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Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
Weber, Enzo; Konle-Seidl, Regina; Eggs, Johannes; Rothe, Thomas;
Dietrich, Hans; Lietzmann, Torsten; Weber, Brigitte; Bruckmeier, Kerstin;
Trappmann, Mark; Unger, Stefanie; Leber, Ute; Söhnlein, Doris
Veröffentlichungsversion / Published Version
Sammelwerksbeitrag / collection article
Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with:
W. Bertelsmann Verlag
Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Weber, E., Konle-Seidl, R., Eggs, J., Rothe, T., Dietrich, H., Lietzmann, T., ... Söhnlein, D. (2017). Arbeitslosigkeit und
Leistungsbezug. In J. Möller, & U. Walwei (Hrsg.), Arbeitsmarkt kompakt (S. 50-68). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.
https://doi.org/10.3278/300936w050
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Kapitel D
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
von: Bruckmeier, Kerstin; Dietrich, Hans; Eggs, Johannes; Konle-Seidl, Regina;
Leber, Ute; Lietzmann, Torsten; Rothe, Thomas; Söhnlein, Doris; Trappmann,
Mark; Unger, Stefanie; Weber, Brigitte; Weber, Enzo
DOI: 10.3278/300936w050
Erscheinungsjahr: 2017
Seiten 50 - 68
Schlagworte: Arbeits- und Industriesoziologie, Arbeitslose, Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Grundsicherung,
Jugendarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Leistungsbezug, Qualifikation
D Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
D.I Einführung und Resümee
(Kerstin Bruckmeier)
D.II Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen
(Thomas Rothe)
D.III Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit
(Doris Söhnlein, Brigitte Weber, Enzo Weber und Ute Leber)
D.IV Arbeitslosigkeit und Gesundheit
(Stefanie Unger, Mark Trappmann und Johannes Eggs)
D.V Personen und Haushalte im Grundsicherungsbezug
(Kerstin
Bruckmeier
Torsten
Lietzmann)
Diese Publikation
istund
unter
folgender
Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht:
Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz
D.VI Verfestigung von Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
(Kerstin Bruckmeier, Torsten Lietzmann und Thomas Rothe)
Zitiervorschlag
D.VII
Langzeiterwerbslosigkeit im europäischen Vergleich
Bruckmeier,
K./Dietrich,
H./Eggs,Rhein)
J. u.a.: Kapitel D. Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug. In: Möller, J./Walwei, U. (Hg.):
(Regina
Konle-Seidl
und Thomas
Arbeitsmarkt kompakt. S. 50-68, Bielefeld 2017. DOI: 10.3278/300936w050
D.VIII Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich
(Hans Dietrich)
Literatur zu Kapitel D
Kapitel D
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
I. Einführung und Resümee
Kerstin Bruckmeier
Seit gut 10 Jahren befindet sich der deutsche Arbeitsmarkt im Aufwind. Die Erwerbstätigkeit steigt und die Zahl
der Arbeitslosen ist spürbar zurückgegangen. Mit 2,8 Millionen Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote von 6,4 Prozent erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Jahresdurchschnitt 2015 erneut einen Tiefststand. Im Vergleich
zum Jahr 2005 gab es 2015 somit fast 2,1 Millionen weniger registrierte Arbeitslose – das entspricht einem Rückgang
um 42 Prozent, wobei ein Großteil des Rückgangs bereits in
den Jahren von 2005 bis 2008 stattfand. Arbeitslose werden
seit Umsetzung der Hartz-IV-Reform im Jahr 2005 in zwei
Rechtskreisen des Sozialgesetzbuchs (SGB) registriert, wobei
sich die Dynamik und die Struktur der Arbeitslosigkeit zwischen beiden Rechtskreisen deutlich unterscheiden (vgl. Unterkapitel D.II). Die Personen im Rechtskreis SGB III („Arbeitslosenversicherung“) sind häufig erst seit kurzer Zeit arbeitslos
und beziehen großenteils Arbeitslosengeld I. Arbeitslose im
Rechtskreis SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), der
aus der Zusammenlegung der vormaligen Arbeitslosen- und
Sozialhilfe hervorging, sind meist länger arbeitslos und beziehen Arbeitslosengeld II – besser bekannt unter „Hartz IV“.
Arbeitslose im SGB III profitierten überproportional von der
guten ökonomischen Entwicklung. Deren Zahl sank um knapp
60 Prozent auf 860.000 Personen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit im SGB II war mit 30 Prozent (auf 1,94 Millionen
Personen) zwar weniger stark, aber dennoch deutlich.
Unterkapitel D.III beschäftigt sich mit der formalen Qualifizierung von Arbeitslosen – die für deren Jobchancen von
zentraler Bedeutung ist (vgl. Söhnlein/Weber/Weber 2016).
So sind Akademiker sowie Meister und Techniker die Gewinner am Arbeitsmarkt, während Ungelernte nur schlechte Chancen auf eine Beschäftigung haben; fast jede fünfte „ungelernte“ Erwerbsperson in Deutschland ist arbeitslos.
Die wichtige Rolle der Qualifikation zeigt sich auch in der
Beschäftigungsstruktur in den deutschen Betrieben. Im Jahr
2015 verrichteten nur 23 Prozent aller Beschäftigten eine
einfache Tätigkeit, die keine Ausbildung erfordert, 63 Prozent stellten Beschäftigte in Tätigkeiten, die eine berufliche
Ausbildung voraussetzen; 14 Prozent waren auf Arbeitsplätzen tätig, für die ein (Fach-)Hochschulabschluss erforderlich ist. Es ist davon auszugehen, dass sich die Beschäfti-
50
Arbeitsmarkt kompakt
gungssituation für Personen ohne Berufsausbildung in naher
Zukunft nicht grundlegend bessern wird (vgl. Maier et al.
2014), sodass Qualifizierungsmaßnahmen und präventiven
Bildungsinvestitionen auch weiterhin eine Schlüsselrolle bei
der Vermeidung bzw. dem Abbau der Arbeitslosigkeit zukommen wird.
Neben der Qualifikation spielt auch der Gesundheitszustand von Arbeitslosen eine bedeutende Rolle für die
Überwindung von Arbeitslosigkeit. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen einen negativen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und der individuellen körperlichen
und physischen Gesundheit (Paul/Moser 2009; Hollederer
2015). Demnach haben Kranke ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden; umgekehrt kann aber auch Arbeitslosigkeit
selbst den Gesundheitszustand negativ beeinflussen. Unterkapitel D.IV liefert einen Überblick über die Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit
und Gesundheit zugrunde liegen und präsentiert einschlägige Befunde aus dem „Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS). Daraus geht hervor, dass Arbeitslose jeden Alters von schlechterer physischer und psychischer
Gesundheit als Erwerbstätige berichten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von Eggs et al. (2014) zur
Gesundheit von arbeitslosen Grundsicherungsempfängern
im Vergleich zu erwerbstätigen Personen ohne Grundsicherungsbezug. Demnach weisen erstere eine deutlich
geringere Zufriedenheit mit ihrer Gesundheit auf als Erwerbstätige. Zugleich unterscheiden sich beide Gruppen
nur wenig, wenn es um die Anteile an Personen mit anerkannter Behinderung oder die Zahl der Arztbesuche geht.
Unter den Erwerbstätigen sind insbesondere diejenigen,
die gleichzeitig ergänzend Grundsicherungsleistungen erhalten, deutlich unzufriedener mit ihrer Gesundheit.
Erwerbstätige, deren Haushaltseinkommen unterhalb des
gesetzlich bestimmten Mindesteinkommens liegt, können
ergänzende Grundsicherungsleistungen nach SGB II erhalten („Aufstocker“). Dasselbe gilt gegebenenfalls für Menschen, die z. B. aufgrund von Krankheit, Versorgung von
Kindern oder der Pflege von Angehörigen vorrübergehend
dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
aufgrund dieses umfassenden Anspruchs hat die Grundsicherung – auch im internationalen Vergleich – eine hohe
Reichweite (vgl. Unterkapitel D.V). Mit 6,1 Millionen Leistungsbeziehern im Jahr 2014 ist die Grundsicherung die
mit Abstand wichtigste bedarfsgeprüfte Sozialleistung in
Deutschland. Insbesondere Alleinerziehende, kinderreiche
Paarfamilien, Kinder unter 15 Jahren und Personen ohne
deutsche Staatsangehörigkeit sind überproportional häufig auf Grundsicherungsleistungen angewiesen. Der starke
Abbau der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren hat
sich auch positiv in der Grundsicherung für Arbeitsuchende niedergeschlagen. So sank die Zahl der erwerbsfähigen
Leistungsberechtigten zwischen 2007 und 2014 um etwa
900.000 auf 4,4 Millionen Personen.
Gleichwohl zeigen sich in jüngster Zeit Verfestigungstendenzen in der Dauer der Arbeitslosigkeit und unter den
Grundsicherungsempfängern sind lange Bezugszeiten weit
verbreitet (vgl. Unterkapitel D.VI): Von den 4,4 Millionen
erwerbsfähigen Leistungsbeziehern im Jahr 2014 waren
etwa 3 Millionen innerhalb von 24 Monaten mindestens
21 Monate hilfebedürftig. Während in den letzten Jahren
beim SGB-II-Leistungsbezug – ausgehend von einem hohen Niveau – keine Zunahme von langen Bezugsdauern zu
beobachten war, zeigen sich bei der Arbeitslosigkeit Verfestigungstendenzen, d. h., ein immer größerer Anteil der
registrierten Arbeitslosen ist langfristig arbeitslos. Wenn
trotz günstiger Arbeitsmarktlage die Dauer der Arbeitslosigkeit unter den Arbeitslosen zunimmt, so erklärt sich dies
zum Teil dadurch, dass viele Arbeitslose schon nach kurzer
Zeit wieder eine Beschäftigung aufnehmen. Damit bleibt
gleichsam ein höherer Anteil an Arbeitslosen mit Integrationshemmnissen übrig. Zwischen 2010 und 2014 hat der
Anteil an Personen mit ungünstiger Ausgangslage innerhalb der Gruppe der Langzeitarbeitslosen zugenommen.
Besonders ungünstig für die Beschäftigungswahrscheinlichkeit erwiesen sich ein fehlender Schulabschluss oder
eine fehlende berufliche Ausbildung, gesundheitliche Einschränkungen, ein längerer vorausgehender Bezug von Arbeitslosengeld II sowie ein höheres Alter (Achatz/Trappmann 2011).
