Katastrophenmedizin

Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 498

Katastrophen-

medizin
Leitfaden für die ärztliche Versorgung
im Katastrophenfall

Katastrophenmedizin
Leitfaden für die ärztliche Versorgung
im Katastrophenfall

5. völlig überarbeitete Auflage


München 2010
Schutzkommission beim
Bundesministerium des Innern

Katastrophen-
medizin
Leitfaden für die ärztliche Versorgung
im Katastrophenfall

5. völlig überarbeitete Auflage


München 2010
Katastrophenmedizin
Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall

Herausgeber
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Postfach 1867
53008 Bonn
Tel. 0228 99 5500
Fax 0228 99 550 1620

Redaktion
Dr. med. Johann Wilhelm Weidringer
Vorsitzender der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern
Professor an der Hochschule für Gesundheit und Sport Berlin
Chirurg, Geschäftsführender Arzt der Bayerischen Landesärztekammer
Mühlbaurstraße 16
81677 München

Direktor und Professor Dr. rer. nat. Wolfgang Weiss


Geschäftsführer der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern
c/o Bundesamt für Strahlenschutz – Institut für Strahlenhygiene
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Oberschleißheim / Neuherberg

Mit Beiträgen von


PD Dr. H. J. Bail, Prof. Dr. I. Beerlage, Dr. M. M. Bellinger M. A., D. Cwojdzin-
ski, Em. Prof. Dr. B. D. Domres, Em. Prof. Dr. W. Eisenmenger, Univ.-Prof. Dr.
A. Ekkernkamp, Dr. N. Felgenhauer, Dr. E.-J. Finke, Prof. Dr. J. Gardemann,
Univ.-Prof. Dr. G. Germann, Dr. J. Helmerichs, PD Dr. R. Hentschel, Dr. S.
Himmelseher, S. W. W. Ippisch, H. Jähngen, Univ.-Prof. Dr. Dr. A. S. Kekulé,
Univ.-Prof. Dr. B.-R. Kern, Dr. W. Kirchinger, Dr. Chr. Kleber, Dr. S. Kohler, PD
Dr. G. Matthes, Dr. A. Müller-Cyran, PD Dr. M. Müller, Univ.-Prof. Dr. Th. Nico -
lai, Dr. H.-R. Paschen, Dr. O. Peschel, Ltd. Med. Dir. a. D. Dr. S. Peters, Univ.-Prof.
Dr. E. Pfenninger, A. Scheuermann, K. Schmiechen, Dr. U. Schneppenheim,
J. Schreiber, Em. Prof. Dr. P. Sefrin, Dipl.-Chem. Dr. R. Spörri, Dipl.-Chem. R.
Steffens, Pastor Dipl.-Theol. F. Waterstraat, Dr. J. W. Weidringer, Prof. Dr. W.
Weiss, Univ.-Prof. Dr. Th. Zilker

Die Autoren geben an, frei von Interessenskonflikten zu sein.

Die Mitwirkung an diesem Buch erfolgte ehrenamtlich.

4 Leitfaden Katastrophenmedizin
Bildquellennachweis
Abbildungen des Deckumschlages:
picture-alliance/dpa/dpaweb/Achim Scheidemann
picture-alliance/dpa/Holger Hollemann
ddp images/Michael Latz
S. 107: Paramedics Worldwide, Wikimedia Commons, lizenziert unter
http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/nl/deed.de
S. 91: Bruno Hersche, A-Sonntagberg
S. 106: DRK-Generalsekretariat Berlin, Team 23 Bevölkerungsschutz/
Rettungswesen
S. 381: Siegfried W. W. Ippisch, Erding

Das vorliegende Werk konnte nur Dank des Engagements bei Organisation
und Textverarbeitung von Frau Claudia Eiselt und Frau Sybille Ryska in so kur-
zer Zeit fertig gestellt werden.

Haftungsausschluss, Urheberrecht, Gleichstellungsformulierung


(Stand 05/2010)

Die in den einzelnen Kapiteln ausgeführten Überlegungen stellen keine Mei-


nungsäußerung des Herausgebers oder der Redaktion dar, sondern entspre-
chen der des jeweiligen Autors.

Diese Veröffentlichung entspricht dem Stand des Wissens zum Zeitpunkt der
Herausgabe. Autoren und Herausgeber dieses Werkes haben große Sorgfalt
darauf verwendet, dass die in diesem Buch gemachten organisatorischen,
diagnostischen sowie v. a. therapeutischen Angaben (insbesondere hinsicht-
lich Indikation, Dosierung und unerwünschten Wirkungen) dem derzeiti-
gen Wissensstand entsprechen.

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikati-


onsformen kann weder vom Herausgeber noch von der Redaktion noch von
den Autoren eine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen
vom jeweiligen Anwender im Einzelfall z. B. anhand weiterer Quellen auf der
Basis von Wissenschaft und Technik auf ihre Richtigkeit sowie individuelle
Anwendbarkeit überprüft werden.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten


Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der
Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikrover-
filmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung
sowie Verarbeitung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur
auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

Leitfaden Katastrophenmedizin 5
Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch
im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urhe-
berrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 09. September 1965
in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungs-
pflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urhe-
berrechtsgesetzes.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnun-


gen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung
nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und
Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von
jedermann benutzt werden dürften.

Mit den in diesem Werk verwendeten Personen- und Berufsbezeichnun-


gen sind, auch wenn sie nur in einer Form auftreten, gleichwertig beide
Geschlechter gemeint.

Dieses Werk darf ausschließlich kostenlos abgegeben werden. Weitere Ex-


emplare dieses Buches oder anderer Publikationen des Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe können gern beim Herausgeber
kostenfrei angefordert werden (z. B. via www.bbk.bund.de)

© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn 2010


Printed in Germany

Lektorat
Dr. med. Annett Borkowski, Medizin korrekt – Fachlektorat für Medizin, Jena
Claudia Huber . Naturwiss. Lektorat & Layout, Erfurt

Gestaltung, Layout und Satz


KonzeptQuartier ® GmbH, Fürth

Druck
Bonifatius GmbH, Druck – Buch – Verlag, Paderborn

ISBN 978-3-939347-25-5
Auflage: 30 000

6 Leitfaden Katastrophenmedizin
Leitfaden Katastrophenmedizin 7
Inhaltsverzeichnis
Leitfaden Katastrophenmedizin

Inhaltsverzeichnis
Seite

Geleitworte 13

Vorwort zur Neuauflage


J. W. Weidringer, W. Weiss 17

Allgemeine Aspekte zu Katastrophen-


situationen 21
1 Ethische Aspekte zur Katastrophenmedizin
A. Müller-Cyran 23

2 Umgang mit Menschen in Extremsituationen


J. Helmerichs 30

3 Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall


und die Triage
B.-R. Kern 43

4 Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement


A. Scheuermann, J. W. Weidringer, B. D. Domres 67

5 Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter


Katastrophenbedingungen
P. Sefrin 112

6 Kinder in Katastrophen- und Fluchtsituationen


R. Hentschel, Th. Nicolai 127

7 Management der Psychosozialen Notfallversorgung


in Großschadens- und Katastrophenlagen
I. Beerlage, J. Helmerichs, F. Waterstraat, M. M. Bellinger 131

8 Leitfaden Katastrophenmedizin
Spezielle medizinische Maßnahmen 151
8 Therapie des Volumenmangelschocks
E. Pfenninger, Th. Nicolai, S. Himmelseher 153

9 Schmerzbehandlung und Anästhesie unter


Katastrophenbedingungen
E. Pfenninger 164

10 Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und


Katastrophenfall bei Patienten mit Kombinationstraumen –
Versorgungsstrategien bei polytraumatisierten Patienten
G. Matthes, A. Ekkernkamp 175

11 Maßnahmen bei thermischen Schädigungen


im Großschadens- und Katastrophenfall
S. Kohler, G. Germann – mit Beiträgen von Th. Nicolai
und R. Hentschel 188

Schädigende Agenzien 201


12 Management von Strahlenunfällen und Strahlen-
katastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter
W. Kirchinger 203

13 Management von Gefahrstoffunfällen und


Massenvergiftungen
Th. Zilker, N. Felgenhauer, R. Spörri 234

14 Großschadenslagen durch biologische Agenzien


B. D. Domres, E.-J. Finke, A. Kekulé 266

Aspekte zum Management in


Katastrophensituationen 303
15 Verteilungsplanung von Verletzten im Massenanfall
von Verletzten und Katastrophenfall
C. Kleber, H. J. Bail 305

16 Krankenhausalarmplanung
D. Cwojdzinski, U. Schneppenheim 311

Leitfaden Katastrophenmedizin 9
Inhaltsverzeichnis
Leitfaden Katastrophenmedizin

17 Notfall- und KatastrophenPharmazie –


Pharmazeutisches Notfallmanagement
W. Wagner 324

18 Dekontamination und Behandlung Verletzter


bei chemischen Gefahrenlagen
B. D. Domres 336

19 Notwendige Vorbereitungen für Einsatzkräfte


in neuen Bedrohungslagen
H.-R. Paschen 343

20 Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen


J. Gardemann 348

21 Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen


O. Peschel, W. Eisenmenger 364

Anhang 379
22 Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
S. Ippisch, R. Steffens 381

23 Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben


im CBRN-Einsatz
J. Schreiber 394

24 Schwerbrandverletzte – Zentrale Anlaufstelle für die


Vermittlung von Krankenhausbetten und Liste der
beteiligten Krankenhäuser 403

25 Regionale Strahlenschutzzentren (zu Kapitel 12) 405

26 Massenanfall von Vergiftungen – wichtige Adressen,


Telefonnummern und Ansprechpartner (zu Kapitel 13) 409

27 Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen (zu Kapitel 13) 414

28 Schweregradeinteilung von Vergiftungen (zu Kapitel 13) 418

29 Meldeformulare zum Infektionsschutzgesetz (IfSG) 422

10 Leitfaden Katastrophenmedizin
30 Notfallmanagement der Krankenhausapotheke
H. Jähngen 427

31 ABC-Selbsthilfe-Set
M. Müller, K. Schmiechen 429

32 Statistiken/Übersichten 437

33 Auszüge aus dem Handbuch für sanitätsdienstliche


Hilfeleistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen,
besonders schweren Unglücksfällen und im Rahmen
der dringenden Nothilfe 444

34 Internetadressen 450

35 Autorenverzeichnis 453

36 Abkürzungsverzeichnis 462

Stichwortverzeichnis 471

Leitfaden Katastrophenmedizin 11
Geleitworte
Leitfaden Katastrophenmedizin
Geleitwort
Ärztinnen, Ärzte und Rettungsassistenten gehören zu den wichtigsten
Personen, die Menschen im Katastrophenfall helfen können: Häufig sind sie
die Ersten am Unglücksort. Ihr Einsatz bewahrt die Verletzten vor schweren
gesundheitlichen Einbußen. Oft retten sie Leben.

Um bei Unglücksfällen kompetent und schnell helfen zu können, opfern sie


ihre Freizeit und bilden sich laufend fort. Dafür danken wir ihnen und allen,
die sich beruflich und ehrenamtlich in der Katastrophenmedizin engagieren!

Auch wenn es in jüngster Zeit in Deutschland – Gott sei Dank – zu keinem


größeren Katastrophenfall gekommen ist, so zeigt doch das fürchterliche
Erdbeben auf Haiti vom Januar 2010, wie essentiell wichtig die Katastrophen-
medizin für die betroffenen Menschen ist.

Dieser Leitfaden enthält wichtige Informationen zur Notfall- und Kata-


strophenmedizin – aber auch zu Verfahrenswegen, rechtlichen und ethi-
schen Fragestellungen. Wegen der großen Nachfrage erscheint er jetzt in der
fünften – vollständig neu bearbeiteten – Auflage. Forschungsergebnisse der
letzten Jahre wurden eingearbeitet. Wichtige neue Themen – wie der Um-
gang mit Kindern in Katastrophensituationen – wurden ergänzt.

Wir danken den Expertinnen und Experten der Schutzkommission beim


Bundesministerium des Innern sowie den anderen engagierten Autorinnen
und Autoren dafür, dass sie die Beiträge zu diesem Werk ehrenamtlich ver-
fasst haben. Sie haben damit einen wertvollen Beitrag zum Schutz unserer
Bevölkerung geleistet.

Dr. Thomas de Maizière, MdB Dr. Philipp Rösler


Bundesminister des Innern Bundesminister für Gesundheit

Leitfaden Katastrophenmedizin 13
Geleitworte
Leitfaden Katastrophenmedizin

Geleitwort
Die vorliegende neue Ausgabe des Leitfadens Katastrophenmedizin soll als
handliches Nachschlagewerk allen Notfall- und Rettungsdiensten und nicht
nur den Ärzten zur Verfügung stehen. Die Neuauflagen in kurzen Abständen
erlauben es, auf aktuelle Anforderungen einzugehen und den neuesten Wis-
sensstand zu vermitteln.

Der Leitfaden will, wie in der ersten Auflage zu Beginn der achtziger Jahre des
zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben, dazu beitragen, das Leben und die Ge-
sundheit möglichst vieler Menschen in Katastrophenfällen zu sichern – heute
und morgen. Der Leitfaden für die ärztliche Versorgung – wie das Buch seit sei-
ner Erstauflage heißt –, hat an Umfang erheblich zugenommen, soll aber wei-
terhin auch in einer Kittel- oder Hosentasche Platz finden. Die Themenvielfalt
ist größer geworden. Es sind aber immer noch „Klassiker“ dabei. In den ersten
Auflagen wurde bereits dem Verhalten und den psychischen Reaktionen in Ka-
tastrophen ein großer Raum gewidmet. Vergiftungen auch durch chemische
Kampfstoffe und die Seuchenhygiene waren schon damals aktuelle Themen,
wenn auch unter anderen Blickwinkeln. Vorgänger dieses Leitfadens war seit
den 1960er-Jahren eine Zeitschrift gleichen Namens als „ärztlich technisches
Fachblatt für den Zivil- und Katastrophenschutz“, in dem viele bekannte Notfall-
mediziner als Autoren zu finden waren. Bereits 1969 hat Prof. Koslowski, der frü-
here Ordinarius für Chirurgie in Tübingen, über die „Sichtung (Triage) der Ver-
letzten bei Massenkatastrophen“ geschrieben. Das hat heute noch Gültigkeit.

Die Referate der 1. und 2. Tagung (1982, 1983) unserer 1980 gegründeten „Deut-
schen Gesellschaft für Katastrophenmedizin“ wurden als Sammelband mit allen
Referaten ebenfalls unter dem Titel „Katastrophenmedizin“ herausgegeben.

1989 hat die Bayerische Landesärztekammer mit einem zehnteiligen Fortbil-


dungsseminar „Katastrophenmedizin“ für die Ärzte Bayerns und die Sani-
tätsoffiziere der Bundeswehr Erfahrungsberichte und Anleitungen für die
Versorgung von Verletzten und Akutkranken zusammengefasst.

Es fehlt also nicht an Informationsmöglichkeiten und fachlichen Hinwei-


sen. Bei der täglich zunehmenden Arbeit in Klinik, Praxis oder Rettungs-
wesen bleibt meist wenig Zeit, um sich noch mit – wie viele meinen – absei-
tigen Themen zu befassen. Leider zeigt die Realität aber, dass heute jederzeit
Situationen auftreten können, in denen man dankbar sein kann, wenn man
in Grundzügen etwas über Sichtung und Behandlung in ausweglos erschei-
nenden Situationen gelernt hat.

14 Leitfaden Katastrophenmedizin
Katastrophenprävention ist nur begrenzt möglich. Das überraschende und
oft nicht vorhersehbare Ereignis ohne entsprechende Vorbereitungszeit mit
einer hohen Zahl von Opfern kennzeichnet die Katastrophe.

Der Klimawandel wird auch uns in Mitteleuropa mit Wetterverhältnissen kon-


frontieren, wie wir sie nur aus fernen Ländern kennen. Es gilt, Stürme, extreme
Hitze, Trockenheit oder großflächige Schneeverwehungen und damit verbun-
dene Ausfälle der Energie- und Wasserversorgung mit zu bedenken. Die Schä-
den der letzten Jahre haben uns schon die möglichen Szenarien aufgezeigt.

Eine Netzstromersatzanlage im Krankenhaus ist nutzlos, wenn ihr Dieselvor-


rat nach 24 Stunden erschöpft ist. Rettungsdienste sind ohne Betankungs-
möglichkeiten nur begrenzt einsatzfähig.

Nicht lange zurückliegende und daher immer noch aktuelle Ereignisse wie
die Anschläge in Madrid und London, um nur Ereignisse aus Europa heraus-
zugreifen, haben gezeigt, dass wir uns auf eine neue Form von Bedrohungs-
und Schadensszenarien einstellen müssen. Ärzte, Sanitäter, Pflegekräfte
sind nicht mehr unangreifbar. Das kann man schon im täglichen Dienst fest-
stellen. Dies gilt es aber besonders zu bedenken, wenn man sich als Helfer in
einen Schadensbereich begibt.

Nun ist die Taktik, auch das Rettungspersonal zu treffen, nicht neu. Bereits
im letzten Weltkrieg wurden Bomben mit Zeitzündern versehen, um auch
die Helfer – hauptsächlich Feuerwehr sowie Sicherheits- und Hilfsdienste –
auszuschalten.

Deshalb ist die Zusammenarbeit der Einsatzkräfte mit den Sicherheitsdiens-


ten – also in erster Linie Polizei und Feuerwehr – so wichtig, weil sie auf dem
Gebiet der Sprengmittelerkennung und -räumung besser ausgebildet sind.

Gerade heute gilt – nicht nur bei der Sichtung: Blinder Eifer schadet nur, weil –
nach den Erfahrungen aus dem Nahen Osten – immer mit Zweitanschlägen
gerechnet werden muss.

Deshalb wurden Hinweise zu Einsätzen nach Terroranschlägen in den Leit-


faden mit aufgenommen.

Inzwischen sind mit Unterstützung des Bundesamtes für Bevölkerungs-


schutz und Katastrophenhilfe eine Reihe weiter gehender Fachbücher her-
ausgegeben worden, die sich auch mit biologischen Gefahren einschließlich
der medizinischen Versorgung im Schadensfall und mit der Notfall- und Ka-
tastrophenpharmazie befassen. Die hohe Auflage ermöglicht eine weite Ver-

Leitfaden Katastrophenmedizin 15
Geleitworte
Leitfaden Katastrophenmedizin

breitung. Diese und das vorliegende Werk sollten in keiner Rettungsstelle im


Krankenhaus und auf keinem Rettungsdienststützpunkt fehlen.

Da Sie sich die Mühe gemacht haben, diese Einführung zu lesen, sollten Sie
in der Lektüre fortfahren und die von vielen Fachleuten – auch aus dem Kreis
der Deutschen Gesellschaft für KatastrophenMedizin – mit viel Mühe und
Sorgfalt zusammengestellten Kapitel gelegentlich zur Hand nehmen. Sie
werden, davon bin ich überzeugt, auch Sie interessierende Kapitel finden.

Ltd. Med. Dir. a. D. Dr. med. Sigurd Peters


Präsident 2009/2010 der Deutschen Gesellschaft für KatastrophenMedizin
(DGKM) e. V.

16 Leitfaden Katastrophenmedizin
Vorwort
Die Schutzkommission beim Bundesminister des Innern hat erstmals im Jahr
1982 auf Initiative von Prof. Koslowski einen „Leitfaden für die ärztliche Ver-
sorgung im Katastrophenfall“ als „Vademekum für Ärzte“ vorgelegt, das be-
sonders in Katastrophenfällen dazu beizutragen soll, „das ärztlich Notwen-
dige zu tun oder zu veranlassen“. Mit einer Gesamtauflage von inzwischen
etwa 275 000 Exemplaren erfreut sich der Leitfaden seither großer Beliebt-
heit. Er wurde bisher viermal in überarbeiteter Form aufgelegt.

Die Neuauflage 2010 des „Leitfadens Katastrophenmedizin“ berücksichtigt


die Forschungsergebnisse der letzten Jahre ebenso wie die Erfahrungen bei
den Vorbereitungen zur Fußball-WM in Deutschland im Jahr 2006. Weiter-
hin wurden Erfahrungen aus realen Katastrophen, u. a. die der Tsunami-
Katastrophe im Jahr 2004, berücksichtigt. Die Schutzkommission hat sich
seit der letzten Auflage des Leitfadens im Jahr 2006 im Rahmen von Empfeh-
lungen sowie durch Initiierung von Konsensuskonferenzen, z. B. zur Frage
der Bewältigung von Ü-MANV 1-Situationen, nachhaltig dafür eingesetzt,
dass die Bedingungen im medizinischen Bevölkerungsschutz kontinuierlich
an den jeweiligen Stand der Erkenntnisse angepasst werden konnten. Die
Ergebnisse dieser Initiativen sind ebenfalls in die vollständig überarbeitete
Neuauflage 2010 des Leitfadens eingeflossen.

Die vorliegende Neuauflage des Leitfadens aktualisiert und konsolidiert die


bisherigen Aussagen der Schutzkommission und greift zusätzlich einige
neue Aspekte auf. Aktualisiert wurden z. B. die Ausführungen zum „Manage-
ment der Psychosozialen Notfallversorgung in Katastrophen- und Großscha-
denslagen“, die die zwischenzeitlich sehr erfolgreichen Bemühungen vieler
Beteiligten um koordiniertes und vernetztes Handeln zusammenfassen.

Neu aufgenommen wurden u. a. die Konzepte zur Versorgung von Kindern in


Katastrophensituationen, die spezifischen Herausforderungen bei Flüchtlings-
bewegungen sowie rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen.
Damit sollen Lücken im bisherigen „Leitfaden Katastrophenmedizin“ geschlos-
sen werden, die in jüngster Zeit zunehmend offenkundig geworden sind.

Die Zielrichtung und die Zielgruppen des Leitfadens sind unverändert


geblieben.

Der „Leitfaden Katastrophenmedizin“ ist dazu bestimmt, am Ort des Gesche-


hens zurate gezogen zu werden. Die bisher gewählte Form als „jackenta-

1 Ü-MANV – Überörtlicher Massenanfall von Verletzten und/oder Erkrankten.

Leitfaden Katastrophenmedizin 17
Vorwort
Leitfaden Katastrophenmedizin

schenfähige“ Ausgabe mit Signalfarben-Umschlag hat sich bewährt und


wurde beibehalten. Mit dem vermehrten Einsatz von Grafiken und Schema-
ta wird in der Neuauflage 2010 das Ziel verfolgt, die z. T. komplexen Sach-
verhalte auch unter schwierigen Arbeitsbedingungen leichter erfassbar zu
machen. Dem Zweck einer schnellen Orientierung dienen ebenso das ver-
besserte Stichwortregister und der aktualisierte Nachschlageteil. Mit der
„hemdentaschenfähigen“ Checkliste wurde erstmals ein Konzept aufgegrif-
fen und realisiert, das sich im Ausland bewährt hat. Die Checklisten reduzie-
ren die zentralen Informationen des Leitfadens auf Fakten, die z. B. dem Arzt
vor Ort zur Bewältigung einer Notfallsituation unbedingt verfügbar sein
müssen. Wir hoffen, dass mit diesem neuen Element der Informationsbereit-
stellung die Praxistauglichkeit des „Leitfadens Katastrophenmedizin“ im
Einsatzfall noch weiter gesteigert werden kann.

Die Zielgruppen des Leitfadens sind auf der einen Seite v. a. Ärzte, die ihre
Kenntnisse in der Katastrophenmedizin vertiefen wollen. Auf der anderen Sei-
te sind es an Katastrophenmedizin Interessierte, die sich in Fragen inner- oder
außerhalb ihres eigenen Fachgebietes vertieft orientieren oder beispielsweise
konkrete Ansprechpartner finden wollen. Der Unterstützung dieser Art der
Fort- und Weiterbildung dient auch die CD-Version des Leitfadens, zudem ist
eine Möglichkeit zum Download über www.schutzkommission.de vorgesehen.

Hinweise zur Verbesserung des gegenwärtigen Leitfadens nimmt die Schutz-


kommission jederzeit gerne entgegen.

Die im Leitfaden aufgeführten Fakten sind wesentlich für die erfolgreiche


ärztliche Versorgung bei Großschadensereignissen, in Katastrophensituati-
onen und auch im Verteidigungsfall – also ggf. überlebenswichtig für Belan-
ge des Bevölkerungsschutzes. Die Schutzkommission hofft, dass diese Neu-
auflage 2010 des „Leitfadens Katastrophenmedizin“ dazu beiträgt, das Leben
und die Gesundheit möglichst vieler Menschen zu retten und zu sichern.

Wirksamer Bevölkerungsschutz ist Aufgabe und nachhaltiges Anliegen der


Schutzkommission.

Für Redaktion und Autoren dieses Leitfadens ist es auch für diese komplett
neue Auflage ein tiefes Anliegen, primär Ärztinnen und Ärzten sowie all
denen, die bei Großschadens- und Katastrophenereignissen Mitbürgern zu
Hilfe kommen – seien es interessierte Laienhelfer oder Einsatzkräfte gleich
welcher Profession oder Arbeitsebene –, Informationen zum Nutzen (mögli-
cher) Schadensopfer in die Hand zu geben.

18 Leitfaden Katastrophenmedizin
Dabei werden auch Antworten auf die immer noch zu selten gestellte Frage
gegeben: „Who helps the helper? – Wer hilft dem Helfer?“

Erste Gedanken zur eventuellen Vermeidung von Katastrophen gewinnen


ebenfalls eine zunehmende Bedeutung.

Uns ist bewusst, dass noch viel Wissen in kompetenten Köpfen steckt – und
wir bitten, dies im Interesse von (potenziellen) Patienten Herausgebern und
Autoren für eine Folgeauflage des „Leitfadens Katastrophenmedizin“ zur
Verfügung zu stellen.

München, im Januar 2010

Dr. med. J. W. Weidringer Prof. Dr. W. Weiss


Vorsitzender der Schutzkommission Geschäftsführer der
Professor an der Hochschule für Schutzkommission
Gesundheit und Sport, Berlin

Leitfaden Katastrophenmedizin 19
Allgemeine
Aspekte zu
Katastrophen-
situationen
1 Ethische Aspekte zur Katastrophen-
medizin
2 Umgang mit Menschen in Extrem-
situationen
3 Rechtsgrundlagen für die Einsätze
im Katastrophenfall und die Triage
4 Katastrophenmedizin und
Katastrophenmanagement
5 Lebensrettende Sofortmaßnahmen
unter Katastrophenbedingungen
6 Kinder in Katastrophen- und
Fluchtsituationen
7 Management der Psychosozialen
Notfallversorgung in Großschadens-
und Katastrophenlagen
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Ethische Aspekte zur Katastrophenmedizin
1

1
Ethische Aspekte zur
Katastrophenmedizin
A. Müller-Cyran

Die medizinische Versorgung von Patienten in Katastrophen ist durch einen


mehr oder weniger eklatanten Mangel an Ressourcen geprägt. Dies erfordert
von Kräften, die im Rahmen der Katastrophenmedizin tätig werden, dass sie
in der Lage sind, nach vorher kommunizierten und eingeübten Regeln die
Behandlung von Patienten zu priorisieren. Alle betroffenen Menschen, be-
sonders auch die Einsatzkräfte, werden in der Katastrophe mit Ohnmacht
und Hilflosigkeit konfrontiert. Sie können sich nur in begrenztem Umfang
auf sie einstellen, denn Ort, Zeitpunkt, Ursache, Dynamik und Ausmaß der
Katastrophe ist nicht vorhersehbar. Das Nichtvorhersagbare einer Katastro-
phe muss in den Planungen zur Bewältigung der Katastrophe angemessen
berücksichtigt werden.

1.1 Die Katastrophe als Folge des


Versagens von ethischem Handeln
In der Ökologie und Ökonomie wird immer wieder vor der Katastrophe ge-
warnt: Sie tritt dann ein, wenn nicht ethisch verantwortet gehandelt wird.
Die Katastrophe ist dann das Ergebnis leichtsinnigen Handelns, das das Ri-
siko nicht kennt oder verleugnet. Für die Maßnahmen zur Eingrenzung der
Schäden sind jedoch die Ursachen für die Katastrophe nicht relevant.

Eine Unterscheidung von Katastrophen, die vom Menschen verursacht sind,


von Katastrophen, die von der Natur verursacht sind, ist weit verbreitet. Je
mehr sich menschliches Handeln auf die Natur auswirkt, umso weniger ist
diese Unterscheidung aufrecht zu erhalten. Im klassischen Sinn als „Natur-
katastrophen“ zu bezeichnende Ereignisse erweisen sich dort als besonders
katastrophal, wo – wie im Fall des Tsunami in Südostasien zu Weihnachten
2004 – die Flutwelle besonders die Küstengebiete überspült, die früher mit
Mangroven bewachsen waren und heute besiedelt sind, oder Erdbeben, bei
denen diejenigen Häuser einstürzen oder besonders schwere Schäden auf-
weisen, die mit gestrecktem Beton gebaut wurden. Im Hinblick auf die Katas-
trophe, die durch das Erdbeben im Januar 2010 in Haiti ausgelöst wurde, wird

Leitfaden Katastrophenmedizin 23
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Ethische Aspekte zur Katastrophenmedizin

deutlich, dass die Menschen nicht durch das Erdbeben selbst, sondern durch
1

die einstürzenden Gebäude verletzt und getötet wurden. Das Ausmaß dieser
Katastrophe vergrößerte sich dadurch, dass ein schwacher Staat nicht in der
Lage ist, die Hilfsmaßnahmen effizient zu ermöglichen.

Für das ethisch verantwortete Handeln in der Katastrophe spielt ihre Ursa-
che, also eventuell ethisch unverantwortliches Handeln vor der Katastrophe,
keine unmittelbare Rolle. Wenn allerdings von der Ursache oder der Auswir-
kung der Katastrophe Helfer bedroht sind, wie dies z. B. bei Ereignissen im
Zusammenhang mit Strahlen oder in biologischen und chemischen Gefah-
renlagen der Fall sein kann, müssen die Helfer auf die Gefährdung aufmerk-
sam gemacht und vor ihnen geschützt werden.

Hier scheinen sich zwei unterschiedliche Formen der Ver- und Zuteilung von
Verantwortung etabliert zu haben: Der Einsatzleiter versichert den Einsatz-
kräften in der Abwägung der ihm bekannten Risiken, dass die Gefährdung
für die Kräfte ein gewisses vertretbares Maß nicht überschreitet. Sobald die-
ses Maß überschritten wird, bringt der Einsatzleiter die Kräfte in Sicherheit.
Diese Form der Verantwortungszuteilung ist wohl die in Deutschland ver-
breitete, sie reflektiert hierarchische Unterstellungsverhältnisse.

In einigen Rettungsorganisationen, wie z. B. der Bergwacht Bayern, liegt die


Entscheidung nicht beim Einsatzleiter, sondern bei der Einsatzkraft selbst.
Sie ist über die bekannten Risikofaktoren informiert und entscheidet für sich
selbst über den Einsatzabbruch oder die Verlagerung des Einsatzortes. Diese
Vorgehensweise erfordert ein hohes Maß an Akzeptanz und Einübung in der
Organisation, um z. B. Faktoren wie Gruppendruck möglichst auszuschließen.
Andererseits ist diese Vorgehensweise gerade dort ohne Alternative, wo im
Einsatz bis an die Grenze der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit
gegangen werden muss – und diese situativen und persönlichen Faktoren un-
terliegt, die nicht von einer anderen Person einschätz- und bewertbar sind.

1.2 Alltagsnahe Katastrophen und


Katastrophenmedizin
Die Katastrophenmedizin ist auf gesellschaftlich relevante Ereignisse mit
höchster, das Kollektiv betreffender Destruktivität ausgerichtet. Doch zuerst
und zunächst trifft die Katastrophe das Individuum: Was für den erfahrenen
Notarzt ein Einsatz im Bereich der Routine und Alltäglichkeit ist, kann für
seinen Patienten eine individuelle Katastrophe bedeuten, etwa durch den
verletzungsbedingten Verlust an Beweglichkeit oder Autonomie. Diese all-

24 Leitfaden Katastrophenmedizin
tagsnahe Katastrophe ist nicht objektiv definierbar. Dennoch ist sie für den

1
Betroffenen ebenso schwerwiegend wie ein Ereignis, das die Gesellschaft als
Ganze erschüttert.

Es ist der Betroffene, für den eine Situation subjektiv katastrophische Ausma-
ße annimmt. Diese Katastrophe erklärt kein Landrat oder Oberbürgermeis-
ter, auch kein (Not-)Arzt, sie wird nicht von außen zugesprochen. Der Arzt
oder die Ärztin sollte jedoch in seinem und ihrem alltagsnahen Handeln
sowohl Respekt und Achtung als auch psychotraumatologische Kompetenz
im Umgang mit dem Betroffenen aufbringen, der in seinem Erleben einer
Katastrophe ausgesetzt sein mag, die sich in ihrem subjektiv wahrgenom-
menen Ausmaß und in ihren Folgen nicht von einer gesetzlich definierten
unterscheidet.

Ebenso ist nicht auszuschließen, dass einzelne Einsatzkräfte in alltagsnahen


Situationen katastrophische Erfahrungen machen, z. B. wenn der Notfallpati-
ent persönlich bekannt oder verwandt ist (Krüsmann 2006). Katastrophisches
Erleben kann eine psychische Traumatisierung zur Folge haben.

1.3 Die Medizin in der Katastrophe:


Verknappung der Ressourcen
Die Katastrophenmedizin nimmt im Gegensatz zum alltagsnahen Handeln
der (präklinischen Notfall-)Medizin Ereignisse in den Blick, die weit über jede
Normalität und Alltagsnähe hinausgehen. „Einige Situationen sind so außer-
gewöhnlich, dass klassische Regeln des normalen ethischen Verhaltens im
persönlichen und im beruflichen Leben ihre Funktion verlieren können“
(Sass 2006, S. 1). Sass betont, dass nicht das Ziel des Handelns sich in der Kata-
strophe vom alltagsnahen Handeln unterscheidet, sondern nur die „Notwen-
digkeit einer anderen Zweck-Mittel-Kalkulation“ (ebd.). Ziel des medizini-
schen Handelns bleibt die optimale Versorgung des Patienten. Wenn jedoch
die Ressourcen dazu fehlen, muss ein Konsens darüber hergestellt werden,
wem die knappen Ressourcen zugutekommen.

Bitte beachten

Die Verknappung der Ressourcen in der Katastrophe und ihre verant-


wortbare Zuteilung prägen wesentlich ethisches Handeln in der Kata -
strophenmedizin.

Leitfaden Katastrophenmedizin 25
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Ethische Aspekte zur Katastrophenmedizin

Eine Katastrophe tritt ein, wenn eine länger andauernde und meist groß-
1

räumige Schadenslage mit den alltagsnah in der Gefahrenabwehr vorgehal-


tenen Ressourcen nicht mehr angemessen bewältigt werden kann und nur
mit überregionaler oder internationaler Unterstützung und zusätzlichen
Ressourcen wie Militär oder nicht organisierten Bevölkerungsteilen bewäl-
tigt werden kann (DIN 13050:2009-02, 3.18: Katastrophe: über das Großscha-
densereignis hinausgehendes Ereignis mit einer wesentlichen Zerstörung
oder Schädigung der örtlichen Infrastruktur, das im Rahmen der medizini-
schen Versorgung mit den Mitteln und Einsatzstrukturen des Rettungsdiens-
tes alleine nicht bewältigt werden kann). Durch die Katastrophe sind die
örtlichen Hilfskräfte und Unterstützungsstrukturen (z. B. Krankenhäuser)
sowie die Infrastruktur (Straßen, Brücken, Wasser-, Energie- und Kommuni-
kationsversorgung) beeinträchtigt oder nicht mehr funktionsfähig.

Die Verknappung der Ressourcen, das Missverhältnis von Behandlungsnot-


wendigkeiten gegenüber Behandlungsmöglichkeiten (s. Kap. 4) – macht eine
Priorisierung erforderlich, die regelt, wer zunächst und zuerst von Ressour-
cen profitiert – und wem sie vorenthalten werden müssen.

In unserer Gesellschaft besteht Konsens im Hinblick darauf, dass die Ret-


tung und Wiederherstellung der Gesundheit möglichst vieler Menschen –
ohne Ansehen der Person – die höchste Priorität in der Katastrophe hat.

Ethisch verantwortetes Handeln kann unter diesen Umständen auf Priorisie-


rung (im Rahmen einer Sichtung oder Triage) nicht verzichten. Die Kriterien
für die Priorisierung müssen vor der Katastrophe in einem transparenten
Verfahren definiert und veröffentlicht sein. Die adäquate Vorbereitung auf
eine Katastrophe beinhaltet die Festlegung darauf, wer die Priorisierung
konkret durchführt und verantwortet.

Nach der Übereinkunft profitieren alle Patienten, denen die höhere (Behand-
lungs- und Transport-)Priorität zuerkannt wird. Im Umkehrschluss bedeutet
dies, dass andere Patientengruppen im Hinblick auf ihre Rettung und Wie-
derherstellung ihrer Gesundheit niedriger priorisiert werden (müssen).

Weil die Würde des Menschen nicht Gegenstand der Priorisierung sein kann,
kommt allen Betroffenen die gleiche Würde zu, wenn auch nicht die gleiche
(medizinische Behandlungs-)Priorität. Die Würde aller von einer Katastro-
phe Betroffenen – auch die der Toten – geht durch die Katastrophe nicht ver-
loren, sie relativiert sich nicht.

26 Leitfaden Katastrophenmedizin
1.4 Rückgriff auf Erfahrungswissen ist in

1
der Katastrophe nur begrenzt möglich

Praktisch allen, die in einer Katastrophe tätig werden, stehen keine Vorer-
fahrungen aus der eigenen Anschauung zur Verfügung. Die letzte Katastro -
phe wird sich von der nächsten in vielerlei Hinsicht unterscheiden. Dies kann
dazu führen, dass der Vorgang der Priorisierung bei denen, die sie durchfüh-
ren und verantworten müssen, aber auch bei denen, die davon betroffen sind
(und ihren Angehörigen bzw. Hinterbliebenen), zu Verunsicherungen führt:
Die reale Situation in einer Katastrophe entbehrt möglicherweise der Ein-
deutigkeiten, die jeder Konzeption zu Grunde liegen. Mögliche Schwächen
des Konzeptes, die sich erst in ihrer Umsetzung in der realen Katastrophenla-
ge zeigen, sind grundsätzlich nicht auszuschließen.

Ärztliches Handeln ist – von Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich planbar.


Die Planbarkeit ermöglicht es, dass auch ethisch-moralische Erwägungen ein-
bezogen und vorher bedacht werden können. Für die Katastrophe trifft dies
nur abstrakt zu. Gerade in diesem Zusammenhang ist der Versuch zu einer
„Ethik (in) der Katastrophe“ umso bedeutsamer, denn Ethik will Orientierung
geben für das gute, angemessene Handeln. Um in der Katastrophe gut und
angemessen entscheiden und handeln zu können, ist es unerlässlich, dass vor
einer Katastrophe – a priori – das Handeln in der Katastrophe bedacht wird.

Die hier erörterten ethischen Aspekte der Katastrophe muten dem Leser, der
auf der Suche nach konkreten Handlungsempfehlungen ist, zu, dass er sich
nicht erst in, sondern zeitlich losgelöst von einer Katastrophe vorher mit der
Frage befasst, wie richtiges, verantwortbares Handeln in der Katastrophe
möglich bleibt. Diese Absicht wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die
Reflexion a priori erfolgen muss: So geht es weniger um konkrete Empfehlun-
gen für die nächste Katastrophe, sondern um Empfehlungen für die „Kata-
strophe an und für sich“. Diese Empfehlungen müssen sich in der nächsten
konkreten Katastrophe verifizieren.

In der Katastrophe bleibt kaum Zeit zum Nachdenken. Deshalb muss, wer
in der Katastrophe richtig und verantwortlich handeln will, vorher und
abstrakt über sein Handeln in der Katastrophe nachdenken.

Die Realität einer Katastrophe ist gerade deswegen katastrophal, weil sie
nicht planbar ist.

Leitfaden Katastrophenmedizin 27
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Ethische Aspekte zur Katastrophenmedizin

Es liegt im Wesen einer Katastrophe, dass sie in Entstehung, Verlauf, Dyna-


1

mik und Ausdehnung nicht nur nicht planbar, sondern auch nicht „ausdenk-
bar“ ist. Bevor nicht ein ICE westlich von Eschede mit einem Brückenkopf
kollidierte, waren die real eingetretenen Folgen dieses Unfalls im Vorhinein
nicht ausdenkbar. Bevor nicht die Flugzeuge in das World Trade Center in
New York flogen, waren auch hier die Folgen im Vorhinein nicht ausdenkbar.
Das Gleiche gilt für den Tsunami vom 26.12.2004 – und alle weiteren Katast-
rophen. Die Determinanten, die über den Verlauf einer Katastrophe bestim-
men, sind so zahlreich und interagieren so komplex und chaotisch, dass die
Katastrophe im Vorhinein – planerisch – nicht in den Griff zu bekommen ist.
Wo Gefahrenpotenziale katastrophischen Ausmaßes erkennbar sind und er-
kannt und kontrolliert werden, dort tritt die Katastrophe nicht ein.

Daher gilt: Alle Vorbereitungen auf und Maßnahmen zur Bewältigung von
Katastrophen können nur das Ausdenkbare betreffen. Es kann jedoch Unaus-
denkbares eintreten. Darauf kann nur reagiert werden, wenn Handlungsab -
läufe und Einsatzstrukturen für die Bewältigung der Katastrophe empfohlen
werden, die genügend Spielraum für Improvisation und Flexibilität lassen.
Wo dieser Spielraum begrenzt wird, kann ein zunächst noch kontrollier-
bares, aber bislang „unausdenkliches“ Ereignis katastrophisch eskalieren.
Unnötige Restriktion des Handlungs-Spielraums blockiert also nicht nur die
Kreativität von Individuen im Einzelfall – sie nimmt auch dem Kollektiv eine
Ressource und trägt zur Vertiefung der Katastrophe bei.

Die Reaktionen von Menschen, die von einer Katastrophe betroffen sind, ihre
Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse, lassen sich nur begrenzt vorhersagen.
Besonders die Psychotraumatologie stellt in den letzten Jahren wesentliche
Beiträge zum besseren Verständnis von Menschen, die durch eine Katastro-
phe psychisch traumatisiert sind, zur Verfügung. Dennoch ist menschliches
Verhalten – dies gilt in besonderem Maß in der Katastrophe – nicht determi-
niert und vorhersagbar.

1.5 Die Katastrophe bedroht den


Fortbestand der Gesellschaft
Das Ausmaß einer Katastrophe, zumal wenn sie durch ein terroristisches
Attentat verursacht wurde, wird wesentlich auch dadurch bestimmt, wie
die betroffene Gesellschaft auf die Katastrophe reagiert. Ein terroristisches
Attentat intendiert die psychische Destabilisierung der Gesellschaft. Es gilt
erst dann als abgewehrt, wenn die Menschen „sich in den Tagen nach dem
Anschlag so verhalten, wie sie sich auch ohne Terrorattacken verhalten hätten“

28 Leitfaden Katastrophenmedizin
(Münkler 2006). Dies macht deutlich, dass zur Abwehr der Katastrophe medi-

1
zinische Maßnahmen und Anstrengungen allein nicht ausreichen.

Bitte beachten

Eine Katastrophe kann die Stabilität und den Fortbestand der Gesell -
schaft gefährden.

Dieser Artikel greift nur einzelne Aspekte einer ethischen Reflexion von Ka-
tastrophenmedizin auf. Er beansprucht keinesfalls, umfassend die Thematik
zu bearbeiten. Damit hat dieser Artikel provisorischen Charakter, er wird (in
der nächsten Auflage) weiter zu entwickeln sein.

Literatur

Krüsmann M, Karl R, Butollo W. Untersuchung bestehender Maßnahmen zur


sekundären Prävention und Entwicklung einer Methodik und eines zielgrup-
penorientierten Programms zur sekundären Prävention einsatzbedingter
Belastungsreaktionen und -störungen. München: Ludwig-Maximilians-Uni-
versität; 2006.

Münkler H. Psychische und ökonomische Ermattung – die neuen Strategi-


en des Terrorismus und Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates.
Süddeutsche Zeitung Nr. 145, 27.6.2006: 13.

Sass HM. Medizinische Ethik bei Notstand, Krieg und Terror. Verantwor-
tungskulturen bei Triage, Endemie und Terror. Bochum: Zentrum für Medi-
zinische Ethik; 2006. (May B, Sass HM, Zenz M. Hrsg. Medizinethische Mate-
rialien; Heft 165.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 29
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

2
Umgang mit Menschen in
2

Extremsituationen
J. Helmerichs

Die direkte Konfrontation mit Betroffenen von schweren Unglücksfällen und


Katastrophen ruft bei vielen ein beklemmendes Gefühl und Ratlosigkeit her-
vor. Zwar ist den meisten Menschen bewusst, dass bereits in der Unglückssi-
tuation besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung sinnvoll sind, und die
Bereitschaft, auf die Betroffenen einzugehen, ist sehr hoch. Die Umsetzung
dieses helfenden Impulses gelingt in der Praxis aber oft nicht zufrieden-
stellend. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei, dass bisher zu wenig bekannt
ist, welche Verhaltensweisen und Angebote für Überlebende, Angehörige,
Vermissende, Hinterbliebene und Zeugen eines schweren Unglücks sinn-
voll und hilfreich sind. In der Praxis folgen viele deshalb dem „gesunden
Menschenverstand“. Dass dieser Weg für die Betroffenen nicht immer der
beste ist, sondern sogar zu zusätzlichen Belastungen in der Verarbeitung
des traumatischen Ereignisses und in der Trauer führen kann, zeigen die in-
zwischen zahlreich vorliegenden Erfahrungsberichte Betroffener und erste
Forschungsarbeiten, die sich mit den individuellen psychosozialen Folgen
von schweren Unglücksfällen und Katastrophen befassen. Auf diese Erfah-
rungen und internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen sich
die nachfolgenden Informationen und Empfehlungen.

2.1 Psychische und soziale Folgen von


schweren Unglücksfällen und
Katastrophen für die Betroffenen
Ein schweres Unglück oder eine Katastrophe ist für die Überlebenden eine
psychisch hochbelastende Extremsituation, die nicht selten mit der Bedro -
hung des eigenen Lebens einhergeht. Auch Angehörige, Hinterbliebene und
Vermissende sowie weitere Beteiligte wie Ersthelfer, Zeugen und manche
Medienvertreter versetzt das Unglück in eine Ausnahmesituation.

Die Folgen können vielfältig sein, sie sind abhängig von verschiedenen Fak-
toren wie Art des Unglücks (z. B. Terroranschlag, Naturkatastrophe), Schwe-
regrad (Anzahl der Verletzten, Verletzungsgrad) und Dauer (Verkehrsun-

30 Leitfaden Katastrophenmedizin
fall, Erdbeben) sowie Risiko- und Schutzfaktoren der betroffenen Personen.
Allgemeine gesundheitliche Einschränkungen, aktuelle Lebenskrisen oder
frühere Traumatisierungen sind individuelle Risikofaktoren für langfristige

2
gesundheitliche Beeinträchtigungen. Ein wichtiger Schutzfaktor ist die
tragfähige soziale Unterstützung der Überlebenden und Angehörigen
durch Familie und Freundeskreis (Bengel 2004, Helmerichs 2002b).

Folgen im Alltag: Die meisten Menschen sind nach schwerwiegenden Notfäl-


len insgesamt psychisch verletzlicher. Sie erleben die gängigen Anforderun-
gen des Alltags und nachfolgende kritische Lebensereignisse eine Zeit lang
eher überfordernd und krisenhaft. So sind zeitweilige Partnerschaftspro-
bleme oder eine häufigere Gereiztheit sowie Alpträume und Niedergeschla-
genheit typische Folgen schwerer Unglücksfälle. Daneben haben Überlebende
und Angehörige zumeist Probleme bei der Reintegration in ihr soziales Umfeld.
Administrative und versicherungsrechtliche Fragen und Anforderungen, die
nach einer Katastrophe auf sie zukommen und auf die man sich im Allgemei-
nen nicht vorbereitet, sind zusätzlich belastend (Müller-Lange 2006).

Trauer als Folge: Zu den langfristigen Auswirkungen einer Katastrophe ge-


hört auch die Trauer, insbesondere der Hinterbliebenen. Trauer läuft nicht
linear und eindeutig vorhersagbar ab, stattdessen wird die Art und Weise der
persönlichen Trauer stark geprägt durch die Lebensgeschichte des Einzelnen,
seine Beziehung zum Gestorbenen und die Todesumstände sowie durch die
jeweilige kulturelle und auch historische Einbindung bzw. das soziale Umfeld
des Trauernden (Goldbrunner 1996). Ein genauer Ablauf der Trauer bei Hinter-
bliebenen nach schweren Unglücksfällen und Katastrophen lässt sich deshalb
nicht prognostizieren. Benannt werden können aber typische Probleme
und Belastungen, mit denen viele Hinterbliebene (in unserem Kulturkreis)
konfrontiert sind. Dazu gehören beispielsweise die unrealistischen Bilder
und Erwartungshaltungen vieler Außenstehender (z. B. intensive Emotionen
in den ersten Tagen, dann „Überwinden“ der Trauer nach wenigen Wochen).
Trauernde erhalten deshalb oft inadäquate soziale Unterstützung bei der Ver-
arbeitung des Verlustes (Jatzko und Hitzfelder 2007, Helmerichs 2002a).

Mehrfachbetroffenheit: Die Nachsorge für Betroffene der Tsunami-Kata-


strophe in Südostasien Ende 2004 hat auf ein spezielles Problem aufmerk-
sam gemacht, auf die Mehrfachbetroffenheit: Nicht selten sind verschiedene
Mitglieder von Familien, Freundes- oder Bekanntenkreisen gleichzeitig von
einer Katastrophe betroffenen. Verletzte können dadurch auch Angehörige
von anderen physisch betroffenen Opfern sein oder auch gleichzeitig Hin-
terbliebene. Neben ihrer eigenen körperlichen Gesundung und der Verar-
beitung einer traumatischen Situation steht möglicherweise auch noch die
Trauer um einen nahen Angehörigen. Der gleichzeitige Verlust von Kindern

Leitfaden Katastrophenmedizin 31
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

und Partner oder als unmittelbar Betroffener vor Ort in der Unglückssitua-
tion verletzt worden zu sein und gleichzeitig, wie bei der Tsunami-Katastro -
phe, monatelang als Vermissender auf die Identifikation eines nahen Ange-
2

hörigen warten und eine Zeit der Ungewissheit aushalten zu müssen, sind
nur zwei Beispiele tatsächlicher Konstellationen der Betroffenheit, die nach
Katastrophen nicht unwahrscheinlich sind. Hierauf hat sich Katastrophen-
nachsorge einzustellen (Krabs-Höhler und Müller-Lange 2006).

Weitere langfristige Folgen: Der Blick auf die langfristigen Auswirkungen


einer Katastrophe über den ersten Jahrestag hinaus zeigt typische Anpassungs-
prozesse an völlig veränderte Lebenssituationen. Danach dominiert in den
ersten Tagen und Wochen nach einem schweren Unglück das Gefühl der Ohn-
macht, Hilflosigkeit und vielfach auch der Wut. Die Fragen nach Ursachen
und Schuld stehen in unserem kulturellen Kontext deutlich im Vordergrund
und werden von der Medienberichterstattung („Brennpunkte“, sogenannte
Expertenmeinungen) verstärkt. Es folgen die Klage oder Aggression gegen den
(vermeintlichen) Verursacher des Unglücks und der Kampf um die Zukunft
als Kampf gegen Ämter, Gerichte und Versicherungen um Schadensersatz,
Schmerzensgeld, Versorgung. Die psychischen Folgen der Katastrophe werden
Wochen und Monate nach dem Unglück erfahrungsgemäß noch einmal beson-
ders spürbar. Für entfernte Freunde und Bekannte, Nachbarn und Kollegen hat
das Ereignis inzwischen an Bedeutung verloren, die Betroffenen fühlen sich da-
durch häufig unverstanden und isoliert. In dieser Zeit häufen sich verletzen-
de Formulierungen Außenstehender wie „Das Leben muss doch weitergehen“,
„Man muss nach vorne schauen“, „Man kann nicht immer klagen“ etc. Für die
Betroffenen schließt sich eine Phase der Aktivitäten gegen das Vergessen an.
Dazu gehört das wiederholte Erzählen von Einzelheiten des Unglücksgesche-
hens oder das Gestalten und Aufsuchen des Unglücksortes oder der Gedenkstät-
te. Es folgt eine Zeit, in der die Wahrheitsfindung wieder stark in den Vorder-
grund rückt. Viele Überlebende, Angehörige und Hinterbliebene befassen sich
nach längerer Zeit (ein bis zwei Jahre oder später) noch einmal dezidiert mit den
Umständen und Ursachen des Unglücks. Einzelheiten und Begleitumstände
werden jetzt immer wichtiger. Videoaufnahmen und Medienberichte werden
noch einmal, nicht selten auch zum ersten Mal, ausführlich verfolgt. Betroffene
suchen häufiger die Unglücksstelle auf, sie nehmen in dieser Zeit auch verstärkt
Kontakt zu Augenzeugen und damals eingesetzten Einsatzkräften auf. Diese
intensive Beschäftigung mündet idealerweise in Akzeptanz, in die Fähigkeit,
die belastenden Erfahrungen und damit verbundenen Veränderungen in das
eigene Leben zu integrieren. Die Erfahrung, von einem schweren Unglück oder
einer Katastrophe betroffen zu sein, bleibt eine einschneidende Zäsur in der
persönlichen Biographie. Überlebende, Angehörige und Hinterbliebene kate-
gorisieren ihre Empfindungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
fortan zumeist in „die Zeit vor den Unglück“, „den Unglückstag“ und „die Zeit

32 Leitfaden Katastrophenmedizin
danach“, die wiederum durch die Jahrestage des Unglücks segmentiert wird
(AG Stolzenbachhilfe 1992, Jatzko et al. 1995, Müller-Lange 2006).

2
Ein kleinerer Teil der Überlebenden (ca. 10 %), seltener auch Angehörige,
Vermissende und Hinterbliebene, reagiert Wochen oder Monate nach dem Er-
leben eines schweren Unglücks mit anhaltenden gesundheitlichen Proble-
men, die dann fachkundige psychologische oder ärztliche psychotherapeu-
tische Hilfe erfordern. Typisch dafür sind Depressionen und Angststörungen,
aber auch psychosomatische Erkrankungen (Flatten et al. 2001, NATO 2008).

Die sehr unterschiedlichen psychosozialen Folgen und Belastungen nach


schweren Unglücken bis zu möglichen gesundheitlichen Einschränkungen
bzw. psychischen Folgeschäden machen deutlich, dass im Unglücks- oder Ka-
tastrophenfall ergänzend zu der Unterstützung, die Betroffene im Familien-
und Freundeskreis erhalten, psychosoziale Betreuungs- und Versorgungs-
angebote notwendig sind. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, ein langfristig
(mindestens bis zum ersten Jahrestag) angelegtes, engmaschiges und auf-
einander abgestimmtes Netz an Hilfsangeboten verschiedener Fachdiszi-
plinen aufzubauen.1 Dabei sind die Versorgungsangebote für die einzelnen
Betroffenengruppen (Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Vermis-
sende, Zeugen) und je nach zeitlichem Abstand vom Unglück verschieden
(Impact 2007, Seynaeve 2001).

2.2 Psychosoziale Hilfen für Betroffene


in der Akutphase
Wenngleich sich die meisten psychosozialen Belastungsfolgen erst Wo -
chen oder Monate nach dem schweren Unglück zeigen, liegt der Beginn der
psychosozialen Arbeit bereits in der Akutsituation. Hier werden Weichen
gestellt für die Art der späteren Verarbeitung von Verlust und Extremer-
fahrungen. Zu diesem Zeitpunkt sind ausgewählte präventive Maßnahmen
unterhalb der Schwelle zur heilkundlichen Intervention sinnvoll und mög-
lich (Lueger-Schuster et al. 2006). Damit kommt der frühzeitigen psychoso -
zialen Akuthilfe durch dafür qualifizierte Dienste wie Notfallseelsorge, Kri-
senintervention und Notfallpsychologie eine Schlüsselrolle zu. Aber auch
die Einsatzkräfte aus Feuerwehren und Polizeien, Notärzte und Mitarbeiter
des Rettungsdienstes und des Gesundheitswesens, die in der Akutsituation
(erste Stunden und Tage) Kontakt zu Betroffenen haben, können – entspre-
chend geschult – sehr unterstützend wirken (Lasogga und Gasch 1997).

1 Informationen zur Psychosozialen Notfallversorgung siehe Kapitel 7.

Leitfaden Katastrophenmedizin 33
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

Bitte beachten
2

Bereits unmittelbar nach Eintritt eines schweren Unglücks werden bei den
Betroffenen die Weichen gestellt für die Art der späteren Verarbeitung
dieser Extremerfahrung. Deshalb werden Dienste der psychosozialen Akut-
hilfe wie Notfallseelsorge oder Krisenintervention im Rettungsdienst früh-
zeitig alarmiert. Aber auch Einsatzkräfte aus Feuerwehren und Polizeien,
Notärzte und Mitarbeiter des Rettungsdienstes und des Gesundheitswe -
sens können Betroffene in den ersten Stunden und Tagen psychisch sehr un-
terstützen. Dazu müssen sie allerdings in psychischer erster Hilfe geschult
sein. Nur dem „gesunden Menschenverstand“ zu folgen, reicht hierzu nicht
aus und kann sogar zusätzliche Belastungen hervorrufen.

Alle Empfehlungen zur psychischen ersten Hilfe für Überlebende, Ange-


hörige, Vermissende, Hinterbliebene und Zeugen konzentrieren sich im We-
sentlichen auf fünf Ziele:
ƒ das Erleben von Sicherheit fördern
ƒ beruhigen und entlasten
ƒ Selbstwirksamkeit und Kontrolle fördern
ƒ Kontakt und Anbindung fördern
ƒ das Gefühl von Hoffnung stärken

Diese Ziele orientieren sich an der Situation und den Bedürfnissen der Be-
troffenen in der Akutphase eines schweren Unglücks oder einer Katastrophe
(Hobfoll et al. 2007). So haben beispielsweise Überlebende ein starkes Bedürf-
nis nach Wiedererlangen von Kontrolle über die Situation und ein hohes
Informationsbedürfnis. Auch lässt sich das akute Schmerzempfinden ei-
nes Verletzten durch den Grad seiner Informiertheit und Orientierung über
mögliche Hilfen und Rettungsversuche deutlich beeinflussen. Nachweislich
hilfreich ist es auch, Überlebende am Unglücksort wenn möglich zu einfa-
chen Aufgaben (z. B. etwas beobachten oder halten) heranzuziehen, um de-
ren Selbstwirksamkeitserleben zu stärken.

Auch für Angehörige und Vermissende stellt das Informationsdefizit, das


bei komplexen Schadenslagen eine Zeit lang herrscht, eine extrem hohe
Belastung dar. Die oft tagelange Suche nach Informationen über vermisste
Familienangehörige oder Freunde oder nach den Krankenhäusern, in die sie
möglicherweise gebracht wurden, steuert alle Aufmerksamkeit und Aktivi-
täten. Die psychosoziale Arbeit ist sowohl unter Betreuungsgesichtspunkten
als auch logistisch (Abstimmung der Dokumentation, möglichst lückenlose
Informationsvernetzung, Einrichtung einer Bürger-Hotline und Auskunfts-
stelle etc.) darauf ausgerichtet (Blank 2006, Helmerichs et al. 2007).

34 Leitfaden Katastrophenmedizin
Eine wichtige Aufgabe ist auch die Vorbereitung und Begleitung Hinterblie-
bener beim Abschiednehmen von den Toten. Um trauern zu können, muss
man den Verlust begreifen. Hilfreich ist es, den gestorbenen nahestehenden

2
Menschen möglichst zeitnah zum Todeseintritt noch einmal zu sehen, für
manche Hinterbliebene auch, ihn zu berühren, seinen Tod also sinnlich auf-
zunehmen (Krüsmann und Müller-Cyran 2005).

Zur psychosozialen Arbeit in der Akutsituation gehört weiterhin die Vermitt-


lung von Orientierung auf der Grundlage christlicher Weltanschauung. An-
geboten werden seelsorgerliche Hilfen, denn christliche Rituale (Gebete,
Kerzen, das Spenden von Sakramenten etc.) können, wenn von den Betrof-
fenen gewünscht, bei schweren Unglücksfällen und Katastrophen eine ord-
nende Funktion einnehmen und Halt geben in Chaos und Verunsicherung.
Deshalb können sie neben gedanklicher Einordnung der Geschehnisse für
Betroffene von zentraler Bedeutung sein (Waterstraat 2009).

2.3 Fünf wesentliche Handlungs-


empfehlungen
Die im Folgenden ausgeführten fünf Empfehlungen für die psychosoziale
Unterstützung von Betroffenen beziehen sich auf die Akutphase (erste Stun-
den und Tage). Einige dieser Empfehlungen ergänzen sich. Sie können nicht
scharf voneinander abgegrenzt werden. So kann beispielsweise das Über-
mitteln von Informationen das Erleben von Sicherheit fördern und gleichzei-
tig beruhigen und entlasten. Das Erleben der Selbstwirksamkeit kann auch
eine Steigerung des Sicherheits- und Kontrollempfindens bewirken.

2.3.1 Das Erleben von (relativer) Sicherheit


fördern
In einer Katastrophensituation kann absolute Sicherheit zunächst nicht (wie-
der) hergestellt werden. Das Erleben von Sicherheit ist somit relativ zu sehen.
So benötigen direkt Betroffene, die sich möglicherweise noch im Schadens-
gebiet oder Gefahrenbereich aufhalten, zunächst äußere Sicherheit (Schutz,
Unterkunft, Nahrung, Rückführung etc.) bevor Maßnahmen, die eine „inne-
re Sicherheit“ fördern (also Beruhigung, Zuversicht, Struktur, Halt etc.), ein-
geleitet werden können.

Leitfaden Katastrophenmedizin 35
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

„Innere“ Sicherheit lässt sich beispielsweise durch folgende Maßnahmen


stärken:
ƒ Vermitteln Sie Informationen zum Unglücksereignis, z. B. und wenn mög-
2

lich zum Verbleib und zum Zustand von Angehörigen, um dem Bedürfnis
nach Information und Gewissheit entgegenzukommen und dem Betroffe-
nen eine realistischere Einschätzung der Situation zu ermöglichen.
ƒ Informieren Sie über das, was bereits unternommen wurde bzw. unter-
nommen wird.
ƒ Formulieren Sie die Informationen klar und eindeutig. Informationsauf-
nahme und Informationsverarbeitung können beim Gesprächspartner
situationsbedingt beeinträchtigt sein.
ƒ Sorgen Sie möglichst für eine ruhigere Gesprächsatmosphäre und schalten
Sie Störquellen so gut es geht aus (Hintergrundgeräusche, Personen etc.).
ƒ Gehen Sie mit dem Betroffenen der Frage nach, welche Personen in seinem
sozialen Umfeld Unterstützung anbieten können (Suche nach einem „si-
cheren Ort“, Geborgenheit, Verständnis, Rückzugsmöglichkeiten etc.).
ƒ Unterstützen Sie die Handlungsfähigkeit des Betroffenen und fördern Sie
Eigeninitiativen (aufstehen, etwas halten etc.), denn Sicherheit hat viel mit
dem (Wieder-)Erleben von Kontrolle zu tun (s. Kap. 2.3.3).
ƒ Zeigen Sie auf, dass Möglichkeiten bestehen, die Situation des Betroffenen
zu erleichtern oder zu klären. Erläutern Sie, welche Möglichkeiten der Un-
terstützung Sie anbieten können.
ƒ Vermitteln Sie in einfachen Worten und transparent das weitere Vorge-
hen, zeigen Sie die nächsten Schritte auf.
ƒ Achten Sie darauf, dass sie mit dem Betroffenen getroffene Vereinbarun-
gen (z. B. ein Anruf o. Ä.) verbindlich und verlässlich einhalten.

2.3.2 Beruhigen und entlasten


Auch die Empfehlungen, zu beruhigen und zu entlasten, sind relativ zu se-
hen: Es geht um das Kappen von Belastungsspitzen und die Reduktion von
Zeichen der Übererregung, denn niemand kann tatsächlich „entspannen“,
während er seine Angehörigen vermisst und eine Zeit der Ungewissheit und
des Wartens aushalten muss.

Bei allen Möglichkeiten, Beruhigung und Entlastung im psychischen Sinne


zu fördern, sind solche Maßnahmen vorrangig, die direkt auf eine konkrete
praxisbezogene Problemlösung zielen und situative Bedingungen auflösen
können (wie z. B. materielle Ressourcen, Abbauen einer Bedrohung).

36 Leitfaden Katastrophenmedizin
Bitte beachten

2
Konkrete praxisbezogene Problemlösungen und die Verbesserung der
situativen Bedingungen (z. B. lebensrettende Sofortmaßnahmen, Abbau
einer Bedrohung, Bereitstellen erforderlicher materieller Ressourcen
etc.) haben immer Vorrang vor Beruhigung und Entlastung durch psy -
chologische Maßnahmen.

Zur Beruhigung und Entlastung können beispielsweise folgende Maßnah-


men beitragen:
ƒ Sorgen Sie für eine möglichst ruhige Gesprächsatmosphäre (s. Kap. 2.3.1).
ƒ Zeigen Sie im Gespräch mit dem Betroffenen einfühlendes Verständnis und
geben Sie seinen Schilderungen Raum. Gehen Sie aber nicht aktiv zu stark auf
seine Gefühle ein, vermeiden Sie vertieftes und detailliertes Nachfragen.
ƒ Übermitteln Sie Informationen zum Geschehen.
ƒ Erläutern Sie dem Betroffenen die Belastungsreaktionen, die er Ihnen
schildert (Psychoedukation), da sich manche Betroffene in ihren eigenen
Reaktionen „nicht mehr wiedererkennen“:
• Klären Sie darüber auf, dass es sich bei seinen Belastungsreaktionen (in
der Akutphase bis etwa 30 Tage nach dem Ereignis) um normale Reakti-
onen auf ein unnormales Ereignis handelt, auf das nahezu jeder Mensch
so reagieren würde. Geben Sie weiter, dass Belastungsreaktionen wie
Konzentrationsprobleme, Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Albträume
u. a. zum normalen Verarbeitungsprozess gehören.
• Fördern Sie das Verständnis des Betroffenen für die eigenen Belastungs-
reaktionen.
• Vermitteln Sie Informationen über Belastungsreaktionen mit dem
Hinweis, dass diese auftreten können, aber nicht müssen (Vorsicht vor
selbsterfüllenden Prophezeiungen und der Fokussierung auf Symp -
tome). Zu bedenken ist, dass psychoedukative Maßnahmen erst dann
greifen können, wenn sich der Betroffene bereits etwas beruhigt hat.
Sonst besteht die Gefahr, dass die Informationen nicht verarbeitet wer-
den können, oder sie werden als Beschwichtigungsversuche gedeutet
und führen zur Einschätzung „Ich werde nicht ernst genommen“.
ƒ Ermutigen Sie zu Eigenaktivität. Wer oder was dem Betroffenen hilft, kann
sehr unterschiedlich sein: Manchen Menschen hilft es, Sport zu treiben
oder die gewohnte Arbeit wieder aufzunehmen oder ihren Hobbys nach-
zugehen. Andere möchten eher Ruhe haben. Entscheidend ist zu vermit-
teln, dass der Betroffene selbst bestimmen kann, was in der Situation für
ihn hilfreich ist und was nicht.

Leitfaden Katastrophenmedizin 37
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

ƒ Geben Sie ggf. Hinweise zum Umgang mit Nachrichten und kursierenden
Gerüchten in den Medien.
ƒ Unterstützen Sie den Betroffenen bei Bedarf, weiterführende regionale
2

oder überregionale psychosoziale Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.


Erläutern Sie die unterschiedlichen Angebote – vorausgesetzt, Sie sind da­
rüber und über deren Qualität gut informiert.
ƒ Schlagen Sie dem Betroffenen vor, über das Erlebte zu sprechen. Beobach-
ten Sie genau, ob er tatsächlich ein Bedürfnis hat zu erzählen, und akzep-
tieren, und wahren Sie unbedingt ein Nein und die Grenzen des Betroffe-
nen. Drängen Sie ihn niemals.
ƒ Empfehlen Sie dem Betroffenen, wenn er über das Erlebte berichten möchte:
• nur mit Personen seines Vertrauens und nicht mit jedem zu sprechen
(Vorsicht v. a. in Bezug auf die Medieninterviews),
• nur in Situationen zu sprechen, in denen er selbst es wünscht,
• nur so viel und so lange darüber zu sprechen, wie es von ihm selbst als
gut und hilfreich empfunden wird.
ƒ Unterstützen Sie den Betroffenen, Hemmnisse abzubauen (z. B. wird da-
rüber sprechen oft als Zeichen von Schwäche, Reden und Weinen als un-
männliches Verhalten gewertet).
ƒ Schlagen Sie ihm vor, das Erlebte aufzuschreiben. Schreiben in Form eines
Tagebuchs kann helfen, Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Bitte beachten

Erläutern Sie dem Betroffenen typische Belastungsreaktionen (Konzent-


rationsprobleme, Zittern, Schwitzen, Herzklopfen, Albträume etc.). Ge -
ben Sie dabei immer den Hinweis, dass diese in den nächsten Tagen auf-
treten können, aber nicht müssen. Ansonsten besteht die Gefahr der sich
selbsterfüllenden Prophezeiungen und der Fokussierung auf Symptome.

2.3.3 Selbstwirksamkeit und Kontrolle fördern


Unter Selbstwirksamkeit versteht man die individuelle Überzeugung, dass
sich das eigene Handeln (durch Regulation von Gedanken, Emotionen und
Verhalten) positiv auf die Situation auswirkt. Auch in chaotischen bzw. belas­
tenden Situationen müssen Menschen die Erfahrung machen können, dass
sie die Fähigkeit besitzen, einer Bedrohung bzw. Gefahr zu begegnen und ihr
etwas entgegenzusetzen, um sie später ganz zu überwinden und ihre Proble-
me zu lösen. Das Erleben von Selbstwirksamkeit steht dem Erleben von Kon-
trollverlust und Hilflosigkeit gegenüber.

38 Leitfaden Katastrophenmedizin
Förderung der Selbstwirksamkeit beinhaltet auch die (gemeinsame) Suche
nach verfügbaren Ressourcen und umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten.
Vermitteln Sie nach Möglichkeit, dass jede betroffene Person selbst kompe-

2
tent und fähig ist, die eigene Situation zu beeinflussen und zu verändern,
auch wenn es Zeiten gibt, in denen dazu zunächst die Energie fehlt.

Selbstwirksamkeit und Kontrolle lässt sich beispielsweise durch folgende


Maßnahmen fördern:
ƒ Helfen Sie, die Situation des Betroffenen gedanklich zu strukturieren und
damit überschaubarer zu machen.
ƒ Zeigen Sie auf, welche Möglichkeiten und Handlungsschritte für den Be-
troffenen umsetzbar sind.
ƒ Ermutigen Sie zu Eigeninitiative und Aktivität (ohne zu überfordern).
ƒ Greifen Sie bereits unternommene Lösungsansätze auf und verstärken Sie
diese.
ƒ Zeigen Sie transparent auf, welche nächsten Schritte von Ihrer Seite oder
durch den Betroffenen selbst eingeleitet werden (können). Denn das Erle-
ben von Kontrolle ist auch eng mit dem Erleben von Vorhersagbarkeit ver-
knüpft.

2.3.4 Kontakt und Anbindung fördern


Im Idealfall findet eine schnelle Zusammenführung bzw. Kontaktherstel-
lung zu den Angehörigen, Freunden etc., die vermisst werden, statt. Gleich-
zeitig hat die Anbindung der Betroffenen an nahestehende und vertrauens-
würdige Menschen und unterstützende soziale Gruppen einen besonders
hohen Stellenwert.

Zur Förderung von Kontakt und Anbindung zählen somit beispielsweise fol-
gende Maßnahmen:
ƒ Unterstützen Sie beim Aufbau bzw. der Aktivierung eines sozialen Netz-
werks (Freunde, Nachbarn, Kollegen etc.), das verlässlich für die Betroffe-
nen verfügbar ist und ein gewisses Maß an Stabilität bieten kann. Dort, wo
keine sozialen Netzwerke (mehr) existieren, überlegen Sie mit dem Betrof-
fenen, welche alternativen Möglichkeiten in Frage kommen könnten: Bie-
ten Sie die Kontaktvermittlung zu regionalen Unterstützungsangeboten
(Krisendienste, Selbsthilfeverbünde etc.) an.
ƒ Erkundigen Sie sich beim Betroffenen, ob er mit anderen ebenfalls Betrof-
fenen zusammenkommen möchte, und unterstützen Sie den Betroffenen
bei Bedarf bei der Kontaktaufnahme.

Leitfaden Katastrophenmedizin 39
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

2.3.5 Das Gefühl von Hoffnung stärken


Das Thema Hoffnung ist im Kontext von traumatischen Ereignissen wie
2

schweren Unglücksfällen und Katastrophen schwierig zu behandeln. Das


Gefühl von Hoffnung stärken, meint nicht, eine „alles wird gut“-Einstellung
zu vermittelt. Vielmehr geht es um die Förderung von Zuversicht, die Ver-
mittlung des Gefühls, dass in der Zukunft eine Besserung erreichbar sein
wird. Dies kann beispielsweise dadurch gefördert werden, dass man kon-
krete und praktische Hilfen anbietet, die Betroffene darin unterstützen, ihre
Situation zu verbessern, und befähigen, sich selbst zu helfen: z. B. Hilfe beim
Wiederaufbau, Unterstützung in der Bewältigung von administrativen Auf-
gaben („Behördendschungel“) etc. Es geht also um eine lösungsorientierte
Sichtweise, die das Erreichen realistischer Ziele einschließt.

Für manche Menschen ist mit dem Thema „Hoffnung“ ihr religiöser Glaube
eng verknüpft. Oder möglicherweise haben Betroffene die Erfahrung ge-
macht, dass sie in der Vergangenheit schon ähnlich schwierige Situationen
gemeistert haben. Auch so lässt sich an wichtige Ressourcen (positive Verar-
beitungserfahrungen, Unterstützung durch Familie, Freunde, professionel-
le Helfer etc.) anknüpfen.

Literatur

Arbeitsgruppe Stolzenbachhilfe, Hrsg. Nach der Katastrophe. Das Grubenun-


glück von Borken. Ein Erfahrungsbericht über drei Jahre psychosoziale Hilfe.
Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht; 1992.

Bengel J, Hrsg. Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst. 2. erw.


Aufl. Berlin: Springer; 2004.

Blank V. Evaluation einer Krisenhotline: Entwicklung von Grundlagen für


eine Hotlineschulung. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Mann-
heim; 2006. Online verfügbar unter: http://www.bbk.bund.de/cln_027/
nn_402322/SharedDocs/Publikationen_ _extern/NOAH/Evaluation_ _
Krisen-hotline,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Evaluation_
Krisenhotline.pdf.

Flatten G, Hofmann A, Liebermann P, Wöller W, Siol T, Petzold E. Posttrauma­


tische Belastungsstörung. Leitlinien und Quellentext. Stuttgart: Schattauer;
2001.

Goldbrunner H. Trauer und Beziehung. Mainz: Matthias Grunwald; 1996.

40 Leitfaden Katastrophenmedizin
Helmerichs J. 11. September 2001. Begleitung von Angehörigen der Opfer in
Deutschland. In: Ans rettende Ufer. Referateband des 5. Bundeskongresses
für Notfallseelsorge und Krisenintervention. Frankfurt am Main: Verlag für

2
Polizeiwissenschaft; 2002a. 101–109.

Helmerichs J. Psychosoziale Hilfe für Opfer, Angehörige und Helfer in Katast-


rophenfällen und bei terroristischen Anschlägen. In: Thamm VB, Hrsg.

Helmerichs J, Fritsche A, Fröschke K, Harks V, Kromm M, Tiesler R. NOAH.


Koordinierungsstelle der Bundesregierung zur Nachsorge, Opfer- und Ange­
hörigenhilfe. In: Jatzko S, Hitzfelder F, Hrsg. Hinterbliebenen-Nachsorge.
Absturz der Birgen-Air-Maschine in der Dominikanischen Republik 1996.
Edewecht: Stumpf + Kossendey; 2007. 294–297.

Hobfoll S, Watson P, Bell C, Bryant M, Friedman M, Friedman M, Gersons B, de


Jong J, Layne C, Maguen S, Neria Y, Norwood R, Reissman D, Ruzek J, Shalev A,
Solomon Z, Steinberg A, Ursano R. Five essential elements of immediate and
mid-term mass trauma intervention: empirical evidence. Psychiatry 2007; 70
(4): 283–315.

Impact. Multidisciplinary Guideline. Early psychosocial interventions after


disasters, terrorism and other shocking events. Utrecht: National Steering
Committee on Development in Mental Health Care; 2007. Online verfügbar un-
ter: http://www.impact-kenniscentrum.nl/?pag=762&userlang=en [Stand:
Oktober 2008; niederländische Fassung].

Jatzko H, Jatzko S, Seidlitz H. Das durchstoßene Herz. Ramstein 1988. Beispiel


einer Katastrophen-Nachsorge. Edewecht: Stumpf + Kossendey; 1995.

Jatzko S, Hitzfelder F, Hrsg. Hinterbliebenen-Nachsorge. Absturz der Birgen-


Air-Maschine in der Dominikanischen Republik 1996. Edewecht: Stumpf +
Kossendey; 2007.

Krabs-Höhler H, Müller-Lange J. hoffen bis zuletzt. Seelsorgliche Begleitung


und psychosoziale Unterstützung für Angehörige nach dem Tsunami vom
26.12.2004. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft; 2006.

Krüsmann M, Müller-Cyran A. Trauma und frühe Interventionen. Möglich-


keiten und Grenzen von Krisenintervention und Notfallpsychologie. Stutt-
gart: Pfeiffer bei Klett-Cotta; 2005.

Lasogga F, Gasch B, Hrsg. Psychische Erste Hilfe bei Unfällen. Edewecht:


Stumpf + Kossendey; 1997.

Leitfaden Katastrophenmedizin 41
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Umgang mit Menschen in Extremsituationen

Lueger-Schuster B, Krüsmann M, Purtscher K. Psychosoziale Hilfe bei Katast-


rophen und komplexen Schadenslagen. Wien, New York: Springer; 2006.
2

Müller-Lange J, Hrsg. Handbuch Notfallseelsorge. 2. erw. Aufl. Edewecht:


Stumpf + Kossendey; 2006.

NATO Joint Medical Committee. Psychosocial care for people affected by


disasters and major incidents. North Atlantic Treaty Organization (NATO);
2008.

Seynaeve GJR. Psycho-social support in situations of mass emergency. Euro -


pean Policy Paper. Brussels: Belgium Ministry of Public Health; 2001.

Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer. Hilden: Verlag Deutsche
Polizeiliteratur; 2002b. 457–505.

Waterstraat F. Dem Chaos gestaltend begegnen. Aspekte christlicher Ritua-


le in der Notfallseelsorge. Rituale. Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)
2009; 26: 16–30.

42 Leitfaden Katastrophenmedizin
3
Rechtsgrundlagen für die
Einsätze im Katastrophenfall

3
und die Triage
B.-R. Kern

Große Schwierigkeiten für den nicht ständig mit der Materie beschäftigten
Rechtssuchenden bereitet die Abgrenzung zwischen Notfall- und Katastro-
phenmedizin, weil beide Bereiche so eng miteinander verwandt sind. Wird
unter Notfallmedizin die diagnostische und therapeutische Erstversorgung
der Notfallpatienten verstanden, um auch unter den Bedingungen eines
plötzlich eintretenden Notfallereignisses alle Leben zu retten und bleiben-
den Beeinträchtigungen der Gesundheit vorzubeugen,1 bemüht sich die Ka-
tastrophenmedizin um die Handhabung außergewöhnlicher Schadenser-
eignisse, die durch eine Vielzahl Hilfebedürftiger, Zeitdruck und nur selten
günstige Umweltbedingungen geprägt sind. Erschwerend tritt der Umstand
hinzu, dass die vorhandenen Kapazitäten und Helfer den tatsächlichen Be-
darf lange nicht abdecken können, sodass eine Bewältigung der Gefahrenla-
ge mit den vorhandenen Mitteln nicht möglich ist.2

„Weltweite Erfahrung lehrt, daß jedes überraschende Eintreten eines außer-


ordentlich hohen medizinischen Behandlungsbedarfes die Leistungsfähig-
keit verfügbarer Dienste und Einrichtungen und selbst voll funktionsfähiger
notfallmedizinischer Organisationen überfordert.“3

Der vorliegende Beitrag möchte einen kurzen Überblick über die für Kata-
stropheneinsätze maßgeblichen Rechtsgrundlagen geben. Anschließend
soll das im Zentrum – und häufig auch in der Kritik stehende – Sichten (Tria-
ge) einer rechtlichen Bewertung unterzogen werden.

1 Thierbach, A., Lexikon der Notfallmedizin, 2002, S. 321. Zur Unterscheidung von Notfall- und Katas-
trophenmedizin auch Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 122.
2 Vgl. Kirchhoff, R. / Linde, H.-J., Definition der Katastrophe, in: Kirchhoff, R., Triage im Katastrophenfall –
Ärztliche Sofortmaßnahmen im Katastrophengebiet, 1984, S. 9; Dönicke, S., Strafrechtliche Aspekte der
Katastrophenmedizin, 1987, S. 1; Zimmermann, J., Modellierung von Priorisierungsregeln am Spezial-
fall der Triage, in: Wohlgemuth, W. A. / Freitag, M.H., Priorisierung in der Medizin, 2009, S. 218.
3 Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 116.

Leitfaden Katastrophenmedizin 43
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

3.1 Rechtliche Grundlagen der


Katastrophenmedizin
Mit der verstärkten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, v. a.
aber auch mit der Zunahme der Zahl der Industrieunfälle, Seuchen oder Pan-
3

demien sowie dem Auftreten nie auszuschließender natürlicher Gefahren,


nimmt das Risiko des Eintretens eines Katastrophenfalles stetig zu. In der Bun-
desrepublik Deutschland ist als jüngstes Ereignis das Elbehochwasser 2002 in
guter Erinnerung. Solche Katastrophenfälle in der Bundesrepublik wie außer-
halb sowie die jederzeit immanente Gefahr neuer Schadensereignisse erzwin-
gen ein nationales und ggf. internationales Krisenmanagement, bei dem zivile
und militärische Ressourcen koordiniert eingesetzt werden müssen.4

Ein erfolgversprechendes Vorgehen in außergewöhnlichen Gefahrenlagen


setzt Koordination und (rechts-)sicheren Umgang in derartigen Ausnahme-
situationen voraus.

3.1.1 Rechtsgrundlage auf Bundesebene


Die Grundlage für das medizinische Tätigwerden im Katastrophenfall inner-
halb Deutschlands bildet das Gesetz über den Zivilschutz und die Katastro-
phenhilfe des Bundes (Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz – ZSKG)5.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des ZSKG ist es Aufgabe des Zivilschutzes, „durch nicht-
militärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeits-
stätten, lebens- oder verteidigungswichtige zivile Dienststellen, Betriebe,
Einrichtungen und Anlagen sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu
schützen und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern“. Zum Zivilschutz
gehören u. a. Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit (§ 1 Abs. 2 Nr. 6 ZSKG)
und insbesondere auch der Katastrophenschutz, der jedoch überwiegend an
die Bundesländer delegiert ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 11; § 2 ZSKG).6

Das entspricht der im Grundgesetz (GG) vorgenommenen Verteilung der Ge-


setzgebungskompetenz. So steht dem Bund zwar gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 und
Nr. 9a, Art. 71 GG die Gesetzgebungskompetenz für die auswärtigen Angelegen-
heiten, die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung sowie
grundsätzlich über die „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
[...] in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt [...]“ zu. Mangels

4 Bundesministerium des Innern, System des Krisenmanagements in Deutschland, Sept. 2008, S. 6.


5 ZSKG vom 25. März 1993 (BGBl. I, S. 726), zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 29. Juli
2009 (BGBl. I, S. 2350).
6 Jansch, A., Klinik in der Krise – Organisation bei Notlagen und Katastrophen, 2009, S. 54.

44 Leitfaden Katastrophenmedizin
Zuweisung ausschließlicher oder konkurrierender Gesetzgebungskompetenz
im Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr sind indessen die Länder gem.
Art. 30, 70 Abs. 1 GG diesbezüglich zur Regelung von Maßnahmen befugt.

Die die Länder im Katastrophenschutz lediglich unterstützende Funktion des

3
Bundes wird in § 12 ZSKG allgemein als Grundsatz festgehalten. So dürfen die
Vorhaltungen und Einrichtungen des Bundes für den Zivilschutz bei großflä-
chigen und überregionalen Schadensereignissen auch von den Ländern für
ihre Aufgabe im Bereich des Katastrophenschutzes genutzt werden. Neben
dieser Bereitstellung von Ressourcen wird Katastrophenhilfe weiterhin auch
durch Information und Beratung gewährleistet.7

Alles in allem liegt das wesentliche Augenmerk des ZSKG aber auf dem Zi-
vilschutz und der „Organisation des Katastrophenschutzes im Verteidi-
gungsfall“8. Will man aber Katastropheneinsätze – die sich insbesondere
auch durch ärztliche Mitwirkung auszeichnen – in ihrer Vielzahl und in ih-
rem Grundsatz näher beleuchten, so kommt dem ZSKG an dieser Stelle eher
eine geringe Bedeutung zu.

Daneben finden nicht nur im Verteidigungsfall, sondern darüber hinaus auch


auf jede allgemeine großflächige „Krisensituation“, die über das Gebiet eines
Bundeslandes hinausreicht, die sogenannten Vorsorgegesetze Anwendung.9

3.1.2 Ländergesetze
Die Bundesländer haben im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz lan-
desgesetzliche Regelungen geschaffen, um größere Schadensereignisse be-
wältigen zu können.

Zu nennen sind einerseits die Rettungsgesetze der Länder,10 die eine öf-
fentliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr
erfüllen. Durch den plötzlichen Massenanfall Hilfebedürftiger würde der
Notfalldienst vor besondere Anforderungen gestellt. Es besteht gesteigerter

7 Bundesministerium des Innern, System des Krisenmanagements in Deutschland, Sept. 2008, S. 6.


Ebd. S. 10: „Bei landübergreifenden Unglücksfällen hat zudem die Bundesregierung, soweit es zur
wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zusätzliche Handlungsoptionen.“ Weiteres zum Krisen-
management auf Bundesebene vgl. ebd. S. 11 ff.
8 Jansch, A., Klinik in der Krise – Organisation bei Notlagen und Katastrophen, 2009, S. 55.
9 Zu nennen wären hier insbesondere das Ernährungsvorsorgegesetz (EVG) vom 20.8.1990 (BGBl. I,
S. 1766), zuletzt geändert durch Art. 186 VO v. 31.10.2006 (BGBl. I, S. 2407), nach dessen § 1 Abs. 1 es
Ziel des Gesetzes ist, die Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft im Falle
einer Versorgungskrise ausreichend sicher zu stellen. Ebenso zählt hierzu das Gesetz zur Sicherung
der Verkehrsleistungen (Verkehrsleistungsgesetz – VerkLG) vom 23.7.2004 (BGBl. I, S. 1865), zuletzt
geändert durch Art. 304 VO v. 31.10.2006 (BGBl. I, S. 2407).
10 Vgl. die Rettungsdienstgesetze der Bundesländer; und Kern, B.-R. / Hahn, E. / Peters M., in: Wölfl,
C. / Matthes, G. (Hrsg.), Unfallrettung, 2010.

Leitfaden Katastrophenmedizin 45
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

Bedarf an Koordination, um einen möglichst effektiven Einsatz zu sichern.


Die rechtliche Grundlage für einen Einsatz unter diesen erschwerenden
Umständen bilden die landesspezifischen Regelungen zum Katastrophen-
schutz. Die entsprechenden Regelungen finden sich teilweise als eigenstän-
diges Gesetz11, teilweise werden sie in die Bestimmungen zum Brandschutz
3

und zur allgemeinen Hilfeleistung eingegliedert12.

Grundsätzlich dienen diese Bestimmungen der Prävention und der Be -


kämpfung von Katastrophensituationen. Die Katastrophe i. S. d. Gesetze
ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Zum einen muss es sich um ein
Geschehen handeln, das zahlreiche Menschen an Leben oder Gesundheit
oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung, die Umwelt oder
erhebliche Sachwerte in einem außergewöhnlichen Maße gefährdet.
Zum anderen darf die Gefahr nur durch das Zusammenwirken von im Ka-
tastrophenschutz vereinten Behörden, Dienststellen und Organisationen
abgewehrt, unterbunden oder beseitigt werden können.13

Auch aufgrund der Unterschiede im Wortlaut der Definitionen des Katastro-


phenfalles – so werden mitunter z. B. auch die Begriffe Großschadensereignis

11 Baden-Württemberg: Gesetz über den Katastrophenschutz (LKatSG) v. 22.11.1999, zuletzt geändert


durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Meldegesetzes und anderer Gesetze v. 7.3.2006; Bay-
ern: Bayerisches Katastrophenschutzgesetz (BayKSG) v. 24.7.1996, zuletzt geändert durch Gesetz
zur Änderung des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes v. 27.7.2009; Berlin: Gesetz über die
Gefahrenabwehr bei Katastrophen (KatSG) v. 11.2.1999, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung
des Katastrophenschutzgesetzes v. 26.1.2004; Hamburg: Hamburgisches Katastrophenschutzge-
setz (HmbKatSG) v. 16.1.1978, zuletzt geändert durch das Erste Euro-Anpassungsgesetz v. 18.7.2001;
Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz über den Katastrophenschutz in Mecklenburg-Vorpommern
(LKatSG) v. 24.101.2001, zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes zur Reform der Landesverwaltung
im Innenressort v. 19.12.2005; Niedersachsen: Niedersächsisches Katastrophenschutzgesetz (NKatSG)
v. 14.2.2002, zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes zur Modernisierung des niedersächsischen
Beamtenrechts v. 25.3.2009; Sachsen-Anhalt: Katastrophenschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt
(KatSGLSA) v. 5.8.2002, zuletzt geändert durch das Zweite Gesestz zur Änderung des Katastrophen-
schutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt v. 28.6.2005; Schleswig-Holstein: Gesetz über den Katast-
rophenschutz in Schleswig-Holstein (LKatSG) v. 10.12.2000, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes
zur Änderung des Brandschutzgesetzes und des Landeskatastrophenschutzgesetzes v. 7.1.2008.
12 Brandenburg: Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz des
Landes Brandenburg (BbgBKG) v. 24.5.2004; Bremen: Bremisches Hilfeleistungsgesetz (BremHilfeG)
v. 19.3.2009; Hessen: Hessisches Gesetz über den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katast-
rophenschutz (HBKG) v. 17.12.1998, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Hes-
sischen Gesetzes über den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz und zur
Änderung der Hessischen Gemeindeordnung v. 15.11.2007; Nordrhein-Westfalen: Gesetz über den
Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG) v. 10.2.1998, zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes
zur Kommunalisierung von Aufgaben des Umweltrechts; Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über den
Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (LBKG) v. 2.11.1981, zuletzt geändert
durch Art. 1 des Zweiten Landesgesetzes zur Änderung des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes v.
17.6.2008; Saarland: Gesetz über den Brandschutz, die Technische Hilfe und den Katastrophenschutz
im Saarland (SBKG) v. 29.11.2006, zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 1690 zur Änderung des Gesetzes
über den Brandschutz, die Technische Hilfe und den Katastrophenschutz im Saarland v. 1.7.2009;
Sachsen: Sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (Sächs-
BRKG) v. 24.6.2004, zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.1.2008; Thüringen: Thüringer Gesetz über
den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (ThürBKG) v. 5.2.2008, zuletzt
geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des Thüringer Beamtenrechts v. 20.3.2009.
13 Die Definitionen unterscheiden sich weniger im Inhalt, als vielmehr im Wortlaut. Abweichend von
der genannten, kann die Definition mitunter ausführlicher oder kürzer ausfallen.

46 Leitfaden Katastrophenmedizin
und Unglücksfall gebraucht – ist die Abgrenzung zwischen den Einsätzen des
Katastrophenschutzes und solchen des Rettungsdienstes, unabhängig von
der generellen Unbestimmtheit, nur selten eindeutig nachvollziehbar. Auch
die überwiegende Anzahl der Rettungsdienstgesetze enthält Bestimmun-
gen zur Bewältigung von „größeren Notfallereignissen“, „Großschadenser-

3
eignissen“ oder Schadensereignissen „mit einer Vielzahl von Verletzten“. Der
Übergang zwischen der Zuständigkeit des Rettungsdienstes und des Katast-
rophenschutzes wird wohl schon deshalb immer fließend bleiben, weil sich
tatsächliche Ereignisse, wie etwa die Evakuierung einer ganzen Klinik,14 der
exakten Zuordnung entziehen. Klare Begriffsbestimmungen und Vereinheit-
lichung wären sicherlich wünschenswert, sind aber wohl nicht erreichbar.

Neben Zuständigkeitsfragen klären die Katastrophenschutzgesetze in der


Regel die Organisation im weitesten Sinne. So werden etwa präventive Maß-
nahmen getroffen, Katastrophenschutzpläne erstellt, Übungen abgehalten,
die Mitwirkung im Einsatz bei Katastrophen (z. B. Ärzte und Krankenhäuser)
und die Lenkung des Einsatzes geklärt.

Problematisch gestaltet sich jedoch die Frage der Verfahrensweise bei


ländergrenzenüberschreitenden Katastropheneinsätzen, sei es dadurch,
dass ein Katastrophenereignis grenznah oder -überschreitend eintritt oder
dadurch, dass eine Katastrophe die Leistungsfähigkeit eines Bundeslandes
übersteigt. Zwar enthalten viele der Gesetze, die sich mit dem Katastrophen-
schutz befassen, Regelungen zur Nachbarschafts- und überörtlichen Hilfe,
diese fallen aber in Reichweite und Umfang sehr unterschiedlich aus. Eine
abschließende Erörterung der einzelnen Landesregelungen kann an dieser
Stelle aus Platzgründen nicht stattfinden. Es sei jedoch angemerkt, dass –
soweit die gesetzlichen Ausführungen den Einsatz über eine Landesgrenze
hinweg keiner befriedigenden Lösung zuführen – die Katastrophenschutz-
gesetze die Basis für den Erlass weiterführender Verordnungen, Katastro-
phenschutzpläne und Vereinbarungen zwischen den Ländern bieten.

Zudem könnte ein Hilfeersuchen eines Bundeslandes auch auf die grundge-
setzliche Garantie gegenseitiger Rechts- und Amtshilfe gestützt werden. So
kann ein Bundesland gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG bei einer Naturkatastro -
phe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall die Polizeikräfte ande-
rer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie der Bun-
despolizei und der Bundeswehr zur Unterstützung anfordern. Art. 35 Abs. 3
Satz 1 GG geht noch weiter, indem er festlegt, dass bei Gefährdung mehr als
eines Bundeslandes durch eine Naturkatastrophe oder einen Unglücksfall

14 Helm, M. / Jost, C. / Frey, G. / Stahl, W. / Geisser, W. / Lampl, L., Notfallmäßige Klinikevakuierung nach
Bombendrohung – Erfahrungen einer 500-Bettenklinik –, in: Anästh Intensivmed 2009, S. 712–720.

Leitfaden Katastrophenmedizin 47
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen dergestalt ertei-


len kann, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, und die
Möglichkeit hat, Einheiten der Bundespolizei und der Bundeswehr zur Un-
terstützung der Polizeikräfte einzusetzen.
3

Allerdings könnte sich die praktische Umsetzung der Katastropheneinsätze in


einem anderen Bundesland schwieriger gestalten als deren theoretische Pla-
nung. Durch die Existenz 16 verschiedener gesetzlicher Regelungen in der Bun-
desrepublik haben sich z. B. verschiedene Führungs- und Kommunikations-
strukturen herausgebildet. In dieser Vielfalt kann leicht die Übersicht verloren
gehen, die Zusammenarbeit erschwert und die Effektivität gehemmt werden.
Erforderlich ist deshalb ein zusammenführendes Krisenmanagement.15

3.1.3 Grenzüberschreitende Abkommen


Katastrophen werden sich nicht immer an die Grenzen von Bundesländern hal-
ten, aber auch nicht an die Außengrenzen des Bundes.16 Damit rücken zuneh-
mend auch grenzüberschreitende Einsätze im Katastrophenschutz in den
Bereich des Möglichen.17 Zehn der 16 deutschen Bundesländer grenzen an an-
dere europäische Staaten. Deshalb ist das Bedürfnis nach grenzüberschreiten-
der Zusammenarbeit in den Bereichen des Rettungsdienstes und des Katastro-
phenschutzes nur allzu deutlich spürbar. Koordiniertes und (rechts-)sicheres
Zusammenwirken könnte auch hier die Effektivität eingeleiteter Maßnahmen
erhöhen. Bessere Nutzung vorhandener Ressourcen, Kosteneinsparungen
und Effizienzsteigerungen würden den Ländern, die von einem grenznahen
Notstand bzw. einer Katastrophe betroffen sind, zum Vorteil gereichen.18

Viele der grenznahen Rettungsdienstbereiche der Bundesrepublik Deutsch-


land führen bereits grenzüberschreitende Rettungseinsätze durch. „Die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit beruht in der überwiegenden An-
zahl der Fälle auf regionalen Absprachen und inoffiziellen Kooperationen.
Offizielle Vereinbarungen und Abkommen stellen eine Seltenheit dar.“19

15 Bundesministerium des Innern, System des Krisenmanagements in Deutschland, Sept. 2008, S. 7, 19.
16 Jansch, A., Klinik in der Krise – Organisation bei Notlagen und Katastrophen, 2009, S. 47 f.: „Im Ge-
dächtnis bleiben der Flugunfall von Ramstein 1988, das Zugunglück von Eschede 1998, der Brand im
Tauerntunnel 1999, und das Explosionsunglück und Brand von Enschede 2000.“
17 Vgl. Pohl-Meuthen, U. / Schlechtriemen, T. / Gerigk, M. / Schäfer, S. / Moecke, Hp., Grenzüberschreiten-
der Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit, Notfall Rettungsmed 2006, S. 680 mit gleichen
Schlussfolgerungen für den Rettungsdienst.
18 Vgl. Pohl-Meuthen, U. / Schlechtriemen, T. / Gerigk, M. / Schäfer, S. / Moecke, Hp., Grenzüberschreiten-
der Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit, Notfall Rettungsmed 2006, S. 679.
19 Pohl-Meuthen, U. / Schlechtriemen, T. / Gerigk, M. / Schäfer, S. / Moecke, Hp., Grenzüberschreitender
Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit, Notfall Rettungsmed 2006, S. 682.

48 Leitfaden Katastrophenmedizin
Um so positiver überrascht es, dass die Bundesrepublik Deutschland – über-
zeugt von der Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe bei Katastrophen oder
schweren Unglücksfällen20– bereits in den späten 70er-Jahren des 20. Jahr-
hunderts damit begonnen hat, mit den Nachbarländern Abkommen zur Un-
terstützung im Bereich des Katastrophenschutzes zu schließen. Heute liegen

3
Staatsverträge mit allen an Deutschland angrenzenden Staaten vor.21 Darin
verpflichten sich die Vertragsstaaten zur Hilfeleistung bei schweren Un-
glücksfällen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Im Grunde sehen die Maßnah-
men zur Hilfe so aus, dass ausgebildete und ausgerüstete Hilfsmannschaften
an den Unglücksort entsendet werden. Dort unterstehen sie der am Katastro -
phenort verantwortlichen Behörde. Dadurch wird eine koordinierte Einsatz-
lenkung gewährleistet. Die Parteien treffen auf Grundlage dieser Verträge
Einzelabkommen zur Durchführung des Vertrages.

Zweifelsohne erschweren sowohl „politische Vorgaben, Sprach- und Kom-


munikationsprobleme“ als auch unterschiedliche Standards die Zusammen-
arbeit.22 „Auch die teilweise mangelnde Kompatibilität der technischen Aus-
rüstung, Ausstattung und von Medizinprodukten erweist sich als hinderlich
und dem Patienten nicht dienlich.“23

Ohne jede rechtliche Grundlage finden Katastrophenschutzeinsätze jenseits


des Grenzgebietes statt.

20 Ähnlich lautende Einführungen in die Abkommen.


21 Gesetz zu dem Abkommen vom 6. November 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich Belgien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Un-
glücksfällen vom 30. November 1982 (BGBl. 1982 II, S. 1006 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom 2. März
1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die ge-
genseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen vom 7. Juli 1981 (BGBl. 1981 II,
S. 445 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Juni 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen einschließlich
schweren Unglücksfällen vom 20. März 1992 (BGBl. 1992 II, S. 198 ff.); Gesetz zu dem Vertrag vom 19.
September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über
die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen vom 16. August 2002
(BGBl. 2002 II, S. 1874 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom 16. Mai 1985 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen
oder schweren Unglücksfällen vom 17. März 1988 (BGBl. II, S. 286 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom
3. Februar 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über
die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen vom 14. Januar 1980
(BGBl. 1980, S. 33 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Dezember 1988 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen
oder schweren Unglücksfällen vom 20. März 1992 (BGBl. 1992 II, S. 206 ff.); Gesetz zu dem Abkommen
vom 10. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die gegen-
seitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen vom 7. Juli 1998 (BGBl. 1998 II,
S. 1178 ff.); Gesetz zu dem Abkommen vom 28. November 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastro-
phen oder schweren Unglücksfällen vom 22. Januar 1987 (BGBl. 1987 II, S. 74 ff.).
22 Pohl-Meuthen, U. / Schlechtriemen, T. / Gerigk, M. / Schäfer, S. / Moecke, Hp., Grenzüberschreitender
Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit, Notfall Rettungsmed 2006, S. 681 f.
23 Pohl-Meuthen, U. / Schlechtriemen, T. / Gerigk, M. / Schäfer, S. / Moecke, Hp., Grenzüberschreitender
Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit, Notfall Rettungsmed 2006, S. 682.

Leitfaden Katastrophenmedizin 49
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

Für die im Katastropheneinsatz Mitwirkenden erlangt das Gesetz über


den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) keine un -
mittelbare Bedeutung.
Erste präventive, organisatorische und koordinierende Maßnahmen
können aufgrund der Ländergesetze zum Katastrophenschutz durch -
3

geführt werden. Auch sind auf dieser Grundlage getroffene Vereinba -


rungen zu betrachten. Letzteres gilt insbesondere für Einsätze, die die
Grenzen eines oder mehrerer Bundesländer überschreiten.
Umfasst das Einsatzgebiet des Helfenden auch das grenznahe europäi-
sche Ausland, empfiehlt sich bereits vorab ein Blick in die Verträge des
jeweiligen Staates mit der Bundesrepublik Deutschland.

3.2 Triage – Sichten und Sortieren als


Mittelpunkt der Katastrophenmedizin

3.2.1 Problemstellung
Die Katastrophenmedizin arbeitet stetig an der Verbesserung der Handhabung
außergewöhnlicher Schadensereignisse, die durch eine Vielzahl Hilfebedürfti-
ger, Zeitdruck und nur selten günstige Umweltbedingungen geprägt sind. Ziel
jeder massenmedizinischen Versorgung im Katastrophenfall kann es nur sein,
mit den einfachen, wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst viele
Opfer vor dem Tod oder Gesundheitsschäden zu bewahren.24 Um so effektiv wie
möglich handeln zu können, ist planmäßige Strukturierung, medizinische und
personelle Organisation gefordert.25 Aufgrund der Gemeinsamkeiten von Not-
fall- und Katastrophenmedizin im Hinblick darauf, mit nur begrenzten Mög-
lichkeiten unter oft ungünstigen Umweltbedingungen vitale Körperfunktionen
aufrecht zu erhalten, Leben und Gesundheit zu retten und nur ausnahmsweise
abschließend behandeln zu können, ist es selbstverständlich, die Katastrophen-
medizin auf den Erkenntnissen und Erfahrungen der Notfallmedizin aufzu-
bauen.26 Im Unterschied zu Letzterer zwingt der Massenanfall Hilfebedürftiger
jedoch zur Festlegung von Behandlungsprioritäten. „Während nach notfallme-
dizinischen Grundsätzen eine Sichtung der Verletzten dahingehend geführt
wird, daß denjenigen die erste ärztliche und intensive Hilfe zuteil wird, die am
schwersten verletzt sind und die sie deshalb am dringendsten benötigen, kommt
es unter katastrophenmedizinischen Gesichtspunkten zu einer völlig anderen

24 Vgl. nur Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 128.
25 Neff, G., Grundlagen der Sichtung, in: Crespin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 72.
26 Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 122 f.

50 Leitfaden Katastrophenmedizin
Prioritätensetzung: Die Allerschwerstverletzten, diejenigen also mit der statis-
tisch schlechtesten Überlebensprognose, werden nicht behandelt.“27

Im Folgenden soll also das im Zentrum der Katastrophenmedizin stehende


Sichtungsverfahren näher beleuchtet werden.

3
3.2.2 Begriff
Nach DIN 13050 wird die Sichtung definiert als „die ärztliche Beurtei-
lung und Entscheidung über die Priorität der Versorgung von Patienten
hinsichtlich Art und Umfang der Behandlung sowie Art und Ziel des Ab -
transports“.

Die Bezeichnung „Sichtung“ ist an den der Kriegsmedizin entnommenen –


und auch heute noch vielfach synonym verwendeten – Begriff der „Triage“ an-
gelehnt. Diese gewann erstmals in den napoleonischen Kriegen des 18. Jahr-
hunderts an Bedeutung.28 Der Krieg stellte die Menschen vor das Problem,
eine die Ressourcen deutlich übersteigende Anzahl Verwundeter oder Er-
krankter bewältigen zu müssen, und zwang zur Sichtung und Auslese von
stark Verwundeten. „Triage“ kommt aus dem Französischen und bedeutet so
viel wie auslesen, auswählen oder sortieren.29

Uneinheitlichkeiten in der Wortwahl sind darin begründet, dass der Begriff


„triage“ erst verhältnismäßig spät und ohne klare Definition in die deutsche
Medizinsprache aufgenommen wurde.30

Seit Ende des 20. Jahrhunderts setzt sich in der deutschen Sprache mehr und
mehr die Verwendung des Ausdrucks „Sichtung“ durch. Auf den ersten Blick
mutet diese Bezeichnung verkürzend und bagatellisierend an. Denn bei ge-
nauer Betrachtung zeichnet sich die Triage durch Zweistufigkeit aus. 31 So fällt
die medizinische Indikationsstellung des einzelnen Patienten zweifellos un-
ter den Wortsinn des Begriffes „Sichtung“. Das Sichtungsergebnis bildet aber
die Basis für die ethisch und rechtlich problematische, an späterer Stelle noch

27 Augst, P., Triage bei Verbrennungsverletzungen, in: Mayer, J., Katastrophenmedizin oder: Die Lehre
vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 59.
28 Vgl. Rebentisch, E., Grundlagen, in: Crespin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 31 ff;
Goltermann, R., Triage als zentrales Merkmal der Katastrophenmedizin, in: Mayer, J., Katastrophen-
medizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 17.
29 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 48.
30 Goltermann, R., Triage als zentrales Merkmal der Katastrophenmedizin, in: Mayer, J., Katastrophen-
medizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 18.
31 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 67. Auch Steinhoff, W., Triage bei Polytraumatisierten, in: May-
er, J, Katastrophenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 79, möchte die
Begriffe Sichtung und Triage deutlich voneinander abgrenzt wissen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 51
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

zu beurteilende Einordnung des Verletzten in eine der Sichtungskategorien,


die letztlich über das Ob, Wann und Wie der Behandlung entscheidet.32

Dennoch sollte man für ein besseres Verständnis das gesamte Verfahren un-
ter dem Begriff der Sichtung zusammenfassen. Zudem vermag diese Wort-
3

wahl möglicherweise dazu beizutragen, sich von dem Gedanken der Kriegs-
medizin ab- und vorrangig den zivilen Katastrophenfällen zuzuwenden.
Um die Kategorisierungsstufe gesondert hervorzuheben, empfiehlt es sich,
vom – ebenfalls von der Triage abgeleiteten – „Sortieren“ zu sprechen.

3.2.3 Verfahren
Zu den klassischen Sichtungssituationen zählen industrielle Großunfälle und
Naturkatastrophen ebenso wie verlustreiche Militäraktionen.33 Die Problema-
tik wird nur allzu schnell sichtbar: Das plötzliche Betroffensein einer Vielzahl
von Menschen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der Prioritätensetzung: Frau-
en und Kinder zuerst, Helfer zuerst, Soldaten zuerst! Die Organvermittlung an
geeignete Patienten hingegen hat gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 TPG nach Kriterien der
Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zu erfolgen. Um knappe Ressourcen effektiv
und kontrolliert zu nutzen, die hohe Zahl Behandlungsbedürftiger zu bewäl-
tigen und dadurch das Überleben möglichst vieler Verletzter sicherzustellen,
müssen im Sichtungsverfahren Patienten nach medizinischen Prioritäten klas-
sifiziert werden.34

Überwiegend wird eine Einteilung in vier Sichtungskategorien vorgeschla-


gen. So werden einer ersten Gruppe diejenigen Verletzten zugeordnet, die auf-
grund einer unmittelbaren vitalen Bedrohung eine sofortige Behandlung be-
nötigen, einer zweiten Gruppe diejenigen, die zwar auch schwer verletzt sind,
bei denen sich aber, die Berücksichtigung einer Priorität beim Transport in
ein Krankenhaus vorausgesetzt, ein Aufschieben der Behandlung erlaubt und
schließlich einer dritten Gruppe diejenigen, die nur leicht verletzt sind und de-
ren Behandlung und Transport hintangestellt werden kann. Größte ethische,
politische und juristische Probleme bereitet die Einordnung des Patienten in
die Sichtungskategorie IV. Hier werden die (vermeintlich) „hoffnungslosen
Fälle“ eingruppiert, bei denen ein Überleben – gerade auch im Hinblick auf die
besondere Katastrophensituation – als nicht sehr wahrscheinlich eingestuft
wird. Diese Patienten werden abwartend behandelt, sie erhalten zunächst

32 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 67.


33 Zimmermann, J., Modellierung von Priorisierungsregeln am Spezialfall der Triage, in: Wohlge-
muth, W.A. / Freitag, M.H., Priorisierung in der Medizin, 2009, S. 219.
34 Thierbach, A., Lexikon der Notfallmedizin, 2002, S. 445; siehe auch Rebentisch, E., Grundlagen, in: Cre-
spin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 41, und Kirchhoff, R., Katastrophenhilfe, in: Kirchhoff,
R., (Hrsg.), Triage im Katastrophenfall – Ärztliche Sofortmaßnahmen im Katastrophengebiet, 1984, S. 21.

52 Leitfaden Katastrophenmedizin
lediglich palliative oder seelsorgerische Hilfe.35 Hier treten insoweit Probleme
in der Rechtfertigung auf, weil nicht die Reihenfolge schwerst, schwer, mittel
und leicht eingehalten wird, sondern die Schwerstverletzten, entgegen der
medizinischen Dringlichkeit, an die letzte Stelle gerückt werden.

3
Vermutlich auch, um die Sichtung vor der Kritik zu bewahren, allein von der
subjektiven Einschätzung des Arztes abhängig zu sein, wird in der Literatur
versucht, jeder Kategorie bestimmte Symptome oder Leiden zuzuordnen.
Die Verletzungen, die unter Sichtungsgruppe IV fallen, sind aber sehr un-
terschiedlich, was im Hinblick auf die wesentlichen Folgen, die sich aus der
Einstufung ergeben können, äußerst bedenklich ist.36

Nachdem die Einteilung in die Sichtungskategorien erfolgt ist, wird inner-


halb derselben eine Dringlichkeitsreihenfolge festgelegt.37 „Der schwerer
Verletzte wird einer höherrangigen Prioritätenkategorie zur Behandlung als
der weniger Verletzte oder der nur Leichtverletzte zugeordnet.“38

Das Sichtungsverfahren muss dynamisch gestaltet werden: Das Sichten


wird unter Berücksichtigung der Veränderung äußerer Umstände, so etwa
Schwankungen in der Anzahl verletzter Personen, Ressourcenverschiebun-
gen, zusätzliches Hilfspersonal, Transportprobleme etc., ständig wiederholt;
und angepasst daran wird erneut sortiert.39

Die katastrophenmedizinische Sichtung endet, wenn der Mangel an Res-


sourcen behoben ist.40 Stehen ausreichend Ärzte, Medikamente u. Ä. zur Ver-
fügung, muss zur Notfallmedizin übergegangen werden.

35 Zur Einteilung in vier Sichtungskategorien u. a. Thierbach, A., Lexikon der Notfallmedizin, 2002,
S. 445 f.; Zimmermann, J., Modellierung von Priorisierungsregeln am Spezialfall der Triage, in:
Wohlgemuth, W.A. / Freitag, M.H., Priorisierung in der Medizin, 2009, S. 220.
36 Dies erkennt bereits auch Goltermann, R., Triage als zentrales Merkmal der Katastrophenmedi-
zin, in: Mayer, J., Katastrophenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 23,
als höchst bedenklich an: „Bei Rebentisch werden drittgradige Verbrennungen über 40 % der Kör-
peroberfläche, bei Kirchhoff sogar über 30 % nicht mehr behandelt. ...“
37 Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 26 f.
38 Neff, G., Grundlagen der Sichtung, in: Crespin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 76.
39 Kirchhoff, R., Katastrophenhilfe, in: Kirchhoff, R. (Hrsg.), Triage im Katastrophenfall – Ärztliche So-
fortmaßnahmen im Katastrophengebiet, 1984, S. 23. Vgl. auch E. Rebentisch, Handbuch der medi-
zinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 26 f; Zimmermann, J., Modellierung von Priorisierungsregeln
am Spezialfall der Triage, in: Wohlgemuth, W.A. / Freitag, M.H., Priorisierung in der Medizin, 2009,
S. 221. Jansch, A., Klinik in der Krise – Organisation bei Notlagen und Katastrophen, 2009, S. 45.
40 Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe, 1991, S. 26 f.

Leitfaden Katastrophenmedizin 53
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

3.2.4 Zulässigkeit des Sichtungsverfahrens


Soll die Sichtung auch zur besseren Handhabung von Katastrophensituatio -
nen beitragen41, so stellt sich zunächst jedoch die grundsätzliche Frage nach
ihrer Zulässigkeit.
3

Problematisch in diesem Sinne ist nicht das „bloße“ Sichten an sich, schließlich
kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich der Arzt im Katastrophenfall – wie
auch im Notfall – zunächst einen Überblick verschaffen muss, um die Behand-
lung dort zu beginnen, wo es am dringendsten ist.42 Vielmehr ist es das Verfah-
ren auf Grundlage des Sichtungsergebnisses – das gezielte Sortieren/Einord-
nen der Verletzten in Gruppen –, das rechtliche Schwierigkeiten aufwirft.

Bevor die Patienten in die Sichtungskategorien eingeteilt werden, sollen


erfahrene Ärzte sogenannte „Dringlichkeitsdiagnosen“ stellen. Innerhalb
weniger Minuten sind Überlebenswahrscheinlichkeiten zu ermitteln und
Prognosen abzugeben; aufgrund der Kürze der Zeit und der Tatsache, dass
nur einfache Mittel zur Verfügung stehen, ist der ärztliche Sorgfaltsmaßstab
stark herabgesetzt,43 Möglicherweise alles entscheidende Diagnosen bergen
also angesichts des Zeitdrucks, unter dem sie erstellt werden, die Gefahr der
Fehlerhaftigkeit und Unzuverlässigkeit in sich.44

Schließlich führt das „Sortieren“ durch den Arzt dazu, dass die Behandlung
des einen Patienten eine Unterlassung dergleichen zulasten eines anderen
mit sich bringt. Insbesondere für den Verletzten, der in Sichtungskategorie
IV eingestuft wurde, kann das Nichtbehandeln schwere Folgen – bis hin zum
(früheren) Tod – haben. Dieses Unterlassen wäre aber nur dann vorwerfbar,
wenn eine entgegengesetzte Pflicht zum Tätigwerden/Handeln bestünde.

Diese Frage lässt sich mit einem der höchsten Schutzgüter der Verfassung45
der Bundesrepublik Deutschland, der Menschenwürde, beantworten. Es
existiert zwar kein allgemeines „Recht auf Gesundheit“, Art. 1 I 2 GG gesteht
aber jedem Bürger ein „Existenzminimum“ als Mindestvoraussetzung für

41 Neff, G., Grundlagen der Sichtung, in: Crespin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 74.
42 Vgl. Hofferbert, M., Rechtliche Aspekte der Katastrophenmedizin, in: Mayer, J., Katastrophenmedi-
zin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 145.
43 Goltermann, R., Triage als zentrales Merkmal der Katastrophenmedizin, in: Mayer, J., Katastrophen-
medizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 16. Kirchhoff, R., Katastrophenhilfe,
in: Kirchhoff, R. (Hrsg.), Triage im Katastrophenfall – Ärztliche Sofortmaßnahmen im Katastrophen-
gebiet, 1984, S. 21.
44 Kohlsdorf, C., Pflicht, Macht und Gewissen – Betrachtungen zur Katastrophenmedizin, in: Mayer, J.,
Katastrophenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 6.
45 Vgl. nur Dreier, Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 1 I Rn. 39.

54 Leitfaden Katastrophenmedizin
menschenwürdiges Dasein zu.46 Die existenzielle Bedeutung des Rechtsguts
„Gesundheit“ kann nicht angezweifelt werden, sodass Notsituationen wie
der Katastrophenfall den Staat unter dem Aspekt der Sicherung eines men-
schenwürdigen Existenzminimums zur Hilfe für eine Mindestversorgung
und -behandlung verpflichten.47 In welchem Umfang aber ein subjektiver,

3
durchsetzbarer Anspruch des Einzelnen gegeben ist, gilt es im Folgenden zu
klären.

Weder das Katastrophenschutzgesetz des Bundes noch die Katastrophenschutz-


gesetze der Länder oder deren Rettungsdienstgesetze enthalten Regelungen,
die einen Eingriff in das Leben und die Gesundheit der nachrangig eingeord-
neten Patienten rechtfertigen können.48 Insoweit sind für die Überprüfung der
Zulässigkeit die grundlegenden Bestimmungen der Verfassung, insbesondere
die Grundrechte, heranzuziehen.49 „Die Kriterien der Patientenauswahl stehen
deshalb, genauso wie das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland
überhaupt, unter der Bedingung der normativen Kohärenz“.50

Dem in die Kategorie IV („abwartende Behandlung“) eingereihten Patienten


wird eine äußerst dringliche, lebensrettende Behandlung vorerst verwehrt.
Die bereits prognostizierte Todeswahrscheinlichkeit steigt durch das Unter-
lassen noch einmal an.

Angesichts der „Auswahlentscheidungen“ in der Katastrophensituation sind


also Bedenken insbesondere hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Garantie
der Menschenwürde (Art. 1 I GG) und des Rechts auf Leben und körperliche
Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) für den Betroffenen naheliegend.51

Der Anspruch auf medizinische Mindestversorgung aus Art. 1 I 2 GG entsteht


dort, wo sich der Einzelne zumutbar nicht mehr selbst helfen kann und ein
„würdeloses Dasein“ droht.52 Eine solche Situation könnte bei einem lebens-
bedrohlich Verletzten, der unter starken Schmerzen leidet, durchaus eintre-
ten. Wie jeder andere Anspruch auch, findet der auf medizinische Mindest-
behandlung seine Grenze dort, wo es objektiv unmöglich ist, die Leistung zu

46 So zum Beispiel BVerfGE 40, 121, 133; 89, 346, 353. Siehe auch: Sachs, Grundgesetz-Kommentar,
5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 31.
47 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 180–185.
48 Rebentisch, E., Grundlagen, in: Crespin, U.B. / Neff, G., Handbuch der Sichtung, 2000, S. 41–43.
49 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 180. Vgl. auch Rebentisch, E., Handbuch der medizinischen
Katastrophenhilfe, 1991, S. 129, der zudem ausdrücklich schreibt, dass auch Bürger- und Berufs-
pflichten respektiert bleiben müssen.
50 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 181.
51 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 182.
52 Vgl. Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 186, 188.

Leitfaden Katastrophenmedizin 55
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

gewähren.53 Erscheint in einer extremen Schadenslage wie beispielsweise


der einer zivilen Katastrophe generell oder auch nur in Anbetracht der er-
schwerten äußeren Umstände die medizinische Versorgung als sehr wenig
erfolgversprechend oder gar aussichtlos, so ist Art. 1 I 2 GG Genüge getan,
wenn mit palliativer Hilfe zumindest ein menschenwürdiges Sterben ermög-
3

licht wird. Sind nur geringe Kapazitäten vorhanden und deren Grenzen dem-
entsprechend beim Massenanfall Hilfebedürftiger schnell erreicht, muss
eine sachlich gerechtfertigte Verteilung nach Art. 3 I GG erfolgen.54

Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man die Schutzfunktion des Art. 2
II 1 GG – Leben und körperliche Unversehrtheit – heranzieht. Das Recht auf
Leben ist die vitale Grundlage für die Menschenwürde sowie Voraussetzung
für alle anderen Grundrechte. Art. 2 II 1 GG beinhaltet auch die Schutzpflicht
des Staates bei „gegnerlosen Notlagen, d. h. Gefährdungen natürlichen Ur-
sprungs“55 für den Kernbereich der Gesundheit.56

Zwar kann aus Art. 2 II 1 GG eine objektivrechtliche Staatspflicht zum Schutz


und zur Förderung des in Art. 2 GG beschriebenen Rechtsguts, nicht aber ein
konkreter und subjektiver Leistungsanspruch im Hinblick auf die Heilung
oder Linderung einer Krankheit hergeleitet werden. Staatlichen Stellen wird
also eine weite Gestaltungsfreiheit beim Treffen von Vorkehrungen, die das
Grundrecht nicht völlig ungeeignet und unzulänglich schützen, eingeräumt.

Um einen weitergehenden Schutzanspruch der verletzten Person im Notfall


überhaupt herzuleiten, ist ein Rückgriff auf Art. 1 I 2 GG nötig. Für die Entste-
hung eines subjektiven Anspruchs des Einzelnen ist eine Zusammenschau
mit dem durch Art. 1 I 2 GG gewährten Existenzminimum notwendig.57 Inso-
weit kommt Art. 2 II 1 GG lediglich konkretisierende Bedeutung zu.

Zudem muss das individuelle Grundrecht aus Art. 2 II 1 GG auch im Zusam-


menhang mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit der Gesamt-
heit der Bürger gesehen werden. Es besteht mithin ein Spannungsverhältnis
zwischen Individuum und Gemeinschaft dahingehend, dass der Einzelne an
die Gemeinschaft gebunden ist.58

53 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 189.


54 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 189.
55 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 189; vgl. zur Reichweite des Schutzes der Menschenwürde
BVerfGE 88, 203, 203 ff.
56 Vgl. BVerfGE 30, 1, 42.
57 Siehe insbesondere BVerfG, NJW 1997, 3085 und BVerfG, NJW 2006, 891 ff.; so auch Brech, A., Triage
und Recht, 2008, S. 192.
58 Vgl. nur BVerfGE 65, 1, 44 mit weiteren Nachweisen.

56 Leitfaden Katastrophenmedizin
Diese Spannung kann am folgenden Beispiel verdeutlicht werden: In einer
wie eingangs beschriebenen Katastrophensituation ist es aufgrund des Zu-
sammentreffens mehrerer erschwerender Umstände praktisch ausgeschlos-
sen, das Überleben aller Verletzten zu sichern. Die Verteilung der knappen
Ressourcen mit dem Ziel, wenn nicht alle, dann möglichst viele Patienten zu

3
retten, muss zwangsläufig denjenigen benachteiligen, der aufgrund seiner
schweren, zumeist lebensbedrohlichen Verletzung übermäßig viel aufbrau-
chen würde. Das wiederum würde – falls so geschehen – gleich eine Mehr-
zahl von Opfern benachteiligen, deren aller Leben mit der Ration an Medi-
kamenten und Behandlungsmechanismen hätte gerettet werden können.

Genauso lässt sich Art. 20 I GG anführen, der den subjektiven Anspruch aus
Art. 1 I 2 GG i. V. m. Art. 2 II 1 GG zusätzlich anreichert. Hier geht es in erster
Linie um (materielle) Sicherstellung der medizinischen Versorgung durch
Bereitstellung ausreichender Kapazitäten.59

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Behandlungsanspruch des


Einzelnen nur im Sinne einer Mindestversorgung besteht. Rationierungs-
maßnahmen oberhalb des Existenzminimums sind zulässig. Zwingen Res-
sourcen- und Zeitknappheit zu einem Sortieren der Behandlungsbedürfti-
gen, so geht es nicht mehr um die Frage, ob eine solche Methode zulässig ist,
sondern nach welchen Kriterien sie zulässig sein soll.

3.2.5 Zulässige Kriterien


Als Maßstab für eine möglichst „gerechte“ Verteilung der knappen Ressour-
cen im Katastrophenfall muss Art. 3 GG – der Gleichheitssatz – herangezogen
werden. Art. 3 I GG gibt zwar kein subjektives Recht, bietet dem Bürger aber –
wieder unter dem Vorbehalt des Möglichen – ein derivatives Teilhaberecht.60
So hat der Verletzte im Katastrophenfall zumindest Anspruch darauf, dass die
vorhandenen Kapazitäten ausgeschöpft und effektiv genutzt werden. Grund-
sätzlich müsste jeder Verletzte die Behandlung bekommen, die ein anderer,
neben ihm liegender auch bekommt. Das lässt sich aber in der Katastrophen-
situation nicht erreichen: „Eine Ungleichbehandlung ist in der Durchführung
der Patientenauswahl bei einem Massenanfall Hilfebedürftiger aufgrund der
daraus für sie folgenden unterschiedlichen Behandlungspriorität bzw. sogar
dem Ausschluss von der lebensrettenden Behandlung gegeben.“61

59 Vgl. ausführlicher Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 195 f.


60 Siehe nur Sachs, Grundrechts Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 3 Rn. 53.
61 Brech, A., Triage und Recht, Berlin 2008, S. 205.

Leitfaden Katastrophenmedizin 57
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

Da in einer Katastrophensituation die Ressourcen nie ausreichen werden, ist


eine absolute Gleichbehandlung nur denkbar, wenn keiner der Verletzten be-
handelt würde.62 Da dies aber – auch angesichts der Schutzpflichten des Staa-
tes – indiskutabel ist, müssen sachlich gerechtfertigte Kriterien gefunden
werden, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, da ein legitimer
3

Zweck der Maßnahme, nämlich die medizinische Versorgung der Verletzten,


stets gegeben ist.

3.2.5.1 Maximale Zahl geretteter Verletzter


Ein anerkanntes Kriterium in der Katastrophenmedizin ist die „Maximie-
rungsformel“. In einer Lage, in der objektiv nicht alle Hilfsbedürftigen gerettet
werden können, wird versucht, die größtmögliche Zahl an Menschenleben zu
retten.63 Dieses Ziel vor Augen, wird gesichtet und anschließend eine Katego-
rie IV gebildet. Weil sich die Ärzte angesichts der erschwerten Umstände au-
ßerstande sehen, die lebensbedrohlich verletzten Körperfunktionen wieder-
herzustellen, oder weil der Tod bereits bei Eintreffen der Hilfskräfte nur allzu
wahrscheinlich ist, werden diese Patienten abwartend behandelt. Es geht nicht
darum, ihnen jegliche lebensrettende Maßnahme zu versagen. Stabilisiert
sich die Katastrophensituation dahingehend, dass die anderen Schwerverletz-
ten hinreichend versorgt sind oder entsprechende Gerätschaften und Mittel
zur intensiven Heilbehandlung greifbar sind, kommt auch den Patienten der
Kategorie IV medizinische Hilfe gemäß Indikationsstellung zugute.

Kritik an diesem Kriterium fehlt freilich nicht. So besagt das Quantifizie-


rungsverbot, „dass in jedem Menschenleben ein unvergleichlicher Perso-
nenwert gesehen werden muss, der nicht verobjektiviert und zum bloßen
Quantum einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung degradiert werden darf.“64
Dieser absolute Lebensschutz trägt dem Gedanken an ein dem Grundgesetz
immanentes, fundamentales Selbstverständnis der Person, wie er sich nach
den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs manifestiert hat, Rechnung.65
Eine Verfügbarkeit über das Leben als einen Höchstwert der Rechtsordnung
oder eine quantitative Abwägung könnte dieses Verständnis erschüttern.66

Insoweit ist zunächst anzumerken, dass der „absolute Lebensschutz“ bereits


jetzt eingeschränkt ist: So existiert bereits eine Ausnahme in § 32 StGB. Zudem

62 Vgl. zum Ganzen: Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 199.
63 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 208.
64 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 209. Vgl. auch Hofferbert, M., Rechtliche Aspekte der Katastrophen-
medizin, in: Mayer, J., Katastrophenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 142.
65 Siehe auch Hofferbert, M., Rechtliche Aspekte der Katastrophenmedizin, in: Mayer, J., Katastro-
phenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln, 1987, S. 152.
66 Siehe auch Sachs, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 10 ff., Art. 3 Rn. 33 ff.; Dreier,
Art. 1 Rn. 39, 51 ff.

58 Leitfaden Katastrophenmedizin
weist das zunehmend stärker werdende Selbstbestimmungsrecht der Pflicht
zur Lebenserhaltung um jeden Preis deutliche Grenzen, wenn es beispielswei-
se den Schwangerschaftsabbruch, Patientenverfügungen und indirekte Ster-
behilfe erlaubt.67

3
Jedoch geht es bei der Kategorisierung im Massenanfall Hilfsbedürftiger gar
nicht um eine weitere Relativierung des menschlichen Daseins, vielmehr
soll gerade versucht werden, den Grundsatz des „absoluten Lebensschutzes“
bestmöglich umzusetzen.68 In einer Situation, in der aufgrund der äußeren
Umstände nicht alle gerettet werden können, müssen wenigstens so viele wie
möglich gerettet werden. Damit muss auch die staatliche Schutzpflicht ein-
hergehen, die Verluste an Einzelleben wenigstens auf das notwendige Mini-
mum zu reduzieren.69 Durch den gezielten Einsatz von knappen Ressourcen,
wie er durch Einordnung in Sichtungsgruppen propagiert wird, profitieren
mehr Verletzte, die medizinische Versorgung wird also optimiert.

Zudem käme es – würde man die Patienten aus der Kategorie IV vorrangig
behandeln – lediglich auf einer anderen Ebene zu Ungleichheiten: Zwei oder
mehr schwer verletzte Patienten aus Kategorie I, die mit der Ration, die der
Patient aus Kategorie IV bekommen hat, gemeinsam auskämen, wären die
Leidtragenden, auch bei ihnen besteht konkrete vitale Not.70

Weiter empfiehlt sich ein Blick auf die häufig als Gegenargument für die
Sichtungskategorien herangezogene nahezu fundamentalistische Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Grundsatz „fiat iustitia,
pereat mundi“ zu folgen scheint:

„Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Ver-
nichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der
angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung
zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens.“71

„Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden,
weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes
menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches

67 Vgl. etwa Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 219 f.


68 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 244.
69 So auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 239.
70 Ähnlich auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 240
71 BVerfGE 39, 1 ff. (zum Schwangerschaftsabbruch), S. 58.

Leitfaden Katastrophenmedizin 59
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedli-


chen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“72

„Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Men-
schenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß ge-
3

gen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht
auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche
Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht gebietet es dem Staat und seinen Orga-
nen, sich schützend und fordernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen; das
heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von Seiten Dritter
zu bewahren. [...] Was diese Verpflichtung für das staatliche Handeln konkret
bedeutet, lässt sich nicht ein für allemal abschließend bestimmen. [...] Schlecht-
hin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Ge-
walt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich
in Frage stellt73, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem
Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt.“74

„Wie die staatlichen Organe solchen Schutzpflichten nachkommen, ist von


ihnen prinzipiell in eigener Verantwortung zu entscheiden. Das gilt auch für
die Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens. Zwar kann sich gerade mit
Blick auf dieses Schutzgut in besonders gelagerten Fällen, wenn anders ein
effektiver Lebensschutz nicht zu erreichen ist, die Möglichkeit der Auswahl
der Mittel zur Erfüllung der Schutzpflicht auf die Wahl eines bestimmten ver-
engen. Die Wahl kann aber immer nur auf solche Mittel fallen, deren Einsatz
mit der Verfassung in Einklang steht.“

Die Verletzung der Menschenwürde nach Art. 1 I 2 GG setzt eine bewusst


verächtliche Motivation voraus. Da auch die Verletzten in der Kategorie IV
zumindest palliativ behandelt werden und es sich zudem um eine abso -
lute Notsituation handelt, kann von verächtlicher Motivation keine Rede
sein. Folglich ist auch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG nicht
verletzt.75

Zwar muss den Kritikern zugegeben werden, dass Abwägung von Men-
schenleben grundsätzlich verfassungsrechtlich bedenklich ist. Der Kritik
an der subjektiven Bewertung des Patienten als „hoffnungslos“ muss ent-
gegengehalten werden, dass schon im medizinischen Alltag nur schwer
gesicherte Prognosen abgegeben werden können; im Katastrophenfall

72 BVerfGE 39, 1, 59.


73 BVerfG in NJW 2006, 751 ff. (zu § 14 III LuftSiG), 757.
74 BVerfG in NJW 2006, 751, 758.
75 Ausführlicher Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 248 ff.

60 Leitfaden Katastrophenmedizin
erschweren äußere Umstände und mangelnde Ausrüstung die Indikations-
stellung zusätzlich.

Es ist zudem davon auszugehen, dass die Einordnung in Kategorie IV auf-


grund der allgemeinen Achtung des Menschenlebens, die sich bei den Ärz-

3
ten auch ausdrücklich in der Berufsordnung als Pflicht festgeschrieben fin-
det, stets zurückhaltend erfolgen wird.

Staatliche Richtlinien, die Symptome und Krankheiten für eine Einteilung


als wegweisend bestimmen, könnten weitere Transparenz schaffen, das Ver-
fahren wäre dann nachvollziehbarer.

Die angesprochenen Kritikpunkte können der Sichtungskategorie IV aber


nicht ihre Berechtigung nehmen. Nur sie erlaubt es, knappe Ressourcen im
Sinne der Rettung einer maximalen Anzahl Verletzter, einzusetzen. Man
wird „das geringere Übel“ wählen müssen.

3.2.5.2 Dringlichkeit und Erfolgsaussicht


Unproblematisches Kriterium für das Sortieren der Patienten bei einem Mas-
senanfall Hilfebedürftiger in die Gruppen I bis III ist die „Dringlichkeit“. Bei
der Frage nach Leben oder Tod gibt Art. 2 II 1 GG eine klare Antwort – vorrangig
sind die lebensbedrohlichen Verletzungen zu versorgen. „Das Ausmaß und
der Grad der drohenden Gefahr sind im Sinne einer umfassenden Interessen-
abwägung zu berücksichtigen.“ 76 Würde man das Dringlichkeitskriterium in
aller Konsequenz anwenden, müsste man aber dazu kommen, die Patienten
aus Gruppe IV primär ärztlich zu versorgen, anstatt sie abwartend zu behan-
deln, weil deren Leben am stärksten bedroht ist. Jedoch sieht man bei ihnen
den Tod gerade – auch im Hinblick auf die äußeren Umstände der Katastro -
phensituation – als wahrscheinlich an, ihre Behandlung wäre zeitaufwendig,
schwierig und zudem wenig aussichtsreich. Hier spielen also Erwägungen
der Erfolgsaussicht einer Notfall-Heilbehandlung eine Rolle.

Besteht bei den Patienten eine – wenn auch nur minimale – Überlebenschance,
stehen dem Kriterium der Erfolgsaussicht wieder die Argumente des absolu-
ten Lebensschutzes und der Gleichwertigkeit aller Leben entgegen.77

Das Leben bekommt nicht durch Prognosen hinsichtlich Qualität und Dauer
einen höheren Wert. Solche Wertungen wären wegen Verstoßes gegen die un-
antastbare Menschenwürde als verfassungswidrig zu rügen.78 Die Berufs- und

76 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 259.


