmende (Lindemann 2008a).
Es gibt Ausbildungsangebote auf Bachelor- und auf Masterniveau. Diese Angebote
sind, von Studienort zu Studienort in unterschiedlicher Weise, in Kurse eingeteilt, die
mit Leistungsnachweisen evaluiert und mit Studienpunkten belohnt werden. 60 Studien-
punkte (ECTS credits) entsprechen einem einjährigen Vollzeitstudium und gelten norma-
lerweise als Mindestqualifikation für eine spätere Lehrertätigkeit. In die meisten Bache-
lorstudiengänge können bis zu 90 Studienpunkte (ECTS credits) Deutsch eingebracht
werden. An den Universitäten besteht auch die Möglichkeit, ein Masterstudium in
Deutsch (entweder im Bereich der deutschen Sprach- oder Literaturwissenschaft) an ein
Bachelorstudium anzuschließen.
Die Ausbildungsangebote sind zumeist neutral gehalten und wenden sich an Studie-
rende mit den unterschiedlichsten Berufswünschen. Jedoch lässt sich weiterhin festhalten,
dass ein Großteil derjenigen, die ein mindestens einjähriges Deutschstudium auch mit
Prüfungen abschließen, nach einer später folgenden pädagogischen Zusatzausbildung
(pedagogisk seminar) im Schuldienst tätig wird. Darüber hinaus kombinieren die Studier-
enden ihr Deutschstudium mit anderen Studiengängen, beispielsweise einem Jurastudium
oder einem Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaften oder Gesellschaftswissen-
schaften. Dabei kommt es auch häufig vor, dass die Studierenden nur einzelne Kurse
besuchen und nicht das gesamte Kursprogramm des einjährigen Deutschstudiums (60
ECTS credits) absolvieren.
Allerdings werden auch regelmäßig maßgeschneiderte Deutschprogramme (ebenfalls
60 ECTS credits) für zukünftige Deutschlehrende angeboten. Diese Kurse wenden sich
meist an oft bereits unterrichtende Lehrkräfte, die eine Zusatzausbildung in Deutsch
anstreben, um danach auch in diesem Fach unterrichten zu können. Damit die Lehren-
den ein solches Studium neben der Lehrtätigkeit durchführen können, werden diese spe-
ziellen Studiengänge zumeist als zweijähriges Fernstudium angeboten. Diese Programme
sind oftmals internetunterstützt, oder das gesamte Unterrichtsangebot findet im Internet
216. Deutsch in Norwegen 1759
statt (e-Learning-Angebote). In den letzten Jahren wurden auch mehrere solcher Studien-
gänge als nationale Kooperationsprojekte entwickelt und durchgeführt.
An der Handelsuniversität Bergen kann ein eventuelles Deutschstudium in die dorti-
gen wirtschaftswissenschaftlichen Studienprogramme integriert werden und ist inhaltlich
auf diese Studien zugeschnitten.
Außerdem werden an allen Institutionen noch zusätzlich deutschsprachige Kurse zu
unterschiedlichsten Themen (10 oder 15 ECTS credits) angeboten, die in andere, nicht-
sprachliche Studienprogramme eingepasst werden können.
4. Literatur in Auswahl
den Hochschulen lernen zur Zeit ebenfalls 10.000 Studenten der Germanistik und etwas
mehr als 132.000 Studierende anderer philologischer und nicht-philologischer Fächer
Deutsch. Insgesamt lernen demzufolge etwa 150.000 junge Polen in den Sprachlehrerkol-
legs und polnischen Hochschulen Deutsch.
Der außerschulische Deutschunterricht in Polen wurde bislang von niemandem zah-
lenmäßig erfasst. Fest steht nur, dass insbesondere nach der Wende 1989 das Interesse
an Deutsch auch in diesem Bereich stark zugenommen hat und dass infolgedessen die
Zahl der kommerziellen Sprachschulen rapide angestiegen ist. Die Zahl der Deutschler-
nenden lässt sich mit schätzungsweise 700.000 beziffern. Deutsch lernen also zur Zeit
insgesamt etwas mehr als 3,5 Millionen Polen, d. h. etwa 9,5 % aller Polen. Keine Frage,
das ist immer noch eine stolze Zahl, wenn auch zu bedenken ist, dass sie in knapp 10
Jahren um eine halbe Million gefallen ist.
tieren derzeit 62 Kollegs. Das Studium beträgt drei Jahre (BA-Diplom). Nach Ablauf
dieser Zeit besteht die Möglichkeit, an einer Hochschule den Magisterabschluss zu erwer-
ben.
Wie sich die polnische Germanistik in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt
sowohl von der Gesamtentwicklung des Landes als auch davon ab, ob bzw. inwiefern es
ihr gelingt, einen „sicheren“ Weg einzuschlagen. Zu den ihre Existenz von außen bedro-
henden Faktoren gehört zum einen die Tatsache, dass begabte junge Menschen in Polen
zurzeit wegen der schlechten Besoldung generell schwer für eine wissenschaftliche Lauf-
bahn zu begeistern sind. Zwar war die Entlohnung von Akademikern auch vor der
Wende sehr bescheiden, doch damals konnte man auch woanders nicht viel mehr verdie-
217. Deutsch in Polen 1765
nen. Jetzt können Absolventen der Germanistik außerhalb der Hochschulen besser besol-
dete Stellen finden. Zum anderen wird ihre Existenz durch den bereits angesprochenen
Rückgang des Interesses an der deutschen Sprache unter den jungen Polen gefährdet.
Die wichtigste interne Bedrohung für die Zukunft sehe ich darin, dass die Zahl der
Befürworter einer Re-Philologisierung und Rückwandlung des Faches in eine Art Bin-
nengermanistik immer noch „ausbaufähig“ ist: sollten sie die Oberhand gewinnen, dann
wird das Fach wieder Philologen oder bestenfalls Lehrer für den Unterricht des Deut-
schen als Muttersprache ausbilden, für die es in Polen aus selbstverständlichen Gründen
kaum Arbeitsstellen gibt. Lehrer für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache,
Übersetzer, geschweige denn Dolmetscher professionell auszubilden wird eine solche
Germanistik nicht in der Lage sein. Ihre an der Glottodidaktik bzw. Translatorik interes-
sierten Mitglieder werden aus den re-philologisierten germanistischen Instituten auswan-
dern (müssen). Stark schrumpfen werden dann auch die derzeitigen sprach- sowie litera-
turwissenschaftlichen Teilbereiche des Faches: verlassen werden sie ihre an soziologi-
schen, philosophischen oder psychologischen und weniger an rein philologischen Themen
interessierten Mitglieder.
Wie jede andere Auslandsgermanistik wird auch die polnische Germanistik ihre der-
zeitige Position halten und vielleicht sogar stärken können, wenn sie beim Aufbau ihrer
Lehr- und Forschungsprogramme die Tatsache beachtet, dass sie in einem Land zu wir-
ken hat, in dem sie vor allem von der Leistung des Deutschunterrichts an den Schulen
des Landes abhängig ist; dass sie deshalb, im Gegensatz zur Inlandsgermanistik, den
praktischen Deutschunterricht im Sinne einer „konstitutiven“ Aufgabe des Faches zu
behandeln und dafür zu sorgen hat, dass er brauchbare Ergebnisse zeitigt; dass sie den
Schulen Lehrer des Deutschen als Fremdsprache zur Verfügung stellt, die die deutsche
Sprache und Kultur genügend beherrschen und über eine entsprechende fachbezogene
kognitive und praktische (glottodidaktische) Kompetenz verfügen; dass sie die als Philo-
logen ausgebildeten Absolventen auch nicht unter dem Etikett „Übersetzer“ oder „Dol-
metscher“ anbieten darf, da die Übersetzer- und Dolmetscherausbildung heute ein
ebenso anspruchsvolles Unterfangen wie die Ausbildung von Deutschlehrern ist ⫺ dass
jede von diesen Ausbildungen anders zu gestalten ist und anderer Fachleute benötigt;
dass sie sich als ein akademisches Fach darum bemühen muss, die Gestaltung und Reali-
sierung all ihrer Ausbildungsprogramme wissenschaftlich zu fundieren und zu Gegen-
ständen einer systematischen Forschung zu machen hat und sich nicht von vorneherein
auf Sprach- und Literaturwissenschaft einschränken darf.
Längerfristig würde es der polnischen Germanistik auf jeden Fall mehr schaden als
Vorteile bescheren, wenn sich das Fach von solchen Aufgaben wie der Ausbildung von
DaF-Lehrern und/oder von Übersetzern bzw. Dolmetschern distanzierte. Vielmehr soll-
ten sich seine Vertreter darum bemühen, die sich mit diesen Aufgaben beschäftigenden
Teilbereiche des Faches zu stärken, die Fortbildung von Deutschlehrern sowie von Über-
setzern und Dolmetschern zu einer von ihren Hauptaufgaben zu machen und beide Berei-
che mit besseren Arbeitsmitteln als bisher auszustatten.
6. Literatur in Auswahl
Cieśla, Michał 1974 Dzieje nauki je˛zyków obcych w zarysie [Abriss der Geschichte des
Fremdsprachenunterrichts]. Warszawa: PWN.
1766 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
1. Einleitung
Deutsch als Fremdsprache ist in Portugal vom Studium der Germanistik nicht zu tren-
nen, das auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken kann ⫺ die ersten germa-
nistischen Lehrstühle wurden schon 1912 an der Universität Coimbra und 1913 an der
Universität Lissabon gegründet. Ab Anfang der 1970er Jahre, mit der Gründung neuer
Universitäten bzw. mit der Erweiterung des bestehenden Angebotes, ist die Zahl der
Universitäten mit germanistischen Studiengängen deutlich gestiegen. 1998 gab es an den
portugiesischen Universitäten zwölf germanistische Fachbereiche mit insgesamt 3.215
StudentInnen (Dreischer 2001: 1524).
In den letzten zehn Jahren haben an den Schulen und Hochschulen zum Teil recht
drastische Umwälzungen stattgefunden, so dass sich eine vollkommen veränderte Land-
schaft im Rahmen schwieriger gewordener institutioneller Bedingungen darstellt. Sie
wird einerseits durch einen merklichen Rückgang der Studentenzahlen, andererseits
durch neue Ausrichtungen in Forschung und Lehre charakterisiert.
Im portugiesischen Schulsystem ist die Lage des Deutschen als Fremdsprache zur Zeit
schwierig: neben der ersten Fremdsprache Englisch müssen die Schüler eine zweite
Fremdsprache lernen, diese ist aber nur von der 7. bis zur 9. Klasse obligatorisch. Die
Wahl einer weiteren, dritten Fremdsprache, die bis zur Schulreform vor 2 Jahren in der
Fachrichtung „Humanwissenschaften“ der Sekundarstufe noch Pflicht war, ist inzwi-
schen nur noch eine Optionsmöglichkeit unter anderen. Das Angebot von Deutsch an
den Schulen geht dementsprechend merklich zurück; dadurch (von dem prononcierten
demographischen Schwund noch verstärkt) wird die Rekrutierungsbasis der Hochschul-
germanistik immer schmaler. Als Folge davon sind sämtliche germanistische Fachberei-
che seit wenigen Jahren dazu übergegangen, auch Bewerber ohne vorherige Deutsch-
kenntnisse anzunehmen, was notwendigerweise schwerwiegende inhaltliche und methodi-
sche Konsequenzen mit sich bringt.
Traditionell erfolgte das germanistische Studium in Portugal im Rahmen von Studien-
gängen, die Deutsch mit einer anderen Sprache (in der Regel Portugiesisch, Französisch
oder, mehrheitlich, Englisch) als gleichwertiges Nebenfach kombinierten und die in erster
Linie auf die Ausbildung von Sprachlehrerinnen und -lehrern ausgerichtet waren. Da die
Nachfrage nach Lehrkräften an den Schulen zur Zeit praktisch nicht vorhanden ist, ist
1768 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
die Zahl der Lehramtsstudierenden in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Die
Hochschulgermanistik orientiert sich dementsprechend weg von der Lehrerausbildung,
da das bestehende Angebot (nach den Bologna-Reformen im Rahmen eigener Masterstu-
diengängen) nur noch wenig wahrgenommen wird (nach den neuesten Schätzungen im
Sommersemester 2009 gibt es derzeit nur ca. 20 Deutschreferendare in Portugal). Im
Zuge der Umstrukturierung im Zusammenhang des Bologna-Prozesses haben die germa-
nistischen Fachbereiche aktiv an einer Curriculums-Reform teilgenommen, welche, von
der Definierung von Schlüsselkompetenzen und einer in der Regel flexibleren Auffassung
der Gestaltung der Studienpläne ausgehend, darauf hinauslief, neue Möglichkeiten der
Mitwirkung des Faches an einem breiteren Spektrum von Studiengängen zu öffnen. Da-
durch konnte der Rückgang des herkömmlichen germanistischen Angebots einigermaßen
kompensiert werden, freilich meistens um den Preis einer merklichen Reduzierung von
sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Inhalten.
Es gibt zur Zeit in Portugal germanistische Fachbereiche an 11 Universitäten. Im
Sommersemester 2009 beträgt die Gesamtzahl der Studierenden, die an einer Hochschule
einen Studiengang mit germanistischer Komponente (als Haupt- oder Nebenfach) belegt
haben, knapp unter 1.000. Weit weniger als die Hälfte davon hat jene Studienrichtungen
gewählt, die unter verschiedenen Benennungen („Moderne Sprachen“, „Sprachen, Lite-
raturen und Kulturen“, „Europäische Sprachen und Literaturen“) das ganze Spektrum
an sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Inhalten anbieten. Beliebter sind Stu-
diengänge wie „Angewandte Fremdsprachen“, „Sprachen und Management“, „Verlags-
wesen“, die in den Augen der Studentierenden stärker praxisbezogen erscheinen und in
denen die Haupt-Orientierung eher auf die Sprache als auf wissenschaftlich-germanisti-
sche Inhalte erfolgt. Bei anderen Studiengängen wiederum („Internationale Beziehun-
gen“, „Presse und Informationswissenschaft“, „Kommunikationswissenschaft“, „Euro-
pastudien“, „Tourismus und Kulturerbe“) ist Deutsch bloß ein Wahlfach bzw. ein tenden-
ziell wenig gewichtiges Pflichtfach. Darüber hinaus wird eine elementare Ausbildung in
der deutschen Sprache an einigen rechtswissenschaftlichen Fakultäten inzwischen als cur-
riculares Fach vorgesehen.
Besonders hervorzuheben ist das Angebot an Übersetzungsstudiengängen, das an vie-
len Universitäten (als Lizentiatur- oder Masterstudium) weiterhin besteht und in dem
eine Ausbildung in Deutsch als eine der Wahlmöglichkeiten eine wichtige Komponente
darstellt. Zu bemerken ist auch, dass die meisten Universitäten im Rahmen des immer
wichtiger werdenden Bereichs der Fortbildung seit einigen Jahren über Sprachenzentren
mit der Aufgabe der Vermittlung von Fremdsprachen verfügen. Deutsch für Hörer aller
Fakultäten und für ein allgemeines Publikum wird regelmäßig angeboten. Die Gesamt-
zahl der Teilnehmer an diesen so genannten „freien Kursen“ im ganzen Land liegt im
Sommersemester 2009 bei geschätzten 700. Auch im Bereich des E-learning sind verschie-
dene erfolgreiche Versuche nachzuweisen, die sich in der nahen Zukunft voraussichtlich
weiter konsolidieren werden. Die germanistischen Fachbereiche an den Universitäten
haben auf diese Art und Weise als Teil ihrer Orientierung in Richtung neuer Tätigkeitsbe-
reiche die Rolle eines Anbieters von deutschen Sprachkursen, welche traditionell von
Privatschulen wahrgenommen wurde, übernommen, wobei in Lissabon und Porto das
Goethe-Institut der größte Anbieter auf diesem Gebiet überhaupt bleibt.
Auffallend ist das dürftige Angebot im Rahmen des so genannten Bologna- „zweiten
Zyklus“. Da es sich aber um eine verhältnismäßig neue Entwicklung handelt, ist es zu
erwarten, dass in den nächsten Jahren sich einiges in dieser Hinsicht ändern wird.
218. Deutsch in Portugal 1769
Zusammenfassend kann behauptet werden, dass die institutionelle Stellung der Ger-
manistik als Hochschulfach vor allem in den letzten fünf Jahren eindeutig an Relevanz
verloren hat. Andererseits bleibt ihr eigenständiger Beitrag im Rahmen der verstärkten
Zusammenarbeit mit anderen Fächern und Wissensbereichen in Lehre und Forschung
unverzichtbar und wird als solcher auch anerkannt, zumal die Nachfrage nach der deut-
schen Sprache unvermindert anhält. Somit birgt die gegenwärtige Krise durchaus auch
Chancen, die von den verschiedenen Universitäten nach Möglichkeit wahrgenommen
werden.
Der Aufschwung an den portugiesischen Hochschulen in den 1970er und 1980er Jahren
hat zu einschneidenden quantitativen und qualitativen Veränderungen auch in der ger-
manistischen Forschungslandschaft geführt, was sich in zahlreichen Dissertationen und
überhaupt im deutlichen Anwachsen der Publikationen, aber auch in einer Vielzahl von
Initiativen ausdrückte. Die Internationalisierung des Faches wurde konsequent angetrie-
ben und bleibt bis zum heutigen Tag ein wichtiges Merkmal.
1984 wurde die Zeitschrift Runa ⫺ Revista Portuguesa de Estudos Germanı́sticos auf
Grund der Zusammenarbeit der meisten germanistischen Fachbereiche als Organ der
portugiesischen Germanistik gegründet. Das halbjährliche Erscheinen der Zeitschrift
musste im Jahre 2002 eingestellt werden, nachdem insgesamt 29 zum Teil umfangreiche
Hefte erschienen waren, die einen guten, wenn auch bei weitem nicht allumfassenden
Einblick in den jeweiligen Stand der germanistischen Forschung im Land vermitteln; in
dieser Hinsicht hervorzuheben sind die Hefte 25 und 26, die den ersten Internationalen
Kongress des Portugiesischen Germanistenverbandes 1996 in Coimbra auf fast 1000 Sei-
ten dokumentieren. Das erste Heft einer Nachfolgepublikation, wiederum unter Beteili-
gung sämtlicher germanistischen Fachbereiche, wird voraussichtlich im September 2009
erscheinen.
Der Portugiesische Germanistenverband (Associação Portuguesa de Estudos Germa-
nı́sticos ⫺ APEG) hat im Jahre 1993 die Arbeit aufgenommen und bleibt bis zum heuti-
gen Tag ein wichtiger Ort des Dialogs und des Zusammenschlusses. Der Verband organi-
siert unter anderem regelmäßig wissenschaftliche Treffen, z. B. 2008 die Tagung „Kultur-
bau: Aufräumen, Ausräumen und Einräumen” in Lissabon.
Außer APEG sind andere Verbände in dem Bereich des Deutschen als Fremdsprache
auch aktiv. Erwähnt sei insbesondere der Portugiesische Deutschlehrerverband (Associa-
ção Portuguesa de Professores de Alemão ⫺ APPA), der vor allem die Deutschlehrer an
den Schulen organisiert. Auch in anderen Fremdsprachen-Verbänden ist Deutsch prä-
sent. Die Deutschlektoren an den Hochschulen betreiben seit 2003 die Arbeitsgruppe
GLAUP (Grupo dos Leitores de Alemão nas Universidades Portuguesas), die die Lage
des Deutschunterrichts regelmäßig verfolgt und aktiv Analysen und Materialien zur Re-
flexion beisteuert.
Die germanistische Forschung in Portugal ist recht breit gefächert und umfasst neben
der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft auch die Fachdidaktik und die Überset-
zungswissenschaft. Die komparatistische Ausrichtung ist aus verständlichen Gründen ein
wichtiges, bei weitem aber nicht ausschließliches Merkmal. Institutionell ist die For-
1770 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
4. Schlussbemerkung
Wie schon erwähnt leidet Deutsch als Fremdsprache in Portugal seit Jahren unter einer
verfehlten Sprachenpolitik, welche, anstatt auf eine bewusste Förderung von Mehrspra-
chigkeit auf breiter Grundlage zu setzen, eher restriktiv verfährt. Die Zukunft wird von
einem neuen Kurs in dieser Hinsicht sehr stark abhängen, auf den die verantwortlichen
Lehrinstitutionen seit langem drängen. Auf der wissenschaftlichen Ebene bleibt eine so-
lide Grundlage bestehen, die aber von dem Fehlen an Nachwuchs im Zuge rückläufiger
Studentenzahlen in absehbarer Zeit ernsthaft bedroht werden kann.
5. Literatur in Auswahl
Delille, Karl Heinz et al. (Hg.)
2006 A lı́ngua alemã: situação e perspectivas. Coimbra: CIEG.
Delille, Maria Manuela Gouveia
1998 Germanistik in Portugal. Aktuelle Situation und Perspektiven. In: DAAD (Hg.), Germa-
nistentreffen Deutschland ⫺ Spanien ⫺ Portugal. Tagungsbeiträge, 17⫺32. Bonn: DAAD.
Dreischer, Anita
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Portugal. In: Gerhard Helbig et al. (Hg.),
Deutsch als Fremdsprache: ein internationales Handbuch, 1523⫺1528. Band 2. (Handbü-
cher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: Walter
de Gruyter.
Hanenberg, Peter
1997 Germanistik in Portugal. In: Dietrich Briesemeister und Axel Schönberger (Hg.), Portugal
heute. Politik. Wirtschaft. Kultur, 847⫺855. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag.
1. Rumäniendeutsch
Rumäniendeutsch „steht in erster Linie für die relativ einheitliche, vor allem als Schrift-,
Unterrichts- und Kirchensprache gebrauchte Standardvarietät, die ⫺ trotz ihrer Ausrich-
tung an der in Deutschland gebrauchten Standardsprache ⫺ ihre Eigenheiten auf bei-
nahe allen Ebenen aufweist“; sie wird als „regionale Standardvarietät“ mit geschriebenen
und gesprochenen Varianten beschrieben (Bottesch 2008: 349). Dazu gehören heute
außer den von L1-Sprechern gebrauchten Varietäten auch das Deutsch zahlreicher Spre-
cher mit rumänischer und ungarischer Erstsprache, die an Schulen mit deutscher Unter-
richtssprache lernen sowie die in den Siedlungsgebieten der Rumäniendeutschen (Sieben-
bürgen, Banat, Sathmarer Gegend, Oberwischau, Bukowina) gebrauchten, gruppenin-
tern differenzierten Dialekte, die nach 1990 wegen der verstärkten Aussiedlung ihrer
Sprecher nach Deutschland stark zurückgehen. (Bottesch 2008: 349, 351⫺352). Bei der
Volkszählung 2002 haben knapp 60.000 Personen angegeben, der deutschen Minderheit
anzugehören, und davon etwa 45.000, Deutsch als Muttersprache zu haben. Heute wird
von einer „Sprachgemeinschaft in Auflösung“ gesprochen. Das jahrhundertelange Ne-
beneinander wird zu einem Miteinander der Sprachgruppen, demographische und soziale
Veränderungen wirken sich auf den Sprachgebrauch und das Bewusstsein der Sprecher
aus (Bottesch 2008: 366⫺367). Die Zukunft des Rumäniendeutschen hängt mit der Prä-
senz der deutschen Minderheit zusammen. Sprachfördernde und -pflegerische Bemühun-
gen sind vor allem wegen Mangel an muttersprachlichen Lehrern im Deutsch- und Fach-
unterricht zunehmend auf den familiären und kirchlichen Bereich reduziert (Bottesch
2008: 384).
2. Deutsch im Unterricht
In Rumänien ist allen Minderheiten der Unterricht in der Muttersprache verfassungs-
rechtlich gesichert. So gibt es Kindergärten und Schulen aller Stufen in deutscher Spra-
che. Die Kennzeichnung dieses Unterrichts als Deutsch-als-Muttersprache-Unterricht ist
nach 1990 eher unzutreffend, da 90 % der Schüler dieser Klassen Rumänisch als Mutter-
sprache haben (Bottesch 2008: 347). Die Abiturienten der deutschsprachigen Lyzeen er-
halten vom Ministerium für Bildung und Forschung das „Kompetenzzertifikat für die
deutsche Sprache” und von Deutschland das Deutsche Sprachdiplom I/II. Dem Mangel
an muttersprachlichen Lehrern wird vom deutschsprachigen Ausland über Lehrerentsen-
1772 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
3. Germanistik
Das Studium verläuft nach Bolognavorgaben (Gesetz 288/2004). Die rumänische Germa-
nistik verharrt in einem philologischen Konzept und ist eher umfassend berufsvorberei-
tend als gezielt berufsbildend. Das Rahmencurriculum sieht obligatorische Vorlesungen
zur Sprachwissenschaft (Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, deutsche
Sprachgeschichte, vergleichende Sprachwissenschaft) und zur Literaturwissenschaft vor.
Die Literatur wird teils in ihrem geschichtlichen Werden, teils nach Gattungen darge-
stellt. Es gibt außerdem obligatorische Vorlesungen und Seminare zur deutschen Landes-
kunde und einige Wahlvorlesungen zu spezielleren linguistischen, literarischen und kultu-
rellen Themen. Parallel zu diesen theoretisierenden Veranstaltungen gibt es das Seminar-
bündel „Sprachpraxis“ zur Verbesserung der Sprachkompetenz in allen Fertigkeiten.
Im Allgemeinen sind die Deutschkenntnisse der Germanstikstudenten im Rückgang,
verglichen mit den Jahren vor 1990, als die meisten Studierenden hauptsächlich L1-Spre-
cher oder in deutschen Schulen gelernte L2-Sprecher waren und als der Unterricht aus-
schließlich in deutscher Sprache erfolgen konnte. Das Curriculum sieht für das Haupt-
fach Deutsch B1/B2 als Ausgangsniveau, C1 als Zielniveau vor. Im Nebenfach Deutsch
sind die Ansprüche auf A1/A2 bzw. B2 tiefer gestellt. Die Zulassung zum Studium und
die spätere Differenzierung in Arbeitsgruppen erfolgt meist aufgrund einer schriftlichen
Sprachprüfung.
Die Germanistik muss sich auf dem Arbeitsmarkt der Konkurrenz der an den Fremd-
sprachenfakultäten neu gegründeten berufsorientierten Abteilungen für Dolmetscher,
Übersetzer, Journalisten stellen. In diesem Wettlauf ist es allerdings die Germanistik
allein, die Deutschlehrer ausbilden darf (Stănescu 2006).
219. Deutsch in Rumänien 1773
6. Literatur in Auswahl
Bottesch, Johanna
2008 Rumänien. In: Ludwig M. Eichinger, Albrecht Plewia und Claudia Maria Riehl (Hg.),
Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa, 329⫺392. Tübin-
gen: Narr.
Gesetz 288
2004 Organizarea ı̂nvăţământului superior [Organisierung der akademischen Studien]. In: Mo-
nitorul Oficial, Partea I nr. 614, 07. 07. 2004.
Koch, Marianne
2008 Grammatik im rumänischen DaF-Unterricht. Standort des Sprachvergleichs. In: Spe-
ranta Stănescu und Ulrich Engel (Hg.), Sprachvergleich ⫺ Kulturvergleich. Quo vadis
KGdr? 259⫺273. München: iudicium.
