Forschendes Lernen im Seminar
Monika Sonntag · Julia Rueß · Carola Ebert · Kathrin Friederici · Laura Schilow · Wolfgang Deicke
2. überarbeitete Auflage
Ein Leitfaden für Lehrende
Forschendes Lernen im Seminar
Ein Leitfaden für Lehrende
Forschendes Lernen im Seminar
Ein Leitfaden für Lehrende
Monika Sonntag
Julia Rueß
Carola Ebert
Kathrin Friederici
Laura Schilow
Wolfgang Deicke
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-86004-328-8
2. überarbeitete Auflage
© Sonntag, M. / Rueß, J. / Ebert, C. / Friederici, K. / Schilow, L. / Deicke, W. / 2017
Dank an
Christopher Gess, Anne Schmidt und Dhanya Koschorreck für hilfreiche inhaltliche
Anregungen und Korrekturarbeiten, die zum Gelingen dieser Publikation wesentlich
beigetragen haben haben, sowie an das Berliner Zentrum für Hochschullehre (BZHL)
für das Feedback zu einer ersten Version des Leitfadens im Rahmen des
Zertifikatprogramms.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.
Kein Teil dieses Werks darf ohne schriftliche Genehmigung der Autor_innen
in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Die der vorliegenden Publikation zugrundeliegenden Arbeiten zum Forschenden
Lernen im bologna.lab wie auch der Druck dieses Bandes wurden mit Mitteln
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem
Förderkennzeichen (FKZ: 01PL11030) gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt
dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
Illustrationen: Kathrin Friederici, bologna.lab, HU Berlin
Gestaltung, Satz: Matthias Rawald, bestbefore, Berlin
bolognalab.hu-berlin.de
[email protected]
Warum ein Leitfaden zu Forschendem Lernen? –
Einführende Überlegungen 9
A
A.1
A.2
Forschendes Lernen: Definition und Charakteristika
Definition 13
Charakteristika Forschenden Lernens im Überblick 13
B
B.1
B.1.1
B.1.2
B.1.3
B.2
B.2.1
B.2.2
B.2.3
B.3
B.3.1
B.3.2
B.3.3
B.4
B.4.1
B.4.2
B.4.3
Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
Vorbereitung 17
Rahmenbedingungen und Ziele 17
Zielgruppe und Seminarbeschreibung 19
Die Lehrendenrolle im Forschenden Lernen 21
Einstieg 23
Das Forschungsthema 23
Abschlussprodukt und gemeinsames Ziel 25
Strukturvorgabe und Freiraum 27
Forschungsphase 29
Entwicklung von Forschungsfrage und -design 29
Unterstützung und Austausch während der Forschungsphase
Kommunikation und Feedback im Forschungsprozess 34
Abschluss und Nachbereitung 35
Ergebnispräsentation 35
Prüfungsleistungen 36
Reflexion des Forschungs- und Lernprozesses 38
C
C.1
C.2
C.3
Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen Lehr-Lernformen
Ein Vergleich zu forschungsbezogenen Lehr-Lernformen 41
Ein Vergleich zu konstruktivistischen Lehr-Lernformen 44
Forschendes Lernen – eine Lehr-Lernform für Lehrende? 48
Literatur 49
Material- und Methodensammlung
I
II
III
Handreichungen für Lehrende 55
Checkliste, Semesterplan, Meine Rolle, Session Wrap-up,
Bewertungskriterien
Tipps und Anregungen 71
Teamspirit, Visualisierung, Feedback
Toolbox zur Seminargestaltung 79
Einstieg gestalten, Ideen und Fragen entwickeln/präzisieren,
Wissen teilen/vermitteln, Feedbackmethoden
A
5
32
GELEITWORT
Michael Kämper-van den Boogaart
Vizepräsident für Studium und Internationales
»Der Herr Professor hat dociert,
Das heißt: er hat dictiert,
Der Studio hat nachgeschmiert,
Das heißt: er hat’s capiert.
Ist das Collegium nun aus,
Trägt er die Weisheit flink nach Haus,
Und sieht das Heft nie wieder an,
Weil er’s ja selbst nicht lesen kann.«
das Wesen (seiner Vorstellung) von Wissenschaft
verkenne, sondern dass sich ein entsprechender
Studierhabitus stets nur auf die zweckgerichtete
(Prüfungen!) Einverleibung der Forschungsergebnisse richte. Im Schatten des Interesses
verharrten indes die Wege der Forschung, der
Modus, in dem neue Erkenntnisse gewonnen
werden. Damit bliebe aber Wissenschaft als Bildung wirkungslos, sofern Bildung darauf ziele,
Menschen in die Lage zu versetzen, neues Wissen
zu generieren. Mit einer unterbliebenen wissenschaftlichen Bildung ist der Absolvent der Brotstudien nicht nur für die Universität verloren,
sondern, so Schellings Pointe, entgegen seiner
eigenen Intentionen auch nicht dazu disponiert,
den kognitiven Herausforderungen seiner professionellen Praxis nachhaltig gerecht zu werden.