77 Ähnlich auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 262.
78 Vgl. auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 265.

Leitfaden Katastrophenmedizin 61
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

allgemeine Handlungsfreiheit des Arztes erlaubt aber die Verweigerung sol-


cher Behandlungen, für die eine Indikation nicht mehr gegeben ist, schließlich
schützt Art. 1 I GG auch ein menschenwürdiges Sterben.79

„Eine Vorrangstellung von Patienten, deren Tod kurz bevorsteht, gegenüber


3

in diesem Moment noch nicht so hochdringlichen Patienten, deren Tod bei


einer ausbleibenden lebensrettenden Behandlung aber für nur wenige Zeit
später prognostiziert wird, kann es in einer Situation, in der nicht alle Patien-
ten gerettet werden können, nicht geben.“80

Folglich schließt das Dringlichkeitskriterium grundsätzlich den Blick auf die


Erfolgsaussicht aus. Jedoch können beide unter dem Ziel, eine maximale An-
zahl Überlebender zu sichern, in Einklang gebracht werden: Eine Verteilung
der knappen Ressourcen, die dazu beiträgt, die Überlebendenzahl zu erhö-
hen, stellt – wie bereits mehrfach vorgebracht – eine wichtige zu beachtende
Prämisse dar und entscheidet die Güterabwägung.81

3.2.5.3 Alter
Grundsätzlich stellt das Alter kein taugliches Kriterium zur Entscheidung über
die Priorität der Behandlung dar. In Frage steht allenfalls, ob das auch bei glei-
cher Gefährdung gilt. Überlegungen im Hinblick auf die zu erwartende Lebens-
dauer oder den zu erwartenden Lebenswert verbieten sich hier strikt wegen
Art. 1 I GG. Die gesetzlichen Beispiele, die Rechte nach Alter differenzieren – u. a.
§ 104 BGB, § 19 StGB –, lassen eine Übertragung auf den Massenanfall Verletzter
nicht zu, schon weil hier höchste Schutzgüter mit transzendenter Bedeutung
für jedermann betroffen sind. Gesetzliche Anknüpfungspunkte an das Alter
stellen bewusst auf die Fähigkeiten der Person ab und verbinden damit Rechte
und (geistige) Pflichten. Das Recht auf Leben ist aber mit der Geburt und bis zum
Tod grundgesetzlich garantiert, ohne die Fähigkeiten des Einzelnen zu berück-
sichtigen. Somit stellt das Alter auch bei gleicher Gefährdung kein Kriterium
dar, welches zur Einordnung in die Prioritätenreihenfolge berechtigt.82

3.2.5.4 Weitere Kriterien


Es lassen sich zahlreiche weitere Kriterien finden, deren Tauglichkeit im Hin-
blick auf die rechtliche Zulässigkeit überprüft werden könnte. Die genannten
genügen aber zur Verdeutlichung der immer wiederkehrenden Problematik.
Zweifelsohne – und bereits dem Wortlaut von Art. 3 GG zu entnehmen – ver-
bieten sich jegliche Diskriminierungen, auch mittelbare, aufgrund des Ge-

79 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 269 f.


80 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 261.
81 So auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 272 f.
82 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 276 ff.

62 Leitfaden Katastrophenmedizin
schlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, Heimat oder Herkunft,
der religiösen und politischen Anschauungen sowie der Behinderung.

Bitte beachten

3
Die Ungleichbehandlung, die mit der Einordnung des Patienten in die
Sichtungskategorie IV zwangsläufig einhergeht, muss durch sachliche
Kriterien gerechtfertigt werden. Das sind insbesondere die Rettung ei-
ner maximalen Anzahl von Verletzten, die Dringlichkeit oder die Erfolgs-
aussicht, nicht aber persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten.

3.2.6 Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen


Die Unterlassung einer lebensrettenden Behandlung wirft auch in der Kata-
strophenmedizin die Frage nach straf- und zivilrechtlichen Sanktionen auf.
Da dies aber ebenso eine Problematik der Alltagsmedizin ist, soll an dieser
Stelle nur ein kurzer Überblick über mögliche Folgen gegeben werden.

Die Behandlung eines Patienten im extremen Notfall bedeutet regelmäßig


eine Unterlassung zulasten eines anderen Verletzten. Der Arzt könnte sich
sowohl dem Vorwurf von Körperverletzungs- als auch Tötungsdelikten ge-
genüber Letzterem aussetzen, sofern man eine Garantenstellung – wenn
nicht aus seiner Stellung als Notarzt, dann zumindest aus übernommener
katastrophenmedizinischer Behandlung – bejaht. Andernfalls wäre an eine
Strafbarkeit aus § 323c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung zu denken.

Strafrechtliche Sanktionen werden aber regelmäßig ausscheiden, da sich der


Arzt einer Zwangslage, einem übergesetzlichem Notstand, ausgesetzt sieht.
Seine Entscheidung ist über die ungeschriebene Rechtsfigur der „rechtferti-
genden Pflichtenkollision“ als gerechtfertigt anzusehen, wenn er von zwei sich
gegenseitig ausschließenden Handlungspflichten die höherwertige wählt.
Dabei sind „die Kriterien der Dringlichkeit, Erfolgsaussicht und Aufwand der
medizinischen Behandlung in Bezug auf die Maximierung der Überlebenden-
zahl in ein optimales Verhältnis zueinander“ zu bringen.83 Aus Transparenz-
gründen und um der Ärzteschaft die Angst davor zu nehmen, sich strafbar zu
machen, wäre auch hier eine gesetzliche Regelung im StGB hilfreich.

83 Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 389.

Leitfaden Katastrophenmedizin 63
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

Mit gleicher Begründung scheiden auch deliktische Ansprüche des Zivil-


rechts84 gegen den handelnden Arzt aus, wenn sich dieser den erarbeiteten
Kriterien und sonstigen Anforderungen von Art. 3 GG unterwirft.

3.2.7 Zusammenfassung / Ausblick


3

Um den Bereich katastrophenmedizinischen Handelns transparenter und


damit weniger kritikanfällig zu gestalten, wäre ein Tätigwerden des Gesetzge-
bers äußerst wünschenswert. Dass dies bislang nicht geschehen ist, mag auch
daran liegen, dass Themen der Katastrophenmedizin lange Zeit tabuisiert
worden waren. Dadurch wurden längst notwendige Diskussionen behindert;
in letzter Zeit gehäuft auftretende Katastrophenfälle sowie schwer beherrsch-
bare Situationen verlangen aber nach einer rechtlich handhabbaren und
befriedigenden Auflösung. Die Transparenz einer gesetzlichen Normierung
würde – gerade im Hinblick auf die „Maximierungsformel“ – auf Unsicherhei-
ten beruhende Missbrauchsmöglichkeiten vermeiden und zudem eine besse-
re richterliche Kontrolle erlauben.

Problematisch könnte dabei sein, dass man in der Katastrophenmedizin nur


auf wenige Erfahrungswerte zurückgreifen kann, es bleibt aber der Blick auf
die Notfallmedizin. Möglicherweise hilft auch eine erste Orientierung an
§ 12 III TPG, der für die Fälle der Organverteilung erstmals eine Patientenaus-
wahl vornimmt.

Die Sichtung stellt zwar das wesentliche Element der Katastrophenmedizin


dar, sie erschöpft sie aber nicht.

Organisatorische Probleme sind zumeist schon vor dem Eintritt des konkre-
ten Schadensereignisses abzusehen. Massenanfälle Hilfebedürftiger sind
nicht auf Deutschland beschränkt. Deshalb müssen Grundlagen für länder-
übergreifende Hilfe und medizinisch-technische Zusammenarbeit geschaf-
fen und die logistische Umsetzung sichergestellt werden. Eine gründliche,
umfangreiche Vorbereitung ist sehr wichtig: So darf eine Katastrophe in
Zukunft nicht mehr nur als extreme Ausnahmesituation gelten, die medizi-
nische Reaktion darauf muss Eingang in die Ausbildung finden und im Rah-
men von Schulungen regelmäßig gefestigt werden.

Zentralstellen und materielle Ausstattung müssen ausgehandelt und bereit-


gestellt werden. Mit der stetig fortschreitenden Entwicklung in der Medizin
geht zunehmend auch Ressourcenknappheit einher, sodass sich auch die

84 Mangels Vertrag und aufgrund der Erfüllung eigener – nicht fremder – Pflichten, scheiden Ansprü-
che aus Vertrag und Geschäftsführung ohne Auftrag von vornherein aus.

64 Leitfaden Katastrophenmedizin
Alltagsmedizin den Problemen der Verteilung schon heute und in Zukunft in
zunehmendem Maße stellen muss.85

Literatur

3
Brech A. Triage und Recht: Patientenauswahl beim Massenanfall Hilfebe-
dürftiger in der Katastrophenmedizin. Ein Beitrag zur Gerechtigkeitsdebat-
te im Gesundheitswesen. Berlin: Duncker & Humblot; 2008.

Bundesministerium des Innern (BMI). System des Krisenmanagements in


Deutschland. Berlin: BMI, September 2008. Online verfügbar unter:
http://www.eu2007.bmi.bund.de/nn_165030/Internet/Content/Common/
Anlagen/Themen/BevoelkerungsschutzUndKatastrophenhilfe/Einzelseiten/
System__Krisenmanagement,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/
System_Krisenmanagement.pdf [letzter Zugriff: 02.03.2010].

Crespin UB, Neff G. Handbuch der Sichtung. Edewecht: Stumpf + Kossendey;


2000.

Dönicke S. Strafrechtliche Aspekte der Katastrophenmedizin. Frankfurt am


Main, Bern, New York, Paris: P. Lang; 1987.

Dreier H. Grundgesetz Kommentar. 2. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck; 2004.

Helm M, Jost C, Frey G, Stahl W, Geisser W, Lampl L. Notfallmäßige Klinik-


evakuierung nach Bombendrohung – Erfahrungen einer 500-Bettenklinik.
Anästh Intensivmed 2009; 50: 712–720.

Jansch A. Klinik in der Krise – Organisation von Notlagen und Katastrophen.


München: Avm – Akademische Verlagsgemeinschaft; 2009.

Kirchhoff R, Hrsg. Triage im Katastrophenfall – Ärztliche Sofortmaßnahmen


im Katastrophengebiet. Erlangen: perimed-Fachbuch-Verlag; 1984.

Mayer J, Katastrophenmedizin oder: Die Lehre vom ethisch bitteren Handeln.


Neckarsulm, München: Jungjohann; 1987.

Norm DIN 13050:2009-02. Rettungswesen – Begriffe.

85 Vgl. auch Brech, A., Triage und Recht, 2008, S. 69.

Leitfaden Katastrophenmedizin 65
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Rechtsgrundlagen für die Einsätze im Katastrophenfall und die Triage

Pohl-Meuthen U, Schlechtriemen T, Gerigk M, Schäfer S, Moecke Hp. Grenz-


überschreitender Rettungsdienst – Wunsch und Wirklichkeit. Notfall Ret-
tungsmed 2006; 9: 679–684.

Rebentisch E. Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe. 2. Aufl. Mün-


3

chen-Gräfelfing: Werk-Verl. Banaschewski; 1991.

Sachs M, Hrsg. Grundgesetz GG. Kommentar. 5. Aufl. München: C. H. Beck;


2009.

Thierbach A. Lexikon der Notfallmedizin. Heidelberg: Springer; 2002.

Wohlgemuth WA, Freitag MH. Priorisierung in der Medizin: Interdisziplinä-


re Forschungsansätze. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlags-
gesellschaft; 2009.

Wölfl C, Matthes G, Hrsg. Unfallrettung. Stuttgart: Schattauer; 2010.

66 Leitfaden Katastrophenmedizin
4
Katastrophenmedizin und
Katastrophenmanagement
A. Scheuermann, J. W. Weidringer, B. D. Domres

4
Hinweis: Dieses Kapitel soll einen „roten Faden“ zwischen den Fachkapiteln
knüpfen. Deshalb wurden Querverweise zu den Fachkapiteln (eckige Klam-
mern) sowie zu den Checklisten (Pfeile) eingefügt.

4.1 Notfallmedizin und Katastrophen-


medizin

4.1.1 Abgrenzung und Definition von Notfall-


medizin und Katastrophenmedizin
Auch wenn Notfall- und Katastrophenmedizin einige Gemeinsamkeiten auf-
weisen, so bestehen doch Unterschiede in Planung, Taktik und dem Umfang
der Hilfsmaßnahmen. Gemeinsam ist beiden Bereichen, dass sich die Tätigkeit
am Ziel ausrichtet, zu Schaden gekommene Menschen wiederherzustellen,
akut bedrohtes Leben zu retten und bleibende Gesundheitsschäden zu verhin-
dern. Dabei gewinnen in letzter Zeit auch Präventionsaspekte an Bedeutung.

Im Folgenden wird nach einem möglichen Ausweiten von Schadenslagen


zwischen dem Notfalleinsatz, der medizinischen Hilfeleistung bei einem Mas-
senanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV), auch Infizierten (MANI),
und der medizinischen Hilfeleistung im Katastropheneinsatz unterschieden.

Notfallmedizin umfasst, bezogen auf den einzelnen Verletzten/Erkrank-


ten, alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, die geeignet
sind, eine akute vitale Bedrohung zu erkennen und abzuwenden.

An die notfallmedizinische Anamneseerhebung schließt sich insofern die


Einleitung einer präklinischen (Intensiv-)Therapie an, deren diagnostische
und therapeutische Möglichkeiten unter den erschwerten äußeren Bedin-
gungen des Notfallortes eingeschränkt sind.

Leitfaden Katastrophenmedizin 67
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Notfallmedizinische Versorgung erfolgt üblicherweise örtlich und zeitlich


umschrieben, innerhalb einer gesetzlich festgelegten Hilfsfrist, meist im
Bereich und mit den Mitteln des Rettungsdienstes.

Übergang von Notfallmedizin zur Katastrophenmedizin


4

Notfallmedizin (Notfalleinsatz) und damit Individualmedizin muss im -


mer dann durch katastrophenmedizinisches Vorgehen (MANV-/Kata -
stropheneinsatz) abgelöst werden, wenn die Anzahl der Verletzten/
Erkrankten die der vorhandenen oder innerhalb kurzer Zeit verfügbaren
qualifizierten Helfer erheblich übersteigt und individualmedizinische
Hilfeleistung innerhalb der örtlich gültigen Hilfsfristen nicht mehr ge -
währleistet werden kann.
Ein erhebliches Missverhältnis in diesem Sinne ist gemeinsam durch den
Leitenden Notarzt (LNA) und den Organisatorischen Leiter Rettungs-
dienst (OrgL) festzustellen. LNA und OrgL haben bei ihrer diebsbezügli-
chen Entscheidung alle lokalen einsatztaktischen, geografischen und
personellen Aspekte zu berücksichtigen ( Checkliste C).

Die Katastrophenmedizin baut in ihren medizinischen Verfahren auf den


Erkenntnissen der Notfallmedizin auf. Im Gegensatz zur medizinischen Ver-
sorgung bei einem MANV/einem Großschadensfall oder einer Katastrophe
beschränkt sich die Notfallmedizin mit allen verfügbaren Mitteln auf die op-
timale Versorgung einzelner Patienten (Individualmedizin). Ziel der Notfall-
medizin ist es, unmittelbare Lebensgefahr abzuwenden oder zu einer Verhin-
derung weiterer gesundheitlicher Schäden mit den verfügbaren Mitteln noch
möglichst am Notfallort beizutragen. Die Notfallmedizin hat inzwischen die
Ebene einer an die besonderen Verhältnisse der Präklinik und Klinik adap-
tierten medizinischen Versorgung erreicht. Im Zentrum des Interesses steht
der Notfallpatient, der sich als Verletzter oder Erkrankter in Lebensgefahr be-
findet oder bei dem gesundheitliche Schäden abzuwenden sind.

Die Katastrophenmedizin ist durch eine Reihe von Eigenarten geprägt, die
sie von ärztlichen sowie anderen medizinischen Aufgaben und Tätigkeiten
des Alltags unterscheidet. Sie ergeben sich aus der durch die Katastrophe
verursachten außergewöhnlichen Situation selbst und aus dem Zwang zu
unverzüglichem Handeln im Interesse des Überlebens und der Gesundheit
einer Vielzahl akut betroffener Verletzter/Erkrankter [1].

Bei einer großen Zahl von Verletzten/Erkrankten ist es angesichts der Scha-
denssituation und unter Berücksichtigung kurzfristig nur in unzureichendem

68 Leitfaden Katastrophenmedizin
Umfang verfügbarer qualifizierter medizinischer Rettungskräfte meist nicht
(mehr) möglich, Individualmedizin zu realisieren. Die Hilfsmaßnahmen kön-
nen sich in Abhängigkeit verfügbarer Personal- und Materialressourcen nur
noch auf wenige lebensrettende Sofortmaßnahmen beschränken und müs-
sen kurzfristig mit einfachen Mitteln durchgeführt werden [5]. Alle medizi-
nischen Maßnahmen können und müssen in solchen Situationen unter Beach-
tung von Prioritäten bezüglich der medizinischen Notwendigkeit einerseits

4
und ihrer praktischen Realisierbarkeit andererseits durchgeführt werden.

Bitte beachten

Als Maxime der Katastrophenmedizin gilt es, individualmedizinische Ver-


sorgung längstmöglich zu gewährleisten bzw. schnellstmöglich wieder
dazu zurückzukehren – bei einer Disproportion von objektiven Thera -
pienotwendigkeiten einerseits und faktischen Therapiemöglichkeiten
andererseits.

Grundlage der medizinischen Hilfeleistung unter katastrophenmedizini-


schen Bedingungen ist die Sichtung (auch Sorting, Triage, Sortirowka ge-
nannt; s. Kap. 4.3), aus der sich die Reihenfolge notwendiger Maßnahmen
nach Prioritäten ergibt. Ohne angemessene Diagnostik sind die Maßnahmen
im Sinne einer rein symptomatischen Therapie zeitkritisch durchzuführen.

Bitte beachten

Das grundsätzliche Ziel der Katastrophenmedizin ist es, möglichst vie -


len Verletzten/Erkrankten mit geringem Zeit- und Materialaufwand das
Überleben zu sichern. Eine weitere Aufgabe ist unter diesen Bedingun -
gen, jeden behandlungsbedürftigen Verletzten/Erkrankten frühestmög-
lich einer adäquaten medizinischen Versorgung zuzuführen.

Die medizinische Versorgung erfolgt grundsätzlich nach den Vorgaben


der Notfallmedizin [5, 8–11], sie ist jedoch nicht selten durch die vorhande-
nen Rahmenbedingungen zum Verzicht und zu zeitlicher Verzögerung
bestimmter spezieller Maßnahmen gezwungen und muss unter Wahrung
notfallmedizinischer Grundsätze das für den Einzelnen Günstigste im Ge-
samtkonzept berücksichtigen. Katastrophenmedizin kommt daher bei tief-
greifenden, oft flächenhaft-großräumigen und überregionalen Schadensla-
gen zur Anwendung.

Leitfaden Katastrophenmedizin 69
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.1.2 Medizinische Hilfeleistung im Katastrophen-


und Zivilschutz – Bereiche und Regelungen
Im Bevölkerungsschutz der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet man
vier Bereiche der Hilfeleistung:
ƒ den Rettungsdienst; realisiert durch private Hilfsorganisationen, private Un-
ternehmer und die Feuerwehr, eben durch den öffentlichen Rettungsdienst
4

Gesetzliche Grundlage: Rettungsdienstgesetze der 16 Bundesländer (und


fortfolgende Rechtsverordnungen)
ƒ die Feuerschutz-Hilfeleistung; realisiert durch freiwillige, Berufs-, betrieb-
liche oder Pflicht-Feuerwehren
Gesetzliche Grundlage: Brandschutzgesetze der 16 Bundesländer (und fort-
folgende Rechtsverordnungen)
ƒ den Katastrophenschutz als Gefahrenabwehr bei Naturkatastrophen,
technischen Havarien und Epidemien (in Verantwortung der Länder und
Kommunen)
Gesetzliche Grundlage: Katastrophenschutzgesetze der 16 Bundesländer
(und fortfolgende Rechtsverordnungen) und
ƒ den Zivilschutz als Gefahrenabwehr für den zivilen Bereich im Verteidi-
gungsfall (in Verantwortung des Bundes)
Gesetzliche Grundlage: Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz des Bun-
des (§ 2 Abs. 1 des ZSKG)1

Aufgabe des Bevölkerungsschutzes ist es, durch vorbeugende, flankierende


und weiterführende Maßnahmen einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit,
andererseits die Auswirkungen eines Schadensereignisses zu mindern.

Spätestens seit den Vorfällen am 11. September 2001 in New York gilt es, dieser
Systematik Schadenslagen mit terroristischem Hintergrund zuzuordnen;
dabei wurde erkannt, dass diese Schadenslagen sowohl katastrophenschutz-
als auch zivilschutzrelevante Merkmale aufweisen. Somit wäre die bis dahin
gepflegte strenge Trennung zwischen Katastrophenschutz und Zivilschutz
faktisch aufzulösen. Diesem Vorhaben konnte im neuen Zivilschutz- und
Katastrophenhilfegesetz (ZSKG)2 bereits im rechtskonformen Rahmen Rech-
nung getragen werden.

Zur Sicherstellung volkswirtschaftlicher lebensnotwendiger Prozesse im Ka-


tastrophen- und Zivilschutzfall können bedarfsweise eine Reihe bundesweit
gültiger Sicherstellungsgesetze in Kraft treten.

1 Die Rechtsgrundlagen sind auf www.bbk.bund.de unter dem Menüpunkt „Fachinformationsstelle“


zu finden.
2 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz vom 25. März 1997 (BGBl. I, S. 726), zuletzt geändert durch
Artikel 2 Nummer 1 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2350).

70 Leitfaden Katastrophenmedizin
Die Mitwirkung von Ärzten im Zivilschutz- und Katastrophenfall ist im
Zivilschutzgesetz und den 16 Katastrophenschutzgesetzen der Länder [3]
sowohl als allgemeine medizinische Hilfeleistung wie auch für spezielle me-
dizinische Aufgaben geregelt ( Checkliste B).

4.1.3 Individualmedizinische und katastrophen-


medizinische Aspekte der Rettungskette

4
Eine medizinische Versorgung von Verletzten/Erkrankten unter individual-
medizinischen Bedingungen hat in der Abfolge und dem Handeln der Hil-
feleistenden wie das Zusammenwirken der Glieder einer Kette zu erfolgen,
um schädliche therapiefreie Intervalle zu minimieren bzw. zu verhindern
und die Hilfeleistung effektiv durchführen zu können (s. Abb. 4-1).

Krankenhaus + MVZ
Laienhilfe / Rettungsdienst

Sofortmaßnahmen First Responder

Abb. 4-1 Hilfeleistung unter individualmedizinischen Bedingungen.


MVZ – Medizinisches Versorgungszentrum.

Die Hilfeleistung umfasst:


ƒ Sofortmaßnahmen (der Absicherung des Notfallortes und – wenn mög-
lich – Rettung des Verletzten aus dem Gefahrenbereich)
ƒ Laienhilfe (Veranlassung des Notrufes, Maßnahmen der Ersten Hilfe, Be-
treuung)
ƒ Handeln des Rettungsdienstes und ggf. des Notarztes (notfallmedizi-
nische Sicherung der Vitalfunktionen, Herstellen der Transportfähigkeit,
medizinisch betreuter Transport)
ƒ Übergabe in der Notaufnahme eines Krankenhauses (Schockraum-
management, adäquate Diagnostik, invasive oder konservative therapeu-
tische Maßnahmen, ggf. Verlegung unter intensivmedizinischen Bedin-
gungen in Spezialkliniken auf dem Luft- oder Landwege, selten Seewege)

Die Maßnahmen haben zielgerichtet, zeitoptimiert und aufeinander abge-


stimmt zu erfolgen. Dennoch steht unter diesen Bedingungen immer der ein-
zelne Verletzte/Erkrankte im Mittelpunkt des Handels (Individualmedizin).

Unter katastrophenmedizinischen Bedingungen – d. h. bei einer Vielzahl


Verletzter/Erkrankter gegenüber begrenzt verfügbarer Laien-/professionel-
ler Hilfe, bei gleichzeitig eventuell anzunehmenden zusätzlichen Gefahren
für die Helfer – müssen in die Rettungskette weitere spezielle Glieder bzw.
Strukturen eingefügt werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 71
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Sofortmaßnahmen und Laienhilfe werden gegenüber einer großen Anzahl


Verletzter/Erkrankter nur begrenzt wirksam. Ein Notruf, der das Schaden-
szenario möglichst wirklichkeitsgetreu abbildet und mit dem adäquate Kräf-
te und Mittel schnell herbeiholt werden, sowie Absperrmaßnahmen können
zunächst zum Schutz vor weiteren Gefahren beitragen.

In diesem Zusammenhang gilt es, der Vermittlung von Kenntnissen zur


4

Selbsthilfe und der Verbesserung des Einschätzungsvermögens von Be -


drohungslagen in der Breitenausbildung und über Öffentlichkeitsarbeit
größere Aufmerksamkeit zu widmen!

Ein Team aus Leitendem Notarzt und Organisatorischem Leiter Rettungs-


dienst übernimmt als Rettungsdienst (oder Sanitäts-)Einsatzleitung das
Management der medizinischen Hilfeleistung innerhalb der örtlich instal-
lierten Führungsstruktur (zumeist Technische Einsatzleitung [TEL], s. Kap.
4.2.5.2. und 4.2.6.2).

Die Verletzten/Erkrankten werden nach Behandlungspriorität gesichtet, be-


handelt und koordiniert in die nächste geeignete Klinik transportiert.

Die Glieder der Rettungskette stellen sich unter katastrophenmedizinischen


Bedingungen – der großen Anzahl Verletzter/Erkrankter entsprechend –
eher netzförmig dar (s. Abb. 4-2). Eingebunden sind alle notwendigen Kräfte
und Mittel entsprechend ihrer Verfügbarkeit und koordiniert durch effekti-
ve Führungsstrukturen:
Krankenhaus + MVZ
Laienhilfe / Rettungsdienst

Sofortmaßnahmen First Responder


Sichtung Transportkräfte
Absperr- und Siche- (LNA/OrgL)
Qualifizierter rungsmaßnahmen
Notruf durch Laien Behandlungsplatz
Schnell-Einsatz- KatS-Kräfte

Leitstelle Gruppen

Abb. 4-2 Hilfeleistung unter katastrophenmedizinischen Bedingungen.


LNA – Leitender Notarzt, OrgL – Organisatorischer Leiter Rettungsdienst,
KatS – Katastrophenschutz, MVZ – Medizinisches Versorgungszentrum.

Hinsichtlich der anzuwendenden Transportstrategie sind durch die Pla-


nungsverantwortlichen vorab Grundsätze festzulegen und im Einsatz durch
die Rettungsdiensteinsatzleitung (s. Kap. 4.2.5.2 und 4.2.6.2) in Berücksich-
tigung aller die Situation und Schadensentwicklung charakterisierenden
Faktoren angemessene Entscheidungen zu treffen (s. Kap. 4.4).

72 Leitfaden Katastrophenmedizin
Zur effektiven Gestaltung der Hilfeleistung im Bevölkerungsschutz wurde
das System der Hilfeleistung mit der Definition von vier Versorgungsstufen
des Bevölkerungsschutzes neu systematisiert. Dabei wurden Erfahrungen
aus vergangenen Großschadens- und Katastrophenfällen sowie aktuelle Be-
drohungszenarien berücksichtigt. Das System wird nun entsprechend der
Versorgungsstufen schrittweise neu strukturiert.

4
4.2 Schadenslagen und deren
Management – die neue Strategie
im Bevölkerungsschutz
4.2.1 Definition von Schadenslagen
(DIN 13050:2009-02 „Begriffe im Rettungswesen“, 3.21 ff.)

„Der Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) ist ein Notfall mit
einer größeren Anzahl von Verletzten oder Erkrankten sowie anderen Geschä-
digten oder Betroffenen, der mit der vorhandenen und einsetzbaren Vorhaltung
des Rettungsdienstes aus dem Rettungsdienstbereich versorgt werden kann.“

Der Begriff Großschadensfall (Großschadensereignis) wird häufig gleich-


bedeutend für Katastrophe benutzt. Im Rettungsdienst ist es „ein Ereignis
mit einer so großen Anzahl von Verletzten oder Erkrankten sowie anderen
Geschädigten oder Betroffenen, dass es mit der vorhandenen und einsetzba-
ren Vorhaltung des Rettungsdienstes aus dem Rettungsdienstbereich nicht
bewältigt werden kann (DIN 13050:2002-09).“ (Zit. nach SKK 2003, S. 34).

Bitte beachten

Eine Katastrophe ist ein Schadensereignis


ƒ das mit den örtlich oder überörtlich verfügbaren Kräften und Mitteln einer
Region in einem überschaubaren Zeitraum nicht bewältigt werden kann,
ƒ bei dem unterschiedliche, definierte Hilfeleistungen von außerhalb erfor-
derlich werden, sodass besondere behördliche Verfahrensregeln in Kraft
treten müssen.

Gemäß DIN 13050:2009-02 „Begriffe im Rettungswesen“, 3.15, ist eine Kata-


strophe wie folgt definiert:
„Ein über das Großschadensereignis hinausgehendes Ereignis mit einer we-
sentlichen Zerstörung oder Schädigung der örtlichen Infrastruktur, spezi-

Leitfaden Katastrophenmedizin 73
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

ell der medizinischen Versorgungseinrichtungen. Es kann im Rahmen der


medizinischen Versorgung mit den Mitteln und Einsatzstrukturen des Ret-
tungsdienstes alleine nicht bewältigt werden.“

Allerdings stellen sich Katastrophen nicht regelhaft unmittelbar als solche


dar. Jedenfalls obliegt das Ausrufen einer Katastrophe den Hauptverwal-
tungsbeamten der Landkreise oder kreisfreien Städte.
4

Katastrophen können auch ausgerufen werden, wenn die Infrastruktur zer-


stört ist, ohne dass primär eine Vielzahl Verletzter oder Erkrankter vorliegt
(z. B. Hochwasser).

4.2.2 Klassifizierung von Schadenslagen


Unter dem Blickwinkel medizinischer Versorgungsmöglichkeiten für Ver-
letzte/Erkrankte und eventueller Selbstgefährdung für alle Helfer sind nach
Schadensursache und Verlauf sogenannte konventionelle Schadenslagen
(wie Naturkatastrophen, Havarien) von CBRN-Lagen3 zu unterscheiden
(s. Kap. 4.3.5 und 4.7.3, [12–14, 18]).

Naturkatastrophen (Erdbeben, Überschwemmungen, Waldbrände u. a.)


zeigen zumeist ein Schadensbild mit erheblichen materiellen Zerstörungen
und möglicherweise auch einer Vielzahl Mittel- und Schwerverletzter. Die
Versorgung der Verletzten/Erkrankten kann durch die gegebenen Umstän-
de erschwert sein und meist nachhaltigen Ressourceneinsatz erfordern.

Havarien rufen möglicherweise ebenfalls erhebliche Sach- und Personenschä-


den hervor, können sich jedoch bereits als CBRN-Ereignis mit Flächenwirkung
darstellen, sofern sie sich in entsprechenden Bereichen ereignen (z. B. Ludwigs-
hafen 1948, Seweso 1976, Tschernobyl 1986, Flughafen Düsseldorf 1996 u. a.).

Bei chemischen Großschadenslagen/Katastrophen [13, 18] ist zumeist von


entsprechend kontaminierten Flächen und Verletzten/Erkrankten auszuge-
hen, ggf. auch von Schadstoffwolken, kontaminierten Gewässern und/oder
Böden. Die Hilfeleistung kann wegen Gefahr für Leib und Leben der Helfer
beeinträchtigt oder zunächst völlig auf Spezialkräfte mit entsprechender
Schutzausrüstung beschränkt sein. Die Verletzten oder Erkrankten müssen
primär dekontaminiert werden, möglicherweise entsprechend Verletzungs-
art und -umfang nur mit Spotdekontaminationen, die auf das enge Umfeld
der direkten Verletzungen beschränkt bleiben; die Verletzungen werden erst

3 Gefahrenlagen mit der Möglichkeit chemischer (C), biologischer (B) oder radiologischer (R) bzw.
nuklearer (N) Kontamination der Verletzten/Erkrankten. Diese Bezeichnung aus dem englischen
Sprachraum findet immer mehr Anwendung auch in der deutschen Fachsprache (dort bisher ABC-
Lagen: atomar/biologisch/chemisch).

74 Leitfaden Katastrophenmedizin
später behandelt. Eine wirksame Versorgung unter diesen Bedingungen er-
fordert bei allen Helfern4 hohe Sach- und taktische Kenntnis im Umgang mit
gesundheitsschädlichen chemischen Substanzen und ein Handeln, das die
Selbstgefährdung weitestgehend berücksichtigt ( Checkliste H). Unter Um-
ständen bedarf es besonderer Einsatzmittel um die Hilfeleistung unter den
gegeben Bedingungen erst zu ermöglichen. Ein weiteres Ausweiten der Scha-
denslage und Sekundärbedrohungen innerhalb der gesamten Rettungskette

4
sind nicht auszuschließen (z. B. Sarinanschlag in Tokyo 1995 mit Sekundärver-
giftungen von Rettungskräften und Krankenhausmitarbeitern, vgl. [18]).

Biologische Großschadenslagen [14] wie Epidemien/Pandemien lassen sich


möglicherweise zu ihren Wirkungsherden zurückverfolgen oder entstehen
latent aus „harmlosen“ Vorerkrankungen oder Krankheitsverläufen mit er-
heblicher Betroffenen-/Todesrate auf der Grundlage fehlender Immunität,
möglicherweise auch in Folge absichtlich ausgelöster Kontaminationen. Die
Entwicklung bekannter Seuchen sollte (zumindest in den Industrieländern)
frühzeitig erkannt werden und entsprechende Vorkehrungen auslösen
( Checkliste I). Unbekannte und modifizierte Erreger gleich welcher Gene-
se können bis zum Eintritt einer Pandemiesituation unerkannt bleiben und
sich hinter trivialen Symptomen verstecken. Die Globalisierung und die Ver-
netzung bzw. Verkürzung von Verkehrswegen ermöglichen eine schnelle
Verbreitung von Erregern rund um den Erdball, in jedes Land.
Die Glieder der Rettungskette verknüpfen sich bei diesen Schadenslagen
wiederum in spezieller Weise. Laienhilfe beschränkt sich zunächst auf
„Hausmedizin“ und baldige Vermittlung der Betroffenen zum Hausarzt. Der
Hausarzt sollte die Spezifik der Situation erkennen und/oder zumindest diffe-
rentialdiagnostisch unter Einbezug von Fachexpertise einen „worst case“ in
Erwägung ziehen. Statistische Bewertungen der Gesundheitsämter schließ-
lich müssen schnellstmöglich ein Lagebild generieren und damit taktische
Handlungsalgorithmen in Kraft setzen. Bekanntlich kommt bei gehäuftem
Auftreten von infektiösen Erkrankungen dem Web-User-Verhalten nach Be-
obachtungen der letzten Jahre geradezu eine diagnostische Bedeutung zu.

Gesundheits- und Katastrophenschutzbehörden arbeiten in dieser Lage bei


der Schadensbekämpfung eng zusammen. Für jeden Helfer besteht Konta-
minationsgefahr. Er befindet sich möglicherweise bereits in der Inkubations-
phase. Je nach Erregerbild können präventive Maßnahmen wie Hygienever-
halten, Quarantäne, Kohortenbildung, medikamentöse und Immuntherapie
Wirkungen entfalten (s. auch BBK und RKI 2007).

4 Begriff aus dem Katastrophenschutz, der alle zur Schadensbekämpfung eingesetzten Helfer – gleich
welcher Qualifikation – erfasst (Feuerwehr, Technisches Hilfswerk [THW], Hilfsorganisationen, Ret-
tungsdienste, Ärzte, Stabs- und Führungspersonal, Fachberater).

Leitfaden Katastrophenmedizin 75
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Radiologische und nukleare Lagen [12] lassen sich allgemein gut klassifizie-
ren, sofern sich Ursache(n) und Wirkungen frühzeitig darstellen. Auch hier
sollten alle Helfer über entsprechende spezielle Grundkenntnisse im Umgang
mit radioaktiv kontaminierten Verletzten/Erkrankten verfügen ( Checklis-
te G). Dekontaminierung zeigt nur bei äußerlicher Kontamination Wirkung.
Gefahr besteht insbesondere für Ersthelfer und professionelle Helfer, solange
das Schadensgebiet und die Substanzen noch nicht vollumfänglich bestimmt
4

sind, aber bereits erste Hilfsmaßnahmen begonnen haben.


Es zeigt sich, dass rein konventionelle Lagen möglicherweise nur bei weni-
gen großen Schadensereignissen auftreten, dagegen lassen sich im CBRN-
Bereich eher gemischte Lagen beschreiben.

Bitte beachten

Bei speziellen Schadenslagen müssen die möglichen Gefahren für die


Helfer beachtet werden. Gefahren für die Helfer entstehen:
ƒ durch die Schadenssituation und deren Spezifik selbst
ƒ aufgrund fehlender Sachkenntnis und daraus folgendem unsachge -
mäßen, selbstgefährdenden Handeln
ƒ als Folge unzureichender Persönlicher Schutzausrüstung und/oder ggf.
fehlender Kenntnisse in deren sachgerechten Gebrauch ( Checklisten
G, H, I, N)
ƒ durch unangepasstes Handeln als Folge der Lage bzw. deren Entwicklung
ƒ als Folge von Kommunikationsproblemen innerhalb einzelner horizon -
taler und/oder vertikaler Kommunikationskanäle
Die Bevölkerung sollte (zielführend) frühzeitig in sachlicher Weise über die
Situation informiert und auf präventives Verhalten hingewiesen werden.
Warnungen sind beim Wegfall der Grundlagen dafür wieder aufzuheben.
Die Hilfeleistung und Schadensbekämpfung kann unter Umständen durch
eine erheblich eingeschränkte Verfügbarkeit von Helfern und eine beein-
trächtigte Sicherheitslage zusätzlich erschwert sein.

4.2.3 Ausweitung von Schadenslagen und neue


Strategie im Bevölkerungsschutz
Nach allen bisherigen Erfahrungen stellen sich konventionelle Schadens-
lagen im Katastrophenschutz als Punktlagen dar, d. h. sie sind zunächst auf
eine definierte Fläche beschränkt (z. B. Havarien, Großunfälle, Erdbeben
etc.) und zeigen möglicherweise Ausweitungstendenzen (beispielsweise bei
Überschwemmungen, Waldbränden, Vulkanausbrüchen usw.), u. a. durch
Zerstörungen Kritischer Infrastrukturen (s. Kap. 4.6).

76 Leitfaden Katastrophenmedizin
Terroristische Anschläge können – selbst wenn im engeren Sinne auch
Punktlagen – jedoch an mehreren Stellen zugleich oder zeitversetzt Wir-
kungen entfalten.
Epidemien und Pandemien können sich, ausgehend von zunächst eingrenz-
baren Arealen, kurzfristig mehr oder weniger unbemerkt rasant in der Fläche
ausbreiten.
Nukleare und chemische Schadenslagen entfalten – ebenfalls von punktförmi-

4
gen Ursprüngen ausgehend – üblicherweise Wirkungen in großen Flächen.
Kosmische Einwirkungen (Absturz von Raumfahrtgerät, Kometen, Meteoriten)
können – wenngleich möglicherweise mit Vorwarnungszeit – Wirkungen auf
größeren Flächen entfalten.

Im taktischen Ansatz der Schadensbekämpfung des Katastrophen- und Zivil-


schutzes wird grundsätzlich zunächst von einer lokalen Schadenslage ausge-
gangen, die mit ihrem speziellen Verlauf mehr oder weniger kurzfristig das
Zusammenwirken kommunaler Gliederungen bis hin zu mehreren (Bundes-)
Ländern erfordern kann.

Dies berücksichtigend sowie aufbauend auf Schadenszenarien vergangener


Jahre wurde vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
(BBK) eine neue Strategie im Bevölkerungsschutz auf der Basis von vier Ver-
sorgungsstufen entwickelt (  Checkliste C), die im Folgenden dargestellt
als struktureller Rahmen dieser Gesamtbetrachtung dienen sollen:

ƒ Schutz- und Versorgungsstufe I


Flächendeckender, normierter Schutz durch Rettungsdienste, Feuer-
wehr u. a. gegen alltägliche Gefahren
Verantwortlich für Gewährleistung: Landkreise, kreisfreie Städte
ƒ Schutz- und Versorgungsstufe II
Flächendeckender, standardisierter Grundschutz gegen nicht alltägli -
che, aber in der Regel mit den vorhanden Kräften beherrschbare Scha -
denslagen (MANV/MANI)
Verantwortlich für Gewährleistung: Landkreise, kreisfreie Städte
ƒ Schutz- und Versorgungsstufe III
Dauerhaft erhöhter lokaler oder regionaler Spezialschutz für Einrichtun-
gen, Lokalitäten und Regionen mit deutlich erhöhtem Risiko und der Not-
wendigkeit zur deutlich erhöhten oder speziellen Ressourcenvorhaltung
Verantwortlich für Gewährleistung: Bundesländer
ƒ Schutz- und Versorgungsstufe IV
Ausgewiesener Sonderschutz durch exklusive spezielle operative Vor-
haltung (Task Forces) und Infrastruktur (Kompetenzzentren) für von
Bund und Ländern gemeinsam festgelegte außergewöhnliche Gefah-
ren- und Schadenslagen
Verantwortlich für Gewährleistung: Bund

Leitfaden Katastrophenmedizin 77
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Entsprechend dieser neuen Strategie im Bevölkerungsschutz stellen sich die


Einheitswerte aller Einzelkomponenten allein oder im Zusammenwirken
dar und systematisiert sich zugleich die Grundstruktur ärztlichen Wirkens
in der Individual- und Katastrophenmedizin.

4.2.4 Abläufe und Strukturen in der alltäglichen


Gefahrenabwehr – Versorgungsstufe I
4

Flächendeckender, normierter Schutz durch Rettungsdienste, Feuerwehr


u. a. gegen alltägliche Gefahren; verantwortlich für Gewährleistung: Land-
kreise, kreisfreie Städte.

4.2.4.1 Strukturen der alltäglichen Gefahrenabwehr


Erste-Hilfe- und Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung, Ersthelfer in Betrieben [5]
Ziel aller Bestrebungen und Maßnahmen muss es sein, dass möglichst weite
Teile der Bevölkerung anwendungsorientierte Kenntnisse und vor allem Fähig-
keiten in Erster Hilfe haben. Defizite sind bekannt. Es gilt, künftig noch effizien-
ter entsprechende Kenntnisse über das bisherige Maß (Fahrschule, Ersthelfer in
Betrieben) hinaus zu vermitteln. Dabei sollten auch die Kompetenz zur Selbst-
hilfefähigkeit und das Verständnis für das Handeln in größeren Schadenslagen
mit dem Ziel des Eigenschutzes und der regelrechten Hilfe (zunächst gegen-
über den eigenen Angehörigen und für Andere) gefördert werden.

Als Ersthelfer wird zunächst jeder bezeichnet, der zufällig bei einem Scha-
densfall anwesend ist und Hilfe leistet, insbesondere Laien. Dieser Begriff
wird jedoch zugleich für alle Mitarbeiter verwendet, die im Rahmen betrieb-
licher Vorsorge und Versorgung in Erster Hilfe ausgebildeten wurden.

Hausarzt- und Hausbesuchsystem


Hausärzte stellen unter individualmedizinischen Bedingungen die medi-
zinische Grundversorgung für die Bevölkerung sicher. Das Hausarztsystem
sollte zugleich als Indikator für möglicherweise aufwachsende Schadensla-
gen (z. B. im CBRN-Bereich) dienen können.

Ärztliche Notfallpraxen
Patienten mit zunächst nicht lebensbedrohlichen Verletzungen oder Erkran-
kungen, jedoch mit dringender Indikation zur Versorgung können sich an ärztli-
che Notfallpraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) wenden. Diese
Einrichtungen können Teil des Hausarztsystems sein oder dieses ergänzen.

Ärztlicher Notdienst
Während der sprechstundenfreien Zeit stellen die Kassenärztlichen Vereini-
gungen der Bundesländer die vertragsärztliche Versorgung von Verletzten

78 Leitfaden Katastrophenmedizin
und Erkrankten mit zugelassenen oder in medizinischen Versorgungszen-
tren angestellten Ärzten und Psychotherapeuten im Ärztlichen Notdienst
sicher (gemäß § 75 Abs.1 SGB V)5. Der Ärztliche Notdienst umfasst den ambu-
lanten Hausbesuchsdienst und/oder die Versorgung in speziell eingerich-
teten Notfalldienstzentren und Notfallpraxen. Darüber hinaus bieten die
Kassenärztlichen Vereinigungen in Großstädten und Ballungszentren zu-
sätzlich einen zentral organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) an,

4
der für die Bevölkerung rund um die Uhr zur Verfügung steht.

First Responder
Englisch wörtlich: „zuerst Antwortender“; „Helfer vor Ort“. First Responder
sind mindestens in Erster Hilfe und Notfallmaßnahmen ausgebildete Per-
sonen, die bei Notfällen in der Nachbarschaft die Zeit bis zum Eintreffen
eines Rettungsmittels mit qualifizierten medizinischen Basismaßnahmen
überbrücken sollen. Innerhalb dieses Systems stehen häufig nichtärztliche
Mitarbeiter von Rettungsdiensten vereinbarungsgemäß in der näheren Um-
gebung ihres Wohnortes als Ansprechpartner von Leitstellen für schnellst-
mögliche qualifizierte Erste-Hilfe-Maßnahmen zur Verfügung. Das First-
Responder-System stellt somit eine Ergänzung der Rettungskette dar.

Rettungsdienstsysteme
Als staatliche Aufgabe ist Rettungsdienst von den Landkreisen und kreisfrei-
en Städten im sogenannten übertragenen Wirkungskreis zu erfüllen. Ret-
tungsdienstbereiche als kleinste organisatorische Einheiten der notfallme-
dizinischen Versorgung werden von einem Träger (Kommunalbehörde[n]
oder Zweckverband) geführt.

Innerhalb eines Rettungsdienstbereiches sind Rettungswachen so ver-


teilt, dass die dort stationierten Rettungsmittel im Primäreinsatz inner-
halb der jeweiligen im Rettungsdienstgesetz des Bundeslandes festge -
legten Hilfsfrist in 95 % der Fälle den Notfallort erreichen können. Damit
stellt die Hilfsfrist eines der wichtigsten strategischen Kriterien der ret-
tungsdienstlichen Planung (mit individualmedizinischem Charakter) dar.
In einem bundesweit unterschiedlich festgelegten Intervall von 10–15
Minuten hat das zuerst entsandte Rettungsmittel nach der Alarmierung
den Notfallort zu erreichen ( Checkliste C).

4.2.4.2 Abläufe in der alltäglichen Gefahrenabwehr


Sofern nicht ohnehin aufgrund der Notrufmeldung primär parallel alarmiert,
wird der Notarzt (z. B. im sogenannten Rendezvous-System) nach Notwendig-

5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom


20. Dezember 1988, BGBl. I, S. 2477), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2009
(BGBl. I, S. 2495).

Leitfaden Katastrophenmedizin 79
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

keitseinschätzung der ersteintreffenden Rettungsmittelbesatzung nachalar-


miert und gelangt mit dem Notarzteinsatzfahrzeug oder dem Rettungshub-
schrauber an den Notfallort. In bundesweit wenigen Rettungsdienstbereichen
wird der Rettungswagen obligat mit einem Notarzt besetzt (v. a. in Städten)
und wird damit als Notarztwagen bezeichnet (Kompaktsystem).

Rettungsleitstellen koordinieren die Einsätze des Rettungsdienstes zuneh-


4

mend im System sogenannter Integrierter Leitstellen und sind damit für die
Einsatzführung von Rettungsdienst, Feuerwehr sowie ggf. weiteren Kräften
der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr verantwortlich.

4.2.5 Abläufe und Strukturen bei der Bewälti-


gung eines Massenanfalls von Verletzten
(MANV/Ü-MANV) – Versorgungsstufe II
Flächendeckender, standardisierter Grundschutz gegen nicht alltägliche,
aber in der Regel mit den vorhanden Kräften beherrschbare, Schadenslagen
(MANV/MANI); verantwortlich für Gewährleistung: Landkreise, kreisfreie
Städte.

4.2.5.1 Charakteristik des MANV


Beim MANV wird der reguläre Rettungsdienst einer Region (Versor-
gungsstufe I) ohne zusätzliche Unterstützung durch überörtliche Kräfte
und eigene Spezialkräfte (z. B. Schnell-Einsatz-Gruppen [SEG], Kräfte aus
Nachbarlandkreisen/-ländern, andere Spezialstrukturen) möglicherweise
sehr schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stoßen und muss um-
gehend durch zusätzliche Kräfte ergänzt werden.

Die Landkreise und kreisfreien Städte treffen entsprechende Vorsorge, um


innerhalb der Versorgungsstufe II tragfähige Einsatz- und Führungsstruktu-
ren für relevante Schadensfälle innerhalb kürzester Zeit (in der Regel etwa
30 Minuten) verfügbar zu halten. Dabei finden Erkenntnisse aus Schadens-
fällen der vergangenen Jahre Berücksichtigung, wonach Notfallgeschehen
keine rein individualmedizinischen Ereignisse darstellen müssen, stattdes-
sen fließend über den MANV und Ü-MANV (Überörtlicher Massenanfall von
Verletzten und/oder Erkrankten) zu katastrophenmedizinisch relevanten
Ereignissen aufwachsen können.

In der Planung von Kräften und Mitteln für den MANV sollten durch die
Kommunalbehörden besonders Aspekte einer modularen Strukturier-
barkeit der Teileinheiten gemäß Schadenslage, eine universelle Funktions-
fähigkeit aller (fachlichen und taktischen) Schnittstellen sowie die
tatsächliche Verfügbarkeit aller Einheiten innerhalb definierter Einsatz-

80 Leitfaden Katastrophenmedizin
zeiten (möglichst ohne sogenannte Mehrfach-Einplanung des Personals)
berücksichtigt werden!

Bereits bei einem Massenanfall von Verletzten/Erkrankten kann das Verhält-


nis zwischen Verletzten-/Erkranktenzahl einerseits und verfügbarer Helfer-
zahl andererseits Katastrophenmedizin, d. h. ein prioritäres Handeln nach
Sichtungskategorien erfordern (s. Kap. 4.3).

4
4.2.5.2 Führungsstruktur – Rettungsdiensteinsatzleitung
Um eine effektive Hilfeleistung zu ermöglichen, bedarf es gut vorbereiteter
Führungsteams, die sich inzwischen bundesweit als Rettungsdienst- oder Sa-
nitätseinsatzleitung etabliert haben. Diese aus Leitendem Notarzt (LNA) und
Organisatorischem Leiter Rettungsdienst (OrgL) bestehenden Einsatzleitun-
gen (in manchen Bundesländern durch weitere Funktionsstellen ergänzt)
führen die medizinische Hilfeleistung als Unterabschnitt einer örtlichen
Technischen Einsatzleitung (TEL) und/oder Mitglied einer Verbandsfüh-
rungsstruktur (z. B. eines Behandlungsplatzes 50).

In der Praxis obliegt zunächst dem ersteintreffenden Notarzt-/Rettungs-


assistententeam (bis zum Eintreffen der Diensthabenden – dann von diesen
fortgeführt) das Handeln als Rettungsdiensteinsatzleitung. Das heißt, nach
Realisierung eines Gesamtüberblickes sind u. a. folgende Aufgaben optimal
zu lösen ( Checkliste C):
ƒ bei der zuständigen Rettungs-/Integrierten Leitstelle (nach Notwendigkeit)
weitere benötigte Kräfte und Mittel abfordern
ƒ koordiniertes Festlegen von Transportzielen (meist Kliniken) für die jeweilig
nach Sichtung klassifizierten Verletzten/Erkrankten
ƒ Einrichten von Verletztenablage(n) unter Beachtung der taktischen Lage-
entwicklung, Zuordnung vorhandener Kräfte
ƒ mit weiteren eintreffenden Kräften die Sichtung und
ƒ die adäquate notfallmedizinische Erstversorgung organisieren
ƒ ggf. den Aufbau und die Führung eines Behandlungsplatzes übernehmen
ƒ ein effektives Transportmanagement realisieren
ƒ den reibungslosen Einsatz weiterer eintreffender Kräfte koordinieren
ƒ eine permanente Abstimmung mit der örtlichen Einsatzführung (TEL)
sichern, dabei
• auf die Sicherheit aller eingesetzten Helfer achten
• der Entwicklung der Schadenslage entsprechende Entscheidungen zur
taktischen Einsatzführung der Rettungskräfte treffen
• nach Erreichen eines angemessenen Kräfte/Mittel-Betroffenen-Verhält-
nisses die Zuführung weiterer Kräfte/Mittel stoppen
• nach Ende der Schadensbekämpfung die kontinuierliche Rückführung
aller Kräfte/Mittel veranlassen

Leitfaden Katastrophenmedizin 81
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

In Berücksichtigung aller relevanten Faktoren treffen LNA und OrgL gemein-


sam die Entscheidung zum rettungstaktisch angemessenen Verfahren be-
züglich des Abtransports der Verletzten/Erkrankten (s. Kap. 4.4).

Alle mit Aufgaben als Leitender Notarzt (LNA) und Organisatorischer Leiter
Rettungsdienst (OrgL) beauftragten Ärzte und Rettungsassistenten/
-sanitäter verfügen über eine spezielle Zusatzausbildung, die bundesein -
4

heitlichen Grundsätzen folgen sollte.6

4.2.5.3 Arten und Verfügbarkeit von Hilfeleistungsstruk-


turen – das Zusammenwirken der Fachdienste
beim MANV
Je nach Schadenslage und -größe werden neben den Kräften der alltäglichen
Gefahrenabwehr eine Anzahl weiterer Kräfte (wie Schnell-Einsatz-Gruppen
[SEG], Einheiten der Feuerwehr und von Organisationen/Verbänden, Techni-
sches Hilfswerk [THW], Bundeswehr, Spezialkräfte von Betrieben, der Bahn
u. a.) in der Schadensbekämpfung zusammenwirken und damit direkt oder
indirekt an der Hilfeleistung beteiligt sein. Diese Kräfte ergänzen jene der all-
täglichen Gefahrenabwehr, sowohl nominal als auch mit ihrem speziellen Ein-
satzwert. Ihre Anforderung erfolgt durch die Leitstellen bzw. Führungseinrich-
tungen der Landkreise/der kreisfreien Städte, entweder im direkten Abruf oder
unter Beachtung besonderer Regelungen an zentraler Stelle (z. B. bei Bundes-
einrichtungen wie THW, Bundespolizei, Bundeswehr). OrgL und LNA können
jene „Spezialkräfte“ gemäß ihrer Lageeinschätzung zusätzlich anfordern.

Krankenhäuser haben mit Hilfe spezieller Notfallpläne reibungslose Abläufe


bei der Aufnahme, Sichtung und weiteren Behandlung einer großen Anzahl
Verletzter/Erkrankter vorzubereiten [16]. Hier ist als Detailaspekt zu beden-
ken, dass ein geeignetes Verfahren im Umgang mit kontaminierten Patien-
ten vorzusehen ist.

4.2.6 Abläufe und Strukturen bei der Bewältigung


von Großschadens- und Katastrophenlagen –
Versorgungsstufe III
Dauerhaft erhöhter lokaler oder regionaler Spezialschutz für Einrichtungen,
Lokalitäten und Regionen mit deutlich erhöhtem Risiko und der Notwendig-
keit zur deutlich erhöhten oder speziellen Ressourcenvorhaltung; verant-
wortlich für Gewährleistung: Bundesländer.

6 Inhaltliche Rahmenempfehlungen für die Aus- und Fortbildung von LNA und OrgL siehe bei-
liegende CD-ROM.

82 Leitfaden Katastrophenmedizin
4.2.6.1 Charakteristik von Großschadensfällen und
Katastrophen
In Kapitel 4.2.1 wurden bereits MANV, Großschadens- und Katastrophenla-
gen definiert. In der Versorgungsstufe III sind die Abläufe unter dem beson-
deren Blickwinkel des Katastrophenmanagements zu betrachten.

Das Charakteristikum aller Großschadensfälle und Katastrophen besteht in

4
dem Missverhältnis zwischen unzureichend verfügbaren personellen Kapazi-
täten und materiellen Ressourcen einerseits und den Bedürfnissen an Behand-
lung und Betreuung der Verletzten/Erkrankten und Betroffenen andererseits.

Daher ist es erforderlich, die Hilfeleistung gemäß den Prioritäten von Sich-
tungsergebnissen (Sichtung/Sorting/Triage, s. Kap. 4.3) durchzuführen.

Ziel für die Hilfeleistenden ist in einer Katastrophe immer, einerseits mög-
lichst vielen Angehörigen der sozialen Gemeinschaft das Überleben zu er-
möglichen, andererseits für die Überlebenden individualmedizinische Ver-
sorgungsmöglichkeiten – wenn schon nicht aufrecht zu erhalten, so doch
möglichst zügig wieder herzustellen.

Häufig kann ein Schadensereignis z. B. wegen unzureichender Informatio-


nen nicht primär als Katastrophe klassifiziert werden oder es liegt eine Dy-
namik zugrunde, die einen zunächst räumlich, organisatorisch, funktionell
überschaubaren Massenanfall von Verletzten zu einem Großschadensereig-
nis oder eventuell sogar zur Katastrophe werden lässt.

Zur Versorgung von mehr als 50 Verletzten (unter Beachtung lokaler Verhält-
niss ggf. auch unterhalb dieser Schwelle) empfiehlt sich der Aufbau eines Be-
handlungsplatzes 50 (s. Kap. 4.5.1). Regional andere Konzepte können ihre
Begründung in besonderen Versorgungsstrukturen finden.

4.2.6.2 Führungsstruktur und Organisationsverantwortung


Die Rettungsdiensteinsatzleitung (oder Sanitätseinsatzleitung, s. Kap. 4.2.5.2)
integriert sich in die Führungsarchitektur der örtlichen Einsatzleitungen
(ÖEL, TEL, zumeist der Feuerwehr zugeordnet) und kooperiert mit anderen
Fachgebieten. Sie führt, leitet und koordiniert den rettungsdienstlichen und
medizinischen Einsatz, der sich durch das Zusammenwirken von vielen Ret-
tungsmitteln, SEG und sonstigen Kräften und Mitteln des Katastrophenschut-
zes auszeichnet, innerhalb der Strukturen der örtlichen Einsatzleitung.

Empfehlenswert ist die Entsendung eines „Fachberaters Sanität“, der die


fachlich-konsultative Verbindung zwischen Rettungsdiensteinsatzleitung
und nächst höherer Führungseinrichtung permanent gewährleistet.

Leitfaden Katastrophenmedizin 83
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Die Rettungsdiensteinsatzleitung integriert sich ggf. in die Verbandsfüh-


rungsstruktur eines Behandlungsplatzes 50 (s. Kap. 4.5.1) und/oder koordi-
niert dessen Tätigkeit als zusätzliche Unterabschnittsleitung mit der Gesamt-
einsatzführung im Schadensgebiet. Analoge Schnittstellen sind ggf. zu bzw.
mit der Führung einer Medizinischen Task Force (MTF) zu realisieren.

Für die Vorhaltung von Kräften und Mitteln zur Bekämpfung einer (durch
4

den jeweiligen Hauptverwaltungsbeamten [HVB] erklärten) Katastrophe in


der Versorgungsstufe III zeichnen die Bundesländer verantwortlich. Sie ha-
ben entsprechende Kräfte und Mittel in Ergänzung zum Regelrettungsdienst
und über die MANV-Planung der Landkreise und kreisfreien Städte hinaus
vorzuhalten. Dabei empfiehlt es sich, landeseinheitliche modular gegliederte
Systeme, in welchen ebenso die Kräfte, Mittel und Führungsstrukturen der
Versorgungsstufen I, II und IV berücksichtigt sind, zu schaffen.

4.2.6.3 Arten und Verfügbarkeit von Hilfeleistungsstruk-


turen – das Zusammenwirken der Fachdienste im
Großschadens-/Katastrophenfall
Schadensereignisse, die zur Bewältigung Kräfte und Mittel der Versorgungs-
stufe III benötigen, lassen sich als Großschadens- und Katastrophenfälle klas-
sifizieren. Demgemäß gelangen neben den Kräften der Versorgungsstufen I
(tägliche Gefahrenabwehr) und II (örtliche und überörtliche Reservekräfte,
SEG) nunmehr die Katastrophenschutzeinheiten der Bundesländer zum Ein-
satz. Entsprechend dem förderalen Aufbau der Bundesrepublik unterschei-
den sich diese Katastrophenschutz-„Landesstrukturen“ teilweise erheblich,
sowohl im Aufbau (Einheitswert), in der taktischen Gliederung als auch den
Führungskomponenten. Dennoch werden bundesweit grundsätzlich fol-
gende Leistungen unterschieden:
ƒ Sanität/Sanitätstransport
ƒ Betreuung
ƒ Verpflegung
ƒ Versorgung/Logistik

Innerhalb förderaler und historisch gewachsener Strukturen orientieren


sich die Katastrophenschutzeinheiten der Länder fachlich und taktisch an
den Regelungen der Dienstvorschrift 100 des Katastrophenschutzes.

In sanitätsdienstliche Einheiten sollen bundesweit ärztliche Kräfte inte -


griert sein, um eine fortgeführte medizinische Hilfeleistung am Schaden -
sort, an Verletztenablagen und Behandlungsplätzen zu gewährleisten.

84 Leitfaden Katastrophenmedizin
4.2.7 Abläufe und Strukturen bei der Bewältigung
von außergewöhnlichen Gefahren- und
Schadenslagen – Versorgungsstufe IV
Ausgewiesener Sonderschutz durch exklusive spezielle operative Vorhal-
tung (Task Forces) und Infrastruktur (Kompetenzzentren) für von Bund und
Ländern gemeinsam festgelegte außergewöhnliche Gefahren- und Scha-

4
denslagen; verantwortlich für Gewährleistung: Bund.

4.2.7.1 Charakteristik Versorgungsstufe IV


Mit den in der Versorgungsstufe IV vorgehaltenen Kräften und Mitteln wird
der Bund seiner für den Verteidigungsfall (Zivilschutz) vorhandenen Zustän-
digkeit der Schadensbekämpfung und Hilfeleistung gerecht. Dieser Sonder-
schutz wird mit Hilfe von Spezialkräften (z. B. Analytische/Medizinische Task
Forces) sowie zusätzlichen Investitionen in Mittel des Katastrophenschutzes
der Länder verwirklicht.

In Hinblick auf die Bewältigung möglicher Terroranschläge (als eines Ge-


bietes mit Aspekten des Zivil- und Katastrophenschutzes) werden geeignete
Maßnahmen der Reservenplanung getroffen. Dazu gehört auch die Bevor-
ratung von Impfstoffen, Antidota, Antibiotika, Sanitätsmaterialien, Schutz-
anzügen usw.; die erforderlichen Verfahren zur Versorgung der Bevölke-
rung sind im Hinblick auf neue Bedrohungslagen anzupassen.

Mit dem neuen Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) wurden ers-


te wichtige und zielführende Schritte unternommen, die Zuständigkeiten
von Bund- und Ländern in Großschadens- und Katastrophenfällen zu aktua-
lisieren und entsprechend der Bedrohungslage anzupassen.

4.2.7.2 Kräfte und Mittelvorhaltung


Die Kräfte und Mittel der Versorgungsstufe IV setzen sich zusammen aus:
ƒ den Analytischen Task Forces (ATF),
ƒ den Medizinischen Task Forces (MTF) und
ƒ den Fahrzeugen/Mitteln des Bundes in Ergänzung der Katastrophenschut-
zausstattung der Länder.

MTF gewährleisten aufgrund ihrer Struktur den eigenständigen Betrieb


eines Behandlungsplatzes 50. Sie sind darüber hinaus in der Lage, örtlich,
überörtlich, bundesweit und international zum Einsatz zu gelangen.7

7 Weitere Informationen: vorläufiges Projekt- und Einsatzhandbuch MTF (BKK 2009a), Ausstattungs-
konzept MTF (BKK 2009b), Ausstattungskonzept ATF (BKK 2008).

Leitfaden Katastrophenmedizin 85
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.3 Sichtung/Sorting/Triage
4.3.1 Sichtung – Definition und Abläufe
Unter Sichtung ( Checkliste C) versteht man die Auswahl und Einteilung
der Betroffenen im Hinblick auf eine angemessene Behandlung entspre-
chend dem Schweregrad der Krankheit oder Verletzung sowie in Überein-
4

stimmung mit den verfügbaren medizinischen Behandlungs- und Trans-


portmöglichkeiten.

Im Ergebnis der Sichtung erfolgt eine Zuordnung zu Sichtungskategorien


(s. Tab. 4-1), nach deren Prioritäten die Behandlung vorgenommen wird. Die
Entscheidung der Zuordnung wird auf sogenannten Verletztenanhängekar-
ten schriftlich (und teils farbig) dokumentiert.

Sichtungsergebnisse sollten als temporär (dem augenblicklichen Helfer-Ver-


letzten/Erkrankten-Verhältnis entsprechend) und damit dynamisch verstan-
den sein. Sie müssen nach Eintreffen weiterer qualifizierter Helfer ggf. erneut
bestimmt werden (insbesondere hinsichtlich der Sichtungskategorie IV).

Tab. 4-1 Sichtungskategorien und ihre Behandlungskonsequenzen. (Nach


Sefrin et al. 2003, S. A 2057.)

Sichtungs-
Beschreibung Konsequenz
kategorie

I (T1) Akute vitale Bedrohung Sofortbehandlung

Aufgeschobene Behandlungs-
II (T2) Schwer verletzt/erkrankt
dringlichkeit

III (T3) Leicht verletzt/erkrankt Spätere (ambulante) Behandlung

Betreuende (abwartende)
IV (T4) Ohne Überlebenschance
Behandlung

Tote Kennzeichnung

Diese Einteilung der Sichtungskategorien ist das Ergebnis der Konsensuskonferenz vom 15. März 2002,
veranstaltet von der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Das ärztliche oberste Ziel im Katastrophenfall, dem die Sichtung dient, ist es,
das Überleben und die Gesundheit einer möglichst großen Zahl von Verletz-
ten/Erkrankten zu sichern und zu erhalten. Entsprechend dieser Zielsetzung
ist auch die Reihenfolge der Behandlung festzulegen. Allein die medizini-
sche Dringlichkeit im Interesse des Überlebens möglichst vieler Verletzter/
Erkrankter ist dafür maßgeblich.

86 Leitfaden Katastrophenmedizin
Sichtungen sind zunächst am Schadensort (Kriterium: Rettungspriorität),
ggf. nochmals an der Verletztenablage (Kriterium: Behandlungspriorität),
wenn aufgebaut am Behandlungsplatz (BHP) 25 oder 50 (Kriterien: Behand-
lungs- und Transportpriorität) sowie schließlich in der Zielklinik (Kriterium:
Behandlungspriorität) durchzuführen (s. Tab. 4-2).

Tab. 4-2 Sichtungsziel und Handlungskonsequenzen nach Sichtungsort.

4
Sichtungsort Sichtungsziel Handlungskonsequenzen
Schadensort Rettungspriorität unter Schnellstmögliches prioritäres
Beachtung zeitlich möglicher Retten aus dem Gefahrenbereich,
Zugänglichkeit hohe Dynamik der Sichtungsent-
scheidung

Verletzten- Behandlungspriorität Schnellstmögliche prioritäre


ablage (Zwischenstufe zum ggf. noch Behandlung, Transport zum BHP
nicht aufgebauten Behand- (Phase II) oder zur Zielklinik (Phase I)a
lungsplatz)
Behandlungs- Behandlungspriorität nach Zuweisung zu den Behandlungs-
platz (BHP) notfallmedizinischen Kriterien stellen auf dem BHP, ggf. Abwarten
Transportpriorität Zuweisung zu Transportmitteln
Krankenhaus Behandlungspriorität-Klinik: Integration der Verletzten/Erkrank-
Manchester-Triage-Systemb ten in die klinischen Patientenströ-
Emergency Severity Indexc me gemäß Notfallplan, Indikation
und Kapazität
a Zur Einsatztaktik (Phase I und II) siehe Kapitel 4.4.
b Manchester-Triage-System (in den 1990er-Jahren in Großbritannien entwickelt):
• standardisiertes Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme der Krankenhäuser erste
Eingruppierung eintreffender Patienten
• möglichst schnelle, aber dennoch sichere und nachvollziehbare Festlegung von Behandlungs-
prioritäten
• Sichtungskategorie IV nicht vorgesehen
c Emergency Severity Index (Ende der 1990er-Jahre an der Harvard Medical School, Boston, USA, ent-
wickelt):
• 5-stufiger Triage-Algorithmus, wissenschaftlich validiertes System
• Identifikation von Patienten, die unmittelbar von einem Notfallmediziner gesehen und behandelt
werden müssen
• Identifikation von Patienten, die schadlos verzögert versorgt werden können

In einigen Großstädten mit Kliniken der Maximalversorgung wird anstelle


der Einrichtung eines Behandlungsplatzes das Konzept des sogenannten
Erstversorgungskrankenhauses favorisiert.

Leitfaden Katastrophenmedizin 87
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Als Sichtungsschemata und -methoden kommen inzwischen zur Anwendung:


STaRT Simple Triage and Rapid Treatment; einfache Triage und
schnelle Versorgung
JumpSTaRT STaRT für Kinder
mSTaRT modifiziertes STaRT; in der bisher verfügbaren wissenschaftli-
chen Literatur ausschließlich für die Anwendung bei Trauma-
patienten beschrieben
4

BASIC-Schema Kriterien: Blutung, Atemwege, Schock, Immobilisation ent-


sprechend der vorhergehenden Klassifikation
Reverse Triage umgekehrte Sichtung; Un- und Leichtverletzte werden zu-
erst abtransportiert bzw. durch die Dekontaminations-/Be-
handlungsplätze geschleust
ATLS Advanced Trauma Life Support ( Checkliste F); standar-
disiertes, prioritätenorientiertes Ausbildungskonzept zum
Schockraummanagement von Traumapatienten; als alter-
natives Sichtungssystem einsetzbar8
ITLS International Trauma Life Support; präklinische Variante
des ATLS

4.3.2 Vorsichtung
Bei der Vorsichtung (Sweeping Triage oder STaRT) werden lediglich die Symp -
tome der Verletzten beurteilt. Sie wird – insbesondere bei Verletzten – von
speziell qualifiziertem Rettungsdienstpersonal nach schnell und einfach
feststellbaren Kriterien vorgenommen (s. Abb. 4-3).

Als erstes Kriterium wird die Gehfähigkeit beurteilt: Wer noch gehfähig ist,
bedarf nur minimaler Behandlung, wird also der Gruppe III zugeteilt.
Weiterhin wird die Atmung beurteilt: Bei einem Atemstillstand wird der
Verletzte/Erkrankte in die Sichtungsgruppe IV eingeordnet. Ist die Atmung
vorhanden, aber erheblich gestört, müssen sofort lebensrettende Maßnah-
men in der Sichtungsgruppe I vorgenommen werden.

Die Vorsichtung ( Checkliste C) hat das Ziel, die in Lebensgefahr befind-


lichen Verletzten rascher der ärztlichen Sichtung und Behandlung zuzulei-
ten, z. B. bereits vor der Patientenablage. Dementsprechend erscheint die
Vorsichtung besonders während der Initialphase der Hilfeleistung bis zum
Aufbau des Behandlungsplatzes und im Falle eines zu erwartenden lang an-
haltenden extremen Missverhältnisses in der Helfer-Verletzten/Erkrankten-
Relation sinnvoll und empfehlenswert.

8 Weitere Informationen siehe www.atls.de.

88 Leitfaden Katastrophenmedizin
Eine Sichtungskategorie IV ist bei der Vorsichtung nicht vorgesehen!

Vorsichtung
Diagnose Behandlung

ja
gehfähig später ambulant SK III
nein

4
nein
Atmung betreuend, abwartend SK IV
ja < 10
> 30
Atemfrequenz sofort SK I
10–29 >2s
Kapillar-Füllungszeit aufgeschobene Dringlichkeit SK II
<2s

Abb. 4-3 Ablauf der Vorsichtung. SK – Sichtungskategorie. (Aus BBK und


DGKM 2009, S. 236.)

„Sichtung“ und „Triage“

Der Begriff „Triage“ (französisch: „triage“, zu „trier“: auslesen, sortieren)


wird den Vorgang des Sortierens von Kaffeebohnen sowie für das Eintei -
len von Verletzten nach der Schwere ihrer Verletzungen verwendet (zum
Begriff „Triage“ s. auch [3]). Das Wort „Sichtung“ macht besser deutlich,
dass der Patient gesehen wird, und zwar vom Arzt, der die Priorität und
Dringlichkeit der Behandlung festlegt. Daher ist man sich in Deutschland
im offiziellen Sprachgebrauch einig, von „Sichtung“ statt „Triage“ zu
sprechen.

Die Abkürzung „T4“ ist v. a. in Deutschland durch die sogenannte „Aktion


T4“, die systematische Ermordung von kranken und behinderten Men -
schen während der Zeit des Nationalsozialismus, historisch belastet. Die
Organisation zur sogenannte „Vernichtung lebensunwerten Lebens“
wurde auf Erlass Hitlers vom 01.09.1939 in der Tiergartenstraße 4 in Berlin
eingerichtet und bestand dort bis 1941. Die sogenannte „Aktion T4“ wur-
de damals nach einer Predigt des Bischofs von Münster, Clemens August
(Kardinal) von Galen, offiziell beendet, jedoch insgeheim fortgesetzt.

Immer wieder wird die Bezeichnung „Hoffnungslose“ für die Verletzten


der Sichtungsgruppe IV verwendet. Die Bezeichnung ist jedoch falsch,
da Hoffnung nicht von außen auf das Individuum einwirkt, sondern eine
innere Seelenhaltung des Verletzten oder Erkrankten ist. Die Hoffnung
des Schwerstverletzten kann auch noch positiv sein, selbst wenn die Pro -
gnose, objektiv betrachtet, äußerst ungünstig ist. Schließlich verstößt
die Bezeichnung auch gegen das oberste Gebot des Ehrenkodex der Rot-
Kreuz-Organisationen und der weiteren Hilfsorganisationen, die Men -
schenwürde zu respektieren und nicht von Hoffnungslosen zu sprechen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 89
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.3.3 Aufklärung und Einverständnis mit der


Behandlung
Vor der Durchführung von ärztlichen Maßnahmen ist eine eingehende Infor-
mation des einwilligungsfähigen Patienten unabdingbar; das gilt grundsätz-
lich auch unter Katastrophenbedingungen. Andernfalls erfüllt der Arzt den
Tatbestand der Körperverletzung. Zumindest auf ein noch so kurzes Aufklä-
4

rungsgespräch (mit Kurzdokumentation) darf nicht verzichtet werden, wohl


aber unter diesen Bedingungen auf die ausführliche Schriftform. Schwerver-
letzte der Sichtungsgruppe IV sind häufig nicht ansprechbar bzw. nicht ge-
schäftsfähig. Hier obliegt es dem Arzt, in verantwortlicher Stellvertreterfunk-
tion der „Schutzbefohlenen“ für die Maßnahmen die volle Verantwortung zu
tragen. Der humanitäre Auftrag gebietet es, dass sobald wie möglich mit ei-
nem Angehörigen gesprochen wird, um die medizinischen Erfordernisse auch
nachträglich zu erklären und die gewünschten Informationen zu erteilen.

Dieser unter dem englischen Slogan „informed consent“ für die Ärzteschaft
seit 1964 bindende Nürnberger Verhaltenskodex und die fortgeschriebene
Deklaration von Helsinki aus dem Jahre 1984 sind eine Folge von und Reak-
tion auf erschreckende Vorgänge im menschlichen Umgang während des
Zweiten Weltkrieges.

4.3.4 Wahrung des Patientengeheimnisses und


Datenschutz
Der ärztliche Eid des Hippokrates (460–377 v. Chr.) ist die älteste ethische
Standesordnung eines Berufsstandes überhaupt. Eine wesentliche Forde-
rung ist die Wahrung des Patientengeheimnisses.

Eid des Hippokrates

„Was ich etwa sehe oder höre im Lauf der Behandlung oder auch außer-
halb der Behandlung über das Leben von Menschen, was man auf keinen
Fall verbreiten darf, will ich für mich behalten, in der Überzeugung, dass
es schändlich ist, über solche Dinge zu sprechen.“ (Lichtenthaeler 1984).

In diesem Zusammenhang muss man über Sichtungskarten/Verletztenan-


hänger nachdenken. Auf ihr werden die Ergebnisse der Sichtung und die
Sichtungsgruppe sowie die Personalien vermerkt (s. Abb. 4-4, weitere Bei-
spiele s. Kap. 4.8.5). Die Karte wird am Patienten befestigt und dient als Infor-
mation für das Patientenleitsystem, d. h. die weiteren Stationen der Behand-
lung und des Transportes bis in das Zielkrankenhaus.

90 Leitfaden Katastrophenmedizin
Die offen lesbaren Daten stellen im Grunde einen Verstoß gegen die Regeln
des Datenschutzes dar, der unter den erschwerten Bedingungen einer Kata-
strophe geduldet wird. Daher ist es von erheblicher Wichtigkeit, diese Infor-
mationen vor Missbrauch zu schützen.
Aktuell gibt es Studien zur elektronischen Registrierung von Sichtungsda-
ten beim Patienten, wobei allerdings eine geeignete Energieversorgung im
Katastrophengebiet gegeben sein muss.

4
4.3.5 Sichtung unter CBRN-Bedingungen
[12–14, 18, 19]
Unter CBRN-Bedingungen ist eine Sichtung der Verletzten/Erkrankten zu-
nächst nur eingeschränkt möglich. Die angelegte Schutzbekleidung und
erschwerte Möglichkeiten der Basisdiagnostik behindern die Einschätzung
des Patientenzustandes.

Abb. 4-4 Patientenleitsystem (PLS) mit reflektierendem Aufkleber, der auf Dis-
tanz Hinweis geben soll auf Kontamination (Nach B. Hersche, A-Sonntagberg).

Abhängig vom vorliegenden Gefahrenstoff sollte am Schadensort, vor Sichtung


und Behandlung (an der Verletztenablage, spätestens jedoch am Eingang des
Behandlungsplatzes und/oder eines Krankenhauses) eine Dekontamination
aller Verletzten/Erkrankten erfolgen. Die ausgebrachten Gefahrenstoffe sollte

Leitfaden Katastrophenmedizin 91
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

schnellstmöglich analysiert werden, damit der Dekontaminationsprozess zügig


und effektiv durchgeführt werden kann. Gegebenenfalls sind vorab als dringen-
de Hilfsmaßnahmen sogenannte Spotdekontaminationen9 anzuwenden.

Im Notfallplan der Kliniken sind für die Aufnahme von Verletzten/Erkrank-


ten beim MANV/MANI oder im Katastrophenfall unter CBRN-Bedingungen
(im Hinblick auf Selbsteinweiser oder eingeschränkte Dekontaminationska-
4

pazität) entsprechende Regelungen zu treffen, die eine effektive Dekontami-


nation am Krankenhauseingang bzw. vor dem Sichtungsplatz des Kranken-
hauses ermöglichen und damit eine Kontaminationsverschleppung in die
Klinik ausschließen. Dazu sind geeignete Kräfte und Mittel aus den eigenen
Reihen oder mit externer Unterstützung zu planen [16].

4.3.6 Sichtung bei Explosions- und Schuss-


verletzungen
Bei einem Massenanfall von Verletzten mit Explosions- und Schussverlet-
zungen sind, abweichend von anderen Szenarien, v. a. polizeiliche Sicher-
heitsmaßnahmen und kriminaltechnische Spurensicherung vorrangig. Sie
können den Ablauf der dringlichen rettungs- und notfallmedizinischen Maß-
nahmen zu Ungunsten der Betroffenen beeinträchtigen und verzögern.

Da es sich meist um perforierende Verletzungen handelt und auch eine er-


höhte Gefahrenlage besteht [19], sollte die Vor-Ort-Zeit der Erstversorgung
situationsadaptiert nicht länger als 10 Minuten betragen. Also ist die Taktik
„load and treat“ gegenüber „stay and treat“ zu bevorzugen. In Israel wird als
weitere Formulierung, die Zweitanschläge berücksichtigt, das Idiom „safe –
save and go“ verwendet.

Bitte beachten

Möglichkeit eines Folgeanschlags!

Die Verletzungsmuster ( Checkliste F) unterscheiden sich grundlegend


von denen nach konventionellen Traumen [10]. Bei Bombenexplosionen wer-
den typische Verletzungen beobachtet, die wie folgt klassifiziert werden:
ƒ Primäre Explosionsverletzungen durch die Druck-Schockwelle
ƒ Sekundäre Explosionsverletzungen durch Fragmente und Splitter

9 Vorgezogene punktuelle Dekontamination von Körperstellen oder -teilen, um eine Inkorporation


während der Notfallversorgung zu verhindern (s. Rahmenkonzept zur Dekontamination verletzter
Personen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Zentrum Katastrophenmedizin im BBK 2006).

92 Leitfaden Katastrophenmedizin
ƒ Tertiäre Explosionsverletzungen durch den Anprall der Opfer an Gegen-
stände oder durch den Sturz auf den Boden
ƒ Quartäre Explosionsverletzungen durch Hitze, Feuer oder Giftstoffe und
auch durch Trümmer
ƒ Ggf. zusätzliche Kontaminationen durch gezielt eingesetzte kontaminierte
Personen (Selbstmordanschläge) oder Fragmente von Bombenfüllungen

4
4.3.7 Ethische Aspekte der Sichtung [1, 3]
Das Durchführen der Sichtung in einer Ausnahmesituation (MANV/MANI/Kata-
strophe), die aus dem Alltagsleben nicht bekannt ist, wirft eine Reihe ethischer
Fragen auf. Ärzte, Schwestern, Rettungsassistenten, Rettungssanitäter und wei-
tere Helfer im Katastrophen- sowie Zivilschutz haben auf diese Fragen mit einer
adäquaten Antwort bzw. Verhaltensweise in einer außergewöhnlichen Lage zu
reagieren. Darauf sind sie während ihrer Qualifizierung vorzubereiten.

Die hohen ethischen Herausforderungen lassen sich im Katastrophenfall nur


in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung lösen und rechtfertigen. Un-
sere demokratische Gesellschaft ordnet individuellen Persönlichkeitsrechten
grundlegende Bedeutung zu und stellt insofern die individuelle persönliche
Freiheit als Rechtsgrundsatz in den Kontext gesellschaftlicher Wirklichkeit.

Im Katastrophenfall gilt hingegen ethisch als akzeptiert, dass die Interessen


des Individuums in denen der Gesellschaft, des Betroffenenpools (in Sinne eines
Ex-ante-Konsens, vgl. Lübbe 2006) aufgehen. In diesem Sinne erklärt der Welt-
ärztebund in seinem Statement zur Ethik im Katastrophenfall im Jahre 1994:

„Under disaster condition it is agreed to abandon one’s commitment of treat-


ment of a single person in favour of stabilising vital function of many pa-
tients! [...] It is unethical for a physician to persist, at all costs, at maintaining
the life of a patient beyond hope, thereby wasting to no avail scarce resources
needed elsewhere.”

(„Unter Katastrophenbedingungen gilt als vereinbart, seine Verpflichtung


zur Behandlung einer einzelnen Person zu Gunsten der Stabilisierung der
vitalen Funktionen vieler Patienten aufzugeben. […] Es ist nicht ethisch für
einen Arzt, beharrlich um jeden Preis das Leben eines Patienten mit aussicht-
loser Prognose aufrecht zu erhalten und dabei knappe Ressourcen unnütz zu
vergeuden, die anderswo dringend benötigt werden.“)

Leitfaden Katastrophenmedizin 93
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.4 Einsatztaktik beim Transport


Verletzter/Erkrankter unter
katastrophenmedizinischen
Einsatzbedingungen
Mit Blick auf internationale Erfahrungen (z. B. „run and play“-Verfahren im
4

Kontext einsatztaktischer Optimierungslösungen der Klinikzuweisungen


in Israel) erscheint es für das Zeitintervall bis zur Einsatzbereitschaft des Be-
handlungsplatzes zweckmäßig, flexible Lösungen mit schnellstmöglichem
gezielten Abtransport statt längerer örtlicher Stabilisierungsbemühungen
zu praktizieren. Wie so häufig empfiehlt sich damit in der fachlichen Diskus-
sion beider Dogmen „scoop and run“ oder „stay and play“ (schneller Abtrans-
port versus stabilisierender invasiver Behandlung am oder in der Nähe des
Einsatzortes) als effizientester Weg ein katastrophenmedizinisch und tak-
tisch untersetzter Paradigmenwechsel im Einsatzverfahren:
ƒ Phase I (Initialphase der Schadensbekämpfung bis zur Einsatzbereitschaft
des lokal vorgesehenen Behandlungsplatzes): scoop and run
ƒ Phase II (Einsatzbereitschaft des Behandlungsplatzes): stay and play

Die Entscheidung zum Paradigmenwechsel treffen LNA und OrgL gemein-


sam. Begleitend sind zeitoptimierende Verfahren der Verteilungslogistik
gegenüber den Zielkliniken anzuwenden. Erste positive Erfahrungen (z. B.
Katastrophenschutzkonzept der Stadt Frankfurt am Main) sollten in diesem
Zusammenhang fortentwickelt werden (s. dazu auch Kap. 4.7.2).

4.5 Der Behandlungsplatz


4.5.1 Der Behandlungsplatz 25/50
In Großschadensfällen und Katastrophen (Versorgungsstufe II bis IV) be-
darf es – ab einer regional unterschiedlich festzulegenden Betroffenen-
zahl – einheitlicher und fest definierter Strukturen, die eine normative Be-
handlungskapazität gewährleisten können. Für diese Aufgabe haben sich
inzwischen bundesweit Behandlungsplätze mit grundsätzlich einheitlichen
Strukturen etabliert, die (gemäß ihrer Bezeichnung, z. B. BHP 25 oder BHP 50)
einer bestimmten Anzahl Verletzter/Erkrankter je Stunde medizinische Hil-
feleistung, Betreuung und Verpflegung sichern.

94 Leitfaden Katastrophenmedizin
Die Struktur eines BHP 50 ermöglicht die medizinische bzw. betreuende
Versorgung von 50 Verletzten/Erkrankten (in der Verteilung 20 : 10 : 20
entsprechend der Sichtungskategorien I : II : III) innerhalb einer Stunde.
Ein BHP 50 wird von etwa 130–140 Einsatzkräften (Verbandsstruktur) auf-
gebaut und betrieben. Der Raumbedarf liegt bei etwa 1 500–2 000 m2.
Etwa 40 Fahrzeuge gelangen zum Einsatz. Der Materialvorrat sollte für
etwa 100 Betroffene und die Gesamteinsatzdauer des BHP 50 von 8 h (bis

4
zu einer Ablösung/Auffrischung) berechnet sein.10

Katastrophenplanungen folgen einerseits allgemeingültigen bundesweiten


Regelungen, andererseits jedoch ebenso lokalen Spezifika. In Verantwortung
der jeweiligen unteren Katastrophenschutzbehörden und den sie beratenden
Ärzten für den Katastrophenschutz müssen lokal durchgeführte, realistische
(d. h. kurzfristig zu bekannten Problemzeiten anberaumte) Übungen Aussa-
gen treffen, innerhalb welchen Zeitraumes die jeweiligen Behandlungsplät-
ze durch welche Kräfte und Mittel zu realisieren sind. Nach allen bisherigen
Erfahrungen ist auch im besten Fall nicht zu erwarten, dass die Behandlungs-
plätze in weniger als 1,5 h in vollem Umfang einsatzbereit sind. In diesem Zeit-
raum bewegen sich die lokalen Rettungsdienstkräfte (Versorgungsstufe I)
bereits an ihrer Kapazitätsgrenze und es stehen darüber hinaus lediglich klei-
nere Einheiten, etwa SEG oder Kräfte aus den jeweiligen MANV-Planungen
(Versorgungsstufe II), nach etwa 30–45 min zur Verfügung – sofern sie sich
nicht bereits wegen Doppelverwendung im Einsatz befinden! Regelrechte
katastrophenmedizinische Rettungs- und Behandlungsverläufe erscheinen
unter diesen Bedingungen einigermaßen zweifelhaft. Gerade jedoch wäh-
rend dieser Phase „rinnt uns das Leben der Patienten (Golden Hour of Shock)
einfach durch die Hände!“ (Dr. med. U. Schneppenheim, 06.01.2010).

4.5.2 Militärmedizinische Behandlungsplätze


Im militärmedizinischen Bereich werden Behandlungsplätze (hier Rettungs-
stationen genannt) unterschiedlicher Größe eingesetzt. Die Gliederung folgt
sowohl notfallmedizinischen Gesichtspunkten (Behandlungsplätze in Nähe
des versorgungsgefährdeten Konfliktraumes für Notversorgungen) als auch
taktischen Grundsätzen (Behandlungsplätze auf Batallions-, Regiments- und
Divisionsebene mit Möglichkeiten klinischer Spezialversorgung).

Die Bundeswehr handelt nach dem Grundsatz, verletzte/erkrankte Soldaten


nach einer Stabilisierung in einer dem Einsatzgebiet naheliegenden Behand-
lungseinrichtung zügig einem Bundeswehrkrankenhaus (mit Maximalver-

10 Weitere Informationen zu Aufbau und Struktur eines Behandlungsplatzes siehe beiliegende CD-ROM.

Leitfaden Katastrophenmedizin 95
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

sorgung) in der Heimat zuzuführen, dies notfalls auch mit Hilfe von (Inten-
siv-)Verlegungen auf dem Luftwege (MEDEVAC11).

Weitere Informationen zu den verfügbaren Kräften und Mitteln des Sanitäts-


dienstes der Bundeswehr sind im „Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfe-
leistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen, besonders schweren Un-
glücksfällen und im Rahmen der dringenden Nothilfe“ zu finden (s. beiliegende
4

CD-ROM, zum Aufbau einer Rettungsstation s. Anlage 17 des Handbuches).

4.6 Katastrophenmedizin und Kritische


Infrastrukturen
Schadenslagen betreffen in unterschiedlich starkem Maße immer auch Kri-
tische Infrastrukturen12. Damit ist von – zumeist eskalierenden – Sekundär-
wirkungen auszugehen, welche auch die dem jeweiligen Helfer vertraute
Infrastruktur und damit die seinen Einsatz gewährleistenden Rahmenbe-
dingungen stören können. Kritische Infrastrukturen bedürfen eines beson-
deren Schutzes und Schutzverständnisses auch in der Bevölkerung, da es sich
um essenzielle Bestandteile des öffentlichen Gemeinwesens handelt.

Wenngleich katastrophenmedizinische Maßnahmen zunächst im geplanten


relativ autarken Rahmen der Katastrophenschutzeinsatzkräfte zu realisieren
sind, könnte ein Ausfall Kritischer Infrastrukturen (z. B. Elektroenergie, Was-
ser, Kommunikation, Transportorganisation etc.) dennoch in den Kliniken,
bei Behörden und deren Führungseinrichtungen sowie in der Versorgung
der Bevölkerung zu erheblichen und teils empfindlichen Störungen führen.

Bitte beachten

Es gilt, den jeweiligen Verantwortungsbereich einer Organisation auf An-


fälligkeit gegenüber Störungen Kritischer Infrastrukturen zu untersuchen
und geeignete Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit zu
treffen!

11 Medical Evacuation (Med Evac) bzw. Medizinische Evakuierung (MEDEVAC) bezeichnet den Abtransport
verletzter Personen aus unsicheren Gebieten oder die Verbringung derselben in qualifizierte medizinische
Versorgung. Dies kann sowohl über Land oder See oder aber mittels Lufttransport (AirMedEvac) erfolgen.
12 Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei
deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Stö-
rungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (z. B. Ener-
gie, Transport/Verkehr, Versorgung, Behörden/Verwaltung, Informationstechnik, Gefahrenstoffe,
Finanzdienstleister/Versicherungen, Medien/Wissenschaft/Kultur). Weitere Informationen siehe
„Schutz Kritischer Infastrukturen“ unter dem Menüpunkt „Themen“ auf www.bbk.bund.de.

96 Leitfaden Katastrophenmedizin
4.7 Die Krankenhäuser in der Notfall-
und Katastrophenmedizin [15, 16]
4.7.1 Vorbereitung von Krankenhäusern auf
Havarien und Großschadenslagen
Die Krankenhausplanungen der Länder definieren (länderspezifisch) Versor-

4
gungsstufen, die nicht mit den hier zuvor beschriebenen Versorgungsstufen
des Bundes (gemäß neuer Strategie im Bevölkerungsschutz) identisch sind.
Diese Versorgungsstufen beschreiben die Stellung eines Allgemeinkranken-
hauses (Fachkliniken sind i. d. R. nicht erfasst) im Krankenhausbedarfsplan
des jeweiligen Bundeslandes auf der Grundlage individualmedizinischer
Aspekte. Im Einzelnen werden unterschieden:
ƒ Krankenhäuser der Versorgungsstufe 1 leisten einen Beitrag zur Grund-
versorgung der Bevölkerung. Abteilungen der Fachrichtungen Innere
Medizin und Chirurgie werden zumeist alternativ, im Einzelfall auch ge-
meinsam vorgehalten. Belegärzte ergänzen das Profil.
ƒ Krankenhäuser der Versorgungsstufe 2 stellen die Grundversorgung
(im Sinne einer Regelversorgung) sicher. Sie müssen die Fachrichtungen
Chirurgie und Innere Medizin vorhalten, entsprechend des Bedarfs auch
die Fachrichtungen HNO, Augenheilkunde, Gynäkologie/Geburtshilfe
und Radiologie sowie in besonderen Einzelfällen auch Urologie und
Orthopädie.
ƒ Krankenhäuser der Versorgungsstufe 3 erfüllen in Diagnose und Therapie
auch überörtliche Schwerpunktaufgaben (und werden daher in manchen
Bundesländern Krankenhäuser der Schwerpunkt- oder Zentralversor-
gung genannt). Krankenhäuser der Schwerpunktversorgung unterhalten
mindestens eine Abteilung für Innere Medizin, getrennte Abteilungen für
Unfallchirurgie und Viszeralchirurgie sowie Radiologie und Anästhesie.
Sofern ein entsprechender Bedarf festgestellt wird, können neben den
Fachrichtungen der zweiten Versorgungsstufe auch Pädiatrie, Neurologie
und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vorgehalten werden.
ƒ Krankenhäuser der Versorgungsstufe 4 müssen im Rahmen des Bedarfs
mit ihren Leistungsangeboten über die Angebote der dritten Versorgungs-
stufe wesentlich hinausgehen. Universitätskliniken und Berufsgenossen-
schaftliche Unfallkliniken (BG-Krankenhäuser) nehmen zumeist diese
Aufgabe wahr. Sie stehen nach Möglichkeit in sogenannten Oberzentren
zur Verfügung. Teilweise wird auch der Begriff „Traumacenter Level 1“ ver-
wendet.

Neben diesen in den Versorgungsstufen erfassten Krankenhäusern haben


sich Fachkrankenhäuser auf bestimmte Indikationen spezialisiert. Auch exis-
tieren bundesweit noch sogenannte von den Kreisverwaltungsbehörden nach

Leitfaden Katastrophenmedizin 97
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Gewerbeordnung konzessionierte kleinere Krankenanstalten mit besonderer


Spezialisierung oder Dienstleistungen im Bereich der Rehabilitation.

Auf der Grundlage landesgesetzlicher Regelungen haben sich alle im Landes-


krankenhausplan integrierten Krankenhäuser (der Versorgungsstufen 1–4)
mithilfe sogenannter Alarm- und Einsatzpläne sowohl auf interne Scha-
densereignisse und Notfälle (z. B. Havarien) als auch auf eine Ausweitung ih-
4

rer Aufnahme- und Behandlungskapazität zur Bewältigung externer Notfälle


vorzubereiten [16]. Dabei gilt es, alle notwendigen materiellen als auch perso -
nellen und organisatorischen Vorkehrungen zu treffen – dies möglichst unter
Einbezug und in Abstimmung mit den Rettungsdiensten und der Feuerwehr.
Bundesweit stehen wenige gute Insellösungen in besonders engagierten
Regionen nur zu oft praxisuntauglichen Planskizzen gegenüber, deren Rea-
lisierbarkeit zudem nur in Ausnahmefällen durch entsprechende Übungen
hinterfragt wird. Hier gilt es schnellstmöglich mit geeigneten Instrumenten
Abhilfe zu schaffen!

Darüber hinaus sollte sich auch jeder Klinikmitarbeiter auf derartige Ereig-
nisse vorbereiten ( Checkliste K).

Die nicht im Landeskrankenhausplan integrierten Krankenhäuser haben


lediglich planerische Vorkehrungen für interne Schadensereignisse und
Notfälle zu treffen.

Erfahrungen aus Katastrophenereignissen (beispielsweise der Elbeflut


2002) zeigen, dass Krankenhäuser aller Versorgungsstufen sowohl von den
Katastrophenereignissen selbst betroffen sein können als auch die Bewäl-
tigung größerer Verletzten-/Erkranktenzahlen gewährleisten müssen. In
derartigen Situationen müssen umsichtige und vorausschauende Entschei-
dungen getroffen werden, auf deren Grundlage die Verletzten-/Erkrankten-
ströme aus dem Schadensgebiet und den ggf. zu evakuierenden Einrichtun-
gen gelenkt werden [15]. Die zur Bewältigung der Katastrophe aufgestellten
Führungsstäbe (Katastrophenschutzstäbe) sollten sich bei der Entschei-
dungsfindung von Vertretern der Gesundheitsbehörden und Fachberatern
beteiligter Einrichtungen und Organisationen unterstützen lassen.
Darüber hinaus hat sich z. B. bei der Elbeflut ein erheblicher Mangel an
Pflegekapazität für evakuierte Patienten mit chronischen Erkrankungen,
Patienten im Rekonvaleszenzstadium und mit geriatrischem Hintergrund
gezeigt. Diesem Pflegekapazitätsbedarf konnte nur annähernd durch kurz-
fristige Ausweitung materieller und personeller Ressourcen in Alten- und
Pflegeheimen entsprochen werden. Eine entsprechende Vorbereitung und
Planung auch dieser Einrichtungen ist dringend zu empfehlen!

98 Leitfaden Katastrophenmedizin
Ökonomischer Druck und relativ seltene Großschadensereignisse/Katastro-
phen limitieren den örtlichen Ressourcenvorhalt im Bereich der Kranken-
häuser und pflegerischen Einrichtungen erheblich. Der massive Einsatz von
Transportkapazität (zur Bewältigung umfangreich notwendigen Patien-
tentransfers) vermag – sofern vorhanden – die möglicherweise entstehenden
Behandlungs- und Pflegekapazitätsengpässe nur bedingt auszugleichen.

4
4.7.2 Patiententransfer und „Nahtstelle“
Krankenhaus unter katastrophen-
medizinischen Einsatzbedingungen

Verletzte und Erkrankte gelangen nach allen bisherigen Erfahrungen auf


unterschiedlichen Wegen vom Schadensort (sofern dieser sich als solcher
genau definieren lässt, vgl. Flächenlagen wie Pandemie) zum Krankenhaus.
Während großer Punktlagen (wie z. B. ICE-Unglück in Eschede, 3. Juni 1998;
Explosion in Enschede, 13. Mai 2000) ist insbesondere in den ersten 30–60
min mit einem erhöhten Aufkommen von Verletzten/Erkrankten zu rech-
nen, die sich selbst in die nächste geeignete Klinik einweisen. Diese Gruppe
kann von den sich noch im Aufbau befindlichen Strukturen am Schadensort
(Verletztenablage/Behandlungsplatz) nicht mehr erfasst werden, hat mögli-
cherweise in Selbst- oder gegenseitiger Hilfe Transportmittel gefunden und
gelangt damit bis zur nächstgelegenen Klinik. Damit sind zunächst aus tak-
tischer Sicht alle dem Schadensort nahe gelegenen Kliniken (bis zur Lagefest-
stellung durch die zuständige Leistelle) als blockiert zu betrachten.

Mit Wirksamkeit von Kräften und Mitteln der Versorgungsstufen II und III am
Schadensort werden Verletzte/Erkrankte sowohl hinsichtlich ihrer Verletzun-
gen als auch ihrer persönlichen Daten erfasst, medizinisch erstversorgt und
planmäßig in geeignete Kliniken verbracht ( Checkliste J). Die Koordinie-
rung dieser Patientenströme obliegt vor Ort (auf der Grundlage ärztlicher Sich-
tungsergebnisse und Anweisungen des LNA) dem OrgL und koordinierend der
zuständigen Rettungsleitstelle bzw. den inzwischen einsatzbereiten örtlichen
Führungseinrichtungen des Katastrophenschutzes (s. Kap. 4.4, [15]).

Verletzte und Erkrankte der Sichtungskategorie I müssen möglicherweise in


einer Klinik der Grundversorgung stabilisiert werden, bevor sie in eine Klinik
der Maximalversorgung transportiert werden können. Die Rettungs-/Inte-
grierten Leitstellen sorgen in diesem Zusammenhang für eine permanente
Aktualisierung ihrer Übersichten zu speziellen Behandlungskapazitäten (z. B.
Bettenkapazitäten in Brandverletzten- oder Infektionskliniken bzw. -zentren).

Leitfaden Katastrophenmedizin 99
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Bitte beachten

Im Interesse einer reibungslosen Verletzten-/Erkrankten-Verteilungslogistik


bedarf es ausfall- und störungssicherer Kommunikationssysteme. In den
Notfallplänen der Krankenhäuser ist der Gewährleistung sowohl technischer
wie auch organisatorischer Ausfallsicherheit der Kommunikationssysteme,
4

im klinikinternen Netz wie auch nach extern, besondere Aufmerksamkeit


zu widmen. Bei Ausfall technischer Systeme müssen ggf. Meldersysteme als
Rückfallebene geplant und einsatzbereit (d. h. in Übungen bereits erprobt)
vorhanden sein (s. auch Kap. 4.8.3).

4.7.3 Krankenhaus im Großschadens- und Kata-


strophenfall unter CBRN-Bedingungen [16, 18]
Krankenhäuser sollten u. a. die Versorgung CBRN-kontaminierter Patienten
in ihrer Notfallplanung berücksichtigen [16, 18]. Um nicht die gesamte Klinik
zu kontaminieren, sind geeignete Dekontaminationseinrichtungen der klini-
schen Eingangssichtung voranzusetzen. Schleusensysteme verhindern die wei-
tere Verteilung schädlicher Agenzien im gesamten Krankenhaus bestmöglich.

Die Dekontaminationseinrichtungen werden entweder von den Kliniken


selbst vorgehalten und betrieben (Beispiele: Berlin, Frankfurt) oder die Leis-
tung wird durch andere Organisationen (Feuerwehr, Hilfsorganisationen etc.)
bereitgestellt.

Klinikeigene Dekontaminationskräfte sind entsprechend auszurüsten und


im Umgang mit der Persönlichen Schutzausrüstung zu schulen. Die Ein-
satzbereitschaft der internen oder externen Dekontaminationskräfte muss
durch regelmäßige (unangekündigte) Übungen überprüft werden. An ent-
sprechend eingewiesenes und ausgestattetes Sicherheitspersonal bzw. an
Polizeikräfte ist hier ebenfalls zu denken.

100 Leitfaden Katastrophenmedizin


4.8 Logistik, Bevorratung und
Dokumentation
4.8.1 Bevorratung von Sanitätsmaterial, Geräte -
technik, Hygienematerial und Arzneimit-
teln (Notfall- und Katastrophenpharmazie)

4
Die Grundlagen der Katastrophenpharmazie finden sich in den Kapiteln [17]
und [30].13

Bevorratungen in diesem Bereich lassen sich in Bevorratungen des Zivil- und


Katastrophenschutzes (Träger der Einheiten und kommunale Vorhaltungen)
und der Krankenhäuser (Träger der Krankenhäuser/kommunale Bevorratung)
einteilen.

Gemäß den Versorgungsstufen der neuen Strategie für den Bevölkerungs-


schutz sind demnach zu unterscheiden:

ƒ Versorgungsstufe I (flächendeckender, normierter Schutz durch Ret-


tungsdienste, Feuerwehr u. a. gegen alltägliche Gefahren; verantwortlich
für Gewährleistung: Landkreise, kreisfreie Städte)
• Bevorratungen der Rettungsdienste gemäß den lokal gültigen Medi-
kamentenlisten der jeweiligen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (mit
erheblichen Unterschieden zwischen den Rettungsdienstbereichen
bereits innerhalb eines Bundeslandes); Umfang der Bevorratung: aus-
reichend für etwa 4 Wochen bei ortsüblichem Verbrauch
• Bevorratungen des Trägers des Rettungsdienstes, wenn von diesem zentral
für alle Rettungswachen seines Bereiches vorgehalten (realisiert in man-
chen Rettungsdienstbereichen der Berufsfeuerwehr); ähnliches Volumen
• Bevorratungen der Kliniken im jeweiligen Landkreis/der kreisfreien
Stadt (Klinikversorgungsstufen 1–3)

ƒ Versorgungsstufe II (flächendeckender, standardisierter Grundschutz


gegen nicht alltägliche, aber in der Regel mit den vorhanden Kräften be-
herrschbare, Schadenslagen [MANV]; verantwortlich für Gewährleistung:
Landkreise, kreisfreie Städte)
• Bevorratungen im Rahmen von MANV-Plänen der Landkreise/kreis-
freien Städte („MANV-Pakete“ mit Arzneimitteln und Sanitätsmaterial);
Versorgung von 500 Verletzten Bevorratungen der Kliniken im jeweili-
gen Landkreis/der kreisfreien Stadt (Klinikversorgungsstufen 1–4)

13 Siehe auch Leitfaden Notfall- und KatastrophenPharmazie unter www.katpharm.de.

Leitfaden Katastrophenmedizin 101


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

• Bevorratungen der Kliniken im jeweiligen Landkreis/der kreisfreien


Stadt (Klinikversorgungsstufen 1–4)

ƒ Versorgungsstufe III (dauerhaft erhöhter lokaler oder regionaler Spezial-


schutz für Einrichtungen, Lokalitäten und Regionen mit deutlich erhöhtem
Risiko und der Notwendigkeit zur deutlich erhöhten oder speziellen Res-
sourcenvorhaltung; verantwortlich für Gewährleistung: Bundesländer)
4

• Bevorratungen des Landes/der Landkreise/kreisfreien Städte mit Arz-


neimitteln und Sanitätsmaterial im Rahmen der Einsatzbereitschaft
landeseinheitlicher Katastrophenschutzeinheiten, insbesondere der
Arbeitsfähigkeit von Behandlungsplätzen 25 und 50
• Bevorratungen der Kliniken im jeweiligen Bundesland (Klinikversor-
gungsstufen 1–4)
• Bevorratungen von Hilfsorganisationen und anderen im Bevölkerungs-
schutz mitwirkenden Organisationen/Einrichtungen (verfügbare Ei-
genbestände für den Zivil- und Katastrophenschutz)14

ƒ Versorgungsstufe IV (ausgewiesener Sonderschutz durch exklusive spezi-


elle operative Vorhaltung [Task Forces] und Infrastruktur [Kompetenzzen-
tren] für von Bund und Ländern gemeinsam festgelegte außergewöhnliche
Gefahren- und Schadenslagen; verantwortlich für Gewährleistung: Bund)
• Bevorratungen des Bundes im Rahmen der Arbeitsfähigkeit von Medi-
zinischen Task Forces, insbesondere für den BHP 50, der von den MTF
aufgebaut wird
• Bevorratungen der Kliniken im jeweiligen Bundesland (Klinikversor-
gungsstufen 3 und 4)

Reserven und Bevorratungen lassen sich nur innerhalb der genannten Ver-
sorgungsstufen-Strukturen darstellen.

Eine Möglichkeit zur Effizienzsteigerung bei der Reservenplanung/dem


Reserveneinsatz stellen (zumindest) landesweit vereinheitlichte be -
darfsorientierte Vorhaltungen in Analogie zu den Verbrauchsmitteln im
Rettungsdienst dar. Gemeinsame oder zentrale Beschaffungen lassen
Einsparungseffekte erschließen. Weiterhin sollten erfahrene Apotheker
und Notärzte (etwa über deren Arbeitsgemeinschaften) an der landes-
weiten Erstellung einheitlicher Übersichten mitwirken und gemeinsam
mit Behörden/Organisationen Reservenvolumen festlegen.

14 Hilfsorganisationen und private Unternehmer haben sich gemäß EU- und Ländergesetzgebung
und ihres Rettungsdienstmodells (Submissions- oder Konzessionsmodell) dem Wettbewerb in re-
gelmäßigen Ausschreibungsverfahren zu stellen. Da sie zumeist (in unterschiedlichem Umfang)
Katastrophenschutzleistungen – sowohl im Rahmen staatlicher Beauftragung als auch in eigener
Zusatzleistung – dem Gemeinwesen zur Verfügung stellen, kann die Verfügbarkeit der Leistungen
beim Unterliegen des jeweiligen Bieters ggf. nachträglich in Frage stehen!

102 Leitfaden Katastrophenmedizin


4.8.2 Verfügbare Transportkapazitäten
Der Vorhaltung von Transportkapazität ist in der Katastrophenplanung eine
besondere Bedeutung beizumessen. Entsprechende Kapazität wird für ver-
schiedene Transportaufgaben benötigt:
ƒ für den Transport von
• Einsatzkräften

4
• Betroffenen
• Materialien/Gerät der Einsatzkräfte
• Materialien/Gerät als Reserven
ƒ für Evakuierungen

Transportkapazitäten sind wie folgt verfügbar:

ƒ Versorgungsstufe I
• Personentransportkapazität für Verletzte/Erkrankte in der alltäglichen
Gefahrenabwehr (Land/Luft)
• Transportkapazität der Feuerwehren

ƒ Versorgungsstufe II (über Versorgungsstufe I hinaus)


• Transportkapazitäten im Rahmen von MANV-Plänen (z. B. SEG, zusätzli-
che Vorhaltungen von Organisationen und Einrichtungen, z. B. Hilfszug
des Deutschen Roten Kreuzes [DRK], Fahrdienste von Organisationen)
• Transportkapazitäten der Landespolizei

ƒ Versorgungsstufe III und IV (über Versorgungsstufe II hinaus)


• Transportkapazität der landeseinheitlichen Katastrophenschutzeinheiten
• im erklärten Katastrophenfall:
• Transportkapazität von THW und Bundespolizei (Land/Luft/See)
• Transportkapazität der Bundeswehr (Land/Luft/See)
• gemäß Katastrophenschutzgesetzgebung und Bedarf zur Hilfeleis-
tung herangezogene Transportkapazität von:
• Speditionen
• öffentlichen Verkehrsbetrieben
• Taxiunternehmen
• Lufttransportunternehmen
• weiteren privaten Eigentümern/Haltern von Transporttechnik
• Transportkapazität der Task Forces des Bundes

Die Abforderung von Transportkapazität erfolgt nach freiwilligem Angebot


oder im behördlichen Auftrag durch die gemäß Katastrophenschutzgesetz-
gebung verantwortlichen Behörden bzw. ihre Führungseinrichtungen. Im
Katastrophenfall erhalten entsprechende Sicherstellungsgesetze Gültigkeit.

Leitfaden Katastrophenmedizin 103


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Bitte beachten

Transportkapazität und die dazu notwendige Bereitstellung von Energieträ-


gern gelten als Kritische Infrastruktur und sind entsprechend zu schützen;
dies ist in den Katastrophenplanungen zu berücksichtigen (s. Kap. 4.6).
4

4.8.3 Kommunikation
Einsatzerfahrungen aus Großschadens- und Katastrophenereignissen der
Vergangenheit beschreiben häufig Kommunikationsprobleme, sowohl zwi-
schen den Kräften der Schadensbekämpfung untereinander wie auch ge-
genüber den Führungsstellen des Katastrophenschutzes.

Folgende Kommunikationsverbindungen müssen aus Sicht der katastro-


phenmedizinischen Schadensbekämpfung bestehen:
ƒ zwischen den Kräften, die im Schadensgebiet tätig sind
ƒ zur Rettungs- bzw. Sanitätseinsatzleitung
ƒ zur örtlichen TEL/örtlichen Abschnittsleitung
ƒ zu Kräften der Transportorganisation
ƒ zu Kräften mit Spezialaufgaben (z. B. Dekontamination)
ƒ zwischen den Stationen eines Behandlungsplatzes
ƒ zu Ordnungs- und Sicherheitskräften

Darüber hinaus sollten alle Kräfte der taktischen Lagebestimmung im Scha-


densgebiet, insbesondere wenn sich dieses großflächig darstellt, über Kommu-
nikationsmittel in Kontakt stehen. Dies betrifft auch die luftgestützten Kräfte.

Sofern die Kommunikation per Analogfunk (2-m-/4-m-Band) erfolgt, können


Kompatibilitätsschwierigkeiten (wie z. B. zwischen Behörden und Organisa-
tionen mit Sicherheitsaufgaben [BOS] und Bundeswehr) durch Nutzung zu-
sätzlicher Handfunkgeräte überwunden werden.

Die Kommunikation per Funktelefon in Großschadens- und Katastrophenla-


gen birgt ein hohes Risiko in sich, da es zur Überlastung oder zum Ausfall von
Netzverteilungsstrukturen kommen kann.

Digitalfunknetze gewährleisten (zukünftig) sowohl Sprach- als auch Daten-


austausch und stellen weitestgehend abhörsichere Kommunikationsver-
bindungen dar. Sie sind durch den erheblich höheren technischen Aufwand
dennoch störanfällig und durch die gegebene Netzarchitektur limitiert.

104 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Als Rückfallebene erscheinen der Aufbau und die durch Übungen erprobte Vor-
haltung eines Personen-Meldersystems empfehlenswert ( Checkliste C).
Kommunikationssysteme sind ebenfalls als Kritische Infrastrukturen einzu-
schätzen, entsprechend zu pflegen und redundant zu betreiben.

4
4.8.4 Schutz der Einsatzstrukturen vor örtlichen
Gefahren und Fremdgefahren [19]
Die Kräfte und Mittel der Gefahrenabwehr aller vier Versorgungsstufen sind
gegenüber den „neuen Bedrohungen“ (Naturgefahren, Terrorismus) als beson-
ders exponiert einzuschätzen. Im Besonderen gilt dies für Kräfte des Rettungs-
dienstes (Versorgungsstufe I), der Gefahrenabwehr bei einem MANV (SEG o. ä.
Strukturen; Versorgungsstufe II) und die Kräfte des Katastrophenschutzes
(Versorgungsstufen III und IV).

Feuerwehren sowie Polizei und Bundeswehr stehen zunächst durch ihre


Schutzausrüstung (umluftunabhängige Atemgeräte der Feuerwehr, Schutz-
anzüge, ggf. Bewaffung) aber auch taktisches Training und ihre tägliche Ein-
satzerfahrung den genannten Gefahren einigermaßen gerüstet gegenüber.

Es bedarf weiterer erheblicher Anstrengungen, die Kräfte des Rettungs-


dienstes und Katastrophenschutzes mit entsprechend effektiver und univer-
sell einsetzbarer Persönlicher Schutzausrüstung zu versehen und einsatz-
taktisch zu schulen.

Bitte beachten

Die Einführung eines persönlichen ABC-Selbsthilfe-Sets [31] könnte einen


ersten Schritt in Richtung einer notwendigen Verbesserung dieser Schutz-
ausrüstung darstellen. Darüber hinaus sind im Rahmen von Gefahren-
analysen, der betrieblichen Vorsorge und des Arbeitsschutzes weitere Aus-
rüstungsteile zu bestimmen.

Weitere Überlegungen zur Exposition von Kräften der Gefahrenabwehr wer-


den aus katastrophenmedizinischer Sicht in Kapitel [19] ausgeführt ( Check-
liste L).

Leitfaden Katastrophenmedizin 105


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.8.5 Registrierung und Dokumentation,


Aspekte der Datenverarbeitung und
des Datenschutzes aus katastrophen-
medizinischer Sicht
Zur einheitlichen Registrierung Verletzter/Erkankter bei einem MANV sowie
in Großschadens- und Katastrophenfällen bedient man sich der Verletzten-
4

anhängekarte (s. Abb. 4-5). Es handelt sich um ein Kartensystem, das neben
der Registrierung die Dokumentation der Verletzungen, der zugeordneten
Sichtungskategorie und der durchgeführten Maßnahmen ermöglicht.

Bei der Sichtung (s. auch Kap. 4.3) werden die Patientennummer15, die Sich-
tungskategorie (nominal und ggf. farblich16), der Name des untersuchenden
Arztes, die Uhrzeit, der Zustand des Verletzten/Erkrankten und eine erste
Kurzdiagnose (mit Hilfe von Ankreuzfeldern und stilisierten Körperdarstel-
lungen) auf der Verletztenanhängekarte vermerkt. Für die Medikation der
Ersttherapie sowie das notwendige Transportmittel und -ziel sind ebenfalls
Ankreuzfelder vorgesehen. Freitextfelder können für Bemerkungen und zu-
sätzliche Hinweise oder Präzisierungen medizinischer Angaben verwendet
werden.
a b c d

Abb. 4-5 Verletztenkartensysteme.


a Verletztenanhängekarte des Deutschen Roten Kreuzes (Abdruck mit freund-
licher Genehmigung des DRK-Generalsekretariats Berlin). b Sichtungskarte
der Feuerwehr von Tokyo. c Sichtungskarte der US-Armee (Foto: Christine
June, USAG Kaiserslautern). d Karte des Patientenleitsystems – Vorderseite.

15 Patientennummern werden vor Ort vom sichtenden Arzt/Rettungsassistenten vergeben und müssen
eine eindeutige Kennzeichnung der Patienten zum Ausschluss von Verwechslungen gewährleisten.
16 Hierbei steht rot für Kategorie I, gelb für II, grün für III, blau oder grau für IV und schwarz für verstorben.

106 Leitfaden Katastrophenmedizin


e f

4
Forsetzung Abb. 4-5 Verletztenkartensysteme.
e Sichtungskarte der Feuerwehr Hamburg (Abdruck mit freundlicher Genehmi-
gung der Feuerwehr Hamburg). f Triagekarte (Foto: Paramedics Worldwide).

Zur Registrierung Unverletzter (Betroffener) werden sogenannte Begleit-


karten oder Ausweis-/Bezugskarten verwendet.

Die häufig in Deutschland verwendete Verletztenanhängekarte des Deut-


schen Roten Kreuzes beinhaltet zusätzlich einen Formularsatz mit Such-
dienstkarte. Durchschläge werden ggf. dem Suchdienst zur Vermisstensu-
che übergeben. Dazu enthalten diese Formulare zusätzliche Informationen,
wie Name, Geburtsdatum, Wohnort, Fundort, Religion, Nationalität, Beson-
derheiten, Geschlechtsangabe, Transportziel und Verbleib.

In der Schweiz und in Österreich findet ein sogenanntes Patientenleitsystem


Anwendung. Palm- und/oder Chip-gestützte Dokumentationssysteme wer-
den teils regional routinemäßig eingesetzt, teils sind sie noch Gegenstand
wissenschaftlicher Studien.

Zur Datenerfassung Verletzter/Erkrankter sind in Deutschland zumeist die


Auskunftsbüros des DRK oder die Datenerfassungssysteme der Polizei autori-
siert, die zugleich den Suchdienst für die Suche vermisster Personen stellen.
Die Datenerfassung und insbesondere Datenverarbeitung personenbezoge-
nen Gesundheitsdaten sind nur im engen Rahmen der Bestimmungen des
Datenschutzgesetzes legitimiert. Damit sollte der Schutz personenbezogener
Daten auch bei einem MANV sowie in Großschadens- und Katastrophenfällen
gewährleistet sein. Eine Weiterverarbeitung personenbezogener Daten zu sta-
tistischen Zwecken und in der Katastrophenforschung ist nur im Rahmen der
Bestimmungen der jeweils landesspezifischen Datenschutzgesetze zulässig.

Leitfaden Katastrophenmedizin 107


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

4.9 Psychosoziale Aspekte katastrophen-


medizinischen Handelns [2, 7, 19]
Zunächst gilt es, das Handeln und die Befindlichkeit zweier Gruppen
in Großschadens- und Katastrophenfällen im Kontext notfallpsycholo -
gischer Hilfeleistungsmöglichkeiten für diese beiden Gruppen zu be-
trachten. Der ersten Gruppe sind Betroffene, Angehörige und zufällig am
4

Schadensort Anwesende zuzuordnen. Die andere Gruppe wird von den


Helfern der Schadensbekämpfung, ihren Vorgesetzten und Führungs-
kräften gebildet.

Beide Gruppen empfinden die Ausnahmesituation in unterschiedlicher


Qualität. Einige Angehörige der Helfergruppe (Versorgungsstufe I: Ret-
tungsdienst) werden erwartungsgemäß die Situation nach ihrem sons-
tigen alltäglichen Algorithmus verarbeiten können. Statistiken zeigen
jedoch auch bei den Rettungskräften in großen Schadensfällen Verarbei-
tungsschwierigkeiten und Unsicherheiten. Letztere lassen sich ggf. mit der
(noch) unklaren Situation, Gefahren für die eigene Sicherheit und eventuel-
len überraschenden Entwicklungen der Schadenslage erklären. Unsicher-
heiten gehören jedoch zu den Faktoren, die u. U. Panikreaktionen auslösen
können.

Das Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen wird in den Kapiteln


[2] und [7] dieses Buches behandelt ( Checkliste A, E).

Neue Bedrohungs- und Schadenssituationen, welche auch Wirkungen im


psychosozialen Bereich der Einsatzkräfte entfalten, werden in Kapitel [19]
dargestellt.

Der Umgang mit Kindern in Gefahrenlagen wird in Kapitel [6] näher aus-
geführt ( Checkliste D). Besondere Versorgungsanforderungen für
weitere soziale Gruppen werden in der nächsten Auflage dieses Buches
thematisiert.

108 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Zusätzlicher Anstrengungen bedarf es – nach Auffassung der Autoren –,


um bundesweit anwendbare Standards für den Einsatz und die Einsatz-
führung von KIT 17 und ENT 18 gemeinsam mit den Kräften der sozialen Be -
treuung zu schaffen.

4
Ebenso gilt es, Vorgesetzten im Rettungsdienst, ärztlichem Führungs-
personal und Einheitsführern des Katastrophenschutzes bundesweit und
flächendeckend Grundkenntnisse psychosozialer menschlicher Reflexions-
und Verhaltensweisen zu vermitteln, damit sie in Großschadens- und Kata-
strophenfällen fähig sind, Menschen effektiv zu führen.

Menschenwürdige Rahmenbedingungen ebenso wie menschliche Anteilnah-


me, Anerkennung und Wertschätzung ermöglichen auch unter ungewöhn-
lichsten Umständen besondere Hilfeleistungen. Das gilt sowohl für Betroffene
wie auch für alle Helfer und Spezialisten (s. auch Beerlage et. al. 2009).

Literatur

Beerlage I, Hering T, Springer S. Organisationsprofile, Gesundheit und En-


gagement in Einsatzorganisationen des Bevölkerungsschutzes. Vortrag an-
lässlich der 59. Jahrestagung der Schutzkommission, Göttingen, 22.05.2009.
Online verfügbar unter:
http://www.bbk.bund.de/nn_1310708/Schutzkommission/SharedDocs/
Vortr_C3_A4ge_20Jahrestagung/Vortrag__Beerlage2009,templateId=raw,
property=publicationFile.pdf/Vortrag_Beerlage2009.pdf [letzter Zugriff:
25.03.2010].

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. Aus-


stattungskonzept Analytische Task Force (ATF). Bonn: BBK; 2008. Online ver-
fügbar unter:
http://www.bbk.bund.de/cln_027/nn_1229984/DE/02_ _Themen/10_ _
Katastrophenschutz/01__Ausstattungskonzept/ATF__Dr-Trebbe,template
Id=raw,property=publicationFile.pdf/ATF_Dr-Trebbe.pdf [letzter Zugriff:
25.03.2010].

17 KIT – Kriseninterventionsteam(s).
18 ENT – Einsatz(kräfte)nachsorgeteam(s).

Leitfaden Katastrophenmedizin 109


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Katastrophenmedizin und Katastrophenmanagement

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. Die


Medizinische Task Force. Vorläufiges Projekt- und Einsatzhandbuch. Bonn:
BBK; 2009a. Online verfügbar unter:
http://www.drk-muenster.de/ehrenamt/gefahrenabwehr/material/downloads/
medical_task_force.pdf [letzter Zugriff: 25.03.2010].

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. Aus-


4

stattungskonzept Medizinische Task Force (MTF). Bonn: BBK; 2009b. Online


verfügbar unter:
http://www.bbk.bund.de/cln_027/nn_1229984/DE/02_ _Themen/10_ _
Katastrophenschutz/01__Ausstattungskonzept/MTF__Dr-Krieg,template
Id=raw,property=publicationFile.pdf/MTF_Dr-Krieg.pdf [letzter Zugriff:
25.03.2010].

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsche Ge-


sellschaft für KatastrophenMedizin (DGKM), Hrsg. Notfall- und Katastrophen-
Pharmazie. Band 1 und 2. Bonn: BBK, DGKM; 2009. Online verfügbar unter:
http://www.katpharm.de/de/Buch_KatPharm_1217.html [letzter Zugriff:
05.03.2010].

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Robert


Koch-Institut (RKI), Hrsg. Biologische Gefahren I und II, Handbuch zum Be-
völkerungsschutz. 3. Aufl. Bonn, Berlin: BBK, RKI; 2007.

Lichtenthaeler C. Der Eid des Hippokrates. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 1984.

Lübbe W. Katastrophenmedizin: Übliche Rechtfertigung für Triage zweifel-


haft. Dtsch Arztebl 2006; 103 (37): A 2362–2368.

Norm DIN 13050:2009-02. Rettungswesen – Begriffe.

Sanitätsführungskommando, Hrsg. Handbuch für sanitätsdienstliche Hil-


feleistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen, besonders schweren
Unglücksfällen und im Rahmen der dringenden Nothilfe. Koblenz: Bundes-
ministerium der Verteidigung; 2009.

Schneppenheim U. Persönliche Mitteilung 06.01.2010.

Sefrin P, Weidringer JW, Weiss W. Katastrophenmedizin: Sichtungskate-


gorien und deren Dokumentation. Dtsch Arztebl 2003; 100: A 2057–2058,
B 1711–1712, C 1615–1616.

110 Leitfaden Katastrophenmedizin


Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz (SKK),
Hrsg. Wörterbuch für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. 2. Aufl.
Köln: SKK; 2006.

Zentrum Katastrophenmedizin im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und


Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. Rahmenkonzept zur Dekontamination ver-
letzter Personen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Bonn: Zentrum Katastro-

4
phenmedizin im BBK; 2006. Online verfügbar unter:
http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Publikation_20KatMed/
Rahmenkonzept__DekonV,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/
Rahmenkonzept_DekonV.pdf [letzter Zugriff: 05.03.2010].

Weltärztebund, Hans-Neuffer-Stiftung, Hrsg. Handbuch der Deklarationen,


Erklärungen und Entschließungen. Deutsche Fassung. Köln: Deutscher Ärzte-
Verlag; 2008. 257–259.

Leitfaden Katastrophenmedizin 111


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

5
Lebensrettende Sofortmaß-
nahmen unter Katastrophen-
bedingungen
P. Sefrin
5

Auch bei einer Katastrophe haben Betroffene Anspruch auf die Abwendung
einer akuten Lebensbedrohung, sofern dies machbar ist. Unter den Bedin-
gungen eines Großschadensereignisses, besonders, wenn keine umfängliche
Individualmedizin mehr realisiert werden kann, muss eine Erstversorgung
versucht werden, in deren Mittelpunkt die Sicherung der Vitalfunktionen
steht. Sie wird sich auf wenige lebensrettende Sofortmaßnahmen beschrän-
ken müssen und ist mit einfachen Mitteln in unmittelbarer Nähe zum Scha-
densort von jedem Arzt und auch qualifizierten Helfer umzusetzen. Ohne
weitreichende differenzialdiagnostische Überlegungen und Möglichkeiten
sind diese Maßnahmen im Sinne einer rein symptomatischen Therapie zeit-
kritisch durchzuführen. Ziel der Maßnahmen ist es, die bedrohten, gestörten
oder ausgefallenen Vitalfunktionen Atmung und Kreislauf solange zu er-
setzen oder zu überbrücken, bis eine professionelle Hilfe unter Einsatz weiter
gehender Therapiemöglichkeiten die Behandlung übernimmt. In diesem Ka-
pitel werden nur einfache Hilfsmittel für die Versorgung vorgestellt, da unter
den genannten Bedingungen nicht damit gerechnet werden kann, dass dem
Helfer eine wie auch immer geartete Ausstattung zur Verfügung steht.

Bitte beachten

Die Akutversorgung beschränkt sich im Katastrophenfall auf einfache


lebensrettende Sofortmaßnahmen mit einfachen Mitteln.

112 Leitfaden Katastrophenmedizin


5.1 Diagnostik der vitalen Funktions-
störungen
Bevor therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, muss in der Kürze der
Zeit eine Überprüfung der lebensnotwendigen Funktionen Bewusstsein, At-
mung und Kreislauf erfolgen:

Prüfung der Bewusstseinslage


Der Patient wird zunächst laut angesprochen. Reagiert er hierauf nicht, wird

5
durch vorsichtiges Schütteln an den Schultern ein taktiler Reiz gesetzt. Bei
Fehlen einer adäquaten Reaktion muss von einer Bewusstlosigkeit ausgegan-
gen werden.

Prüfung der Atmung


Bei einem bewusstlosen Patienten, der auf dem Rücken liegt, kommt es durch
das Zurückfallen des Zungengrundes zu einer Verlegung der Atemwege. Zur
Prüfung der Atmung muss deshalb zunächst der Kopf vorsichtig nackenwärts
überstreckt werden. Dazu wird eine Hand auf die Stirn und die andere unter das
Kinn gelegt und das Kinn nach vorne oben geschoben. Diese Bewegung sollte
insbesondere bei Traumapatienten nicht ruckartig erfolgen. Die Prüfung der
Atembewegungen wird vorrangig durch eine visuelle Kontrolle der Thorax-
bewegungen (Heben und Senken des Brustkorbes) erfolgen. Unter den Bedin-
gungen eines Großschadensereignisses wird es schwierig sein, durch Hören
ein Atemgeräusch oder durch Fühlen einen Luftstrom zu identifizieren.

Bei einem plötzlichen Versagen des Herzens kann über eine kurze Zeit noch
eine „Restatmung“ vorhanden sein, die allerdings nicht zu einem Gasaus-
tausch in der Lunge führt und Zeichen eines sterbenden Organismus ist.
Diese „Schnappatmung“ (ähnlich einem Fisch „auf dem Trockenen“) ist viel-
mehr Zeichen eines Kreislaufstillstandes und sollte unmittelbar zum Beginn
der Herz-Lungen-Wiederbelebung führen, sofern hierzu ausreichend Perso-
nal zur Verfügung steht.

Prüfung des Kreislaufs


Die Möglichkeiten der Kreislaufbeurteilung beschränken sich unter den
Bedingungen der Katastrophenmedizin auf das Betasten des Pulses. Dies
kann allerdings gerade nicht medizinisch geschultem Personal erhebliche
Schwierigkeiten bereiten und deshalb zu einer deutlichen Zeitverzöge-
rung führen. Es bleibt damit als Maßnahme dem professionellen Personal
vorbehalten.

Bei Verdacht auf einen Kreislaufstillstand wird vorsichtig die Halsschlagader


(Arteria carotis) getastet. Zur Prüfung des Karotispulses werden Zeige- und

Leitfaden Katastrophenmedizin 113


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

Mittelfinger auf den Schildknorpel des Kehlkopfes gelegt. Anschließend glei-


ten die Finger in die seitliche Halsgrube. Hierfür dürfen nicht mehr als zehn
Sekunden aufgewandt werden.
Bei anderen medizinischen Schäden (z. B. Unfall mit Schock) wird der Puls auf
der Innenseite (Daumenseite) des Handgelenkes getastet.
Hinweiszeichen auf einen Schock sind neben dem zunehmend schneller und
schwächer werdenden Puls das Aussehen des Betroffenen, der infolge der un-
zureichenden Durchblutung blass ist. Die Haut ist zudem kalt, schweißnass
und der Betroffene friert. Er ist eventuell unruhig, nervös und hat Angst. Spä-
5

ter wird er ruhig und teilnahmslos.

Bitte beachten

Die Akutdiagnostik bezieht sich auf die Vitalfunktionen Bewusstsein,


Atmung, Kreislauf und kann ohne Hilfsmittel umgesetzt werden.

5.2 Konsequenzen aus der Prüfung der


Vitalfunktionen

5.2.1 Bewusstlosigkeit bei erhaltener Atmung


und erhaltenem Kreislauf
Ein Bewusstseinsverlust unter Katastrophenbedingungen kann unter-
schiedliche Ursachen haben. Wegen der drohenden Verlegung der Atem-
wege ist es für die erforderlichen Maßnahmen jedoch unerheblich, welche
Ursache konkret vorliegt.

Zum Freihalten der Atemwege wird die stabile Seitenlage angewandt.


Das Wesen dieser speziellen Lagerung besteht darin, den Kopf des Patienten
zu überstrecken und ihn in dieser Position zu stabilisieren.

Durchführung – Freihalten der Atemwege


Der Helfer kniet seitlich neben dem Betroffenen und legt dessen nahen Arm mit
nach oben zeigender Handfläche angewinkelt neben den Kopf. Der ferne Arm
wird gekreuzt vor den Brustkorb gelegt und die Hand mit dem Handrücken an
die Wange geführt. Diese Hand wird so gehalten, der ferne Oberschenkel wird
ergriffen und das Bein gebeugt. Durch Zug am Oberschenkel dreht der Helfer
den Betroffenen zu sich herüber, sodass der Oberschenkel rechtswinklig zur
Hüfte liegt. Der Kopf des Betroffenen wird dann nach hinten geneigt und der

114 Leitfaden Katastrophenmedizin


Mund leicht geöffnet. Die Hand an der Wange wird unter die Wange gescho-
ben und zur Stabilisierung des überstreckten Kopfes genutzt.

Praxis-Tipp

Wenn eine notfallmedizinische Grundausstattung vorhanden ist und


eine entsprechende Routine in der Anwendung, können zum Freihalten
der Atemwege Luftbrücken wie Guedel- und Wendl-Tuben zum Einsatz

5
kommen.

Zum Freimachen der Atemwege als Voraussetzung für eine ausreichende


Spontanatmung kann bei erkennbaren Hindernissen (Blut, Erbrochenes)
eine digitale Ausräumung des Mund- und Rachenraumes notwendig
werden.

Durchführung – Freimachen der Atemwege (s. Abb. 5-1 a und b)


Der Mund wird mit dem Esmarch-Handgriff geöffnet und mit einer Hand of-
fen gehalten, der Kopf wird vorsichtig zur Seite gedreht. Mit Zeige- und Mit-
telfinger der anderen Hand wird der Mundraum ausgetastet, eventuell vor-
handene Fremdkörper werden mit einer wischenden Bewegung entfernt.
Die Finger sollten zuvor mit einem Taschentuch o. Ä. umwickelt werden. Bei
der Reinigung des Mund- und Rachenraumes hält eine Hand den Mund in
der beschriebenen Weise geöffnet – auch als „Beiß-Schutz“ – während mit
den Fingern der anderen Hand die Säuberung durchgeführt wird.

a b

Abb. 5-1 Freimachen der Atemwege. a Esmarch-Handgriff. b Digitales Aus-


räumen des Mund- und Rachenraumes.

5.2.2 Bewusstlosigkeit mit erhaltenem Kreislauf


ohne Atmung
Bei einem isolierten Atemstillstand muss eine Beatmung durchgeführt wer-
den. Optimal wäre es, wenn die Beatmung mit Sauerstoff erfolgen könnte.