Stănescu Speranţa
2006 Die rumänische Germanistik und der Bologna-Prozess. In: Hochschulrektorenkonferenz
(Hg.), Germanistik im Europäischen Hochschulraum. Studienstruktur, Qualitätssicherung
und Internationalisierung, 32⫺52. Beiträge zur Hochschulpolitik 6/2006. HRK Service-
Stelle Bologna.
UG
1995 Legea ı̂nvăţământului [Unterrichtsgesetz] nr. 84/1995. In: Monitorul oficial, Partea I, VII/
167, 31. 07. 1995.
UG
2008 OMECT nr. 6319/19. 12. 2008. [Verordnung des Ministers für Bildung und Forschung
zur Änderung und Ergänzung des UG 1995 die Anerkennung von ECTS für Fort- und
Weiterbildungsaktivitäten betreffend].
Das nachhaltige Interesse an DaF in Russland blickt auf eine alte Tradition zurück, die
schon im 15. Jh. mit den Handelsbeziehungen begann und sich im 18. Jh. verstärkte, als
Katharina II. deutsche Bauern (vor allem aus dem Süden Deutschlands) nach Russland
rief. Sie sollten das fruchtbare brachliegende Land nutzbar machen und damit die Agrar-
wirtschaft im Süden Russlands verbessern.
1924 entstand die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen mit
der Hauptstadt Engels, deren Einwohner aber nach Deutschlands Überfall auf die Sow-
jetunion 1941 nach Sibirien, Kasachstan und in den Ural deportiert wurden ⫺ unter
dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Nazi-Deutschland.
Heute wird unter dem Begriff „Russlanddeutsche“ (RD) (russ. роики
ц
rossijskije nemci) vor allem die ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheit in
Russland verstanden, aber auch die deutschstämmigen Einwohner der anderen ehemali-
gen Sowjetrepubliken. Zur Zeit leben 842.300 Russlanddeutsche in Russland. 41,8 % von
ihnen nennen Deutsch ihre Mutersprache, 58 %. Russisch. Prozentual gesehen machen
Deutsche rund 0,41 % der Gesamtbevölkerung Russlands aus. In Sibirien leben proporti-
onal mehr Deutsche als in anderen Regionen.
Es gab zwei Ausreisewellen von Russlanddeutschen nach Deutschland: 1) Ende der
1960er Jahre nach dem Abkommen Willy Brands mit der Sowjetunion über die Heimbe-
rechtigung und Aussiedlerbestimmungen; 2) in den 1980er Jahren nach der Selbstauflö-
sung der Sowjetunion. Seit Ende der 1990er Jahre nimmt die Anzahl der Aussiedler von
Jahr zu Jahr ab (was auch die Statistiken des Deutsch-Russischen Hauses Moskau bestä-
tigen).
und weiterzuentwickeln sowie einen Beitrag dazu leisten, dass sie als eigenverantwortli-
che Bürger ihres Staates an dessen Aufbau mitwirken und gleichzeitig aktiv an den Bin-
dungen zu Deutschland teilhaben, d. h. eine Brückenfunktion zwischen Deutschland und
Russland erfüllen können. Bessere Lebens- und Zukunftsperspektiven sollen somit auch
eine Alternative zur Emigration bieten. Diese Arbeit ist ein Teil des „Programms für
nationale Minderheiten“ und wird von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
(GTZ) realisiert. Die Koordinationstätigkeit wird von der autonomen nichtkommerziel-
len Organisation „ANO Breitenarbeit“ sowie von weiteren Tochtergesellschaften der
GTZ in Halbstadt (Nationalkreis im Altai), Kaliningrad, Nowosibirsk und Saratow
übernommen.
1998 wurde im Rahmen des soziokulturellen Programms „Breitenarbeit“ das Projekt
„Hallo Nachbarn“ gestartet ⫺ ein Grundkurs Deutsch für Erwachsene, der zum Niveau
A1.2⫺A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) führt. Ein bedeuten-
der Teil der Kursteilnehmer sind Russlanddeutsche, denn obwohl 41,8 % von ihnen
Deutsch als ihre Muttersprache bezeichnen, ist das meistens eine stark dialektal gefärbte
Sprache in der veralteten Form, in der sie die ältere Generation spricht. Deshalb lernen
auch Russlanddeutsche Deutsch als eine Fremdsprache (DaF), v. a. mit dem Schwer-
punkt auf Kulturpragmatischem. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Inte-
gration der Aussiedler in ihrer neuen deutschen Heimat, wo sie dann DaZ lernen werden,
das zum täglichen Gebrauch notwendig ist. Deshalb bildet die Analyse von Wünschen,
Bedürfnissen und Lebenserfahrungen der ehemaligen Russlanddeutschen die Grundlage
für das Lehrwerk „Hallo Nachbarn Neu!“.
Die Arbeit der Sprachbüros in den anderen Städten Russlands koordiniert das Sprach-
Didaktische Zentrum an der Petri-Kirche in St. Petersburg, das auch regelmäßig Lehrer-
seminare für Multiplikatoren des Projekts organisiert.
2001 wurde in Lind bei der offiziellen Eröffnung des Europäischen Jahres der Sprachen
die russische Version des GER vorgelegt, die an der Moskauer Staatlichen Linguistischen
Universität übersetzt wurde. Als Vorbereitung darauf wurde 1998⫺2001 das Projekt
„Sprachportfolio Russlands“ erfolgreich durchgeführt.
Der im GER gewählte handlungsorientierte Ansatz, der die Entwicklung kommuni-
kativer Kompetenz als Zusammenwirken von linguistischen, soziolinguistischen und
pragmatischen Kompetenzen voraussetzt, wird sowohl im schulischen als auch im uni-
versitären DaF-Unterricht realisiert, nach Niveaustufen differenziert, was in den Modu-
len zum Ausdruck kommt ⫺ in der Organisationsstruktur von Lernzielen, Lehrinhalten
und Kriterien. Die linguistische Komponente der kommunikativen Kompetenz ist auf
den funktionalen Sprachgebrauch orientiert und nicht auf die Rolle der sprachlichen
Einheit bzw. Erscheinung im Sprachsystem. Letzteres (wie auch die Sprachkompetenz in
verschiedenen kommunikativen Bereichen) wird von Germanistikstudenten verlangt,
nicht aber von Studierenden anderer Fachbereiche.
Insgesamt beläuft sich die Zahl der DaF-Lerner in Russland auf ungefähr 4,7 Mio.
DaF wird heute in allgemeinbildenden Schulen, Schulen mit erweitertem Deutschunter-
richt, Gymnasien, Lyzeen, an Universitäten und Hochschulen unterrichtet.
Für den DaF-Unterricht in diesem Bereich liegen beim Russischen Ministerium für Bil-
dung und Wissenschaft folgende Statistiken vor:
Tabelle 2 ist durch folgende Informationen zu ergänzen: 1. Bezogen auf alle Fremdspra-
chenlerner in Russland lernen DaF 15,3 %, davon 54 % in den Städten und 46 % auf dem
Lande; 2. Deutsch als zweite Fremdsprache lernen 34,5 % aller Schüler (vgl. Franzö-
sisch ⫺ 26 %); 3. geographische Verteilung von DaF (Russland besteht aus 85 Föderati-
onssubjekten) am Beispiel von: Zentrum 16 %, Wolga-Gebiet 16,5 %, Sibirien 18,3 %.
Für Schulen mit erweitertem DaF-Unterricht, Gymnasien und Lyzeen gibt es Lehr-
werke für Fortgeschrittene (bestehend aus Lehrbüchern, Arbeitsheften, Lehrerhandbü-
chern, CDs und Videos). Speziell für geisteswissenschaftliche Gymnasien und Lyzeen ist
auch eine Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft (Drozdova 2001) herausgege-
ben worden, in der die Stellung der deutschen und anderer germanischer Sprachen in
einer für die Schüler zugänglichen Form erklärt ist.
In den philologischen Fakultäten sinkt die Zahl der Immatrikulierten, die eine Aufnah-
meprüfung in DaF bestanden haben, um weiter Germanistik zu studieren. Es werden
zusätzliche Anfängergruppen für die Studenten organisiert, die Prüfungen in anderen
Sprachen abgelegt haben. In nicht-philologischen Fakultäten lässt sich seit den 1990er
Jahren folgende Tendenz beobachten: Studenten bilden auf eigene Initiative Gruppen, in
denen sie Deutsch als Wahlsprache lernen (Pflichtsprache ist meistens Englisch). Diese
Wahl ist durch die Realitäten des Berufslebens bedingt.
Über genaue Statistiken für den DaF-Unterricht an den Universitäten und Hochschu-
len verfügt das Ministerium für Bildung und Wissenschaft aber nicht, weil diese Bildungs-
einrichtungen nicht nur dem genannten Ministerium unterstehen, sondern auch anderen
Ministerien für spezielle Bereiche (z. B. dem Ministerium für Justiz, für Gesundheits- und
Sozialwesen, dem Verteidigungsministerium etc.).
Obwohl die Zahl der Deutschlernenden und -studierenden abnimmt, sehen sich viele
Menschen später im persönlichen und beruflichen Leben mit Situationen (Ausreise, Stu-
dium in Deutschland, Karriere) konfrontiert, zu deren Bewältigung sie Deutschkennt-
nisse brauchen. Der DaF-Unterricht in der Erwachsenenbildung wird dann mithilfe al-
ternativer Möglichkeiten realisiert ⫺ in Deutschkursen und im privaten Einzelunterricht.
Den Informationen des Goethe-Instituts in Moskau zufolge bleibt die Zahl der Inte-
ressenten und Kursabsolventen stabil hoch, besonders für die Grundstufe, was aus den
Tabellen 3 und 4 ersichtlich ist:
Die Träger des DaF-Unterrichts in den Schulen, Gymnasien, Lyzeen und Deutschkursen
sind überwiegend russische Germanisten, die Germanistik an den Universitäten und
Fremdsprachenhochschulen in Russland studiert haben und anschließend ein Aufbaustu-
dium oder Praktika in Deutschland absolvierten. Sie fahren auch regelmäßig als Teilneh-
mer von Austauschprogrammen in deutschsprachige Länder.
An den Universitäten und Fremdsprachenhochschulen unterrichten sowohl russische
Professoren, Dozenten und Lektoren als auch Gastdozenten, -lektoren und Sprachassis-
tenten. Zur Zeit (Stand November 2008) unterrichten in Russland 3 DAAD-Dozenten
(2 in Moskau, 1 in St.Petersburg), 29 DAAD-Lektoren (davon 7 in Moskau, 4 in St. Pe-
tersburg), 6 DAAD-Sprachassistenten (davon 1 in Moskau).
Die Schwerpunkte in der DaF-Lehrerausbildung sind von den Prinzipien des GER ge-
prägt. Das bedeutet: Kenntnisse der Lehrenden über soziokulturelle Hintergründe sollen
vertieft, ihre Fähigkeiten, diese zu vermitteln, entwickelt, ihre Fähigkeiten, individuali-
siertes Lernen, Partner- und Gruppenarbeit zu organisieren, entwickelt werden.
Diesen Prinzipien entsprechend gehören folgende, didaktisch wichtigste Inhalte zur
DaF-Lehrerausbildung: 1. Ansätze der interkulturellen Didaktik, durch deren Anwen-
dung die interkulturelle Kompetenz der Lernenden gefördert wird „einschließlich Relati-
vierung von ethnozentrischen Sichtweisen sowie Abbau von Vorurteilen“ (Donec 2002:
73); 2. kognitive Methodik, die darauf gerichtet ist, „bei den Lernenden kognitive Struk-
turen herauszubilden, die nicht nur sprachliche Kenntnisse umfassen, sondern auch
enzyklopädische, und bei diesen letzten vor allem Kenntnisse über die nationalen und
folglich mentalen Besonderheiten der Zielkultur“ (Trochina 2002: 65); 3. reflexiv-kom-
munikativer (bzw. lernerorientierter) Ansatz, der auf die Entwicklung persönlichkeitsbe-
zogener Kompetenz gerichtet ist als „Summe der individuellen Eigenschaften, der Per-
sönlichkeitsmerkmale und Einstellungen“ (GER; Kamenskaja 2008); 4. kommunikativer
Ansatz zur Entwicklung linguistischer Kompetenz, besonders aktuell sind Probleme der
Interferenzbeseitigung auf allen Sprachebenen, der Sensibilisierung von Lernern für die
funktionale und soziokulturelle Variativität der Sprachverwendung (Jakovleva 2008).
1780 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
7. Literatur in Auswahl
Alekseeva, Irina S.
2006 Vvedenije v perevodovedenije. [Einführung in die Übersetzungswissenschaft]. Moskva:
Academia.
Bykova, Olga I.
2005 Etnokonnotacija kak vid kul’turnoj konnotacii. [Ethnische Konnotation als kultureller
Konnotationstyp]. Voronež: Voronež. gos.univ.
Dobrovol’skij, Dmitij (Hg.)
2008 Novyj bol’šoj nemecko-russkij slovar‘ v trjoh tomah. [Neuses deutsch⫺russisches Großwör-
terbuch in drei Bänden], Band 1. Moskva: AST-Astrel.
Donec, Pavel N.
2002 Grundzüge einer allgemeinen Theorie der interkulturellen Kommunikation. Aachen: Shaker.
Drozdova, Olga J.
2001 Uroki jazykoznanija dlja škol’nikov [Sprachwissenschaft für Schüler]. Moskva: Vlados.
Jakovleva, Emma B.
2008 Jayzk kak predmet opisanija i prepodavanija [Sprache als Gegenstand der Beschreibung
und Lehre]. In: Jazyk. Kul’tura. Obščenije. [Sprache. Kultur. Kommunikation], 362⫺372.
Moskva: Gnozis.
Kamenskaja, Natalja V.
2008 Problemy formirovanija samokontrolja i samoocenki pri obučenii inostrannym jazykam
v nejazykovom vuze. [Probleme der Bildung von Selbstkontrolle und Selbsteinschätzung
221. Deutsch in Schweden 1781
Spanisch als zweite oder dritte Fremdsprache angeboten. Obwohl Englisch inzwischen
in der schwed. Gesellschaft als lingua franca anerkannt und praktiziert wird, kommt dem
Deutschen aufgrund der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder
große Bedeutung zu: Deutschland gilt als wichtigster Handelspartner Schwedens. Auch
nimmt die Zahl von Tochtergesellschaften und Neuetablierungen deutscher Unternehmen
in Schweden und umgekehrt kontinuierlich zu (vgl. Breckle 2005).
(2005) betreiben 2004 nur noch 12 von 17 Hochschulen Deutschausbildung auf höherem
Niveau (C- oder D-Kurs). Mittlerweile haben mehrere Hochschulen, darunter die Uni-
versität Karlstad, ihre Ausbildungen völlig eingestellt. Besonders alarmierend ist jedoch
die sinkende sprachliche Kompetenz von AbiturientInnen, die von den Hochschulen nur
mit Sondereinsätzen oder Abstrichen in den Anforderungen an die StudentInnen kom-
pensiert werden kann. Dass gerade die Lehrerausbildung durch eine stärkere pädagogi-
sche und didaktische Gewichtung umfassende Kürzungen in der Sprachausbildung erfah-
ren hat, wird als besonders bedenklich gesehen (Högskoleverket 2005: 9; Enkvist 2005).
Universitäten und Hochschulen bieten inzwischen praxisbezogene Kurse und Anfän-
gerkurse an oder knüpfen Deutschkurse an andere Fachrichtungen (z. B. Jura) an, um
ein größeres Klientel zu erreichen. Auch durch die Erneuerung von Ausbildungsinhalten
und -methoden, mit Austauschprogrammen (ERASMUS) oder der Verlegung eines Teils
des Studiums ins deutschsprachige Ausland wird versucht, das Studium attraktiver zu
machen.
Mittlerweile hat der Staat die ersten Weichen gestellt, um die Stellung der modernen
Sprachen zu stärken. Ab 2007 werden im Abiturzeugnis für Kurse bis zum Niveau Steg
2 in der dritten und ab Steg 3 in der zweiten Fremdsprache Bonuspunkte vergeben, die
den Notenschnitt erhöhen. Für das Jahr 2011 ist außerdem eine umfassende Schulreform
geplant, die den modernen Sprachen innerhalb der theoretischen gymnasialen Pro-
gramme einen höheren Stellenwert einräumt.
Die Ausbildungsinhalte der Universität Göteborg werden hier stellvertretend für andere
Institutionen angeführt: Auf dem Grundniveau (A, B) werden in der Sprachwissenschaft
aus einer kontrastiven Perspektive Wortschatz, Morphologie und Syntax sowohl in der
Theorie als auch in der Praxis fundiert. Darüber hinaus gibt das Studium Einblicke in
die Sprachgeschichte. Auf höherem Niveau (C, D) werden linguistische Theorien und
Modelle vorgestellt und in einzelnen Bereichen (Semantik, Pragmatik) vertieft. Im Litera-
turstudium liegt der Fokus auf moderner Literatur (nach 1945) und der Rezeption von
Werken aus verschiedenen literarischen Epochen. Auf höherem Niveau stehen Literatur-
theorie, Literaturästhetik und Literaturgeschichte im Vordergrund. Aus einer kontras-
tiven Perspektive werden außerdem Einblicke in Geschichte, Kultur und Gesellschaft der
deutschsprachigen Länder gegeben. Inhalte in der Sprachdidaktik sind Unterrichtstradi-
tionen, Spracherwerbsforschung und lehr- und lerntheoretische Fragestellungen (vgl.
Tornberg 2009).
Laut Bericht der Hochschulbehörde (Högskolverket 2005) sind im Jahr 2004 an den
zwölf erfassten Institutionen ca. 80 Lehrende beschäftigt gewesen. Von ihnen hat etwa
die Hälfte promoviert und vertritt die Fachrichtungen Sprachwissenschaft (29) und Lite-
raturwissenschaft (17). Bei insgesamt dreizehn Professoren, 7 Dozenten, 21 Lektoren, 3
Forschungsassistenten, einer Postdoc-Stelle und 57 Doktoranden (32 in Sprachwissen-
schaft, 22 in Literaturwissenschaft und 3 in Didaktik) werden wissenschaftliche Kompe-
tenz und Ausbildungsqualität im Fach Germanistik als hoch bewertet.
222. Deutsch in Senegal 1785
Auf längere Sicht könnte sich dies jedoch ändern, denn im Jahr 2003 war die Mehr-
zahl der StudentInnen (636/1061) im A-Kurs registriert, was mit entsprechend niedrigen
Zahlen in Kursen auf höherem Niveau (B, C und D) korreliert und selbst bei den großen
Universitäten Uppsala (88/180), Stockholm (103/203), Göteborg (116/158) und Lund (74/
119) zu einer verhältnismäßig niedrigen Teilnahme in diesen Kursen geführt hat.
8. Literatur in Auswahl
Breckle, Margit
2005 Deutsch-schwedische Wirtschaftskommunikation. Werkstattreihe Deutsch als Fremdspra-
che. Frankfurt a. M.: Lang.
Enkvist, Inger
2005 Trängd mellan politik och pedagogik. Svensk språkutbildning efter 1990. Hedemora: Ged-
lunds förlag.
Högskoleverket
2005 Utvärdering av grund- och forskarutbildning i tyska vid svenska universitet och högskolor.
Stockholm: Högskoleverket.
Skolverket
2000 Språk: kursplaner, betygskriterier och kommentarer. 2000: 18. Stockholm: Fritzes.
Skolverket
2001 Språkboken, en antologi om språkundervisning och språkinlärning. Stockholm: Skolverket.
Thorsson, Staffan, Marianne Molander Beyer, Sigrid Dentler
2003 Språklig enfald eller mångfald …? En studie av gymnasieelevers och språklärares uppfatt-
ningar om elevers val av moderna språk. Göteborg: UFL-rapport Göteborgs universitet
2003: 06.
Utbildningsdepartementet
1998 Läroplan för det obligatoriska skolväsendet, förskoleklassen och fritidshemmet, Lpo 94.
Utbildningsdepartementet
2000 Läroplan för de frivilliga skolformerna, Lpf 94.
Tornberg, Ulrika
2009 Språkdidaktik. Malmö: Gleerups.
Die Vermittlung der deutschen Sprache in Senegal geht auf die Kolonialzeit ⫺ 1922 ⫺
zurück und wurde bis 1967 von Franzosen bestimmt. Nach dem Kulturabkommen von
1786 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
1969 zwischen der BRD und Senegal wurde Deutsch ab 1972 ⫺ neben Englisch ⫺ auch
als erste Fremdsprache angeboten. Seit 1992 wird das Fach, außer an der Kadetten-
schule, nur noch als zweite Fremdsprache angeboten. Dies hat jedoch keine Auswir-
kungen auf die Attraktivität des Faches, wie die wachsende Zahl der DeutschlernerInnen
und Germanistikstudierenden zeigt: zwischen 1998 und 2001/02 ein Anstieg von 9.100
auf 9.500 bzw. von 200 auf 285 zwischen 1998 und 2007/08 bei den Studierenden (Aus-
kunft Universität Dakar).
hauptsächlich von Autoren aus neun so genannten frankophonen Ländern West- und
Zentralafrikas entwickelte Lehrwerk Ihr und Wir (Boly et al. 1992⫺95) eingeführt. Dieses
Lehrwerk zeichnet sich durch eine dezidierte Schülerorientierung und einen interkulturel-
len Ansatz aus.
Auf akademischer Ebene ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: Während das
Lehrangebot in den ersten beiden Jahrzehnten so gut wie keinen Bezug zur Lebenswelt
der Studierenden aufwies, hat sich mittlerweile eine stärkere Berücksichtigung des afrika-
nischen Kontextes durchgesetzt. Diese Hinwendung zum Eigenen äußert sich im deutlich
größeren Interesse für interkulturelle Fragestellungen seit Mitte der 1990er Jahre.
Zu den Problemen der Fächer DaF und Germanistik in Senegal gehören die in ver-
gleichbaren Ländern üblichen Einschränkungen durch mangelnde Mittel für die Ausstat-
tung und Unterrichtsgestaltung. Ein weiteres Problem ist die sehr begrenzte Möglichkeit
zur Verbesserung der Sprechfertigkeit ⫺ auch für Lehrer, die selten deutschsprachige
Länder besuchen können. Hinzu kommt, dass die Aufnahme in der ENS keine Garantie
mehr für eine Einstellung im öffentlichen Dienst ist. Da der Lehrerberuf die Hauptper-
spektive ist, steigert die drohende Arbeitslosigkeit die Attraktivität des Faches nicht.
Gewichtiger als die strukturellen Probleme ist jedoch ein konzeptionelles Defizit, das
die positiven Entwicklungen untergräbt. Auf schulischer Ebene ist die Unterrichtsgestal-
tung durch das Lehrwerk bestimmt, das z. T. gravierende Unzulänglichkeiten aufweist:
Das betrifft nicht nur die idealisierende Darstellung der Zielgesellschaft, sondern vor
allem die verfälschende Darstellung der Tragödie in Rwanda (Boly et al. 1995, IV: 48)
und die rassistischen Klischees des „kriegslustigen“ Afrikaners (Boly et al. 1995, IV:
115⫺116), um nur diese Beispiele zu nennen.
Auch auf Hochschulebene fehlt ⫺ trotz der seit den 1980er Jahren geführten Diskus-
sion über die gesellschaftspolitische Legitimation des Faches (vgl. Sow 1986) ⫺ immer
noch eine Definition von didaktischen Prinzipien, die den akademischen Deutschunter-
richt zu einem Ort interkultureller Begegnung und nicht der Festigung der Nord-Süd-
Asymmetrie (vgl. Diallo 2006) machen könnten. Ein signifikantes Beispiel für dieses Ver-
säumnis ist das unzulängliche Verständnis von Interkulturalität, das sich in der Be-
schränkung der Fragestellungen auf Kurse im kulturwissenschaftlichen Bereich offen-
bart: Auf diese Weise verfehlen die neuen Akzente nicht nur den Hauptteil des Studien-
ganges, den Literaturunterricht, sondern auch die Linguistik- und Übersetzungskurse.
So wie die Literatur sich als Reflexionsmedium eignet und die entsprechende Behandlung
gesellschaftskritischer und interkulturell relevanter Werke zur erforderlichen Auseinan-
dersetzung mit Entwicklungsprozessen und (welt-)gesellschaftlichen Zusammenhängen
beitragen würde, so könnte der konkrete Bezug zu den lokalen Sprachen die notwendige
Aufwertung der dominierten Kulturen fördern und das interkulturelle Bewusstsein schär-
fen, das auf eine herrschaftsfreie Kommunikation abzielt.
Am deutlichsten wird dieses grundlegende Problem der unzureichenden Integration
des Eigenen in der Lehrerausbildung, die eine dezidierte Förderung der kulturellen
Selbstbehauptung verfolgen soll (vgl. Livret Guide o. J.: 13). Bezeichnend ist die Kritik
des Leiters der Deutschabteilung an der mangelnden Berücksichtigung der Bedürfnisse
in der Ausgangsgesellschaft (vgl. Diop 2000: 119). Vor diesem Hintergrund ist es nicht
verwunderlich, dass die Lehrenden in Bezug auf die Akzentuierung im Unterricht den
emanzipativen Erwartungen an eine interkulturell ausgerichtete Fremdsprachenvermitt-
lung in einer asymmetrischen Konstellation nicht gerecht werden, wie die Ansätze in
der Zeitschrift des Deutschlehrerverbandes verdeutlichen (APASS-Bericht 2000: 14⫺15,
33⫺38).
1788 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Gleichwohl stellt die APASS eine Chance zur Korrektur dar. Dafür spricht nicht nur
ihre Bemühung um regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen und um einen Austausch
mit afrikanischen und deutschen Partnern, sondern auch ihre Eigenschaft als Verband,
in dem nahezu alle Deutschlehrenden organisiert sind, so dass die Entwicklung eines
didaktischen Modells mit der nötigen Akzentuierung auf dieser Struktur aufbauen
könnte.
Eine weitere Chance für die Fächer bieten die Paradigmen der Interkulturalität und
Postkolonialität, die zur konsequenten Perspektivierung der Inhalte beitragen können.
Der anzustrebenden kritisch-emanzipatorischen Kulturvermittlung entspricht das grund-
sätzliche Potential der deutschen Sprache und Kultur in einem Land wie Senegal, dessen
Beziehungen zur Zielgesellschaft nicht kolonial belastet sind wie im Fall der Fran-
kophonie, der der tradierte Anspruch auf kulturelle Dominanz anhaftet. In dieser Hin-
sicht sind die Fächer DaF und Germanistik auch als Beitrag zur Diverzifizierung ange-
sichts der fortschreitenden Expansion des Englischen anzusehen, die den Gedanken der
kulturellen Vielfalt und der herrschaftsfreien Kommunikation widerspricht.
4. Literatur in Auswahl
APASS-Bericht
2000 Dakar (Association des Professeurs d’Allemand du Secondaire au Sénégal).
Boly, Mamoudou et al.
1992⫺1995 Ihr und Wir. 4 Bde. Hamburg: Otto Heinevetter.