Auch im europäischen Vergleich ist der Anteil der Langzeiterwerbslosen in Deutschland relativ hoch. Unterkapitel
D.VII zeigt jedoch, dass das Ausmaß struktureller Erwerbslosigkeit hierzulande nicht überdurchschnittlich hoch ist.
Denn Langzeiterwerbslosigkeit ist nicht die einzige Form
der langfristigen Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt. Im
Ländervergleich zeigt sich, dass Personen, die über längere Zeit hinweg nicht erwerbstätig sind, in anderen Ländern
je nach Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems häufig gar nicht zur Gruppe der Langzeiterwerbslosen gezählt
werden, etwa weil sie Frührentner sind oder als erwerbsunfähig gelten.
Im Vergleich zur Langzeiterwerbslosigkeit steht Deutschland bei der Jugendarbeitslosigkeit innerhalb Europas überdurchschnittlich gut da, wie der internationale Vergleich in
Unterkapitel D.VIII zeigt. Sowohl bei der Erwerbslosenquote
als auch bei der durchschnittlichen Erwerbslosendauer von
jungen Erwachsenen unter 25 Jahren liegt Deutschland mit
vorne. Allerdings gilt generell, dass Jugendliche im Vergleich
zu Erwachsenen ab 25 Jahren ein höheres Erwerbslosigkeitsrisiko haben. Die Gründe sind vor allem in den Übergängen
zwischen Schule, Ausbildung und Beschäftigung zu sehen.
Weniger stabile Verträge beim Erwerbseinstieg und fehlende betriebliche bzw. berufliche Erfahrung sowie fehlende
Senioritätsansprüche erhöhen in dieser Phase des Lebensverlaufs das Risiko, (wiederholt) erwerbslos zu werden.
Arbeitsmarkt kompakt
51
Kapitel D
II. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen
Thomas Rothe
Seit Umsetzung der vierten Stufe der Arbeitsmarktreformen im Jahr 2005 werden Arbeitslose in zwei Rechtskreisen des Sozialgesetzbuchs (SGB) registriert. Die Personen im Rechtskreis SGB III („Arbeitslosenversicherung“) sind
meist erst seit kurzer Zeit arbeitslos und beziehen großenteils Arbeitslosengeld I. Jene im Rechtskreis SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) sind meist länger arbeitslos
und beziehen Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Personen, die
ein Jahr oder länger arbeitslos waren, werden allgemein als
Langzeitarbeitslose bezeichnet (siehe Kapitel D.VI). Ihre Anteile an allen Arbeitslosen sanken seit 2007 von 25 auf rund
13 Prozent im Rechtskreis SGB III, während im SGB II weiterhin etwa die Hälfte der Arbeitslosen seit mindestens einem
Jahr arbeitslos ist. Allerdings können bereits kurze Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit dazu führen, dass Personen
nicht mehr als langzeitarbeitslos gelten. Deshalb bildet die
statistische Dauer der Arbeitslosigkeit die faktische individuelle Betroffenheit nicht immer vollständig ab.
deutlich. Ein Großteil des Rückgangs fand jedoch bereits in
den Jahren von 2005 bis 2008 statt, wie Abbildung D1 verdeutlicht. Der Anteil der SGB-II-Arbeitslosen an allen Arbeitslosen liegt seit 2008 relativ stabil bei 66 bis 70 Prozent.
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im SGB-III-Bereich ist
enger mit der konjunkturellen Entwicklung und der Erwerbstätigkeit verknüpft als im SGB II. Generell trägt eine gute
wirtschaftliche Entwicklung dazu bei, dass weniger Beschäftigte entlassen werden und sich somit weniger Personen mit
Anspruch auf Arbeitslosengeld arbeitslos melden. Gleichzeitig ist es im Aufschwung relativ leicht, eine neue Arbeitsstelle
zu finden. Deshalb sank die Arbeitslosigkeit im SGB III in den
Jahren von 2005 bis 2008 und stieg in der Rezession 2009.
Die gute Grundverfassung des deutschen Arbeitsmarkts zeigte sich in der raschen Überwindung des konjunkturellen Einbruchs in Folge der Finanzkrise 2008/2009. Mit der anhaltend positiven Arbeitsmarktentwicklung treten jedoch auch
die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt wieder
stärker hervor. So konnten Arbeitslose nur in geringem Umfang vom positiven Beschäftigungstrend seit 2010 profitieren, insbesondere wenn ihre berufliche Qualifikation nicht zu
den Bedarfen der Betriebe passt oder sie nicht dort wohnen
(bzw. dorthin pendeln), wo es auch Jobs für sie gibt. Die vermehrte Beschäftigungsnachfrage wurde weitgehend durch
eine steigende Erwerbsbeteiligung und durch Zuwanderung
gedeckt. Der Abbau der Arbeitslosigkeit in beiden Rechtskreisen ist daher zwischen 2011 und 2014 nahezu zum Er-
Mit 2,8 Millionen Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote
von 6,4 Prozent erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Jahresdurchschnitt 2015 erneut einen Tiefststand.
Im Vergleich zum Jahr 2005 gab es 2015 fast 2,1 Millionen weniger registrierte Arbeitslose, das entspricht einem
Rückgang um 42 Prozent. Dabei profitierten Arbeitslose im
SGB III überproportional, ihre Zahl sank um knapp 60 Prozent auf 860.000 Personen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit im SGB II um 30 Prozent auf 1,94 Millionen Personen
war zwar weniger stark als im SGB III, aber dennoch sehr
Abbildung D1: Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen, 2005 bis 2015
6.000
8
Arbeitslosigkeit (in 1.000)
4
4.000
2
3.000
0
-2
2.000
-4
1.000
0
BIP-Wachstum, preisbereinigt
6
5.000
-6
2005
2006
BIP, preisbereinigt
2007
Gesamt
2008
2009
SGB II
2010
2011
2012
2013
2014
2015
-8
SGB III
Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistik der BA, eigene Berechnung.
52
Arbeitsmarkt kompakt
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
liegen gekommen. Im Ergebnis zeigen sich Verfestigungstendenzen, d. h. immer mehr Personen sind langfristig arbeitslos.
Erst 2015 ist ein erneuter Rückgang der Arbeitslosigkeit, insbesondere im SGB III, zu erkennen.
Abgänge aus Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen
Die durchschnittliche monatliche Abgangsrate beziffert die
Wahrscheinlichkeit, die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Monats zu verlassen. Während des Aufschwungs der Jahre 2006
bis 2008 stieg die Abgangswahrscheinlichkeit deutlich. Der
Rückgang der Abgänge aus Arbeitslosigkeit im Rezessionsjahr 2009 und der erneute Anstieg während des anschließenden Booms in den Jahren 2010 und 2011 fielen dagegen
relativ gering aus (siehe Abbildung D2). Im Jahr 2015 wurden insgesamt rund 7,6 Millionen Abgänge aus Arbeitslosigkeit registriert. Die Abgänge wegen Krankheit in Höhe von
1,37 Millionen im SGB II und 550.000 im SGB III sind in Abbildung D2 nicht enthalten, da sie die Dynamik am Arbeitsmarkt überzeichnen und die Struktur der jeweiligen Ströme
verzerren würden.
Die Wahrscheinlichkeit, die Arbeitslosigkeit zu verlassen,
ist im SGB III wesentlich höher als im SGB II. Arbeitslose im
Rechtskreis SGB III stehen dem Arbeitsmarkt grundsätzlich
näher als Personen im SGB II. Entsprechend häufiger gelingt
es ihnen, eine Beschäftigung aufzunehmen.
Die Wahrscheinlichkeit, die Arbeitslosigkeit zu beenden, stieg
im SGB III zwischen 2005 und 2008 kräftig an und bewegt
sich seitdem zwischen 24 und 27 Prozent. Sowohl die gute
Konjunktur der Jahre 2005 bis 2007 als auch die Reformen
am Arbeitsmarkt dürften dazu beigetragen haben. So deu-
ten Betriebsbefragungen darauf hin, dass die Konzessionsbereitschaft arbeitsloser Bewerberinnen und Bewerber und die
Einstellungsbereitschaft von Betrieben gegenüber Geringqualifizierten gestiegen sind (Rebien/Kettner 2011). Die Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit (ohne Beschäftigung schaffende Maßnahmen) lagen im SGB III zuletzt bei
15,3 Prozent.
Arbeitslose im Rechtskreis SGB II konnten nicht in gleicher
Weise von der günstigen Beschäftigungsentwicklung profitieren. Bei einer monatlichen Abgangsrate von 12,3 Prozent war im Jahr 2015 die Abgangswahrscheinlichkeit im
SGB II nur knapp halb so groß wie im SGB III, der Übergang
in Erwerbstätigkeit gelang pro Monat nur 3,3 Prozent der
Arbeitslosen im SGB II. Die Struktur der Abgänge aus Arbeitslosigkeit hat sich in den letzten Jahren kaum verändert.
Deutlich mehr als die Hälfte der Abgänge aus SGB-III-Arbeitslosigkeit mündet in eine Erwerbstätigkeit – im Rechtskreis SGB II trifft dies nur auf jeden vierten Abgang zu. Dies
verdeutlicht, wie schwierig die Arbeitsmarktintegration für
diesen Personenkreis selbst unter guten Rahmenbedingungen ist. Um Arbeitslose für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren, spielen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie
etwa Trainingsmaßnahmen und Maßnahmen zur Förderung
der beruflichen Weiterbildung weiterhin eine wichtigere Rolle. Darüber hinaus bieten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
und Arbeitsgelegenheiten Beschäftigungsmöglichkeiten auf
dem zweiten Arbeitsmarkt im SGB-II-Bereich, während sie
im SGB III praktisch keine Bedeutung mehr haben. Insgesamt
begannen im Jahr 2015 monatlich 5,3 Prozent der Arbeitslosen im SGB III und 4,6 Prozent im SGB II eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme.