Leitfaden Katastrophenmedizin 115


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

Er wird in Katastrophensituationen allerdings nur in wenigen Fällen primär zur


Verfügung stehen. Wenn in den Beständen des Sanitäts- oder Rettungsdienstes
Sauerstoff vorhanden ist, sollte dieser auch unbedingt zum Einsatz kommen.

Bitte beachten

Bei einer notwendigen Beatmung sollte der Einsatz von Sauerstoff


angestrebt werden.
5

Die einfachste Form der Beatmung ist die Atemspende, die als Mund-zu-
Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung erfolgen kann. Keine der beiden Me-
thoden wird ausschließlich bevorzugt. Trotzdem scheint die Mund-zu-Nase-
Beatmung einfacher in der Anwendung zu sein, da die Nase mit dem Mund
besser abzudichten ist und während der Insufflation der Spitzendruck redu-
ziert wird. Bei einer Beatmung mit einem zu hohen Druck und/oder Volumen
kommt es zur gastralen Insufflation mit der Gefahr der Regurgitation. Wich-
tig für die Effektivität der Beatmung ist eine ausreichende Überstreckung des
Kopfes und ein sichtbares Heben und Senken des Thorax. Ein weitgehender
Selbstschutz ist z. B. durch sogenannte Atemhilfen möglich (s. folgende Seite).

Durchführung – Mund-zu-Nase-Beatmung (s. Abb. 5-2 a und b)


Der Helfer kniet seitlich am Kopf des Patienten. Die eine Hand liegt flach auf
der Stirn an der Haaransatzgrenze, die andere unter dem Kinn. Beide Hände
drehen den Kopf vorsichtig nackenwärts. Der Helfer umschließt mit seinen
Lippen beide Nasenöffnungen des Betroffenen und bläst die Ausatemluft in
den Patienten hinein, bis es zu einer deutlichen Hebung des Thorax kommt.
Die Insufflation erfolgt über einen Zeitraum von einer Sekunde, um zu hohe
Drücke zu vermeiden. Anschließend beendet der Helfer den Kontakt zum Pa-
tienten und dreht seinen Kopf zur Thoraxseite des Patienten, um den Erfolg
der Insufflation (Senkung des Brustkorbes) zu kontrollieren.

a b

Abb. 5-2 Mund-zu-Nase-Beatmung. a Insufflation. b Kontrollblick.


Hinweis zum Infektionsschutz siehe bitte S. 117/118.

116 Leitfaden Katastrophenmedizin


Durchführung – Mund-zu-Mund-Beatmung
Bei der Mund-zu-Mund-Beatmung wird die Nase mit Daumen und Zeigefin-
ger der einen Hand verschlossen, während der Kopf in überstreckter Position
gehalten wird. Die andere Hand liegt dabei auf der Stirn des Betroffenen. Der
Helfer bläst seine Ausatemluft über den leicht geöffneten Mund des Patien-
ten ein. Die Insufflation und die Kontrolle werden in gleicher Weise wie bei
der Mund-zu-Nase-Beatmung ausgeführt.

Nachdem der Atemspende häufig hygienische und ästhetische Gründe ent-

5
gegenstehen, ist zumindest eine Alternative zu erwägen, wobei wieder zwi-
schen dem Vorhandensein von Hilfsmitteln und deren Fehlen unterschieden
werden muss.

Damit Helfer eine Möglichkeit haben, den direkten Kontakt mit Patienten
zu umgehen, wurden Kunststofffolien mit einem einseitig durchlässigen
Vlies entwickelt (Beatmungstuch), die eine Insufflation zum Patienten er-
möglichen. Durch die Abdeckung kann der Widerwillen gegen den Kontakt
gemindert und damit die Bereitschaft zur Beatmung gesteigert werden. Der
Nachteil dieser Tücher besteht darin, dass sie leicht verrutschen und deshalb
ständig neu ausgerichtet werden müssen.

Bei Vorhandensein eines Beatmungsbeutels kann die Beatmung über eine


Maske erfolgen (s. Abb. 5-3). Sollte eine Maskenbeatmung nicht gelingen, ist
die Atemspende durchzuführen. Sollte die Ursache des Atemstillstandes ein
Kreislaufstillstand sein oder der Helfer ist nicht willens oder in der Lage eine
Beatmung durchzuführen, ist in jedem Falle sofort mit der Herzdruckmassage
(s. Kap. 5.2.3) zu beginnen.

Abb. 5-3 Maskenbeatmung.

Leitfaden Katastrophenmedizin 117


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

Bitte beachten

Bei fehlendem Hilfsmittel oder Widerwillen kann bei Kreislaufstillstand


auf eine Beatmung bis zum Eintreffen professioneller Hilfe verzichtet
werden – nicht aber auf die Herzdruckmassage.

5.2.3 Bewusstlosigkeit ohne Atmung und ohne


5

Kreislauf
Während einer kardiopulmonalen Reanimation sind die Helfer gebunden. Bei
einem Patienten mit Atem- und Kreislaufstillstand erhebt sich daher die Grund-
satzfrage, ob eine kardiopulmonale Reanimation unter den Bedingungen eines
Großschadensereignisses mit den damit verbundenen personellen Diskrepan-
zen überhaupt durchgeführt werden kann. Für eine effektive Wiederbelebung
werden für die Basismaßnahmen mindestens zwei Helfer benötigt.

Die Basisreanimation umfasst die äußeren Herzdruckmassage (HDM) und


die Atemspende (s. Abb. 5-4). Mit der Herzdruckmassage wird eine minimale
künstliche Kreislaufzirkulation erzeugt, wobei es für die Praxis unerheblich
ist, welcher pathophysiologische Mechanismus hierfür verantwortlich ist.

Auffinden einer leblosen Person

Überprüfung der Bewusstseinslage

Ansprechbarkeit prüfen

Ansprechbar Nicht ansprechbar

Ursache erfragen Hilfe rufen


Hilfe rufen
Zustand kontrollieren Atemwege freimachen

Atmung überprüfen

Normale Atmung Keine normale


Atmung

Stabile Seitenlage Notruf 112

30 x Herzdruck-
massage

2 x Beatmen

Abb. 5-4 Basis-Algorithmus (Stand 05/2010).

118 Leitfaden Katastrophenmedizin


Durchführung – kardiopulmonale Reanimation
Der Helfer kniet seitlich möglichst nahe am Brustkorb des Verletzten. Der
Patient muss flach auf einer harten, unnachgiebigen Unterlage liegen. Am
effektivsten ist die Durchführung der HDM auf dem Boden. Zum Aufsuchen
des Druckpunktes muss der Oberkörper frei gemacht werden. Der Druck-
punkt befindet sich in der Mitte des Brustkorbes. Die erste Hand wird mit dem
Handballen auf dem Brustbein aufgesetzt und die zweite Hand wird gekreuzt
auf den Handrücken der ersten Hand gesetzt. Eine Alternative ist das Eingrei-
fen der zweiten Hand in die Fingergrundgelenke der ersten Hand, wobei die

5
Finger nach oben gezogen werden. Der Kontakt zum Thorax sollte nur durch
den Handballen und nicht durch die gesamte Hand hergestellt werden. Die
Körperhaltung des Helfers senkrecht über dem Druckpunkt garantiert, dass
das Gewicht des Oberkörpers über die im Ellenbogen gestreckten Arme direkt
auf den Thorax übertragen wird (s. Abb. 5-5). Die Drucktiefe beträgt 4–5 cm
beim Erwachsenen. Der Druck muss senkrecht auf das Brustbein auftreffen.
Nach der Kompression muss das Brustbein vollständig entlastet werden, ohne
dabei den Handballen abzuheben. Die Frequenz der HDM beträgt 100/min.

Abb. 5-5 Herzdruckmassage.

Das Zusammenwirken von Beatmung und Herzdruckmassage ist unabhän-


gig von der Anzahl der Helfer in jedem Fall gleich. Es wird mit 30 Kompres-
sionen begonnen und anschließend zweimal beatmet. Diese Maßnahmen
werden im kontinuierlichen Wechsel von 30 : 2 fortgesetzt, gleichgültig ob es
sich um einen oder zwei Helfer und bei dem Betroffenen um einen Erwachse-
nen oder ein Kind handelt.

Die Basismaßnahmen der Reanimation von Kindern entsprechen den Maß-


nahmen der Erwachsenenreanimation, sofern sie von Helfern des Sanitäts-
dienstes durchgeführt werden. Lediglich die Herzdruckmassage muss an die
anatomischen Verhältnisse von Kindern angepasst werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 119


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

5.2.4 Bewusstsein erhalten, Kreislauf insuffizient


Bei einer Störung des Kreislaufs unter den Bedingungen des Großschadenser-
eignisses liegt als Ursache meist ein Volumenverlust (akute Blutung) vor. Im
Einzelfall kann auch eine akute Dekompensation einer bestehenden Herzin-
suffizienz vorliegen. Obwohl die adäquate Therapie eines Volumenmangels
in dem intravenösen Ersatz der Flüssigkeit besteht, bedeutet eine derarti-
ge Infusionstherapie eine erhebliche zeitliche und personelle Belastung,
weshalb vordergründig lediglich die Lagerungstherapie infrage kommt.
5

Durch eine Kopftieflage in einem Winkel von ca. 15° kann eventuell mit dem
verbliebenen Blutvolumen, besonders aus den unteren Extremitäten, die ze-
rebrale Perfusion verbessert werden. Auch das zusätzliche Anheben der Bei-
ne (nicht bei Vorliegen von Frakturen der unteren Extremitäten) kann eine
körpereigene Volumenauffüllung bewirken (Autotransfusion).

Bei einer Infusionstherapie spielt unter Katastrophenbedingungen die Auswahl


der Infusionslösung (kristalloide oder kolloidale) keine entscheidende Rolle.

Sollte die Ursache der Kreislaufstörung eine größere Blutung sein, so muss
diese unmittelbar vor Ort versorgt werden. Unter den Bedingungen eines
Massenanfalls von Verletzten kann als erste (vorübergehende) Maßnah-
me mit dem Auf- bzw. Einpressen einer möglichst keimarmen Auflage auf
bzw. in die blutende Verletzung eine Blutstillung erreicht werden. Ist eine
Extremität betroffen, so ist das Hochlagern der Extremität eine zusätzliche
Möglichkeit, die Intensität der Blutung zu verringern. Das Aufpressen auf die
Wunde kann in der Folge vom Patienten eventuell selbst übernommen wer-
den, sodass der Helfer wieder frei wird.

Die sonst in der Ersten Hilfe empfohlenen Maßnahmen (Abdrücken, Druck-


verband) sind personalintensiv und eignen sich nur dann, wenn ausreichend
Helfer zur Verfügung stehen. Zudem sollte das erforderliche Material vor-
handen sein. Sind diese Voraussetzungen jedoch gegeben, ist das Anlegen ei-
nes Druckverbandes eine gute Möglichkeit für eine suffiziente Blutstillung.

Durchführung – Anlegen eines Druckverbandes


Mit einem Verbandpäckchen wird ein normaler Verband angelegt, d. h. die
Wundauflage wird auf die blutende Wunde gelegt und mit einer Binde zwei-
bis dreimal umwickelt. Danach wird ein zweites Verbandpäckchen geschlos-
sen als Druckpolster direkt auf den Wundbereich gelegt und mit den restli-
chen Bindengängen umwickelt. Dabei sollte durch zu straffes Wickeln keine
Stauung entstehen.

120 Leitfaden Katastrophenmedizin


5.2.5 Bewusstsein erhalten, Atmung insuffizient
Bei einer isolierten Atemstörung wird sich die Hilfe im Bereich der Katastro -
phenmedizin auf eine adäquate Lagerung beschränken. Als Ergänzung,
wenn überhaupt, kommt die Gabe von Sauerstoff per inhalationem infrage.
Das in der Notfallmedizin verwendete Verfahren der manuellen oder auto -
matischen Beatmung (nach Intubation, s. Abb. 5-6) ist ein zeit- und personal-
aufwendiges Verfahren, das nur auf Ausnahmefälle beschränkt bleibt, in
denen die erforderlichen Instrumente und eine entsprechende Anzahl von

5
qualifizierten Helfern verfügbar sind.

Sollten jedoch sowohl ausreichende Personal- wie Materialreserven vorhan-


den sein, ist eine der wesentlichen lebensrettenden Maßnahmen die manu-
elle Beutelbeatmung. Es gelingt damit nicht nur, den Patienten suffizient
mit Umgebungsluft mit einem Sauerstoffanteil von 21 % (inspiratorische Sauer-
stoffkonzentration [FiO2]: 0,2 %) zu beatmen, sondern auch, dem Patienten bei
Verfügbarkeit von Sauerstoff (O2) das in dieser Situation wesentliche Notfall-
medikament zu applizieren. Bei einer Beutel-Masken-Beatmung mit einem
O2-Flow von 6–10 l/min. lässt sich die FiO2 auf 0,45 steigern. Dies setzt allerdings
eine gewisse Routine bei der Verwendung einer Beatmungsmaske (s. Kap. 5.2.2)
voraus. Inwieweit als Alternative zur Maskenbeatmung beispielsweise ein La-
rynxtubus (s. Abb. 5-7) verwendet werden kann, hängt von dessen Verfügbar-
keit und der Routine der Helfer ab.

Sofern es vom Kreislauf her tolerabel ist, wird bei einer Atemstörung der
Oberkörper des Patienten hochgelagert, um die Atmung zu erleichtern. Die
Beine sollten nur bei Hypertonie tiefer gelagert werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 121


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

a
5

Abb. 5-6 Orotracheale Intubation. a, b Einführen des Laryngoskops.


c Layryngoskopie. d Einführen des orotrachealen Tubus. e Blocken des
orotrachealen Tubus.

122 Leitfaden Katastrophenmedizin


5
Abb. 5-7 Larynxtubus.

5.2.6 Erweiterte Reanimation bei Kreislauf-


stillstand (s. Abb. 5-8)
Wenn eine elektrische und medikamentöse Ausstattung sowie ausreichend
Personal (neben Arzt ggf. Rettungsassistent und zwei Helfer) verfügbar sind,
ohne dass diese für andere Versorgungsmaßnahmen benötigt werden, kön-
nen die Basismaßnahmen durch erweitere Maßnahmen ergänzt werden
(Advanced Cardiac Life Support [ACLS]).

Bitte beachten

Unter Katastrophenbedingungen wird sich in der Primärphase des Ge -


schehens kaum eine Indikation für den Einsatz der erweiterten Reanima -
tionsmaßnahmen ergeben.

Etwa 80 % der Kreislaufstillstände beruhen auf einem Kammerflimmern


oder einer pulslosen ventrikulären Tachykardie. Die Diagnose wird anhand
eines Notfall-Elektrokardiogramms (Notfall-EKG) gestellt. Die Therapie der
Wahl ist die Defibrillation. Voraussetzung für eine erfolgreiche Defibrilla-
tion ist eine ausreichende Versorgung des Myokards mit Sauerstoff, weshalb
bei einem nicht selbst beobachteten Kreislaufstillstand zunächst mit der Ba-
sisreanimation begonnen werden soll (vgl. Abb. 5-4).

Dank der Verfügbarkeit von automatisierten externen Defibrillatoren (AED)


wird auch nicht medizinisch geschultes Personal in die Lage versetzt, eine Defi-
brillation durchzuführen. Alle Schritte, die im Einzelnen durchzuführen sind,
werden über eine Sprachsteuerung per Ansage mitgeteilt. Nach dem Aufkle-
ben von Elektroden, deren richtige Position angezeigt wird, muss ein Knopf be-
tätigt werden. Danach startet die automatische EKG-Analyse. Erkennt das Gerät
ein Kammerflimmern, wird der Helfer aufgefordert, durch einen Knopfdruck

Leitfaden Katastrophenmedizin 123


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

einen Stromstoß auszulösen. Nach der Schockabgabe und einer zweiminütigen


Basisreanimation analysiert das Gerät erneut das EKG des Patienten und gibt
weitere Anweisungen zum Vorgehen. Bei weiter bestehendem Kammerflim-
mern wird eine erneute Schockabgabe empfohlen. Die Spezifität des AED bei
der Erkennung von Kammerflimmern beträgt fast 100 %, während die Sensitivi-
tät bei den meisten handelsüblichen Geräten bei 90–95 % liegt.

Obwohl unter den Bedingungen der Katastrophenmedizin nicht in jedem


Fall voraussetzbar, darf heute bei einer wesentlich größeren Verbreitung von
5

AED-Geräten davon ausgegangen werden, dass im Katastrophenfall einzel-


ne derartige Geräte auch verfügbar wären und von First Respondern bzw.
Laienhelfern eingesetzt werden könnten.

Auffinden einer leblosen Person

Überprüfung der Bewusstseinslage

Ansprechbarkeit prüfen

Ansprechbar Nicht ansprechbar

Ursache erfragen Atemwege freimachen


Beobachten
Nach Lebenszeichen suchen

Kein Lebenszeichen Hilfe rufen

Basisreanimation (CPR)
beginnen (30 : 2)
bis Defilbrillator/EKG angeschlossen

Rhythmus-Analyse

Kammerflimmern/pulslose Während CPR:


Reversible Ursachen PEA/Asystolie
ventrikuläre Tachykardie
beheben (s. u.)
Schock indiziert Wenn noch nicht erfolg: Schock nicht indiziert
• Elektrodenposition und
-kontakt prüfen
1 Schock
• Venösen Zugang, Atem-
biphasisch 150–360 J
wege und O2-Zufuhr
monophasisch 360 J
sichern/kontrollieren
• Adrenalingabe alle
3–5 Minuten
CPR sofort wieder CPR sofort wieder
beginnen Erwäge: aufnehmen
30 : 2 für 2 Minuten Amiodaron, Atropin 30 : 2 für 2 Minuten

Potenziell reversible Ursachen


• Hypoxie • Thorax: Spannungspneumothorax
• Hypovolamie • Tamponade: Herzbeutel
• Hypo- oder Hyperkaliämie/ • Toxine
metabolische Störungen • Thromboembolie (koronar oder pulmonal)
• Hypothermie

Abb. 5-8 Universal-Algorithmus (Stand 05/2010). CPR – kardiopulmonale


Reanimation, PEA – pulslose elektrische Aktivität.

124 Leitfaden Katastrophenmedizin


5.2.7 Zusammenfassung (s. Abb. 5-9)
Bewusstsein

Fehlt Erhalten

Atmung Kreislauf Atmung Kreislauf


insuffizient insuffizient

5
Vorhanden Fehlt Vorhanden Fehlt

Lagerung
Schocklagerung
Stabile Oberkörper hoch
Beatmung Reanimation Evtl. Infusion
Seitenlage Evtl. O2-Gabe

Abb. 5-9 Lebensrettende Sofortmaßnahmen bei Störung der Vitalfunktionen.

5.3 Grenzen der Reanimation


Das Unterlassen einer Reanimation ist dem ärztlichen und medizinischen Hil-
feverständnis wesensfremd, muss allerdings bei Großschadensfällen mit einer
Diskrepanz zwischen Hilfsmöglichkeiten und -bedürfnissen akzeptiert werden.
Hier kommt gerade der nichtärztliche Helfer an die Grenze der Versorgungs-
möglichkeiten. Unabhängig von der geringen Überlebenschance bei trauma-
tisch bedingten Kreislaufstillständen (nach nationalen und internationalen
Studienergebnissen unter 1 %), wird die Durchführung einer kardiopulmonalen
Reanimation auf absehbare Zeit die Helfer binden, die an anderer Stelle durch
kurzfristige Einzelmaßnahmen in der Lage wären, mehreren Geschädigten
vielleicht sogar lebensrettende Hilfe zu leisten. Abgesehen davon, dass z. B. die
Einhelfer-Reanimation nur einen überbrückenden Kompromiss darstellt, wird
bei einem späteren eventuellen Hinzukommen von weiteren Helfern die Zeit
für eine mögliche Ausweitung der Reanimation verstrichen sein.

In der Situation des Großschadensereignisses gilt das Alles-oder-Nichts-


Gesetz: Entweder es wird eine (optimale) Reanimation mit dem damit ver-
bundenen Material- und Personalbedarf begonnen oder aber sie muss un-
terlassen werden. Eine unzureichende Reanimation bringt keinen Erfolg
und bindet nur anderweitig „besser“ einsetzbare Kräfte. Wie auch unter den
Bedingungen der Notfallmedizin ist der Versuch einer Reanimation bei Pati-
enten mit Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, sinnlos. Bei
Erkennbarkeit von sicheren Todeszeichen ist der Beginn einer Reanimation
kontraindiziert.

Leitfaden Katastrophenmedizin 125


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter Katastrophenbedingungen

Begründetes Unterlassen einer Reanimation unter


Katastrophenbedingungen

ƒ Diskrepanz zwischen Hilfsmöglichkeiten und -bedürfnissen


ƒ Kombination des Kreislaufstillstandes mit schwerwiegenden
(lebensbedrohlichen) Verletzungen und Erkrankungen
ƒ Fehlende Personalkapazität (mindestens 2 Helfer/Reanimation)
ƒ Fehlende materielle Ausstattung (z. B. Sauerstoff, Medikamente)
ƒ Fehlende zeitliche Verfügbarkeit des Personals vor dem Hintergrund
5

notwendiger Hilfeleistungen für andere Betroffene


ƒ Fehlende Selbstschutzmöglichkeit
ƒ Zeitlich länger zurückliegender Kreislaufstillstand ohne Durchführung
von Ersthelfer-Maßnahmen
ƒ Mit dem Leben nicht zu vereinbarende Schädigungen
ƒ Sichere Todeszeichen

Literatur

Bundesärztekammer, Hrsg. Reanimation – Empfehlungen für die Wiederbe-


lebung. 4. Aufl. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2007.

126 Leitfaden Katastrophenmedizin


6
Kinder in Katastrophen- und
Fluchtsituationen
R. Hentschel, Th. Nicolai

Aktuelle Erfahrungen zur Bewältigung großflächiger Katastrophen und ei-


ner dadurch bedingten Flüchtlingsproblematik existieren in unserem Land

6
glücklicherweise nicht. Erfahrungen von Hilfsorganisationen beim Einsatz
in Ländern der Dritten Welt zeigen jedoch, dass die extremen Umstände von
Katastrophen und Flucht besonders hart Kinder, ältere Menschen und Behin-
derte treffen.

Kindern sind unter Katastrophen- und Fluchtbedingungen einer besonde-


ren psychosozialen und gesundheitlichen Situation ausgesetzt, auf die im
Folgenden näher eingegangen werden soll.

6.1 Die psychosoziale Situation von


Kindern
Die Trennung von Eltern, Freunden oder Verwandten stellt für Kinder immer
einen enorm starken psychosozialen Stressfaktor dar, dessen Ausprägung
nicht nur vom Alter abhängt, sondern auch von den Lebensumständen. Die
emotionale Unreife des Kindes tritt durch konfliktträchtige Situationen
verstärkt in den Vordergrund. Während sich Kinder, die unter stabilen, ge-
sicherten Verhältnissen aufwachsen, schnell an neue Situationen anpassen
können, ist bei einer Trennung von den Eltern mit Regressionsverhalten
zu rechnen. Das Kind fällt auf eine frühere Stufe seiner emotionalen, geis-
tigen und/oder sozialen Reife zurück und bedarf deshalb einer vermehrten
Aufmerksamkeit und Fürsorge. Unter extremen Bedingungen wie bei einer
Katastrophe oder unter Fluchtbedingungen sind die Voraussetzungen dafür
jedoch oft nicht gegeben. Stattdessen werden Kinder in solchen Situationen
häufig mit Aufgaben betraut, für die sie von ihrer Entwicklung her noch gar
nicht reif genug sind.

In unübersichtlichen Krisensituationen besteht die Gefahr, dass Kinder


besonders leicht von Vernachlässigung, emotionalem oder sexuellem
Missbrauch betroffen sind. Wenn Katastrophen zum Zerbrechen des fa-

Leitfaden Katastrophenmedizin 127


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Kinder in Katastrophen- und Fluchtsituationen

miliären Zusammenhalts führen, ändern sich die Lebensbedingungen für


Kinder plötzlich, sie sind unter Umständen nicht mehr unter der gewohnten
Beobachtung durch ihre Eltern. In Katastrophensituationen ist der Zugang
zu Ressourcen erschwert und es droht Gefahr durch große Menschenan-
sammlungen. In dieser Situation kann die Sorge um die eigene körperliche
Unversehrtheit und/oder die Bedrohung der eigenen Existenz für Eltern oder
andere Erwachsene so stark in den Vordergrund treten, dass die Fürsorge der
eigenen Kinder oder die übliche „Beschützerrolle“ gegenüber fremden Kin-
dern vernachlässigt wird.
6

Das primäre Ziel einer psychosozialen und medizinischen Betreuung


sollte darin bestehen, wann immer es die Situation zulässt, Kinder grund -
sätzlich nicht von ihren Eltern zu trennen und Maßnahmen zu ergreifen,
damit Kinder in unübersichtlichen Situationen (z. B. beim Auftreten von
großen Menschenmassen) nicht verloren gehen. In der Nähe ihrer Eltern
sind Kinder eher vor Übergriffen geschützt und emotional stabiler.

6.2 Die besondere Gesundheits-


gefährdung des Kindes

Häufige gesundheitliche Probleme in


Katastrophen- und Fluchtsituationen

ƒ Akut sind Kinder jeweils in Abhängigkeit von ihrem Alter bedroht


durch
• Unterkühlung
• Dehydratation
• Unfälle
ƒ Mittel- bis langfristig drohen
• Unterernährung
• Vergiftungen
• Infektionskrankheiten

Bedingt durch das ungünstige Verhältnis von Körperoberfläche zu Körper-


masse und das fehlende Fettgewebe kann es bei Säuglingen und Kleinkin-
dern unter niedrigen Umgebungstemperaturen zu einem gefährlichen Aus-
kühlen kommen, und zwar lange bevor der Erwachsene für sich selbst diese
niedrigen Temperaturen wahrnimmt.

128 Leitfaden Katastrophenmedizin


Wasser- und Nahrungsmangel sind häufig anzutreffende Probleme in Kri-
sensituationen. Der Wasserbedarf von Säuglingen und Kleinkindern wird
immer wieder unterschätzt. Er kann jedoch mithilfe einer Faustregel be-
stimmt werden (s. Kasten).

Wasserbedarf von Säuglingen und Kleinkindern

ƒ 100 ml/kg/Tag für die ersten 10 kg Körpergewicht


ƒ 50 ml/kg/Tag für die nächsten 10 kg Körpergewicht
ƒ 20 ml/kg/Tag für jedes weitere Kilogramm

6
Verluste durch Erbrechen und Durchfall sowie aufgrund von Verbrennungs-
wunden sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei Fieber sind für jedes Grad,
um das die Körpertemperatur erhöht ist, etwa 10 % des errechneten Bedarfs
zu addieren.

Ein niedriger Energievorrat, wenig Glykogen- und Fettreserven sowie ein


hoher Energieverbrauch pro Kilogramm Körpergewicht kennzeichnen die
metabolische Situation von Säuglingen. Unter ungünstigen hygienischen,
wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ist die Ernährung des Säuglings
durch Stillen vorteilhaft.

Abhängig vom Alter sind Kinder von unterschiedlichen Unfallmustern


betroffen. Verbrennungen und Verbrühungen sind, insbesondere bei impro-
visierten Behausungen und offenen Kochstellen, häufig. Bei Frakturen sollte
eine provisorische Schienung in achsengerechter Stellung mit geeigneten
Hilfsmitteln angelegt werden. Verheilen Extremitätenknochen mit starker
Achsenabweichung, so kann es durch das Längenwachstum des Knochens
zu einer weiter zunehmenden Fehlstellung und Funktionseinschränkung
kommen.

Schlechte Wasser- und Nahrungsqualität sowie unhygienische sanitäre Ein-


richtungen fördern das Entstehen insbesondere von gastrointestinalen In-
fektionen. Durch Menschenansammlungen wird die Verbreitung von Infek-
tionskrankheiten zusätzlich gefördert. Insbesondere für Kleinkinder unter
behelfsmäßigen Bedingungen stellen Durchfallerkrankungen und beglei-
tende Dehydratationen eine ständige Gefahr dar. Säuglinge und Kleinkinder
sind aber auch aufgrund ihrer fehlenden Immunität (fehlende Impfungen)
gegenüber Infektionserregern besonders gefährdet. Wenn die Ausbreitung
von Infektionen mit großflächigen Impfkampagnen verhindert werden
soll, kann es sinnvoll sein, die bisher ungeimpften Kinder zuerst zu impfen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 129


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Kinder in Katastrophen- und Fluchtsituationen

Literatur

Gavalas M, Nazeer S, Walford C, Christodoulides A. Children’s Health. In: AP-


CCH Buma, ed. Conflict and Catastrophe Medicine – A practical Guide. London:
Springer; 2009. Chapter 32.

Monroe P, ed. What to do in a paediatric emergency. London: BMJ Publishing


Group; 1996.

Internet (Stand: 04/2010)


6

www.childinfo.org

www.who.int/eha

130 Leitfaden Katastrophenmedizin


7
Management der Psycho-
sozialen Notfallversorgung
in Großschadens- und
Katastrophenlagen
I. Beerlage, J. Helmerichs, F. Waterstraat, M. M. Bellinger

7
7.1 Psychosoziale Notfallversorgung
als integraler Bestandteil des
Krisenmanagements – Notwendig -
keit, Ziele und Grundannahmen

Die Entwicklung und Vorhaltung von Maßnahmen der Psychosozialen Not-


fallversorgung (PSNV) hat ihre Wurzeln in der Erkenntnis, dass Menschen
nach Notfallereignissen nicht nur medizinische und technische Hilfeleistun-
gen, sondern auch auf der psychischen und sozialen Ebene wirksame Hilfen
zur Bewältigung der erschütternden und potenziell traumatisierenden Er-
fahrungen benötigen. Das gilt für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene
und Vermissende, aber auch für Einsatzkräfte. Die Psychosoziale Notfallver-
sorgung gilt national wie international als Versorgungsstandard und damit
als integraler Bestandteil des Krisenmanagements.

Das Ziel der PSNV-Maßnahmen besteht darin, die Verarbeitung des Not-
fallereignisses oder belastenden Einsatzes zu ermöglichen sowie anhalten-
de psychische Belastungen zu vermeiden oder abzupuffern. Die Prävention
psychischer Traumafolgestörungen ist darin ebenso eingeschlossen wie
das Ziel, Menschen durch Früherkennung frühzeitige und angemessene
Behandlung zukommen zu lassen, wenn diese psychische Störungen mit
Krankheitswert herausgebildet haben.

Die PSNV geht von der Grundannahme aus, dass zur Bewältigung von
Notfallereignissen zunächst persönliche und soziale Potenziale aktiviert
werden. Die Mehrheit der Menschen bewältigt Notfallereignisse im Laufe
der Zeit aus eigener Kraft oder mit der Unterstützung nahestehender Men-
schen. Maßnahmen der PSNV wirken ergänzend oder – im Falle des Fehlens

Leitfaden Katastrophenmedizin 131


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

oder Versiegens diese Kräfte – ersetzend. Das besagt zugleich, dass Unterstüt-
zung und Hilfe umso aktiver und niedrigschwelliger (d. h.ohne Hürden und
Anstrengungen für jeden erreichbar) angeboten werden sollte, je belasteter
und je geschwächter in ihren Selbsthilfemöglichkeiten die betroffenen Men-
schen sind. Mit jedem Angebot von Hilfe oder heilkundlicher Intervention ist
zugleich ein hoher Respekt vor den Bewältigungs- und Selbsthilfepotenzia-
len der Betroffenen sowie ihrer sozialen Netzwerke geboten.

Die PSNV-Maßnahmen tragen der Tatsache Rechnung, dass sich die Bedürf-
nisse unterschiedlicher Betroffenengruppen unterscheiden. Die PSNV-
Maßnahmen sind daher untergliedert in:
ƒ Maßnahmen für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/
oder Vermissende1 und
7

ƒ Maßnahmen für Einsatzkräfte des Rettungsdienstes, der Feuerwehren, des


Katastrophenschutzes, der Polizeien, des Technischen Hilfswerkes und bei
Zustandekommen von Unterstützungsleistungen auch der Bundeswehr

Um die differenzierten, sich im Zeitverlauf von Stunden, Tagen und Wochen


oder Monaten nach einem Ereignis auch wandelnden Bedarfe decken zu kön-
nen, müssen unterschiedliche Kompetenzen zusammengeführt werden.

Die Psychosoziale Notfallversorgung als Ganzes umfasst daher PSNV-


Angebote für die jeweiligen Zielgruppen, weiterhin die Anbieter. Sie umfasst
auch die Organisationsformen und -strukturen der Beauftragung, Zusam-
menarbeit und Finanzierung sowie rechtliche Regelungen. Diese bilden den
strukturellen Rahmen für die Maßnahmen.

7.2 Regelungsbedarf, Konsensus-


Konferenz und Leitlinien
Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte ist in Deutschland ein hoch differen-
ziertes und in Handlungsansätzen, Selbstverständnissen und Sprachge-
brauch vielfältiges, zuweilen unübersichtliches System von Angeboten für
Einsatzkräfte und Betroffene von Notfallereignissen entstanden. Die Zu-
sammenarbeit aller in einem Großschadensereignis kooperierenden techni-
schen, medizinischen und psychosozialen Akteure gestaltete sich in weiten
Teilen zwar immer besser und selbstverständlicher, offenbarte aber zugleich
nach wie vor eine allzu große Heterogenität, Schnittstellenprobleme und
Reibungsverluste. Daraus erwuchsen Forderungen nach einer Qualitäts-

1 Im Folgenden als „Betroffene“ bezeichnet.

132 Leitfaden Katastrophenmedizin


sicherung in der PSNV, die das Bundesministerium des Innern (BMI) und das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) veranlass-
ten, zwei Forschungsprojekte in Auftrag zu geben: das Projekt „Prävention
im Einsatzwesen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Willi Butollo und Dr. Mari-
on Krüsmann, München,2 und das Projekt „Vernetzung, Strukturierung und
Organisation psychosozialer Notfallversorgung“ (Netzwerk Psychosoziale
Notallversorgung) unter der Leitung von Prof. Dr. Irmtraud Beerlage, Mag-
deburg.3 Deren Ergebnisse bildeten neben weiteren wissenschaftlichen Stu-
dien, internationalen Leitlinien, jüngeren Erfahrungen in der Vorbereitung
und Bewältigung größerer Einsätze sowie wissenschaftlichen Gutachten
die Grundlage für den vom BBK vorbereiteten und moderierten einjährigen
Konsensusprozess. Er verfolgte das Ziel, zu fachlich begründeten, in der
deutschen Gefahrenabwehr praktikablen und breit getragenen, zugleich

7
international kompatiblen Leitlinien zu gelangen. Beteiligt waren Vertreter
aus allen PSNV-relevanten Breichen: Bundesministerien und Innenministe-
rien/Senate der Länder, Behörden und Organisationen der zivilen und mili-
tärischen Gefahrenabwehr sowie der Anbietersysteme, einschließlich der
Kirchen, Kammern, Fachverbände, Kostenträger und Wissenschaftler.

Im Ergebnis wurden die PSNV-Leitlinien auf der Konsensuskonferenz PSNV


am 11.11.2008 (BBK 2009) verabschiedet. Die folgenden Darstellungen spie-
geln das Ergebnis, benennen aber auch offene Fragen, an deren Beantwor-
tung kontinuierlich weitergearbeitet wird.

Praxis-Tipp

Die bundeseinheitlichen Qualitätsstandards und Leitlinien der Psycho -


sozialen Notfallversorgung können beim BKK bestellt (bestellservice@
bbk.bund.de) oder auf den Internetseiten des BKK (www.bbk.bund.de)
heruntergeladen werden.

2 Weitere Informationen siehe www.einsatzkraft.de.


3 Weitere Informationen siehe www.psychosoziale-notfallversorgung.de und www.gesundheit-im-
einsatzwesen.de.

Leitfaden Katastrophenmedizin 133


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

7.3 Maßnahmen der Psychosozialen


Notfallversorgung für Überlebende,
Angehörige, Hinterbliebene,
Vermissende und Zeugen
7.3.1 Bedürfnisse und psychische Belastungen
im Zeitverlauf
Im Management der PSNV-Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass sich Be-
dürfnisse und Unterstützungsbedarfe im Zeit- und Bewältigungsverlauf
wandeln.
7

Traumatische Erfahrung
Nicht jeder von einem Unglücksfall betroffene Mensch ist traumatisiert.
Entscheidend ist, wie das Ereignis erfahren und verarbeitet wird. Eine
traumatische Erfahrung ist dadurch gekennzeichnet, dass Menschen eine
bedrohliche Situation (Lebensbedrohung, Bedrohung von Hab und Gut, Ver-
letzung, Gewaltandrohung, Demütigung) bei sich oder (nahestehenden) an-
deren oder einen plötzlich eintretenden Verlust mit intensiven Gefühlen wie
Furcht, Entsetzen, Schrecken, Hilflosigkeit oder Ekel erleben. Zugleich lö-
sen diese Empfindungen intensive psychische und körperliche Veränderun-
gen aus, die zunächst nicht als „Krankheitssymptome“ zu verstehen sind, da
sie normale Reaktionen auf existenzielle Erschütterungen darstellen:
ƒ hohe Erregung (Unruhe, Angst)
ƒ Sprachlosigkeit („Mit fehlen die Worte“)
ƒ Verständnis- bzw. Fassungslosigkeit („Ich kann es nicht begreifen, ich weiß
nicht, wie das passieren konnte“)
ƒ emotionale Überwältigung oder innere Leere (Weinen, Taubheit, Starrheit)
ƒ Handlungsunfähigkeit („Ich bin wie gelähmt“)
ƒ Gefühl der Fremdheit der Umwelt („Alles war so grell“) und des eigenen
Körpers („Ich habe mich nicht gespürt“)
ƒ Gefühl der sozialen Verlorenheit („Keiner kann das nachvollziehen“)

Je länger und intensiver dieses Erleben anhält, desto schwerer gelingt eine Er-
holung. Je früher jedoch „psychische erste Hilfe“ (Lasogga und Gasch 1997) ein-
setzt, desto eher werden die Weichen für eine raschere psychische Erholung
gestellt.

Einflüsse auf die psychische Bewältigung von Notfällen


Ob ein Ereignis einen Betroffenen tatsächlich nachhaltig psychisch verletzt,
hängt von äußeren und inneren Faktoren ab. Die äußeren Einflussfakto-
ren umfassen den Charakter des Schadensereignisses (Dauer, Schwere,

134 Leitfaden Katastrophenmedizin


Grausamkeit der Eindrücke, anhaltende Unentrinnbarkeit), die Quelle der
Verursachung (menschlich, technisch, natürlich) und auch die sozialen
Rahmenbedingungen vor, während und nach dem Ereignis (soziale Ge-
meinschaft vorhanden oder nicht, stützend oder konfliktreich). Bei Zeugen
von extremen Ereignissen erweist sich auch die Nähe zum Schadensort als
Einflussfaktor. Die inneren Bewältigungsvoraussetzungen der Überleben-
den, Angehörigen, Hinterbliebenen, Vermissenden und Zeugen schließen
dessen emotionale und geistige Reife, eventuelle psychische Störungen und
vorangegangene Traumatisierungen ein.

Kurzfristige psychische Belastungen


Unmittelbar nach dem Ereignis ist die Belastung am höchsten. Wissen-
schaftliche Daten und praktische Erfahrungen belegen übereinstimmend,

7
dass intensive Belastungen fast allen Betroffenen die Fortführung des priva-
ten oder beruflichen Alltags erschweren. Zugleich stellt ein Notfallereignis
häufig zusätzliche Anforderungen organisatorischer oder administrativer
Natur. Der größte Teil der Betroffenen erholt sich innerhalb weniger Tage
und kann alltägliche Aktivitäten bald wieder aufnehmen; 20–40 % der von
einem Notfallereignis Betroffenen zeigen anhaltende Stressmerkmale, die
aber innerhalb von 4–6 Wochen abklingen. Die Rate schwerster und mitt-
lerer psychischer Störungen verdoppelt bzw. verdreifacht sich kurzfristig
nach Notfallereignissen in der Gruppe der Betroffenen und bedeutet einen
erhöhten Versorgungsbedarf der Gruppen derjenigen, die sich bereits vor
dem Ereignis im medizinischen, (sozial-)psychiatrischen und psychothera-
peutischen Versorgungssystem befanden. Psychiatrische Notfälle (Vorlie-
gen von Selbstgefährdung/Suizidalität und/oder Fremdgefährdung) unmit-
telbar nach der Konfrontation mit dem Extremereignis scheinen – anders
als häufig angenommen – nur äußerst selten (< 0,1 %) aufzutreten (IASC 2007,
Impact 2007, NATO 2008).

Ob jemand einen riskanten Bewältigungsverlauf aufweist, ist in den ersten


4–6 Wochen schwer zu erkennen. Prognosen gelten in diesem Zeitraum
als sehr unsicher, da sich die Verhaltensweisen von Menschen in der Krise,
die mehr oder weniger Risiken in der Umgebung oder in der Verarbeitung
aufweisen, nicht immer oder nur kaum aussagekräftig unterscheiden. Der
Einsatz standardisierter Screening-Instrumente (z. B. Checklisten, Frage-
bögen) ist daher umstritten (s. zusammenfassend Beerlage 2009):

1. wegen der unsicheren prognostischen Aussagekraft in den ersten vier Wo-


chen nach einem Notfallereignis,
2. wegen der Rahmenbedingungen einer Großschadenslage, die bereits die
Durchführung eines Screenings erschweren,
3. wegen der möglichen zusätzlichen Belastungen für die Betroffenen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 135


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

Langfristige psychische Belastungen


Die Schätzungen des Anteils derjenigen Überlebenden, Angehörigen, Hinter-
bliebenen, Vermissenden und unmittelbaren Zeugen, die langfristig krank-
heitswertige psychische Störungen wie Ängste, Depressionen, Suchtmit-
telmissbrauch, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), aber auch
vielfältige Probleme in sozialen Beziehungen entwickeln, liegen zwischen
0,5 % und 10 % (IASC 2007, Impact 2007, NATO 2008, Seynaeve 2001, WHO 2003).
Hauptsymptome der posttraumatische Belastungsstörung sind eine anhal-
tende übermäßige Erregung und Schreckhaftigkeit oder eine Abflachung der
allgemeinen (emotionalen) Reaktionen, wiederkehrende überfallsartig sich
aufdrängende Erinnerungen und Sinnesdrücke (Flasbacks/Intrusionen) –
auch in Albträumen – und eine anhaltende Vermeidung von Orten, Situatio-
nen und Menschen, die mit dem Notfallereignis in Zusammenhang gebracht
7

werden. Psychische Vorerkrankungen scheinen jedoch weniger ein Risiko-


faktor für eine schwerer gelingende Bewältigung zu sein als fehlende soziale
Einbettung und Lebensstress vor dem Ereignis (NATO 2008).

Bitte beachten

Die Mehrheit der Betroffenen erholt sich nach anfänglichen intensiven


Stressreaktionen innerhalb weniger Tage und Wochen. Betroffene soll -
ten daher in ihren eigenen Bewältigungsversuchen respektiert und un -
terstützt werden. Genauso bedeutsam für die Erholung ist ein tragfähi -
ges soziales Netzwerk. Der Kontakt mit nahestehenden Menschen sollte
ermöglicht und ggf. organisatorisch unterstützt werden.

7.3.2 Bedürfnisorientiertes, zeitlich


geordnetes und gestuftes System von
interdisziplinären PSNV-Maßnahmen

Die Angebote der PSNV sind zeitlich gegliedert und spiegeln somit den
Bedürfnisverlauf und die sich darauf ergebenden Versorgungsbedarfe. Zu-
gleich sind sie nach Kompetenzen gestuft: Soziale Unterstützung kann oft
das soziale Netzwerk leisten; psychosoziale Hilfen erfordern eine gesonderte
Qualifizierung; (Früh-)Interventionen erfordern eine spezifische heilkundli-
che Qualifikation als Arzt oder psychologischer Psychotherapeut oder Kin-
der- und Jugendlichenpsychotherapeut und eine Approbation (s. Abb. 7-1).

136 Leitfaden Katastrophenmedizin


Erste Stunden Tage Wochen, Monate

Soziale Unterstützung
im sozialen Netzwerk
Psychosoziale
Akuthilfen Kein Bedürfnis nach weiter gehender Hilfe
Kein Bedarf aufgrund erkennbarer Risiken

mit zum Teil verzögerten Effekten


Unterschiedliche Verläufe
inkl.
Bedürfnis- und
Bedarfserhebung
Psychische und Vermittlung
Erste Hilfe Psychosoziale Hilfen

Soziale, familiäre, berufliche u. a. Problemlagen


Lageabhängiges Psychosozialer Hilfe- und Beratungsbedarf
Screening

7
Diagnostik und Intervention
in der ambulanten und stationärem Versorgung
Insbesondere ärztliche (Haus- und Fachärzte)
und psychologische
psycho(trauma)therapeutische (Früh-)Intervention
Indikation: (psychische) Störung mit Krankheitswert

Abb. 7-1 PSNV-Maßnahmen für Überlebende, Angehörige, Zeugen und/oder


Vermissende. (Aus BBK 2009, S.16.)

7.3.2.1 Psychische erste Hilfe


Einsatzkräfte haben den Erstkontakt zu Überlebenden, Angehörigen, Hinter-
bliebenen, Zeugen und ggf. auch zu Vermissenden. In einer aktuellen wissen-
schaftlichen Bestandsaufnahme konnten fünf hilfreiche Elemente früher psy-
chosozialer Hilfen als wirksam herausgearbeitet werden; dabei ist zu beachten,
dass diese im direkten Kontakt mit den Betoffenen realisisiert werden sollten
(s. Kap. 2), aber auch auf der Ebene der (Hobfoll et al. 2007):
ƒ Sicherheit (Abschirmung vor unliebsamen Blicken, kompetent erlebte
verlässliche Hilfe, ein sicherer Ort, glaubwürdige Information, engagierte
und kompetente politische Verantwortliche)
ƒ Beruhigung (Verstehen eigener Reaktionen und Verständnis anderer,
Wissen um den Verbleib von Angehörigen, Wissen um weitere geplante
Hilfsmaßnahmen)
ƒ Wirksamkeit erfahren (allein oder mit anderen bei der Bewältigung der Situ-
ation – auch auf der Ebene der betroffenen Gemeinde – mitwirken dürfen)
ƒ Verbundensein mit Nahestehenden/anderen Betroffenen, Solidarität er-
fahren
ƒ Hoffnung (Zuversicht auf eine Wendung zum Besseren, Stärken entdecken)

Diese Grundprinzipien zu realisieren bedeutet, im rettungsdienstlichen oder


technischen Handeln die psychische Befindlichkeit der Überlebenden mit zu
reflektieren und das eigene Handeln darauf einzustellen. Einsatzkräfte sollten

Leitfaden Katastrophenmedizin 137


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

daher in der Ausbildung die Basiskompetenz der „psychischen ersten Hilfe“


(Lasogga und Gasch 1997) erwerben, in der die fünf Elemente (Hobfoll et al.
2007) umgesetzt werden, um unmittelbar potenziell traumatisierende Erfah-
rungen abpuffern zu können. Bei dieser Form der Hilfe werden einige wenige
Grundprinzipien in der Kommunikation mit den Geschädigten angewendet
(s. auch Kap. 2). Internationale Empfehlungen betonen hier auch die Verant-
wortung der Notärzte, in der Interaktion mit den Geschädigten die Regeln der
psychischen ersten Hilfe ebenfalls umzusetzen, aber auch als Vorbild für das
nichtärztliche Rettungsdienstpersonal zu dienen.

Bitte beachten
7

PSNV sollte bereits unmittelbar nach dem Schadensereignis einsetzen. Un-


ter Beachtung weniger Grundprinzipien der „psychischen ersten Hilfe“ kön-
nen bereits Einsatzkräfte entlastend, hilfreich und unterstützend wirken.

7.3.2.2 Organisierte psychosoziale Akuthilfen


Großschadenslagen und Katastrophen gehören zu den speziellen Einsatzsi-
tuationen, bei denen nach der psychischen ersten Hilfe auch weiterführende
psychosoziale Maßnahmen erfolgen müssen. Im Vorfeld sind daher Alar-
mierungslisten der regional und überregional arbeitenden Kriseninter-
ventionsteams, Notfallseelsorgeteams und Notfallpsychologen aufzustellen
sowie Alarmierungswege und die Transportmöglichkeiten der operativen
PSNV-Kräfte zu klären.

Psychosoziale Akuthilfen richten sich an die unmittelbar geschädigten oder


(mit-)betroffenen Bürger und setzen unmittelbar nach dem Ereignis ein. Sie
werden in den ersten Stunden und Tagen nach dem Ereignis entweder von
einsatzerfahrenen Notfallseelsorgern, Mitarbeitern aus Kriseninterven-
tionsteams (KIT-Teams) der Hilfsorganisationen (oder anderer Träger) oder
Notfallpsychologen angeboten. Wer diese Aufgaben wahrnimmt, hängt
auch von der regionalen Verfügbarkeit ab.

Im Bedarfsfall, z. B. Verdacht auf eine psychische Störung, Abklärung eines


potenziellen psychiatrischen Notfalls, Bedarf an therapeutischen Maßnah-
men, können die psychosozialen Akuthilfen durch (Früh-)Interventionen
ergänzt werden. Es handelt sich dabei um Maßnahmen zur Feststellung,
Behandlung oder Linderung psychischer Störungen mit Krankheitswert.
Sie werden von nachalarmierten psychotraumatologisch qualifizierten
Fachärzte
­ sowie ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten mit
heilkundlicher Qualifikation und Approbation durchgeführt. Deshalb ist im

138 Leitfaden Katastrophenmedizin


Vorfeld eine Vernetzung zwischen den psychosozialen Akuthilfen und der
ambulanten und stationären Versorgung in den regionalen Gliederungen
herbeizuführen. Außerdem sind geordnete Kooperationsstrukturen zu ver-
einbaren, die durchaus auch bei Einzelereignissen im Alltag der Gefahren-
abwehr umgesetzt und für Großschadenslagen erprobt werden sollten.

Psychosoziale Akuthilfe kann an unterschiedlichen Orten erforderlich werden:


ƒ primär in Betreuungsstellen (Achtung: vorab Abstimmung mit Betreu-
ungsdiensten der Hilfsorganisationen erforderlich!)
ƒ seltener am Behandlungsplatz (Achtung: hier rettungsdienstliche Quali-
fikation oder umfassende notfallseelsorgerliche Erfahrung bei alltagsna-
hen Notfallereignissen erforderlich, Aufgabenschwerpunkt: Betreuung
der Patienten der Sichtungskategorie IV)

7
ƒ an der Totensammelstelle / am Leichenablageplatz zur Aussegnung (hier
ausschließlich Notfallseelsorge)
ƒ in Angehörigen-/Zeugensammelstellen
ƒ an den Hotlines/Bügertelefonen

Bitte beachten

Unmittelbar nach dem Eintreten eines MANV, einer Großschadenslage


oder einer Katastrophe ist die organisierte psychosoziale Akuthilfe (durch
Kriseninterventionsteams, Notfallseelsorger, Notfallpsychologen) zu alar-
mieren. Dazu sind einsatzvorbereitend tragfähige regionale Strukturen der
Alarmierung und Zusammenarbeit zu verabreden und umzusetzen.

Besonderheit der PSNV in Deutschland: Die Bedeutung


und der spezifische Beitrag der Notfallseelsorge

Die Begleitung von Menschen in akuter oder chronischer Not gehört seit
jeher zum genuinen Bestand christlicher diakonischer Aufgaben, sowohl
in der Selbst-, als auch in der Fremdwahrnehmung der Kirche. Zugleich ist
Notfallseelsorge Teil einer ganzheitlichen PSNV im Kontext unserer plu -
ralen Gesellschaft.
In Deutschland sind seit den beginnenden neunziger Jahren des vergan -
genen Jahrhunderts anfänglich punktuell, dann zunehmend flächende -
ckend, Notfallseelsorgesysteme aufgebaut worden, die in Ergänzung
zur Regelversorgung der Gemeindeseelsorge eine zeitnahe und fachlich
qualifizierte seelsorgerische Begleitung von Menschen in akuter Not
gewährleisten. Gegenwärtig dienen die Hamburger Thesen (2007) der

Leitfaden Katastrophenmedizin 139


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

Konferenz „Evangelische Notfallseelsorge in Deutschland“ als möglicher


nationaler Orientierungsrahmen für die Notfallseelsorge.4 Die Thesen
bestimmen dieses grundsätzlich ökumenisch ausgerichtete Handlungs-
feld als „Zuspruch der Zuwendung Gottes an den Menschen in Not“, der
„in der Präsenz des Seelsorgers, der Seelsorgerin vor Ort und dem Ange -
bot einer helfenden Begleitung in der Akutphase“ realisiert wird. Dieses
Profil umfasst auch seelsorgerliche Begleitangebote bei „größeren Scha -
denslagen bis hin zu Katastrophen“, in denen Notfallseelsorge „mit an -
deren Professionen im Rahmen der PSNV“ (vgl. Hamburger Thesen 2007,
Abschnitt C) kooperiert. Dabei erfüllt Notfallseelsorge unterschiedliche
Funktionen für Betroffene und Helfende in Prävention, Einsatzbeglei-
tung und -nachsorge.
Notfallseelsorge kann in enger Abstimmung mit den anderen Behörden
und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bei einem MANV an
7

verschiedenen Orten und in verschiedenen Funktionen tätig werden


(vgl. Waterstraat 2009), z. B. an der Verletztensammelstelle, auf dem
Behandlungsplatz, in der Angehörigen-/Zeugenanlaufstelle, an der Be -
treuungsstelle für unverletzte Betroffene, an der Totensammelstelle / am
Leichenablageplatz, bei der ggf. eingerichteten Hotline / dem Bürger-
telefon, in der Einsatzkräftebegleitung, in der Koordinierung weiterer
Seelsorge- und/oder PSNV-Kräfte, im Aufbau der Notfallnachsorge und
bei entsprechender Qualifikation in der Einsatzleitung als Fachberater/
Leiter PSNV. Notfallseelsorge eröffnet eine transzendente Perspektive
als kohärentes Deutungsangebot einer hochdestruktiven Situation. Sie
kann, abgebildet in der inhaltlichen, rituellen und operativen Kompe -
tenz des Seelsorgers, die geglaubte Zuwendung Gottes zum Menschen
in Not erfahrbar machen.
Notfallseelsorge-Systeme arbeiten auf der Basis wissenschaftlicher,
praktisch-theologischer sowie allgemeiner fachlicher, organisatorischer
und operativer Qualitätsstandards (vgl. Beerlage et al. 2006, Beerlage
et al. 2009b, BBK 2009), wie beispielsweise:
ƒ „eine kirchlich verantwortete Seelsorge-Ausbildung, die durch fach -
bezogene Fortbildungen ergänzt wird“ (Hamburger Thesen 2007,
Abschnitt F) als Voraussetzung für die Mitarbeit sowie die Bereitschaft
zur fachlichen Interdisziplinarität und reflektierten Spiritualität (z. B.
bei gottesdienstlichen oder rituellen Angeboten)
ƒ die bestehende Einbindung in bewährte Strukturen der Gefahrenabwehr
ƒ die Möglichkeit zur Supervision

4 Siehe www.nfs-bw.de.

140 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

In Notsituationen stellen sich oft existenzielle Sinn- und Glaubensfragen.


Die Anwesenheit von einsatzerfahrenen Notfallseelsorgern oder Seelsor-
gern in Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei und Militär sollte insbesondere
an Orten der Trauer und der Angst ermöglicht werden.

7.3.2.3 Organisierte mittel- und langfristige


psychosoziale Nachsorge
Mittel- und langfristige psychosoziale Hilfen aus dem Spektrum der psy-
chosozialen Beratung und gemeindlichen Seelsorge sind frühzeitig, noch

7
während des laufenden Einsatzes zu planen und vorzubereiten. Wie oben
erwähnt, sind in den ersten 4–6 Wochen nach einem Notfallereignis prog-
nostische Aussagen zu einem möglichen „kritischen“ Bewältigungsverlauf
häufig sehr schwer zu treffen. Umso wichtiger sind deshalb nachsorgende
Betreuungsangebote sowie eine enge Kooperation und Vernetzung mit dem
regionalen psychosozialen und (sozial-)psychiatrischen Versorgungssystem,
um Versorgungskontinuität und nahtlose Übergänge zu gewährleisten so-
wie Krisen im Spektrum der ambulanten Versorgung auffangen zu können.

Mittel- und langfristige Bedarfe an psychosozialen Maßnahmen ergeben


sich nicht nur aufgrund eingetretener psychischer Störungen. Länger zurück-
liegende Ereignisse (z. B. Flugschauunglück in Ramstein, Birgen-Air-Absturz,
ICE-Unglück Eschede) haben gezeigt, dass noch Jahre nach dem Ereignis Situa-
tionen eintreten können (Jahrestage, wichtige private Ereignisse, ähnliche Un-
glücke), in denen die Betroffenen den Austausch mit anderen, von demselben
Unglück Betroffenen („Schicksalsgemeinschaft“) suchen und den Wunsch
nach psychosozialer Begleitung entwickeln. Auch können nichtklinische
Folgeprobleme auftreten, wie Partnerschaftskonflikte, Rückzug aus dem
Freundeskreis, Probleme am Arbeitsplatz u. v. m. Auch diese, mit dem Ereignis
zusammenhängenden Problemlagen bedürfen der langfristigen Nachsorge.

Bitte beachten

Die Organisation und Durchführung langfristiger Nachsorge erfordert ein


umfassendes Netzwerkwissen, eine enge Abstimmung und eine erprobte
Zusammenarbeit mit psychosozialen Krisendiensten, Beratungsstellen,
Haus- und Fachärzten, Psychotherapeuten, Kliniken und Kostenträgern.

Leitfaden Katastrophenmedizin 141


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

7.4 Maßnahmen der Psychosozialen


Notfallversorgung für Einsatzkräfte
als bedürfnisorientiertes, zeitlich
geordnetes und gestuftes inter-
disziplinäres System
Aktuelle PTBS-Raten bei Einsatzkräften liegen mit 1–4 % in jüngeren Studien
deutlich unter früher berichteten Raten von bis zu 35 %. Dies ist zum Teil auf
strengere Erhebungsmethoden, zum anderen vielleicht auch auf eine höhe-
re Sensibilisierung in den Einsatzorganisationen zurückzuführen. Dennoch
tragen Einsatzkräfte ein 3-fach erhöhtes Risiko gegenüber der Bevölkerung,
aufgrund einsatzbedingter Belastungen eine posttraumatische Belastungs-
7

störung oder weitere psychische Traumafolgestörungen zu entwickeln


(Krüsmann et al. 2006, Beerlage et al. 2008, Beerlage et al. 2009a).

Als besonders belastende Einsätze gelten Einsätze mit:


ƒ der Bedrohung des eigenen Lebens / der eigenen Würde
ƒ der Bedrohung des Lebens / der Würde von Kollegen/Kameraden
ƒ Kindern
ƒ bekannten Opfern oder Schadensverursachern/Tätern
ƒ lang andauernde Einsätze
ƒ intensiven Sinneseindrücken (Gerüche, Schreie)
ƒ moralischen Konflikten oder erzwungener Untätigkeit (z. B. aufgrund von
Selbstschutzerfordernissen)

PSNV-Maßnahmen für Einsatzkräfte umfassen (vgl. Abb. 7-2):


ƒ die Einsatzvorbereitung sowie eine umfassende Primärprävention und
organisationsbezogene Gesundheitsförderung als Maßnahmen zur Sen-
kung des Belastungsausmaßes in künftigen (extremen) Einsatzsituationen
durch Vorgesetzte, Peers (psychosozial speziell geschulte Einsatzkräfte)
und soziale Ansprechpartner
ƒ die Einsatzbegleitung als sekundäre Prävention während des Einsatzes
durch Führungskräfte, Peers und psychosoziale Fachkräfte
ƒ die Einsatznachsorge als sekundäre Prävention einige Tage bis Wochen
nach dem Einsatz durch Vorgesetzte, Peers und psychosoziale Fachkräfte;
insbesondere sind hier zum einen Einsatz(kräfte) nach sor ge teams (ENT),
auch als PSU-Teams oder CISM-Teams bezeichnet, zu nennen, deren
Maßnahmen sich am Konzept des Critical Incident Stress Management
(Mitchell und Everly 1994) orientieren, sowie Seelsorger in Feuerwehr, Ret-
tungsdienst, Polizei und Militär
ƒ die mittel- und langfristige Einsatznachsorge, untergliedert in Beratungs-
angebote innerhalb und außerhalb der Behörden und Organisationen

142 Leitfaden Katastrophenmedizin


(als sekundäre Prävention) sowie (Früh-)Interventionen als Maßnahmen
der Feststellung, Behandlung oder Linderung psychischer Störungen mit
Krankheitswert sowie das Wiedereingliederungsmanagement (als tertiä-
re Prävention)

Bitte beachten

Einsatzkräfte sind auf besonders belastende Einsätze vorzubereiten. Füh -


rungskräfte sollten nach hoch belastenden Einsätzen in besonderem Maße
als (aktive) Ansprechpartner für die ihnen unterstellten Einsatzkräfte zur
Verfügung stehen und bei wahrgenommener erhöhter Belastung ein Ein-
satznachsorge-Angebot beauftragen.

7
Vor dem Während Tage bis
Einsatz des Einsatzes Wochen Ab 4. Woche

Primäre Sekundäre Sekundäre Sekundäre- und Tertiäre Prävention


Prävention Prävention Prävention

Einsatzvor- Einsatz
bereitung begleitung Soziale Unterstützung
im beruflichen und privaten sozialen Netzwerk
Aus- und
Einsatz- Kein Bedürfnis nach weiter gehender Hilfe
Fortbildung nachsorge

mit zum Teil verzögerten Effekten


Kein Bedarf aufgrund erkennb arer Risiken
Arbeits- und
atz

inkl.

Unterschiedliche Verläufe
Organisations Bedürfnis-
der Eins

strukturen in und
Wachen und Bedarfs-
Wehren erhebung Psychosoziale Hilfen
Arbeitsklima
belasten

und (intern und extern)


Kontinuierlich Vermittlung
eingesetzte Soziale, familiäre, b erufliche u. a. Prob lemlagen
Psychosoziale Psychosozialer Hilfe- und Beratungsb edarf
Lage-
Extrem

Ansprech-
abhängiges
partner
Screening

Betriebliche(r) Diagnostik und Intervention


Gesundheits- in der ambulanten und stationärem Versorgung
förderung, Insbesondere ärztliche (Haus- und Fachärzte)
Gesundheits- und psychologische
schutz psycho(trauma)therapeutische (Früh-)Intervention
(Bewegung,
Ernährung ...) Indikation: (psychische) Störung mit Krankheitswert

Abb. 7-2 PSNV-Maßnahmen für Einsatzkräfte vor, während und nach belas-
tenden Einsätzen. (Aus BBK 2009, S.18.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 143


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

7.5 Psychosoziales Krisenmanagement:


Führungsstrukturen und -funktionen
im Einsatz
Eine vorab festzulegende Koordinationsstruktur und die Einbindung der
PSNV in das komplexe Hilfeleistungssystem der Behörden und Organisa-
tionen der Gefahrenabwehr gelten als Voraussetzung, um die Qualität der
Versorgung der durch ein Notfallereignis oder einen extrem belastenden
Einsatz belasteten Menschen zu sichern und Kommunikationsprobleme,
Reibungsverluste sowie unangepassten PSNV-Kräfte- und -Mitteleinsatz zu
vermeiden. Bisherige Erfahrungen und wissenschaftliche Auswertungen
bisheriger PSNV-Einsätze legen die Einrichtung von PSNV-Einsatzabschnit-
7

ten nahe. Die PSNV-Maßnahmen für Betroffene und für Einsatzkräfte sollten
innerhalb dieser Abschnitte aufgrund unterschiedlicher Abläufe, Bedürfnis-
se und Anbieter getrennt werden. Beide Bereiche sollte jedoch gemeinsam
von einem Leiter PSNV an der Schadensstelle, der spezifisch für diese Füh-
rungsaufgabe qualifiziert ist, geführt werden (Beerlage et al. 2006; Helme-
richs 2005, 2007).

Der Leiter PSNV erstellt ein psychosoziales Lagebild und leitet daraus den
Kräfte- und Mitteleinsatz ab sowie ggf. die Notwendigkeit von Einsatzab -
schnitten. Neben vertieften Qualifikationen und umfangreichen PSNV-
Einsatzerfahrungen sollte er auch über ein umfangreiches Struktur- und
Netzwerkwissen in der PSNV sowie über fundiertes Strukturwissen der kata-
strophenmedizinischen Versorgung verfügen.

Daneben sollten in allen jeweils gebildeten Stäben (operativ-taktischer Stab,


Verwaltungsstab, besondere Aufbauorganisation [BAO]) Fachberater PSNV
eingesetzt werden. Als Mitglied des Stabes berät der Fachberater PSNV bei
allen psychosozialen Fragestellungen, wie Bedarfsermittlung, Aufbau der
PSNV-Einsatzabschnitte, Einsetzung eines Leiters PSNV, Vorbereitung der
mittel- und langfristigen Nachsorge etc. Er kommuniziert mit externen Fach-
diensten, darunter PSNV-Anbietersystemen, und dem Leiter PSNV. Er sollte
ebenfalls spezifisch für diese Aufgabe qualifiziert sein. Die Qualifikation
schließt eine Stabsausbildung sowie den Erwerb eines ebenfalls fundierten
Struktur- und Netzwerkwissens ein.

Die Fachberatung PSNV wird in den Bundesländern unterschiedlich rea-


lisiert: In den meisten Ländern stellt sie eine Querschnittsaufgabe dar, die
alle Sachgebiete berührt oder einzelnen Sachgebieten zugeordnet ist. Nur
im Land Sachsen wird sie im Katastrophenfall als gesondertes Sachgebiet
geführt.

144 Leitfaden Katastrophenmedizin


In einzelnen Bundesländern ist auf der Ebene der Landesinnenministerien
eine Landeszentralstelle für PSNV eingerichtet worden oder eine Landes-
beauftragte PSNV oder ein Landesbeauftragter PSNV ernannt worden, die
bereits im Vorfeld von Lagen mit übergreifendem Kooperations- und Koor-
dinierungsbedarf Vernetzung und organisationsübergreifende Zusammen-
arbeit innerhalb der PSNV-Anbieter und zwischen PSNV und Öffentlichem
Gesundheitsdienst fördern. Sind eine Landeszentralstelle oder die Funktion
eines oder einer Landesbeauftragten eingerichtet worden, sollten sie auch
durch den Fachberater PSNV im Stab kontaktiert und als wichtige Informa-
tionsquelle genutzt werden.

Bitte beachten

7
Die PSNV ist in die Führungs- und Organisationsstrukturen einzubinden und
dabei auf die bereits bestehenden Strukturen der Gefahrenabwehr abzu-
stimmen. Für komplexe Gefahren- und Schadenslagen sind PSNV-Führungs-
kräfte vorzubereiten, bereitzustellen und einzusetzen. Als PSNV-Führungs-
kräfte sind Leiter PSNV und Fachberater PSNV im Stab zu qualifizieren und
bereitzustellen. Ihre Alarmierung ist ebenfalls vorzubereiten.

Besonderheiten der Versorgung von deutschen Staatsbürgern,


die im Ausland Unglücksfälle erleben

Deutsche Staatsbürger können auch im Ausland von Unglücksfällen be -


troffen sein. Das Spektrum reicht von individuellen Ereignissen wie Ver-
letzung, Tod oder Gewalterfahrungen, aber auch Terroranschlägen
(z. B. Bali 2002 und 2005, Djerba 2002, „9/11“ 2001, London 2005, Mumbai
2008) und Entführungen (z. B. Algerien 2003, Iran 2003, Irak 2005, 2006
und 2007, Jemen 2008 und 2009), über Evakuierungen aus Kriegs- und
Krisengebieten (z. B. Libanon 2006) sowie Naturkatastrophen (z. B.
Tsumani in Südostasien 2004) bis hin zu Flugzeugabstürzen (z. B. Birgen
Air/Dominikanische Republik, Concorde/Paris 2000, Air France/Atlantik
2009), Busunfällen (z. B. Siofok 2003, Lyon 2003, Hensies 2003, Antalya
2005) und Schiffshavarien (z. B Ägypten 2006). Die Entfernung vom Hei-
matort und von fehlenden stützenden sozialen Gemeinschaften, sprach -
liche Barrieren, kulturelle und klimatisch Einflüsse stellen neben dem Un -
glück zusätzliche Erschwernisse für die einzelnen Betroffenen, aber auch
Herausforderungen für die Psychosoziale Notfallversorgung dar. Eine
gute Kooperation von Auswärtigem Amt und Innenbehörden gewährt
eine bedürfnisgerechte und nahtlose Unterstützung auch bei psychoso -
zialen Problemlagen.
Tätigkeitsbereiche des Auswärtigen Amtes
Das Auswärtige Amt leistet auf der Grundlage der §§ 5, 6, und 9 des Kon -
sulargesetzes und verschiedener EU-Abkommen in mehr als 100 000

Leitfaden Katastrophenmedizin 145


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

Fällen pro Jahr Hilfe für Deutsche im Ausland. In ca. 10 000 Fällen ist die
Ermittlung Angehöriger erforderlich, um Hilfen wirksam koordinieren
zu können, oder aber auch, um Angehörige über einen Todesfall zu infor-
mieren. In etwa 2 000 Fällen jährlich wird ein eigenes Referat im Auswär-
tigen Amt unmittelbar tätig, z. B. wenn es um Rücktransporte schwerst-
verletzter Personen, begleitete Heimführungen psychisch Kranker, Hilfe
nach Gewaltverbrechen oder Evakuierungen geht, sowohl im Einzelfall
als auch bei Großschadenslagen. Diese Fälle werden in enger Zusammen-
arbeit mit der jeweiligen Auslandsvertretung bearbeitet, ebenso die Ver-
misstensuche im Ausland oder Überführung Verstorbener. Hier sind die
in jeder Auslandsvertretung geführten „Deutschenlisten“ hilfreich bei
der Klärung der Frage, ob sich eine bestimmte Person zum Zeitpunkt ei-
nes Unglücks in einer bestimmten Region aufgehalten hat.
Im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes wird bei größeren
Schadenslagen eine Hotline eingerichtet, über die Angehörige von Be -
7

troffenen/möglichen Opfern Angaben zu Vermissten machen und aktu -


elle Sachstände erfragen können. Zur systematischen Erfassung der Ver-
missten steht in der Zentrale und den Auslandsvertretungen eine eigene
Software („Krisys“) zur Verfügung. Speziell geschulte Mitarbeiter des Aus-
wärtigen Amtes werden als „KUT-Teams“ (Krisenunterstützungsteams)
kurzfristig aus der Zentrale in die von einer Großschadenslage betroffe -
ne Auslandsvertretung entsandt, um die dortigen Mitarbeiter wirksam
zu unterstützen. Darüber hinaus koordiniert der Gesundheitsdienst des
Auswärtigen Amtes den Einsatz von „KIT-Teams“, die sich bundesweit aus
freiwilligen, in der PSNV qualifizierten Notärzten, Rettungsassistenten,
Notfallpsychologen und Notfallseelsorgern zusammensetzen und im
Krisenfall innerhalb weniger Stunden zum kurzfristigen Auslandseinsatz
zur Verfügung stehen. Die Psychosoziale Notfallversorgung des Auswär-
tigen Amtes wird durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit und – im
Einsatzfall – enge Informationsvernetzung mit dem Bundesamt für Be -
völkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Geschäftsbereich des Bun -
desministeriums des Innern fachlich und organisatorisch abgestimmt.
Das BBK bildet in Bezug auf die Psychosoziale Notfallversorgung der Be -
troffenen die Schnittstelle zwischen Aus- und Inland.
Tätigkeitsbereich des BBK
Die durch das Auswärtige Amt am Unglücksort veranlasste psychosoziale
Betreuung wird durch die 2003 von der Bundesregierung im Bundesamt
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eingerichtete Koordi-
nierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) im
Inland nahtlos ergänzt und fortgesetzt. Bei etwa 35 Einsätzen pro Jahr
wird NOAH aktiviert. Hauptaufgabe der Koordinierungsstelle NOAH
unmittelbar nach einem schweren Unglücksfall oder Terroranschlag,
bei dem Deutsche betroffen sind, ist es, in enger Abstimmung mit dem
Auswärtigen Amt und weiteren Behörden auf Bundes- und Landesebene
(wie Bundeskriminalamt, Innenministerien der Länder, Landeskriminal -
ämter, Bundesamt für Justiz, Landessozial- und Gesundheitsministeri-
en) eine akute und längerfristige psychosoziale Betreuung für die

146 Leitfaden Katastrophenmedizin


Überlebenden und Angehörigen aufzubauen. Diese Aufgabe erfolgt in
Ergänzung und enger Abstimmung mit diversen Kooperationspartnern
wie Versicherern, Reiseveranstaltern, Flughäfen, Fluggesellschaften und
Ansprechpartnern der Kirchen und Hilfsorganisationen sowie bundes-
weit verschiedenen Anbietern psychosozialer Dienste.
NOAH unterstützt im Wesentlichen durch:
ƒ Informationsvernetzung der beteiligten Organisationen und
Institutionen in Betreuungsfragen
ƒ Vermittlung von wohnortnahen psychosozialen Hilfen
ƒ Traumaberatung und Vermittlung regionaler Psychotherapeuten
(NOAH-Trauma-Datenbank)
ƒ Hilfen bei administrativen und rechtlichen Fragen oder Problemen
ƒ Organisation von Betroffenen- und Angehörigentreffen sowie
Gedenkveranstaltungen

7
Die Qualitätssicherung der Koordinierungs- und Betreuungsmaßnahmen
wird durch die enge Kooperation mit Wissenschaftlern, Fachgesellschaften
der Psychologie und Psychiatrie, Psychotherapeuten- und Ärztekammern
gewährleistet. Das NOAH-Team besteht aus einsatzerfahrenen Fachkräf-
ten und wird im Einsatzfall nach Bedarf verstärkt durch geschulte Kollegen
aus dem BBK und durch Unterstützungskräfte verschiedener Kooperati-
onspartner (Mitarbeiter von Kriseninterventionsteams, Notfallseelsorger,
Notfallpsychologen, Sozialarbeiter). Eine Schlüsselrolle in der Information
und Betreuung Betroffener und Angehöriger kommt der NOAH-Hotline
zu. Allein im ersten Monat nach dem Seebeben in Südostasien gingen bei
der NOAH-Hotline 10 000 Anrufe von Betroffenen ein; bis heute wird NOAH
von vielen dieser Hilfesuchenden als Ansprechstelle genutzt.

Praxis-Tipp

NOAH ist rund um die Uhr erreichbar.


Telefon: 0800 1888 433 (kostenlos) oder
0228 5554-2444 oder 01888 550-2444
Telefax: 0228 5554-2459 oder 01888 550-2459
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 147


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

7.6 Nächste Schritte der Qualitäts-


sicherung in der PSNV
Forschung und Konsensusprozess haben die Qualitätsentwicklung der PSNV
in Deutschland deutlich befördert. Die Klärung noch offener Detailfragen
wird gegenwärtig fortgeführt. Einen wesentlichen Beitrag zur Weiterent-
wicklung der PSNV sollten künftig die Dokumentation und Evaluation aller
Einsatze leisten, jedoch fehlen klar definierte Evaluationskriterien. Die Ab-
leitung von Evaluationskriterien aus dem Forschungsstand wurde daher als
vorrangige fachliche Aufgabe definiert und begonnen.

Literatur
7

Beerlage I. Qualitätssicherung in der Psychosozialen Notfallversorgung.


Deutsche Kontroversen – Internationale Leitlinien. Bonn: Bundesamt für Be-
völkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Auftrag des Bundesinnen-
ministeriums; 2009. (BBK, Hrsg. Schriftenreihe der Schutzkommission beim
Bundesminister des Innern, Band 2.)

Beerlage I, Hering Th, Nörenberg L. Entwicklung von Standards und Empfeh-


lungen für ein Netzwerk zur bundesweiten Strukturierung und Organisation
psychosozialer Notfallversorgung. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK) im Auftrag des Bundesinnenministeriums;
2006. (BBK, Hrsg. Zivilschutzforschung. Schriftenreihe der Schutzkommissi-
on beim Bundesminister des Innern. Neue Folge Band 57.)

Beerlage I, Arndt D, Hering T, Nörenberg L, Springer S. Belastungen und Be-


lastungsfolgen in der Bundespolizei. Netzwerk Psychosoziale Notfallversor-
gung – Umsetzungsrahmenpläne, Band 3. Bonn: Bundesamt für Bevölke-
rungsschutz und Katastrophenhilfe; 2008.

Beerlage I, Arndt D, Hering T, Springer S. Arbeitsbedingungen und Organi-


sationsprofile als Determinanten von Gesundheit, Einsatzfähigkeit sowie En-
gagement von haupt- und ehrenamtlichem Engagement bei Einsatzkräften
in Einsatzorganisationen des Bevölkerungsschutzes. Magdeburg: Hochschu-
le Magdeburg-Stendal (FH); 2009a.

Beerlage I, Springer S, Hering T, Arndt D, Nörenberg L. Qualität in Aus- und


Fortbildung. Netzwerk Psychosoziale Notfallversorgung – Umsetzungsrah-
menpläne, Band 2. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro-
phenhilfe; 2009b.

148 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Psycho-
soziale Notfallversorgung: Qualitätsstandards und Leitlinien (Teil 1). Bonn:
BBK; 2009.

Helmerichs J. Psychosoziale Notfallversorgung bei Großveranstaltungen.


In: Peter H, Maurer K, Hrsg. Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen. Ede-
wecht: Stumpf + Kossendey; 2005. 167–185.

Helmerichs J. Psycho-soziale Notfallversorgung im Großschadensfall und bei


Katastrophen. In: Lasogga F, Gasch B, Hrsg. Notfallpsychologie. Berlin: Sprin-
ger; 2007. 371–388.

Hobfoll SE, Watson P, Bell CC, Bryant RA, Brymer MJ, Friedman MJ, Friedman

7
M, Gersons BPR, TVM de Jong J, Layne CM, Maguen S, Neria Y, Norwood AE,
Pynoos RS, Reissman D, Ruzek JI, Solomon AYZ, Steinberg AM, Ursano RJ. Five
essential elements of immediate and mid–term mass trauma intervention:
empirical evidence. Psychiatry 2007; 70 (4), 283–315.

Impact. Multidisciplinary Guideline. Early psychosocial interventions after


disasters, terrorism and other shocking events. Amsterdam: National Steering
Committee on Development in Mental Health Care; 2007. Online verfügbar
unter: http://www.impact-kenniscentrum.nl/?pag=762&userlang=en
[letzter Zugriff: 11.03.10].

Inter-Agency Standing Committee (IASC). IASC Guidelines on Mental Health


and Psychosocial Support in Emergency Settings. Geneva: IASC; 2007.

Konferenz Evangelische Notfallseelsorge in Deutschland. Hamburger The-


sen. Notfallseelsorge in Deutschland. Hamburg: Konferenz Evangelische
Notfallseelsorge in Deutschland; 12.09.2007. Online verfügbar unter:
ht t p:// w w w.n fs-bw.de/f ilead m in/mater ia lien/Ha mburgerT hesen _
Langfasung_12092007.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2010].

Krüsmann M, Karl R, Butollo W. Untersuchung bestehender Maßnahmen


zur sekundären Prävention und Entwicklung einer Methodik und eines
zielgruppenorientierten Programms zur sekundären Prävention einsatzbe-
dingter Belastungsreaktionen und -störungen. München: Ludwig-Maximi-
lians-Universität; 2006.

Lasogga F, Gasch B. Psychische Erste Hilfe. Edewecht: Stumpf + Kossendey;


1997.

Leitfaden Katastrophenmedizin 149


Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen
Management der Psychosozialen Notfallversorgung in Großschadens- und Katastrophenlagen

Mitchell JT, Everly G. Human elemens training for emergency services, public
safety ans stress management programs. Ellicott City: Chevron; 1994.

North Atlantic Treaty Organization (NATO) – Joint Medical Committee. Psy-


chosocial care for people affected by disasters and major incidents. A model
for designing, delivering and managing psychosocial services for people in-
volved in major incidents, conflict, disaster and terrorism. NATO, Euro-Atlan-
tic Partnership Council (EAPC); Juni 2008.

Seynaeve G. Psycho-social support in situations of mass emergency. A Euro -


pean Policy Paper concerning different aspects of psychological support and
social accompaniment for people involved in major accidents and disasters.
Brussels: Belgium Ministry of Public Health; 2001.
7

Waterstraat F. Wenn plötzlich alles anders ist: Notfallseelsorge im Einsatz.


Ein Leitfaden für die Praxis. Hannover: LVH; 2009.

World Health Organization (WHO). Mental health in emergencies. Mental


and social aspects of health of populations exposed to extreme stressors.
Geneva: WHO; 2003. Online verfügbar unter: http://www.who.int/entity/
mental_health/media/en/640.pdf [letzter Zugriff: 11.03.2010].

Internet (Stand: 03/2010)

www.bbk.bund.de

www.einsatzkraft.de

www.gesundheit-im-einsatzwesen.de

www.nfs-bw.de

www.psychosoziale-notfallversorgung.de

150 Leitfaden Katastrophenmedizin


Spezielle
medizinische
Maßnahmen

8 Therapie des Volumenmangelschocks


9 Schmerzbehandlung und Anästhesie
unter Katastrophenbedingungen
10 Chirurgische Maßnahmen im Groß-
schadens- und Katastrophenfall bei
Patienten mit Kombinationstraumen –
Versorgungsstrategien bei poly-
traumatisierten Patienten
11 Maßnahmen bei thermischen
Schädigungen im Großschadens-
und Katastrophenfall
Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks
8
Therapie des Volumenmangel-
schocks
E. Pfenninger, Th. Nicolai, S. Himmelseher

Polytraumatisierte Patienten sind vor allem durch einen hämorrhagischen


Schock gefährdet, der bei protrahiertem Verlauf zu irreversiblen Störungen
der Mikrozirkulation und damit zum Multiorganversagen führt. Als Voraus-
setzung für die Versorgung eines Patienten im Volumenmangelschock er-
achten wir das Wissen um die pathophysiologischen Aspekte bei und nach
dem Eintritt eines Schocks sowie eine hinreichend qualifizierte Verfahrens-

08
weise bei den therapeutischen Maßnahmen.

8.1 Pathophysiologie des hämorrhagi-


schen Schocks
Unter einem Schock verstehen wir eine akut oder subakut einsetzende Stö-
rung, die zu einer lebensbedrohenden Minderperfusion der Gewebe und Or-
gane führt. Dabei beeinflussen sich hämodynamische und metabolische Stö-
rungen ab einem bestimmten, klinisch nicht exakt definierbaren Zeitpunkt
gegenseitig und verstärken die jeweiligen Auswirkungen auf den Organis-
mus. Der hypovolämische Schock ist die in der Katastrophenmedizin sicher
am häufigsten vorkommende Schockform.

Ein ausgeprägter Verlust intravasalen Volumens durch eine Blutung nach in-
nen oder außen würde ohne Kompensationsmechanismen des Organismus
sehr rasch letal enden. Denn der Blutverlust würde über die Reduktion des
venösen Rückflusses zu einem Blutdruckabfall und einer Verminderung des
Herzzeitvolumens führen. Kompensationsmechanismen können die Irre-
versibilität dieses Geschehens zeitlich erheblich hinausschieben und damit
ein besseres Überleben des Organismus gewährleisten. Diese Mechanismen
umfassen:
ƒ die Mobilisierung der Kontraktiliätsreserve und der chronotropen Reserven
des Herzens mit Steigerung der Myokardkontraktilität und Zunahme der
Herzfrequenz
ƒ die Engstellung der Arteriolen durch Stimulierung der Alpharezeptoren mit
Anstieg des peripheren Gefäßwiderstandes und Drosselung der Splanch-

Leitfaden Katastrophenmedizin 153


Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks

nikus-, Nieren-, Muskel- und Hautdurchblutung sowie Umverteilung der


Durchblutung zugunsten lebenswichtiger Organe wie Herz und Gehirn
ƒ die Engstellung der Venen, ebenfalls durch adrenerge Stimulation

8.2 Symptome des Volumenmangel-


schocks
ƒ Blässe von Haut und Schleimhäuten, verminderte Venenfüllung, kalte und
feuchte Haut, verzögerte Mikrozirkulation, Frierreaktion, Unruhe
ƒ Tachykardie, flacher Puls, systolischer Blutdruck um oder unter 100 mm Hg
ƒ Atmung meist flach und beschleunigt; weist auf eine eingeschränkte pulmo-
nale Funktion hin, häufig mit einer ausgeprägten Hypoxämie verbunden
08

Als Verlaufskriterium kann sehr eingeschränkt der Quotient aus Pulsfre-


quenz und systolischem Blutdruck (Schockindex) herangezogen werden. Bei
Zunahme des Wertes auf 1,0 ist ein drohender, bei Werten über 1,3 ist beim
Erwachsenen ein manifester Schockzustand aufgrund des Volumenman-
gels anzunehmen. Besser ist jedoch die Abschätzung des Volumenverlustes
anhand des Verletzungsmusters.

Beim hypovolämischen Schock können durch die beschriebenen Mechanismen


(s. Kap. 8.1) akute Volumenverluste bis zu etwa 20 % des zirkulierenden Blutvo-
lumens kompensiert werden, ohne dass der Schock in das Stadium der Dekom-
pensation übertritt. Die Dekompensation des Schocks beginnt, wenn die
Volumenverluste so groß sind, dass auch durch die maximale Aktivierung der
Kompensationsreaktionen kein ausreichender Perfusionsdruck für die Durch-
blutung der lebenswichtigen Organe mehr aufrecht erhalten werden kann. Kli-
nisch manifestiert sich die Dekompensation als zunehmender Abfall von arteri-
ellem Blutdruck und Herzzeitvolumen sowie zunehmende Gewebeazidose.

8.3 Therapie des Volumenmangelschocks


8.3.1 Allgemeine Therapie
ƒ Allgemeine Maßnahmen: Überprüfung der Vitalfunktionen Atmung und
Herztätigkeit/Kreislauf
ƒ Bei massiver Blutung nach außen: Anlegen eines Druckverbandes und
Hochlagern der Extremität so weit wie möglich; bei spritzenden arteriel-
len Blutungen sofort, vor und während des Verbindens zuführende Arterie
komprimieren

154 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ Großlumige venöse Zugänge legen
ƒ Schocklagerung: Anheben der Beine über die Herzebene um etwa 20 bis
30°, nach Lagerung auf eine Trage Kopftieflagerung ca. 10 bis 15°; bei be-
wusstlosen Patienten mit ausreichender Spontanatmung stabile Seitenla-
gerung, anschließend Kopftieflagerung

Bitte beachten

Bei einer steileren Lagerung drücken die Eingeweide auf das Zwerchfell,
wodurch die Spontanatmung behindert werden kann.

Bitte beachten

08
Großlumige venöse Zugänge so früh wie möglich legen, da später
eventuell keine Venen mehr auffindbar sind!

8.3.2 Spezifische Therapie


ƒ Volumenersatz (s. Abb. 8-1): Infusion einer Vollelektrolytlösung (1 000–1 500 ml)
oder eines kolloidalen Volumenersatzmittels (1 000 ml)
ƒ Sauerstoffzufuhr: ≥ 4 l O2/min
ƒ Sedierung und Analgesie:
• Diazepam 5–10 mg i. v. oder Midazolam 1–5 mg i. v.
• Morphin 5 mg oder Fentanyl 0,05 mg langsam i. v.
• alternativ Ketamin 0,25–0,5 mg/kg KG i. v. oder
S-(+)-Ketamin 0,125–0,5 mg/kg KG
ƒ Intubation und kontrollierte Beatmung bei schwerstem Schock

Bitte beachten

Möglichst frühzeitig einen venösen Zugang legen und rasche Infusion einer
Vollelektrolytlösung (1 000–1 500 ml) oder eines kolloidalen Volumener-
satzmittels (1 000 ml)!

Die Analgesie ist bereits am Unfallort wichtig: Schmerzen lösen starke sym-
pathikoadrenerge Reaktionen aus, die durch die Schmerzbehandlung ge-
dämpft werden können. Wegen der verzögerten Resorption bei intramusku-
lärer Injektion ist die intravenöse Injektion zu bevorzugen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 155


Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks

Bitte beachten

Bei zu rascher Injektion droht eine Atemdepression. Eine Beatmungsmög-


lichkeit muss deshalb vorhanden sein! Wegen der Kreislaufzentralisation
Dosis reduzieren. – Medikamentengabe nach Wirkung titrieren!

Der Volumenersatz selbst kann grundsätzlich mit körpereigenen oder kör-


perfremden Volumenersatzmitteln durchgeführt werden. Als „körpereigen“
gelten Blut und dessen Bestandteile, wie z. B. Humanalbumin oder Gerin-
nungspräparate, die jedoch in Katastrophensituationen keine Rolle spielen.

Stufentherpie des Volumenmangelschocks


4
08

Blutverlust > 50 % Prognose infaust

3
Infusion von
• ca. 2 000 ml kolloidalem
Blutverluste bis 50 % ca. 3 000 ml
Volumenersatz +
• 3 000 ml Elektrolytlösung

2
Infusion von
Blutverluste bis 20 % ca. 1 500 ml • ca. 1 000 ml kolloidalem
Volumenersatz +
• 1 000 ml Elektrolytlösung

Trinken wenn möglich oder


Blutverluste bis 10 % ca. 700 ml Infusion von
• 1 500 ml Elektrolytlösung

Abb. 8-1 Volumenersatztherapie des Volumenmangelschocks beim Erwach-


senen in Katastrophensituationen.

8.3.2.1 Kolloidale Volumenersatzmittel


Als körperfremde kolloidale Volumenersatzmittel sind drei Gruppen zu nen-
nen: Präparate auf Dextranbasis, auf Gelatinebasis und auf Hydroxyethyl-
stärkebasis (s. Tab. 8-1).

An kolloidale Volumenersatzmittel sind dabei für die Katastrophenmedizin


folgende Forderungen zu stellen:
ƒ physiologische Eigenschaften, die dem Blutplasma nahe kommen (kollo-
idosmotischer Druck, Viskosität)
ƒ kaum toxische oder allergische Nebenwirkungen

156 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ keine Beeinflussung der Blutgerinnung außer Dilutionsphänomenen
ƒ fehlende Infektiosität
ƒ vollständiger Abbau und vollständige Ausscheidung auch bei wiederhol-
ter Anwendung
ƒ günstig im Preis, haltbar sowie in großen Mengen leicht verfügbar

Tab. 8-1 Körperfremde kolloidale Volumenersatzmittel.

Volumen-
Stoffgruppe Wirkdauer Allergierate
wirkung
Dextrane
(z. B. Macrodex® 4,5 oder 6 %) 100–180 % ca. 3–6 h +++
Gelatine
(z. B. Gelafundin® 4 %) 70 % ca. 1–3 h ++
Hydroxyethylstärke (HES)
Molekulargewicht 450 000

08
(z. B. Plasmasteril®) 120 % ca. 8 h (+)
Molekulargewicht 130 000
(z. B. Voluven ® 6 %) 100 % ca. 3–6 h (+)
Molekulargewicht 40 000
(z. B. Expafusin ® ) 70 % ca. 1–2 h (+)

In Europa werden als Volumenersatzmittel bevorzugt Präparate auf Hydro-


xyethylstärkebasis, im amerikanischen Raum bevorzugt Präparate auf Dex-
tranbasis verwendet.

Insbesondere bei Kombinationsschäden, wie bei Verbrennungen und Verlet-


zungen, ist der benötigte Volumenersatz besonders hoch. Im Falle von Kombi-
nationsschäden bedeutet dies, dass in Katastrophensituationen Blutverluste
von zwei und mehr Litern innerhalb kürzester Zeit ersetzt werden müssen.
Auch bei Verwendung kolloidaler Lösungen, die zum Blutverlust im Verhältnis
1 : 1 angewendet werden, ist die Infusion ausreichender Mengen und damit die
Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse mitunter nicht schnell genug möglich.

Praxis-Tipp

Überbrückend kann eine hyperton-hyperonkotische NaCl-Lösung (s. Kap.


8.3.2.2) und/oder kontinuierliche Noradrenalininfusion verabreicht wer-
den. Faustregel: 2 mg Noradrenalin auf 500 ml Ringer-Lösung, beginnend
mit 20 Tropfen pro Minute und Anpassung an den Blutdruck.

Leitfaden Katastrophenmedizin 157


Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks

In beiden Fällen muss jedoch der Volumenverlust mit kolloidalen Volumen-


ersatzmitteln und Elektrolytlösung ausgeglichen werden. Dabei sollten die
Infusionslösungen am besten im Verhältnis 1 : 1 verabreicht werden.

8.3.2.2 Nichtkolloidale Volumenersatzmittel


Als Alternative zur üblichen Volumensubstitution wurde 1980 die Infusion
hypertoner Kochsalzlösungen wiederentdeckt, nachdem diese nach ersten
Versuchen im Jahr 1919 weitgehend in Vergessenheit geraten waren. Hyper-
tone Kochsalzlösungen sind Lösungen mit einer NaCl-Konzentration von
5–10 %. Die Infusion einer relativ geringen Menge (100–250 ml) hypertoner
Kochsalzlösung bewirkt folgende Effekte:
ƒ Mobilisation extrazellulären Wassers nach intravasal
ƒ Tonisierung von Arteriolen und Venolen
ƒ Abschwellung des intravaskulären Endothels
ƒ Verbesserung der Plasmaviskosität
08

Ausmaß und Dauer der Wirkung der hypertonen Lösung konnte durch Kom-
bination mit einem kolloidalen Volumenersatzmittel erhöht werden. Es sei je-
doch betont, dass eine Volumenersatztherapie mit hypertonen Lösungen nur
als Überbrückungsmöglichkeit eines akuten Volumenmangels angesehen wer-
den darf, da die Wirkung von hyperton-hyperonkotischen Lösungen nur eine
sehr kurze Zeit (20–30 min, s. Tab. 8-2) anhält. Der definitive Volumenersatz
muss unverzüglich mit kolloidalen Volumenersatzmitteln eingeleitet werden.

Tab. 8-2 Nichtkolloidale Volumenersatzmittel.

Volumen -
Stoffgruppe Wirkdauer Allergierate
wirkung
Vollelektrolytlösung 30 % 0,5–1 h Dreifache Menge
(z. B. Ringer-Laktat, Ringer-Acetat) des Blutverlustes
notwendig!

Humanalbumin 5 % 100 % mehrere Tage In der Kata-


strophenmedizin
nicht angebracht!

Gerinnungsfaktoren - Nicht sinnvoll

Hyperton-hyperonkotische Lösung 300–600 % 20–30 min Dosierung: 4 ml/


(z. B. HyperHAES®; NaCl 7,5 %/ kg KG
Hydroxyethylstärke 200 000/0,5) Cave: Nur einmalig
anwendbar, bei
mehrmaliger
Anwendung kaum
Wirkung, Gefahr
der Hyperosmo -
larität!

158 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Die Bevorratung und Anwendung einer Kombination aus initial hyperton-


hyperonkotischer NaCl-Lösung und anschließender mittellang wirkender
HES-Lösung ist in der Katastophenmedizin am günstigen.

8.4 Volumenmangelschock bei Kindern


Bei Katastrophen muss mit einer Vielzahl verletzter Kinder mit größerem
Blutverlust gerechnet werden. Weiterhin wäre der Massenanfall schwerer
Infektionen, z. B. bei einer Virusepidemie, zu nennen. Ein Volumenman-
gel kann hierbei am ehesten bei Durchfallerkrankungen (z. B. Noroviren)

08
oder eingeschleppten hämorrhagischen Virusinfektionen auftreten (z. B.
Dengue-Fieber).

Das Erkennen eines Volumenmangelschocks kann unter katastrophenme-


dizinischen Bedingungen dadurch erschwert sein, dass die Helfer nicht mit
Kindern und insbesondere Säuglingen regelmäßig vertraut sind. Die Blut-
druckmessung setzt altersangepasste Manschetten und Blutdruckmessge-
räte voraus. Als Alternative hat sich die Prüfung der Rekapillarisierungszeit
an einer warmen Hautstelle (Stamm) bewährt, sie sollte < 2 s betragen.

Zunächst muss ein großlumiger Zugang (20 Gauge < 15 kg Körpergewicht


[KG], 18 Gauge > 15 kg KG) geschaffen werden, gelingt dies mit einem peri-
phervenösen Zugang nicht, wird nach Lokalanästhesie eine intraossäre Na-
del verwendet.

Als Volumenersatz werden (ggf. wiederholte) Bolusinjektionen von je 20 ml/


kg Vollelektrolytlösung appliziert (Ringer-Laktat etc., 20–40 ml/kg in 5–10
Minuten, ggf. in der ersten Stunde bis zu 100–200 ml/kg bzw. bei Blutung
nach weiter gehenden Blutverlust), bis der Erfolg erreicht ist (Blutdruck nor-
malisiert, s. Tab. 8-3, Rekapillarisierungszeit < 2 s).

Bitte beachten

Auf keinen Fall sollten sogenannte pädiatrische, also hypotone Lösun-


gen als Volumenersatz verwendet werden, vielmehr fraktionierte Bolus-
injektionen von Vollelektrolytlösungen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 159


Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks

Gegebenenfalls können 20 ml/kg HES (bis 50 ml/kg Gesamtmenge) auch bei


Kindern gegeben werden, in der späteren Versorgung dann Erythrozyten-
konzentrate bei Hämoglobin-(Hb-)Werten < 8g/dl. Beim Blutungsschock
kann wie beim Erwachsenen Frischplasma verabreicht werden, Gerinnungs-
faktoren und Thrombozytenkonzentrate jedoch nur bei optimalen Versor-
gungsmöglichkeiten.

Tab. 8-3 Blutdruck-Normalwerte für Kinder.

Alter Diastolischer RR Systolischer RR

Neugeborenes 30–48 50–83

3 Monate 37–60 80–110


08

6 Monate 43–63 80–110

1–3 Jahre 46–79 80–113

4–6 Jahre 47–79 80–115

7–10 Jahre 52–83 83–122

11–13 Jahre 58–88 95–136

14–16 Jahre 55–77 100–127

RR – Blutdruckmessung nach Riva-Rocci.

8.5 Differentialdiagnosen des Volumen-


mangelschocks

8.5.1 Kardiogener Schock


Leitsymptome
ƒ Schockzeichen wie Volumenmangelschock
ƒ Eventuell Brustschmerzen
ƒ Zyanose
ƒ Rhythmusstörungen

160 Leitfaden Katastrophenmedizin


Notfalltherapie des kardiogenen Schocks
ƒ Oberkörper-Hochlagerung!
ƒ Sauerstoffgabe
ƒ Analgetika bei Brustschmerzen, Nitropräparate
ƒ Positiv inotrope Substanzen, z. B. Dopamin, Adrenalin

8.5.2 Anaphylaktischer Schock


Leitsymptome
ƒ Schockzeichen
• Unruhe
• Bewusstseinseinschränkung
• Bewusstlosigkeit
• Hypotonie
• Tachykardie

08
• Atem- und Kreislaufstillstand
ƒ Allergische Reaktion
• Hauterscheinungen
• Übelkeit, Erbrechen
• Atemnot, Bronchospastik

Anamnese
ƒ Allergie
ƒ Exposition

Notfalltherapie anaphylaktoider Reaktionen


ƒ Stadium 1 Hautreaktionen Antihistaminika
ƒ Stadium 2 Tachykardie Antihistaminika, Kortikosteroide
Blutdruckabfall
Nausea, Erbrechen
ƒ Stadium 3 Schock Schocklage, Sauerstoff,
Bronchospasmus Volumenersatz, Kortikosteroide,
Adrenalin 0,05–0,1 mg i. v.
ƒ Stadium 4 Atem- und Kardiopulmonale Reanimation,
Kreislaufstillstand Adrenalin 1 mg i. v.,
Volumenersatz, Kortikosteroide

8.5.3 Septischer Schock


Ursachen
ƒ Infizierte Verletzungen

Leitfaden Katastrophenmedizin 161


Spezielle medizinische Maßnahmen
Therapie des Volumenmangelschocks

Leitsymptome
ƒ Schockzeichen
• Bewusstseinsstörung
• Blutdruckabfall
• Tachykardie
• Zentralisation
ƒ Septische Zeichen
• Fieber
• Schüttelfrost
• Warme Peripherie (initial)
• Petechien

Therapie des septischen Schocks


ƒ Sauerstoffzufuhr
ƒ Schocklage
08

ƒ Venöser Zugang, Volumengabe


ƒ Gabe von Vasokonstriktoren, z. B. Noradrenalin
ƒ Chirurgische Herdsanierung!

8.5.4 Neurogener Schock


Ursachen
ƒ Sympathikusblockierung durch Trauma des Gehirns oder der Wirbelsäule
(hoher Querschnitt)

Leitsymptome
ƒ Schockzeichen
• Hypotonie
• Normofrequenz oder Bradykardie
ƒ Neurogene Reaktion
• Periphere Venen weit
• Warme Haut
• Motorische und sensible Ausfälle

Anamnese
ƒ Trauma

Therapie des neurogenen Schocks


ƒ Sauerstoff
ƒ Atropin (0,5–1,0 mg i. v.)

162 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ Volumenersatz
ƒ Vasokonstriktorgabe (z. B. Akrinor® 0,5–1,0 ml)

8.5.5 Vasovagale Synkope


Ursachen
ƒ Vagale Stimmulation durch Angst, Schreck, Schmerz

Leitsymptome
ƒ Bradykardie
ƒ Blutdruckabfall

Therapie der vasovagalen Synkope


ƒ Selbstheilung durch Flachlagerung

08
Literatur

De Boer J, Dubouloz M. Handbook of Disaster Medicine. Utrecht: Van der


Wees; 2000.

Rebentisch E. Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe. 2. Aufl.


Gräfelfing: Reed Elsevier; 1991.

Rossaint R, Werner Ch, Zwißler B. Die Anästhesiologie. 2. Aufl. Berlin, Heidel-


berg, New York: Springer-Verlag; 2008.

Leitfaden Katastrophenmedizin 163


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

9
Schmerzbehandlung und
Anästhesie unter
Katastrophenbedingungen
E. Pfenninger

9.1 Vorbemerkungen
Die gelegentlich extrem erschwerten und begrenzten diagnostischen und
therapeutischen Möglichkeiten unter Katastrophenbedingungen stellen be-
sondere Anforderungen an Schmerzbehandlung und Anästhesie. Während
in den intakten Krankenhäusern auch in Katastrophensituationen die routi-
09

nemäßigen Verfahren zur Anwendung gelangen, müssen in improvisierten


Versorgungseinheiten „vor Ort“ an eine suffiziente Anästhesie und Analge-
sie folgende Forderungen gestellt werden:
ƒ einfache Handhabung der Methodik
ƒ rasche Wirksamkeit der eingesetzten Substanzen und ausreichende
Wirkungsintensität
ƒ Wirksamkeit auch bei intramuskulärer Injektion
ƒ geringe respiratorische und kardiozirkulatorische Nebenwirkungen
ƒ Einsatzmöglichkeit auch bei Rettung von Verletzten

9.2 Analgesie
Die Verfahren der Schmerzbehandlung müssen rasch verfügbar, sofort
einsetzbar und schnell wirksam sein. Der Forderung nach rascher Wirk-
samkeit wird zwar nur die intravenöse Applikation gerecht, unter Katastro-
phenbedingungen und den eingeschränkten medizinischen Kapazitäten
haben aber die orale Verabreichung – soweit möglich – und die intramusku-
läre Injektion ebenso einen gewissen Stellenwert.

164 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Die Schmerztherapie traumatisierter Patienten unterscheidet sich in der Ka-


tastrophenmedizin häufig von den Möglichkeiten der Notfallmedizin. Auch
in der Katastrophenmedizin ist die intravevöse Applikation von Analgetika
zu bevorzugen, jedoch ist unter ungünstigen Umständen auch die intra-
muskuläre Injektion von Ketamin oder Opiaten in Erwägung zu ziehen.

Rein schematisch lassen sich die Substanzen zur Schmerzbehandlung fol-


gendermaßen einteilen:
ƒ Nichtopiate („periphere“ Analgetika)
ƒ Opiate
ƒ Ketamin
ƒ Inhalationsanalgetika (Inhalationsanästhetika)
ƒ Lokalanästhetika

09
Inhalationsanalgetika (vor allem ein Gemisch aus Sauerstoff und Lachgas)
scheiden wegen des notwendigen apparativen Aufwandes unter Katastro-
phenbedingungen a priori aus, bei intakten Krankenhausstrukturen sind sie
ebenfalls keine übliche Alternative zur Analgesie. Dagegen sind Lokalanäs-
thetika und Nichtopiate gut brauchbar.

9.2.1. Nichtopiate
Nichtopiate oder „periphere“ Analgetika haben zwar den Vorzug einer gro-
ßen therapeutischen Breite und weisen kaum Nebenwirkungen auf, ihnen
fehlt aber die gerade unter Katastrophenbedingungen so wichtige sedieren-
de Komponente. Im Einzelnen sind geeignet (Dosierung für Erwachsene):
ƒ Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®) 0,5–1 g, max. 6 g/d
ƒ Metamizol (z. B. Novalgin®) 0,5–1 g, max. 4 g/d
ƒ Paracetamol (z. B. ben-u-ron®,
Perfalgan® i. v.) 1 g, max. 4 g/d
ƒ Diclofenac (z. B. Voltaren®) 100 mg, max. 200 mg/d

Bitte beachten

Acetylsalicylsäure ist bei verletzten Patienten nicht geeignet, da durch die


Hemmung der Thrombozytenaggregation die Blutgerinnung beeinträch-
tigt wird. Bei abdominellen Koliken hat sich die Gabe von Novaminsulfon
in Kombination mit einem Spasmolytikum (Butylscopolaminin: z. B. Busco -
pan®) besonders bewährt.

Leitfaden Katastrophenmedizin 165


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

9.2.2 Opiate
Opiate sind zwar stärkste Analgetika mit hypnotischer und/oder sedativer
Wirkung, sie sind jedoch auch mit ausgeprägten Nebenwirkungen verbun-
den. Deshalb bedarf ihre Anwendung immer einer ärztlichen Indikation. Zu
den Nebenwirkungen gehören Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen so-
wie Steigerung des Tonus der glatten Muskulatur (Überfüllung der Harnbla-
se durch Sphinktertonuserhöhung!).

Die international in Katastrophensituationen gebräuchlichsten Opiate sind:


ƒ Morphin (z. B. Morphin Merk®) 5–10 mg i. v. 10–20 mg i. m.
ƒ Fentanyl (z. B. Fentanyl®-Janssen) 0,05–0,1 mg i. v.
ƒ Piritramid (z. B. Dipidolor®) 7,5–15 mg i. v. 10–20 mg i. m.
ƒ Pethidin (z. B. Dolantin®) 10–25 mg i. v. 25–50 mg i. m.
ƒ Tramadol (z. B. Tramal®) 25–50 mg i. v. 50–100 mg i. m.
20–40 Tropfen p. o.
09

9.2.3 Ketamin
Zunehmend fand auch Ketamin als kurz wirkendes Analgetikum Verwen-
dung. Als Nachteil muss die relativ kurze Wirkzeit von ca. 30 min angesehen
werden. In Deutschland und einigen anderen Ländern Europas steht das
Ketamin-Isomer S-(+)-Ketamin zur Verfügung, es kann intravenös oder int-
ramuskulär appliziert werden:
ƒ Ketamin (z. B. Ketamin-ratiopharm®) 0,5–1 mg/kg i. m.
ƒ S-(+)-Ketamin (z. B. Ketamin® S) 0,125–0,5 mg/kg i. v.
0,5–1 mg/kg i. m.

Stufenkonzept zur Analgesie in Katastrophensituationen

Ein Stufenschema der Analgesie und Sedierung sollte auf nichtsteroidalen,


antiinflammatorischen Substanzen aufbauen, die in der Akutsituation ein
geringes Nebenwirkungspotential aufweisen. Bei stärkeren Beschwerden
finden Tramadol oder Ketamin Verwendung; Opiate sind bei stärksten
Schmerzzuständen indiziert. Eine ergänzende Sedierung und Anxiolyse
kann wirkungsvoll mit Benzodiazepinen durchgeführt werden.

Cave: Bei der kombinierten Anwendung von Opiaten und Benzodiazepi-


nen ist die Gefahr einer Atemdepression erhöht!

166 Leitfaden Katastrophenmedizin


9.2.4 Lokalanästhetika
Lokalanästhetika verhindern die Depolarisation von Nervenzellmembranen,
ihre Wirkung bleibt lokal begrenzt, solange nicht toxische Plasmaspiegel er-
reicht werden. In entzündetem oder hypoxischem Gewebe (Gewebeazidose)
wirken Lokalanästhetika schlecht oder gar nicht. Die Absorption und damit
die Wirkung am Applikationsort kann durch Zusatz eines Vasokonstriktors
wie Adrenalin (1 : 200 000) wesentlich verlängert werden. Vasokonstriktorzu-
sätze sind im amerikanischen Raum gebräuchlich, in Europa kaum zu finden.

Indikationen
ƒ Analgesie: Infiltrationsanästhesie, Plexusanästhesie
ƒ Operative Eingriffe: Infiltrationsanästhesie, periphere Nervenblockaden,
Plexusanästhesie, Peridural- und Spinalanästhesie (nach Ausschluss eines
Volumenmangels)

Mittellang wirkende Lokalanästhetika

09
ƒ Lidocain (z. B. Xylocain®) 0,5/1/2 % max. 3 mg/kg KG
mit Vasokonstriktorzusatz max. 7 mg/kg KG
ƒ Mepivacain (z. B. Scandicain®) 0,5/1/2 % max. 4 mg/kg KG
mit Vasokonstriktorzusatz max. 7 mg/kg KG
ƒ Prilocain (z. B. Xylonest®) 0,5/1 % max. 5,7 mg/kg KG
mit Vasokontriktorzusatz max. 8,5 mg/kg KG

Lang wirkende Lokalanästhestika


ƒ Bupivacain (z. B. Carbostesin®) 0,25/0,5 % max. 2 mg/kg KG
ƒ Ropivacain (z. B. Naropin®) 0,5/1,0 % max. 4 mg/kg KG

Nebenwirkungen
ƒ Bei Erreichen toxischer Plasmaspiegel zunächst kardiale und zerebrale
Nebenwirkungen: Tachykardie, Arrhythmie, atrioventrikulärer Block (AV-
Block), Hypertonie bzw. Taubheit der Zunge, Ohrensausen, Schwindel,
Übelkeit, Sehstörungen, Tremor, Krampfanfall, Exzitation
ƒ Bei noch höherem Plasmaspiegel: Blutdruckabfall durch Kardiodepres-
sion und Vasodilation, Atemlähmung, Bewusstlosigkeit, Herz-Kreislauf-
Stillstand

Ein AV-Block wird mit Adrenalin 0,05–0,1 mg behandelt, Krämpfe mit Diaze-
pam oder Midazolam, eine Atemlähmung mittels Beatmung und ein Kreis-
laufzusammenbruch nach den Regeln der kardiopulmonalen Reanimation.

Leitfaden Katastrophenmedizin 167


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

9.2.5 Besonderheiten der Analgesie bei Kindern


Die Beurteilung von Schmerzen ist bei Kleinkindern und Säuglingen wegen
fehlender Kommunikationsmöglichkeiten sehr erschwert oder gar nicht mög-
lich. Hier hat sich die Schmerzbeurteilung mithilfe der sogenannten KUSS-
Skala (s. Tab. 9-1) als hilfreich erwiesen. Analgetika werden bei Kindern nach
Körpergewicht dosiert, Exsikose und/oder Blutverlust und eine damit einher-
gehende Reduzierung des Blutvolumens müssen berücksichtigt werden.1

Tab. 9-1 KUSS-Skala zur Einschätzung von Schmerzen bei Säuglingen und
Kleinkindern bis zum Ende des 4. Lebensjahres. (Nach Büttner et al. 1998.)

Beobachtung Bewertung Punkte

Gar nicht 0
Weinen Stöhnen, Jammern, Wimmern 1
Schreien 2
Entspannt, lächelt 0
09

Gesichtsausdruck Mund verzerrt 1


Mund und Augen grimassiert 2
Neutral 0
Rumpfhaltung Unstet 1
Aufbäumen, Krümmen 2
Neutral 0
Beinhaltung Strampelnd, tretend 1
An den Körper gezogen 2
Nicht vorhanden 0
Motorische Unruhe Mäßig 1
Ruhelos 2

Summe

KUSS – Kindliche Unbehagens- und Schmerz-Skala. Für Kinder 0–4 Jahre, auch für andere Patienten, die
nicht sprechen können, oder für sedierte Patienten einsetzbar.
• keine Schmerzen: 0–3 Punkte
• Schmerzen: > 3 Punkte
• maximale Schmerzen: 10 Punkte

Bei Kindern in Katastrophensituationen anwendbare Nichtopioid-Analgetika:


ƒ Paracetamol (z. B. Ben-u-ron®) 15 mg/kg p. o./rektal 6-stdl.
ƒ Paracetamol (z. B. Perfalgan®) 15 mg/kg i. v. 6-stdl.
ƒ Metamizol (z. B. Novalgin®) 10–15 mg/kg i. v. (über 15 min.) 6-stdl.
ƒ S-(+)-Ketamin (z. B. Ketamin® S) 0,25–0,50 mg/kg i. v., 1,0–5,0 mg rektal

1 Zur Schmerztherapie bei Kindern siehe auch beiliegende CD-ROM.

168 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bei Kindern in Katastrophensituationen anwendbare Opioid-Analgetika:
ƒ Morphin (z. B. Morphin Merk®) 0,04–0,2 mg/kg i. v. alle 4 Std.
ƒ Fentanyl (z. B. Fentanyl®-Janssen) 0,5–1 (–2) µg/kg (max. 200 µg) i. v.
ƒ Piritramid (z. B. Dipidolor®) 0,05–0,1 mg/kg i. v. alle 4 Std.

9.3 Anästhesieverfahren
In Katastrophensituationen muss davon ausgegangen werden, dass nur ein
minimales Monitoring in Form von Puls-, Blutdruck- und Atmungskontrolle
möglich ist, dass Patienten auch dann anästhesiert werden müssen, wenn sie
noch im manifesten Schock sind, und dass diffizile pharmakokinetische As-
pekte außer Betracht bleiben müssen. Alle Narkosen müssen unter Raumluft
oder mit Raumluftbeatmung durchführbar sein, jedoch ist eine Sauerstoff-
flasche für eventuelle Zwischenfälle zwingend vorzusehen.

Indikationen zur Narkose

09
ƒ Polytrauma
ƒ Schweres Schädelhirntrauma (SHT), Thorax-, Abdominal-, Extremitäten-,
Gesichtsschädeltrauma
ƒ Großflächige Verbrennungen, Inhalationstrauma
ƒ Schwerer hämorrhagischer Schock
ƒ Extreme Schmerzsituation
ƒ Eventuell Reposition

9.3.1 Intravenöse Narkose


Intravenöse Narkotika werden zur Narkoseeinleitung und als Komponen-
ten der totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) verwendet. Dem Vorteil der
schnellen und angenehmen Narkoseeinleitung steht als Nachteil der Verlust
der Steuerbarkeit entgegen. Die Eliminationskinetik des Medikamentes ist
nicht mehr zu beeinflussen.

Der Wirkungseintritt wird bei einer Bolusinjektion in der Regel durch die
Kreislaufzeit bestimmt. Bei reduziertem Herzzeitvolumen sollten die
Injektionszeit und die Dosis angepasst werden. Denn bei zu rascher Injek-
tion kann sich während der initialen Kreislaufzeit nur ein geringer Teil
des injizierten Pharmakons mit dem zerebralen Zielkompartiment äquili-
brieren, während sich der Rest im „zentralen Kompartiment“ verteilt (z. B.
auch im Myokard). Im Verhältnis zur (langsamer einsetzenden) Sedierung
kann die Nebenwirkung der kardiozirkulatorischen Depression ausge-
prägt sein. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei Katastrophenop -
fern mit protrahiertem Schock ein ausgeprägter Volumenmangel besteht

Leitfaden Katastrophenmedizin 169


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

und somit bei einer Narkoseeinleitung ohne Dosisreduktion ein Kreislauf-


zusammenbruch droht.

Bei allen Narkosen muss für eventuelle Zwischenfälle folgendes Zubehör


griffbereit vorhanden sein:
ƒ Handbeatmungsbeutel mit verschiedenen Beatmungsmasken
ƒ Absaugpumpe mit Absaugkatheter
ƒ Laryngoskop
ƒ Oro- und Nasopharyngealtuben (Guedel-Tuben, Wendl-Tuben)
ƒ Endotrachealtuben verschiedener Größen
ƒ Notfallmedikamente (Adrenalin 1 : 1 000, Diazepam oder Midazolam, Suc-
cinylcholin, Glukokortikoide: z. B. Solu-Decortin® H 250 mg)

Vor einer geplanten Narkose kann der Patient mit einem Anxiolytikum (z. B.
Tranxilium® 10–20 mg p. o., Atosil® 0,5 mg/kg i. m., Dormicum® 1–3 mg i. v.)
prämediziert werden. Ein venöser Zugang muss immer sichergestellt sein.
Atropin 0,01 mg/kg wurde früher zur Vagolyse vor der Narkoseeinleitung ob -
09

ligat appliziert, heute wird es nur noch bei entsprechender Indikation (Bra-
dykardie, Kleinkinder, unerwünschte Salivation) verwendet.

9.3.1.1 Narkose bei intakter medizinischer Struktur


Bei Schadensereignissen mit erhaltender medizinischer Struktur kommen
alle gebräuchlichen Narkoseverfahren und ein adäquates Monitoring zum
Einsatz. Im Wesentlichen sind dies die totale intravenöse Anästhesie sowie
die bilanzierte Anästhesie unter Verwendung von intravenösen und inhala-
tiven Anästhetika. Als Beispiel für eine TIVA sei angeführt:
ƒ Propofol (z. B. Disoprivan®) 1–2 mg/kg i. v. zur Narkoseeinleitung
ƒ Fentanyl (z. B. Fentanyl®-Janssen) 0,1 mg i. v. bzw. Alfentanil (z. B. Rapifen®)
1 mg i. v.
ƒ Beatmung über Larynxmaske (bei nüchternen Patienten!)
ƒ oder Beatmung nach Relaxation und Intubation
ƒ Aufrechterhaltung der Narkose mit Propofol 1–3 mg/kg/h und repetitiven
Opiatdosen
ƒ oder Propofol 1–3 mg/kg/h und Remifentanil (z. B. Ultiva®) 0,05–1,0 µg/kg/
min in kontinuierlicher Zufuhr

9.3.1.2 Narkose bei reduzierter Ausstattung

Kurznarkose mit erhaltener Spontanatmung


ƒ Midazolam (z. B. Dormicum®) 2–5 mg langsam i. v. bzw.
ƒ Propofol (z. B. Disoprivan®) 10–50 mg i. v.
ƒ S-(+)-Ketamin (z. B. Ketanest® S) 0,5–1,0 mg/kg langsam (über 60 s) i. v.
ƒ Bei Bedarf Nachinjektion von S-(+)-Ketamin 0,5 mg/kg

170 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Bei stark eingeschränkten Kreislaufverhältnissen nur Ketamin verwen -


den, da ansonsten Atemstillstand und Kreislaufzusammenbruch drohen.

Kurznarkose mit Intubation


Vorgehen zunächst wie bei erhaltener Spontanatmung, anschließend –
nach sicherer Maskenbeatmung – eventuell Präkurarisierung z. B. mit Ve-
curonium (z. B. Norcuron®) 1 mg und Muskelrelaxierung mit Succinylcholin
(z. B. Lysthenon®) 1–2 mg/kg langsam (über 15 s) i. v. Nach der endotrachea-
len Intubation wird mit dem Beatmungsbeutel mit Luft oder Luft/Sauerstoff
beatmet. Bei Bedarf wird Ketamin® S 0,5 mg/kg und bei absoluter Notwen-
digkeit einer erneuten Relaxation Succinylcholin 20–40 mg (sehr langsam!)
nachinjiziert. Alternativ kann bei sicher nüchternen Patienten primär mit
einem nichtdepolarisierenden Muskelrelaxans (z. B. Vecuronium 0,1 mg/kg)

09
relaxiert werden.

Bitte beachten

Die Höchstdosis von Succinylcholin beträgt 400 mg, es drohen schwere Bra-
dykardien und eine stark verlängerte Wirkung. Eine Relaxierung ohne Intuba-
tion ist wegen der Gefahr der Aspiration (nicht nüchterner Patient, fehlende
Magenentleerung) unzulässig.

9.3.2 Inhalationsnarkose
Unter Katastrophenbedingungen ist sicherlich der intravenösen Narkose der
Vorzug zu geben. Trotzdem sollen hier die volatilen Inhalationsanästhetika
erwähnt werden, da sie in manchen Ländern einen anderen Stellenwert als
in Deutschland einnehmen. Inhalationsanästhetika (Lachgas [Stickoxydul,
N2O] und die Dämpfe der halogenierten Kohlenwasserstoffe Halothan, Enflu-
ran und Isofluran) wirken am Zielorgan, dem ZNS, aber auch an peripheren
Organen (Herz, neuromuskuläre Endplatte) dämpfend. Der genaue Mecha-
nismus ist nicht bekannt. Ziel der Inhalationsanästhesie ist, einen ausrei-
chenden Partialdruck des Narkosegases im Gehirn zu erreichen. Da dieser
klinisch nicht bestimmbar ist, bezieht man die Wirkstärke auf die minimale
alveoläre Konzentration (MAC). MAC50 ist die alveoläre Gleichgewichtskon-
zentration, bei der 50 % der Patienten auf eine Hautinzision nicht mit einer
Abwehrbewegung reagieren.

Leitfaden Katastrophenmedizin 171


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

Der MAC-Wert der Inhalationsanästhetika und damit die benötigte Konzen-


tration werden vermindert durch:
ƒ Kombination mit anderen Inhalationsanästhetika (Lachgas)
ƒ Prämedikation mit Sedativa und Opiaten
ƒ Hypothermie, Schwangerschaft, zunehmendes Alter
ƒ Hypoxie, Anämie, Hypotension

Der MAC-Wert der Inhalationsanästhetika wird erhöht durch:


ƒ Alkoholabusus
ƒ Hyperthermie

Inhalationsanästhetika
ƒ Halothan MAC50 in O2: 0,8 Vol.-% relativ billig, am weitesten verbreitet
in Entwicklungsländern
ƒ Enfluran MAC50 in O2: 1,7 Vol.-% weit verbreitet in Industrie- und
Schwellenländern
ƒ Isofluran MAC50 in O2 : 1,2 Vol.-% weit verbreitet in Industrie- und
09

Schwellenländern
ƒ Sevofluran MAC50 in O2: 2,0 Vol.-% teuer, daher meist nur in hoch indust-
rialisierten Ländern verbeitet
ƒ Desfluran MAC50 in O2: 6,0 Vol.-% teuer, daher meist nur in hoch indust-
rialisierten Ländern verbeitet

9.3.3 Langdauernde Narkose mit Intubation


Vorgehen zunächst wie in Kapitel 9.3.1.2 beschrieben. Nach Intubation und
aufgenommener Beatmung wird ein nichtdepolarisierendes Muskelrelaxans,
z. B. Vecuronium 0,1 mg/kg KG i. v., injiziert. Wenn nach ca. 20 min die Mus-
kelrelaxierung nachlässt, können 2 mg Vecuronium nachgegeben werden.
Die Narkose wird durch die Inhalation eines Lachgas-/Sauerstoffgemisches
(70 : 30 Vol.-%) bzw. Luft-/Sauerstoffgemisches sowie die Zugabe eines der
genannten Inhalationsanästhetika aufrechterhalten (s. Kap. 9. 3.2). Das In-
halationsanästhetikum sollte in einer Konzentration verabreicht werden,
die etwa seiner minimalen alveolären Konzentration entspricht. Bei Operati-
onsende sollte die Muskelrelaxierung aus Sicherheitsgründen (verminderte
Überwachungsmöglichkeiten!) mit 0,1 mg/kg KG Pyridostigmin (z. B. Mesti-
non®) zusammen mit 0,5 mg Atropin aufgehoben werden.

9.3.4 Narkose beim Schädelhirntrauma


Beim schweren Schädelhirntrauma darf keine Narkose in Spontanatmung
durchgeführt werden, da alle Narkotika bei Hirntraumen zu einem An-
stieg des arteriellen Kohlensäurepartialdruckes und damit zur Hirndruck-

172 Leitfaden Katastrophenmedizin


steigerung führen können, diese Patienten müssen deshalb kontrolliert
beatmet werden. Ketamin kann zwar in ungünstigen Fällen auch unter kon-
trollierter Beatmung zu einer Hirndrucksteigerung führen, dies lässt sich
aber durch Zugabe eines Benzodiazepins oder von Propofol (z. B. Disoprivan®
1–2 mg/kg) verhindern. Die Narkose lässt sich somit wie in Kapitel 9.3.3 be-
schrieben durchführen. Am Ende der Narkose müssen unbedingt ein ausrei-
chender Wachheitsgrad sowie eine ausreichende Spontanatmung vorhan-
den sein. Anderenfalls muss der Patient unter kontrollierter Beatmung einer
Intensivtherapie zugeführt werden.

Alternativ empfiehlt sich eine total intravenöse Anästhesie:


ƒ Propofol (z. B. Disoprivan®) 1–2 mg/kg KG i. v.
ƒ Fentanyl (z. B. Fentanyl®-Janssen) 0,1–0,3 mg i. v. bzw.
ƒ Alfentanil (z. B. Rapifen®) 1–3 mg i. v.
ƒ weiteres Vorgehen wie unter Narkose mit Intubation beschrieben

09
Bitte beachten

Muskelrelaxanzien dürfen nur von demjenigen angewendet werden, der


im Umgang mit ihnen geübt ist und die Intubation sicher beherrscht. An -
sonsten droht eine „can not intubate, can not ventilate“-Situation und
damit Tod des Patienten.

Alternativen zur orotrachealen Intubation, dem sogenannten Goldstandard


der Notfallmedizin, müssen gerade beim Massenanfall von Patienten in Er-
wägung gezogen werden. Es sind hier die Larynxmaske und der Larynxtu-
bus zu nennen. Neuere Untersuchungen belegen allerdings lediglich einen
begrenzten Nutzen der Larynxmaske oder des Larynxtubus für Patienten
mit Intubationsschwierigkeiten, diese Verfahren können daher nicht gene-
rell für den Einsatz in der Katastrophenmedizin empfohlen werden.

Bitte beachten

Larynxmaske und Laryxtubus sind kein sicherer Aspirationsschutz beim


nicht nüchternen Patienten.

Leitfaden Katastrophenmedizin 173


Spezielle medizinische Maßnahmen
Schmerzbehandlung und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen

9.3.5 Narkose in Ausnahmesituationen


In besonderen Situationen (eingeklemmte Patienten, Narkose auf dem „frei-
en Felde“, völliger Zusammenbruch der Versorgung) empfiehlt es sich, eine
Ketamin- oder S-(+)-Ketamin–Mononarkose durchzuführen. Die Spontan-
atmung bleibt dabei erhalten, Blutdruck und Puls können palpatorisch beur-
teilt werden:
ƒ S-(+)-Ketamin (z. B. Ketamin® S) 0,25–1,0 mg i. v. titriert!
ƒ Repetitionsdosis: 0,25–0,5 mg/kg
ƒ eventuell Supplementierung mit Midazolam (z. B. Dormicum®) 1–5 mg i. v.

Bitte beachten

Unter Ketamin sind die Rachenreflexe verstärkt, deshalb keinen Guedel-


Tubus verwenden!
09

Literatur

Büttner W, Finke W, Hilleke M, Reckert S, Vsianska L, Brambrink A. Ent-


wicklung eines Fremdbeobachtungsbogens zur Beurteilung des postope-
rativen Schmerzes bei Säuglingen. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed
Schmerzther 1998; 33 (6): 353–361.

De Boer J, Dubouloz M. Handbook of Disaster Medicine. Utrecht: Van der


Wees; 2000.

Rebentisch E. Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe. 2. Aufl. Grä-


felfing: Reed Elsevier; 1991.

Rossaint R, Werner Ch, Zwißler B. Die Anästhesiologie. 2. Aufl. Berlin, Heidel-


berg, New York: Springer-Verlag; 2008.

174 Leitfaden Katastrophenmedizin


10
Chirurgische Maßnahmen
im Großschadens- und Kata-
strophenfall bei Patienten mit
Kombinationstraumen –
Versorgungsstrategien bei
polytraumatisierten Patienten
G. Matthes, A. Ekkernkamp

Im Rahmen schwerer Unfälle kommt es bei den Opfern meistens zu einer


Mehrfachverletzung, seltener zu einer Monoverletzung. Liegen Verletzun-

10
gen mehrer Körperregionen vor, von denen eine oder die Kombination akut
lebensbedrohlich sind, spricht man von einem Polytrauma. Prinzipiell gelten
für die präklinische Versorgung Mehrfachverletzter oder polytraumatisier-
ter Patienten im Katastrophenfall die üblichen Versorgungsschritte:
ƒ Rettung aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich
ƒ Stabilisierung der Vitalfunktionen
ƒ Stillung lebensbedrohlicher äußerer Blutungen
ƒ Schmerzbekämpfung
ƒ Verbände und Lagerung, auch Immobilisation

10.1 Sichtung
Mit Beginn der Rettungsmaßnahmen werden die Verletzen gerettet, ggf. zu
einer Verletztenablage oder an einen festgelegten Behandlungsplatz ver-
bracht. Beim Massenanfall von Verletzten muss dabei jeweils eine Sichtung
stattfinden. Ziel der Sichtung ist die Beurteilung der Versorgungsdringlich-
keit der einzelnen Verletzten. Festgelegt werden hierbei u. a.:
ƒ Reihenfolge der Behandlung
ƒ Reihenfolge des Abtransportes
ƒ Transportart (Boden/Luft)
ƒ Zielklinik

Leitfaden Katastrophenmedizin 175


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

Bei der Sichtung werden die Verletzten im Katastrophenfall den Dringlich-


keitsgruppen I bis IV zugeordnet (zur Sichtung s. auch Kap. 4). Ein weiterer
Schritt nach Zuordnung der Behandlungspriorität ist die Festlegung der
Transportpriorität. Hierbei wird zwischen hoher und niedriger Transport-
priorität unterschieden.

Die Sichtung gehört grundsätzlich in die Hand des katastrophenmedizi-


nisch erfahrensten Arztes. Er ist gegenüber den anderen Ärzten und dem
medizinischen Assistenzpersonal in gewissem Rahmen weisungsbefugt.
Der Sichtungsarzt legt die Art und den Behandlungsumfang bei den einzel-
nen Verletzten fest. Er selbst behandelt zunächst nicht. Untersuchung und
Dokumentation sollten nicht mehr als zwei Minuten pro Patient dauern. Ab-
hängig von der Zahl der Verletzten sind unter einer (!) Leitung ggf. mehrere
Sichtungsärzte einzusetzen, um die Behandlung der Verunfallten nicht zu
verzögern.

Das Ergebnis der Sichtung hält der Sichtungsarzt auf einem Dokumentations-
system, z. B. einer Verletztenanhängekarte (s. Kap. 4) fest. Sie wird gut sichtbar
an der unteren Extremität des Verletzten befestigt. Auf dieser Karte werden
10

neben den feststellbaren persönlichen Daten die Dringlichkeitskategorie, ori-


entierende Diagnosen und erste durchgeführte Maßnahmen dokumentiert.

10.2 Untersuchung und Erstversorgung


Jeder Verletzte muss orientierend untersucht werden. Ziel der Erstun-
tersuchung gerade bei polytraumatisierten Patienten ist es, die Leitverlet-
zung zu erkennen. Es empfiehlt sich ein strukturiertes Vorgehen nach dem
ABCDE-Schema (s. Tab.10-1), das auf dem weltweit verbreiteten Konzept Ad-
vanced Trauma Life Support (ATLS®) bzw. Prehospital Trauma Life Support
(PHTLS®) basiert.

Bitte beachten

Bei den ärztlichen Erstmaßnahmen an Schwerstverletzten sind aufwendi-


ge Versorgungen von Extremitätenverletzungen oder geringeren Verlet-
zungen aufgrund des damit verbundenen Zeitverlustes lebensgefährdend
und daher zu unterlassen. Es gilt der Leitsatz „life before limb“.

176 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 10-1 ATLS®-Schema zur strukturierten Untersuchung eines Verletzten.

Airway Obere Atemwege, Protektion der Halswirbelsäule

Breathing Atmung und Oxygenierung

Circulation Kreislaufsituation, Blutstillung

Disability Neurologischer Status

Komplette körperliche Untersuchung, Kontrolle einer


Exposure
möglichen Hypothermie

10.2.1 Neurologischer Status, Kopf und Wirbelsäule


Die Bewusstseinslage wird bei traumatologischen Notfällen am besten anhand
der Glasgow-Komaskala eingeschätzt (s. Tab. 10-2).

Tab. 10-2 Glasgow-Komaskala (Glasgow Coma Scale [GCS]).

10
Prüfung Reaktion Punkte
Augenöffnen spontan 4
auf Ansprechen 3
auf Schmerzreiz 2
nicht 1
verbale Reaktion orientiert, beantwortet Fragen 5
desorientiert, beantwortet Fragen 4
inadäquate verbale Antwort 3
unverständliche Laute 2
keine 1
Körpermotorik Bewegung auf Befehl 6
gezielte Schmerzabwehr 5
Massenbewegung auf Schmerz 4
Beugesynergien auf Schmerz 3
Strecksynergien auf Schmerz 2
keine 1

Die neurologische Zustandsbewertung des Verletzten kann 3 bis 15 Punkte


erreichen. Darüber hinaus werden die Pupillen beurteilt, wobei auf Pupillen-
weite, Isokorie und Lichtreaktion geachtet wird. Schließlich werden äußere
Verletzungen beurteilt. Schwere Kopfverletzungen, gerade bei Hochrasanz-
traumen, gehen oftmals mit Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS) ein-
her. Bei ansprechbaren Verletzten ist die periphere Motorik und Sensibilität
zum Ausschluss einer Wirbelsäulenverletzung mit Rückenmarksbeteiligung
orientierend zu überprüfen. Weiterhin ist nach Schmerzen im Wirbelsäulen-

Leitfaden Katastrophenmedizin 177


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

bereich zu fragen. Prädilektionsstellen für Wirbelsäulenverletzungen sind


neben der oberen und unteren Halswirbelsäule der thorakolumbale Über-
gang und die untere Lendenwirbelsäule.

Besonderheiten
Soweit in Katastrophensituationen möglich, ist bei ausgeprägten Gesichts-
verletzungen auf orale Blutungen oder ausgeschlagene Gebissanteile zu ach-
ten, denn diese stellen eine Aspirationsgefahr dar. Bei schweren Gesichtsver-
brennungen ist die Mundhöhle auf ein Inhalationstrauma zu untersuchen.
Im Rahmen von Explosionsunfällen können Blutungen aus dem äußeren
Gehörgang auf eine Trommelfellverletzung hinweisen.

Erstversorgung bei Bewusstlosigkeit, Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen


Die Atemwege müssen sicher freigehalten werden. Bei GCS-Werten ≤ 9 muss
intubiert werden. Hierbei ist der einfachsten Intubationsart, in den meisten
Fällen der orotrachealen Intubation, der Vorzug zu gegeben. Eine Larynx-
maske bietet weniger Sicherheit und schützt nicht vor einer Aspiration. Sollte
wegen schwerster Gesichtverletzungen eine orotracheale Intubation nicht
möglich sein, ist eine Notfallkrikothyreotomie indiziert.
10

Defektwunden am Kopf, auch mit freiliegendem Gehirn, werden lediglich


mit sterilen Kompressen abgedeckt. Beim geringsten Verdacht auf eine
Halswirbelsäulenverletzung sollte die HWS immobilisiert werden, üblicher-
weise mit einer Orthese. Falls notwendig muss diese jedoch zur Intubation
entfernt werden. Ein zweiter Helfer sollte die HWS stabilisieren, während die
Intubation vorgenommen wird.
Bei Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung ist eine achsenstabile Lage-
rung notwendig. Zur Rettung werden unter individual-notfallmedizinischen
Gegebenheiten sechs Helfer (!) benötigt. Es sollten spezielle Hilfsmittel, wie
Schaufeltrage und Vakuummatratze oder ein sogenanntes Spine-Board, ein-
gesetzt werden.