Diese Verse bilden die zweite Strophe eines Gedichts, dem sein Autor, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, den Titel »Brotstudium«
gab. Es erschien 1843 in Fallerslebens Sammlung
»Deutsche Lieder aus der Schweiz«.1 Die ironiesatten Verse legen frei, was der Diskurs über das
falsche Studieren schon früh transportierte: Der
Brotstudent verkenne den probaten Modus universitärer Wissensaneignung, indem er Kapieren
mit Kopieren verwechsele. Interessant ist, dass
diese Spottverse nicht primär auf den Gegensatz
zwischen hehrer Wissenschaft und zweckgerichteter Ausbildung zielen, sondern primär die
Fruchtlosigkeit ambitionsarmen Studierens an
den Pranger stellen.
Auch der Philosoph Schelling nimmt 1802 in
seinen bemerkenswerten »Vorlesungen über
die Methoden des akademischen Studiums« den
»Ekelnamen der Brotwissenschaften« 2 in den
Mund und macht deutlich, dass eine utilitaristische Einstellung zur Wissenschaft nicht allein
Er kann »sich (...) nichts konstruieren,
selbsttätig zusammensetzen, und da er im
Lernen doch nicht auf alle möglichen Fälle
vorbereitet werden konnte, so ist er in den
meisten von seinem Wissen verlassen.« 3
Bereits 1789 thematisierte Friedrich Schiller in
seiner berühmten Jenaer Antrittsvorlesung »Was
heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?« Ähnliches. Er spricht ebenso davon, dass der habituelle Brotstudent letztlich von
Kränkungserlebnissen und narzisstischen Ver-
A
6
letzungen gepeinigt werde. Und dabei handele
es sich nicht allein um ein individualpsychologisches Problem, sondern um etwas, das in der
Konsequenz einer auf Innovationen angewiesenen Gesellschaft teuer zu stehen komme.
scheidenden Orte wissenschaftlicher Bildung ins
Zentrum eines fortschreitenden Studierens zu
rücken? Wie können wir es schaffen, in der Lehre
einen forschungsaffinen Habitus zu fördern?
Was auf den nachfolgenden Seiten an Hinweisen
zu lesen ist, will beileibe nicht abdecken, was das
gesamte Spektrum universitärer Lehre ausmachen sollte. Nicht bestritten werden soll zum Beispiel, dass auch an der Universität eher instruktionalistische Formen der Wissensvermittlung,
so in der Tendenz die Vorlesung, geboten sind.
Erst recht nicht soll aber der Gedanke verabschiedet werden, dass die Interaktion zwischen
gestandenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einerseits und Novizinnen und Novizen andererseits einen wechselseitig produktiven
Dialog darstellen, wenn, so die Idee des Seminars
im 19. Jahrhundert, aktuelle Forschung erläutert
und gemeinsam befragt wird. So akzentuierte
unlängst Carlos Spoerhase, das Prozedere des
Seminars im Kontrast zu den neuen Massive
Open Online Courses (MOOC):
»Jede Erweiterung seiner Brotwissenschaft
beunruhigt ihn, weil sie ihm neue Arbeit zusendet oder die vergangene unnütz macht;
jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf,
denn sie zerbricht die alte Schulform, die er
sich so mühsam zu eigen machte, sie setzt
ihn in Gefahr, die ganze Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat über Reformatoren mehr geschrieen als der Haufe der
Brotgelehrten? Wer hält den Fortgang nützlicher Revolutionen im Reich des Wissens
mehr auf als eben diese? (...) kein unversöhnlicherer Feind, kein neidischerer Amtsgehilfe, kein bereitwilligerer Ketzermacher
als der Brotgelehrte.« 4
Wenn wir Sie heute mit einem Leitfaden zu Möglichkeiten Forschenden Lernens konfrontieren,
geschieht dies, wie ersichtlich, nicht, um einer
spektakulär neuen Mode Folge zu leisten. Vielmehr haben wir es in neuen Strukturen und unter Bedingungen gewachsener Bildungspartizipation mit alten Problemen zu tun: Wie kann es
uns gelingen, die Wege der Forschung als die ent-
»And above all, it was not a ›course‹ but
rather a group in which the student would
undertake intensive collaborative research
for a period of two or three years. A web of
reciprocal intellectual commitment and personal trust was spun within the seminar,
forming an academic culture that combined
A
7
close mutual checks and critique with an
emphasis on cultivating the independence
of the individual.« 5
jekten Rückschlüsse für die Kernlehre gewinnen
zu können. Wenn wir in diesem Zusammenhang
dafür werben, auch dort mit Formen Forschenden Lernens zu experimentieren, stehen wir
nicht allein da. An vielen Universitäten werden
zurzeit die Spielräume für ein Forschendes Lernen ausgelotet, und nicht zufällig kooperieren
wir daher in dem vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbund »ForschenLernen« mit der FH Potsdam
und der LMU München und dreizehn weiteren
Hochschulen.
