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Al-Azhar im Zeichen des Umbruchs

eine kurze Darstellung des sozialen politischen Verhältnisses der großen religiösen Institution des sunnitischen Islam zum Umbruch am Nil....

Die Al-Azhar im Zeichen des Umbruchs – Ein politisches soziales Engagement? Ahmed M. F. Abd-Elsalam Zentrum für Islamische Theologie der WWU Münster 2014 Präsentiertes Paper im Kongress „Horizonte der Islamischen Theologie“ des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam der Goethe Universität Frankfurt vom 01. bis 05. September 2014 Sektion 6 Islam im Fokus – Panel 3b Islamische politische Theologie im Wandel 3.09.2014 Al-Azhar – Was ist Al-Azhar? Al-Azhar…was ist Al-Azhar? Hier im Westen pflegt man, von Al-Azhar-Universität zu sprechen. In Ägypten aber ist man oft differenzierter. Man unterscheidet zwischen Al-Azhar-Universität mit ihren theologischen und nicht-theologischen Fakultäten, Al-Azhar-Instituten mit ihren im ganzen Land verbreiteten Schulen und verschiedenen Abschlüssen von Grundschule bis Hochschulreife und der Al-Azhar-Direktion mit ihren mehreren Räten und Expertengremien unter der Führung des Großscheichs. Der Großscheich, der die Amtsprivilegien eines Ministerpräsidenten hat, und die Al-Azhar-Direktion sind für die interne Amtspolitik verantwortlich. Die Expertenräte und Gremien, wie die Akademie islamischer Forschung (maǧmaʿ al-buḥūṯ al-islamiyya) und der Rat großer Gelehrter (hayʾat kibār al-ʿulamāʾ) unter der Leitung des Großscheich sind für die Bestimmung einer religiösen Meinung in Fragen mit besonderem öffentlichem Interesse berufen. Die Mitgliedschaft der Akademie ist nicht nur für Theologen zugänglich und wurde erst im Jahre 1961 gegründet. Der Rat großer Gelehrter besteht nur aus Theologen und wurde 1961 durch die Akademie ersetzt dann wieder 2012 ins Leben gerufen. Mitglieder des Rates sind mit der Wahl des Großscheichs aus dem Mitgliederkreis so wie der Wahl des Großmuftis vertraut. Darüber hinaus unterstützen dem Großscheich beim Treffen seiner Entscheidungen die Mitglieder seines Beraterstabs. Zur Direktion gehört auch eine Abteilung für religiöse Gutachten (iftāʾ). Also ist die Al-Azhar nicht nur eine Bildungsstätte. Die Al-Azhar vertritt den Islam und die muslimische Gemeinde. Die Al-Azhar ist laut dem Gesetz beauftragt, den Islam zu schützen und pflegen. Die Al-Azhar ist eine religiöse Institution, die im Namen des Islam und der Muslime sprechen darf, und daher beansprucht sie sich das Recht, sich sozial und politisch beliebig in verschiedene Angelegenheiten einzumischen. Dieses Einmischen wird meistens vom Volk begrüßt. Aber nicht vom gesamten Volk und nicht bei jeder Gelegenheit. Denn keiner kann sich eine klerikale Autorität im sunnitischen Islam vorstellen. Jedoch überschreiten die Selbstinszenierung der Al-Azhar und ihr Streben nach Macht und Autorität jede Vorstellung. Denn Al-Azhar ist eine Legende und um sie entstanden viele Legenden. Die Legende! Die erste Legende besagt dass die Al-Azhar die goldene Mitte des Islam vertritt. In der Wirklichkeit vertritt Al-Azhar nur die orthodoxe Schule der Ašʿariten. Al-Azhar aber praktiziert eine integrative Politik gegenüber den meisten anderen islamischen Schulen der Theologie und der Normenlehre. Die Studenten der Al-Azhar studieren alle Richtungen des islamischen Denkens, natürlich traditionellen Denkens. Geleichzeitig kann man behaupten, dass alle in Al-Azhar der Schule der Ašʿariten folgen, ebenfalls eine Legende ist, denn viele Studierenden und Mitarbeiter der Al-Azhar gehören nicht der Schule der Ašʿariten an. Sie studieren und arbeiten in der Al-Azhar, weil sie ihrer Ansicht nach die einzige anerkannte theologische Hochschule des Landes ist. Dies ist sicher auch eine Legende, denn in Kairo Universität kann man islamische