Bitte beachten

Gerade bei auf diese Weise immobilisierten Patienten ist darauf zu achten,
dass kein eigenständiger Atemschutz erfolgen kann (Erbrechen!). Regel-
mäßige klinische Verlaufskontrollen sind zwingend erforderlich. Generell
ist bei Schädelhirntraumen an eine Verschlechterung im Verlauf zu denken
und deshalb eine regelmäßige (GCS-)Kontrolle notwendig.

Für die weiterhin vielerorts angewendete hochdosierte Methylprednisolon-


Gabe (NASCIS-Schema, NASCIS – National Acute Spinal Cord Injuries Study)

178 Leitfaden Katastrophenmedizin


bei Rückenmarksverletzungen gibt es keine ausreichende Evidenz, um eine
Therapieempfehlung zu begründen. Schädelhirntraumen indes sind ein-
deutig keine Indikation.

10.2.2 Neurologischer Status bei Kindern


R. Hentschel

Bei Säuglingen und Kleinkindern ist wegen der noch nicht abgeschlossenen
verbalen und neuromotorischen Entwicklung statt der GCS eine pädiatrische
Modifikation anzuwenden (PGCS, s. Tab. 10-3). Bei Kindern unter 5 Jahren
wird die volle Punktzahl von 15 auch bei voller Gesundheit unter Umständen
nicht immer erreicht.

Tab. 10-3 Pädiatrische Glasgow-Komaskala (Pediatric Glasgow Coma Scale


[PGCS]).

Prüfung Reaktion Punkte


Augenöffnen spontan 4

10
auf Ansprechen 3
auf Schmerzreiz 2
kein Augenöffnen 1
verbale Antwort lächelt, orientiert sich an Geräuschen, verfolgt 5
Objekte, interagiert
schreit, lässt sich aber beruhigen, inadäquate 4
Interaktion
zeitweilig nicht zu beruhigen, stöhnt 3
nicht zu beruhigen, ist agitiert 2
keine verbale Antwort 1

motorische Antwort Bewegung auf Befehl 6


gezielte Schmerzabwehr 5
Massenbewegung auf Schmerz 4
Beugesynergien auf Schmerz 3
Strecksynergien auf Schmerz 2
keine 1

10.2.3 Thoraxtrauma
Prellmarken, eine starke Druckschmerzhaftigkeit oder eine Instabilität des
Thorax sind Zeichen einer Rippen(serien)fraktur. Ein weiterer Hinweis auf ein
schweres Thoraxtrauma ist die paradoxe Atmung. Klinische Zeichen eines
Pneumothorax sind Atemnot, fehlende Atemgeräusche und hypersonorer
Klopfschall auf der betroffenen Seite. Sollte es sich um einen Spannungspneu-
mothorax handeln, so finden sich zusätzlich Kreislaufdepression und Hals-

Leitfaden Katastrophenmedizin 179


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

venenstauung. Beim Hämatothorax ist neben den reduzierten/fehlenden


Atemgeräuschen ein hyposonorer Klopfschall feststellbar. Eine schmerzfreie
Normopnoe sowie ein unauffälliger Auskultationsbefund lassen hingegen
auch ohne Röntgenbild den Ausschluss eines klinisch relevanten Pneumo- und/
oder Hämatothorax zu.

Besonderheiten
Bei Kindern können aufgrund des elastischen Skeletts schwere intrathoraka-
le Verletzungen auch ohne begleitende Rippenfraktur auftreten. Zusätzliche
klinische Zeichen sind hier gedämpfte Herztöne und Kreislaufdepression.
Bei Hochrasanztraumen (Verkehrsunfall, Sturz aus großer Höhe) kann es zu
Verletzungen der thorakalen Aorta kommen.

Erstversorgung von Thoraxverletzungen


Da Thoraxverletzungen sehr häufig mit einer ausgeprägten Lungenkontu-
sion vergesellschaftet sind, sollte die Indikation zur Intubation großzügig
gestellt werden. Die Beatmung ist mit PEEP durchzuführen. Da während der
Beatmung die Gefahr besteht, dass sich ein zuvor übersehener Pneumotho-
rax in einen kreislaufwirksamen Spannungspneumothorax mit Media-
10

stinalverschiebung umwandelt, ist auch nach Intubation eine regelmäßige


klinische Kontrolle nötig.
Ein Spannungspneumothorax ist ein Notfall und damit sofort zu behandeln.
Initial kann auch eine großlumige Kanüle eingebracht werden, an der ggf.
ein abgeschnittener Fingerling befestigt ist, der als Auslassventil dient. Eine
solche Nadeldekompression sollte auf Höhe des 2. bis 3. Interkostalraumes
(ICR) in der mittleren Klavikularlinie erfolgen. Im Verlauf sollte eine Thorax-
drainage angelegt werden.
Bei einem Pneumothorax muss ebenfalls umgehend eine Thoraxdrainage
gelegt werden. Eintrittspunkt ist der 4. oder 5. ICR auf der vorderen Axillar-
linie, niemals jedoch unterhalb der Mamille. Die Eröffnung des Thorax sollte
mittels einer Minithorakotomie erfolgen. Die Drainage sollte einen Durch-
messer von mindestens 24 Charr (Charrière) aufweisen, da kleinere Draina-
gen durch Blutkoagel verlegt werden können. Falls in Ausnahmesituationen
eine entsprechende Drainage nicht vorhanden ist, so kann z. B. ein Absaug-
schlauch oder ein Tubus behelfsmäßig benutzt werden.

Bitte beachten

Bei offenen Thoraxverletzungen ist das alleinige sterile Abkleben obsolet!


Es muss gleichzeitig eine Drainage über einen separaten Zugang gelegt
werden.

180 Leitfaden Katastrophenmedizin


10.2.4 Blutung, Gefäßverletzung, Schock
Bei Mehrfachverletzungen kommt es oft zu Verletzungen großer Gefäße,
stark durchbluteter Organe oder großer Röhrenknochen. Dies kann zu mas-
siven Blutungen in Körperhöhlen hinein oder zu äußeren Blutungen führen.
Orientierende Zeichen eines Volumenmangelschocks sind beim Erwachse-
nen mit Einschränkungen ein systolischer Blutdruck unter 100 mm Hg und
eine Herzfrequenz ≥ 120/min.

Behandlung von Blutungen, Gefäßverletzungen und Schock


Eine periphere Blutung wird durch direkte Kompression versorgt. Das Abbin-
den einer ganzen Extremität ist prinzipiell abzulehnen. Hier kann es zu einer
Ischämie noch durchbluteter Abschnitte kommen, weiterhin können Nerven
geschädigt werden. Allerdings muss diese Methode erwogen werden, wenn
die Möglichkeit einer effektiven direkten Kompression nicht besteht. Das gilt
auch für den Massenanfall von Verletzten, bei dem die Helferzahl begrenzt
ist. Der Einsatz von Gefäßklemmen kann in Katastrophensituationen eben-
falls nicht immer vermieden werden, sollte jedoch eine Ausnahme bleiben.
Weitaus schwieriger ist die Diagnose einer kreislaufwirksamen abdominel-

10
len oder thorakalen Blutung. Werden nach Anlage einer Thoraxdrainage ini-
tial mehr als 1 500 ml Blut abgeleitet, besteht die Indikation zur umgehenden
Thorakotomie nach Klinikaufnahme. Ein einfaches Abklemmen der Draina-
ge (zur Tamponade) hat keinen Effekt!
Eine instabile Kreislaufsituation in Kombination mit einem gespannten Ab-
domen weist auf eine intraabdominelle Verletzung hin. Bisweilen wird in
solchen Fällen auch die präklinische Sonographie als Diagnoseverfahren
eingesetzt. Präklinisch kann nur eine Volumenersatztherapie erfolgen, nach
der Ankunft in der Zielklinik muss bei persistierender Instabilität eine Not-
falllaparatomie angestrebt werden.

Bitte beachten

Jeder Patient mit starkem Blutverlust und drohendem Volumenmangel -


schock oder einem bereits manifesten Schock muss umgehend mit mehre -
ren großlumigen peripheren Venenzugängen versorgt werden.1

1 Zur Volumensubstitution siehe Kapitel 8.

Leitfaden Katastrophenmedizin 181


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

10.2.5 Abdomenverletzungen und Beckentrauma


Ein gespanntes Abdomen mit äußeren Verletzungszeichen, insbesondere bei
zusätzlicher Schocksymptomatik, lässt eine intraabdominelle Verletzung
vermuten. Instabile Beckenfrakturen sind häufig mit hohem Blutverlust
vergesellschaftet, bedingt durch die begleitende Zerreißung des pelvinen
Venenplexus. Die Stabilität des Beckens wird durch beidhändige Kompres-
sion überprüft. Eine wiederholte Untersuchung ist wegen einer möglichen
Blutungszunahme zu unterlassen.

Besonderheiten
Insbesondere Prellmarken in der Flankenregion oder im Oberbauchbereich
sind Hinweise auf ein stumpfes Trauma, das zu schweren inneren Verletzun-
gen führen kann (z. B. Milzruptur, Pankreasverletzung). Instabile Beckenver-
letzungen gehen häufig mit Verletzungen der ableitenden Harnwege einher.
Anzeichen dafür können ein perineales Hämatom oder frische Blutauflage-
rungen an den äußeren Harnwegen sein.

Erstversorgung von Abdomen- und Beckenverletzungen


10

Bei Verdacht auf eine innere Blutung steht die Schockbehandlung im Vorder-
grund. Wunden werden steril abgedeckt. Bei Pfählungsverletzungen wer-
den Fremdkörper in situ belassen. Bei instabilen Beckenverletzungen kann
ein pneumatischer Beckengürtel zur Kompression genutzt werden.

Praxis-Tipp

Alternativ kann bei instabilen Beckenverletzungen auch ein über der


Symphyse verknüpftes Bettlaken stabilisierend wirken.

10.2.6 Extremitätenverletzungen
Extremitätenfrakturen und Luxationen gehören zu den häufigsten Unfall-
verletzungen. Dislozierte Frakturen großer Röhrenknochen (z. B. des Femurs)
können zu einem erheblichen Blutverlust führen. Pralle Schwellungen der um-
gebenden Weichteile weisen auf ein mögliches Kompartmentsyndrom hin.

Erstversorgung von Extremitätenverletzungen


Die Extremitätendurchblutung ist anhand der tastbaren peripheren Pulse
zu kontrollieren. Jede Fraktur sollte bereits am Unfallort so gut wie möglich
reponiert werden. Dies gelingt meistens durch dosierten Zug an der Extre-
mität. Nach der Reposition ist eine Lagerungsschiene anzulegen bzw. eine

182 Leitfaden Katastrophenmedizin


Vakuummatratze zu verwenden. Beim Gebrauch von Luftkammer- oder Va-
kuumschienen muss beachtet werden, dass ein zu festes Anlegen der Schiene
eine Ischämie der Extremität bedingen kann. Daher ist nach jeder Manipula-
tion erneut die Durchblutung zu kontrollieren.
Gelenkluxationen sollten, wenn immer möglich, erst in der Klinik nach bild-
gebender Diagnostik reponiert werden. Nur so gelingt der Ausschluss einer
begleitenden Fraktur, die im Einzelfall eine einfache geschlossene Repositi-
on unmöglich machen kann. Eine Ausnahme stellt die Luxation im oberen
Sprunggelenk dar: In diesem Fall ist die umgehende Reposition auch ohne
Röntgendiagnostik indiziert, da die Durchblutung des betroffenen Fußes
meist stark kompromitiert ist.
Wenn bei eingeklemmten Verletzten eine langwierige Rettung aufgrund
des Gesamtzustandes nicht möglich ist, muss ggf. eine Notamputation erwo-
gen werden.
Bei Amputationsverletzungen sollten replantationsfähige Amputate in da-
für vorgesehenen Beuteln transportiert werden. Eine Reinigung des Am-
putates oder das Einlegen in eine Lösung ist kontraindiziert. Insbesondere
beim Massenanfall verbietet sich zeitaufwendiges Suchen nach amputierten
Gliedmaßen. Amputationsstümpfe und Wunden werden steril abgedeckt

10
und Gefäßverletzungen wie in Kapitel 10. 2.4 beschrieben versorgt.

10.2.7 Verschüttungstraumen
Bei Verschüttungen kommt es häufig zur druckbedingten Ischämie von Ex-
tremitäten. Dies führt zu einem Muskelzerfall mit konsekutiver Myoglobin-
urie; es droht ein akutes Nierenversagen. Kennzeichen ist ein dunkler oder
rötlicher Urin. Zusätzlich kommt es häufig zu schweren Thoraxverletzungen.

Behandlung von Verschüttungstraumen


Großzügige Intubation, Schocktherapie und Erzielen einer forcierten Aus-
scheidung sind beim sogenannten Crush-Syndrom wesentliche Therapie-
maßnahmen (Behandlungsalgorithmus s. Abb. 10-1); die frühzeitige Ex-
tremitätenamputation ist beim Massenanfall von Verletzten in Betracht zu
ziehen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 183


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

Crush-Syndrom – Pathophysiologie Crush-Syndrom


Erweiterte Primär-Therapie
Aufhebung äußerer Kompression
Crush-Verletzung
Wiedereinsetzen der Zirkulation
=

Normovolämie Hypovolämie
Rhabdomyolyse

Ödem
500 ml Kristalloide (K+-arm)/h
Myoglobinurie je 1000 ml Kristall.: + 50 mval NaCHO3

Hyperphosphatämie Urin-pH 6,5 Ausscheid. 300 ml/h

Hypovolämie

Hyperkatiämie + NaHCO3 + fraktion. Lasix®

Hyperurikämie Urin > 300 ml/h


pH > 6,5

metabol. Azidose Hämokonzentration


(Diamox)® (Dopamin)®
10

Therapiefortführung bis
Gerinnungsstörung Blut u. Urin myoglobinfrei
– Säure-Basen-Status –
Nierenversagen Hämodialyse; [hyperbare Oxygenation]

Abb. 10-1 Pathophysiologie und Therapie des Crush-Syndroms.

10.2.8 Schuss- und Splitterverletzungen


Schuss- und Splitterverletzungen sind grundsätzlich als kontaminierte Wun-
den anzusehen. Es kommt oft zum Verbleib von metallischen Fremdkörpern
in der Wunde. Wird z. B. vor Eintritt des Geschosses in den Körper Bekleidung
zerschlagen, so werden meist Textilfasern in die Wunde verschleppt. Primär
ist bei solchen Verletzungen auf eine Ein- und Austrittsstelle des Geschosses
zu achten, um den möglichen Verbleib des Fremdkörpers in der Wunde zu
identifizieren („Steckschuss“).
Insbesondere bei Schussverletzungen sind zur weiteren Beurteilung der re-
sultierenden Wunde einige physikalische Grundkenntnisse notwendig. So
kann man bei Waffen mit niedriger Mündungsgeschwindigkeit (< 350 m/s)
davon ausgehen, dass in der Umgebung des Schusskanals keine wesentlichen
Gewebeverletzungen auftreten. Hochgeschwindigkeitsgeschosse hingegen
erzeugen zwar häufig nur ein kleines Einschussloch, jedoch übertragen sie
im Körper ihrer hohe kinetische Energie auf das den Schusskanal umgeben-
de Gewebe. Es kommt zu explosionsartigen Höhlenbildungen (Kavitatio-
nen) mit entsprechenden Organdestruktionen. Dichtere Gewebe wie Knöpfe

184 Leitfaden Katastrophenmedizin


an der Kleidung, aber auch Knochen, können zu sogenannten Sekundärge-
schossen werden und weitere Verletzungen verursachen.
Neben Hochgeschwindigkeitsgeschossen führen auch Schrotschüsse aus
nächster Nähe, „Explosionsgeschosse“, „Dum-Dum-Geschosse“ oder Spreng-
sätze zu schwerwiegenden Gewebeschäden. Zur klinischen Klassifikation
von Schussverletzungen hat sich die Red Cross War Wound Classification
nach Coupland bewährt (s. Tab. 10-4).

Erstversorgung von Schuss- und Splitterverletzungen


Die Maßnahmen bei Schuss- und Splitterverletzungen entsprechen den oben
dargestellten Prinzipien zur Versorgung von Verletzungen der jeweils be-
troffenen Körperregion. Es ist immer von einer Kontamination der Wunde
und verbliebenen Fremdkörpern auszugehen. Auch bei Schuss- und Splitter-
verletzungen sollten Fremdkörper präklinisch in situ belassen werden.

Tab. 10-4 Red Cross War Wound Classification nach Coupland (1992).

E – Einschusswunde maximaler Durchmesser in cm

X – Ausschusswunde maximaler Durchmesser in cm

10
C – Kavitation C0 = Höhle fasst weniger als zwei Finger
C1 = Höhle fasst mindestens zwei Finger

F – Fraktur F0 = keine Fraktur


F1 = einfache Fraktur
F2 = komplizierte Fraktur mit Trümmerzone

V – vitale Strukturen V0 = nicht betroffen


V1 = Dura, Pleura, Peritoneum eröffnet,
Verletzung großer Gefäße
M – metallische Fremdkörper M0 = keine
M1 = ein Fremdkörper
M2 = multiple Fremdkörper
Klassifikation

Grad 1 E + X < 10 mit C0/F0 oder F1

Grad 2 E + X < 10 mit C1 oder F2

Grad 3 E + X > 10 mit C1 oder F2

Leitfaden Katastrophenmedizin 185


Spezielle medizinische Maßnahmen
Chirurgische Maßnahmen im Großschadens- und Katastrophenfall

10.3 Zielklinik und Transportmittel


10.3.1 Wahl der Zielklinik
Prinzipiell sollten schwerstverletzte und polytraumatisierte Patienten in ein
Traumazentrum oder eine Klinik der Maximalversorgung (unfallchirugi-
sche und neurochirurgische Abteilung) verbracht werden. Ist der Verletzte
jedoch instabil, so muss er primär in die nächstgelegene chirurgische Klinik
verbracht werden. Die Zielklinik muss rechtzeitig über das voraussichtliche
Eintreffen, das Verletzungsmuster und die Leit verletzung informiert wer-
den. Beim Massenanfall von Verletzten ist im Vorfeld durch die Rettungsleit-
stelle zu klären, welche Kliniken für die Aufnahme der Verletzten in Betracht
kommen und wie viele Patienten jeweils aufgenommen werden können. Die
entsprechenden Krankenhäuser sollten frühestmöglich informiert werden,
damit noch vor Eintreffen der ersten Verletzten die Aufnahme ggf. mehrerer
schwerstverletzter Patienten vorbereitet werden kann, indem interne Alar-
mierungs- und Einsatzpläne umgesetzt werden.2

10.3.2 Wahl des Transportmittels


10

Für einen schnellen und erschütterungsfreien Transport über weite Distan-


zen ist der Hubschrauber das am besten geeignete Transportmittel. Dies gilt
insbesondere für Patienten mit schweren Schädelhirntraumata, Wirbelsäu-
len- und Beckenverletzungen sowie großflächigen Verbrennungen.

Bei kurzen Entfernungen zur Zielklinik ist ein Transport mit dem Notarztwa-
gen, Rettungswagen und auch Krankentransportwagen indiziert. Über die
Notwendigkeit einer ärztlichen Begleitung des Patiententransportes ist in
Abhängigkeit von der Verletzungsschwere zu entscheiden.

Die Organisation der entsprechenden Transportmittel obliegt beim Mas-


senanfall von Verletzten der Rettungsleitstelle. Bei der Nachforderung von
Rettungsmitteln ist grundsätzlich, neben dem tatsächlichen Bedarf, der
notwendige Zeitaufwand für die Bereitstellung der Transportmittel zu be-
achten.

2
Siehe hierzu auch Kapitel 16.

186 Leitfaden Katastrophenmedizin


Literatur

American College of Surgeons, Committee on Trauma, eds. ATLS Student


Course Manual. 8th ed. Chicago: American College of Surgeons; 2008.

Coupland RM. The Red Cross Classification of War Wounds. World J Surg
1992; 16: 910–917.

Mandavia DP, Newton EJ, Demetriades D, eds. Color Atlas of Emergency Trauma.
Cambridge: Cambridge University Press; 2003.

Tscherne H, Regel G, Hrsg. Trauma-Management. Berlin, Heidelberg: Springer;


2000.

Wölfl C, Matthes G, Hrsg. Unfallrettung. Stuttgart: Schattauer; 2009.

Internet (Stand: 04/2010)

10
The Trauma Organisation
www.trauma.org

The Internet Journal of Rescue and Disaster Medicine


http://www.ispub.com/journal/the_internet_journal_of_rescue_and_
disaster_medicine.html

Traumanetzwerk der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)


www.dgu-traumanetzwerk.de

Evidenzbasierte Versorgungsleitlinie Polyrauma der DGU


www.dgu-polytraumaleitlinie.de

Leitfaden Katastrophenmedizin 187


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

11
Maßnahmen bei thermischen
Schädigungen im Großscha-
dens- und Katastrophenfall
S. Kohler, G. Germann – mit Beiträgen von Th. Nicolai und R. Hentschel

11.1 Arten und Inzidenzen thermischer


Schäden

11.1.1 Verbrennungen
In Deutschland machen thermische Schädigungen ca. 1 % aller Notarztein-
sätze aus. Jährlich werden ca. 10 000–15 000 Patienten stationär mit solchen
Verletzungen behandelt, etwa 10 % davon bedürfen einer intensivmedizi-
nischen Behandlung (Trupkovic und Giessler 2008).
11

Die Schwere einer Verbrennung wird anhand der Verbrennungstiefe und


der Ausdehnung definiert. Die Verbrennungstiefe ist abhängig von der Tem-
peratur und der Einwirkungszeit. Schon bei Temperaturen von 45 °C und ei-
ner Einwirkungsdauer von 1 h kommt es zu Zellschäden. Heißes Wasser aus
einer Warmwasserleitung (60–80 °C) kann bereits nach wenigen Minuten
zu schweren Verbrühungen führen. Bei Temperaturen von 2 000 °C (Explosi-
on) bis 5 000 °C (Lichtbogen) kommt es schon nach Sekundenbruchteilen zu
schwersten Gewebezerstörungen (Trupkovic und Giessler 2008).

Die Verbrennungstiefe wird in 4 Grade eingeteilt: Verbrennungen ersten


Grades sind rein epidermale Schädigungen, Verbrennungen zweiten Grades
werden in oberflächlich dermale (II a) und tief dermale (II b) Hautschäden un-
terteilt. Verbrennungen dritten Grades reichen bis in die Subkutis, bei Verbren-
nungen vierten Grades sind Muskeln, Sehnen und Knochen beteiligt (s. Tab.
11-1). Verbrennungen Grad II b und höher müssen operiert werden (DGV 2007).

Die Verbrennungsausdehnung kann nach der „Neuner-Regel“ nach Wal-


lace beurteilt werden (s. Abb. 11-1). Zur Abschätzung kleiner Verbrennungs-
areale gilt die „Handflächenregel“. Eine Handfläche ohne die Finger ent-
spricht dabei einer Körperoberfläche von ca. 1 %.

188 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 11-1 Überblick über die Einteilung der Verbrennungsgrade.

Verbrennungs- Schädigungs- Klinisches Bild Therapie Heilung


grad tiefe
I Rein Rötung, Konservativ Ohne
epidermal Juckreiz, Narbenbildung
brennender
Schmerz
II a Oberflächlich Blasen, extre - Konservativ Ohne
dermal mer Schmerz, Narbenbildung
wegdrückbares
Erythem
II b Tief dermal Blasen, extre - Operativ Mit
mer Schmerz, Narbenbildung
nicht wegdrück-
bares Erythem,
weiße Areale
III Bis in die Schmerzlos, Operativ Mit
Subkutis avaskulärer Narbenbildung
reichend weiß-bräunli -
cher Wund -
grund, Lösen
der Haare
IV Beteiligung Verkohlung Operativ Defektheilung
von Muskeln,
Sehnen,

11
Knochen

Abb. 11-1 „Neuner Regel“ nach Wallace – Oberflächenausmaß von Verbren-


nungen. (Nach Trupkovic und Giessler 2008.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 189


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

Ausgedehnte Verbrennungen jeglicher Genese lösen Reaktionen aus, die als


Verbrennungskrankheit bezeichnet werden. Sie wird in drei Phasen geglie-
dert (DGV 2007):

1. Schockphase
In den ersten 12 h entwickelt sich primär ein Volumenmangelschock. Durch
eine lokale Kapillarpermeabilitätsstörung werden im Rahmen eines begin-
nenden SIRS (systemic inflammatory response syndrome) Mediatoren ausge-
schüttet, die ab einer verbrannten Köperoberfläche (VKOF) von 20 % zu einem
generalisierten Kapillarleck führen. Es resultiert eine massive interstitielle
Ödembildung.

2. Rückresorptionsphase
Das Ödem hält 48–72 h an. Nach Wiederherstellung der physiologischen
Kapillarschranke, ca. 24 h nach dem Trauma, erfolgt durch gesteigerten
Lymphabfluss die Rückresorption. In dieser Phase kann es zu einer akuten
intravasalen Hypervolämie und zu Elektrolytstörungen kommen. Die Rück-
resorptionsphase kann 1–3 Wochen andauern.

3. Spätphase: Inflammation und Infektion


Im Rahmen des SIRS und aufgrund der Suppression der humoralen und zel-
11

lulären Immunabwehr kommt es gehäuft zu Infektionen, die oftmals auch


zur Sepsis führen. Eintrittspforte ist neben der großen Wundfläche auch die
Lunge nach einem möglichen Inhalationstrauma.

11.1.2 Elektrounfälle
In den 1990er-Jahren starben in Deutschland jährlich rund 200 Menschen
durch Elektrounfälle. Etwa 3 % der Patienten in Zentren für Schwerbrand-
verletzte werden wegen Stromunfällen behandelt. Die Schwere einer Ver-
letzung bei Stromunfällen ist abhängig von der Einwirkdauer des Stroms,
der Stromart und der Stromstärke. So hat Wechselstrom eine sehr hohe
arrhythmogene Potenz. Die Schwere der thermischen Schädigung steigt
mit der Einwirkzeit. Der Weg durch den Körper bestimmt das Ausmaß und
die Körperregion, die geschädigt wird. Wegen der guten Leitfähigkeit der
Gefäße kann es zu ausgedehnten Schäden im Gefäßbereich und damit zu
Sekundärschäden kommen.

Hochspannungsunfällen können zu weitreichenden Verkochungen und


Verbrennungen tiefer Strukturen, wie Gefäßen, Muskulatur und Organ-
strukturen führen.

190 Leitfaden Katastrophenmedizin


11.1.3 Explosionen
Explosionen treten u. a. im Rahmen von Bombenanschlägen auf, wie z. B. bei
dem Bombenanschlag auf die U-Bahn in Madrid im März 2004. Explosions-
folgen können nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens in vier Phasen einge-
teilt werden (DePalma et al. 2005):

Primäre Verletzungen entstehen durch das direkte Barotrauma, wobei es zu


Verletzungen von Hohlorganen, des Trommelfells und der Lunge kommen
kann. Sekundäre Verletzungen sind Penetrationstraumata durch Trümmer-
teile. Tertiäre Verletzungen entstehen z. B. durch zusammenstürzende Ge-
bäude und imponieren als stumpfe Traumata und Schädelhirntraumata. Als
quartäre Verletzungen gelten Verbrennungen und die Inhalation toxischer
Substanzen.

11.2 Vorgehen je nach Verletzungsmuster


11.2.1 Verbrennungen und Verbrühungen
Maßnahmen am Unfallort durch die Ersthelfer

11
Wie bei jedem Notfalleinsatz ist zunächst auf einen ausreichenden Eigenschutz
zu achten. Potenzielle Gefahrenquellen sind neben noch vorhandenen Bränden,
einstürzende Bauten, sekundäre Explosionen und das Einatmen toxischer Gase.

Sobald der Patient aus der Gefahrenzone gerettet ist, müssen eventuell vor-
handene Hitzespeicher entfernt werden, wie z. B. heiße Textilien. Einge-
branntes, fest haftendes Material sollte zwar gekühlt, aber erst in der Klinik
entfernt werden. Die Unterbrechung der Hitzezufuhr kann z. B. durch Wäl-
zen auf dem Boden oder den Einsatz von Decken erfolgen.

Bitte beachten

Eine Kühlung der Wunden durch eine Kaltwassertherapie ist nur direkt nach
dem Trauma sinnvoll, schon zwei Minuten nach der Verbrennung ist ein
positiver Effekt nicht mehr vorhanden.

Das Wasser sollte eine Temperatur von 10–20 °C aufweisen und nicht kälter
sein, da ansonsten eine hypothermiebedingte Vasokonstriktion zu einer
Zunahme der Verbrennungstiefe führen kann. Zudem werden regelmäßig
hypotherme Patienten mit einer Körpertemperatur von 34 °C stationär auf-

Leitfaden Katastrophenmedizin 191


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

genommen, wodurch es u. a. zu Herzrhythmusstörungen, Gerinnungsstö -


rungen und einer erhöhten Sepsisgefahr kommen kann (Lynn et al. 2002)
und damit zu einer deutlichen Prognoseverschlechterung.

Empfehlungen im Rahmen einer Kaltwassertherapie

ƒ Bei Verbrennungen von < 10 % VKOF, kann eine lokale Kaltwassertherapie


für 10 Minuten durchgeführt werden
ƒ Zurückhaltung bei Kindern
ƒ Kontraindikation bei Mehrfachverletzten und narkotisierten Patienten,
da ein Kältezittern nicht möglich ist

Maßnahmen durch das Rettungsteam


Zur systematischen klinischen Untersuchung gehört die Einschätzung des
Verbrennungsausmaßes mit Beurteilung der verbrannten Körperoberfläche
(VKOF) und der Verbrennungstiefe. Zudem sollten eventuelle Begleitverlet-
zungen erkannt und beurteilt werden. So weisen 25–30 % der Patienten ein
Inhalationstrauma (IHT) und 5–10 % der Patienten weitere Verletzungen auf,
wobei eine Versorgungspriorität für Schädel-/Hirn-, Thorax-, Abdominal-
oder Wirbelsäulenverletzungen besteht (Trupkovic und Giessler 2008).
11

Ein Volumenmangelschock ist bei Erwachsenen ab einer VKOF von ca. 15 %


und bei Kindern ab 10 % zu erwarten. Die Anlage eines zentralen Venenkathe-
ters (ZVK) an der Unfallstelle ist nicht erforderlich, großlumige periphere Zu-
gänge sind ausreichend. Empfohlen wird die Infusion leicht hypoosmolarer
kristalliner Lösungen (z. B. Ringer-Laktat), kolloidale Lösungen können durch
Abstrom über das Kapillarleck das interstitielle Ödem noch verstärken.

Bitte beachten

Die frühzeitige Infusionstherapie zur Aufrechterhaltung eines ausreichen -


den Herzzeitvolumens ist prognoseentscheidend.

Die Infusionsmenge wird in der Regel nach der modifizierten Parkland- Baxter-
Formel (auch Ludwigshafener Formel) berechnet (von Gregory et al. 2005). Da-
nach erhält der Patient 4 ml/kg KG × % VKOF in den ersten 24 h, aufgeteilt in je
1 ml/kg KG in den ersten 4 h und in den zweiten 4 h, danach jeweils in den folgen-
den 2 × 8 h. Für die Berechnung werden nur Verbrennungen zweiten und drit-
ten Grades berücksichtigt. Ein IHT erhöht den Flüssigkeitsbedarf deutlich. In
der Praxis wird der Volumenbedarf eher überschätzt, daher gilt als Faustregel:

192 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Ein Liter Ringer-Laktat pro Stunde und nicht mehr!

Die Schmerzintensität ist umgekehrt proportional zur Verbrennungstiefe.


Auf eine adäquate Analgesie muss geachtet werden. Hierzu hat sich neben
Opioiden die Kombination von Ketamin und Benzodiazepin bewährt.

Dosierung bei Verbrennungspatienten (Trupkovic und Giessler 2008):


ƒ Ketamin-S 0,25–0,5 mg/kg KG
ƒ Midazolam 0,05–0,1 mg/kg KG

Eine Sauerstoffzufuhr sollte immer durchgeführt werden, jedoch muss nicht


jeder Verbrennungspatient intubiert werden. Es gelten die üblichen Intuba-
tionskriterien wie Bewusstseinsstörungen, schwere Dyspnoe, Sauerstoffsät-
tigung < 90 % unter Sauerstoffgabe. Zusätzliche Kriterien bei Brandverletz-
ten sind das schwere IHT und mechanische Atemwegsprobleme.

Achtzig Prozent der Verstorbenen an der Unfallstelle sterben aufgrund eines

11
IHT und 25 % der in die Klinik eingelieferten Patienten leiden an einem IHT
(Klose et al. 2003). Neben der thermischen und chemischen Schädigung der
Atemwege kann es im Rahmen eines IHT auch zu Intoxikationen mit Kohlen-
monoxid (CO) und seltener Cyanid kommen. Hinweise auf ein IHT ergeben
sich u. a. aus der Anamnese (Brände in geschlossenen Räumen), Verbren-
nungen von Lippen, Nase, Augenbrauen, Halsregion, bei Dyspnoe, inspira-
torischem Stridor und Ruß in den oberen Atemwegen. Bei Verdacht auf CO-
Intoxikation sollte zunächst eine kontrollierte Beatmung mit 100 % Sauerstoff
erfolgen bis zum Ausschluss einer Intoxikation.

Eine initiale Wundbehandlung mit Salben, Gelen oder Puder ist nicht indi-
ziert, da sie u. a. die spätere Beurteilung der Verbrennungswunden in der
Klinik erschwert. Die Wunden sollten mit sterilen, trockenen, saugfähigen
und nicht verklebenden Verbänden abgedeckt werden. Hierzu stehen metal-
lisierte Verbandsmaterialien zur Verfügung.

Der Transport in die versorgende Klinik sollte nicht länger als 45 Minu-
ten dauern. Gerade im Katastrophenfall sollten vorhanden Ressourcen
adäquat genutzt werden. Nicht jeder Verbrennungspatient muss in einem
Brandverletztenzentrum erstversorgt werden. So ist grundsätzlich je -
des Akutkrankenhaus mit einer chirurgischen und anästhesiologischen
Fachabteilung ein geeignetes Primärkrankenhaus. Es sollte jedoch nach

Leitfaden Katastrophenmedizin 193


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

telefonischer Rücksprache die frühzeitige Verlegung in ein Zentrum an-


gestrebt werden.

Praxis-Tipp

Eine Kontaktaufnahme mit der zentralen Vermittlungsstelle für Brand -


verletzte in Hamburg (Telefon: 040 4 28 51-39 98) kann in diesen Fällen
sinnvoll sein.1

Kriterien für die Aufnahme in ein Brandverletztenzentrum sind (DGV 2007):


ƒ Verbrennungen II° von mehr als 15 % VKOF
ƒ Verbrennungen III° von mehr als 10 % VKOF
ƒ Verbrennungen durch elektrischen Strom
ƒ Verbrennungen mit IHT oder schweren Begleitverletzungen
ƒ Verbrennungen von Kindern unter 8 Jahren und Erwachsenen über
60 Jahren
ƒ Verbrennungen an Regionen, die plastisch schwer zu decken sind, wie Ge-
sicht, Hals, Hände, Füße, Axilla, Genitale, große Gelenke
11

Maßnahmen in der Klinik


Die Aufnahme des Verbrennungspatienten sollte in einem beheizten Raum
erfolgen (Raumtemperatur 35–40 °C). Das Schockraumteam besteht aus
einem Plastischen Chirurgen und einem Anästhesisten, jeweils mit einer
Fachschwester/-pfleger. Zunächst steht nach kompletter Entkleidung des Pa-
tienten die Re-Evaluierung des Verbrennungsausmaßes an und der erneute
Bodycheck auf das Vorliegen von Begleitverletzungen. Bei Verdacht auf akut
lebensbedrohliche Verletzungen muss ggf. eine Ganzkörper-Computerto-
mografie (Ganzkörper-CT) erfolgen auf der Suche nach intraabdominellen
Verletzungen, intrakraniellen Blutungen oder Wirbelsäulenverletzungen,
die Verbrennung ist in solchen Fällen zweitrangig.

Im Rahmen der kardiopulmonalen Stabilisierung des Patienten sollte bei


Verdacht auf IHT eine Bronchoskopie erfolgen. Bei Patienten, deren Beat-
mungszeit voraussichtlich 10 Tage überschreiten wird, sollte die Indikation
zur frühzeitigen dilatativen Tracheotomie großzügig gestellt werden, da
gerade bei Verbrennungen im Gesicht-/Halsbereich eine Tracheotomie zu
einem späteren Zeitpunkt innerhalb der ersten 3–5 Tage nach dem Unfall
aufgrund der Ödembildung oft erschwert ist.

1 Siehe auch Kapitel 24 im Anhang.

194 Leitfaden Katastrophenmedizin


Weiterhin ist die Anlage eines ZVK zu empfehlen, bei Verbrennungen
> 30 % VKOF auch die Anlage eines Systems zum erweiterten kardiopulmona-
len Monitorings (z. B. PiCCO-System2; Czermak et al. 2004). Laborchemische
Untersuchungen (Elektrolyte, Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Blutgruppe
und Kreuzblut; ggf. bei Stromverletzungen auch Troponin, CK und CK-MB3)
sind zu veranlassen sowie Abstriche von allen Wundarealen, Leisten, Nase
und Rachen abzunehmen.

Nach vollständigem Abwaschen des Patienten und Rasur verbrannter Areale


u. U. auch des Kopfes, sollte beurteilt werden, ob eventuell eine Escharotomie
bei zirkulären Verbrennungen notwendig ist. Die verbrannten Areale wer-
den lokal mit Flammazine®, vierlagiger Fettgaze, synthetischer Watte und
halbelastischen Binden behandelt. Bei unklarem Tetanusschutz sollte eine
Auffrischung, ggf. eine Simultanimpfung erfolgen.

Im weiteren Verlauf sollte der Volumenstatus anhand der oben genannten


Parkland-Baxter-Formel optimiert werden, wobei das in der präklinischen
Phase verabreichte Volumen zu berücksichtigen ist. Die errechneten Volumi-
na sind an die Werte des kardiopulmonalen Monitorings, z. B. über das PiCCO
System, und an die Urinausscheidung anzupassen, sollten jedoch wenigstens
0,5 ml/kg KG/h betragen.

11
Prognose
Der ABSI-Score nach Tobiasen (Abbreviated Burn Severity Index) berücksich-
tigt Alter, Geschlecht, Verbrennungsausmaß und Begleitverletzungen und
wird verwendet, um Aussagen über Überlebenswahrscheinlichkeiten zu
treffen (Tobiasen et al. 1982; vgl. Tab. 11-2):
ƒ 1 Punkt je 10 % VKOF
ƒ 1 Punkt für das Vorliegen drittgradiger Verbrennungen
ƒ 1 Punkt für das Vorliegen eines IHT
ƒ 1 Punkt je 20 Lebensjahren
ƒ 1 Punkt für weibliches Geschlecht
ƒ 1 Punkt für schwerwiegende Begleitverletzungen

Tab. 11-2 Bestimmung der Sterbewahrscheinlichkeit anhand des ABSI-Scores.

Gesamtpunktzahl 2–3 4–5 6–7 8–9 10–11 > 11

Sterbewahrscheinlichkeit < 1% < 2% 10–20 % 30–50 % 60–80 % > 80 %

2 System zur Herz-Kreislauf-Überwachung mittels Thermodilution und Pulskonturanalyse.


3 CK – Creatinkinase, CK-MB – Isoenzym der CK , v. a. im Herzmuskel vorkommend.

Leitfaden Katastrophenmedizin 195


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

Die prognostische Bedeutung von Komorbiditäten findet in keinem Score ad-


äquate Beachtung. Für die Prognose sind zudem die Dauer der Primärversor-
gung am Unfallort und die Körpertemperatur bei Aufnahme im Krankenhaus
relevant (Germann et al. 1997). So ergab sich eine rechnerisch gesteigerte Le-
talität von 43 % des Schwerbrandverletzten pro Verlust der Körpertemperatur
um 1 °C vor der stationären Aufnahme (Lönnecker und Schoder 2001).

11.2.2 Verbrennungen bei Kindern


Th. Nicolai, R. Hentschel

Im Katastrophenfall ist entgegen den sonst häufigen Verbrühungen auch bei


Kindern eher von Flammenverbrennungen auszugehen.

Der Hauptunterschied zu den Erwachsenen besteht in den unterschiedlichen


Oberflächenanteilen von Kopf und Extremitäten bei Kindern. Für die Praxis
der Erstversorgung ist hier die Regel am einfachsten, wonach die Hand-
innenfläche des Patienten einschließlich der Finger 1 % der Körperoberfläche
repräsentiert.

Aufgrund der relativ größeren Körperoberfläche kühlen Kinder rascher aus


11

als Erwachsene. Eine Hypothermie birgt aber Gefahren infolge der erhöhten
Infektionsanfälligkeit und kann zu einem schlechteren Outcome führen.

Bitte beachten

Das Auskühlen sollte durch trockene Wundabdeckung und Einhüllen der


Patienten in entsprechende Decken/Folien unbedingt vermieden werden.

Wichtig ist eine gute Schmerztherapie (s. Kap. 9), hierzu hat sich auch der rek-
tale Zugangsweg sehr bewährt.

Eine intravenöse Flüssigkeitstherapie ist in der Erstversorgung nur erforder-


lich, wenn der Transport voraussichtlich länger als eine Stunde dauert. Im
Katastrophenfall ist der intraossäre Zugang bei größeren Verbrennungs-
ausdehnungen und Kleinkindern/Säuglingen mit schwierigen Zugangsver-
hältnissen eine gute Alternative zum peripheren i. v. Zugang (Lokalanästhe-
sie und Analgosedierung erforderlich).

Als Flüssigkeitszufuhr hat sich isotone Elektrolylösung (NaCl 0,9 %, Ringer-


Laktat) in der Standarddosis von 20 ml/kg/Stunde bewährt. Bei einer sehr

196 Leitfaden Katastrophenmedizin


verzögerten Bergung und bereits manifestem Kreislaufschock liegt fast im-
mer ein Volumenmangel vor. In dieser Situation wird mit der raschen Infu-
sion der genannten Lösungen (Schockdosis: 10–20 ml/kg) meist eine rasche
Stabilisierung zu erreichen sein (s. Kap. 8).

Die spätere Flüssigkeitstherapie ist sehr differenziert nach Urinproduktion


und Kreislaufverhältnissen zu steuern. Besonders Säuglinge können auch
myokardial beeinträchtigt sein. Diese Probleme spielen jedoch im katastro-
phenmedizinischen Zeitfenster meist eine untergeordnete Rolle.

Im Gegensatz zu Erwachsenen gibt es bei Kindern keine Indikation zur Dila-


tationstracheotomie (die für diese Altersgruppe auch nicht zugelassen ist).

11.2.3 Elektrounfälle
Bei der Rettung von Stromverletzten ist besonders auf den Eigenschutz zu
achten. So kann es in der Nähe von Hochspannungsleitungen zu sogenann-
ten Lichtbögen kommen. Ebenso entsteht bei Bodenkontakt von Hochspan-
nungsleitungen ein kreisförmiger Spannungstrichter um den Kontaktpunkt
herum, sodass eine Annäherung erst nach sicherem Abschalten der Strom-
quelle erlaubt ist.

11
Hochspannungsunfälle weisen eine besondere Gefährlichkeit auf, die sich
auch in der hohen Mortalität von ca. 30 % zeigt. Neben der Schädigung des
Reizbildungs- und Reizleitungssystems, die zu einem plötzlichen Kreislauf-
stillstand führen kann (häufigste Todesursache bei Stromunfall), ist mit
weitreichenden Verkochungen und Verbrennungen tiefer Strukturen zu
rechnen. Herzrhythmusstörungen werden gemäß kardiologischen Kriteri-
en behandelt. Die Therapie der thermischen Schädigungen erfolgt nach den
Regeln der Schwerbrandverletztenversorgung.

Laborchemisch sollten Muskelzerfallsprodukte wie das Myoglobin kontrol-


liert werden, das im Rahmen von Muskelschädigungen vermehrt anfällt und
zu einer Nierenschädigung („Crush-Niere“) führen kann. Die forcierte Diu-
rese ist Therapie der Wahl, ggf. ist eine intermittierende Dialyse notwendig.
Durch Muskelschädigungen kann es auch zu einem Kompartment-Syndrom
kommen, auf das in diesen Fällen besonders zu achten ist und das ggf. gespal-
tet werden muss (s. Kap. 10).

11.2.4 Explosionen
Zunächst sollte festgestellt werden, ob die Patienten Penetrationsverlet-
zungen und stumpfe Bauch- bzw. Thoraxtraumen aufweisen. Die initiale

Leitfaden Katastrophenmedizin 197


Spezielle medizinische Maßnahmen
Maßnahmen bei thermischen Schädigungen im Großschadens- und Katastrophenfall

Versorgung richtet sich nach den üblichen Regeln der Behandlung von Ver-
letzungen, die durch Gewalteinwirkung entstanden sind. Mithilfe der oto -
skopischen Untersuchung des Trommelfells können Patienten identifiziert
werden, bei denen die Gefahr späterer primärer Verletzungen infolge des
Barotraumas besteht. Haben Patienten keine offensichtlichen Verletzungen,
jedoch ein rupturiertes Trommelfell, sollte die Sauerstoffsättigung für 6–8 h
überwacht werden (DePalma et al. 2005). Die weitere klinische Versorgung
richtet sich nach dem Verletzungsmuster des Patienten.

11.2.5 Unterkühlung im Kleinkindesalter


R. Hentschel, Th. Nicolai

Säuglinge und Kleinkinder geraten wegen ihrer im Verhältnis zur Körper-


masse großen Körperoberfläche und einer in der Regel gering ausgepräg-
ten subkutanen Fettschicht sehr schnell in eine ausgeprägte Hypothermie.
Kommt es in dieser Situation zu einem akuten Sauerstoffmangels, z. B. bei
einem Beinahe-Ertrinken in eiskaltem Wasser, sinkt das Risiko für bleibende
Schäden am Gehirn deutlich. Ähnliches dürfte für Lawinenunfälle gelten.
Wiederbelebungsmaßnahmen sind deshalb auch bei einer extremen Brady-
kardie oder Asystolie fortzuführen, bis eine Kerntemperatur von wenigstens
11

35 °C erreicht wird.

Bitte beachten

Beim Aufwärmen mit einem Heizstrahler ist darauf zu achten, dass das Be -
strahlungsfeld in jedem Fall den Kopf ausspart, da die Überwärmung von
Hirngewebe in dieser Situation den eventuell vorliegenden bleibenden
Schaden vergrößern kann.

Besteht die Möglichkeit, den Patienten unter Fortführung der Herzdruck-


massage in einer vertretbaren Zeitspanne an die extrakorporale Memb -
ranoxygenierung (ECMO) anzuschließen, so kann danach eine therapeuti-
sche Kühlung bei 30–32 °C über 2 Tage angestrebt werden. Erst danach sollte
eine langsame Wiedererwärmung erfolgen. Dies kann das neurologische
Endergebnis unter Umständen dramatisch verbessern. Die ECMO ist in der
Lage, die durch die Hypothermie eingeschränkte Herzauswurfleistung zu
kompensieren. In der Phase der Wiedererwärmung benötigt der Patient zur
Kreislaufstabilisierung eine deutliche Volumenexpansion, um die reflekto-
rische Weitstellung der Gefäße zu kompensieren. Diese Therapieoption ist
allerdings bisher nicht in kontrollierten Studien als wirksam nachgewiesen.

198 Leitfaden Katastrophenmedizin


Literatur

Czermak C, Hartmann B, Scheele S, Germann G, Küntscher MV. Burns hock flu-


id resuscitation and hemodynamic monitoring. Chirurg 2004; 75 (6): 599–604.

DePalma RG, Burris DG, Champion HR, Hodgson MJ. Blast injuries N Engl J
Med 2005; 352 (13): 1335–42.

Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV), Hrsg. Leitlinien für


Chemisch/Thermische Verletzungen. Berlin: DGV; 10.01.2007. Online verfügbar
unter: http://www.verbrennungsmedizin.de/leitlinien_2.htm [letzter Zugriff:
12.03.2010].

Germann G, Barthold U, Lefering R, Raff T, Hartmann B. The impact of risk fac-


tors and pre-existing conditions on the mortality of burn patients and the pre-
cision of predictive admission-scoring systems. Burns 1997; 23 (3): 195–203.

Gregory H von, Gazyakan E, Germann G et al. Die Akutversorgung Brandver-


letzter. Die qualifizierte Erstbehandlung bestimmt den Erfolg der weiteren
Therapiemaßnahmen. Klinikarzt 2005; 34: 241–246.

11
Klose R. Zur Prognose des Brandverletzten. Anästhesiol Intensivmed Notfall-
med Scherzther 2003; 38: 141–142.

Lönnecker S, Schoder V. Hypothermia in patients with burn injuries: influ-


ence of prehospital treatment. Chirurg 2001; 72 (2): 164–167.

Lynn M, Jeroukhimov I, Klein Y, Martinowitz U. Updates in the management


of severe coagulopathy in trauma patients. Intensive Care Med 2002; 28 Sup -
pl 2: 241–247.

Tobiasen J, Hiebert JM, Edlich RF. The abbreviated burn severity index. Ann
Emerg Med 1982; 11 (5): 260–262.

Trupkovic T, Giessler G. Burn Trauma. Part 1: Pathophysiology, preclinical


care and emergeny room management. Anaesthesist 2008; 57 (9): 898–907.

Leitfaden Katastrophenmedizin 199


Schädigende
Agenzien

12 Management von Strahlenunfällen


und Strahlenkatastrophen –
Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter
13 Management von Gefahrstoffunfällen
und Massenvergiftungen
14 Großschadenslagen durch biologische
Agenzien
Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter
12
Management von Strahlen-
unfällen und Strahlen-
katastrophen – Schutz der
(Klinik-)Mitarbeiter
W. Kirchinger

12.1 Einleitung

1. Keine Angst! – Strahlenunfälle sind sehr selten.1


2. Mit etwas Vorbereitung kann (fast) jeder Strahlenunfall notfallmedizi -
nisch sicher abgearbeitet werden.
3. Es gibt für Strahlenunfälle eine geeignete Persönliche Schutzausrüstung –
auch für den Notarzt und die medizinischen Rettungskräfte.

12
Unfallereignisse mit ionisierender Strahlung führen bei den Einsatzkräften
oft zu apokalyptischen Ängsten. Das kann am Einsatzort zu Handlungen
der Rettungskräfte einschließlich der Notärzte führen, die – aus Unkenntnis
über die Bewertung der tatsächlichen Gefahrensituation und aus Furcht vor
eigener Bestrahlung – das Leben und die Gesundheit des Patienten in drasti-
scher Weise gefährden.

Als mögliche Expositionsszenarien kommen die bekannten „Klassiker“


infrage:

1. Exposition durch externe Strahlenquelle (der Patient ist oder war in


einem Bereich erhöhter radioaktiver Strahlung)
2. Kontamination mit radioaktiven Stoffen
3. Inkorporation von Partikeln, Flüssigkeiten oder Gasen die radioaktive
Strahlung aussenden (Inhalation/Ingestion)
4. eine Kombination aus den ersten drei Möglichkeiten

1 Laut Statistik der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und der Weltgesundheitsorganisati-


on (WHO) gab es während der letzten 60 Jahre weltweit „nur“ etwa 600 registrierte Strahlenunfälle
(Nénot 2009).

Leitfaden Katastrophenmedizin 203


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Wird eine verunfallte Person aus dem Bereich erhöhter externer Strahlung
gerettet oder die Strahlenquelle sicher entfernt, ist eine Weiterversorgung au-
ßerhalb des Gefahrenbereichs für die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes un-
kritisch. Der Patient strahlt dann selbst nicht! Ist er kontaminiert und/oder
hat inkorporiert, kommen zusätzliche, das Geschehen beeinflussende Fakto-
ren mit ins Spiel. Der Patient wird selbst zur Quelle radioaktiver Strahlung.

In Deutschland unterscheidet man den kleinen Strahlenunfall mit einer bis


wenigen betroffenen Personen, die noch nach individualmedizinischen Maß-
stäben versorgt werden können, vom großen Strahlenunfall (Massenanfall
von Verletzten [MANV] oder Strahlenkatastrophe) mit einer großen Anzahl
betroffener oder vermeintlich betroffener Personen. Der große Strahlenun-
fall erfordert ein anderes Vorgehen, das die eingeschränkten medizinischen
Möglichkeiten bei Großschadensereignissen und Katastrophen berücksich-
tigt. In diesem Zusammenhang werden im folgenden Text die Errichtung so-
genannter Notfallstationen und – speziell im Falle eines größeren kerntechni-
schen Unfalles mit Austritt von radioaktivem Material in die Umgebung – die
mögliche Ausgabe von Iodtabletten an die Bevölkerung erläutert.

12.2 Gefährdung der Einsatzkräfte


Ionisierende Strahlung ist seit Urzeiten Bestandteil unserer Biosphäre. Die
natürliche Strahlenexposition in Deutschland beträgt für eine Person im
12

Jahr gemittelt ca. 2,1 mSv (BMU Jahresbericht 2007). Ionisierende Strahlung
ist trotzdem potenziell für den Menschen gefährlich (Auftreten akuter und
chronischer Strahlenschäden). Sie ist leider für unsere Sinnesorgane nicht
wahrnehmbar (außer bei extrem hohen Dosen), kann aber sehr gut mit Mess-
geräten detektiert werden.

Ärztliches Personal ist im Einsatz hinsichtlich der Abschätzung der eigenen


Gefährdung und somit der Handlungsmöglichkeiten auf Dosisangaben (Do -
sisleistung pro Zeiteinheit, z. B. mSv/h) angewiesen, wie sie Feuerwehrein-
satzkräfte, die mit Strahlenmess- und Nachweisgeräten umgehen können,
liefern. Hierbei ist ein gewisses Maß an Vertrauen in die Angaben des Ein-
satzleiters vor Ort nötig. Die Einschätzung der „Gefährlichkeit“ und die even-
tuelle persönliche Akzeptanz des Risikos, das auch von gesellschaftlichen
Zeitvorstellungen geprägt wird, bleibt immer ein Problem jedes Einzelnen,
selbst wenn Experten auf diesem Gebiet vor Ort anwesend sind.
Es stellt sich also für den behandelnden Arzt/die behandelnde Ärztin und die
Einsatzkräfte die Frage, ob die Versorgung und Behandlung strahlenverun-
fallter Personen eine Gefährdung der eigenen Gesundheit beinhaltet, die
sich eventuell auch erst nach Jahren oder Jahrzehnten manifestieren kann
(z. B. Leukämie, maligne solide Tumore).

204 Leitfaden Katastrophenmedizin


Praxis-Tipp

Zur Gefährdungsbeurteilung der Einsatzkräfte bei Strahlenunfällen dient


die abgeschätzte effektive Dosis (bzw. gemessene Ortsdosisleistung
[ODL] = Dosis/Zeiteinheit), die in Sievert (Sv) oder in Bruchteilen eines Sie -
vert (z. B. ein tausendstel Sievert = 1 mSv) angegeben wird. 2
Übliche ODL in Deutschland: ca. 0,1–0,2 µ Sv/h.

An welchen anderen Dosiswerten kann sich medizinisches Personal bei sei-


nem Handeln am Unfallort orientieren?

Einen Hinweis geben die folgenden Dosisrichtwerte für die Feuerwehr


(Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 [FwDV 500]):
ƒ Einsätze zum Schutz von Sachwerten 15 mSv je Einsatz
ƒ Einsätze zur Abwehr einer Gefahr für Personen 100 mSv je Einsatz und
Kalenderjahr
ƒ Einsätze zur Rettung von Menschenleben 250 mSv je Einsatz und
Leben

Die Einsatzkräfte der Feuerwehren in Deutschland sind keine beruflich


strahlenexponierten Personen und dürfen, was im Falle des Strahlenun-

12
falls mit Personenbeteiligung entscheidend ist, einmalig im Laufe des Ar-
beitslebens deutlich mehr an effektiver Dosis erhalten als eine beruflich
strahlenexponierte Person im ganzen Jahr. Der derzeitige Grenzwert der
effektiven Dosis für beruflich strahlenexponierte Personen pro Jahr liegt
bei 20 mSv.

Bitte beachten

Akute, die Gesundheit beeinträchtigende deterministische Schäden tre -


ten bei Jahresdosen um 20 mSv nicht auf!

Es muss also zwischen den vorgeschriebenen Grenzwerten bei berufli-


chem Umgang mit ionisierender Strahlung und den Dosisrichtwerten für
die Feuerwehr, den Katastrophenschutz und Rettungskräfte unterschie-
den werden. Selbst die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) sieht in § 59
„Strahlenexposition bei Personengefährdung und Hilfeleistung“ eine max.

2 Definitionen der effektiven Dosis und Ortsdosisleistung siehe Kapitel 12.5.

Leitfaden Katastrophenmedizin 205


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

effektive Dosis von 250 mSv für Rettungsmaßnahmen durch Freiwillige


über 18 Jahre vor. 3

Tabelle 12-1 „Klinische Frühsymptomatik beim Menschen nach akuter kurz-


zeitiger Ganzkörperexposition“ zeigt, dass am Unfallort eine suffiziente Ein-
schätzung des Schweregrades der Einwirkung ionisierender Strahlung bzw.
der Prognose des Verunfallten kaum möglich ist, sieht man vom rasch ein-
setzenden Symptom des Erbrechens (und gegebenenfalls der Bewusstseins-
trübung) nach extrem hoher Strahlenexposition einmal ab. Dies bedeutet,
dass Strahlenunfallopfer, sofern eine nicht von vorneherein klare „Bagatell-
einwirkung“ vorlag, immer in ein Zentrum zu bringen sind, das Erfahrung
mit einem solchen Schädigungsmuster hat. Das kann ein Regionales Strah-
lenschutzzentrum (RSZ) sein (s. Kap. 25 im Anhang) oder eine Klinik mit nu-
klearmedizinischer und strahlentherapeutischer Abteilung sowie Medizin-
physikexperten. Für hämatologische Krisensituationen kann eine Therapie
mittels Stammzell- bzw. Knochenmarktransplantation notwendig werden.
Eine suffiziente dermatologische und plastisch-chirurgische Abteilung
kann bei ausgedehntem kutanen Strahlensyndrom wichtig sein. Ebenso ist
eine gute intensivmedizinische Betreuung von Bedeutung, betrachtet man
die strahlenbedingten Effekte bis hin zum Multiorganversagen.

Praxis-Tipp
12

Die frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Regionalen Strahlenschutz-


zentrum (RSZ) bedeutet zeitnahe Akutberatung und mehr Handlungssi-
cherheit für die medizinischen Einsatzkräfte! RSZ sind 24 Stunden an 365
Tagen im Jahr über die Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst
bzw. die integrierten Leitstellen erreichbar.

Bitte beachten

Die wenigen Strahlenunfälle in Deutschland haben bei medizinischen


Einsatzkräften zu einer Strahlenexposition von maximal einigen Millisie -
vert geführt.

3 Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1714, [2002, 1459]), zuletzt geändert durch
Artikel 2 des Gesetzes vom 29. August 2008 (BGBl. I, S. 1793).

206 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 12-1 Klinische Frühsymptomatik beim Menschen nach akuter kurzzeiti-
ger Ganzkörperexposition. (Aus SKK 2007, Band 4.)

Kriterium Bereiche

Ganzkörperdosis 0,1–0,3 Gy 0,3–1 Gy 1–3 Gy 3–6 Gy 6–15 Gy über 15 Gy

vereinzelt leicht– mittel– äußerst lebens-


Symptomatik keine
leicht mittel schwer schwer bedrohlich

Prognose:
geringe keine
• ohne sehr gut sehr gut gut schlecht Überlebens- Überlebens-
Behandlung chance chance

• mit optimaler sehr gut sehr gut sehr gut gut unsicher
unsicher
Behandlung bzw. infaust

Frühsymptome:
sehr schnell,
• Abgeschlagen- keine
vereinzelt
mäßig ausgeprägt
stark
stark
heit leicht ausgeprägt
ausgeprägt

• Übelkeit, keine vereinzelt mehrmals mehrmals häufig unstillbar


Erbrechen stark stark
(Zeit nach
(2–6 Std.) (2–6 Std.) (1/2 –2 Std.) (ab 10 Min.) (ab 5 Min.)
Exposition)
ständig
• Kopfschmerz keiner keiner kurzzeitig ständig
bohrend
quälend

• Bewusstsein klar klar klar klar getrübt verloren

12
• Körper- normal normal normal
normal /
subfebril
subfebril /
temperatur subfebril febril

• Früherythem keines keines leicht deutlich ausgeprägt stark


ausgeprägt
(Zeit nach
Exposition) (12–24 Std.) (> 6 Std.) (> 6 Std.) (> 6 Std.)

• Konjunktivale keine keine leicht deutlich ausgeprägt stark


Injektion ausgeprägt
(Zeit nach
(48 Std.) (> 6 Std.) (> 6 Std.) (> 6 Std.)
Exposition)

Hämatologische Diagnostik

Blutwerte:

Lymphozyten/ml > 1500 < 1500 < 800 < 500 < 200 ~0

(Zeit nach
(2–72 Std.) (2–72 Std.) (2–72 Std.) (2–72 Std.) (2–72 Std.) (24 Std.)
Exposition)

Zusätzlich ist zu beachten, dass eine Schädigung des Embryos oder Feten möglich ist, deren Schwere
von dem Entwicklungsstadium abhängt. Bereiche unter 100 mSv werden hier nicht definiert, da bei
ihnen deterministische Schäden auch beim Embryo bzw. Feten höchst unwahrscheinlich sind. Alle
Werte der Tabelle wurden aus der international bekannten Literatur zusammengestellt. Gy – Gray (Ab-
sorbierte Energie/Masse, Energiedosis in J/kg).

Leitfaden Katastrophenmedizin 207


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

12.3 Mögliche Unfallszenarien


Für den Rettungsdienst relevante Unfallszenarien:

1. Betriebsunfälle (Kliniken, Forschungseinrichtungen, Großbestrahlungs-


anlagen, Industrie)
2. Transportunfälle (Straße, Schiene, Luft- und Seewege)
3. Abstürzende Satelliten
4. Kernkraftwerksunfälle unterschiedlicher Relevanz für die Umwelt
5. Einsatz spezieller militärischer Waffensysteme
6. Kriminelle/terroristische Aktivitäten
7. Kriegerischer Einsatz von Kernwaffen

12.4 Praktisches Vorgehen bei Strahlen-


unfällen

12.4.1 Maßnahmen vor dem Eintreffen am Unfallort


Ist dem ärztlichen Personal und den Rettungsdienstkräften noch vor Eintref-
fen am Unfallort bekannt, dass es sich um einen Strahlenunfall handelt, soll-
te geklärt werden, ob sich die verunfallte Person noch in einem Bereich ioni-
12

sierender Strahlung aufhält oder durch die Feuerwehreinsatzkräfte aus der


unmittelbaren Gefahrenzone gerettet werden kann. Wichtig ist, ob es sich
ƒ um eine Bestrahlung durch eine technische Strahlenquelle (z. B. Röntgen-
röhre, Linearbeschleuniger etc.) handelt, bei der die Stromzufuhr abge-
schaltet werden kann und somit nach Unterbrechung der Stromzufuhr
keine Gefährdung für die Einsatzkräfte mehr besteht (keine weiteren
Schutzmaßnahmen nötig, keine Kontaminationsgefahr; cave: Beschleu-
niger 20 MeV, Aktivierung von Materialien),
ƒ oder um einen Unfall, bei dem umschlossene oder offene radioaktive Stof-
fe (z. B. gekapselte Iridium-192-Strahlenquelle, Technetium-99m als flüssi-
ger radioaktiver Stoff usw.) ein Gefährdungspotential darstellen.

Offene radioaktive Stoffe sind immer eine Kontaminations- und Inkorporati-


onsgefahr sowohl für den Verunfallten als auch für die Helfer. Arzt und Ret-
tungsdienstpersonal sollten strahlenschutzüberwacht werden, z. B durch ein
amtliches Strahlenschutzdosimeter (z. B. Filmkassette) sowie ein sofort ables-
bares elektronisches Dosimeter mit akustischer Warnschwellenfunktion.
Wenn die Gefahr einer Kontamination besteht, so ist eine geeignete Per-
sönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen. Dazu gehören neben den ob -
ligatorischen Einmalhandschuhen (2 Paar übereinander) mindestens eine

208 Leitfaden Katastrophenmedizin


partikelfiltrierende Halbmaske, am besten Schutzklasse FFP3 (FFP – Filtering
Face Piece), Schutzbrille, Einmaloverall mit Kapuze (evtl. Spritzschutzan-
zug) und Gummistiefel oder Füßlinge zum Überstreifen. Der Arzt und die
Rettungsassistenten/Sanitäter sollten wie bei einem Einsatz mit erhöhter In-
fektionsgefahr vorgehen. Wenn nichts anderes vorhanden ist, schützt auch
das Tragen eines Infektionsschutzsets vor Kontamination und Inkorporati-
on. – Absprache mit der Einsatzleitung! Schmuck jeglicher Art ist abzulegen.
Ein weiter reichender Atemschutz und das Tragen von Filtermasken (die
Feuerwehreinsatzkräfte tragen gemäß FwDV 500 mindestens Kontaminati-
onsschutzhaube und umluftunabhängigen Atemschutz, evtl. Chemiekali-
enschutzanzüge) ist für den Notarzt normalerweise nicht möglich (fehlende
Atemschutztauglichkeitsuntersuchung nach dem berufsgenossenschaftli-
chen Grundsatz G 26 III bzw. G 26 II sowie nicht vorhandene Atemschutzaus-
bildung und fehlende praktische Erfahrung).
Sofern nicht außergewöhnliche Umstände dazu zwingen, haben sich weder
der Arzt, noch die externen Rettungsassistenten/Sanitäter in den Gefahren-
bereich selbst zu begeben! Der Verunfallte wird durch die Feuerwehr geret-
tet und an der Absperrgrenze an den Rettungsdienst übergeben.
Eine Kontamination von Ausrüstungsgegenständen (z. B. Stethoskop, In-
tubationsbesteck etc.) muss bei Szenarien mit offenen radioaktiven Stoffen
prinzipiell in Kauf genommen werden.

12
Bitte beachten

Die Rettung von Menschenleben hat (bei akzeptabler Gefährdung für die
Einsatzkräfte) absoluten Vorrang vor den Möglichkeiten des optimalen
Kontaminationsschutzes der Helfer.

Eine grobe Abschätzung der Gefährdung für die Einsatzkräfte erlaubt


Tabelle 12-2.

Leitfaden Katastrophenmedizin 209


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Tab. 12-2 Grobe Abschätzung der Gefährdung für die Einsatzkräfte.

Zustand an der Einsatzstelle Gefährdung der Einsatzkräfte

Mit Strom betriebene technische Strahlenquelle:

• angeschaltet Ja

• ausgeschaltet Nein
(Cave: Beschleuniger 20 MeV)

Umschlossene radioaktive Stoffe (Dichtheit: Ja):

Unfallopfer im Nahbereich der Quelle Ja, eventuell massiv!


(Entfernung von der Quelle)
Unfallopfer nach Rettung Nein

Offene radioaktive Stoffe:

Unfallopfer im Nahbereich oder bei Kontakt


Unfallopfer nach Rettung: Ja, möglich!
• nicht kontaminiert Nein
• kontaminiert Hypothetisch bis gering

12.4.2 Lagebeurteilung
Am Einsatzort können folgende Personen eventuell zur Abschätzung des
Risikos nützliche Angaben machen:
12

ƒ Fachkundiger Strahlenschutzverantwortlicher
ƒ Strahlenschutzbevollmächtigter
ƒ Strahlenschutzbeauftragter
ƒ Laborleiter (in Labors, die mit radioaktiven Stoffen umgehen, wichtiger
Ansprechpartner!)
ƒ Verantwortlicher Einsatzleiter der Feuerwehr
ƒ Verantwortlicher Einsatzleiter anderer Hilfsorganisationen
ƒ Andere fachkundige Personen (wie z. B. Gefahrgutfahrer, Sachverständi-
ger, Mitarbeiter)
ƒ Einsatzkräfte Regionaler Strahlenschutzzentren

Strahlenmessung
Nach FwDV 500 ist die Absperrgrenze mittels Dosisleistungsmessung fest-
zulegen. Außerhalb des Gefahrenbereiches muss die Gammadosisleistung
weniger als 25 µSv/h betragen (Absperrbereich). Kontaminationsverdächtige
Bereiche sind in den Absperrbereich miteinzubeziehen. Bis zur Festlegung
der Absperrgrenze halten nicht direkt am Einsatz beteiligte Kräfte zunächst
einen Mindestabstand von 50 m zum Schadensobjekt (Windrichtung beach-
ten). Dies gilt nicht für das unmittelbar am Einsatz beteiligte Rettungsdienst-
personal.

210 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Eine verlässliche Gefährdungsbeurteilung ist letztlich nur durch perma -


nente Messung der Dosisleistung und/oder der Quantität einer eventu -
ellen Kontamination (in der Regel ist nur ein Kontaminationsnachweis
möglich) erreichbar.

Dosisrichtwerte für den Arzt und die Rettungsdienstkräfte


Der Arzt und die im Strahlenschutzeinsatz tätigen Rettungskräfte gelten
nicht als beruflich strahlenexponierte Personen gemäß der Röntgen- (RöV)
oder Strahlenschutzverordnung (StrlSchV). Sinngemäß wird aber die Vorga-
be des § 59 StrlSchV „Strahlenexposition bei Personengefährdung und Hilfe-
leistung“ angewendet (vgl. Kap. 12.2).

Bitte beachten

Eine effektive Dosis von 250 mSv darf nur in Ausnahmefällen überschrit-
ten werden und ist nur bei lebensrettenden Maßnahmen überhaupt
vertretbar.

12
Die Deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) geht in solchen Fällen bis zur
Akzeptanz von Dosiswerten um 1 Sv (s. BMU 1997, S. 10), wobei dann tatsäch-
lich deterministische Effekte auftreten werden. Voraussetzung dafür ist
jedoch die Freiwilligkeit der Einsatzkräfte nach vorheriger spezifischer Auf-
klärung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei Rettungs-
kräften Werte der effektiven Dosis von 100 mSv im Jahr und 250 mSv im Laufe
des gesamten Arbeitslebens nicht überschritten werden sollten.

12.4.2.1 Unfälle in Betrieben (außer Kernkraftwerken)


Die größten Aktivitäten (außerhalb von Kernkraftwerken) mit bis zu
100 PBq = 100 × 1015 Bq (Becquerel) finden sich in Deutschland in Großbestrah-
lungsanlagen (zurzeit sieben reine Gammabestrahlungseinrichtungen) zu
Zwecken der Sterilisation, z. B. von medizinischen Einmalprodukten wie OP-
Handschuhen, Spritzen, Nadeln (Beispiele: Firma Beiersdorf Hamburg, Fir-
ma Isotron Deutschland GmbH), und zur Veredelung von Werkstoffen, wie
der „Vernetzung“ von Kunststoffen. In vielen Ländern werden auch Lebens-
mittel zum Zwecke der Verlängerung der Haltbarkeit und Keimreduktion
bestrahlt (in Deutschland für den heimischen Markt bisher nur aromatische
Kräuter und Gewürze!).

Leitfaden Katastrophenmedizin 211


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Solche Anlagen können bei ausgefahrenen Strahlenquellen (sie befinden sich


zu Abschirmungszwecken normalerweise in einem Wasserbecken) nicht be-
treten werden, ohne eine für den Menschen lebensbedrohliche bis tödliche
Strahlendosis zu erhalten. Hier kommt dem Eigenschutz der Hilfskräfte be-
sondere Bedeutung zu, und ein Handeln wird in der Regel nur in Zusammen-
arbeit mit Personen, die mit der Anlage vertraut sind, möglich sein.

Bitte beachten

Kontaminationsschutzanzüge sind gegen Gammastrahlung nutzlos!

Generell lässt sich bei Unfällen in ortsfesten Anlagen ein Hinweis auf die
mögliche auftretende Gefährdung in Form der Metallprägeschilder für den
Feuerwehreinsatz (Feuerwehr-Gefahrengruppen, s. Tab. 12-3) finden.

Tab. 12-3 Feuerwehrgefahrengruppen. (Aus FwDV 500.)

Gesamt-
Gefahrengruppe Aktivitätsbereich Hinweise und Einsatz
(x-fache der Freigrenze)

IA < 104 ohne besonderen Schutz


12

nur mit Strahlenschutzsonderausrüs-


tung (mindestens Körperschutz Form 1
II A > 104–107 und Isoliergerät) und unter Strahlen -
schutzüberwachung

Körperschutz Form 2 oder 3 und Isolier-


III A > 107 gerät und zusätzlich Hinzuziehung
eines Sachverständigen

Strahlenwarnzeichen zur Begrenzung des Kontrollbereiches bzw. die Auf-


schrift „Kein Zutritt – Röntgen“ (Grenze des Kontrollbereichs bei Verwen-
dung von Röntgenröhren) geben weitere Hinweise, ab welcher räumlichen
Begrenzung mit einer zusätzlichen Gefährdung gerechnet werden muss.

12.4.2.2 Transportunfälle
In Deutschland finden jährlich zwischen 650–700 000 Transporte mit radio-
aktiven Stoffen statt, wobei der überwiegende Teil für Mess- und Forschungs-
zwecke sowie für medizinische Anwendungen bestimmt ist (Haupttransport-
weg ist die Straße). Von 1998 bis 2000 bestand in Deutschland ein Stopp für
den Transport abgebrannter Brennelemente und verglaster hochaktiver
radioaktiver Abfälle („high active waste“, sogenannte HAW-Kokillen) per

212 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bahn oder Lastwagen. Transporte dieser Art finden jetzt wieder statt und wer-
den noch die nächsten Jahre notwendig sein. Diese Güter machten in der Ver-
gangenheit etwas unter 100 Transporte pro Jahr aus. Allerdings entfielen ca.
99,5 % der insgesamt beförderten Aktivität auf abgebrannte Brennelemente.
Der Arzt und das Rettungsdienstpersonal müssen davon ausgehen, dass es
nach den einschlägigen Transportvorschriften (GGVSE4 / ADR5) außer mit
Strahlenwarnzeichen gekennzeichneten Transporten auch eine nicht uner-
hebliche Zahl von genehmigungsfreien, äußerlich nicht gekennzeichneten
Transporten (freigestellte Versandstücke) gibt, deren jeweilige beförderte
Aktivität durchaus (im Einklang mit der gültigen Strahlenschutzgesetz-
gebung) im Giga-Becquerel-Bereich liegen kann. In einem solchen Fall wird
zunächst ohne Einsatz eines Messgerätes und ohne Information durch die
Behörde keine Einsatzkraft an die Noxe radioaktive Strahlung denken.

Praxis-Tipp

Neben der Befragung der Betroffenen lassen sich bei Unfällen mit vor-
schriftsmäßiger Kennzeichnung des radioaktiven Stoffes bzw. des Trans-
portbehälters Informationen über die Intensität der Strahlung bzw. die
Aktivität des radioaktiven Materials aus Warntafeln, Gefahrzetteln und
Unfallmerkblättern in den Frachtbegleitpapieren herleiten.

12
Man unterscheidet nach den Richtlinien der Internationalen Atomenergie-
behörde (IAEO-Regulations) zwischen folgenden Arten von Versandstücken
und Verpackungen:
ƒ Freigestellte Versandstücke (z. B. Verpackungen für Feuermelder, klini-
sche Reagenzien)
ƒ Industrieverpackungen (IP) (z. B. für Stoffe geringer spezifischer Akti-
vität oder für oberflächenkontaminierte Gegenstände)
Man unterscheidet hier in IP-1, IP-2 und IP-3.
ƒ Typ-A-Versandstücke (z. B. für Radiopharmazeutika)
Sie sollen im Falle eines „normalen“ Zwischenfalles während der Beförde-
rung unversehrt bleiben.
ƒ Typ-B-Versandstücke (z. B. Transportbehälter für bestrahlte Brennele-
mente, z. B. „Castor“)
Diese Versandstücke müssen den Auswirkungen auch schwerster Unfälle
während der Beförderung widerstehen.

4 Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVS) vom 17. Juni 2009 (BGBl. I,
S. 1389).
5 Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der
Straße (ADR) vom 30. September 1957 (BGBl. 1969 II, S. 1491).

Leitfaden Katastrophenmedizin 213


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

ƒ Typ-C-Versandstücke für die Beförderung von radioaktiven Stoffen


in besonderer Form (z. B. Pu-Pellets)
Die Anforderungen an diese Versandstücke sind in einigen Punkten noch
höher als an Typ-B-Versandstücke.

Aus der Farbe des aufgebrachten Gefahrzettels und der Kategorie (s. Tab. 12-4
und Abb. 12-1) lässt sich ein Überblick über die Dosisleistung an der Oberflä-
che eines intakten Versandstückes gewinnen. Des Weiteren lassen sich An-
gaben über das Nuklid und dessen Aktivitätsmenge ablesen.

Praxis-Tipp

Abstand halten (sofern möglich) und „ein Fernglas kann nicht schaden“.
Fragen Sie doch mal Ihren Organisatorischen Einsatzleiter (OrgL).

Tab. 12-4 Kennzeichnung von Versandstücken, die radioaktive Stoffe enthal-


ten. (Nach GGVS/ADR.)6

Max. zulässige Dosisleistung an der Transportkennzahl


Kategorie
Oberfläche des Versandstücks bzw. -index (TI)

I weiß bis 5 µSv/h 0


12

II gelb bis 500 µSv/h 0 TI 1

III gelb bis 2 000 µSv/h 1 TI 10

Im Falle der Beförderung unter „ausschließlicher Verwendung“ liegt der


Grenzwert für Kategorie-III-Transporte bei 10 mSv/h an der Oberfläche des
Versandstückes.

Abb. 12-1 Kennzeichnung von Versandstücken und Transportfahrzeugen


mit radioaktiven Stoffen. (Aus GGVSE vom 17. Juni 2009; BGBl. I, S. 1389.)

6 GGVS vom 17. Juni 2009 (BGBl. I, S. 1389) und ADR vom 30. September 1957 (BGBl. 1969 II, S. 1491).

214 Leitfaden Katastrophenmedizin


Praxis-Tipp

Aus der aufgedruckten Transportkennzahl (TK) bzw. dem Transportindex


(TI) lässt sich die Dosisleistung in µSv/h in einem Meter Entfernung folgen-
dermaßen berechnen:
Dosisleistung µSv/h (in 1m Abstand) = TK × 10

Die Einsatzkräfte der Feuerwehren gehen bei Transportunfällen gemäß


FwDV 500 mindestens mit Strahlenschutzsonderausrüstung und unter Strah-
lenschutzüberwachung wie bei Einsätzen in ortsfesten Anlagen nach Gefah-
rengruppe II A vor.

Bitte beachten

Sind die Transport-Behälter nicht beschädigt, ist von keiner akuten


Gefahr für die Helfer auszugehen.

Typ-B-Behälter widerstehen den im Straßenverkehr üblichen Unfallgeschehen.

Aber: Typ-A-Behälter können bei Verkehrsunfällen durch die auftretenden

12
Kräfte beschädigt oder zerstört werden. Gefahr der Kontamination!

12.4.2.3 Abstürzende Satelliten


Die Strahlenschutzkommission beschäftigt sich in Band 26 ihrer Veröffent-
lichungen auch mit dem Thema Satellitenabsturz (SSK 1994). Zum Zweck
der Energieerzeugung auf kleinstem Raum sind verschiedene Weltraum-
fahrzeuge mit Radionuklidbatterien (z. B. Plutonium) ausgerüstet. Im Falle
des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre kann radioaktives Material über
weite Teile der Erdoberfläche verteilt werden. Ebenso können Reaktorteile
beim missglückten Start solcher Satelliten verloren gehen und eventuell zu
einer Kontamination der Umwelt beitragen. Am 18.05.1968 ist in der Nähe
von Santa Barbara der amerikanische Satellit „Nimbus“ mit Pu-239 im Meer
versunken. Ähnliches ereignete sich im Osten Brasiliens am 07.02.1983, wo
der Satellit „Cosmos“ (UdSSR) mit seiner radioaktiven Fracht verloren ging.

12.4.2.4 Unfälle in Kernkraftwerken


Die Organisation der ärztlichen Versorgung bei Kernkraftwerksunfällen
ist Ländersache. Sind die Auswirkungen eines Unfalles in einer kerntechni-
schen Anlage auf diese beschränkt, werden der alarmierte Notarzt sowie die
mitwirkenden Rettungsdienstkräfte auf Personal treffen, das im Manage-

Leitfaden Katastrophenmedizin 215


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

ment von kontaminierten und/oder verletzten Personen sehr gut trainiert


ist. Der Betriebsarzt einer kerntechnischen Anlage hat normalerweise die
Ermächtigung zur Untersuchung beruflich strahlenexponierter Personen
und steht entweder vor Ort zur Verfügung oder kann aufgrund der Alarm-
pläne rasch mit in das Geschehen integriert werden. Durch Absprachen der
Betreiber der Kernkraftwerke mit den umliegenden Krankenhäusern sollte
eine Weiterversorgung von Verletzten auch unter dem Stichwort „Strahlen-
unfall“ gewährleistet sein. Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit
ist jedoch ein Szenario vorstellbar, bei dem der Notarzt, der Leitende Notarzt
(LNA) und die Rettungsdienstkräfte im Rahmen eines vermeintlichen oder
tatsächlichen Großschadensereignisses bzw. einer Katastrophe miteinge-
bunden werden. Eine Möglichkeit dazu ist der Einsatz in der Notfallstation.

Notfallstation
Dabei handelt es sich um eine optionale Einrichtung zur medizinischen
Sichtung und Erstversorgung von Personen, die von einem Kernkraftwerks-
unfall direkt betroffen sind. Das heißt, dass sich diese Personen während des
Durchzuges der radioaktiven Wolke, die aus der Anlage freigesetzt wurde,
tatsächlich in dem betroffenen Gebiet aufgehalten haben. Die Mitarbeiter
der Notfallstation sind für die Betreuung und Versorgung von Personen ge-
schult, bei denen der Verdacht auf eine Strahlenexposition, Kontamination,
Inkorporation und/oder eine Verletzung vorliegt.
Als Notfallstation eignen sich Einrichtungen wie Schulen und öffentliche
12

Schwimmbäder. Hier sind ausreichend Räumlichkeiten vorhanden, um eine


größere Menge Menschen innerhalb kurzer Zeit aufnehmen, dekontaminie-
ren und mit Ersatzkleidung versorgen zu können. Auch ist in solchen Gebäu-
den eine große Anzahl von Waschgelegenheiten und Umkleidemöglichkei-
ten vorhanden und es besteht die Möglichkeit, kurzfristig eine Vielzahl von
Personen witterungsunabhängig aufzunehmen, bis ein sinnvoller An- und
Abtransport zu Notunterkünften gewährleistet ist. Die Notfallstation soll
auch ein geordnetes Weiterleiten von Menschenströmen ermöglichen und
die Kapazität der Krankenhäuser für tatsächlich betroffene Personen offen
halten, die nach strahlenschutzärztlicher Begutachtung unter Zuhilfenah-
me der vorhandenen messtechnischen Methoden akuter Hilfe in einer Klinik
bedürfen. Die Standorte der Notfallstationen sind in der Katastrophenschutz-
planung der Bundesländer festgelegt.

Mindestanforderungen für die Notfallstation:


ƒ Ausreichende Entfernung von der kerntechnischen Anlage (Errichtung
außerhalb des gefährdeten Gebietes)
ƒ Ausreichende Parkmöglichkeiten
ƒ Räumlichkeiten zum vorübergehenden Aufenthalt größerer Menschen-
mengen

216 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ Sanitäre Einrichtungen
ƒ Duschen und Waschgelegenheiten zur Dekontamination

Alle betroffenen Personen sollten in der Notfallstation versorgt werden können,


wobei eine Zahl von 1 000 Personen innerhalb eines Tages realistisch erscheint.
Die ärztliche Leitung obliegt einem Strahlenschutzarzt. Die Anzahl weiterer
ermächtigter Ärzte richtet sich nach der Zahl der Betroffenen. Ursprünglich
war vorgesehen, nur im Strahlenschutz ermächtigte Ärzte in der Notfallstati-
on einzusetzen. In verschiedenen Bundesländern wird auch versucht, speziell
geschulte Fachärzte wie Anästhesisten, Unfallchirurgen etc. unter Anleitung
qualifizierter Strahlenschutzärzte für diese Aufgabe vorzuhalten.

Iodblockade
Beim Betrieb von Kernreaktoren werden neben einer Vielzahl von Spaltpro-
dukten radioaktive Iodisotope erzeugt. Im Unfallgeschehen kann es unter
ungünstigen Bedingungen zur Abgabe von radioaktivem Iod in die Umge-
bung kommen. Über die Lungen wird radioaktives Iod fast vollständig resor-
biert. Als Niederschlag auf Böden und Pflanzen kann es über die Nahrungs-
kette, insbesondere die Milch, ebenso in den menschlichen Körper gelangen.
Hauptspeicherorgan ist die Schilddrüse. Das Ausmaß der Speicherung des
radioaktiven Iods hängt vom Funktionszustand des Organs und vom natür-
lichen Iodangebot in der Nahrung ab. Aufgrund der Iodmangelsituation in
bestimmten Teilen Deutschlands muss mit einer massiven Speicherung des

12
resorbierbaren radioaktiven Iods (für Euthyreote) gerechnet werden.

Die Abgabe von Iodtabletten (nichtradioaktives Iod) als Möglichkeit, die Auf-
nahme von radioaktivem Iod zu reduzieren, erfolgt auf behördliche Anord-
nung. Der Fetus nimmt ab der 13. Schwangerschaftswoche Iod in die Schild-
drüse auf. Ab dem 6. bis 9. Schwangerschaftsmonat ist die fetale Schilddrüse
in der Lage, erhebliche Mengen Iod zu speichern. Nicht gespeichertes radioak-
tives Iod wird beim Erwachsenen nach Blockade der Schilddrüse mit stabilem
Iod mit einer Halbwertszeit von 6 Stunden über die Nieren ausgeschieden.
Am besten erfolgt die Aufnahme des stabilen Iods vor Inkorporation des
radioaktiven Isotops. Vom Zeitpunkt der Inhalation radioaktiven Iods bis
maximal mehrere Stunden danach erscheint die Verabreichung nichtradio -
aktiven Iods noch sinnvoll.

Bitte beachten

Zu späte Gaben von stabilem Iod erhöhen sogar die Verweildauer des
radioaktiven Iods!

Leitfaden Katastrophenmedizin 217


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Es ist notwendig, rasch einen hohen Plasmaspiegel stabilen Iods zu errei-


chen. Dies ist beim Erwachsenen mit einer Dosis von insgesamt 130 mg
Kaliumiodid möglich.

Praxis-Tipp

Einnahme der Iodtabletten nicht auf nüchternen Magen, sondern mit/


nach einer kleinen Mahlzeit; Tablette in Flüssigkeit auflösen.

Empfohlenes Dosierungsschema für die 65 mg Kaliumiodidtablette aus


der Notfallbevorratung (Tabletten sind nach Anleitung einzunehmen):

13 bis 45 Jahre, auch Schwangere und Stillende 2 Tabletten à 65 mg


Kaliumiodid
3 bis 12 Jahre einmalig 1 Tablette
1. bis 36. Lebensmonat einmalig 1/2 Tablette
Neugeborene (bis zum 1. Lebensmonat) einmalig 1/2 Tablette

Mögliche schwere gesundheitliche Risiken der Iodblockade:


ƒ Überempfindlichkeit (Iodallergie)
ƒ Hyperthyreose nach Wochen bis Monaten bei Vorerkrankungen
12

ƒ Hypothyreose (evtl. bei Neugeborenen und Säuglingen)

Kontraindikation für die Iodblockade:


ƒ Dermatitis herpetiformis Duhring
ƒ Echte Iodallergie
ƒ Iododerma tuberosum
ƒ Hypokomplementämische Vaskulitis
ƒ Myotonia congenita

Bitte beachten

Erwachsene über 45 Jahre sollten wegen des Risikos schwerwiegender


Schilddrüsenerkrankungen keine Iodtabletten einnehmen.

Möglichkeiten der Schilddrüsenblockade durch andere Medikation:


Natrium-Perchlorat (Irenat®), am ersten Tag 60 Tropfen, dann alle 6 Stun-
den 15 Tropfen über 7 Tage.

218 Leitfaden Katastrophenmedizin


12.4.2.5 Einsatz spezieller militärischer Waffensysteme
Durch den Einsatz von Geschossen mit angereichertem Uran kann es zu In-
korporationen von Radionukliden kommen, entweder durch direkte Einwir-
kung oder indirekt durch Inhalation von Stäuben und Aerosolen. (Wichtig:
hohe chemische Toxizität des Urans!) Von einer direkten Gefährdung der
Helfer beim Umgang mit betroffenen Personen kann nicht ausgegangen
werden (PSA wird vorausgesetzt, s. Kap. 12.4.1).

12.4.2.6 Kriminelle/terroristische Aktivitäten


Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zerfall der ehemaligen
UdSSR ist es mehrfach zu Vorfällen gekommen, die als „vagabundierende
Quellen“ Schlagzeilen machten. Beim Versuch, umschlossene radioaktive
Quellen (z. B. Materialprüfungsquellen mit Cäsium-137 oder Kobalt-60) ille-
gal zu verkaufen, wurden diese, teilweise ohne Verwendung eines Abschirm-
behälters, über mehrere Stunden am Körper transportiert und später auch
Privatpersonen zum Kauf angeboten.

Bitte beachten

Sobald ein umschlossener radioaktiver Strahler fachkundig geborgen


wurde und keine radioaktiven Stoffe ausgetreten sind, können eventuell
erforderliche medizinische Maßnahmen an beteiligten Personen vom

12
Rettungsdienstpersonal ohne Bedenken vorgenommen werden.

Praxis-Tipp

Es ist keine besondere Schutzausrüstung für medizinische Einsatzkräfte


nötig, wenn die Strahlenquelle sicher verwahrt oder ausreichend abge -
schirmt ist!

Terroristische Aktivitäten (Stichwort: „dirty bomb“ oder „Unkonventionelle


Spreng- und Brandvorrichtung mit radioaktiver Beiladung“, USBV) lassen
alle Möglichkeiten der schädigenden Verwendung radioaktiver Stoffe als
möglich erscheinen, wobei der involvierte Arzt sich hier auf das Fachwissen
spezieller Einsatzkräfte verlassen muss. Zeitlich abgestufte Selbstmordat-
tentate und somit bewusste Schädigung der Helfer können in solchen Fällen
zur akuten Gefährdung der Rettungskräfte führen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 219


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Bitte beachten

Weder die Nuklide Kobalt-60 noch Cäsium-137 sind in der Lage, durch
Kernreaktionen Aktivierungen am Menschen oder nichtbiologischem
Material zu bewirken, so dass eine damit extern bestrahlte Person nie
selbst zu einer Strahlenquelle wird!

12.4.2.7 Militärischer Einsatz von Kernwaffen


Die bewusste Herbeiführung einer solchen Katastrophe im Rahmen einer
Bedrohung mit Nuklearsprengköpfen ist in der derzeitigen politischen
Lage Deutschlands und seiner Nachbarstaaten als eher unwahrscheinlich
anzusehen und bedarf im Rahmen dieses Leitfadens keiner weiteren Aus-
führungen.

Cave: Andere Staaten (z. B. USA) bereiten sich sehr gezielt auf solche Szenari-
en vor.

12.4.3 Allgemeine Grundsätze des Handelns


Die folgenden allgemeinen Strahlenschutzgrundsätze lassen sich beim Ein-
satz der Rettungsdienstkräfte, die direkt am Patienten tätig werden müssen,
12

nur bedingt befolgen:

Abschalten
Abschalten der Strahlenquelle (Röntgenröhre/Beschleuniger) oder Rückfüh-
rung der Strahlenquelle (radioaktiver Stoff in umschlossener oder offener
Form) in einen Abschirmbehälter.

Abstand halten
Die Intensität der ionisierenden Strahlung nimmt mit zunehmendem Ab-
stand zur Strahlenquelle ab (bei punktförmiger Gammastrahlung mit dem
Quadrat der Entfernung).

Bitte beachten

Doppelter Abstand von einer Punktquelle bedeutet nur noch ein Viertel
der Dosisleistung.

220 Leitfaden Katastrophenmedizin


Entsprechend vermindert sich auch mit zunehmendem Abstand die akku-
mulierte Dosis.

Bitte beachten

Strahlenquellen nie mit bloßen Händen anfassen; Hilfsmittel, wie Fern -


greifer, verwenden! Auch hier gilt: Abstand halten!

Aufenthaltsdauer verkürzen
Die Einsatzzeit bei vorhandener Strahlenexposition sollte so klein wie nötig
sein. Wenn möglich, frühzeitige Ablösung des Einsatzteams am Unfallort.

Abschirmungen nutzen
Vorhandene Abschirmungen, wie Mauern, Erdwälle etc., sollten ausgenützt
werden, um die Strahlenbelastung zu minimieren. Eventuell sind verletzte
Personen im Rahmen einer „Crash-Rettung“ aus dem unmittelbaren Gefah-
renbereich zu retten. Die Errichtung von künstlichen Abschirmungen ist aus
Zeitgründen in der Regel nicht möglich.

Kontamination vermeiden
Die Verschmutzung mit radioaktiven Isotopen ist zu vermeiden bzw. auf ein

12
unumgänglich notwendiges Maß zu reduzieren

Bitte beachten

ƒ Beim Umgang mit kontaminierten Patienten ähnlich überlegtes


Handeln wie bei sterilem Arbeiten im OP!
ƒ Persönliche Schutzausrüstung tragen!
ƒ Möglichst wenig Personal im Kontaminationsbereich!

Inkorporation verhindern
Die Aufnahme radioaktiver Stoffe über die Atemwege oder den Gastrointesti-
naltrakt ist zu verhindern (sowohl bei Einsatzkräften als auch bei Patienten).
Am Einsatzort darf aus diesem Grund nicht gegessen, getrunken oder ge-
raucht werden. Die Schutzausrüstung der Feuerwehren mit umluftunabhän-
gigem Atemschutzgerät (Pressluftatmer, Isoliergerät) kommt für den Arzt
und die sonstigen Rettungskräfte in der Regel wegen fehlender Atemschutz-
tauglichkeit nicht infrage (Untersuchung nach dem berufsgenossenschaftli-
chen Grundsatz G 26 III liegt nicht vor, kein Atemschutzlehrgang etc).

Leitfaden Katastrophenmedizin 221


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Einsatzkräfte mit Hauterkrankungen oder offenen Wunden (z. B. Rhagaden,


Ekzeme, Schürfwunden) sind, um eine Inkorporation zu verhindern, nicht
für Strahlenschutzeinsätze geeignet. Verletzungen während der Einsatz-
tätigkeit sollen so bald wie möglich einem im Strahlenschutz ermächtigten
Arzt gezeigt werden. Verletzte Personen sind aus dem Einsatzgeschehen zu
entfernen. Auch Bagatellverletzungen sollten zur Ablösung der betroffenen
Person am Einsatzort führen.

12.4.4 Maßnahmen am Unfallort bzw. am


Patienten – Faustformeln für den Arzt zur
Abschätzung der Strahlenexposition

12.4.4.1 Externe Bestrahlung

Abschätzung der Gammadosisleistung einer externen Punktquelle


z. B. Cobalt-60 (Co-60)

Bitte beachten

Eine Aktivität von 4 GBq erzeugt in 1 m Abstand eine Dosisleistung von


ca. 1 mSv/h.
12

Abschätzung der Betadosisleistung einer externen Punktquelle


z. B. Phosphor-32 (P-32)

Bitte beachten

Eine Aktivität von 1 MBq erzeugt in 10 cm Abstand eine Dosisleistung von


ca. 1 mSv/h.
Im geringen Abstand von der Quelle ist bei gleicher Quellstärke die Ober-
flächendosisleistung der Betastrahlung etwa 30-mal so groß wie die der
Gammastrahlung.

222 Leitfaden Katastrophenmedizin


Angaben zum Hauterythem bei Teilkörperbestrahlung

Praxis-Tipp

Das Hauterythem eignet sich präklinisch nicht als Indikator für die Ge -
fährdung des Patienten.

Ein Erythem tritt bei Hautdosen über mindestens 3–5 Gy auf. Der zeitliche
Verlauf ist sinusförmig. Das erste Auftreten ist erst einige Stunden bis Tage
nach der Bestrahlung zu beobachten. Die Erscheinung ebbt im Laufe von
zwei bis maximal 60 Tagen ab. Die zweite Hauptwelle beginnt, nach einer
Latenzphase, je nach Dosis nach mehreren Tagen bis Wochen. Die Rötung
geht innerhalb von mehreren Wochen in eine Hyperpigmentierung (bis zu
möglichen Nekrosen) über. Intensität und Dauer der Pigmentierung hängen
von der akkumulierten Strahlendosis ab. Nach Dosen von 10 Gy bleibt die Pig-
mentierung über lange Zeit sichtbar.

Bitte beachten

Präklinisch ist ein Hauterythem nicht zu erwarten! Symptome wie Übel -

12
keit und Erbrechen sind bei Ganzkörperexpositionen bis zu 300 mSv prä -
klinisch nicht zu erwarten!

12.4.4.2 Kontamination

Abschätzung der Beta-/Gamma-Hautdosisleistung bei Kontamination


(Nach SSK 1992, Band 18, S. 39.)

Bitte beachten

Eine Flächenkontamination von 1 Bq/cm2 eines Beta-/Gammastrahlers


ruft eine Beta-Hautdosisleistung von bis zu 2 µSv/h hervor.

Die Gamma-Hautdosisleistung beträgt dabei einen Bruchteil dieses Wertes,


d. h. 0,01 µSv/h.

Leitfaden Katastrophenmedizin 223


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Abgestufte Maßnahmen bei Kontamination der Haut


Entsprechende Richtwerte sind Tabelle 12–5 zu entnehmen.

Tab. 12-5 Richtwerte für abgestufte Maßnahmen bei Kontamination der


Haut (zur Verwendung in Notfallstationen). (Nach SSK 2007, Band 4, Tab. 4-2.)

Stufe I II III IV V

Kontamination
< 0,04 0,04–0,4 0,4–4 4–40 > 40
(kBq/cm2)

Gammadosis-
leistung in 1 m < 0,1 0,1–0, 4 0,4– 4 4–40 > 40
Abstandb (µSv/h)

Zählratec von
Kontaminations-
1 500– 15 000 –
messgeräten in ≤ 1 500 a a
15 000a 150 000a
Impulsen/s, nah
(nicht abgedeckt)

Dekontaminations- nicht zu vorrangig


empfohlen erforderlich
maßnahmen: erforderlich erwägen erforderlich
Beta-Hautdosis
<1 1–10 10–100 100–1 000 > 1 000
(mSv in 24 h)

Gammadosis
durch äußere
< 0,02 0,02–0,2 0,2–2 2–20 > 20
Bestrahlung
12

(mSv in 24 h)

a
Bei einzelnen Kontaminationsmessgeräten ist die maximale anzeigbare Zählrate niedriger.
b
Werte, basierend auf GH = 1,4 (µSv/h)/(kBq/cm ).
2

c
Gilt grob für bei der Feuerwehr zugelassene Kontaminationsmessgeräte.

Dekontamination am Unfallort
Dekontaminationsmaßnahmen am Unfallort sind nur dann durchführbar,
wenn der Zustand des Verletzten dies zulässt. Falls es zu einer Kontamination
des Verunfallten mit radioaktiven Stoffen gekommen ist, sollte eine Verrin-
gerung der Kontamination zunächst durch Entkleiden (Kleidung in einen
als radioaktiver Abfall gekennzeichneten Behälter zum Zweck der späteren
messtechnischen Auswertung sammeln) auf einem Dekontaminationsplatz
innerhalb der Absperrung erreicht werden („trockene Dekontamination“).
Dekontaminationsmaßnahmen zügig durchführen! An Ersatzkleidung und
ausreichenden Wärmeschutz ist zu denken.
Kontaminierte Körperteile sind unter fließendem Wasser abzuwaschen oder,
falls das nicht möglich ist, wenigstens mit feuchten Tüchern abzuwischen
(Grobdekontamination). Dabei ist zu beachten, dass die Kontamination nicht auf
andere Körperteile verschleppt wird und das Waschwasser, soweit möglich, auf-
gesammelt wird. Dekontaminationsmaßnahmen müssen möglichst hautscho-

224 Leitfaden Katastrophenmedizin


nend durchgeführt werden, um die Schutzbarriere der Haut nicht zu verletzen.
Dekontaminationsmaßnahmen sind präklinisch höchstens einmal zu wieder-
holen. Spezielle Dekontaminationsverfahren werden erst in der weiterbehan-
delnden Klinik oder dem Regionalen Strahlenschutzzentrum erfolgen können.
Die Dekontamination des Verunfallten ist auch nach FwDV 500 vorgesehen.

Bitte beachten

Bei Dekontaminationsmaßnahmen im Bereich des Kopfes besteht immer


Inkorporationsgefahr, deshalb möglichst Anlegen eines Mund-Nasen -
Augenschutzes sowie eventuell Verschließen des äußeren Gehörganges
mittels wasserabweisender Tamponade.
Dekontaminationsmaßnahmen nicht verzögern, da der Erfolg vom
raschen Handeln abhängt!

Kein kontaminiertes Wasser in die Augen bringen (z. B. Verwendung von


„Schwimmbrillen“ als Inkorporationsschutz). Die Dekontamination von
Mund, Nase und/oder Ohren muss nach der Vorstellung der Deutschen Strah-
lenschutzkommission von einem HNO-Arzt durchgeführt werden. Dies ist
präklinisch unrealistisch. Ein Rachenabstrich sowie eine Schneuzprobe aus
der Nase sind zur späteren Ausmessung bei Verdacht auf Inkorporation zu as-

12
servieren (sofern der Zustand der Verunfallten dies erlaubt!).

Kontaminierte Wunden, Besonderheiten der Ersten Hilfe


Kleine, kontaminationsverdächtige Wunden an den Extremitäten können
durch Anlegen einer venösen Stauung einer „Eigendekontamination“ unterzo-
gen und/oder mit steriler 0,9 %iger Kochsalzlösung gespült werden. Ansonsten
Wunden, wie im Rettungsdienst üblich, akut versorgen und steril abdecken.
Die Primärversorgung einschließlich Anästhesie und Intubation entspricht
dem sonst üblichen Standard.

Bitte beachten

Es gibt für Strahlenunfälle keine spezifische Änderung der Ablaufschemata


bzw. Algorithmen für lebensrettende Sofortmaßnahmen.

12.4.4.3 Inkorporation
Die Abschätzung der Inkorporationsdosis ist unter Unfallbedingungen nicht
möglich, da intensive messtechnische Verfahren (Ganzkörperzähler, Teilkör-

Leitfaden Katastrophenmedizin 225


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

perzähler, Ausscheidungsanalysen) erforderlich sind, und muss speziellen


Zentren vorbehalten bleiben. Allenfalls bei bekanntem Gesamtinventar des
radioaktiven Stoffes ist eine grobe Orientierung möglich. Je nach inkorporier-
tem Radionuklid (z. B. Plutonium) kann es notwendig sein, in der Klinik früh-
zeitig Dekorporierungsmaßnahmen durch geeignete Antidota einzuleiten.

Bitte beachten

Bei Inkorporation von Radionukliden ist eine spezielle Antidotgabe noch


am Unfallort, im Gegensatz zu C-Szenarien, nicht notwendig!

Abnahme von Blut für die Chromosomenaberrationsanalyse


Es sollte grundsätzlich bei jedem Strahlenunfall, bei dem zu vermuten ist,
dass eine hohe Dosisbelastung aufgetreten ist, venöses Blut (2-mal 20 ml)
für eine eventuelle Chromosomenanalyse zum Zweck der biologischen Do-
simetrie abgenommen werden. Die Blutabnahme sollte am Unfallort (bei
sehr hohen Strahlenexpositionen) oder zumindest bei der Aufnahme in eine
Klinik erfolgen, um noch eine genügende Anzahl zur Teilung stimulierba-
rer Lymphozyten zu erhalten (wichtig auch für eventuelle Knochenmark-
transplantation bzw. periphere Stammzelltransplantation). Bei einem Mas-
senanfall von Betroffenen ist diese in der Auswertung zeitintensive Methode
12

nur bedingt geeignet. Einen geringen Aussagewert hat die Methode bei Do -
siswerten von weniger als 100 mSv effektiver Dosis.

Technik der Blutabnahme für die Chromosomendosimetrie


Mit einer sterilen Spritze, die etwa 1–2 ml Heparin enthalten muss, werden
20 ml peripheren Blutes abgenommen. Das heparinisierte Blut sollte sofort
(ohne Kühlung) nach telefonischer Voranmeldung in ein entsprechendes Zent-
rum zur Anfertigung der Chromosomenaberrationsanalyse gebracht werden.
Aktuelle Adresse über das zuständige Regionale Strahlenschutzzentrum (RSZ)
erfragen! Bezüglich wichtiger Zusatzinformationen über die Exposition, Strah-
lenart usw. muss dem Zentrum, das die biologische Dosimetrie durchführt, ein
kompetenter Ansprechpartner zumindest telefonisch zur Verfügung stehen.

12.4.5 Übergabe der verunfallten Person


Theoretisch übergeben die Feuerwehreinsatzkräfte bzw. sonstiges Fachperso-
nal den Patienten an der Absperrgrenze an den Rettungsdienst. Dieses Szenario
kann sich sehr schnell ändern, da, wie konventionelle Verkehrsunfälle zeigen,
ein Eingreifen des Notarztes und des Rettungsdienstpersonals vor Ort notwen-
dig werden kann (immer unter Beachtung eines vernünftigen Eigenschutzes).

226 Leitfaden Katastrophenmedizin


Kontaminierte Personen sind, soweit möglich und medizinisch verantwort-
bar, noch vor Ort zu dekontaminieren (s. auch FwDV 500). Die Dekontamina-
tion erfolgt noch im abgesperrten unsauberen Bereich (Schwarzbereich).

12.4.6 Transport kontaminationsverdächtiger


Personen
Vor Verlassen der strahlengefährdeten Einsatzstelle (Gefahrenbereich/Ab-
sperrbereich) sollte das Rettungsdienstpersonal, das innerhalb der Absperr-
grenze tätig war und den Patienten dort medizinisch erstversorgt hat, die
Oberbekleidung, Füßlinge und die Handschuhe wechseln. Die Kontaminati-
onsverschleppung wird dadurch vermindert. Die zuständige Behörde hat spä-
ter über den Verbleib kontaminierter Gegenstände und Stoffe zu entscheiden.

Praxis-Tipp

Wird dem Rettungsdienst der Verunfallte an der Absperrgrenze über-


geben, so sollte er dort umgebettet werden, z. B. von der Schaufeltrage
oder dem Spineboard auf die normale Transporttrage, die mit im Einsatz-
fahrzeug vorhandenen Decken ausgelegt ist. Eine Auskleidung des Trans-
portfahrzeuges mit Plastikfolien ist nicht zwingend erforderlich!

12
Sofern personell möglich, sollten zwei Teams tätig werden. Eines, das nur in-
nerhalb der Absperrgrenze tätig ist, und ein zweites Team, das den Verunfall-
ten an der Absperrung übernimmt.

Bitte beachten

ƒ Kontaminierte Personen sind getrennt von sonstigen Personen


zu befördern!
ƒ Strahlenschutzpersonal mit Messgerät fährt mit.
ƒ Optimal bei kontaminiertem Patienten: Arztbegleitung.

Der transportfähige Patient sollte abgedeckt werden (Achtung Wärmestau!),


um eine Verschleppung der eventuell nicht festhaftenden Kontamination zu
vermeiden. Nach dem Einladen in das Fahrzeug sollte das Rettungsdienst-
personal nochmals die Handschuhe wechseln. Man muss sich klar darüber
sein, dass das Fahrzeuginnere und die zum Einsatz kommenden Gegenstän-
de nicht sicher vor einer Kontamination geschützt werden können.
Nach Rücksprache mit der Rettungsleitstelle ist ein Krankenhaus oder
Regionales Strahlenschutzzentrum mit strahlenmedizinischer Behand-

Leitfaden Katastrophenmedizin 227


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

lungsmöglichkeit als Zielpunkt vorzuziehen. Die Rettungsleitstelle hat die


Einlieferung radioaktiv kontaminierter Personen dem Zielkrankenhaus
unverzüglich mitzuteilen, um sicherzustellen, dass der dort benötigte
Vorlauf für strahlenschutzgerechte Vorkehrungen rechtzeitig in Gang ge -
setzt wird. Bei Ankunft im Krankenhaus oder RSZ ist dem Aufnahmeteam
die radioaktive Kontamination bzw. Inkorporation sofort mitzuteilen.
Der erstversorgende Notarzt und das beteiligte Rettungsdienstpersonal
sollten in der Anfangsphase der klinischen Versorgung mit involviert sein
(Schockraummanagement), um auf die neu hinzugekommenen Kollegen/
-innen in dieser emotional belastenden Ausnahmesituation motivierend
einwirken zu können.

12.4.7 Maßnahmen nach dem Transport


Beteiligtes Rettungsdienstpersonal, Einsatzfahrzeuge und Gerätschaften
sind einer Kontaminationskontrolle zu unterziehen (Strahlenschutzphysiker,
sonstige fachkundige Person) und, soweit erforderlich, zu dekontaminieren.
Das weitere Vorgehen entscheidet die zuständige Behörde (Freimessung).
Ausgegebene Personendosimeter sind sicherzustellen und zur sofortigen
Auswertung (nur amtliche Dosimeter) an die entsprechende Auswertungs-
stelle des Bundeslandes per Boten zu schicken mit der „Bitte um Eilauswer-
tung“ (Ergebnis innerhalb eines Tages).
Auf Grund der Seltenheit von Strahlenunfällen ist es vertretbar, die betroffenen
12

Personen des Rettungsdienstes einem ermächtigten Arzt im Strahlenschutz


baldmöglichst vorzustellen. Ist zu befürchten, dass sie mehr als 50 mSv effek-
tive Dosis erhalten haben (Grenzwert in Anlehnung an die Strahlenschutzver-
ordnung für beruflich strahlenexponierte Personen), ist diese Untersuchung
unverzüglich durchzuführen (StrlSchV § 63 „Besondere arbeitsmedizinische
Vorsorge“)7. Die z. B. in Bayern gültige „Richtlinie für den Einsatz des Rettungs-
dienstes an strahlengefährdeten Einsatzstellen und für den Transport radioak-
tiv kontaminierter Personen“ sieht die ärztliche Überwachung schon ab einer
effektiven Dosis von 15 mSv vor (s. auch FwDV 500: „Ärztliche Überwachung
und Nachsorge“).

Bitte beachten

Bei Verdacht auf Inkorporation der Einsatzkräfte immer Vorstellung beim


ermächtigten Arzt im Strahlenschutz.

7 Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1714, [2002, 1459]), zuletzt geändert durch
Artikel 2 des Gesetzes vom 29. August 2008 (BGBl. I, S. 1793).

228 Leitfaden Katastrophenmedizin


Die zuständige Behörde kann ein solches Eingreifen bestimmen. Inwieweit
eine Ganzkörpermessung durch entsprechend kalibrierte Messanlagen oder
das Sammeln von Stuhl und Urin über mehrere Tage zum Zwecke der Aus-
scheidungsanalyse sinnvoll ist, entscheidet der im Strahlenschutz ermäch-
tigte Arzt und letztlich die zuständige Behörde (gleiches gilt für die biolo-
gische Dosimetrie, z. B. Chromosomenaberrationsanalyse). Alle beteiligten
Rettungsdienstkräfte müssen namentlich vermerkt und die Liste mit den
gesammelten Daten muss mindestens 30 Jahre aufbewahrt werden.

Praxis-Tipp

Möglichst alle beteiligten Rettungsdienstkräfte dem ermächtigten Arzt


im Strahlenschutz vorstellen.

12.4.8 Situation im Krankenhaus


Im Krankenhaus ist die Anwesenheit eines beratenden Strahlenschutzarztes
sinnvoll.

Praxis-Tipp

12
Das nächstgelegene Regionale Strahlenschutzzentrum sollte, sofern
nicht schon von Anfang an geschehen, in das Prozedere mit eingebunden
werden und einen Strahlenschutzarzt bereitstellen, um eine möglichst
optimale Versorgung des Verunfallten zu ermöglichen.

Die Persönliche Schutzausrüstung des Klinikpersonals bei Aufnahmen/


Versorgung kontaminierter Patienten sollte aus Kontaminations -
schutzanzug, FFP3-Filtermaske mit Ausatemventil, Schutzbrille, einem
doppelten Paar Handschuhen und geschlossenen Schuhen bestehen!

Bitte beachten

Eine Kontamination der Notaufnahme sollte durch vorherige Dekonta -


mination des Patienten möglichst vermieden bzw. verringert werden!

Dekorporierungsmaßnahmen mit einem spezifischen Antidot werden frühes-


tens in der Klinik beginnen können, da hier auch die entsprechende Labordia-

Leitfaden Katastrophenmedizin 229


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

gnostik zur Verfügung steht. In den ersten Tagen der Versorgung wird die Ent-
scheidung über das weitere Vorgehen bei hoch exponierten Patienten durch die
sogenannte Sequentialdiagnostik möglich. Dabei wird der klinische Verlauf der
Reaktion des Patienten auf die Bestrahlung festgestellt. Die gesammelten Daten
können mit dem vorhandenen Datenmaterial aus weltweiten Unfallereignis-
sen in der Datenbank des WHO-Kollaborationszentrums für Strahlenunfallma-
nagement der Universität Würzburg verglichen werden (REMPAN8-Zentrum).
Anhand der Zuordnung des individuellen Strahlenschadens zu definierten
Schweregraden werden Aussagen über das bestmögliche weitere therapeuti-
sche Vorgehen sowie die prognostische Entwicklung möglich.

12.5 Definitionen
Umschlossene radioaktive Stoffe: Radioaktive Stoffe, die von einer festen inak-
tiven Hülle umschlossen sind (üblicherweise eine Edelstahlkapsel mit einer Ab-
messung von mindestens 0,2 cm) oder in festen inaktiven Stoffen ständig so ein-
gebettet sind, dass ein Austritt verhindert wird. (Modifiziert nach § 3 StrlSchV.)9

Offene radioaktive Stoffe: Alle radioaktiven Stoffe mit Ausnahme der um-
schlossenen.

Effektive Dosis: Effektive risikogewichtete Dosisangabe für den Menschen,


12

wird üblicherweise in der Einheit mSv oder µSv angegeben. Die alte entspre-
chende Einheit war das Rem (1 rem = 10 mSv).

Ortsdosisleistung: Sie wird in der Regel in der Einheit mSv/h oder µSv/h usw.
angegeben. Messgeräte der Feuerwehr zeigen in dieser Einheit an. Es gibt für
diese Geräte jedoch auch Außensonden für den Alpha- bzw. Betastrahlen-
nachweis, die in Impulsen/s anzeigen. Die Angabe Impulse pro Zeiteinheit
bedarf der Interpretation.

Aktivität: 1 Becquerel (Bq) = 1 Zerfall pro Sekunde; alte Einheit: Curie


(1 Ci = 3,7 × 1010 Bq).

8 Radiation Emergency Medical Preparedness and Assistance Network.


9 Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1714, [2002, 1459]), zuletzt geändert durch
Artikel 2 des Gesetzes vom 29. August 2008 (BGBl. I, S. 1793).

230 Leitfaden Katastrophenmedizin


12.6 Internetadressen
Stand: Juni 2009

Anbieter www-Adresse
Verbände und Behörden
Deutsche Gesellschaft für medizinischen
Strahlenschutz (DGMS), vormals Ver-
www.medstrahlenschutz.org
einigung deutscher Strahlenschutzärzte
(VDSA)

Internationale Atomenergiebehörde
www.iaea.org
(IAEA)
International Radiation Protection
www.irpa.net
Association
Verbände und Behörden
Bundesamt für Strahlenschutz www.bfs.de

Fachverband für Strahlenschutz www.fs-ev.de


Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle
www.bva.bund.de
für Zivilschutz
Bayerisches Staatsministerium für Um -
www.stmug.bayern.de
welt und Gesundheit
Hauptabteilung für die Sicherheit der
www.ensi.ch
Kernanlagen (Schweiz)
Nationale Alarmzentrale (Schweiz) www.naz.ch
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
www.bbk.bund.de
Katastrophenhilfe

12
Strahlenschutzkommissionen
Strahlenschutzkommission (SSK) www.ssk.de
Eidgenössische Kommission für Strahlen -
www.ksr-cpr.admin.ch
schutz (Schweiz)
International Commission on
www.icrp.org
Radiological Protection
Forschungszentren und -institute
GRS Gesellschaft für Anlagen und Reak-
www.grs.de
torsicherheit mbH
Helmholtz Zentrum München
Deutsches Forschungszentrum für Ge - www.helmholtz-muenchen.de
sundheit und Umwelt GmbH

Forschungszentrum Karlsruhe, KIT www.fzk.de


Hahn-Meitner-Institut (Neu: Helmholtz-
www.helmholtz-berlin.de
Zentrum Berlin)
Paul Scherrer Institut (Schweiz) www.psi.ch
Forschungszentrum Seibersdorf
www.arcs.ac.at
(Österreich)
Radiation Effects Research Foundation
www.rerf.or.jp
(Japan und USA)

Leitfaden Katastrophenmedizin 231


Schädigende Agenzien
Management von Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen – Schutz der (Klinik-)Mitarbeiter

Literatur

AkNZ-Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz.


Handlungsempfehlungen zur Einsatzplanung und Ausbildung für Feuer-
wehr und Rettungsdienst „Dirty Bomb“, Lehrunterlagen. Bad Neuenahr-
Ahrweiler: BBK; 2004.

Ausschuss Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile


Verteidigung (AFKzV), Hrsg. Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 (FwDV 500),
Einheiten im ABC-Einsatz. Harislee: AFKzV; Stand 09/2003, Ausgabe 4/2005.

Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik. Handbuch für


Regionale Strahlenschutzzentren. Köln: Institut für Strahlenschutz; 2005,
update 2009.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Infor-


mation der Öffentlichkeit über Strahlenrisiken – Krisenkommunikation für
Verantwortliche im Katastrophenschutz. Bonn: BBK; 2008.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsche


Gesellschaft für KatastrophenMedizin (DGKM), Hrsg. Notfall- und Katastro-
phenPharmazie Band I und II. Bonn: BBK; 2009.
12

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU),


Hrsg. Der Strahlenunfall – Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen (Kurzfassung),
Information der SSK Nummer 1. Bonn: BMU; 1997.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU).


Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2007. Bonn:
BMU; 2008.

Luiz T, Lackner CK, Peter H, Schmidt J. Medizinische Gefahrenabwehr,


Katastrophenmedizin und Krisenmanagement im Bevölkerungsschutz.
München: Elsevier Urban & Fischer; 2010.

Mettler FA, Upton AC. Medical Effects of Ionizing Radiation. Second edition.
Philadelphia, London, Toronto: Saunders; 1995.

Nénot JC. Radiation accidents over the last 60 years. J Radiol Prot 2009; 29 (3):
301–20.

Rojas-Palma C, Liland A. TMT Handbook. Norway: Lobo Media AS; 2009.

232 Leitfaden Katastrophenmedizin


Schreiber J. Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts-und Betreuungsaufgaben im
CBRN-Einsatz. Köln: Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und
Bevölkerungsschutz (SKK); 2009.

Strahlenschutzkomission (SSK), Hrsg. SSK-Empfehlung „Verwendung von


Iodtabletten zur Iodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen
Unfall“, verabschiedet 192. Sitzung am 24./25. Juni 2004.

Strahlenschutzkomission (SSK), Hrsg. Veröffentlichung Band 18 „Maßnah-


men nach Kontamination der Haut mit radioaktiven Stoffen“. H.Hoffmann
GmbH – FachverlagBerlin: H. Hoffmann GmbH – Fachverlag; 1992.

Strahlenschutzkomission (SSK), Hrsg. Veröffentlichung Band 26 „Strahlen-


schutzüberlegungen zum Messen und Bergen von radioaktiven Satelliten-
bruchstücken“. H.Hoffmann GmbH –FachverlagBerlin: H. Hoffmann GmbH –
Fachverlag; 1994.

Strahlenschutzkomission (SSK), Hrsg. Veröffentlichung Band 4 „Medizini-


sche Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen“. Berlin: H. Hoffmann GmbH –
Fachverlag; 2007.

Strahlenschutzkomission (SSK), Hrsg. Veröffentlichung Band 32 „Der


Strahlenunfall“. Berlin: H. Hoffmann GmbH – Fachverlag; 2007.

12

Leitfaden Katastrophenmedizin 233


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

13
Management von Gefahr-
stoffunfällen und Massen-
vergiftungen
Th. Zilker, N. Felgenhauer, R. Spörri

13.1 Besonderheiten der Gefahrstoffunfälle


Bei einem Gefahrstoffunfall handelt es sich um ein Unfallereignis, bei dem
durch das Freiwerden einer oder mehrerer toxischer Substanzen eine Gefahr
für Mensch und/oder Umwelt entsteht.

Im Vergleich zu anderen Großschadensereignissen zeigen Gefahrstoffun-


fälle einige Besonderheiten. Werden gefährliche Chemikalien freigesetzt,
so können sich diese rasch ausbreiten und schnell zu einem Massenanfall
von exponierten und vergifteten Personen führen. Charakteristischerweise
bildet sich um das Unfallgeschehen eine toxische Gefahrenzone, die nur mit
bestimmten Schutzmaßnahmen begangen werden darf, sodass die Hand-
lungsfähigkeit der Rettungskräfte dadurch wesentlich eingeschränkt wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass bei manchen Chemieunfällen die Identität
13

des Gefahrstoffes zunächst unbekannt ist. Dies gilt für Anlagenunfälle mit
der Freisetzung von unbekannten Stoffen oder komplexen Stoffgemischen,
für außer Kontrolle geratene chemische Reaktionen, für Lagerbrände mit
komplexem bzw. unbekanntem Lagergut, für Transportunfälle mit unbe-
kanntem oder ungenügend gekennzeichnetem Gefahrgut oder für Trans-
portunfälle mit Chemikalien-Mischladungen. Selbst bei bekanntem Gefahr-
stoff ist die Giftwirkung nicht immer sofort bekannt und kann mitunter erst
mit einer gewissen Verzögerung eruiert werden. In manchen Fällen wie z. B
bei den Reizgasen vom Latenztyp kann die Giftwirkung zunächst fehlen.
Dies führt häufig zu diagnostischen Schwierigkeiten, zumal auch das tat-
sächliche Ausmaß der Giftexposition häufig nur schwer abzuschätzen ist.
Schließlich müssen für die nicht unmittelbar exponierten Personen am Ran-
de der toxischen Gefahrenzone das gesundheitliche Risiko abgeschätzt und
die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen werden.

234 Leitfaden Katastrophenmedizin


Eine Auswertung von 1 200 Berichten aus den Jahren 1920 bis 1988 über
Schadensereignisse im Bereich der chemischen Industrie ergab, dass die
Explosion mit 46 % die weitaus häufigste Unfallart darstellte (Roth 1989).
Eine Leckage wurde in 34 % und Brände wurden in 13 % der Schadensereignis-
se beobachtet. Bei den freigesetzten Substanzen handelte es sich in 54 % der
Gefahrstoffunfälle um Gase, in 16 % um Feststoffe und in 12 % um Lösemittel
(Roth 1989). Tabelle 13-1 zeigt die Stoffe bzw. Stoffgruppen, die bei den oben
erwähnten Schadensereignissen am häufigsten beteiligt waren. An erster
Stelle stehen hierbei die Flüssiggase; dies ist eine Sammelbezeichnung für
Gase, die schon bei geringem Druck und bei Raumtemperatur in den flüssi-
gen Zustand übergeführt werden können und deren häufigste Vertreter Pro-
pan und Butan sind. Nach den Flüssiggasen liegt das Chlor an zweiter Stelle
der am häufigsten an Unfällen beteiligten Stoffe.

Tab. 13-1 Anteil der Stoffe bei Gefahrstoffunfällen. (Nach Roth 1989.)

Stoff/Stoffgruppe Anteil (%)

Flüssiggas 14

Chlor 12

Mineralöle 9

Erdgas, Methan 8
13
Benzine 7

Ammoniak 4

Vinylchlorid 4

Chlorwasserstoff 3

Wasserstoff 3

Schwefelsäure 2

Andere Stoffe 34

Leitfaden Katastrophenmedizin 235


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

13.2 Identifizierung des Gefahrstoffes


Von entscheidender Bedeutung für das praktische Vorgehen beim Manage-
ment von Gefahrstoffunfällen ist die Frage, inwieweit die freigewordenen
Gefahrstoffe ein gesundheitliches Risiko darstellen. Voraussetzung für diese
Risikobeurteilung ist zunächst, dass die Identität der freigewordenen Stoffe
geklärt wird. Da diese Identität in 20–25 % der Unfallereignisse zunächst un-
bekannt ist, gehören zum Management von Gefahrstoffunfällen bestimmte
Maßnahmen zur Identifizierung der Gefahrstoffe.

Erste Informationen über die freigewordenen Stoffe erhält man in der Regel
vom Anlagenbetreiber oder über die in Transportfahrzeugen mitzuführen-
den Beförderungspapiere und Unfallmerkblätter.

Bei Gefahrguttransporten erhält man weitere Hinweise auch über die gesetz-
lich vorgeschriebene Kennzeichnung der Transportmittel mit orangefarbenen
Warntafeln, die an Front- und Rückseite der Fahrzeuge angebracht sein müssen.
Bei Mehrkammertransporten mit verschiedenen Ladungen sind die orangefar-
benen Hinweistafeln an Front- und Rückseite nicht beschriftet, der Inhalt der
einzelnen Kammern ist in diesem Fall auf Warntafeln an der Seite angegeben.
Zur Kennzeichnung sind die orangefarbenen Warntafeln mit zwei übereinan-
der angeordneten Zahlen versehen (s. Abb. 13-1). Die obere Zahl auf der Warntafel
wird als Gefahrnummer oder Kemler-Zahl bezeichnet; sie beschreibt die Haupt-
gefahren der Gefahrstoffe (s. Tab. 13-2). Diese Gefahrnummer wird als mindes-
tens zweistellige Zahlenkombination angegeben. Die untere Zeile der Warntafel
13

trägt die sogenannte Stoffnummer oder UN-Nummer, die der Identifikation des
Gefahrguts dient. Die Stoffnummern gehen auf Empfehlungen der Vereinten Na-
tionen (UN) zurück, die im „UN Orange Book“ niedergelegt sind. Außerdem muss
gemäß den Gefahrgutverordnungen jeder Gefahrguttransport mit Gefahrzet-
teln (Placards) gekennzeichnet sein, auf denen die jeweilige Hauptgefahr und
Gefahrenklasse verzeichnet ist (s. Abb. 27-1 im Anhang).

Abb. 13-1 Beispiel einer Warntafel. UN – United Nations.

236 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 13-2 Gefahrnummern (Kemler-Zahlen).

Kemler-Zahl Hauptgefahren

2 Gas entweicht

3 entzündliche Gase und Flüssigkeiten

4 entzündliche Feststoffe

5 brandfördernd

6 giftig

7 radioaktiv

8 ätzend

9 heftige spontane Reaktion

X gefährliche Reaktion mit Wasser

0 keine sonstige Gefahr

Gefahrstoffe sind ferner durch Gefahrensymbole bzw. Piktogramme ge- 13


kennzeichnet. Diese Symbole geben darüber Auskunft, ob der betreffende Stoff
giftig, ätzend, gesundheitsschädlich, reizend, explosionsgefährlich, brandför-
dernd oder leicht entzündlich ist (s. Abb. 27-2 und Abb. 27-3 im Anhang).

Bei Brandereignissen sind bei bekanntem Brandgut häufig Rückschlüsse


auf die entstehenden Brandgase möglich. Im Allgemeinen handelt es sich
bei den Brandgasen um ein heterogenes Substanzgemisch, dessen Zusam-
mensetzung von dem brennenden Material, von der Temperatur und von der
Sauerstoffzufuhr abhängig ist. Bei normalen Bränden ist insbesondere mit
den vier Leitstoffen Kohlenmonoxid, Blausäure, Chlorwasserstoff und Form-
aldehyd zu rechnen (Buff und Greim 1997). Bei speziellen Brandereignissen
können in Abhängigkeit vom brennenden Material z. B. auch nitrose Gase,
Schwefeldioxid, Acrolein, Phosgen, Ammoniak oder Fluorwasserstoff entste-
hen (s. Tab. 13-3).

Leitfaden Katastrophenmedizin 237


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Tab. 13-3 Toxisch relevante Brandprodukte.

Brandprodukte Brandgut

Kohlenmonoxid bei jedem Brandgut

Cyanwasserstoff Wolle, Seide, Polyacrylnitril

Chlorwasserstoff Polyvinylchlorid (PVC)

Formaldehyd Zellulose, Papier

Nitrose Gase Nitrocellulose, Polyamide

Schwefeldioxid Natur- und Kunstfasern

Acrolein Fette, Öle, Baumwolle

Isocyanate Polyurethanschaum

Ammoniak Kunstharze, Wolle, Seide, Polyamide

Phosgen chlorierte Kohlenwasserstoffe

Fluorwasserstoff Teflon

13.2.1 Fachberatersysteme zur Identifikation des


13

Gefahrstoffes
Zur Identifizierung des Gefahrstoffs können diverse Fachberatersysteme ein-
geschaltet werden. Hierzu zählen v. a. folgende Einrichtungen:
ƒ Giftinformationszentren (s. Kap. 26.3 im Anhang)
ƒ Transport-Unfall-Informations- und Hilfeleistungssystem der chemischen
Industrie (TUIS) (Telefon: 0621 60-4 33 33, Fax: 0621 60-9 26 64)
ƒ Beratungssystem MEDITOX der Deutschen Rettungsflugwacht e.V. (DRF)
(Telefon: 0711 70 10 70 oder 0711 7 08 92 92)

13.2.2 Gefahrstoffdatenbanken
Folgende Datenbanken können zur Identifizierung eines Gefahrstoffs heran-
gezogen werden:
1. Hommel interaktiv Handbuch der gefährlichen Güter
2. Memplex® Gefährliche Stoffe (Keudel av-Technik GmbH)
3. Gestis-Stoffdatenbank (IFA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung)

238 Leitfaden Katastrophenmedizin


4. Gefahrstoffdatenbank der Länder (GDL)
5. Poisindex® System (Micromedex)
6. TOMES Plus® System (Micromedex)
7. IPCS INCHEM (WHO – World Health Organzation, UNEP – United Nations
Environment Programme, ILO – International Labour Organization)

13.2.3 Analysemöglichkeiten bei unbekannten


Gefahrstoffen
Bleibt der freigewordene Gefahrstoff unbekannt, so muss dieser durch den
Einsatz analytischer Messtechniken möglichst rasch identifiziert werden.
Folgende Methoden stehen zur Verfügung:

Standardanalytik
ƒ Prüfröhrchen (Standardausrüstung der Feuerwehren)
ƒ Simultantest-Sets (parallel angeordnete Prüfröhrchen)
Als Minimalausrüstung gelten Prüfröhrchen für Kohlenmonoxid (CO), Blau-
säure (HCN) und nitrose Gase.

ABC-Erkundungsfahrzeuge
In der Bundesrepublik Deutschland sind zurzeit 370 ABC-Erkundungskraft-
wagen (ABC-ErkKW) stationiert, die mit einem Ionenmobilitätsspektrome-
ter (IMS) und einem Photoionisationsdetektor (PID) ausgestattet sind. Für das
IMS gibt es zwei Stoffbibliotheken, eine für chemische Kampfstoffe (CWA)
und eine für Industriechemikalien (ITOX).
13
Analytische Task Force
An sieben Standorten wurden sogenannte Analytische Task Forces (ATF, s. Tab.
13-4) mit der Zielsetzung eingerichtet, den lokalen Feuerwehren durch mobi-
le, hochtechnisierte Einheiten eine „Vor-Ort-Analytik“ und Expertenwissen
zur Verfügung zu stellen, um komplexe ABC-Lagen besser bewältigen zu kön-
nen. Zur messtechnischen Ausstattung gehören Prüfröhrchen, elektroche-
mische Messgeräte, Photoionisationsdetektoren, Ionenmobilitätsspektro-
meter, Probenahmeausrüstung, Wärmebildkamera und Fernthermometer.
Außerdem werden ein mobiles GC-MS-System (Gaschromatografie/Massen-
spektrometrie), ein FTIR1-Fernerkundungssystem, Gefahrstoffdetektorarrays
und ein Infrarot-(IR-)Spektrometer zur Fest-/Flüssiganalytik mitgeführt. Die
Anforderung dieser ATF erfolgt über das Gemeinsame Melde und Lagezent-
rum des Bundes (GMLZ), in Absprache mit den betroffenen Ländern.

1 Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie.

Leitfaden Katastrophenmedizin 239


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Tab. 13-4 Analytische Task Forces (ATF).

Ort Telefonische Erreichbarkeit

Landeskriminalamt (LKA) Berlin 030 46 64-0

Berufsfeuerwehr (BF) Dortmund 0231 8 45-0

BF Hamburg 040 4 28 51-0

Institut der Feuerwehr Sachsen-Anhalt


039292 61-02
(Heyrothsberge)

BF Köln 0221 97 48-0

BF Mannheim 0621 3 28 88-0

BF München 089 23 53-0 01

Neben der „Vor-Ort-Analytik“ kommt auch der Asservierung toxisch rele-


vanter Proben besondere Bedeutung zu. Hierbei sollte geeignetes Material
unter Vermeidung weiterer Kontamination zum Giftnachweis sichergestellt
werden. Bei Gefahrstoffunfällen kommen hierbei in erster Linie Chemikali-
enreste, Brandrauch, Luftproben, Löschwasser, Bodenproben und kontami-
nierte Kleidung in Frage. Wichtig ist, dass das asservierte Material in geeig-
13

neten Behältern aufbewahrt wird, um ein Austreten der Gefahrstoffe und


damit eine sekundäre Kontamination der Umgebung zu vermeiden. Die zu
einem späteren Zeitpunkt vorgenommenen Messungen haben dann zwar
keinen Einfluss mehr auf das Akutmanagement eines Gefahrstoffunfalls, sie
sind jedoch zur Beurteilung eventuell zu erwartender Langzeitschäden von
großer Bedeutung.

13.2.4 Das Toxidrom als Hinweis für die Art des


Gefahrstoffes
Unabhängig von den analytischen Meßmethoden lassen sich schließlich
auch aus dem Beschwerdebild der betroffenen Personen, dem sogenannten
Toxidrom (toxisches Syndrom), Rückschlüsse auf den freigewordenen Stoff
ziehen. Es gibt zwar keine strenge Zuordnung einer bestimmten Symptoma-
tik zu einem bestimmten Giftstoff, doch lässt sich anhand des Beschwerde-
bildes durchaus sagen, welche Giftgruppe als Ursache für die Beschwerden
in Frage kommen kann.

240 Leitfaden Katastrophenmedizin


Wir unterscheiden folgende Toxidrome:
ƒ Reizgas-Syndrom: Reizung der Atemwege, Augenreizung (z. B. bei HCl,
NH3 und SO2)
ƒ asphyktisches Syndrom: Sauerstoffmangel-Syndrom (z. B. bei CO, HCN
und H2S)
ƒ Organophosphat-Syndrom: cholinerges Syndrom (z. B. Nervenkampfstoffen)
ƒ chemikalienbedingte Hautläsionen (z. B. Säuren und Laugen)

Bitte beachten

Für die Identitätsbestimmung eines Gefahrstoffes stehen folgende In -


formationsquellen zur Verfügung: Anlagenbetreiber, Unfallmerkblät-
ter, Kennzeichnung der Transportmittel, Gefahrensymbole, Identität
des Brandguts, Fachberatersysteme, Gefahrstoffdatenbanken, Analy -
tik vor Ort und Toxidrom.