Diallo, M. Moustapha
2006 Interkulturalität in einer Nord-Süd-Konstellation. Thesen zu einer Reform in der Germa-
nistik im frankophonen West- und Zentralafrika. In: Leo Kreutzer und David Simo
223. Deutsch in Serbien 1789
1. Die Anänge
In Sremski Karlovci in der nördlichen serbischen Provinz Vojvodina, dem Sitz des ser-
bisch-othodoxen Metropoliten, wurde Deutsch als Schulfach bei den Serben am 1. Okto-
ber 1753 am damaligen Priesterseminar und der allgemein bildenden lateinischen Schule
eingeführt. In Zentralserbien jedoch ließ der Deutschunterricht auf sich warten und
wurde erst mit dem Aufkommen einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung in den siebzi-
ger Jahren des 19. Jahrhunderts in der damaligen serbischen Hauptstadt Kragujevac
(1871) und in den im Süden des Landes gelegenen Städten Niš (1881) und Aleksinac
(1906) eingeführt und war zu Beginn die einzige Fremdsprache im Unterricht (Kostić
1985; Žiletić 1998).
Für Deutsch als Schulfach bestand schon 1830 Anlass, als die beiden österreichischen
Ingenieure Frantz Janke und Baron Frantz Cordon als „offizielle Ingenieure“ beamtet
für das Bauwesen im Fürstentum Serbien eingesetzt wurden. Was immer auch die Bezie-
hungen Serbiens zu Österreich bzw. Deutschland in den letzten zwei Jahrhunderten zu
trüben vermochte, der Anteil von Technik und Technologien aus den beiden deutschspra-
1790 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
chigen Ländern nahm ständig zu, so dass er seit mehr als dreißig Jahren bei etwa 70 %
liegt.
In enger Verbindung mit dem deutschsprachigen Raum, vor allem mit Wien, stehen
auch die Anfänge der serbischen neuzeitlichen Philologie und der Aufschwung der serbi-
schen Kultur. Deutsch hätte ohne den kulturpolitischen Einfluss der Donaumonarchie
im südslawischen Raum bei weitem nicht die heutige Bedeutung.
2. Deutschunterricht in Serbien
Für die folgende Darstellung musste auf Zahlen von 2002 zurückgegriffen werden (vgl.
Glišović 2004), weil das serbische Bildungsministerium aktuelle Zahlen nicht herausgab
bzw. begründete Zweifel an dem veröffentlichten Zahlenmaterial bestehen. 2002 veröf-
fentlichte das serbische Ministerium für Bildung und Sport eine Erhebung über den
Fremdsprachenunterricht in den Grund- und Mittelschulen Serbiens. Vorausgeschickt
sei, dass die Schulausbildung aus einer schulpflichtigen achtjährigen Grundschule mit
einer Fremdsprache ab der dritten Klasse besteht, die zweite Fremdsprache wird ab der
fünften Klasse Grundschule gelehrt. Am Gymnasium sind dann zwei Fremdsprachen
Pflichtfächer, an anderen Mittelschulen ist meist eine Fremdsprache Pflichtfach.
In der achten Klasse Grundschule ist Englisch mit 60,21 %, Russisch mit 22,0 %, Fran-
zösisch mit 9,66 % und am wenigsten Deutsch mit 8,13 % vertreten. Die genannten Werte
gelten für Serbien mit der Provinz Vojvodina, jedoch ohne die Provinz Kosovo und
Metohija. In der nördlichen Vojvodina, die geographisch nicht der Balkanhalbinsel ange-
hört und kulturell mitteleuropäische Kulturzüge trägt, schneidet Deutsch als Unterrichts-
fach günstiger ab: Dort gibt es Englisch in einer Größenordnung von 57,64 %, Russisch
21,0 %, Deutsch 18,33 % und Französisch nur 2,51 %.
Bei der zweiten Fremdsprache in den Grundschulen konnte das Deutsche punkten:
Englisch liegt bei 51, 28 %, Russisch bei 19,23 %, Deutsch knapp mit 14,74 % vor Franzö-
sisch mit 14,71 %. Diese Werte gelten für Serbien mit der Vojvodina. In der Vojvodina
selbst liegen die Werte für Deutsch mit 16,93 % und für Englisch mit 74,69 % höher,
jedoch für Russisch mit 6,73 % und für Französisch mit 1,58 % tiefer.
Wahrscheinlich wegen des Missverhältnisses der einzelnen Fremdsprachen zu den
wirklichen Anforderungen des Alltagslebens verlautbarte das serbische Bildungsministe-
rium Richtlinien für den künftigen Fremdsprachenunterricht. Demnach sollen unter an-
derem zwei Fremdsprachen obligatorisch in der anstehenden neunjährigen Grundausbil-
dung werden. Damit ist allerdings ein leidiges Thema des serbischen Schulsystems ange-
schnitten. Es ist ein teures System, weil es für ein Schulfach an der jeweiligen Schule
jeweils einen Lehrer benötigt. Lehrer für zwei oder mehrere Fächer sind in der Reform
des Schulwesens vorgesehen. Die relativ niedrigen Prozentsätze des Russischen, Französi-
schen und Deutschen sind daher auch sozial bedingt. Da für jedes einzelne Fach jeweils
ein Fachlehrer benötigt wird, reichen die Klassen einer Schule oft nicht aus, das volle
Stundenpensum für eine Fremdsprache abzudecken. Wenn dabei die Zweitschule, wo das
Pensum ergänzt werden kann, entlegen ist, verzichtet auch der arbeitslose Philologe auf
eine Anstellung, was dann ein falsches Bild von Angebot und Interesse für die jeweilige
Fremdsprache liefert. Das noch immer teure sozialistische Vollbeschäftigungsmodell (ein
Lehrer ⫺ ein Fach) wird selbst von den Lehrern aufrechterhalten, die bei kleinen Gehäl-
tern nicht gewillt sind, sich für weitere Schulfächer ausbilden zu lassen.
223. Deutsch in Serbien 1791
und diversen Anregungen zur Förderung des Deutschunterrichts zu leisten, ist und bleibt
der schulische Unterricht einer Fremdsprache beim zur gleichen Zeit vorhandenen wirt-
schaftlichen und kulturellen Bedarf, der in Serbien im Falle des Deutschen durchaus
gewährleistet ist, die wichtigste und sicherste Methode ihrer Verbreitung.
Heißt es in der „Länderkonzeption zur Förderung der deutschen Sprache und der
damit verbundenen Wissenschaftsdisziplinen für die Bundesrepublik Jugoslawien“
(Stand 1998), einer Studie, die von der Deutschen Botschaft, dem Goethe-Institut in
Belgrad und dem DAAD erarbeitet wurde, „Deutsch ist [in Serbien und Montenegro]
keine beliebte Fremdsprache, sie gilt als schwer und wird aus psychologischen und politi-
schen Gründen vom Staat kaum gefördert“, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
Deutsch wird nicht als unbeliebt empfunden. Für mehr als 700.000 jugoslawische Staats-
bürger, die in Deutschland, und 400.000, die in Österreich als Gastarbeiter leben, wurde
Deutsch in der zweiten Generation zur zweiten Muttersprache.
Eine interne, vom serbischen Bildungsministerium 2001 durchgeführte Untersuchung
außerschulischer Fremdspracheninstitute in Serbien umfasste 236 Institute, von denen
nur 28 Deutschkurse anbieten. Genau 57 % dieser Institute verbuchten einen Zuwachs an
Deutschlernenden, 10,7 % halten das Interesse für die deutsche Sprache für rückgängig,
während ein Drittel die Lage als gleich bleibend bewertete.
Der wunde Punkt des serbischen Schulsystems und somit des Deutschen als Schulfach
ist das erwähnte „Ein-Fach-ein-Lehrer-Prinzip“. Erschwert wird eine angestrebte Lehrer-
tätigkeit auch durch die Verordnung, dass man ein Philologiestudium einer Fremdspra-
che, die in serbischen Grund- und Mittelschulen als Schulfach angeboten wird, nur dann
immatrikulieren kann, wenn man die jeweilige Fremdsprache bereits als Schulfach absol-
viert hatte. Damit kommt es zum Engpass für die deutschinteressierten Studienanwärter.
Der richtige und erfolgreiche Weg wäre, die serbischen Bildungsbehörden zu überzeugen,
Haupt- und Mittelschullehrer für mehrere Fächer und Philologen in zumindest zwei
Sprachen auszubilden, damit auch der Deutschunterricht zunimmt. Erst dann ließe sich
der Unterricht flexibler gestalten und die Schüler bekämen in der Tat eine Auswahl an
Fremdsprachen, die ihren Affinitäten und Bedürfnissen entsprechen. Dies jedoch setzt
voraus, dass an den Philologischen Fakultäten in Serbien alle vier „Weltsprachen“ (Eng-
lisch, Deutsch, Französisch und Russisch) als weiterführendes und auch als Beginnerfach
im Angebot stehen.
5. Literatur in Auswahl
Glišović, Dušan
2004 Zukunftschancen der deutschen Sprache in Serbien. In: Dietmar Goltschnigg und Anton
Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und Osteuropa,
351⫺356. Wien: Edition Praesens.
Kostić, Strahinja K.
1975 Wien und die serbische Schule und Literatur am Ende des 18. und zu Anfang des 19.
Jahrhunderts. In: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften 112: 354⫺364.
Kostić, Strahinja K.
1985 Kulturorientierung und Volksschule der Serben in der Donaumonarchie zur Zeit Maria
Theresias. In: Richard Georg Plaschka (Hg.), Österreich im Europa der Aufklärung, Konti-
224. Deutsch in der Slowakei 1793
nuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., 847⫺866. Wien:
Verlag der Akademie der Wissenschaften.
Žiletić Zoran
1998 Deutschlernen und Deutschunterricht in Restjugoslawien. In: Franciszek Grucza (Hg.),
Deutsch und Auslandsgermanistik in Mitteleuropa: Geschichte ⫺ Stand ⫺ Ausblicke, 148⫺
157. Warszawa: Graf-Punkt.
Übergang von der Grundschule auf die jeweilige weiterführende Schule und anderer
Mängel in der Schulpolitik erarbeitete das Staatliche Pädagogische Institut in Zusam-
menarbeit mit der Pädagogischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava, der
Philosophischen Fakultät der Konstantin-Universität in Nitra und mit Fachleuten auf
dem Gebiet des Fremdsprachenlernens und -lehrens ein neues Fremdsprachenmodell für
den Fremdsprachenunterricht an Grund- und Mittelschulen. Allgemeines Ziel ist es, dass
alle Lernenden nach Abschluss der weiterführenden Schulen in der 1. Fremdsprache
das Niveau B1/B2 und in der 2. Fremdsprache das Niveau A2/B1 des GeR sowie die
Anerkennung ihrer Sprachbildung in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und
des Europarates erreichen. Die konkreten Schritte lassen sich folgendermaßen zusam-
menfassen: Reduktion der großen Variabilität des Lehrplans für das Schulfach Fremd-
sprache, Vorschläge für konkrete Lösungen zum Abbau von unqualifizierten Lehrkräften
im Fremdsprachenunterricht, Senkung der Fluktuationsrate von Fremdsprachenlehren-
den, langfristige Lösung von Fragen der Sprachpolitik nach dem ausgearbeiteten Kon-
zept, Definition des Kompetenzniveaus der Lerner im Fremdsprachenunterricht, Einfüh-
rung des Unterrichts in zwei Fremdsprachen in allen Schultypen im Einklang mit der
Bildungsreform in der Slowakischen Republik, Gestaltung wichtiger pädagogischer Do-
kumente für Grund- und Mittelschulen, so dass die Prinzipien der Kontinuität im Fremd-
sprachenunterricht berücksichtigt werden und die Herausarbeitung von Kriterien für die
Erstellung von nationalen Lehrwerken nach dem vorgeschlagenen Modell. Für die Uni-
versitäten mit Lehramtsstudium Germanistik ist es erforderlich, die Studienprogramme
in Bezug auf die neue Konzeption der Sprachausbildung zu ändern und die Motivation
für Deutsch sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden und den zukünfti-
gen Deutschlehrerkräften zu steigern.
5. Literatur in Auswahl
Butašová, Anna, Zdenka Gadušová, Ružena Žilová et al.
2007 Koncepcia vyučovania cudzı́ch jazykov v základných a stredných školách. [Konzeption des
Fremdsprachenunterrichts an den Grund- und Mittelschulen.] Bratislava: Štátny pedagogi-
cký ústav.
Hockicková, Beáta
2005 Inhalte, Ziele und Institutionalisierungsformen der Deutschlehrerausbildung im europä-
ischen Vergleich. Slowakei im Kontext der V-4 Länder und Bulgarien. In: Eva Neuland,
Konrad Ehlich und Werner Roggausch (Hg.), Perspektiven der Germanistik in Europa.
Tagungsbeiträge, 132⫺141. München: iudicium.
Hockicková, Beáta und Zdenka Gadušová
2007 Neue Konzeption der Studienprogramme im Studienfach Lehramtsstudium der akademi-
schen Fächer im Bereich des pädagogischen Praktikums. In: Veränderungen im Studium
der deutschen Sprache, 65⫺76. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, Pedagogi-
cká fakulta.
Trošok, Roman
1996 Zur Stellung des Deutschen als Fremdsprache in der Slowakischen Republik. In: Her-
mann Funk und Neuner Gerd (Hg.), Verstehen und Verständigung in Europa. Konzepte
von Sprachenpolitik und Sprachdidaktik unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen
als Fremdsprache, 102⫺110. Berlin: Cornelsen.
2. Deutschunterricht in Slowenien
Das Schulsystem in den slowenischen Ländern entwickelte sich bis zum Ende der Habs-
burger Monarchie nach deren Bildungsvorgaben und -richtlinien. Deutsch spielte darin
verständlicherweise eine zentrale Rolle als Unterrichtssprache ⫺ mit der Ausnahme
zweier kleiner, national freilich sehr bedeutender Einbrüche während der Reformation
und der Ära Napoleons, als Slowenisch als Amts- und Unterrichtssprache eingesetzt
wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde in den deutsch besetzten Gebieten Deutsch als Un-
terrichtssprache aufgezwungen, in den italienisch okkupierten Zonen Italienisch, wäh-
rend das Partisanenschulsystem beim Slowenischen mit Russisch, Serbokroatisch und
Latein als angebotenen Fremdsprachen blieb. In der Föderativen Republik Jugoslawien
mussten alle Kinder ein Jahr lang Serbokroatisch lernen und vier Jahre Fremdsprache
als Pflichtfach bereits in der Grundschule. Russisch und Französisch verloren bereits in
den fünfziger Jahren rasch an Popularität, so dass meist nur Englisch und Deutsch unter-
richtet wurden. Auf der Sekundarstufe kamen dann noch die zweite und eventuell auch
eine dritte Fremdsprache hinzu: Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch, heute
auch Italienisch, Spanisch, im klassischen Gymnasium auch Griechisch und Latein.
Heute beginnen Kinder Fremdsprachen zunehmend im Kindergarten zu lernen; das
Interesse am Fremdsprachenlernen hält bis ins hohen Lebensalter an. Die am weitesten
verbreitete Fremdsprache in Slowenien ist Englisch, Deutsch liegt an zweiter Stelle.
Heute besuchen alle Kinder eine 9-jährige Pflichtschule, wo sie als erste Fremdsprache
ab der 4. Klasse Englisch oder Deutsch wählen können. In der 7. Klasse können sie sich
als Wahlpflichtfach eine zweite Fremdsprache aussuchen; in den ethnisch gemischten
Gebieten wird jeweils die Zweitsprache unterschiedlich in das Angebot eingebaut. In
Gymnasien sind zwei Fremdsprachen verpflichtend, wobei als zweite Fremdsprache auch
hier Deutsch überwiegt. Allgemein ist die Tendenz, Deutsch als Fremdsprache zu wählen,
deutlich fallend. So gibt es immer weniger Schulen im Primar- und Sekundarbereich,
etwa im Grenzgebiet zu Österreich, in denen Deutsch als erste Sprache mit einem höhe-
ren Stundendeputat und folglich besserer Sprachkompetenz gelehrt wird. Um den relativ
hohen Ansprüchen eines kommunikativen und lernerinnenzentrierten DaF-Unterrichts
gerecht zu werden, gibt es intensive Lehrerfortbildungsmöglichkeiten auch der beiden
Germanistiken und des Schulamtes. Zahlenmäßig ergibt sich folgendes Bild: 2006/07 gibt
es in den Kindergärten 1.381 Vorschulkinder, die eine Fremdsprache lernen. Für die
Grundschulen gibt es folgende Zahlen: Pflichtfach ⫺ 7.042 (Englisch: 97. 653), Wahl-
fach ⫺ 18.134, zusätzliches Wahlfach 3.519 (Englisch: 9.243). Das Interesse am Fremd-
sprachenlernen im Primarbereich steigt, wobei auch für Deutsch ein Anstieg von 7,4 %
verbucht werden konnte, im Vergleich zum Englischen ist Deutsch jedoch deutlich zu-
rückgefallen, da es unter die 10 % Schwelle abgesunken ist. Auf der Sekundarstufe sieht
es folgendermaßen aus: Die Gesamtzahl der SchülerInnen mit Deutschunterricht im Jahr
2006/2007 betrug 48.956 (Englisch: 84.643), davon als erste Fremdsprache 10.361 (Eng-
lisch: 80.063), als 2. Fremdsprache insgesamt 38.146 und als 3. Fremdsprache 329, was
einen teils auch demographisch bedingten Rückgang von 25 Prozent allein in zwei Jah-
ren darstellt.
In der Erwachsenenbildung steht Deutsch für 2005/2006 mit 17.990 Lernenden nach
Englisch (39.137) deutlich an der Spitze. Diese Tatsache bestätigt die Beobachtung einer
widersprüchlichen Beziehung zur deutschen Sprache: obwohl sie als eine schwer zu erler-
nende Sprache mit einem geringen „Sympathiefaktor“ gilt, sichern die wirtschaftlichen,
225. Deutsch in Slowenien 1799
traditionell kulturellen und auch oft familiären Bande ein gleich bleibendes, relativ hohes
Interesse an der Sprache und ihren Kulturen. Vom Standpunkt öffentlicher Akzeptanz
ist die Tendenz zur „Privatisierung“ des Deutscherwerbs nicht erfreulich, denn es ist ein
Unterschied, ob eine Sprache im regulären schulischen Bereich gepflegt wird, oder ob
sie zum verzichtbaren Luxus gehört.
„Die slowenische Germanistik ist genauso alt wie die erste und lange Zeit einzige Univer-
sität des Landes, diejenige der Hauptstadt Ljubljana. Gegründet wurde sie 1919, ein Jahr
danach war bereits der erste Lehrer für germanische Philologie, Jakob Kelemina, er-
nannt, der den Grundstein zu einem Institut für Germanistik legte. Es hieß „Germanski
seminar“ (Janko 1995: 239) Davor sei kein angesehener Germanist nachzuweisen, mit
Ausnahme des „Proto-Germanisten“ (Janko 1995) J. S.V. Popovitsch (1705 bei Celje ⫺
1774 Perchtoldsdorf bei Wien). Dieser verbrachte seine prägenden Jahre in Leipzig, er
wurde dann als Professor für Deutsche Sprache und Beredsamkeit nach Wien berufen.
Er versuchte „die süddeutsche Sprachvariante als einen gleichberechtigten Bestandteil
der deutschen Schriftsprache zu etablieren.“ (Janko 1995) ⫺ Kelemina (1882⫺1957) hin-
gegen war in erster Linie Mediävist. Ebenso wie sein Schüler Janez Stanonik (geb. 1922)
verschrieb er sich bald seiner Vorliebe, der Anglistik, während Dušan Ludvik (geb.
1914⫺2001), der Lehrstuhlleiter für deutsche Sprache und Literatur, sich neben der Alt-
germanistik vor allem Untersuchungen deutsch-slowenischer kultureller Beziehungen,
etwa dem deutschen Theater in Ljubljana bis 1790, widmete.
Vom heutigen, auf den Erwerb von Kompetenzen zentrierten Standpunkt aus, er-
scheint die starke pragmatische Orientierung in den germanistischen Studienprogram-
men der 1960er und 1970er Jahre ⫺ die zu jener Zeit auch lediglich als Lehrerausbildung
in zwei Fächern studiert werden konnten ⫺ positiver, als sie zu jener Zeit erfahren wurde.
Ein deutliches Manko bildete damals die Vermittlung sowohl moderner linguistischer
wie auch literaturwissenschaftlicher theoretischer Zugänge und entsprechender For-
schung. Mit der dritten und vierten Germanistengeneration etablierte sich ein durchaus
international vergleichbares Niveau in Forschung und Lehre. Darauf konnte die nun
intensiv tätige fünfte Generation aufbauen; die slowenische Germanistik bietet ein brei-
tes, buntes Spektrum von Fächern und Forschungsschwerpunkten und stellt damit die
besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung der nach Bologna-Richtli-
nien erneuerten oder neuen Studiengänge dar.
Die traditionelle Aufteilung auf drei bzw. vier curriculare Bereiche (Linguistik, Litera-
turwissenschaft, Spracherwerb und Landeskunde sowie methodische und fachdidakti-
sche Fächer für das Lehramt) wurde vertieft und ausgebaut. Seit Mitte der 1970er Jahre,
als die Universität Maribor gegründet wurde und dort an der Pädagogischen Fakultät
Maribor auch Deutschlehrer ausgebildet wurden, bot die Philosophische Fakultät Lju-
bljana zusätzlich Germanistik (ohne Lehrerausbildung) an, später, in den 1980er Jahren,
mit einem intensiven Übersetzungsmodul. Als Einzelfach mit einem Lektorat in den drei
anderen germanischen Sprachen (Niederländisch, Schwedisch und Englisch) wird „Deut-
sche Sprache und Literatur“ seit Anfang 1990 angeboten. Die Fakultät in Maribor, die
zunächst stark pädagogisch ausgerichtet war, folgte etwas später dieser Entwicklung und
1800 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
nennt sich seit 2006 gleichfalls Philosophische Fakultät. Die Abteilung für Übersetzen
und Dolmetschen wurde in Ljubljana 1997 eröffnet, in Maribor hingegen 2005, lediglich
mit der Option für Deutsch. Obwohl die Anzeichen für einen Rückgang der Immatriku-
lationszahlen ziemlich deutlich sind, gibt es,im Vergleich zu westeuropäischen Staaten
noch keinen Grund zu tieferer Besorgnis, weil ja das Sinken auch auf die innergermanisti-
sche Konkurrenz und die demographisch sinkenden Studierendenzahlen zurückzuführen
ist. Im Studienjahr 2008/09 beträgt die Zahl der Germanistikstudierenden (mit Absolven-
ten) insgesamt 736 (479 UL, 257 UM) und 472 in den Übersetzerprogrammen (mit
Deutsch ⫺ 308 UL, 164 UM).
Die Neugestaltung der Programme im Sinne des Bologna-Prozesses hat zu einer inten-
siven Erneuerung und Modernisierung der Studieninhalte und Studienprozesse geführt.
Ljubljana bietet auf dem Masters-Niveau ein 60-Punkte-Modul Österreichische Kultur-
studien an und ermöglicht den Studierenden auch das Absolvieren des internationalen
Studienganges Deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext, während sich
die Mariborer Germanistik stärker interkulturellen Themen widmen möchte.
Die Fächer und Forschungsschwerpunkte der slowenischen Germanisten können den
im Internet vorliegenden Vorlesungsverzeichnissen und der nationalen Bibliographie CO-
BIB entnommen werden. Es sei hier lediglich auf die Hauptschwerpunkte hingewiesen,
die Erforschung der Kultur des Kontaktraumes, kontrastive Studien sowie einen deutli-
chen Schwerpunkt auf theoretischer Modellierung und einen weiteren auf zeitgenössi-
scher Literatur, wobei genderspezifische, poststrukturalistische, interkulturelle u. a. An-
sätze ausgebaut werden. Auch in der Fachdidaktik gibt es mittlerweile relevante Untersu-
chungen .
4. Kulturvermittlung
Die Kulturvermittlung in beide Richtungen war immer schon eine der selbstverständli-
chen Aufgaben ausländischer Philologien, die oft auch in Zusammenarbeit mit dem ös-
terreichischen Kulturforum, der Österreich-Bibliothek, dem Deutschen Lesesaal und mit
dem Goethe-Institut sowie dem Österreich-Institut durchgeführt wird. In erster Linie
geschieht Literaturvermittlung durch literarisches Übersetzen.
5. Literatur in Auswahl
Janko, Anton
1995 Germanistik in Slowenien. In: Christoph König (Hg.), Germanistik in Mittel- und Osteu-
ropa 1945⫺1992, 239⫺247. Berlin/New York: de Gruyter.
Kondrič Horvat, Vesna und Neva Šlibar
2006 Zum Deutschunterricht in Slowenien. In: Paraschos Berberoglu, Angeliki Kiliari, Geor-
gios Perperidis und Jutta Wolfrum (Hg.), Symposium Deutsch als Fremdsprache in Südost-
europa, 143⫺148. Thessaloniki: Sfakianaki
Kosevski Puljić, Brigita
2008 Povezovanje teorije in prakse v začetnem in stalnem izobraževanju učiteljev nemščine.
[Verbindung von Theorie und in der Erst- und Fortbildung der DeutschlehrerInnen].
Diss., Ljubljana: Filozofska fakultet.
226. Deutsch in Spanien 1801
Thomas, Heidrun
1997 Das Germanistikstudium an der Universität Ljubljana (Slowenien). Systemwandel, Bil-
dungspolitik und Sprachplanung zwischen 1945 und heute. Diplomarbeit, Universität Wien.
1. Angebot an Deutschunterricht
Die Rolle des Deutschen in Spanien kann und muss aus unterschiedlichen Blickwinkeln
betrachtet werden. Im schulischen Bereich spielt die deutsche Sprache, abgesehen von
regional bedingten Ausnahmen, eine bescheidene Rolle. Auch wenn das neue seit 2005
bestehende Bildungsrahmengesetz die Einführung einer zweiten Fremdsprache in der
Schule vorsieht, wird dies regional und lokal unterschiedlich gehandhabt. Wenn das An-
gebot gemacht wird, steht Deutsch, was Schülerzahlen angeht, oftmals hinter Franzö-
sisch (vgl. Goethe-Institut 2007). Allerdings hat es in den letzten Jahren nach Angaben
des spanischen Erziehungsministeriums einen Zuwachs an Deutschlernern von 407 % ge-
geben, so dass im Jahr 2005/06 63.308 Deutschlerner verzeichnet wurden, die Deutsch an
über 20.000 staatlichen und privaten Schulen lernten. Vorgezogener Deutschunterricht ab
der 5. Klasse wurde im Jahr 2005/06 nur in drei autonomen Regionen (Comunidades
Autónomas) angeboten.
Das Angebot an Deutschunterricht ist auch von der Mehrsprachigkeitsdebatte, die
zurzeit sehr stark an Schulen durchgeführt wird, betroffen. Der rapide Zuwachs der
Migrantenzahlen in ganz Spanien in den letzten 10 Jahren, die Präsenz von zwei Erst-
sprachen im Baskenland und in Katalonien, die schlechten Ergebnisse der Pisa-Studie,
was die Kompetenzen in der ersten Fremdsprache Englisch angeht, lassen die Einführung
einer zweiten Fremdsprache in vielen Schulen in den Hintergrund treten. In dieser Hin-
sicht wird sich in der kommenden Zeit wohl nicht viel ändern.
