h e K o n t r a k t e D e r v e r n ü n f t i g e M e n s c h e n f r e s s e r i n Z e i t e n p r e k ä r e r A u f k l ä r u n g v o n E l i a s Z i m m e r m a n n 1 9 . 0 2 . 2 0 1 8 Einen Menschen mit dessen ausdrücklicher...
moreh e K o n t r a k t e D e r v e r n ü n f t i g e M e n s c h e n f r e s s e r i n Z e i t e n p r e k ä r e r A u f k l ä r u n g v o n E l i a s Z i m m e r m a n n 1 9 . 0 2 . 2 0 1 8 Einen Menschen mit dessen ausdrücklicher Zustimmung töten und essen: Als Armin Meiwes Tat vor gut fünfzehn Jahren bekannt wurde, regte sie -neben dem obligaten ungläubigen Entsetzen -bald schon gesellschaftliche, rechtliche und letztlich philosophische Fragen an, die trotz eines rechtskräftigen Urteils 2007 als unbeantwortet, womöglich sogar als unbeantwortbar gelten können. Auch wenn der kannibalische Akt anfänglich als Totschlag, dann aber als Mord qualifiziert wurde, hat seine störende Wirkung Bestandnicht als individuelles Ereignis alleine, sondern als Paradigma: Er bleibt Ausdruck für eine in unserer Zeit virulente Verunsicherung gesellschaftlicher Normen, die unschwer als Erbe von Humanismus und Aufklärung erkennbar sind. Zwei Grundprinzipien der aufgeklärten Vernunft kollidieren: die Freiheit des rationalen (Aus-)Handelns einerseits und die Pflicht gegenüber einem impliziten Gesellschaftsvertrag, der Allgemeinheit keinen Schaden zuzufügen, andererseits. Im Idealfall ergänzen sich beide Prinzipien: Der Vernunftgebrauch fördert die Gemeinschaft und vice versa, denn was allen nützt, nützt auch dem einzelnen. Eine kannibalische Beziehung, wie die vorliegende, spottet diesem Humanismus und stellt in Frage, was ‚vernünftig' und was ‚nützlich' ist. Der (im Laufe des Prozesses zurecht angezweifelte) freie Wille zweier mündiger Bürger, die sich in einem gemeinsamen Vertrag über die Verfügung ihrer Körper einigen, die sich also nicht nur ihres Verstandes, sondern auch ihrer Leben auf freie und mutige Weise zu bedienen wagen, scheint unvereinbar mit der Idee einer Gesellschaft, deren Fortentwicklung und Verbesserung diese Individuen sichern sollen. Es ist, als ob Meiwes die doppelte Bedeutung von ‚Sapere aude!' in einer zynischen Finte beim Wort genommen hätte: Sapere heisst nicht nur Wissen, sondern auch Kosten und Schmecken. Gegen diese böswillige Buchstäblichkeit seiner Definition von Aufklärung kann man mit Kant einwenden, dass ein kannibalischer Vertrag der aufgeklärten Moral gerade spottet, denn hier scheint ein Mensch nur Mittel, nicht Zweck zu sein. Die Mittel-Zweck Relation selbst aber wird verunsichert durch den Genuss, der sich für den jeweiligen Vertragspartner aus dem Genuss seines Gegenübers ergibt: Erst das Wissen darum, ihm seinen größten Wunsch zu erfüllen, ja sein Leben (wenn auch durch Zerstörung) vollständig zu machen, habe den Vertrag als beidseitiges Genussversprechen ermöglicht. Erneut könnte man mit und gänzlich gegen die Intention von Kant argumentieren: Die persönliche Befindlichkeit, sei sie erregt oder angewidert, darf bei dieser Erfüllung der höchsten Pflicht, den anderen gänzlich als Zweck und darum als Mittel zu sehen, keine Rolle spielen. Weitere Online-Anzeige von Armin Meiwes unter dem Pseudonym "Franky" nach der Tötung seines Opfers. Diese Anzeige hat vermutlich zur Verhaftung Meiwes' geführt. Teile des Forums Cannibal Cafe, auf dem "Franky" inseriert hat, sind noch heute archiviert. Diese einleitende philosophische Provokation[1] will nicht darüber hinwegtäuschen, dass der reale Fall des ‚Kannibalen von Rotenburg' eine Tragödie war, in der Einsamkeit und Abhängigkeit zentrale Rollen spielten. Die aufgerufenen kantischen Modelle können diese psychologischen Abgründe nicht erhellen. Als das verletzte Selbstwertgefühl des Opfers und die menschenverachtende Obsession des Täters gänzlich zutage traten, bröckelte die Fassade einer freien und mündigen Übereinkunft. Meiwes Verteidigung aber pochte bis zuletzt auf die Einvernehmlichkeit des kannibalischen Kontrakts und plädierte auf Tötung auf Verlangen. Mit Recht wurde diese Sicht abgelehnt. Zuvor jedoch verunsicherte die aufgeklärte Rhetorik der Anwälte nicht nur die erste richterliche Instanz -deren Urteil auf Totschlag ihnen weit entgegenkam -, sondern auch die Öffentlichkeit. Die Argumentation der Verteidiger hätte eine Jury von der Legitimität der Tat wohl überzeugen können, wäre alles so geschehen, wie Meiwes es beschrieb und wie er wohl tatsächlich glaubte, dass es geschehen ist. Auch wenn es eine solche Tat nach bestehendem Wissen nie gegeben hat, wird sie doch durch die Vorkommnisse in Rotenburg vorstellbar. Folgt man der Herausforderung einer aufgeklärten Rechtfertigung von Kannibalismus, muss sich der Blick deshalb auf das Gebiet der Fiktion richten -und das heißt in jenes Gebiet, in dem Kannibalismus tatsächlich eine Vielzahl von Apologien wiederfuhr. Um solche fiktionale Apologien geht es im Folgenden. Dass ihre Einführung gleichsam durch einen Umweg über den realen Fall erfolgte, soll nicht bloß die soziale und philosophische Relevanz dieser Fiktionen untermauern, sondern ihre problematische Trennung von Fiktion und Fakt von Anfang an in den Vordergrund rücken: In Apologien des Kannibalen rührt Imaginiertes an Wirklichem; wie Armin Meiwes ist auch der fiktionale Kannibale eine Figur, die gesellschaftliche Normen in Frage stellt.