13.3 Toxikologische Bewertung


des Gefahrstoffes
Nach der Identifikation des Gefahrstoffes muss möglichst rasch eine toxiko-
logische Bewertung desselben vorgenommen werden. Hierzu gehören Anga-
ben zur Toxizität, Persistenz (Gefahr der sekundären Kontamination), Latenz- 13
zeit bis zur Giftwirkung, Symptomatik, Therapie (Antidote) und Analytik.

13.4 Beurteilung der Gefahrstoffexposition


Für die Risikobeurteilung beim Management von Gefahrstoffunfällen spielt
die rasche Identifikation des Gefahrstoffes zunächst sicherlich die entschei-
dende Rolle. Darüber hinaus ist für eine Abschätzung der gesundheitlichen Ge-
fährdung aber auch die Beurteilung der Gefahrstoffexposition von Bedeutung.

Hierbei geht es zunächst um die Frage, ob Personen dem Gefahrstoff über-


haupt ausgesetzt waren bzw. wie groß die Anzahl der möglicherweise expo -
nierten Personen ist. In der Regel ist bei Gefahrstoffunfällen zunächst immer
von einem Massenanfall von exponierten Personen auszugehen. Dabei ist die
Anzahl der exponierten Personen auch abhängig von der Ausdehnung der
toxischen Gefahrenzone, deren Bestimmung zu den Grundprinzipien des
Managements von Gefahrstoffunfällen gehört.

Leitfaden Katastrophenmedizin 241


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Bitte beachten

Bei der Festlegung der toxischen Gefahrenzone ist immer zu berücksich -


tigen, dass deren Ausdehnung nicht nur von der Gefahrstoffemission,
sondern auch von der Wetterlage und hier insbesondere von Windrich -
tung und Windgeschwindigkeit abhängt.

Des Weiteren gilt es zu klären, wie lange die Personen dem Gefahrstoff aus-
gesetzt waren, zumal die Gesundheitsgefährdung eine Funktion von Stoff-
konzentration und Dauer der Gefahrstoffexposition ist (Haber’sche Regel).

Zur Beurteilung der Gefahrstoffexposition gehört auch die Frage, in welcher


Art und Weise der Gefahrstoff aufgenommen worden sein kann. Bei Gefahr-
stoffunfällen spielt die inhalatorische Giftaufnahme sicherlich die weitaus
größte Rolle. Die Giftstoffe können dabei als Gase, Dämpfe, Aerosole oder bei
Brandrauch auch rußpartikelgebunden aufgenommen werden. Eine Gift-
aufnahme über Haut, Augen oder Intestinaltrakt ist ebenfalls möglich. Orale
Massenvergiftungen wären z. B. über kontaminiertes Trinkwasser denkbar.
In der Mehrzahl der Gefahrstoffunfälle dürfte eine kombinierte Giftexpositi-
on vorliegen, mit möglicher Giftaufnahme über Atemwege, Haut und Augen.

Für die Interpretation dieser Exposition ist es schließlich auch wichtig zu


wissen, zu welchen Auswirkungen die Gefahrstoffexposition führen kann.
13

Insbesondere muss festgestellt werden, ob die Gefahrstoffexposition nur


eine Geruchsbelästigung darstellt oder ob darüber hinaus auch von einer
Gesundheitsgefährdung auszugehen ist. Im Falle einer Reizgasexposition
ist mit einer Reizung der Atemwege zu rechnen, wobei für die Abschätzung
der Gesundheitsgefährdung auch zu berücksichtigen ist, dass die individu-
elle Empfindlichkeit recht unterschiedlich sein kann. So können Personen
mit einem Asthma bronchiale oder einer chronisch obstruktiven Lungener-
krankung bereits bei viel niedrigeren Giftkonzentrationen symptomatisch
werden als dies bei gesunden Personen der Fall ist. Gut resorbierbare Gifte
können systemisch wirken und z. B. zu einer zentralnervösen Beeinträchti-
gung führen. Werden bei einem Gefahrstoffunfall Säuren oder Laugen frei,
so können neben einer Reizung der Atemwege auch Verätzungen an Haut
und Augen auftreten.

242 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Unabhängig von der Giftwirkung muss bei der Beurteilung der Gefahr-
stoffexposition immer auch daran gedacht werden, dass ein Großteil der
Gefahrstoffe nicht nur giftig, sondern auch explosionsfähig ist und dass
bei allen Rettungsmaßnahmen ein Funkenschlag unbedingt vermieden
werden muss.

Bitte beachten

Zur Beurteilung der Gefahrstoffexposition müssen folgende Informatio -


nen eingeholt werden: Emissionsdauer des Gefahrstoffes, Ausdehnung
der toxischen Gefahrenzone, Anzahl der exponierten Personen, Art und
Dauer der Gefahrstoffexposition und zu erwartende Symptome.

13.5 Medizinische Erstbehandlungsmaß-


nahmen
Die Medizinischen Erstbehandlungsmaßnahmen orientieren sich an der
räumlichen Aufteilung der Einsatzstelle: toxische Gefahrenzone, kontami- 13
nierter Behandlungsraum (Dekontaminationsplatz), sauberer Behandlungs-
raum und Transportraum.

Die toxische Gefahrenzone ist der Arbeitsbereich der Feuerwehr. Hier wer-
den unter Zuhilfenahme entsprechender Schutzmaßnahmen (Chemikalien-
schutzanzug, umluftunabhängiger Atemschutz) kontaminierte Personen
aus dem Gefahrenbereich gerettet und in den Aufnahmebereich des Dekon-
taminationsplatzes transportiert. Unzureichend ausgerüstetes Einsatzper-
sonal darf in der toxischen Gefahrenzone nicht eingesetzt werden.

Es gibt auch Situationen, in denen ein sofortiges Evakuieren nicht unbedingt


sinnvoll ist. Erstreckt sich die toxische Gefahrenzone z B. über ein Wohnge-
biet, so empfiehlt es sich, die betroffenen Personen zunächst in den Häusern
in Sicherheit zu bringen, Türen und Fenster zu schließen sowie Klima- und
Lüftungsanlagen auszuschalten. Auf diese Weise sind die betroffenen Perso-
nen zunächst meist besser geschützt, als dies bei einem überstürzten, even-
tuell ungeschützten Evakuieren durch die toxische Gefahrenzone der Fall

Leitfaden Katastrophenmedizin 243


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

wäre. Zu einem späteren Zeitpunkt können die betroffenen Personen dann


unter geordneten und entsprechend geschützten Bedingungen mit weitaus
geringerem Risiko in Sicherheit gebracht werden.

Der Dekontaminationsplatz gliedert sich in einen Aufnahmebereich, einen


Behandlungsbereich und den eigentlichen Dekontaminationsbereich.

Im Aufnahmebereich erfolgen die Registrierung der aus dem Gefahrenbe-


reich geretteten Personen, eine erste Beurteilung der Vitalfunktionen, Erste-
Hilfe-Maßnahmen wie Freimachen der Atemwege und stabile Seitenlage,
eine Spotdekontamination von Mund- und Rachenraum, das Entfernen kon-
taminierter Kleidung sowie eine Sichtung mit Kennzeichnung der Verletz-
ten bzw. Einteilung in „gehfähige“ und „liegende“ Patienten.

Die Maßnahmen im Behandlungsbereich sind abhängig von den vorhande-


nen Ressourcen und der Anzahl der Verletzten. Insgesamt sind die Möglich-
keiten begrenzt, da die Helfer in einem kontaminierten Bereich agieren, völlig
in Schutzkleidung gekleidet sind und die Zeit, die für jeden Einzelnen aufge-
wendet werden kann, letztendlich begrenzt ist. Die medizinische Soforthilfe
in diesem Bereich beschränkt sich auf Basismaßnahmen der Erstversorgung,
ohne dass eine differenzierte medizinische Behandlung durchgeführt werden
kann. Sie dient der Stabilisierung Verletzter, sodass diese den nachfolgenden
Dekontaminationsprozess überhaupt lebend durchlaufen können. Bei diesen
Maßnahmen handelt es sich um richtige Lagerung, ggf. erneute Spotdekonta-
mination, Versorgung lebensbedrohlicher Blutungen, Wasseranwendung bei
13

Verbrennungen und Verätzungen, Applikation von lebensrettenden Antido-


ten (Atropin, Diazepam, 4-DMAP2) und ggf. Gabe von Sauerstoff. „Gehfähige“
Verletzte werden, soweit kein akuter Behandlungsbedarf vorliegt, sofort in
den eigentlichen Dekontaminationsbereich weitergeleitet.

Im eigentlichen Dekontaminationsbereich werden die Patienten zunächst


entkleidet und die kontaminierte Kleidung wird in speziellen Schutzbehäl-
tern asserviert. Anschließend erfolgt eine Ganzkörperdekontamination, wo-
bei die Patienten für mindestens 6 Minuten mit Wasser und Seife abgeduscht
werden. Bei ätzenden Substanzen werden feste Partikel zuvor mit einem tro-
ckenen Tuch entfernt. Kontaminierte Augen werden sofort mit Wasser oder
Ringerlaktat gespült. Im Anschluss an die Dekontamination werden die Pati-
enten zum Schutz vor Auskühlung mit Ersatzkleidung bzw. Decken versorgt.
Danach erfolgt die Übergabe an das Personal im sogenannten sauberen
Behandlungsraum. Bei all diesen Maßnahmen ist darauf zu achten, dass die
beteiligten Einsatzkräfte mit der entsprechen Schutzausrüstung ausgestat-

2 4-Dimethylaminophenol.

244 Leitfaden Katastrophenmedizin


tet sind, um eine sekundäre Kontamination des Personals zu vermeiden (zur
Persönlichen Schutzausrüstung s. Kap. 22 im Anhang).

Im sauberen Behandlungsraum werden die Patienten nochmals einer Sich-


tung unterzogen, die Kategorieeinteilung wird aktualisiert, die Maßnahmen
zur Stabilisierung der Vitalparameter werden fortgesetzt und die spezifische
und symptomatische Weiterbehandlung wird eingeleitet.

Während sich die symptomatische Therapie an den jeweiligen Beschwer-


den der Patienten orientiert, wird die spezifische Therapie mit den entspre-
chenden Antidoten durchgeführt. Zur Standardausrüstung für das Ma-
nagement von Gefahrstoffunfällen gehören die Antidote Atropin, 4-DMAP,
Natriumthiosulfat, Hydroxocobalamin, Sauerstoff, Glukokortikoide als Do -
sieraerosol und Toluidinblau. Atropin ist das Antidot zur Behandlung von
Vergiftungen mit Alkylphosphaten, wozu z. B. auch die Kampfstoffe Tabun,
Sarin, Soman und VX gehören. 4-DMAP und Natriumthiosulfat werden
zur Behandlung der Cyanidvergiftung eingesetzt. Kommt es im Rahmen
einer Brandrauchexposition zu einer Mischvergiftung mit einem hohen
Cyanidanteil, so darf 4-DMAP allerdings nicht verabreicht werden, da dieses
zusammen mit dem im Brandrauch befindlichen Kohlenmonoxid die Sauer-
stofftransportkapazität weiter verschlechtern würde. Für diese Fälle ist zur
Behandlung der Cyanidvergiftung das Hydroxocobalamin vorgesehen.
Die Antidottherapie der Kohlenmonoxidvergiftung besteht in der Gabe von
Sauerstoff, entweder als Sauerstoffinsufflation über eine Sonde oder mittels
endotrachealer Intubation und kontrollierter Beatmung mit 100 % Sauerstoff.
Ein Glukokortikoid-Dosieraerosol wird zur Behandlung einer Vergiftung 13
mit einem Reizgas vom Latenztyp (z. B. nitrose Gase), benötigt. Toluidinblau
schließlich ist das Antidot zur Reduktionsbehandlung von Vergiftungen mit
methämoglobinbildenden Substanzen wie z. B. Anilin oder Nitriten. Die oben
erwähnten Antidote werden in manchen Bundesländern für den Massenan-
fall vorgehalten (Telefonnummern und Adressen s. Kap. 26.1 im Anhang).
Nach der Apothekerbetriebsordnung sind sämtliche Apotheken gehalten,
bestimmte Antidote zu bevorraten (s. Kap. 26.2 im Anhang).

In Bayern werden in München und Nürnberg die in Tabelle 13-5 aufgeführten


Antidote für Massenvergiftungen vorgehalten.

Leitfaden Katastrophenmedizin 245


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Tab. 13-5 Antidotdepot für Massenvergiftungen (Antidotdepot in Bayern).

Atropin 0,2 % 50 Fl. à 100 ml

Beclometason Autohaler 100 µg 200 Stk.

Diazepam 100 Amp. (10 mg/2 ml)

4-DMAP 400 Amp. (250 mg/5 ml)

Epinephrin 0,22 mg DA 200 Stk.

Hydroxocobalamin 4 Injektionsfl. à 2,5 g

Natriumthiosulfat 10 % 50 Infusionsfl. à 500 ml

Obidoxim 500 Amp. (250 mg/ml)

Toloniumchlorid 200 Amp. (300 mg/10 ml)

Tosylchloramid 10 Fl. à 10 g
Fl. – Flaschen, Amp. – Ampullen, Stk. – Stück.

Eine Empfehlung für die toxikologische Notfallrüstung zur Versorgung ei-


nes individuellen Vergiftungsfalls, wie sie von den Notärzten in München
vorgehalten wird, findet sich in Tabelle 13-6. Es handelt sich dabei um einen
Vorschlag für die Bestückung der Notarztwagen.

Tab. 13-6 Toxikologische Notfallausrüstung.

ALKYLPHOSPHATE-Notfallpäckchen

Antidot Menge Gifte Dosis


13

Atropin 1 % Lösung 10 Amp. Alkylphosphate 2–5 mg i. v. repetitiv

Toxogonin Amp. zu 250 mg 5 Amp. Alkylphosphate 4 mg/kg KG i. v.

BLAUSÄURE-Notfallpäckchen

Antidot Menge Gifte Dosis

4-DMAP Amp. zu 250 mg 5 Amp. Zyanide 3–4 mg/kg KG i. v.

Natriumthiosulfat 10 % 3 × 100 ml Zyanide 1 ml/kg KG langsam i. v.

AMPULLEN-ANTIDOTA

Antidot Menge Gifte Dosis

Akineton 2 Amp. Neuroleptika 2,5–5 mg i. v.

Anexate 2 Amp. Benzodiazepine 0,2–0,5 mg i. v.

Anticholium 2 Amp. Atropin 0,02–0,06 mg/kg KG

246 Leitfaden Katastrophenmedizin


AMPULLEN-ANTIDOTA

Antidot Menge Gifte Dosis

Diazepam 10 Amp. Chloroquin 1–2 mg/kg KG i. v.


Ethylenglykol
Ethanol 96 % 10 Amp. 0,6 ml/kg KG i. v.
Methanol
Narcanti 5 Amp. Opiate 5–10 µg/kg KG

Solu-Decortin H 250 mg 3 Amp. Reizgase 250–750 mg i. v.

Methämoglobin-
Toluidinblau 2 Amp. 2–4 mg/kg KG i. v.
bildner

SONSTIGE ANTIDOTA

Antidot Menge Dosis

Beclometason 400 µg alle 2 Stunden, mindestens 3-mal oder


5 Stück
Autohaler bis zum Abklingen der Beschwerden

Kohle 2 Fl. à 50 g 0,5–1 g/kg KG

Macrogol 400 1 Fl. à 100 ml zur äußerlichen Anwendung

Sab Simplex 1 Fl. 5–10 ml

1–1 /2 Jahre: 10 ml, 1 1/2 –2 Jahre: 15 ml


1
Sirup Ipecacuanhae 2 Fl.
2–3 Jahre: 20 ml, > 3 Jahre: 30 ml
Amp. – Ampulle, Fl. – Flasche, KG – Körpergewicht, i. v. – intravenös, stdl. – stündlich.

Nach der Versorgung mit den entsprechenden symptomatischen und spezi-


fischen Maßnahmen wird der Patient zur weiteren stationären Behandlung 13
in ein Krankenhaus transportiert. Die Organisation des Transports erfolgt
hierbei in enger Kooperation zwischen dem Leitenden Notarzt und dem
Einsatzleiter Rettungsdienst. Der Leitende Notarzt bestimmt die Transport-
dringlichkeit des Patienten, der Einsatzleiter Rettungsdienst hingegen ist für
die Bereitstellung der erforderlichen Transportmittel sowie für die Bestim-
mung der Transportziele zuständig.

Bitte beachten

Ausgestattet mit der erforderlichen Schutzausrüstung und in Abhängig-


keit von den vorhandenen Ressourcen sollte bereits vor der Ganzkörper-
dekontamination mit den Basismaßnahmen der Erstversorgung und der
Applikation von lebensrettenden Antidoten begonnen werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 247


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

13.6 Sichtung bei Massenvergiftungen


Eine internationale Einteilung in Dringlichkeitskategorien bei Massenvergif-
tungen ist bisher nicht erarbeitet worden. Es existiert jedoch ein sogenannter
Poison Severity Score (PSS, Persson et al. 1998). Diese Schweregradeinteilung
dient vorwiegend den Giftinformationszentren zur Beurteilung bei Vergif-
tungen im Individualfall (PSS s. Kap. 28 im Anhang). Für den Massenanfall
von Vergiftungen schlagen wir in Anlehnung an die üblichen Sichtungska-
tegorien die in Tabelle 13-7 aufgeführten Dringlichkeitskategorien vor.

Tab. 13-7 Sichtung bei Massenvergiftungen.

Kategorie Dringlichkeit der Behandlung

Schwere lebensbedrohliche Vergiftung +


I
rasche Stabilisierung der Vitalparameter möglich

II Schwere Vergiftung mit stabilen Vitalparametern

III Mittelschwere und leichte Vergiftung

Schwere lebensbedrohliche Vergiftung +


IV
rasche Stabilisierung nicht möglich

13.7 Präventive Maßnahmen


13

Neben Planung, Risikobeurteilung, technischer Gefahrenabwehr und me-


dizinischer Erstversorgung gehören auch Maßnahmen der Prävention zum
Management von Gefahrstoffunfällen. Ziel der präventiven Maßnahmen ist
es, Personen am Rande des Gefahrenbereichs vor einer gesundheitsschädi-
genden Gefahrstoffexposition zu schützen. Vordringlichste Maßnahme in
dieser Hinsicht ist die rechtzeitige Absperrung der Gefahrenzone. Mögliche
weitere Schutzmaßnahmen sind die Evakuierung gefährdeter Personen, das
Schließen von Türen und Fenstern sowie das Abschalten von Lüftungs- und
Klimaanlagen in den betroffenen und angrenzenden Gebäuden und das Ein-
richten von geeigneten Kontrollmesspunkten.

Am Ende eines Einsatzes sollten dann alle Beteiligten noch einmal über das
Unfallereignis sowie über weitere, eventuell noch zu ergreifende Verhaltens-
maßnahmen unterrichtet werden. Schließlich sollte die Öffentlichkeit über
die Medien ausführlich über das Unfallereignis informiert werden.

248 Leitfaden Katastrophenmedizin


13.8 Spezielle Vergiftungen3
13.8.1 Kohlenmonoxid (CO)
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 30 ppm
Einsatztoleranzwert (ETW)4: 200 ppm

Bei jedem Brandereignis muss mit der Bildung von Kohlenmonoxid gerech-
net werden. Kohlenmonoxid entsteht hauptsächlich bei Verbrennungspro-
zessen unter ungenügender Sauerstoffzufuhr. Hauptursachen für schwere
CO-Vergiftungen sind Autoabgase in schlecht belüfteten Garagen, schlecht
ziehende Öfen, Durchlauferhitzer in nicht belüfteten Badezimmern und
Schwelbrände in geschlossenen Räumen. Die wesentliche toxische Wirkung
des CO beruht auf einer Bindung des CO an das 2-wertige Eisen des Hämoglo -
bins, wobei das entstehende Carboxyhämoglobin (CO-Hb) für den Sauerstoff-
transport ausfällt. Eine Kohlenmonoxidkonzentration von 100 ppm = 0,01 %
führt zu einem CO-Hb von ca. 12 %. Schwere akute Vergiftungen benötigen
eine CO-Konzentration von > 2000 ppm. Schwere subakute Vergiftungen
werden bei einer CO-Konzentration von 500–2 000 ppm beobachtet.

Symptome
Die Vergiftungssymptome sind von der CO-Hb-Konzentration abhängig:

CO-Hb < 30 % Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit


CO-Hb 30–40 % Müdigkeit, Verwirrtheit
CO-Hb 40–60 % Bewusstlosigkeit, Hypotonie 13
CO-Hb > 60 % rascher Tod durch Hypoxie

Für die Messung der CO-Hb-Konzentration direkt am Einsatzort gibt es soge-


nannte Puls-CO-Oxymeter, die eine nichtinvasive, kontinuierliche Messung
des CO-Hb erlauben.

Therapie
Die Patienten müssen aus dem toxischen Gefahrenbereich entfernt werden
(Atemschutz erforderlich). Die Antidottherapie besteht in der Gabe von Sau-
erstoff: Bei leichten Vergiftungen genügt die Insufflation von Sauerstoff über
eine Nasensonde, bei schweren Vergiftungen ist eine endotracheale Intuba-
tion und Beatmung mit einer inspiratorischen Sauerstoffkonzentration (FiO2)

3 Vgl. Brent et al. 2005, Ellenhorn 1997, Ford et al. 2001, Goldfrank 2006, Jaeger 1999, Marquart und
Schäfer 2004, von Mühlendal et al. 2003, Zilker 2008.
4 Die Einsatztoleranzwerte (ETW) markieren für einzelne Stoffe diejenige Konzentration, unterhalb
der bei einer 4-stündigen Exposition keine gesundheitliche Gefährdung, weder bei den Einsatzkräf-
ten noch bei der Bevölkerung, zu erwarten ist.

Leitfaden Katastrophenmedizin 249


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

von 1,0 notwendig. Bei der mittelschweren und schweren CO-Vergiftung soll-
te eine hyperbare Sauerstofftherapie angestrebt werden. Ziel dieser Therapie
ist es, die Sauerstoffversorgung der Gewebe zu gewährleisten, die Halbwerts-
zeit des CO-Hb zu verkürzen und neurologische Folgeschäden zu verhindern.
Die hyperbare Sauerstofftherapie wird mit einem Druck von 2–3 bar über
60–90 min durchgeführt. Indiziert ist die hyperbare Sauerstofftherapie
bei allen Patientinnen, die schwanger sind und deren CO-Hb über 20 % liegt,
sowie bei allen Patienten:
ƒ die bewusstlos sind oder bewusstlos waren
ƒ die neurologische Defizite aufweisen
ƒ die pektanginöse Beschwerden angeben
ƒ deren EKG Ischämiezeichen oder Herzrhythmusstörungen zeigt
ƒ deren CO-Hb über 40 % liegt

Bitte beachten

Bei der Überwachung des Patienten ist zu berücksichtigen, dass man sich
auf die Pulsoxymetrie nicht verlassen darf, da diese fälschlicherweise
eine zu hohe periphere Sauerstoffsättigung anzeigt.

13.8.2 Cyanwasserstoff (HCN)


Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 10 ppm
13

Einsatztoleranzwert (ETW): 15 ppm

Cyanwasserstoff ist ein wichtiger Grundstoff in der chemischen Industrie


mit einer weltweiten Jahresproduktion von 1,55 Millionen Tonnen. Haupt-
ursache von HCN-Vergiftungen im Rahmen von Gefahrstoffunfällen sind
Störfälle bei der Blausäureproduktion sowie Unfälle in Galvanisier- und
Stahlhärtungsbetrieben. Das Ausgasen von Nitrilen kann ebenfalls zu HCN-
Intoxikationen führen, wobei die HCN-Freisetzung bei den Alkannitrilen
mit der Kettenlänge des aliphatischen Restes deutlich zunimmt. Bei den un-
gesättigten Nitrilen entsteht nur ausnahmsweise HCN, wenn die Glutathion-
Reserven erschöpft sind. Eine große Bedeutung hat die HCN-Entwicklung im
Brandrauch bei der Verbrennung und Verschwelung stickstoffhaltiger Ver-
bindungen. Bei der Verbrennung von Acrylfasern, polyacrylnitrilhaltigen
Kunststoffen, Kunstharzen, Polyurethanschaum, Nylon, Seide, Wolle und
Insektiziden muss an eine toxisch relevante HCN-Freisetzung gedacht wer-
den. In der Regel erfolgt die HCN-Aufnahme bei Gefahrstoffunfällen auf in-
halatorischem Weg.

250 Leitfaden Katastrophenmedizin


Symptome
Die klinischen Zeichen einer Cyanidintoxikation sind die Folge einer ge -
störten intrazellulären Sauerstoffutilisation durch das Cyanidion und
damit Ausdruck einer zellulären Hypoxie. Nach der Einwirkung von
Cyanverbindungen tritt die Wirkung außerordentlich schnell ein. Bei
Inhalation von Blausäure treten Symptome innerhalb von Sekunden auf;
zum Tod kann es bereits innerhalb weniger Minuten kommen. Die poten-
ziell letale Dosis von Blausäure liegt bei 100 ppm über einen Zeitraum von
einer Stunde.
Leichte Vergiftungen führen zu Atemnot ohne Zyanose, thorakalem Enge -
gefühl, Angstzuständen, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Bei schwe -
ren Vergiftungen kommt es zu Verwirrtheit, Krampfanfällen, Koma, Atem-
stillstand, Arrhythmien und Herz-Kreislauf-Stillstand. Charakteristisch ist
der Bittermandelgeruch der Ausatemluft.

Therapie
Im Rahmen der Primärversorgung werden die Patienten zunächst aus dem
toxischen Gefahrenbereich entfernt. Bewusstlose Patienten werden um-
gehend endotracheal intubiert und mit einer FiO2 von 1,0 beatmet. Insta-
bile Herz-Kreislauf-Verhältnisse werden mit Flüssigkeitssubstitution und
Katecholaminen behandelt. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist nach
den üblichen Basismaßnahmen der Reanimation vorzugehen. Eine Laktat-
azidose muss frühzeitig mit Natriumhydrogencarbonat korrigiert werden.
Zerebrale Krampfanfälle werden mit Diazepam oder Clonazepam behan-
delt. Für die Antidottherapie der leichten HCN-Vergiftung genügt in der Re-
gel die alleinige Gabe von Natriumthiosulfat in einer Dosierung von 100 mg/ 13
kg KG. Bei der Antidottherapie der schweren HCN-Vergiftung hat man prin-
zipiell zu unterscheiden, ob HCN im Rahmen eines Brandereignisses oder bei
einem Unfall ohne Brandbeteiligung freigesetzt wurde.
Bei einer schweren brandrauchbedingten HCN-Vergiftung erfolgt die
Antidottherapie mit Hydroxocobalamin in einer Dosierung von 70 mg/kg KG
bzw. 5 g Hydroxocobalamin für den Erwachsenen. Da bei einem Brandereig-
nis die HCN-Exposition nur schwer zu abzuschätzen ist, eine Differenzierung
zwischen Kohlenmonoxid- und Blausäurevergiftung klinisch nicht möglich
ist und eine einfache HCN-Analytik am Brandort nicht zur Verfügung steht,
muss die Antidottherapie mit Hydroxocobalamin nach rein pragmatischen
Gesichtspunkten erfolgen: Bei einer Rauchvergiftung ist eine Antidotthe-
rapie mit Hydroxocobalamin dann indiziert, wenn der Patient nicht nur
bewusstlos, sondern gleichzeitig auch kreislaufinstabil ist oder wenn sein
Laktatwert im Serum über 10 mmol/l ansteigt. Zu berücksichtigen ist aller-
dings, dass die Puls-CO-Oxymetrie durch das Hydroxocobalamin gestört
sein kann.

Leitfaden Katastrophenmedizin 251


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Bei einer HCN-Intoxikation ohne Brandbeteiligung kommt als Antidot


4-DMAP in einer Dosierung von 3–5 mg/kg KG zur Anwendung, wobei im
Anschluss zusätzlich Natriumthiosulfat in einer Dosierung von 100 mg/kg KG
gegeben werden sollte.

Bitte beachten

4-DMAP darf in den Fällen einer brandrauchbedingten HCN-Vergiftung


nicht eingesetzt werden, da dieses zusammen mit dem im Brandrauch
befindlichen Kohlenmonoxid die Sauerstofftransportkapazität weiter
verschlechtern würde.

13.8.3 Reizgase
Reizgase entstehen bei Brandereignissen und chemischen Reaktionen oder
werden bei Leckagen freigesetzt. In Abhängigkeit von der Wasserlöslichkeit
unterscheiden wir zwischen Reizgasen vom Sofort-Typ und Reizgasen vom
Latenz-Typ. Die Reizgase vom Sofort-Typ zeigen eine relativ gute Wasserlös-
lichkeit und werden deshalb bereits im oberen Respirationstrakt abgefan-
gen, mit dem Ergebnis einer frühzeitigen Symptomatik im Bereich der obe-
ren Atemwege. Reizgase vom Latenz-Typ sind weniger gut wasserlöslich und
können deshalb bei der Inspiration auch die tieferen Abschnitte des Respira-
tionstrakts erreichen. Die Folge ist dann ein mit einer gewissen Verzögerung
13

einsetzender Entzündungsprozess im Bereich der tiefen Atemwege.

13.8.3.1 Reizgase vom Sofort-Typ


Die häufigsten Reizgase vom Sofort-Typ sind Chlorwasserstoff (HCl), Form-
aldehyd, Ammoniak (NH3), Schwefeldioxid (SO2), Fluorwasserstoff (HF) und
Acrolein.

Symptome
Im Bereich der Atemwege führen diese Reizgase zu Reizhusten, Dyspnoe,
Bronchospastik und retrosternalem Druck. Nur bei massiver Exposition
kann es auch zum toxischen Lungenödem kommen. Am Auge verursachen
die Reizgase vom Sofort-Typ Augenbrennen, Tränenfluss und Konjunktivitis.

Therapie
Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren sich auf das Entfernen
der Patienten aus dem toxischen Gefahrenbereich. Anschließend erfolgt
die Gabe von Sauerstoff. Bei Atemwegsobstruktion werden inhalative
β2-Sympathomimetika, bei starkem Husten Antitussiva eingesetzt.

252 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Eine prophylaktische Gabe von inhalativen Glukokortikoiden wird bei


den Reizgasen vom Sofort-Typ nicht empfohlen. Eine intravenöse Appli -
kation von Glukokortikoiden sowie Intubation und Beatmung sind nur in
Ausnahmefällen erforderlich.

13.8.3.2 Reizgase vom Latenz-Typ


Die häufigsten Reizgase vom Latenz-Typ sind nitrose Gase und Phosgen.

Symptome
Nach der Inhalation von Reizgasen vom Latenz-Typ kommt es zunächst nur
zu leichten Beschwerden in Form von Reizhusten und Konjunktivitis, mitun-
ter auch Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Im Anschluss daran kann
sich mit einer Latenz von 3–24 Stunden jedoch auch ein toxisches Lungen-
ödem entwickeln. Nur bei massiver Exposition ist bereits frühzeitig mit ei-
nem toxischen Lungenödem zu rechnen.

Therapie
Auch hier werden die betroffenen Personen zunächst aus dem toxischen
Gefahrenbereich entfernt und mit Sauerstoff versorgt. Alle Personen, die
bereits zu Beginn symptomatisch sind, bedürfen einer stationären Überwa-
chung mit Bettruhe. Die weiteren therapeutischen Maßnahmen orientieren
sich dann am jeweiligen Beschwerdebild der Patienten. Bei einer Atemwegs- 13
obstruktion werden inhalative β2-Sympathomimetika, bei starkem Husten
Antitussiva eingesetzt. Die Prophylaxe eines toxischen Lungenödems mit
inhalativen Glukokortikoiden (Beclometason 400 µg alle 2 Stunden, mindes-
tens 3-mal oder bis zum Abklingen der Beschwerden) wird in ihrem Nutzen
sehr kontrovers diskutiert, zumal die momentane Studienlage hierfür keine
ausreichende Evidenz liefert. Es gibt allerdings einzelne Beobachtungen, die
die Vermutung nahe legen, dass die frühzeitige Applikation von inhalativen
Glukokortikoiden das Auftreten eines toxischen Lungenödems verhindern
kann. Kommt es zum toxischen Lungenödem, so ist die intravenöse Applika-
tion von Glukokortikoiden unumstritten. Außerdem können endotracheale
Intubation und Beatmung angezeigt sein.

13.8.4 Methämoglobinbildende Gifte


Bei Gefahrstoffunfällen mit aromatischen Aminen (Anilin), Nitrobenzol, Nitri-
ten und Chloraten können methämoglobinbildende Gifte freigesetzt werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 253


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Symptome
Met-Hb < 10 % keine
Met-Hb 10–20 % Hautzyanose
Met-Hb 20–30 % Kopfschmerzen, Angstgefühl, Tachykardie
Met-Hb 30–50 % Schwäche, Verwirrtheit, Schläfrigkeit,
Tachypnoe, Tachykardie
Met-Hb 50–70 % Koma, Krämpfe, Arrhythmie, Azidose
Met-Hb > 70 % tödlich

Therapie
Bei einem Met-Hb-Gehalt > 40 % wird Toloniumchlorid (Toluidinblau®) als
Antidot in einer Dosierung von 2–4 mg/kg KG langsam intravenös injiziert.
Bei ausgeprägter Methämoglobinämie und Hämolyse ist der frühzeitige
Blutaustausch erforderlich. Bei Chloratvergiftungen muss frühzeitig Ascor-
binsäure verabreicht werden; Toluidinblau ist in diesen Fällen nicht effektiv.
Die periphere O2-Sättigung mittels Pulsoxymetrie ist nicht verlässlich, wenn
der Met-Hb-Gehalt über 20 % liegt. Für die Met-Hb-Bestimmung sollte Blut
asserviert werden, als Mischung von 1 ml Vollblut mit 9 ml Aqua.

13.8.5 Verätzungen
Verursacht durch Transportunfälle, Produktionsfehler, Sabotageakte und
kontaminierte Getränke.

Symptome
13

Schwere Haut- und Schleimhautschäden, oft Augenverätzungen. Die Inha-


lation von Dämpfen führt zu Reizungen der Atemwege. Laugen verursachen
tiefe Zerstörungen des Gewebes (Kolliquationsnekrosen). Die lokale Ätzwir-
kung organischer Säuren (Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure) ist geringer
als die anorganischer Säuren (Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure). Or-
ganische Säuren können zu Hämolyse und Nierenschäden führen. Flusssäure
(Fluorwasserstoffsäure) verursacht tiefe Nekrosen mit starken Schmerzen.

Therapie
Sofort benetzte Kleidung entfernen und kontaminierte Haut unter fließen-
dem Wasser spülen oder duschen. Bei Kontamination mit Flusssäure Haut-
reinigung mit Polyethylenglykol 400 (Lutrol® 400) und anschließende Lokal-
behandlung mit Kalziumglukonat. Bei Augenverätzungen ist eine sofortige
Spülung erforderlich. Feste Bestandteile und Schmutzpartikel können durch
Ektropionieren des Oberlides entfernt werden.

254 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Bei einer Augenverätzung mit Zement oder ungelöschtem Kalk dürfen die
Augen nicht mit Wasser gespült werden, da hierbei die Ätzwirkung durch
das dabei entstehende Kalziumhydroxid nur noch verstärkt wird. In diesen
Fällen werden eine mechanische Reinigung der Augen sowie eine wasser-
freie Spülung der Bindehaut mit Speiseöl, z. B. Oliven- oder Sonnenblu-
menöl empfohlen. Anschließend augenärztliche Weiterbehandlung.

13.8.6 Organische Lösemittel


Organische Lösemittel werden bei Transportunfällen, bei Leckagen in Raffi-
nerien, in chemischen Reinigungen sowie in der chemischen Industrie frei-
gesetzt. Es handelt sich dabei um aliphatische (z. B. Benzin, Petroleum, Die-
selöl) und aromatische Kohlenwasserstoffe (z. B. Benzol, Toluol, Xylol) sowie
um halogenierte Kohlenwasserstoffe (z. B. Trichlorethylen, Tetrachlorethy-
len, Tetrachlorkohlenstoff).

Symptome
Haut- und Schleimhautreizung mit Erythem und Blasenbildung, Kopf-
schmerzen, Schwindel, Benommenheit, Rauschzustand, Koma, zerebrale
Krampfanfälle.

Therapie 13
Die Patienten aus dem Gefahrenbereich entfernen und bei Kontamination
entkleiden. Haut mit Wasser, Seife und ggf. mit Polyethylenglykol (z .B. Lut-
rol® 400) abwaschen. Nach Inhalation organischer Lösemittel Sauerstoff
verabreichen.

Bitte beachten

Nach oraler Giftaufnahme kein Erbrechen auslösen – Aspirationsgefahr!

13.8.7 Schwefelwasserstoff (H2S)


Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 10 ppm
Einsatztoleranzwert (ETW): 30 ppm

Leitfaden Katastrophenmedizin 255


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

H2S ist ein farbloses Gas von typischem Geruch nach faulen Eiern; Geruchs-
schwelle: 0,007–0,2 mg/m3 (1 mg/m3 = 0,71 ppm). Es entsteht bei der Verwe-
sung organischen Materials, z. B. als Jauchegas in der Landwirtschaft, als
Kloakengas in der Kanalisation oder als Biogas in Biogasanlagen. Weitere
Vorkommen sind in Papierfabriken, Kohlebergwerken, Schwefelminen,
Gerbereien, Zuckerrübenfabriken, Flachsröstereien, Petroleumraffinerien
sowie bei Vulkanausbrüchen.
H2S wird über die Atemwege rasch resorbiert, führt zu einer Hemmung der
Cytochromoxidase und hat aufgrund seiner Lipophilie einen direkten neuroto-
xischen Effekt sowie eine verzögerte Reizwirkung auf die Lunge (Latenz-Typ).

Wirkung
> 100 ppm: Ausschaltung des N. olfactorius, womit der typische Geruch
als Warnhinweis entfällt
> 300 ppm: starke Reizwirkung
> 600 ppm: zerebrale Krampfanfälle und Koma
> 1000 ppm: rascher Exitus

Symptome
Leichte Vergiftungen führen zu Konjunktivitis, Hustenreiz, Dyspnoe, Kopf-
schmerzen und Schwindel. Schwere Vergiftungen führen zu zerebralen
Krampfanfällen, Koma, Atemdepression, Hypotonie, Schock und toxischem
Lungenödem. In der Aufwachphase können die Patienten stark agitiert sein.

Therapie
13

Entfernen der Patienten aus dem Gefahrenbereich (Atemschutz erforderlich);


frühzeitige Gabe von Sauerstoff, ggf. Intubation und Beatmung mit einer
FiO2 von 1,0. In der Frühphase Antidottherapie mit 4-DMAP; bei bewusstlosen
Patienten hyperbare Sauerstofftherapie; eventuell Lungenödemprophylaxe
mit inhalatorischen Glukokortikoiden (Beclometason 400 µg alle 2 Stunden,
mindestens 3-mal oder bis zum Abklingen der Beschwerden), wobei deren
Effizienz allerdings umstritten ist; bei toxischem Lungenödem Glukokorti-
koide i. v.; in der Aufwachphase Sedierung mit Benzodiazepinen.

13.8.8 Arsenwasserstoff (Arsin, ASH3)


Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 0,05 ppm
Einsatztoleranzwert (ETW): nicht definiert

Arsenwasserstoff wird als Dotiergas bei der Mikrochip-Herstellung verwen-


det (wird in Gasflaschen angeliefert) und kommt in der metallverarbeiten-
den Industrie sowie beim Entsorgen von arsenhaltigem Klärschlamm vor.
Die Geruchsschwelle liegt bei 0,5 ppm (Geruch nach Knoblauch).

256 Leitfaden Katastrophenmedizin


Toxizität: Arsenwasserstoff wirkt ab 3,0 ppm toxisch, ab 250 ppm (nach 30 -
minütiger Exposition) potenziell letal und ab 1 150 ppm rasch tödlich. Arsen-
wasserstoff führt zur Hämolyse und infolge dessen zum Nierenversagen.

Symptome
Symptomfreies Intervall von einigen Stunden; danach Prodromalstadium
mit starkem Krankheitsgefühl, Fieber Schwindel, Kopfschmerzen, starken
Rückenschmerzen und gastrointestinalen Beschwerden mit Übelkeit, Er-
brechen abdominellen Schmerzen und Diarrhoe. Im Anschluss daran typi-
sches Vergiftungsbild mit Hämoglobinurie (roter bis dunkelbrauner Urin),
abdominellen Koliken, Ikterus, Anämie, Nierenversagen, hirnorganischem
Psychosyndrom und Polyneuropathie.

Therapie
Entfernen der Patienten aus dem Gefahrenbereich (Atemschutz erforder-
lich); frühzeitige Gabe von Sauerstoff, ggf. Beatmung, Blutaustauschtrans-
fusionen und Hämodialyse. Chelatbildner sind wirkungslos.

13.8.9 Phosphorwasserstoff (Phosphin, PH3)


Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 0,1 ppm
Einsatztoleranzwert (ETW): 0,5 ppm

Phosphorwasserstoff wird durch Feuchtigkeitseinwirkung aus Metallphosphi-


den (Aluminium-, Kalzium-, Zinkphosphid) freigesetzt. Außerdem entsteht er bei
der Ungeziefervernichtung in Getreidesilos sowie beim autogenen Schweißen. 13
Es handelt sich um ein sehr giftiges Gas mit einem karbid- oder knoblauchartigen
Geruch (gute Warnwirkung). Die toxische Wirkung beruht auf einer Blockade
der zellulären Atmung und betrifft in erster Linie das zentrale Nervensystem.

Symptome
Nach Inhalation oder Verschlucken phosphinbildender Präparate kommt
es zunächst zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Somnolenz. Bei
schweren Vergiftungen werden Koma, zerebrale Krampfanfälle, Lungen-
ödem und eine Methämoglobinämie beobachtet.

Therapie
Rettung der Betroffenen aus dem Gefahrenbereich (Atemschutz erforderlich)
und Stabilisieren der Vitalparameter. Nach Giftinhalation besteht die Thera-
pie in der Gabe von Sauerstoff und inhalativen Glukokortikoiden (Effizienz
nicht gesichert). Nach oraler Giftaufnahme wird der Magen gespült und Ak-
tivkohle verabreicht. Bei Methämoglobinämie Antidottherapie mit Toluidin-
blau (Dosierung 2–4 mg/kg KG).

Leitfaden Katastrophenmedizin 257


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

13.8.10 Organophosphate, Nervenkampfstoffe


(Sarin, Soman, Tabun, VX)
Alkylphosphate werden weltweit vor allem als Insektizide eingesetzt, wobei
Ethyl-Parathion (E-605®), Oxydemeton-Methyl (Metasystox R®) und Dimetho-
at (Roxion®) die bekanntesten Präparate sind. Massenvergiftungen können
bei Unfällen während des Herstellungsprozesses oder bei unsachgemäßer
Anwendung auftreten. Außerdem haben Organophosphate auch als Ner-
venkampfstoffe großes Interesse gefunden und allein deren Existenz stellt
für die Bevölkerung ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Die Wirkstoffe
können inhalatorisch, dermal und oral aufgenommen werden. Die Wirkung
der Organophosphate beruht auf einer Hemmung der Acetylcholinesterase
(AChE), wodurch es im Bereich der Synapsen des autonomen und zentralen
Nervensystems sowie im Bereich der motorischen Endplatte zu einem Über-
schuss von Acetylcholin kommt. Als Folge davon entwickeln sich bei einer
Organophosphatvergiftung muskarinartige, nikotinartige und zentralner-
vöse Vergiftungssymptome.

Symptome
Die muskarinartigen Symptome sind Miosis, Bradykardie, Bronchorrhoe, Hy-
persalivation, Erbrechen und Diarrhoe. Zu den nikotinartigen Symptomen
gehören Mydriasis, Tachykardie, Hypertonie, Muskelfaszikulieren, Muskel-
krämpfe sowie Lähmung der Muskulatur. Die zentralnervösen Vergiftungs-
symptome äußern sich zunächst in Form von Verwirrtheit, Agitiertheit und
zerebralen Krampfanfällen und gehen schließlich in ein tiefes Koma über.
13

Bitte beachten

Durch den Augenkontakt mit dem gifthaltigen Aerosol kann es, wie in
Japan geschehen (U-Bahn Anschlag Tokio 1995), zur Ausbildung einer
Miosis mit stärksten Kopfschmerzen kommen, ohne dass eine systemi-
sche Giftwirkung vorliegt.

Therapie
Bei einer Exposition gegenüber Nervenkampstoffen werden die Patienten zu-
nächst aus dem Gefahrenbereich entfernt, wobei für das Rettungspersonal
Chemikalienschutzanzug und umluftunabhängiger Atemschutz erforderlich
sind.

258 Leitfaden Katastrophenmedizin


Praxis-Tipp

Für die Patientenversorgung nach oraler Aufnahme von Organophos -


phaten genügt als Schutzmaßnahme das Tragen von Handschuhen.

Im Rahmen der Primärversorgung konzentrieren sich alle Behandlungs-


maßnahmen zunächst auf das Stabilisieren der Vitalparameter. Der Patient
wird ggf. intubiert, endotracheal abgesaugt und beatmet. Zerebrale Krampf-
anfälle werden mit Benzodiazepinen, z. B. Diazepam, behandelt.
Eine ausreichende Stabilisierung der Kreislaufsituation ist in der Regel mit
Flüssigkeitssubstitution und Katecholaminen allein nicht möglich und kann
nur mit einer Antidottherapie in Form von hoch dosiertem Atropin erreicht
werden. Atropin antagonisiert die muskarinartige Giftwirkung. Als Startdo -
sis erhält der erwachsene Patient zunächst 2–5 mg Atropin i. v. als Bolus (Kin-
der 0,02 mg/kg KG). Anschließend wird diese Bolusgabe solange wiederholt,
bis stabile Kreislaufverhältnisse erreicht sind. Dabei kann beim Erwachsenen
durchaus eine Atropin-Gesamtdosis von 20–50 mg erforderlich sein. Danach
erhält der Patient eine Dauerinfusion mit einer symptomorientierten Dosis
von 1–2 mg Atropin/h. Diese hohe Atropindosierung gilt insbesondere für die
schwere, lebensbedrohliche Organophosphatvergiftung nach oraler Gift-
aufnahme. Nach der Exposition gegenüber Nervenkampfstoffen sind bereits
niedrigere Dosen (1–2 mg Atropin) ausreichend.
Anschließend kann diese lebensrettende Antidottherapie mit Atropin durch
eine zweite spezifische Therapie, die Oxim-Therapie, ergänzt werden. Bei 13
den Oximen handelt es sich um ein kausal wirkendes Antidot, das die ge-
hemmte AChE wieder reaktiviert soll. Eine Reaktivierung ist aber nur mög-
lich, solange die AChE noch nicht irreversibel gehemmt ist. Dieser auch als
„Alterung“ bezeichnete Prozess läuft in Abhängigkeit von der chemischen
Struktur des Organophosphats unterschiedlich schnell ab. Die Halbwertszeit
dieser „Alterung“ beträgt bei dem Kampfstoff Soman einige Minuten, beim
Metasystox R® mehrere Stunden und beim Parathion mehrere Tage.

Bitte beachten

Entscheidend für den Therapieerfolg ist deshalb, dass die Oxim-Therapie


möglichst frühzeitig begonnen wird. Der Erwachsene bekommt dabei
zunächst einen Bolus von 250 mg Obidoxim (Toxogonin®) i. v., gefolgt
von einer Dauerinfusion von 750 mg Obidoxim/24 h.

Leitfaden Katastrophenmedizin 259


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

Nach dem Stabilisieren der Vitalparameter wird das Gift entfernt bzw. der
Patient dekontaminiert. Dabei sollte kontaminierte Kleidung entfernt und
die Haut mit Wasser reichlich gespült werden. Sofern die orale Giftaufnah-
me nicht länger als 1 Stunde zurückliegt, sind eine Magenspülung und die
anschließende repetitive Gabe von Aktivkohle indiziert. Weitere sekundäre
Gifteliminationsverfahren wie Hämodialyse und Hämoperfusion können
wegen uneinheitlicher Datenlage zurzeit nicht empfohlen werden.

13.8.11 S-Lost (Synonyme: Senfgas, Mustardgas,


Gelbkreuz, Yperit)
Schwerwiegende Massenvergiftungen sind v. a. beim willentlichen Einsatz
dieser Substanz als Kampfstoff zu erwarten. Da bei uns aber noch große
Mengen S-Lost aus den letzten Weltkriegen lagern, muss auch mit Arbeits-
unfällen bzw. Unfällen beim zufälligen Auffinden von Munition gerechnet
werden. Auch Ostseefischer sind gefährdet, da S-Lost-haltige Munition in der
Ostsee versenkt wurde.

Symptome
Nach einem symptomlosen Intervall von 30 Minuten bis 3 Stunden zunächst
schwere Haut- und Schleimhauttoxizität, gefolgt von Lungentoxizität mit
ausgeprägter Schleimhautschädigung. Systemische Wirkungen treten auf-
grund einer Störung der Mitose auf. Es kommt zu einer schweren Beeinträch-
tigung der Blutbildung, vorwiegend der Leuko- und Thrombozytopoese. Bei
oraler Aufnahme toxische Schädigung der Schleimhaut des Gastrointesti-
13

naltraktes mit blutigen Durchfällen.

Wirkung auf der Haut


Bereits ein Tropfen, der 10 µg S-Lost enthält, führt mit einer Latenzzeit von 0,5 bis
3 Stunden zur Hautrötung mit nachfolgender Blasenbildung. Später platzen die
Blasen und hinterlassen eiternde Ulzerationen. Bei einer Ausdehnung von mehr
als 25 % der Körperoberfläche ist mit einem tödlichen Ausgang zu rechnen.

Wirkung auf das Auge


Am besten lässt sich das Ausmaß der Exposition als Produkt von Giftkonzentra-
tion und Expositionszeit beschreiben. Ab einer Exposition von 10 mg/m3 × min
treten die Wirkungen am Auge auf (Sidell et al. 1997). Nach kurzer Latenz
kommt es zu Tränenfluss, Lichtscheu, Reizerscheinungen, Blepharospasmus
mit nachfolgender eitriger Keratokonjunktivitis.

Wirkung auf den Respirationstrakt


Ab einer Exposition von > 200 mg/m3 × min kommt es zur toxischen Wirkung
auf den Respirationstrakt (Sidell et al. 1997). Die ersten Symptome sind katarrha-

260 Leitfaden Katastrophenmedizin


lische Beschwerden, Trockenheit im Hals, Hustenreiz, Heiserkeit bis Aphonie;
im späteren Verlauf eitrige Bronchitis und herdförmige Bronchopneumonie.
Es kommt zur Bildung von Pseudomembranen in den großen Bronchien, die zu
Atemnot und Erstickung infolge Verlegung der Atemwege führen können.

Therapie
Sorgfältige Dekontamination bei optimalem Selbstschutz (Schutzanzug,
Schutzhandschuhe, Schutzstiefel, Atemschutzmaske). S-Lost sollte zunächst
mit einem saugenden Material, wie z. B. Zellstoff, abgetupft werden. An-
schließend sollte mit kaltem Wasser gespült werden. Zur Dekontamination
wird auch Tosylchloramid-Lösung eingesetzt. Falls es frühzeitig zur An-
wendung kommt, führt Tosylchloramid auf der Haut zu einer Oxidation von
S-Lost und macht es dadurch unschädlich. Tosylchloramid-Lösung 10 % wird
zum lokalen Abtupfen von Lostspritzern verwandt. Tosylchloramid-Lösung
0,2 % wird zur großflächigen Anwendung, Hautwaschung und für feuchte
Umschläge eingesetzt. Natriumthiosulfat in einer Dosis von 500 mg/kg KG
i. v. kann, wenn innerhalb von 20 Minuten eingesetzt, die systemische S-Lost-
wirkung aufheben. Die Wundbehandlung erfolgt wie bei Verbrennungen,
die Augenbehandlung wie bei Verätzungen (Sidell et al. 1997). Zur weiteren
symptomatischen Therapie gehören u. a. Analgetika, Antibiotika und Muko -
lytika. Der Einsatz von Steroiden ist umstritten. Bei einer schweren pulmona-
len Symptomatik ist eine frühzeitige Tracheotomie anzustreben.

13.8.12 Lebensmittelvergiftung
Im Gegensatz zu den infektiösen Durchfallerkrankungen, die z. T. auch über 13
Lebensmittel übertragen werden, handelt es sich bei der klassischen Lebens-
mittelvergiftung um die Ingestion von Enterotoxinen, die von verschie-
denen Bakterien in verdorbenen Lebensmitteln und damit außerhalb des
Körpers gebildet werden (Staphylococcus aureus, Bacillus cereus, Clostridium
perfringens, Clostridium botulinum). Die häufigste Lebensmittelvergiftung ist
durch Staphylokokken-Enterotoxin verursacht.

Symptome
Staphylokokken-Enterotoxin: Latenzzeit 2–4 Std.; typisch sind Durchfälle mit
gleichzeitigem Erbrechen ohne Fieber.
Salmonellen-Infektion: Inkubationszeit 8–72 Std.; Übelkeit, Erbrechen, kolik-
artige Bauchschmerzen, Durchfall, häufig Fieber bis 39 °C.

Therapie
Gabe von Kohle, Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution, Antiemetika. Anti-
biotika sind bei der klassischen Lebensmittelvergiftung nicht erforderlich.
Meldepflicht beachten!

Leitfaden Katastrophenmedizin 261


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

13.8.13 Botulismus
Lebensmittelvergiftung durch das Toxin von Clostridium botulinum, einem
anaeroben Sporenbildner, der ubiquitär vorkommt. Werden Konserven
oder geräuchertes Fleisch nicht ausreichend erhitzt, so kann es zu einer Ver-
giftung mit Botulinumtoxin kommen. Bei einer Temperatur von 90 °C über
mindestens 10 Minuten wird das thermolabile Toxin zerstört. Acht unter-
schiedliche Neurotoxine mit der Typenbezeichnung A, B, C1, C2, D, E, F, G sind
bekannt. Menschliche Erkrankungsfälle beschränken sich auf die Typen A, B
oder E. Die Giftwirkung der Botulinumtoxine beruht auf einer Hemmung der
präsynaptischen Acetylcholin-Ausschüttung im Bereich der motorischen
Endplatte. Das Botulinumtoxin ist eines der stärksten Gifte, das wir kennen.
Die tödliche Dosis liegt im Bereich von 1 µg/kg KG. Eine Anwendung zu Sabo -
tagezwecken erscheint möglich, da es auch zum bakteriologischen Kampf-
stoff weiterentwickelt wurde.

Symptome
Der Botulismus zeigt einen typischen phasenhaften Verlauf:
1. Phase der beschwerdefreien Latenz (12–36 Stunden)
2. Phase der gastrointestinalen Symptomatik mit Übelkeit, Erbrechen und
Durchfall
3. Phase der neurologischen Symptomatik mit primärem Befall der Hirnnerven
(frühestens 24 Stunden nach der Giftaufnahme):
ƒ N. oculomotorius (III. Hirnnerv): Ptosis, Mydriasis, Akkommodations-
störungen
13

ƒ N. abducens (VI. Hirnnerv): Strabismus convergens mit Doppelbildern


ƒ N. glossopharyngeus (IX. Hirnnerv): Schluckstörungen, Mundtrockenheit
ƒ N. vagus (X. Hirnnerv): Heiserkeit, Regurgitation von Flüssigkeit aus der
Nase
ƒ N. hypoglossus (XII. Hirnnerv): Artikulationsstörungen
Außerdem: Obstipation, Hypotonie, Tachykardie und generalisierte Muskel-
schwäche mit Areflexie und Lähmung der Atemmuskulatur. Das Bewusst-
sein bleibt ungetrübt. Schluckstörungen können zur Aspiration führen.

Therapie
Es steht ein polyvalentes Antitoxin für die Typen A, B, E zur Verfügung, das
allerdings nur bei sehr frühem Einsatz gut wirksam ist. Das Antitoxin wird in
einer Dosis von 500 ml verabreicht, wobei Erwachsene und Kinder die glei-
che Dosis erhalten. Je nach klinischem Bild können nach 4–6 Stunden weitere
250 ml Antitoxin gegeben werden.

262 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bitte beachten

Beim Auftreten von Symptomen ist das Toxin in der Regel bereits an den
Nervenendigungen fixiert, sodass es durch das Immunserum nicht mehr
neutralisiert werden kann.

Die weitere Therapie besteht in symptomatischen Maßnahmen wie paren-


teraler oder Sondenernährung, Aspirations- und Infektionsprophylaxe so-
wie, falls notwendig, kontrollierter Beatmung. Zur Behandlung der Magen-
Darm-Atonie sollte eine Magensonde gelegt werden; eine medikamentöse
Behandlung mit Metoclopramid oder Cholinesterasehemmstoffen wie z. B.
Distigminbromid kann versucht werden, verbessert die Magen-Darm-Atonie
allerdings häufig nur geringfügig.

13.8.14 Ricin
Ricin oder Rizin ist ein Glykoprotein, das in Samen der Rizinuspflanze
(Ricinus communis) mit einem Gewichtsanteil von 1–5 % vorkommt. Da Ri-
zinussamen weltweit verfügbar sind und ihr Toxin über eine hochpotente
Giftwirkung verfügt, gilt es als mögliches Agens für bioterroristische An-
schlagsszenarien. Für Massenvergiftungen spielt die inhalatorische Auf-
nahme als Aerosol wahrscheinlich die größte Rolle. Die letale Dosis liegt bei
5–10 µg/kg KG.
13
Symptome
Nach inhalativer Aufnahme verursacht das Toxin eine alveoläre Endothel-
schädigung, die mit einer Latenz von 8–24 Stunden zu einem toxischen Lun-
genödem führen kann. Systemisch kommt es zu einem „vascular leak syn-
drome“, das rasch in ein Multiorganversagen übergehen kann.

Therapie
Die betroffenen Personen werden zunächst aus dem Gefahrenbereich ent-
fernt und mit Sauerstoff versorgt. Bei einer Atemwegsobstruktion werden in-
halative β2-Sympathomimetika, bei starkem Husten Antitussiva eingesetzt.
Die Prophylaxe eines toxischen Lungenödems mit inhalativen Glukokortiko-
iden (Beclometason 400 µg alle 2 Stunden, mindestens 3-mal oder bis zum Ab-
klingen der Beschwerden) wird in ihrem Nutzen sehr kontrovers diskutiert,
zumal die momentane Studienlage keine ausreichende Evidenz liefert. Es gibt
allerdings einzelne Beobachtungen, die die Vermutung nahe legen, dass die
frühzeitige Applikation von inhalativen Glukokortikoiden das Auftreten eines
toxischen Lungenödems verhindern kann. Kommt es zum toxischen Lungen-

Leitfaden Katastrophenmedizin 263


Schädigende Agenzien
Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen

ödem, so ist die intravenöse Applikation von Glukokortikoiden unumstritten.


Außerdem können endotracheale Intubation und Beatmung angezeigt sein.

Literatur

Brent J, Wallace K, Burkhart K, Phillips S, Donovan J. Critical Care Toxicology.


Amsterdam: Elsevier; 2005.

Buff K, Greim H. Abschätzung der gesundheitlichen Folgen von Großbrän-


den. Bonn: Bundesamt für Zivilschutz; 1997. (Bundesamt für Zivilschutz,
Hrsg. Zivilschutz-Forschung. Schriftenreihe der Schutzkommission beim
Bundesminister des Inneren, Band 25.)

Domres B, Manger A, Brockmann S, Wenke R. Aufbau und Ablauf der Dekon-


tamination und Notfallversorgung Verletzter bei Zwischenfällen mit chemi-
schen Gefahrstoffen. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kata-
strophenhilfe (BBK); 2005. (BBK, Hrsg. Zivilschutz-Forschung. Schriftenreihe
der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren, Band 56.)

Ellenhorn MJ. Ellenhorn’s Medical Toxicology: Diagnosis and Treatment of


Human Poisoning. 2nd ed. Baltimore: Williams & Wilkins; 1997.

Ford MD, Delaney KA, Ling LJ, Erickson T. Clinical Toxicology. 1st ed. Philadel-
phia, PA: W. B. Saunders Company; 2001.
13

Goldfrank LR, Flomenbaum NE, Howland MA, Hoffman RS, Weisman R.


Goldfrank’s Toxicologic Emergencies. 8th ed. New York: The McGraw-Hill
Companies, Inc; 2006.

Jaeger A, Vale A. Intoxications aigues. Paris: Elsevier; 1999.

Marquardt H, Schäfer SG. Lehrbuch der Toxikologie. 2. Aufl. Stuttgart: Wis-


senschaftliche Verlagsgesellschaft; 2004.

Matz G, Schillings A, Rechenbach P. Task Force für die Schnellanalytik bei gro-
ßen Chemieunfällen und Bränden. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK); 2003. (BBK, Hrsg. Zivilschutz-Forschung. Schrif-
tenreihe der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren, Band 49.)

Mühlendahl KE von, Oberdisse U, Bunjes R, Brockstedt M. Vergiftungen im


Kindesalter. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2003.

264 Leitfaden Katastrophenmedizin


Organisation for Economic Co-Operation and Development. Health Aspects
of Chemical Accidents. Guidance on Chemical Accident Awareness, Pre-
paredness and Response for Health Professionals and Emergency Responders.
Environment Monograph No. 81. Paris: IPCS, OECD, UNEP, WHO; 1994.

Persson HE, Sjöberg GK, Haines JA, Pronczuk de Garbino J. Poison Severity
Score. Grading of Acute Poisoning. J Toxicol Clin Toxicol 1998; 36 (3): 205–213.

Roth L. Chemie-Brände und Vorsorgemaßnahmen. Landsberg/Lech: ecomed;


1989.

Sidell FR, Takafuji ET, Franz DR, eds. Medical Aspects of Chemical and Biological
Warfare. Washington, DC: Borden Institute, Walter Reed Army Medical Center;
Falls Church: Office of the Surgeon General, United States Army; Fort Sam Hou-
ston, Tex: United States Army Medical Department Center and School; Fort De-
trick, Frederick, Md: United States Army Medical Research and Material Com-
mand; Bethesda, Md: Uniformed Services University of Health Sciences; 1997.

Zilker T, Hrsg. Klinische Toxikologie für die Notfall- und Intensivmedizin.


Bremen: UNI-MED Science; 2008.

13

Leitfaden Katastrophenmedizin 265


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

14
Großschadenslagen durch
biologische Agenzien
B. D. Domres, E.-J. Finke, A. Kekulé

14.1 Besonderheiten biologischer


Gefahrenlagen
Gerade bei Großschadensereignissen nehmen Helfer und Betroffene insbe-
sondere eine mögliche Bedrohung durch absichtlich freigesetzte Krank-
heitserreger und Toxine (= biologische Agenzien) als besonders gefährlich und
unheimlich wahr. Biologische Agenzien (B-Agenzien) sind mit den Sinnen
nicht wahrnehmbar, bisher existieren auch keine zuverlässigen Schnelltests
zu ihrer sofortigen Erkennung. Die klinische Symptomatik lässt anfangs kei-
ne sichere Unterscheidung zu, ob es sich um einen harmlosen oder gefährli-
chen Erreger handelt.

Die Beurteilung der Gefahrensituation und Entscheidung bezüglich der Erst-


maßnahmen müssen deshalb aufgrund indirekter Hinweise auf den oder
die infrage kommenden Erreger und Toxine erfolgen. Aufgrund der Gefahr
einer epidemischen Ausbreitung bei einer Verbreitung bestimmter über-
tragbarer Krankheiten ist die Früherkennung entscheidend. Anhaltspunkte
14

für eine entstehende biologische Gefahrenlage können sein:


ƒ Zeitlich und/oder örtlich gehäuftes Auftreten von Erkrankten mit Sympto -
men, die möglicherweise durch biologische Agenzien verursacht sind
ƒ Hinweise auf eine versehentliche Freisetzung von Krankheitserregern (z. B.
Laborunfall) oder einen gezielten Anschlag mit biologischen Agenzien
ƒ Auftreten neuer bzw. in der Region unbekannter, potenziell gefährlicher
Infektionskrankheiten (z. B. SARS1, hämorrhagisches Fieber)
ƒ Auftreten epidemiologischer Rahmenbedingungen, welche die Ausbrei-
tung von Infektionskrankheiten begünstigen, z. B. Erdbeben, Tsunamis,
Hochwasser, Kriege

1 Schweres akutes respiratorisches Syndrom (severe acute respiratory syndrome).

266 Leitfaden Katastrophenmedizin


14.1.1 Systematische Einordnung
Für das Management natürlicher oder artifizieller biologischer Großscha-
densereignisse ist die Kenntnis der epidemiologisch-ökologischen Aus-
gangslage sinnvoll. Danach ist generell zwischen einer Normalsituation und
einer Katastrophensituation infolge von Naturereignissen (Erdbeben, Über-
schwemmungen) und sogenannten Man-made-Katastrophen (Explosionen,
Bränden, Kriegen) zu unterscheiden (Weigend et al. 1984, S. 148–149). In bei-
den Grundsituationen sind Seuchengeschehen möglich, die katastrophen-
medizinisch relevant werden können.

a) Epidemien in der Normalsituation


(weitgehend intakte Ökosysteme, Infrastruktur und Hygienebarrieren;
bekanntes, biotopspezifisches, einheimisches Erregerspektrum)

Mögliche epidemiefördernde Faktoren sind:


ƒ Natürliche Verbreitung: plötzliches Auftauchen neuer und wieder auftre-
tender Infektionskrankheiten, wie z. B. SARS, Pest, pandemische Influenza A,
Q-Fieber
ƒ Einschleppung von Infektionskrankheiten über den Reiseverkehr, z. B.
Lassafieber
ƒ Versehentliche Freisetzung potenzieller biologischer Agenzien, z. B. Labor-
unfall
ƒ Erhöhte Exposition gegen einheimische Erreger infolge eines kurzfristi-
gen Ausfalls der Hygienebarrieren, z. B. nach Havarien in der Abwasser-
entsorgung und Trinkwasseraufbereitung sowie -verteilung oder durch
Defizite in der Lebensmittel- und Küchenhygiene
14

ƒ Absichtliche Freisetzung durch gezielten Einsatz biologischer Agenzien


(Sabotage, Diversion, Kriminalität, Terroristen, biologische Kriegführung)

b) Epidemien in der Katastrophensituation


(weiträumig zerstörte Ökosysteme, Infrastruktur und Hygienebarrieren;
erweitertes atypisches Erregerspektrum)

Mögliche epidemiefördernde Faktoren, zusätzlich zu den unter „Normalsi-


tuation“ genannten, sind:
ƒ Erhöhte Exposition gegen neu oder wieder auftretende Krankheitserre-
ger aufgrund der Aktivierung bestehender und Etablierung neuer Natur-
herde, z. B. Pest nach Erdbeben oder Malaria nach Überschwemmungs-
katastrophen
ƒ Erhöhte Exposition gegen endemische Krankheitserreger, z. B. nach Erd-
beben mit Zerstörung der Wasserversorgung, Defizite in der Trinkwasser-
und Lebensmittelhygiene

Leitfaden Katastrophenmedizin 267


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

ƒ Erhöhte Infektanfälligkeit und Kontaktrate, z. B. durch Ballung und Pfer-


chung großer Menschengruppen in Flüchtlingslagern, Migration, Unter-
kühlung, Mangel- und Fehlernährung, physischen und psychischen Stress
ƒ Verhaltens- und sozial bedingte erhöhte Exposition aufgrund von Hygiene-
defiziten
ƒ Mängel in der medizinischen Versorgung, z. B. Defizite in Routineimpfun-
gen und damit ungenügende kollektive Immunität (z. B. gegen Masern),
Fehlen von medizinischem Personal, Transport- und Behandlungseinrich-
tungen sowie Arzneimitteln

14.1.1.1 Epidemien in der Normalsituation

Natürliche und versehentliche Ausbreitung


Für vorhersehbare natürliche Katastrophen und Pandemien sind ggf. schon
vorhandene Alarmpläne anzuwenden. Ein Beispiel ist die pandemische
Influenza A, für deren Bekämpfung umfangreiche Pandemiepläne auf den
Ebenen Bund, Länder und Kommunen existieren.
Schwieriger ist das Management, wenn sich ein nicht vorhergesehenes In-
fektionsgeschehen zu einer Katastrophe entwickelt. Die Spanische Grippe
von 1918/19 ist hierfür ein historisches Beispiel. In der neueren Zeit wurden
vorübergehend Katastrophenzustände durch das erneute Auftreten der Pest
in Indien 1994 verursacht. Auch die SARS-Epidemie von 2003 nahm in Hong-
kong und Toronto zeitweise katastrophenartige Ausmaße an.

Absichtliche Freisetzung
Besonders schwierig einzuschätzen ist das Erregerspektrum nach absicht-
licher Freisetzung, etwa bei einem biologischen Anschlag. Es ist davon aus-
14

zugehen, dass ein verdeckter Anschlag erst als solcher erkannt wird, wenn
bereits eine größere Zahl von Personen erkrankt ist. Denkbar ist auch die
gleichzeitige Ausbringung einer oder verschiedener Erregerarten an meh-
reren Orten bzw. auf mehreren Übertragungswegen (z. B. Luft, Trinkwasser,
Lebensmittel, Vektoren).

Bitte beachten

Da in solchen Fällen nicht nur das einheimische Erregerspektrum, sondern


auch ekdemische („exotische“) Erreger lebensbedrohender bzw. hoch an-
steckender Infektionskrankheiten oder hoch giftige Biotoxine eingesetzt
werden könnten, verlangt dieses Szenarium ein besonderes Herangehen.

268 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bei der Untersuchung einer möglichen absichtlichen Freisetzung sind ver-
schiedene Übertragungswege in Betracht zu ziehen. Infrage kommen:
ƒ Aerogene Übertragung durch Inhalation von kontaminierter Luft (Staub,
Aerosole)
ƒ Orale Übertragung, z. B. über kontaminierte Lebensmitteln oder Trink-
wasser
ƒ Übertragung durch direkten Kontakt über die Schleimhäute und verletzte
Haut
ƒ Transmissive Übertragung durch infizierte Vektoren (z. B. Stechmücken,
Flöhe, Läuse)

Biologische Agenzien sind mit den Sinnen nicht wahrnehmbar. Zwar sind
Realzeitnachweise mit größtem technischem Aufwand für einige Erreger
möglich, zuverlässige Verfahren für die Schnelldetektion vor Ort existieren
bisher jedoch nicht. Wenn der Anschlag (bzw. die Ausbringung des Agens)
nicht als solcher bemerkt wird, würde dieser voraussichtlich erst später
durch einen ungewöhnlichen Krankheitsausbruch oder ein außerge-
wöhnliches Seuchengeschehen (ASG) entdeckt werden.
Ein ASG ist durch plötzliches gehäuftes Auftreten von Erkrankungs- und
Todesfällen bei Mensch und Tier charakterisiert. Diese zeichnen sich durch
ungewöhnliche mikrobiologische, pathogenetische, klinische und epide-
miologische Merkmale aus und weichen von der Norm (u. a. geographische,
saisonale und demographische Verteilung) der jeweiligen natürlich auftre-
tenden Krankheit ab. Die rechtzeitige Erkennung und Verifizierung einer ab-
sichtlich verursachten biologischen Gefahrenlage kann sehr schwierig sein:
Die meisten Krankheiten, die durch mögliche B-Agenzien ausgelöst werden,
ähneln klinisch den natürlich verursachten. Die Lage wäre noch komplizier-
14

ter, wenn ein Erreger freigesetzt würde, der in Deutschland oder Mitteleuro-
pa endemisch ist.

Erschwerend für die Differenzialdiagnostik in der Sichtungsphase ist, dass


es fast keine typischen pathognomonischen Leit- oder Frühsymptome gibt.
Unabhängig davon, ob es sich um eine natürliche, zufällige oder absichtliche
Exposition handelt, beginnen viele Infektionskrankheiten mit einer „Influ-
enza-like Illness“ (ILI), d. h. mit rasch einsetzendem Fieber, Krankheitsgefühl,
Hals-, Kopf-, Glieder- oder Muskelschmerzen sowie Husten und anderen re-
spiratorischen Symptomen. Gelegentlich kommen auch Übelkeit, Durchfall,
Erbrechen oder flüchtige En- und Exantheme dazu.

Im Falle bakterieller Zoonose-Erreger, die als biologische Agenzien für An-


schläge besonders infrage kommen (z. B. Anthrax, Pest, Tularämie), können
unter Umständen einige Besonderheiten auf eine absichtliche Ausbringung
hindeuten:

Leitfaden Katastrophenmedizin 269


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

ƒ Auftreten mehrerer Erkrankter, wobei neben den typischen lokalen Ma-


nifestationen (z. B. kutane und ulzeroglanduläre Tularämie, Beulenpest,
Hautmilzbrand) auch primär systemische Krankheitsbilder mit foudro -
yantem Verlauf vorkommen, z. B. pneumonische, gastrointestinale und
septische Manifestationen
ƒ Gleichzeitige Manifestation unterschiedlicher klinischer Formen (z. B.
Haut- und Darmmilzbrand) bei ein und demselben Patienten
ƒ Stark verkürzte Inkubationszeiten, atypische bzw. schwerere Krankheits-
verläufe und ungewöhnlich hohe Manifestations- und Letalitätsraten als
Hinweise auf eine Exposition gegen ungewöhnlich große Erregermengen

Psychologische Auswirkungen
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt sind Angst- und Panikreaktionen. Sie wer-
den, wie Erfahrungen mit den Anthraxfehlalarmen 2001–2002 zeigten, häufig
durch eine mangelhafte Kommunikation über die Medien geschürt und ver-
stärkt. Panik und Angst können bereits bei Verdacht oder bloßer Androhung
eines biologischen Anschlags zu unkontrollierbaren psychosomatischen Stress-
reaktionen führen. Aufgrund dessen können sowohl Personen, die gar nicht mit
dem Erreger in Kontakt gekommen sind, als auch Exponierte, die sich eigentlich
noch in der Inkubationsperiode befinden, Symptome einer scheinbaren Infekti-
on entwickeln. Die Zahl dieser psychosomatischen Patienten kann die Zahl der
tatsächlich Geschädigten sogar übersteigen. Bei einem Massenanfall würden
sie die medizinischen Kapazitäten schnell erschöpfen, sodass die eigentlichen
Krankheitsverdächtigen nicht mehr ausreichend versorgt werden könnten.

Bitte beachten
14

Neben einer frühzeitigen sachgerechten Kommunikation und Informa -


tion ist daher die erste Sichtung der Betroffenen im biologischen Wir-
kungsherd entscheidend. Hier kommt es darauf an, durch genaue Anam -
nese und Untersuchung die Sichtung, Evakuierung und Behandlung der
eigentlichen Patienten nicht zu gefährden.

14.1.1.2 Epidemien in der Katastrophensituation


Die Zerstörung des Ökosystems und der Infrastruktur kann zur epidemischen
Ausbreitung von Infektionskrankheiten führen, wenn z. B. wichtige Hygi-
enebarrieren, wie Abwasserbehandlung- und Trinkwasseraufbereitungs-
anlagen, ausgefallen sind. Als Primärereignisse kommen insbesondere Na-
turereignisse (z. B. Erdbeben, Überschwemmung), die häufig bereits selbst
zur Katastrophe führen, aber auch Kriege infrage. Eine große Zahl von Men-
schen ist dann mehr oder minder schutzlos hohen Mengen unterschiedlichs-

270 Leitfaden Katastrophenmedizin


ter Krankheitserreger über massiv kontaminierte Nahrung und Umwelt-
objekte, Vektoren sowie durch den sehr engen Kontakt in Notunterkünften
ausgesetzt. Dies begünstigt den Ausbruch von Explosivepidemien, insbeson-
dere wenn die Infrastruktur teilweise oder völlig zusammengebrochen ist.
Solche Epidemien führen dann mitunter selbst zu einer katastrophenähnli-
chen Situation. In diesem Fall ist ein Anstieg der Morbidität in nahezu allen
Alters-, Geschlechts- und Berufsgruppen zu erwarten.

Explosivepidemien im Gefolge von Naturkatastrophen kommen allerdings


seltener vor als gemeinhin angenommen. Beispielsweise blieben die befürch-
teten Choleraepidemien nach dem großen Tsunami im indischen Ozean
2004 (230 000 Tote), dem Zyklon von Birma und dem Erdbeben in Sichuan
2008 (jeweils ca. 80 000 Tote) aus. Eine der schwersten Choleraepidemie der
letzten Jahre brach 2008 in Simbabwe aus. Sie war nicht die Folge eines Na-
turereignisses, sondern wurde durch den kriegsbedingten Zusammenbruch
der Infrastruktur ausgelöst. Diese Epidemie forderte in Simbabwe und in der
Republik Südafrika über 5 000 Tote.

Bei katastrophenbedingten Epidemien entspricht das Erregerspektrum in


der Regel demjenigen, das in der Region auch im Normalfall vorhanden ist.
Beispielsweise kommt es in cholerafreien Gegenden auch nach Erdbeben
und Überschwemmungen nicht zu größeren Choleraausbrüchen, weil der
Erreger (Vibrio cholerae) in der Region nicht verbreitet ist.

Bitte beachten
14

Katastrophen- oder Konfliktsituationen können genutzt werden, um bio -


logische Angriffe zu tarnen und dabei auch nicht einheimische Erreger
auszubringen. Daher sind im Falle eines ASG frühzeitig Spezialisten einzu-
beziehen und Proben für die mikrobiologische Diagnostik zu gewinnen.

Im Katastrophenfall werden Epidemien durch endemische Erreger jedoch


vorrangig ausgelöst, weil die üblichen Übertragungsvorgänge natürlich in-
tensiviert werden.

Bei einer fäkal-oralen Übertragung über abwasserkontaminierte Lebens-


mittel und Trinkwasser sind auch Mischinfektionen möglich. In diesem Fall
muss nach Ablauf der jeweiligen Inkubationszeiten zuerst mit Gastroenteri-
tiden (z. B. durch Rota- und Noroviren, Lamblien und Kryptosporidien) und
bakterieller Ruhr, später mit Typhus abdominalis bzw. Paratyphus und noch
nach Wochen mit Virushepatitis A oder E gerechnet werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 271


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Anders verhält es sich mit aerogen übertragbaren Infektionen, die je nach


Kontagiosität und Inkubationszeiten zu mehr oder weniger schnell verlau-
fenden Epidemien führen werden.

Bitte beachten

Aufgrund der hohen Kontaktintensität, der massiven Infektionsdosen


und individuell erhöhten Infektanfälligkeit (Hunger, Wassermangel, Er-
schöpfung) können die Inkubationszeiten verkürzt und Krankheitsverläufe
schwerer sein.

Viele der als biologische Agenzien für Anschläge infrage kommenden Erre-
ger lösen Zoonosen, z. B. Pest, Milzbrand, Tularämie, Q-Fieber oder Rotz, aus.
Diese Krankheiten werden nur selten oder gar nicht von Mensch zu Mensch
übertragen. Aus epidemiologischer Sicht werden sie, mit Ausnahme der Pest,
deshalb kaum Probleme im katastrophenmedizinischen Management be-
reiten. Hier sind gewöhnlich keine besonderen Absonderungsmaßnahmen
(Isolierung, Quarantäne) erforderlich. Auch die wegen ihrer hohen Letalität
gefürchteten viralen hämorrhagischen Fieber (z. B. Ebola, Lassa) kommen
kaum als Auslöser einer katastrophalen Epidemie infrage, weil sie nur bei
relativ engem Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Bitte beachten
14

Bei einigen dieser Krankheiten müssen dennoch aufgrund der teilweise


fatalen Verläufe und besonderen Ansteckungsfähigkeit die Patienten früh
erfasst, isoliert und einer spezialisierten Behandlung zugeführt werden.
Diese erfolgt für Einzelfälle gewöhnlich in einer Sonderisolierstation.
Exponierte und Kontaktpersonen sind zu registrieren, zu kategorisie -
ren abzusondern, und medizinisch zu beobachten (BBK und RKI 2007,
S. 403–407).

Als Hilfestellung für die notwendige Priorisierung von Infektionskrankhei-


ten in einer Katastrophensituation kann Tabelle 14-1 dienen.

272 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 14-1 Häufigkeit wichtiger Infektionskrankheiten und ihre mögliche
Bedeutung für Katastrophen in Deutschland.

Seuchenschutz
Inzidenz in Deutschland

Kontagiosität/
Aktivierung in
Katastrophen

Katastrophen
Ursache von
(Fälle / Jahr)a

Therapie
Letalität

Impfung
Krankheit /
Agens < < < < >
100 1000 10 000 100 000 100 000

Gruppe I
+++/
Virale ARE + +++ +
SHM
gering – (+)

ADE durch
(+) – ++
gering –
Noroviren + +++ ++ SHM
mäßig
– (+)
(PSA/ABS)

Rotaviren +

Adenoviren +

Campylobacter
+
spp.
Salmonella spp. +

Yersinia mäßig –
+
enterocolitica hoch

Cryptosporidia +

Lamblia

+
intestinalis
Escherichia spp. mäßig–
+
EHEC, ETEC hoch

+
mäßig –
Cholera + +++ +++ SHM/
hoch
(+) +
(ABS)
14

(+)
HIV-Infektionen + (+)? –
SHM
hoch – (+)

Influenza A + ++ ++ +++ gering – + +


SHM + hoch
PSA
Influenza B und C (ABS)

(+) mäßig –
Pneumonien + ++ –
SHM hoch
(+)b +

Strepokokken- +
+ + – gering – +
angina SHM
Gruppe II
++
SHM+ mäßig –
Tuberkulose + ++ –
PSA hoch
– +
(ISO)
+
Virushepatitis A + ++ – SHM/ gering + (+)
ABS
+
Virushepatitis E + ++ – SHM/ gering – (+)
ABS

Leitfaden Katastrophenmedizin 273


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Seuchenschutz
Inzidenz in Deutschland

Kontagiosität/
Aktivierung in
Katastrophen

Katastrophen
Ursache von
(Fälle / Jahr)a

Therapie
Letalität

Impfung
Krankheit /
Agens < < < < >
100 1000 10 000 100 000 100 000

Gruppe II
+
Scharlach + ++ –
SHM/ISO
gering – +

+
Mumps + + –
SHM
gering + –

++
Varizellen + + –
SHM
gering + –

Pyodermien/ ++ gering –
Wundinfekti- + ++ – SHM/
mäßig
– +
onen ABS

Gruppe III
++ gering –
Masern + + – SHM/
mäßig
+ –
ABS

++ gering –
Shigellosen + ++ + SHM/
mäßig
(+) +
ABS

Typhus/Para- + gering –
+ ++ + SHM/ + +
typhus ABS mäßig

Invasive Menin-
+
gokokkeninfek- + ++ –
SHM/ABS
hoch + +
tion

Legionellose + + –
SHM
mäßig – +


Listeriose + – –
SHM
gering – +

– mäßig –
Malaria + + –
SHM hoch
– +
14

(+)
VHB + – –
SHM
mäßig + (+)

(+)
VHC + – –
SHM
mäßig – (+)

– gering –
Hantavirose + ++ –
SHM mäßig
– –


FSME + + –
SHM
gering + –


Q-Fieber + ++ + c
SHM
gering (+) +

Adenovirus- ++
Keratokonjunk- + ++ – SHM/ gering – –
tivitis ABS

Invasive
Haemophilus- +
+ + – SHM/ hoch + +
influenzae- ABS
Infektion

gering –
Keuchhusten + + – SHM
mäßig
+ +

274 Leitfaden Katastrophenmedizin


Seuchenschutz
Inzidenz in Deutschland

Kontagiosität/
Aktivierung in
Katastrophen

Katastrophen
Ursache von
(Fälle / Jahr)a

Therapie
Letalität

Impfung
Krankheit /
Agens < < < < >
100 1000 10 000 100 000 100 000

Gruppe IV

Ornithose + – –
SHM
mäßig – +
– gering –
Tularämie + ++ (+) c
SHM mäßig
(+) +

– gering –
Leptopirose + ++ –
SHM mäßig
– +

– mäßig –
Botulismus + (+) +c
SHM hoch
(+) (+)

– gering –
Brucellose + + +c
SHM mäßig
– +

+
SHM/
Diphtherie + ++ –
(PSA)/
mäßig + +
ABS
Lues und + ++ –
++
gering – +
Gonorrhö SHM

Gasbrand/ – mäßig – +
+ + – –
-ödem SHM hoch

Gruppe V

mäßig –
Anthrax + + +c SHM/
hoch
(+) +
ABS
– gering –
Denguefieber + – –
SHM mäßig
– –


Chicungunya + – –
SHM
gering – –


Melioidose + – –
SHM
hoch – +

Fett hervorgehoben – Infektionskrankheiten mit hoher Priorität bezüglich Notfallbehandlung und/


oder dringlicher hygienisch-antiepidemischer Maßnahmen im Katastrophenfall:
14

rot – medizinischer Notfall, violett – epidemiologischer Notfall.


Hämorrhagische Lassa-, Ebola-, Marburg-, Gelb- oder Krim-Kongo-Fieber oder Affenpocken kommen
nur sporadisch als eingeschleppte Fälle vor. Pocken sind weltweit eradiziert, Rotz und Pest in Deutsch-
land seit Jahrzehnten nicht mehr beobachtet worden.
SHM – Standardhygienemaßnahmen, PSA – Persönliche Schutzausrüstung mit Atemschutz, ABS – Abson-
derung (Isolierung von Kranken/Krankheitsverdächtigen; Beobachtung oder Quarantäne von Anste-
ckungsverdächtigen).
ADE – akute Durchfallerkrankungen, ARE – akute respiratorische Erkrankungen; ETEC – enterotoxische
Escherichia-(E.-)coli-Stämme, EHEC – enterohämorrhagische E.-coli-Stämme, HIV – human immuno-
deficiency virus.
VHB – Virushepatitis B, VHC – Virushepatitis C, FSME – Frühsommer-Meningoenzephalitis.
a Quelle: Aktuelle Statistiken meldepflichtiger Infektionskrankheiten und Meldungen neu erfasster
Erkrankungen. In: Epidemiologisches Bulletin 2005–2008, Robert Koch-Institut, Berlin.
b Pneumokokken-Impfstoff.
c Sofern als biologischer Kampfstoff ausgebracht.

Leitfaden Katastrophenmedizin 275


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

14.1.2 Logistische Fragen


Das Management einer biologischen Gefahrenlage erfordert das koordinierte
Handeln auf der Ebene der jeweils zuständigen Behörden (u. a. Landratsamt, lo-
kale oder regionale Rettungsdienste, Ordnungskräfte, Gesundheitsamt, Amts-
tierarzt), Krankenhäuser und Apotheken Für das pharmazeutische Notfallma-
nagement wird auf das Fachbuch „Notfall- und KatastrophenPharmazie“, Band I
und II, verwiesen.2 Nationale und internationale Gesetze (Infektionsschutzgesetz
[IfSG], Tierseuchengesetz [TierSG], Arzneimittel- und Arbeitsschutzgesetz),
Rechtsvorschriften (u. a. Betriebssicherheits-, Bio- und Gefahrstoffverordnung)
und Richtlinien zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten
sind zu beachten. In Zweifelsfällen sollte das Robert Koch-Institut als fachlicher
Ansprechpartner konsultiert werden.3 Die Medien sind über kompetente Presse-
sprecher eng und frühzeitig in die Kommunikation einzubinden.
Als Orientierung für einen sinnvollen Handlungsalgorithmus im Falle einer
biologischen Gefahrenlage kann Abbildung 14-1 dienen.

Das spezifische therapeutische Vorgehen sollte im Einzelfall mit den Ge-


sundheitsbehörden und nationalen Einrichtungen abgestimmt werden, die
Erfahrungen mit den jeweiligen Erregern und Toxinen besitzen.
Die zuständigen Gesundheitsbehörden haben auch zu entscheiden, ob ex-
ponierte Personen und deren Kontaktpersonen bis zur Identifizierung des
Krankheitserregers einer stationären oder häuslichen Absonderung (Beob-
achtung, Quarantäne) gemäß §§ 2, 28, 29 und 30 IfSG unterliegen und ggf.
eine Postexpositionsprophylaxe erhalten sollen.

Bei Verdacht auf eine hoch ansteckende, lebensbedrohende Infektions-


14

krankheit stehen in Deutschland begrenzte Kapazitäten in Sonderisolier-


stationen zur Verfügung (in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, München,
Saarbrücken, Stuttgart und Würzburg). Bei einem größeren biologischen
Schadensereignis muss auf behelfsmäßige Isolierstationen zurückgegriffen
werden (s. auch BBK und RKI 2007, S. 397–398, 466–470).

Bitte beachten

Sofern der Katastrophenfall ausgerufen werden muss, ist auch zu entschei-


den, ob von der Bundeswehr Spezialisten für medizinischen B-Schutz oder
materielle und personelle Unterstützung (z. B. zur Dekontamination) im Rah-
men der zivil-militärischen Zusammenarbeit angefordert werden sollten.

2 Siehe www.katastrophenpharmazie.de und www.katpharm.de.


3 Siehe www.rki.de.

276 Leitfaden Katastrophenmedizin


14.2 Vorgehensweise für Einsatzkräfte
In den ersten Stunden eines (tatsächlichen oder vermuteten) biologischen
Großschadensereignisses ergeben sich für die Einsatzkräfte zunächst nur
wenige Handlungsoptionen, da das biologische Agens und das Ausmaß sei-
ner Verbreitung in der Regel noch nicht bekannt sein wird. Es empfiehlt sich
daher, zunächst nach folgendem Schema vorzugehen (JUH 2007, S. 4):

1. Gefahr erkennen
2. Eigenschutz sicherstellen
3. Meldung machen mit dem Ziel, Spezialisten einzubinden
4. Ausbreitung verhindern
5. Erstmaßnahmen organisieren

14.2.1 Gefahr erkennen


Grundsätzlich ist zwischen unbeabsichtigten und beabsichtigten Ereignis-
sen zu unterscheiden (s. auch Kap. 14.1.1). Erstere können auftreten, wenn
eine Infektionskrankheit natürlicherweise plötzlich epidemisch ausbricht,
bei Reisen eingeschleppt oder akzidentiell durch einen Laborunfall ausge-
löst wird.

Zu den beabsichtigten Ereignissen zählen der militärische Einsatz bio-


logischer Kampfstoffe im Kriegsfall, terroristische oder kriminelle Anschlä-
ge mit biologischen Agenzien, z. B. in Kombination mit einem Sprengsatz
(USBV – unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung), und das Androhen
solcher Anschläge durch Trittbrettfahrer („Hoaxe“). Biologische Anschläge
14

können offen oder verdeckt erfolgen, wobei dann je nach Zielgruppe Men-
schen oder Tiere erkranken und als Infektionsquellen übertragbare Krank-
heiten weiter verbreiten können.

Bitte beachten

Schon allein die Ankündigung eines biologischen Anschlags oder das Aus-
bringen eines harmlosen „weißen“ Pulvers in einer hoch sensibilisierten
Gesellschaft erzeugt oft Panik und übt psychologischen Terror aus. Diese
Lage unterscheidet sich daher grundsätzlich von einer verdeckten Aus-
bringung realer biologischer Agenzien.

Leitfaden Katastrophenmedizin 277


14

Alarmierung Zubringung in Absprache mit RTLS

Großschadenslagen durch biologische Agenzien


Schädigende Agenzien
278

Checkliste Einsatzlogistik Einsatzkräfte ausreichend? Checkliste: Orientierung Aus-


• Schwerkrankensammelplatz Ja Nein bruchsherd
• Sammelplatz Exponierte/ • erwartete Zahl Krankheitsver-
Leichtkranke Nachalarmierung von Kräften über RTLS dächtiger
• Dekonschleusen/-plätze Übergabe an 1. Nachalarmierung • erwartete Zahl Ansteckungs-
• Schwarz-Grau-Weiß-Bereiche verdächtiger (Kontaktperso-
• Ablageplatz für Verstorbene nen, Exponierte)
Bildung von SanEL und OEL mit Polizei, Fw, Amtsarzt/Amtstierarzt • mutmaßliche Größe Epidemie-/
• An-/Abfahr-/Abflugzone
biologischer Wirkungsherd
• HS-Landeplatz Inspektion von Epidemie-/Wirkungsherd, Umfang der Exponierten/Krankheitsverdächtigen • mutmaßliches biologisches
• KW-Halteplatz Agens/Risiko
Festlegen von Herdgrenzen, Rot-Gelb-Grün-Zonen/Absperrung, Einrichten von Schwarz-
• Abschnittskoordination • mutmaßliche Stabilität des
Grau-Weiß-Bereich, Kontroll-/Übergabepunkten, Dekontaminationsplätzen erforderlich?
• Bettenliste Agens/Übertragbarkeit M-M
• Patientenregistrierung/ Festlegen von persönlichem Schutz- und Dekontaminationsregime erforderlich? • Notwendigkeit der Dekontami-
Dokumentation nation/PSA
Abschnittsbildung im Herd erforderlich?
• Kontroll-/Absperrorganisation • alarmierte Kräfte
Nein Ja
• Übergabepunkte (Personal, • Standorte von RTLS, Gesund-
Material) Bestimmen von Abschnittsleiter und Kommunikationswegen heitsamt, Feuerwehr, Polizei
• Impfstationen • Kommunikation zu Experten
(RKI, Bw, etc.)
Festlegen der Einsatzlogistik
Checkliste Einsatzkräfte • verfügbare Transportmittel und
• Notärztinnen/-ärzte Sichten der Krankheitsverdächtigen/Ansteckungsverdächtigen (= Kontaktpersonen/Exponierte) Betten (InfektionsKhs)
Leitfaden Katastrophenmedizin

• ÖGD/Hygieniker/Veterinäre Festelegen der Behandlungspriorität durch SanEL


• B-Schutz-Experten/Infektio-
Festlegen der Dekontamination?
logen
• Sanitätseinsatzkräfte (SEG) Festlegen notwendiger Absonderungsmaßnahmen?
• Ordnungskräfte
• Transportkräfte Isolation Krankheitsverdächtiger / Beobachtung oder Quarantäne Ansteckungsverdächtiger?
• technische Rettungskräfte?
(Fw, THW, ABCAbwTrp) Einsatzkräfte/Material ausreichend?
• KIT/PSU Ja Nein
Nachforderung/Reorganisation
Leitfaden Katastrophenmedizin

Checkliste Material Checkliste: Sichtung


• Verletztenpacks? (Sichtungskategorien)
Patientenverteilung nach Bettenliste/geeigneten Krhs/Sonderisolierstationen/Infek-
• Persönliche Schutzausstattung I (Rot) Akute vitale Bedrohung:
tionsstationen: SanEL Kohortenisolierung?
• Desinfektions-/Dekontaminati- Sofortbehandlung
onsausstattung Patienten mit akuter Beatmungsindikation aus Sichtungsgruppe I ? II (Gelb) Schwerkranke:
• Sichtungskarten Nein Ja aufgeschobene Behandlung
• unentbehrliche Arzneimittel III (Grün) Leichtkranke:
Unverzüglicher Transport mit NA / ggf. RA / ggf. Kohortenbildung spätere, ambulante Behandlung
und Medizinprodukte
• Beatmungsgeräte IV (Blau) Ohne Überlebens-
• Probennahme- und Proben- Sichtung vervollständigen chance: abwartende Behand-
transportmittel (IATA/ADR) lung/Betreuung
Geeignete Transportmittel zuweisen und Transportfreigabe: SanEL
• Witterungsschutz
• Getränke, Lebensmittel für Hel- Endgültige Registrierung/Dokumentation (Weitergabe an OEL, Gesundheitsamt, Polizei,
fer/temporär Abgesonderte Feuerwehr, Presse, Angehörige)
• Abrollcontainer/ggf. Zelte o. ä.
(Fw, Bw, BGS) Rückmeldung von nÄ/Khs in Evaluation der Bettenliste einarbeiten
• KW/J-RTW Abschließende Sichtung/ggf. Probennahme (Stichproben von Schwer-, Mittel- und
Leichtkranken): Gesundheitsamt
Kontrolle und Sanieren des Epidemie-/Wirkungsherdes (Desinfektion/Dekontamination):
Feuerwehr, Polizei, BW, THW, Gesundheitsamt
Einsatzdokumente, Qualitätskontrolle
Einsatzkräfte unter medizinische Beobachtung stellen (für mutmaßliche max. Inkubati-
onszeit/ggf. postexpositionelle Prophylaxe)? Einsatzende

Abb. 14-1 Handlungsalgorithmus für das Management in biologischen Wirkungs- oder Epidemieherden.
RTLS – Rettungsleitstelle, SanEL/OEL – Sanitäts-Einsatzleitstelle/Einsatzleitstelle vor Ort, M – Mensch, PSA – Persönliche Schutzausrüstung, RKI –
Robert Koch-Institut Berlin, Bw/Fw – Bundeswehr/Feuerwehr, HS – Hubschrauber, KW – Krankenwagen, I-RTW - Infektions-Rettungswagen,
ÖGD – Öffentlicher Gesundheitsdienst, SEG – Schnelleinsatzgruppe, THW – Technisches Hilfswerk, KIT/PSU – Kriseninterventionsteam/psycho-
soziale Unterstützungsgruppe, ABCAbwTrp – ABC Abwehr-Truppen (ABC: atomar, biologisch, chemisch), nÄ/Khs – niedergelassene Ärzte/Kran-
kenhäuser, NA – Notarzt, RA – Rettungsassistent, IATA – International Air Transport Association, ADR – European Agreement Concerning the
279

International Carriage of Dangerous Goods by Road, BGS – Bundesgrenzschutz. (In Anlehnung an Beck et al. 2005, S. 466–473.)

14
Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Der vermutlich erste Hinweis auf einen verdeckten Anschlag mit einem bio-
logischen Agens wird das gehäufte Auftreten von Patienten mit einem mehr
oder weniger erregertypischen Krankheitsbild sein, d. h. ein ASG. Rettungs-
dienstpersonal, erstversorgende Ärzte und das Klinikpersonal sowie Apo-
theker bei erhöhtem Medikamentenverbrauch und im Falle von Zoonosen
auch Tierärzte werden daher als Erste in die frühzeitige Erkennung eines
möglichen Anschlags einbezogen sein.

14.2.1.1 Kennzeichen biologischer Gefahrenlagen


Hinweise auf eine (natürlich, akzidentiell oder vorsätzlich entstandene) bio-
logische Gefahrenlage können sein:
ƒ Auftreten eines großen Krankheitsausbruchs („Häufung“) mit ähnlichem
Beschwerdebild, besonders in einer abgrenzbaren Bevölkerungsgruppe
ƒ Viele Patienten mit ähnlichen Beschwerden, die sich zugleich am selben
Ort aufgehalten haben
ƒ Mehr Patienten als sonst mit Fieber, Erkrankungen der Atemwege oder des
Magen-Darm-Trakts
ƒ Auftreten einer (schweren) Infektionskrankheit bei mehreren Personen,
die für eine bestimmte Region oder Jahreszeit untypisch ist
ƒ Auffälliges Verhalten bei Tieren oder mehr kranke und tote Tiere als ge-
wöhnlich
ƒ Nachträgliche Bekennerschreiben oder ähnliche Hinweise aus dem Kreis
der Täter oder Mitwisser

Besondere Aufmerksamkeit verlangen insbesondere Häufungen schwerer


Erkrankungen, die auf lebensbedrohliche bzw. hoch ansteckende Infek-
tionskrankheiten hindeuten. Als verdächtige Symptomkomplexe gelten
14

(Krankheiten durch potenzielle biologische Agenzien sind kursiv hervorge-


hoben; vgl. auch Tab. 14-3):

Influenza-like Illness (ILI)


Hohes Fieber, Frösteln, Kurzatmigkeit, Atemnot, Schmerzen beim Atmen,
Muskel-, Glieder-, Rücken- und Kopfschmerzen, geröteter, rauer Rachen.
ƒ Vorkommen z. B. bei Q-Fieber, Influenza, Ornithose, Tularämie, Legionello-
se, Brucellose, Vergiftung mit Staphylokokken-Enterotoxin B (SEB) und Ricin-
Intoxikation.

Akutes Atemnotsyndrom (ARDS)


Fieber, Abgeschlagenheit, Husten mit oder ohne Auswurf (ggf. blutig), Dys-
pnoe, Stridor, Zyanose, Tachypnoe, Brustschmerzen, trockene oder feuchte
Rasselgeräusche.
ƒ Vorkommen z. B. bei Lungenpest, Lungenmilzbrand, Tularämie, Legionello-
se, Tuberkulose, SARS, Rotz, Ricin-Intoxikation.

280 Leitfaden Katastrophenmedizin


Infektiös-toxisches Schock-Syndrom
Fieber mit/ohne Hautausschlag, Schüttelfrost, schweres Krankheitsgefühl,
Lymphknotenschwellung, Lymphknoten-, Milz- und Leberschwellung, Kol-
laps/Schock.
ƒ Vorkommen z. B. bei Pest, Rotz, Melioidose, Tularämie und Milzbrand, invasi-
ve Meningokokken-Infektion, Staphylokokken- und Streptokokkensepsis.

Infektiöses Exanthem-Syndrom
Unklares Fieber mit En- und Exanthemen.
ƒ Vorkommen z. B. bei Tularämie, Pocken, Affenpocken, Masern, Scharlach,
Leptospirosen, Fleckfieber, Varizellen und viralen hämorrhagischen
­Fiebern.

Hämorrhagisches Fieber
Hohes Fieber mit inneren und äußeren Blutungen: Petechien, Ekchymosen,
Purpura, Epistaxis, Hämatemesis, gastrointestinale Blutungen.
ƒ Vorkommen z. B. bei Marburgkrankheit, Ebola-Fieber, Gelbfieber, Lassa-
Fieber, Meningokokken-, Pest- und Milzbrandsepsis.

Infektiös-toxisches Zentralnervensystem-Syndrom
Fieber mit Kopfschmerz, Nackensteifigkeit, Übelkeit und Erbrechen,
Bewusstseinstrübung, Krämpfen oder Lähmungen.
ƒ Vorkommen z. B. bei Herpes-simplex-Enzephalitis, FSME, Venezolanischer
Pferdeenzephalitis, Pest- und Milzbrandmeningitis, Borreliose, Meningokok-
ken- und Pneumokokkenmeningitis.

Paralytisches Syndrom
14

Extremes Schwächegefühl, Übelkeit, Schluck- und Sprachstörungen,


Doppeltsehen.
ƒ Vorkommen insbesondere bei Botulismus oder Atropinvergiftung.

Gastrointestinales Infektionssyndrom
Übelkeit, Durchfall und Erbrechen mit und ohne Fieber.
ƒ Vorkommen z. B. bei Shigellosen, Salmonellosen, Cholera, Campylobacter-
Infektionen, viralen und parasitären Gastro-Enteritiden.

14.2.1.2 Feststellung eines ungewöhnlichen Krankheits-


ausbruches
Erschwerend für die Feststellung untypischer Ausbrüche von Infektions-
krankheiten ist, dass die entscheidenden Informationen an verschiede-
nen Stellen vorliegen, wodurch das ganze Bild oft erst spät erkannt wird.
Beispielsweise schöpft ein niedergelassener Arzt, der zunächst nur einen
Patienten mit einer atypischen Infektionskrankheit behandelt, noch keinen

Leitfaden Katastrophenmedizin 281


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Verdacht auf ein außergewöhnliches Infektionsgeschehen. Ein mikrobio-


logisches Labor stellt vielleicht einen ungewöhnlichen Erreger fest, kennt
aber die Symptomatik und Anamnese des Patienten nicht. Tierkrankheiten
schließlich werden über andere Wege gemeldet, sodass die für menschliche
Seuchenausbrüche zuständigen Gesundheitsbehörden u. U. davon zunächst
nichts mitbekommen (s. Tab. 14-2). Auch bei nur vagem Verdacht auf ein au-
ßergewöhnliches Seuchengeschehen sollte stets deshalb Kontakt mit den
Gesundheitsbehörden aufgenommen werden.

Tab. 14-2 Früherkennung eines außergewöhnlichen Seuchengeschehens.


(Nach Feldmeier und Finke in BBK und RKI 2007, S. 96)

Indikator wird wahrgenommen


Indikator
NA/RD/
Khs ÖGD Laba
TA

Patient mit ungewöhnlicher


+ +
Symptomkombination

Ungewöhnliche Häufung von verdächtigen


+ + +
Infektionskrankheiten

Zahlreiche Patienten aus demselben Ort oder


(+) + +
derselben Arbeitsstätte

Gleichartige Erkrankungen bei Patienten mit


(+) + (+)
gemeinsamen Risikofaktoren
• Teilnahme an Veranstaltung
• gleiche Altersgruppe
• Aufenthalt innen/außen
14

Ungewöhnlich viele schwer oder letal


+ + (+)
+

verlaufende Infektionserkrankungen

Außergewöhnliche Inzidenz
+ +
(zeitlich, räumlich)

Ungewöhnliche Laborbefundea +

Ungewöhnliche Erkrankungs- oder Todesfälle


+ + +
bei Tieren
NA/RD/TA– niedergelassener Arzt/Rettungsdienst/Tierarzt; Khs – Krankenhaus; ÖGD – öffentlicher Ge-
sundheitsdienst (Amtsarzt, Amtstierarzt); Lab – mikrobiologisches Labor (human- und veterinärmedi-
zinisches), Pathologie (einschließlich Human- und Tierpathologie, Gerichtsmedizin).
a Nachweis von:
• neuen (exotischen) oder importieren Mikroorganismen („emerging diseases“)
• bekannten Erregern mit untypischer Antibiotikaresistenz oder Virulenz
• Stämmen desselben Erregers aus unterschiedlichen Isolaten mit identischen Gensequenzen

282 Leitfaden Katastrophenmedizin


14.2.1.3 Typische biologische Agenzien
Das Spektrum der Erreger und Toxine, die als biologische Agenzien für ter-
roristische Anschläge infrage kommen, ist sehr groß und variiert je nach der
Bewertung des epidemischen und medizinischen Risikos (s. Tab. 14-3). So be-
sitzen einige der in Tabelle 14-3 angeführten Infektionskrankheiten ein ho-
hes epidemisches Risiko, da sie von Mensch zu Mensch übertragbar sind, z. B.
über Sekrettröpfchen der Atemwege, Stuhl oder Urin sowie durch direkten
Kontakt zu Kranken.

Die Wirkung biologischer Agenzien tritt je nach Erregerart, Virulenz und


Dosis innerhalb von wenigen Stunden (Toxine), wenigen Tagen und Wochen
(pathogene Mikroorganismen) ein. Sie kann überwiegend darin bestehen,
die Opfer zu töten oder krank und handlungsunfähig zu machen. Bei Exposi-
tion gegen hohe Erregermengen kann die Inkubationszeit einer Infektions-
krankheit gegenüber dem natürlichen Infektionsprozess extrem verkürzt
sein, sodass Symptome wesentlich früher auftreten und im weiteren Verlauf
stärker als gewöhnlich ausgeprägt sein können.

Bitte beachten

Erkrankte, die unmittelbar nach einem biologischen Anschlag wie auch


nach einem Laborunfall, registriert werden, haben eine ungünstigere
Prognose. Sie benötigen schnellste medizinische Hilfe.

Nach Ausbringung großer Mengen resistenter mikrobieller Dauerformen,


14

z. B. Anthraxsporen, kann eine Infektion auch über kontaminierte Umwelt-


objekte erfolgen. Äußerlich kontaminierte Erkrankte und noch gesunde
Exponierte sind daher als potenziell ansteckungsfähig zu betrachten. Von
ihnen geht eine Infektionsgefahr für unzureichend geschützte Helfer aus.

Bitte beachten

Die Dekontamination (Entseuchung) sollte in diesen Fällen so früh wie


möglich erfolgen und vor der stationären Aufnahme von Patienten abge -
schlossen sein.

Leitfaden Katastrophenmedizin 283


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Tab. 14-3 Spektrum möglicher Erreger und Toxine, die für biologische
Anschläge infrage kommen.

Mensch-Mensch-
Übertragbarkeit
Übertragungs-
B-Kampfstoff

Katastrophe
Wirkung als
Kategorieb

Exposition/
Gelistetes

möglich
Agensa
CDC-

weg
B-Agens Erkrankung

Bacillus Haut-, Lungen- + A letalc I Al, K wenig +++


anthracis Darmmilz- wahr-
(Sporen) brand scheinlich

Clostridium- Botulismus + A letal I, Al nein ++


botulinum-
Neurotoxine

Yersinia pestis Pest + A letal I, Al, V Beulen- +++


pest: nein
Lungen-
pest: hoch

Francisella Tularämie + A letal, I, Al, K, nein ++


tularensis hand - V
lungs-
unfähig

Variola-major- Pocken + A letal I, K hoch ++++


Virus

Affenpocken- Affenpocken + C hand - I, K mäßig +++


Virus lungs-
unfähig,
letal
Filoviren hämorrhagi - + A letal I, K mäßig +++
(Ebola- und sches Fieber
14

Marburgvirus)

Arenaviren hämorrhagi - + A n. d. I, K mäßig ++


(Lassa-, sches Fieber
Machupo-,
Junin-Virus)

Brucella Brucellosen + B hand- I, Al, K nein +


species lungs-
unfähigd

Burkholderia Rotz + B letal I, K gering +++


mallei

Burkholderia Melioidose + B n. d. I, K wenig ++


pseudomallei wahr-
scheinlich

Chlamydia Ornithose + B hand - I, (K) wenig +


psittaci lungs- wahr-
unfähig scheinlich

284 Leitfaden Katastrophenmedizin


Mensch-Mensch-
Über tragbarkeit
Übertragungs-
B-Kampfstoff

Katastrophe
Wirkung als
Kategorieb

Exposition/
Gelistetes

möglich
Agensa
CDC-

weg
B-Agens Erkrankung

Coxiella Q-Fieber + B hand - I, Al wenig ++


burnetii lungs- wahr-
unfähig scheinlich

Rickettsia epidemisches + B hand - I, K, V nein ++


prowazeki Fleckfieber lungs-
unfähig

Rickettsia Felsengebirgs- + hand - I, V nein ++


rickettsii fieber lungs-
unfähig

Rickettsia typhi Murines + hand - I, V nein +


Fleckfieber lungs-
unfähig

Orientia Tstutsuga - + hand - I, V nein +


tsutsugamusi musi-Fieber lungs-
unfähig

Salmonella Salmonello - + B hand - Al mäßig ++


spp., Shigella sen, Typhus lungs-
spp., Escheri- abdominalis, unfähig
chia coli O157 Paratyphus,
Shigellosen,
Gastroenteritis

Vibrio Cholera + B n. d. Al mäßig +++


cholerae

Cryptosporidi- Crypto - B n. d. Al gering +


um parvum sporidiose
14

Venezuelan- Venezolani - + B letal, I, V nein +


Equine-Ence- sche Pferde - hand -
phalitis-Virus enzephalitis lungs-
unfähig

Staphylo - Intoxikation + B hand - I, Al nein ++


kokken - lungs-
Enterotoxin B unfähig

Ricin Intoxikation + C letal I, Al, K nein +

Bunyaviren hämorrhagi- + C n. d. I, K, V gering – ++


(Hantaan-, Sin - sches Fieber, mäßig
Nombre-, Krim - epidemische
Kongo-Fieber-, Nephropathie,
Rift-Tal-Fieber- Hantavirus-
Virus) Lungen-
syndrom

Leitfaden Katastrophenmedizin 285


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Mensch-Mensch-
Übertragbarkeit
Übertragungs-
B-Kampfstoff

Katastrophe
Wirkung als
Kategorieb

Exposition/
Gelistetes

möglich
Agensa
CDC-

weg
B-Agens Erkrankung

Flaviviren Zecken- + C hand - A, K, V nein +


(Zecken - enzephalitis, lungsun - (Enzepha -
enzephalitis-, Gelbfieber, fähig litis)
Gelbfieber-, Denguefieber, gering–
Japanische- Japanische mäßig
Enzephalitis-, B-Enzephalitis, (hämor-
Dengue-, hämorrhagi- rhagi
Omsker- sches Fieber sches
hämorrhagi - Fieber)
sches-Fieber-,
Kyasasanur-
Forest-Virus)

Nipah-Virus, Enzephalo - C n. d. I, V mäßig ?


Hendra-Virus myelitis

Influenza-A- Influenza A + C hand - I nein +++


Viren lungsun -
fähig
Coccidioidis Coccidioidose + hand - I nein –
immitis lungsun -
fähig
Blastomyces Blastomykose + hand - I nein –
dermatitidis lungsun -
fähig
Histoplasma Histoplasmose + hand - I nein –
capsulatum lungsun -
fähig
Trichothecen- Mykotoxikose + n. d. I, Al, K nein ++
Mykotoxine
14

Saxitoxin Intoxikation + n. d. I, Al nein +

SARS-Corona - SARS C n. d. I, K hoch +++


virus

Legionella spp. Legionellosen n. d. I nein +

Die fett hervorgehobenen Agenzien wurden im Rahmen von B-Waffen-Programmen bereits einmal
munitioniert und sind auch als „Schmutziges Dutzend“ bekannt.
I – Inhalation nach aerogener Exposition als Kampfstoff-Aerosol; Al/K – alimentäre oder kontaktive
Exposition gegenüber kontaminierten Lebensmitteln, Trinkwasser oder Gegenständen; V – Exposition
gegen infizierte natürliche Vektoren des jeweiligen Erregers (z. B. Flöhe, Läuse, Zecken, Stechmücken);
n. d. – nicht dokumentiert bzw. keine Angaben verfügbar; SARS – severe acute respiratory syndrome.
a Nach Geißler 1994 und Weltgesundheitsorganisation (WHO):
http://www.who.int/csr/delibepidemics/annex3.pdf.
b Centers for Disease Control and Prevention (CDC): http://www.bt.cdc.gov/agentlist.asp.
c Hohe Letalität, wenn zu spät oder nicht behandelt.
d Geringe bis mittlere Letalität.

286 Leitfaden Katastrophenmedizin


14.2.2 Eigenschutz
Im Gegensatz zu anderen CBRN-Risiken4 kann im biologischen Bereich auf
Schutzimpfungen und bei einigen Erregern auch auf eine postexpositionelle
Prophylaxe (PEP) zurückgegriffen werden. Professionelle Einsatzkräfte sollten
regelmäßig ihren Basisimpfschutz überprüfen und bei Notwendigkeit auffri-
schen lassen. Hierzu gehören insbesondere die Impfungen gegen Diphtherie,
Poliomyelitis, Tetanus, Hepatitis A, Masern, Mumps, Hepatitis B sowie saisonale
Influenza. Bei Auslandseinsätzen kommen auch eine Gelbfieber- und Typhus-
Impfung infrage. Bei Kenntnis des Erregers sind die Möglichkeiten der PEP, z. B.
mittels Impfstoffen oder Antibiotika, zu klären.

Der Einsatz in einem biologischen Wirkungsherd muss unter Persönlicher


Schutzausrüstung (PSA) durchgeführt werden.

Ein Infektionsschutz-Set (Schutzstufe 1) für Routineaufgaben sollte Folgendes


beinhalten (JUH 200, S. 38; BBK und RKI 2007, Bd. I, Kapitel 6.4 bis 6.7; BBK und
DGKM 2009, Bd. I, Kapitel 5.4):
ƒ Schutzanzug (Overall) mit angearbeiteter Kapuze und integrierten Füßlin-
gen (CE Kat III, mindestens Typ 4B)
ƒ Atemschutz (Partikel filtrierende Halbmaske FFP3 [EN 149] mit Ausatem-
ventil – keine OP-Masken!)
ƒ doppeltes Paar Schutzhandschuhe (Nitril, CE Kat III, möglichst mit extra-
langen Stulpen, Klebeband zum Abdichten und Fixieren)
ƒ Einwegschürze
ƒ Einweg-Kopfhaube (entfällt bei Overall mit Haube)
ƒ Einmal-Schutzbrille ohne Belüftung (CE Kat III, EN 166 beschlagfrei)
14

ƒ Überziehschuhe (möglichst mit Antirutschsohle)


ƒ Entsorgungsbeutel (Abfallgruppe C, flüssigkeitsdicht, Beschriftung „Ab-
fallguppe 5“, „Ansteckungsgefährdender Abfall“ und Biogefahrenzeichen;
Kabelbinder)
ƒ Folienschutzbeutel zum Verpacken

Praxis-Tipp

Das An- und Auskleiden sollte regelmäßig geübt werden. Es ist immer
ein Helfer notwendig. Die einzelnen Handgriffe beim An- und Auskleiden
und deren Reihenfolge hängen von der jeweiligen PSA ab. 5

4 Chemische, biologische, radiologische, nukleare Risiken.


5 Weitere Informationen zur Persönlichen Schutzausrüstung siehe Kapitel 22 im Anhang.

Leitfaden Katastrophenmedizin 287


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

14.2.3 Meldungen und weitere Veranlassungen


Die Art der Meldungen und weiteren Veranlassungen hängt wesentlich von
den Fachkenntnissen des (Erst-)Helfers ab.

Im Rettungsdienst tätiges Personal wird gewöhnlich zunächst alle notwen-


digen Informationen unter Berücksichtigung des Eigenschutzes einholen,
sich aber im Wesentlichen auf die Wiedergabe von Fakten beschränken. In
einer ersten kurzen Meldung werden Angaben über Ort, Zeitpunkt, Art des
Zwischenfalls, Anzahl der Patienten, Schwere der Erkrankungen, Anzahl der
exponierten Personen und des Ausmaßes der Situation gemacht.

Praxis-Tipp

In einer zweiten ausführlicheren Meldung sollten diese Angaben durch


Hinweise, z. B. auf Patienten und kranke oder tote Tiere mit ähnlicher Symp -
tomatik und ähnlichen Befunden, Dauer bis zum Auftritt der Beschwerden
oder auf verdächtige Pulver, Wolken, Explosionen etc., ergänzt werden.

Erste klinische Daten sind wichtig, um eine vorläufige Falldefinition für die Sich-
tung und Notfallbehandlung der Krankheitsverdächtigen zu ermöglichen. Die
gemäß IfSG erforderlichen Meldungen sind in der Tabelle 14-4 aufgeführt.

Wenn frühzeitig auf Infektionskrankheiten spezialisierte Einsatzkräfte eintref-


fen (z. B. aufgrund einer entsprechenden Vorwarnung oder der bei der Leitstel-
le gemeldeten Situation), werden diese möglicherweise bereits einen Verdacht
14

über die Art des Erregers mitteilen und weitere Maßnahmen veranlassen.

Tab. 14-4 Meldepflicht bei Auftreten ungewöhnlicher Krankheitsausbrüche


nach bestätigter oder mutmaßlicher Exposition gegenüber potenziellen bio -
logischen Agenzien gemäß §§ 6 und 7 IfSG.

Krankheitserreger Krankheits-
Erkrankung Tod Nachweis
B-Agens verdacht
Yersinia pestis
+ + + +
Pest

Bacillus anthracis
+ + + +
Milzbrand

Francisella tularensis
– – – +
Tularämie

Brucella spp.
– – – +
Brucellose

288 Leitfaden Katastrophenmedizin


Krankheitserreger Krankheits-
Erkrankung Tod Nachweis
B-Agens verdacht
Coxiella burnetii
– – – +
Q-Fieber
Burkholderia mallei a
– – – –
Rotzb
Burkholderia pseudomallei
– – – –
Melioidosea

Variola-Virusa
– – – –
Menschenpocken

Affenpocken-Virusa
– – – –
Affenpocken

Ebola-Virus
+ + + +
Ebola-Fieber

Marburg-Virus
+ + + +
Marburg-Krankheit

Venezuelan-Equine-
Encephalitis-Virusa
– – – –
Venezolanische
Pferdeenzephalitisa

Clostridium-botulinum-
Neurotoxine + + + +
Botulismus
Staphylokokken-Entero -
toxin B (SEB) + + – –
SEB-Vergiftung b
Ricin
+ + – –
Ricin-Vergiftungb
a Gemäß § 6 IfSG: bei Auftreten einer bedrohlichen Krankheit.
b Gemäß § 7 Abs. 1 IfSG: bei Lebensmittelvergiftungen und akuten Gastroenteritiden mit zwei oder
mehr gleichartigen Erkrankungen.
14

Meldeformulare gemäß IfSG siehe Kapitel 29 im Anhang.

14.2.4 Ausbreitung verhindern


Damit eine übertragbare Krankheit nicht weiterverbreitet wird, sind das kon-
taminierte Areal (= biologischer Wirkungsherd) oder der Epidemieherd als
Gefahrenbereiche festzulegen und gegen unerlaubten Zutritt bzw. Verlassen
zu sichern. Für das Einsatzpersonal sind die erforderliche biologische Schutz-
stufe und Verhaltensregeln während des Einsatzes anzuordnen (u. a. Vermei-
den von Rauchen, Essen und Trinken in der Nähe des Gefahrenbereichs). Nach
dem Einsatz ist eine Dekontamination (Ablegen der Kleidung, Abwaschen
des Körpers, Entsorgen der kontaminierten Kleidung) aller Einsatzkräfte un-
abhängig von ihrer Aufgabe und ihrem Einsatzort erforderlich. Alle Personen,
die ungeschützt dem potenziellen biologischen Agens ausgesetzt waren, sind
zu erfassen, zu registrieren und für die Dauer der erregertypischen Inkubati-
onszeit abzusondern (je nach Agens: Beobachtung oder Quarantäne).

Leitfaden Katastrophenmedizin 289


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Nach einem bioterroristischen Anschlag müssen zunächst keine Krank-


heitssymptome auftreten. Daher ist auch im Verdachtsfall eine frühzeitige
Probennahme (in der Regel Nasen-Rachen-Abstriche, falls machbar auch
Blut- und Urinproben) von Exponierten geboten. Auch von potenziell kon-
taminierten Objekten sollen Proben genommen werden; dies sollte wegen
besonderer Anforderungen an die Probennahmen jedoch möglichst von
spezialisiertem Personal durchgeführt werden.

Der Wirkungsherd wird, wie aus Abbildung 14-2 ersichtlich, gemäß üblichem
Verfahren in drei Zonen (rot, gelb und grün) eingeteilt (JUH 2007). In Räu-
men, Gebäuden und Fahrzeugen (z. B. Züge, Busse) sind Türen und Fenster zu
schließen und Lüftungsanlagen auszuschalten. Betroffene (Krankheitsver-
dächtige, Kranke oder Exponierte) müssen in der gelben Zone verbleiben und
dürfen die Einsatzstelle nicht verlassen. Das ersteintreffende Fahrzeug wird in
der gelben Zone stationiert. Nachfolgende Fahrzeuge und Besatzungen sollten
sich nur auf Anweisung vom grünen in den gelben Bereich bewegen. Sie müs-
sen beim Verlassen der gelben Zone ausreichend dekontaminiert werden.

Alle nachalarmierten und nachrückenden Einheiten (z. B. Polizei, Feuerwehr,


Rettungskräfte, Gesundheitsamt) müssen genau über die Lage der Zone in-
formiert sein. Der Eintritt erfolgt in die grüne (nicht kontaminierte bzw. de-
kontaminierte) „reine“ Zone nur mit Erlaubnis und nach Aufforderung durch
den Einsatzleiter, in die gelbe (kontaminierte) Zone nur mit Eigenschutz.

grüne Zone

mögliche Ausbreitung
14

rote Zone
Windrichtung
kontaminierte Bereiche
reale Aus-
breitung
„reiner“ dekontaminierter Bereich gelbe Zone

Abb. 14-2 Einsatz im biologischen Wirkungsherd. (Nach JUH 2007, S. 34.)

14.2.5 Organisierte Erstmaßnahmen


In Kooperation mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst kann im nächsten
Schritt der Einsatz von Experten (Robert Koch-Institut, Kompetenz- und Be-
handlungszentren, Rettungsdienste) und medizinischen Spezialkräften,
ABC-Abwehr- und medizinischen B-Aufklärungskräften der Bundeswehr

290 Leitfaden Katastrophenmedizin


sowie ggf. kriminalpolizeilicher Unterstützung (z. B. bei Verdacht auf Bioter-
ror) erfolgen. Eine Übersicht hierzu gibt Abbildung 14-3.
Die Organisation des Einsatzes wird von der grünen Zone aus durchgeführt.
Sie umfasst unter anderem:
ƒ Einrichtung der Einsatzleitstelle vor Ort (Einsatzleiter, Meldestelle); bei
Verdacht auf aerogene Übertragung muss auf die Windrichtung geachtet
werden
ƒ Kommunikation mit der Rettungsleitstelle (z. B. Anforderung von Infek-
tions-Krankentransportwagens)
ƒ Organisation frühzeitiger Probennahmen und -transporte (nur nach
Rücksprache mit ausgewiesenem Labor)
ƒ Einweisung anderer Fahrzeuge
ƒ Organisation der medizinischen Versorgung im Herd
ƒ Management der Dekontamination und hygienisch-antiepidemischer
Maßnahmen

Die Einsatzkräfte in der gelben Zone führen nach Eingliederung in das Sys-
tem der Sicherheitszonen und biologischen Schutzstufen und unter der Füh-
rung von Fachkräften, die mit biologischen Lagen vertraut sind, u. a. folgen-
de Maßnahmen durch:
ƒ Isolierung und erste Sichtung der Erkrankten (= Krankheitsverdächtige
und damit potenziell Ansteckungsfähige)
ƒ Medizinische Notfallbehandlung
ƒ Absonderung der Exponierten und Kontaktpersonen (= Ansteckungsver-
dächtige) mittels Beobachtung oder Quarantäne
ƒ Probennahme, z. B. für Umweltproben mit Hilfe des Probennahme-Ruck-
sacks des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe,
14

(BBK und RKI 2007, Bd. I, S. 131–148)


ƒ Probentransport: in sicherer Dreifachverpackung (Innenverpackung,
Umverpackung, Außenverpackung) gemäß ADR/IATA-Vorschriften6 und
mit einwandfreier Dokumentation der Probenübergabe und des Trans-
ports (s. a. BBK und RKI 2007, Bd. I, S. 149–165; BBK und DGKM 2009, Bd. II,
S. 399–403) versenden
ƒ Dekontamination der Exponierten bei Verdacht auf Freisetzung eines Aero-
sols bzw. Pulvers durch Entkleiden und bei sichtbarer Kontamination zusätz-
liches Duschen bzw. Waschen
ƒ Registrierung und Aufklärung der Exponierten und Einleitung der
PEP falls möglich, z. B. mit Rifampicin oder Ceftriaxon bei Verdacht auf
Meningokokken-Meningitis, Diphtherie-, Typhus-, Hepatitis A-, Polio- oder
Pockenimpfungen

6 IATA – International Air Transport Association, ADR – European Agreement Concerning the Interna-
tional Carriage of Dangerous Goods by Road.

Leitfaden Katastrophenmedizin 291


14

Alarmierung Eintreffen im Epidemie- bzw. biologischen Wirkungsherd

Großschadenslagen durch biologische Agenzien


Schädigende Agenzien
292

Orientierung Ausbruchsherd
Checklisten: Einsatzlogistik, Personal, Material
Gefährdungsbeurteilung
(SanEL, OEL, Gesundheitsamt, Polizei, Feuerwehr, Bw)
Biologische Gefährdung

Ja Antiepidemisches Regime
Nein Anlegen PSA/Rot-Gelb-Grün-Bereiche. Schleusen. Dekontamination?

Beginn der Sichtung mit/ohne Dekontamination

Epidemiologische Kriteriena Klinische Kriterienb Gewinnung von Proben für Diagnostika


(ggf. Falldefinition) (Syndrome, Schweregrad) (Gesundheitsamt)

Ansteckungsverdächtige Krankheitsverdächtige
(„gesunde“ B-Exponierte,
Kontakte) Kohortenisolierung

Kohortenabsonderung
(Quarantäne mit medizi-
Sichtungsgruppe III Sichtungsgruppe II Sichtungsgruppe I Sichtungsgruppe IV
Leitfaden Katastrophenmedizin

nischer Beobachtung bis


Leichtkranke Schwerkranke Akute vitale Bedrohung Ohne Überlebenschance
zum Einsatzende)
Sammelplatz
„Exponierte“ Sammelplatz Sammelplatz
Ja Leichtkranke Schwerkranke
Auftreten typischer
Symptome Spätere ambulante Aufgeschobene Sofortbehandlung Abwartende Behand-
Nein Behandlung Behandlung lung/Betreuung
Leitfaden Katastrophenmedizin

Ja
Dekontamination Nachkontrolle: Nachkontrolle: Notärztliche
gemäß SanEL Verschlechterung? Verschlechterung? Ja Versorgungc
Nein Nein
Quarantäne?
stationär oder Abschließende Kontrolle und Transport in Kategorie C-II (I-KTW)
ambulant Nachsichtung Leichtkranker: zur stationären Intensivbehandlung
sofern stabiler Zustand (Sonder- oder Kohortenisolierung)

Beobachtung?
ambulant Kohorte Entlassung in ambulante Behand- Transport in Kategorie C-II nach
(Belehrung) lung nach Ausschluss einer hoch Dringlichkeit zur stationären
ansteckenden/lebensbedroh- Behandlung (Isolierung)
lichen Krankheit
Abschluss:
• Erfassung
• Registrierung Mit Auflagen gemäß IfSG bei Ohne Auflagen bei nicht über-
• Dokumentation Mensch-Mensch-übertragbaren tragbarer Krankheit/Intoxikation
• ggf. PEP Krankheiten (ggf. Absonderung in
• ggf. Desinfektion Form von Beobachtung)
• Probentransport

Einsatzende: Aufhebung des antiepidemischen Regimes im Herd, Schlussdesinfektion, medizinische Beobachtung des Einsatz-
personals über maximale Inkubationszeit und ggf. postexpositionelle Prophylaxe

a durch Amtsarzt/Epidemiologen
b durch Sichtungsarzt/Sichtungsarztgruppe
c durch Notärzte/Ärzte, Rettungsdienstpersonal

Abb. 14-3 Handlungsalgorithmen der notfallmedizinischen Versorgung in einem Epidemieherd oder biologischen Wirkungsherd.
SanEL – Sanitätseinsatzleitung, OEL – Einsatzleitung vor Ort, Bw – Bundeswehr, PSA – Persönliche Schutzausrüstung, Kat. – Katego-
293

rie, IfSG – Infektionsschutzgesetz. (In Anlehnung an Beck et al. 2005, S. 466--473.)

14
Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

14.3 Hygieneregime
Leitlinien für das in der medizinischen Notfallbehandlung tätige Personal
sind das Infektionsschutzgesetz und die in Deutschland gültigen Hygiene-
vorschriften. Darüber hinaus existieren besondere Regeln für die Einsatz-
kräfte (Rettungsdienst, Feuerwehr usw.) für das Vorgehen bei biologischen
Gefahrenlagen. Generell erforderlich sind:
ƒ Sammlung aller kontaminierten Gegenstände zur anschließenden Desin-
fektion, Sterilisation oder Verbrennung
ƒ Desinfektion von kontaminierten Oberflächen mit geeigneten Desin-
fektionsverfahren
ƒ Dekontamination (ggf. Duschen) des Personals und Kleidungswechsel vor
Verlassen der „unreinen“ Zone über Schleusen

Die notwendigen Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen ergeben sich aus der


Einteilung der Patienten nach ihrem Ansteckungsrisiko. Von den im Ret-
tungsdienst üblichen fünf Transportkategorien für infektionsverdächtige
oder -gefährdete Patienten sind nur die Kategorien C-I und C-II für biologi-
sche Lagen von Bedeutung (JUH 2007, S. 48–50).

Kategorie C-I
Patient mit multiresistenten Keimen, wie z. B. Stämmen des Methicillin-
resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), oder mit offener Tuberkulose (TB),
Meningokokken-Meningitis sowie akuter Gastroenteritis durch Noroviren
mit Erbrechen und/oder Ausscheiden dünnflüssiger Stühle.

Erforderlich sind Standard-Hygienemaßnahmen (wie oben beschrieben) so-


14

wie bei Verdacht auf aerogen übertragbare Krankheiten zusätzlich:


ƒ Augenschutz
ƒ Atemschutz (FFP3-Maske mit Ausatemventil)
ƒ Einfacher Mund-Nasen-Schutz (OP-Maske) für Patienten
ƒ Möglichst kein Einsatz eines Rettungswagens (RTW), sondern eines Infek-
tions-Krankentransportwagens (I-KTW) mit Reinigung und Desinfektion
nach der Nutzung

Kategorie C-II
Patienten mit Verdacht auf eine hoch kontagiöse, lebensbedrohliche Krankheit
wie z. B. virales hämorrhagisches Fieber, Lungenpest, Lungenmilzbrand, SARS.
Neben den Schutzmaßnahmen für C-I-Patienten sind zusätzlich erforderlich:
ƒ Fahrzeug soweit als möglich ausräumen und Notfallausrüstung in der
Fahrerkabine deponieren
ƒ Fahrerabteil getrennt halten, Zwischenfenster schließen
ƒ Innenbelüftung (bei geschlossenem Luftkreislauf) ausschalten

294 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ Einmal-Abdecktücher verwenden, falls keine adäquate Wäscheentsor-
gung möglich ist
ƒ Bei der Übernahme des infizierten Patienten nur das unbedingt notwendi-
ge Personal und Material einsetzen
ƒ Bei Verschmutzung mit Blut, Sekret usw. sofortige Reinigung und Desin-
fektion
ƒ Schutzkleidung erst in der Fahrzeug- und Gerätezentrale ablegen und
sachgerecht entsorgen
ƒ Nach dem Einsatz Fahrzeuginnenraum und gebrauchte Gegenstände inkl.
Ablageflächen reinigen und desinfizieren

14.4 Medizinische Notfallbehandlung


Bei Verdacht auf eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit sollte der Pa-
tient nach Möglichkeit auf einer infektiologischen Infektionsstation isoliert
und behandelt werden. Falls sich der Infektionsverdacht entkräftet, kann auf
allgemeinen Infektionsstationen weiterbehandelt werden. Diese Vorsichts-
maßnahme gilt entsprechend, falls begleitende Verletzungen eine chirur-
gische Intervention erfordern.
Lebensrettende Maßnahmen gehen in jedem Falle vor!

14.4.1 Zuweisung der klinischen Behandlungsplätze


Im Falle einer biologischen Großschadenslage ist mit einer hohen Zahl
Krankheitsverdächtiger und Patienten mit psychosomatischen Reaktionen
sowie noch gesunder, potenziell ansteckungsverdächtiger Exponierter zu
14

rechnen. Eine sorgfältige Sichtung ist deshalb essenziell, um die knappen


intensivmedizinischen bzw. infektiologischen Behandlungsplätze optimal
zu nutzen. Eine häufige Gefahr besteht darin, dass der kaum begründete
Verdacht auf seltene oder klinisch bzw. epidemiologisch weniger relevante
Erreger unnötig Behandlungsressourcen bindet.

Bitte beachten

Grundlage der Sichtung sollte auch die Überlegung sein, wie wahrschein -
lich das Vorliegen einer seltenen Infektionskrankheit ist und welche epi-
demiologische Bedeutung dieser Verdachtsdiagnose zukommen würde.
Eine Orientierung hierfür gibt Tab. 14-1.

Leitfaden Katastrophenmedizin 295


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Für die Bewertung des Gefährdungspotenzials einer Infektionskrankheit


wichtige Kriterien sind die:
ƒ Klinische und prognostische Bedeutung für den Kranken im Interesse ei-
ner früh- bzw. rechtzeitigen kausalen Therapie, um Leben zu retten und
schwere Verläufe oder Komplikationen zu vermeiden
ƒ Epidemiologische Bedeutung für das Gemeinwesen, um im Falle lebens-
bedrohender oder leicht von Mensch zu Mensch übertragbarer Krankhei-
ten die Entwicklung von Epidemien zu verhindern bzw. diese frühzeitig zu
kontrollieren

Die klinische Versorgung im Falle von außergewöhnlichen Seuchengesche-


hen mit einem Massenanfall an Krankheitsverdächtigen sollte nach den Seu-
chenalarm- und Einsatzplänen der jeweiligen Krankenhäuser erfolgen.