Persönlich hoffe ich auf eine erfolgreiche Rezeptionsgeschichte des aus solcherlei Projekterfahrungen genährten Leitfadens und danke
dem Autorenkollektiv sehr – auch für die interessanten Diskussionen, die in die Druckfassung
eingegangen sind.
Die Idee, dass »through the formation of a community of inquiry« 6 die Entwicklung von Forschungskompetenzen erleichtert wird, entspricht
durchaus den folgenden Hinweisen auf die Potenziale und die Formen Forschenden Lernens.
Diese Hinweise verdanken sich nicht zuletzt
den Erfahrungen, die wir an der Humboldt-Universität bislang im Rahmen des Q-Programms
(Tutorien, Teams und Kollegs) machen konnten.
Entwickelt wurde das Q-Programm im Kontext
des Qualitätspakt-Projekts »Übergänge« und
in enger Referenz auf das Zukunftskonzept der
Humboldt-Universität für den Exzellenzwettbewerb »Bildung durch Wissenschaft«. In seinem Zentrum steht das Ansinnen, interessierten
Studierendengruppen die Bearbeitung selbst
entwickelter Forschungsfragen zu ermöglichen
und damit Verschulungstendenzen in der von
der Bologna-Reform gezeichneten Universität
entgegenzutreten. Avisiert wird mithin im Sinne
Humboldts der Übergang vom habituell schulischen zum habituell forschenden Lernen. Dass
das Reformexperiment des Q-Programms seitens
des bologna.lab der HU kontinuierlich wissenschaftlich begleitet oder evaluiert wird, folgt nicht
zuletzt der Hoffnung, aus den studentischen Pro-
1 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Deutsche Lieder aus der Schweiz.
Zürich/Winterthur 1843, 123f.
2 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Hrsg. v. O. Weiß. Band 2.
Vorlesung über die Methode des akademischen Studiums.
Dritte Vorlesung. Leipzig 1907, 569–578, 571.
3 Ebd. 572.
4 Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Hrsg, v. G. Fricke u. H.G. Göpfert. Vierter Band.
Historische Schriften. WBG. Darmstadt 1980, 749–767, 750f.
5 Carlos Spoerhase: Seminar versus MOOC. In: New Left Review 96/2015, 77–82, 81.
6 Ebd. 82.
A
8
WARUM EIN LEITFADEN ZU FORSCHENDEM
LERNEN? — EINFÜHRENDE ÜBERLEGUNGEN
Die Einheit von Forschung und Lehre gilt als Ziel
und Anspruch guter Hochschullehre (Healey &
Jenkins, 2008; Huber, 2009; Wissenschaftsrat,
2006). Im Zuge der Bologna-Reform hat in den
letzten Jahren daher auch das Interesse an einer
stärkeren Verbindung von Forschung und Lehre
in Deutschland wieder zugenommen: Allein in
bundesweiten Förderprogrammen, wie dem
»Qualitätspakt Lehre« oder der »Exzellenz in der
Lehre«, wurden seit 2011 zahlreiche Vorhaben
zur Entwicklung und Förderung forschungsnaher Lehr-Lernformate an Hochschulen angestoßen (BMBF, 2011). Entsprechend hoch sind
allerdings auch die politischen Erwartungen an
diese Lehr- und Lernformate: Mitunter entsteht
hier der Eindruck, forschungsnahe Lehr- und
Lernformate – und insbesondere das ›Forschende Lernen‹ als eine Art ›Königsklasse‹ dieser Formate – seien das Patentrezept zur Lösung aller
Probleme der gegenwärtigen Hochschullehre.
