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Ahnenflüsterin
Ahnenflüsterin
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eBook217 Seiten2 Stunden

Ahnenflüsterin

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Über dieses E-Book

Die achtzehnjährige Eleonora Goldberg, genannt Nora, steht kurz vor dem Abitur und lebt ein beschauliches, fast ein wenig zu langweiliges Leben in Mühlhausen, einer kleinen Stadt in Thüringen. Nach dem Tod ihrer Eltern wird sie von ihrer Großmutter adoptiert und großgezogen. Die Nachricht von der Erkrankung ihrer Oma lässt ihr Leben aus den Fugen geraten. Doch als sie dachte, schlimmer könne es nicht kommen, wartet ihre Großmutter mit einer unglaublichen Geschichte auf. »Das Träumen ist gefährlich für die Frauen unserer Familie, musst du wissen.« Was Nora zu Anfang für einen schlechten Scherz gehalten hat, wird ihr Leben für immer verändern ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. März 2021
ISBN9783753449142
Ahnenflüsterin
Autor

Yvonne Bauer

Darf ich mich vorstellen? Mittlerweile Mitfünfzigerin wurde ich Anfang der Siebziger im wunderschönen Mühlhausen/Thüringen geboren. Dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach Abi und Berufsausbildung stand erstmal die Familie im Mittelpunkt. Eine Hochzeit und drei Kinder später startete ich dann im Medizinstudium durch und wurde Ärztin. Auch der Doktortitel musste her. In der Zwischenzeit waren die Kids groß, für jedes, das auszog, zog eine Katze ein. In meiner Freizeit, die es nach Studium und Doktorarbeit wieder gab, verschlang ich einen historischen Roman nach dem anderen und irgendwann reifte in mir der Gedanke, selbst zu schreiben. So fing ich an, für meinen ersten Roman zu recherchieren. Dabei spielte mir die Liebe zu meiner Heimatstadt in die Karten. Ich schrieb und schrieb und ..., naja, Ihr wisst schon. Was dabei raus gekommen ist, könnt Ihr auf meiner Seite nachlesen...

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    Buchvorschau

    Ahnenflüsterin - Yvonne Bauer

    Urheberrechte

    Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors/Verlags untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

    Für meine Herzensmädchen

    Annika und Jessika

    Lebt immer Eure Träume!

    »Es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele

    dem Körper zu leihen vermag.«

    Wilhelm von Humboldt (1767-1835)

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Adela

    Runen

    Opfergaben

    Merit

    Untergang

    Gesa

    Glaubensfragen

    Schmerz

    Josepha

    Erlösung

    Könige

    Heilkunst

    Aufstand

    Entscheidung

    Lebenskreis

    Qualen

    Wahrheiten

    Anmerkungen der Autorin

    Rezept Suppenkuchen

    Rezept Schneewittchenkuchen

    Rezept Fangfleisch

    Glossar

    Zeittafel

    Über die Autorin

    Bisher erschienen

    Klappentext

    Prolog

    Ich sah auf die Uhr. In wenigen Minuten würde meine Großmutter mit einem Krankentransport zuhause eintreffen. Diesen Moment fürchtete ich, seit die Ärzte der Wachstation angerufen und mir mitgeteilt hatten, dass man für sie nichts mehr tun könne. Ich dachte zuerst, hier läge eine Verwechslung vor. Sie ist nicht einmal siebzig. Wie konnte das sein? Aber die Mediziner irrten sich nicht. Klara Goldberg, die Frau, die mich nach dem Tod meiner Mutter großgezogen hatte, würde sterben. Brustkrebs, eine besonders aggressive Form. Bis vor zwei Wochen ahnten wir nicht einmal, dass sie so krank war. Aber Oma hatte sich in den letzten Monaten häufig müde gefühlt und an Gewicht verloren. Jetzt hatten wir zumindest Gewissheit. Ihr ganzer Körper war von Metastasen zerfressen. Eine Heilung war ausgeschlossen.