Abbildung D2: Monatliche Abgänge aus Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen, 2005 bis 2015, in %
Abgang aus dem SGB III
Abgang aus dem SGB II
35
35
30
30
6,6
25
6,6
20
15
10
5
0
5,7
5,3
1,9
0,5
8,2
3,0
0,5
9,9
6,5
4,5
0,8
12,5
0,8
15,0
4,5
7,7
0,9
13,1
5,2
5,9
0,9
15,1
5,7
4,9
1,0
16,3
5,4
5,2
5,5
4,3
0,9
4,4
0,8
4,7
0,8
5,8
5,3
0,8
in Ausbildung
20
15
10
14,7
13,9
14,3
15,3
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
in Erwerbstätigkeit
25
3,8
1,5
0,4
3,5
4,8
4,2
3,8
3,6
3,9
6,6
3,9
4,2
4,0
4,0
4,0
5,4
0,5
3,9
5,0 5,8
4,8
4,6
4,8
4,6
3,9
0,5
0,6
0,5 0,5
0,4
0,4
0,4
0,4
3,7
3,3 3,0
3,3
3,2
3,2
3,3
3,2
0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
5
1,5
0,4
4,1
in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
in Nichterwerbstätigkeit
Die Abgangsraten werden ermittelt, indem die Summe der Abgänge auf den Vormonatsbestand bezogen wird. Der Mittelwert dieser Monatsraten für das jeweilige Jahr ist in der Abbildung ausgewiesen.
Lesebeispiel: Im Jahr 2005 nahmen monatlich 8,2 Prozent der SGB-III-Arbeitslosen eine Erwerbstätigkeit auf.
Quelle: Statistik der BA, eigene Berechnung.
Arbeitsmarkt kompakt
53
Kapitel D
III. Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit
Doris Söhnlein, Brigitte Weber, Enzo Weber und Ute Leber
Ein erster Blick auf Abbildung D3 zeigt, dass bei der Suche nach einem Arbeitsplatz eine gute Ausbildung immer
wichtiger geworden ist (vgl. Söhnlein/Weber/Weber 2016).
Akademiker sowie Meister und Techniker als Untergruppe der mittleren Qualifikationsebene sind die Gewinner am
Arbeitsmarkt. Ungelernte haben dagegen nur schlechte
Chancen auf eine Beschäftigung. Ungeachtet der Qualifikation sind die Beschäftigungschancen im Osten jedoch immer noch niedriger als im Westen.
Im Jahr 2015 hatte knapp die Hälfte (48 Prozent) aller Arbeitslosen in Deutschland keinen beruflichen Abschluss.
Die Arbeitslosenquote dieser Gruppe liegt bei 20,3 Prozent. Somit ist fast jede fünfte „ungelernte“ Erwerbsperson in Deutschland arbeitslos. Noch dramatischer stellt sich
ihre Situation im Osten dar: Hier ist sogar fast jeder Dritte
(31,7 Prozent) ohne Arbeit.
Obwohl seit 1991 die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland
um gut drei Millionen (gemäß Mikrozensus) gestiegen ist, erhöhte sich die Erwerbstätigkeit bei den Geringqualifizierten
nicht. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich deren
Beschäftigungssituation grundlegend bessern wird. Progno-
sen bis zum Jahr 2030 sehen einen weiteren, wenn auch moderat verlaufenden Rückgang des Bedarfs an gering qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland (Maier et al. 2014).
Deutlich positiver sieht es dagegen für Personen mit mittlerer Qualifikation aus. Hierzu zählen Personen mit erfolgreichem Abschluss einer betrieblichen Lehre, einer Berufsfachschule oder einer Schule des Gesundheitswesens sowie
Personen mit Meister- oder Techniker-Ausbildung oder Abschluss einer Fach- oder Berufsakademie. Sie bilden die
größte Gruppe am Arbeitsmarkt. Ihre Arbeitslosenquote fiel
in den letzten zehn Jahren – mit Ausnahme des Krisenjahrs
2009 – konstant und hat mit 4,6 Prozent im Jahr 2015 ihren
bisherigen Tiefststand nach der Wiedervereinigung erreicht
(vgl. Abbildung D3). Selbst die globale Finanzkrise unterbrach die beständige Beschäftigungszunahme in diesem
Qualifikationssegment nur kurzzeitig. Im Krisenjahr 2009
stieg die Arbeitslosenquote für diese Gruppe lediglich um
0,6 Prozentpunkte (von 6 auf 6,6 Prozent). Das deutet darauf hin, dass Betriebe versuchten, gut ausgebildete Fachkräfte zu halten, und negative Effekte der wirtschaftlichen
Rezession durch eine anhaltend positive Grundtendenz ausgeglichen wurden (Weber 2015).
Abbildung D3: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1975 bis 2015, in %
Früheres Bundesgebiet
30
West- und Ostdeutschland
im Jahr 2015
Deutschland
18,7
20,3 % ohne Berufsabschluss
25
31,7
6,0
20
6,6 % insgesamt
9,0
15
4,6 % Lehre/
Fachschule1)
10
5
2,4 % Hochschule/
Fachhochschule2)
0
1977
1975
1981
1979
1985
1983
1989
1987
1993
1991
1997
1995
2001
1999
2005
2003
2009
2007
2013
2011
Arbeitslose in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen (ohne Auszubildende) gleicher Qualifikation;
Erwerbstätige ohne Angabe zum Berufsabschluss nach Mikrozensus je Altersklasse proportional verteilt;
bis 2004 Erwerbstätige im April; ab 2005 Erwerbstätige im Jahresdurchschnitt.
3,8
7,5
2,1
3,7
West
Ost
2015
1)
2)
ohne Verwaltungsfachhochschulen
einschl. Verwaltungsfachhochschulen
Quelle: IAB, http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/qualo_2016.pdf.
54
Arbeitsmarkt kompakt
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
Abbildung D4: Anteil der einzelnen Beschäftigtengruppen an den Beschäftigten insgesamt
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0%
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
einfache Beschäftigte
Beschäftigte für Tätigkeiten, die eine Berufsausbildung erfordern
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
(hoch) qualifizierte Beschäftigte
Beschäftigte für Tätigkeiten, die einen (Fach-)Hochschulabschluss erfordern
Differenzierte Informationen für Beschäftigte für Tätigkeiten, die einen (Fach-)Hochschulabschluss erfordern, und Beschäftigte für Tätigkeiten, die eine Berufsausbildung erfordern,
liegen erst seit 2006 vor. In der Kategorie „(hoch) qualifizierte Beschäftigte“ werden diese beiden Gruppen zusammengefasst.
Quelle: IAB-Betriebspanel.
Auch die Absolventen von Hochschulen und Fachhochschulen überstanden die letzte Krise weitgehend unbeschadet. Bereits in der Vergangenheit zeigte sich, dass
deren Risiken am Arbeitsmarkt gerade bei stockender
Konjunktur am geringsten sind. Die Gewinner der 1990er
Jahre waren eindeutig die Akademiker, deren Arbeitsmarktsituation sich im Vergleich zu allen anderen Qualifikationsebenen trotz schwacher Konjunktur günstig entwickelte. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen hat sich seit 1991
von 12 auf fast 21 Prozent erhöht. Im Jahr 2015 betrug
ihre Arbeitslosenquote 2,4 Prozent und hat damit wieder
den Tiefststand der Jahre 2010/2011 erreicht.
Qualifikationsspezifische Arbeitsnachfrage
Die wichtige Rolle, die die Qualifikation am Arbeitsmarkt
spielt, wird auch deutlich, wenn man die Struktur der Beschäftigung in den deutschen Betrieben betrachtet: So verrichteten nach Daten des IAB-Betriebspanels im Jahr 2015
nur 23 Prozent der Beschäftigten eine einfache Tätigkeit,
die keine Berufsausbildung erfordert, wohingegen 77 Prozent der Beschäftigten eine qualifizierte Tätigkeit ausübten.
Mit 63 Prozent den größten Anteil stellten dabei Beschäftigte in Tätigkeiten, die eine berufliche Ausbildung voraussetzen; 14 Prozent waren auf Arbeitsplätzen tätig, für die
ein (Fach-)Hochschulabschluss erforderlich ist.
Hochschulabsolventen sind also von Arbeitslosigkeit kaum
betroffen. Um allerdings deren Arbeitsmarktsituation angemessen bewerten zu können, muss auch die Art der Beschäftigung berücksichtigt werden. Im Jahr 2009 war fast
jeder dritte Hochschulabsolvent atypisch beschäftigt. So
sind sie in stärkerem Maße befristet beschäftigt als Personen mit einem beruflichen Abschluss. Dies gilt in erster Linie
direkt nach dem Einstieg in den Arbeitsmarkt (IAB 2013).
Wie in Abbildung D4 zu erkennen ist, war der Anteil der
Beschäftigten in den einzelnen Qualifikationsgruppen in
den letzten zehn Jahren relativ konstant. Da in diesem Zeitraum die Beschäftigung in den Betrieben insgesamt gestiegen ist, bedeutet dies, dass auch die Zahl der Beschäftigten
in qualifizierten ebenso wie in einfachen Tätigkeiten zugenommen hat. Vom jüngsten Beschäftigungszuwachs konnten also auch die Geringqualifizierten profitieren. Dies gilt
allerdings nur für die letzten zehn Jahre.
Arbeitsmarkt kompakt
55
Kapitel D
„Die Bedeutung von Einfacharbeitsplätzen
in den deutschen Betrieben hat insbesondere
zu Beginn des neuen Jahrtausends
abgenommen, während die Bedeutung
qualifizierter Tätigkeiten gewachsen ist.“
Anders stellte sich die Situation zu Beginn des neuen Jahrtausends dar: Im Zeitraum von 2000 bis 2006 war die Zahl
der einfachen Beschäftigten rückläufig – und zwar in einem stärkeren Maße als die Beschäftigung insgesamt. Dies
hat dazu geführt, dass auch der Anteil der einfachen Beschäftigten gesunken ist. Verrichteten im Jahr 2000 noch
30 Prozent aller Beschäftigten eine Beschäftigung, für die
keine Berufsausbildung erforderlich ist, waren es ab dem
Jahr 2006 nur noch rund 23 Prozent. Die Bedeutung von
Einfacharbeitsplätzen in den deutschen Betrieben hat also
insbesondere zu Beginn des neuen Jahrtausends abgenommen, während die Bedeutung qualifizierter Tätigkeiten gewachsen ist.
In Ostdeutschland sind einfache Tätigkeiten weniger stark
verbreitet als in Westdeutschland. So waren im Osten im
Jahr 2015 nur 15 Prozent aller Beschäftigten auf Einfacharbeitsplätzen tätig, im Westen 25 Prozent. Demgegenüber
spielt die Beschäftigung im mittleren Qualifikationssegment
in Ostdeutschland eine größere Rolle als im Westen: 70 Prozent der Beschäftigten im Osten verrichteten 2015 eine Tätigkeit, die eine Berufsausbildung erfordert, im Westen traf
dies auf nur 62 Prozent zu.