Theologie an der Daru-l-ulum Fakultät oder islamische Philosophie an der philosophischen Fakultät studieren. Die Normenlehre kann man auch in der juristischen Fakultät der Alexandria Universität studieren. Trotzdem werden nur Al-Azhar-Absolventen als Gelehrte anerkannt. Die Anerkennung von Gelehrsamkeit und religiöser Autorität passiert auf drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Volksebene. Hier entsteht sie durch Vertrauen und Engagement. Die einfache Bevölkerung vertraut der Al-Azhar und ihren Gelehrten und erwartet von ihnen, sich für die allgemeinen Interessen des Volks zu engagieren. Die Zweite Ebene ist die Machtebene. Hier ist die gegenseitige Anerkennung zwischen Institution und Herrscher erforderlich. Die Herrscher erkennen die religiöse Autorität der Institution an und fördern sie finanziell. Die Al-Azhar erkennt im Gegenzug die Autoritäten der Herrscher an und verleiht ihnen damit Legitimität. Die dritte Ebene ist die Ebene der Gelehrsamkeit selbst, was durch eine rein subjektive Selbstbehauptung und -Inszenierung geschieht. Dies war historisch erst mit der osmanischen Herrschaft möglich, als sie zur einzigen großen religiösen Bildungsstätte des Landes wurde. Die Al-Azhar muss dementsprechend den Ausgleich der Verhältnisse auf allen drei Ebenen gut halten und pflegen. Daher stimmen die Legenden, dass die Loyalität der Al-Azhar dem Herrscher oder dem Volke gehört, auch nicht ganz. Denn es geht nicht um Loyalitäten und Parteiergreifen. Es geht um die Al-Azhar selbst, ihre Existenz und ihre Anerkennung auf allen drei Ebenen als die islamische sunnitische religiöse Autorität. Daher können wir nicht wirklich von Al-Azhars Unabhängigkeit reden. Die Al-Azhar nimmt dies wahr und strebt für ihre tatsächliche Unabhängigkeit und unbedingte Anerkennung als die oberste religiöse Autorität des Landes und wenn möglich des Islam und der Muslime. So war es im Lauf der Geschichte seit der Gründung der Al-Azhar von den Fatimiden bis zum heutigen Tag. Die Geschichte! Die Geschichte der Al-Azhar ist sehr geprägt von der politischen Geschichte Ägyptens. Soziale Umbrüche und gesellschaftliche Entwicklungen lassen seltener ihre Spuren in Al-Azhar wirken. Die Volksaufstände von 1919 und 2011 und die Kriege von 1956 bis 1973 sowie der Kampf gegen die französische Besatzung und ihre Folgen von 1798 bis 1805 gehörten zu solchen Momenten, in denen die Al-Azhar sich durch die Bewegung der Basis und nicht den Befehl der Machtspitze änderte und ihre Seele erneuerte. Im Jahre 972 wurde die Al-Azhar als Moschee und zentrale Stätte der schiitischen Mission in der neugegründeten Hauptstadt der Fatimiden Kairo gegründet. In der Al-Azhar verrichteten die fatimidischen Kalifen und ihre Staatsapparate bei feierlichen und offiziellen Anlässen ihre Gebete. Sie hielten ihre Reden und Predigten dort sogar regelmäßig. Die Al-Azhar wurde daher von den Herrschern besonders gepflegt und gefördert und von der Bevölkerung gern gesucht und besucht. Mit der Machtübernahme 1171 durch Saladin und dem Beginn des Aiyubiden Sultanats verlor die Al-Azhar ihre Stiftungen und politische Bedeutung. Die neuen sunnitischen Herrscher hatten kein Interesse daran ein schiitisches Symbol zu fördern. Im Gegenteil, sie bekämpften die schiitischen Einflüsse der Fatimiden in Ägypten und darunter die Al-Azhar im Rahmen der Legitimierung ihrer Machtübernahme als legitime Vertreter des sunnitischen Kalifats in Bagdad. Fast 100 Jahre lang wurde die Al-Azhar vernachlässigt. Erst im Jahr 1267 fand die Al-Azhar ihre Wiederbelebung als eine große Moschee und Schule durch den mamlukischen Sultan Baibars im Kontext seiner Selbstinszenierung als legitimer guter sunnitischer Herrscher. Obwohl die Herrscher mehrere Moscheen und Schulen bauten und förderten, konnte die Al-Azhar sich zu einer der bedeuteten