Im Bereich der offiziellen Anbieter in der Erwachsenenbildung sind die Goethe-Insti-
tute, die staatlichen Sprachschulen und die Fremdsprachenzentren der Hochschulen wohl
die wichtigsten Träger.
Abgesehen von Sprachkursen bietet das Goethe-Institut in Spanien Lehrerfortbildung
an. Im kulturellen Bereich leistet das Goethe-Institut einen unverzichtbaren Beitrag zur
Verbreitung und Bekanntmachung der deutschen Kultur und Gesellschaft. Zu betonen
ist, dass seit einiger Zeit das Goethe-Institut in all seinen Aktivitäten großen Wert auf
1802 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
2. Hochschulbereich
Grundlage von 240 ECTS aufgebaut sein. Es besteht eine große Besorgnis unter Hoch-
schuldozenten und Forschern wegen der zunehmenden Orientierung des Hochschulange-
botes an den Bedarf des Arbeitsmarktes. Was Germanistik angeht, hat das zwar den
Vorteil, dass die Absolventen auf ihre realen Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen
des Studiums vorbereitet werden können (ExpertInnen in internationaler Kommunika-
tion, VerlagslektorInnen, DeutschlehrerInnen, ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen,
technische RedakteurInnen usw.). Aber ein Hochschulfach ohne eine breitgefächerte For-
schung ist nicht denkbar. Die große Frage also für die Zukunft ist, ob im Rahmen der
Masterstudiengänge und verschiedener Forschungsprojekte genug Raum für alle fachspe-
zifischen Linien geschaffen werden kann. Hierzu wird auf jeden Fall eine viel engere
Zusammenarbeit als bisher der betroffenen Personen und Institutionen vonnöten sein.
Trotz großer institutioneller Barrieren (geringe Anzahl der Germanistiklehrstühle
oder auch der Professuren, Schwierigkeiten an öffentliche Fördermittel heranzukommen
usw.) bieten sich den an germanistischen Studien interessierten ForscherInnen doch eine
Vielzahl an Forschungsgebieten. Zurzeit laufen Projekte besonders in folgenden Feldern:
⫺ Literaturwissenschaft, Komparatistik, Literatur- und Kulturstudien. Hier ist die For-
schungsaktivität der Goethegesellschaft Spaniens besonders hervorzuheben [http://
www.ub.es/filoal/Sge.htm], deren Wirkung über die goethespezifische Thematik hi-
nausgeht (vgl. auch Riutort und Jané 2005)
⫺ Sprachwissenschaft (Lexikographie, morphosyntaktische Studien, Phonemik, Prag-
matik), Fachsprachenforschung, kontrastive Linguistik, Phraseologie, Korpuslinguis-
tik (vgl. Riutort und Jané 2005; Gil und Gimber i. D.)
⫺ Übersetzungswissenschaft (Aspekte der literarischen, technischen und wissenschaftli-
chen Übersetzung sowie kontrastive Studien) (vgl. Santana, Roiss und Recio 2007)
⫺ Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (Lernersprache, Lehrerdiskurs, Strategien-
gebrauch, Spracherwerb, Phonemik) (vgl. unten ausgewählte Internetseiten).
Die Gewichtung dieser Gebiete ist unterschiedlich, wobei die Didaktik DaF bzw. Sprach-
lehrforschung deutlich unterrepräsentiert ist; es gibt an den Hochschulen kaum For-
schungsprojekte in diesem Bereich. Seit dem Jahr 2000 sind an vier der acht staatlichen
Universitäten laut Angaben der entsprechenden Abteilungen insgesamt 46 Dissertationen
vorgelegt worden, davon die Mehrheit in den Bereichen Literatur- und Sprachwissen-
schaft.
Spezifisch an Germanisten und Deutschlehrkräfte gerichtete überregionale Tagungen
und Kongresse werden vom Dachverband spanischer Germanistenverbände (Federación
de Asociaciones de Germanistas en España, http://www.fage.es/), von der Goethegesell-
schaft sowie auch auf Initiative verschiedener Germanistikabteilungen in zwei- oder vier-
jährigem Abstand veranstaltet. In den regelmäßig erscheinenden Fachzeitschriften, die
sich gleichzeitig als Sprachorgan der Verbände bzw. der herausgebenden Germanistikab-
teilungen verstehen, lagen die inhaltlichen Schwerpunkte in den letzten Jahren entweder
bei Beiträgen zur Literatur- und Sprachwissenschaft, zur Übersetzungswissenschaft oder
Fachsprachenforschung oder bei der Vorstellung von Unterrichtsvorschlägen und -mate-
rialien
den Sekundarstufenbereich besteht zurzeit und bis zum Jahr 2009⫺10 eine einjährige
Ausbildung (Curso de Adaptación Pedagógica), die zur Ausübung einer Lehrertätigkeit
an staatlichen Schulen befähigt. In diesem Rahmen kann ein Seminar in der Fachdidak-
tik Deutsch als Fremdsprache inklusive Praktikum gewählt werden. Außerdem kann
man an mehreren der Germanistik anbietenden Hochschulen eine oder zwei Veranstal-
tungen zur DaF-Didaktik im Laufe des Studiums besuchen. Diese Ausbildungsform, die
von allen Betroffenen als völlig unzureichend angesehen wird, soll ab dem kommenden
Studienjahr durch einen staatlich anerkannten Masterstudiengang ersetzt werden. Es ist
noch unklar, welche Rolle dort der Fachdidaktik DaF zukommen wird.
Aus diesem Grund erfreuen sich die Fortbildungsangebote im Bereich DaF großer
Beliebtheit. Meistens handelt es sich um Seminarangebote (Tages- oder Wochenendsemi-
nare), die vom Goethe-Institut, von Fachverbänden spanischer Germanisten bzw. von
Bildungseinrichtungen der regionalen Erziehungsbehörden angeboten werden. Dazu kom-
men vereinzelt längere Fortbildungen, die als Weiterentwicklung des Modells des Fern-
studienangebots DaF der Universität Kassel betrachtet werden können (vgl. dazu http://
www.ucm.es/info/aleman/24experto.php und http://antalya.uab.es/ice/form_ins/actualiza_
alemany/metodologia.htm).
4. Literatur in Auswahl
Gil, Marı́a Jesús und Arno Gimber
im Druck Los paı́ses germanohablantes en Europa: lengua, literatura y cultura. Madrid: Edicio-
nes Orto.
Goethe-Institut Madrid
2007 Deutschlernen in Spanien (Schuljahr 2005⫺06). Madrid (Manuskr.).
Orduña, Javier
2006 Aus der Peripherie des Netzwerkes. Inlands- und Auslandsgermanistik aus spanischer
Sicht. Deutsch als Fremdsprache 3: 131⫺137.
Riutort, Macià und Jordi Jané (Hg.)
2005 Deutsch-spanische Zwischenwelten ⫺ neue Horizonte für die spanische Germanistik zu Be-
ginn des 21. Jahrhunderts. (Forum 10). Associació de Germanistes de Catalunya: Tarra-
gona.
Santana, Belén, Roiss, Silvia und Ángeles Recio
2007 Puente entre dos mundos: últimas tendencias en la investigación traductológica alemán.
Salamanca: Universidad de Salamanca [CD-ROM].
Die Bedeutung der Fremdsprachen an Schulen und Hochschulen in Südafrika hat sich
nach 1994 und der Transformation von einem Apartheidsstaat in eine demokratische
Gesellschaftsordnung entscheidend verändert. Das gilt auch für die deutsche Sprache,
die neben elf offiziellen Sprachen zusammen mit zwölf anderen nicht-offiziellen Sprachen
in der südafrikanischen Verfassung von 1997 in Art. 6, Abs. 5 ausdrücklich als zu för-
dernde Sprache aufgeführt wird. Die Festschreibung von Mehrsprachigkeit in der neuen
Verfassung entsprang dem südafrikanischen Selbstverständnis als „Regenbogennation“.
Neue Bildungsstrukturen sollten helfen eine bessere und für alle Südafrikaner geltende,
deshalb auch multilinguale und multikulturelle Gesellschaftsordnung aufzubauen. Doch
weder die Bildungsreform noch die Umsetzung der Mehrsprachigkeit oder die Förderung
der Fremdsprachen ist reibungslos verlaufen oder kann als abgeschlossen gelten. Die
Einführung des National Curriculum 2005 war nicht nur für das Fach Deutsch eine Her-
ausforderung, denn Stellenstreichungen an Schulen und Hochschulen, Einsparungen und
mangelnder Nachwuchs verlangen eine kreative Auseinandersetzung mit dem gesell-
schaftlichen Umfeld von Lernern und Studierenden. Lehrinhalte und Lernziele mussten
im Zuge der Qualitätssicherung im Sinne einer outcomes based education neu bestimmt
werden. Neue Prüfungsbestimmungen, ein allgemein gehaltener Lehrplan für Deutsch
(nur auf der Webseite des Erziehungsministeriums, aber nicht in Druckfassung erhält-
lich), mangelnde oder unzureichende Kommunikation zwischen Erziehungsministerium,
Prüfungsbehörden und Schulen, Unklarheiten über Zuständigkeitsbereiche, kurzfristige
Planung führen bei Lehrern und Fachberatern zu Unsicherheit und sogar zu der pessi-
mistischen Einschätzung, dass „das Ende des Weges erreicht sei“ (Rode 2008: 27). An
Universitäten ist die Lage für das Hochschulfach Deutsch ähnlich komplex, erlaubt aber
einen vorsichtigen Optimismus.
Schulen „Deutsch 1858 als Prüfungsfach anerkannte und 1860 auch zum erstenmal exa-
minierte“ (Kussler 2001: 1610).
Die erste Professur für Moderne Sprachen (u. a. Deutsch) wurde 1880 am South Afri-
can College (gegründet 1828) eingerichtet. Aus diesem ging 1918 die University of Cape
Town hervor, wie auch im gleichen Jahr aus dem Victoria College die Universiteit van
Stellenbosch entstand, beide sogleich mit eigenen Lehrstühlen in Französisch und
Deutsch. Parallel dazu wurde das für alle provinzialen Erziehungsbehörden maßgebliche
Joint Matriculation Board aus der Taufe gehoben. Es legte Prüfungsvorschriften sowie
Bestimmungen für Universitätszulassung fest. Das damals entstandene Bildungssystem
hielt sich abgesehen von einigen Erneuerungen Anfang der 80er Jahre bis zur politischen
Wende 1994.
3. Deutsch an Schulen
Im Zuge der Apartheidspolitik wurde mit der Verabschiedung des Bantu Education Act
(No. 47) von 1953 die Ausbildung der südafrikanischen Bevölkerung nach Rassenzuge-
hörigkeit organisiert, nach der „Weiße“, „Schwarze“, „Coloureds“ und „Inder“ getrennt
ausgebildet wurden. Bis in die 70er Jahre bedeutete Deutschlernen (vornehmlich an „wei-
ßen“ Schulen und in der Kapprovinz an einigen Schulen für „Coloureds“) die Gramma-
tik zu lernen, sich mittels des Studiums kanonischer Werke der Literatur Wissen über
die Sprache zu erwerben, denn „der Nachdruck lag eher auf dem Lernprozess“ (Kussler
2001: 1612), nicht auf der Anwendung. 1985 trat eine Lehrplanreform in Kraft, die Kom-
munikationsfähigkeit, interkulturelles Lernen und Landeskunde ins Blickfeld rückte.
Durch den Blick auf die deutschsprachigen Länder und dem damit verbundenen Ver-
gleich mit der Situation vor Ort entfaltete sich DaF in Südafrika von einem „intrakultu-
rellen Bildungsfach zu einem interkulturellen Verständigungsfach“, fand dadurch den
„Anschluss an die internationale Entwicklung“ und gewann schließlich in der „ange-
spannten politischen Situation“ der späten 80er Jahre zugleich eine „emanzipatorische
Funktion“ (Kussler 2001: 1613). Diese Entwicklung spiegelte sich in Fördermaßnahmen
von außen wieder, die bis heute anhalten. Zu nennen wären Materialienspenden, Schüler-
austauschprogramme, vom Goethe-Institut durchgeführte Lehrerfortbildungen und
Multiplikatorentreffen sowie Vermittlung von Stipendien. Seit 1995 ist das Goethe-Insti-
tut (GI) mit einem Sitz in Johannesburg und 1999 einem Zentrum in Kapstadt vertreten.
In Südafrika gibt es drei Fachberater für Deutsch, davon sind zwei aus Deutschland
entsandt. Der am GI tätige Fachberater betreut als Experte für Unterricht DaF in ganz
Südafrika, während die vom BVA entsandte Fachberaterin, angebunden an die zentrale
Erziehungsbehörde in Pretoria, für den muttersprachlichen Unterricht an den vier deut-
schen Schulen (Hermannsburg, Johannesburg, Pretoria und Kapstadt) zuständig ist. Der
für das Westkap zuständige Fachberater, als einziger von einer Provinzbehörde ange-
stellt, ist für Fremdsprachen, darunter Deutsch, verantwortlich. Gab es 1982 noch 32 000
Deutschlerner und 511 Deutschlehrende, ist die Zahl der Lehrer inzwischen auf ca. 80
geschrumpft. 2008 belegen landesweit noch 8406 DaF als Schulfach, von denen etwa
10 % die Abschlussprüfung in der 12. Klasse antreten (Rode 2008: 26). Der stetige Rück-
gang von DaF-Lernern begann Ende der 70er Jahre mit der Abschaffung der sog. dritten
Sprache (nach Englisch u. Afrikaans) als Bedingung für eine Universitätszulassung. Ob-
227. Deutsch in Südafrika 1807
4. Deutsch an Hochschulen
Auch an den Universitäten hat sich das Fach Deutsch inhaltlich und strukturell in den
letzten 20 Jahren erheblich verändert und ist durch eine sichtbare Präsenz des DAAD
(seit 1995 Informationsbüro mit Lektorat an der Witwatersrand Universität, Stipendien,
Austauschprogramme, Kurzzeitdozenturen, ein weiteres Lektorat soll am Kap eingerich-
tet werden) punktuell gestärkt worden. Bis in die 70er Jahre wurde an allen „weißen“
sowie an vier „nichtweißen“ Universitäten vor allem Literaturwissenschaft mit unter-
schiedlicher Schwerpunktsetzung im Rahmen eines dreijährigen B.A.-Studiengangs un-
terrichtet. Umstrukturierungen ab Mitte der 80er Jahre hingen z. T. mit Neubesetzung
von Lehrstühlen zusammen ⫺ in Stellenbosch z. B. wurden „alle Studiengänge nach
Maßgabe eines fremdphilologisch-interkulturellen Ansatzes“ neu konzipiert (Kussler
2001: 1615) ⫺ oder entstanden aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen. Im Laufe
der Jahre wurden alle eigenständigen Seminare meist mit anderen europäischen Sprachen
(z. B. Französisch o. Italienisch) zunächst in Departments, später in noch größere Einhei-
ten, meist „Schools“ zusammengelegt. Interessant ist jedoch, dass die Gesamtanzahl der
Deutschstudierenden im Bachelorstudiengang zwischen 1994 und 2003 mit ca. 1200 Stu-
dierenden landesweit gleich geblieben ist (Annas 2004: 190). Auch 2008 gibt es insgesamt
noch 1195 Studierende: im 1. Studienjahr 70,4 %, im 2. Studienjahr 22 % und im 3. Stu-
dienjahr nur 7,6 %. Nach 1994 haben nur vier Abteilungen (Stellenbosch, University of
the North, Rhodes und Free State) einen deutlichen Zuwachs an Studierenden zu ver-
zeichnen, während die Umstrukturierung an Hochschulen bei den meisten Abteilungen
sinkende Studierendenzahlen zur Folge hatte. Einige wurden deshalb geschlossen (Port
Elizabeth) oder stehen kurz davor (Pietermaritzburg), das Deutschstudium wurde abge-
baut und auf zweijährigen Spracherwerb reduziert (vorübergehend an der University of
the North, in Zukunft an UNISA und Kapstadt). Es überrascht deshalb nicht, dass
sinkende Studentenzahlen gerade bei den Fremdsprachen zu enormem Stellenabbau
führten. 1994 gab es an 15 der 21 Universitäten 56 Planstellen für Deutsch (davon acht
Lehrstühle), mit drei bis sechs Dozenten an jeder Deutschabteilung. 2008 besteht nur
mehr ein Lehrstuhl in Stellenbosch, die Planstellen schrumpften auf 24, so dass die
1808 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Deutschlehre meist von ein oder zwei Dozenten und ggf. Teilzeitkräften bestritten wird.
Eine wichtige Rolle spielt seit 1965 der südafrikanische Germanistenverband (SAGV).
Er veranstaltet für seine ca. 80 Mitglieder alle zwei Jahre internationale Tagungen, die
neben literaturwissenschaftlichen Fragen auch DaF berücksichtigen. Die zwei Zeitschrif-
ten des SAGV sind das wissenschaftliche Jahrbuch Acta Germanica und die seit 2006 auf
der Webseite des SAGV im Halbjahresturnus veröffentlichte elektronische Zeitschrift
eDUSA, die sich mit DaF befasst.
5. Ausblick
Die südafrikanische Germanistik kann sich zukünftigen Herausforderungen durch regio-
nale Zusammenarbeit der Abteilungen und landesweite Schwerpunktsetzungen im Studi-
enangebot, mit der Bereitstellung von fachsprachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten
stellen, indem sie sich im „pragmatischen Verständnis auf ihr gesellschaftliches Umfeld
besinnt“ (Kussler 2001: 1617). So bietet die University of Johannesburg mit dem GI
und DAAD Anfängerkurse auf dem Campus in Soweto an. Mitarbeit an gemeinsamen
Modulen mit anderen Fächern zur Förderung hermeneutischer und kulturwissenschaftli-
cher Fertigkeiten können eine „Teilhabe des Faches Deutsch am intra-südafrikanischen
transkulturellen Kommunikationsprozess“ (Laurien 2006: 444) stützen, ebenso wie Part-
nerschaftsprogramme mit deutschsprachigen Universitäten und der mögliche Aufbau
von gemeinsamen postgraduierten Studiengängen. Wie Netzwerkbildungen und erste ge-
meinsame, vom GI oder DAAD gestützte Forschungsprojekte schon gezeigt haben, kann
DaF in Lehre und Forschung durch länderübergreifende Zusammenarbeit nicht nur im
Blickfeld auf Europa, sondern auch auf den afrikanischen Kontinent nur gestärkt wer-
den.
6. Literatur in Auswahl
Annas, Rolf
2004 Zur Situation des Faches Deutsch an südafrikanischen Universitäten. Acta Germanica
30(31): 181⫺191.
Rode, Rudolf
2008 Deutsch an südafrikanischen Schulen. Eine Bestandsaufnahme. eDUSA 3(2): 26⫺29.
Kussler, Rainer
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Südafrika. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici, Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internati-
onales Handbuch, 1609⫺1619. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: De Gruyter.
Laurien, Ingrid
2006 Das Fach Deutsch an Universitäten im „Neuen Südafrika“ ⫺ Eine „Laborsituation“ für
Europa? Info DaF 33(5): 438⫺445.
Großes Verdienst um die Pflege und Verbreitung der deutschen Sprache in Tschechien
haben das Goethe ⫺ Institut und das Österreichische Kulturforum. Von den professionel-
len Verbänden ist der 1999 gegründete Germanistenverband der Tschechischen Republik,
der seit dem Jahre 2000 Mitglied der Internationalen Vereinigung der Germanisten ist und
in dem 90 Hochschullehrende organisiert sind, zu erwähnen. Die Deutschlehrer haben
ihren eigenen Verband, den Verein der Deutschlehrer und Germanisten, der sich 2006 auf
seiner Jahresversammlung mit der Gesellschaft Medeus zusammenschloss. Das Aufga-
benfeld besteht in der Absicherung der Fortbildung der Deutschlehrer in hoher Qualität
und Beratertätigkeit.
Auch die 1999 gegründete Goethe-Gesellschaft in der Tschechischen Republik hilft
durch ihre Vortragstätigkeit, Ausstellungen, Kolloquien und publizistischen Aktivitäten
bei der Popularisierung der deutschen Sprache.
Die Lehrerfortbildung wird vom Ministerium für Schulwesen, Jugend und Körperkultur
durch Vergabe von Stipendien in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefördert.
Auf die gleiche Weise tragen dazu das Goethe-Institut und das Österreichische Kulturfo-
rum bei. Besonders das Goethe-Institut hat sich in Zusammenarbeit mit dem österreichi-
schen Bildungsministerium und der deutschen Zentralstelle für das Auslandsschulwesen
um die Ausbildung von Multiplikatoren verdient gemacht, die im Trainingszentrum
CDVU der Universität Brno und den Pädagogischen Zentren der einzelnen Regionen
ihr in den Kursen des Goethe-Instituts erworbenes Wissen und Können weitergeben. Die
Multiplikatorenausbildung (ca. 300 Stunden) ist vom tschechischen Schulministerium ak-
kreditiert.
Den BA-Studiengang versucht man attraktiv zu gestalten, indem man auf die Bedürf-
nisse der Praxis eingeht. So werden an den Universitäten folgende BA-Studiengänge an-
geboten:
Universität Hradec Králové: Deutsch für den Fremdenverkehr; Westböhmische Uni-
versität Plzeň: Deutsch in der Kommerzpraxis: Universität Pardubice: Deutsch für die
Wirtschaftspraxis; Universität J. E. Purkyně Ústi nad Labem: Interkulturelle Germanis-
tik; Schlesische Universität Opava: Deutsch im Bereich der Wirtschaft; Karlsuniversität
Prag: Deutsche Sprache und Literatur.
1812 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
3. Entwicklungstendenzen
Die Tschechische Republik grenzt an zwei deutschsprachige Länder: an die Bundesre-
publik Deutschland (gemeinsame Grenze 810 Kilometer) und die Republik Österreich
(gemeinsame Grenze 466 Kilometer). Man sollte also annehmen, dass der deutschen
Sprache als der nächst gelegenen Fremdsprache ein priviligierter Status zukommt.
Noch 2000 gab Houska (2000: 93) an, dass 1997/1998 Deutsch insgesamt gesehen mit
681.751 Lernern vor Englisch mit 665.225 Lernern einen geringen Vorsprung hat. In der
Gegenwart sieht es aber anders aus. Wie aus den statistischen Erhebungen hervorgeht,
wird Deutsch zur Tertiärsprache. Die Tabellen 228.1 bis 228.3 geben beredt Auskunft:
Auf den Trend Deutsch nach Englisch gehen auch die Verlage ein. So erscheint zur
Zeit im Verlag Fraus Plzeň das Lehrbuch Prima, das auf diese Adressaten zugeschnit-
ten ist.
Ein in den letzten zehn Jahren heftig diskutiertes Problem ist das neue Abitur. Bis
1989 gab es das Zentralabitur. Es wurde nach der „samtenen“ Revolution abgeschafft.
Jede Schule konnte frei über die Form und den Inhalt der Abiturprüfung entscheiden.
Mitte 2007 wurde die Novelle des Schulgesetzes angenommen, demzufolge der Beginn
der Reform des Abiturs auf das Jahr 2010 verschoben wurde. Der Staat hat die Pflicht,
den Abiturienten im Pflichtteil der Prüfung zwei unterschiedliche Niveaus anzubieten.
228. Deutsch in der Tschechischen Republik 1813
4. Forschungsschwerpunkte
5. Literatur in Auswahl
Böhm, Jiřı́
2007 V německých firmách mluvı́ anglicky. [In deutschen Firmen spricht man Englisch]. In:
Lidové noviny 26. 9. 2007.
Houska, Leoš
2000 Die Situation des Deutschunterrichts in Tschechien. In: Materialien Deutsch als Fremd-
sprache, Sprache-Kultur-Politik. Heft 53: 93⫺97.
Nekvapil, Jiřı́
2003 On the Role of the Languages of Adjacent States and the Languages of Ethnic Minorities
in Multilingual Europe: the Case of the Czech Republic. In: Juliane Besters-Dilger u. a.
(Hg.), Mehrsprachigkeit in der erweiterten Europäischen Union, 76⫺94. Klagenfurt:
Drava.
1814 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Hochschulwesen wird allerdings staatlich eng gelenkt, es gibt durchaus repressive Züge.
Die intellektuelle Selbständigkeit wird nicht gepflegt. Das mag zu einem Problem für die
anstehende Neuausrichtung werden. Außerdem müssten neue Berufsfelder für Germanis-
ten erschlossen werden. Auch dazu taugt das traditionelle Korsett des Studiums wenig.
Die Bildungsreform scheint nicht sehr deutlich auf diese Desiderata ausgerichtet zu sein.
Sie dient derzeit vor allen als Instrument, um die qualifizierten Studienplätze (Master)
zu verknappen. Die Berufsperspektiven der Bachelor-(Licence-)Absolventen sind nicht
geklärt (MEIPJ; Banque mondiale 2008).
sich mit ihrem DaF-Zweig zu Schulen: Partner der Zukunft. 20 % der Abiturienten haben
eine Privatschule besucht.
Landesweit gibt es ungefähr 1.000 Germanistikstudierende (bei insgesamt 360.172
Studierenden), unterrichtet von schätzungsweise 40 Dozenten. Ungefähr 85 % der DaF-
Studierenden sind weiblich (59 Prozent aller tunesischen Studierenden) (MESRST 2009).
Seit den 1980er Jahren gibt es an der Deutsch-Sektion der Université Tunis I / La Ma-
nouba ein DAAD-Lektorat. Zu erwähnen ist der Tunesische Germanisten- und Deutsch-
lehrerverband, der einmal im Jahr Deutschtage veranstaltet.
7. Literatur in Auswahl
MEF Ministère de l’Education et de la Formation: Auskunft von der Inspektion für Deutsch.
2009 Oktober 2009.
MEIPJ Ministère de l’Emploi et de l’Insertion Professionnelle des Jeunes; Banque mondiale
2008 Dynamique de l’emploi et adequation de la formation parmi les diplômés universitaires.
Vol. I: Rapport sur l’insertion des diplômés de l’année 2004.
MES Ministère de l’Enseignement Superieur: Les indicateurs de l’enseignement superieur.
2005
MESRST Ministère de l’Enseignement Supérieur, de la Recherche Scientifique et de la Technologie
2009 L’enseignement supérieur et la recherche scientifique en chiffres. Année universitaire
2008/2009.
World Bank
1997 Republic of Tunisia Higher Education: Challenges and Opportunities (Report No. 16522-
TUN) May 8, 1997.
doch zu bemerken, dass sich die Gewichtung dieser Sprachen in der türkischen Öffent-
lichkeit je nach den herrschenden politisch-gesellschaftlichen und ökonomischen Bedin-
gungen verschoben hat. Die Dominanz des Englischen als die Sprache der globalisierten
Welt ist gegenwärtig auf der fremdsprachlichen Landschaft der Türkei eindeutig zu er-
kennen. Sie ist im schulischen sowie auch im außerschulischen Bereich mit großem Ab-
stand die meistgelernte Fremdsprache. Die Spitzenstellung des Englischen hat ohne
Zweifel einen negativen Einfluss auf das Erlernen anderer Sprachen, und diese verlieren
zunehmend an Attraktivität. Auf der anderen Seite ist die Türkei interessiert an einem
Beitritt zur Europäischen Union, und sie ist voll in die akademischen Austausch- und
Förderprogramme des Europarats integriert. Dementsprechend sollte das Erlernen weite-
rer Fremdsprachen neben dem Englischen gefördert werden, damit die durch die europä-
ische Sprachenpolitik geforderte sprachliche und kulturelle Vielfalt in der Türkei reali-
siert werden kann.