Da überhöhte Erwartungen schnell zu Enttäuschungen führen können, bedarf es hier einer
Klarstellung: Forschendes Lernen, so wie wir
es in diesem Band verstehen, ist kein Wundermittel gegen überfüllte Vorlesungen und Seminare, nicht der Königsweg zum Studienerfolg
und auch nicht das Patentrezept für Graduate
Employability oder die Behebung des Fachkräftemangels. Forschendes Lernen ist vielmehr eine
von vielen möglichen Formen, um Forschung
und Lehre (oder besser: Lernen) aktiv miteinander zu verbinden. Typische Beispiele wären hier
die aktive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen bestehender Forschung, die Erarbeitung
eines eigenen Wissenstands in einem gewählten oder vorgegebenen Themenfeld, die Aneignung und Erprobung von Methoden und so fort
(s. Abb. (Matrix). Im Gegensatz zu diesen vorbereitenden Formaten forschungsnaher Lehre geht
es beim Forschenden Lernen darum, dass die
Teilnehmer_innen möglichst(!) alle Phasen eines
Forschungsprozesses aktiv durchlaufen sollen.
Dadurch wird das Forschende Lernen für alle
Beteiligten zu einem intensiven und anspruchsvollen Lehr-Lernformat, das nicht beliebig eingesetzt werden sollte, richtig eingesetzt aber
unbedingt eine Bereicherung des Curriculums
darstellt.
Die nachweisbare Stärke des Forschendes Lernens liegt in der Ermöglichung erster eigenständiger Forschungserfahrung und der Entwicklung
einer forschenden Haltung bei Studierenden.
Bisherige Forschungsbefunde zeigen in diesem
Zusammenhang, dass Forschendes Lernen dazu
beitragen kann, das Forschungsinteresse Studierender zu erhöhen und sie darin zu stärken, sich
selbst Forschung zuzutrauen (Deicke, Gess &
Rueß, 2014). Vom typischen Studienverlauf her
gedacht, empfiehlt sich das Forschende Lernen
daher besonders zur aktiven Vorbereitung auf
Abschlussarbeiten im Master, aber auch schon
im Bachelorstudium. Was die praktische Umsetzung angeht, lässt sich eine vertiefte Arbeit
an eigenen Forschungsfragen und designs am
besten mit kleineren Studierendengruppen realisieren. In Großveranstaltungen und klassischen
Seminaren lassen sich aktive Forschungsbezüge
eher durch weniger aufwendige didaktische Methoden als durch Forschendes Lernen realisieren
(Rueß, Gess & Deicke, 2016). Umgekehrt gilt für
die Entwicklung der Curricula natürlich auch,
dass die Umsetzung von Forschendem Lernen
einfacher wird, je aktiver und expliziter die Forschungsbezüge in den vorbereitenden Veranstal-
A
9
tungen sind. Jede Form forschungsbezogener
Lehre ist insofern wichtig, verfolgt spezifische
Ziele und hat es mit verschiedenen Herausforderungen in der Umsetzung zu tun.
Im vorliegenden Leitfaden stellen wir das Forschende Lernen ins Zentrum. Unser Ziel ist es,
Lehrenden Anregungen zu geben, wie Forschendes Lernen praktisch umgesetzt werden kann. Neben zahlreichen theoretischprogrammatischen
Aufsätzen und Veröffentlichungen (z. B. Brew &
Jewell, 2012; Huber, 2004; Ludwig, 2011; Mieg &
Lehmann, 2017; Reiber, 2012) finden sich in der
wachsenden Literatur zum Forschenden Lernen
inzwischen zunehmend auch Projektbeschreibungen und Fallbeispiele, die konzeptuelle Tipps
zur Umsetzung von Forschendem Lernen bieten
können (z. B. Hochschuldidaktisches Zentrum
der Technischen Universität Dortmund, 2009;
Huber, Kröger & Schelhowe, 2013; Mieg & Lehmann, 2017; Reiber, 2007). Allerdings fehlt es
bislang noch immer an Veröffentlichungen, die
sich systematisch mit konkreten Fragen und
Problemstellungen der didaktischen Umsetzung
des Forschenden Lernens beschäftigen. Ein erster Schritt zur Schließung dieser Lücke soll
mit dem vorliegenden Leitfaden gemacht werden, der aus unserer Arbeit an der HumboldtUniversität zu Berlin und unseren Diskussionen
mit Kolleg_innen u.a. in der AG Forschendes
Lernen der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) entstanden ist. Das bologna.
lab setzt im Rahmen des Qualitätspakts Lehre
seit 2012 ein eigenes, fakultätsübergreifendes
Programm (›QProgramm‹) zum Forschenden
Lernen um, berät Lehrende und Institute zu
Forschendem Lernen und zur Ausgestaltung
forschungsbezogener Curricula und ist, gemein-
sam mit der FH Potsdam und der LMU München, Teil des BMBF-Verbundforschungsprojekts
›ForschenLernen‹ (FKZ 01PB14004/B).