14.4.2 Individuelle Disposition


Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung spielt auch bei hoch kontagi-
ösen und lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten die individuelle
Disposition (= Infektanfälligkeit) eine wichtige Rolle für den Krankheits-
verlauf. Sie hängt von der unspezifischen und spezifischen Infektabwehr
der Exponierten ab, die vor allem auf der natürlichen Resistenz und durch
Infektionen oder Impfungen erworbenen Immunität beruht. Aus histori-
schen Ausbrüchen gefährlicher Infektionskrankheiten ist bekannt, dass
anfällige Bevölkerungsgruppen besonders betroffen waren. Dies betrifft
sowohl natürliche Epidemien (z. B. Spanische Grippe bei Eskimos 1918, Neue
Influenza in Neuseeland 2009) als auch versehentliche bzw. absichtlichen
Expositionen (z. B. Anthraxausbruch in Sverdlovsk 1979, Anthraxbriefe in
14

den USA 2001).

Es ist deshalb sinnvoll, bei einer großen Zahl (tatsächlich oder potenziell)
betroffener Personen auch die individuelle Disposition bei der Sichtung und
Triage mit zu berücksichtigen. Dazu gehören neben der Altersdisposition so-
wie der Berufs- und Reiseexposition insbesondere prädisponierende Krank-
heiten wie:
ƒ Angeborene und erworbene Immunsuppression (z. B. HIV-Infektion)
ƒ Tumore, Leukämien und Krankheiten des blutbildenden Systems
ƒ Schwere Adipositas und metabolisches Syndrom
ƒ Schwere Herz-Kreislauf-Krankheiten
ƒ Chronische Atemwegserkrankungen, z. B. COPD (chronic obstructive pul-
monary disease), Mukoviszidose, Asthma bronchiale
ƒ Chronische Lebererkrankungen
ƒ Chronische Nierenerkrankungen
ƒ Drogen- und Alkoholabusus, starkes Rauchen

296 Leitfaden Katastrophenmedizin


14.4.3 Differenzialdiagnostik
Aus der klinischen Symptomatik kann, insbesondere im Anfangsstadium ei-
nes AGS und bei einer großen Zahl potenziell Exponierter, nur in Ausnahme-
fällen auf die Art des Erregers geschlossen werden. Eine grobe Orientierung
über die zu erwartenden Symptome gibt Tabelle 14-5.

Tab. 14-5 Differenzialdiagnose außergewöhnlicher Seuchengeschehen.


(Nach BBK und RKI 2007, S. 100)

Lungenpest
Botulismus

Milzbrand
Brucellose

Tularämie
Influenza

Q-Fieber
Pocken

Ricin
SARS

VHF
VEE
SEB
T2
Allgemeinsymptome

Fieber/Schüttelfrost + + + + + + + + + + + +

grippale Symptome + + + + + + + + + + + +

Muskelschmerz + + + + + + + + + + + +

Muskelsteife (Rigor) +

Schock + + + + + + +

Schwäche + + + + +

Haut

Rötung (Erythem) + + + +
14

Ausschlag (Exanthem) + + + + + + + + +

Blasen (Bullae) +

Bläschen (Vesikel) + +

Papeln + + + +

Ulzera + + +

Gangrän +

Magen-Darm-Trakt

Bauchschmerz + + +/– + + + + + + +

Durchfall +/– + +/– + + + + + + +

Erbrechen + + + + + + + + +

Bluterbrechen + + + +

Leitfaden Katastrophenmedizin 297


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

Lungenpest
Botulismus

Milzbrand
Brucellose

Tularämie
Influenza

Q-Fieber
Pocken

Ricin
SARS

VHF
VEE
SEB
T2
Blut im Stuhl + + + + +

Teerstuhl + + +

Atemwege

Dyspnoe + + + + + + + + + +

Zyanose + + + +

Brustschmerz + + + + + + + + +

Husten + + + + + + + + + + + + +

Bluthusten + + + + +

Stridor +

SEB – Staphylokokken-Enterotoxin B; SARS – severe acute respiratory syndrome; VEE – Venezolanische


Pferdeenzephalitis; VHF – virales hämorrhagisches Fieber; T2 – T2-Mykotoxin (ein Schimmelpilzgift).

Die definitive Feststellung des kausalen Agens wird bei biologischen Groß-
schadenslagen im Rahmen der Notfallversorgung oft nicht möglich sein. Für
eine detailliertere Darstellung der infrage kommenden bakteriellen und vira-
len Erreger und ihre Diagnostik wird an dieser Stelle auf die Spezialliteratur
verwiesen (z. B. Kekulé et al. 2008; BBK und RKI, Bd. I, S. 166–187, Bd. II, Kap. 4).

Im Rahmen der Sichtung während eines ASG ist eine klinische Differenzial-
14

diagnostik allein schon wegen der zumeist unspezifischen Symptomatik


(z. B. grippeähnliche oder gastrointestinale Symptomatik, unklares Fie-
ber mit oder ohne Exanthem, meningo-enzephalitische Symptome) kaum
machbar. Hinzu kommt, dass Patienten, die sich im Prodromal- oder frühen
akuten Stadium der Krankheit befinden, oft noch keine erregertypischen
Krankheitszeichen aufweisen.

Statt die Sichtung von Betroffenen in einem ASG an bestimmten Krankheiten


bzw. Verdachtsdiagnosen auszurichten, sollten deshalb generische klini-
sche Kriterien gewählt werden, die sich an leicht feststellbaren Symptomen
orientieren. Damit werden die rasche Differenzierung der Schweregrade
und Krankheitsstadien und die Festlegung der erforderlichen Behandlungs-
und Transportprioritäten gesichert.

Neben der Anamnese sollten hierbei auch klinische Hinweise auf typische In-
fektionskrankheiten besondere Beachtung finden. Häufig betroffen sind der

298 Leitfaden Katastrophenmedizin


Respirations-, Verdauungs- und Urogenitaltrakt, die Leber sowie das Nerven-
system. Zu achten ist deshalb insbesondere auf Veränderungen von Atmung,
Kreislauf, Bewusstseinslage, Körpertemperatur sowie auf Blutungen der
Schleimhäute, Durchfall, Erbrechen, Krämpfe, Lähmungen, Hautverände-
rungen und vergrößerte Lymphknoten.

Praxis-Tipp

Hilfreich können auch bereits international eingeführte Sichtungssche -


mata sein, die z. B. für erworbene Pneumonien, septisches Schock- oder
akutes Atemnot-Syndrom (ARDS) verfügbar sind.

14.4.4 Medizinische Sofortmaßnahmen


Für die Darstellung der konkreten therapeutischen Maßnahmen wird auf die
umfangreiche Fachliteratur zu diesem Thema verwiesen. Als Orientierung
für die ersten notfallmedizinischen Maßnahmen kann der in Abbildung 14-3
dargestellte Handlungsalgorithmus dienen. Darüber hinaus können folgen-
de allgemeine Empfehlungen gegeben werden (Behandlungsempfehlungen
s. Tab. 14-6):
ƒ Primäre Sicherung der Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf, Niere)
ƒ Schnelle Abklärung, ob überhaupt ein Infektionsgeschehen vorliegt (ggf.
mittels Schnelldetektion und Schnelldiagnostik); Abgrenzung anderer
Noxen mit ähnlicher Symptomatik, insbesondere Verstrahlung und Ver-
giftung (z. B. Chemikalien und Kampfstoffe, bakterielle Toxine, Pflanzen-
14

gifte)
ƒ Einschätzung der möglichen Wirkung des biologischen Agens: letal oder
handlungsunfähig machend (vgl. Tab. 14-3)
ƒ Annahme des „worst case“ und Gewährleisten des maximalen Infektions-
schutzes für Personal, Patienten und Exponierte bis zum Ausschluss einer
hoch ansteckenden, lebensbedrohlichen Krankheit
ƒ Erfassen und Isolieren aller ansteckungsfähigen Personen (d. h. Erkrankte,
unabhängig von der Krankheitsschwere)
ƒ Absonderung (Quarantäne oder medizinische Beobachtung) der anste-
ckungsverdächtigen Personen (alle potenziell Exponierten und Kontakt-
personen sowie ungeschützt exponiertes medizinisches Personal, Ret-
tungs- und Ordnungskräfte)
ƒ Abschluss einer eventuell erforderlichen chirurgischen Versorgung von
Exponierten mit begleitenden Verletzungen möglichst innerhalb der In-
kubationszeit und frühzeitiges Einleiten einer möglichen PEP

Leitfaden Katastrophenmedizin 299


Schädigende Agenzien
Großschadenslagen durch biologische Agenzien

ƒ Weitere medikamentöse Therapie nach Symptomatik, z. B.:


• Sofortige Gabe von Breitband-Antibiotika bei Verdacht auf bakterielle
Infektionen (z. B. Doxycyclin, Ciprofloxacin, Ofloxacin, Levofloxacin,
Ceftazidim, Chloramphenicol mit Streptomycin bei Meningitisver-
dacht)
• Fiebersenkung (Paracetamol, Ibuprofen); kein Aspirin bei Verdacht auf
hämorrhagisches Fieber!
• Bei Schmerzen Analgesie und ggf. Sedierung (z. B. Metamizol, Tramadol,
Esketamin in Kombination mit Midazolam, vgl. auch Kap. 9)
• Bei Angstzuständen und Panikreaktionen ggf. Sedierung (z. B. Diazepam)
• Bei Volumenmangel z. B. infolge von Durchfall, Erbrechen oder Blutun-
gen Flüssigkeits- und Elektrolyt-Substitution (z. B. Ringer-Laktat-Lösung;
orale Elektrolytlösung nach WHO-Empfehlung).

Tab. 14-6 Empfehlungen zur Behandlung von exponierten Personen in ei-


nem biologischen Wirkungsherd.

Patiententyp Empfehlung Maßnahmen

„Gesund“ – ohne Fieber, Quarantäne bis zum Aus- Medizinische Beobachtung


respiratorische, gastrointes- schluss einer bedrohlichen (Temperatur, Sympto -
tinale, Haut/Schleimhaut-, Krankheit (zu Hause, matik); eventuell PEP und
hepatische, renale und/oder stationär, in Kohorten) Isolierung bei Verdacht auf
ZNS-Symptome/Befunde bedrohliche Krankheit

Fieber, respiratorische, gast- Isolieren bis zum Aus- Symptomatische und kalku-
rointestinale, Haut/Schleim- schluss einer bedrohli- lierte Antibiotikatherapie;
haut-, hepatische, renale chen Krankheit ggf. Impfungen;
und/oder ZNS-Symptome (stationär, in Kohorten) PSA, Desinfektion
Stationär behandeln
14

Wahrscheinliche/bestätigte Isolierung nach epidemio - Symptomatische und kau-


Krankheit durch B-Agens; logischer Indikation (z. B. sale Therapie (Antibiotika,
ohne Begleitkrankheit Pocken, VHF) Virustatika); ggf. Impfun-
Stationär behandeln gen; PSA, Desinfektion

Wahrscheinliche/bestätigte Isolierung nach epide - Symptomatische und kau-


Krankheit durch B-Agens miologischer Indikation sale Therapie (Antibiotika,
mit chronischer Begleit- Stationär behandeln Virustatika); ggf. Impfun-
krankheit; ohne pulmonale/ gen; PSA, Desinfektion
kardiale Komplikationen

Wahrscheinliche/bestätigte Isolierung nach epidemio - Kompensieren der chro -


Krankheit durch B-Agens mit logischer Indikation nischen Krankheit und
dekompensierter Begleit- stationäre intensivme - Komplikationen; kausale
krankheit und pulmonalen/ dizinische Behandlung Therapie der durch B-Agens
kardialen Komplikationen verursachten Krankheit;
PSA, Desinfektion

ZNS – Zentralnervensystem, PEP – Postexpositionsprophylaxe, PSA – Persönliche Schutzausrüstung,


VHF – virales hämorrhagisches Fieber.

300 Leitfaden Katastrophenmedizin


Literatur

Beck A, Baeff-Filloff M, Kanz KG, Sauerland S. Algorithmus für den Massenan-


fall von Verletzten an der Unfallstelle. Notfall Rettungsmed 2005; 8: 466–473.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsche


Gesellschaft für KatastrophenMedizin (DGKM). Notfall- und Katastrophen-
Pharmazie, Band I: Bevölkerungsschutz und Medizinische Notfallversor-
gung. Bonn: BBK, DGKM; 2009.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsche


Gesellschaft für KatastrophenMedizin (DGKM). Notfall- und Katastrophen-
Pharmazie, Band II: Pharmazeutisches Notfallmanagement. Bonn: BBK,
DGKM; 2009.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Robert


Koch-Institut (RKI), Hrsg. Biologische Gefahren Bd. I und II, Handbuch zum
Bevölkerungsschutz. 3. Aufl. Bonn, Berlin: BBK, RKI; 2007.

Geißler E. Control of Dual-Threat Agents. The Vaccines for Peace Programme.


SIPRI Publication No. 15, Stockholm, 1994.

Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), Hrsg. GEMAESS – Biologische Gefahrenlagen.


Leitfaden für Rettungs- und Einsatzdienste bei Ereignissen mit biologischen
Gefahrstoffen. Berlin: JUH; 2007.

Kekulé A et al., Hrsg. Hochpathogene Erreger und Biologische Kampfstoffe.


14

MiQ – Qualitätsstandards in der mikrobiologisch-infektiologischen Diagnos-


tik. Band 1–4. München: Elsevier; 2008.

Weigend C, Menzel G, Finke EJ. Trinkwasser als Übertragungsfaktor human-


pathogener Erreger 1. Mitteilung: Epidemiologisch-ökologische Ausgangsla-
gen – zugleich ein Diskussionsbeitrag zur Klassifizierung von Katastrophen-
situationen aus epidemiologischer Sicht. Z Militärmedizin 1984; 24: 148–152.

Leitfaden Katastrophenmedizin 301


Aspekte zum
Management in
Katastrophen-
situationen
15 Verteilungsplanung von Verletzten
im Massenanfall von Verletzten
und Katastrophenfall
16 Krankenhausalarmplanung
17 Notfall- und KatastrophenPharmazie –
Pharmazeutisches Notfallmanagement
18 Dekontamination und Behandlung Ver-
letzter bei chemischen Gefahrenlagen
19 Notwendige Vorbereitungen für Ein-
satzkräfte in neuen Bedrohungslagen
20 Daseinsvorsorge und Nothilfe bei
Flüchtlingsbewegungen
21 Rechtsmedizinische Aspekte bei
Großschadensereignissen
Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Verteilungsplanung von Verletzten im Massenanfall von Verletzten und Katastrophenfall
15
Verteilungsplanung von Ver-
letzten im Massenanfall von
Verletzten und Katastrophenfall
C. Kleber, H. J. Bail

Die Verteilungsplanung der Verletzten im Massenanfall von Verletzten


(MANV) oder Katastrophenfall stellt aufgrund der Schnittstelle Rettungs-
dienst – Klinik eine Herausforderung dar. In einigen Bundesländern (Bayern,
Berlin, Hessen) existieren dafür Verteilungspläne, welche bei den zuständi-
gen Einsatzleitstellen und Führungsebenen hinterlegt sind. Zur Erstellung
dieser notwendigen Verteilungspläne ist die Kenntnis folgender Ressourcen
der katastrophenmedizinischen Einsatzplanung notwendig (Bail et al. 2009).

15.1 Präklinik
Die präklinische Versorgung der Patienten ist von der Anzahl der Verletzten,
der Schwere der Verletzungen, dem zur Verfügung stehenden Personal und
Material und der vorhandenen Transportkapazität abhängig. Die Transport-
kapazität wiederum ist von der Anzahl der Patienten, der Entfernung vom
Transportziel, der Anzahl gleichzeitig transportierbarer Patienten und der
benötigten Transportzeit abhängig (De Boer et al. 2000). Die Sichtung mit
Durchführung von lebensrettenden Sofortmaßnahmen und Einteilung der
Patienten in die Sichtungskategorien (SK) I bis IV (vgl. Kap. 4) stellt die Grund-
15

lage der Verteilungsplanung dar (Sefrin et al. 2003).


Anhand der Triage- oder Sichtungskategorien und der zur Verfügung ste-
henden Transportkapazitäten werden Behandlungs- und Transportpriorität
festgelegt. Dabei sind SK-I-klassifizierte Patienten umgehend zu stabilisieren
und in ein geeignetes Klinikum zu transportieren. Diese Patienten haben
also eine Versorgungs- und Transportpriorität. Ebenso ist mit Patienten der
Gruppe SK II zu verfahren, vorausgesetzt es stehen ausreichend Versorgungs-
und Transportkapazitäten zur Verfügung. Die präklinische Behandlungs-
kapazität, welche ebenfalls in der Vorsorgeplanung berücksichtigt werden
muss, ist von den Personalressourcen und den verfügbaren Materialvorräten
abhängig (De Boer und Dubouloz 2000).

Leitfaden Katastrophenmedizin 305


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Verteilungsplanung von Verletzten im Massenanfall von Verletzten und Katastrophenfall

Präklinische Versorgungskapazität
ƒ Anzahl der Verletzten
ƒ Schwere des Ereignisses (SE)
ƒ SE = (SK I + SK II) / SK III
ƒ Schwere der Verletzungen
ƒ Rettungspersonal
ƒ Medizinisches und technisches Material
ƒ Transportkapazität

Da im Rahmen der katastrophenmedizinischen Einsatzplanung nicht alle


Szenarien abgebildet werden können, muss die vor Ort befindliche Einsatz-
leitung die Versorgungs- und Transportkapazitäten genau kennen. Dabei
müssen eventuelle Schäden der Infrastruktur in Betracht gezogen werden,
die dazu führen können, dass bestimmte Transportwege nicht mehr nutzbar
sind. Neben der Festlegung der Einsatztaktik muss die frühestmögliche in-
dividualmedizinische Versorgung der Verletzten angestrebt werden. Dabei
sollten bewährte Versorgungsstrategien, wie die der Schwerstverletzten-
Versorgung, auch im Katastrophenfall berücksichtigt werden. Diesbezüg-
lich sollte nach präklinischer Sichtung und Stabilisierung der Patienten in
Anhängigkeit der Versorgungskapazität ein Prioritäten- und Verletzungs-
muster-orientierter Transport in eine geeignete Klinik erfolgen (s. Abb. 15-1).

Sichtung

SK I SK II SK III

Versorgungspriorität in Ab- Nein Therapiefreies Intervall


Versorgungspriorität
hängigkeit der Ressourcen möglich?

Präklinisch suffiziente Nein


15

Therapie möglich?
Nein

Transport in Abhängigkeit
Transportpriorität
der Ressourcen

Abb. 15-1 Flussdiagramm zur präklinischen Vergabe der Versorgungs- und


Transportpriorität. (Grafik: Nach C. Kleber, modifiziert.)

Um Verletzte im Katastrophenfall oder MANV in geeignete Kliniken verteilen


zu können, muss die vor Ort befindliche Einsatzleitung und die verantwortli-
che Rettungsleitstelle über die Versorgungs- und Bettenkapazitäten der um-
liegenden Kliniken informiert sein. In einigen Bundesländern (z. B. Bayern,
Berlin, Hessen) existieren dafür detaillierte Verteilungspläne, die bei den zu-
ständigen Einsatzleitstellen und Führungsebenen hinterlegt sind.

306 Leitfaden Katastrophenmedizin


15.2 Klinik
Die Aufnahme- und Versorgungskapazität der Kliniken sind von folgenden
Faktoren abhängig:
ƒ Personal
ƒ Ausrüstung, Gerätschaften, Material
ƒ bauliche Gegebenheiten
ƒ organisatorische Strukturen

Der Faktor Personal ist limitiert und an die Größe der Klinik (Bettenzahl)
gebunden. Im Rahmen eines Katastrophenfalles können ca. 30 % des Perso-
nalstammes binnen 60 Minuten aus der Freizeit aktiviert werden (Schmied-
le und Sefrin 2003). Zur Verstärkung der Ressource Personal können nach
dem Konzept der Erstversorgungsklinik externe Kräfte rekrutiert werden
(Adams et al. 2006). Mit den Faktoren Ausrüstung, Gerätschaften und Mate-
rial sind vor allem Beatmungsgeräte, Überwachungsmonitore, Infusionen,
Thoraxdrainagen und Verbandsmaterialen gemeint, da sie für den Notfall
relevant sind. Die vorhandene Ausrüstung kann mit Geräten und Mate-
rialien aus Notfalldepots sowie Transport- oder Reservebeatmungsgeräten
der Intensivstationen und des OP-Bereiches ergänzt werden. Hinsichtlich
der baulichen Gegebenheiten sollten Ausweichräume zur Behandlung von
SK-II/III-Patienten, Not-OP-Säle, Schockräume und eventuelle Reserveräu-
me in die baulichen Planungen der Kliniken mit einbezogen und vorgehal-
ten werden. Wie bereits oben erwähnt ist auch im Rahmen der klinischen
katastrophenmedizinischen Versorgung die Etablierung einer klaren Füh-
rungsstruktur notwendig.

Praxis-Tipp
15

Zur Berechnung der Versorgungskapazität kann die Formel von Peters


benutzt werden (Peters 1988):
Versorgungskapazität
= [ (Beatmungsgeräte / 3) + (OP-Säle / 2) + (Not-OP-Säle) ] × 2,5

Diese Berechnungsformel hat sich in Berlin bei der praktischen katastro-


phenmedizinischen Übung von Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstu-
fen bewährt (Bail et al. 2009).

Bezüglich der Aufnahmekapazität haben retrospektive Untersuchungen ge-


zeigt, dass im MANV oder Katastrophenfall ca. 30–40 % der Bettenkapazität in
kurzer Zeit freigemacht werden können (Adams und Baumann 2006, Davis et al.

Leitfaden Katastrophenmedizin 307


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Verteilungsplanung von Verletzten im Massenanfall von Verletzten und Katastrophenfall

2005, Hick et al. 2004, Schmiedle und Sefrin 2003). Ebenso zeigten Untersu-
chungen mit Berücksichtigung der durchschnittlichen OP-Auslastung einen
möglichen Kapazitätszugewinn von ca. 65 % (Schmiedle und Sefrin 2003). Die
Intensiv- und Überwachungsbettenkapazität mit ihrer beschränkten schnel-
len Erweiterbarkeit und ihren beschränkten Verlegungsmöglichkeiten stellt
eine der kritischsten Ressourcen der katastrophenmedizinischen Krankenh-
ausvorsorgeplanung dar (Stein et al. 2003). Unter Berücksichtigung aller Ein-
zelkapazitäten kann aus den Bettenkapazitäten der Kliniken ein Richtwert
über die Aufnahmekapazität der einzelnen Klinik für die katastrophenmedi-
zinische Vorsorge- und Verteilungsplanung abgeleitet werden.

15.3 Verteilungsplanung
Das Ziel der katastrophenmedizinischen Vorsorgeplanung muss die Erstellung
von Plänen über die Verteilung der Patienten im MANV oder Katastrophenfall
sein, und zwar unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Versorgungska-
pazitäten der Kliniken. Hierzu sollten sogenannte Wellenpläne angefertigt
werden. Inhalt der Wellenpläne ist die Verteilung der Verletzten in die Klini-
ken. Die Verteilung der Verletzten sollte in mindestens zwei Phasen unterteilt
werden: In der ersten Phase des MANV oder Katastrophenfalls sollten nur
Patienten der Sichtungskategorien SK I oder SK II in die geeigneten Kliniken
transportiert werden, wobei die Versorgungskapazitäten der Kliniken berück-
sichtigt werden müssen. In der zweiten Phase hat bereits ein Abtransport von
Patienten vom Schadensort stattgefunden, sodass in einer zweiten „Welle“ er-
neut eine festzulegende Anzahl von Patienten, jetzt auch der Sichtungskatego -
rie SK III, in die Kliniken eingeliefert werden kann. Die Anzahl der Verletzten
muss getrennt nach Sichtungskategorien festgelegt werden. Weiterhin ist im
Hinblick auf die Transportkapazitäten das Vorhandensein eines Hubschrau-
berlandeplatzes in der Verteilungsplanung zu berücksichtigen.
15

Liegt ein Verteilungs- und Wellenplan vor, hat sowohl die vor Ort befindliche
Einsatzleitung als auch die Klinikeinsatzleitung im Katastrophenfall die Mög-
lichkeit, Ressourcen optimal einzusetzen und somit ein „Überlaufen“ und da-
mit eine Handlungsunfähigkeit der Kliniken zu verhindern und andererseits
eine frühestmögliche individualmedizinische Versorgung zu gewährleisten.

15.4 Katastrophennetzwerk der Deutschen


Gesellschaft für Unfallchirurgie
Das Ziel des Katastrophennetzwerkes der Deutschen Gesellschaft für Unfall-
chirurgie (DGU) ist die Erstellung eines bundesweiten Registers der Versor-

308 Leitfaden Katastrophenmedizin


gungskategorien und -kapazitäten im Großschadens- und Katastrophenfall.
Berücksichtigt werden alle Kliniken, die am Traumanetzwerk Deutschland
der DGU beteiligt sind. Die Versorgungskategorien und -kapazitäten wer-
den dabei nach Sichtungskategorien unterteilt (s. Abb. 15-2). Die erhobenen
Daten sollen der örtlichen Einsatzleitung und der zuständigen Rettungsleit-
stelle zur Verfügung gestellt werden und so eine optimale Verteilung der
Patienten nach Versorgungskapazität und Sichtungskategorie auch im Kata-
strophenfall ermöglichen.

Abb. 15-2 Prinzip eines bundesweiten Registers der Versorgungskategorien


und -kapazitäten. (Grafik: P. Fischer, AG Katastrophenmedizin der Sektion
Notfall- und Intensivmedizin [NIS] der DGU, modifiziert; aus Bail et al. 2008.)
15

Damit können regionale Überlastungen mit letztendlicher Funktionsun-


fähigkeit der Klinik vermieden werden und die einzelnen Kliniken hand-
lungsfähig bleiben. Auch regionale und infrastrukturelle Probleme (Hoch-
wasser, eingestürzte Brücken), die den Patiententransport erschweren,
sollen in den Verteilungsalgorithmus integrierbar sein. Weiterhin können
Kliniken mit Hubschrauberlandeplatz speziell gekennzeichnet werden.
Mit Hilfe des Katastrophennetzwerkes kann eine länderübergreifende
Verteilung der Patienten nach Sichtungskategorien und Versorgungska-
pazitäten unter Einbeziehen der Entfernung und Transportkapazitäten
durchgeführt werden.

Leitfaden Katastrophenmedizin 309


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Verteilungsplanung von Verletzten im Massenanfall von Verletzten und Katastrophenfall

Literatur

Adams HA, Baumann G, IAG Schock d. DIVI. Stellungsnahme zur Patienten-


versorgung im Katastrophenfall. Intensivmed 2006; 43: 452–456.

Bail HJ, Fischer P, Mahlke L, Matthes G, Ruchholtz S, Weidringer JW. Das Netz-
werk Katastrophenmedizin: Eine Initiative der DGU und des Bundesamtes
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Berlin: Deutsche
Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU); 2008. Online verfügbar unter:
http://www.dgu-online.de/de/unfallchirurgie/katastrophenmedizin/index.jsp
[letzter Zugriff: 05.03.2010].

Bail HJ, Kleber C, Haas NP, Fischer P, Mahlke L, Matthes G, Ruchholtz S, Wei-
dringer JW. Verteilungsplanung von Verletzten im MANV oder Katastrohen-
fall – Strukturierung der Krankenhauskapazitäten am Beispiel des Katastro -
phennetzwerk der DGU. Unfallchirurg 2009; 112 (10): 870–7.

De Boer J, Dubouloz M. Handbook of Disaster Medicine. 1st ed. Zeist, Nether-


lands: VSP Books; 2000.

Davis DP, Poste JC, Hicks T, Polk D, Rymer TE, Jacoby I. Hospital bed surge
capacity in the event of a mass-casualty incident. Prehosp Disaster Med 2005;
20 (3): 169–76.

Hick JL, Hanfling D, Burstein JL et al. Health care facility and community stra-
tegies for patient care surge capacity. Ann Emerg Med 2004; 44 (3): 253–61.

Peters S. Katastropheneinsatzplanung – Ein Vorschlag zur Kapazitäten-


berechnung. Notfallmed 1988; 14: 693–694.
15

Schmiedle M, Sefrin P. Limitiernde Faktoren der stationären Versorgung


unter katastrophenmedizinischen Bedingungen. Notarzt 2003; 19: 220–228.

Sefrin P, Weidringer J, Weiss W. Sichtungskategorien und deren Dokumen-


tation. Dtsch Aerztbl 2003; 100 (31): A2057–2058.

Stein M, Hirshberg A, Gerich T. Mass casualties after an explosion. Unfall-


chirurg 2003; 106 (10): 802–10.

310 Leitfaden Katastrophenmedizin


16
Krankenhausalarmplanung
D. Cwojdzinski, U. Schneppenheim

16.1 Grundsätze der Krankenhausalarm-


planung
Die rechtlichen Grundlagen für die Krankenhausalarmplanung sind in
den Krankenhaus- oder Katastrophenschutzgesetzen der Länder verankert
(Übersicht s. beiliegende CD-ROM). Der vom Bundesamt für Bevölkerungs-
schutz und Katastrophenhilfe bereitgestellte Leitfaden zur Krankenhaus-
alarmplanung (Cwojdzinski et al. 2008) dient den Krankenhäusern zur Ver-
einheitlichung der Planungen.

Gefahrenlagen und Szenarien


Krankenhäuser werden durch unterschiedliche Gefahrenlagen bedroht.
Folgende Lagen sind zu differenzieren:
ƒ externe Gefahrenlagen
ƒ interne Gefahrenlagen
ƒ biologische Gefahrenlagen
ƒ chemische, radiologische und nukleare (CRN-)Gefahrenlagen
(Kontaminationsverdacht)

Szenarien externer Gefahrenlagen


ƒ Busunfall, Zugunfall (U-/S-Bahn, Fernzüge), Flugzeugabsturz/-notlandung,
Bombenattentat, Hauseinsturz, Brand
ƒ Massenvergiftung
16

Szenarien interner Gefahrenlagen


ƒ Brand oder Explosion
ƒ Freisetzen und Eindringen gefährlicher Stoffe
ƒ Naturereignisse (Sturm, Hochwasser)
ƒ Einsturz von Gebäuden
ƒ Bombendrohung, Bombenfund

Szenarien biologischer Gefahrenlagen


ƒ Verdacht auf ein bioterroristisches Ereignis
ƒ Ausbruch von sonstigen Infektionskrankheiten (z. B. Norovirus,
Salmonellen)
ƒ Pandemie (z. B. Influenza)

Leitfaden Katastrophenmedizin 311


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

Szenarien CRN-Gefahrenlagen
ƒ Schadstofffreisetzungen aus Störfallbetrieben
ƒ Terroranschlag
ƒ Gefahrgutunfall

Funktionen im Einsatz
Die Funktionsabläufe in einer Klinik im Einsatzfall ergeben sich aus Abb. 16-1
(s. folgende Seite).

Alarmierungs- und Einsatzpläne


Für die unterschiedlichen Gefahrenlagen und ihre verschiedenen Szenari-
en werden in den Krankenhäusern Alarmierungs- und Einsatzpläne erstellt
und fortgeschrieben. Kurze Handlungsanweisungen für die relevanten
Funktionsbereiche, in denen die Aufgaben im Einsatzfall beschrieben wer-
den, ergänzen den Plan. Dadurch wird ein einheitliches Handeln sicherge-
stellt. Die Verantwortung für die ständige Aktualisierung der Pläne trägt der
Katastrophenschutzbeauftragte der Klinik. Eine multifunktional besetzte
Arbeitsgruppe sollte den Katastrophenschutzbeauftragten unterstützen.

In dem Maße, in dem Kinder unter den Verletzten sind, sollten klinische
Abteilungen für Kinderheilkunde und/oder Kinderchirurgie je nach Verlet-
zungsart und/oder Schwere der Verletzungen in die Planungen zur Aufnah-
me von Patienten einbezogen werden (Hentschel und Nicolai, s. auch Kap. 6).

Bitte beachten

Alarmierungsplan
Die Alarmierung der Krankenhausmitarbeiter wird über den Alarmie -
rungsplan geregelt. Darin sind einzelne Alarmierungsanweisungen und
16

-listen ggf. in Abhängigkeit von bestimmten Szenarien enthalten.


Einsatzplan
Im Einsatzpan werden alle vorbereiteten Maßnahmen für eine bestimm-
te Gefahrenlage beschrieben. Darin sind auch Handlungsanweisungen in
Checklistenform für die einzelnen Funktionsbereiche einer Klinik enthalten.

312 Leitfaden Katastrophenmedizin


Verlegung/Entlassung
Leitfaden Katastrophenmedizin

Selbst-
einweiser
Absonderung / Behandlungs Zentrale Dienste
Dekontamination bereiche Stationen

Labor
Rettungs- Telefon-
mittel zentrale Notaufnahme Bildgebende
Sofortbehandlung
Sichtung Diagnostik
Pforte / Funktionsbereiche
Wegeführung Patienten- Aufgeschobene Apotheke /
dokumentation Behandlung med. Produkte
Ange-
hörige Niedrige Behand-
ITS Logistik
lungspriorität
Gesund-
Abwartende Küche/ heitsbe-
OP-Bereich hörde
Behandlung Versorgung
Presse
Medizinischer
Einsatzleiter
Krankenhausleitung
Feuerwehr

Krankenhauseinsatzleitung

Angehörigen- S1 S2
betreuung Fachberater
Personal Lage Polizei

Pressebetreuung S3 S4
Einsatz Versorgung

S5 S6 Legende
Mitarbeiter- Wege bei Bedarf
Mitarbeiter registrierung Presse- und IT/
Medienarbeit Kommunikation Information
Interaktion Stand: 08 / 03 /09

Abb. 16-1 Funktionsübersicht einer Klinik im Einsatzfall. ITS – Intensivstation, OP-Bereich – Operationsbereich, IT – Informationstechnik,
313

S – Sachgebiet. (Idee: G. Jung, Grafik: Nach M. Strehl, modifiziert.)

16
Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

16.2 Erstmaßnahmen im Einsatz


Alarmierung
Die Alarmierung der Kliniken erfolgt grundsätzlich über die Rettungs-
leitstellen. Die internen Alarmierungsverfahren werden hausspezifisch
festgelegt. Eine zentrale Rolle übernimmt dabei die Notaufnahme. Die Ent-
scheidung über die hausinterne Alarmierung trifft der „Medizinische Einsatz-
leiter“ (diensthabender, erstverantwortlicher Arzt). Die Alarmierungsmittel
(Telefon, Fax, Pager etc.) können unterschiedlich sein. Gleiches gilt für einge-
setzte Alarmierungsverfahren. Inzwischen werden verstärkt elektronische
Alarmierungsverfahren eingesetzt.

Bitte beachten

Bei elektronischen Alarmierungsverfahren müssen Rückfallebenen für


eine manuelle Alarmierung parallel bestehen bleiben. Unverzichtbar ist
eine mindestens halbjährliche Aktualisierung der Alarmierungslisten.

Wegeführung
Im Einsatzfall erreichen Patienten die Klinik als Selbsteinweiser oder per Ret-
tungsmittel. Auch Angehörige und die Presse suchen den Weg ins Krankenhaus.
Hierfür wird eine gezielte Wegeführung und Raumordnung eingerichtet.

Bitte beachten

Patienten mit Infektionsverdacht sind in der Notaufnahme abzusondern.


Bei Kontaminationsverdacht ist möglichst vor der Klinik mindestens eine
Notdekontamination (Entkleiden und Spotdekontamination) durchzu -
16

führen.

16.3 Einsatzphasen
Initial-(Chaos-)phase
ƒ Die Alarmierung der Mitarbeiter erfolgt abgestuft nach Lage oder als Voll-
alarm; die Notaufnahme leitet parallel zur Alarmauslösung die Erstmaß-
nahmen ein und strukturiert Materialaufbau, Kommunikation, Sichtung
sowie Behandlungsbereiche
ƒ Der diensthabende Arzt übernimmt die Verantwortung als Medizinischer
Einsatzleiter

314 Leitfaden Katastrophenmedizin


ƒ Die Mitarbeiterregistrierung, die sich außerhalb der Notaufnahme befin-
det, wird eingerichtet und teilt eintreffende Mitarbeiter in Behandlungs-
teams (Arzt, Pflegekraft, ggf. Dokumentationskraft) ein
ƒ Erste Behandlungen erfolgen
ƒ Die alarmierten Funktionsbereiche arbeiten nach ihren Handlungsanwei-
sungen laut Einsatzplan

Konsolidierungsphase
ƒ Alle Behandlungs- und Funktionsbereiche strukturieren und harmoni-
sieren ihre Arbeitsabläufe
ƒ Die Krankenhauseinsatzleitung tritt zusammen und übernimmt ihre Auf-
gaben gemäß Handlungsanweisung1

Aufbau einer Krankenhauseinsatzleitung


ƒ Personal/innerer Dienst (S 1)
ƒ Lage (S 2)
ƒ Einsatz (S 3)
ƒ Versorgung (S 4)
ƒ Presse- und Medienarbeit (S 5)
ƒ Informationstechnik (IT) und Kommunikation (S 6)

S – Sachgebiet.

Demobilisierungsphase
(Rückführung des Krankenhauses in den Normalbetrieb)
ƒ Mitteilung an alle alarmierten Bereiche
ƒ Patientenregistrierung abschließen
ƒ Auffüllen aller verbrauchten Materialvorräte veranlassen
ƒ Reinigung von Räumen und Geräten veranlassen
ƒ Anschließende Auftragskontrolle
ƒ Einsatztagebuch prüfen und archivieren
ƒ Demobilisieren der Einsatzzentrale, Übergabe an Notaufnahme-Personal
16

zum Auffüllen der Materialvorräte und Abschlusscheck


ƒ Nachbesprechungen terminieren

1 Eine ausführliche Darstellung der Aufgaben einer Krankenhauseinsatzleitung befindet sich auf der
beiliegenden CD-ROM.

Leitfaden Katastrophenmedizin 315


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

16.4 Sichtung im Krankenhaus


Sichtungskategorien
Die Sichtungskategorien sind in der Konsensuskonferenz in Bad Neuenahr-
Ahrweiler im Jahr 2002 wie folgt definiert worden (s. Tab. 16-1):2

Tab. 16-1 Sichtungskategorien. (Nach Sefrin et al. 2003, modifiziert.)

Rot Akute, vitale Bedrohung Sofortbehandlung

Gelb Schwer verletzt/erkrankt Aufgeschobene Behandlung

Grün Leichte Verletzung Spätere ambulante Behandlung

Abwartende (betreuende)
Blau Ohne Überlebenschance
Behandlungsdringlichkeit

Der Sichtungsauftrag lautet zunächst, durch Ressourcenausnutzung die suf-


fiziente Versorgung der Patienten unter individualmedizinischen Gesichts-
punkten sicherzustellen, und zwar in möglichst kurzer Zeit und mit mög-
lichst geringem Aufwand.

Bitte beachten

Bei Überschreiten der Ressourcen ist auf katastrophenmedizinische Grund-


sätze umzusteigen. Da die Sichtung dann unter hohem Zeitdruck stattfin-
den muss (90 bis 120 Sekunden pro Patient), empfiehlt sich der von den
ATLS®-Normen3 abweichende Sichtungsalgorithmus nach Bubser (1998).

Die Sichtung ist ein dynamischer Prozess und orientiert sich vor allem an der
16

Anzahl der eintreffenden Patienten und ihrer Verletzungs-/Erkrankungs-


schwere. Wesentliche zusätzliche Einflussfaktoren sind jedoch:
ƒ die mögliche Zerstörung der Krankenhausgebäude
ƒ eine eventuell nicht zu bewältigende Anzahl an Patienten
ƒ das mögliche Wegbrechen von umgebender Infrastruktur oder notwen-
diger Behandlungsmöglichkeiten (z. B. Anzahl der Beatmungsgeräte,

2 Die Konsensuskonferenz zu den Sichtungskategorien und deren Dokumentation bei Großscha-


densereignissen und Katastrophen fand am 15.03.2002 an der Akademie für Krisenmanagement,
Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesverwaltungsamtes in Bad Neuenahr-Ahrweiler statt.
Eingeladen hatte die Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren.
3 Advanced Trauma Life Support, vgl. Kapitel 10.

316 Leitfaden Katastrophenmedizin


Operationsinstrumentensets, Antidot- oder Antibiotikavorräte oder die
Erkrankung eigener Mitarbeiter)

Besetzung des Sichtungsteams


Das Team setzt sich zusammen aus:
ƒ einem Arzt (erfahrenster Arzt vom Dienst)
ƒ einer Pflegekraft
ƒ einer Dokumentationskraft

Ausstattung und Raumordnung am Sichtungsplatz


Der Sichtungsplatz muss räumlich und materiell die Schnellannahme der
Patienten und die Erstdiagnostik ermöglichen. Der Aufbau eines Sichtungs-
platzes ergibt sich aus folgender Grafik (s. Abb. 16-2):

Flipc
Materialcontainer Sichtungs- hart
(z. B. Wärmedecken) sets

Doku
Rot
Pflege Gelb

Patienten-
Tragenbock
zugang
Pflege
Arzt
Grün
Blau
Kranken- Kranken-
fahrtrage fahrtrage

Kranken- Kranken-
fahrtrage fahrtrage

Abb. 16-2 Aufbau eines Sichtungsplatzes. (Nach Cwojdzinski et al. 2008, mo-
difiziert.)
16

Beim Massenanfall von Verletzten kann es wichtig sein, einen zweiten Sich-
tungstrichter zu schaffen, durch den gehfähige Patienten geschleust wer-
den. Die Stressbelastung am ersten Sichtungsplatz kann spürbar reduziert
werden, indem die als Leichtverletzte (Sichtungsgruppe III, GRÜN) einzustu-
fenden Patienten schon am Anfang separiert und von der Notaufnahme weg
in den entsprechenden Behandlungsbereich geleitet werden.

Sichtungsvorgang
Für den Sichtungsvorgang gelten folgende Prinzipien:
ƒ Lenkung des Patientenstroms durch eine „Flaschenhals“-Situation
ƒ Schnellsichtung und Erstregistrierung/Kennzeichnung des Patienten

Leitfaden Katastrophenmedizin 317


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

ƒ Keine Behandlung!
ƒ Übergabe an Behandlungsteams
ƒ Datenübergabe an die Krankenhauseinsatzleitung

Die Untersuchung des Patienten erfolgt nach dem Algorithmus „from top to
toe“ (Bubser 1998, s. beiliegende CD-ROM).

16.5 Behandlungsbereiche und Behand-


lungsteams
Behandlungsbereiche
In der Notaufnahme und/oder in benachbarten Räumen sind Behandlungs-
bereiche einzurichten, in denen die Patienten der Sichtungskategorien Rot,
Gelb oder Grün behandelt werden. Diese Bereiche werden mit vorgehalte-
nen Materialwagen ausgestattet. Der Grünbereich sollte entfernt von der
Notaufnahme liegen, z. B. in einer peripheren Bettenstation. Es werden Be-
reichsärzte benannt, die für ihren jeweiligen Behandlungsbereich verant-
wortlich sind (z. B. Anästhesist für den Behandlungsbereich Rot). Das Poly-
traumamanagement kann mit herbeigerufenen Behandlungsteams wie
üblich interdisziplinär erfolgen. Dieses Vorgehen entspricht beispielsweise
der Arbeit von Notärzten unter einem Leitenden Notarzt.

Behandlungsteams
Den Patienten werden feste Behandlungsteams zugeteilt. Die Behandlungs-
teams werden in der Mitarbeiterregistrierung entsprechend der Qualifika-
tion der jeweiligen Mitarbeiter zusammengestellt (z. B. chirurgische oder
anästhesiologische Teams etc.). Behandlungsteams sind als eingespielte
Kleingruppen nicht nur im externen Schadensfall von großem Nutzen, son-
dern z. B. auch bei der Evakuierung des Krankenhauses. Die Funktionsfähig-
keit der Behandlungsteams ist im Vorfeld zu üben.
16

Behandlungsteams bestehen aus:


ƒ einem Arzt
ƒ einer Pflegekraft
ƒ einer Pflege- oder sonstigen Einsatzkraft als Dokumentationskraft (Melder)

Das Team übernimmt vom Sichtungsarzt den Patienten am Sichtungsplatz,


überprüft die ordnungsgemäße Registrierung, erhält die Basisinformationen
über Verletzungsmuster und Gesamtzustand sowie Verbringungsort. Das
Team bleibt beim Patienten bis zur Übergabe an den aufnehmenden Bereich
(OP, Intensivstation, Bettenstation etc.). Folgende Zuordnung der Behand-

318 Leitfaden Katastrophenmedizin


lungsteams zu den nach Sichtungskategorien eingeteilten Patienten hat sich
bewährt (s. Tab. 16-2):

Tab. 16-2 Zuordnung der Behandlungsteams.

Rot Akute, vitale Bedrohung Zwei Teams

Gelb Schwer verletzt/erkrankt Ein Team

Ein Team für mehrere


Grün Leichte Verletzung
Leichtverletzte

Ein bis zwei Teams für mehrere


Blau Abwartende Behandlung
palliativ zu versorgende Patienten

16.6 Biologische Gefahrenlagen


Biologische Gefahrenlagen in der Klinik liegen dann vor, wenn mehrere Er-
krankte mit Symptomen einer Infektionskrankheit im Krankenhaus eintref-
fen, viele Erkrankte mit sonstigen Infektionserkrankungen (Salmonellen,
Noroviren) auftreten oder eine Influenzapandemie einen Massenanfall von
Patienten auslöst.

Bei biologischen Gefahrenlagen gelten folgende Grundsätze:


ƒ Schutz des Personals
ƒ Schutz des Krankenhauses
ƒ Absonderung der eintreffenden Patienten

Bitte beachten
16

Der Alarmfall wird durch den Amtsarzt ausgerufen. Die Bestimmungen


des Infektionsschutzgesetzes sind zu beachten.
Biologische Gefahrenlagen sind lang andauernde Gefahrenlagen!

Management mehrerer Verdachtsfälle


Die Maßnahmen beim Management mehrerer Verdachtsfälle orientieren
sich an den Maßnahmen beim Einzelfall. Neben der (Kohorten-)Isolierung ist
die Information des öffentlichen Gesundheitsdienstes (Amtsarzt) zwingend
notwendig. Ein bioterroristischer Anschlag ist zwar sehr unwahrscheinlich,
aber dennoch in Erwägung zu ziehen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 319


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

Massenanfall von Infektionspatienten


Bei einem Massenanfall von Infektionspatienten steht die sich ausbreitende
Infektion wegen der hohen Ansteckungsgefahr im Vordergrund. Häufigere
Ereignisse sind Noroviren-Ausbrüche oder Lebensmittelvergiftungen wie Sal-
monellosen. Es kann sich dabei um externe oder interne Ereignisse handeln.
Ein Ausbruch muss wirksam und schnell bekämpft werden. Dies ist Aufgabe
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Für das Personal und andere Patienten
sind Schutzmaßnahmen gegen weitere Infektionen zu bestimmen.

Influenzapandemie (Massenanfall von Patienten)


Eine länger andauernde und eine große Anzahl Betroffener umfassende
Lage, wie eine Influenzapandemie, würde für die Krankenhäuser zu einer
besonderen Belastung führen, weil eine Vielzahl von Patienten mit wenig
Personal zu behandeln wäre. Für die Personalplanung muss im Falle einer
Influenzapandemie von erheblichen Ausfällen ausgegangen werden.
Um die Verbreitung des Erregers einzudämmen, ist eine getrennte Wegefüh-
rung zu planen. In jeder Klinik muss der Standort für eine zusätzliche Notauf-
nahme festgelegt werden. Nach einer Erstsichtung werden die Patienten in
getrennte Versorgungsbereiche geleitet. An Influenza erkrankte Patienten
sind auf spezielle Influenzastationen mit der Möglichkeit der intensivmedi-
zinischen Betreuung zu verlegen.
Die Anzahl der verfügbaren Beatmungsgeräte einschließlich der Aufbe-
reitungskapazitäten sowie zusätzliche Notbeatmungsmöglichkeiten sind zu
prüfen. Bei Medikamenten und Schutzausstattungen muss aufgrund einer
weltweit verstärkten Nachfrage mit Engpässen gerechnet werden.

16.7 CRN-Gefahrenlagen
Das Personal von Krankenhäusern kann bei CRN-Gefahrenlagen unvermu-
tet Erstkontakt zu einem oder mehreren mit Schadstoffen kontaminierten
Patienten haben. Das Konzept der Kliniken sollte für die Dekontamination
16

drei wesentliche Ziele verfolgen:


ƒ schnelle und sachgerechte Beendigung der Exposition des Patienten ge-
genüber einem schädigenden Agens zur Verhinderung einer weiteren
Gesundheitsschädigung
ƒ Schutz der Kritischen Infrastruktur „Krankenhaus“ in einem Großscha-
densfall und Verhinderung der sekundären Gesundheitsschädigung bei
primär nicht betroffenen Patienten
ƒ Schutz des eingesetzten Personals vor schädigenden Substanzen

Diese Maßnahmen beinhalten insbesondere den Schutz der Mitarbeiter mit


einer speziellen persönlichen Schutzausrüstung sowie die Fortbildung der

320 Leitfaden Katastrophenmedizin


Mitarbeiter, damit diese im Notfall in der Lage sind, vor allem selbsteinwei-
sende Patienten und andere Mitarbeiter der Klinik zu dekontaminieren.
Allen Beteiligten muss hierfür das nötigte Grundwissen vermittelt werden,
zudem müssen die Maßnahmen praktisch geübt werden. Ferner gilt es, die
Mitarbeiter für CRN-Gefahren zu sensibilisieren, damit diese rechtzeitig
eine mögliche Personenkontamination erkennen.

Wenn kontaminierte Patienten plötzlich und unerwartet in oder vor der


Notaufnahme eintreffen, muss zunächst auf einfache, aber vor allem schnell
wirkende Schutzmaßnahmen zurückgegriffen werden. Zu den wichtigsten
Hilfsmaßnahmen für die Patienten und anwesendes Personal gehört das
Entkleiden der betroffenen Patienten. Da sich gerade chemische Lagen als
zeitkritisch für kontaminierte Patienten und das Krankenhauspersonal dar-
stellen, kann es zudem erforderlich werden, die betroffenen Körperstellen
schnellstmöglich zu duschen. Für eine solche Notdekontamination können
beispielsweise Duschen in Funktionsbereichen wie einem Gipsraum oder in
Garagen von Notarzteinsatzfahrzeugen genutzt werden.

16.8 Interne Gefahrenlagen


Interne Gefahrenlagen im Krankenhaus ergeben sich heutzutage nicht nur
aus Situationen, in denen die sachgerechte Versorgung von Patienten nicht
mehr gewährleistet werden kann oder eine Räumung oder Evakuierung des
Krankenhauses notwendig wird. Auch andere Ereignisse können ein Kranken-
haus in seiner Integrität empfindlich treffen: z. B. der Ausfall von kritischen In-
frastrukturen (Strom, Wasser, Abwasser, Heizungsenergie, IT), Streiks, Amok-
lauf, Sabotage und Bombendrohungen, aber auch kritische Einzelereignisse
wie das Verschwinden von Patienten auf dem Krankenhausgelände.
Bei internen Gefahrenlagen mit Räumungs- oder Evakuierungsbedarf stüt-
zen sich die Krankenhäuser auf die Instrumente der Einsatzplanung für
externe Gefahrenlagen. Besondere Regelungen gibt es u. a. für den Brand-
16

schutz, die Räumung und Evakuierung (Sammelplätze, Ersatzabteilungen in


anderen Gebäuden für Intensivstation, OP etc.), die Verkehrsführung und die
Bereitstellungsräume für Feuerwehr und Rettungsdienste.

Vor Beginn der Evakuierung werden anwesende Besucher aufgefordert, das


Haus umgehend zu verlassen. Mitarbeiter sichern die Ein- und Ausgänge vor
dem Zutritt Unbefugter. Gleichzeitig halten sie Zu- und Abfahrtswege, einzu-
richtende Halteplätze für Einsatzfahrzeuge und Bereitstellungsräume frei.
Ein Lotsendienst sorgt für die Verkehrslenkung. Wie bei der Aufnahme von
Patienten nach externen Großschadensereignissen ist auch bei der Evakuie-
rung und Verlegung von Patienten eine lückenlose Registrierung notwen-

Leitfaden Katastrophenmedizin 321


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Krankenhausalarmplanung

dig, um jederzeit den Verbleib der einzelnen Patienten nachvollziehen zu


können. Sowohl vor Transportantritt als auch bei der Ankunft am Zielort und
gegebenenfalls ein weiteres Mal nach der Rückverlegung sind jeweils die
Patientendaten und das Verlegungsziel unter Angabe von Uhrzeit und Trans-
portmittel (Name der Hilfsorganisation) auf einem Protokoll zu erfassen.

Krankenhäuser sind von Kritischen Infrastrukturen in besonderem Maß


abhängig. Zur Ermittlung des Risikopotenzials müssen die Kliniken eine
detaillierte Analyse der Bedrohungen durchführen. Das Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stellt für die Erarbeitung einer
Risikoanalyse umfangreiches Material zur Verfügung.4

16.9 Zusammenarbeit
Die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ist bei besonderen Ge-
fahrenlagen häufig nur in der Klinik sicherzustellen. Die Krankenhäuser
stehen am Ende der Rettungskette. Ihnen kommt damit eine Schlüsselrolle
zu. Partner sind die Leitstellen, die Rettungsdienste, die Feuerwehren, die
Polizei, die Hilfsorganisationen, die Gesundheitsbehörden und vor allem der
Öffentliche Gesundheitsdienst.

Bei Gefahrenlagen ist im Krankenhaus auf die Betroffenen und Angehörigen


ein besonderes Augenmerk zu legen. Informationen über den Verbleib von
Personen müssen regelmäßig erfasst und aufbereitet werden, damit bei An-
fragen von Angehörigen entsprechende Auskünfte erteilt werden können.
Auf das Informationsbedürfnis der Angehörigen sollte sachlich und mensch-
lich zugewandt eingegangen werden. Dafür sind ein Betreuungszentrum
einzurichten und Betreuungskräfte zu bestimmten. Eine solche Informati-
onsstrategie wird zur angestrebten Beruhigung führen.

Neben der Information der Angehörigen muss auch der internen Kommuni-
16

kation mit den Mitarbeitern und der externen Kommunikation mit der Pres-
se viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Pressearbeit sollte in jedem Fall
aktiv betrieben werden. Durch Presseerklärungen und Pressekonferenzen
kann der öffentliche Informationsbedarf bei besonderen Gefahrenlagen am
besten gedeckt werden.

4 Siehe „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ unter dem Menüpunkt „Themen“ auf www.bbk.bund.de.

322 Leitfaden Katastrophenmedizin


16.10 Aus- und Fortbildung, Planspiele
und Übungen
Eine Krankenhausalarmplanung ist nur dann erfolgreich, wenn die Mitar-
beiter hinreichend eingewiesen und fortgebildet werden. Einweisung und
gemeinsames Üben sicherheitsrelevanter Inhalte werden von Mitarbeitern oft
als Wertschätzung erlebt und mit Engagement honoriert (Moecke et al. 2006).

Im Rahmen der Zertifizierungsverfahren der Kliniken werden zukünftig


auch die Vorsorgemaßnahmen für besondere Gefahrenlagen verstärkt Be-
achtung finden, weil die Anforderungen an die Vorsorge zunehmend in die
entsprechenden Kriterienkataloge aufgenommen werden.

Neben der Aus- und Fortbildung sind Planspiele und Übungen geeignete
Mittel, die Krankenhausalarmplanung erfolgreich in Kliniken zu implemen-
tieren. Dabei können bereits Übungen für einzelne Funktionsbereiche (z. B.
für die Notaufnahme) von Nutzen sein. Mit Vollübungen können sämtliche
Vorsorgemaßnahmen überprüft werden. In Berlin, Hamburg und Frankfurt
werden für externe Gefahrenlagen Vollübungen durchgeführt, an denen
flächendeckend alle Krankenhäuser der jeweiligen Stadt teilnehmen.

Literatur

Bubser H. Algorithmus der Sichtung. In: Sefrin P, unter Mitarbeit von Knuth P,
Stratmann D, Hrsg. Handbuch für den Leitenden Notarzt. Landsberg/Lech:
ecomed-Loseblatt-Ausg. Hauptbd. 1991, 8. Erg. Lfg. 12 (1998), Kapitel IV – 6.1.1,
Seiten 5–6.

Cwojdzinski D, Kammel P, Schneppenheim U, Suckau M, Ulbrich T. Leitfaden


Krankenhausalarmplanung. Berlin: Fachverlag Matthias Grimm Berlin; 2008.
16

Moecke HP, Wirtz S, Schallhorn J, Oppermann S, Rechenbach P. Notfallmedi-


zinische Vorbereitung auf Terroranschläge. Notfallmedizin 2006, 69–87.

Sefrin P, Weidringer JW, Weiss W. Katastrophenmedizin: Sichtungskategori-


en und deren Dokumentation. Dtsch Arztebl 2003; 100: A 2057–2058.

Leitfaden Katastrophenmedizin 323


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

17
Notfall- und Katastrophen-
Pharmazie – Pharmazeutisches
Notfallmanagement
W. Wagner

17.1 Aufgaben der Apotheker im Notfall-


management
Im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz erfüllt die Notfall- und Katastro -
phenPharmazie synergistische Aufgaben zur Sicherung der präklinischen
und klinischen medizinischen Versorgung, besonders beim Massenanfall
von Patienten sowie bei CBRNE-Schadenslagen1. Die fachspezifischen Aufga-
ben für Apotheker im Rahmen des pharmazeutischen Notfallmanagements
sind ausgerichtet auf die einzelnen Fachgebiete unter Berücksichtigung des
gesetzlichen Auftrags zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung für die
Bevölkerung auch unter Notfallbedingungen.

Gesetz über das Apothekenwesen (ApoG)2

§ 1 (1)
„Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicher-
stellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.“

Mit der Notfall- und KatastrophenPharmazie wird dieser Auftrag weiter ge-
fasst und auf das Sanitätsmaterial ausgerichtet. Dieser Begriff ist im Bevöl-
kerungsschutz, bei den Hilfsorganisationen und im Sanitätsdienst der Bun-
17

deswehr selbstverständlich; damit wird die Gesamtheit des medizinischen


und pharmazeutischen Materialbedarfs für die notfallmedizinischen sowie
sanitäts- und betreuungsdienstlichen Aufgaben im Rettungswesen und Be-
völkerungsschutz umschrieben.

1 Schadenslagen durch chemische, biologische, radioaktive, nukleare oder explosive Stoffe (CBRNE).
2 Apothekengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I, S. 1993), zu-
letzt geändert durch Artikel 16a des Gesetzes vom 28. Mai 2008 (BGBl. I, S. 874).

324 Leitfaden Katastrophenmedizin


17.1.1 Apotheken,
Public Health und Notfallmanagement
In § 1 des Apothekengesetzes bringt der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck,
dass den Apotheken – Öffentlichen Apotheken, Krankenhausapotheken,
Bundeswehrapotheken – eine besondere Aufgabe, nämlich ein Versor-
gungsauftrag, übertragen wird. Über einen solchen Versorgungsauftrag
des Staates verfügen nur wenige Branchen (z. B. Ärzte, Krankenhäuser, Trink-
wasserunternehmen).

Durch die weiteren Vorgaben im Apothekengesetz und deren Konkretisie-


rung in der Apothekenbetriebsordnung gibt der Staat zudem detailliert vor,
welche Anforderungen er an die Apotheke stellt, damit die Arzneimittelver-
sorgung „ordnungsgemäß“ erfolgt. Nicht zuletzt durch die Formulierung
„im öffentlichen Interesse“ wird herausgestellt, dass es sich hier um die Über-
tragung einer sonst vom Staat zu übernehmenden Aufgabe handelt, denn die
Menschen müssen zum Wohle der Gesundheit der gesamten Bevölkerung
mit Arzneimitteln versorgt sein.

Bundes-Apothekerordnung3

§1
„Der Apotheker ist berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arznei-
mitteln zu versorgen. Er dient damit der Gesundheit des einzelnen Men-
schen und des gesamten Volkes.“

Auch dieses Zitat unterstreicht den öffentlichen Auftrag, hier sogar aller
Apotheker, auch wenn sie nicht in der Apotheke arbeiten.

Mit beiden rechtlichen Grundlagen, aber auch mit der Einbindung der Apo-
theken in das solidarisch finanzierte und öffentlich-rechtlich organisierte
Krankenversicherungssystem sowie mit weiteren spezialrechtlichen Re-
gelungen des Apothekenwesens ist die Apotheke ein wesentlicher Teil des
17

Öffentlichen Gesundheitswesens (Public Health). Insofern ist es nur konse-


quent, wenn die politisch Verantwortlichen die Apotheken zur Versorgung
in Katastrophenfällen heranziehen und in Planungen zur Katastrophenbe-
wältigung zur Vorsorge anhalten.

3 Bundes-Apothekerordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 1989 (BGBl. I, S. 1478,
1842), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I, S. 2945).

Leitfaden Katastrophenmedizin 325


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

Aufgrund der Heilberufegesetze sind die Apothekerkammern konkret zur


Mitarbeit verpflichtet. Beispielsweise erteilt das Heilberufsgesetz NRW4 den
Kammern in Nordrhein-Westfalen die folgenden Aufgaben:
ƒ „den öffentlichen Gesundheitsdienst und öffentlichen Veterinärdienst bei
der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen“
ƒ „auf Verlangen der Aufsichtsbehörden Stellungnahmen abzugeben“
ƒ „auf Verlangen der zuständigen Behörden Fachgutachten zu erstatten
und Sachverständige zu benennen“

Außerdem wird hier festgelegt:


ƒ „Staats- und Gemeindebehörden sollen den Kammern Gelegenheit ge-
ben, sich über Fragen, die den Aufgabenbereich der Kammern betreffen,
zu äußern“
ƒ „sie können die Kammern an der Willensbildung im Gesundheits- und im
Veterinärwesen beteiligen“

Im Katastrophenfall ist der Staat auf ein reibungsloses Arbeiten der Gesund-
heitsdienste angewiesen. Immer wieder haben sich die Apotheken in Katast-
rophenfällen als ein wichtiger Bestandteil robuster lokaler Strukturen erwie-
sen, beispielsweise bei der Schneekatastrophe in im Münsterland (2005). Die
Probleme bei der Versorgung mit Pandemie-Impfstoff im Herbst 2009 haben
sehr deutlich gemacht, dass eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung
ganz entscheidend mit dazu beiträgt, eine solche Krise möglichst effizient
zu meistern. Der Staat vertraut den Apotheken, dass diese die erforderlichen
Vorbereitungen treffen und dass die Zusagen der Kammern zum Pharma-
zeutischen Notfallmanagement eingehalten werden.

Gerade im Bereich der Notfall- und KatastrophenPharmazie zeigen die


Apotheken, dass sie sich selbst als Teil von Public Health begreifen. Deshalb
müssen sie auch mit den anderen Gesundheitsdiensten in das System des
Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes eingebunden werden. Die Notfall-
und KatastrophenPharmazie beugt Gefahren für die Menschen durch Kata-
strophen vor. In ihrer Position als Heilberufler und als Teil des zu schützenden
öffentlichen Gesundheitswesens helfen die Apotheker dem Staat bei der Be-
17

wältigung seiner Aufgaben zur Daseinsvorsorge.

4 Heilberufsgesetz NRW (HeilBerg) vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. 2000, S. 403 ff.), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 20. November 2007 (GV.NRW. 2007, S. 572).

326 Leitfaden Katastrophenmedizin


17.1.2 Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO)
In der Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO)5 ist die Arzneimittelbevorra-
tung für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung einschließlich
einer Mindestbevorratung der Öffentlichen Apotheken und der Kranken-
hausapotheken geregelt. Dazu gehört auch die Bevorratung für nicht all-
tägliche Indikationen, z. B. mit Antidota, Sera und Plasmaprodukten. Auf die
unökonomische Bevorratung mit Antidota gem. Anlage 3 zu § 15 Abs. 1 Satz 2
ApoBetrO in Öffentlichen Apotheken könnte verzichtet werden, da diese in
der Praxis nie genutzt werden. Stattdessen sollten diese Mittel kooperativ mit
den Bundesländern in gemeinsame Antidot-Depots investiert werden.

Die Apotheken sind gem. § 14 ApoBetrO zuständig für die Versorgung des Ret-
tungsdienstes mit Arzneimitteln auf der Basis von Versorgungsverträgen (ana-
log der Arzneimittelversorgung der Krankenhäuser). Damit werden die Apothe-
ker auch stärker in das rettungsdienstliche Notfallmanagement eingebunden.

17.1.3 Bevölkerungsschutz
Wenig bekannt ist, dass in § 23 des Gesetzes über den Zivilschutz und die
Katastrophenhilfe des Bundes vom 02.04.2009 (ZSKG)6 auch weiterhin den
Apotheken im Spannungs- oder Verteidigungsfall eine Bevorratung mit Sani-
tätsmaterial gem. § 80a Grundgesetz auferlegt wird. Ebenso gibt es in § 17 des
Betäubungsmittelgesetzes (BtMVV)7 eine Regelung für die Betäubungsmit-
telversorgung in derartigen Krisenzeiten. Diese Regelung ist auch im Gesetz
über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) enthalten.

Apothekerinnen und Apotheker gehören den Heilberufen an; sie haben nicht
nur unter „Normalbedingungen“ die Regelversorgung der Bevölkerung
sicherzustellen. In außergewöhnlichen Krisensituationen wie bei Großscha-
densereignissen, Katastrophen, bei einer Seuche oder Pandemie werden
sie diese Aufgaben nur unter sehr erschwerten Bedingungen erfüllen kön-
nen. Sie werden dann gefordert sein, Mangelsituationen auszugleichen und
zu beherrschen sowie trotz fehlender Fachkräfte und Beeinträchtigungen
17

der Kritischen Infrastrukturen ein pharmazeutisches Notfallmanagement


zu etablieren. Im Rahmen des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes sind
Apotheker/-innen mit ihrem pharmazeutischen Fachwissen unentbehrlich

5 Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I,
S. 1195), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 2. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2338).
6 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz vom 25. März 1997 (BGBl. I, S. 726), zuletzt geändert durch
Artikel 2 Nummer 1 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2350).
7 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl. I, S. 74, 80), zuletzt geän-
dert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 15. Juli 2009 (BGBl. I, S. 1801).

Leitfaden Katastrophenmedizin 327


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

für das Notfallmanagement hinsichtlich der Versorgung mit Sanitätsmateri-


al und damit der materiellen Sicherung der medizinischen Versorgung.

17.2 Fachbuch Notfall- und


KatastrophenPharmazie
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und die Deut-
sche Gesellschaft für KatastrophenMedizin e.V. haben 2009 gemeinsam das
Fachbuch Notfall- und KatastrophenPharmazie8 herausgegeben. Darin werden
erstmals die Aufgaben der Apotheker/-innen im Pharmazeutischen Notfallma-
nagement für die verschiedenen Fach- und Aufgabengebiete dargestellt.

Notfall- und KatastrophenPharmazie

Pharmazeutisches Notfallmanagement

Aufgabenbereiche ƒ Allgemeinpharmazie
ƒ Krankenhauspharmazie
ƒ Pharmazie im Öffentlichen Gesundheitsdienst
ƒ Toxikologie und Ökologie
ƒ Pharmazeutische Betreuung in Hilfsorganisationen
ƒ Pharmazie in der Internationalen Hilfe
ƒ Arzneimittelherstellung im Katastrophenfall
ƒ Sanitätsmaterial
ƒ Pharmazeutische Notfall-Logistik
und Sanitätsmaterialversorgung
ƒ Influenza-Pandemie
ƒ Apotheken-Notfallmanagement
am Beispiel einer Influenza-Pandemie

17.2.1 Allgemeinpharmazie
Die Öffentliche Apotheke hat außer der Regelversorgung der Bevölkerung
mit Arzneimitteln und Medizinprodukten auch immer eine Notfallversor-
gung sicherzustellen. In Krisenzeiten oder bei Katastrophen, bei Epidemien
17

oder während einer Pandemie geht dieser Versorgungsauftrag weit über die
reguläre Versorgung und den Notdienst hinaus. Jede einzelne Apotheke ist
dabei Teil eines flächendeckenden Versorgungsnetzes, auf das sich die Bevöl-
kerung verlassen wird.

Mit Sicherheit ist die Öffentliche Apotheke auch eine Institution, bei der
die Menschen in Notfallsituationen Hilfe suchen. Im Rahmen der Notfallpla-

8 Kostenlos im Internet unter www.bbk.bund.de oder www.katastrophenpharmazie.de.

328 Leitfaden Katastrophenmedizin


nung muss das Apothekenpersonal daher auch für den Umgang mit Notfall-
betroffenen ausgebildet sein. Einzelne Notfallsituationen in oder im Bereich
einer Apotheke sind allgemein bekannt. Das ist im Notfall auch ein Sym-
bol für Hilfe. Bei einem Großschadensereignis werden die Betroffenen in den
nahegelegenen Apotheken Hilfe und Beistand suchen.

Apotheken können in Notfallsituationen zu einem „Anlauf-Zentrum für Hilfe“


werden.

Daher müssen die Öffentlichen Apotheken mit allen Mitarbeiterinnen und


Mitarbeitern gut auf außergewöhnliche Situationen vorbereitet sein und da-
mit umgehen können, wenn beispielsweise
ƒ Patienten oder Kunden plötzlich vital bedroht sind oder gar sterben,
ƒ sich in der näheren Umgebung ein schwerer Unglücksfall mit vielen Be-
troffenen ereignet,
ƒ eine Unterstützung der medizinischen Notfallversorgung erforderlich ist,
ƒ durch besondere Notfälle die Arzneimittelversorgung und die pharma-
zeutische Logistik zusammenbrechen; dazu zählen Katastrophen und
Seuchen als Epi- oder Pandemien,
ƒ ein Apotheken-Notfallmanagement gefordert ist.

Bei Großschadensereignissen, im Katastrophenfall und bei einer Seuche


oder Pandemie hat die Öffentliche Apotheke als wesentliche Aufgabe die Re-
gelversorgung der Bevölkerung so weit wie möglich aufrechtzuerhalten so-
wie Versorgungsverträge im präklinischen, klinischen und im pflegerischen
Bereich, so gut es geht, zu erfüllen.

17.2.2 Krankenhauspharmazie
Krankenhäuser können gem. § 14 des Gesetzes über das Apothekenwesen
(ApoG) eigene Apotheken betreiben, die auch andere Krankenhäuser, Kur-
und Spezialeinrichtungen, die der Gesundheitsvorsorge oder der medizi-
nischen oder beruflichen Rehabilitation dienen, sowie die Rettungsdienste
17

mit Arzneimitteln versorgen. Darüber hinaus sind Krankenhausapotheken


häufig auch für die Versorgung mit
ƒ Medizinprodukten,
ƒ Diagnostika,
ƒ Laborbedarf sowie mit
ƒ medizinischem und pflegerischem Sachbedarf
zuständig.

Leitfaden Katastrophenmedizin 329


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

Die pharmazeutische Versorgung der Krankenhäuser kann ebenfalls durch


Öffentliche krankenhausversorgende Apotheken erfolgen.

Katastrophen und Großschadensereignisse gehen zumeist mit einem er-


höhten Bedarf an Arzneimitteln einher. Für die Krankenhausapotheker ist
daher die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung im Katastrophen-
fall eine elementare Aufgabe und Herausforderung, besonders wenn sie bei
einem Massenanfall von Patienten die Arzneimittelversorgung sicherstellen
müssen. Dann gilt es nicht nur den klinischen Bedarf verfügbar zu machen;
auch die Rettungskräfte aus dem Schadensgebiet werden mit Anforderun-
gen zu den Krankenhaus-Apotheken kommen, die nicht abgewiesen werden
können. Krankenhausapotheken werden daher zunehmend in die Notfall-
bevorratungen der Bundesländer eingebunden.

Im Zukunftspapier des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker


(ADKA) e. V. (Mai 2006) sind im Zusammenhang mit der „Arzneimittelthera-
pie der Patienten im Krankenhaus“ die wesentlichen Aufgaben der Kranken-
haus-Apotheker im Katastrophenschutz definiert.

Notfall- und KatastrophenPharmazie

Krankenhaus-Apotheken

Aufgaben im ƒ Ökonomische Arzneimittelbevorratung für Kata -


Katastrophenschutz strophen und Großschadensereignisse
ƒ Führende Rolle im Katastrophenfall durch Arznei -
mittelherstellung
ƒ Unterhalt von Notfalldepots zur sicheren Arznei -
mittelversorgung in Krisensituationen

Ökonomische Arzneimittelbevorratung
für Katastrophen und Großschadensereignisse
Durch Netzwerkbildung mehrerer Kliniken sowie strategische Notfall-
planungen muss auch für einen längeren Zeitraum eine Versorgung der
Krankenhäuser mit Basisarzneimitteln sichergestellt werden können. Die
17

Einlagerung von Arzneimitteln speziell für Katastrophenfälle kann wirt-


schaftlich nur angebunden an eine Krankenhausapotheke erfolgen. Die
Art und Menge der einzulagernden Arzneimittel und Medizinprodukte
müssen sinnvoll dimensioniert und die Lagervorräte regelmäßig über-
wacht werden. In die Konzeption und Umsetzung von Pandemieplänen
sind die Krankenhausapotheker einzubinden. Die Bevorratung von Arz-
neimitteln und Medizinprodukten muss so gestaltet werden, dass durch
kontinuierliche Nutzung und neue Einlagerung der Bestände keine zu-
sätzlichen Kosten durch Verfall entstehen. Die im Rahmen der Erfüllung

330 Leitfaden Katastrophenmedizin


öffentlicher Aufgaben anfallenden Kosten müssen dem Krankenhausträ-
ger in vollem Umfang erstattet werden.

Arzneimittelherstellung im Katastrophenfall durch Krankenhausapotheken


Im Falle von Epidemien, Großschadensereignissen oder Katastrophen
kommt dem Krankenhaus eine besondere Rolle zu. Neben der Bereitstel-
lung von räumlichen und technischen Potenzialen zur medizinischen Ver-
sorgung wird es wesentlich sein, eine ebenso ausreichende Versorgung mit
Arzneimitteln sicherzustellen. Hierzu bedarf es Möglichkeiten der Arznei-
mittelherstellung in großen Zentren und Schwerpunktkrankenhäusern,
um in kurzer Zeit z. B. ausreichende Mengen an Basisinfusionslösungen zur
Verfügung stellen zu können, die gegebenenfalls bei Katastrophen nicht von
außen geliefert werden können.

17.2.3 Pharmazie im
Öffentlichen Gesundheitsdienst
Die Apothekerinnen und Apotheker im Öffentlichen Dienst sind zuständig
für
ƒ die amtliche Arzneimittelüberwachung in Inspektoraten und Ministerien,
ƒ die amtlichen Arzneimitteluntersuchungen in Untersuchungseinrich-
tungen,
ƒ als Lehrkräfte im Rahmen der Ausbildung von
• Pharmazeutisch Technischen Assistenten bzw.
• Pharmazeutisch Kaufmännischen Assistenten.

Die Nutzung der Fachkenntnisse der Apotheker im Öffentlichen Dienst sowie


ihre Einbindung in die Arbeit der Krisenstäbe und in das Notfallmanagement
der Gesundheitsbehörden sind für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr
von erheblichem Nutzen.

17.2.4 Apotheker in der Toxikologie und Ökologie


Die Fachapotheker für Ökologie und Toxikologie untersuchen toxikologi-
17

sche Fragestellungen und bewerten die schädigenden Wechselwirkungen


zwischen Stoffen natürlichen und anthropogenen Ursprungs einerseits und
dem Menschen und der Umwelt andererseits. Die Ökologie befasst sich mit
Zuständen und Wechselwirkungen von Ökosystemen. Im Rahmen des Kata-
strophenschutzes sind diese Spezialkenntnisse für die CBRN-Gefahrenab -
wehr mit den Aufgabenbereichen der Detektion und Dekontamination von
Schadstoffen von großem Nutzen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 331


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

17.2.5 Wehrpharmazie
Die Bundeswehr hat für Einsätze im Ausland sowie für die Sicherstellung
der sanitätsdienstlichen Versorgung der Soldaten im Inland gemäß ihrem
Auftrag und Bedarf entsprechende Vorräte an Sanitätsmaterial (SanMat)
eingelagert. Eine Bevorratung speziell für Hilfseinsätze wird grundsätzlich
nicht betrieben.

Hilfeleistungen im Rahmen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Ge-


sundheitswesen werden als subsidiäre Aufgabe wahrgenommen, soweit dies
möglich ist und den originären Auftrag nicht beeinträchtigt. In allen Bundes-
wehrapotheken werden in begrenztem Umfang spezielle Sanitätsmaterial-
sätze aus dem Bestand für die Internationale Hilfe verfügbar gehalten.

Bei den Apotheken der Bundeswehr ist zwischen den Versorgungs- und In-
standsetzungszentren Sanitätsmaterial (VersInstZ SanMat), den Apotheken
der Bundeswehr-Krankenhäuser (BwKrhsApotheke) und den Sanitätsmaterial-
Lagern (SanMatLgr) zu unterscheiden. Während die VersInstZ SanMat die
Versorgung der Auslandseinsätze und die regionale Versorgung der Sani-
tätseinrichtungen der Bundeswehr sicherstellen, nehmen die SanMatLgr
Großlieferungen von der pharmazeutischen Industrie auf und gewährleis-
ten die bedarfsgemäße Distribution an die übrigen Bundeswehrapotheken.

Der Beauftragte Sanitätsstabsoffizier (BeaSanStOffz) für die Zivil-militäri-


sche Zusammenarbeit im Gesundheitswesen stellt eine neue Verwendungs-
möglichkeit für Reservisten Apotheker dar.

17.2.6 Pharmazeutische Betreuung


in Hilfsorganisationen
Die klassischen Fachgebiete der Hilfsorganisationen sind Sanitätsdienst,
Betreuungsdienst, Rettungsdienst und Internationale Hilfe. Die ehrenamt-
lichen und hauptamtlichen Helfer/-innen bzw. Mitarbeiter/-innen haben in
den jeweiligen Aufgabengebieten in unterschiedlichem Ausmaß mit Sani-
17

tätsmaterial zu tun und werden für ihren Einsatz im sachgerechten Umgang


damit auf unterschiedlichen Niveaus ausgebildet. Eine pharmazeutische Be-
treuung, wie sie für den Rettungsdienst inzwischen festgeschrieben ist, dient
der Arzneimittelsicherheit und dem sicheren Umgang mit Sanitätsmaterial.

Im Bereich „Hygiene und Desinfektion“ ist pharmazeutisches Fachwissen


von elementarem Nutzen für die Erarbeitung von Regelwerken, die Auswahl
der Desinfektionsmittel unter wirkungsspezifischen, ökologischen und öko-
nomischen Aspekten sowie bei der Vermittlung von Fachkenntnissen an die

332 Leitfaden Katastrophenmedizin


Einsatzkräfte. Eine besondere Herausforderung für Apotheker/-innen ist die
pharmazeutische Versorgung von Massenveranstaltungen, die sogar den
Aufbau pharmazeutischer Versorgungszentren mit der dafür erforderlichen
Logistik umfassen kann.

17.2.7 Pharmazie in der Internationalen Hilfe


Die Internationale Hilfe hat zwei Aufgaben-Schwerpunkte, die häufig inein-
ander greifen:
ƒ Akuthilfe bei Katastrophen
ƒ Entwicklungszusammenarbeit

Pharmazeutisches Fachwissen hat sich in der internationalen Hilfe als unver-


zichtbares Element der medizinischen Versorgung von Katastrophenopfern
oder von Patienten in Entwicklungsländern erwiesen.

Die Erfahrungen mit nicht sachgerechten Arzneimittelspenden im Rahmen


Humanitärer Hilfe haben gezeigt, wie wichtig eine pharmazeutische Betreu-
ung in der Katastrophenhilfe ist. Daher hat die Weltgesundheitsorganisati-
on (WHO) 1999 „Guidelines for Drug Donations“ – Leitlinien für Arzneimit-
telspenden – verfasst.

Die Modell-Liste „Unentbehrlicher Arzneimittel“ der WHO dient der Aus-


wahl von geeigneten Arzneimitteln für die Internationale Hilfe.

Für die Akuthilfe im Katastrophenfall wurde ein Interagency Emergency


Health Kit zur medzinischen und pharmazeutischen Basisversorgung von
10 000 Patienten geschaffen.

Das GPHF-Minilab® des Global Pharma Health Fund e. V. dient der einfa-
chen Detektion von Arzneimittelfälschungen, die die Märkte in den Ent-
wicklungsländern überschwemmen und eine Gefahr für die Gesundheit
der Menschen dort sind. Für die Beschaffung von Arzneimitteln für Kata-
stropheneinsätze oder Hilfsprojekte auf den lokalen Märkten hat sich dieses
17

„Koffer-Labor“ sehr bewährt.

Für eine sachgerechte Entsorgung von pharmazeutischem, medizinischem


und labortechnischem Abfall unter erschwerten Bedingungen sind die
naturwissenschaftlichen und praktischen Fähigkeiten von Pharmazeuten
ebenfalls eine große Hilfe.

Leitfaden Katastrophenmedizin 333


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notfall- und KatastrophenPharmazie – Pharmazeutisches Notfallmanagement

17.3 Notfall- und KatastrophenPharmazie


Pharmazeutische Notfallversorgung und Notfallmanagement müssen sich
an der Zunahme von Schadensereignissen und an der Vulnerabilität unseres
Gemeinwesens, dem Bedürfnis an Schutz und Vorsorge sowie an der Finan-
zierbarkeit orientieren. Dabei müssen alle im Notfall verfügbaren und mobi-
lisierbaren Ressourcen genutzt werden und über die europäischen National-
grenzen hinaus Kooperationen aufgebaut werden.

Notfall- und KatastrophenPharmazie

Definition und Aufgaben

Die Notfall- und KatastrophenPharmazie dient der Sicherstellung einer bestmög-


lichen pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung bei Großschadensereignis-
sen und Katastrophen sowie in sonstigen Ausnahmesituationen. Dazu entwickelt
sie Konzeptionen für das pharmazeutische Notfallmanagement der Öffentlichen
Apotheken und der Krankenhausapotheken.

Mit aller Fachkompetenz der Apotheker wirkt die Notfall- und KatastrophenPhar-
mazie grundlegend an der notfall- und katastrophenmedizinischen Versorgung
beim Massenanfall von Verletzten, Patienten, Infizierten oder Exponierten mit,
insbesondere mit Konzeptionen und Qualitätsstandards für die Sanitätsmaterial -
versorgung
ƒ der Rettungsdienste und Hilfsorganisationen,
ƒ des Bevölkerungsschutzes,
ƒ bei Massenveranstaltungen,
ƒ bei Einsätzen in der Internationalen Hilfe,
ƒ für Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit.
Aufgaben der Apotheker:
ƒ Aufrechterhaltung der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten
• für die ambulante medizinische Regelversorgung der Bevölkerung
• für die stationäre medizinische Versorgung
• für Pflegeeinrichtungen
• für den Rettungsdienst
• für geschlossene Anstalten
ƒ Pharmazeutische Beratung bei der Notfallbevorratung
ƒ Pharmazeutische Logistik
ƒ Qualitätsmanagement des Katastrophenschutzes
17

ƒ Pharmazeutische Betreuung
• Sanitätsmaterial-Vorräte (Bund/Länder)
• des Rettungsdienstes
• des Sanitäts- und Betreuungsdienstes im Katastrophenschutz
ƒ Einsätze zur Versorgung mit Sanitätsmaterial
• bei Massenveranstaltungen
• im Katastrophenschutz
ƒ Internationale Katastrophenhilfe
ƒ Entwicklungszusammenarbeit

334 Leitfaden Katastrophenmedizin


Literatur

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsche


Gesellschaft für KatastrophenMedizin e.V. (DGKM), Hrsg. Notfall- und Kata-
strophenPharmazie. Band 1 und 2. Bonn: BBK, DGKM; 2009.

World Health Organization (WHO). Guidelines for Drug Donations. 2nd ed.
Geneva: WHO; 1999.

World Health Organization (WHO). WHO Model List of Essential Medicines.


15th list. Geneva: WHO; March 2007. Online verfügbar unter:
http://www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en/.

Zukunftspapier des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker


(ADKA) e. V. Krankenhauspharmazie 2006; 27 (7): 289 ff.

17

Leitfaden Katastrophenmedizin 335


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Dekontamination und Behandlung Verletzter bei chemischen Gefahrenlagen

18
Dekontamination und Behand-
lung Verletzter bei chemischen
Gefahrenlagen
B. D. Domres

18.1 Dekontamination
Von den insgesamt bekannten 11 Millionen Chemikalien werden jährlich ca.
70 000 verschiedene Substanzen weltweit in einer Menge von ca. 500 Milli-
onen Tonnen produziert, transportiert und verwendet. Eine Kontamination
mit chemischen Schadstoffen kann als Folge eines Unfalls nach ungewollter
Freisetzung toxischer Chemikalien auftreten. Auch besteht das Risiko, dass
chemische Kampfstoffe von kriminellen Banden und Terroristen eingesetzt
werden, da die Herstellung einfach ist und die erforderlichen Ausgangsstoffe
relativ leicht beschafft werden können. Seit 1900 wurden ca. 70 der erwähn-
ten ca. 70 000 chemischen Substanzen von militärischer Seite im Krieg und
von Terroristen eingesetzt.

Nach einem Zwischenfall mit chemischen Gefahrstoffen muss man grund-


sätzlich davon ausgehen, dass alle Personen, die sich im Gefahrenbereich
aufgehalten haben, kontaminiert sind. Daher ist eine Dekontamination aller
Betroffenen mit anschließendem Kontaminationsnachweis unerlässlich. Dies
erfordert einen großen Aufwand an Personal und Material und Zeit. Die De-
kontamination muss zum Schutz der Betroffenen so rasch als möglich vor Ort
geschehen und zwar aus folgenden Gründen:
1. Eine Einwirkung von Chemikalien auf den menschlichen Körper kann bei
Verzögerung der Dekontamination zu weiterer Schädigung des Patienten
führen.
2. Einsatzkräfte, die in Kontakt mit den Kontaminierten kommen, müssen
vor der Chemikalie geschützt werden.
18

3. Nachfolgende medizinische Versorgungseinheiten wie Krankenhäuser


und Behandlungsplätze müssen frei von jeglicher Kontamination gehal-
ten werden, da ansonsten die weitere Versorgung von Gefährdeten, Er-
krankten und Verletzten massiv beeinträchtigt werden kann.
4. Insgesamt muss gefolgert werden, dass eine Verschleppung der Kontami-
nation schwerwiegende Einflüsse auf die rettungsdienstliche sowie medi-
zinische Infrastruktur und das „Outcome“ der Verletzten haben kann.

336 Leitfaden Katastrophenmedizin


Lessons Learnt – der Sarin-Anschlag in Tokyo 1995

Wie der Terroranschlag der Aum-Sekte mit dem Nervengift Sarin in Tokyo
1995 zeigt, werden Krankenhäuser aufgrund unterlassener Dekontami -
nation handlungsunfähig. Infolge des Abgasens der giftigen, flüchtigen
Substanzen von den Betroffenen wurde das Krankenhauspersonal ge -
fährdet und arbeitsunfähig.
Die nicht vorhandene Ausrüstung bzw. Planung für ein solches Ereignis
führte sekundär zu zahlreichen Problemen in der Notfallbehandlung. Die
Sichtung wurde in einer Halle mit unzureichender Entlüftung durchge -
führt, und Patienten wurden nicht primär entkleidet (als erste „Maßnah -
me“ der Dekontamination).
Als „lessons learnt“ aus dem Giftgasanschlag gelten die folgenden Er-
kenntnisse:
ƒ Nach Möglichkeit immer eine Vor-Ort-Dekontamination durchführen
ƒ Dekontaminationssysteme müssen also vorgehalten werden
ƒ Schutzausrüstung (PSA) für Einsatzkräfte muss vorgehalten werden
ƒ Krankenhäuser sind mit Dekontaminationseinheiten auszustatten
ƒ Unterrichtung, Einweisung und wiederholtes Trainieren des Personals
der Feuerwehr (FW), des Rettungsdienstes (RD) und der Krankenhäu -
ser sind erforderlich. In einem Stufenplan sollte im Krankenhaus vor-
dringlich das Personal des Schockraums unterrichtet werden. Das so
geschulte Personal kann dann bei einem Massenanfall kontaminierter
Verletzter die sogenannte Dekoneinheit (Dekontaminierungseinheit)
ergänzen. Diese ist vor dem Krankenhaus von der FW und dem RD zu
betreiben. Auch bei einem Unfall mit nur 1–5 Verletzten wäre das Per-
sonal des Krankenhauses gerüstet.

18.2 Erkennungsmerkmale für das


Vorliegen chemischer Gefahrenlagen
ƒ Hinweis durch Rettungsleitstelle
ƒ Örtliche Gegebenheiten:
• Auffällige Vorratsbehälter
18

• Vorhandene Kennzeichnung, Etiketten und Farben von ausgewiesenen


Gefahrenstoffbehältern
• Vorhandene Frachtpapiere
• Auffällige Sinneswahrnehmungen (sehen, hören, riechen, schmecken),
allerdings nicht immer möglich
• Ungewöhnliche Dampfwolken, Feuer, Explosion
• Tierkadaver

Leitfaden Katastrophenmedizin 337


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Dekontamination und Behandlung Verletzter bei chemischen Gefahrenlagen

ƒ Übelkeit, Erbrechen, Hautirritation, Augenrötung, Tränenfluss bei Ein-


satzpersonal
ƒ Gehäuft auftretende Symptome bei Patienten wie Atemnot, Krämpfe und
Bewusstlosigkeit ohne Hinweise auf mechanische Verletzungen
ƒ Zunahme der Symptomatik je näher die Betroffenen dem Zentrum des
Schadens waren

18.3 Erst Eigenschutz einleiten, dann


Meldung abgeben
Erste Meldung
Kurze Meldung über Ort und Art des Unfalls sowie grobes Ausmaß der
Situation.

Bitte beachten

Eine zweite gezielte und vorbereitete Meldung hat einen größeren


Effekt als eine schnelle und fehlerhafte erste und endgültige Meldung.

Zweite Meldung
Alle notwendigen Informationen werden unter Berücksichtigung des Eigen-
schutzes eingeholt. Keine Eigeneinschätzungen abgeben! – Übermittlung
von Fakten:
ƒ Gefahrgut-Kennzeichnung (Gefahrensymbol auf Verpackung, Warntafel,
Frachtbrief, Unfallmerkblatt; s. auch Kap. 13)
ƒ Fahrzeugtyp, Kennzeichen, Firmenname
ƒ Beschreibung einer möglichen Auswirkung auf die Umgebung (Farben,
Geruch u. Ä.)

18.4 Medizinische Identifikation des Schad-


18

stoffes – Organophosphat oder nicht?


Ärzte und auch das Rettungsdienstpersonal können geschult werden, die wich-
tigsten Schadstoffgruppen anhand ihrer typischen Wirkungen (Toxidrome,
vgl. auch Kap. 13) und Symptome am Patienten zu differenzieren (s. Tab. 18-1).

338 Leitfaden Katastrophenmedizin


Tab. 18-1 Toxidrome und klinische Symptome bei verschiedenen Giftstoffen.

Toxidrome Klinische Symptome Giftstoff

Zentralnervensystem (ZNS), Krämpfe, Hypersekretion, Organophosphat,


peripheres NS, Sehstörungen, Bradykardie z. B. Sarin
vegetatives NS

Haut Erythem, Blasen Mustard, Phosgen

Atemwege Dyspnoe, Husten Phosgen, Chlorine

Ersticken Luftnot, Ersticken HCN, Arsen

Augen Reizung, Tränenfluss Tränengas

Vor allem die typischen Wirkungen und Symptome der Organophosphate


sollten gelehrt werden und bekannt sein, da nur für diese Giftstoffe Antidote
in Form von Autoinjektoren existieren, die schnell und einfach (i. m.-Injekti-
on) auch bei einem Massenanfall Verletzter appliziert werden können.

Vor allen anderen Symptomen fällt als Folge der Muskarinwirkung das Hy-
persekretionssyndrom auf. Hinzu kommen noch weitere charakteristische
Symptome. Als Eselsbrücke hat sich dafür das englische Akronym „DUM-
BELLS“ bewährt, das sich aus den Anfangsbuchstaben der typischen Symp -
tome zusammensetzt:
Diaphoresis Schwitzen, Hypersekretion
Urination Harnfluss, Einnässen
Miosis Pupillenenge
Bradycardia Pulsverlangsamung unter 60 pro Minute
Emesis Erbrechen, Magenkrämpfe
Lacrimation Tränenfluss
Lethargia Bewusstseinstrübung
Seizures Schmerzhafte Krämpfe

Bitte beachten
18

Bei begründetem Verdacht einer Organophosphatvergiftung ist die


i. m.-Verabreichung der Antidote in Form des verfügbaren Autoinjektors
indiziert und sollte bereits vor der Sichtung erfolgen.1

1 Weitere Informationen zu Symptomen und Therapie der Organophosphatvergiftung siehe Kapitel 13.

Leitfaden Katastrophenmedizin 339


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Dekontamination und Behandlung Verletzter bei chemischen Gefahrenlagen

18.5 Erstmaßnahmen
Als unspezifische, symptomatische Maßnahmen sind bei den Organophosphaten
wie bei allen anderen Schadstoffen die folgenden unverzüglich vorzunehmen:
ƒ Atemwege sichern
ƒ Entkleiden
ƒ Dekontamination

18.6 Räumliche Aufteilung des Einsatz-


bereiches
Unmittelbar am Ort der Schadstofffreisetzung, der heißen oder schwarzen
Zone (vgl. Abb. 18-1), darf nur das Personal der Feuerwehr mit entsprechender
chemischer Schutzkleidung und unter Atemschutzbedingungen (umluftun-
abhängig, Pressluft) arbeiten. In der warmen oder grauen Zone im Abstand
von mindestens 50 m von der Schadstofffreisetzung droht vor allem noch die
Gefahr sekundärer Kontamination, z. B. beim Kontakt mit Verletzten, die aus
der schwarzen Zone gerettet wurden. Schutzkleidung und Atemschutz (um-
luftabhängig) minderer Klasse sind hier notwendig. In dieser warmen Zone
wird der sogenannte Dekonplatz errichtet, wo die Betroffenen dekontami-
niert und erstbehandelt werden, bevor sie dem Regelrettungsdienst in der
sauberen weißen Zone übergeben werden.
18

Abb. 18-1 Räumliche Aufteilung des Einsatzbereiches. (Grafik: Nach Wenke und
Helms, modifiziert.)

340 Leitfaden Katastrophenmedizin


18.7 Arbeitsschritte der Dekontamination
Reihenfolge der Arbeitsschritte
Registratur, Entkleidung, Antidotgabe (bei Organophosphatkontamination),
Sichtung, Spotdekontamination des Gesichtes, der Körperregionen für in-
vasive Zugänge und der Wunden, Abdeckung der Wunden mittels wasser-
dichter Folien, lebensrettende Sofortmaßnahmen (Basic Life Support; s. auch
Kap. 5), Ganzkörperdekontamination (1 min Duschen, 2 min Einschäumen,
3 min Duschen), Detektion bzw. Kontaminationsnachweis, stationäre Auf-
nahme, diagnostische und therapeutische Maßnahmen, Wundversorgung
und operative Behandlung.

Ausnahmen von der Ganzkörperdekontamination mit Schaum und Wasser


gelten bei Kampfstoffen wie Senfgas und Mustard. Sind bereits erhebliche
Hautschäden wie Blasen, Erosionen und Nekrosen sichtbar, ist eine Trocken-
dekontamination mit Pulver z. B. folgender Zusammensetzung vorzuneh-
men: Polystyren, Natriumhypochlorit, Kohle oder harzartige Grundsubstanz.

Personalbedarf für die Erstbehandlung und Dekontamination


Um 50 Verletze (davon 10 Schwerverletzte) innerhalb von 90 min notfallme-
dizinisch zu behandeln und zu dekontaminieren, sind 80 Einsatzkräfte der
Feuerwehr und des Rettungsdienstes nötig – ausgerüstet mit Chemieschutz-
anzügen und Atemschutz.

Bitte beachten

Cave! Einfluss der Umgebungstemperatur auf die Einsatzfähigkeit der


Rettungskräfte in PSA.

18.8 Operative Versorgung kontaminierter


Wunden
18

Vor allem Mustard und Nervengifte (s. auch Kap. 13) haben in Wunden eine
lebensbedrohende Wirkung.

Blasenbildendes Mustard wird innerhalb weniger Minuten resorbiert,


reagiert mit Gewebe- und Blutkomponenten und verursacht dann eine Ge-
websnekrose.

Leitfaden Katastrophenmedizin 341


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Dekontamination und Behandlung Verletzter bei chemischen Gefahrenlagen

Nervengifte wirken durch ihre rapide Bindung an das Enzym Acetylcholin-


esterase. Aufgrund der raschen Resorption und hohen Toxizität (ein Bruchteil
eines Tropfens ist die letale Dosis) gelangen dadurch Verletzte kaum mehr
lebend in ein Krankenhaus. Nur das Nervengift VX wird nicht ganz so schnell
resorbiert und findet sich noch längere Zeit in den Wunden der Verletzten.

Cyanide sind sehr flüchtig, sodass sie sich nur sehr kurze Zeit als Flüssigkeit
in Wunden halten.

Nervengifte in Form eingedickter Substanzen machen besondere Vor-


sichtsmaßnahmen gegen Abgasung und zum Schutz des Personals erfor-
derlich. Die Abgasung geht nur von in den Wunden inkorporierten Fremd-
körpern aus, und ihre Wirkung ist gering. Daher sind keine zusätzlichen
Maßnahmen wie z. B. Atemschutzmasken für das OP-Personal notwendig.

Die Hauptgefahr resultiert aus dem direkten Hautkontakt und der Kontami-
nation auch kleinster, banaler Oberflächenläsionen der Haut, die unbemerkt
während der Operation beim Personal auftreten können. Um dies zu vermei-
den, sind grundsätzlich zwei Vorsichtsmaßnahmen unerlässlich:

1. Doppelte Handschuhe
Die zwei Paar Handschuhe sind nach jeweils 20 min zu wechseln (Dichtig-
keitszeit von 20 min).

2. „No touch technique“


Wunden dürfen nur instrumentell exploriert und unter keinen Umständen
mit den Fingern ausgetastet werden.

Literatur

Baker DJ, Advanced life support for acute toxic injuries. Eur J EmergMed 1996,
3 (4): 256–262.

Domres B, Manger A, Brockmann S, Wenke R. Aufbau und Ablauf der Dekon-


tamination und Notfallversorgung Verletzter bei Zwischenfällen mit chemi-
18

schen Gefahrstoffen. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kata-


strophenhilfe (BBK); 2005. (BBK, Hrsg. Zivilschutz-Forschung. Schriftenreihe
der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren, Band 56.)

342 Leitfaden Katastrophenmedizin


19
Notwendige Vorbereitungen
für Einsatzkräfte in neuen
Bedrohungslagen
H.-R. Paschen

19.1 Einführung
Nach Ende des sogenannten Kalten Krieges und der damit einhergehenden
politischen Entspannung zwischen den Weltmächten ist seit mehr als zehn
Jahren das Aufkeimen einer religiös gefärbten zunehmenden Gewaltbereit-
schaft zu beobachten. Fanatiker sehen in der Gewalt gegen Andersgläubige
ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Ideen. Dabei werden nicht mehr nur expo -
nierte Einzelpersonen oder symbolträchtige Bauwerke zum Ziel der Anschlä-
ge, die Gewalt richtet sich vermehrt auch gegen Unbeteiligte. Die Attentäter
beziehen dabei die Kräfte der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr ganz ge-
zielt mit ein.
Weiterhin ist seit einigen Jahren auch bei nichtreligiösen, gewaltbereiten
Gruppen in Deutschland und dem benachbarten Ausland eine Tendenz zu
verzeichnen, Kräfte der nichtpolizeilichen, staatlichen Gefahrenabwehr,
wie z. B. den Rettungsdienst der Hilfsorganisationen und der Feuerwehren,
als Ziel körperlicher Gewalt auszuwählen.
Konnten in den 1980er-Jahren Einsatzkräfte des Rettungsdienstes und der
Feuerwehr noch sicher sein, bei Rettungsarbeiten – z. B. in der Hausbesetzer-
szene – unbehelligt arbeiten zu können, werden sie nun zunehmend selbst
zum Ziel von Angriffen. Es gibt erste Berichte, dass Einsatzkräfte der nicht-
polizeilichen Gefahrenabwehr durch fingierte Notrufe gezielt in Hinterhalte
gelockt und angegriffen wurden.

Die veränderte Sicherheitslage für Rettungsdienste und Feuerwehren bedarf


daher einer exakten und umfassenden Analyse und Neubewertung. Die Ein-
satzkräfte müssen ein geändertes Gefahrenbewusstsein erlangen und die
Einsatzstrategie ist an die neuen Bedingungen anzupassen. Die Verantwort-
19

lichen in den Behörden und Organisationen müssen die Einsatzkonzepte für


derartige Lagen überarbeiten und die Ausrüstung der Einheiten entspre-
chend verändern.

Leitfaden Katastrophenmedizin 343


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notwendige Vorbereitungen für Einsatzkräfte in neuen Bedrohungslagen

19.2 Gefährdungsanalyse
Ziel religiöser oder politischer Attentäter ist es, durch ihre Anschläge entwe-
der symbolträchtige Gebäude oder Einrichtungen zu treffen oder durch Tod
und Verletzung einer möglichst großen Zahl nicht direkt in die Auseinander-
setzung verwickelter Menschen Angst und Schrecken zu verbreiten und auf
diese Weise die politisch Verantwortlichen dazu zu bringen, ihnen genehme
Entscheidungen zu treffen. Ein weiteres Mittel, um die politische Entschei-
dungsfindung zu beeinflussen, kann die Attacke auf Einsatzkräfte der nicht-
polizeilichen Gefahrenabwehr sein. Durch die nachhaltige Bedrohung der
Gesundheit der Einsatzkräfte werden die Motivation und der Einsatzwillen
der Betroffen geschwächt.
Die Attentäter kalkulieren die Schwächung und den Kollaps der präklini-
schen Versorgungsstrukturen bewusst als weiteres Element des Drohsze-
narios ein. Die Rote-Armee-Fraktion (RAF) nutzte diese Strategie vereinzelt
in den 1970er-Jahren. Im Nahen Osten ist der geplante Einsatz eines zweiten
Suicide-Bombers, der seine Sprengladung erst nach Eintreffen der Rettungs-
kräfte zündet, nicht ungewöhnlich.
Bei den Anschlägen in Mumbai im Jahr 2008 haben die Attentäter nicht nur
symbolträchtige Einrichtungen wie bekannte Hotels, sondern auch Bahnhö-
fe und andere belebte Orte sowie ein Krankenhaus nahezu zeitgleich atta-
ckiert. Das Ziel war die Schwächung der Versorgungsstrukturen.
Ein weiteres Gefahrenpotenzial besteht in Anschlägen mit Bioagenzien,
Chemikalien oder radioaktiven Substanzen (CBR) – so genannten dirty bombs.
Während die Detektion von Chemikalien und Gammastrahlern routine-
mäßig möglich ist, stellen Bioagenzien und sehr kurzwellige Strahler die
Einsatzkräfte vor ein Problem. Da derartige Szenarien glücklicherweise in
Deutschland bisher nicht vorgekommen sind, kann sich eine längere Latenz
bis zum Erkennen eines CBR-Anschlages ergeben. Damit geht aber eine hohe
Gefahr für die Retter und klinischen Ersthelfer einher.

Die Einsatzkonzepte des Rettungsdienstes und der Feuerwehren sind dar-


auf ausgerichtet, schnellstmöglich optimale Hilfe vor Ort bereitzustellen.
Insbesondere der Rettungsdienst verfährt nach der Maxime, jeden Patien-
ten, wo immer es möglich und medizinisch sinnvoll ist, vor Ort zu stabili-
sieren und die Transportfähigkeit herzustellen, bevor mit der Beförderung
in eine klinische Weiterversorgung begonnen wird. Dieses auch „stay and
treat“ genannte Konzept bedingt, dass die medizinische Versorgung teils
19

mit erheblichen Ressourcen vor Ort durchgeführt wird. Gerade bei einem
Massenanfall von Verletzten sind die notfallmedizinischen Versorgungs-
strategien in fast allen westlichen Nationen darauf ausgerichtet, am Ein-
satzort eine Sichtung aller Betroffenen durchzuführen, die notwendige
medizinische Versorgung einzuleiten und die klinischen Versorgungs-

344 Leitfaden Katastrophenmedizin


strukturen möglichst nicht mit einer Vielzahl von zu Behandelnden zu
überfordern.
Sind diese Strukturen ungeschützt, bieten sie ein Ziel, um den entstandenen
Personenschaden weiter zu potenzieren.

19.3 Mögliche Reaktionen


In enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für die polizeiliche
Gefahrenabwehr müssen die Rettungsdienste abgestimmte präklinische
Versorgungsstrategien erarbeiten. In die Planungen sind die Krankenhäuser
mit einzubeziehen, da hier die klinische Versorgung der Betroffenen statt-
finden wird.

Vermeidung von Angriffen auf Einsatzkräfte des Rettungsdienstes


Sicherlich ist der beste Weg, nicht angegriffen zu werden, die Vermeidung
jeglicher Konfrontation. Dennoch kann es notwendig werden, einen takti-
schen Rückzug einzuleiten, wenn die Situation vor Ort eskaliert. Dazu bedarf
es eines entschlossenen gemeinsamen Vorgehens der Einsatzkräfte. Der
Rückzug sollte so weit erfolgen, bis die Einsatzkräfte außerhalb der Gefah-
renzone sind. Dort wird auf die Unterstützung der Polizei gewartet. Jeder
Rettungsdienst sollte einen Code für die verdeckte Alarmierung von Unter-
stützung festlegen. Die Rettungsleitstelle sollte auf eine derartige Rückmel-
dung mit einem präformierten Kräfteaufgebot reagieren.

Vorgehen bei der Versorgung von Opfern eines Anschlages


Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes müssen die typischen Situationen früh-
zeitig erkennen und sich der Tatsache bewusst sein, dass weitere Anschläge
im direkten Umfeld des Einsatzortes möglich sind.
In derartigen Situationen muss die bisherige Strategie der Erstversorgung
und Stabilisierung der Opfer vor Ort geändert werden. Die Erstversorgung
muss sich auf die absolut notwendigen, lebenserhaltenden Erstmaßnahmen
beschränken, das Opfer sollte so schnell wie möglich in das Rettungsdienst-
fahrzeug verbracht werden. Die weitere medizinische Versorgung findet
dann entweder während der Fahrt statt oder in sicherer Entfernung vom Ort
des Geschehens („treat and run“ oder auch „safe save and run“).
19

Leitfaden Katastrophenmedizin 345


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Notwendige Vorbereitungen für Einsatzkräfte in neuen Bedrohungslagen

Bitte beachten

Soll an dem Aufbau und Betrieb eines Behandlungsplatzes in derartigen


Lagen festgehalten werden, so sollte der Behandlungsplatz an einem
Ort aufgebaut werden, der polizeilich gut zu schützen ist und der sich in
sicherer Entfernung vom Ort des Anschlages befindet, damit die Gefähr-
dung durch einen potenziellen Zweitanschlag weitestgehend minimiert
ist. Hierzu ist eine enge Absprache mit der polizeilichen Gefahrenabwehr
sicherzustellen.

Nicht unmittelbar am Einsatzort benötigte Kräfte sind in Bereitstellungsräu-


men zu sammeln und bedarfsweise dem Einsatzort zuzuführen. Der Bereit-
stellungsraum ist durch die Polizei zu sichern.

19.4 Schlussfolgerungen
Die Verantwortlichen haben den beschriebenen Mechanismus erkannt. Es
sind weitere, intensive Absprachen zwischen den Kräften der polizeilichen
und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr und eine vernetzte strategische
Planung und gemeinsame Konzeption erforderlich. Ein gemeinsam geplan-
tes und eingeübtes Konzept kann das Risiko für die Einsatzkräfte deutlich
minimieren.
Die Persönliche Schutzausrüstung der Rettungsdienstmitarbeiter muss über-
prüft und ggf. optimiert werden. Erfahrungen der Rettungsdienste anderer
Länder, wie z. B. Israels, können hier dienlich sein.
Untersuchungen belegen, dass bei Einsätzen mit einem besonders hohen
persönlichen Risiko für die Einsatzkräfte (z. B. dirty bomb) die psychische
Belastung besonders hoch ist. Dieser Umstand kann zu einem gehäuften
Auftreten von Fehlhandlungen beitragen sowie die Einsatzbereitschaft be-
einträchtigen. Bei den Planungen ist diese außerordentliche psychische Be-
lastung der Einsatzkräfte, der vom Schadensereignis Betroffenen und ggf.
deren Angehörigen zu berücksichtigen. Es ist daher notwendig, das Kon-
zept für die Psychosoziale Notfallversorgung bei Großschadenslagen (s. auch
Kap. 7) konsequent umzusetzen.
Durch eine möglichst umfassende Information der Einsatzkräfte über das ge-
plante Vorgehen in besonderen Schadenslagen kann deren Belastung redu-
19

ziert und die Bereitschaft, sich diesen Aufgaben zu stellen, gefördert werden.

346 Leitfaden Katastrophenmedizin


Literatur

Sanders MJ. Crime Scene Awareness. In: Sanders MJ. Mosby’s Paramedic Text-
book. 3rd ed. St. Louis: Mosby; 2007. 1260–1269.

Schwartz RB, McManus JG, Swienton RE. Tactical Emergency Medicine. Phila-
delphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2008.

19

Leitfaden Katastrophenmedizin 347


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

20
Daseinsvorsorge und Nothilfe
bei Flüchtlingsbewegungen
J. Gardemann

20.1 Flüchtlingsbewegungen in Deutsch-


land?
Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben nach dem Ende
der nationalsozialistischen Diktatur weit über 10 Millionen Deutsche nach
Flucht, Vertreibung oder Aussiedlung eine bleibende Aufnahme gefunden.
In der Administration von Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbe-
wegungen und in der Integration von Flüchtlingen bestehen hierzulande
daher (noch) erhebliche leidhaft begründete Erfahrungen. Aber auch in
heutiger Zeit haben vielfältige geologische und klimatische Ereignisse in
unseren Nachbarländern, die Maueröffnung, der jahrelange kriegerische
Balkankonflikt und die jüngsten terroristischen Anschläge und Anschlags-
versuche gezeigt, dass in Europa und auch auf dem Gebiet der Bundesrepu-
blik Deutschland jederzeit Ereignisse denkbar sind, die erneut Anlass zu grö-
ßeren Migrations- und Fluchtbewegungen bieten könnten. Technische oder
terroristische Großschadenslagen, aber auch Naturereignisse wie die Sturm-
flut von Hamburg im Jahr 1962 sind als Auslöser für Inlandsbewegungen oder
auch grenzüberschreitende Flucht größerer Bevölkerungsgruppen denkbar.
Bei grenznahen Schadensereignissen wie den langfristigen Stromausfällen
im Münsterland im Jahr 2005 hat sich bereits eine grenzüberschreitende
Nothilfe und Daseinsfürsorge in der Praxis bewährt (Menski und Garde-
mann 2009). Deutschland könnte bei größeren Schadensereignissen erhebli-
che Binnenbewegungen erleben, aber auch Herkunfts- oder Aufnahmeland
grenzüberschreitender Flüchtlingsströme werden.

20.2 Flüchtlinge und Flüchtlingshilfswerke


weltweit
20

Unter Flüchtlingen versteht das Völkerrecht Personen, die sich im Streben


nach einem sicheren Aufenthaltsort außerhalb der Grenzen ihres Heimat-
landes befinden. Demgegenüber sind Inlandsvertriebene (internally dis-

348 Leitfaden Katastrophenmedizin


placed people [IDP]) solche Menschen, die Zuflucht an einem Ort innerhalb
ihres Heimatlandes gefunden haben. Die Genfer Flüchtlingskonvention vom
28. Juli 1951 unter ihrem offiziellen Titel „Abkommen über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge“ legt als völkerrechtliches Dokument zu Flüchtlingsstatus
und Flüchtlingsrechten in Artikel 1 ihres ersten Kapitels verbindlich fest, dass
ein Flüchtling jede Person ist, die sich zum Zwecke sicheren Aufenthaltes au-
ßerhalb ihres Heimatlandes befindet (UNHCR 2009a). Durch diese Definition
wird die Überschreitung einer internationalen Grenze zur Voraussetzung
einer Anerkennung als Flüchtling und damit zur Voraussetzung des vollen
Schutzes durch das Flüchtlingsabkommen. Gleichzeitig bleibt aber der gro-
ßen Gruppe der Binnenvertriebenen ein solcher völkerrechtlicher Schutzsta-
tus verschlossen. Aufgrund der weltweit zunehmenden Zahl von Inlandsver-
triebenen gibt es mittlerweile Bestrebungen mit dem Ziel, dass unter dem
Oberbegriff der erzwungenen Migration beide Menschengruppen zusam-
mengefasst und gleich behandelt werden (University of Oxford 2009).

Sowohl Flüchtlinge als auch Inlandsvertriebene sind Bevölkerungsgruppen


mit erheblich erhöhten Gesundheitsrisiken. Die Weltgesundheitsorganisati-
on (WHO) nennt als bedeutsamste Bedrohung der Gesundheit von Menschen
weltweit die Armut, den mangelhaften Zugang zu Gesundheitsinformatio -
nen und Gesundheitsleistungen sowie eine unsichere Lebenswelt (WHO
2008). Diese Unsicherheit der Lebensumstände kann durch natürliche oder
von Menschen verursachte Katastrophen, aber auch durch militärische oder
strukturelle Gewalt bedingt sein. Zahlreiche Menschen weltweit leben unter
den Umständen einer solchermaßen unsicheren und damit gesundheits-
schädigenden Umwelt. Hinter jeder Flucht vor Gewalt, Katastrophen und Un-
terversorgung ist daher zunächst immer auch eine persönliche Maßnahme
gesundheitlicher Prävention für den Flüchtenden selbst oder seine Angehö-
rigen zu sehen.

Flucht ist Prävention!

20.3 Ursachen erzwungener Migration


20.3.1 Derzeitige weltweite Fluchtbewegungen
Das Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen (UN-
HCR) ist die UN-Organisation mit Zuständigkeit für Flüchtlingsbewegungen
20

weltweit. Im Jahr 2009 lag die Gesamtzahl der von UNHCR zu betreuenden
Menschen bei 42 Millionen (UNHCR 2009b). Innerhalb dieser Risikogruppe
waren 40 % internationale Flüchtlinge, 32 % Binnenvertriebene und 11 % staa-

Leitfaden Katastrophenmedizin 349


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

tenlose Personen. Da es sich bei diesen Angaben um Schätzungen handelt,


ist von einer noch größeren Anzahl weltweit auszugehen. Die Internationa-
le Organisation für Migration (IOM) berichtete über 20 bis 30 Millionen irre-
gulärer Migranten im Jahr 2008, 26 Millionen Binnenvertriebener sowie 11,4
Millionen internationaler Flüchtlinge weltweit im Jahr 2007 (IOM 2009). Auch
nach dem Ende des Kalten Krieges mit seiner unmittelbaren und totalen Be-
drohung aller menschlichen Existenz sind Gewalt und Gefährdung von Leben
und Gesundheit weltweit keineswegs geringer geworden. Nach dem Rückzug
der beiden Machtblöcke aus den ärmeren Ländern sind lokal begrenzte Krie-
ge dort wieder möglich geworden, und der globale Verteilungskampf um die
Ressourcen für die nähere Zukunft führt zu einer Neuauflage kolonialer Er-
oberungspolitik. Die schwindende Präsenz und Patenschaft der ehemaligen
Schutzmächte begünstigt ein Auseinanderbrechen multiethnischer Staats-
gebilde wie etwa auf dem Balkan und im afrikanischen Zwischenseengebiet.
Neue Formen bewaffneter Auseinandersetzungen wie der endemische Krieg
in Zentralafrika, der sich von Ruanda über den Kongo bis in den Tschad er-
streckt, ethnisch und religiös motivierte Vertreibungen in der Balkanregion
oder der internationale Terrorismus erweisen sich zunehmend als unvorher-
sehbar und mit den traditionellen Instrumenten des Völkerrechtes, der mili-
tärischen oder polizeilichen Intervention nicht mehr beherrschbar.

Aber auch im Bereich der Naturkatastrophen hat das vergangene Jahrzehnt


die tägliche Bedrohung von Leben und Gesundheit großer Menschengrup -
pen weltweit wiederholt schrecklich demonstriert. Immer deutlicher wird
hierbei in den letzten Jahren, dass die früher so klare Unterscheidung zwi-
schen natürlichen und von Menschen verursachten Katastrophen nicht
mehr aufrechtzuerhalten ist. Naturereignisse wie Erdbeben und Über-
schwemmungen brechen zwar von ihrer physikalischen Ursache her in der
Tat oft schicksalhaft über ihre Opfer herein, ihre fatalen Auswirkungen aber
entfalten sie oft nur aufgrund korrupter und verfehlter Siedlungspolitik,
Vertreibung, räumlicher Abdrängung und struktureller Gewalt gegenüber
den unterdrückten Bevölkerungsanteilen, aufgrund unzureichender Bau-
vorschriften, rücksichtsloser Gewässerbereinigung oder globaler Klimaver-
änderungen. So werden aus Naturereignissen unter dem Einfluss von Men-
schen vielerorts zunehmend häufiger Naturkatastrophen. Auf zahlreichen
Schauplätzen lang andauernder bewaffneter Konflikte ist schließlich die
Naturgewalt in der Form von Dürre oder Flut sogar zu einem direkten Instru-
ment kriegerischer Auseinandersetzung geworden. Bei einer sogenannten
komplexen humanitären Katastrophe wie beispielsweise in Somalia schließ-
lich kommt es oft unter unkontrollierbarer Gewaltausübung zum vollstän-
20

digen Zusammenbruch und Verschwinden des wirtschaftlichen, sozialen


und politischen Systems, zum „failing state“ (Fleck 1994). Unter solchen Um-
ständen besteht kaum Hoffnung auf baldige Rückkehr zur Normalität, und

350 Leitfaden Katastrophenmedizin


ausländische Hilfe stellt praktisch die einzige Form gesundheitlicher oder
sozialer Daseinsvorsorge dar.

20.3.2 Derzeit in Deutschland befindliche


Flüchtlinge
Patienten mit Migrationshintergrund, Asylsuchende und ethnische Minder-
heiten stellen sowohl im regulären Rettungsdienst als auch in der Katastro -
phenmedizin eine auch im Inland immer zu erwartende Patientengruppe
mit besonderen Problemlagen und Bedürfnissen dar (Gardemann 2009).
Innerhalb der großen Bevölkerungsgruppe ausländischer Herkunft bilden
besonders die Personenkreise mit erzwungener Migration einen erheblichen
Anteil, neben den Arbeitsmigranten der ersten Generation und ihren Fami-
lien sowie den aktuell als Arbeits- oder Bildungsmigranten hier lebenden
Personen. Aufgrund ihrer jeweiligen Lebensgeschichte und ihrer aktuellen
Lebensumstände sind auch in Deutschland in der Gruppe von Menschen
mit erzwungenem Migrationshintergrund erhöhte gesundheitliche Risiken
und eine geringere Inanspruchnahme von Angeboten der Prävention und
Gesundheitshilfe anzunehmen. Schwerwiegende und nachhaltig wirksame
gesundheitliche Beeinträchtigungen ziehen sich die Flüchtlinge dabei ent-
weder aufgrund eigener Traumatisierung im Herkunftsland zu oder mittel-
bar über die traumatischen Erfahrungen der älteren Familienmitglieder. Die
vielfältigen ausländerrechtlichen Kategorien erschweren aber beträchtlich
eine einheitliche und systematische Berichterstattung über den Gesund-
heitszustand der Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz
ihrer Person oder ihrer Familien aufgesucht haben. Die Rechtsgrundlagen
der Inobhutnahme Nichtdeutscher in Deutschland haben sich in den letzten
Jahren grundlegend geändert. Die Zahl der Asylanträge betrug 1993 noch
322 599. Nach dem 01.07.1993 wurde der Artikel 16a mit seinen Einschränkun-
gen wie der Drittstaatsregelung in das Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland eingefügt. Aufgrund dieser rechtlichen Änderung bleiben für
Flüchtlinge mit dem Zielland Bundesrepublik Deutschland eigentlich als Zu-
gangswege nur noch die direkte Einreise mit Flugzeug oder Schiff oder aber
der unerlaubte Grenzübertritt. Die Zahl der Asylanträge sank bis 2004 auf
35 607, lediglich 960 Personen wurden vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) als asylberechtigt anerkannt (Duchrow und Spieß 2006).

Aufenthaltstitel gemäß AufenthG1 regeln den Aufenthalt Nichtdeutscher in


Deutschland. Als Aufenthaltstitel sind im AufenthG genannt: Visum, Aufent-
haltserlaubnis und Niederlassungserlaubnis.
20

1 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I, S. 162), zu-
letzt geändert durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2437).

Leitfaden Katastrophenmedizin 351


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

Die Duldung (§ 60a AufenthG) ist kein Aufenthaltstitel, sondern nur das of-
fizielle Anerkenntnis, dass eine Person nicht abgeschoben werden kann. Als
Konsequenzen für die Betroffenen bestehen Residenzpflicht, Leistungsbe-
grenzung gemäß AsylbLG2 und nachrangiger Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit
dem AufenthG sollte die Praxis der Kettenduldungen abgeschafft werden;
dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Somit wurde die Duldung erneut in
das AufenthG aufgenommen (§ 60a).

In § 60 (1) AufenthG wird der Begriff der „Konventionsflüchtlinge“ geklärt,


die im Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) einen
Abschiebungsschutz („kleines Asyl“) genießen (früher § 51 AuslG3). Dieser Ab-
schiebungsschutz von Flüchtlingen im Sinne der GK basiert auf dem völker-
rechtlichen Grundsatz des „non-refoulment“, der vom Hochkommissariat
der Vereinten Nationen (UNHCR) garantiert wird.

Am 31.12.2006 verteilte sich laut der bislang letzten Ausgabe des statistischen
Jahrbuches für das Ausland die nichtdeutsche Bevölkerung in Deutschland
auf die folgenden Aufenthaltstitel (Statistisches Bundesamt 2006):
ƒ 651 000 Menschen besaßen einen befristeten und 2,2 Millionen Menschen
einen zeitlich unbefristeten Aufenthaltstitel nach altem Recht gemäß Aus-
ländergesetz von 1990
ƒ 1,1 Millionen Menschen besaßen eine befristete Aufenthaltserlaubnis und
555 000 Menschen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach neu-
em Recht gemäß Aufenthaltsgesetz von 2004
ƒ etwa 1,3 Millionen Menschen lebten gemäß EU-Recht mit EU-Aufenthalts-
titel in der Bundesrepublik Deutschland
ƒ etwa 650 000 Menschen lebten unter Duldung, Aufenthaltsgestattung
oder auch ohne Aufenthaltstitel in Deutschland

Angesichts der unübersichtlichen demografischen Angaben ist es nicht ver-


wunderlich, dass selbst die Berichte der Beauftragten der Bundesregierung
für Migration, Flüchtlinge und Integration bislang keine wirklich verlässli-
chen und gesicherten Angaben zur gesundheitlichen Situation der Flüchtlin-
ge enthalten konnten. Die derzeit noch sehr uneinheitliche ausländerrechtli-
che Kategorisierung der Flüchtlinge, ihre auch lebensgeschichtlich extreme
Heterogenität, die hohe Fluktuationsrate sowie auch der nicht unbedeutende
Anteil von Menschen ohne jeglichen gesicherten ausländerrechtlichen Sta-
tus erschweren insgesamt eine bundesweite Übersicht über den Gesund-
heitszustand der Flüchtlinge. Die gesundheitliche Versorgung dieser Bevöl-
20

2 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I,


S. 2022), zuletzt geändert durch Artikel 2e des Gesetzes vom 24. September 2008 (BGBl. I, S. 1856).
3 Ausländergesetz, seit 01.01.2005 durch das Aufenthaltsgesetz ersetzt.

352 Leitfaden Katastrophenmedizin


kerungsgruppe in Deutschland ist zudem aufgrund der Bestimmungen des
Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 4 AsylbLG) deutlich eingeschränkt, und
zwar auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Die
medizinische Versorgung von Menschen ohne jeden ausländerrechtlichen
Status in Deutschland („Illegalisierte“, „Papierlose“, „Clandestinen“) stellt
ein großes individualmedizinisches, aber auch public-health-relevantes Pro-
blem dar und wird oft erst durch ehrenamtliche Betätigung von Angehöri-
gen der Gesundheitsberufe gewährleistet (Flüchtlingsrat Berlin 2008).

20.4 In Deutschland denkbare Flücht-


lingsbewegungen bei Krisen und
Katastrophen
Zwar ist seit nunmehr 20 Jahren nicht mehr von direkten kriegerischen
Auseinandersetzungen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland
auszugehen, dennoch könnten natürliche, technische oder terroristische
Schadensereignisse auch hierzulande kaum steuerbare Fluchtbewegungen
auslösen. Für die Organisation und Praxis der Nothilfeleistung und Daseins-
sicherung wäre zunächst eine sorgfältige völkerrechtliche Einschätzung
der Situation unverzichtbar. Bei einer reinen Binnenmigration bleiben die
nationalen Ordnungsbehörden federführend, während bei jeder grenz-
überschreitenden Flüchtlingsbewegung die Vereinten Nationen und ihre
Fachbehörden (UNHCR, WHO, OCHA [s. unten]) hinzutreten und die interna-
tionale Koordination der Hilfeleistung übernehmen könnten oder diese im
Falle zusammengebrochener Staatsstrukturen („failing state“) übernehmen
müssen. Besonders dem United Nations Office for the Coordination of Huma-
nitarian Affairs (OCHA) kommt bei der internationalen humanitären Nothil-
fe eine federführende Rolle zu (OCHA 2009). Auch ein Land wie Deutschland,
das sich in Fragen der internationalen Soforthilfe bislang eigentlich nur als
Geberland definiert, könnte im Falle einer großen Katastrophe und Fluchtbe-
wegung selbstverständlich mit der sofortigen Hilfe der internationalen Staa-
tengemeinschaft rechnen, wie sie beispielsweise nach dem verheerenden
Erdbeben im iranischen Bam 2003 oder nach der Tsunamikatastrophe von
2004 geleistet wurde. Jede ausländische medizinische Hilfeleistung hat sich
an den lokal üblichen und vorgeschriebenen Therapiestandards zu orientie-
ren, internationale Organisationen haben lokal herrschendes Gesundheits-
recht zu respektieren. Erst bei Fehlen angemessener nationaler Regelungen
oder bei einem vollkommenen Zusammenbruch nationaler Ordnungsstruk-
20

turen werden die Standards der WHO oder des Sphere-Projekts zugrunde ge-
legt (The Sphere Project 2004).

Leitfaden Katastrophenmedizin 353


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

Auch ein traditionelles „Geberland“ wie Deutschland könnte im Falle


einer großen Katastrophe mit der sofortigen Hilfe der internationalen
Staatengemeinschaft rechnen!

Die Erfahrung der ungenügend koordinierten internationalen Hilfe im


afrikanischen Zwischenseengebiet nach dem Genozid in Ruanda hatte zur
Intensivierung der Bemühungen namhafter international tätiger Hilfsorga-
nisationen um Zusammenarbeit und Qualität geführt. Mit der Gründung des
Sphere-Projekts wurde 1997 ein verbindlicher Rahmen normativer und tech-
nischer Standards für die internationale Nothilfe geschaffen. Zu den hier nie-
dergelegten ethischen Fundamenten der Nothilfe zählen die völkerrechtli-
chen Grundsätze der Neutralität und Unparteilichkeit, die Verpflichtung zur
Koordination aller Hilfsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung
der Bedürfnisse und Kompetenzen der Betroffenen sowie der Langzeitwir-
kungen auf die Lebensbedingungen und die künftigen Notfallressourcen
der Hilfsempfänger (The Sphere Project 2004). Technische Leitlinien der
Daseins- und Gesundheitsfürsorge in Katastrophen werden daneben konti-
nuierlich von der Weltgesundheitsorganisation und den Vereinten Nationen
online auf den Internetseiten des Reliefweb4 und der Health Library for Disas-
ters5 veröffentlicht (OCHA 2009, WHO/PAHO 2009).

In der Praxis der Nothilfe verfolgt das Konzept der angepassten Technologie
(„appropriate technology“) den Ansatz der Orientierung an den lokalen Stan-
dards und vermeidet technologische Abhängigkeit. Ein solches Vorgehen
birgt aber die Gefahr in sich, dass Flüchtlinge in oder aus Mangelgebieten
gesundheitlich unterversorgt bleiben, sodass jeweils eine vorsichtige Güter-
abwägung zwischen akutmedizinisch Machbarem und langfristig Leistba-
rem erforderlich wird (Razum und Gardemann 2006). Bei jeder Planung und
Durchführung von Hilfsmaßnahmen stellt die frühzeitige Einbeziehung
kompetenter Betroffener nicht nur eine kostensenkende Nutzung lokal vor-
handenen Ressourcen dar, sondern fördert unmittelbar die Gesundheit der
Opfer durch Stärkung des Kohärenzgefühls im Sinne des Salutogenesekon-
zeptes (Antonovsky 1987).

Als koordinierende Behörde treten bei Naturkatastrophen die jeweils landes-


rechtlich zuständigen Verwaltungsorgane auf, bei bewaffneten Konflikten
oder Zusammenbruch staatlicher Ordnungsstrukturen („failing state“) muss
diese Aufgabe nach den Genfer Völkerrechtsabkommen jeweils von der
besetzenden Kriegsmacht oder von den Behörden der Vereinten Nationen
20

4 Siehe www.reliefweb.int.
5 Siehe http://www.helid.desastres.net/.

354 Leitfaden Katastrophenmedizin


übernommen werden (OCHA 2009). Bei Fortbestehen nationaler Verwal-
tungs- und Ordnungsstrukturen bleiben alle ausländischen Hilfsaktivitäten
natürlich in jedem Land der Erde, also auch in Deutschland, den lokal gelten-
den Regelungen und Gesetzen unterworfen. Das Koordinationsbüro der Ver-
einten Nationen für humanitäre Maßnahmen hat mittlerweile eine Vielzahl
von Standards des Berichtswesens und der daseinssichernden Aktivitäten
vorgelegt, um sicherzustellen, dass im Bereich der humanitären Nothilfe
ein hoher Standard evidenzbasierten Handelns auf professionellem Niveau
erreicht und gesichert wird (OCHA 2009). Neben Handlungsroutinen für
den Notfall sind hier auch kritische epidemiologische Kennzahlen sowie ein
standardisiertes Berichtswesen zur Qualitätssicherung vorgegeben.

20.4.1 Instrumente der Soforthilfe und


Daseinssicherung für Flüchtlinge
Die gesetzlich anerkannten nationalen Hilfsgesellschaften Deutsches Rotes
Kreuz (DRK), Malteser-Hilfsdienst und Johanniter-Unfall-Hilfe sowie zahlrei-
che weitere national und international aktive deutsche Hilfsorganisationen
würden umgehend die Organe der Gefahrenabwehr bei der notwendigen
Versorgung größerer Flüchtlingsgruppen unterstützen. Die Federführung
würde sich dabei nach den völkerrechtlichen Grundsätzen zu richten haben.
Im Sinne eines zeitgemäßen Konzeptes des komplexen Hilfeleistungssy-
stems, wie es vom DRK vorgeschlagen wurde, ist besonders angesichts
möglicher Großschadenslagen die bisherige Trennung von Zivil- und Kata-
strophenschutz und von nationaler und internationaler Hilfe nicht mehr
sinnvoll (DRK 2008). Besonders in der Betreuung großer Bevölkerungsgrup-
pen in Flüchtlingssituationen verfügen gerade die ehrenamtlich tätigen
Auslandshelfer der Hilfsorganisationen über unschätzbare Erfahrungen aus
Realsituationen nach Natur- oder Gewaltkatastrophen.

20.4.2 Unterbringungsmöglichkeiten
Die Unterbringung wohnungslos gewordener Flüchtlingsgruppen sollte vor-
nehmlich dezentral und in regulären Gebäuden erfolgen. Große Flüchtlings-
lager aus Behelfsbauten stellen immer die ungünstigste Unterbringungs-
möglichkeit dar, da sich medizinische und psychologische Problemlagen
dort kumulieren können und auch soziale Strukturen entstehen, die sich
dem Zugriff der Ordnungsbehörden weitgehend entziehen, wie das Beispiel
der großen Flüchtlingslager an den Grenzen Ruandas gezeigt hat.
20

Positive Erfahrungen gibt es andererseits mit der Betreuung von Flücht-


lingen außerhalb von Lagern: In ländlichen Gebieten Guineas durften sich
Flüchtlinge aus Nachbarländern frei niederlassen. Sie erhielten kostenlosen

Leitfaden Katastrophenmedizin 355


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

Zugang zur normalen staatlichen Gesundheitsversorgung, die ihrerseits


vom UNHCR und verschiedenen Hilfsorganisationen unterstützt wurde
(Marx und Drame 1998). Diese Strategie trug zu einer Verbesserung der
Gesundheitsversorgung auch der Allgemeinbevölkerung bei.

Die Erfahrungen deutscher Kommunen mit der Unterbringung Asylsuchen-


der in Kasernen und Fabrikhallen sprechen rückblickend ebenfalls eher
für eine dezentrale Unterbringung. Dennoch wird es vorkommen, dass bei
großflächiger Zerstörung von Wohnraum besonders in Erdbebengebieten
fliegende Bauten die einzig erdbebensicheren Unterkünfte für große Bevöl-
kerungsgruppen darstellen (Krieg und Gardemann 2009). Städtebauliche,
hygienische und architektonische Standards für Siedlungen aus Behelfsbau-
ten sind beispielsweise im Sphere-Project-Handbuch verbindlich auch für
Deutschland festgelegt (The Sphere Project 2004).

20.4.3 Medizinische Daseinssicherung am


Beispiel der Emergency Response Units
des Roten Kreuzes
Humanitäre Soforthilfe oder Nothilfe wird als kurzfristige Maßnahme ange-
sehen, um eine akute Unterversorgung im Bereich der Infrastruktur oder auf
medizinischem Gebiet zu überbrücken. Humanitäre Nothilfe versteht sich
dabei als professionelle Dienstleistung an ungewöhnlichem Ort. Die fachli-
chen und personalen Anforderungen unterscheiden sich daher prinzipiell
nicht von der beruflichen Tätigkeit am Heimatort. Die Professionalität der
humanitären Nothilfe stellt Ansprüche sowohl an die strukturelle Qualität
der Organisation als auch an die fachliche und personale Qualifikation der
einzelnen Hilfeleistenden. Das System der Emergency Response Units (ERU)
der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaf-
ten soll nachfolgend als ein mögliches Beispiel unter vielen für weltweit
koordinierte und standardisierte Nothilfe für große Gruppen von Flüchtlin-
gen und Opfern von Gewalt und Natur herangezogen werden.

Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften


(IFRC) wurde 1919 neben dem 1864 gegründeten Internationalen Komitee vom
Roten Kreuz (IKRK) mit dem erklärten Ziel der Nothilfe bei Naturkatastrophen
oder der Flüchtlingshilfe in Drittländern außerhalb der Kampfzone geschaf-
fen. Die IFRC ist heute weltweit die größte humanitäre Organisation und be-
ruht auf dem Gedanken einer Solidargemeinschaft der mittlerweile über 180
20

nationalen Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaften. Die Föderation unter-


hält mehr als 60 permanente Delegationen weltweit, um jederzeit gemäß ih-
rer Grundsätze der Humanität, Neutralität und Unparteilichkeit die notwen-

356 Leitfaden Katastrophenmedizin


digen und geeigneten Maßnahmen der Soforthilfe einleiten zu können. Alle
Aktivitäten der Nothilfe haben dabei zunächst die Sofortversorgung bedroh-
ter Menschengruppen zum Ziel, andererseits gehört die nachhaltige Stärkung
der lokalen Daseinsfürsorge und Gefahrenabwehr vom ersten Tag der Nothil-
femaßnahme an zu den Zielsetzungen eines jeden Einsatzes (IFRC 2009).