    Tränen brannten mir in den Augen. Mein Hals war staubtrocken. Warum ausgerechnet jetzt? Ich brauche Oma. Wir waren seit Jahren ein eingespieltes Duo. Außer ihr habe ich niemanden. Die Mädchen in meiner Klasse halten mich alle für seltsam und altbacken. Aber nicht Oma. Mit ihr verbringe ich die meiste Zeit, kann sein, wie ich bin. Wir lesen und gucken uralte Filme. Was sollte aus mir werden, wenn sie nicht mehr da war? Ich war nicht einmal achtzehn. Ich konnte nicht allein sein. Die Vorstellung von einem düsteren Heim und gleichgültigen Betreuern schoss mir in den Kopf. Die Furcht vor der Zukunft schnürte mir die Kehle zu und eine Welle der Übelkeit drohte, mich zu übermannen. Hastig lief ich in die Küche, in der meine geliebte Oma jeden Tag nach Schulschluss mit dem Essen auf mich wartete. Mit dem Bild vor Augen, wie sie am Herd steht und mit den Töpfen herumfuhrwerkt, lief ich zur Spüle und goss mir Wasser in ein Glas, das ungewaschen neben dem Becken stand. Hastig spülte ich das kühle Nass hinunter. Als das Zimmer sich zu drehen anfing, rutschte ich an dem Spülenschrank herunter, an den ich mich angelehnt hatte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

    Mit dem Kopf zwischen den Knien saß ich schwer atmend auf dem Küchenboden und beobachtete einen Marienkäfer dabei, wie er versuchte, am Tischbein des kleinen weißlackierten Holztischchens hochzuklettern, an dem Oma und ich sonst gemeinsam aßen. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, was das Käferchen mitten im November hier zu suchen hatte, als ein Klingeln mich aus meinen Überlegungen riss.

    Vorsichtig stand ich auf und lief schwankend zur Tür. Mit jedem Schritt wurde mir schwerer ums Herz. Die Klinke in der Hand, hielt ich kurz inne, raffte meine Schultern und öffnete die Tür.

    »Hallo, sind wir hier richtig bei Goldberg?« Der Retter, der mindestens zwei Meter groß war, und mit seiner Statur den Eingang verdunkelte,

    schob sich an mir vorbei, während meine Großmutter auf der Rettungsdiensttrage leise kicherte.

    »Er hat schon den ganzen Weg hierher Späße gemacht. Stell dir vor, Nora, er hat keine Freundin.« Ihre Stimme nahm bei den letzten Worten einen geheimnisvollen Klang an.

    »Oma! Du kannst doch nicht ...«

    »Doch, ich kann. Wie du weißt, werde ich mir demnächst die Radieschen von unten ansehen. Da muss ich sicher sein, dass es jemanden gibt, der auf dich aufpasst.«

    Während die beiden Rettungskräfte meine Oma an mir vorbeifuhren, konnte ich nicht fassen, mit welcher Gelassenheit sie von ihrem Tod sprach. Ich sah dabei zu, wie die Männer die Trage am Fußende nach unten klappten und meiner Großmutter auf den nebenstehenden Sessel halfen. Der Ältere schob ihr ein Kissen in den Nacken und breitete die Wolldecke über die Beine, während der Jüngere die Trage wieder zurechtrückte und die Anschnallgurte auf die Liegefläche legte. »Dann mal alles Gute, Frau Goldberg.«

    »Vielen Dank, die Herren!« Sie bedachte die Männer mit einem bezaubernden Lächeln, bevor sie sich mir zuwandte. »Nora, bring die beiden doch an die Tür!«

    Als ich mich umdrehte, um die Retter hinauszubegleiten, hörte ich, wie sie leise hinzufügte, dass ich mir doch die Nummer des Spaßvogels geben lassen sollte. Kopfschüttelnd folgte ich den Männern und verabschiedete sie.