Unsere Empfehlungen in diesem Leitfaden
basieren zum einen auf unseren Erfahrungen in
der Beratung von Lehrenden bei der Vorbereitung
und Durchführung von Forschendem Lernen, sowie zum anderen auf der Beforschung verschiedener Formate forschungsnaher Lehre und Forschenden Lernens an der Humboldt-Universität
zu Berlin und anderen Hochschulen. Er behandelt den gesamten Prozess der Konzeption und
didaktischpraktischen Umsetzung einer Lehrveranstaltung im Sinne des Forschenden Lernens:
von der Definition der Zielgruppe bis hin zur Präsentation der Ergebnisse und zur Reflexion des
Lern- und Forschungsprozesses. Der Leitfaden
orientiert sich hierbei an jenen Themen, offenen
Fragen und Herausforderungen, die in Fortbildungen immer wieder diskutiert und auch von
Lehrenden eingebracht werden. Er ist bewusst so
offen formuliert, dass er an den Lehrkontext verschiedener Fächer angepasst werden kann. Wir
hoffen, dass der Leitfaden unseren Leser_innen
den Einstieg in das Forschende Lernen erleichtert
und freuen uns jederzeit über Anregungen und
Feedback.
A
10
AUFBAU DES LEITFADENS
KAPITEL A
MATERIAL- UND METHODENSAMMLUNG
Der Leitfaden beginnt mit der theoretischen
Betrachtung und einer Definition Forschenden
Lernens.
Konkrete Arbeitsmaterialien und didaktische Methoden, die speziell für die praktische Umsetzung
Forschenden Lernens genutzt werden können,
sind gesondert in einer Material- und Methodensammlung angeführt und erläutert. Im Leitfaden
selbst finden sich an den relevanten Punkten die
entsprechenden Verweise auf geeignete Materialien bzw. Methoden. Inhaltlich gliedert sich die
Sammlung in drei Teile:
KAPITEL B
Der zweite Teil enthält konkrete Hinweise zur
Vorbereitung und Durchführung von Seminaren im Format Forschenden Lernens. Die Unterkapitel enden jeweils mit einer Checkliste mit
nützlichen Reflexionsfragen für die Vorbereitung
von Lehrveranstaltungen.
I HANDREICHUNGEN FÜR LEHRENDE
mit einem exemplarischen Semesterplan,
Arbeitsblättern für Lehrende zur Selbstreflexion,
möglichen Bewertungskriterien für Prüfungsleistungen im Forschenden Lernen.
KAPITEL C
Im dritten Teil wird Forschendes Lernen im weiteren Feld forschungsbezogener Lehre verortet;
zum einen, um die Besonderheiten dieser LehrLernform noch einmal im Vergleich herauszuarbeiten; zum anderen, um interessierten Lehrenden ergänzende Anregungen dazu zu geben,
wie Forschung und Lehre auch in anderen Formaten miteinander verbunden werden können.
II TIPPS UND ANREGUNGEN
zu allgemeinen Herausforderungen im Forschenden Lernen (Entwicklung von Teamspirit, Einsatz
von Visualisierung und Feedback).
III TOOLBOX ZUR SEMINARGESTALTUNG
Durch die Verbindung konzeptueller und didaktischer Empfehlungen soll der Leitfaden Lehrenden eine geeignete Hilfe beim direkten Einstieg
in die Planung und Umsetzung von Seminaren
im Format des Forschenden Lernens sein.
mit konkreten didaktischen Methoden, die im
Forschenden Lernen Anwendung finden können.
A
11
A FORSCHENDES LERNEN:
DEFINITION UND CHARAKTERISTIKA
A.1 Definition
A.2 Charakteristika Forschenden
Lernens im Überblick
In den letzten Jahren hat das Interesse an Forschendem Lernen stark zugenommen (Huber,
2013). Unklarheiten bestehen jedoch nach wie
vor, was genau unter Forschendem Lernen zu
verstehen ist. In der Literatur finden sich unterschiedliche Ansätze, sodass sich auch die Vorstellungen dazu unterscheiden, wie Forschendes
Lernen praktisch umzusetzen ist. Vor diesem
Hintergrund muss zunächst erläutert werden,
auf welchem Verständnis der vorliegende Leitfaden aufbaut. Die folgende Definition orientiert
sich an Huber (2009) sowie Rueß, Gess & Deicke
(2016).
Drei wesentliche Eigenschaften zeichnen Forschendes Lernen aus: Studierende durchlaufen
in einer Lehrveranstaltung einen vollständigen
Forschungsprozess, sie bearbeiten eigene Fragestellungen und sie generieren wissenschaftliche
Erkenntnisse.
Beim Forschenden Lernen vollziehen die Studierenden den gesamten Forschungsprozess.