Gerade in diesem Punkt soll der Stellenwert der deutschen Sprache hervorgehoben
werden. Denn Englisch ist zwar mit Abstand die meistgelernte Fremdsprache in der
Türkei, ihr folgt jedoch nicht mehr die französische Sprache, die lange Zeit in der türki-
schen Sprachenpolitik einen festen Platz hatte. In der türkischen Sprachenskala ist heute
die deutsche Sprache sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich an die
zweite Stelle gerückt. Dafür gibt es einige nahe liegende Gründe: Historisch gesehen
haben die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf politischer, kultureller und
wirtschaftlicher Ebene eine lange und gut entwickelte Tradition. Auch heute existieren
vielfältige Verbindungen zwischen den deutschsprachigen Ländern und der Türkei weiter.
Die deutschsprachigen Länder sind wichtige Handelspartner der Türkei. Die Zahl der
deutschen Unternehmen in der Türkei und die Zahl der türkischen Unternehmen in
Deutschland erhöhen sich ständig. Die Zahl der deutschsprachigen Touristen ist in den
letzten Jahren stark gestiegen. Auch die Folgen der Migrationsbewegung sind in diesem
Zusammenhang nennenswerte Faktoren. Fast drei Millionen Menschen türkischer Ab-
stammung leben heute in Deutschland und über zwei Millionen sind nach einem Lebens-
abschnitt in Deutschland wieder in die Türkei zurückgekehrt. Durch diese beiden Grup-
pen werden die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland weitergepflegt. Diese
Voraussetzungen zeigen uns, warum sich heutzutage in der Türkei der Bedarf am Erler-
nen der deutschen Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen, abgesehen vom Engli-
schen, im positiven Sinne entwickelt.
acht Jahre verlängert. Anstelle der fünfjährigen Grundschule wurde verbindlich für die
ganze Türkei die achtjährige allgemeinbildende Pflichtschule eingeführt, die die Primar-
stufe und die Sekundarstufe 1 umfasst. Daran schließt sich das vierjährige Gymnasium
an (Sekundarstufe 2), das in Bezug auf die berufliche Orientierung und auf ihr fremd-
sprachliches Angebot in unterschiedliche Schultypen ausdifferenziert ist.
Diese Neustrukturierung hat sich unter anderem auch auf die Planung des Fremd-
sprachenunterrichts ausgewirkt. Die erste Fremdsprache wird bereits auf der Primarstufe
in der 4. Klasse mit 4 Wochenstunden landesweit obligatorisch gelernt. Dabei stehen
Deutsch, Englisch oder Französisch zur Auswahl. Ab der 6. Klasse haben die SchülerIn-
nen die Möglichkeit, eine zweite Fremdsprache zu erlernen. Die Vorverlegung des Fremd-
sprachenunterrichts auf die früheren Jahrgangsstufen (4. Klasse) und die Einführung ei-
ner zweiten Fremdsprache (6. Klasse) ist für die Sprachenpolitik der Türkei insofern
wichtig, weil dadurch der Zugang zur Sprachenvielfalt in einer relativ frühen Lebens-
phase eröffnet werden kann. Der Fremdsprachenunterricht wird im Sekundarbereich 2
weitergeführt. Hier gibt es in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht unterschiedliche
Schultypen. In den staatlichen allgemeinbildenden Gymnasien wird die erste Fremdspra-
che nur in den 9. und 10. Klassen obligatorisch mit 3 Wochenstunden angeboten, wäh-
rend die zweite Fremdsprache fakultativ angeboten wird. Bei den staatlichen Anadolu-
gymnasien mit fremdsprachlichem Schwerpunkt wird der Fremdsprachenunterricht obli-
gatorisch mit hohen Stundenzahlen und unter besseren Bedingungen durchgeführt.
Demgemäß wird die erste Fremdsprache an den Anadolugymnasien in der 9. Klasse mit
10 Wochenstunden und in den Klassen 10, 11 und 12 mit je 4 Wochenstunden und die
zweite Fremdsprache, auch obligatorisch mit 2 Wochenstunden unterrichtet. Die Privat-
schulen sind im Vergleich zu den staatlichen Schulen in ihren Entscheidungen freier. Sie
können je nach ihren Bedingungen den Umfang des Fremdsprachenunterrichts erweitern
und selbst über Beginn, Dauer und die Wochenstundenzahlen entscheiden.
Wenn wir nun die Gewichtung der einzelnen Schulsprachen untersuchen, so ist festzu-
stellen, dass die eingangs erwähnten sprachenpolitischen Entwicklungen in der Türkei
auch in der Schulsprachenpolitik Niederschlag finden. Dieses Faktum ist auch an den
folgenden Daten zu erkennen: Im Schuljahr 2007/08 haben im Primarbereich 6 392 318
SchülerInnen Englisch, 33 060 Deutsch und 9 382 Französisch als erste Fremdsprache
gelernt. Dieselbe Tendenz zeigt sich auch im Sekundarbereich 2. Hier haben im selben
Schuljahr 2 530 286 SchülerInnen Englisch, 258 089 Deutsch und 22 580 Französisch als
erste Fremdsprache gelernt (vgl. National Education Statistics 2007). Schon dieser kurze
Überblick der Zahlenrelationen ist ein Beleg dafür, dass Englisch die meistgelernte erste
Fremdsprache sowohl im Primar- als auch im Sekundarbereich ist.
Deutsch wird im türkischen Schulwesen als erste und als zweite Fremdsprache angebo-
ten. Als erste Fremdsprache hat Deutsch an den staatlichen Schulen im Primarbereich
einen eher geringen Stellenwert. An einigen wenigen Privatschulen des Primarbereichs in
den Metropolen wird Deutsch als erste Fremdsprache angeboten und hat ein hohes Ge-
wicht. Auch im Sekundarbereich sind ähnliche Entwicklungen zu erkennen. Während
1820 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Deutsch in den staatlichen Gymnasien und auch in den Berufsgymnasien als erste
Fremdsprache einen Rückgang erlebt, hat es als erste Fremdsprache in einigen wenigen
deutschsprachigen Anadolugymnasien und Privatgymnasien ein hohes Prestige. Diese
Gymnasien haben wegen ihrer guten Unterrichtsqualität ein hohes Ansehen in der Öf-
fentlichkeit und werden von vielen Eltern bevorzugt, selbst wenn hier nicht Englisch,
sondern Deutsch als erste Fremdsprache angeboten wird. So erfüllen diese Schulen be-
züglich der sprachenpolitischen Entwicklungen der Türkei eine bedeutende Funktion, da
mit ihnen eine andere Sprache als Englisch die Möglichkeit bekommen hat, sich in der
Schulwirklichkeit auszubreiten. Allerdings ist hier gleich zu unterstreichen, dass die Zahl
dieser Schulen landesweit relativ gering ist. Von den 823 Anadolugymnasien türkeiweit
bieten 30 Deutsch als erste Fremdsprache an und relativ wenige Schüler haben die Mög-
lichkeit, von diesem Schultyp zu profitieren, da der Zugang in diese Schulen durch eine
zentrale Aufnahmeprüfung erschwert wird.
Durch die Reformen im Jahre 1997 erfuhr das türkische Schulwesen eine Neustrukturie-
rung, deren Konsequenzen sich im universitären Bereich bei der Lehrerausbildung zeig-
ten. Im Studienjahr 1998/99 wurden vom Hochschulrat verbindlich für alle Pädagogi-
schen Fakultäten der Türkei, wo Lehrer ausgebildet werden, Curricula eingeführt, durch
die die Lehrerausbildungsprogramme (auch die Programme für Deutschlehrerausbil-
dung) grundlegend reformiert wurden.
Bis 1998 konnten in der Türkei sowohl die Absolventen der Germanistikabteilungen
an den Philosophischen Fakultäten als auch die Absolventen der Deutschlehrerausbil-
dung an den Pädagogischen Fakultäten nach dem vierjährigen Studium gleich mit dem
Lehrberuf anfangen.1998 löste sich die Deutschlehrerausbildung als eine unabhängige
Fachrichtung von der Germanistik. Zwischen den beiden Studiengängen gibt es jetzt eine
klare Trennung sowohl auf struktureller als auch auf inhaltlich-fachdidaktischer Ebene.
Alle Absolventen der Deutschlehrerausbildung haben das Recht, nach dem Studium
gleich mit dem Lehrberuf anzufangen und sowohl auf der Primar- als auch auf der
Sekundarstufe als DeutschlehrerInnen tätig zu werden. Dagegen müssen diejenigen Ger-
manistikabsolventen, die als DeutschlehrerInnen arbeiten wollen, nach dem traditionel-
len Germanistikstudium noch ein dreisemestriges Zusatzstudium im Rahmen der päda-
gogischen Fakultäten absolvieren, wo die Gewichtung auf pädagogischen Fächern und
der Fachdidaktik liegt. Das Zusatzstudium wird aber erst dann genehmigt, wenn sich im
Lande Bedarf an DeutschlehrerInnen zeigt. Außerdem können nicht alle Absolventen
der Germanistik an dem Zusatzstudium teilnehmen, weil das Kontingent begrenzt ist.
Diese Voraussetzungen stellen sicherlich einen Nachteil für die Germanistikabsolventen
dar. Deshalb haben die germanistischen Studiengänge seit dem Strukturwandel einen
Rückgang erlebt. Die Position des Studienganges für Deutschlehrerausbildung wendete
sich hingegen zum Positiven, weil hier die Absolventen eine Berufsperspektive als
DeutschlehrerInnen haben. Zurzeit gibt es an den 67 Pädagogischen Fakultäten der
Türkei 17 Abteilungen für den Studiengang Deutschlehrerausbildung, die jährlich jeweils
circa 50 Studierende aufnehmen. Das Vorhandensein derartiger Studiengänge zeigt, dass
in der Türkei ein beträchtlicher akademischer Bereich besteht, um Deutschlehrer auszu-
bilden. Hier stellt sich nun die Frage, ob diese Absolventen die Möglichkeit haben, nach
dem Studium als DeutschlehrerInnen tätig zu werden. Ausgehend von der gegenwärtigen
Sprachenpolitik der Türkei ist es schwierig, diese Frage mit Ja zu beantworten. Die Kon-
sequenzen wirken sich im Allgemeinen negativ auf die Berufsaussichten der Deutschleh-
rerInnen aus. Eine geringe Anzahl von Absolventen der Deutschlehrerausbildung hat die
Chance, in einer Schule mit Deutsch als erster Fremdsprache eine Stelle zu finden. Durch
die Einführung der zweiten Pflichtfremdsprache in den Gymnasien ändern sich jedoch,
1822 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
wenn auch langsam, die Bedingungen des Deutschunterrichts im positiven Sinne. Da-
durch ist die Zahl der Deutschlernenden an den Schulen erheblich gestiegen, womit sich
auch der Bedarf an DeutschlehrerInnen erhöht hat. Folglich können die Absolventen
der Studiengänge für Deutschlehrerausbildung jetzt mit besseren Berufsaussichten rech-
nen, wenn auch als LehrerInnen für Deutsch als zweite Fremdsprache.
4. Schlussbemerkung
Ausgehend von der hier beschriebenen Situation der deutschen Sprache im Schul- und
Hochschulbereich ist zu sagen, dass der Bereich Deutsch als Fremdsprache in der Türkei
einen festen Platz hat. Von der gegenwärtigen Position des Deutschen sollte bei den
sprachenpolitischen Entwicklungen profitiert werden, wenn man die Sprachenpalette in
der Türkei ausweiten und zeitgemäße Ausbildungskonzepte in die Praxis umsetzen
möchte. Eine zeitgemäße Ausbildung der DeutschlehrerInnen würde dabei zur Weiterent-
wicklung des Deutschen in der Türkei und zur Realisierung solcher Konzepte beitragen.
5. Literatur in Auswahl
Bausch, Karl-Richard und Karin Kleppin
1990 Thesen und Empfehlungen zu den Besonderheiten des Lehrens und Lernens von Deutsch
als zweiter Fremdsprache. In: Karl-Richard Bausch und Manfred Heid (Hg.), Das Lehren
231. Deutsch in der Ukraine 1823
und Lernen von Deutsch als zweiter oder weiterer Fremdsprache: Spezifika, Probleme, Per-
spektiven, 11⫺18. Bochum: Brockmeyer.
National Education Statistics, Formal Education
2007 Ankara (http://oks2007.meb.gov.tr).
Neuner, Gerhard
2003 Curriculumentwicklung für die Ausbildung von DeutschlehrerInnen und Hochschuldo-
zentInnen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. In: Gerhard Neuner (Hg.), Internationa-
les Qualitätsnetz Deutsch als Fremdsprache, Tagungsdokumentation 2002, 15⫺26. Kassel:
Druckerei der Universität Kassel.
Polat, Tülin und Nilüfer Tapan
2003 Neustrukturierungen im Prozess der Deutschlehrerausbildung in der Türkei. In: Gerhard
Neuner (Hg.), Internationales Qualitätsnetz Deutsch als Fremdsprache, Tagungsdokumen-
tation 2002, 53⫺66. Kassel: Druckerei der Universität Kassel.
Tapan, Nilüfer
2004 Überlegungen zur Realisierung eines mehrsprachigen Ausbildungskonzepts im türkischen
Schulwesen. In: Manfred Durzak und Nilüfer Kuruyazıcı (Hg.), Interkulturelle Begegnun-
gen, 303⫺316. Würzburg: Könighausen-Neumann.
3. Deutsch an Schulen
Die Anteile der Fremdsprachen im sowjetischen schulischen Betrieb wurden in Form von
Quoten festgelegt (50 % Englisch, 20 % Deutsch, 20 % Französisch, 10 % Spanisch). In
der unabhängigen Ukraine nimmt die deutsche Sprache unter den in den Schulen erlern-
baren Fremdsprachen weiter den zweiten Platz ein, allerdings mit großem Abstand hinter
Englisch, aber deutlich vor Französisch.
Tab. 231.1: Verteilung der Schüler nach der Anzahl der Fremdsprachen
Studienjahre 2000/01 2002/03 2004/05 2006/07
Zahl der Schüler, die 4.774.992 5.003.541 4.876.795 4.175.003
eine Fremdsprache
lernen
Schüler mit zwei und 216.539 275.818 318.888 460.134
mehr Fremdsprachen
Deutsch wird heute an 7.641 Schulen (37 % aller Schulen) angeboten, an denen etwa
10.000 Deutschlehrer tätig sind. Insgesamt gibt es in der Ukraine 29 Schulen mit er-
weitertem Deutschunterricht, darunter 17 Schulen, die am Programm des Deutschen
Sprachdiploms (DSD) teilnehmen. An diesen Schulen arbeiten 16 Lehrkräfte aus
Deutschland. Im Moment erhalten jedes Jahr etwa 200 Schüler das DSD-Diplom, Ten-
denz steigend. Es werden auch Schulpartnerschaften aufgebaut, z. B. von Münchner und
Kiewer Schulen. Die Ursachen für die im Vergleich zur Größe und Bevölkerung relativ
niedrige Zahl von deutsch-ukrainischen Schulpartnerschaften liegen in der schwierigen
sozioökonomischen Situation der Durchschnittsbevölkerung der Ukraine, die einen Aus-
231. Deutsch in der Ukraine 1825
tausch auf der Basis der Gegenseitigkeit erschweren. Hinzu kommen das marginale Wis-
sen über das Land sowie das Problem der Sprache: Ukrainisch ist in den Schulen die
Staatssprache. Die deutschen Gymnasien, die Russisch-Unterricht anbieten, wählen als
Partner meistens die Russische Föderation, da die Ukraine und ihre kulturellen Potenti-
ale für eine Zusammenarbeit oft nicht bekannt sind.
Zur Zeit wird in der Ukraine die Studienlandschaft weiter umgekrempelt. Seit 2003 wer-
den an den 50 ukrainischen Hochschulen die Studiengänge auf das gestufte BA/MA-
System umgestellt und modularisiert. Es ist allerdings fraglich, ob externe Hindernisse
für eine weitgehende Mobilität von Studierenden durch die Umsetzung der Bologna-
Beschlüsse wirklich abgeschafft werden können: Für Austauschprogramme müssen die
Studierenden aus der Ukraine ein Einreisevisum für das betreffende Land beantragen,
das nicht immer bewilligt wird. Außerdem gelten die Sokrates- und Erasmusprogramme
für die Ukraine nicht, was zur Folge hat, dass viele Germanistikstudierende und
Deutschlehrende kaum Möglichkeiten zur Weiterbildung haben. Stipendien, die einen
Auslandsaufenthalt überhaupt ermöglichen, werden nur in begrenzter Anzahl angeboten.
Derzeit sind an 61 ukrainischen Hochschulen und Universitäten DaF-Studiengänge
eingerichtet (Stand 2004). Die häufigsten Profile und Abschlüsse sind: Germanist und/
oder Fremdsprachenlehrer für zwei Fremdsprachen (meistens ist die zweite Fremdspra-
che Englisch, aber auch Schwedisch, Holländisch, Griechisch); Theorie und Praxis des
Dolmetschens/Übersetzens; Deutsch in Kombination mit einem anderen Fach (Psycholo-
gie, Jura, Wirtschaft, Diplomatie etc.). An einigen Hochschulen werden Zusatzqualifika-
tionen angeboten, wie z. B. Weltliteratur; an manchen pädagogischen Universitäten ⫺
Fachlehrer für Ukrainisch, Kunst oder für andere Fächer. Diese Zusatzqualifikationen
werden in einem integrierten Studium erworben. Die Zahl der Fremdsprachenstudieren-
den ist beträchtlich. Das bestätigen auch die Zahlen der Bewerber um die fremdsprachli-
chen Studienplätze an den großen Universitäten (2008 bis elf Bewerber pro Studien-
platz).
Die Eingangskontrolle für das Bachelor-Studium Deutsch als Fremdsprache besteht
in Form der Aufnahmeprüfungen. Ab 2009 sollen statt der Prüfungen die Noten der
Unabhängigen Außenprüfung angerechnet werden. Diese Prüfung sollte ein ukrainisches
Pendant zum deutschen Prüfunssystem darstellen. Es besteht auch die Möglichkeit bei
erfolgreich bestandenen Aufnahmeprüfungen im Falle des Misserfolgs beim Studien-
platzwettbewerb kostenpflichtig zu studieren.
Als Zulassungsvoraussetzung für das Master-Studium Deutsch als Fremdsprache gilt
ein erfolgreicher BA-Abschluss (gute und ausgezeichnete Noten in Zwischenprüfungen
und in der BA-Abschlussprüfung). Die Dauer des Studiums beträgt für BA-DaF 8 Se-
mester, für MA-DaF 2 Semester. Die Magisterstudienplätze sind begrenzt; 50 % sind
gebührenpflichtig und 50 % werden vom Staat finanziert.
Zu den Studienschwerpunkten gehören: sprachpraktischer Unterricht in Deutsch
(1. FS) und die 2. FS; philologische Fächer: kontrastive Linguistik, allgemeine Sprach-
wissenschaft, Literaturwissenschaft, Gotisch, Geschichte der linguistischen Theorien,
germanistische Sprachwissenschaft, kontrastive Sprachwissenschaft, theoretische Phone-
1826 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
5. Speziische Probleme
Unter den spezifischen Problemen sind folgende zu nennen ⫺ administrative: ungenü-
gende staatliche Finanzierung der Bildungseinrichtungen und der Wissenschaft; die Ab-
wertung des sozialen Status der Forschung- und Lehrtätigkeit; soziale Folgen der Einfüh-
rung der gebührenpflichtigen Hochschulbildung; der Bachelor-Abschluss gilt laut der
geltenden Gesetzgebung nicht als berufsqualifizierendes Studium, dementsprechend ist
der rechtliche Status des Bachelors nicht geregelt ⫺ 2006 wurden nur 13,9 % der Bache-
lors angestellt; curriculare: starrer Aufbau der Curricula, ein winziger Spielraum für
wahlweise obligatorische Fächer, unausgewogenes Verhältnis zwischen fach-/berufsbezo-
genen und allgemeinbildenden Fächern; fehlende Bildungsstandards für fremdsprachli-
che Studiengänge und als Folge keine Gesamtkonzeption für die Philologen- und Fremd-
sprachenlehrerausbildung.
6. Erwachsenenbildung
Die begrenzten Möglichkeiten des Erlernens der deutschen Sprache in den Schulen haben
zu einer verstärkten Nachfrage in der Erwachsenbildung geführt. Als zusätzliche Mög-
lichkeiten des Deutschlernens gibt es zahlreiche private Sprachkurse. Dort werden so-
wohl die traditionellen als auch alternative Methoden des Fremdsprachenerlernens ange-
boten. Die Qualität der Vermittlung der Fremdsprachen in solchen Kursen bleibt frag-
232. Deutsch in Ungarn 1827
lich. Die größte Anziehungskraft übt das Angebot des Goethe-Instituts aus, das 1993 die
Arbeit in der Ukraine aufgenommen hat: Jährlich besuchen über 3000 Menschen diese
Kurse in Kiew. In 16 weiteren ukrainischen Städten arbeiten Sprachlernzentren, die auto-
nome Partner des Goethe-Instituts sind und Deutschkurse nach den Qualitätsstandards
des Goethe-Instituts anbieten.
7. Literatur in Auswahl
Borisko, Natalia
2006 Ukrainische DaF-Studiengänge im Bologna-Prozess. In: Hiltraud Casper-Hehne, Uwe
Koreik und Annegret Middeke (Hg.), Die Neustrukturierung von Studiengängen „Deutsch
als Fremdsprache“: Probleme und Perspektiven, 81⫺90. Göttingen: Universitätsverlag.
Kyjak, Taras
2007 Was ist „Germanistik in der Ukraine“? In: Germanistik in der Ukraine. Jahrheft 1: 6⫺10.
Oguy, Oleksandr
2003 Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in der Ukraine. In: Info DaF 30: 447⫺466.
chenlehrern (vgl. Forgács 1999: 33). Mehr Russischlehrer haben in der Umschulung das
Deutsche anstelle des Englischen gewählt, was damit erklärt werden kann, dass sie be-
reits in der Mittelschule Deutsch gelernt hatten. In der sozialistischen Ära wurde nämlich
neben dem obligatorischen Russisch Deutsch bevorzugt gewählt, meist weil die ehemalige
DDR als Reiseziel für Touristen oder für Gastarbeiter erreichbar war. Dies hatte eine
deutliche Auswirkung auf die Russischlehrerumschulung, die die Fremdsprachenland-
schaft auf Grundschulebene anfangs wesentlich bestimmt hat: In vielen Schulen, beson-
ders in kleineren Orten, wurde deshalb Deutsch „gewählt“, weil keine andere Sprache
angeboten werden konnte. Bis heute hat sich jedoch die Fremdsprachenlandschaft we-
sentlich verändert: Auf allen Unterrichtsebenen ist Englisch die Fremdsprache Nummer
eins (vgl. Oktatásstatisztikai évkönyv 2007/2008: 23⫺24; Petneki 2006). Das Deutsche
kann zwar seinen zweiten Platz behaupten, aber der Abstand wird immer größer (vgl.
Forgács 2002).
Einerseits wegen der Maßnahmen, die man nach der politischen Wende für die Ver-
besserung der Fremdsprachensituation im Lande eingeführt hat, andererseits wegen der
negativen demographischen Tendenzen gibt es keinen Mangel mehr an Fremdsprachen-
lehrern.
3. Der Hochschulbereich
Das Hochschulwesen hat in Bezug auf Deutsch sowohl mit quantitativen als auch mit
qualitativen Problemen zu kämpfen. Diese Probleme betreffen sowohl Deutsch als
Fremdsprache in den unterschiedlichsten Ausbildungen (Jura, Medizin, Wirtschaft usw.),
232. Deutsch in Ungarn 1829
als auch die germanistische Ausbildung. Die Zahl der Studienanfänger im Fach Germa-
nistik verringert sich von Jahr zu Jahr deutlich: Im Frühling 2008 haben landesweit nur
gut 250 Direktstudenten Germanistik im Hauptfach gewählt, ein gutes Drittel davon in
Budapest, der Rest an weiteren 6 Universitäten und Hochschulen in anderen Städten
(vgl. Kegelmann 2008: 21).
Der Rückgang zeichnete sich bereits im Studienjahr 2002/2003 deutlich ab, als die ⫺
im Jahre 1991 eingeführte ⫺ dreijährige Fremdsprachenlehrerausbildung landesweit ein-
gestellt wurde. Es handelte sich dabei um ein intensives Ein-Fach-Studium mit etwa 16
fachgebundenen Wochenstunden. Trotz der zahlreichen Vorteile und Beliebtheit dieser
Ausbildungsform bei den Studierenden wurde sie abgeschafft. Während dieses dreijährige
Studium ein einjähriges integriertes Schulpraktikum beinhaltete und Lehrbefähigung er-
teilte, enthält das jetzige dreijährige Grundstudium (Bachelor) in seinen 180 ECTS insge-
samt nur 10 ECTS, die auf Fachdidaktik bezogen und nicht obligatorisch sind. Der
Widerspruch ist deutlich: Die Fremdsprachenkenntnisse der ungarischen Bevölkerung
lassen vieles zu wünschen übrig. In den Studienabteilungen der Universitäten und Hoch-
schulen stapeln sich die Diplome, die deshalb nicht vergeben werden können, weil die
Absolventen die obligatorische(n) Sprachprüfung(en) noch immer nicht abgelegt haben.
Um diese Defizite auszugleichen, brauchte man berufsorientiert ausgebildete Sprachleh-
rer. Eine professionelle, auf den Lehrerberuf ausgerichtete Fremdsprachenlehrerausbil-
dung sollte schon von Anfang an eine fremdsprachendidaktische Komponente enthalten.
Dazu kommt noch ein anderes qualitatives Problem: Es gibt große Divergenzen bei den
Studienanfängern sowohl in den Sprachkenntnissen als auch in ihren kognitiven Fähig-
keiten und in der Leistungsbereitschaft.
Die Einführung des neuen Ausbildungssystems hatte auch für die germanistischen
Lehrstühle schwerwiegende Konsequenzen: Da sowohl das Bachelor- als auch besonders
das Master-Studium an den philosophischen Fakultäten der Universitäten etabliert wur-
den, wurden Lehrstühle mit wertvollen Traditionen an pädagogischen Hochschulen ein-
fach geschlossen oder der Lehrkörper drastisch reduziert (vgl. z. B. Hessky 2008: 16;
Szendi 2008: 25).
Das neue Ausbildungssystem im Sinne des Bologna-Vertrages wurde in Ungarn im
Studienjahr 2006/2007 eingeführt: Das Fach Germanistik musste an allen germanisti-
schen Lehrstühlen des Landes neu akkreditiert werden, neue Curricula mussten erarbei-
tet werden, vorerst nur für das Bachelor-Studium mit 6 Semestern Studienzeit und mit
180 ECTS (davon 120 fachgebundene ECTS im Hauptfach Germanistik). Gleichzeitig
mussten auch das Curriculum für Deutsch als Minorfach (50 ECTS) bzw. die Curricula
für die verschiedenen Spezialisierungen (jeweils 50 ECTS) ausgearbeitet werden. Die
Lehrerausbildung für den Primarbereich ist von der Umstellung nicht betroffen.