    Der Ältere drückte den Knopf vom Fahrstuhl, während der Jüngere verlegen von einem Bein auf das andere trat. Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um und errötete leicht, als er mich ansprach. »Ich bin im übrigen Connor.«

    Ich sah in große braune Augen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Bevor ich meinen Gedanken zu Ende denken konnte, was für einen ungewöhnlichen Namen er trug, trat er einen Schritt auf mich zu und hielt mir die Hand entgegen.

    »Meine Mutter war in ihrer Jugend in den Highlander verliebt. Sie hat immer gesagt, dass sie ihren Sohn einmal nach ihm nennen will. Gut, dass sie Christopher Lambert mehr mochte als Sean Connery, sonst stünde jetzt ein Juan vor dir.«

    Ich schüttelte ihm die Hand und war überrascht, wie redselig er war. Gleichzeitig fragte ich mich, wie alt er wohl sein könnte, wenn seine Mutter auf einen Historienschinken aus den Achtzigern stand. Der Signalton des Fahrstuhls riss uns aus dem Moment.

    »Also dann, war schön, dich kennenzulernen, Connor.« Ich sah ihm nach, als er hinter der Fahrstuhltür verschwand. Sein Pferdeschwanz kringelt sich in seinem Nacken, war mein letzter Gedanke, bevor ich die Wohnungstür hinter mir schloss. »Soll ich dir einen Tee kochen, Oma?«

    »Das kann ich doch machen.« Sie war schon dabei, die Wolldecke zur Seite zu schieben.

    »Kommt gar nicht in die Tüte. Du kommst eben aus dem Krankenhaus.« Ich eilte an ihr vorbei. In der Küche goss ich Wasser in den Pfeifkessel, ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, von dem meine Großmutter sich nicht trennen wollte. Ich setzte ihn auf den Gasherd, zündete die Flamme an, nahm die Teekanne aus dem Schrank und befüllte den Filter mit getrockneten Teeblättern. Als das Wasser kochte, übergoss ich den Tee, stellte die Kanne neben zwei Steinguttassen auf ein Tablett und ging zurück ins Wohnzimmer. »Wie geht es dir?« Ich setzte mich auf den freien Sessel gegenüber dem meiner Oma und musterte sie. Sie sah blass aus, dünner als sonst.

    »Na ja, die Knochen tun mir weh und ich bin etwas müde. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich schon Schlimmeres durchgestanden habe.« Sie nahm den Filter aus der Kanne und goss mir und sich ein. »Aber jetzt erzähl du erst einmal, wie war es in der Schule?«

    Fassungslos sah ich zu, wie sie vollkommen tiefenentspannt ihren Tee schlürfte. Ich konnte nicht glauben, dass sie sich über Banalitäten unterhalten wollte. »Oma, das ist doch jetzt nicht wichtig.«

    Das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand schlagartig. »Nichts ist im Moment wichtiger als dein Schulabschluss.«

    »Aber Oma ...«

    »Nein. Du brauchst mich nicht daran erinnern, dass meine Tage gezählt sind. Ich möchte sie aber nicht damit füllen, Trübsal zu blasen oder vor Selbstmitleid zu vergehen. Wir müssen an deine Zukunft denken. Du weißt, dass ich ein hübsches Sümmchen zusammengespart habe. Damit kommst du locker durchs Studium, ohne dir Sorgen machen zu müssen.«

    »Aber ich weiß ja noch gar nicht, was ich studieren soll.« Hastig nahm ich einen Schluck Tee und zuckte zurück, als ich mir den Mund verbrannte.

    Ein Grinsen machte sich auf dem Gesicht meiner Großmutter breit. »Als du klein warst, hattest du jede Woche eine andere Idee, was du später werden willst. Einmal hast du mit dem Brustton der Überzeugung verkündet, dass du Königin von Deutschland wirst. Du hast dich wochenlang verkleidet und dich mit dem Schmuck deiner Mutter behängt.« Sie kicherte bei dem Gedanken und ich konnte nicht anders, als es ihr gleich zu tun.