Forschendes Lernen setzt voraus, dass die Studierenden alle Schritte im Forschungsprozess
selbst erleben oder nachvollziehen. Die Phasen
Forschenden Lernens korrespondieren somit
weitgehend mit den typischen Schritten eines
Forschungsprozesses (in Anlehnung an Huber,
2013):
»Forschendes Lernen ist eine Lehr-Lernform,
bei der die Studierenden eine selbst entwickelte Fragestellung verfolgen und dabei
den gesamten Forschungsprozess durchlaufen.«
in das Forschungsfeld einsteigen
mögliche Forschungsfragen identifizieren
Informationen und theoretische Zugänge
erarbeiten
Methoden auswählen und aneignen
Forschungsfrage präzisieren
Forschungsdesign entwickeln
Forschungsdesign umsetzen
Ergebnisse aufbereiten und präsentieren
Forschungsprozess reflektieren
Die vorgesehene Verzahnung von Lehre und
Forschung rückt Forschendes Lernen in das
weite Spektrum forschungsbezogener Lehre. Da
Studierende sich selbständig Wissen erarbeiten
und es damit konstruieren, zählt Forschendes
Lernen zur Gruppe der konstruktivistisch-orientierten Lehr-Lernformen. Diese Überschneidungen zu anderen Lehr-Lernformen können jedoch
Verständnisprobleme mit sich bringen.
Wie in realen Forschungsvorhaben sind die
Schritte natürlich nicht immer chronologisch
abzuarbeiten, sondern sie können sich – je nach
Vorhaben – durchaus überschneiden, vermischen
und zum Teil wiederholen.
Im Folgenden werden zunächst die Charakteristika Forschenden Lernens herausgearbeitet.
A
13
A _ Forschendes Lernen: Definition und Charakteristika
1. In das Forschungsfeld
einsteigen
9. Forschungsprozess
reflektieren
2. mögliche Forschungsfragen
identifizieren
8. Ergebnisse aufbereiten
und präsentieren
3. Informationen und theoretische
Zugänge erarbeiten
7. Forschungsdesign umsetzen
4. Methoden auswählen und aneignen
6. Forschungsdesign entwickeln
5. Forschungsfrage präzisieren
Abb.1: Idealtypische Anordnung der Phasen Forschenden Lernens nach Huber
Beim Forschenden Lernen beantworten die Studierenden eine Forschungsfrage, die sie auch
selbst (mit)entwickelt haben.
Ausgangspunkt Forschenden Lernens ist immer
eine Forschungsfrage. Sie wird von den Studierenden weitgehend eigenständig formuliert,
bearbeitet und beantwortet. Eine eigenständige
Arbeitsweise der Studierenden ist für Forschendes Lernen – wie auch für andere konstruktivistische Lehr-Lernformen – grundlegend. Schließlich sollen Forschungsergebnisse nicht nur verstanden, sondern selbst konstruiert werden.
eine eigene Forschungsfrage formulieren. Eine andere Variante besteht darin, dass die Lehrveranstaltung eine übergeordnete Forschungsfrage untersucht, die zum Beispiel aus der eigenen aktuellen
Forschungsarbeit der Lehrenden kommen kann.
Um diese übergeordnete Frage im Team zu beantworten, entwickeln und bearbeiten die Studierenden eigene Teilfragen.
Eigenständige Arbeit zu fordern, bedeutet jedoch
nicht, die Studierenden beim Forschen alleinzulassen. Es gilt, die Studierenden im Forschungsprozess zu unterstützen, zu begleiten und zu
beraten, insbesondere auch im Hinblick auf
Herausforderungen, Umwege, Verzögerungen
oder Unsicherheiten, die beim Forschen immer
auftreten können.
Da bei Forschendem Lernen der gesamte Forschungsprozess vollzogen werden soll, brauchen
die Studierenden den Freiraum, eigene Forschungsfragen zu wählen bzw. zu entwickeln. In
der Regel geben die Lehrenden das Forschungsfeld
ihrer Lehrveranstaltung vor. Innerhalb dieses
Forschungsfeldes können die Studierenden dann
A
14
mögliche Forschungsfragen
identifizieren
gesamten Prozess reflektieren
methodische
Vorkenntnisse nutzen
Ergebnisse aufbereiten
und präsentieren
Forschungsfrage präzisieren
Informationen und
theoretische
Zugänge erarbeiten
Forschungsdesign umsetzen
Forschungsdesign entwickeln
Abb. 2: Möglicher Ablauf der Phasen Forschenden Lernens im Seminar, Variante 2
Beim Forschenden Lernen sollen wissenschaftliche Erkenntnisse erzielt werden.
Auch studentische Forschung hat das Ziel,
wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren.