56
Arbeitsmarkt kompakt
Im Geschlechtervergleich ist schließlich zu erkennen, dass
Frauen häufiger auf Arbeitsplätzen tätig sind, die eine eher
geringe Qualifikation erfordern. So lag der Frauenanteil
an den Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten im Jahr
2015 bei 53 Prozent – und damit deutlich über dem Frauenanteil an den Beschäftigten insgesamt (46 Prozent). Unterrepräsentiert waren die Frauen hingegen bei den Beschäftigten mit hoch qualifizierten Tätigkeiten. Allerdings
konnten die Frauen gerade in diesem Segment in den letzten Jahren leicht aufholen: Lag ihr Anteil an den Hochqualifizierten im Jahr 2006 noch bei 37 Prozent, so ist er bis
2015 auf 42 Prozent gestiegen. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass sich die im Zeitverlauf gestiegene Bildungsbeteiligung der Frauen nur bedingt in den betrieblichen
Beschäftigungsstrukturen niedergeschlagen hat. Da im
IAB-Betriebspanel nicht nach dem tatsächlichen Bildungsabschluss der Beschäftigten, sondern vielmehr nach dem
Anforderungsniveau der Tätigkeiten gefragt wird, ist zu
vermuten, dass gerade Frauen oftmals einer ihrer Qualifikation nicht entsprechenden Beschäftigung nachgehen (Reichelt/Vicari 2014).
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
IV. Arbeitslosigkeit und Gesundheit
Stefanie Unger, Mark Trappmann und Johannes Eggs
Ein deutlicher negativer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit ist in der Forschung gut belegt. Dieser zeigt sich weltweit sowohl für die körperliche
als auch für die psychische Gesundheit (Paul/Moser 2009;
Hollederer 2015). Dabei können verschiedene Mechanismen
den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit erklären:
1. Krankheit führt zu Arbeitslosigkeit (Selektionsthese)
Ein schlechter Gesundheitszustand senkt möglichweise die
Produktivität. Damit steigt das Risiko, arbeitslos zu werden.
Einmal arbeitslos geworden, haben kranke Personen zudem
größere Schwierigkeiten, diesen Zustand zu überwinden
(Herbig et al. 2013).
2. Arbeitslosigkeit macht krank (Kausationsthese)
Eine gängige Erklärung für den negativen Einfluss von Arbeitslosigkeit sind die von Jahoda (1982) postulierten „latenten Funktionen der Arbeit“. Mit anderen Worten: Arbeit
dient nicht allein dazu, Erwerbseinkommen zu erwirtschaften, sondern erfüllt eine Reihe an weiteren Funktionen. So
sorgt sie für einen strukturierten Tagesablauf, trägt zum individuellen Statusbewusstsein bei, stiftet soziale Identität,
schafft soziale Kontakte und ermöglicht die Teilhabe an kollektiven Zielen und Anstrengungen sowie regelmäßige Tätigkeit und Aktivität. Eine weitere Erklärung besteht darin,
dass die mit Arbeitslosigkeit einhergehende materielle Bedürftigkeit Stress und psychische Belastungen hervorruft
beziehungsweise gesundheitsschädliche Verhaltensweisen
verstärkt. Beide Faktoren schlagen sich ihrerseits negativ
auf die Gesundheit nieder (Herbig et al. 2013).
3. Arbeitslosigkeit und Krankheit werden von denselben
Faktoren beeinflusst
Arbeitslose unterscheiden sich von erwerbstätigen Nichtleistungsempfängern auch bei Merkmalen wie sozialer Herkunft – und damit bei frühkindlichen Einflussfaktoren auf
die Gesundheit, beim Zugang zu guter ärztlicher Versorgung
oder auch in ihrem gesundheitsbezogenem Verhalten (Wilkinson/Marmot 2004). Diese Faktoren erklären in der Regel
einen Teil des beobachtbaren Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit.
Für jeden dieser Ansätze gibt es empirische Belege, sodass
der deutliche Gesamteffekt wohl aus einem Zusammenspiel
aller drei Mechanismen resultiert.
Empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit bieten die im Folgenden präsentierten Daten aus dem „Panel Arbeitsmarkt und soziale
Sicherung“ (PASS). Als zusammenfassendes Maß für die Gesundheit wird hier der sogenannte SF-12-Index verwendet,
dessen Vorhersagewirkung für Krankheit oder Tod in verschiedenen Kontexten nachgewiesen wurde (z. B. Hopman
et al. 2009). Er besteht aus zwölf Einzelfragen zur Selbsteinschätzung verschiedener Dimensionen von Gesundheit.
Er lässt sich in einen Teilindex für psychische Gesundheit
(MCS) und einen Teilindex für die physische Gesundheit
(PCS) aufteilen. Jeder Teilindex erreicht in der Bevölkerung einen Mittelwert von 50. Höhere Werte stehen dabei
für eine bessere subjektive Gesundheit, niedrigere für eine
schlechtere.
Arbeitslose jeden Alters berichten von schlechterer
Gesundheit als Erwerbstätige
Abbildung D5 und D6 ist zu entnehmen, dass Arbeitslose
jeden Alters von schlechterer Gesundheit berichten als Erwerbstätige. Dies trifft sowohl auf physische als auch auf
psychische Gesundheit zu. Die grauen Bereiche stellen die
95-Prozent-Konfidenzintervalle dar, die Aufschluss geben
über das Ausmaß der Ungenauigkeit aufgrund der Stichprobenerhebung.
Dabei schätzen sowohl Erwerbstätige als auch Arbeitslose
ihre physische Gesundheit mit zunehmendem Alter immer
schlechter ein (Abbildung D5). Während diese Entwicklung
bei Erwerbstätigen recht gleichförmig verläuft, findet bei
Arbeitslosen ein besonders starker Rückgang der subjektiven
physischen Gesundheit etwa zwischen 35 und 50 Jahren
statt. Ab etwa 50 Jahren ändert sich das bis dahin erreichte Niveau in der Gruppe der Arbeitslosen nicht mehr. Dies
kann auch daran liegen, dass gerade Arbeitslose mit sehr
schlechter Gesundheit entweder in die Frühverrentung oder
in Arbeitsunfähigkeit übergehen.
Auch bei der Einschätzung der psychischen Gesundheit
zeigt sich, dass Arbeitslose in jeder Altersgruppe schlechter
abschneiden als Erwerbstätige. Allerdings verläuft hier die
Entwicklung der beiden betrachteten Gruppen gegenläufig. Während die psychische Gesundheit Erwerbstätiger über
den Lebensverlauf einem wellenförmigen Aufwärtstrend
folgt, schätzen Arbeitslose jenseits der 40 ihre Gesundheit
deutlich schlechter ein als in jüngeren Jahren. Bei der psy-
Arbeitsmarkt kompakt
57
Kapitel D
40
Index für körperliche Gesundheit
45
50
55
Abbildung D5: Physische Gesundheit im Lebensverlauf
20
30
40
50
60
Alter
Arbeitslos
Erwerbstätig
Lesehilfe: 50 entspricht der durchschnittlichen physischen Gesundheit, niedrigere Werte deuten
auf eine schlechtere, höhere auf eine bessere Gesundheit hin. Die grünen Bereiche um die Linien
stellen ein Maß der Unsicherheit der geschätzten Gesundheit dar.
Quelle: PASS 2012, Welle 6.
46
Index für mentale Gesundheit
48
50
52
54
56
Abbildung D6: Psychische Gesundheit im Lebensverlauf
20
30
40
50
60
Alter
Arbeitslos
Erwerbstätig
Lesehilfe: 50 entspricht der durchschnittlichen psychischen Gesundheit, niedrigere Werte deuten
auf eine schlechtere, höhere auf eine bessere Gesundheit hin. Die grünen Bereiche um die Linien
stellen ein Maß der Unsicherheit der geschätzten Gesundheit dar.
Quelle: PASS 2012, Welle 6.
58
„Erreicht die regionale
Arbeitslosigkeit
ein geringes Niveau,
so verbleiben vor allem
solche Personen in
Arbeitslosigkeit, denen
es gesundheitlich
schlechter geht.“
Arbeitsmarkt kompakt
chischen Gesundheit zeigt sich also, anders als bei der körperlichen, dass sich die Unterschiede in der Gesundheit mit
dem Lebensalter weiter verfestigen.
Eggs et al. (2014) haben in einem IAB-Kurzbericht Gesundheit und Gesundheitsempfinden von arbeitslosen Grundsicherungsempfängern mit dem von Erwerbstätigen außerhalb des Grundsicherungsbezugs verglichen. Danach sind
die Unterschiede bei den subjektiven Indikatoren deutlich
stärker ausgeprägt als bei den objektiven. So berichten Arbeitslose im Leistungsbezug beispielsweise von einer deutlich geringeren Zufriedenheit mit ihrer Gesundheit als Erwerbstätige, während sich die Anteile der Personen mit
anerkannter Behinderung oder die Zahl der Arztbesuche
zwischen den Gruppen nur wenig unterscheiden. Dies kann
daran liegen, dass arbeitslose Grundsicherungsempfänger
im Falle einer Erkrankung seltener zum Arzt gehen als Erwerbstätige, sei es aus finanziellen Gründen, sei es weil sie
bei kurzen Erkrankungen nicht unbedingt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung benötigen. Eine weitere mögliche
Erklärung ist, dass Arbeitslose ihren Gesundheitszustand
schlechter einschätzen, als er objektiv ist – möglicherweise
auch, weil sich damit ein gesellschaftlich akzeptierter Grund
für die Arbeitslosigkeit benennen lässt.
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
Index körperliche Gesundheit
44
46
48
50
52
Abbildung D7: Physische Gesundheit in Kreisen mit verschiedener
Arbeitslosenquote
42
Bei niedriger Arbeitslosenquote verbleiben vor allem
die Kranken in Arbeitslosigkeit
Aufschlussreich ist zudem der Blick auf den Gesundheitszustand Arbeitsloser in Abhängigkeit von der regionalen
Arbeitslosenquote (Abbildungen D7 und D8).1 Denn der
Abstand zwischen der gesundheitlichen Einschätzung Arbeitsloser und Erwerbstätiger nimmt mit wachsender Arbeitslosenquote ab. Erreicht die regionale Arbeitslosigkeit
ein geringes Niveau, so verbleiben vor allem solche Personen in Arbeitslosigkeit, denen es gesundheitlich schlechter
geht. Allerdings könnte dieser Zusammenhang auch darauf
hindeuten, dass Arbeitslosigkeit in einem Umfeld, in dem
sie nicht verbreitet ist, stärkere psychosoziale Auswirkungen hat, denn gerade die psychische Gesundheit von Arbeitslosen unterscheidet sich bei hoher Arbeitslosenquote nicht mehr signifikant von der Erwerbstätiger. Auch bei
der körperlichen Gesundheit schrumpft der Abstand zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen mit steigender regionaler Arbeitslosenquote. Allerdings bleibt hier selbst bei
hohen Arbeitslosenquoten noch ein deutlicher Unterschied
bestehen.