    »Das Schmuckkästchen war meine Schatztruhe.« Kurz ging ich dessen Inhalt, den ich als kleines Mädchen jeden Abend auf Vollständigkeit überprüft hatte, in Gedanken durch. Ich liebte den Schmuck meiner Mutter, genau genommen tat ich das noch. Das Kästchen stand im Regal neben den Plüschtieren, von denen ich mich nicht trennen konnte. Wann hatte ich damit aufgehört, hineinzusehen?

    Oma wurde wieder ernst. »Tust du mir einen Gefallen und holst es? Ich würde gern etwas nachsehen.«

    Verwundert stand ich auf, holte das mit Blumen und Ranken bemalte Holzkästchen aus meinem Zimmer und gab es ihr.

    Sie kramte darin herum, bevor sie triumphierend einen Siegelring zum Vorschein brachte. »Hier ist er ja!« Sie hielt ihn mir entgegen.

    Ich griff danach und betrachtete ihn genauer. Es war lange her, seit ich ihn zuletzt in den Händen gehalten hatte. Er war mir immer zu groß gewesen, weswegen ich ihm bisher kaum Beachtung geschenkt hatte. Das kühle Silber lag mir schwer in der Handfläche. Der Ring war etwas angelaufen und an einigen Stellen schwarz. Mit dem Ärmel meines Pullovers versuchte ich, ihn zu polieren. Dann steckte ich ihn mir auf den Ringfinger der linken Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. »Er passt.« Das kalte Metall fühlte sich unerwartet gut an.

    »Ich kann mich gut an den Tag erinnern, an dem ich den Ring deiner Mutter gegeben habe.« Sie sah mich wehmütig an. »Mein Gott, du siehst ihr so ähnlich.«

    »Ich weiß, Oma.« Auch, wenn die Fotoalben in den Regalen verstaubten, so kannte ich doch jedes einzelne Bild darin in- und auswendig. Ich war das Abbild meiner Mutter, die gleichen rotbraunen Locken, die schmale Nase, die vollen Lippen, die katzenartigen grünen Augen, die jungenhafte Figur ohne großartige Rundungen. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob meine Mutter sich auch einen volleren Busen und eine weiblichere Taille gewünscht hatte.

    »Sie fehlt mir.« Oma seufzte.

    Den traurigen Blick sah ich nicht das erste Mal. »Wann willst du mir endlich erzählen, was damals passiert ist, als Mutter starb? Du hast immer gesagt, wenn ich alt genug bin, alles zu verstehen. Aber meinst du nicht, dass es mittlerweile soweit ist?« Wahrscheinlich würde es nicht mehr viele Gelegenheiten dafür geben, dachte ich und bereute diesen Gedanken sofort. Wie konnte ich nur so selbstsüchtig sein?

    »Du hast recht, mein Kind. Es ist an der Zeit, dich in das Geheimnis unserer Familie einzuweihen. Normalerweise ist das die Aufgabe der Mutter, ihre Tochter um ihren achtzehnten Geburtstag herum, darauf vorzubereiten, was sie erwartet. So lautet die Regel.«

    »Das klingt ja geheimnisvoll.«

    Oma lächelte verschmitzt. »Warts ab, wenn du den Rest gehört hast.« Sie rückte sich im Sessel zurecht. »Der Ring ist alt, ein Relikt aus vergangenen Tagen. Wie ich schon gesagt habe, wird er von einer Generation zur Nächsten von der Mutter an die älteste Tochter weitergegeben. Siehst du das Siegel? Ein Gänseblümchen.«

    Ich drehte den Ring so, dass ich die Oberfläche genauer betrachten konnte. »Wie eigenartig. Warum ein Gänseblümchen?«

    Schmunzelnd fuhr sich meine Großmutter über ihren Ringfinger. Sie musste den Ring ebenfalls getragen haben, wenn es stimmte, was sie mir erzählte. »Das habe ich auch gedacht, als meine Mutter ihn mir gab. Aber du musst wissen, dass unsere Vorfahrinnen heilkundig waren. Heute weiß kaum noch jemand, dass das Gänseblümchen eine blutreinigende Wirkung hat. Es hilft bei Hauterkrankungen und bei Rheuma.«