Die Umstellung und der Start nach dem neuen System war ⫺ und ist immer noch ⫺
mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden (vgl. z. B. Szendi 2008). Die Reformmüdig-
keit war und ist ebenfalls ein sehr wichtiger Faktor (vgl. Hessky 2008: 14).
Wie erläutert ist der Bedarf an Deutschlehrern im Lande gedeckt. Hinzu kommt, dass
viele Absolventen auch dann nicht unterrichten würden, wenn sie eine Stelle in einer
Schule bekämen: Der Lehrerberuf hat ⫺ wegen der schlechten Bezahlung und der fehlen-
den gesellschaftlichen Anerkennung ⫺ kein hohes Prestige (vgl. Feld-Knapp 2004: 441).
Deshalb müsste man in der neuen Ausbildungsform auch solche Angebote haben, die
den BA-Absolventen ermöglichen, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu bekommen. In
Wirklichkeit sieht es jedoch so aus, dass die traditionellen philologischen Kurse des alten
1830 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
Seit Beginn der 1990er Jahre existiert der Ungarische Deutschlehrerverband (UDV ) mit
dem Ziel, im schulischen Deutschunterricht eine landesweite Kooperation zu sichern (vgl.
Feld-Knapp 2004: 441⫺442). Der Verband organisiert Tagungen, Konferenzen, Lehrer-
fortbildungen und gibt die Zeitschrift Deutschunterricht für Ungarn (DUfU ) aus und ist
Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV). Die Organisation im wis-
senschaftlichen Bereich trägt den Namen Gesellschaft ungarischer Germanisten (GUG).
Diese organisiert ebenfalls wissenschaftliche Konferenzen, hält den Kontakt zu internati-
onalen Organisationen bzw. veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem DAAD das Jahr-
buch der ungarischen Germanistik. Dieses überaus renommierte Periodikum enthält nicht
nur wissenschaftliche Beiträge zu Sprach- und Literaturwissenschaft und Didaktik, son-
dern gibt auch umfassende Informationen über Aktivitäten aller germanistischen Lehr-
stühle in Ungarn: über veranstaltete Konferenzen, über Lehraufträge und Forschungs-
aufenthalte ungarischer Germanisten im Ausland, über die Aufenthalte ausländischer
Germanisten im Lande. Des Weiteren enthält das Jahrbuch die bibliographischen Anga-
ben aller Publikationen zu Germanistik/DaF im Lande vom vorhergehenden Jahr.
6. Die Ungarndeutschen
In Ungarn leben 12 nationale Minderheiten, unter denen die Deutschen nach der Volks-
zählung von 2001 die größte Gruppe bilden. Man könnte annehmen, dass dieser Um-
stand einen positiven Einfluss auf die Position des Deutschen als Fremdsprache ausüben
würde. Tatsächlich aber ist das Ungarndeutschtum durch ein abgeschwächtes Nationali-
tätenbewusstsein und fortgeschrittene Assimilation zu charakterisieren. Ihre diasporische
Lage, die Altersstruktur dieser Minderheitengruppe und das Zurückdrängen des Deut-
schen in die Privatsphäre beschleunigen die Assimilation der Ungarndeutschen in die
ungarische Mehrheitsbevölkerung. Oft bildet sich nicht einmal eine doppelte, sondern
nur eine singuläre Identität aus, nämlich eine ungarische. Für das Ungarndeutschtum
insgesamt ist eine Triglossie charakteristisch, es werden nämlich drei sprachliche Codes
verwendet: 1) das Ungarische; 2) die deutsche Hochsprache und 3) der ungarndeutsche
Dialekt, wobei die Priorität bei der Verwendung dieser Codes stark generationsabhängig
ist. Die ungarndeutsche Mundart wird durch die deutsche Standardsprache ersetzt, weil
sie nur in informellen Kommunikationssituationen verwendet werden kann und weil sie
nicht weiter tradiert und mit dem Absterben der alten Generation einfach zum Erinne-
rungsgut wird. Die ungarndeutsche Mundart ist von der Muttersprache zur „Großmut-
tersprache“ geworden (vgl. Forgács 2002: 20⫺23). Nun lernt die jüngste ungarndeutsche
Generation in der Schule Hochdeutsch. Wie weit das Standarddeutsche zur „Mutterspra-
1832 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
che“ und dadurch zum Identitätsfaktor der Ungarndeutschen werden kann, ist schwer
zu prognostizieren, wie es auch überaus fraglich ist, ob die Ungarndeutschen zur Verbes-
serung der Position des Deutschen als Fremdsprache beitragen können (vgl. Forgács
2004).
Hinter die optimistische Äußerung von Knipf-Komlósi würden wahrscheinlich viele
ein virtuelles Fragezeichen setzen. Sie ist nämlich davon überzeugt, „dass die deutsche
Sprache in Ungarn in der nahen wie auch in einer weiteren Zukunft ihre gegenwärtige
doppelte Rolle als Fremdsprache und als Minderheitensprache beibehalten kann und
diese zweifache, oft nicht leichte Aufgabe auch meistern wird“ (Knipf-Komlósi 2004:
446). Seit dieser hoffnungsvollen Äußerung sind allerdings 6 Jahre vergangen, und die
heutige Diagnose ist besorgniserregend. Es ist eine dringende, wirkungsvolle „Therapie“
erforderlich (vgl. Hessky 2008: 13, 15).
7. Literatur in Auswahl
Kertész, András
2008 Sind germanistische Forschungen noch zu retten? Bemerkungen zur Situation der Geistes-
wissenschaften im Ungarn der Jahrtausendwende. In: Jahrbuch der ungarischen Germanis-
tik 2007, 30⫺44.
Knipf-Komlósi, Erzsébet
2004 Zur Variabilität der deutschen Sprache im heutigen Ungarn. In: Dietmar Goltschnigg
und Anton Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und
Osteuropa. Grazer Humboldt-Kolleg 20.⫺24. November 2002, 443⫺456. Wien: Edition
Praesens.
Szendi, Zoltán
2008 Wohin steuert die ungarische Germanistik? In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik
2007, 25⫺29.
Petneki, Katalin
2006 Mit ér a nyelvtudás, ha nem angol? [Was ist die Fremdsprache wert, wenn es nicht Eng-
lisch ist?]. In: Modern Nyelvoktatás 2: 50⫺56.
Petneki, Katalin
2007 Az idegen nyelvek oktatása Magyarországon az ezredfordulón. [Der Fremdsprachenunter-
richt in Ungarn an der Jahrtausendwende]. Szeged: JATE Press.
weniger als die Hälfte der Deutschkundigen an, Deutsch gut bzw. sehr gut zu beherr-
schen (Robinson, Rivers und Brecht 2006).
Aufgrund des dezentralisierten Bildungssystems der USA ist es schwierig, verlässliche
Daten zur Anzahl fremdsprachenlernender Schüler an den regional verwalteten Schulen
zu bekommen. An den öffentlichen Schulen werden Fremdsprachen meist erst in der
Sekundarstufe angeboten, so dass amerikanische Kinder und Jugendliche, wenn über-
haupt, erst relativ spät mit dem Lernen einer Fremdsprache beginnen. Oft werden auch
nur eine oder zwei Fremdsprachen angeboten. An vielen Sekundarschulen gelten Fremd-
sprachen nicht als Pflichtfach und werden allenfalls als Wahlfach geführt. Als Gründe
für den vergleichsweise niedrigen Stellenwert von Fremdsprachen im amerikanischen Bil-
dungssystem werden meist andere Prioritäten in der schulischen Ausbildung (wie z. B.
naturwissenschaftliche Fächer), finanzielle Engpässe und Mangel an qualifizierten (zerti-
fizierten) Lehrern angegeben.
Eine auf das Jahr 2000 zurückgehende Untersuchung zum Fremdsprachenunterricht
an öffentlichen Schulen zeigt, dass 33,8 % der fast sieben Millionen Schüler der Klassen-
stufen 7⫺12 einen Fremdsprachenkurs belegten. Davon waren 68,7 % Spanisch-, 18,3 %
Französisch- und 4,8 % Deutschkurse (Draper und Hicks 2002). An den High Schools
(in den Klassenstufen 9⫺12) belegten 43,8 % der Schüler Fremdsprachenkurse. 2,1 %
aller High School Schüler lernten Deutsch, wiederum die am dritthäufigsten gelernte
Sprache. Deutsch war vor dem Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg noch die an
den High Schools am häufigsten unterrichtete moderne Fremdsprache. Im Jahre 1915
belegten beachtliche 24,4 % aller High School Schüler Deutschkurse.
Eine Folge des (wenn überhaupt, dann) spät einsetzenden, wenig kontinuierlichen
und nicht immer optimal durchgeführten Fremdsprachenunterrichts an den Sekundar-
schulen ist, dass Studierende an den Hochschulen mit einem relativ niedrigen Niveau ihr
Fremdsprachenstudium fortsetzen bzw. ganz neu beginnen. Fast 80 % der im Jahre 2006
deutschlernenden Studierenden waren in Anfängerkursen (dem ersten bzw. zweiten Jahr
DaF-Unterricht) eingeschrieben. Nur 20,6 % der eingeschriebenen Studierenden belegten
Deutsch auf fortgeschrittenem Niveau, d. h. ab drittem Jahr aufwärts (Furman, Goldberg
und Lusin 2007).
Es kann davon ausgegangen werden, dass die DaF-Lernenden mit den fortgeschrit-
tensten Kenntnissen während ihrer High School- oder Hochschulausbildung einen länge-
ren Auslandsaufenthalt in einem deutschsprachigen Land absolviert haben. Leider gibt
es keine Angaben zur Anzahl amerikanischer High School-Schüler, die ein Schuljahr
in deutschsprachigen Ländern absolviert haben. Eine solche frühe Auslandserfahrung
scheint jedoch besonders prägend und effektiv für die sprachliche und kulturelle Ent-
wicklung der Lernenden zu sein. Im universitären Bereich steht Deutschland als Aus-
landsstudienland an 8. Stelle nach Großbritannien, Italien, Spanien, Frankreich, China,
Australien und Mexiko. Im Studienjahr 2007/2008 absolvierten 8.253 amerikanische Stu-
dierende ein kurz- oder längerfristiges Auslandsstudium in Deutschland. Das sind 3,1 %
von insgesamt 262.416 amerikanischen Studierenden, die in jenem Jahr einen Auslands-
aufenthalt absolvierten (Institute of International Education 2009).
Der Anteil der Einschreibzahlen für DaF-Kurse am Gesamtangebot für Fremdspra-
chen an amerikanischen Hochschulen ist seit Jahrzenten rückläufig, was der seit 1958
regelmäßig durchgeführten Untersuchung der Modern Language Association (MLA) zu
den Einschreibzahlen amerikanischer Universitätsstudenten in Fremdsprachenkursen
entnehmbar ist. Mit 6 % der eingeschriebenen Fremdsprachenstudierenden liegt Deutsch
233. Deutsch in den USA 1835
auf dem dritten Platz wiederum hinter Spanisch (52,2 %) und Französisch (13,1 %) und
dicht gefolgt von American Sign Language (der amerikanischen Gebärdensprache), Italie-
nisch (beide jeweils 5 %) und Japanisch (4,2 % der eingeschriebenen Studierenden). Ob-
gleich sich die Einschreibzahlen in DaF in den letzten 10 Jahren stabilisiert haben und
sich die Gesamtzahl der in Deutschkursen geführten Studenten sogar erhöht hat, ist zu
erwarten, dass der Anteil des DaF-Unterrichts an den Hochschulen weiter rückläufig
sein wird, einerseits wegen der wachsenden Dominanz des Spanischen als Fremdsprache
und andererseits wegen der aus sicherheitspolitischen Gründen initiierten Förderung von
Sprachprogrammen für Arabisch, Chinesisch, Russisch sowie seltener unterrichtete Spra-
chen Mittelasiens und Afrikas (Robinson, Rivers und Brecht 2006), welche sich negativ
auf etablierte Programme traditionell unterrichteter Sprachen auszuwirken beginnt.
Als Motive für das Deutschlernen geben High School- und Universitätsstudenten
meist affektive Faktoren an (Andress et al. 2002; Sinka und Zachau 2005). Instrumentelle
Motive (wie Relevanz des Deutschen für Arbeit oder Karriere) sind von sekundärer Be-
deutung. Im schulischen wie universitären DaF-Unterricht dominieren seit Mitte der
1980er Jahre kommunikative Ansätze die Unterrichtsmethodik. Es kann davon ausge-
gangen werden, dass die meisten amerikanischen DaF-Lehrerinnen und Lehrer eine Vari-
ante des kommunikativen Sprachunterrichts praktizieren, in dem sprachlicher Input, In-
teraktion und Kommunikation als wichtigste Aspekte des Unterrichts angesehen werden
und Grammatik unterstützend vermittelt wird (Schulz 2002: 12).
Zusätzlich müssen die Studierenden bzw. Absolventen in der Regel ein Kursprogramm
in Pädagogik sowie ein Unterrichtspraktikum absolvieren, das zu einem Lehrzertifikat
führt, welches es ihnen ermöglicht, an öffentlichen Schulen im jeweiligen Bundesstaat zu
arbeiten. Die Studiengänge in German Studies beinhalten in erster Linie Sprach-, Litera-
tur- und Kulturkurse. Lehrveranstaltungen in angewandter Linguistik und Didaktik sind
seltener, obwohl sich deren Anzahl in den letzten Jahren erhöht hat.
che Beiträge dominieren. Weitere in den USA herausgegebene Zeitschriften zur Germa-
nistik/German Studies sind The German Studies Review, Monatshefte und Die Schatzkam-
mer. Artikel in den genannten Zeitschriften erscheinen überwiegend auf Englisch, obwohl
auch deutschsprachige Manuskripte eingereicht werden können. Beiträge zur Fremdspra-
chenerwerbsforschung und Methodik/Didaktik in DaF werden gelegentlich auch in eng-
lischsprachigen Zeitschriften wie z. B. der Modern Language Review, den Foreign Lan-
guage Annals und Studies in Second Language Acquisition sowie deutschsprachigen Zeit-
schriften wie der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht publiziert.
(2) früh einsetzende DaF-Programme zu schaffen, die auf der jeweils höheren Bildungs-
stufe ihre Fortsetzung finden sowie Schüleraustausch und Auslandsstudien vermehrt
anzubieten und mittels Stipendien zu fördern,
(3) die Lehreraus- und Weiterbildung zu verbessern und
(4) sie zu einer Priorität der universitären Germanistik/German Studies Abteilungen zu
machen.
5. Literatur in Auswahl
AATG Membership statistics for 2008. http://www.aatg.org/membership/217-statistics.
2009
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2002 Maintaining the momentum from High School to College: Report and recommendations.
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richtspraxis: Teaching German 40: 78⫺81.
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2006 Survey of U.S. Doctoral degrees related to the teaching of German ⫺ 2003 and 2005.
Die Unterrichtspraxis: Teaching German 39: 100⫺106.
Benseler, David P.
2005 Survey of U.S. Doctoral degrees related to the teaching of German ⫺ 2004. Die Unter-
richtspraxis: Teaching German 38: 84⫺86.
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2002 Foreign language enrollments in public secondary schools, fall 2000. Summary report. Yon-
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German.
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2005 An articulation study of post-secondary German students: Results, implications, and sug-
gestions. In: Catherine M. Barrette und Kate Paesani (Hg.), Language program articula-
tion: Developing a theoretical foundation, 94⫺108. Boston/M.A.: Heinle.
Die neuere Geschichte des Kulturaustauschs zwischen der Sozialistischen Republik Viet-
nam und Deutschland beginnt in den Jahren 1955/56 mit der Entsendung von ca. 300
vietnamesischen Schülern auf Einladung der damaligen DDR. Viele dieser Kinder, inzwi-
schen in Vietnam bekannt als die „Moritzburger“ nach dem Ort des Schulheims in der
Nähe von Dresden, haben im Anschluss an ihre Beschulung Studienabschlüsse in der
DDR erworben und sind in bedeutende Positionen innerhalb der vietnamesischen Poli-
tik, Wirtschaft und Wissenschaft vorgerückt. Sie bilden immer noch ein wichtiges Funda-
ment der deutsch-vietnamesischen Zusammenarbeit (vgl. Freytag 1998).
Die vietnamesische Zuwanderung in die DDR ist einerseits geprägt von der Entsen-
dung von ca. 5.000 vietnamesischen Studenten, andererseits vom 1980 einsetzenden Zu-
zug vietnamesischer Vertragsarbeiter (1990 befanden sich fast 60.000 Vietnamesen auf
dem Gebiet der ehemaligen DDR; vgl. Dennis, Kolinsky und Weiss 2005: 8). Der Zuzug
von Vietnamesen in die alten Bundesländer (Westdeutschland und Westberlin) basiert
hingegen auf Flüchtlingsströmen nach dem Anschluss der südlichen Republik Vietnams
an die nordvietnamesische Sozialistische Republik und vollzog sich ungelenkt. Bedingt
durch die Fluchtsituation war Deutschland für die Migranten in den seltensten Fällen
intendiertes Ziel, sondern ergab sich als Aufnahmeland eher zufällig, beispielsweise durch
den humanitären Einsatz des Schiffes Cap Anamour, welches gegen Ende der 1970er
Jahre um die 10.000 Flüchtlinge aus dem südchinesischen Meer rettete. Bis 1982 gelang-
ten „weit über 22.000“ (Beuchling 2003: 21) Vietnamesen als Bootsflüchtlinge in die alten
Bundesländer. Inklusive nachgezogener Familienangehöriger kann man von ca. 45.000
Personen ausgehen, die 1990 in Westdeutschland lebten.
1840 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern
In HCMS gibt es lediglich eine Deutschabteilung, die an der Universität für Sozial-
und Geisteswissenschaften, einer zur Nationaluniversität HCMS gehörenden Institution,
angesiedelt ist. Insgesamt sind dort ca. 250 Studierende eingeschrieben. Für 880 weitere
Studierende werden zusätzlich vom Lehrpersonal Abendkurse angeboten.
In Hanoi wird ein grundständiges Deutschstudium an zwei öffentlichen Hochschulen
angeboten. Über 200 Studierende werden an der ambitionierten Deutschabteilung der
dortigen Nationaluniversität unterrichtet, welche mittelfristig den ersten Master im Fach
Deutsch mit einem Schwerpunkt auf Germanistischer Linguistik anbieten will. Hier liegt,
neben der Lehrbucherstellung, auch das wissenschaftliche Interesse des z. T. promovier-
ten Lehrpersonals. Die Studierenden erreichen nach dem zweiten Semester ein B1-Ni-
veau, nach drei Studienjahren wird ein C1-Niveau angestrebt. Dies ist insbesondere des-
halb bemerkenswert, da die Fachausbildung ⫺ wie in vielen grundständigen Studiengän-
gen an öffentlichen vietnamesischen Hochschulen ⫺ lediglich etwas mehr als die Hälfte
des Curriculums einnimmt. Hinzu treten zu jeweils knapp einem Viertel berufsbezogene
und fachfremde Lerninhalte (Methodik/Didaktik, Bildungsverwaltung; Ideologie Ho Chi
Minhs, Wehrerziehung usw.). Bei der anderen Hochschule mit einer Deutschabteilung
handelt es sich um die Universität Hanoi. Dort werden bei leicht zurückgehenden Ein-
schreibungen ca. 300 Studierende von 18 Lehrkräften unterrichtet, die größtenteils einen
Mastertitel führen. Schwerpunkt an dieser Hochschule ist Übersetzen/Dolmetschen.
5. Literatur in Auswahl
Beuchling, Olaf
2003 Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger. Migration, Integration und schulischer Erfolg in
einer vietnamesischen Exilgesellschaft. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 11). Müns-
ter u. a.: Waxmann.
Dennis, Mike, Eva Kolinsky und Karin Weiss
2005 Erfolg in der Nische? Die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR und in Ost-
deutschland. In: Karin Weiss und Mike Dennis (Hg.), Erfolg in der Nische? ⫺ Die vietna-
mesischen Vertragsarbeiter in der DDR und in Ostdeutschland, 7⫺13. (Studien zu Migra-
tion und Minderheiten, Bd. 13). Münster: Lit.
Freytag, Mirjam
1998 Die „Moritzburger“ in Vietnam: Lebenswege nach einem Schul- und Ausbildungsaufenthalt
in der DDR ⫺ Vermitteln in interkulturellen Beziehungen. Frankfurt a. M.: IKO.
Kelz, Heinrich P.
1982 Deutschunterricht für Südostasien. Analysen und Konzepte. Bonn: Dümmler.
Nastansky, Heinz-Ludwig
2008 Hanoi. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hg.), Berichte der Außenstellen
2007, 127⫺149. Bonn: DAAD.
Praxenthaler, Martin
2002 Die Sprachverbreitungspolitik der DDR. Die deutsche Sprache als Mittel sozialistischer
auswärtiger Kulturpolitik. (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 47).
Frankfurt a. M.: Lang.