0
5
10
Arbeitslosenquote auf Kreisebene
Arbeitslos
15
Erwerbstätig
Lesehilfe: 50 entspricht der durchschnittlichen physischen Gesundheit, niedrigere Werte deuten
auf eine schlechtere, höhere auf eine bessere Gesundheit hin. Die grünen Bereiche um die Linien
stellen ein Maß der Unsicherheit der geschätzten Gesundheit dar.
Quelle: PASS 2012, Welle 6.
44
Index mentale Gesundheit
46
48
50
52
54
Abbildung D8: Psychische Gesundheit in Kreisen mit verschiedener
Arbeitslosenquote
0
5
10
Arbeitslosenquote auf Kreisebene
Arbeitslos
15
Erwerbstätig
Lesehilfe: 50 entspricht der durchschnittlichen psychischen Gesundheit, niedrigere Werte deuten
auf eine schlechtere, höhere auf eine bessere Gesundheit hin. Die grünen Bereiche um die Linien
stellen ein Maß der Unsicherheit der geschätzten Gesundheit dar.
Quelle: PASS 2012, Welle 6.
1
Für diese Untersuchung wird die ungleiche Altersverteilung in den
Gruppen durch statistische Verfahren korrigiert. So wird sichergestellt,
dass beobachtete Unterschiede nicht durch die unterschiedliche Altersverteilung verzerrt werden.
Arbeitsmarkt kompakt
59
Kapitel D
V. Personen und Haushalte im Grundsicherungsbezug
Kerstin Bruckmeier und Torsten Lietzmann
Die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit findet in
Deutschland über zwei Leistungen, Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II, statt, die im dritten beziehungsweise zweiten
Sozialgesetzbuch geregelt sind (siehe Unterkapitel D.II). Das
Arbeitslosengeld I ist eine Leistung der Arbeitslosenversicherung und somit in der Höhe an das vorherige Erwerbseinkommen gekoppelt sowie abhängig von erworbenen Ansprüchen.
Das Arbeitslosengeld II ist eine steuerfinanzierte Leistung und
unabhängig vom vorherigen Lohn. Sie soll ein Mindesteinkommen für alle Haushaltsmitglieder gewährleisten und ist
bedarfsgeprüft. Leistungsberechtigt sind demnach Arbeitslose,
bei denen das Arbeitslosengeld I den Bedarf nicht deckt oder
kein Anspruch (mehr) besteht. Darüber hinaus haben auch Erwerbstätige mit unzureichendem Einkommen, Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder in Ausbildung sowie
Haushaltsmitglieder, die nicht am Arbeitsmarkt aktiv sind, Anspruch auf Arbeitslosengeld II.
Tabelle D1: Personen im Leistungsbezug SGB II nach Arbeitsmarktstatus, Jahresdurchschnitte 2010 und 2015,
Anzahl in Tsd.
2010
2015
Bedarfsgemeinschaften
3.591
3.288
Leistungsberechtigte
6.447
6.000
darunter:
erwerbsfähig
nicht erwerbsfähig
4.838
4.327
Kinder unter 15 Jahren
1.502
1.542
Sonstige ab 15 Jahren
75
60
100,0 %
100,0 %
42,8 %
42,6 %
57,2 %
57,4 %
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte
Anzahl in %
davon:
arbeitslos
nicht arbeitslos
darunter:
in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
14,4 %
10,1 %
in ungeförderter Erwerbstätigkeit
13,5 %
16,6 %
in Schule, Studium, ungeförderter Ausbildung
7,1 %
8,0 %
in Erziehung, Haushalt, Pflege
6,9 %
6,7 %
in Arbeitsunfähigkeit
5,6 %
6,9 %
in Vorruhestand
5,4 %
3,8 %
unbekannt
4,3 %
5,3 %
davon:
nicht erwerbstätig
71,5 %
71,4 %
erwerbstätig
28,5 %
28,6 %
11,0 %
9,9 %
darunter:
ausschließlich geringfügig beschäftigt
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016a).
60
Arbeitsmarkt kompakt
Im Jahr 2015 bezogen 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften (Haushalte) und 6,0 Millionen Personen Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II (vgl. Tabelle D1). Dies stellt gegenüber 2010 einen Rückgang von
circa 300 Tausend Bedarfsgemeinschaften und 500 Tausend
Personen dar. Von 6,0 Millionen Leistungsbeziehern sind
4,3 Millionen sogenannte Erwerbsfähige, d. h. sie sind zwischen 15 und 65 Jahre alt und in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 SGB II).
Darüber hinaus beziehen knapp 1,6 Millionen nicht erwerbsfähige Personen Leistungen, hauptsächlich Kinder
unter 15 Jahren im Haushalt ihrer Eltern.
Von den 4,3 Millionen erwerbsfähigen Leistungsbeziehern
sind etwas weniger als die Hälfte (42,6 Prozent) tatsächlich arbeitslos gemeldet. Neben den Arbeitslosen befinden
sich zehn Prozent in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen,
16,6 Prozent in ungeförderter Beschäftigung und acht Prozent in Schule, Studium oder Ausbildung. Weitere 6,7 Prozent
sind nicht arbeitslos, weil sie im Haushalt Kinder erziehen
oder Angehörige pflegen, 6,9 Prozent sind vorübergehend
arbeitsunfähig und 3,8 Prozent wegen eines höheren Alters
nicht mehr zur Arbeitsuche verpflichtet. Letzteres betrifft
Personen ab 58 Jahren, die mindestens ein Jahr im Leistungsbezug waren und denen keine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung angeboten worden ist.
Erwerbstätigkeit bei gleichzeitigem Leistungsbezug („Aufstocker“) ist relativ stark verbreitet: 29 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher sind erwerbstätig, wobei Erwerbstätige, wenn sie nicht mehr als 15 Stunden pro Woche
arbeiten, trotzdem arbeitslos gemeldet sein können. Eine
gleichzeitige Arbeitslosigkeit sollte also vornehmlich bei geringfügig Beschäftigten auftreten. Bei größeren Familien
reicht selbst das Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit nicht
immer aus, um das soziokulturelle Existenzminimum zu erreichen. Bei kleineren Haushalten begründen häufig kurze
Arbeitszeiten und/oder niedrige Verdienste den Verbleib im
Leistungsbezug. Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch Bezieher von Arbeitslosengeld II führte im Jahr 2008 nur in der Hälfte der Fälle zu einer Beendigung des Leistungsbezugs. Bei Alleinerziehenden
und Paaren mit Kindern lag dieser Anteil sogar nur bei etwas unter 40 Prozent (Koller/Rudolph 2011).
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
„Von allen Haushalten bezogen im
Dezember 2015 zehn Prozent Hartz IV.“
Die Relevanz des Haushaltskontexts für den Grundsicherungsbezug zeigt sich auch bei der Verteilung der SGB-IIHilfequoten, also des Anteils der SGB-II-Bezieher an der
jeweiligen Bevölkerungsgruppe: Von allen Haushalten bezogen im Dezember 2015 zehn Prozent Hartz IV. Insbesondere bei Alleinerziehenden ist dieser Anteil jedoch deutlich
höher. Von allen Alleinerziehenden-Haushalten beziehen
38 Prozent Leistungen der Grundsicherung. Diese höhere Betroffenheit von Alleinerziehenden liegt dabei weniger
an einer geringen Erwerbsmotivation und -integration der
Mütter, sondern vor allem daran, dass sich diese schwerer
tun, Familie und Beruf zu vereinbaren (Lietzmann 2016). Des
Weiteren zeigen sich höhere SGB-II-Hilfequoten bei kinderreichen Paarfamilien, bei Kindern unter 15 Jahren und bei
Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.
Für die Überwindung des Leistungsbezugs sind somit mehrere Ansatzpunkte relevant. Die Erwerbsintegration und
Überwindung von Arbeitslosigkeit selbst ist ein zentraler Aspekt, auch wenn Erwerbstätigkeit nicht immer dazu führt,
dass der Leistungsbezug beendet oder vermieden wird. Erwerbstätigkeit – auch geförderte – kann aber zu einer sozialen und gesundheitlichen Stabilisierung beitragen und
kurz- oder mittelfristig weitere Erwerbschancen eröffnen.
Für die Beendigung des Leistungsbezugs ist darüber hinaus
die Beschäftigungsqualität – sprich: Entlohnung, Arbeitszeit
und Beschäftigungsdauer – von Bedeutung. In Haushalten
mit Kindern, zumal bei Alleinerziehenden, ist zudem eine
gesicherte Kinderbetreuung die Voraussetzung für eine erfolgreiche Erwerbsintegration.
Tabelle D2: Bestand und Hilfequoten von SGB-II-Bedarfsgemeinschaften und Personen, Dezember 2015
SGB-IIBestand
absolut
Hilfequote*
Haushaltstyp
(in Tsd.)
(in %)
Alle Haushalte
3.288
10,0
Alleinstehende
1.769
12,6
Alleinerziehende
615
37,6
Paare ohne Kind
317
3,3
Paare mit Kind(ern)
470
7,3
Alle Leistungsberechtigten
5.908
9,2
Alle Erwerbsfähigen
4.244
7,9
unter 25 Jahren
693
8,0
25 bis unter 55 Jahren
2.824
8,4
55 Jahre und älter
727
6,4
Frauen
2.175
8,2
Männer
2.069
7,6
Deutsche
3.112
6,5
Ausländer
1.120
18,2
1.536
14,4
Nicht Erwerbsfähige unter
15 Jahren
Darunter mit …
1 Kind
2 Kindern
3 oder
mehr
Kindern
32,5
42,6
68,4
5,7
6,5
16,8
Lesebeispiel: 10 Prozent aller Haushalte und 37,6 Prozent aller Alleinerziehenden-Haushalte
beziehen SGB-II-Leistungen.
* Die Hilfequoten setzen die leistungsbeziehenden Personen und Bedarfsgemeinschaften ins
Verhältnis zu allen Personen und Haushalten des jeweiligen Typs in der Bevölkerung bis zur
Regelaltersgrenze.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016b).