Noch bis Anfang der 1990er-Jahre wurden für die internationale Nothilfe die
organisatorischen Katastrophenschutzeinheiten der nationalen Rotkreuz-
oder Rothalbmondgesellschaften entsandt. Die Erfahrungen nach dem
Erdbeben in Armenien 1988 und bei der Flüchtlingsversorgung während
des Golfkrieges 1991 vor dem Hintergrund einer grundlegend veränder-
ten weltpolitischen Lage führten jedoch zu einem Umdenken in Richtung
schnell verfügbarer kleinerer Soforthilfemodule gemäß eines weltweit fest-
zulegenden technischen Standards. Es hatte sich nämlich immer wieder
gezeigt, dass das benutzte Material technisch zu anspruchsvoll und dadurch
auch zu störungsempfindlich und kostenintensiv war und sich für eine nach-
haltige Eingliederung in lokale Einrichtungen am Einsatzort nicht eignete.
Ebenso hatte die Entsendung größerer personeller Kontingente die ohnehin
geschwächten Koordinationsstrukturen im Einsatzgebiet immer wieder zu-
sätzlich belastet. Erstmals nach dem Genozid in Ruanda 1994 wurde daher
in den Nachbarländern zur Versorgung der Flüchtlinge ein modularisiertes
System kleiner und schnell verfügbarer Nothilfeeinheiten mit Erfolg einge-
setzt. Dieses „Baukastensystem“ der Nothilfeeinheiten des Roten Kreuzes
bekam bald den Namen „Emergency Response Units“ und hat sich seit nun-
mehr 15 Jahren an sehr vielen Schauplätzen weltweit bewährt.

Falls eine Natur- oder Gewaltkatastrophe die Möglichkeiten der jeweiligen


nationalen Rotkreuz-oder Rothalbmondgesellschaft übersteigt, kann sich
diese hilfesuchend an das Büro der Föderation (IFRC) in Genf wenden, von
wo aus dann der solidarische Einsatz innerhalb der weltweiten Rotkreuz-
bewegung koordiniert wird. Eine weitere Möglichkeit ist die Anforderung
zwischenstaatlicher Hilfe seitens der jeweiligen nationalen Regierungsbe-
hörden betroffener Staaten. Als anerkannte nationale Hilfsgesellschaften
können die Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaften von den jeweiligen
nationalen Regierungen um Auslandshilfe gebeten und entsprechend aus-
gestattet werden. So hat beispielsweise das Auswärtige Amt der Bundesre-
publik Deutschland in der Vergangenheit zahlreiche Auslandseinsätze des
Deutschen Roten Kreuzes finanziell unterstützt.

Ein spezielles „Field Assessment and Coordination Team“ (FACT) aus sehr
20

einsatzerfahrenen sowie im Berichtswesen und der Einsatzorganisation


speziell geschulten Auslandsdelegierten wird von der Föderation unverzüg-
lich zur Lageerkundung und Anforderung weiterer geeigneter Mittel in das

Leitfaden Katastrophenmedizin 357


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

Schadensgebiet entsandt. Die Einheiten aus den weltweit vorhandenen und


verfügbaren Beständen des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes sind dann
innerhalb von 36 bis 72 Stunden vor Ort und einsatzfähig. Das System der
Emergency Response Units unterliegt einer fortlaufenden Evaluation und
damit einem kontinuierlichen Anpassungsprozess an die sich verändernden
Herausforderungen in der internationalen Nothilfe.

Als erste Grundbausteine des ERU-Systems entwickelte die Internationale


Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften zwei medizini-
sche Module, die in Europa flugfertig verpackt eingelagert sind und inner-
halb 24 Stunden an jeden beliebigen Katastrophenort verbracht werden
können, um dort für 4–5 Wochen völlig unabhängig und ohne logistische
Unterstützung von außerhalb die medizinische Erstversorgung aufzuneh-
men. Von Anfang an arbeitet das Personal dieser Module mit der nationa-
len Rotkreuz- bzw. Rothalbmondgesellschaft zusammen und strebt eine
Übergabe der Module an die lokalen Partner an. Nach Einsatzende verbleibt
die Ausrüstung im Gastland, damit sie dort bei zukünftigen Katastrophen
selbstständig eingesetzt werden kann. Diese beiden medizinischen Grund-
module sind die Basic Health Care Unit und das Referral Hospital (Munz et
al. 2005). Die Basic Health Care Emergency Response Unit ist ein Modul zur
notfallmäßigen Basisversorgung für 30 000 Menschen, das in insgesamt acht
Zelten zu je 30 m2 untergebracht ist, aber ebenso in bestehenden Gebäuden
genutzt werden kann. Die Ausstattung besteht aus Ambulanz, Basislabor,
Geburtshilfe, kleiner Chirurgie sowie 12 Überwachungsbetten. Diese ERU
kann bei Bedarf in ein Cholera-Hospital, ein Feeding-Centre oder in eine Ba-
sis zur Massenimpfung umgewandelt werden. Die Ausstattung wird durch
Generatoren, zwei geländegängige Fahrzeuge, Kommunikationseinrich-
tungen und die komplette Unterkunft für das Personal ergänzt. Die ERU ist
nach Eintreffen vor Ort innerhalb von 24 Stunden einsetzbar und wird von
einer Ärztin oder einem Arzt, zwei Krankenpflegepersonen oder Hebammen
sowie zwei Technikern betrieben, die durch weitere zehn bis fünfzehn ein-
heimische Fachleute komplettiert werden. Die Basic Health Care Emergency
Response Unit kann immer als erste und schnell verfügbare Grundkompo-
nente der humanitären Soforthilfe eingesetzt werden und ist modular den
jeweiligen Erfordernissen vor Ort entsprechend erweiterbar.

Das ERU Referral Hospital wird zur notfallmäßigen stationären Krankenver-


sorgung von etwa 200 000 Menschen eingesetzt und ebenfalls als Zelthospi-
tal vorgehalten. Die Ausstattung besteht aus einem OP-Zelt mit einem oder
zwei Operationstischen, Labor, Röntgen, Kreißsaal und einer großen Ambu-
20

lanz, die international auch als „outpatient department“ (OPD) bezeichnet


wird. Für die stationäre Versorgung stehen 150 Betten in den Abteilungen
Innere Medizin, Pädiatrie, Gynäkologie/Geburtshilfe und Chirurgie zur Ver-

358 Leitfaden Katastrophenmedizin


fügung. Auch hier wird die Ausstattung durch geländegängige Fahrzeuge,
Generatoren, sanitäre Anlagen und Unterkunft für das Personal ergänzt. Das
Hospital ist nach dem Eintreffen vor Ort etwa innerhalb von 48 Stunden ein-
satzbereit. Das internationale medizinische Team der Föderation für dieses
Modul umfasst folgende fachärztliche Kompetenzen: Pädiatrie, Chirurgie,
Anästhesiologie, Innere Medizin und Allgemeinmedizin. Hinzu kommen
acht Krankenpflegepersonen, eine Hebamme, eine medizinisch-technische
Assistentin, eine Radiologieassistentin, fünf Techniker und drei Fachleute
für Logistik und Verwaltung. Dieses Team wird durch 50–80 einheimische
Kolleginnen und Kollegen komplettiert. Das ERU Referral Hospital wurde
unter anderem nach dem Genozid in Ruanda, während der NATO-Angriffe
auf Jugoslawien, nach dem Erdbeben im iranischen Bam und nach der Tsu-
nami-Katastrophe eingesetzt und hat sich unter diesen schwierigsten Bedin-
gungen bestens bewährt.

Aufgrund der weltweiten Präsenz nationaler Rotkreuz- oder Rothalbmond-


organisationen ist eine sofortige enge Zusammenarbeit mit lokalen Kräften
ebenso sichergestellt wie die Übergabe der Einrichtungen an die örtliche
Partnerorganisation zur langfristigen weiteren eigenverantwortlichen Ver-
wendung. Emergency Response Units sind sehr schnell weltweit mobilisier-
bare Einrichtungen der Gesundheits- und Daseinsvorsorge und stützen sich
auf eine multidisziplinäre ehrenamtliche Personalreserve mit hoher berufli-
cher Grundqualifikation und spezifischer Fortbildung.

Ursprünglich waren fünf verschiedene Typen von Emergency Response Units


für die verschiedene Schadenslagen und Bedarfssituationen entwickelt wor-
den: Water and Sanitation ERU, Basic Health Care ERU, Referral Hospital ERU,
Logistics ERU und Telecommunication ERU. Aufgrund veränderter Rahmen-
bedingungen wurde die Trennung zwischen Einheiten der Daseinsversor-
gung (Water and Sanitation) und Einheiten der Gesundheitsversorgung auf-
gegeben, stattdessen kam ein Schwerpunkt Hygiene-Promotion hinzu. Die
Einheiten setzen sich heute aus Fachmodulen und unterstützenden Modulen
zusammen, die sich aufteilen in Personalversorgung, Winterausstattung,
Verwaltungsausstattung, Kommunikation, Infrastruktur und technische
Unterstützung. Im Bereich der Trinkwasserversorgung und Hygienesiche-
rung können verschieden große Module mittels Sedimentation und/oder
Filtration sowie chemischer Nachbehandlung Trinkwasser gemäß Sphere-
Standard bereitstellen und die Grundhygiene für große Bevölkerungsgrup-
pen sicherstellen und fördern.
20

Durch die sofortige Einbindung lokalen Gesundheitspersonals am Einsatz-


ort und durch enge Kontakte zu lokalen Behörden und Dienststellen der öf-
fentlichen Gesundheitspflege auf den verschiedenen Verwaltungsebenen

Leitfaden Katastrophenmedizin 359


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

ist sichergestellt, dass die am jeweiligen Einsatzort geltenden Rechtsgrund-


lagen, Therapieschemata sowie Meldepflichten beachtet und angewendet
werden. Die tägliche Krankenhausstatistik dient neben der eigenen Lei-
stungsbeschreibung in erster Linie der Qualitätssicherung und der frühzei-
tigen Ermittlung epidemiologisch bedeutsamer Ereignisse im Sinne eines
Frühwarnsystems und Ausbruchsmonitorings (Munz et al. 2005).

20.4.4 Beispiel der Flüchtlingshilfe in einem


Industrieland
Ein aktuelles Beispiel für den Einsatz des mobilen Zeltkrankenhauses in ei-
nem industrialisierten Land ist die Situation in der chinesischen Provinz
Sichuan nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Mai 2008: Aufgrund
bilateraler Vereinbarungen zwischen dem Chinesischen und dem Deut-
schen Roten Kreuz unter Beteiligung der jeweiligen Regierungen konnte
am 22. Mai 2008 ein Frachtflugzeug mit dem kompletten Feldhospital ein-
schließlich zweier Geländewagen vom Flughafen Berlin-Schönefeld aus in
die Provinzhauptstadt Chengdu aufbrechen. Insgesamt zwölf ehrenamtliche
Auslandsdelegierte mit überwiegend technischem oder administrativem
Tätigkeitsschwerpunkt begleiteten das Material bis in den Bestimmungsort
Dujiangyen, etwa 60 km westlich der Stadt Chengdu. Hier sollte das Zelthos-
pital das zerstörte Volkskrankenhaus Nr. 1 ersetzen, um die medizinische
Grundversorgung der Bevölkerung im Umkreis von Dujiangyen bis zur Er-
stellung eines neuen Krankenhausgebäudes sicherzustellen. Im Einsatzland
China konnte problemlos umfangreiche pharmazeutische und medizintech-
nische Zusatzausrüstung durch Spenden oder Zukauf nachbeschafft wer-
den, da sich sehr schnell erwies, dass die medizinische Basisausstattung des
mobilen Krankenhauses nicht ganz dem allgemeinen Versorgungsstandard
in China gerecht werden konnte, da hier besonders häufig auch chronisch
Kranke und unter Dauermedikation stehende Patienten zu versorgen waren.
Dieses umfangreiche Nothilfeprojekt des Deutschen Roten Kreuzes in der
chinesischen Provinz Sichuan wurde vom Auswärtigen Amt der Bundesrepu-
blik Deutschland finanziell unterstützt und hatte neben seiner humanitären
Zielsetzung zweifellos auch eine erhebliche politische Wirkung. So besuchte
der Gesundheitsminister der Volksrepublik China das Zeltkrankenhaus kurz
nach dessen Inbetriebnahme, und eine Abordnung der Auslandsdelegier-
ten wurde vom chinesischen Außenminister empfangen. Die Akzeptanz der
ausländischen Hilfe in China bei Betroffenen, einheimischem Gesundheits-
personal, Regierung und Behörden wurde dabei ganz wesentlich durch die
Ankündigung eines frühzeitigen Rückzuges der ausländischen Delegierten
20

unmittelbar nach der Aufbau- und Einarbeitungsphase gefördert. So konnte


das Zeltkrankenhaus des Deutschen Roten Kreuzes bereits am 15. Juni 2008
in Anwesenheit des deutschen Bundesaußenministers komplett an das Chine-

360 Leitfaden Katastrophenmedizin


sische Rote Kreuz übergeben und für die Zeit nach der Nutzung als Ersatz-
krankenhaus von Dujiangyen dauerhaft in die Katastrophenvorsorge der
Volksrepublik China übernommen werden. Dieser einsatztaktische Erfolg
war nur aufgrund der engen Kooperation zwischen deutscher und chine-
sischer Rotkreuzgesellschaft und zwischen deutschen und chinesischen
Behörden sowie aufgrund der strikten Wahrung des Neutralitätsprinzips
möglich. Öffentliche Äußerungen zum völkerrechtlichen Status und zur
aktuellen Situation Tibets beispielsweise hätten dem Neutralitätsprinzip
widersprochen und den Erfolg des Einsatzes in Frage gestellt. Der zeitlich
sehr kurzfristige Einsatz der deutschen Auslandsdelegierten in China kann
abschließend als Indikator für eine erfolgreiche und schnelle Übergabe des
gelieferten Hilfsmaterials zur ausschließlichen und nachhaltigen Nutzung
durch lokale Kräfte im Rahmen eines bilateralen Nothilfeprojektes gewertet
werden.

Für Fragen zu Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen


sollten die Verantwortlichen der Gefahrenabwehr die Auslandsdelegier-
ten der internationalen Hilfsorganisationen mit ihren umfangreichen
Realerfahrungen zu Rate ziehen.

Literatur

Antonovsky A. Unraveling the Mystery of Health; How People Manage Stress


and Stay Well. San Francisco: Jossey-Bass; 1987.

Deutsches Rotes Kreuz (DRK). Das komplexe Hilfeleistungssystem des Deut-


schen Roten Kreuzes bei Großschadensereignissen und Katastrophen. Berlin:
DRK; 2008. Online verfügbar unter: http://www.lv-westfalen-lippe.drk.de/
download/DRK-Strategie_KHS_Version_1.pdf [letzter Zugriff: 16.09.2009].

Duchrow J, Spieß K. Flüchtlings- und Asylrecht; mit dem neuen Zuwanderungs-


gesetz und den europäischen Regelungen. 2. Aufl. München: dtv-Beck; 2006.

Fleck D, Hrsg. Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Kon-


flikten. München: C. H. Beck; 1994.

Flüchtlingsrat Berlin. Medizinische Versorgung für Menschen ohne legalen


Aufenthaltsstatus. Berlin: Flüchtlingsrat Berlin e. V.; 2008. Online verfügbar
20

unter: http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/akmedizin.php [letzter Zugriff:


12.11.2008].

Leitfaden Katastrophenmedizin 361


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Daseinsvorsorge und Nothilfe bei Flüchtlingsbewegungen

Gardemann J. Soziale Lage und Gesundheit: Zur Gesundheitssituation von


Flüchtlingskindern. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesund-
heitsschutz. 2002; 45: 889–893.

Gardemann J. Begutachtung von erkrankten Flüchtlingen zur Frage ihrer


Krankheit als Abschiebehindernis. In: Beauftragte der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration, Hrsg. Gesundheit und Integration –
Ein Handbuch für Modelle guter Praxis. Berlin: Beauftragte der Bundesregie-
rung für Migration, Flüchtlinge und Integration; 2006. 44–53.

Gardemann J. Patienten mit Migrationshintergrund, Asylsuchende und eth-


nische Minderheiten. In: Madler C, Jauch KW, Werdan K, Siegrist J, Pajonk
FG, Hrsg. Akutmedizin – Die ersten 24 Stunden. Das NAW-Buch. 4. Aufl. Mün-
chen, Jena: Elsevier Urban & Fischer; 2009. 1049–1057.

International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC).


Disaster management. Preparing for disasters. Emergency response Units
(ERUs). Geneva: IFRC; 2009. Online verfügbar unter: http://www.ifrc.org/
what/disasters/responding/drs/tools/eru.asp [letzter Zugriff: 16.09.2009].

International Organization for Migration (IOM). Global Estimates and Trends.


Geneva: IOM; 2009. Online verfügbar unter: http://www.iom.int/jahia/Jahia/
about-migration/facts-and-figures/global-estimates-and-trends [letzter Zu-
griff: 16.09.2009].

Krieg CM, Gardemann J. A record of morbidity and medical request profiles


in international humanitarian aid, taking the earthquake in BAM in Iran in
2003 as an example. Journal of Public Health 2009; 17: 97–106.

Marx M, Drame ML. Refugee-assistance programme in Guinea. Lancet 1998;


352: 327.

Menski U, Gardemann J. Schneechaos und Stromausfall im Münsterland vom


November und Dezember 2005: Auswirkungen auf den Ernährungs- und Ge-
sundheitssektor sowie die private Katastrophenvorsorge und Bevorrratung.
Gesundheitswesen 2009; 71: 349–350.

Munz R, Moch T, Gardemann J. Nach dem Erdbeben im Iran: „Alltagsmedi-


zin“ hat Vorrang. Daten der Rotkreuz- und Rothalbmondföderation zufolge
ist die chirurgische Akuthilfe am Katastrophenort weniger gefragt. Deut-
20

sches Ärzteblatt 2005; 102 (7): A410–412.

362 Leitfaden Katastrophenmedizin


United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA).
2009. Online verfügbar unter: http://ochaonline.un.org/ [letzter Zugriff:
16.09.2009].

Razum O, Gardemann J, Will B. Nothilfe versus Entwicklungszusammenar-


beit. In: Razum O, Zeeb H, Laaser U, Hrsg. Globalisierung – Gerechtigkeit –
Gesundheit; eine international vergleichende Einführung in Public Health.
Bern: Hans Huber; 2006. 327–332.

Statistisches Bundesamt. Statistisches Jahrbuch 2006 für das Ausland. Wies-


baden: Statistisches Bundesamt; 2006. Online verfügbar unter:
https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/vollanzeige.csp?CSPCHDx=000000
0000000&ID=1019210&cm [letzter Zugriff: 04.01.2008].

The Sphere Project. Humanitarian charter and minimum standards in disas-


ter response. Oxford: Oxfam Publishing; 2004.

United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). The 1951 Refugee
Convention. Geneva: UNHCR; 2009a. Online verfügbar unter:
http://www.unhcr.org/pages/49da0e466.html [letzter Zugriff: 16.09.2009].

United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). UNHCR annual


report shows 42 million people uprooted worldwide. Geneva: UNHCR; 2009b.
Online verfügbar unter: http://www.unhcr.org/4a2fd52412d.html [letzter
Zugriff: 16.09.2009].

United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). Reliefweb. Ge-


neva: UNHCR; 2009c. Online verfügbar unter: http://www.reliefweb.int/rw/
dbc.nsf/doc100?OpenForm [letzter Zugriff: 16.09.2009].

University of Oxford. Forced migration online. Oxford: University of Oxford;


2009. Online verfügbar unter: http://www.forcedmigration.org/
[letzter Zugriff: 16.09.2009].

World Health Organization (WHO). 10 facts on adolescent health. Geneva:


WHO; 2008. Online verfügbar unter: http://www.who.int/features/factfiles/
adolescent_health/en/index.html [letzter Zugriff: 16.09.2009].

World Health Organization/Pan American Health Organization (WHO/PAHO).


Health library for disasters. WHO/PAHO; 2009. Online verfügbar unter:
20

http://www.helid.desastres.net/ [letzter Zugriff: 16.09.2009].

Leitfaden Katastrophenmedizin 363


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

21
Rechtsmedizinische Aspekte
bei Großschadensereignissen
O. Peschel, W. Eisenmenger

21.1 Definition
Unter einer Katastrophe wird heute im Allgemeinen ein gravierender Un-
glücksfall mit erheblichem Personen- und Sachschaden, mit oder ohne
Einwirkung höherer Gewalt, verstanden. Dazu existieren zahlreiche bun-
desrechtliche und landesrechtliche Vorschriften, ferner die Katastrophen-
schutzgesetze der Länder sowie Definitionen wie z. B. in der Polizeidienst-
verordnung Bayerns, in der sich der Begriff des „großen Schadenereignisses“
findet. Damit ist ein Ereignis umschrieben, bei dem eine Vielzahl von Perso-
nen körperlich geschädigt wird, unabhängig davon, ob der Katastrophenfall
erklärt wurde oder nicht. Die Frage nach dem Einsatz von Rechtsmedizinern
ist dabei aber weniger an gesetzliche Definitionen gebunden, sondern an den
Umstand, dass durch ein Ereignis plötzlich und überwiegend gleichzeitig eine
größere Zahl von Menschen versterben und infolgedessen aus unterschiedli-
chen Gründen untersucht werden müssen. Dabei wird nach Einteilungen von
Rötzscher et al. (1998) bei mehr als 5 Opfern von einer Großkatastrophe und
bei mehr als 100 Opfern von einer Massenkatastrophe gesprochen.

Solche Ereignisse können allgemein in Natur- und Zivilisationskatastrophen


unterschieden werden, wobei in Deutschland selbst in den letzten Jahren
weit überwiegend Zivilisationskatastrophen von Bedeutung waren, wie
z. B. Flugzeugabstürze sowie Bus- und Zugunglücke. Es ist aber im Rahmen
internationaler Abkommen durchaus möglich, dass Notfallmediziner wie
auch Rechtsmediziner außerhalb der üblichen Tätigkeitsbereiche zum Ein-
satz kommen können. Exemplarisch sei hier die Tsunami-Katastrophe in
Thailand genannt, bei der sehr kurze Zeit nach dem Ereignis Rettungskräfte
aus Deutschland einschließlich des Technischen Hilfswerkes (THW) sowie
Rechtsmediziner zur Opferidentifizierung eingeflogen wurden. Rechts-
mediziner sind dabei überwiegend im Rahmen einer Mitarbeit in der soge-
nannten Identifizierungskommission (IDKO) des Bundeskriminalamtes tätig
(Peschel et al. 2005, Tsokos et al. 2006, Lessig et al. 2009).

Die IDKO wurde 1970 eingerichtet, nachdem es nach einem Flugzeugabsturz


21

im Jahr 1967 in Nikosia mit 126 Toten zu gravierenden Schwierigkeiten bei der

364 Leitfaden Katastrophenmedizin


Identifizierung gekommen war. Die Identifizierungskommission war seit-
her so gut wie bei allen größeren Unglücken bzw. Katastrophen im In- wie
im Ausland mit der Opferidentifizierung befasst, wenn deutsche Staatsbür-
ger unter den Opfern waren. Ferner wurden unter Mitarbeit der Identifizie-
rungskommission Auslandseinsätze mit Unterstützung des Kriegsverbre-
chertribunals ICTY 1 für das frühere Jugoslawien in Bosnien bzw. im Kosovo
abgeleistet. Auch sehr viele andere Länder verfügen inzwischen über soge-
nannte DVI-Teams (Disaster Victim Identification Teams), die auf Ebene der
Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) im Rahmen
eines permanenten Komitees organisiert sind und Erfahrungen austau-
schen. Rechtsmediziner und forensische Odontologen sind als sogenannte
externe Mitglieder an die Identifizierungskommission des Bundeskriminal-
amtes angebunden und werden entsprechend der Erfordernisse national
wie auch international eingesetzt.

Bleibt ein Mensch nach einer Katastrophe verschollen, so ist die Ungewiss-
heit bezüglich Leben oder Tod für sehr nahe Angehörige eine extreme psy-
chische Belastung, die, wenn sie über Jahre anhält, zu gravierenden psychi-
schen und physischen Störungen bzw. Erkrankungen führen kann (s. Kap. 7).
Die Identifikation Verstorbener ist daher schon aus ethischen Erwägungen
eine Notwendigkeit, aber auch rechtliche Aspekte sind bedeutend: An die
Feststellung des Todes einer Person sind eine Vielzahl von Rechtsfolgen ge-
bunden, u. a. der Eintritt des Erbfalles, die Auszahlung von Versicherungen,
das Sorgerecht für Kinder oder die Möglichkeit einer erneuten Eheschlie-
ßung eines Hinterbliebenen. Fristen für die Todeserklärung werden für ver-
schiedene Formen der Verschollenheit (z. B. Land-, See- oder Luftverschollen-
heit) im Verschollenheitsgesetz (VerschG)2 geregelt; allerdings sind solche
Fristen oft vergleichsweise lang und sie lösen nicht das ethische Problem der
Ungewissheit über Leben oder Tod eines nahen Angehörigen.

Die sogenannte Kommorientenpräsumption entspricht dem § 11 des Ver-


schollenheitsgesetzes (VerschG): Kann nicht bewiesen werden, dass von
mehreren gestorbenen oder für tot erklärten Menschen der eine den an-
deren überlebt hat, so wird vermutet, dass sie gleichzeitig gestorben sind.
Damit soll Problemen in der Erbfolge begegnet werden, wenn die realen
zeitlichen Verhältnisse des Ablebens mehrerer erbrechtlich miteinander
verbundener Personen, die bei einem Unfall oder einer Katastrophe ver-
storben sind, nicht mehr rekonstruierbar sind.

1 International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia.


2 Verschollenheitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 401-6, veröffentlich-
21

ten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 55 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008
(BGBl. I, S. 2586).

Leitfaden Katastrophenmedizin 365


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

21.2 Rechtsmedizinische Aufgaben


Auch wenn der Rechtsmediziner bei einer Katastrophe nur „Hilfskraft“ und
seine Tätigkeit insbesondere hinter den Rettungsmaßnahmen von nachran-
giger Bedeutung ist, sind Kenntnisse wichtig, wann, zu welchem Zweck und
unter welchen Bedingungen Rechtsmediziner eingesetzt werden können
und müssen. Die Erfahrung zeigt, dass hier vorausschauende Planungen
häufig fehlen: Im Rahmen von Katastrophenschutzübungen, auch z. B. für
sportliche Großveranstaltungen, wird zwar die Logistik für die Bergung von
Verletzten etabliert, das weitere Vorgehen bei einem Massenanfall von Toten
aber nicht antizipierend in Planungen mit einbezogen.

Die Todesfeststellung ist aber zunächst noch eine Aufgabe des Notfallme-
diziners im Rahmen der Sichtung. Dabei sind Kenntnisse über die sicheren
Todeszeichen (Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis, ggf. eine mit dem Leben
nicht vereinbare Verletzung) und deren Ausprägung im zeitlichen Verlauf
nötig. Bestehen keine ausgedehnten Verbrennungen, so sind die Totenflecken
in den abhängigen Partien des Körpers bereits kurz nach dem Kreislaufstill-
stand, nach ca. 20–45 Minuten, zu beobachten. Sie sind damit die ersten si-
cheren Todeszeichen. Mit dem Eintreten der Totenstarre wird ab ca. 1–2 Stun-
den post mortem (pm) zu rechnen sein. Erste Fäulnisveränderungen treten
unter üblichen mitteleuropäischen Raumtemperaturen (um ca. 20 °C) nach
ein bis zwei Tagen in Form einer Grünverfärbung zuerst im rechten Unter-
bauch auf; sie sind jedoch ebenso wie der zeitliche Ablauf der Totenstarre
erheblich temperaturabhängig. Unter tropischen Bedingungen ist schon am
ersten Tag pm mit erheblichen Fäulniserscheinungen zu rechnen, die inner-
halb weniger Tage an Intensität noch drastisch zunehmen und die Identifi-
zierung erheblich erschweren können.
Reanimationsmaßnahmen werden in aller Regel bei einer großen Anzahl
von ggf. schwer Verletzten als nicht indiziert angesehen (s. Kap. 5).

Sobald nach notärztlicher Sichtung die Erstversorgung beendet und alle Ver-
letzten/Erkrankten abtransportiert sind, können rechtsmedizinische Kennt-
nisse und Erfahrungen sinnvoll eingesetzt werden. Die wesentlichen Aufga-
ben für den Rechtsmediziner bestehen dabei in:
ƒ Bergungshilfe
ƒ Identifikation
ƒ Klärung von Todesursache und Todeszeit
ƒ Erhebung von Befunden zur Klärung der Ursache und Rekonstruktion

Eine rechtsmedizinische Unterstützung kann auch bei der Identifikation von


Überlebenden erforderlich sein: Opfer unbekannter Identität werden häufig
21

auf eine Vielzahl von Behandlungseinrichtungen verteilt; bei bewusstlosen

366 Leitfaden Katastrophenmedizin


Schwerverletzten können ebenso wie nach schweren Traumata oder Ver-
brennungen Probleme bei der Identitätsfeststellung bestehen.

21.2.1 Bergungshilfe
Bei Katastrophen ist nicht regelhaft von einer vollständigen Integrität der
Leichen auszugehen. Gerade bei Zivilisationskatastrophen wie Flugunfällen
und Eisenbahnunglücken kann es zu extremer Traumatisierung mit Ampu-
tationen von Gliedmaßen, Eröffnung von Körperhöhlen und zum Teil weit-
gehender Zertrümmerung des Körpers kommen. Rechtsmedizinische Er-
fahrung bei der ersten Beurteilung und anatomischen Zuordnung kann hier
hilfreich sein. Ferner kann eine Differenzierung zwischen menschlichen
Überresten und tierischem Material erforderlich werden. Medizinischer
Sachverstand kann auch bei Exhumierungen aus Massengräbern, Explosio -
nen und Großbränden sinnvoll sein.

Die Einteilung des Schadensortes in Arbeitssektoren, die Kartierung und


Vermessung sowie ggf. die Funddokumentationen in Koordinatensyste-
me gehören jedoch zu den polizeilichen Aufgaben: Leichen sowie größere
Leichenteile werden in Folge mit individuellen Leichennummern versehen
und an der Fundstelle registriert sowie fotodokumentiert. Je nach zugrunde
liegender Situation kann hierbei bereits eine Zuordnung versucht werden.
Bereits bei der Aufnahme und Registrierung der Leichen sind Feststellungen
über eventuelle Leichenveränderungen zu treffen, nicht zuletzt weil diese
eine Ad-hoc-Zuordnung oder eine Anerkennung durch Angehörige erheb-
lich erschweren oder sogar gänzlich ausschließen können. Erfahrungen
bei Auslandseinsätzen haben gezeigt, dass das Ausplündern Toter mit dem
Ausbrechen von Goldkronen und dem Abtrennen von Fingern, um einfacher
an Schmuckgegenstände zu gelangen, durchaus vorkommen und die rechts-
medizinischen Identifizierungsarbeiten wesentlich erschweren kann. Eine
einheitliche Dokumentation kann bei größeren Schadensereignissen und
insbesondere, wenn unterschiedliche Hilfsorganisationen oder DVI-Teams
verschiedener Länder aktiv sind, problematisch oder gar unmöglich sein.

21.2.2 Identifizierung
Die Identifizierung ist im Kern eine polizeiliche Aufgabe, die aber häufig
rechtsmedizinischer bzw. forensisch-odontologischer Unterstützung be-
darf. Sie erfolgt anhand kennzeichnender, individueller Merkmale und
stößt dann auf größere Probleme, wenn sie bei einer großen Individuenzahl
gleichzeitig erforderlich ist, eine starke Fragmentierung der Leichen oder
Brandzehrung die Erhebung von Befunden erschwert (ebenso Fäulnis, Ske-
21

lettierung, Mumifikation, Leichenlipid) oder wenn zunächst nicht klar ist,

Leitfaden Katastrophenmedizin 367


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

welche Vergleichspersonen in Betracht kommen und diese erst ermittelt


werden müssen (Passagierliste bei Flugzeugen, Fehlen einer Passagierliste
bei Zugunglücken, oft auch bei Busunglücken etc.).

Identitätsuntersuchungen erfolgen dabei nach dem Prinzip des Abgleichs von


Daten. die durch die Untersuchung der Leiche erhoben wurden (Post-mortem-
oder pm-Daten), mit den gemeldeten Daten einer vermissten Person (Ante-
mortem- oder am-Daten). Um diese Individualdaten vermisster Personen
klären zu können, ist ebenfalls eine differenzierte polizeiliche Logistik erfor-
derlich, die der Unterstützung einer Vielzahl einzelner behandelnder Ärzte
und Zahnärzte zur Ermittlung individueller Merkmale bedarf. Die Feststel-
lung dieser Daten ist eine polizeiliche Aufgabe, die bei Katastrophen über das
Bundeskriminalamt in Wiesbaden bzw. die Identifizierungskommission orga-
nisiert wird. Nach Ermittlung der Post-mortem-Daten kann eine stufenweise
Einengung des Personenkreises in erster Linie nach ethnischer Zuordnung,
Geschlechtsbestimmung und Alterschätzung erfolgen, wobei dann zuneh-
mend Merkmalskategorien mit steigendem Beweiswert zum Tragen kommen.
Aktuelle Standards wurden in Abstimmung mit der Identifizierungskommis-
sion des Bundeskriminalamtes (IDKO) publiziert (Lessig et al. 2009)

Die Merkmalskategorien werden in Klassifizierung und Identitätshinweis


bzw. Identitätsbeweis unterteilt.

Unter Klassifizierung wird die Ermittlung von Spezies, Populationszugehö -


rigkeit, Geschlecht, Körpergröße, geschätztem Lebensalter und ggf. regiona-
ler Eingrenzung verstanden.

Als Identitätshinweis dienen angeborene oder erworbene Körpermerkma-


le wie Missbildungen, Narben, Tätowierungen, Krankheitsfolgen oder Be-
rufsmerkmale.

Der Identitätsbeweis kann schließlich durch Untersuchungen des Zahnsta-


tus, molekulargenetische Untersuchungen, Röntgenbildvergleich oder dak-
tyloskopische Untersuchungen bzw. durch Kombinationen der Verfahren
untereinander erfolgen.

Insbesondere bei der Klassifizierung bzw. der ersten Gruppenbildung kön-


nen auch eher kriminalistische Befunde wie Dokumente, Kleidung, Effekten
(Schmuck, persönliche Gegenstände) oder auch die Auffindungsposition im
Gesamtraster sowie die Lokalisation von Streugut hilfreich sein.

Erfahrungsgemäß werden bei der Identifizierung je nach Art der Katastrophe


21

bzw. Anzahl der Betroffenen zwei unterschiedliche Arbeitsansätze angewendet:

368 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bei einer großen Anzahl an Betroffenen hat es sich bewährt, systematisch
bei jeder Leiche und unabhängig von ihrem Zustand sämtliche verfügbaren
Daten zu erheben sowie gleichzeitig und unabhängig davon die erforderli-
chen Vergleichsdaten aus den Vermisstenmeldungen polizeilich zu ermit-
teln. An der Leiche kann die Datenerhebung im Rahmen einer vollständigen
Obduktion (präferriert nach Lessig et al. 2009) oder einer Abarbeitung der
Identitätssicherungsprotokolle von Interpol erfolgen. Wenn sämtliche Ein-
zeldaten vorliegen, können die am- und pm-Daten, häufig EDV-unterstützt,
abgeglichen werden.

Bitte beachten

Die Erfahrungen in Thailand haben gezeigt, dass nach Ablauf des gesam -
ten Identifizierungsprozederes zur Sicherheit eine sogenannte Plausibili-
tätskontrolle erfolgen sollte, bei der die makroskopisch erhebbaren Ein -
zelbefunde nochmals unabhängig von den Voruntersuchungen mit der
Fallakte verglichen und überprüft werden.

Bei einer geringeren Anzahl von Leichen und übersichtlicheren Verhält-


nissen werden zunächst selektiv gut erhaltene Leichen mit charakteristi-
schen Individualbefunden identifiziert und aus der Gesamtzahl der Opfer
ausgegliedert, um dann durch umfänglichere Untersuchungen die noch
verbleibenden Opfer identifizieren zu können. Die Auswahl und Anzahl der
einzusetzenden Untersuchungsverfahren richten sich somit in erster Linie
nach medizinischen Kriterien bzw. dem Zustand der Leichen. Die Identifizie-
rungsteams sind jedoch oft einem erheblichen politischen und auch sozialen
Druck in Richtung auf eine möglichst rasche (aber nichtsdestotrotz absolut
sichere) Opferidentifizierung ausgesetzt. Dabei ist berücksichtigen, dass die
Erhebungen von Vergleichsdaten und die einzelnen Untersuchungsverfah-
ren, wie z. B. molekulargenetische Untersuchungen, insbesondere bei fort-
geschrittenen Fäulnisveränderungen der Leichen mit einem beträchtlichen
Zeitaufwand verbunden sind.

Es können unsichere, prinzipiell manipulierbare Verfahren von sicheren


Verfahren, die häufig noch durch diverse Spezialuntersuchungen ergänzt
werden, unterschieden werden.

Zu den unsicheren Verfahren gehört die Identifikation anhand von Aus-


weispapieren, Effekten, Kleidungsstücken bzw. nach dem Augenschein. Die
Identifizierung durch direkte Anerkennung im Sinne eines Vorzeigens der
21

Leiche gegenüber Angehörigen oder Bekannten oder auch den Vergleich mit

Leitfaden Katastrophenmedizin 369


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

Lichtbildern aus amtlichen Dokumenten ist nicht ungewöhnlich. Jedoch ist


diese Art der Identifizierung mit einer erheblichen Fehlerquote behaftet und
führt dadurch immer wieder zu falschen Identifizierungen. Dies trifft vor
allem dann zu, wenn der Schädel bzw. das Gesicht so stark verletzt sind, dass
eine nachvollziehbare Identifizierung nicht mehr plausibel erscheint oder
zumutbar ist. Diese Art der Identifizierung ist aber auch bei gut erhaltenen
Leichen problematisch und fehleranfällig, nicht zuletzt ist sie auch mit einer
massiven psychischen Belastung für die Angehörigen verbunden.

Zu den sicheren Verfahren zählen demgegenüber die Feststellung und der


Abgleich von pathologisch-anatomischen Merkmalen wie ethnische Zu-
gehörigkeit, Geschlecht, geschätztes Alter, Körpergröße, Statur, Haut- und
Haarfarbe, Muttermale, Behaarungstyp, Missbildungen, Zeichen medizini-
scher Eingriffe (z. B. Operationen) oder Hinweise auf Erkrankungen.

Selbst vermeintlich simple Feststellungen wie die Geschlechtsbestimmung


können bei schlechtem Erhaltungszustand der Leichen problematisch sein,
insbesondere wenn sekundäre Geschlechtsmerkmale, Behaarungstyp oder
Kleidung zu Unsicherheiten führen (z. B. Gynäkomastie beim Mann, weib-
licher Behaarungstyp beim Mann oder Körperhaarrasur, kosmetische Be-
handlungen, lange Haare, geschlechtsuntypische Bekleidung). Auch bei
Fäulnisveränderungen und unsorgfältiger Vorgehensweise ist durchaus
eine Verwechslung möglich, wenn beispielsweise bei einem Prolaps von
Darmanteilen durch den Beckenboden die nach außen getretenen Darm-
schlingen den Eindruck eines männlichen Genitales erwecken. Bei Skelet-
tierung müssen anthropologische Marker bestimmt werden, um z. B. mittels
Diskriminanzanalysen eine Zuordnung zu einem Geschlecht treffen zu kön-
nen; die Erhebung solcher Maße können fundierte forensisch-anthropologi-
sche Vorkenntnisse erfordern.

Die Altersschätzung ist mit einer erheblichen Streuung behaftet und be-
zieht sich auf das biologische Lebensalter, das vom kalendarischen Lebens-
alter beträchtlich abweichen kann. Äußerlich erkennbare Merkmale kön-
nen durch Fäulnis, Wasser oder auch Brand zudem stark verändert oder
unverwertbar sein.
Häufig bieten innerlich erkennbare Veränderungen, wie Arteriosklerose
oder Arthrosen, oder bei Adoleszenten auch Wachstumsfugen der langen
Röhrenknochen bessere Möglichkeiten zu einer klaren Eingrenzung, wobei
eine Altersschätzung bei adulten Individuen häufig nur in den groben Ras-
tern (Dezennien) möglich ist. Bei Erwachsenen ist noch der Zahnstatus für
die Altersschätzung von großer Bedeutung.
Lediglich bei Kindern kann das Lebensalter aufgrund der Zahndurchbruchs-
21

zeiten häufig sehr exakt ermittelt werden. Allerdings sind bei Kindern meist

370 Leitfaden Katastrophenmedizin


so wenige individualisierende Veränderungen am Zahnstatus vorhanden,
dass dieser zur sicheren Identifizierung nicht geeignet ist. Labortechnisch
aufwendigere Methoden zur Altersschätzung wie die Zahnzementzonenbe-
stimmung oder die Aspartamsäure-Racemisierung können aufgrund ihres
technischen Aufwandes in der Regel bei Katastrophen nicht angewandt werden.

Die Beurteilung der ethnischen Zugehörigkeit kann bei Flugzeugabstür-


zen, aber auch bei Katastrophen in Urlaubsgebieten (z. B. Tsunami-Katastro -
phe 2004) eine wichtige Rolle spielen. Sie stößt vor allem dann auf Probleme,
wenn aufgrund von Fäulnis mit einer Fäulnisgasunterfütterung von Weich-
teilen, Fäulnisverfärbung der Haut und fäulnisbedingtem Verlust der Behaa-
rung eine sichere Zuordnung zum kaukasischen, asiatischen oder negroiden
Typ nicht mehr möglich ist. Auch thermische Veränderungen können in
solchen Situationen die Beurteilung sehr erschweren. Nach dem Tsunami in
Thailand versuchten die Überlebenden relativ rasch, eine Differenzierung
zwischen Asiaten und Kaukasiern durchzuführen – in der Annahme, auf
diese Weise Einheimische und Touristen voneinander zu trennen. Die Unter-
scheidung wurde Berichten zufolge im Wesentlichen anhand der Haarfarbe
(schwarz bei Asiaten, nicht schwarz bei Kaukasiern) vorgenommen. Dabei
wurde nicht berücksichtigt, dass mit dieser Vorgehensweise schon initial
eine hohe Fehlerquote vorprogrammiert war, und auch der Umstand von in
Thailand beheimateten Kaukasiern bzw. in Europa beheimateten Asiaten
wurde außer Acht gelassen (Peschel et al. 2005, Tsokos et al. 2006).

Die forensisch-pathologische Untersuchung soll individuelle Merkmale er-


mitteln, wobei Narben, Organ- und Krankheitsveränderungen, Missbildun-
gen und Tätowierungen einen sehr hohen Differenzierungsgrad aufweisen
können. Die entsprechenden Befunde werden nach einem speziellen Sche-
ma in die von Interpol etablierten Post-mortem-Untersuchungsformulare
eingetragen, in denen eine Vielzahl individueller körperlicher Merkmale
wie z. B. die Form von Kinn, Nase und Stirn, die Konstitution und Ähnliches
abgefragt wird. Dies ist in der Regel selbst bei nur gering durch Trauma oder
Fäulnis veränderten Leichen ausgesprochen problematisch.

Insofern sind hier sinnvolle Prioritäten zu setzen, sodass ggf. Feststellungen


zur Form und Dichte der Augenbrauen oder zur Neigung des Kinnwinkels
verzichtbar sind. Ob im Einzelfall eine vollständige Obduktion auch zur Klä-
rung der Todesursache bzw. rekonstruktionsrelevanter Befunde erfolgen
kann, ist eine Entscheidung, die in Absprache zwischen den polizeilichen
Untersuchungsleitern und den Rechtsmedizinern ggf. selektiv getroffen
werden sollte (s. Kap. 21.2.3 und 21.2.4). Zu bedenken ist dabei, dass neben in-
dividuellen Merkmalen wie z. B. Kontaktlinsen auch Linsenimplantate, Herz-
21

schrittmacher, Defibrillatoren oder sonstige Implantate für die Identifizie-

Leitfaden Katastrophenmedizin 371


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

rung von Nutzen sein können, da sie eine Nummerierung aufweisen. Diese
Implantate sind jedoch nur bei einer Öffnung des Leichnams zugänglich.

Zahnstatusuntersuchungen und -vergleiche sind die wesentliche Do -


mäne der forensischen Odontologie. Zahnarbeiten und Zahnstatus liefern
wegen unterschiedlicher zahnmedizinischer Versorgungstechniken Hin-
weise auf das Alter und die ethnische Zugehörigkeit oder Nationalität; die
entsprechend erfahrenen Zahnmediziner sind in der AKFOS (Arbeitskreis fo-
rensische Odontostomatologie) organisiert und auch wissenschaftlich tätig
(Benthaus et al. 1999, Lessig und Benthaus 2003, Lessig et al. 2009).
Zahnmedizinische Untersuchungen sind wegen des geringen Aufwandes,
der vergleichsweise hohen Aussagekraft sowie der guten Registrierungs-
und Vergleichsmöglichkeiten bei Katastrophen häufig am besten geeignet,
rasche Identifizierungen zu ermöglichen. Sowohl Zähne als auch Zahnar-
beiten sind in aller Regel sehr lange hitzebeständig, sodass auch bei Brand-
katastrophen häufig, allerdings nicht immer, ein ausreichend detaillierter
Zahnstatus zur Identifizierung erhoben werden kann (z. B. Seilbahnunglück
in Kaprun in Jahr 2000). Probleme können beim postmortalen fäulnisbe-
dingten Zahnverlust, bei starker Fragmentation der Leichen oder ausgeplün-
derten Leichen (herausgebrochene Goldkronen) auftreten, aber auch bei
Kindern und Jugendlichen mit fehlenden individualisierenden Zahnarbei-
ten. Berichte über die Zugkatastrophe von Eschede (s. Tab. 21-1) wie auch über
die Tsunami-Katastrophe in Thailand bestätigen eine hohe Bedeutung der
forensisch-odontologischen Untersuchungen.

Tab. 21-1 Kriterien zur Identifikation der Opfer des Bahnunglücks in Eschede.
(Aus Eisenmenger 2004, S. 943.)

Kriterium Anzahl

Zahnstatus 71

Personenbeschreibung 47

Effekten 33

Narben/Operationen 29

Fingerabdrücke 14

Die früher empfohlene Entnahme von Ober- und Unterkiefer bei der Ob-
21

duktion unter weitgehender Schonung der Gesichtsweichteile erlaubt zwar

372 Leitfaden Katastrophenmedizin


eine sehr differenzierte und gut reproduzierbare Begutachtung, beinhaltet
allerdings auch die Möglichkeit einer Verwechslung bzw. Vertauschung, da
keine untrennbare Verbindung zwischen Leiche und zahntragenden Kiefer-
abschnitten mehr vorhanden ist. Dieses Verfahren sollte in Zukunft nur im
Ausnahmefall angewendet werden (Lessig et al. 2009). Weitere Probleme
bei der Identifizierung mithilfe des Zahnstatus können das Fehlen eines Ver-
gleichszahnstatus bei unbekanntem Zahnarzt, veraltete Zahnstatusmittei-
lungen oder auch verfälschte Mitteilungen sein.

Radiologische Untersuchungsverfahren können hochindividuelle Merk-


male wie z. B. den Sinus frontalis oder den Nachweis operativ eingebrachter
Implantate (ggf. nach gezielten äußeren Hinweisen, Narben etc.) für den Ver-
gleich mit Ante-mortem-Daten dokumentieren.
Die Möglichkeiten radiologischer Untersuchungen hängen von der appara-
tiven Ausstattung am Untersuchungsort ab, jedoch ist die Anfertigung von
Kieferpanoramaaufnahmen (OPGs) wegen der sehr häufig vorhandenen Ver-
gleichsaufnahmen mittlerweile nicht ungewöhnlich (Benthaus et al. 1999,
Lessig et al. 2009).
Ansonsten ist die Beschaffung von Vergleichsmaterial oft schwierig und
nicht immer mit individualisierenden Befunden verbunden. Neben Implan-
taten und Osteosynthesen ist vor allem die Form der Stirnhöhle als hochgra-
dig individual-charakteristisch anzusehen und nicht selten als Voruntersu-
chungsbefund greifbar (z. B. Röntgenaufnahmen der Nasennebenhöhlen
[NNH-Aufnahmen]). Wenn die Voraufnahme nicht unmittelbar vorliegt,
kann hierbei jedoch der Strahlengang problematisch sein; dieser muss wei-
testgehend in gleicher Weise wie bei der Voraufnahme erfolgen, um einen
Vergleich mit hoher Sicherheit zu ermöglichen.

Daktyloskopische Verfahren werden demgegenüber hauptsächlich von


Experten der Polizei angewandt und mit eventuell vorhandenen Fingerab-
drücken abgeglichen. Dazu kann es erforderlich sein, in den Wohnungen
von Vermissten individuelle, eindeutig zuzuordnende Gegenstände auf Ver-
gleichsfingerabdrücke zu untersuchen.
Daktyloskopische Untersuchungen können ebenso wie der Zahnstatus
durch einen Vergleich mit schon vorliegenden Fingerabdrücken zu einer
sehr schnellen Identifizierung führen. In Deutschland sind Vergleichsfinger-
abdrücke nur für Personen vorhanden, die erkennungsdienstlich behandelt
wurden. In anderen Ländern sind aufgrund anderer gesetzlicher Bestim-
mungen z. B. bestimmte Fingerabdrücke im Rahmen einer biometrischen
Identifizierung bei Behörden gespeichert oder gar im Ausweis vorhanden.
Die Einholung von Vergleichsfingerabdrücken, z. B. aus der Wohnung von
Vermissten an Gegenständen des täglichen Gebrauchs, ist demgegenüber
21

zeitaufwendig und auch durchaus mit Unsicherheiten behaftet. Ferner ist zu

Leitfaden Katastrophenmedizin 373


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

beachten, dass daktyloskopische Feststellungen zwar bei Wasserleichen und


auch bei Fäulnisveränderungen in der Regel noch sehr gut möglich sind, je-
doch nicht bei Brandleichen (Eisenmenger 2004).

Molekulargenetische Untersuchungen (genetischer Fingerabdruck) stel-


len heute den Standard mit der höchsten Identifizierungssicherheit dar
(Prinz et al. 2007). Zu berücksichtigen ist, dass für molekulargenetische
Untersuchungen individuelle Vergleichsproben (z. B. Zahnbürste, Rasier-
apparat, Kamm) oder ggf. die molekulargenetische Untersuchung naher
Angehöriger im Sinne einer Eltern- bzw. Kindschaftsuntersuchung erfor-
derlich sind. Die Ermittlung solcher Vergleichsdaten kann dann äußerst
problematisch sein, wenn z. B. ganze Familien betroffen sind, wie beim
Tsunami in Thailand im Jahr 2004, oder wenn, wie 1992 in Amsterdam bei
einem Flugzeugabsturz in ein Wohngebiet, nicht nur ganze Familien unter
den Opfern sind, sondern auch deren Wohnungen zerstört und damit even-
tuelle Vergleichsproben für molekulargenetische Untersuchungen nicht
mehr verfügbar sind.
Dank der Entwicklung entsprechender Analysesets mit Kombinationen
unterschiedlicher Merkmale sind auch Untersuchungen an degradierter
Desoxyribonukleinsäure (DNA) etabliert. Dennoch können Extraktion und
Analyse der DNA gerade bei fortgeschrittener Degradation ausgesprochen
schwierig sein, sodass beispielsweise bei der Identifizierung von Tsunami-
opfern entgegen erster Erwartungen den molekulargenetischen Befunden
nur eine geringe Bedeutung zukam (Lessig et al. 2009).

Bitte beachten

Das konkrete Vorgehen und die Frage, welche Verfahren zum Einsatz
kommen, hängt wesentlich von der Art der Katastrophe, dem Zustand
der Leichen sowie der Erfahrung des Untersucherteams und der Ver-
fügbarkeit technischer Untersuchungsmöglichkeiten ab. In den letzten
Jahren haben sich, insbesondere nach den Erfahrungen in Thailand, sehr
differenzierte logistische Strukturen etabliert, die im Einsatzfall rasch
mobilisierbar sind.

21.2.3 Todesart, Todesursache und Todeszeit


Zunächst mag die Frage nach Todesart, Todesursache und Todeszeit nicht
sinnvoll erscheinen, da der Zeitpunkt einer Katastrophe weitgehend gut ein-
grenzbar ist und davon auszugehen ist, dass alle Opfer an dem im Wesentli-
21

chen gleichen Schädigungsmechanismus verstorben sind.

374 Leitfaden Katastrophenmedizin


In Einzelfällen kann es aber für die Klärung der Unglücksursache oder von
Unglücksabläufen nützlich sein, über die Identifizierung hinausgehende Be-
funde zu erheben. So können beispielsweise Brandverletzungen bei Opfern
eines Flugzeugabsturzes wichtige Hinweise auf Vorfälle in unmittelbarem
Vorfeld eines Absturzes geben. Auch der Nachweis von Brandgasen (Koh-
lenmonoxid, Zyanverbindungen) oder Einsprengungen von Fremdkörpern
bei Explosionen können wertvolle Hinweise liefern. Es ist auch nicht immer
mit der Offenlegung sämtlicher Informationen von offizieller oder Verur-
sacherseite zu rechnen. Dies hat sich z. B. bei der Giftgaskatastrophe in Bho -
pal gezeigt, wo aufgrund unvollständiger Informationen zum auslösenden
Giftstoff Patienten noch Tage nach der Katastrophe falsch behandelt wurden
(Daunderer 1986).

Wesentlich ist insbesondere eine vollständige Untersuchung der Leichen


von Fahrzeug- bzw. Flugzeugführern bei Verkehrsmittelkatastrophen, da
hier möglicherweise ein natürliches inneres Krankheitsbild als Auslöser
eines Unfalles oder eine Beeinträchtigung durch Alkohol, Medikamente
oder Drogen in Betracht kommt.

Die Feststellung der Todeszeit ist für erbrechtliche Fragestellungen von Be-
deutung, wenn Familienmitglieder oder gegenseitig erbberechtigte Per-
sonen bei einem Ereignis ums Leben kommen, soweit nicht die sogenannte
Kommorientenpräsumption (s. Kap. 21.1) greift.

21.2.4 Kriminalistische Rekonstruktion


Die Ursachenklärung einer Katastrophe bzw. die klare Darlegung der Folgen
kann für eine eventuelle Strafverfolgung relevant sein, aber auch für Versi-
cherungsleistungen oder präventive Maßnahmen. Wie die Erfahrungen aus
der Brandkatastrophe im Seilbahntunnel in Kaprun im Jahr 2000 bzw. der
Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall 2006 gezeigt haben, sind Strafver-
fahren gegen mutmaßliche Verursacher von technischen Störungen, die zu
schweren Unfällen führen, nicht ungewöhnlich. Daher sind auch medizi-
nische Befunde, die z. B. den Ort des Brandausbruches genauer eingrenzen
oder die Schwere der Verletzungen und die Geschwindigkeit des Todesein-
trittes (Frage der Rettbarkeit) dokumentieren, von wesentlicher Bedeutung
für die Ursachenklärungen und unter Umständen auch für das Strafmaß.

Daneben wird immer wieder über ungewöhnliche Fallkonstellationen be-


richtet. So beschrieb z. B. Stevens (1970) einen Flugzeugabsturz, der durch die
Schüsse eines Suizidenten auf die Cockpitbesatzung ausgelöst wurde. Einen
ähnlichen Fall stellte Kleiber (1987) dar: Hier war der Pilot eines Sportflugzeu-
21

ges von einem Passagier erstochen worden. Bei Bombenattentaten können

Leitfaden Katastrophenmedizin 375


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

die Fragmente des Explosionskörpers, die in die Opfer eingesprengt wurden,


zur Identifizierung des verwendeten Sprengsatzes führen, wie z. B. beim
Münchner-Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 (Eisenmenger 2004). Auch
wichtige und charakteristische Verletzungsbefunde bei Selbstmordattentä-
tern können aufgefunden werden.
Eisenmenger (2004) berichtet von einem Absturz eines Bundeswehrhub-
schraubers mit zivilen Passagieren im Jahr 1988 bei Mittenwald; beim Piloten
wurden damals 2,3 ‰ Blutalkohol gemessen. Anlässlich eines Flugzeugbran-
des in Paris im Jahr 1973, bei dem 123 Passagiere, nicht jedoch die Mitglieder
der Cockpitbesatzung verstarben, wurde festgestellt, dass die Kunststoffe,
die zur Auskleidung der Passagierräume verwendet wurden, beim Brand
Cyanverbindungen freigesetzt hatten. Daraufhin erfolgten entsprechende
Konstruktionsänderungen, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden
(Eisenmenger 2004).

21.3 Organisation und Logistik


Die Organisation rechtsmedizinischer Tätigkeit ist in Fällen von Massenka-
tastrophen nur in Zusammenarbeit mit der Polizei und den Katastrophen-
schutzbehörden sinnvoll. Allerdings sollte die Alarmierung der Mitarbeiter,
sei es bei der Anforderung kleinerer Gruppen aus einem Institut oder bei
größeren Katastrophen über die Identifizierungskommission des Bundes-
kriminalamtes, zeitnah erfolgen. Wesentlich ist die Entscheidung, wo die
Untersuchungen zur Identifizierung von Opfern vorgenommen werden
sollen. Auch wenn bei der Wahl des Identifizierungsortes ggf. Kompromisse
eingegangen werden müssen, sollte versucht werden, die konkreten Arbeits-
bedingungen für die unmittelbare Untersuchung der Leichen so gut wie
möglich zu gestalten. Allerdings ist auch der Vorteil kurzer Transportwege
bzw. einer vertretbaren Lagerungsmöglichkeit für die Opfer, eventuell mit
einer Kühlung, zu berücksichtigen. In den letzten Jahren sind deshalb zu-
nehmend Kühlcontainer für Leichen eingeführt worden und auch innerhalb
kürzerer Zeit verfügbar. Können Untersuchungen an Leichen nicht in einem
rechtsmedizinischen oder pathologischen Institut mit der dort üblichen
Ausstattung vorgenommen werden, so ist auf eine gute Beleuchtung und die
Verfügbarkeit von Wasser, Abflüsse sowie Röntgeneinrichtungen zu achten.
Ebenso sollte die Logistik für die Asservierung und ggf. Dokumentation von
Effekten und Gewebeproben sichergestellt und eine wirksame Absperrung
der Einrichtungen gegenüber öffentlichem Zugang möglich sein.

Bei sehr großen Opferzahlen muss möglicherweise in größere Hallen ausge-


wichen werden, in denen an vielen Tischen oder in linear nacheinander ge-
21

schalteten Einzelabläufen gearbeitet werden kann. Derartige Einrichtungen

376 Leitfaden Katastrophenmedizin


haben in Thailand sehr effektive Arbeitsabläufe ermöglicht. Sie wurden nach
der Frühphase der Identifizierungen in internationaler Zusammenarbeit auf-
gebaut, verbunden allerdings mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand.

Wenn es sich um weitgehend skelettierte Leichen oder die Untersuchung von


Massengräbern wie in Bosnien handelt, können neben Rechtsmedizinern
und forensisch-versierten Odontologen auch forensische Anthropologen er-
forderlich sein. Wichtig sind auch Schulung, Praxistraining und Kommunika-
tion über die aktuellen Verfahren und das erforderliche Vorgehen im Rahmen
fachübergreifender Übungen, die in einzelnen Bundesländern an Polizeifort-
bildungsinstituten durchgeführt werden und in die auch Rechtsmediziner
bzw. forensische Zahnärzte einbezogen werden sollten. Auch seitens der übri-
gen Hilfskräfte und Katastrophenschutzorganisationen sollte die Bedeutung
und Tragweite solcher Untersuchungen bzw. Feststellungen anerkannt und
entsprechend unterstützt werden, selbst wenn dies nicht mehr unmittelbar
dazu führt, dass Verunglückte noch gerettet werden können.

Bitte beachten

Die Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes verfügt über


eine sehr gut ausgebaute Logistik und Alarmierungsstrategie, die in
Katastrophenfällen mobilisierbar ist.

Literatur

Benthaus S, Rötzscher K, Engel H. Der Einsatz mobiler Röntgentechniken


bei der odontostomatologischen Identifizierung von Katastrophenopfern.
Rechtsmedizin 1999; 9: 155–158.

Eisenmenger W. Massenkatastrophen. In: Brinkmann B, Madea B, Hrsg.


Handbuch Rechtsmedizin. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 2004.

Daunderer MC. Augenzeugenbericht Bhopal. In: Ungeheuer E, Hrsg. Kata-


strophenmedizin. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 1986. 109–112.

International Criminal Police Organisation (Interpol). Disaster Victim Identi-


fication Guide. Lyon: Interpol; 1997.

Kleiber M. Suicidentschluß als Mordmotiv – Ein Flugzeug als Tatwaffe. Arch


21

Kriminol 1987; 179: 154–160.

Leitfaden Katastrophenmedizin 377


Aspekte zum Management in Katastrophensituationen
Rechtsmedizinische Aspekte bei Großschadensereignissen

Lessig R, Benthaus S. Forensische Odontostomatologie. Rechtsmdizin 2003;


13, 161–169.

Lessig R, Aspinall L, Bratzke H. Identifizierungstätigkeit bei Massenunfällen


und Katastrophen. Aktuelle Standards. Rechtsmedizin 2009; 19: 209–212.

Peschel O, Lessig R, Grundmann C et al. Tsunami 2004 – Rechtsmedizinische


Erfahrungen aus dem Einsatz der Identifizierungskommission in den ersten
Tagen in Thailand. Rechtsmedizin 2005; 15: 430–437.

Prinz M, Carracedo A, Mayr WR et al. ISFG: Recommendations regarding the


role of forensic genetics for disaster victim identification (DVI). Forensic Sci
Int Genet 2007; 1: 3–12.

Rötzscher K, Benthaus S, Höhmann B. Schutz oder Management? Katastro-


phenschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsmedizin 1998; 8:
201–206.

Stevens PJ. Fatal civil aircraft accidents. Bristol: Wright; 1970.

Tsokos M, Lessig R, Grundmann C et al. Experiences in Tsunami victim identi-


fication. Int J Legal Med 2006; 120: 185–187.
21

378 Leitfaden Katastrophenmedizin


Anhang
22 Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
23 Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und
Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz
24 Schwerbrandverletzte – Zentrale Anlaufstelle
für die Vermittlung von Krankenhausbetten
und Liste der beteiligten Krankenhäuser
25 Regionale Strahlenschutzzentren
26 Massenanfall von Vergiftungen – wichtige
Adressen, Telefonnummern und Ansprech-
partner
27 Gefahrensymbole und Gefahren-
bezeichnungen
28 Schweregradeinteilung von Vergiftungen
29 Meldeformulare zum Infektionsschutz-
gesetz (IfSG)
30 Notfallmanagement der Krankenhaus-
apotheke
31 ABC-Selbsthilfe-Set
32 Statistiken/Übersichten
33 Auszüge aus dem Handbuch für sanitäts-
dienstliche Hilfeleistungen der Bundes-
wehr bei Naturkatastrophen, besonders
schweren Unglücksfällen und im Rahmen
der dringenden Nothilfe
34 Internetadressen
35 Autorenverzeichnis
36 Abkürzungsverzeichnis
Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
22

22
Persönliche Schutzausrüstung
(PSA)
S. Ippisch, R. Steffens

Die Auswahl von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) richtet sich grundsätz-


lich an den abzudeckenden Gefährdungen für die betroffenen Personen aus,
und deren Verwendung darf die Träger nicht gefährden. Das klingt zwar trivi-
al, hat aber eine Reihe von Aktionen zur Folge, die häufig nicht korrekt oder nur
unzureichend beachtet werden. Weiterhin sind Fragen zum Ablegen der PSA,
der eventuell erforderlichen Dekontamination und die entsprechende Entsor-
gung Teil der zu treffenden Auswahl. In den nachfolgenden Ausführungen sol-
len diese Regeln diskutiert und Lösungsvorschläge für die Auswahl im Rahmen
der bestehenden Normen- und Vorschriftenwerke gemacht werden.
Das Handbuch „Biologische Gefahren“, herausgegeben vom Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat besonders für diese Art der
Gefährdung gute Auswahlinformationen inklusive Einsatzfotos publiziert
(BBK und RKI 2007).

Leitfaden Katastrophenmedizin 381


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

PSA sollte nach den Regeln der Europäischen Union einer Baumusterprüfung
22

bzw. einer zusätzlichen Qualitätskontrolle unterliegen. Zur Kennzeichnung


wird das CE-Zeichen verwendet. Wie in vielen anderen Marktsegmenten gibt
es auch hier leider schwarze Schafe. Gefälschte CE-Zeichen sind keine Selten-
heit. Dieses Problem ist zwar den Normengremien bekannt, aber leider ha-
ben diese Gremien keinen Zugriff auf die rechtliche Seite dieses Problems. Da
heißt es für die Anwender „Augen auf“.

Für die meisten Anwender ist es ziemlich schwierig PSA mit gefälschten CE-
Zeichen von korrekt ausgezeichneter Ware zu unterscheiden. Es gibt aber
trotzdem einige einfache Hinweise, die den Verdacht einer Fälschung nahe-
legen. Dazu muss man wissen, dass Hersteller meist nur begrenzten Zugriff
auf Ausgangsmaterialien haben, weil es nur wenige wirkliche Barrierema-
terialien gibt und die Herstellungsmethoden und Orte sich in der Zwischen-
zeit nicht besonders unterscheiden. Daher kosten qualitativ hochwertige
Produkte mit gleicher Barriereleistung etwa gleich viel – die Preise für die
Anwender unterscheiden sich nicht besonders. Wenn aber trotzdem PSA-
Produkte mit angeblich gleicher Leistung deutlich weniger kosten als eine
große Zahl der Mitanbieter das anbietet, ist das ein Warnsignal. Hier kann
der Anwender sich damit schützen, dass er beim Zertifizierungsinstitut (fin-
det man auf der Packungsbeilage) nachfragt, ob dieses Produkt dort bekannt
ist bzw. dort zertifiziert wurde. Eine solche Information wird man von einem
Zertifizierungsinstitut in der Regel bekommen. Falls diese Information tat-
sächlich den Verdacht einer Fälschung nahelegt, ist es sinnvoll, das örtliche
Gewerbeaufsichtsamt darüber zu informieren.
Eine weitere häufige Praxis der Preisschlacht am Markt ist die nicht korrekte
Belieferung. Bei der Vorstellung eines Produkts wird das korrekte Produkt
gezeigt und die entsprechenden Daten werden mit korrekten Dokumenten
belegt. Wird die Ware nach der Bestellung dann ausgeliefert, enthalten die
Verpackungen (meist Kartons) häufig nur minderwertige oder sogar ge-
fälschte Ware. Um bei Kontrollen nicht aufzufallen, wird dann manchmal
sogar korrekte Ware oben in den Karton gelegt. Darunter befindet sich dann
die minderwertige Ware. Hier hilft nur eine sorgfältige und vollständige
Kontrolle der Lieferung.

Der Begriff „Persönliche Schutzausrüstung“ sollte bei der Auswahl auch rich-
tig interpretiert werden:
ƒ die PSA muss den adäquaten Schutz bieten
ƒ die PSA muss für den Träger geeignet sein

Viele Entscheidungen im PSA-Bereich basieren nur auf dem Schutzlevel oder


den Leistungsmerkmalen der PSA, die man vom Hersteller einfach abfragen
kann. Größe und Passform werden aber häufig vernachlässigt. Eine Atem-

382 Leitfaden Katastrophenmedizin


schutzmaske, die den Mund-/Nasenbereich des Trägers nicht abdichtet, weil

22
sie nicht auf die Gesichtsform passt, kann keinen hohen Schutz bieten, auch
wenn die Leistungsklassen gute Daten zeigen. Ähnlich ist es bei der Größe
von Schutzanzügen. Da werden sehr häufig zu große Anzüge gewählt – „die
passen ja jedem ...“ – und es wird vergessen, dass zu große Anzüge Stolperfal-
len darstellen, der Träger sich in drehenden Teilen einer Maschine verfangen
kann, oder der Anzug wird nicht korrekt getragen, weil er einfach zu groß ist.
Das sind nur zwei Beispiele für die Komplexität der korrekten Auswahl.

Im Folgenden werden wir uns den beiden Bereichen SCHUTZ und TRÄGER
widmen.

Bitte beachten

ƒ Nur trainiertes Personal einsetzen


ƒ Ab Tragezeiten von mehr als einer halben Stunde den Träger auf seine
Einsatzfähigkeit befragen. Der Einsatzleiter steht hier in der Pflicht,
diese Kommunikation zu leiten und zu bewerten.

Betrachten wir als Erstes den Schutz, den wir nur dann korrekt beschreiben
können, wenn wir die Gefährdung kennen. Die PSA-Benutzerverordnung
kennt daher die sogenannte Risikoanalyse. Sie wird von denjenigen vorge-
nommen, die Helfer oder Rettungskräfte in die Gefahrenbereiche schicken.
Sie kann und darf auf keinen Fall von einem PSA-Hersteller erarbeitet wer-
den, auch wenn diese sehr häufig danach gefragt werden.

Risikoanalyse:
ƒ definiert die Noxe (Gefahrstoff, Strahlen, Hitze etc.)
ƒ definiert die Umgebungsbedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit,
Arbeitsraum etc.)
ƒ definiert die Tätigkeit oder den Umgang mit der Noxe
ƒ definiert die Expositionsstellen eines Trägers von PSA

Auf diese Weise entsteht ein Profil für die einzusetzende PSA bzw. die ver-
schiedenen PSA-Produkte, die in der Kombination den Träger schützen sol-
len. Das heißt natürlich auch, dass bei der PSA auf Kombination geachtet wer-
den muss. Dabei sollte man eine einfache Regel anwenden:

Der höchste erreichbare Schutzlevel wird von der PSA definiert, die die
geringste Schutzleistung hat.

Leitfaden Katastrophenmedizin 383


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Ein typisches Beispiel für die Missachtung dieser Regel ist, wenn der Atem-
22

schutz auf einem FFP3-Partikelfilter aufbaut und der getragene Schutzan-


zug ein Chemikalienschutzanzug Typ 3 mit hohem Schutz gegen Chemika-
lienschutz ist. In diesem Fall hat der Mund-/Nasen-Atemschutz eine Barriere
gegen Partikel aber keinen gegen Chemikalien so wie der Schutzanzug. Da
wir für die Inhalation nur einen Partikelschutz haben, ist die Gesamtleistung
dieser Kombination auch nur ein Partikelschutz.

Bei Katastrophenlagen haben wir bezüglich der Risikoanalyse eine Beson-


derheit, das ist das komplexe Bild der Risikolage für die einzusetzende Hilfe.
Neben der Vielfalt der Gefahrstoffe können die Umgebungsbedingungen
und Tätigkeiten sehr hohe Ansprüche an die PSA stellen. Die notwendigen
Arbeitszeiten richten sich häufig nicht nach den Regeln des Arbeitsschutzes,
sondern basieren auf den Maßnahmen zur Rettung der Opfer und der Zahl
der verfügbaren Rettungskräfte. Entsprechend muss die verwendete PSA für
diese Einsatzzeiten konzipiert sein. Das gilt nicht nur für den mit dem Tragen
von PSA verbundenen Komfort oder Stress, sondern ganz besonders auch für
den Schutz während dieser Einsatzzeiten. PSA, deren Schutzeigenschaften
durch die Anwendung verloren gehen oder deren Abschluss zu anderer PSA
sich verändert, setzt den Träger möglicherweise einem Gefährdungsrisiko
aus, dessen Potenzial oft nicht erkannt wird.
Ein typisches Beispiel für eine Gefährdung, die durch die Arbeitsweise
verursacht wird, ist das Arbeiten mit den Händen über dem Kopfbereich.
Streckt der Träger die Arme nach oben, rutschen häufig die Ärmel des An-
zugs nach unten und der Unterarm liegt frei, weil die Handschuhstulpen
aus dem Ärmel gerutscht sind. Vermeiden kann man das z. B. durch Dau-
menschlaufen im Ärmel oder Abkleben der Handschuhstulpen mit dem
Ärmelende des Anzugs.

Als Nächstes betrachten wir das Anforderungsprofil, das aufgrund einer Risiko-
analyse erstellt wurde, und vergleichen dies mit den Informationen der Her-
steller. Diese Herstellerinformationen sind auf der Basis der Zulassung zur
Erlangung eines CE-Zeichens für die PSA entstanden. Die Kriterien für die Er-
langung eines CE-Zeichens sind in Normen oder Standards festgehalten. Die
Begriffe und technischen Werte, die in diesen Standards verwendet werden,
entsprechen meist nicht der Sprache und dem Verständnis der Anwender. Sie
wurden unter dem Gesichtspunkt der Überprüfung durch Institute gewählt.
Genau an dieser Schnittstelle entstehen die meisten Fehler bzw. Falschinter-
pretationen durch Anwender. Um die Daten der Hersteller richtig für die Se-
lektion zu verstehen und anzuwenden, muss der Leser die Testverfahren ver-
stehen, mit denen diese Werte erstellt wurden, und er muss die publizierten
Werte interpretieren können. Bei der Vielfalt der Normen und Standards ist
das ein ziemlich komplexes System, das besondere Kenntnisse erfordert.

384 Leitfaden Katastrophenmedizin


Es gibt PSA-Produkte, die aufgrund ihrer Bauart und der Verwendung der ein-

22
gesetzten Materialien Einweg-Produkte sind, andere sind sogenannte Mehr-
weg-Produkte. Ein Hersteller muss den Einsatz seiner Produkte – Ein- oder
Mehrweg – dem Zertifizierungsinstitut vor der Prüfung für das CE-Zeichen
mitteilen. Die Prüfung wird dann entsprechend variiert und das CE-Zeichen
nach erfolgreicher Prüfung entsprechend ausgestellt. Diese Unterscheidung
ist wichtig, weil damit der Einsatzzweck festgelegt ist. Verwendet ein Anwen-
der eine Einweg-PSA mehrmals, erlischt beim zweiten Einsatz das CE-Zeichen
und der Anwender kann für die Folgen dieses nichtintentionellen Handelns
haftbar gemacht werden.

Praxis-Tipp

Schutzkleidungsarten:
ƒ Schutz gegen Staub: einfache Schutzkleidung, SMS, Tyvek o. ä.
ƒ Schutz gegen Flüssigkeiten: dichte Schutzkleidung, beschichtete
Materialien
ƒ Schutz gegen Dämpfe, Gase: Vollschutzkleidung in Kombination mit
Atemschutz

Die Aspekte, die die Auswahl von PSA begleiten, sollten folgende Elemente
beinhalten:
ƒ Schutz – für die Dauer des Einsatzes
ƒ richtige Größe für den Träger
ƒ robust für den Einsatz
ƒ angepasster Tragekomfort
ƒ keine komplizierten Ein- und Auskleideverfahren
ƒ leichte Dekontamination

Wenn alle diese Aspekte erfüllt sind, steht noch die Frage der Verfügbarkeit
im Raum. Der Zugriff auf die PSA sollte in einem Zeitrahmen gewährleistet
sein, in dem die Rettungsaktion noch sinnvoll durchgeführt werden kann.
Das gilt auch für die Versorgungslage während des Ablaufs der Aktion. Es
wäre fatal, wenn nur die Helfer der ersten Stunde Zugriff auf die korrekte PSA
hätten und die nachfolgenden Helfer auf PSA warten müssten oder sogar kei-
ne PSA für ihre Aktionen mehr zur Verfügung hätten.

Im Folgenden betrachten wir die oben genannten Aspekte beispielhaft für


Chemikalienschutzkleidung. Wollte man diese Betrachtung für alle in Ka-
tastrophenlagen benötigten PSA darstellen, würde man den Rahmen die-
ses Artikels deutlich überschreiten. Chemikalienschutzkleidung hat den

Leitfaden Katastrophenmedizin 385


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Vorteil, dass alle genannten Aspekte dargestellt und beleuchtet werden


22

können.

Entsprechend den normativen Vorgaben für Chemikalienschutzkleidung


können damit folgende Schutzziele erreicht werden:
ƒ Schutz gegen den Kontakt der Haut mit Chemikalien
• in fester Form, als Staub oder Partikel
• in flüssiger Form, als Tröpfchen oder Spritzer
• gasförmig oder als Dämpfe
ƒ Schutz gegen Kontakt mit biologischen Agenzien
ƒ Schutz gegen Kontakt mit radioaktiven Partikeln

Dabei spielen zusätzlich einige Aspekte eine Rolle, deren Eigenschaften ein
Hersteller beschreiben sollte bzw. deren Darstellung optional ist:
ƒ keine Gefährdung des Trägers durch die PSA
ƒ keine Erzeugung von zündfähigen Entladungen (optional)
ƒ keine Gefährdung durch Hitzestress beim Tragen
ƒ Hinweise zur Lagerzeit, sofern dem Hersteller solche Information be-
kannt ist

Jedes der genannten Schutzziele bzw. der zusätzlichen Aspekte ist in den
Normen erfasst und der Anwender kann die Information dazu abrufen.

Die Informationen der Hersteller geben entsprechend der Zertifizierungsan-


forderungen folgende Informationen:
ƒ Technische Daten und Barriereinformationen
• mechanische Festigkeit, Robustheit
• Barriere gegen Chemikalien, biologische Agenzien, Partikel, Gase
• elektrische Ableitfähigkeit der Materialien
• Dichtigkeit des gesamten Anzugs
ƒ Korrelation der Anzuggrößen mit den Körpermaßen der Träger
ƒ Wer der Hersteller oder Importeur des Produktes ist und den Handels-
namen
ƒ Wer das Produkt zertifiziert hat und wer die Qualitätsüberwachung
macht
ƒ Für welchen Einsatzzweck das Produkt geeignet ist und für welchen nicht
ƒ Informationen zur Lagerung und Entsorgung
ƒ Eine Erklärung der verwendeten Piktogramme

Abweichend von diesen Anforderungen sollte ein Anwender auch nach Hin-
weisen für ein korrektes Ein- und Auskleiden beim Hersteller nachfragen.
Nur wenn diese Regeln zusätzlich beachtet werden, ist ein Schutz auf der Ba-
sis der Zertifizierung möglich.

386 Leitfaden Katastrophenmedizin


Diese Information sollte ausreichend sein, um eine Chemikalienschutzklei-

22
dung auf Eignung für den vorgesehenen Einsatz zu beurteilen. Dabei muss
man jedoch wissen, was diese einzelnen Daten bedeuten und ob sie für den
Einsatzzweck die gewünschte Information bieten.

Praxis-Tipp

Anwendung Schutzkleidung:
ƒ Robustheit beachten, siehe Technische Daten
ƒ Barriere überprüfen, siehe Technische Daten
ƒ Größen beachten, mit den Trägern überprüfen
ƒ Ein- und Auskleiden trainieren

In der nachstehenden Tabelle 22-1 sind die mechanischen Eigenschaften des


Anzugmaterials zusammengefasst. Die zu testenden Eigenschaften wurden
so gewählt, dass sie die physischen Belastungen des Materials während des
Einsatzes wiedergeben, für die es eine internationale Norm für eine kontinu-
ierliche Überwachung gibt.

Tab. 22-1 Mechanische Eigenschaften von Materialien für Chemikalien-


schutzanzüge.

Eigenschaft Information zu Angabe als

Abriebfestigkeit Reibe-, Rutschkontakt mit rauen Ober- Reibezyklen


flächen

Druck in Kilo -
Berstfestigkeit Aufplatzen des Materials bei Bewegung
Pascal

Biegrissfestigkeit Reißen des Materials durch Knicken Kraft in Newton

Durchstichfestigkeit Druckkontakt mit spitzen Gegenständen Kraft in Newton

Reißfestigkeit Zerreißen des Materials durch Zug Kraft in Newton

Weiterreißen des Materials an einer


Weiterreißfestigkeit Kraft in Newton
Bruchstelle

Neben diesen Eigenschaften stellt sich noch die Frage nach den Nähten
bzw. des Einsatzes in Umgebungen von Flammen bzw. in explosionsge -
fährdeten Bereichen (PSA-Benutzerverordnung). Die entsprechenden In-
formationen werden durch die in der Tabelle 22-2 dargestellten Parameter
wiedergegeben.

Leitfaden Katastrophenmedizin 387


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Tab. 22-2 Weitere wichtige Eigenschaften von Chemikalienschutzanzügen.


22

Eigenschaft Information zu Angabe als

Nahtfestigkeit Widerstand einer Naht gegen Reißen Kraft in Newton

Brennbarkeit bei sehr kurzem Kontakt zu bestanden/nicht


Entzündbarkeit
einer Flamme bestanden
Brennbarkeit bei kurzem Kontakt zu einer bestanden/nicht
Entflammbarkeit
Flamme bestanden
Ableitung von elektrischen Ladungen von Widerstand in
Ableitfähigkeit
einer Oberfläche Ohm

Bei Chemikalienschutzkleidung ist es besonders wichtig, eine Barriere ge-


gen Chemikalien zu haben. Dabei ist darauf zu achten, dass während des
Kontakts mit einer Chemikalie die Haut bzw. die Unterkleidung des Trägers
nicht mit der Chemikalie in Berührung kommt.

Die nachstehend dargestellten Eigenschaften unterteilen sich in 2 Gruppen:


ƒ Ermittlung des Durchbruchs nach 1 Minute Penetration
ƒ Ermittlung des Durchbruchs nach mehr als 10 Minuten Permeation
Die Abweisung ist ein Maß für das Abfließen von flüssigen Chemikalien von
der Oberfläche. Auch diese Eigenschaft wird nach einer Minute ermittelt.

Tab. 22-3 Barriere von Materialien für Schutzanzüge.

Eigenschaft Information zu Angabe als

Permeation Durchbruch von Chemikalien in flüssiger Minuten


oder gasförmiger Form auf molekularer
Ebene

Durchbruch von flüssigen Chemikalien


Penetration Prozent
durch Poren oder Löcher
Abfließen von flüssigen Chemikalien von
Abweisung Prozent
der Oberfläche

Leider wird die Permeation von Anwendern meist falsch verstanden. Hier
stehen für den Anwender die Durchbruchzeiten als Information da – meist
interpretiert als sichere Tragezeit – oder als „schwarz“/„weiß“, was soviel be-
deutet wie, vor dieser Zeit erfolgt kein Durchbruch und nach dieser Zeit ist
man besonders stark gefährdet. Beide Interpretationen sind nicht korrekt.
Um Permeationsdaten vergleichbar zu machen, wurden Normen geschaf-
fen und die Angaben in den Packungsbeilagen müssen nach diesen Normen

388 Leitfaden Katastrophenmedizin


dargestellt werden. Um Permeationsdaten vergleichbar zu machen, bedient

22
man sich dem „Cut-Off“-Wert oder einem Diskriminator. Permeiert eine Sub-
stanz durch eine Barriere ist es wichtig die Geschwindigkeit zu kennen. Bei
einem schnellen Durchbruch gehen pro Zeiteinheit mehr Substanzmoleküle
durch die Barriere als bei einem vergleichbar längeren Durchbruch. Bei der
Permeation wird die Geschwindigkeit mit der Bestimmung der Masse pro Zeit
und beaufschlagte Fläche des Barrierematerials dargestellt – µg/cm2/min.
Der Durchbruch wird mit Hilfe dieser Geschwindigkeit definiert, z. B.
ƒ nach der europäischen Definition bei 1 µg/cm2/min
ƒ nach der US-Definition bei 0,1 µg/cm2/min

Daraus ergibt sich, dass eine Durchbruchzeit nach europäischer Definiti-


on von mehr als 480 Minuten sich auf die Durchbruchgeschwindigkeit von
1 µg/cm2/min bezieht. Bleibt die Durchbruchgeschwindigkeit während der
Messzeit von 8 Stunden immer unter diesem Wert, ist diese Angabe korrekt.
Damit weiß man aber nicht, wann die höchste Geschwindigkeit erreicht
wurde. Das kann bereits nach einer Minute oder erst nach 480 Minuten sein
und damit kennt man nicht die Menge der Substanz, die nach 480 Minu-
ten durchgebrochen ist. Leider weiß man auch nicht, wie die Dynamik des
Durchbruchs weitergeht. Es ist daher nicht möglich, aus der Angabe dieser
Durchbruchzeit eine sichere Tragezeit zu bestimmen bzw. wie hoch die Ge-
fährdung des Trägers ist.
Die Permeationsangaben sind lediglich ein Hilfe, um die Barriere von Schutz-
materialen miteinander auf gleicher Basis zu vergleichen. Um diese Daten
auf eine Gefährdung des Trägers zu extrapolieren, müssen zusätzliche Daten
und Informationen zusammengetragen werden. Einige Hersteller bieten
hierzu eine Hilfestellung an.

Die Dichtigkeit von Chemikalienschutzanzügen ist eine weitere sehr wich-


tige Eigenschaft für den korrekten Einsatz. Entsprechend ihrer Dichtigkeit
werden Schutzanzüge in Typen eingeteilt. Für jeden dieser Typen gibt es
eine eigene Norm mit den Leistungsparametern und einem Verfahren zur
Bestimmung dieser Dichtigkeit. Jedes Verfahren ist genormt und wird mit
Hilfe einer Testkabine und einer Trägerperson, die in der Testkabine einer
Beaufschlagung ausgesetzt ist, durchgeführt. Es sollte erwähnt werden, dass
eine sehr geringe Leckage bei einer solchen Prüfung erlaubt ist. Nur bei der
Typ-5-Prüfung muss die Leckage im Mittel kleiner als 15 % sein – die einzige
Ausnahme bei diesen Prüfungen.

Leitfaden Katastrophenmedizin 389


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Tab. 22-4 Typen von Chemikalienschutzanzügen.


22

Eigenschaft Information zu Angabe als

Dichtigkeit gegen Gase, Dämpfe und sehr bestanden/


Typ 1
kleine Partikel nicht bestanden
Dichtigkeit gegen Gase, Dämpfe und sehr bestanden/
Typ 2
kleine Partikel nicht bestanden
bestanden/
Typ 3 Dichtigkeit gegen Flüssigkeiten unter Druck
nicht bestanden
bestanden/
Typ 4 Dichtigkeit gegen fein versprühte Flüssigkeiten
nicht bestanden
bestanden/
Typ 5 Dichtigkeit gegen luftgetragene Partikel
nicht bestanden
Dichtigkeit gegen kleine Spritzer und geringe bestanden/
Typ 6
Mengen versprühter Flüssigkeiten nicht bestanden

Chemikalienschutzanzüge sollen aufgrund ihrer Definition auch gegen bio-


logische Agenzien schützen. Da die Dichtigkeitsstufe bereits über die Typen
definiert ist, bedarf es noch einer Ermittlung der Barriere des Anzugmaterials
gegen solche biologische Agenzien. In der Kombination werden Chemikalien-
schutzanzüge, die eine solche Prüfung mit positivem Ausgang nachweisen kön-
nen, mit einem „B“ nach der Typ-Kennzeichnung markiert – zum Beispiel Typ 4B.
Leider lässt es die Prüfung der biologischen Barriere offen, wie viele dieser Ei-
genschaften überprüft werden müssen. Daher ist es wichtig, diese Prüfungen
mit ihren Ergebnissen in der Packungsbeilage des Schutzanzuges nachzulesen.

Tab. 22-5 Barriere gegen biologische Agenzien.

Eigenschaft Information zu Angabe als

Widerstand gegen Bis zu welchem Druck bietet das Material Druck in Kilo -
Viren eine Barriere Pascal

Widerstand gegen
Wie lange leistet ein Material Widerstand
Bakterien in trocke - Minuten
gegen trockene Bakterien
ner Form

Widerstand gegen Wie hoch ist der Unterschied zwischen


Verhältnis als
Bakterien in flüssi - einem für Bakterien undurchlässigen
Logarithmus
gen Medien Material und dem Testmaterial

Widerstand gegen Zahl der Kolonie -


Wie viele Bakterien auf Staubkörnern
Bakterien auf Staub - Bildenden-
dringen durch das Testmaterial
körnern Einheiten (KBE)

390 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bei der Ermittlung der Daten für die meisten der genannten Eigenschaften

22
gibt es eine große Breite der Messdaten aufgrund der unterschiedlichen Ma-
terialien, die für solche Anzüge eingesetzt werden. Damit der Leser dieser
Daten die Wertigkeit einschätzen kann, werden diese Daten in vielen Fällen
in sogenannte Klassen eingeteilt. Dabei ist die Klasse 1 eine gerade noch ak-
zeptable Leistung und die Klasse 6 die höchste Leistung, die durch die Norm
erfasst wird. Für die Selektion für besondere Einsätze ist es ratsam, die Klas-
sen zu beachten.

Nachdem auf diese Weise die Selektion eines Schutzanzugs auf der Basis sei-
ner Leistungsmerkmale erfolgt ist, sollten die persönlichen Belange eines
potenziellen Trägers berücksichtigt werden:

ƒ Sind die Anzüge in den Größen der Träger verfügbar?


Hier ist zu beachten, dass für die üblichen Größen eine Korrelationstabelle zu
den Körpermaßen der Träger zur Verfügung steht. Die Angaben auf der Basis
der grundlegenden Normen für Chemikalienschutzanzüge beruhen meist
bei den Körpermaßen auf einer Lage Unterwäsche – nicht Unterkleidung!
ƒ Sind die Schutzanzüge kompatibel mit der zusätzlichen PSA?
So ist es z. B. sinnvoll, besonders bei der Erwartung von Flüssigexpositio-
nen, dass die Anzüge einen Stiefelüberwurf (Tropfrand) haben. Oder die
Ärmel bei Überkopfarbeiten sich von der Handschuh-Stulpe nicht lösen.
Eine Maske sollte mit der Kapuze eine dichte Einheit bilden und sich nicht
bei jeder Kopfbewegung von der Kapuze lösen.

Praxis-Tipp

Kombination von PSA:


ƒ Leistungsmerkmale vergleichen
ƒ Kombinationsliste erstellen
ƒ Wenn nötig, Klebebänder, Adapter etc. anschaffen
ƒ Reihenfolge des Ein- und Auskleidens trainieren

ƒ Bietet der Schutzanzug auch für eine eventuelle notwendige Dekontami-


nation am Träger ausreichend Schutz?
Hier müssen unbedingt zwei wichtige Dinge beachtet werden. Der Schutz-
anzug muss für die durchzuführende Dekontamination die entsprechen-
de Dichtigkeitsstufe aufweisen, und die Chemikalienbarriere gegen die
Dekontaminationsmittel muss vorhanden sein.

Leitfaden Katastrophenmedizin 391


Anhang
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
22

Praxis-Tipp

Dekontamination und Abfall:


ƒ Dekontamination festlegen und trainieren
ƒ Schutz der Helfer festlegen
ƒ Abfallbehälter zur Verfügung stellen
ƒ Abfallbehälter korrekt kennzeichnen
ƒ Abfalltransport organisieren und Abgabestelle vorinformieren

ƒ Bietet der Lieferant ein Training für korrektes Ein- und Auskleiden an?
Ohne ein entsprechendes Training ist es für die Träger meist nicht möglich,
ihren Einsatz korrekt vorzubereiten und das Auskleiden so zu gestalten,
dass keine Kontamination des Anzugs auf ihre Haut oder Unterkleidung
gelangt.

Zuletzt sollte auch die Logistik für die Beschaffung eine Rolle spielen. Ein
Lieferant, der zwar einen guten Preis bietet, aber keine kontinuierliche Ver-
sorgung in den vorgegebenen Zeiten garantieren kann, sollte nicht in die
engere Wahl gezogen werden.

Zusammenfassung
Am Beispiel von Chemikalienschutzanzügen wurden die wesentlichen
Punkte für eine Selektion erläutert. Die genannten Regeln können sicherlich
auch auf andere PSA übertragen werden. Im Rahmen eines solchen Artikels
kann das leider nicht auf die gezeigte ausführliche Art dargestellt werden.
Eine erfolgte Selektion sollte immer mit den Trägern zusammen nochmals
überprüft werden. Übungen mit der selektierten PSA sind hier sehr sinnvoll.
Die sich daraus ergebenden Änderungen für das Anforderungsprofil sollten
festgehalten und für die finale Selektion beachtet werden.

Weiterführende Informationen
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Robert-
Koch-Institut (RKI), Hrsg. Biologische Gefahren: Handbuch zum Bevölke-
rungsschutz. Teil I und II. 3. Aufl. Bonn, Berlin: BBK, RKI; 2007.

PSA-Benutzerverordnung vom 4. Dezember 1996, BGBl. I, S. 1841. Online ver-


fügbar unter: http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/psa-bv/gesamt.pdf
[letzter Zugriff: 21.03.2010].

392 Leitfaden Katastrophenmedizin


Richtlinie 94/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. März

22
1994 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Geräte
und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosions-
gefährdeten Bereichen (ATEX-Direktive), Amtsblatt Nr. L 100 vom 19.04.1994,
S. 1–29. Online verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/
LexUriServ.do?uri=CELEX:31994L0009:DE:HTML [letzter Zugriff: 21.03.2010].

Technische Regeln für Betriebssicherheit, Vermeidung von Zündgefahren


infolge elektrostatischer Aufladungen (TRBS 2153), GMBl. Nr. 15/16 vom 9.
April 2009, S. 278. Online verfügbar unter: http://www.baua.de/nn_86930/
de/Themen-von-A-Z/Anlagen-und-Betriebssicherheit/TRBS/pdf/TRBS-2153.pdf
[letzter Zugriff: 21.03.2010].

Richtlinie 89/686/EWG des Europäischen Rates vom 21. Dezember 1989 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für persönliche
Schutzausrüstungen (Hersteller-Direktive EC/89/686), Amtsblatt Nr. L 399
vom 30.12.1989, S. 18–38. Online verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/
LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31989L0686:DE:HTML [letzter Zugriff:
21.03.2010].

Weiterhin bieten sowohl die „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-


medizin“ (www.baua.de/) sowie die „Deutsche Gesetzliche Unfallversiche-
rung“ (www.dguv.de) Informationen zu den genannten Themen.

Europäische Normen bzw. internationale Normen (ISO – Internationale Or-


ganisation für die Standardisierung) können gegen eine Gebühr vom Beuth-
Verlag bezogen werden.

Über Entwicklungen für den europäischen Bereich informiert CEN (Comité


Européen de Normalisation, Brüssel, www.cen.eu).

Verwendete Begriffe
ƒ ISO = Internationale Organisation für die Standardisierung, Sitz in Genf
ƒ CE = Conformité Européenne = europäisches Zeichen für die Handelsfrei-
gabe in Europa
ƒ CEN = Comité Européen de Normalisation = europäische Normenbehörde,
Sitz in Brüssel
ƒ FFP3 = FFP steht für „Filtering Face Piece“ – die 3 ist der Schutzlevel (es gibt
die Levels 1 bis 3, wobei der Level 3 die höchste Schutzstufe ist)
ƒ µg = mikro-Gramm oder 10 -6 Gramm

Leitfaden Katastrophenmedizin 393


Anhang
Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz

23
Richtlinie für Rettungs-, Sani-
23

täts- und Betreuungsaufgaben


im CBRN-Einsatz
J. Schreiber

Als Bestandteil der SKK-DV 500 „Einheiten im CBRN-Einsatz“ (2008) liegt


hiermit eine neue Handlungsgrundlage für die Durchführung von Fachauf-
gaben und das Zusammenwirken der Einsatzbeteiligten unter den besonde-
ren Bedingungen des Einsatzes in Verbindung mit chemischer, biologischer,
radiologischer und nuklearer (CBRN) Gefährdungen vor. Der Regelungsum-
fang wirkt entlang der Prozesskette der Verletztenversorgung bei CBRN-
Lagen von der Einsatzstelle bis in die Aufnahme Krankenhäuser hinein.

23.1 Aufbau und Zielsetzung der SKK-DV 500


Ziel dieser von der Ständigen Konferenz für Katastrophenvorsorge und Be-
völkerungsschutz (SKK) neu vorgelegten und zur Einführung empfohlenen
Dienstvorschrift ist es, auf Basis der jeweils gültigen Feuerwehr-Dienstvor-
schrift 500 (FwDV 500) weitere Fachaufgaben und das Zusammenwirken
der Beteiligten unter den besonderen Bedingungen eines CBRN-Einsatzes
zu regeln (s. Abb. 23-1). Darüber hinausgehend soll sie folgenden Zwecken
dienen:
ƒ bundesweit einheitliche Arbeitsgrundlage aller Leistungserbringer
ƒ Basis für die Entwicklung gemeinsamer Einsatzkonzeptionen
ƒ Rahmen für effiziente und aufeinander abgestimmte Ausstattung von
Einheiten
ƒ Ausbildungsgrundlage aller in die Prozesskette „CBRN-Gefahrenabwehr“
eingebundenen Einsatz- und Fachkräfte
ƒ Zusammenwirken und Vernetzen der Gefahrenabwehrkräfte und tangie-
render Leistungserbringer

Die SKK-DV 500 ist in 3 Kapitel mit unterschiedlichen Ausrichtungen geglie-


dert. Das erste Kapitel stellt die FwDV 500 in der jeweils geltenden Fassung
dar. Das ist deshalb wichtig, weil sie als Einsatz-Regelwerk bundesweit ein-
geführt ist und die Feuerwehren ihre Einsätze danach aufbauen. Weiterhin
sind in der FwDV 500 alle wesentlichen und grundsätzlichen Aussagen für
die Beherrschung des Gefahrenpotentials, zum Schutz der Einsatzkräfte, zur

394 Leitfaden Katastrophenmedizin


Strukturierung von Einsatzmaßnahmen der Feuerwehren sowie zur Organi-
sation von Leitungs- und Führungsaufgaben getroffen.
Das Kapitel 2 der SKK-DV 500 besteht aus den jeweiligen Richtlinien für die

23
Durchführung von Fachaufgaben im CBRN-Einsatz. Bereits fertiggestellt ist
die Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben für dieses
Einsatzfeld. Regelungen für weitere Fachaufgaben sind bereits in der Ent-
wicklung, so z. B. für die Dekontamination Verletzter, für die Vorbereitung
von Krankenhäusern auf die Versorgung von kontaminierten Patienten, für
Polizeimaßnahmen im CBRN-Einsatz oder für ärztliche Aufgaben im Konta-
minationsbereich wie die Durchführung der Dekontaminationssichtung.
In Kapitel 3 werden schließlich fachübergreifende Themen behandelt und
spezielle Einsatzregeln aufgenommen.
Derzeit arbeiten Experten der SKK-Projektgruppe „Besondere Gefahrenla-
gen/CBRN“ (SKK-PG9) beispielsweise an Regelungen zum Humanbiomoni-
toring und an Merkblättern zu speziellen Einsatzlagen.

Abb. 23-1 Integrale Wirkung der SKK-DV 500. (Grafik: J. Schreiber.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 395


Anhang
Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz

23.2 Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und


Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz
23

Neben der technischen Gefahrenabwehr müssen in CBRN-Einsätzen auch


Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben zur Versorgung Verletzter
und zur Betreuung nicht verletzter Betroffener sichergestellt werden. Diese
Aufgaben bringen besondere Gefahren auch für die Einsatzkräfte mit sich. Es
besteht das Risiko der Kontamination und Inkorporation. Darüber hinaus be-
steht die Gefahr einer Kontaminationsverschleppung, z. B. in weiterbehan-
delnde medizinische Einrichtungen und in alle Bereiche des öffentlichen
Lebens. Die Zuordnung von Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben zu
Einheiten oder Organisationen der Gefahrenabwehr obliegt den zuständigen
Behörden. Auf der Grundlage dieser Gegebenheiten und basierend auf dem
Rahmenkonzept zur Dekontamination Verletzter, erstellt von der gleichna-
migen Bund-Länder-Arbeitsgruppe in der Endfassung vom September 2006,
wurden Aufgabenbeschreibungen erarbeitet und zeitlich wie räumlich den
Strukturen der Einsatzstelle zugeordnet. Zur Vereinheitlichung des Sprach-
gebrauches mussten zunächst Begriffe für die Verwendung in der Richtlinie
wie folgt definiert werden.

23.2.1 Begriffe aus der FwDV 500 (Feuerwehr-


Dienstvorschrift 500)
Gefahrenbereich: Der Gefahrenbereich ist der Bereich, in dem ABC-Ge-
fahren für Leben, Gesundheit, Umwelt und Sachen erkennbar sind oder auf-
grund fachlicher Erfahrung vermutet werden.

Absperrbereich: Der Absperrbereich ist der unmittelbar an den Gefahren-


bereich angrenzende Teil der Einsatzstelle. Er ist Aufstellungs-, Bewegungs-
und Bereitstellungsfläche für Einsatzkräfte. Im Absperrbereich sind keine
Gefahren durch ABC-Gefahrstoffe erkennbar oder zu vermuten.

23.2.2 Begriffe der SKK-DV 500


Die folgenden Begriffe wurden für die Verwendung in dieser Richtlinie neu
definiert. Hierbei orientierte sich die Arbeitsgruppe an bereits normierten
Begrifflichkeiten, um dem Anwender der Richtlinie die Ableitung aus der
täglichen Arbeit und bestehenden Ausbildungskonzepten zu erleichtern.

Übergangszone: Die Übergangszone beinhaltet den Sammelpunkt und


die Patientenablage vor der Dekontamination sowie den Dekontaminati-
onsplatz. Sie ist der Raum, dem alle Einsatzstellenfunktionen zugeordnet

396 Leitfaden Katastrophenmedizin


werden, die den Übergang von Personen und Objekten in den Gefahren-
bereich hinein und aus dem Gefahrenbereich heraus vorbereiten und
sicherstellen. Sie befindet sich außerhalb der Wirkung der direkt vom

23
Schadensobjekt ausgehenden CBRN-Gefahren und bildet die Grenze zum
Absperrbereich. Auf Grund der Gefahr der Kontaminationsverschleppung
sind Schutzmaßnahmen erforderlich. Der Übergang in den Absperrbe-
reich erfolgt ausschließlich über den Dekontaminationsplatz. Die Über-
gangszone darf zum Schutz vor Kontamination durch Betroffene von den
Einsatzkräften nur mit Persönlicher Sonderausrüstung/Schutzausstattung
(PSA) betreten werden.

Patientenablage in der Übergangszone: Die Patientenablage (im Sinne


DIN 13050) in der Übergangszone ist eine Stelle vor der Dekontamination, an
der kontaminierte verletzte Personen gesammelt, soweit möglich erstver-
sorgt und betreut werden.

Behandlungsplatz: Der Behandlungsplatz (DIN 13050) befindet sich in ei-


nem Bereich, in dem keine Kontamination vorhanden ist. Hier werden Ver-
letzte nach der Dekontamination medizinisch behandelt.

Betreuungsplatz: Der Betreuungsplatz befindet sich in einem Bereich, in


dem keine Kontamination vorhanden ist. Auf dem Betreuungsplatz erfolgt
im Rahmen der Soforthilfe eine entsprechende Betreuung der nicht verletz-
ten Personen nach der Dekontamination und unter Umständen auch von
Angehörigen.

Dekontaminationssichtung (Dekon-Sichtung): Durch die Dekon-Sichtung


wird die Dringlichkeit der Behandlung vor dem Dekontaminationsprozess
festgelegt (Bund-Länder-Rahmenkonzept Dekontamination Verletzter 2006).
Das beinhaltet auch die Festlegung der Reihenfolge der Zuführung von Per-
sonen zur Dekontamination. Die Dekon-Sichtung wird in der Übergangszone
durchgeführt, idealerweise auf der Patientenablage. Die Dekon-Sichtung er-
setzt nicht die Sichtung gemäß DIN 13050.

Dekontamination Verletzter (Dekon-V): Die Dekon-V beinhaltet die Dekon-


tamination kontaminierter Verletzter, unabhängig von deren Gehfähigkeit.
Sie betrifft auch Einsatzkräfte, die ohne angemessene PSA den kontaminier-
ten Bereich betreten und eine Verletzung erlitten haben.

Medizinische Notfallmaßnahmen: Medizinische Notfallmaßnahmen,


die in der Übergangszone erfolgen, umfassen die medizinische Versorgung,
die bereits vor der Dekontamination unabweisbar ist (z. B. lebensrettende
Sofortmaßnahmen gemäß „basic life support“ [BLS], Antidotgabe). Die wei-

Leitfaden Katastrophenmedizin 397


Anhang
Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz

tere präklinische, medizinische Versorgung erfolgt nach der Dekontamina-


tion. In Ausnahmefällen (z. B. Anwendung eines Autoinjektors mit Antidot)
können medizinische Notfallmaßnahmen auch innerhalb der Wirkung der
23

direkt vom Schadensobjekt ausgehenden CBRN-Gefahren durchgeführt


werden.

23.2.3 Darstellung von Raumzonen


Ergänzend zu der FwDV 500 mit der farblichen Unterscheidung des „roten“
Gefahrenbereichs und des „grünen“ Absperrbereichs bot sich eine „gelbe“
Farbgebung für die Übergangszone an (s. Abb. 23-2 und Abb. 23-3). Vorteil-
haft bei dieser Kennzeichnung ist nicht nur das Ampelprinzip als einfaches
Lern- und Handlungsmodell, sondern auch die Warnwirkung der Farbe
Gelb, die dazu dient, auf das bestehende Gefährdungspotential durch Kon-
tamination und Kontaminationsverschleppung hinzuweisen. Wesentlich
in der Darstellung ist auch die räumliche Zuordnung der Übergangszone
zum Absperrbereich. So befindet sie sich außerhalb des Gefahrenberei-
ches, signalisiert aber deutlich, dass die Übergangszone nur mit der Lage
angemessenem Atemschutz und Körperschutz betreten werden darf und
ausnahmslos nur über den Dekontaminationsplatz verlassen werden darf.
Eine Versorgung der Übergangszone aus dem Absperrbereich ist sicherzu-
stellen.

Abb. 23-2 Darstellung von Raumzonen. (Aus SKK-DV 500 2008, S. 9.)

23.2.4 Aufgabenbeschreibung für Einsatzkräfte


Die Möglichkeit, Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-
Einsatz umzusetzen, ist abhängig von der Größe des Gefahrenbereiches, der
Dimensionen der Gefahren, die an der jeweiligen Einsatzstelle wirken, von
der Komplexität der erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vor Ort

398 Leitfaden Katastrophenmedizin


und der Qualifikation der Einsatzkräfte. Zur besseren Übersicht und auch zur
Darstellung einer Chronologie entsprechend der Versorgungsrichtung für
Verletzte wurden Einsatzmaßnahmen numerisch katalogisiert, beginnend

23
im Gefahrenbereich und endend mit der Behandlung im Absperrbereich
der Einsatzstelle. Dieses System ist auch auf die Aufnahme kontaminierter
Verletzter ins Krankenhaus anwendbar, bedarf dort aber möglichst einer
anderen Farbcodierung der Raumzonen, um nicht mit bestehenden MANV-
Vorplanungen zu kollidieren.
In der bewusst sehr allgemein gehaltenen Auflistung von Einsatzmaßnah-
men, vor allem im Gefahrenbereich und in der Übergangszone, ist dem Um-
stand Rechnung getragen, dass der Eigenschutz der Einsatzkräfte im Vorder-
grund steht.

Einsatzkräfte, die sich nicht adäquat geschützt im Gefahrenbereich oder


der Übergangszone der CBRN-Einsatzstelle aufhalten, deren Schutz-
austattung beschädigt wurde oder die aufgrund eines Eigenunfalls eine
Kontamination erlitten, werden selbst zu ihrem Schutz und zum Schutz
vor Kontaminationsverschleppung als Verletzte gewertet und in die Ver-
sorgungskette aufgenommen.

Auch muss im Vorfeld der folgenden Darstellung von Einsatzmaßnahmen


gesagt werden, dass diese zwar grundsätzlichen Raumzonen zugeordnet
sind (s. Abb. 23-3), aber möglicherweise auch im weiteren Verlauf der Versor-
gungskette fortgeführt werden müssen. Als Beispiel seien hier lebensretten-
de Sofortmaßnahmen genannt.

Einsatzmaßnahmen im Gefahrenbereich

1. Eigenschutz, Selbstschutz der Einsatzkräfte, z. B.


ƒ Handlungen gemäß Einsatzauftrag/Einsatz-Ablauf-Organisation
ƒ Regelgerechte Nutzung der Persönlichen Sonderausstattung (PSA)
ƒ Selbst- und Kameradenhilfe
2. Lebensrettende Sofortmaßnahmen
ƒ Notfallbehandlung als Transport-Voraussetzung aus dem Gefahren -
bereich
ƒ (z. B. Antidotgabe)
3. Retten, z.B.
ƒ Geleitung Betroffener/Verletzter in die Übergangszone
ƒ Transport Verletzter in die Übergangszone

Leitfaden Katastrophenmedizin 399


Anhang
Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz

Einsatzmaßnahmen in der Übergangszone

4. Einrichtung und Betrieb der Patientenablage, z. B.


23

ƒ (Erst-) Registrierung
5. Medizinische Notmaßnahmen,
auch:
ƒ Entkleidung Kontaminierter
ƒ Spot-Dekontamination
6. Dekon-Sichtung
7. Betreuung, z. B.
ƒ Information kontaminierter Personen und Verletzter über weitere
Maßnahmen
8. Dekon-Schutzmaßnahmen, z. B.
ƒ Inkorporationsschutz für kontaminierte Personen und Verletzte
(Augenschutz, Atemschutz)
9. Logistik, z. B.
ƒ Materialnachführung
ƒ Regelgerechter Umgang mit kontaminierter Kleidung
(Verpackung, Sicherung)
ƒ Probenahme, -asservierung, Probentransport organisieren
ƒ Regelgerechter Umgang mit kontaminiertem Abfall
10. Dekon-V (besondere Hinweise beachten), z. B.
ƒ Durchführungsanweisungen für die Dekontamination beachten
ƒ Unterstützung gehfähiger Verletzter bei der Dekontamination
ƒ Dekontamination liegender Verletzter
11. Transport nach Dekon, z. B.
ƒ Übergabe Verletzter an den Behandlungsplatz
ƒ Übergabe nicht verletzter Personen an den Betreuungsplatz
ƒ Informations- Dokumentationsweitergabe

Einsatzmaßnahmen im Absperrbereich

12. Behandlung/Betreuung außerhalb des Gefahrenbereiches, z. B.


ƒ Behandlungsplatz/Patientenablage gemäß Weisung des Notarztes/
Leitenden Notarztes (NA/LNA) betreiben
ƒ Krankenhausvorbereitung veranlassen
ƒ Transportmanagement
ƒ Betreuungsplatz/Betreuungsstelle betreiben
ƒ (Psychosoziale Notfallversorung [PSNV], klassische Betreuung, Er-
satzkleidung)
ƒ Entlassung, Beratung der dekontaminierten Personen
ƒ Dokumentation von CBRN-Expositionen

400 Leitfaden Katastrophenmedizin


23
Abb. 23-3 Einsatzmaßnahmen in der Raumzuordnung. (Aus SKK-DV 500
2008, S. 14.)

In der SKK-DV 500 aufgeführte Versorgungszeitgrenzen, in denen Rettungs-,


Sanitäts- und Betreuungsaufgaben in den jeweiligen Raumzonen abgeschlos-
sen sein sollten, können natürlich nur Zeitfenster beschreiben, in denen die
Versorgung Betroffener und Verletzter abgeschlossen sein sollte, um ihnen
wirksam helfen zu können. Natürlich müssen ggf. die Versorgungen auch
darüber hinausgehend durchgeführt werden. In der Übergangszone besteht
die wesentliche Aufgabe darin, so früh wie möglich die Betroffenen und Ver-
letzten der Oberbekleidung zu entledigen und diese zu sichern. Die Oberbe-
kleidung hat in der Regel die Kontamination erhalten, sodass durch das Ab-
legen und Sichern die Gefahr der Kontaminationsverschleppung erheblich
gemindert und eine weitere schädigende Wirkung auf die Körperoberfläche
der Betroffenen und Verletzten reduziert wird. Noch bevor die eigentliche
Dekontamination am Dekontaminationsplatz erfolgt, kann eine Spot-De-
kontamination z. B. von Wunden oder des Gesichtes zur Atemwegsicherung
notwendig werden. Bei einer Vielzahl Betroffener und Verletzter ist eine „De-
kon-Sichtung“ angezeigt, um 1. die Reihenfolge der Verletzten im Dekonta-
minationsdurchlauf festzulegen und 2. deren Versorgung bis zum Zeitpunkt
der Dekontamination sicherzustellen. Aufgrund der zu einem frühen Zeit-
punkt des Einsatzes nicht absehbaren Lageentwicklung sollte regelmäßig in
der Übergangszone vor dem Dekontaminationsplatz eine Patientenablage
eingerichtet werden. Zusätzlich sind alle logistischen Abläufe für das Funk-
tionieren der Einsatzstrukturen in der Übergangszone sicherzustellen. Am

Leitfaden Katastrophenmedizin 401


Anhang
Richtlinie für Rettungs-, Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz

Dekontaminationsplatz findet die eigentliche Dekontamination der Verletz-


ten und Betroffenen statt. Hier gilt es, gehfähige wie liegende Verletzte zu de-
kontaminieren, sie dabei angemessen zu versorgen oder bereits eingeleitete
23

Behandlungen fortzuführen und sie in den Absperrbereich zu übergeben.


Durch Übergabegespräche und Weitergabe von Dokumentationen muss die
präklinische medizinische und auch die Psychosoziale Notfallversorgung auf
der „sauberen Seite“ erleichtert werden. Nach der Dekontamination schließt
sich die im jeweiligen Einsatzbereich übliche Versorgung an.

Wegen der Besonderheit der CBRN-Lage ist bei der Nachsorge für Einsatz-
kräfte folgendes zu berücksichtigen:
ƒ psychologische Betreuung und Nachsorge, speziell für Einsatzkräfte
ƒ lageangemessene Post-Expositions-Prophylaxe (PEP)
ƒ Humanbiomonitoring (zukünftig dazu ein Merkblatt im Kapitel 3 der
SKK-DV 500)

Literatur

Ausschuss Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile


Verteidigung (AFKzV), Hrsg. Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 (FwDV 500),
Einheiten im ABC-Einsatz. Harislee: AFKzV; August 2004. Online verfügbar
unter: http://www.idf.nrw.de/service/downloads/pdf/fwdv500.pdf [letzter
Zugriff: 25.02.2010].

Norm DIN 13050:2009-02. Rettungswesen – Begriffe.

Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz (SKK),


Hrsg. SKK-Dienstvorschrift 500 (SKK-DV 500), Einheiten im CBRN-Einsatz. Köln:
SKK; 10.12.2008. Online verfügbar unter: http://www.katastrophenvorsorge.de/
pub/publications/Die%20SKK%20DV%20500.pdf [letzter Zugriff: 25.02.2010].

Zentrum Katastrophenmedizin im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und


Katastrophenhilfe (BBK), Hrsg. Rahmenkonzept zur Dekontamination ver-
letzter Personen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Bonn: Zentrum Katastro-
phenmedizin im BBK; 2006.

402 Leitfaden Katastrophenmedizin


24
Schwerbrandverletzte – Zentrale
Anlaufstelle für die Vermittlung

24
von Krankenhausbetten und
Liste der beteiligten Kranken-
häuser
(Quelle: Berufsfeuerwehr Hamburg)

Die Aufgaben der „Zentralen Anlaufstelle für die Vermittlung von Betten für
Schwerbrandverletzte“ (ZA-Schwerbrandverletzte) in der Bundesrepublik
Deutschland werden seit September 1999 von der Einsatzzentrale/Rettungs-
leitstelle der Feuerwehr Hamburg durchgeführt.

Aufgabe der ZA-Schwerbrandverletzte ist es, auf telefonische Anfrage die dem
Schadensort am nächsten gelegene, geeignete Einrichtung mit freien Kapazi-
täten und den dortigen Ansprechpartnern zu benennen. Die Einzelheiten des
Transports und der Aufnahme sind dann eigenverantwortlich zwischen den
beteiligten Rettungsleitstellen, Ärzten und Krankenhäusern zu regeln.

Die Krankenhäuser, die am Vermittlungsverfahren beteiligt sind, melden


der ZA-Schwerbrandverletzte umgehend alle Veränderungen der Bele-
gungssituation. Hervorzuheben ist, dass sich alle Krankenhäuser freiwillig
diesem zentralen Verfahren angeschlossen haben.

Bitte beachten

Die Liste der beteiligten Krankenhäuser wird laufend aktualisiert. Die


aktuelle Liste steht auch online als Druckversion zum Herunterladen zur
Verfügung (http://www.hamburg.de/feuerwehr).

Die Zentrale Anlaufstelle steht für die Vermittlung von Betten für Schwerbrand-
verletzte 24 Stunden am Tag und allen 7 Tagen der Woche zur Verfügung.
Telefon: +49 40 42851-3998
+49 40 42851-3999
Telefax: +49 40 42851-4269
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 403


Anhang
Schwerbrandverletzte – Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Krankenhausbetten
24

Krankenhausbetten für Schwerbrandverletzte Stand: 09.03.2010


Bundesland PLZ Ort Krankenhaus Betten Telefon
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Baden-Württemberg 72076 Tübingen Tübingen 2 Erw. 07071 / 606 - 0
Scharrenberger Straße 95
Universitätslinikum Mannheim
Baden-Württemberg 68167 Mannheim 2 Kinder 0621 / 383 - 0
Theodor-Kutzer-Ufer
Marienhospital Stuttgart
Baden-Württemberg 70199 Stuttgart 2 Erw. 0711 / 6489 - 0
Böheimstraße 37
Olgahospital - Pädiatrisches Zentrum der
Baden-Württemberg 70176 Stuttgart Landeshauptstadt Stuttgart 1 Kinder 0711 / 27804
Bismarckstraße 8
LMU Klinikum Innenstadt
Bayern 80337 München 2 Kinder 089 / 5160 - 0
Lindwurmstraße 4
Städtisches Krankenhaus Bogenhausen
Bayern 81925 München 8 Erw. 089 / 9270 - 0
Engelschalkingerstraße 77
Städtisches Krankenhaus Schwabing
Bayern 80804 München 6 Kinder 089 / 3068 - 1
Kölner Platz 1
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau
Bayern 82418 Murnau (Staffelsee) 4 Erw. 08841 / 48 - 0
Prof.-Küntscher-Straße 8
Klinikum Süd
Bayern 90471 Nürnberg 8 Erw. 0911 / 389 - 0
Breslauer Straße 201
Unfallkrankenhaus Marzahn 12 Erw.
Berlin 12683 Berlin 030 / 56 81 - 1
Warener Straße 7 oder Kinder
Berufsgenossenschaftliches
Hamburg 21033 Hamburg Unfallkrankenhaus Hamburg 6 Erw. 040 / 730 6-0
Bergedorfer Straße 10
Kinderkrankenhaus Wilhelmstift
Hamburg 22149 Hamburg 2 Kinder 040 / 67377 - 0
Liliencronstraße 130
Kinderkrankenhaus Park Schönfeld
Hessen 34121 Kassel 2 Kinder 0561 / 9285 - 0
Frankfurter Straße 167
Klinik Offenbach am Main GmbH
Hessen 63069 Offenbach (Main) 9 Erw. 069 / 8405 - 0
Starkenburgring 66
Kinderkrankenhaus auf der Bult
Niedersachsen 30173 Hannover 2 Kinder 0511 / 8115 - 0
Janusz-Korczak-Allee 12
Medizinische Hochschule Hannover
Niedersachsen 30625 Hannover 5 Erw. 0511 / 532 - 0
Carl-Neuberg-Straße 1
Universitätsklinikum Aachen
Nordrhein-Westfalen 52074 Aachen 6 Erw. 0241 / 80 - 36150
Pauwelsstraße 30
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Nordrhein-Westfalen 44789 Bochum Bergmannsheil 8 Erw. 0234 / 30 2-0
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
Universitätskinderklinik St. Joseph Hospital
Nordrhein-Westfalen 44791 Bochum Bochum 3 Kinder 0234 / 509 - 2630
Alexandrinenstraße 5
Städtische Kliniken Dortmund
Nordrhein-Westfalen 44145 Dortmund 4 Erw. 0231 / 953 - 0
Münsterstraße 240
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Nordrhein-Westfalen 47249 Duisburg Duisburg-Buchholz 6 Erw. 0203 / 76 88 - 1
Großenbaumer Allee 250
Klinikum Duisburg
Nordrhein-Westfalen 47055 Duisburg Wedau-Kliniken 3 Kinder 0203 / 733 - 0
Zu den Rehwiesen 9
Knappschaft Bergmannsheil und Kinderklinik
Nordrhein-Westfalen 45894 Gelsenkirchen Buer GmbH 4 Erw. 0209 / 5902 - 0
Scherner Weg 4
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Nordrhein-Westfalen 59063 Hamm Ev. Krankenhaus Hamm 2 Kinder 02381 / 5893060
Werler Straße 130
Städtisches Krankenhaus Köln
Nordrhein-Westfalen 50735 Köln 4 Kinder 0221 / 8907 - 0
Amsterdamer Straße 59
Klinikum Köln - Merheim
Nordrhein-Westfalen 51109 Köln 10 Erw. 0221 / 8907 - 0
Ostmerheimer Straße 200
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Rheinland-Pfalz 56072 Koblenz 3 Erw. 0261 / 281 - 1
Rübenacher Straße 170
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Rheinland-Pfalz 67071 Ludwigshafen (Rhein) Ludwigshafen 8 Erw. 0621 / 6810 - 0
Ludwig-Guttmann-Straße 13
Universitätsklinikum Mainz
Rheinland-Pfalz 55131 Mainz 2 Kinder 06131 / 17 - 1
Langenbeckstraße 1
Universitätsklinikum Dresden
Sachsen 1307 Dresden 2 Kinder 0351 / 458 - 0
Fetscherstraße 74
Städtisches Klinikum St.Georg
Sachsen 4129 Leipzig 6E 0341 / 909 - 0
Delitzscher Straße 141
Universitätsklinikum Leipzig
Sachsen 4317 Leipzig 2 Kinder 0341 / 97109
Oststraße 21 - 25
Berufsgenossenschaftliche Kliniken
Sachsen-Anhalt 6112 Halle (Saale) Bergmannstrost 8E 0345 / 132 - 60
Merseburger Straße 165
Universitätsklinikum Halle-Wittenberg
Sachsen-Anhalt 6120 Halle (Saale) 4 Kinder 0345 / 557 - 0
Ernst-Grube -Straße 40
St. Barbara Krankenhaus
Sachsen-Anhalt 6110 Halle (Saale) 2 Kinder 0345 / 213 - 30
Barbarastraße 2a - 5
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
4 Erw.
Schleswig-Holstein 23538 Lübeck Campus Lübeck 0451 / 500 - 0
2 Kinder
Ratzeburger Allee 160
HELIOS - Klinikum Erfurt
Thüringen 99089 Erfurt 2 Kinder 0361 / 781 - 6035
Nordhäuserstraße 74
Quelle: www.Feuerwehr.Hamburg.de

404 Leitfaden Katastrophenmedizin


25
Regionale Strahlenschutz-
zentren
(aus Kap. 12, Kirchinger)

25
Bei schweren Strahlenunfällen kann die Spezialstation für Strahlengeschädig-
te der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Ludwigshafen ( ) nach Ver-
mittlung durch die Regionalen Strahlenschutzzentren (RSZ) in Anspruch ge-
nommen werden (s. Abb. 25-1, Anschriften und Telefonnummern s. Tab. 25-1).

Stand: 2009

Abb. 25-1 Regionale Strahlenschutzzentren der Berufsgenossenschaften.


(Quelle: Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik. Hand-
buch für Regionale Strahlenschutzzentren. Köln: Institut für Strahlenschutz;
2005, update 2009.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 405


Anhang
Regionale Strahlenschutzzentren

Tab. 25-1 Regionale Strahlenschutzzentren der Berufsgenossenschaften.

Charité – Universitätsklinikum Berlin Telefon: 030 84 45-21 71


Campus Benjamin Franklin 030 84 45-0*
Institut für Nuklearmedizin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
25

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Telefon: 0351 4 58-22 26


der TU Dresden
Klinik für Nuklearmedizin
Fetscherstraße 74
01307 Dresden

Uniklinikum Greifswald Telefon: 03834 86-69 75


Klinik für Nuklearmedizin-Strahlentherapie 03834 86-62 63*
Fleischmannstraße 42/44
17487 Greifswald

Asklepios Klinik St. Georg Telefon: 040 18 18 85-37 07


Abt. für Nuklearmedizin 040 18 18 85-22 56*
Lohmühlenstraße 5 040 18 18 85-23 87
20099 Hamburg Rufbereitschaft: 040 18 18 85-22 56

Medizinische Hochschule Telefon: 0511 5 32-2020


Abt. Nuklearmedizin/Biophysik (Mo–Fr 6:00–22:00
Carl-Neuberg-Str. 1 0511 5 32-31 97)
30625 Hannover

Universitätskliniken des Saarlandes Telefon: 06841 16-2 22 01


Abt. für Nuklearmedizin 06841 16-2 33 05*
Gebäude 50
66421 Homburg/Saar

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Telefon: 02461 61-57 63


Nuklearmedizinische Klinik
Leo-Brandt-Straße
52428 Jülich

Forschungszentrum Karlsruhe Telefon: 07247 82-33 33


Medizinische Abteilung
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1
76344 Karlsruhe

Städtisches Klinikum München GmbH Telefon: 089 30 68-0


Krankenhaus München Schwabing (Mo–Fr 8:00–17:00
Institut für Medizinische Physik und 089 30 68-24 27)
Strahlenschutz
Kölner Platz 1
80804 München

406 Leitfaden Katastrophenmedizin


Helmholtz Zentrum München Telefon: 089 31 87-3 33
Deutsches Forschungszentrum für Ge -
sundheit und Umwelt GmbH
Institut für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstr. 1
85764 Neuherberg

Universität Würzburg Telefon: 0931 2 01-3 58 77

25
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Luitpold-Krankenhaus Bau 9
Josef-Schneider-Straße 2
97080 Würzburg

Stand: 03.02.2009
Die berufsgenossenschaftliche Klinik Ludwigshafen-Oggersheim sollte nur über die Vermittlung eines
RSZ genutzt werden.
* Außerhalb der üblichen Dienstzeit.

Bitte beachten

Das System der RSZ dient in erster Linie der Beratung und Versorgung von
Personen im Rahmen betrieblicher Strahlenunfälle und ist nicht primär
Teil der staatlichen Vorsorgemaßnahmen für den Katastrophenfall.

Leitfaden Katastrophenmedizin 407


Anhang
Massenanfall von Vergiftungen – wichtige Adressen, Telefonnummern und Ansprechpartner

26
Massenanfall von Vergiftungen –
wichtige Adressen, Telefon-
nummern und Ansprechpartner
(aus Kap. 13, Zilker, Felgenhauer, Spörri)
26

26.1 Antidotdepots
Baden-Württemberg
Oberleitstelle Baden-Württemberg
Bei Rettungsleitstelle Stuttgart
Mercedesstr. 33
70372 Stuttgart
Telefon: 0711 2 62 80 63
oder 0711 1 92 22
Telefax: 0711 50 66 74 09

Bayern
Gegengiftdepot des Bayerischen Staatsministeriums des Innern
an der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Str. 22
81675 München
Telefon: 089 1 92 40
oder 089 41 40-246 6
Telefax: 089 41 40-24 67
Transport über Rettungsleitstelle:
Telefon: 089 1 92 22 oder 112

Gegengiftdepot des Bayrischen Staatsministeriums des Innern


am Städtischen Klinikum Nürnberg
Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1
90419 Nürnberg
Telefon: 0911 3 98-24 51
Telefax: 0911 3 98-22 05
Transport über Rettungsleitstelle:
Telefon: 0911 1 92 22 oder 112

408 Leitfaden Katastrophenmedizin


Bremen
Antidotdepot Zentralkrankenhaus
Sankt-Jürgen-Str. 1
Anästhesiologie/Apotheke
28205 Bremen
Telefon: 0421 4 97-34 16
oder 0421 30 31 17 00 (Feuerwehr)

Rheinland-Pfalz

26
Gegengiftdepot der Universität Mainz
Langenfeldstr. 1
55131 Mainz
Telefon: 06131 1 92 40
oder 06131 23 24 66
Telefax: 06131 17 66 05
Transport mit Rettungsdienst:
Telefon: 06131 1 92 22
oder Feuerwehr:
Telefon: 112

Sachsen-Anhalt
Klinikum Magdeburg – Zentralapotheke
Birkenallee 34
39130 Magdeburg
Telefon 0391 7 91 38 00
Leitung: Dr. rer. nat. Stephan Kessner

Waisenhaus Apotheke
An der Waisenhausmauer 2
06108 Halle
Telefon: 0345 23 24 50
Leitung: Christel Friedrich

Thüringen
Helios Klinikum Erfurt
-Apotheke-
Nordhäuser Str. 74
99089 Erfurt
Telefon: 0361 781-0 (Zentrale)
0361 7 81-15 00 (Apotheke)

Leitfaden Katastrophenmedizin 409


Anhang
Massenanfall von Vergiftungen – wichtige Adressen, Telefonnummern und Ansprechpartner

Universitätsklinikum Jena
-Apotheke-
Erlanger Allee 101
07747 Jena
Telefon: 03641 93-2 12 20

Südkrankenhaus Nordhausen
-Apotheke-
Dr.-Robert-Kochstr. 39
26

00734 Nordhausen
Telefon: 03631 41-0
(Zentrale, mit dem diensthabenden Apotheker verbinden lassen)

SRH Zentralklinikum Suhl GmbH


-Apotheke-
Albert-Schweitzer-Str. 2
98527 Suhl
Telefon: 03681 35-59 00 (Apotheke)
03681 35-9 (Zentrale)
03681 35-55 12 (Notaufnahme)

Anmerkung
Diese Liste wurde nach eigenen Recherchen erstellt. Dabei wurden sämtli-
che Bundesländer angefragt. Nur ein Teil der Bundesländer hat auf die An-
frage reagiert.

410 Leitfaden Katastrophenmedizin


26.2 Apotheken
Grundsätzlich besteht folgende gesetzliche Regelung: Nach § 15 der Apothe-
kenbetriebsordnung (ApBetrO)1 ist jede Apotheke verpflichtet, Antidote zu
bevorraten. Zusätzlich haben sämtliche Landesapothekerkammern Notde-
pots angelegt, die über teure, kühl zu lagernde Medikamente, vorwiegend
Immunglobuline, verfügen. Diese Regelung ist zwar auf den individuellen
Notfall ausgerichtet, könnte aber beim Massenanfall unter günstigen Um-
ständen hilfreich sein.

26
Antidote, die von jeder Apotheke nach Anlage 3 (zu § 15 Abs. 1 Satz 2)
der Apothekenbetriebsordnung zu bevorraten sind:

1. Antidote gegen Intoxikationen und Überdosierungen mit


1.1 Opiaten
1.2 Cholinesterase-Hemmern
1.3 Cyanid
1.4 Methämoglobinbildnern
2. Emetika
3. Kortikoide, hochdosiert, zur Injektion
4. Mittel zur Behandlung von Rauchgasvergiftungen
5. Antischaummittel zur Behandlung von Tensid-Intoxikationen
6. Medizinische Kohle
7. Tetanus-Impfstoff
8. Tetanus-Hyperimmun-Globulin 250 I. E.
I. E. – Immunitätseinheit.

Notfalldepots der Landesapothekerkammern nach Anlage 4 (zu § 15 Abs. 2)


der Apothekenbetriebsordnung

1. Botulismus-Antitoxin vom Pferd*


2. Diphtherie-Antitoxin vom Pferd*
3. Hepatitis-B-Immunglobulin
4. Polyvalentes Immunglobulin
5. Prothrombinkonzentrat (PPSB)
6. Röteln-Immunglobulin
7. Schlangengift-Immunserum, polyvalent, Europa*
8. Tetanus-Immunglobulin 2 500 I. E.
9. Tollwut-Immunglobulin*
10. Tollwut-Impfstoff*
11. Varizella-Zoster-Immunglobulin

I. E. – Immunitätseinheit. * Ist nicht in allen Notfalldepots vorrätig.

1 Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I,
S. 1195), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 2. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2338).

Leitfaden Katastrophenmedizin 411


Anhang
Massenanfall von Vergiftungen – wichtige Adressen, Telefonnummern und Ansprechpartner

26.3 Giftinformationszentralen
in Deutschland

13437 BERLIN
Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen
Oranienburger Str. 285
13437 Berlin
Telefon: 030 1 92 40
26

Telefax: 030 3 06 86-7 21

53113 BONN
Informationszentrale gegen Vergiftungen des Landes NRW
Zentrum für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Bonn
Adenauerallee 119
Telefon: 0228 1 92 40
Telefax: 0228 287-3 32 78

99098 ERFURT
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
c/o Klinikum Erfurt
Nordhäuser Str. 74
Telefon: 0361 7 30-7 30
Telefax: 0361 7 30-73 17

79106 FREIBURG
Vergiftungs-Informations-Zentrale
Universitätskinderklinik Freiburg
Mathildenstr. 1
Telefon: 0761 19-2 40
Telefax: 0761 2 70-44 57

37075 GÖTTINGEN
Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg,
Niedersachsen und Schleswig Holstein
Georg-August-Universität Göttingen
Zentrum Pharmakologie u. Toxikologie
Robert-Koch-Str. 40
Telefon: 0551 1 92 40
Telefax: 0551 3 83 18 81

412 Leitfaden Katastrophenmedizin


66421 HOMBURG/Saar
Informations- und Behandlungszentrum für Vergiftungen
Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie
Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100, Gebäude 9
Telefon: 06841 19-2 40
Telefax: 06841 16-84 38

55131 MAINZ

26
Giftinformationszentrum der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen
Klinische Toxikologie
II. Med. Klinik und Poliklinik der Universität Mainz
Langenbeckstr. 1
Telefon: 06131 19-2 40
Telefax: 06131-23 24 68

81675 MÜNCHEN
Giftnotruf München
Toxikologische Abteilung der II. Med. Klinik
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Ismaninger Straße 22
Telefon: 089 19-2 40
Telefax: 089 4140-24 67

90419 NÜRNBERG
Toxikologische Intensivstation der II. Med. Klinik
Städtisches Klinikum
Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1
Telefon: 0911 398-24 51
Telefax: 0911 398-21 92

Leitfaden Katastrophenmedizin 413


Anhang
Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen

27
Gefahrensymbole und
Gefahrenbezeichnungen
(aus Kap. 13, Zilker, Felgenhauer, Spörri)

Zum Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen siehe


Kapitel 13.
27

Klasse 1: explosive Stoffe Klasse 2.3: giftige Gase Klasse 4.2:


selbstentzündliche feste Stoffe

Klasse 2.1: entzündbare Gase Klasse 3: Klasse 4.3: Stoffe, die mit Wasser
entzündbare Flüssigkeiten entzündliche Gase bilden

Klasse 2.2: Klasse 4.1:


nicht entzündbare Gase entzündbare feste Stoffe

Abb. 27-1 Gefahrzettel (Placards) mit Gefahrgutklassen.

414 Leitfaden Katastrophenmedizin


Klasse 5.1: Klasse 7: radioaktive Stoffe*
entzündend wirkende Stoffe

27
Klasse 5.2: organische Peroxide Klasse 8: ätzende Stoffe

Klasse 6.1: giftige Stoffe Klasse 9:


sonstige gefährliche Stoffe

Klasse 6.2:
ansteckungsgefährliche Stoffe

Fortsetzung Abb. 27-1 Gefahrzettel (Placards) mit Gefahrgutklassen.


* Zur Kennzeichnung radioaktiver Transportgüter siehe Kapitel 12.

Leitfaden Katastrophenmedizin 415


Anhang
Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen

E O

Explosionsgefährlich Brandfördernd

F+ F
27

Hochentzündlich Leicht entzündlich

T+ T Xn

Sehr giftig Giftig Gesundheitsschädlich

C Xi N

Ätzend Reizend Umweltgefährlich

Abb. 27-2 Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen


(noch erlaubt bis 2017).