Schulen des Lands und der islamischen Welt entwickeln. Ibn Khaldun, Ibn Hagar, Suyuti und noch mehr große Gelehrte ihrer Zeit unterrichten in der Al-Azhar, welche sich nun zu einer Universität entwickelte, in der nicht nur religiöse Fächer unterrichtet wurde sondern auch Mathematik, Architektur, Medizin und Astronomie. Große Stiftungen sorgten für die Finanzierung der Schule und Förderung ihrer Studierenden. Zum Ende der Mamluken Ära war die Al-Azhar eine große religiöse Institution, die wenn sie wollte, eine unabhängige Stimme haben konnte. Die Gelehrten wurden zu Advokaten des Volks und die Al-Azhar selbst für die Armen zum Felsen an der Brandung. Hier genau hier wurde Al-Azhar zur Legende, und eine Legende zu sein, verpflichtet. Die Osmanen hatten 1517 um die eigene Macht und Autorität vor der ägyptischen Bevölkerung zu legitimieren, nur die eine Möglichkeit nämlich, die Al-Azhar und die Gelehrten zu fördern und ihre religiöse Autorität anzuerkennen. Hier etablierten sich die Regeln des Spieles: die Al-Azhar als Institution mit ihrer Führung an der Seite der Herrscher und die lehrenden Gelehrten mit ihren Schülern an der Seite des Volks. Entscheidet die Institution die Seite des Herrschers zu verlassen so signalisiert sie das Ablaufen der Legitimation des Herrschers und legitimiert seine Absetzung. Dies war der Fall bei mehreren osmanischen Staathaltern und dies war der Fall bei den letzten Aufständen in Ägypten, die mit der Absetzung vom Präsidenten Mubarak im Februar 2011 dann mit Präsidenten Mursi Juli 2013 endeten – oder vielleicht auch nicht?! Die Ereignisse der Geschichte prägten das soziale politische Profil der Al-Azhar und ihre Erfahrung. Die französische Besatzung 1798 bis 1803, die Einsetzung von Muhammad Ali 1805, die Revolution von Urabi und die britische Besatzung 1882, die Volksaufständen von 1919 und von 1936 bis zur tatsächlichen Unabhängigkeit Ägyptens und Abschaffung der Monarchie 1954 bestimmten die Rolle, welche Al-Azhar sozial und politisch haben kann. Die Rolle! Die Al-Azhar ist eine akademische Einrichtung, welche laut dem Al-Azhar-Reform-Gesetz 103 des Jahres 1961 einen staatlichen Auftrag erfüllen soll. Die Al-Azhar wird in jenem Gesetz als die oberste islamische wissenschaftliche Institution, die die Tradition des Islam und der arabischen Kultur bewahren, analysieren und lehren soll, benannt. Al-Azhar ist auch dafür verantwortlich, die Werte des Islam universal zu erläutern und zu verbreiten. Der Auftrag entspricht dem des selbstinszenierten Bilds der Al-Azhar und so wurde dieses Bild kanonisiert, Al-Azhar ist nun nicht irgendeine islamische Schule, sondern die Oberste. Sozial war die Al-Azhar seit der Mamlukenzeit dem einfachen Menschen nah. Da Al-Azhar durch staatliche Förderungen und religiöse Stiftungen fast immer finanziert war, machte sie sehr zeitig die Bildung für Menschen aus einfachen Verhältnissen zugänglich. Darüber hinaus erkannt die Al-Azhar durch ihre lange historische Erfahrung das Potenzial ihrer politischen Rolle als Legitimationsschlüssel, als unparteilicher Beobachter, Mediator und Schiedsrichter sowie als politischer Akteur. Sie erkannt sie und setzte sie in der Praxis ein …... auch beim letzten Umbruch. Al-Azhar und der letzte Umbruch! Als Demonstranten am 25. Januar auf die Straßen gingen, konnte keiner sich vorstellen, dass Ägypten vor einem Volksaufstand stand. Auch die Al-Azhar hatte die Aufrufe für Demonstration und Revolution nicht wahrgenommen. Auch als die Lage sich zugespitzt hatte und viele Opfer brachte und die Gewalt eskalierte hörte man von der Al-Azhar nichts. Kritik wurde laut, wie die Al-Azhar und der Großscheich sich zu all diesen Ereignissen positionierten Mehrere Gelehrte und sogar Mitarbeiter des Büros des Großscheichs fanden ihre Wege zu den Demonstranten. Die Kritik wurde