Damit geht einher, dass die Ergebnisse nicht nur
für die Studierenden, sondern – zumindest in
Teilen – auch für den Lehrenden neu sein können. Der Anspruch an studentische Forschungsvorhaben – gerade im grundständigen Bereich
– besteht dabei nicht zwingend darin, genuin
›neues‹ Wissen zu konstruieren und einen originellen Beitrag zu Wissenschaft im eigenen Fach
zu leisten. Ziel ist es vielmehr, die Ergebnisse
der eigenen Forschung so aufzubereiten und
zu präsentieren, dass diese auch für ein Fachpublikum interessant und nachvollziehbar werden. Bei Forschendem Lernen sollte daher ein
besonderer Fokus auf die Planung des (gemeinsamen) Abschlussprodukts bzw. eine mögliche
Veröffentlichung der Ergebnisse gelegt werden.
Didaktisch betrachtet, erhöht ein gemeinsames
Ziel außerdem die Motivation der Studierenden,
bis zum Ende engagiert dabeizubleiben (Sonntag
& Rueß, 2018).
Zusammenfassend ist für Forschendes Lernen kennzeichnend, dass die Studierenden
aktiv und selbständig einen gesamten Forschungsprozess vollziehen, eine eigene
Fragestellung bearbeiten und darauf hinarbeiten, ihre Ergebnisse auch zu veröffentlichen. Die Aufgabe der Lehrenden besteht
bei Forschendem Lernen darin, die Ideen der
Studierenden aufzugreifen, die Machbarkeit
der Forschungsfrage im Blick zu behalten
und die Studierenden im Forschungsprozess
zu beraten und zu unterstützen.
A
15
B FORSCHENDES LERNEN:
KONZEPTION UND UMSETZUNG
B.1
beschreibung angelegt sein, sie können aber
durch das Format Forschenden Lernens Teil der
Seminarkonzeption werden. Zum einen geht es
darum, Studierenden die Möglichkeit zu geben,
durch das Entwickeln und Bearbeiten eigener
Forschungsfragen spezifische Inhalte zu vertiefen. Es geht also beim Forschenden Lernen
darum, sowohl die inhaltlichen Lernziele zu definieren als auch festzulegen, wie die Forschungskompetenzen von Studierenden ausgebildet werden sollen.
Vorbereitung
Thematische und inhaltliche Aspekte bilden den
Kern der Vorbereitung einer jeden Lehrveranstaltung. Für Seminare im Format Forschenden Lernens gibt es bestimmte methodische und didaktische Aspekte, die bereits in der Vorbereitung eine
wichtige Rolle spielen. Die frühzeitige Definition
von Kompetenzzielen und studentischen Zielgruppen erleichtert die Planung und Konzeption;
eine klare Beschreibung des Seminars und die
Reflexion der Rolle als Lehrende_r im Forschenden Lernen setzen die Wegweiser für einen guten
Start in das Semester. Daher gehen die folgende
Abschnitte auf diese vier Aspekte besonders ein.
Die inhaltlichen Ziele einer Veranstaltung müssen notwendigerweise für jedes einzelne Vorhaben des Forschenden Lernens je nach Fachkultur und Studienprogramm ausdifferenziert
werden. Der Schwerpunkt liegt daher hier auf
der Frage, welche Forschungskompetenzen Studierende bei Forschendem Lernen gewinnen
können.
Grundsätzlich können die Rahmenbedingungen
von Seminaren im Format Forschenden Lernens
sehr unterschiedlich sein. In manchen Pflichtveranstaltungen mag es schwierig sein, das Format
mit bestimmten Vorgaben der Modulbeschreibung zu vereinbaren. In weniger eindeutig beschriebenen Modulen und freieren Formaten
können und müssen die Lehrenden viele Parameter selbst definieren.
Forschungskompetenz lässt sich anhand von drei
Facetten beschreiben (Gess, Rueß & Wessels,
2015):
1) … als das Wissen und die Fertigkeiten, die
zur eigenständigen Forschung befähigen. Dazu
zählt erstens grundlegendes forschungsmethodisches Wissen bzw. die Fähigkeit, wissenschaftliche Arbeitsweisen des Faches anwenden zu
können. Zweitens umfasst Forschungskompetenz auch forschungspraktisches Wissen, das zur
Planung eines Forschungsprojekts und zur
Steuerung des eigenen Vorgehens notwendig
ist (z. B. Entwicklung von Forschungsfragen,
Entwicklung und praktische Umsetzung von
Forschungsdesigns, Treffen von Entscheidungen
im gesamten Forschungsprozess). Drittens kann
B.1.1 Rahmenbedingungen und Ziele
Zusätzlich zu den stets vorhandenen fachlichinhaltlichen Zielen können mit dem Format des
Forschenden Lernens verschiedene Kompetenzziele verbunden sein (Gess, Deicke & Wessels,
2017). Diese mögen bereits in einer Modul-
B
17
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
ergänzend die Fähigkeit zur kritischen Rezeption
von Forschungsergebnissen und Publikationen als
Forschungskompetenz bezeichnet und als eigenständiges Kompetenzziel verankert werden.