Sachregister
1340, 1342, 1343, 1344, 1345, 1357, 1361, Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU) 40,
1387, 1581 147, 1050
Deixistheorie 256, 262 Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) 150,
Deklination 206, 208, 209, 225, 229, 231, 1103, 1284, 1299, 1300, 1301, 1304, 1481
552, 554, 571, 596, 609, 617, 642, 669, 700, Dialekt 80, 84, 85, 161, 117, 178, 191, 237,
708 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 353,
Dependenzgrammatik / Valenzgrammatik 354, 360, 362, 363, 364, 373, 374, 375, 380,
295, 654, 667, 926 382, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 392, 394,
Derivation 228, 239, 553, 572, 590, 676, 691, 395, 400, 401, 402, 403, 415, 420, 422, 428,
696, 716 439, 531, 533, 602, 628, 642, 668, 677, 692,
Destandardisierung 346, 350, 391 903, 1201, 1505, 1667, 1771, 1776, 1780,
Deutsch als dritte Fremdsprache 1616, 1726 1830, 1831
Deutsch als zweite oder weitere (dritte) Dialektbewertung 394
Fremdsprache 25, 826, 827, 1269 Dialekte, deutsche 346, 347, 388
Deutsch als Zweitsprache (Fach) 183, 307, Dialekte, deutschschweizer 373
744, 749, 805, 925, 928, 933, 987, 1042, digitale Medien 15, 1185, 1193, 1203, 1204,
1046, 1054, 1074, 1085, 1089, 1090, 1091, 1205, 1207, 1210, 1211, 1228, 1244, 1355
1092, 1096, 1097, 1100, 1106, 1188, 1155, Diglossie 83, 114, 161, 162, 346, 374, 377,
1183, 1189, 1199, 1221, 1222, 1223, 1254, 381, 532
1267, 1299, 1307, 1311, 1333, 1334, 1336, Digressivität 499
1346, 1349, 1357, 1348, 1455, 1469, 1480, Diskurs (Gesprächsführung als Lerngegenstand)
1568, 1578 265, 266, 267, 269, 270, 276, 287, 327, 328,
Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz 80, 406, 412, 498, 505, 510, 512, 891, 928, 933,
83, 114, 163, 167, 1358, 1359 935, 984, 987, 1131, 1134, 1386
Deutsch als Zweitsprache in Deutschland 2, Diskursanalyse, funktional-pragmatische
3, 4, 9, 14, 19, 23, 54, 63, 55, 66, 67, 68, 258, 265, 267, 692, 777, 1365, 1367, 1386,
167, 1344, 1359, 1361 1436, 1493, 1494
Deutsch als Zweitsprache in Österreich 73, Diskursarten 182, 183, 509, 510, 512, 514,
74, 75, 76, 77, 78, 154, 155, 167, 1342, 536, 598, 599
Deutsche Pädagogische Vereinigung (DPV) Diskurskompetenz 1131
1807 Diskurslinguistik 177, 181, 275, 1418
Deutsche Sprachprüfung für den Hochschul- Distanzlernen 1193, 1196, 1197
zugang (DSH) 148, 490, 1282, 1292, 1296 Distanzsprachlichkeit 419
Deutsche Welle (DW) 134, 144 Dolmetscherausbildung, s. Übersetzer-
Deutscher Akademischer Austauschdienst ausbildung
(DAAD) 2, 10, 38, 45, 46, 47, 135, 136, Doppelterminologie 483
144, 147, 150, 151, 166, 1592, 1609, 1610, Drama / Dramapädagogik 1589, 1590, 1591,
1617, 1618, 1635, 1659, 1669, 1678, 1684, 1592, 1593, 1691, 1692, 1813
1688, 1691, 1697, 1708, 1711, 1712, 1722, Dualform 534
1727, 1742, 1746, 1754, 1755, 1779, 1807,
1808, 1817, 1831, 1840
Deutscher Volkshochschulverband (DVV)
925, 926 E
Deutschlandbild 134, 1383, 1423, 1424, 1467,
1514, 1515, 1633 E-Mail-Kommunikation 266, 285, 353, 414,
Deutschlehrerausbildung 13, 14, 54. 60, 77, 415, 419, 422, 426, 436, 461
693, 694, 697, 1076, 1077, 1345, 1346, 1347, Eidgenössische Kommission für Migrations-
1348, 1609, 1634, 1647, 1648, 1652, 1653, fragen (EKM) 113, 161, 165
1656, 1678, 1683, 1690, 1704, 1706, 1722, Einzelarbeit 1182, 1185, 1186
1727, 1730, 1742, 1745, 1746, 1748, 1749, Emigration 89, 1728, 1776, 1814
1763, 1765, 1773, 1779, 1786, 1794, 1809, Emotion 332, 574, 674, 729, 798, 827, 828,
1811, 1820, 1821, 1822 876, 877, 881, 898, 1010, 1035, 1037, 1183,
1846 Indices
1203, 1204, 1330, 1433, 1434, 1501, 1538, Fachverband Deutsch als Fremdsprache
1584, 1598, 1703, 1727 (FaDaF) 21, 47, 144, 145, 148, 150, 151,
Englisch (Einfluss auf Deutsch) 415, 441, 1282, 1343
442, 443, 444, 460, 469, 477, 481, 482 Fachverbände 46, 51, 145, 150, 166, 1359,
Entlehnung 197, 240, 362, 410, 411, 433, 1734
435, 441, 442, 443, 444, 565, 612, 657, 668, Fachwortschatz 237, 238, 239, 351, 468, 469,
684, 691, 1056 480, 482, 496, 670, 1080, 1149
ERFA-Wirtschaft-Sprache 146, 1145 Faktorenkomplexion 765, 907, 1060, 1073,
Erstsprache 4, 10, 39, 58, 64, 67, 80, 152, 1077
157, 519, 521, 522, 523, 524, 525, 526, 528, Falsche Freunde 637, 684, 691, 1045
667, 742, 747, 808, 837, 838, 986, 988, 993, Fehleranalyse 319, 523, 532, 777, 981, 1003,
997, 1010, 1011, 1012, 1086, 1087, 1132, 1060, 1231, 1232, 1333, 1638
1134, 1189, 1512, 1533, 1654, 1706 Fehlerannotation 319
Erstspracherwerb 528, 759, 789, 795, 827, Fehlerbewertung 1069
835, 901, 903, 965, 1060 Fehlererklärung 1064
Erstspracherwerbsforschung 738 Fehlerkorrektur 914, 1069, 1061, 1065, 1067,
Erwerbssequenzen 175, 180, 528, 642, 674, 1068, 1183, 1191
741, 777, 1011, 1260, 1836 Fehlerwörterbücher 309
Ethnographie der Kommunikation 331 Feldergrammatik 674
Ethnolekt 338, 352, 447, 448, 449, 450, 451, Feldunabhängigkeit 746, 854, 1001
452, 453, 454, 455, 890, 1574 Feministische Linguistik 557
EU-Erweiterung 151 Fernstudium 14, 1193, 1743, 1758
Eurolatein 444 Fernunterricht 1193, 1194, 1195, 1613
Europäisches Sprachenportfolio (ESP), s. auch Fertigkeiten, s. auch Hören, Lesen, Sprechen,
Portfolio 85, 130, 762, 763, 912, 913, Schreiben 7, 9, 114, 116, 155, 180, 252,
1315, 1316, 1317, 1318, 1319, 1320, 1321, 262, 270, 290, 478, 575, 651, 685, 710, 745,
1322, 1366, 1512 778, 787, 808, 809, 829, 830, 831, 880, 918,
Europarat 22, 76, 100, 124, 129, 130, 159, 927, 928, 944, 945, 961, 962, 963, 964, 965,
171, 261, 915, 927, 928, 930, 1158, 1267, 966, 967, 968, 977, 983, 992, 995, 1036,
1274, 1275, 1291, 1292, 1315, 1316, 1317, 1037, 1040, 1042, 1045, 1047, 1048, 1049,
1318, 1511, 1622, 1796, 1818 1118, 1123, 1126, 1156, 1169, 1172, 1228,
European Association for Quality Language 1235, 1244, 1264, 1265, 1266, 1269, 1275,
Services (EAQUALS) 171, 915 1276, 1278, 1280, 1285, 1290, 1300, 1318,
European Studies 37, 38, 1524, 1613, 1681, 1348, 1360, 1417, 1423, 1455, 1467, 1472,
1708 1486, 1502, 1530, 1537, 1598, 1599, 1644,
European Union of National Institutes of 1656, 1681, 1688, 1703, 1715, 1783
Culture (EUNIC) 135 Festigkeit (Wortschatz) 247, 248, 249
Feststellungsprüfung 148, 1277, 1284, 1285,
1286, 1289, 1302
flektierend(e Sprachen) 207, 208, 210, 212,
F 533, 562, 609, 616, 655, 668, 716, 727, 733,
762
Fachausbildung 1498, 1622, 1811, 1841 Flexionsklasse 207, 208, 209, 210, 213, 215
Fachkompetenz (Deutschlehrer) 1750 Flexionsmorpheme 564, 604, 605, 669, 682,
Fachlehrerausbildung 1656 690, 980
Fachsprache 17, 23, 28, 29, 239, 317, 351, focus on form, s. Formfokussierung
353, 355, 458, 467, 468, 469, 473, 478, 480, formelhafte Ausdrücke 7, 246, 253, 257, 514,
484, 487, 493, 494, 505, 510, 511, 513, 831, 1011, 1023
1053, 1054, 1055, 1056, 1139, 1146, 1149, Formfokussierung 943, 947, 1170, 1202
1285, 1333, 1617 Forschungsansätze 11, 352, 519, 748, 765,
Fachsprachenvermittlung 1053, 1054, 1055, 767, 768, 872, 943, 1382, 1386, 1402, 1408,
1056 1410, 1450
Sachregister 1847
Forschungsmethoden 748, 764, 767, 768, 1416, 1446, 1447, 1448, 1459, 1472, 1473,
793, 1375, 1385, 1386, 1419, 1445, 1830 1474, 1513, 1517, 1533, 1537, 1546, 1551,
Fortbildung 21, 45, 50, 68, 75, 76, 78, 100, 1580, 1600, 1788
110, 136, 140, 141, 147, 155, 156, 158, 164, Fremdwahrnehmung 1216, 1423, 1426, 1427,
170, 847, 926, 1015, 1051, 1082, 1142, 1351, 1533
1352, 1353, 1354, 1355, 1361, 1355, 1367, Frequenz (Grammatik) 497, 498, 695, 1010
1417, 1501, 1502, 1507, 1508, 1548, 1591, Frequenz (Wortschatz) 213, 238, 248, 249,
1605, 1608, 1617, 1618, 1623, 1629, 1635, 317, 319, 376, 436, 497, 676, 696, 716, 977,
1643, 1647, 1651, 1656, 1666, 1673, 1683, 1012, 1024, 1028
1691, 1699, 1700, 1703, 1705, 1710, 1715, Friesisch (Einfluss auf Deutsch) 442, 443
1719, 1722, 1730, 1737, 1748, 1765, 1768, Frontalunterricht 632, 1182, 1183, 1605
1772, 1773, 1786, 1798, 1801, 1804, 1810, Frühbeginn 29, 745, 870, 874, 1141, 1729
1811, 1815 Fugenelement 228, 229
Fossilisierung 401, 757, 804, 812, 890, 1023, Funktionsverbgefüge 247, 414, 460, 1133
1100 Funktor 208, 210, 211
Französisch (Einfluss auf Deutsch) 439, 440,
441, 442, 444
Fremdbild 1108, 1221, 1423, 1425, 1426, G
1427, 1428, 1429, 1486, 1507, 1566
Fremdheit 333, 334, 533, 972, 1141, 1393, Gebrauchsgrammatik 295, 296, 297
1395, 1397, 1415, 1416, 1418, 1419, 1427, Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen
1526, 1536, 1545, 1546, 1548, 1549, 1552, 3, 85, 107, 156, 179, 270, 638, 910, 928,
1560, 1561, 1568, 1579 929, 930, 941, 961, 962, 973, 985, 1033,
Fremdsprachenlehrerausbildung, s. auch 1043, 1064, 1080, 1097, 1099, 1100, 1101,
Deutschlehrerausbildung 2, 19, 1342, 1103, 1118, 1121, 1215, 1265, 1274, 1275,
1359, 1613, 1674, 1721, 1731, 1744, 1767, 1277, 1285, 1288, 1320, 1391, 1514, 1617,
1773, 1793, 1826, 1827, 1829, 1618, 1672, 1735
Fremdsprachenunterricht 2, 40, 49, 66, 76, Genderlekt 351, 353
82, 84, 150, 151, 155, 168, 174, 175, 242, Generative Grammatik 218, 636, 800, 801,
250, 251, 261, 270, 280, 290, 293, 297, 308, 837
354, 405, 520, 521, 526, 527, 541, 566, 599, Generative Linguistik 418, 681
616, 619, 651, 740, 745, 754, 757, 761, 762, German Studies 5, 34, 36, 179, 1524, 1525,
803, 821, 831, 845, 846, 847, 850, 855, 862, 1526, 1613, 1676, 1677, 1678, 1684, 1691,
869, 879, 881, 897, 901, 902, 908, 911, 913, 1692, 1708, 1715, 1756, 1816, 1835, 1836,
915, 917, 933, 936, 941, 942, 944, 946, 954, 1837, 1838,
955, 956, 957, 958, 961, 964, 966, 967, 972, Gerundium 589, 590
976, 995, 1024, 1025, 1027, 1034, 1035, Gesellschaft der Deutschlehrer Irlands (GDI)
1036, 1037, 1040, 1041, 1042, 1043, 1048, 1691
1062, 1146, 1157, 1167, 1168, 1173, 1174, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
1175, 1186, 1201, 1208, 1211, 1227, 1237, (GTZ) 134, 1776
1243, 1245, 1264, 1269, 1270, 1340, 1341, Gesprächsanalyse 265, 575, 1493
1364, 1367, 1379, 1395, 1398, 1423, 1464, Gesprächstyp 266, 467
1447, 1454, 1455, 1457, 1458, 1459, 1460, Glottodidaktik 657, 658, 1345, 1763, 1764,
1462, 1466, 1468, 1472, 1507, 1509, 1525, 1765
1530, 1531, 1533, 1537, 1551, 1552, 1578, Goethe-Institut (GI) 2, 8, 14, 20, 21, 27, 39,
1581, 1596, 1597, 1599, 1612, 1616, 1653, 41, 45, 46, 48, 51, 52, 53, 54, 64, 65, 68, 91,
1655, 1660, 1671, 1674, 1675, 1698, 1700, 104, 130, 133, 134, 135, 141, 147, 150, 170,
1729, 1761, 1790, 1791, 1794, 1795, 1796, 914, 916, 924, 925, 953, 1076, 1103, 1189,
1810, 1818, 1819, 1828, 1834 1196, 1220, 1285, 1292, 1295, 1300, 1306,
Fremdverstehen 5, 332, 942, 1346, 1391, 1355, 1360, 1505, 1578, 1602, 1065, 1608,
1392, 1393, 1394, 1395, 1396, 1397, 1398, 1612, 1618, 1623, 1624, 1639, 1647, 1651,
1848 Indices
Inlandsgermanistik 3, 4, 36, 47, 1520, 1521, Interferenzfehler 644, 656, 696, 834, 1060
1534, 1765 Interkulturalität 3, 15, 541, 542, 709, 912,
Input 3, 177, 250, 252, 294, 316, 317, 354, 954, 1335, 1379, 1380, 1384, 1392, 1395,
527, 528, 741, 742, 743, 759, 801, 803, 808, 1396, 1413, 1415, 1416, 1418, 1419, 1523,
810, 811, 814, 815, 818, 819, 827, 836, 860, 1560, 1576, 1600, 1630, 1723, 1787, 1788,
863, 870, 873, 877, 887, 889, 890, 891, 905, 1830
909, 949, 1010, 1012, 1013, 1014, 1022, Interkulturelle / konfrontative Semantik
1024, 1027, 1101, 1268, 1307, 1325, 1835 1252, 1455
Input-Hypothese 743, 759, 760, 761, 800, Interkulturelle Germanistik 19, 25, 26, 1413,
818, 943, 1024 1414, 1415, 1419, 1515, 1533, 1534, 1545,
Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) 134 1547, 1560, 1684, 1751, 1788
Instituto colombo-alemán para la formación Interkulturelle Kommunikation 19, 37, 148,
tecnológica (ICAFT) 1710 269, 331, 333, 339, 541, 556, 557, 590, 618,
Inszenierung 336, 338, 339, 413, 414, 436, 637, 644, 651, 667, 670, 677, 681, 684, 686,
505, 989, 1167, 1369, 1590, 1591, 1592 709, 730, 735, 863, 1383, 1396, 1416, 1423,
Intake 743, 811, 818, 819, 834, 840, 877, 1435, 1616, 1630, 1715, 1746, 1831
1013, 1022 Interkulturelles Lernen 75, 76, 77, 78, 158,
Integration 38, 68, 83, 84, 85, 109, 111, 112, 436, 954, 1075, 1089, 1138, 1383, 1402,
114, 115, 148, 148, 151, 414, 889, 994, 1075, 1407, 1442, 1444, 1447, 1450, 1456, 1473,
1086, 1092, 1097, 1098, 1100, 1119, 1299, 1474, 1475, 1486, 1513, 1600, 1630, 1718,
1437, 1496, 1734 1806, 1813
Integrationskurse 4, 67, 68, 84, 110, 113, Interlanguage 319, 522, 524, 757, 777, 828,
144, 146, 149, 163, 930, 1075, 1076, 1096, 833, 890
1097, 1099, 1100, 1101, 1102, 1116, 1119, Interlanguage-Hypothese 319, 522, 523, 740,
1284, 1295, 1299, 1302, 1334, 1359, 1360, 742, 757, 802, 943, 1064
1469, 1480, 1489 Internationale Vereinigung für Germanistik
Integrationsvereinbarung (Österreich) 78, (IVG) 167, 168, 169, 1684
111, 112, 154, 157, 158, 994, 1098, 1100, Internationaler Deutschlehrerverband (IDV)
1101, 1295 44, 46, 49, 50, 51, 52, 53, 86, 142, 145, 150,
Integrationsvereinbarung (Schweiz) 113 156, 164, 167, 168, 170, 1502
Integriertes Sprach-/Sachlernen 1134 Internationalisierung 2, 14, 15, 17, 27, 76,
Interaktionismus 788, 1408 183, 443, 503, 1417, 1688, 1698, 1699, 1738,
Interaktion 183, 265, 266, 281, 324, 328, 332, 1769
338, 339, 406, 413, 426, 439, 449, 472, 522, Intertextualität 505, 1449, 1560
524, 591, 598, 740, 742, 743, 744, 757, 761, Intoleranz 1704
777, 794, 808, 810, 811, 812, 813, 817, 818, isolierend(e Sprachen) 207, 1842
819, 820, 821, 822, 824, 871, 873, 886, 888, Isotopie 280
889, 890, 903, 904, 905, 912, 913, 914, 915, Italienisch (Einfluss auf Deutsch) 441
947, 957, 962, 965, 970, 976, 978, 1036,
1080, 1109, 1145, 1173, 1182, 1183, 1184,
1188, 1194, 1195, 1196, 1200, 1201, 1209,
1237, 1266, 1315, 1321, 1364, 1365, 1429, J
1449, 1474, 1493, 1532, 1540, 1544, 1704
Interaktionsanalyse 1365 Japanische Gesellschaft für Germanistik
Interaktionsforschung 821, 822, 823, 824 (JGG) 1699
Interaktionshypothese 743, 760, 761, 818, Japanischer Deutschlehrerverband (JDV)
819 1700
Interdependence-Hypothese 891 Jiddisch 92, 443
Interessengemeinschaft Qualität Deutsch als Jugendliteratur 1533, 1536, 1566, 1567, 1568,
Fremdsprache (IQ Deutsch) 916 1577, 1578, 1579, 1580, 1581, 1718
Interferenz 196, 452, 462, 519, 520, 521, 522, Jugendsprache 352, 353, 413, 431, 432, 433,
523, 740, 829, 999, 1015, 1060, 1064, 1779 434, 435, 436, 437, 676
1850 Indices
K Kompetenz
⫺ alltagssprachliche 869
Kanon 13, 1034, 1142, 1334, 1335, 1405, ⫺ bildungssprachliche 7, 12, 37, 869
1468, 1486, 1489, 1493, 1535, 1555, 1556, ⫺ fremdsprachliche 86, 747, 762, 767, 860,
1557, 1558, 1559, 1560, 1561, 1562, 1592, 872, 874, 1670, 892, 1043, 1044, 1316, 1456,
1600, 1806 1670, 1730
Kasus (Unterdifferenziertheit) 406 ⫺ interkulturelle 5, 330, 912, 954, 1150,
Kategorial-Grammatik 218 1237, 1333, 1346, 1383, 1384, 1392, 1398,
Kietzdeutsch 449, 450 1399, 1407, 1417, 1419, 1422, 1442, 1444,
Kinderliteratur 1577, 1578, 1579 1448, 1449, 1450, 1451, 1455, 1456, 1458,
Kleines Deutsches Sprachdiplom (KDS) 1472, 1473, 1488, 1494, 1515, 1534, 1779,
1294, 1295, 1672, 1779 1831
Koartikulation 196, 1002 ⫺ kommunikative (pragmatische) 7, 257,
Kognition / Kognitionspsychologie 807, 812, 260, 270, 339, 355, 503, 536, 566, 770, 929,
851, 859, 876, 877, 878, 886, 888, 895, 896, 955, 964, 927, 928, 929, 955, 971, 984, 1090,
897, 947, 1022, 1023, 1325, 1326, 1330, 1034, 1138, 1146, 1245, 1264, 1265, 1266,
1352, 1538, 1539, 1598 1290, 1295, 1448, 1515, 1530, 1777
kognitiv 11, 58, 82, 175, 281, 294, 391, 420, ⫺ landeskundliche 1469, 1509, 1513, 1535
460, 520, 522, 525, 528, 741, 742, 743, 744, ⫺ lernstrategische 843, 845, 846, 847
745, 760, 788, 789, 793, 795, 798, 800, 803, ⫺ lexikalische 236, 242, 1023, 1026, 1279
804, 807, 808, 810, 812, 813, 817, 821, 828, ⫺ mehrsprachige 116
829, 844, 843, 845, 850, 851, 852, 854, 858, ⫺ produktive 180, 181, 436, 967
860, 861, 862, 863, 870, 873, 877, 879, 937, ⫺ schriftsprachliche 419
943, 949, 963, 976, 984, 988, 992, 1000, ⫺ schulsprachliche 179
1001, 1023, 1109, 1130, 1131, 1132, 1135, ⫺ translatorische 1043, 1045
1168, 1127, 1231, 1246, 1265, 1325, 1326, ⫺ wissenschaftssprachliche 37, 509
1328, 1329, 1330, 1373, 1424, 1427, 1429, Kompetenzmodelle 1265, 1268, 1269
1455, 1458, 1468, 1472, 1474, 1476, 1480, Kompetenzorientierung 1264, 1399, 1537,
1513, 1538, 1566, 1586, 1696, 1699, 1735, 1734
1765, 1797, 1780, 1829 Komposition (Wortbildung) 228, 229, 231,
Kognitiver Stil 851, 852, 853, 895, 897 233, 239, 366, 408, 460, 488, 489, 572, 597,
Kognitivierung 911, 946, 948, 1004, 1081, 604, 676, 716, 735, 1054
1368 Konjugation 206, 208, 209, 212, 214, 240,
Kohärenz 276, 277, 278, 279, 535, 709, 892, 241, 459, 534, 546, 570, 629, 636, 643, 650,
979, 1237, 1280, 1539, 1552 701, 708, 733, 785, 804, 1123
Kohäsion 276, 277, 278, 279, 535, 574, 709 Konjunktivistische Ansätze 815, 817, 818,
Kollokation 7, 177, 236, 242, 247, 248, 249, 820, 822, 824, 861, 886, 895, 1168, 1252,
251, 252, 309, 311, 469, 513, 677, 837, 1252, 1332, 1450, 1617
1255 Konkordanz 316, 317
Kommunikationsbereiche 286, 287, 419, Konnektionismus / konnektionistische Modelle
1103 215, 740, 742, 800, 807, 810, 811, 813, 814,
Kommunikationsforschung 1367 815, 943, 947, 948
Kommunikationssituation 277, 280, 286, Konsonantenhäufung 536, 616
287, 324, 331, 333, 419, 984, 1188, 1435, Konstruktionsgrammatik 176, 218, 249, 250,
1446, 1831 569
Kommunikative Didaktik 632, 961, 984, Konstruktivismus 742, 811, 812, 813, 943,
1168, 1212, 1382, 1402 958, 1034, 1158, 1324, 1327, 1328, 1367,
Kommunikative Spiele 1179, 1180 1408
Kommunikative Wende 1202, 1457 Kontrastive Analyse 319, 432, 518, 532, 535,
Kommunikativer Unterricht 26, 957, 1147, 538, 541, 605, 625, 627, 636, 638, 657, 694,
1392, 1457 735, 914, 1003
Sachregister 1851
Kontrastivhypothese 521, 522, 524, 528, 720, Landeskunde 5, 52, 60, 136, 140, 156, 158,
740, 756, 758, 1060 369, 405, 437, 1201, 1216, 1219, 1248, 1378,
Konversion (Wortbildung) 232, 239, 240, 1379, 1380, 1381, 1383, 1384, 1385, 1405,
460, 656, 670, 690, 716 1409, 1410, 1415, 1417, 1423, 1424, 1426,
Kookkurrenz 247, 251 1436, 1438, 1441, 1442, 1443, 1444, 1445,
Korpuslinguistik 177, 247, 249, 315, 316, 1446, 1447, 1448, 1449, 1450, 1456, 1457,
320, 1028, 1230, 1696 1459, 1460, 1465, 1467, 1469, 1478, 1480,
Kreativität 352, 506, 1080, 1124, 1583, 1584, 1481, 1485, 1486, 1487, 1488, 1494, 1507,
1585, 1587,1591, 1598, 1605, 1703 1508, 1513, 1516, 1517, 1518, 1534, 1535,
Kulturanthropologie 332, 1378, 1406, 1435, 1545
1459 ⫺ außereuropäische 1511, 1521, 1522, 1523,
Kulturbegriff 332, 464, 512, 1140, 1380, 1524, 1525, 1526
1384, 1406, 1407, 1408, 1418, 1424, 1432, ⫺ DACH(L) 76, 85, 86, 142, 170, 1248,
1456, 1467, 1473, 1545, 1550, 1560 1495, 1500, 1501, 1502, 1504, 1509
KulturKontakt 76, 140, 141, 154, 512 ⫺ erlebte 1417, 1469, 1502, 1507
Kulturkunde 1442, 1444, 1445, 1446, 1457, ⫺ informationsbezogene 1466, 1467, 1468
1466, 1485, 1513, 1715, 1763 ⫺ interkulturelle 5, 25, 290, 1444, 1456,
Kulturpolitik 45, 51, 138, 139, 142, 1052, 1472, 1473, 1474, 1475, 1476, 1524, 1525,
1405, 1467, 1755 1526, 1566, 1567
Kulturspezifik 464, 607, 623, 624, 957, 1024, ⫺ kontrastive 25, 1507
1547 ⫺ kulturwissenschaftliche 1435, 1436, 1438,
Kulturstudien 176, 1409, 1410, 1442, 1444, 1450
1803 ⫺ sprachbezogene 1454, 1455, 1458, 1459,
Kulturwissenschaft 5, 6, 26, 36, 37, 179, 495, 1460, 1461, 1462
581, 992, 1138, 1378, 1379, 1380, 1381, Landeskundedidaktik 1513, 1514, 1565, 1566
1382, 1383, 1384, 1385, 1386, 1388, 1395, Language Acquisition Device 800
1402, 1407, 1408, 1409, 1410, 1413, 1414, Language awareness 293, 557, 859, 860, 861,
1415, 1417, 1419, 1425, 1427, 1438, 1442, 862, 863, 864, 865, 1013
1449, 1450, 1456, 1469, 1470, 1485, 1513, Langvokale 192, 535, 552, 569, 649, 675
1517, 1524, 1526, 1535, 1536, 1550, 1562, Latein (Einfluss auf Deutsch) 440, 442, 444,
1556, 1575, 1653, 1662, 1681, 1687, 1688, 445
1689, 1696, 1708, 1768, 1780, 1787, 1808, Laut-Buchstaben-Zuordnung, s. Phonem-
1830 Graphem-Beziehungen
Kultusministerkonferenz, s. Ständige Konfe- Lautverschiebung 347, 348, 388, 644
renz der Kultusminister Lehnwortbildung 445
Kunst 134, 936, 1385, 1405, 1462, 1467, Lehr- und Lerntraditionen 8, 710, 916, 918,
1505, 1557, 1562, 1572, 1590, 1596, 1597, 988, 1044, 1382, 1489, 1671
1598, 1599, 1600, 1682, 1698, 1706, 1721, Lehr-Lernprozess 911, 1215, 1324, 1325,
1825 1327, 1331, 1333, 1363, 1364
Kunstbild 1462, 1598
Lehramtsausbildung 38, 39, 78, 1076, 1080,
Kurzvokale 192, 365, 534, 535, 569, 675
1306, 1622
Kurzwort 231, 460, 488, 572
Lehrerausbildung, s. auch Deutschlehrerausbil-
kyrillisch 688
dung 20, 27, 39, 48, 84, 86, 148, 149, 175,
178, 181, 693, 831, 847, 911, 913, 914, 1005,
L 1051, 1073, 1074, 1075, 1077, 1146, 1184,
1223, 1244, 1330, 1340, 1341, 1342, 1344,
L1-Grammatik 804 1347, 1348, 1349, 1358, 1361, 1365, 1367,
L2-Grammatik 804 1441, 1448, 1490, 1502, 1526, 1578, 1591,