lauter, fragend wo die Al-Azhar steht. Viele Bürger warteten auf ein Zeichen dafür, dass es legal sei, gegen den Herrscher zu rebellieren. Andere fühlten sich bestätigt in der Ansicht, dass die Al-Azhar und ihre Gelehrten Gelehrte des Staates und keine Gottesmänner seien. Am 3. oder 4. Februar schließlich gab es eine Presseerklärung im Namen des Großscheichs, in der er an die Beteiligten appellierte, das Rad der Gewalt zu stoppen und die Heiligkeit des menschlichen Blutes zu respektieren. Manche begrüßten die Presseerklärung, da die Al-Azhar die Rebellen und Demonstranten nicht verurteil hatte. Die Anderen kritisierten, dass die Al-Azhar Mubaraks Regime und Gewalt der Polizei nicht verurteil hatte. Für die Al-Azhar war nun die Lage klar, sie konnte sich nicht mehr hinter dem Gewand des unparteilichen Beobachters verstecken, insbesondere nach dem Sturz des Mubaraks Regime. Al-Azhar als Vermittler! Mit dem Rucktritt von Mubarak bemühte sich die Al-Azhar, zwischen den Parteien zu vermitteln. Insbesondere nach den Ereignissen von Masbiru und dem Tod mehrerer Kopten unter den Panzern der Armee. Nur die Al-Azhar war in der Lage mit den koptischen religiösen Führern zu verhandeln und zu versuchen, mit ihnen gemeinsam die nationalen Werte zu wecken und ein Forum für die jungen Demonstranten anzubieten. ES herrschte Angst vor der Spaltung der Bevölkerung, insbesondere als die islamistischen Kräfte auf die politische Bühne traten und nach der Einsetzung der Scharia riefen und eine mit dem Islam vereinbarte Verfassung forderten. Hier ergriffen die Al-Azhar und der Großscheich der Al-Azhar Ahmad at-Tayyib die Initiative und luden in seinem Namen Vertreter aller politischen und kulturellen Strömungen des Landes ein, um über die Zukunft Ägyptens und die Gestaltung des neuen Staates zu debattieren. Ein Arbeitskreis von prominenten Gelehrten, Politikern und Intellektuellen wurde gebildet. Sie versammelten sich im Büro des Großscheichs, um gemeinsame Werte zu vereinbaren. Dank der Al-Azhar und ihrer Rolle als Vermittler verabschiedete der Arbeitskreis mehrere Chartas und Erklärungen, die für alle Parteien bei der Festlegung der neuen Verfassung verbindlich sein sollten. Darunter sind: Die Charta der Zukunft Ägyptens Al-Azhars Stellungnahme zu den Aufständen der arabischen Völker Die Erklärung der Al-Azhar zu den Grundrechten der Freiheit Die Erklärung der Al-Azhar zu den Rechten der Frau Stellungnahme der Al-Azhar zur Fortsetzung der Ziele der Revolution Stellungnahme der Al-Azhar und der politischen Akteure zur Anwendung von Gewalt. Die 1. Charta huldigte Al-Azhar als oberste Referenz für die Erläuterung religiöser islamischer Fragen. Al-Azhar als Akteur! Bei der Verabschiedung der ersten Verfassung nach der Revolution 2012 war Al-Azhar in dem Verfassungskomitee vertreten. Die Vertreter der Al-Azhar kämpften für die Kanonisierung der Autorität der Al-Azhar als die oberste Instanz und zwar durch die Verfassung. Nun sollte Al-Azhar die Islamität neuer Gesetze und Abkommen prüfen. Al-Azhar wurde damit zu einem der Staatsorgane mit legislativen Kompetenzen und einem dauerhaften Akteur des politischen Lebens. Al-Azhar im Scheideweg! Der letzte politische Umbruch am Nil kam deutlich zu Gunsten der Al-Azhar. Das Al-Azhar-Gesetz wurde reformiert. Laut dem wurde der Rat der Großgelehrten wiederbelebt. Der Scheich der Al-Azhar und der Großmufti werden nun nicht mehr vom Präsidenten ernannt sondern vom Rat der Großgelehrten gewählt. Die Macht der Al-Azhar wurde erweitert und ihre Autorität als die oberste religiöse Instanz des Landes wurde kanonisiert. Alles deutet auf eine Wende hinter den Mauern der Wächter islamischer Tradition hin. Jedoch wo endet diese Wende? Wird die Al-Azhar bereit sein, sich neu zu strukturieren und ihren Diskurs zu modernisieren? Ich hoffe! Herzlichen Dank