Arbeitsmarkt kompakt
61
Kapitel D
VI. Verfestigung von Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
Kerstin Bruckmeier, Torsten Lietzmann und Thomas Rothe
Die günstige Entwicklung des Arbeitsmarkts innerhalb
der letzten zehn Jahre hat zu einem deutlichen Abbau der
Arbeitslosigkeit geführt. Im Vergleich zu 2007 gab es 2015
fast eine Millionen weniger registrierte Arbeitslose, darunter knapp 700.000 weniger Langzeitarbeitslose – Personen
also, die mindestens ein Jahr arbeitslos gemeldet sind. Seit
2011 hat sich der Abbau der Arbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit trotz weiterhin positiver Beschäftigungsentwicklung jedoch deutlich verlangsamt und es zeigen
sich Verfestigungstendenzen. Damit ist also ein immer größerer Anteil der Arbeitslosen langfristig arbeitslos. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen stieg von
35,2 Prozent im Jahr 2010 auf 37,2 Prozent im Jahr 2014. Innerhalb der Gruppe der Langzeitarbeitslosen gibt es zudem
immer mehr Personen mit länger andauernder Arbeitslosigkeit: Der Anteil der Personen an allen Langzeitarbeitslosen,
die bereits zwei oder mehr Jahre arbeitslos sind, erhöhte sich
von 49,7 Prozent auf 54,3 Prozent (vgl. Tabelle D3).
Dies erklärt sich zum Teil dadurch, dass viele Arbeitslose
schon nach kurzer Zeit wieder eine Beschäftigung aufneh-
Tabelle D3: Ausgewählte Strukturmerkmale von Kurzzeit- und
Langzeitarbeitslosen im Zeitvergleich
Kurzzeitarbeitslose Langzeitarbeitslose
(unter 1 Jahr)
(über 1 Jahr)
Juni
Juni
Juni
Juni
2010
2014
2010
2014
Berufsausbildung
Ohne abgeschlossene Berufsausbildung
Betriebliche/schulische Ausbildung
Akademische Ausbildung
Anforderungsniveau
Helfer
Fachkraft
Spezialist
Experte
Alter
15–24 Jahre
25–34 Jahre
35–44 Jahre
45–54 Jahre
55–64 Jahre
Dauer der Arbeitslosigkeit
1 bis unter 2 Jahre
2 Jahre und länger
39,9
49,5
6,6
42,5
46,9
8,6
46,9
42,2
3,8
50,6
42,2
4,6
33,4
45,4
5,6
6,1
40,1
41,5
5,7
7,2
42,3
40,4
3,7
3,2
51,8
37,1
3,5
3,3
13,5
26,0
22,9
23,5
14,0
12,0
27,5
21,0
22,7
16,7
2,4
19,7
26,0
30,6
21,3
2,5
18,4
22,6
29,8
26,4
50,3
49,7
45,7
54,3
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
62
Arbeitsmarkt kompakt
men. Damit verbleiben vor allem solche Arbeitslose im Bestand, die größere Integrationshemmnisse aufweisen. Tabelle D3 zeigt ausgewählte Strukturmerkmale von Kurzzeit- und
Langzeitarbeitslosen im Zeitvergleich. Dabei wird – wenig
überraschend – deutlich, dass Langzeitarbeitslose häufiger
integrationshemmende Merkmale aufweisen als Kurzzeitarbeitslose. Zudem zeigt sich, dass der Anteil an Personen mit
ungünstiger Ausgangslage bei beiden Gruppen zugenommen
hat. Besonders ungünstig für die Beschäftigungschancen sind
ein fehlender Schulabschluss oder eine fehlende berufliche
Ausbildung, gesundheitliche Einschränkungen, ein längerer
vorausgehender Bezug von Arbeitslosengeld II sowie ein höheres Alter (Achatz/Trappmann 2011).
Gut die Hälfte der Langzeitarbeitslosen besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf die qualifikationsspezifischen Integrationsprobleme
dieser Gruppe. Dabei ist der Anteil der gering qualifizierten Arbeitslosen unter den Langzeitarbeitslosen von knapp
47 Prozent im Jahr 2010 auf fast 51 Prozent im Jahr 2014
gestiegen. Bei den Kurzzeitarbeitslosen war ein Zuwachs
von rund 40 auf 42,5 Prozent zu verzeichnen.
Deutlich mehr Langzeitarbeitslose suchen nur eine Helfertätigkeit ohne bzw. mit nur geringer Fachkenntnis, ihr Anteil
hat sich von 42 Prozent im Jahr 2010 auf etwa 52 Prozent
im Jahr 2014 erhöht. Von den Kurzzeitarbeitslosen suchten
im Juni 2014 etwa 40 Prozent eine Helfertätigkeit (2010:
33,4 Prozent). Zugenommen hat auch der Anteil der Älteren unter den Langzeitarbeitslosen, die aufgrund veralteter
Qualifikationen oder eines vergleichsweise schlechten Gesundheitszustands häufig stärkere Integrationsschwierigkeiten haben als jüngere Arbeitslose.
Personen, die längerfristig arbeitslos sind, erhalten überwiegend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Dort
werden rund 90 Prozent aller Langzeitarbeitslosen betreut.
Daneben erhält auch etwa eine Million Kurzzeitarbeitslose
Grundsicherungsleistungen. Zwar ist die Grundsicherung nicht
auf die Unterstützung von Arbeitslosen beschränkt, dennoch
ist Arbeitslosigkeit eine der Hauptursachen für den Eintritt in
den Leistungsbezug (Fuchs 2012). Der starke Abbau der Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit hat sich daher auch positiv
in der Grundsicherung für Arbeitsuchende niedergeschlagen.
Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sank zwischen 2007 und 2014 von 5,3 auf 4,4 Millionen Personen. Der
Anteil der Leistungsempfänger, die seit mehr als einem Jahr
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
durchgehend im Bezug sind, liegt bei 77 Prozent; 62 Prozent
hatten bereits länger als zwei Jahre Leistungen bezogen. Diese Anteile sind seit 2010 nahezu gleich geblieben. Betrachtet man die Dauer des Leistungsbezugs unabhängig davon, ob
dieser durch eine Erwerbstätigkeit oder andere Faktoren vorübergehend unterbrochen wurde, dann wird deutlich, dass die
Zahl der Personen, die über einen langen Zeitraum immer wieder auf Unterstützung angewiesen sind, seit 2005 leicht zugenommen hat. So stieg der Anteil der Personen, die unter Berücksichtigung von Unterbrechungen zwei und mehr Jahre
Leistungen bezogen haben, von 81 Prozent im Jahr 2010 auf
83 Prozent im Jahr 2013 (ein Grund dafür war allerdings auch,
dass der Zeitraum für die Erfassung von früheren Leistungsperioden größer geworden ist). Der Anteil der Personen mit einer
Bezugsdauer von insgesamt mehr als einem Jahr ist hingegen
mit 91 Prozent gleich geblieben. Insgesamt ist somit weder
eine Zunahme der Verfestigung im Leistungsbezug noch eine
Entspannung zu erkennen. Unter den Leistungsbeziehern ist
Langzeitleistungsbezug allerdings weit verbreitet: Von den
4,4 Millionen erwerbsfähigen Leistungsbeziehern im Jahr 2014
waren 3,1 Millionen Langzeitleistungsbezieher. Darunter werden Personen erfasst, die innerhalb von 24 Monaten mindestens 21 Monate hilfebedürftig waren.
Dass viele Leistungsempfänger lange Bezugsdauern aufweisen, wird in Abbildung D9 ersichtlich. Die Abbildung zeigt,
die Entwicklung des Bestandes von Leistungsbeziehenden
seit Beginn der Einführung der Grundsicherung im Januar 2005. Dabei lassen sich grob vier Gruppen unterscheiden:
(1) Bezieher mit durchgehendem Leistungsbezug, (2) Bezieher, die im Januar 2005 im Bezug waren, diesen aber danach verlassen oder unterbrochen haben (Abgänge bzw.
Unterbrechung des Leistungsbezugs), (3) Personen, die erst
nach dem Januar 2005 zeitweilig bedürftig waren (Ab- und
Zugänge), sowie (4) Zugänge, die nach dem Januar 2005 erfolgten, die Bedürftigkeit bis Ende 2014 aber nicht überwinden konnten. Insgesamt dominieren bei allen Gruppen
lange Bezugszeiten: Die deutliche Mehrheit der leistungsberechtigten Personen war im Beobachtungszeitraum mindestens ein Jahr im Leistungsbezug (schraffierte Fläche). Sowohl im Anfangsbestand der Leistungsbezieher vom Januar
2005 als auch im Endbestand vom Dezember 2014 finden
sich mehrheitlich Personen mit sehr langen durchgehenden Bezugsdauern. Etwa eine Million Personen war seit Einführung des Arbeitslosengeldes II im Januar 2005 bis Ende
2014 sogar durchgehend ohne Unterbrechungen im Leistungsbezug. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Langzeitleistungsbezieher keineswegs immer arbeitslos sind. Bei langen
Bezugsdauern wechseln sich häufig Phasen von Maßnahmenteilnahme mit Phasen von nicht bedarfsdeckender Erwerbstätigkeit sowie mit Zeiten ab, in denen aus verschiedenen Gründen – beispielsweise wegen Krankheit oder der
Versorgung von Kindern – nicht nach einer Beschäftigung
gesucht wird (Bruckmeier et al. 2015).
Abbildung D9: Bestand und Wechsel von Personen in der Grundsicherung, 2005 bis 2014
8.000.000
7.000.000
(4)
6.000.000
5.000.000
4.000.000
(3)
3.000.000
2.000.000
(2)
1.000.000
2005/01
2005/04
2005/07
2005/10
2006/01
2006/04
2006/07
2006/10
2007/01
2007/04
2007/07
2007/10
2008/01
2008/04
2008/07
2008/10
2009/01
2009/04
2009/07
2009/10
2010/01
2010/04
2010/07
2010/10
2011/01
2011/04
2011/07
2011/10
2012/01
2012/04
2012/07
2012/10
2013/01
2013/04
2013/07
2013/10
2014/01
2014/04
2014/07
2014/10
(1)
0
Durchgehender Leistungsbezug
Zugang mit Verbleib bis Dez 2014
Abgang oder Unterbrechung vom Bestand Jan 2005
mindestens 12 Monate im Leistungsbezug
Zu- und Abgang
Lesehilfe: (1) Bezieher mit durchgehendem Leistungsbezug, (2) Bezieher, die den Bezug nach Januar 2005 verlassen oder unterbrochen haben (Abgänge bzw. Unterbrechung des
Leistungsbezugs), (3) Personen, die zeitweilig bedürftig waren (Ab- und Zugänge), sowie (4) Zugänge, die die Bedürftigkeit bis Ende 2014 nicht überwinden konnten.