416 Leitfaden Katastrophenmedizin


Explosionsgefährlich Entzündbar Entzündend, oxidierend

27
Gase unter Druck Korrosiv, ätzend Akut toxisch

Reizend, sensibilisierend, Gesundheitsgefährdend Gewässergefährdend


narkotisierend

Abb. 27-3 UN/GHS-Gefahrenpiktogramme (gültig seit 20.01.2009). UN/GHS –


Global harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Che-
mikalien der Vereinten Nationen. (Nach United Nations. Globally harmo-
nized system of classification and labelling of chemicals [GHS]. 2nd revised
edition. New York, Geneva: United Nations; 2007.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 417


28

28

Schweregradeinteilung von Vergiftungen


Anhang
418

Schweregradeinteilung von Vergiftungen


(aus Kap. 13, Zilker, Felgenhauer, Spörri)
Zum Management von Gefahrstoffunfällen und Massenvergiftungen siehe Kapitel 13.
Tab. 28-1 Poison Severity Score (PSS). (Nach Persson et al. 1998.)
OHNE LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3-
-0-
ORGAN-SYSTEM leichte von selbst abklingende Sym- deutliche oder länger anhaltende schwere oder
keine
Sympt. ptomatik Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik

Gastro - Erbrechen (gelegentlich) Erbrechen (anhaltend) massives Erbrechen


intestinaltrakt Durchfall (gelegentlich) Durchfall (anhaltend) Blutung
Schmerzen (gering) Schmerzen heftig oder anhaltend Perforation
Reizung (gering) Verätzungen I° an kritischen multilokuläre zweit- und drittgradige
geringe Ulceration im Mund (gefährlichen) Stellen Verätzungen
Verätzungen I° Verätzungen II° schwere Dysphagie
Endoskopie: Verätzungen III° auf wenige Stellen Endoskopie:
ƒ Rötung beschränkt ƒ transmurale Ulcerationen
ƒ Ödem Dysphagie ƒ Läsionen, die ganze Zirkumferenz
Endoskopie: betreffend
Leitfaden Katastrophenmedizin

ƒ transmuköse Ulcerationen ƒ Perforationen


Respirations- leichte Reizerscheinungen anhaltender Husten manifeste respiratorische Insuffizienz
trakt Husten (gering) Bronchospastik (auf Grund von z. B. schwerer Broncho -
Dyspnoe (gering) Dyspnoe spastik; Obstruktion der Atemwege,
Bronchospastik Stridor Glottisödem, Lungenödem, ARDS,
Thorax-Röntgen: Hypoxämie (Sauerstoff-pflichtig) Pneumonie, Pneumonitis, Pneumothorax)
ƒ pathologisch ohne oder nur mit Thorax-Röntgen: Thorax-Röntgen:
geringen klinischen Symptomen ƒ pathologisch mit deutlichen ƒ pathologisch mit schweren klinischen
klinischen Symptomen Symptomen
Leitfaden Katastrophenmedizin

OHNE LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3-


-0-
ORGAN-SYSTEM leichte von selbst abklingende Sym- deutliche oder länger anhaltende schwere oder
keine
Sympt. ptomatik Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik
Nervensystem Ataxie Koma mit gerichteten Reaktionen tiefes Koma ohne Reaktionen auf Schmerz
Somnolenz auf Schmerz bzw. ungezielte oder pathologische Reakti -
Benommenheit kurz anhaltende Apnoe, Bradypnoe on auf Schmerz
Schwindel Verwirrtheit, Agitiertheit Atemdepression mit Ateminsuffizienz
Ohrgeräusch Halluzinationen schwerste Agitiertheit
Unruhe Delir häufig generalisierte Krampfanfälle
leichte extrapyramidalmotorische deutliche extrapyramidalmotorische Status epilepticus
Symptomatik Symptomatik
leichte cholinerge/anticholinerge deutliche cholinerge/anticholinerge Opisthotonus
Symptomatik Symptomatik generalisierte Lähmungserscheinungen oder
regional begrenzte Lähmungser- Lähmungerscheinungen, wodurch vitale
scheinungen ohne Beeinträchti- Funktionen beeinträchtigt werden
leichte Störungen der Sehens bzw. gung vitaler Funktionen Blindheit und Taubheit
Hörens Störungen des Sehens bzw. Hörens
Kardiovaskuläres vereinzelte Extrasystolen Sinusbradykardie (40–50 min -1) ausgeprägte Sinusbradykardie ( < 40 min-1)
System leicht und kurz dauernde Hypo-/ Sinustachykardie (140–180 min -1) ausgeprägte Sinustachykardie (> 180 min-1)
Hypertonie gehäufte Extrasystolen lebenbedrohliche ventrikuläre Dysrhythmien
Vorhofflimmern/-flattern AV-Block III°
AV-Block I–II° Asystolie
verbreiteter QRS-Komplex Schock
verlängertes QT-Intervall hypertensive Krise
Repolarisationsstörungen Myokardinfarkt
(Ischämiezeichen)
Hypo-/Hypertonie
Örtliche lokale Schwellung regionale Schwellung, die ganzen stärkste Schwellung die gesamten
Reaktionen Juckreiz Extremitäten betreffend und auch Extremitäten und angrenzende Regionen
Schmerzen angrenzende Teile des Stammes umfassend
Schmerzen Schmerzen
Glottisödem oder Schwellung mit
419

Verlegung der Atemwege

28
28

Schweregradeinteilung von Vergiftungen


Anhang
420

OHNE LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3-


-0-
ORGAN-SYSTEM leichte von selbst abklingende Sym- deutliche oder länger anhaltende schwere oder
keine
Sympt. ptomatik Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik
Metabolische leichte Störungen des Säure-, Basen- Störungen im Säure-, Basen- und schwere Störungen im Säure-, Basen- und
Störungen und Wasserelektrolythaushaltes: Wasserelektrolythaushalt: Wasserelektrolythaushalt:
Azidose: HCO3- 15–20 mmol/l Azidose: HCO3- 10–14 mmol/l Azidose: HCO3- < 10 mmol/l
pH 7,25–7,32 pH 7,15–7,24 pH < 7,15
Alkalose: HCO3- 30,0–40,0 mmol/l Alkalose: HCO3- > 40 mmol/l Alkalose:
pH 7,50–7,59 pH 7,60–7,69 pH > 7,7
K+: 3,0–3,4 mmol/l K+: 2,5–2,9 mmol/l K+: < 2,5 mmol/l
5,2–5,9 mmol/l 6,0–6,9 mmol/l > 7,0 mmol/l
leichte Hypoglykämie: 50–70 mg/dl Hypoglykämie: 30–50 mg/dl schwere Hypoglykämie: < 30 g/dl
2,8–3,9 mmol/l 1,7–2,8 mmol/l < 1,7 mmol/l
kurze Hyperthermie länger andauernde Hyperthermie lebensbedrohliche Hyperthermie

Leber geringer Transaminasenanstieg Anstieg der Transaminasen auf 5- bis Transaminasenanstieg (> 50-Faches der
(GOT, GPT bis 2- bis 5-Faches der 50-Faches der Norm ohne Norm) oder biochemische Zeichen (NH3 ↑↑,
Norm) biochemische oder klinische Gerinnungsstörungen) oder klinische Zeichen
Zeichen für Leberversagen für Leberversagen

Niere geringgradige Proteinurie ausgeprägte Hämaturie Nierenversagen (Anurie und S-Kreatinin


Hämaturie Niereninsuffizienz (Oligurie bzw. Poly- > 500 µmol/l)
Leitfaden Katastrophenmedizin

urie und S-Kreatinin 200–500 µmol/l)

Blut leichte Hämolyse Hämolyse ausgeprägte Hämolyse


leichte Methämoglobinämie (10–30 %) Methämoglobinämie (30–50 %) schwere Methämoglobinämie ( > 50 %)
Anämie Gerinnungsstörung mit Blutung
Leukopenie schwere Leukopenie
Thrombozytopenie schwere Thromozytopenie
Gerinnungsstörung ohne Blutung schwere Anämie
Leitfaden Katastrophenmedizin

OHNE LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3-


-0-
ORGAN-SYSTEM leichte von selbst abklingende Sym- deutliche oder länger anhaltende schwere oder
keine
Sympt. ptomatik Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik
Muskelsystem Muskelverspannungen Schmerzen stärkste Schmerzen
leichter Muskelschmerz Rigor ausgeprägter Rigor
CPK 250–1500 IU/l Krämpfe schwerste Muskelkrämpfe oder
Faszikulieren Muskelfaszikulieren
Rhabdomyolysis Rhabdomyolysis mit Komplikationen
CPK 1500–10000 IU/l CPK >10000 IU/l
Kompartmentsyndrom

Hautreaktionen Reizerscheinungen Verätzungen II° bei 10–50 % der KOF Verätzungen II° > 50 % der KOF
Verätzungen I° (Rötung) (Kinder: 10–30 % d. KOF) (Kinder: > 30 % der KOF)
Verätzungen II° < 10 % der KOF Verätzungen III° < 2 % der KOF Verätzungen III° > 2% der KOF

Örtliche Reizung starke Reizung Hornhautulceration (größerflächig)


Reaktion am Rötung Hornhautabschilferung Perforation
Auge Tränen geringe punktartige Hornhautul - Dauerschaden
leichtes Lidödem ceration

ARDS – adult respiratory distress syndrom, akutes Atemnotsyndrom; AV-Block – atrioventrikulärer Block; GOT – Glutamat-Oxalacetat-Tran-
saminase; GPT – Glutamat-Pyruvat-Transaminase; NH3 – Ammoniak; CPK – Creatinphosphokinase; IU – international unit, internationale
Einheit; KOF – Körperoberfläche.

Quelle: Persson HE, Sjöberg GK, Haines JA, Pronczuk de Garbino J. Poison Severity Score. Grading of Acute Poisoning. J Toxicol Clin Toxicol 1998; 36 (3): 205–213.
421

28
Anhang
Meldeformulare zum Infektionsschutzgesetz (lfSG)

29
Meldeformulare zum
Infektionsschutzgesetz (IfSG)
(Quelle: Robert Koch-Institut, Abt. für Infektionsepidemiologie, Seesstr. 10,
13353 Berlin, www.rki.de, Stand 07.04.2010)

Zu Großschadenslagen durch biologische Agenzien siehe Kapitel 14.


Patient (Name, Vorname, Adresse): Geschlecht: weibl. männl.

Meldeformular - Vertraulich -

Meldepflichtige Krankheit gemäß §§ 6, 8, 9 IfSG


geb. am: Verdacht
1)
Telefon : Klinische Diagnose

Tod:
29

Todesdatum: .......................
1)
Telefonnummer bitte eintragen
Botulismus Paratyphus
Cholera Poliomyelitis
Als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung,
Für Nadeldrucker bitte den Vordruck 12.a.1/E (Verordnung häuslicher Krankenpflege) der KBV, für Laserdrucker nur Adressfeld verwenden

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) / vCJK außer wenn traumatisch bedingt


(außer familiär-hereditären Formen)
Pest
Diphtherie
Tollwut
Hämorrhagisches Fieber, virusbedingt
Tollwutexposition, mögliche (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 IfSG)
Hepatitis, akute virale; Typ 2): .............
Ikterus Typhus abdominalis
Oberbauchbeschwerden Tuberkulose
Lebertransaminasen, erhöhte Erkrankung/Tod an einer behandlungsbedürftigen
Fieber Tuberkulose, auch bei fehlendem
HUS (hämolytisch-urämisches bakteriologischem Nachweis
Syndrom, enteropathisch) Therapieabbruch/-verweigerung
Durchfall Mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung
Bauchschmerzen oder akute infektiöse Gastroenteritis
Erbrechen a) bei Personen, die eine Tätigkeit im Sinne des
Nierenfunktionsstörung § 42 Abs.1 IfSG im Lebensmittelbereich ausüben
Thrombozytopenie b) bei 2 oder mehr Erkrankungen mit wahrschein-
Anämie, hämolytische lichem oder vermutetem epidemiologischem
Masern Zusammenhang
Respiratorische Symptomatik Erreger 2): .................................................
Katarrh (wässriger Schnupfen) Gesundheitliche Schädigung nach Impfung
Konjunktivitis
(Zusätzliche Informationen werden über gesonderten Melde-
Kopliksche Flecken bogen erhoben, der beim Gesundheitsamt zu beziehen ist)
Fieber
Exanthem Bedrohliche andere Krankheit
Meningokokken-Meningitis/-Sepsis ................................................................
Fieber Häufung anderer Erkrankungen
Haut-/Schleimhautveränderungen/-läsionen (2 oder mehr Fälle mit wahrscheinlichem oder vermutetem
Hirndruckzeichen epidemiologischem Zusammenhang)
Meningeale Zeichen mit Gefährdung für die Allgemeinheit
Kreislaufversagen, rasch einsetzend Art der Erkrankung / Erreger 2):
Milzbrand ................................................................
2) falls bekannt
Epidemiologische Situation
Patient/in ist im medizinischen Bereich tätig
Patient/in ist im Lebensmittelbereich tätig nur bei akuter Gastroenteritis, akuter viraler Hepatitis, Typhus, Paratyphus, Cholera (§ 42 Abs. 1 IfSG)

Patient/in ist in Gemeinschaftseinrichtung tätig z.B. Schule, Kinderkrippe, Heim, sonst. Massenunterkünfte (§§ 34 und 36 Abs. 1 IfSG)

Patient/in wird betreut in Gemeinschaftseinrichtung für Kinder oder Jugendliche z.B. Schule, Kinderkrippe (§ 33 IfSG)

Patient/in ist in Krankenhaus / stationärer Pflegeeinrichtung seit: ..............................


Name/Ort der Einrichtung: ..................................................................................................................................
Patient/in war im Ausland von: .................. bis: .................. Land/Länder: .........................................................................................
Teil einer Erkrankungshäufung (2 oder mehr Erkrankungen, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang vermutet wird): Erregername, Ausbruchsort, vermutete Exposition, etc.:

.........................................................................................................................................................................................................
Es wurde ein Labor / eine Untersuchungsstelle mit der Erregerdiagnostik beauftragt 3)
Name/Ort des Labors: ...................................................................................................: Probenentnahme am: ....................................

unverzüglich zu melden an:


Meldende Person
Adresse des zuständigen Gesundheitsamtes: Erkrankungsdatum4): (Ärztin/Arzt, Praxis, Krankenhaus, Adresse, Telefonnr.):

...................................
Version 2005-09-19

Diagnosedatum4):

...................................

Datum der Meldung:

...................................
3)
Die Laborausschlusskennziffer 32006 umfasst Erkrankungen oder den Verdacht auf Erkrankungen, bei denen eine gesetzliche Meldepflicht besteht (§§ 6 und 7 IfSG).
4)
wenn genaues Datum nicht bekannt ist, bitte den wahrscheinlichen Zeitraum angeben.

Abb. 29-1 Meldeformular „Meldepflichtige Krankheit gem. §§ 6, 8, 9 IfSG“.

422 Leitfaden Katastrophenmedizin


Version 2, Stand 06.08.2007
LABOR-MELDEFORMULAR
Nachweise von Krankheitserregern gemäß §§ 7, 8, 9 IfSG
Bitte separates Meldeformular des Robert Koch-Instituts für Meldungen von HIV, Treponema pallidum, Echinococcus spp., Plasmodium spp.
sowie konnatale Rubellavirus- und Toxoplasma gondii-Infektionen nutzen

Vertraulich Meldendes Labor / Meldende Untersuchungsstelle


Gesundheitsamt ......................................................................................................................
Labor/Untersuchungsstelle

Straße ......................................................................................................................
Straße und Hausnummer

PLZ Ort ...................... .......................................................................................


PLZ Ort

....................................................................... ..........................................
Tel.: Fax: Meldende Person Telefon

E-Mail ................................................................... Datum: ....../........./........

29
Tag Monat Jahr

Patient/in
Name, Vorname: ...................................................................................................  Weiblich  Männlich Geburtsdatum: ..../......./.....
Tag Monat Jahr

Hauptwohnsitz: ................................................................................................... PLZ: ............ Ort: ..................................................................


Straße und Hausnummer

Derzeitiger Aufenthaltsort: ........................................................................... PLZ: ............ Ort: ...................................................................


(falls abweichend) Straße und Hausnummer

Labordiagnostischer Untersuchungsbefund
Krankheitserreger/Untersuchungsbefund: ..............................................................................................................................................................
(exakte Angaben zu Spezies, Serovar, Pathovar, Toxintyp etc., soweit durchgeführt)

Untersuchungsmaterial: .......................................................................................................... Eingangsdatum des Materials: ....../........./.......


(s. Hinweise zu Angaben zum Unter- (bei mehreren Materialien bitte Methoden mit angeben) Tag Monat Jahr
suchungsmaterial auf der Rückseite)

.................................................................................................................................................. Labornummer: ..................................................


Nachweismethode: Nur bei positivem Befund ankreuzen (Angaben nach § 9 Abs. 2 Nr. 7 IfSG zwingend erforderlich, s. Rückseite)
Serologischer Nachweis Direkter Erregernachweis
Einmalig deutlich Deutliche Änderung  Erregerisolierung (kulturell) / Virusisolierung
erhöhter Wert zwischen zwei Proben  Nukleinsäurenachweis (z.B. PCR)
IgM    Antigennachweis *
IgG   ............................................................................................................................................
IgA   * (z.B. HBs-Antigen, L.-pneumophila-Antigen)
Antikörpernachweis    Mikroskopischer Nachweis *
Andere/nähere Bezeichnung *   ............................................................................................................................................
............................................................................................................................ * (z.B. Trophozoiten von G. lamblia, gram-negative Diplokokken, Trichinella-Larven)
* (z.B. HBc-IgM-Antikörper, Chlamydiales-Antikörper, intrathekal gebildete FSME-spezifische Antikörper)  Elektronenmikroskopie
Zusatztest * .............................................................................................................  Zusatztest * ........................................................................................................................
* (z.B. Immunoblot, HBsAG-NT) * (z.B. HBV-Nukleinsäurenachweis bei HBV)

Toxinnachweis Histologischer Nachweis / histopathologischer Befund


 Toxinnachweis  Toxin-Gennachweis (z.B. PCR)  charakteristische Veränderungen
Virulenzfaktornachweis
Befund: .....................................................................................................................................
 eae  ipaH  andere ................................................

Einsendender Arzt bzw. einsendendes Interpretation des Befundes, evtl. zusätzliche


Krankenhaus Informationen
.......................................................................................................
Name der Einrichtunge ......................................................................................................................
........................................................................ ........................... ......................................................................................................................
Name der einsendenden Person Telefon

...................... ........................................................................ ......................................................................................................................


PLZ Ort

Abb. 29-2 Meldeformular „Nachweise von Krankheitserregern gem. 7, 8, 9


IfSG“.

Leitfaden Katastrophenmedizin 423


Anhang
Meldeformulare zum Infektionsschutzgesetz (lfSG)
29

Abb. 29-3 Übermittlug gem. § 12 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG).

424 Leitfaden Katastrophenmedizin


Zusatzbogen zur Übermittlung einer übertragbaren Krankheit
oder eines Ereignisses von internationaler Tragweite
gemäß § 12 Absatz 1 (IfSG)
unter Bezugnahme auf die Neufassung des § 12 IfSG nach dem Gesetz zu den
Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV)*
Dieser Bogen ist vorgesehen für weitere Informationen, die im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV) von
Relevanz sein können. Bei Auftreten eines Ereignisses von internationaler Tragweite hat das Gesundheitsamt der zuständigen
Landesbehörde und diese dem Robert Koch-Institut unverzüglich die weiteren folgenden Informationen zu übermitteln:
-Sonstige Informationen, die für die Bewertung der Tatsachen und für die Verhütung und Bekämpfung der
übertragbaren Krankheit von Bedeutung sind.
-Die getroffenen Maßnahmen

Vom Gesundheitsamt: ..................................................................................................................................... Ort: .......................................................................................................................................................................................


Ansprechpartner: ......................................................................................................................................................... Tel.: ..................................................................................Fax: .................................................................................
............................................................................................................................................................................................................................... E-Mail: ........................................................................ Mobil: ...........................................................................

Über zuständige Landesbehörde: .................................................................................................................................................................................................................................................................................................

29
Ansprechpartner: ......................................................................................................................................................... Tel.: ..................................................................................Fax: .................................................................................
............................................................................................................................................................................................................................... E-Mail: ........................................................................ Mobil: ...........................................................................

Identifikator: ............................................................................................................................................................................. ................................................................................................... ..................................................................................................


(JJJJ-MM-TT/Bundeslandkennziffer/ Aktenzeichen wie durch Gesundheitsamt vergeben, Beispiel: 2008-01-10/11/100456000583)

An Robert Koch-Institut, Fax: 030-18754 3535


Bitte Fax außerhalb der Dienstzeit immer telefonisch ankündigen: Tel.: 030-18754-0 (Infektionsepidemiologischen Rufdienst verlangen)

1. Sonstige Informationen, die für die Bewertung der Tatsachen und für die Verhütung und
Bekämpfung der übertragbaren Krankheit von Bedeutung sind:

Meldedatum / / [TT/MM/JJJJ]
Erkrankungsbeginn / / [TT/MM/JJJJ]
Symptome
Schwere des Krankheitsbildes
(u.a. Hospitalisation / Tod)
Indexpatient

Reiseanamnese / Infektionsland
Vermuteter Übertragungsweg / Vektor
Sonstiges
Zahl der Exponierten / Kontaktpersonen
Anzahl aller Krankheitsfälle bisher
Personen
Weitere

Anzahl aller Todesfälle bisher


Sonstiges

Weitergabe von Informationen an andere Behörden (welche) ................................................ ……


..............................................................................................................................................................................
..............................................................................................................................................................................

2. Getroffene Maßnahmen bisher:

Besondere Maßnahmen wurden bisher noch nicht durchgeführt


Falls Maßnahmen durchgeführt wurden, bitte zu Seite 2 gehen!

Stand 2008-07-10

Abb. 29-4 Zusatzbogen zur Übermittlung einer übertragbaren Krankheit


oder eines Ereignisses von internationaler Tragweite gem. § 12 Abs. 1 IfSG.

Leitfaden Katastrophenmedizin 425


Anhang
Meldeformulare zum Infektionsschutzgesetz (lfSG)

Maßnahmen in Bezug auf Personen und ihre Umgebung


Maßnahme geplant* begonnen* Für wie Ab wann
viele Pers. (TT/MM/JJJJ)
(Anzahl)
Hygienemaßnahme (Bitte hier erläutern, welche)…………………………
…………………………………………………………………………………..
Absonderungsmaßnahmen für Kranke/Krankheitsverdächtige
Quarantänemaßnahmen für Ansteckungsverdächtige
Ermittlung/Rückverfolgung von Kontaktpersonen
Befragung beteiligter Personen/von Kontaktpersonen
Ermittlung von sonstigen Infektionsquellen (Vehikel, Vektoren etc.
Erläuterung):………………………………………………………………......
Überprüfung des Impfschutzes
bitte auch angeben, ob beim Indexfall (I) oder bei Kontaktpersonen (K)
Postexpositionsmaßnahmen
bitte auch angeben, ob beim Indexfall (I) oder bei Kontaktpersonen (K)
29

Postexpositionelle Impfung
Postexpositionelle Prophylaxe mit (bitte benennen, welche)
………………………………………………………………………….
Riegelungsimpfung
Sicherstellung von Umweltproben
Sicherstellung von humanem Untersuchungsmaterial (bitte erläutern,
welches)………………………………………………………………….........
Feststellung von Reiserouten
Beseitigung/sichere Entsorgung verseuchter Stoffe
Wasserschutzmaßnahmen
Aussprechen von Tätigkeitsverboten i. S. von §§ 34, 42 IfSG und §31
i.V.m. §28
Andere Maßnahmen geplant/begonnen (bitte erläutern, welche):………………………………………………………………………..

Weitere Informationen/Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser


Maßnahmen:………………………………..................................................................................................................
Maßnahmen in Bezug auf Fracht, Güter, Gepäck, Beförderungsmittel etc.
Maßnahme geplant* begonnen* Für wie Ab wann
viele Pers. (TT/MM/JJJJ)
(Anzahl)

Ab-, Weiter- oder Einreise verweigert


Ladeliste und Route überprüft
Absonderung vorgenommen
Desinfektion, Entrattung, Befreiung von Insekten, Entseuchung von
Gütern
Beschlagnahme oder Vernichtung infizierter oder verseuchter Güter
Andere Maßnahmen geplant/begonnen (bitte erläutern, welche):………………………………………………………………………..

Weitere Informationen/Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser


Maßnahmen:………………………………..................................................................................................................
Weitergabe von Informationen/Kommunikation
Maßnahme geplant* begonnen* Ab wann (TT/MM/JJJJ)

Pressemitteilung (Zeitung, Radio, Fernsehen)


Pressekonferenz
Andere Maßnahmen geplant/begonnen (bitte erläutern, welche):………………………………………………………………………..
*bitte im Feld erläutern, von wem: Gesundheitsamt (GA)/Landesstelle (LS)/sonstige Institution (Sonst.)
Stand 2008-07-10

Fortsetzung Abb. 29-4 Zusatzbogen zur Übermittlung einer übertragbaren


Krankheit oder eines Ereignisses von internationaler Tragweite gem. § 12
Abs. 1 IfSG.

426 Leitfaden Katastrophenmedizin


30
Notfallmanagement der
Krankenhausapotheke
H. Jähngen

30.1 Leistungsfähigkeit der Krankenhaus-


apotheke
Die Krankenhausapotheken und auch die Krankenhausversorgenden Öf-
fentlichen Apotheken sind qualifizierte Partner für eine bestmögliche Be-
wältigung der erhöhten medizinischen und pharmazeutisch-logistischen
Anforderungen beim Massenanfall von Verletzen, Patienten, Infizierten oder
Exponierten bei Großschadensereignissen und Katastrophen.

30
Die wesentlichsten Herausforderungen für die dann notwendige zügige
pharmazeutische Versorgung bestehen vor allem darin, die erforderlichen
Arzneimittel und Medizinprodukte in der benötigten Art und in der nicht zu
unterschätzenden Bedarfsmenge zur Verfügung zu stellen. Die Krankenhaus-
apotheken bevorraten entsprechend der Apothekenbetriebsordnung Arznei-
mittel und Medizinprodukte, Medizinische Gase, Verbandstoffe und In-vitro-
Diagnostika, die sowohl für die akut- und intensivmedizinische Therapie als
auch für die allgemeine stationäre Versorgung einsetzbar sind. Die Vorteile ei-
ner zielgerichteten Integration des Pharmazeutischen Notfallmanagements
der Krankenhausapotheke in den Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz lie-
gen in der räumlichen Nähe der Krankenhausapotheke zur klinischen Versor-
gung, ihrer Ausstattung an Betriebsmitteln und in den spezifischen Fachkom-
petenzen des Personals begründet.
Die Krankenhausapotheken verfügen darüber hinaus über ein tragfähiges
und gut funktionierendes Netzwerk, das besonders bei außergewöhnlichen
Schadenslagen für die pharmazeutische Versorgung der Notfall-Patienten
von hohem Nutzen ist.

Voraussetzung für eine optimale situationsangepasste Organisation des Apo-


thekenbetriebs bei der Bewältigung von Großschadensereignissen und Kata-
strophen sind der frühzeitige und umfassende Erhalt von folgenden Informa-
tionen:
ƒ Art und aktuelles bzw. voraussichtliches Ausmaß der Großschadensla-
ge / der Katastrophe
ƒ Störungen der öffentlichen Infrastruktur
ƒ Anzahl der erwarteten Verletzten/Patienten und deren Schadensmuster

Leitfaden Katastrophenmedizin 427


Anhang
Notfallmanagement der Krankenhausapotheke

ƒ Gefährdungsbeurteilung/Risikoanalyse für das Krankenhaus/die Kran-


kenhausapotheke

Bei Eintritt eines Großschadensereignisses oder eines Katastrophenfalles


kommt es meist zwangsläufig auf Grund des zeitlichen Drucks, des Informa-
tionsmangels, nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Personals und
akuter logistischer Probleme zu einer „Chaosphase“. Um diese Zeitspanne
möglichst kurz zu halten, sind neben der immer notwendigen Improvisati-
onskunst der Mitarbeiter klare Strukturen und Automatismen für die dann
erforderlichen Arbeitsabläufe unabdingbar, die durch die vorbereitende
Erarbeitung von Handlungsanweisungen (SOP’s), Checklisten und Formblät-
tern geschaffen werden.

30.2 Vorbereitende Maßnahmen in der


Krankenhausapotheke
30

ƒ Zusammenstellung eines Notfallordners


ƒ Bereitstellung erforderlicher Kommunikationsmittel
ƒ Pharmazeutische Bedarfsermittlung
ƒ Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
ƒ Aus- und Weiterbildung des pharmazeutischen Personals
ƒ Kooperationen der Krankenhausapotheke

30.3 Management der Krankenhaus-


apotheke bei eingetretenen
Großschadensereignissen und
Katastrophenfällen

ƒ Organisation des Apothekenbetriebs


ƒ Mitarbeit im Krisenstab des Krankenhauses
ƒ Bedarfsermittlung
ƒ Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten
ƒ Transport der Arzneimittel und Medizinprodukte
ƒ Beschaffung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
ƒ Arzneimittelherstellung

428 Leitfaden Katastrophenmedizin


31
ABC-Selbsthilfe-Set
M. Müller, K. Schmiechen

31.1 Einleitung
Das neue ABC-Selbsthilfe-Set ist für alle Einsatzkräfte im Zivilschutz vorge-
sehen. Es dient der Eigen- und Kameradenhilfe bei Kontakt mit ABC-Stoffen
(atomaren, biologischen, chemischen Stoffen) und ist somit als „Erste-Hilfe-
Set“ für Einsatzkräfte im ABC-Einsatz gedacht. Es soll die Einsatzkraft u. a. in
die Lage versetzen, in geringem, aber dennoch wirksamen Umfang eine erste
Eigendekontamination durchzuführen, kleinere Wunden abzudecken und
gegebenenfalls ein Gegenmittel (Antidot) zu verabreichen. Das Set kommt
im Sinne der Selbsthilfe zum Einsatz, wenn es zu einer Schadstoffexposition
des Helfers vor dem Anlegen der Persönlichen Schutzausrüstung gekommen
ist. Ferner findet das Set Verwendung, wenn der Helfer trotz korrekt ange-
legter Schutzkleidung, etwa bei Beschädigung oder Verrutschen des Anzugs

31
während des Einsatzes, kontaminiert wurde.

Es darf nicht als Ersatz für eine lageangemessene Einsatz-Ablauforganisa-


tion (wie z. B. die Raumaufteilung in Gefahren- und Versorgungsbereich,
den Einsatz der Helfer entsprechend ihrer Kompetenzen, die Beteiligung
von Fachdiensten) oder die korrekte Verwendung einer notwendigen Per-
sönlichen Schutzausrüstung gebraucht werden. Vielmehr handelt es sich
um eine Ergänzung für den Fall, dass die Schutzausrüstung versagen sollte.
Die Nutzung des Sets ist somit nur eine von vielen Maßnahmen zur Durch-
führung eines ABC-Einsatzes. Das Set soll des Weiteren im Sinne der Kame-
radenhilfe zum Einsatz kommen, wenn Einsatzkräfte sich während ihrer
Arbeit im Gefahrenbereich kontaminieren oder verletzen und nicht mehr in
der Lage sind, sich selbst zu helfen. In dieser Situation können Kollegen das
Selbsthilfe-Set des betroffenen Helfers zu seiner Not-Dekontamination und
Erstversorgung nutzen.

Das Set ist Bestandteil der ABC-Schutzausstattung des Bundes und soll in der
dafür vorgesehenen Tragetasche von der Einsatzkraft mit angelegter Per-
sönlicher Schutzausrüstung im Einsatz mitgeführt werden (Inhalt des ABC-
Selbsthilfe-Sets s. Tab. 31-1). Jedem Set liegt eine Taschenkarte mit einer Kurz-
anleitung bei (s. Abb. 31-1).

Leitfaden Katastrophenmedizin 429


Anhang
ABC-Selbsthilfe-Set

Tab. 31-1 ABC-Selbsthilfe-Set – Zusammensetzung und Anwendung.

Name, Inhalt Funktion Zweck Anwendung

ABC Dräger ORSA ®


Diffusions- Probenahme Sammler in
1 Sammler + Clip sammler der Umge - Brusthöhe an Per-
+ Dose bungsluft sönliche Schutz-
ausrüstung (PSA)
heften; nach dem
Einsatz Sammler in
Dose verschließen
Analytik
C Reactive Skin Dekontaminati - zur Inakti - auf Kontamination
Decontamination onsmittel vierung und auftragen, mit
Lotion (RSDL) Entfernung von sauberem Tuch
3 Schwämme Chemikalien abnehmen
B Sterillium® Desinfektions- zur Desinfektion 2 Minuten
Virugard mittel bei biologischer einreiben
1 Flasche Kontamination
A Sanalind® Reinigungs- zur Entfernung auftragen, verrei -
Waschlotion lösung von Partikeln ben, evtl. mit Tuch
3 Ampullen oder Flüssig- abwischen
keiten, zur
Reinigung der
Haut
31

ABC Wero-Augenspül - Augenspülung zur Spülung Flasche öffnen,


flasche® A7 der Augen nach im Augenwinkel
1 Spülflasche Kontamination; ansetzen, spülen;
zur Nachreini - unverletztes Auge
gung der Haut schützen
C ATOX II Antidot bei Organo - beim Auftreten
ComboPen® phosphat-Ver- erster Symptome:
(= 2 mg Atropin- giftungen Injektionen im
sulfat sowie Abstand von 10
220 mg Minuten (bis Symp -
Obidoximchlorid) tome abklingen)
3 Autoinjektoren
Gotha-POR® steril Wund - zur Wund-Erst-
5 Pflaster abdeckung versorgung
GM/T 4688 Reparatur-Tape Behelfsrepara- von Hand abreißen,
Klebeband tur von Schäden aufkleben
1 Rolle an der PSA
Vala® Clean extra Reinigungshilfe zum Aufsaugen
10 Tücher von Flüssig-
keiten, zur
Reinigung
Kurz-Dokumen - Dokumentation Einsatzdaten ausfüllen, in Beutel
tation als Begleit- verschließen,
1 Karte + Stift + schein zum mit Tape dicht
Folientasche ORSA zukleben

Hinweis: Die Verwendungsfristen der Hersteller für die jeweiligen Kompo -


nenten sind zwingend zu beachten.

430 Leitfaden Katastrophenmedizin


31

max. 3 Injektionen ComboPen® im Abstand


von je 10 Min

Abb. 31-1 Taschenkarte ABC-Set. (Aus Müller und Schmiechen 2009, S. 149.)

Leitfaden Katastrophenmedizin 431


Anhang
ABC-Selbsthilfe-Set
31

Fortsetzung Abb. 31-1 Taschenkarte ABC-Set. (Aus Müller und Schmiechen


2009, S. 149.)

432 Leitfaden Katastrophenmedizin


31.2 Not-Dekontamination
Für die Durchführung der Not-Dekontamination (kurz: Not-Dekon) nach
einer Kontamination ist es wichtig, die Beschaffenheit des ausgebrachten
Schadstoffs zu kennen, soweit das in der jeweiligen Situation möglich ist.
Denn radioaktive Substanzen (A), biologische Agenzien (B) und Chemikali-
en (C) erfordern unterschiedliche Maßnahmen zu ihrer Inaktivierung bzw.
Entfernung.

31.2.1 Not-Dekon bei unbekannter Kontamination


Ist dem Helfer die Art der Kontamination, also mindestens die Gefährdungs-
klasse A, B oder C, nicht genau bekannt, muss er verschiedene Dekontami-
nationsmaßnahmen sinnvoll miteinander kombinieren, um ein möglichst
großes Spektrum an Kontaminanten unschädlich machen zu können. Er soll
nach folgendem Schema (s. Abb. 31-2) bei sich selbst eine Not-Dekon durch-
führen.

31

Abb. 31-2 Not-Dekon bei unbekannter Kontamination. (Aus Müller und


Schmiechen 2009, S. 126.)

Zuerst werden anhaftende Flüssigkeiten mit Einmaltüchern aufgesaugt bzw.


durch Tupfen von der Haut entfernt. Dann (C) entnimmt der Helfer den RSDL-
Schwamm aus dem Folienpack und trägt mit ihm die Lotion (RSDL – Reactive
Skin Decontamination Lotion) auf die kontaminierte Hautstelle auf. Mit ei-
nem Einmaltuch entfernt er die Lotion wieder, möglichst ohne durch Reiben
das Eindringen der Kontaminanten zu fördern und die Haut weiter zu reizen.
Daraufhin (B) benetzt der Helfer die exponierten Hautstellen großzügig mit
Desinfektionsmittel, tränkt zusätzlich ein Einmaltuch und verreibt es damit.
Die Einwirkzeit von 2 Minuten muss eingehalten werden. Anschließend (A)

Leitfaden Katastrophenmedizin 433


Anhang
ABC-Selbsthilfe-Set

wird die Reinigungslösung aufgetragen, um Flüssigkeitsreste oder Feststoffe


abzulösen. Die Lösung wird mit einem neuen Einmaltuch wieder abgenom-
men. Der Vorgang ist gegebenenfalls mehrfach zu wiederholen, soweit der
Vorrat an Hilfsmitteln reicht. (Merkhilfe für die Reihenfolge: C B A) Bei
Bedarf kann die Augenspüllösung nach erfolgter Not-Dekon überall auf der
Haut zum Nachspülen verwendet werden. Im Anschluss an die Not-Dekon
muss der Helfer die regulären Dekontaminations- und Versorgungsmaß-
nahmen durchlaufen.

Augen: Die Augen dürfen – unabhängig von der Art des Gefahrstoffs, mit
dem sie in Kontakt gekommen sind – nur mit der Augenspülung gereinigt
werden! Alle anderen Komponenten des Sets sind nicht zur Augenspülung
geeignet. Bei der Spülung ist zu beachten, dass die Spüllösung nach außen
abfließen soll, um das andere Auge und saubere Hautpartien nicht erneut zu
kontaminieren.

Bitte beachten
31

Für Helfer ohne Persönliche Schutzausrüstung gilt: Sofort nach Verlassen


des Schwarzbereichs kann der größte Teil der Kontamination entfernt
werden, indem man die kontaminierte Kleidung ablegt. Der Helfer be -
gibt sich zum Dekonplatz und lässt sich beim Entkleiden von den Einsatz-
kräften der Dekon-Einheiten unterstützen. Kontaminationsverschlep -
pung ist hierbei zu vermeiden

31.2.2 Not-Dekon bei bekannter Kontamination


Ist dem Helfer die Art der Kontamination oder sogar die Substanz bekannt,
kann er direkt die geeigneten Dekontaminationsmaßnahmen nach folgen-
dem Schema (s. Abb. 31-3) anwenden:

Abb. 31-3 Not-Dekon bei bekannter Kontamination. (Aus Müller und Schmie-
chen 2009, S. 128.)

434 Leitfaden Katastrophenmedizin


A: Radioaktiv kontaminierte Stäube oder Flüssigkeiten müssen so schnell
wie möglich entfernt werden. Dazu dienen die Reinigungslösung und die
Tücher: Flüssigkeiten werden erst, soweit möglich, mit einem Einmaltuch
abgetupft. Dann wird die Reinigungslösung aufgetragen, um Flüssigkeits-
reste oder Feststoffe abzulösen. Die Lösung wird mit einem neuen Einmal-
tuch wieder abgenommen. Der Vorgang ist ggf. mehrfach zu wiederholen.
Die dekontaminierte Stelle kann im Anschluss mit der Augenspülung nach-
gespült werden. Danach muss der Helfer die reguläre Dekontamination und
Versorgung durchlaufen.

B: Bei biologischer Kontamination bzw. Infektionsgefahr wird das Desinfek-


tionsmittel angewendet. Dazu benetzt der Helfer die kontaminierten Haut-
stellen großzügig mit Desinfektionsmittel, tränkt zusätzlich ein Einmaltuch
und verreibt es damit. Die Einwirkzeit von 2 Minuten muss eingehalten wer-
den. Der Helfer kann dann mit der Augenspüllösung nachspülen. Im An-
schluss daran muss er die regulären Dekontaminations- und Versorgungs-
maßnahmen durchlaufen.

C: Chemikalien werden mit RSDL größtenteils inaktiviert und entfernt. Dazu

31
entnimmt der Helfer den Schwamm aus dem Folienpack und trägt damit die
im Pack enthaltene Lotion auf die kontaminierte Hautstelle auf. Mit einem
Einmaltuch entfernt er die Lotion wieder, möglichst ohne durch Reiben das
Eindringen der Kontaminanten zu fördern und die Haut weiter zu reizen.
Anschließend kann er Lotionsreste mit der Reinigungslösung bzw. der Au-
genspüllösung abspülen. Im Anschluss daran muss der Helfer die regulären
Dekontaminations- und Versorgungsmaßnahmen durchlaufen.

Augen: Die Augen dürfen – unabhängig von der Art des Schadstoffs, mit dem
sie in Kontakt gekommen sind – nur mit der Augenspülung gereinigt werden!
Hierbei ist zu beachten, dass die Spüllösung nach außen abfließen soll, um
das andere Auge und saubere Hautpartien nicht erneut zu kontaminieren.

31.3 Lagerung und Entsorgung


Das Selbsthilfe-Set ist trocken und lichtgeschützt bei Raumtemperatur zu
lagern. Die Herstellerangaben zu den Verwendungsfristen der einzelnen
Komponenten sind zu beachten.

Grundsätzlich müssen alle Gegenstände, die in den Gefahrenbereich einge-


bracht wurden, als kontaminiert betrachtet werden. Daher muss der Helfer
das Selbsthilfe-Set bei Verlassen des Gefahrenbereichs (zusammen mit wei-
teren Ausrüstungsgegenständen) vor der persönlichen Dekontamination

Leitfaden Katastrophenmedizin 435


Anhang
ABC-Selbsthilfe-Set

abgeben, um eine Kontaminationsverschleppung zu verhindern. Die Mas-


kentasche ist der Geräte-Dekontamination zuzuführen.

Bitte beachten

Innerhalb des Gefahrenbereichs benutzte Selbsthilfe-Komponenten


und Verpackungsmaterialien darf der Helfer nicht wieder in die Tasche
stecken, sondern muss sie dort liegen lassen. Nach Beendigung des Ein -
satzes werden sie im Zuge der Einsatzort-Sanierungsarbeiten entsorgt.

Literatur

Müller M, Schmiechen K. Entwicklung eines zeitgemäßen ABC-Selbsthilfe-


Sets für den Katastrophenschutz. Bonn: Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK); 2009. (BBK, Hrsg. Forschung im Bevölkerungs-
schutz, Band 10.)
31

436 Leitfaden Katastrophenmedizin


32
Statistiken/Übersichten
Anhang 32 a

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Münchner Rückversicherungs-


Gesellschaft, D-80791 München, Telefon +49 89-38910, Fax +49 89-399056,
E-Mail: [email protected], Internet: http://www.munichre.com.

32

Leitfaden Katastrophenmedizin 437


Anhang
Statistiken/Übersichten
32

438 Leitfaden Katastrophenmedizin


Anhang 32 b

Natur- und Man-made-Katastrophen im Jahr 2009


Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Schweizer Rückversicherungs-
Gesellschaft AG, Economic Research & Consulting, Mythenquai 50/60,
CH-8022 Zürich, Telefon +41 43 285-5406, Fax +41 43 282-5406,
Internet: http://www.swissre.com.

32

Leitfaden Katastrophenmedizin 439


Anhang
Statistiken/Übersichten
32

440 Leitfaden Katastrophenmedizin


32

Leitfaden Katastrophenmedizin 441


Anhang
Statistiken/Übersichten
32

442 Leitfaden Katastrophenmedizin


32

Leitfaden Katastrophenmedizin 443


Anhang
Auszüge aus dem Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr

33
Auszüge aus dem Handbuch
für sanitätsdienstliche Hilfe-
leistungen der Bundeswehr
bei Naturkatastrophen,
besonders schweren Unglücks-
fällen und im Rahmen der
dringenden Nothilfe
Stand: Oktober 2009

Komplettes Handbuch – siehe beigefügte CD-ROM.

Mit freundlicher Genehmigung des Sanitätsführungskommando G3.2.4


ZMZ Res, Andernacher Strasse 100, 56070 Koblenz.
Telefon +49 261 896-1383
33

444 Leitfaden Katastrophenmedizin


Handbuch
für
sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr bei
Naturkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen
und im Rahmen der dringenden Nothilfe

33

Stand: Oktober 2009

Leitfaden Katastrophenmedizin 445


Anhang
Auszüge aus dem Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr

Sanitätsführungskommando 56070 Koblenz, 06.11.2009


Befehlshaber Andernacher Str. 100
Az 13 - 29 FspNBw: 4400 - 1000
Tel: (0261) 896 - 1000
Fax: - 1009

Verschiedenste Großschadensereignisse haben in den vergangenen Jahren gezeigt,


dass auch die Bundeswehr auf die Bewältigung solcher Ereignisse vorbereitet sein
muss. Alle mit Katastrophenschutz beauftragten Dienststellen und Einrichtungen sind
dabei auf gegenseitige Unterstützung angewiesen.

Die Herausgabe von neuen Erlassen, Teilkonzeptionen, Handbüchern und


Grundsatzweisungen erfordert in regelmäßigen Abständen eine Aktualisierung des
Handbuches für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr bei
Naturkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen und im Rahmen der
dringenden Nothilfe, zuletzt in der Fassung aus dem Jahr 2007.
33

Dieses Handbuch soll Hilfestellung bei der sanitätsdienstlichen zivil-militärischen


Zusammenarbeit geben. Es ist kein Ersatz für Dienstvorschriften, zeigt aber den
militärischen Kommandobehörden und dem fachdienstlich nachgeordneten Bereich
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sowie den zivilen Behörden und Hilfs-
organisationen Wege auf, die einen koordinierten und effektiven Einsatz der
verfügbaren Kräfte und Mittel des Sanitätsdienstes ermöglichen.

Das Handbuch unterstreicht damit, dass der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr
ein verlässlicher Partner und Helfer bei der Bewältigung von Notlagen und
Großschadensereignissen ist.

Dr. Blätzinger
Generaloberstabsarzt

446 Leitfaden Katastrophenmedizin


INHALTSVERZEICHNIS Seite

1. Vorbemerkungen 1-3

2. Begriffsbestimmungen 4
2.1. Naturkatastrophen 4
2.2. Besonders schwere Unglücksfälle 4
2.3. Dringende Nothilfe 5
2.4. Primäreinsatz 5
2.5. Sekundäreinsatz 5
2.6. Such- und Rettungseinsatz 5
2.7. Such- und Rettungsmittel 6

3. Rechtliche Grundlagen/Zuständigkeiten 7
3.1. Einsatz von Truppenteilen oder Dienststellen 7
3.2. Hilfeleistungen 7
3.3. Teilnahme am Rettungsdienst 7
3.4. Hilfeersuchen der Katastrophenschutzbehörden 8
3.5. Zuständigkeiten beim Einsatz der Bundeswehr 8

33
3.6. Art und Umfang des Einsatzes 9
3.7. Unterstellungen/Zuordnungen 9
3.8. Zuständigkeit für den Katastrophenschutz 9
3.9. Regelungen für Hilfeleistungen der Bundeswehr im Ausland
und auf hoher See 10

4. Einsatz des Sanitätsdienstes 10


4.1. Allgemeine Grundsätze 10
4.1.1. Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen der dringenden
Nothilfe 10
4.1.2. Hilfeersuchen 11
4.2. Umfang der Kräfte und Mittel 11
4.2.1. Einsatz von Sanitätseinheiten und -teileinheiten 12
4.2.2. Einsatz von San(St)Offz Zahnarzt bei der Identifikation von 12
Opfern
4.2.3. Einsatz von Kräften des Medizinischen ABC-Schutzes 12
4.3. Transport der Kräfte und Mittel 13
4.3.1. Sanitätsteileinheiten ohne Großgerät 13
4.3.2. Sanitätseinheiten, -teileinheiten mit Großgerät 13

Leitfaden Katastrophenmedizin 447


Anhang
Auszüge aus dem Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr

5. Krankentransport/Materialtransport 13
5.1. Kranken- und Verletztentransport 13
5.2. Ersttransport 14
5.3. Entlastender Folgetransport 15
5.3.1 Entlastender Folgetransport mit vorbereiteten Luftfahrzeugen 15
5.3.2 Entlastender Folgetransport mit anderen Luftfahrzeugen der Bw 15
5.4. Transport Schwerbrandverletzter 16

6. Sanitätsmaterial 16
6.1. Materielle Ausstattung 16
6.2. Erste- Hilfe- Ausstattung, Brandwundenbehandlung für
2 Brandverletzte (Burn-Set) 16
6.3. Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial für Brandverwundete 17
6.4. Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial für Katastropheneinsatz 17
6.5. Abruf, Bereitstellung und Transport der Notfallbehandlungseinheiten 18
6.6. Krankenhausbetten, Matratzen, Nachttische 18
6.7. Anforderung von C-Antidoten 18
6.8. Regelung der Sanitätsmaterialversorgung 18
6.9. Verfahren bei Ausfuhr von Material ins Ausland 18
33

7. Führungsorganisation sanitätsdienstlicher Einsätze 19


7.1. Grundsätze 19
7.2. Verbindungsoffiziere (San) 19

8. Meldewesen 20

9. Änderungsanweisung 21

10. Abkürzungsverzeichnis 22-23

11. Bezugsdokumente 24-25

448 Leitfaden Katastrophenmedizin


Anlagen

Anlage 1 Telefon-/Fax-Verzeichnis der wichtigsten Ansprechstellen für


sanitätsdienstliche Hilfe bei Katastrophen/schweren Unglücksfällen
Anlage 2 Führungsorganisation/Stationierungsübersicht
Sanitätsführungskommando (SanFüKdo)
Anlage 3 Stationierungsübersicht Sanitätskommando I
Anlage 4 Stationierungsübersicht Sanitätskommando II
Anlage 5 Stationierungsübersicht Sanitätskommando III
Anlage 6 Stationierungsübersicht Sanitätskommando IV
Anlage 7 Standorte der SAR- und Rettungshubschrauber
Anlage 8 Liste der am Vermittlungsverfahren der „Zentralen Anlaufstelle(ZA)
Schwerbrandverletzte“ beteiligten Krankenhäuser
Anlage 9 Notfalldepots für Sera und Plasmaderivate
Anlage 10 Transfusionsmedizinische Einrichtungen
Anlage 11 Informationszentren für Vergiftungsfälle in der Bundesrepublik Deutschland
Anlage 12 Druckkammer-Therapie-Einrichtungen mit und ohne gesicherte(r) 24-
Stunden-Bereitschaft
Anlage 13 Verzeichnis der Ansprechstellen der Inkorporationsmessstellen
Anlage 14 Muster Antrag auf Hilfeleistung der Bundeswehr gem. Anlage 8 des AU 1/400
Anlage 15 Anforderung von Kräften und Mitteln der Operativen Information der
Bundeswehr

33
Anlage 16 Standorte von speziellem Sanitätsmaterial
Anlage 17 Bildmaterial zu materiellen Unterstützungsmöglichkeiten des ZSanDstBw mit
Erläuterungen
Anlage 18 Karte der Stützpunkte von BwFuhrparkService GmbH
Anlage 19 Ablaufschema zur Anforderung von San(St)Offz Zahnarzt für die IDKO
Anlage 20 Gliederung der Task Force Medizinischer ABC Schutz

Leitfaden Katastrophenmedizin 449


Anhang
Internetadressen

34
Internetadressen
[operational, zum Zeitpunkt der Drucklegung, wertungsfreie Auflistung]

Herausgeber und Redaktion weisen ausdrücklich darauf hin, dass bei


Nutzung der Internetadressen der Nutzer hinsichtlich Haftung und Ur-
heberrecht eigenverantwortlich handelt.

http://www.arcs.ac.at
http://www.anes.saga-med.ac.jp/ispub/journals/ijrdm.htm
http://www.arcticcircle.uconn.edu/Museum
http://www.atls.de
http://www.bayern.de/STMLU/strahlen/
http://www.baua.de
http://www.bfs.de
http://www.bundesrecht.juris.de
http://www.astho.org/?template=risk_communication.html
http://www.bt.cdc.gov/agent/smallpox/index.asp
http://www.bbk.bund.de
http://www.bva.bund.de
http://www.ccep.ca
http://www.cen.eu
34

http://www.childinfo.org
http://www.cpmcnet.columbia.edu/dept/sph/popfam/refugee
http://www.crid.or.cr
http://www.denis.bund.de
http://www.dgu-polytraumaleitlinie.de
http://www.dguv.de
http://www.destatis.de
http://www.dgu-traumanetzwerk.de
http://www.disaster.info.desastres.net
http://www.disasterrelief.org
http://www.drugdonations.org
http:/www.ec.europa.eu/information
http://www.einsatzkraft.de
http://www.ensi.ch
http://www.fema.gov
http://www.feuerwehr-hamburg.org/brandbetten
http://www.fluechtlingsrat-berlin.de
http://www.forcemigration.org

450 Leitfaden Katastrophenmedizin


http://www.fs-ev.de
http://www.fs.fzk.de
http://www.fzk.de
http://www.gesetze-im-internet.de
http://www.gesundheit-im-einsatzwesen.de
http://www.grs.de
http://www.gsf.de
http://www.hamburg.de/feuerwehr
http://www.helid.desastres.net
http://www.helmholtz-muenchen.de
http://www.hmi.de/strahlenschutz
http://www.hsk.psi.ch
http://www.hypothermia.org/jama.htm
http://www.hypothermia.org/protocol.htm
http://www.iaea.org
http://www.icrp.org
http://www.ifrc.org
http://www.iom.int
http://www.irpa.net
http://www.irpa.sfrp.asso.fr
http://www.ispub.com/journal/the_internet_journal_of_rescue_and_disaster_
medicine_html
http://www.katastrophenvorsorge.de
http://www.katpharm.de
http://www.ksr-cpr.admin.ch
http://www.landesrecht.thueringen.de 34
http://www.medizinrechts-beratungsnetz.de
http://www.medstrahlenschutz.org
http://[email protected]
http://www.munichre.com
http://www.mvorrat.com
http://www.naz.ch
http://www.nlm.nih.gov/medlineplus/smallpox.html
http://www.nfs-bw.de
http://www.ochaonline.un.org
http://www.phf.org
http://www.phppo.cdc.gov/PHTN/Smallpox0129.asp
http://www.psychosoziale-notfallversorgung.de
http://www.psi.ch
http://www.provincia.bz.it/avalanche/resid.html
http://www.quake.wr.usgs.gov/QUAKES/CURRENT/current.html
http://www.recht.sachsen.de
http://www.reliefweb.int

Leitfaden Katastrophenmedizin 451


Anhang
Internetadressen

http://www.rerf.or.jp/eigo
http://www.rki.de
http://www.soziologie.uni-kiel.de/%7ekfs
http://www.schutzkommission.de
http://www.ssk.de
http://[email protected]
http://www.stmgev.bayern.de/blickpunkt/gesundheit/bioterror/faq_pocken.htm
http://www.stmug.bayern.de
http://www.swissre.com
http://www.trauma.org
http://www.unhcr.org
http://www.verbrennungsmedizin.de
http://www.vnh.org/FleetMedPocketRef/Triage.html
http://www.who.int
http://www.wlertnet.org
http://www.writer-tech.com/pages/summaries/
34

452 Leitfaden Katastrophenmedizin


35
Autorenverzeichnis
PD Dr. med. Hermann Josef Bail
Chefarzt der Klinik für Unfall- und Orthopädische Chirurgie
Klinikum Nürnberg
Breslauer Straße 201
90471 Nürnberg
Telefon: 0911 3 98-26 01
Telefax: 0911 3 98-58 30
E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Irmtraud Beerlage


Hochschule Magdeburg-Stendal (FH)
Breitscheidstraße 2
39114 Magdeburg
Telefon: 0391 8 86-43 20
Telefax: 0391 88 64-2 93
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Maria Magdalena Bellinger M. A.


Auswärtiges Amt
Werderscher Markt 1
10117 Berlin
Telefon: 030 18 17-32 73
35

Telefax: 030 18 17-5 37 02


E-Mail: [email protected]

Detlef Cwojdzinski
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz
Oranienstraße 106
10696 Berlin
Telefon: 030 90 28-15 08
Telefax: 030 90 28-15 55
E-Mail: [email protected]
Internet: www.notfallvorsorge-berlin.de

Leitfaden Katastrophenmedizin 453


Anhang
Autorenverzeichnis

Em. Prof. Dr. med. Dr. h. c. (U.MM.) Bernd D. Domres


Brunnenstraße 4
72047 Tübingen
Telefon: 07071 7 80 15
Telefax: 07071 7 00 98 35
E-Mail: [email protected]

Em. Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger


Em. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin
Nußbaumstraße 26
80336 München
Telefon: 089 51 60-51 44
Telefax: 089 21 80 73-0 09
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp


Ärztlicher Direktor
Unfallkrankenhaus Berlin
Erwin-Payr-Lehrstuhl Greifswald
Warener Straße 7
12683 Berlin
Telefon: 030 56 81-30 01
Telefax: 030 56 30-30 03
E-Mail: [email protected] oder [email protected]

Dr. med. Norbert Felgenhauer


Abteilung für Toxikologie
35

II. Medizinische Klinik


Klinikum rechts der Isar der TU-München
Ismaninger Straße 22
81675 München
Telefon: 089 41 40-22 43
Telefax: 089 41 40-47 89 oder -24 67
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Ernst-Jürgen Finke


Thorner Straße 9
80993 München
Telefon: 089 76 87 82
E-Mail: [email protected]

454 Leitfaden Katastrophenmedizin


Prof. Dr. med. Joachim Gardemann
Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe
Fachhochschule Münster
Corrensstraße 25
48149 Münster
Telefon: 0251 83-6 54 41
Telefax: 0251 83-6 54 02
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Günter Germann


Medizinischer Direktor der Ethianum-Klinik Heidelberg
Voßstraße 6
69115 Heidelberg
Telefon: 06221 8 72 30
E-Mail: [email protected]

Dr. disc. pol. Jutta Helmerichs


Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Abt. Krisenmanagement
Provinzialstraße 93
53127 Bonn
Telefon: 0228 9 95 50-24 00
Telefax: 0228 9 95 50-24 59
E-Mail: [email protected]
Internet: www.bbk.bund.de

PD Dr. med. Roland Hentschel


35

Universitätsklinikum Freiburg
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
Telefon: 0761 2 70-43 19
Telefax: 0761 2 70-43 99
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Sabine Himmelseher


Klinik für Anästhesiologie der TU-München
Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Straße 22
81675 München
Telefon: 089 41 40-42 90
Telefax: 089 41 40-48 86
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 455


Anhang
Autorenverzeichnis

Siegfried W. W. Ippisch
Landratsamt Erding – Gesundheitsamt –
Infektionsschutz und Umwelthygiene
Bajuwarenstraße 3
85435 Erding
Telefon: 08122 58-14 40
Telefax: 08122 58-14 31
E-Mail: [email protected]

Helga Jähngen
Krankenhausapotheke – Städt. Klinikum Dresden-Friedrichstadt
Friedrichstraße 41
01607 Dresden
Telefon: 0351 4 80 10 16
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé


Direktor Institut für Medizinische Mikrobiologie
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Magdeburger Straße 6
06097 Halle
Telefon: 0345 5 57-18 09
Telefax: 0345 5 57-14 76
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Kern


Universität Leipzig – Juristenfakultät
35

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht


Burgstraße 27
04109 Leipzig
Telefon: 0341 97 35-1 40
Telefax: 0341 97 35-1 49
E-Mail: [email protected]

456 Leitfaden Katastrophenmedizin


Dr. med. Werner Kirchinger
Helmholtz Zentrum München
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt –
Regionales Strahlenschutzzentrum
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Unterschleißheim/Neuherberg
Telefon: 089 31 87-40 40
Telefax: 089 31 87-33 23
E-Mail: [email protected]
Internet: www.helmholtz-muenchen.de

Dr. med. Christian Kleber


Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Klinik für Unfall- und
Wiederherstellungschirurgie, Campus Virchow Klinikum
Charité Berlin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Telefon: 030 4 50-65 22 07
Telefax: 030 4 50-55 29 01
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Sven Kohler


Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie
Klinikum und Fachbereich Medizin
Johann Wolfgang Goethe Universität
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt am Main
35

Telefon: 069 63 01 52 53
Telefax: 069 63 01 62 11
E-Mail: [email protected]

PD Dr. med. Gerrit Matthes


Unfallkrankenhaus Berlin
Klink für Unfallchirurgie und Orthopädie
Erwin-Payr-Lehrstuhl Greifswald
Warener Straße 7
12683 Berlin
Telefon: 030 56 81-30 01
Telefax: 030 56 30-30 03
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 457


Anhang
Autorenverzeichnis

Priv. Doz. Dr. rer. nat. Michael Müller


Abteilung Arbeits- und Sozialmedizin
Universitätsmedizin Göttingen
Waldweg 37
37073 Göttingen
Telefon: 0551 39 80 46
Telefax: 0551 39 61 84
E-Mail: [email protected]

Dr. Andreas Müller-Cyran


Michael-Hartig-Weg 6
81929 München
Telefon: 089 957 2 03 27 oder 0171 3 61 85 84
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Nicolai


Haunersches Kinderspital
Lindwurmstraße 4
80337 München
Telefon: 089 5160-27 83
Telefax: 089 5160-41 92
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Hans-R. Paschen


Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmeidzin
Evang. Amalie-Sieveking-Krankenhaus
Haselkamp 33
35

22359 Hamburg
Telefon: 040 6 44 11-3 50
Telefax: 040 6 441 1-3 62
E-Mail: [email protected]
Internet: www.amalie.de

Dr. med. Oliver Peschel


Institut für Rechtsmedizin
Nußbaumstraße 26
80336 München
Telefon: 089 21 80-7 3 11
Telefax: 089 21 80-7 30 09
E-Mail: [email protected]

458 Leitfaden Katastrophenmedizin


Ltd. Med. Dir. a. D. Dr. med. Sigurd Peters
Curtiusstrasse 103
12205 Berlin
Telefon: 030 8 11 60 62
Telefax: 030 8 05 81 420
E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Ernst Pfenninger


Klinik für Anästhesie
Klinikum der Universität Ulm
Steinhövelstraße 9
89070 Ulm
Telefon: 0731 5 00-6 00 06
Telefax: 0731 5 00-6 00 08
E-Mail: [email protected]

Albrecht Scheuermann
Eigenhufe 24
09125 Chemnitz
Telefon: 0371 4 79-28 40
Telefax: 0371 4 79-28 41
E-Mail: [email protected]

Katharina Schmiechen
Abteilung für Arbeits- und Sozialmedizin
Georg-August-Universität Göttingen
Waldweg 37
35

37073 Göttingen
Telefon: 0551 39 69 37
Telefax: 0551 39 61 84
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Ulrich Schneppenheim


Türksteinweg 41
14167 Berlin
Telefon: 01520 1 57 42 62
Telefax: 030 45 19 91 03
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 459


Anhang
Autorenverzeichnis

Jürgen Schreiber
Leiter Projektgruppe „Besondere Gefahrenlagen/CBRN“ (PG9)
Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz
c/o Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V.
Sülzburgstraße 140
50937 Köln
Telefon: 0160 8 65 08 85
E-Mail: [email protected]
Internet: www.katastrophenvorsorge.de

Em. Prof. Dr. med. Peter Sefrin


Bundesarzt des DRK, Vorsitzender der agbn,
Deutscher Feuerwehrarzt
Sandweg 10
97078 Würzburg
Telefon: 0931 28 47 70
Telefax: 0931 28 47 46
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Dipl.-Chem. Richard Spörri


Ärztlicher Leiter MEDITOX
Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal
Gutleutstraße 1–14
76646 Bruchsal
Telefon: 07251 7 08-0
Telefax: 07251 7 08-54 24
E-Mail: richard@ spoerri.de
35

Internet: www.meditox.org

Dipl.-Chem. Rainer Steffens


Onsdorfer Straße 25 c
54456 Tawern
Telefon: 06501 9 97 63
Telefax: 06501 9 97 65
E-Mail: [email protected]

Wolfgang Wagner
Apotheker für Klinische Pharmazie
Schanzenstr. 21
40549 Düsseldorf
Telefon: 0211 5 579 5 14
Telefax: 0211 5 56 00 43
E-Mail: [email protected]

460 Leitfaden Katastrophenmedizin


Pastor Dipl.-Theol. Frank Waterstraat
Beauftragter für Notfallseelsorge
der Ev.-luth. Landeskirche Hannover
Fachberater Psychosoziale Unterstützung
der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen
Lange Straße 90
31552 Rodenberg
Telefon: 05723 35 16
E-Mail: [email protected]

Dr. med. Johann Wilhelm Weidringer


Professor an der Hochschule für Gesundheit und Sport, Berlin
Vorsitzender der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern
Geschäftsführender Arzt der Bayerischen Landesärztekammer
Mühlbaurstraße 16
81677 München
Telefon: 089 4147-2 33
Telefax: 089 4147-8 31
E-Mail: [email protected]

Dr. rer. nat. Wolfgang Weiss


Direktor und Professor
Geschäftsführer der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern
c/o Bundesamt für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Oberschleißheim
Telefon: 089 3 16 03-21 00 oder -21 56
35

Telefax: 089 3 16 03-21 05 oder -21 55


E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Zilker


Toxikologische Abteilung der II. Medizinischen Klinik,
Klinikum rechts der Isar der TU-München
Ismaninger Straße 22
81675 München
Telefon: 089 41 40-22 40 und -41
Telefax: 089 41 40-47 89
E-Mail: [email protected]

Leitfaden Katastrophenmedizin 461


Anhang
Abkürzungsverzeichnis

36
Abkürzungsverzeichnis
4-DMAP 4-Dimethylaminophenol
Abb. Abbildung
ABC atomar, biologisch, chemisch
ABCAbwTrp ABC-Abwehr-Trupp
ABC-ErkKW ABC-Erkundungskraftwagen
ÄBD Ärztlicher Bereitschaftsdienst
ABS Absonderung
Abs. Absatz
ABSI Abbreviated Burn Severity Index
AChE Acetylcholinesterase
ACLS Advanced Cardiac Life Support
ADE akute Durchfallerkrankungen
ADKA Bundesverband Deutscher Krankenhaus-
apotheker
ADR Accord européen relatif au transport internati-
onal des marchandises Dangereuses par Route,
Europäisches Übereinkommen über die inter-
nationale Beförderung gefährlicher Güter auf
der Straße
AED automatisierter externer Defibrillator
AFKzV Ausschuss Feuerwehrangelegenheiten,
Katastrophenschutz und zivile Verteidigung
AKFOS Arbeitskreis forensische Odontostomatologie
ÄLRD Ärztlicher Leiter Rettungsdienst
36

ALS advanced life support


am ante mortem
Amp. Ampulle(n)
ApoBetrO Apothekenbetriebsordnung
ApoG Apothekengesetz
ARDS adult respiratory distress syndrom,
akutes Atemnotsyndrom
ARE akute respiratorische Erkrankungen
Art. Artikel
ASG außergewöhnliches Seuchengeschehen
ASH3 Arsenwasserstoff, Arsin
AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz
ATF Analytische Task Force
ATLS Advanced Trauma Life Support

462 Leitfaden Katastrophenmedizin


AufenthG Aufenthaltsgesetz
Aufl. Auflage
AuslG Ausländergesetz
AV-Block atrioventrikulärer Block
B-Agenzien biologische Agenzien
BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BAO besondere Aufbauorganisation
BayKSG Bayerisches Katastrophenschutzgesetz
BbgBKG Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung
und den Katastrophenschutz des Landes
Brandenburg
BBK Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe
Bd. Band
BeaSanStOffz Beauftragter Sanitätsstabsoffizier
BF Berufsfeuerwehr
BfS Bundesamt für Strahlenschutz
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGR berufsgenossenschaftliche Regeln
BHP Behandlungsplatz
BMI Bundesministerium des Innern
BOS Behörden und Organisationen mit Sicherheits-
aufgaben
Bq Becquerel
BremHilfeG Bremisches Hilfeleistungsgesetz
BVerfGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts
Bw Bundeswehr
36

BwKrhsApotheke Bundeswehr-Krankenhaus-Apotheke
CBRN chemisch, biologisch, radiologisch, nuklear
CDC Centers for Disease Control and Prevention
CE Conformité Européenne
CEN Comité Européen de Normalisation
Charr Charrière
Ci Curie
CISM Critical Incident Stress Management
CK Creatinkinase
cm Zentimeter
CO Kohlenmonoxid
CO-Hb Carboxyhämoglobin
COPD chronic obstructive pulmonary disease
CPK Creatinphosphokinase

Leitfaden Katastrophenmedizin 463


Anhang
Abkürzungsverzeichnis

CPR kardiopulmonale Reanimation


CT Computertomografie
CWA Chemical Warfare Agents
d Tag
Dekon Dekontamination
DGKM Deutsche Gesellschaft für KatastrophenMedizin
DGMS Deutsche Gesellschaft für medizinischen
Strahlenschutz
DGU Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
DNA Desoxyribonukleinsäure
DRF Deutsche Rettungsflugwacht
DRK Deutsches Rotes Kreuz
DVI Disaster Victim Identification
ebd. ebenda
ECMO extrakorporale Membranoxygenierung
ed. 1. editor, 2. edition
eds. editors
EHEC enterohämorrhagische Escherichia coli
EKG Elektrokardiogramm
EKNS Fachgruppe Einsatznachsorge und
Stressbewältigung
ENT Einsatz(kräfte)nachsorgeteam
ERU Emergency Response Unit
ETEC enterotoxische Escherichia coli
ETW Einsatztoleranzwert
EU Europäische Union
EVG 1. Ernährungsvorsorgegesetz,
2. Einzelverbrauchsgut
FACT Field Assessment and Coordination Team
36

FFP Filtering Face Piece


FiO2 inspiratorische Sauerstoffkonzentration
Fl. Flasche(n)
FSHG Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfe-
leistung
FSME Frühsommer-Meningoenzephalitis
FTRI Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie
FW, Fw Feuerwehr
FwDV 500 Feuerwehr-Dienstvorschrift 500
g Gramm
GC Gaschromatografie
GCS Glasgow Coma Scale, Glasgow-Komaskala
GDL Gefahrstoffdatenbank der Länder
gem. gemäß

464 Leitfaden Katastrophenmedizin


GG Grundgesetz
GGVS Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und
Binnenschifffahrt
GHS Global harmonisiertes System zur Einstufung
und Kennzeichnung von Chemikalien
GK Genfer Flüchtlingskonvention
GMLZ Gemeinsames Melde- und Lagezentrum
GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
GPHF Global Pharma Health Fund
GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase
Gy Gray
h Stunde
H2S Schwefelwasserstoff
HAW high active waste
Hb Hämoglobin
HBKG Hessisches Gesetz über den Brandschutz, die
Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz
HCl Chlorwasserstoff
HCN Cyanwasserstoff, Blausäure
HCO3- Bicarbonation
HDM Herzdruckmassage
HES Hydroxyethylstärke
HF Fluorwasserstoff
HIV human immunodeficiency virus
HmbKatSG Hamburgisches Katastrophenschutzgesetz
Hrsg. Herausgeber
HS Hubschrauber
HUS hämolytisch-urämisches Syndrom
HWS Halswirbelsäule
36

i. V. m. in Verbindung mit
I. E. Immunitätseinheit
i. m. intramuskulär
i. v. intravenös
IAEO Internationale Atomenergieorganisation
IATA International Air Transport Association
ICR Interkostalraum
ICTY International Criminal Tribunal for the former
Yugoslavia
IDKO Identifizierungskommission des Bundeskrimi-
nalamtes
IDP internally displaced people
IFA Institut für Arbeitsschutz der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung

Leitfaden Katastrophenmedizin 465


Anhang
Abkürzungsverzeichnis

IFRC Internationale Föderation der Rotkreuz- und


Rothalbmondgesellschaften
IfSG Infektionsschutzgesetz
IHT Inhalationstrauma
IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz
I-KTW Infektions-Krankentransportwagen
ILI Influenza-like Illness
ILO International Labour Organization
IMS Ionen-Mobilitätsspektrometer
Interpol Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation
IOM Internationale Organisation für Migration
IP Industrieverpackungen
IR Infrarot
ISO Internationale Organisation für die
Standardisierung
IT Informationstechnik
ITLS International Trauma Life Support
IU international unit, internationale Einheit
JUH Johanniter-Unfall-Hilfe
K+ Kaliumion
Kap. Kapitel
KatS Katastrophenschutz
KatSG Gesetz über die Gefahrenabwehr bei
Katastrophen
KatSGLSA Katastrophenschutzgesetz des Landes
Sachsen-Anhalt
KBE Kolonie-Bildende-Einheiten
KEL Krankenhauseinsatzleitung
kg Kilogramm
36

KG Körpergewicht
Khs Krankenhaus, Krankenhäuser
KIT 1. Kriseninterventionsteam, 2. Karlsruher
Institut für Technologie
KOF Körperoberfläche
KUSS Kindliche Unbehagens- und Schmerz-Skala
KUT Krisenunterstützungsteam
KW Krankenwagen
l Liter
LBKG Landesgesetz über den Brandschutz, die
Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz
LKA Landeskriminalamt
LKatSG Landeskatastrophenschutzgesetz
LNA Leitender Notarzt

466 Leitfaden Katastrophenmedizin


MAC minimal alveolar concentration, minimale
alveoläre Konzentration
MAK maximale Arbeitsplatzkonzentration
MANI Massenanfall von Infizierten
MANV Massenanfall von Verletzten und/oder Erkrankten
max. maximal
Med Evac Medical Evacuation
MEDEVAC Medizinische Evakuierung
Met-Hb Methämoglobin
MeV Megaelektronenvolt
min Minute
MRSA Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus
MS Massenspektrometrie
mSTaRT modifiziertes STaRT, s. STaRT
MTF Medizinische Task Force
MVZ Medizinisches Versorgungszentrum
N 2O Stickoxydul, Lachgas
nÄ niedergelassene Ärzte
NA Notarzt
NaCl Natriumchlorid, Kochsalz
NASCIS National Acute Spinal Cord Injuries Study
NATO North Atlantic Treaty Organization
NH3 Ammoniak
NIS Sektion Notfall- und Intensivmedizin der
Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NKatSG Niedersächsisches Katastrophenschutzgesetz
NNH Nasennebenhöhlen
NOAH Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und
36

Angehörigenhilfe
Not-Dekon Not-Dekontamination
O2 Sauerstoff
OCHA United Nations Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs
ODL Ortsdosisleistung
OEL Einsatzleitung vor Ort
ÖEL örtliche Einsatzleitung
ÖGD Öffentlicher Gesundheitsdienst
OPD outpatient department
OPG Kieferpanoramaaufnahme
OrgL Organisatorischer Leiter Rettungsdienst
p. o. per os
PAHO Pan American Health Organization

Leitfaden Katastrophenmedizin 467


Anhang
Abkürzungsverzeichnis

PEA pulslose elektrische Aktivität


PEP Postexpositionsprophylaxe

PGCS Pediatric Glasgow Coma Scale, Pädiatrische


Glasgow-Komaskala
PH3 Phosphorwasserstoff, Phosphin
PHTLS Prehospital Trauma Life Support
PID Photoionisationsdetektor
pm post mortem
ppm parts per million
PPSB Prothrombinkonzentrat
PSA Persönliche Schutzausrüstung
PSNV Psychosoziale Notfallversorgung
PSS Poison Severity Score
PSU psychosoziale Unterstützung
PTBS posttraumatische Belastungsstörung
PVC Polyvinylchlorid
RAF Rote-Armee-Fraktion
RD Rettungsdienst
rem Rem
REMPAN Radiation Emergency Medical Preparedness
and Assistance Network
RKI Robert Koch-Institut
Rn. Randnummer
RöV Röntgenverordnung
RR Riva-Rocci
RSDL Reactive Skin Decontamination Lotion
RSZ Regionales Strahlenschutzzentrum
RTH Rettungshubschrauber
36

RTLS Rettungsleitstelle
RTW Rettungswagen
RVO Rechtsverordnung
S Sachgebiet
s Sekunde
S. Seite
s. siehe
SächsBRKG Sächsisches Gesetz über den Brandschutz,
Rettungsdienst und Katastrophenschutz
SanEL Sanitätseinsatzleitung
SanMat Sanitätsmaterial
SanMatLgr Sanitätsmaterial-Lager
SARS severe acute respiratory syndrome, schweres
akutes respiratorisches Syndrom

468 Leitfaden Katastrophenmedizin


SBKG Gesetz über den Brandschutz, die Technische
Hilfe und den Katastrophenschutz im Saarland
SE Schwere des Ereignisses
SEB Staphylokokken-Enterotoxin B
SEG Schnell-Einsatz-Gruppe
SGB Sozialgesetzbuch
SHM Standardhygienemaßnahmen
SHT Schädelhirntrauma
SIRS systemic inflammatory response syndrome
SK Sichtungskategorie
SKK Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge
und Bevölkerungsschutz
SKK-DV 500 SKK-Dienstvorschrift 500
SO2 Schwefeldioxid
SOP Standard Operating Procedure
SSK Strahlenschutzkommission
STaRT Simple Triage and Rapid Treatment
Std. Stunde
stdl. stündlich
StGB Strafgesetzbuch
Stk. Stück
StrlSchV Strahlenschutzverordnung
Sv Sievert
Tab. Tabelle
TB Tuberkulose
TEL Technische Einsatzleitung
ThürBKG Thüringer Gesetz über den Brandschutz, die
Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz
THW Technisches Hilfswerk
36

TI Transportindex
TierSG Tierseuchengesetz
TIVA totale intravenöse Anästhesie
TK Transportkennzahl
TPG Transplantationsgesetz
TUIS Transport-Unfall-Informations- und Hilfe -
leistungssystem der chemischen Industrie
Ü-MANV Überörtlicher Massenanfall von Verletzten und/
oder Erkrankten
UN United Nations, Vereinte Nationen
UNEP United Nations Environment Programme
UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees,
Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen der
Vereinten Nationen

Leitfaden Katastrophenmedizin 469


Anhang
Abkürzungsverzeichnis

USBV Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung


VDSA Vereinigung deutscher Strahlenschutzärzte
VEE Venezolanische Pferdeenzephalitis
VerkLG Verkehrsleistungsgesetz
VersInstZ SanMat Versorgungs- und Instandsetzungszentren
Sanitätsmaterial
vgl. vergleiche
VHB Virushepatitis B
VHC Virushepatitis C
VHF virales hämorrhagisches Fieber
VKOF verbrannte Köperoberfläche
VO Verordnung
Vol. Volumen
WHO World Health Organization, Weltgesundheits-
organisation
WS Wirbelsäule
ZA-Schwerbrandverletzte Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von
Betten für Schwerbrandverletzte
zit. zitiert
ZNS Zentralnervensystem
ZSKG Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz
ZVK zentraler Venenkatheter
36

470 Leitfaden Katastrophenmedizin


Stichwortverzeichnis
Zeichen
4-DMAP ................................................................................... 244, 245, 246, 252, 256

A
ABC-Einsatz ............................................................................................................... 429
ABC-Selbsthilfe-Set ................................................................................ 379, 429, 430
Abdomenverletzungen ........................................................................................... 182
Abfall ................................................................................ 154, 224, 287, 333, 392, 400
Abgrenzung ............................................................................................ 43, 47, 67, 299
Abschiednehmen ....................................................................................................... 35
ABSI-Score .................................................................................................................. 195
Absonderung ................................................................... 275, 276, 291, 293, 299, 319
Absperrbereich ............................................. 210, 227, 396, 397, 398, 399, 400, 402
Abweisung ................................................................................................................ 388
ACLS ............................................................................................................................. 123
administrative Aufgaben ........................................................................................ 40
ADR ...................................................................................................... 213, 214, 279, 291
Advanced Cardiac Life Support ............................................................................. 123
Advanced Trauma Life Support ............................................................... 88, 176, 316
AED ....................................................................................................................... 123, 124
AED-Geräte ................................................................................................................ 124
AKFOS .......................................................................................................................... 372
Akutphase ......................................................................................... 33, 34, 35, 37, 140
Alarmierung ............................................. 79, 139, 145, 278, 292, 312, 314, 345, 376
Alarmierungs- und Einsatzpläne ................................................................. 186, 312
Alarmierungslisten ......................................................................................... 138, 314
aliphatische Kohlenwasserstoffe ......................................................................... 255
Alkylphosphate ............................................................................................... 246, 258
Allgemeinpharmazie ............................................................................................. 328
Alltag ................................................................................................ 31, 60, 68, 135, 139
alltagsnahe Katastrophen ........................................................................................ 24
Alter .............................................................. 62, 127, 128, 129, 160, 172, 195, 370, 372
Altersschätzung ................................................................................................ 370, 371
Amtsarzt ........................................................................................... 278, 282, 293, 319
Analgesie ........................................................... 155, 164, 165, 166, 167, 168, 193, 300
Analytik ............................................................................................. 239, 240, 241, 251
Analytische Task Force .............................................................................................. 85

Leitfaden Katastrophenmedizin 471


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Anästhesie ................................................................................................................. 459


Anbindung ............................................................................................................ 34, 39
Angehörige .......................... 90, 108, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 139, 140, 146, 147,
.......................................... 279, 313, 314, 332, 346, 349, 365, 367, 369, 370, 374, 397
Angriffe auf Einsatzkräfte ..................................................................................... 345
Angststörungen .......................................................................................................... 33
Ante-mortem-Daten ....................................................................................... 368, 373
Antidot ................................................... 229, 245, 246, 247, 252, 254, 259, 317, 327,
............................................................................ 397, 398, 399, 408, 409, 411, 429, 430
Antidotdepot für Massenvergiftungen .............................................................. 246
Antidotdepots ................................................................................................... 327, 408
Antidote ............................................................................................. 241, 245, 339, 411
Apotheken ... 245, 276, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 332, 334, 411, 427, 428
Apothekenbetriebsordnung ......................................................... 325, 327, 411, 427
Apothekengesetz ............................................................................................. 324, 325
Apotheker .... 102, 280, 324, 325, 326, 327, 328, 330, 331, 332, 333, 334, 410, 460
Arbeitskreis forensische Odontostomatologie .................................................. 372
aromatische Kohlenwasserstoffe ........................................................................ 255
Arsenwasserstoff ............................................................................................. 256, 257
Arsin ............................................................................................................................ 256
Arzneimittel .............................................................................................. 101, 427, 428
Arzneimittelbevorratung ............................................................................. 327, 330
Arzneimittelfälschungen ...................................................................................... 333
Arzneimittelherstellung .............................................................. 328, 330, 331, 428
Arzneimittelspenden ............................................................................................. 333
Arzneimittelversorgung ............................................. 324, 325, 326, 327, 329, 330
ASG ..................................................................................................... 269, 271, 280, 298
Asservierung .................................................................................................... 240, 376
Asylbewerberleistungsgesetz ...................................................................... 352, 353
Asylsuchende ............................................................................................................ 351
Atemschutz ........................................... 178, 209, 243, 249, 256, 257, 258, 275, 287,
.......................................................................... 294, 340, 341, 382, 384, 385, 398, 400
Atemschutztauglichkeit ......................................................................................... 221
Atemschutztauglichkeitsuntersuchung ........................................................... 209
Atemspende .................................................................................................. 116, 117, 118
ATLS ................................................................................................................................ 88
Atmung ....................... 88, 89, 112, 113, 114, 115, 118, 121, 125, 154, 177, 179, 257, 299
Atropin .................................................... 124, 162, 170, 172, 244, 245, 246, 259, 430
Aufenthaltserlaubnis ...................................................................................... 351, 352
Aufenthaltstitel ................................................................................................ 351, 352
Aufklärungsgespräch .............................................................................................. 90
Aufnahmekapazität ........................................................................................ 307, 308
Augenschein ............................................................................................................. 369

472 Leitfaden Katastrophenmedizin


Aus- und Fortbildung .............................................................................................. 323
Auskühlen ........................................................................................................... 128, 191
Ausscheidungsanalysen ........................................................................................ 226
äußere Herzdruckmassage ..................................................................................... 118
außergewöhnliches Seuchengeschehen ................................................... 269, 282
Auswärtiges Amt ............................................................................. 145, 146, 357, 453
Autoinjektor ............................................................................................. 339, 398, 430
automatisierte externe Defibrillatoren .............................................................. 123

B
Barotrauma ................................................................................................................. 191
Barriere .................................................................. 382, 384, 386, 387, 388, 389, 390
Basic Health Care ERU ............................................................................................ 359
Basic Life Support ...................................................................................................... 341
Basismaßnahmen ....................................................... 79, 118, 119, 123, 244, 247, 251
BBK ........................................... 75, 77, 89, 133, 137, 140, 143, 146, 147, 272, 276, 282,
.................................................................... 287, 291, 297, 298, 301, 381, 392, 402, 436
Beatmung ................................................ 115, 116, 117, 118, 119, 121, 125, 155, 167, 170,
............................................................. 172, 173, 180, 193, 245, 249, 253, 256, 257, 263
Beatmungsbeutel ...................................................................................................... 171
Beatmungsmaske ...................................................................................................... 121
Beatmungstuch ......................................................................................................... 117
Beckentrauma ........................................................................................................... 182
Becquerel .................................................................................................... 211, 213, 230
Bedarfsmenge ........................................................................................................... 427
Behandlungsbereiche ..................................................................................... 314, 318
Behandlungsplatz 50 ................................................................. 81, 83, 84, 85, 87, 94
Behandlungsprioritäten .................................................................................... 50, 87
Behandlungsteams .................................................................................. 315, 318, 319
behelfsmäßige Isolierstationen ............................................................................ 276
Beinahe-Ertrinken ................................................................................................... 198
Belastungsreaktionen ......................................................................................... 37, 38
Beobachtung ............... 128, 168, 275, 276, 278, 279, 280, 291, 292, 293, 299, 300
Bereitstellungsraum ............................................................................................... 346
Bereitstellungsräume .............................................................................................. 321
Bergungshilfe ................................................................................................... 366, 367
beruhigen ................................................................................................ 34, 35, 36, 179
Beta-Hautdosisleistung .......................................................................................... 223
Betadosisleistung .................................................................................................... 222
Betäubungsmittelgesetz ........................................................................................ 327
Betreuung .............. 71, 83, 84, 94, 128, 139, 146, 147, 206, 216, 279, 292, 320, 328,
................................................. 332, 334, 379, 394, 395, 396, 397, 398, 400, 401, 402

Leitfaden Katastrophenmedizin 473


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Betroffene ................................... 25, 31, 32, 33, 34, 35, 37, 40, 95, 108, 112, 114, 126,
................................................... 132, 136, 140, 144, 266, 290, 396, 397, 399, 401, 402
Bettenkapazität ............................................................................... 99, 306, 307, 308
Beutelbeatmung ........................................................................................................ 121
Beutel-Masken-Beatmung ....................................................................................... 121
Bevorratung ............................................................... 85, 101, 159, 327, 330, 332, 324
Bewusstsein ................................................................ 113, 114, 120, 121, 125, 207, 262
BHP 50 ............................................................................................................ 94, 95, 102
biologisch ........... 201, 226, 229, 266, 267, 269, 271, 272, 277, 279, 280, 283, 284,
........................ 287, 289, 294, 311, 324, 370, 386, 390, 394, 422, 429, 430, 433, 435
biologische Agenzien ........................ 201, 266, 269, 272, 280, 283, 386, 422, 433
biologische Gefahrenlagen ........................................................................... 301, 319
biologischer Wirkungsherd ..................... 270, 278, 287, 289, 290, 292, 293, 300
bioterroristischer Anschlag ................................................................................... 319
blasenbildendes Mustard ....................................................................................... 341
Blausäure ................................................................................................... 237, 239, 251
BLS ............................................................................................................................... 397
Blutstillung ........................................................................................................ 120, 177
Blutung ................................................ 88, 120, 153, 154, 159, 175, 178, 181, 182, 194,
............................................................................................. 244, 281, 299, 300, 418, 420
Botulinumtoxin ....................................................................................................... 262
Botulismus ............................................................... 262, 275, 281, 284, 289, 297, 411
Brandgase ................................................................................................................... 237
Brandverletztenzentrum ............................................................................... 193, 194
Brennelemente ................................................................................................. 212, 213
Bund ................. 44, 45, 48, 50, 55, 70, 77, 85, 97, 102, 103, 146, 239, 268, 325, 327,
...... 334, 379, 381, 392, 393, 396, 397, 402, 403, 410, 429, 436, 444, 455, 460, 461
Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe ............ 77, 133, 146, 231, 301, 311, 322, 328, 381, 402, 455
Bundeskriminalamt ..................................................... 146, 364, 365, 368, 376, 377
Bundesländer ................. 44, 45, 48, 50, 70, 77, 78, 82, 84, 102, 216, 330, 337, 410

C
Cäsium-137 ........................................................................................................ 219, 220
CBRN-Bedingungen .................................................................................... 91, 92, 100
CBRN-Bereich ........................................................................................................ 76, 78
CBRN-Einsatz ........................................................ 379, 394, 395, 396, 398, 399, 402
CBRN-Lagen ................................................................................................................. 74
CBRN-Risiken ............................................................................................................ 287
CE-Zeichen ............................................................................................... 382, 384, 385
Chaos ............................................................................................................ 35, 314, 428
Chemikalienschutzanzüge ......................................... 387, 388, 389, 390, 391, 392

474 Leitfaden Katastrophenmedizin


chemisch ..................................................... 24, 74, 75, 193, 235, 238, 250, 252, 255,
................................................................................... 259, 279, 303, 336, 394, 420, 429
chemische Kampfstoffe ................................................................................. 239, 336
CRN-Gefahrenlagen ................................................................................ 311, 312, 320
chemische Gefahrenlagen ..................................................................................... 337
christliche Rituale ...................................................................................................... 35
Chromosomenabberationsanalyse ............................................................ 226, 229
Crush-Syndrom ................................................................................................. 183, 184
Cyanide ...................................................................................................................... 342
Cyanwasserstoff .............................................................................................. 238, 250

D
daktyloskopische Verfahren .................................................................................. 373
Datenschutz .................................................................................................. 90, 91, 106
Datenverarbeitung .......................................................................................... 106, 107
Defibrillation ............................................................................................................. 123
Dehydratation ........................................................................................................... 128
Dekompensation .............................................................................................. 120, 154
Dekontaminationssichtung ......................................................................... 395, 397
Dekon-Sichtung ....................................................................................... 397, 400, 401
Dekontamination ..................... 91, 92, 104, 217, 224, 225, 227, 229, 244, 261, 276,
..................................................278, 279, 283, 289, 291, 292, 293, 294, 303, 313, 320,
................................................... 331, 336, 337, 340, 341, 381, 385, 391, 392, 395, 396,
................................................ 397, 398, 400, 401, 402, 429, 430, 433, 434, 435, 436
Dekontamination Verletzter ........................................................ 92, 395, 396, 397
Dekontaminationseinheiten ................................................................................. 337
Dekontaminationsmaßnahmen ............................................... 224, 225, 433, 434
Dekontaminationsplatz ............................. 224, 243, 244, 396, 397, 398, 401, 402
Dekontaminationssichtung ......................................................................... 395, 397
Dekon-V ............................................................................................................. 397, 400
Dekorporierungsmaßnahmen .................................................................... 226, 229
Demobilisierungsphase .......................................................................................... 315
Depressionen ....................................................................................................... 33, 136
DGU .................................................................................................................... 308, 309
Dienstvorschrift 100 .................................................................................................. 84
Differenzialdiagnose .............................................................................................. 297
dirty bombs ............................................................................................................... 344
Disaster Victim Identification Teams ................................................................. 365
Dokumentation ................................................ 34, 101, 106, 148, 176, 278, 279, 291,
.................................................................................... 293, 316, 367, 376, 400, 402, 403
Dosimetrie ......................................................................................................... 226, 229
Dosisleistung .................................................................... 204, 211, 214, 215, 220, 222

Leitfaden Katastrophenmedizin 475


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Dosisrichtwerte ................................................................................................. 205, 211


Dringlichkeit ..................................................... 52, 53, 61, 63, 68, 89, 248, 293, 397
Dringlichkeitskategorien ...................................................................................... 248
Drittstaatsregelung ................................................................................................. 351
Duldung ..................................................................................................................... 352
DVI-Teams .................................................................................................................. 365

E
effektive Dosis ......................................................................... 205, 206, 211, 226, 228
Eigenaktivität .............................................................................................................. 37
Eigendekontamination .................................................................................. 225, 429
Eigenschutz ....................................................... 191, 197, 212, 277, 287, 290, 338, 399
Einsatz- und Führungsstrukturen ........................................................................ 80
Einsatzführung ..................................................................................................... 80, 81
Einsatzkonzepte des Rettungsdienstes .............................................................. 344
Einsatzkräfte ..................... 23, 25, 33, 34, 103, 108, 131, 132, 137, 138, 142, 143, 144,
......................................... 204, 205, 206, 208, 209, 210, 211, 215, 219, 222, 228, 244,
.......................................... 277, 278, 279, 287, 289, 291, 294, 333, 336, 337, 340, 341,
....................................... 343, 344, 345, 346, 394, 396, 397, 398, 399, 402, 429, 434
Einsatzleiter ............................................... 24, 210, 214, 247, 290, 291, 313, 314, 383
Einsatzleitung ............................................ 72, 81, 83, 140, 209, 293, 306, 308, 309
Einsatzwert .................................................................................................................. 82
ENT ...................................................................................................................... 142, 452
elektronisches Alarmierungsverfahren ............................................................. 314
Emergency Response Units ......................................................... 356, 357, 358, 359
Energieverbrauch ..................................................................................................... 129
entlasten .......................................................................................................... 34, 35, 36
Entwicklungszusammenarbeit ................................................................... 333, 334
Erfahrungswissen ...................................................................................................... 27
Erfolgsaussicht ......................................................................................... 52, 61, 62, 63
Ersthelfer ................................................................................. 30, 76, 78, 126, 191, 344
Erstversorgungskrankenhaus ................................................................................ 87
ERU ............................................................................................................. 356, 358, 359
ERU Referral Hospital .................................................................................... 358, 359
Esmarch-Handgriff ................................................................................................... 115
ethische Aspekte der Sichtung ................................................................................ 93
ethisches Handeln ...................................................................................................... 23
ethnische Minderheiten ......................................................................................... 351
Evakuierung ............................................................................... 47, 248, 270, 318, 321
Explosions- und Schussverletzungen .................................................................... 92
Explosivepidemien ................................................................................................... 271
Exponierte ..................................................... 270, 272, 278, 283, 290, 292, 299, 427

476 Leitfaden Katastrophenmedizin


externe Gefahrenlagen ........................................................................... 311, 321, 323
externe Strahlenquelle .......................................................................................... 203
Extremitätenverletzungen ............................................................................ 176, 182
Extremsituationen ............................................................................................... 21, 30

F
Fachberater PSNV ............................................................................................. 144, 145
Fachberater Sanität .................................................................................................... 83
Fachberatersysteme ........................................................................................ 238, 241
FACT ............................................................................................................................ 357
Fäulnis ................................................................................................ 366, 367, 370, 371
Feuerschutz-Hilfeleistung ....................................................................................... 70
Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 ............................................... 205, 394, 396, 402
FFP3 .................................................................................. 209, 229, 287, 294, 384, 393
First Responder ............................................................................................... 71, 72, 79
Flüchtlinge ........................................... 348, 349, 350, 351, 352, 354, 355, 356, 357
Flüchtlingslager .............................................................................................. 268, 355
Flüchtlingsstatus ..................................................................................................... 349
Flüssigkeitstherapie ......................................................................................... 196, 197
Flusssäure .................................................................................................................. 254
forensisch-pathologische Untersuchung ........................................................... 371
freigestellte Versandstücke ................................................................................... 213
Freimessung ............................................................................................................. 228
FwDV 500 .............................. 205, 210, 212, 215, 225, 227, 228, 394, 396, 398, 402

G
Gammabestrahlungseinrichtung ........................................................................ 211
Gammadosisleistung ............................................................................. 210, 222, 224
Gammastrahlung .................................................................................... 212, 220, 222
Ganzkörperdekontamination .............................................................. 244, 247, 341
Ganzkörperexposition .................................................................................. 206, 207
Ganzkörperzähler ................................................................................................... 225
gastrointestinale Infektionen ............................................................................... 129
GCS ................................................................................................................ 177, 178, 179
Gefahrenabwehr .................. 26, 45, 70, 78 ,79, 80, 82, 84, 103, 105, 133, 139, 140,
........................ 144, 145, 248, 331, 343, 344, 345, 346, 355, 357, 361, 394, 396, 398
Gefahrenbereich .............. 35, 71, 87, 175, 204, 209, 221, 227, 243, 244, 248, 249,
................................................ 251, 252, 253, 255, 256, 257, 258, 263, 289, 336, 340,
................................................ 383, 396, 397, 398, 399, 400, 435, 436, 429, 435, 436
Gefahrensymbole ..................................................................... 237, 241, 379, 414, 416
Gefahrgut-Kennzeichnung .................................................................................. 338

Leitfaden Katastrophenmedizin 477


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Gefahrnummer ........................................................................................................ 236


Gefahrstoffdatenbanken ............................................................................... 238, 241
Gefahrstoffexposition ................................................................... 241, 242, 243, 248
Gefahrstoffunfälle .............................................. 201, 234, 235, 236, 240, 241, 242,
............................................................................................. 245, 248, 250, 253, 414, 418
Gefahrzettel .............................................................................. 213, 214, 236, 414, 415
Gefäßverletzung ........................................................................................................ 181
Gelbkreuz .................................................................................................................. 260
genetischer Fingerabdruck ................................................................................... 374
Geschlechtsbestimmung .............................................................................. 368, 370
Gesellschaft .............................................................................................. 25, 26, 28, 29
Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe .................... 44, 50, 327
Gesetzgebungskompetenz ............................................................................... 44, 45
Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz ..................................................... 324, 427
GGVSE .................................................................................................................. 213, 214
Giftgasanschlag ........................................................................................................ 337
Giftinformationszentren .............................................................................. 238, 248
Glasgow Coma Scale ......................................................................................... 177, 179
Glasgow-Komaskala ......................................................................................... 177, 179
Glaube .......................................................................................................................... 40
Glukokortikoide ..................................................................... 245, 253, 256, 257, 263
GPHF-Minilab ........................................................................................................... 333
Grenzen der Reanimation ...................................................................................... 125
grenzüberschreitende Abkommen ...................................................................... 48
grenzüberschreitende Einsätze ............................................................................. 48
Grobdekontamination ........................................................................................... 224
Großbestrahlungsanlagen ............................................................................. 208, 211
großes Schadenereignis ......................................................................................... 364
Großkatastrophe ...................................................................................................... 364
Großschadensereignis ............. 26, 46, 47, 73, 83, 112, 113, 118, 120, 125, 132, 204,
.......................... 216, 234, 266, 277, 303, 316, 321, 327, 329, 331, 334, 364, 427, 428
Großschadensfall ......................................................................................... 68, 73, 320
Guidelines for Drug Donations ............................................................................. 333

H
halogenierte Kohlenwasserstoffe ....................................................................... 255
Hamburger Thesen .......................................................................................... 139, 140
Hämolyse .................................................................................................. 254, 257, 420
hämorrhagischer Schock ....................................................................................... 153
Handbuch Biologische Gefahren ......................................................................... 381
Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr ...... 96, 111
Havarien ...................................................................................... 70, 74, 76, 97, 98, 267

478 Leitfaden Katastrophenmedizin


HDM ...................................................................................................................... 118, 119
Heilberufegesetze ................................................................................................... 326
heilkundliche Intervention ..................................................................................... 33
Hilfeersuchen eines Bundeslandes ........................................................................ 47
Hilfeleistungsstrukturen .................................................................................. 82, 84
Hilflosigkeit ............................................................................................. 23, 32, 38, 134
Hilfsfrist ................................................................................................................. 68, 79
Hilfsorganisationen ............................ 70, 89, 100, 102, 127, 138, 139, 147, 210, 322,
......................................................... 324, 328, 332, 334, 343, 354, 355, 356, 361, 367
Hinterbliebene ..................................................... 30, 31, 32, 33, 34, 35, 131, 132, 134
Hoffnung ........................................................................................ 34, 40, 89, 137, 350
humanitäre Soforthilfe .......................................................................................... 356
Hydroxocobalamin ................................................................................ 245, 246, 251
Hydroxyethylstärke ......................................................................................... 157, 158
hyperbare Sauerstofftherapie ..................................................................... 250, 256
hypertone Lösung .................................................................................................... 158
hyperton-hyperonkotische Lösung ..................................................................... 158
hypovolämischer Schock ................................................................................ 153, 154

I
Identifikation .................................... 32, 87, 236, 238, 241, 338, 365, 366, 369, 372
Identifikation Verstorbener .................................................................................. 365
Identifizierungskommission ..................................... 364, 365, 368, 376, 377, 465
Identitätsbeweis ...................................................................................................... 368
IDKO ................................................................................................................... 364, 368
IFRC ..................................................................................................................... 356, 357
IKRK ............................................................................................................................ 356
ILI ................................................................................................................................. 466
Impfkampagnen ....................................................................................................... 129
Individualmedizin ........................................................................... 68, 69, 71, 78, 112
individualmedizinische Versorgungsmöglichkeiten ...................................... 83
individuelle Disposition ......................................................................................... 296
Industrieverpackungen .......................................................................................... 213
Infektionskrankheiten ....................... 128, 129, 266, 267, 268, 269, 270, 272, 273,
.................................................................... 275, 280, 281, 282, 283, 288, 296, 298, 311
Infektionsschutzgesetz ....................................................... 276, 293, 294, 422, 424
Infektionsschutz-Set ................................................................................................ 287
Infektionsverdacht .......................................................................................... 295, 314
Influenza-like Illness ..................................................................................... 269, 280
Influenzapandemie ........................................................................................ 319, 320
Ingestion ............................................................................................................ 203, 261
Inhalation ............... 172, 191, 203, 217, 219, 251, 253, 254, 255, 257, 269, 286, 384

Leitfaden Katastrophenmedizin 479


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Inhalationsanalgetika ............................................................................................ 165


Inhalationsanästhesie .............................................................................................. 171
inhalative Anästhetika ........................................................................................... 170
Initial-(Chaos-)phase ............................................................................................... 314
Inkorporation ................ 92, 203, 209, 216, 217, 221, 222, 225, 226, 228, 396, 400
Inkorporation von Radionukliden ...................................................................... 226
Inkubationszeit .............................................................. 261, 279, 283, 289, 293, 299
Inlandsvertriebene ........................................................................................ 348, 349
Insektizide ................................................................................................................. 258
Insufflation ......................................................................................... 116, 117, 245, 249
Intensiv- und Überwachungsbettenkapazität ................................................. 308
Internationale Hilfe ........................................................................................ 332, 333
interne Gefahrenlagen ............................................................................................ 311
intravenöse Narkose ................................................................................................ 169
intravenöse Narkotika ............................................................................................. 169
In-vitro-Diagnostika ................................................................................................ 427
Iodblockade ........................................................................................................ 217, 218
Iodtabletten ............................................................................................... 204, 217, 218
Ionisierende Strahlung .......................................................................................... 204
IP ................................................................................................................................... 213
Isoliergerät ......................................................................................................... 212, 221

K
Kaliumiodid ............................................................................................................... 218
Kaltwassertherapie ........................................................................................... 191, 192
Kammerflimmern ............................................................................................ 123, 124
kardiopulmonale Reanimation .............................................. 118, 119, 124, 125, 167
Katastrophe ............. 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 67, 68, 70, 73, 74, 77, 83, 84, 91, 93,
....................................... 94, 98, 99, 364, 365, 366, 366, 367, 368, 371, 372, 374, 375
Katastrophenmedizin .................. 21, 23, 24, 25, 29, 43, 44, 50, 51, 58, 63, 64, 67,
.................. 68, 69, 78, 81, 96, 97, 113, 121, 124, 153, 156, 158, 165, 173, 309, 351, 402
Katastrophennachsorge ........................................................................................... 32
Katastrophennetzwerk der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie ..... 308
Katastrophenpharmazie .................... 101, 276, 301, 303, 324, 326, 328, 330, 334
Katastrophenschutz ........................... 44, 45, 46, 47, 48, 50, 70, 72, 75, 76, 84, 95,
............................................................................................ 102, 205, 330, 334, 402, 436
Katastrophenschutzbeauftragter der Klinik ..................................................... 312
Katastrophenschutzgesetze .................................................. 47, 55, 70, 71, 311, 364
Katastrophenschutzplanung ................................................................................ 216
Katastrophenschutzstäbe ....................................................................................... 98
Katastrophensituationen .................................... 21, 46, 54, 116, 128, 156, 157, 164,
........................................................................................ 166, 168, 169, 178, 181, 301, 303

480 Leitfaden Katastrophenmedizin


Kemler-Zahl ...................................................................................................... 236, 237
Kernkraftwerke ......................................................................................... 211, 215, 216
Kernkraftwerksunfall ............................................................................................. 216
Kernwaffen ...................................................................................................... 208, 220
Ketamin ........................................................ 155, 165, 166, 168, 170, 171, 173, 174, 193
Kieferpanoramaaufnahmen ................................................................................. 373
KIT ............................................................................................... 138, 146, 231, 278, 279
Kobalt-60 ........................................................................................................... 219, 220
Kohlenmonoxid .................................... 193, 237, 238, 239, 245, 249, 251, 252, 375
Kollaps der präklinischen Versorgungsstrukturen ........................................ 344
kolloidale Volumenersatzmittel ........................................................................... 156
Kombination von PSA .............................................................................................. 391
Kommorientenpräsumption ........................................................................ 365, 375
Kommunikationssysteme .............................................................................. 100, 105
Kompaktsystem ......................................................................................................... 80
komplexe humanitäre Katastrophe .................................................................... 350
Konferenz evangelische Notfallseelsorge .......................................................... 140
Konsens ............................................................................................................ 25, 26, 93
Konsolidierungsphase ............................................................................................ 315
Kontaktpersonen .................................................................... 272, 276, 278, 291, 299
Kontamination ........................... 76, 91, 203, 208, 209, 211, 215, 216, 221, 224, 227,
................................................ 228, 229, 240, 241, 245, 254, 255, 291, 336, 340, 342,
Kontaminationsbereich ................................................................................ 221, 395
Kontaminationsnachweis ............................................................. 211, 336, 340, 341
Kontaminationsverdacht ................................................................................ 311, 314
Kontaminationsverschleppung ................. 92, 227, 396, 397, 399, 401, 434, 436
kontaminierte Wunden .......................................................................................... 184
Kontraindikation für die Iodblockade ................................................................ 218
Kontrolle ..................... 34, 36, 38, 39, 64, 113, 117, 177, 178, 180, 234, 279, 293, 382
Konventionsflüchtlinge ......................................................................................... 352
Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe ................. 146
Körperschutz .................................................................................................... 212, 398
Kranke .......................................................... 290, 360, 379, 394, 395, 399, 400, 403,
............................................................................................ 406, 407, 427, 428, 456, 458
Krankenhaus ............................................. 311, 314, 315, 316, 318, 319, 320, 321, 322
Krankenhausalarmplanung ................................................................ 303, 311, 323
Krankenhausapotheken ...................................... 325, 327, 329, 330, 331, 334, 427
Krankenhausbedarfsplan ........................................................................................ 97
Krankenhauseinsatzleitung .................................................................. 313, 315, 318
Krankenhauspharmazie ............................................................................... 328, 329
Krankenhausvorsorgeplanung ........................................................................... 308
Krankheitsverdächtige ......................................................................... 290, 291, 292
Kreislauf ......................... 112, 113, 114, 115, 118, 120, 121, 125, 154, 167, 251, 296, 299

Leitfaden Katastrophenmedizin 481


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Krisendienste ........................................................................................................ 39, 141


Krisenintervention .............................................................................................. 33, 34
Kriseninterventionsteam ....................................................................... 138, 139, 147
Krisenreaktionszentrum ........................................................................................ 146
Kritische Infrastrukturen ................................ 76, 96, 104, 105, 320, 321, 322, 327
kritische Lebensereignisse ....................................................................................... 31
KUSS-Skala .................................................................................................................. 168

L
Lagebeurteilung ....................................................................................................... 210
Laienhilfe .......................................................................................................... 71, 72, 75
Laktatazidose ............................................................................................................ 251
Ländergesetze ...................................................................................................... 45, 50
ländergrenzenüberschreitende Katastropheneinsätze ................................... 47
Landesbeauftragte(r) PSNV .................................................................................... 145
landesspezifische Regelungen zum Katastrophenschutz .............................. 46
Landeszentralstelle für PSNV ................................................................................ 145
Laugen ....................................................................................................... 241, 242, 254
Lebensmittelvergiftung ............................................................... 261, 262, 289, 320
lebensrettende Sofortmaßnahmen ................ 37, 69, 112, 125, 225, 341, 397, 399
Leistungsfähigkeit der Krankenhausapotheke ................................................ 427
Leitender Notarzt ................................................................................................ 72, 82
Leiter PSNV ................................................................................................. 140, 144, 145
Linearbeschleuniger .............................................................................................. 208
LNA ................................................................................ 68, 72, 81, 82, 94, 99, 216, 400
Logistics ERU ............................................................................................................. 359
Lokalanästhetika .............................................................................................. 165, 167
Luftbrücken ................................................................................................................ 115

M
Man-made-Katastrophen ...................................................................................... 267
MANV ............................................ 67, 68, 73, 77, 80, 82, 83, 84, 92, 93, 95, 101, 103,
.................................................... 105, 106, 107, 139, 140, 204, 305, 306, 307, 308, 399
Maskenbeatmung ...................................................................................... 117, 121, 171,
Massenanfall von Infizierten ........................................... 67, 73, 77, 80, 92, 93, 320
Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten ............................................. 67, 73
Massenkatastrophe ................................................................................................. 364
Maximierungsformel ......................................................................................... 58, 64
mechanische Eigenschaften ................................................................................. 387
Medienberichte .......................................................................................................... 32
Medienvertreter ......................................................................................................... 30

482 Leitfaden Katastrophenmedizin


MEDITOX .......................................................................................................... 238, 460
Medizinische Gase .................................................................................................... 427
medizinische Grundversorgung ................................................................... 78, 360
Medizinische Task Force ............................................................................ 84, 85, 103
Medizinische Versorgungszentren ....................................................................... 78
Medizinischer Einsatzleiter ................................................................................... 314
Medizinprodukte .......................................... 49, 279, 328, 329, 330, 334, 427, 428
Mehrfachbetroffenheit ............................................................................................. 31
Meldepflicht ............................................................................................. 261, 288, 422
Methämoglobinämie ............................................................................ 254, 257, 420
Methämoglobinbildende Gifte ............................................................................ 253
Minithorakotomie .................................................................................................... 180
Mitarbeiterregistrierung ....................................................................... 313, 315, 318
Mitwirkung von Ärzten ............................................................................................ 71
molekulargenetische Untersuchungen ........................................... 368, 369, 374
Monitoring ......................................................................................................... 169, 170
MTF ................................................................................................................. 84, 85, 102
Multiorganversagen .............................................................................. 153, 206, 263
Mund-zu-Mund-Beatmung ..................................................................................... 117
Mund-zu-Nase-Beatmung ................................................................................ 116, 117
Mustardgas ............................................................................................................... 260
MVZ .................................................................................................................... 71, 72, 78

N
Nadeldekompression ............................................................................................... 180
Narkose ................................................................................. 169, 170, 171, 172, 173, 174
Narkose in Ausnahmesituationen ........................................................................ 174
NASCIS-Schema ........................................................................................................ 178
Natriumthiosulfat ................................................................. 245, 246, 251, 252, 261
Natrium-Perchlorat ................................................................................................. 218
Naturkatastrophen ............... 23, 52, 70, 74, 96, 145, 171, 350, 354, 356, 379, 444
natürliche Strahlenexposition ............................................................................. 204
Nervengift ................................................................................................. 337, 341, 342
Nervenkampfstoffe ................................................................................ 241, 258, 259
Netz an Hilfsangeboten ............................................................................................ 33
Netzwerk .................................................................................................... 133, 136, 427
neue Strategie im Bevölkerungsschutz ........................................................... 76, 77
neurologischer Status ...................................................................................... 177, 179
Neutralität ........................................................................................................ 354, 356
Nichtopiate ................................................................................................................. 165
Nichtopioid-Analgetika .......................................................................................... 168
Niederlassungserlaubnis ............................................................................... 351, 352

Leitfaden Katastrophenmedizin 483


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Nitrile .......................................................................................................................... 250


No touch technique ................................................................................................. 342
NOAH ................................................................................................................... 146, 147
NOAH-Hotline ........................................................................................................... 147
Noroviren-Ausbrüche ............................................................................................ 320
Notarzt ..................................................... 24, 63, 68, 71, 72, 79, 80, 81, 82, 203, 209,
............................................................................. 215, 216, 226, 228, 247, 279, 318, 400
Notaufnahme ........................ 71, 87, 229, 313, 314, 315, 317, 318, 320, 321, 323, 410
Notdekontamination ....................................................................................... 314, 321
Notfall- und KatastrophenMedizin ..................................................... 43, 50, 67, 97
Notfall- und KatastrophenPharmazie ...................... 101, 276, 301, 303, 324, 326,
...................................................................................................................... 328, 330, 334
Notfalleinsatz ................................................................................................ 67, 68, 191
Notfallkrikothyreotomie ........................................................................................ 178
Notfalllaparotomie ................................................................................................... 181
Notfallmedikamente ............................................................................................... 170
Notfallmedizin ................................ 43, 50, 52, 53, 64, 67, 68, 69, 121, 125, 165, 173
Notfallpatient ....................................................................................................... 25, 68
Notfallpsychologen ......................................................................... 138, 139, 146, 147
Notfallpsychologie ..................................................................................................... 33
Notfallseelsorge ........................................................................... 33, 34, 139, 140, 461
Notfallseelsorger ....................................................................... 138, 139, 141, 146, 147
Notfallstation .................................................................................................... 216, 217
nuklear ......................................................................................... 76, 287, 311, 324, 394

O
Obidoxim .................................................................................................. 246, 259, 430
ODL .............................................................................................................................. 205
offene radioaktive Stoffe ........................................................................................ 208
Öffentliche Apotheke ..................................................................................... 328, 329
Öffentliche krankenhausversorgende Apotheken ......................................... 330
Öffentlicher Gesundheitsdienst .................................................................. 279, 319
Ohnmacht ............................................................................................................. 23, 32
OP-Auslastung .......................................................................................................... 308
Opiate ................................................................................................... 165, 166, 247, 411
Opioid-Analgetika .................................................................................................... 169
Organisation ............... 24, 45, 47, 50, 89, 96, 133, 141, 147, 186, 215, 247, 291, 349,
................................................. 350, 353, 356, 365, 376, 393, 395, 396, 399, 427, 428
Organisation des Apothekenbetriebs ........................................................ 427, 428
Organisatorischer Leiter Rettungsdienst ................................................. 72, 81, 82
Organische Lösemittel ........................................................................................... 255
Organophosphatvergiftung ................................................................ 258, 259, 339

484 Leitfaden Katastrophenmedizin


Organophosphate .......................................................................................... 258, 339
OrgL ........................................................................................ 68, 72, 81, 82, 94, 99, 214
Ortsdosisleistung ............................................................................................ 205, 230
Oxime ......................................................................................................................... 259

P
Pädiatrische Glasgow-Komaskala ........................................................................ 179
Pädiatric Glasgow Coma Scale ............................................................................... 179
Patientengeheimnis ................................................................................................. 90
Penetration ............................................................................................................... 388
PEP ..................................................................................... 287, 291, 293, 299, 300, 402
periphere Analgetika .............................................................................................. 165
Permeation ....................................................................................................... 388, 389
Persönliche Schutzausrüstung .......................... 203, 208, 221, 229, 275, 279, 293,
..................................................................................................... 300, 379, 381, 382, 434
Persönliche Sonderausstattung ........................................................................... 399
persönliches Risiko der Einsatzkräfte ................................................................ 346
PGCS ............................................................................................................................. 179
Pharmazeutisches Notfallmanagement ........ 276, 301, 303, 324, 328, 334, 427
Pharamazeutische Notfallversorgung .............................................................. 334
Pharmazie im Öffentlichen Gesundheitsdienst .............................................. 328
Phosphorwasserstoff .............................................................................................. 257
Phosphin .................................................................................................................... 257
PHTLS ........................................................................................................................... 176
Piktogramme ................................................................................................... 237, 386
Placards .............................................................................................................. 236, 415
Planspiele .................................................................................................................. 323
Plausibilitätskontrolle ............................................................................................ 370
Plutonium .......................................................................................................... 215, 226
Poison Severity Score .............................................................................. 248, 418, 421
Polytrauma ................................................................................................ 153, 169, 175
Postexpositionsprophylaxe ....................................... 276, 279, 287, 293, 300, 402
Post-mortem-Daten ................................................................................................. 368
posttraumatische Belastungsstörung ........................................................ 136, 142
präklinische Versorgungsstrategien ................................................................. 345
Prävention ................................................... 46, 131, 133, 140, 142, 143, 248, 349, 351
präventive Maßnahmen ............................................................. 33, 47, 75, 248, 375
Prehospital Trauma Life Support .......................................................................... 176
Presse .......................................................................................... 279, 313, 314, 315, 322
Pressearbeit ............................................................................................................... 322
Presseerklärungen .................................................................................................. 322
Pressekonferenzen .................................................................................................. 322

Leitfaden Katastrophenmedizin 485


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Pressluftatmer ........................................................................................................... 221


Priorisierung ................................................................................................ 26, 27, 272
PSA .................................. 208, 219, 273, 275, 278, 279, 287, 292, 293, 300, 337, 341,
................................. 379, 381, 382, 383, 384, 385, 386, 387, 391, 392, 397, 399, 430
PSNV .................................................................... 131, 132, 133, 134, 136, 137, 138, 139,
............................................................................... 140, 142, 143, 144, 145, 146, 148, 400
PSNV-Einsatzabschnitte ......................................................................................... 144
PSNV-Leitlinien ......................................................................................................... 133
PSS ....................................................................................................................... 248, 418
psychiatrische Notfälle ........................................................................................... 135
psychische erste Hilfe ................................................................................ 34, 137, 138
psychische Traumatisierung ................................................................................... 25
Psychoedukation ........................................................................................................ 37
psychosomatische Erkrankungen ......................................................................... 33
psychosomatische Stressreaktionen .................................................................. 270
psychosoziale Akuthilfen ........................................................... 33, 34, 137, 138, 139
psychosoziale Beratung ........................................................................................... 141
psychosoziale Hilfen ......................................................................................... 136, 141
Psychosoziale Notfallversorgung ................................ 131, 132, 145, 146, 346, 402
psychosozialer Stressfaktor .................................................................................... 127
Psychotherapeuten ............................................................................. 79, 138, 141, 147
psychotraumatologische Kompetenz ................................................................... 25
PTBS ..................................................................................................................... 136, 142
Public Health .................................................................................................... 325, 326
pulslose ventrikuläre Tachykardie ............................................................... 123, 124

Q
Qualitätssicherung in der PSNV ................................................................... 132, 148
Quarantäne ............................ 75, 272, 275, 276, 278, 289, 291, 292, 293, 299, 300

R
radioaktive Quellen ................................................................................................. 219
radioaktive Stoffe ..................................................................... 208, 210, 214, 230, 415
radioaktive Wolke .................................................................................................... 216
radiologisch ............................................................................................... 287, 311, 394
radiologische Untersuchungsverfahren ............................................................ 373
Radionuklidbatterien .............................................................................................. 215
Raumordnung ................................................................................................... 314, 317
Räumung .................................................................................................................... 321
Rechtsgrundlage ....................................................................................................... 44
Referral Hospital ERU ............................................................................................. 359

486 Leitfaden Katastrophenmedizin


Regionale Strahlenschutzzentren .......... 206, 226, 227, 229, 379, 405, 406, 457
Registrierung .................... 91, 106, 107, 244, 279, 291, 293, 317, 318, 321, 367, 400
Regressionsverhalten .............................................................................................. 127
Reintegration .............................................................................................................. 31
Reizgase .................................................................................................... 247, 252, 253
Reizgase vom Latenz-Typ ............................................................................... 252, 253
Reizgase vom Sofort-Typ ........................................................................................ 252
Ralaxierung ................................................................................................................ 171
Rendezvous-System ................................................................................................... 79
Rettungsdienst ............................................ 68, 70, 71, 72, 73, 74, 79, 80, 81, 82, 101,
.................................................................... 102, 105, 108, 334, 337, 341, 343, 344, 345
Rettungsdiensteinsatzleitung ............................................................. 72, 81, 83, 84
Rettungsgesetze der Länder .................................................................................... 45
Rettungsleitstellen .................................................................................... 80, 314, 403
Richtlinie für Rettungs, Sanitäts- und
Betreeungsaufgaben im CBRN-Einsatz .................................................... 394, 396
Ricin .......................................................................................... 263, 280, 285, 289, 297
Ringer-Acetat ............................................................................................................. 158
Ringer-Laktat .................................................................... 158, 159, 192, 193, 196, 300
Risikoanalyse .................................................................................. 322, 383, 384, 428
Risikofaktoren .............................................................................................. 24, 31, 282
Risikopotenzial ......................................................................................................... 322
Rizin .............................................................................................................................263
Röntgenschutzverordnung .................................................................................... 211
RöV ................................................................................................................................ 211
RSZ ............................................................................................ 206, 226, 228, 405, 407

S
Sanität ....................................................... 83, 84, 379, 394, 395, 396, 398, 401, 444
Sanitätseinsatzleitung ................................................................................ 81, 83, 104
Sanitätsmaterial ..................................................... 101, 102, 324, 327, 328, 332, 334
Sarin ................................................................................................... 245, 258, 337, 339
sauberer Behandlungsraum ................................................................ 243, 244, 245
Sauerstoff ............................. 115, 116, 121, 123, 126, 161, 162, 165, 171, 193, 244, 245,
........................................................................... 249, 252, 253, 255, 256, 257, 263, 418
Säuren ........................................................................................................ 241, 242, 254
Schmerzbehandlung ....................................................................... 151, 155, 164, 165
Schock ................................................... 88, 114, 124, 153, 154, 155, 160, 161, 162, 169,
............................................................................................... 181, 256, 281, 297, 299, 419
Schocklagerung ................................................................................................ 125, 155
Schockraummanagement ........................................................................ 71, 88, 228
Schuld ............................................................................................................................ 32

Leitfaden Katastrophenmedizin 487


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Schuss- und Splitterverletzungen ................................................................ 184, 185


Schutzfaktor ................................................................................................................. 31
Schutzkleidung ............................................................. 244, 295, 340, 385, 387, 429
Schutzkommission .................................................................................................... 86
Schwächung der Versorgungsstrukturen ........................................................ 344
Schwefelwasserstoff ................................................................................................ 255
Screening .................................................................................................................... 135
Selbsteinweiser ........................................................................................... 92, 313, 314
Selbsthilfe ................................................................. 72, 105, 379, 429, 430, 435, 436
Selbsthilfefähigkeit .................................................................................................... 78
Selbsthilfeverbünde ................................................................................................... 39
Selbstwirksamkeit .................................................................................. 34, 35, 38, 39
Senfgas ............................................................................................................... 260, 341
sexueller Missbrauch ............................................................................................... 127
sichere Todeszeichen .............................................................................. 125, 126, 366
sichere Verfahren ............................................................................................ 369, 370
Sicherheit ........... 24, 34, 35, 36, 81, 96, 108, 137, 178, 231, 243, 244, 328, 369, 373
Sicherstellungsgesetze ...................................................................................... 70, 103
Sichten ............................................................................................... 43, 50, 53, 54, 278
Sichtung ................................................. 50, 51, 52, 53, 64, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92,
..................................................... 175, 176, 248, 305, 306, 313, 314, 316, 397, 400, 401
Sichtungsarzt ............................................................................................ 176, 293, 318
Sichtungskarten ................................................................................................ 90, 279
Sichtungskategorien ............................... 52, 53, 54, 59, 81, 86, 95, 248, 279, 305,
...................................................................................................... 308, 309, 316, 318, 319
Sichtungsschemata und -methoden ...................................................................... 88
Sichtungsteams ......................................................................................................... 317
Sichtungstrichter ..................................................................................................... 317
Sichtungsvorgang .................................................................................................... 317
SKK ................................................................................................................ 73, 207, 402
SKK-DV 500 .................................................................... 394, 395, 396, 398, 401, 402
S-Lost ................................................................................................................... 260, 261
Sofortmaßnahmen ........... 21, 37, 69, 71, 72, 112, 125, 225, 299, 305, 341, 397, 399
Soman ........................................................................................................ 245, 258, 259
Sonderisolierstation ............................................................................... 272, 276, 279
Sonographie ................................................................................................................ 181
Sortieren ................................................................................................................. 51, 89
Sorting .............................................................................................................. 69, 83, 86
Sortirowka .................................................................................................................... 69
soziale Unterstützung ............................................................................. 135, 136, 461
soziales Netzwerk ............................................................................................... 39, 136
soziales Umfeld ........................................................................................................... 31
Spannungspneumothorax ..................................................................... 124, 179, 180

488 Leitfaden Katastrophenmedizin


Sphere-Projekt ................................................................................................. 353, 354
Spine Board ........................................................................................................ 178, 227
Spotdekontamination ........................................................... 244, 314, 341, 400, 401
Staatsverträge ............................................................................................................. 49
stabile Seitenlage .............................................................................................. 114, 244
Standardanalytik .................................................................................................... 239
Staphylococcus aureus ................................................................................... 261, 294
stay and treat ...................................................................................................... 92, 344
Stillen ........................................................................................................................... 129
Stoffnummer ............................................................................................................ 236
Strafbarkeit .................................................................................................................. 63
Strafverfolgung ........................................................................................................ 375
Strahlendosis .................................................................................................... 212, 223
Strahlenexposition ................................................. 204, 205, 206, 211, 216, 221, 222
Strahlenkatastrophe .............................................................................. 201, 203, 204
Strahlenmess- und Nachweisgeräte ................................................................... 204
Strahlenmessung ..................................................................................................... 210
Strahlenquelle ................................................................ 203, 204, 208, 210, 219, 220
Strahlenschutzarzt ........................................................................................... 217, 229
Strahlenschutzbeauftragter .................................................................................. 210
Strahlenschutzbevollmächtigter ......................................................................... 210
Strahlenschutzdosimeter ...................................................................................... 208
Strahlenschutzkommission ........................................................... 211, 215, 225, 231
Strahlenschutzphysiker ......................................................................................... 228
Strahlenschutzverantwortlicher ......................................................................... 210
Strahlenschutzverordnung ................................................. 205, 206, 211, 228, 230
Strahlenunfall ............................................................... 203, 204, 205, 208, 216, 226
Strahlenunfälle .................................. 201, 203, 205, 206, 208, 225, 228, 405, 407
Strahlenunfallopfer ................................................................................................ 206
StrlSchV ............................................................................................. 205, 211, 228, 230
Stufenkonzept ........................................................................................................... 166
Suicide-Bombers ...................................................................................................... 344
symbolträchtige Einrichtungen .......................................................................... 344
Szenarien ................................................................... 92, 209, 220, 306, 311, 312, 344

T
Tabun ................................................................................................................. 245, 258
Technische Einsatzleitung ....................................................................................... 81
TEL ................................................................................................................................ 418
Telecommunication ERU ....................................................................................... 359
therapeutische Kühlung ......................................................................................... 198
Thorakotomie ............................................................................................................. 181

Leitfaden Katastrophenmedizin 489


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Thoraxtrauma ........................................................................................................... 179


Thoraxverletzungen ........................................................................................ 180, 183
TIVA ...................................................................................................................... 169, 170
TMT Handbook ......................................................................................................... 232
Todesart ...................................................................................................................... 374
Todesfeststellung ..................................................................................................... 366
Todesursache .................................................................................... 197, 366, 371, 374
Todeszeit ................................................................................................... 366, 374, 375
Toluidinblau ..................................................................................... 245, 247, 254, 257
totale intravenöse Anästhesie ................................................................ 169, 170, 173
Tote .......................................................................................... 26, 35, 86, 271, 364, 366
Totenflecken ............................................................................................................. 366
Totenstarre ................................................................................................................ 366
Toxidrom .......................................................................................... 240, 241, 338, 339
Toxikologie und Ökologie .............................................................................. 328, 331
toxikologische Notfallausrüstung ...................................................................... 246
toxische Gefahrenzone .................................................................................. 234, 243
Transportkapazität ................................................ 99, 103, 104, 305, 306, 308, 309
Transportkategorien .............................................................................................. 294
Transportmittel ....................................... 99, 106, 186, 236, 241, 247, 278, 279, 322
Trauer ......................................................................................................... 30, 31, 40 141
traumatische Erfahrung ......................................................................................... 134
treat and run ............................................................................................................. 345
Triage ...................................... 21, 26, 43, 50, 51, 52, 69, 83, 86, 87, 88, 89, 296, 305
Trockendekontamination ...................................................................................... 341
Tsunami-Katastrophe ............................................... 31, 32, 353, 359, 364, 371, 372
TUIS ............................................................................................................................. 238
Typ-A-Versandstücke ............................................................................................... 213
Typ-B-Versandstücke ....................................................................................... 213, 214
Typ-C-Versandstücke ............................................................................................... 214

U
Übergangszone ............................................................. 396, 397, 398, 399, 400, 401
Überlebende ........................................................ 30, 31, 32, 33, 34, 131, 132, 134, 137
Übungen ................................................................. 47, 95, 98, 100, 105, 323, 377, 392
umluftunabhängiger Atemschutz ............................................ 209, 221, 243, 258
umschlossene radioaktive Stoffe ................................................................. 210, 230
UN/GHS-Gefahrenpiktogramme .......................................................................... 417
unentbehrliche Arzneimittel ....................................................................... 279, 333
UNHCR ............................................................................................. 349, 352, 353, 356
UN-Nummer ............................................................................................................. 236
Unparteilichkeit ............................................................................................. 354, 356

490 Leitfaden Katastrophenmedizin


unsicheres Verfahren ............................................................................................. 369
Unterernährung ....................................................................................................... 128
Unterkühlung ........................................................................................... 128, 198, 268

V
Verätzungen ................................................................... 242, 244, 254, 261, 418, 421
Verbandsführungsstruktur ............................................................................... 81, 84
Verbandstoffe ............................................................................................................ 427
Verbrennungen .................................. 53, 129, 157, 169, 186, 188, 189, 190, 191, 192,
...................................................................... 193, 194, 195, 196, 197, 244, 261, 366, 367
Verbrennungsgrade ......................................................................................... 188, 189
Verbrennungskrankheit ......................................................................................... 190
Verkehrsführung ...................................................................................................... 321
Verletztenanhängekarte ......................................................................... 106, 107, 176
Verletztenanhänger ................................................................................................. 90
Verlust .......................................................... 24, 31, 33, 35, 58, 134, 153, 169, 196, 371
Vermissende .................................................................... 30, 33, 34, 131, 132, 134, 137
Vernachlässigung .................................................................................................... 127
Verpflegung .......................................................................................................... 84, 94
Verschollenheit ........................................................................................................ 365
Verschollenheitsgesetz .......................................................................................... 365
Verschüttungstraumen .......................................................................................... 183
Versicherungsleistungen ...................................................................................... 375
Versorgung ............................. 68, 69, 71, 74, 75, 78, 79, 83, 84, 85, 88, 95, 96, 100,
................................................... 101, 305, 306, 307, 308, 313, 315, 316, 321, 322, 324,
........................................................... 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334
Versorgungskapazität .................................................................. 306, 307, 308, 309
Versorgunspriorität ........................................................................................ 192, 306
Versorgungsstufe I ................................................... 77, 78, 80, 95, 101, 103, 105, 108
Versorgungsstufe II ......................................................... 77, 80, 94, 95, 101, 103, 105
Versorgungsstufe III ............................................................... 77, 82, 83, 84, 102, 103
Versorgungsstufe IV .................................................................................... 77,85, 102
Verteidigungsfall .................................................................................. 45, 70, 85, 327
Verteilungspläne ............................................................................................ 305, 306
Verteilungsplanung .............................................................................. 303, 305, 308
vitale Funktionsstörungen ..................................................................................... 113
Vitalfunktionen .................................................. 71, 112, 114, 125, 154, 175, 244, 299
Völkerrecht ............................................................................................................... 348
Vollelektrolytlösung ............................................................................... 155, 158, 159
Volumenersatz .......................................................................... 155, 156, 157, 158, 159
Volumenersatzmittel .............................................................................. 156, 157, 158
Volumenmangel ............................................... 120, 154, 158, 159, 167, 169, 197, 300

Leitfaden Katastrophenmedizin 491


Verzeichnisse
Stichwortverzeichnis

Volumenmangelschock .......................... 151, 153, 154, 156, 159, 160, 181, 190, 192
Volumensubstitution ....................................................................... 120, 158, 181, 192
Volumenverlust ................................................................................................ 120, 158
Vor-Ort-Dekontamination ..................................................................................... 337
Vorsichtung .......................................................................................................... 88, 89
VX ............................................................................................................... 245, 258, 342

W
Wahrheitsfindung ..................................................................................................... 32
Warntafeln ........................................................................................................ 213, 236
Wasser- und Nahrungsmangel ............................................................................. 129
Wasserbedarf ............................................................................................................ 129
Water and Sanitation ERU ..................................................................................... 359
Wegeführung .......................................................................................... 313, 314, 320
Wehrpharmazie ...................................................................................................... 332
Wellenpläne ............................................................................................................. 308
Würde ............................... 37, 45, 57, 58, 59, 64, 153, 245, 252, 269, 295, 320, 355
Wut ................................................................................................................................ 32

Y
Yperit ........................................................................................................................... 260

Z
Zahnstatusuntersuchungen ................................................................................. 372
ZA-Schwerbrandverletzte ..................................................................................... 403
Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung
von Betten für Schwerbrandverletzte ................................................................. 403
Zertifizierungsverfahren ...................................................................................... 323
Zeugen ..................................................................... 30, 33, 34, 132, 134, 135, 136, 137
Ziel körperlicher Gewalt ........................................................................................ 343
Zielklinik ............................................................................................... 87, 175, 181, 186
Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen ............................................................. 63
Zivil-militärische Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ......................... 332
Zivilschutz ..................................... 44, 45, 50, 70, 71, 85, 93, 231, 316, 327, 342,429
Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz ..................................... 44, 70, 85, 327
zulässige Kriterien ...................................................................................................... 57
Zulässigkeit des Sichtungsverfahrens ............................................................. 47, 54
Zuständigkeitsfragen ................................................................................................ 47
Zweitanschlag .......................................................................................................... 346

492 Leitfaden Katastrophenmedizin


Leitfaden Katastrophenmedizin 493
Notizen
Leitfaden Katastrophenmedizin

494 Leitfaden Katastrophenmedizin


Leitfaden Katastrophenmedizin 495
Verzeichnisse
Inhaltsverzeichnis: CD – Weiterführende Literatur

Inhalt der CD
Leitfaden Katastrophenmedizin, 5. völlig überarbeitete Auflage
sowie
weiterführende Literatur zu einzelnen Kapiteln

Kapitel 2
Broschüre: Psychosoziale Notfallversorgung: Qualitätsstandards und Leitlinien
(Teil I)
Herausgeber:
© Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)
Provinzialstraße 93, 53127 Bonn
ISBN: 3-939347-16-7; ISBN: 978-3-939347-16-3

Kapitel 4
Inhaltliche Rahmenempfehlungen für die Aus- und Fortbildung von
LNA und OrgL

Der Behandlungsplatz 25/50

Kapitel 6/9
Schmerztherapie bei Kindern

Kapitel 14
Broschüre: GEMAESS – Biologische Gefahrenlagen:
Leitfaden für Rettungs- und Einsatzdienste bei Ereignissen mit biologischen
Gefahrstoffen
Herausgeber: Johanniter-Unfall-Hilfe e. V., Bundesvorstand, D-10724 Berlin
Erste Auflage Juni 2007
© GEMAESS ist urheberrechtlich geschützt durch die Firma Plansafe GmbH

Kapitel 16
Sichtungsalgorithmus nach Bubser, 1998

Aufgaben einer Krankenhauseinsatzleitung KEL

Übersicht über die Regelungen der Länder zur Katastrophenvorsorge der


Krankenhäuser und zur Aufnahmeverpflichtung für Notfallpatienten

Anhang: Kapitel 33
Handbuch für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr bei Na-
turkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen und im Rahmen der
dringenden Nothilfe

496 Leitfaden Katastrophenmedizin


ISBN 978-3-939347-25-5

Das könnte Ihnen auch gefallen