L3 82, 522, 524, 732, 736, 747, 748, 827, 828, 1613, 1626, 1643, 1652, 1667, 1683, 1695,
829, 830, 831, 1497 1750, 1751, 1752, 1768, 1782, 1783, 1786,
Laienkommunikation 468, 471 1787, 1799, 1803, 1807, 1821, 1829, 1836,
Landesbild 1458, 1468, 1472, 1550 1837, 1840
1852 Indices
1208, 1252, 1278, 1282, 1284, 1286, 1300, 1269, 1316, 1358, 1358, 1416, 1497, 1502,
1303, 1304, 1360, 1470, 1534, 1538, 1539, 1511, 1536, 1560, 1573, 1578, 1580, 1619,
1575, 1576, 1581, 1703 1624, 1633, 1640, 1641, 1670, 1719, 1731,
Leseprozess 642, 976, 977, 979, 1037, 1532, 1732, 1733, 1734, 1739, 1801, 1805, 1815,
1539, 1549 1820, 1830
Lesestrategie 980, 981, 1035, 1122, 1124, ⫺ individuelle 118, 831, 1087, 1100, 1820
1124, 1132, 1135, 1160, 1540 ⫺ innere 343, 382, 435
Lesetheorie 1538 Mehrsprachigkeitsdidaktik 8, 10, 40, 86, 175,
Leseverstehen 69, 632, 651, 843, 927, 928, 619, 748, 759, 762, 828, 936, 1034, 1037,
963, 964, 966, 967, 1033, 1185, 1260, 1279, 1038
1283, 1285, 1290, 1538, 1687, 1703, 1737, Mehrsprachigkeitserziehung 860, 1142, 1497,
1783 1654
Lexikalisierung 246, 248, 249 Mehrsprachigkeitsforschung 9, 67, 163, 176,
Lexikographie 50, 237, 249, 251, 305, 306, 522, 738, 747, 749, 775, 831
309, 310, 590, 610, 657, 702, 729, 1022, Mehrsprachigkeitskonzepte 826, 828, 831,
1727, 1780, 1830 1630
Lexikologie 6, 175, 227, 237, 572, 580, 657, Melodie (Phonetik) 190, 196, 198, 364, 570,
676, 1024, 1252, 1634, 1675 902, 903
Lieder 1568, 1578, 1596, 1599, 1610 Mentales Lexikon 1022
Lingua Franca 17, 90, 101, 124, 125, 131, Mentalität 330, 1382, 1409, 1418, 1431, 1432,
440, 448, 468, 609, 1120, 1497, 1619, 1713, 1433, 1434, 1435, 1436, 1437, 1438, 1476,
1782 1523, 1660
Linguolandeskunde 1458 Mentalitätsforschung 1431, 1433, 1434, 1435,
Literacy 315, 996, 1117, 1130, 1131, 1135, 1436, 1438
1205 metakognitiv / Metakognition 844, 845, 846,
Literalität 1117, 1118, 1120, 1126, 1131, 1733 847, 850, 853, 856, 859, 949, 1159, 1169,
Literarizität 1551 1239
Literatur (im DaF-Unterricht) 1530, 1567, Methodik 1, 7, 13, 49, 60, 155, 169, 176, 306,
1575, 1578, 1863 315, 541,671, 697, 765, 831, 853, 895, 912,
Literatur und Landeskunde 1531, 1535, 933, 934, 938, 953, 956, 957, 1053, 1055,
1550, 1565, 1566, 1567 1056, 1058, 1099, 1123, 1124, 1127, 1145,
Literaturdidaktik 52, 1384, 1398, 1447, 1531, 1146, 1177, 1182, 1185, 1217, 1222, 1252,
1532, 1535, 1536, 1537, 1538, 1539, 1540, 1253, 1346, 1423, 1426, 1459, 1490, 1508,
1549, 1550, 1567, 1575, 1576, 1578, 1600 1509, 1539, 1586, 1605, 1609, 1616, 1617,
1622, 1629, 1634, 1638, 1651, 1652, 1673,
1638, 1687, 1698, 1699, 1704, 1708, 1710,
M 1715, 1718, 1727, 1730, 1754, 1773, 1774,
1779, 1788, 1826, 1835, 1837, 1841
Mannheimer Gutachten 147, 1218 Microteaching 1347, 1367
Massenmedien 259, 502, 503, 504, 505, 1199, Migrantenliteratur / Migrationsliteratur 1536,
1200, 1201, 1205 1559, 1560, 1561, 1571, 1572, 1573, 1574,
Max Mueller Bhavan 1681, 1683 1575, 1576
Mediendidaktik 1211, 1212, 1597, 1599 Migration / Migrationshintergrund 4, 8, 9,
Medienkompetenz 1208, 1470 13, 14, 17, 19, 23, 54, 63, 67, 74, 81, 108,
Medienverbund 1204, 1205, 1211 110, 111, 113, 115, 118, 145, 150, 154, 155,
Mehrsprachigkeit 4, 9, 15, 16, 23, 29, 40, 54, 158, 161, 165, 171, 381, 385, 399, 400, 414,
73, 77, 81, 116, 118, 128, 130, 131, 135, 161, 415, 434, 435, 447, 454, 468, 745, 748, 749,
163, 168, 171, 343, 382, 386, 401, 435, 509, 879, 888, 889, 891, 892, 904, 933, 1045,
541, 542, 619, 638, 651, 678, 697, 730, 747, 1074, 1075, 1076, 1078, 1079, 1085, 1086,
748, 805, 828, 831, 898, 904, 912, 917, 930, 1087, 1088, 1090, 1092, 1102, 1108, 1124,
931, 944, 950, 1010, 1043, 1068, 1087, 1118, 1132, 1138, 1139, 1146, 1150, 1222, 1267,
1119, 1126, 1138, 1139, 1141, 1142, 1150, 1306, 1307, 1311, 1334, 1342, 1358, 1359,
1854 Indices
1360, 1431, 1450, 1484, 1485, 1488, 1493, Nationalsozialismus 16, 45, 59, 104, 402,
1525, 1532, 1536, 1537, 1545, 1560, 1561, 1466, 1479, 1567, 1589
1567, 1568, 1572, 1573, 1574, 1576, 1579, Negation 232, 571, 573, 596, 618, 689, 691,
1580, 1633, 1690, 1717, 1734, 1748, 1818, 692, 694, 696, 716, 721, 741, 757, 804, 1016,
1839 1260
Minderheit 4, 16, 29, 41, 42, 47, 46, 59, 89, Netzwerk Sprachenrechte 157, 171
92, 96, 179, 337, 399, 400, 402, 414, 442, Neue Medien 499, 1733
442, 568, 1140, 1299, 1484, 1536, 1557, Niederdeutsch (Einfluss auf Deutsch) 441,
1559, 1573, 1575, 1580, 1581, 1585, 1645, 642
1771, 1775, 1776, 1797, 1809, 1831 Nomenklatur 481, 496, 827
Minderheitenliteratur 1561 Nominalisierung 460, 478, 482, 484, 488, 489,
Minderheitensprache 116, 130, 343, 735, 862, 1133
865, 891, 1725, 1830, 1832 Nominalphrase 175, 211, 217, 221, 222, 223,
Mittelstufengrammatik 301 224, 408, 452, 552, 612, 618, 643, 648, 650,
Modalpartikel 175, 427, 484, 590, 606, 612, 657, 691, 692, 700, 722, 809, 980, 1012
702 Nominalstil 460, 470
Morphosyntax (Entwicklungen) 406, 427 Norm(en) 7, 23, 58, 117, 159, 181, 190, 199,
Motivation 35, 40, 117, 261, 525, 746, 786, 200, 317, 318, 344, 347, 353, 362, 369, 370,
789, 813, 829, 835, 845, 876, 877, 878, 879, 387, 391, 392, 491, 519, 562, 707, 777, 800,
880, 881, 887, 891, 901, 904, 905, 916, 945, 915, 1005, 1062, 1291, 1309, 1319, 1311,
949, 981, 985, 986, 996, 1001, 1008, 1077, 1312, 1489, 1547
1081, 1108, 1109, 1119, 1121, 1146, 1147,
1152, 1153, 1154, 1155, 1162, 1164, 1178,
1183, 1189, 1204, 1205, 1231, 1327, 1333, O
1335, 1455, 1531, 1538, 1591, 1593, 1630,
1680, 1685, 1730, 1796 Oberdeutsch 347, 361, 362, 365, 366, 367,
Motivationsforschung 1152, 1152, 1155 388
Motivierung 25, 994, 1108, 1152, 1154, 1155, Orientierungskurs 110, 1096, 1099, 1100,
1156 1102, 1103, 1299, 1300, 1384, 1385, 1445,
Multi-Ethnolekt 448, 449, 450, 454 1480, 1481, 1489
Multikulturalität 330, 638, 1139, 1140, 1492, Orthographie 194, 199, 200, 201, 202, 203,
1493, 1494, 1495, 1498, 1517, 1568, 1688 204, 205, 349, 482, 545, 570, 675, 965, 1122,
Multilingualität, s. Mehrsprachigkeit 1160
Multiple-Choice 110, 112, 114, 1278, 1279, Österreich Institut (ÖI) 2, 41, 76, 133, 139,
1280 154, 156, 166, 1800
Multiplikatorenausbildung 1911 Österreich-Bibliotheken 141
Multiplikatorennetz 1618, 1656 Österreich-Kooperation (ÖK) 38, 76, 139,
Mündlichkeit, s. auch Schriftlichkeit 266, 154, 1677, 1746
276, 380, 382, 419, 425, 505, 984, 1210, Österreichischer Austauschdienst (ÖAD) 73,
1238 74, 140, 158
Musik 95, 435, 437, 441, 581, 582, 936, 1204, Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF)
1284, 1385, 1462, 1592, 1596, 1597, 1598, 111, 112, 158, 1076, 1096, 1302, 1303, 1304,
1599, 1600, 1625, 1663, 1698, 1706, 1714 1360
Österreichischer Verband für Deutsch als
Fremdsprache / Zweitsprache (ÖDaF) 75,
77, 153, 156
N Österreichisches Deutsch
⫺ Artikulation und Intonation 364
Nähesprache / Nähekommunikation 419, ⫺ Diminutiv 366
420, 421, 425 ⫺ Genitiv 366
Nationaler Integrationsplan (Deutschland) ⫺ Genus 365
1142 ⫺ Wortschatz 360
Sachregister 1855
Österreichisches Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) 1605, 1613, 1626, 1629, 1634, 1636, 1648,
76, 140, 141, 155, 156, 1292, 1294, 1295, 1652, 1659, 1672, 1676, 1699, 1710, 1715,
1296, 1297 1718, 1727, 1731, 1748, 1773, 1794, 1804,
Output 210, 743, 759, 760, 819, 889, 930, 1826, 1829, 1836
949, 1014, 1024, 1268, 1320, 1325, 1391, Präsenz Schweiz (PRS) ⫺ Présence Suisse ⫺
1398, 1537, 1830 Presenza Svizzera ⫺ Preschientscha Svizra
Output-Hypothese 743, 759, 943, 1024 162
Prinzip
⫺ morphematisches 194, 201, 202, 203
P ⫺ phonologisches / phonematisches 194, 201,
202, 203, 204
Pädagogischer Austauschdienst (PAD) 137, ⫺ semantisches 194, 201
138 Pro Helvetia 162, 1809
Parameterfixierung 801, 802 Pro-Drop-Sprache 664, 733
Parenthese 498 Problemgrammatik 296
Partikel 175, 197, 220, 225, 229, 223, 234, Processability-Theorie 808, 809
240, 260, 261, 262, 308, 309, 339, 352, 379, Produktionsgrammatik / Mitteilungs-
411, 427, 429, 452, 483, 484, 512, 533, 534, grammatik 297, 299, 301, 1017, 1260
541, 555, 572, 573, 580, 581, 590, 595, 596, Professionalisierung 14, 15, 20, 46, 76, 78,
597, 604, 605, 606, 612, 613, 618, 623, 637, 1354, 1363, 1371, 1706, 1742, 1750, 1751,
644, 656, 676, 689, 680, 702, 721, 722, 735, 1752
985, 986, 987, 1260 Proficiency Test 1267, 1289
Partnerarbeit 822, 1182, 1185, 1231 Prosodie 175, 196, 260, 333, 427, 451, 570,
Partnerschulen 103, 1603, 1741 782, 782, 1434
PASCH (Schulen: Partner der Zukunft) 17, Prozessorientierung 995, 996, 1447, 1448
39, 40, 41, 105, 137, 1608, 1641, 1666
Phonem-Graphem-Beziehungen 190, 194,
195, 201, 202, 203, 204
Q
Phonemsystem 190
Phonotaktik 194, 536
Qualitätssicherung 915, 916, 917, 1102, 1208,
Phraseologismen 236, 246, 247, 248, 251,
1715, 1805
309, 541, 573, 597, 628, 664, 670, 681, 684,
702, 730, 1256
Pidginisierungshypothese 887
Pivotgrammatik 785 R
Plurizentrik / plurizentrisch 8, 140, 156, 168,
350, 353, 355, 361, 369, 381, 551, 1248, Rahmencurriculum (Österreich) 111, 1099
1413, 1415, 1501, 1502, 1504, 1509 Rahmencurriculum für Integrationskurse
Polysemie 239, 479, 480, 496, 735 Deutsch als Zweitsprache (Deutschland)
Portfolio (Arbeit mit) 762, 763, 996, 1069, 68, 150, 928, 994, 1267, 1102, 1103, 1267,
1110, 1111, 1126, 1165, 1240, 1315, 1318, 1284, 1300, 1302
1319, 1320, 1321, 1322, 1366, 1777 Realienkunde 1442, 1444, 1445, 1466, 1486,
Possessivartikel 227, 669 1513
Präfigierung 228, 229, 231, 232, 233, 612 Redekonstellation 266, 268
Pragmatik, funktionale 178, 255, 256, 257, Referat Kultur und Sprache 140, 156
258, 260, 262, 332, 349, 368, 431, 519, 781, Referenzgrammatik 218, 301
830, 870, 1266, 1530 Referenzrahmen, s. Gemeinsamer
Routinen, pragmatische / kommunikative / europäischer R.
sprachliche 7, 328, 510, 556, 1109, 1353, Reflexive Didaktik 912, 1363
1493, 1459 Reflexivpronomen 695
Praktikum / Praktika 13, 15, 28, 29, 76, 136, Regionale Lehrwerke 8, 953, 958, 1221,
139, 147, 1164, 1341, 1345, 1347, 1348, 1222, 1236, 1523, 1703, 1786
1856 Indices
1010, 1011, 1013, 1014, 1027, 1033, 1057, Sprachwandel 345, 346, 404, 420, 434, 455,
1089, 1117, 1196, 1244, 1260, 1397, 1312, 533
1313, 1335, 1450, 1455, 1460, 1462, 1578 Sprachwissenschaft 6, 11, 19, 56, 174, 176,
Spracherwerbsbiografie 1085 179, 182, 183, 265, 331, 332, 334, 339, 345,
Spracherwerbsforschung 7, 13, 66, 118, 177, 381, 405, 415, 467, 502, 506, 518, 580, 603,
315, 521, 528, 685, 723, 738, 778, 789, 812, 610, 675, 681, 687, 720, 726, 764, 775, 777,
842, 867, 941, 1008, 1022, 1023, 1259, 1306, 861, 864, 908, 909, 911, 1016, 1199, 1311,
1460, 1699, 1784 1379, 1445, 1603, 1604, 1617, 1648, 1661,
Spracherwerbstheorien, s. auch Spracherwerb 1662, 1672, 1676, 1687, 1696, 1697, 1699,
740, 741, 1009, 1013, 1333 1704, 1710, 1715, 1723, 1739, 1749, 1750,
Sprachförderung 8, 10, 14, 16, 27, 45, 54, 66, 1751, 1763, 1772, 1778, 1780, 1784, 1788,
104, 114, 116, 118, 133, 135, 146, 148, 149, 1803, 1825
152, 1052, 1078, 1083, 1086, 1087, 1088, Sprechakt / Sprechakttheorie 257, 260, 261,
1090, 1091, 1987, 1344, 1533, 1591 288, 582, 593, 926, 927, 1645
Sprachgebrauch (Veränderungen) 411, 412 Sprechangst 746, 986, 987, 989
Sprachhandlungskompetenz 2, 7, 9, 10, 739, Sprechen (Fertigkeit) 83, 169, 198, 240, 241,
745, 987, 1055, 1087, 1147, 1252, 1253 255, 331, 334, 414, 425, 427, 566, 594, 664,
Sprachinsel 89, 92, 399, 401, 439, 1797 797, 808, 830, 945, 961, 962, 963, 964, 965,
Sprachkompetenz(en) 36, 37, 38, 78, 117, 966, 967, 969, 971, 972, 975, 983, 984, 985,
118, 145, 179, 180, 183, 294, 297, 787, 812, 988, 989, 990, 991, 1046, 1103, 1123, 1135,
859, 872, 880, 888, 892, 937, 961, 1014, 1239, 1252, 1269, 1290. 1293, 1300, 1301,
1035, 1070, 1087, 1110, 1123, 1133, 1211, 1302, 1303, 1304, 1309, 1313, 1593, 1703,
1238, 1289, 1299, 1300, 1309, 1312, 1313, 1783
1321, 1355, 1429, 1498, 1511, 1522, 1514, Sprecherdeixis 512, 597
1517, 1651, 1722, 1798, 1837 Sprechhandlung 257, 260, 261, 262, 437, 510,
Sprachkontakt 269, 345, 414, 432, 439, 447, 556, 598, 929, 1435
569, 596, 610, 611, 674, 681, 694, 720, 727, Standardaussprache 189, 190, 191, 193, 1003
886, 874, 909, 1099, 1312, 1624 Standardsprache 85, 190, 200, 327, 343, 346,
Sprachlehr- und Sprachlernforschung 8, 25, 347, 349, 353, 360, 361, 363, 368, 373, 374,
46, 47, 1074, 1673 375, 376, 377, 380, 385, 387, 388, 391, 392,
Sprachlernberatung 15, 181, 1162, 1163, 393, 395, 401, 403, 421, 434, 439, 973, 1303
1164, 1165, 1237 Standardvarietät, s. auch Varietät 178, 190,
Sprachlerneignung 745, 831, 901, 902, 903, 295, 338, 349, 350, 353, 354, 355, 361, 368,
904, 905 376, 420, 421, 422, 428, 435, 1003, 1292,
sprachliche Veränderungen 196, 200, 204, 1501, 1505
284, 296, 346, 350, 381, 405, 406, 414, 415, Ständige Konferenz der Kultusminister der
432, 434, 449, 452, 455, 757, 812 Länder (KMK) 63, 130, 137, 145, 490,
Sprachmischung 332, 435 1264, 1269, 1401, 1640, 1741
Sprachmitteln 294, 323, 1040, 1041, 1044, Ständiger Ausschuss Deutsch als Fremd-
1945, 1046 sprache (StADaF) 104, 137, 147
Sprachprüfung(en) 2, 8, 16, 110, 112, 114, Stereotypen 334, 335, 338, 352, 395, 455,
117, 118, 159, 489, 511, 1119, 1120, 1147, 556, 1220, 1254, 1383, 1386, 1387, 1398,
1269, 1272, 1275, 1282, 1289, 1290, 1291, 1423, 1424, 1425, 1426, 1427, 1428, 1434,
1292, 1295, 1296, 1299, 1480, 1505, 1639, 1473, 1475, 1476, 1486, 1488, 1502, 1507,
1666, 1700, 1737, 1772, 1829 1513, 1515, 1535, 1764
Sprachstandsmessung 749, 1284, 1307 Stiftung „ch-Austausch“ 162
Sprachverband Deutsch für ausländische Stil 178, 289, 311, 325, 327, 328, 339, 343,
Arbeitnehmer e.V. 20, 109 345, 346, 351, 353, 354, 355, 379, 407, 411,
Sprachverbreitungspolitik 48, 56, 59, 60 413, 414, 420, 426, 428, 432, 433, 434, 435,
Sprachvergleich 174, 175, 178, 182, 207, 298, 436, 448, 453, 454, 455, 485, 498, 499, 502,
518, 524, 526, 864, 865, 964, 978, 1106, 506, 513, 787, 993, 1255, 1447, 1460, 1474,
1109, 1359 1522, 1573, 1575, 1585
1858 Indices
A Althoff 1569
Altmann 232
Abdülhayoğlu 722 Altmayer 5, 36, 176, 1329, 1334, 1381, 1382,
Abel 308 1386, 1403, 1407, 1408, 1409, 1432, 1433,
Abraham 218, 641, 1575 1436, 1438, 1441, 1443, 1449, 1450, 1456,
Abrahamsson 839, 868, 869, 870, 871, 872, 1461, 1467, 1469, 1470, 1472, 1473, 1474,
873, 874 1475, 1479, 1485, 1485, 1486, 1517, 1526,
Abrams 1185 1535, 1545, 1547, 1550, 1565, 1566
Abuja 1050 Altmeyer 914
Abutalebi 872 Altrichter 915, 1352, 1353, 1371
Achtenhagen 908, 912 Ambrazas 616, 617, 618
Ackermann 1560, 1572 Amirsedghi 1572
Ackroyd 1590 Ammann 255
Acosta 702 Ammer 1219, 1385, 1468, 1480, 1514, 1515
Adachi-Bähr 593 Ammon 27, 35, 58, 59, 60, 90, 91, 92, 93, 94,
Adamcová 697 95, 96, 98, 102, 103, 105, 178, 346, 349, 350,
Adamson 522 355, 361, 367, 375, 376, 377, 379, 381, 395,
Adamzik 178, 182, 275, 276, 284, 285, 286, 412, 422, 551, 878
287, 288, 289, 290, 581, 1016, 1034 Amodeo 1572
Adelung 362 Anders 394, 1003
Adolphs 251, 1525 Andersen 1757
Adorno 1562 Anderson 808, 944, 949, 955, 1371, 1559
Agar 1461 Andress 1835
Ágel 250, 420, 425, 426, 427, 734 Andrews 864
Aguado 318, 768, 769, 771, 838, 1011, 1023, Andriamanantseheno 623
1027 Androutsopoulos 338, 352, 432, 433, 435,
Ahlgren 648 450, 451, 453
Ahmad 532 Annas 1807
Ahrenholz 66, 69, 744, 749, 1009, 1010 Anschütz 469, 471
Aitchison 241, 311, 1247 Anstatt 674
Akin 1573 Antoniadou 637
Al-Baharna 1154 Antos 66, 275, 460, 997
Albers 532, 775, 1055 Apelt 1155, 1456, 1457
Albrech 439 Apeltauer 28, 69, 749, 834, 839, 840
Albrecht 1416 Apfelbaum 1191
Alderson 1277 Appel, G. 820
Alekseeva 1780 Appel, J. 1352
Alexander, I. 399 Arbuzov 1725
Alexander, R. 1316 Århammar 443
Alexandreia, von 1177 Aristoteles 255, 256
Alfes 1333 Arnold, E.J. 1216
Allport 1424 Arnold, H. 1569
Allwright 1364, 1367, 1373, 1374 Arnold, M. 941, 947
Altenberg 318 Arnold, P. 1193, 1194, 1195
Altenhofen 1625 Arnold, R. 1194
Alter, P. 45 Arntz 480
Althaus 1381, 1426, 1441, 1444, 1476, 1487, Arold 565
1514 Artemčuk 726, 728
1862 Indices
E Elena 701
Elfert 1117
Eagleton 1405 Elgibali 532
Ebert 462 Elias 1404, 1562
Ebi 593, 594 Elliott 1001, 1372
Ebner 360, 361 Ellis, G. 957
Ecke 743, 1028 Ellis, N. C. 175, 181, 250, 810, 811, 812, 814,
Eckert 615, 616, 617, 618 837, 946, 948, 949, 1011, 1012, 1013, 1014,
Eckerth 742, 1021, 1170, 1447, 1525 1024
Eckes 1427 Ellis, R. 319, 519, 739, 758, 761, 777, 801,
Eckkrammer 284, 288, 556 804, 846, 856, 878, 880, 890, 891, 1013,
Eckman 999
1167, 1168, 1169
Edelhoff 1034, 1351
Elman 814
Edelmann 1325
Elnashar 533
Eder, H. 284, 556
Elspaß 361, 395, 420, 429, 1675
Eder, U. 56 58, 73, 1577, 1578, 1579, 1581
Elstermann 269
Edge 1063
Edmondson 739, 801, 861, 878, 881, 901, Emons 555
941, 1061, 1074, 1488 Endzelin/Endzelı̄ns 609, 610, 611, 612
Eeg-Olofsson 318 Engberg 545
Efthimiou 636 Engel 147, 178, 218, 295, 297, 298, 299, 301,
Eggers 20 654, 657, 667, 670, 671, 692, 926, 1218,
Eggs 280 1259, 1260
Eğit 722 Engelberg 306, 310
Ehler 983 Engelkamp 1246
Ehlers 26, 980, 1035, 1355, 1460, 1533, 1537, Engin 1085, 1086, 1498
1538, 1540, 1547, 1548, 1549, 1578 Engler 1238
Ehlich 7, 35, 125, 174, 178, 179, 183, 216, Enninger 332
258, 259, 261, 262, 266, 267, 269, 276, 278, Enzensberger 1533
287, 332, 406, 491, 497, 509, 510, 512, 513, Epp 1526
514, 596, 597, 984, 1053, 1057, 1058, 1080, Erdheim 1428
1102, 1130, 1183, 1308, 1367, 1561 Erdmenger 1467
Ehnert 21, 23, 28, 422, 1203, 1348 Erickson 268, 331, 333
Ehrman 850, 851, 855, 856 Ericsson 685
Eibl 1229 Erll 1427
Eichheim 1534, 1547 Ermert 285
Eichhoff 361, 395 Eroms 218, 280, 289
Eichhoff-Cyrus 413
Ertelt-Vieth 1387, 1435, 1486
Eichinger 175, 178, 179, 228, 232, 233, 354,
Eschbach-Szabo 594
399, 400, 405, 406, 409, 411, 429, 439, 441,
Eschenbach 648
444
Esselborn 1536, 1561
Eideneier 636
Eßer 288, 510, 511, 953, 954, 955, 958, 992,
Eins 444
Eisenberg 202, 212, 218, 296, 298, 408, 411, 993, 1383, 1403
1259 Esser, E. 774
Eisenreich 483, 490 Esser, H. 115, 888, 892
Eismann 1217, 1533 Essinger 1138
Eissenhauer 533 Ettinger 1256
Eitz 306 Even 301, 1590, 1593, 1692
El Akshar 533 Evert 247, 318
El Nady 533 Ewers 1577
El-Said Badawi 532 Ewert 1562
Personenregister 1869
Schramm 742,749, 843, 1014, 1021, 1183, Seel, P. C. 953, 956, 1382
1184 Seelbach 582
Schrauf 867 Seeler 126
Schreiber 581, 582 Segalowitz 944, 948, 949
Schreier 898 Segermann 1081
Schreiter 996, 1026, 1256, 1584 Seghers 1638
Schriefers 240 Sehwers 611
Schröder, H. 496, 571, 572, 573, 1417, 1475 Seliger 765, 766, 767, 770
Schröder, K. 57 Selinker 523, 528, 739, 741, 742, 757, 833,
Schröder, M. 305, 309, 1786 834, 1060
Schröder, U. 665 Selmy 533, 534
Schrodt 361 Selting 269, 449, 450, 451, 452
Schroeder 721, 723, 749, 1078 Senocak 1561
Schubert 56 Şenyıldız 839
Schuckall 1203 Sercu 1514, 1515, 1516
Schuldt 470 Serra Borneto 590, 1061
Schulte 1495 Sevgi Özdamar 1561, 1574
Schultz 331, 333 Shamin 955
Schulz, D. 46, 925, 1216 Shannon 1199
Schulz, H. 440, 445 Sharwood Smith 801, 860
Schulz, P. 1309, 1310, 1312 Shatz 784
Schulz, R. 1384, 1448, 1835, 1837
Shaw 1590
Schulz, W. 908, 911, 923
Sheen 854
Schulze, G. 414
Shekhtman , 851,855 856
Schulze, M. 1232, 1233
Shibatani 599
Schumann, A. 1450
Shohamy 115, 117, 118, 765, 766, 767, 770,
Schumann, J. H. 746, 877, 887
1320
Schürcks 714, 715
Shultz 268
Schüssler 1194
Siebenhaar 377
Schüßler 1255
Sieber 374, 375, 379, 380, 381
Schütte 419
Siebert, H. 1163
Schütz 266, 1494
Schwanzer 693, 696 Siebert-Ott , G. 69, 1108, 1335
Schwarz, Ch. 349 Siebold 702
Schwarz, M. 278 Siebs 364, 375, 377
Schwarze 270, 984, 987 Siegel 1525
Schweckendieck 1076, 1359 Siegfried 463
Schweizer 462 Siegrist 1495
Schwerdtfeger 877, 881, 961, 1184, 1200, Siepmann 499, 1024
1201, 1202, 1203, 1204, 1378, 1458, 1524 Siever 505
Schwippert 69 Silapasawat 710
Schwitalla 419, 420, 422, 426, 427, 432, 987 Siller-Rumggaldier 586
Scollon, R. 331, 333 Silverman 776
Scollon, S. 331, 333 Šimečková 712, 716
Scott 1593 Simeonova 540, 541
Scovel 879, 880 Simmel 1562
Scoville 784 Simo 1525, 1704
Searle 257, 288 Simon-Pelanda 1443, 1444, 1456, 1459, 1460,
Seddiki 532 1469, 1485, 1502, 1507
Sedlaczek 3, 11 Simonnæs 648
Seeba 1524 Sims 1246
Seel, N. M. 1247 Sinclair 250, 1367
Personenregister 1889
Z Zifreund 1364
Žiletić 692, 1789
Zabrocki 654 Zimmer 491, 1246
Zimmerman 351, 1022
Zachau 1835
Zimmermann, A. 1592
Zaharia 670
Zimmermann, H. 1568
Zaimoğlu 1561, 1574
Zimmermann, G. 843, 911, 914, 1368
Zampini 999
Zimmermann, K. 269, 432
Zander 1725
Zimmermann, P. 25, 1397, 1413, 1547
Zehnder 260
Zinkevičius 615
Zemb 580 Zinsmeister 316
Žepić 1717 Zint-Dyhr 544, 545, 1644
Zeuner 1460, 1466 Žluktenko 726, 728, 729
Zhang 784, 786 Žmegač 1719
Zhao 631, 632 Zöfgen 304, 305
Zhu 90, 491, 627 Zolotova 674
Zickfeldt 648 Zuengler 904
Ziebell 936, 1184, 1366 Zurdo 699, 702
Ziegelmann 563, 565 Zweig 1610
Ziegler 275, 285, 290, 414 Zwicky 85
Zifonun 218, 219, 221, 262, 296, 298, 301, Zwitserlood 240
316, 551, 582, 1259 Zydatiß 554, 1131, 1398, 1399