Quelle: Leistungshistorik Grundsicherung, Hochrechnung auf Basis der 211 Kreise, von denen seit 2005 vollständige Meldungen vorliegen.
Arbeitsmarkt kompakt
63
Kapitel D
VII. Langzeiterwerbslosigkeit im europäischen Vergleich
Regina Konle-Seidl und Thomas Rhein
Über viele Jahre hinweg war die Langzeitarbeitslosigkeit
in Deutschland im internationalen Vergleich außergewöhnlich hoch. Entgegen dem europäischen Trend ist die Zahl
der Langzeiterwerbslosen seit Mitte der 2000er Jahre aber
deutlich zurückgegangen. In den meisten anderen europäischen Ländern hingegen stieg die Zahl in Folge der Finanzund Euroschuldenkrise mehr oder weniger deutlich an. Nach
der international harmonisierten Erwerbslosenstatistik waren hierzulande 2005 2,4 Millionen Personen ein Jahr oder
länger erwerbslos, 2014 waren es noch 918.000. Diese Daten
basieren auf der europäischen Arbeitskräfteerhebung, der
eine vereinheitlichte Definition von Erwerbslosigkeit in allen
EU-Staaten zugrunde liegt. Erwerbslos sind demnach Personen, die keine Erwerbstätigkeit von mindestens einer Stunde pro Woche ausüben, aber nach Arbeit suchen und dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Die gegenläufige Entwicklung in Deutschland spiegelt sich
auch in den Langzeiterwerbslosenquoten wider. Während
die deutsche Quote noch 2008 über dem EU-Durchschnitt
lag, sank sie bis 2014 auf 2,2 Prozent aller Erwerbspersonen und ist damit nicht mehr viel höher als in anderen EULändern mit traditionell niedrigen Langzeiterwerbslosenquoten. Trotz dieser positiven Entwicklung ist der Anteil der
Langzeitarbeitslosen – gemessen als Anteil an allen Erwerbslosen – hiezulande noch immer höher als in manch anderen
EU-Ländern. Während in Deutschland mehr als 40 Prozent
aller Erwerbslosen länger als ein Jahr erwerbslos sind, sind
es in Österreich und Dänemark weniger als 25 Prozent, in
Schweden sogar weniger als 20 Prozent. Besonders auffällig:
17 Prozent aller Erwerbslosen sind in Deutschland schon
vier Jahre oder länger ohne Arbeit – weit mehr als in vergleichbaren Ländern und im Durchschnitt der 15 „alten“ EULänder (vgl. Abbildung D10).
Es wäre jedoch voreilig, daraus zu schließen, dass das Ausmaß struktureller Erwerbslosigkeit hierzulande überdurchschnittlich hoch ist. Denn Langzeiterwerbslosigkeit ist nicht
die einzige Form der langfristigen Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt. Daneben gibt es weitere Formen. Das betrifft
vor allem zwei Gruppen von Personen: solche im erwerbsfähigen Alter, die vorzeitig verrentet wurden, und Bezieher von Erwerbsminderungsrenten mit gesundheitlichen
Einschränkungen. Nach der internationalen Erwerbsstatistik gelten diese Gruppen weder als erwerbstätig noch als
(langzeit-)erwerbslos.
Im Ländervergleich zeigt sich, dass Personen, die etwa in
Deutschland zur Gruppe der Langzeitarbeitslosen zählen,
in anderen Ländern häufiger als erwerbsgemindert gelten.
Dies führt im Ländervergleich zu einer Verzerrung der Langzeiterwerbslosenquoten.
Abbildung D10: Dauerverteilung der Erwerbslosigkeit im Ländervergleich, 2014, Anteile an allen Erwerbslosen, in %
70
60
17
50
13
40
30
7
23
13
20
10
0
22
18
Italien
1–2 Jahre
Niederlande
2–4 Jahre
17
17
6
3
6
3
7
10
10
17
15
14
14
Österreich
Dänemark
Großbritannien
Deutschland
3
4
19
10
Schweden
EU-15
4 Jahre und länger
Fehlende Anteile auf 100 Prozent sind Erwerbslose mit Dauer bis max. 1 Jahr.
Quelle: EU-Labour Force Statistics, eigene Auswertungen.
64
Arbeitsmarkt kompakt
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
Abbildung D11: Gruppen von Langzeit-Nichterwerbstätigen im Ländervergleich, Anteile an der Erwerbsbevölkerung
(25–64 Jahre), in %
14
12
10
2,3
3,8
4,5
1,7
1,1
8
3,2
5,8
3,6
6
5,2
7,0
3,6
5,2
8,2
7,3
9,0
7,2
2,2
3,3
4
6,1
6,3
5,6
6,5
2,9
2
2,7
1,6
0
2008
2014
Schweden
Erwerbslose*
3,8
2,4
2008
2014
Deutschland
Erwerbsunfähige**
3,3
1,4
2008
2,0
1,1
2014
Niederlande
2008
1,8
1,7
2014
2008
Österreich
2,3
2014
Großbritannien
2,3
0,9
2008
2014
Dänemark
(Früh-)Rentner
* Seit mehr als einem Jahr nicht mehr erwerbstätig; Inaktivität aus anderen Gründen (z. B. familiäre Verpflichtungen, Studium und Ausbildung) ist hier nicht berücksichtigt.
** Inklusive (Langzeit-)Kranke.
Quelle: EU-Labour Force Statistics, eigene Berechnungen.
Menschen, die über längere Zeit hinweg nicht erwerbstätig
sind, weisen länderübergreifend im Regelfall vergleichbare Risikomerkmale auf, die eine Integration in den regulären
Arbeitsmarkt erschweren – unabhängig davon, ob sie unter
dem Status „Langzeitarbeitslose“, „Frührentner“ oder „Erwerbsunfähige“ firmieren. Zu diesen Risikomerkmalen zählen
eine fehlende oder geringe Qualifikation, sprachliche Defizite, gesundheitliche Einschränkungen oder ein hohes Lebensalter. Welcher formale Erwerbsstatus jeweils dominiert,
hängt stark von dem jeweiligen sozialen Sicherungssystem
ab. Menschen mit ähnlichen Vermittlungs- und Beschäftigungsproblemen scheinen also je nach Land in unterschiedlichen sozialen Sicherungssystemen auf und weisen dadurch
– statistisch betrachtet – einen unterschiedlichen Erwerbsstatus auf. Ein umfassender Vergleich sollte diese Wechselwirkungen berücksichtigen. Deshalb ist die Langzeiterwerbslosenquote als Vergleichsindikator nur bedingt geeignet.
Um das gesamte Ausmaß einer langfristigen Nichterwerbstätigkeit in einem Land zu erfassen, ist es sinnvoll, die drei
genannten Formen – Langzeiterwerbslose, (Langzeit-)Erwerbsunfähige einschließlich Langzeitkranke und Frühverrentete – zusammenzufassen. Dabei zeigt sich: Umfang und
Struktur dieser Personengruppe variieren von Land zu Land
erheblich, wie ein Vergleich Deutschlands mit Schweden,
den Niederlanden, Österreich, Großbritannien und Dänemark zeigt (vgl. Abbildung D11).
Der Anteil der Langzeit-Nichterwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren ist nur noch
in Schweden mit neun Prozent geringer als in Deutschland,
wo er von fast zwölf Prozent im Jahr 2008 auf 9,3 Prozent
im Jahr 2014 gesunken ist. Im Ländervergleich ist insbesondere der Anteil Erwerbsunfähiger in Deutschland unterdurchschnittlich. In Österreich erreicht der Anteil der Frührentner – oft Invaliditätsrentner – mit über acht Prozent
einen europäischen Spitzenwert. Wenn Substitutionsbeziehungen zwischen Langzeiterwerbslosigkeit und anderen, sozialstaatlich unterstützten Formen der Langzeit-Nichterwerbstätigkeit nicht beachtet werden, führt dies folglich zu
falschen Schlussfolgerungen.
Als Vergleichsindikator ist die international harmonisierte
Langzeiterwerbslosenquote auch aus einem weiteren Grund
nur bedingt geeignet. Sie erfasst das Problem eines längerfristigen Ausschlusses von genuin marktbasierter, regulärer
Beschäftigung nicht adäquat. Dies betrifft v. a. die von Land
zu Land erheblichen Unterschiede beim Umfang öffentlich
geförderter Beschäftigung, da meist arbeitsmarktferne Personengruppen, die in der internationalen Erwerbsstatistik
als beschäftigt erfasst werden, kaum mehr Chancen auf ein
Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Während sich beispielsweise in Dänemark 2,2 Prozent der Erwerbspersonen in dauerhaft subventionierter Beschäftigung
befinden, sind es in Deutschland 0,4 Prozent – meist in zeitlich befristeten Arbeitsgelegenheiten.
Arbeitsmarkt kompakt
65
Kapitel D
VIII. Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich
Hans Dietrich
Die Zahl erwerbsloser Jugendlicher war in Folge der Großen Rezession auch in Europa von 4,2 Millionen im Jahr
2008 deutlich angestiegen auf 5,6 Millionen im Jahr 2013;
seit 2014 ist wieder eine rückläufige Entwicklung zu beobachten. Aber auch im Jahr 2015 bewegt sich die Zahl erwerbsloser Jugendlicher mit 4,6 Millionen nach wie vor auf
einem hohen Niveau.
Eine Reihe wissenschaftlicher Befunde legt nahe, dass insbesondere lang andauernde Phasen der Erwerbslosigkeit
beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt die gesamte weitere Erwerbskarriere negativ beeinflussen können,
etwa die Erwerbsbeteiligung, die Qualität der Erwerbstätigkeit oder das Einkommen. Entsprechend kommt der nach
wie vor hohen Erwerbslosigkeit Jugendlicher in Europa ein
hoher Stellenwert sowohl auf der politischen Agenda wie in
der öffentlichen Wahrnehmung zu.