    »Du klingst echt wie eine alte Kräuterhexe.« Ich schob den Ring vom Finger und legte ihn aufgebracht auf das Tablett neben die Teekanne. »Wenn du dich so gut mit Heilpflanzen auskennst, warum bist du dann krank?«

    Wütend sprang ich auf, rannte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Was sollte der ganze Quatsch? Heilerinnen? Gänseblümchen? Ich hielt das alles nicht mehr aus. Tränen brannten mir in den Augen. Ich ließ mich aufs Bett fallen, krallte meine Hände in das Kopfkissen und weinte ohne Unterlass wegen all der Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Ich hörte nicht, wie die Tür aufging. Erst als die Matratze neben mir nachgab und Oma mir sanft über die Haare strich, bemerkte ich sie. Ich schämte mich für den Ausbruch und drehte meinen Kopf von ihr weg. Vor lauter Schuldgefühlen konnte ich sie nicht einmal ansehen. Eigentlich sollte ich sie trösten und ihr nicht das Leben noch schwerer machen.

    »Ist schon gut, Nora. Ich weiß, dass du Angst hast.« Sie schob mir die Locken aus dem Nacken und streichelte sanft meinen Hals und die Wange. »Mir geht es genauso. Was gäbe ich darum, zu sehen, wie du dein Abiturzeugnis in den Händen hältst, auf dem Abiball tanzt, einen Freund mit nachhause bringst, heiratest und glücklich wirst. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit und ich könnte dich darauf vorbereiten, was dich erwartet.«

    »Ach Omi ...« Wie ein Schachtelteufel schoss ich in die Höhe und warf mich ihr an den Hals. Erneut rannen mir die Tränen wie Sturzbäche über die Wangen. »Es tut mir leid ...« Ich schniefte. Aus Ermangelung eines Taschentuchs wischte ich mit dem Ärmel meines Pullovers über das Gesicht. »Ich will nicht, dass du stirbst. Was soll ich denn ohne dich machen?«

    Meine Großmutter fasste mich an den Schultern, schob mich von sich und sah mir eindringlich in die Augen. »Wir müssen jetzt beide stark sein. Es gibt so viel, was ich dir erklären muss. Du musst vorbereitet sein, wenn du hinüber gehst.« »Hinüber?«

    »In die Träume der Ahnen.«

    Langsam kam ich mir vor, wie in einem falschen Film. Sollte ich mir Sorgen machen? »Oma, geht es dir wirklich gut? Hast du von den Ärzten irgendwelche Medikamente gekriegt, die dich verwirren?«

    »Ich weiß, mein Kind, dass es so auf dich wirken muss, aber ich bin klaren Geistes. Komm, lass uns etwas zum Abendessen kochen, dann erzähle ich dir alles in Ruhe.« Sie stand auf und lief in die Küche. In diesem Moment wirkte sie weder schwach noch krank. Sie war einfach meine Oma, so, wie ich sie kannte. Ich wischte mir die letzten Spuren der Tränen aus dem Gesicht und folgte dem Klappern der Töpfe.

    »Nudeln mit Fangfleisch, was hältst du davon?« Sie sah nicht auf, als ich in den Raum kam. Mein Lieblingsessen, seit ich mich erinnern kann. Ich weiß noch, wie sich Mutti und Oma darüber lustig machten, weil mir das Wort für Jagdwurst nicht eingefallen war. Seither gibt es statt gebratener Jagdwurstwürfel mit Zwiebeln und Kümmel eben Fangfleisch. Ich machte mich daran, die Gemüsezwiebeln zu schälen, während Oma vor sich hin summte. Alles fühlte sich an wie immer und doch irgendwie surreal.

    ***

    Schweigend ließen wir uns das Essen schmecken. Dann räumte ich die Teller in den Geschirrspüler. »Ich koche uns noch einen Kakao.«

    Oma erhob sich langsam. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass sie Schmerzen hatte. Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihr zur

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