Tabelle D4: Erwerbslosenquoten Jugendlicher in Europa,
2013 bis 2015, in %
Region
EU-28
Belgien
Bulgarien
Dänemark
Deutschland
Estland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Kroatien
Lettland
Litauen
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Polen
Portugal
Rumänien
Schweden
Slowakei
Slowenien
Spanien
Tschechische Republik
Ungarn
Großbritannien
Zypern
2008
15,6
18,0
12,7
8,0
10,6
12,0
16,5
18,3
21,9
13,3
21,2
23,7
13,6
13,3
17,9
11,7
5,3
8,5
17,3
16,7
18,6
20,2
19,0
10,4
24,5
9,9
19,5
15,0
9,0
2013
23,6
23,7
28,4
13,1
7,8
18,7
19,9
24,0
58,3
26,8
40,0
50,0
23,2
21,9
15,5
13,0
13,2
9,7
27,3
38,1
23,7
23,5
33,7
21,6
55,5
19,0
26,6
20,7
38,9
2015
20,4
22,1
21,6
10,8
7,2
13,1
22,4
24,7
49,8
20,9
40,3
43,0
16,3
16,3
17,3
11,8
11,3
10,6
20,8
32,0
21,7
20,4
26,5
16,3
48,3
12,6
17,3
14,6
32,8
Quelle: EU-Labour Force Statistics, eigene Berechnungen.
66
Arbeitsmarkt kompakt
In der öffentlichen Diskussion wird dabei insbesondere auf
die sogenannte Erwerbslosenquote abgestellt. Diese ist europaweit von 15,6 Prozent im Jahr 2008, also vor dem Ausbruch der Großen Rezession, auf 23,6 Prozent im Jahr 2013
angestiegen, um dann bis 2015 wieder auf 20,4 Prozent zurückzugehen. Vom Anstieg der Erwerbslosenquote Jugendlicher besonders betroffen waren insbesondere eine Reihe
von Mittelmeerländern (insbesondere Griechenland, Italien,
Spanien und Portugal), aber z. B. auch Irland. Die Verbesserung der Lage seit 2013 ist auch in den meisten Ländern, die
von der Großen Rezession stark betroffen waren, zu beobachten. So ging die Erwerbslosenquote Jugendlicher in Griechenland von 58,3 Prozent im Jahr 2013 auf 49,8 Prozent
im Jahr 2015 zurück und in Spanien von 55,5 Prozent im
Jahr 2013 auf 48,3 Prozent im Jahr 2015 (vgl. Tabelle D4).
Demgegenüber blieb die Erwerbslosenquote Jugendlicher in
Italien (40 Prozent) oder Frankreich (24 Prozent) in diesem
Zeitraum relativ konstant auf hohem Niveau. In wenigen
Ländern ist die Erwerbslosenquote entgegen dem europäischen Trend seit 2013 sogar weiter angestiegen (in Österreich von 9,7 auf 10,6 Prozent und in Finnland von 19,9 auf
22,4 Prozent; siehe Tabelle D4).
Allerdings ist die Erwerbslosenquote ein Indikator, der das
Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit tendenziell überzeichnet. Jugendliche, die zum Beispiel in der Schule oder im
Studium sind oder aus sonstigen Gründen dem Arbeitsmarkt
nicht zur Verfügung stehen, werden bei dieser Maßzahl
nicht berücksichtigt. Der Nenner, bestehend aus Erwerbslosen und Erwerbstätigen, ist damit systematisch kleiner
als bei anderen Altersgruppen und selbst relativ wenige erwerbslose Jugendliche im Zähler können die Quote dann
sehr hoch erscheinen lassen. Will man die soziale Situation
Jugendlicher ländervergleichend beschreiben, erweist sich
der Anteil der erwerbslosen Jugendlichen an der gleichaltrigen Bevölkerung insgesamt als aussagekräftiger (Dietrich
2013, 2015). Wie Tabelle D5 zeigt, fallen die Werte dieses
Indikators deutlich kleiner aus. Der Bevölkerungsanteil erwerbsloser Jugendlicher in der EU ist demnach zunächst im
Zuge der Großen Rezession von 6,9 Prozent im Jahr 2008
auf 9,9 Prozent im Jahr 2013 angestiegen, um dann im Zuge
der Erholung auf 8,4 Prozent im Jahr 2015 zurückzugehen. Erneut folgen einige wenige Länder nicht diesem Trend
(Frankreich, Italien, Österreich oder Finnland).
In Vergleich zu Erwachsenen ist das Erwerbslosigkeitsrisiko junger Menschen (15–24 Jahre) deutlich höher als das
von Erwachsenen im Alter von 25 bis 64 Jahren. Dazu trägt
Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug
insbesondere die besondere Situation des Übergangs von
Schule und Ausbildung in den Arbeitsmarkt bei. Suchphasen
nach dem Bildungsabschluss, fehlende Erwerbserfahrung,
unsichere Verträge (befristete Verträge oder geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse beim Einstieg in den Arbeitsmarkt) erhöhen in dieser Phase des Lebensverlaufs das individuelle Risiko temporärer und gegebenenfalls wiederholter
Erwerbslosigkeit (Dietrich/Möller 2015). Daneben sind länderspezifische Faktoren in Betracht zu ziehen. Dazu zählen
demografische Faktoren (Geburtenentwicklung, Sterblichkeit und Migration) sowie insbesondere die wirtschaftliche
Entwicklung, die jenseits individueller Merkmale einen erheblichen Einfluss auf das individuelle Risiko hat, erwerbslos
zu werden (Dietrich/Möller 2015).
So weist Eurostat für 2015 eine Erwerbslosenquote für Erwachsene von 8,4 Prozent aus, für Jugendliche von 20,4 Prozent. Dies entspricht einem Verhältnis von 1:2,4. Deutschland
nahm hier bis Anfang der 2000er Jahre eine gewisse Ausnahmestellung ein, das Verhältnis lag hier nahezu bei 1:1. Seither nähert sich diese Relation auch in Deutschland tendenziell dem europäischen Niveau an, obschon nach wie vor ein
deutlicher Abstand besteht. Diese relative Verschlechterung
der Arbeitsmarktposition von Jugendlichen in Deutschland
blieb nur deswegen weitgehend unbemerkt, weil die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland seit Jahren rückläufig ist und
sich auf einem im internationalen Vergleich sehr niedrigen
Niveau bewegt. Dennoch sollte dieser Prozess zu denken geben, verweist er doch darauf, dass es auch in Deutschland
Faktoren gibt, die speziell jungen Menschen den Zutritt in
den Arbeitsmarkt zunehmend erschweren.
Jugendliche Migranten waren von der Rezession
besonders stark betroffen
Auch vor der Großen Rezession wiesen ausländische Jugendliche in den meisten europäischen Mitgliedsstaaten ein
höheres Erwerbslosigkeitsrisiko auf als die jeweils einheimische Jugendpopulation. Mit Einsetzen der Großen Rezession
stieg der Erwerbslosenanteil ausländischer Jugendlicher bis
2013 jedoch überproportional an. Mit der einsetzenden Erholung ist nicht nur die Erwerbslosenquote ausländischer
Jugendlicher rückläufig, auch der Abstand zur Quote der
einheimischen Jugendlichen verringert sich.
Entgegen diesem Trend steigt in Deutschland ebenso wie
etwa in Schweden, den Niederlanden oder Italien seit Kurzem die Erwerbslosenquote ausländischer Jugendlicher an.
Dazu tragen EU-Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa und – seit Kurzem – die Ankunft
jugendlicher (Flucht-)Migranten bei.
Im Zuge der Großen Rezession hat sich nicht nur die Zahl
beziehungsweise der Anteil erwerbsloser Jugendlicher deutlich erhöht, sondern auch die Dauer der individuellen Er-
werbslosigkeit. So war der Anteil der Jugendlichen, die länger als sechs Monate erwerbslos sind, bis zum Einsetzen der
Großen Rezession rückläufig und stieg danach EU-weit bis
zum Jahr 2014 deutlich an. Erst seit 2015 zeichnet sich erstmalig wieder eine leichte Verkürzung der durchschnittlichen
Dauer der Erwerbslosigkeit Jugendlicher ab. Gleichwohl ist
immer noch jeder zweite erwerbslose Jugendliche in Europa
länger als sechs Monate erwerbslos.
Deutschland nimmt auch mit Blick auf die Dauer der Erwerbslosigkeit junger Menschen eine Sonderrolle ein. Denn
hierzulande ist die durchschnittliche Dauer der Erwerbslosigkeit Jugendlicher schon seit 2005 rückläufig. Gleichwohl
nimmt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich hier
keineswegs eine Spitzenposition ein, sondern liegt lediglich
im vorderen Mittelfeld. So sind in Deutschland (auf Basis von
Selbstangaben) immerhin etwa vier von zehn jugendlichen
Erwerbslosen seit mehr als einem halben Jahr ohne Job. In
Dänemark und Schweden liegt dieser Anteil bei einem knappen Viertel. Im Vergleich zu Arbeitslosen über 25 Jahren jedoch sind erwerbslose Jugendliche im Schnitt meist kürzer
arbeitslos, der Arbeitsmarkt für Jugendliche erweist sich insgesamt als deutlich dynamischer.
Tabelle D5: Bevölkerungsanteile erwerbsloser Jugendlicher,
2008, 2013 und 2015
Region
EU-28
Belgien
Bulgarien
Dänemark
Deutschland
Estland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Kroatien
Lettland
Litauen
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Polen
Portugal
Rumänien
Schweden
Slowakei
Slowenien
Spanien
Tschechische Republik
Ungarn
Großbritannien
Zypern
2008
6,9
6,0
3,8
5,8
5,5
4,9
8,8
7,1
6,6
7,1
6,5
8,7
5,9
4,0
5,2
6,2
3,9
5,1
5,7
6,8
5,7
10,7
6,2
4,5
11,7
3,1
4,9
9,2
3,7
2013
9,9
7,3
8,4
8,1
4,0
7,4
10,3
9,0
16,5
10,6
10,9
14,9
9,1
6,9
4,0
6,9
9,1
5,7
9,1
13,3
7,1
12,8
10,4
7,3
21,0
6,0
7,3
12,1
14,9
2015
8,4
6,6
5,6
6,7
3,5
5,4
11,7
9,1
12,9
7,6
10,6
14,3
6,7
5,5
6,1
6,1
7,7
6,1
6,8
10,7
6,8
11,2
8,4
5,7
16,8
4,1
5,4
8,6
12,4
Quelle: EU-Labour Force Statistics, eigene Berechnungen
Arbeitsmarkt kompakt
67
Kapitel D
Literatur zu Kapitel D
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