Diese Kombination aus Wissen und Fertigkeiten wird als die kognitive Facette bezeichnet.
zen, bieten sich beispielsweise praxisrelevante
Forschungsfragen an, zu denen die Studierenden
bereits Vorannahmen haben. Diese Forschungsfragen können dann anhand vorliegender Forschungsergebnisse präzisiert und im Feld untersucht werden. Die Ergebnisse lassen sich im
Hinblick auf die Vorannahmen der Studierenden
reflektieren.
2) … als die mentalen Voraussetzungen, die Studierende benötigen, um Herausforderungen
während des Forschungsprozesses bewältigen zu
können. Zu diesen zählen etwa Frustrations- und
Unsicherheitstoleranz, das Zutrauen in die eigenen
Forschungsfähigkeiten, die Freude an Forschungstätigkeiten oder die Vermittlung einer forschenden
Haltung. Diese Voraussetzungen gelten als die
affektiv-motivationale Facette.
Wenn das Forschungsinteresse der Studierenden
geweckt und ihnen forschungspraktisches Wissen sowie wissenschaftliche Kommunikationsfähigkeiten vermittelt werden sollen, ist es wichtig, den Studierenden möglichst viel Freiraum
bei der Wahl und Bearbeitung ihres Forschungsthemas zu geben und die Forschung in einer
auch für Dritte interessanten Abschlussveranstaltung kulminieren zu lassen.
3) … als soziale Fähigkeiten in Forschungssituationen. Im Kern geht es hier um die Kommunikationsfähigkeiten der Studierenden, die auf
verschiedenen Ebenen benötigt werden: im Forschungsteam, mit der betreuenden Lehrperson,
in der fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit oder
auch mit Personen aus dem Forschungsfeld. Diese Fähigkeiten stellen die soziale Facette von Forschungskompetenz dar.
Liegt der Fokus eher darauf, die Frustrationsund Ungewissheitstoleranz im Forschungsprozess zu fördern, ist es sinnvoll, viel Zeit für
die Besprechung von Zwischenprodukten (z. B.
Forschungsdesign) und Zwischenergebnissen
(z. B. erste Beobachtungen) vorzusehen. Ambivalente oder unklare Entscheidungssituationen
der Studierenden sollten im Plenum diskutiert
und überraschende Erkenntnisse herausgestellt
werden. Vor allem Rückschläge sind wertvolle
Anhaltspunkte; sie machen den Studierenden
deutlich, dass diese zum Forschen dazugehören.
Darüber hinaus können Lehrende von Entscheidungsschwierigkeiten und Rückschlägen in ihrer
eigenen Forschung erzählen.
Die Auswahl dieser Ziele hat Auswirkungen auf
die Gestaltung Forschenden Lernens Es wird
nicht möglich sein, alle Ziele in einer einsemestrigen Veranstaltung zu erreichen. Es empfiehlt sich, Schwerpunkte zu setzen (vgl. Gess et
al., 2017):
Geht es in dem geplanten Seminar vor allem darum, die Studierenden zur kritischen Rezeption von
Forschungsergebnissen zu befähigen oder sie im
Aufbau einer forschenden Haltung zu unterstüt-
In dem knappen Zeitraum eines Semesters alle
forschungsrelevanten Kompetenzen gleichermaßen anzusteuern, ist nahezu unmöglich. Für
B
18
den Erfolg des Seminars kann es sinnvoll sein,
sich mit Kolleg_innen abzustimmen, welche
Kompetenzen die Teilnehmer_innen in vorangegangenen Veranstaltungen bereits erwerben
oder weiter schärfen konnten. Für Lehrende und
Studierende ist es entlastend, wenn die Ziele
des Seminars sich auf besonders relevante oder
förderungswürdige Kompetenzdimensionen beschränken.
B.1.2 Zielgruppe und
Seminarbeschreibung
Die Zielgruppe ist bereits bei der Konzeption
jedes Seminars ein wichtiger Aspekt. Modulbeschreibungen und Studienordnungen definieren in der Regel die Zielgruppe eines Seminars.
In Pflichtmodulen innerhalb eines strukturierten Studienverlaufsplans ist die studentische
Zielgruppe hinsichtlich Studiengang und -jahrgang meist klar vorgegeben. Hier können unter
Umständen durch Kooperationen mit von Kolleg_innen angebotenen Modulen Freiräume für
Forschendes Lernen generiert werden. In anderen Fällen obliegt es den Lehrenden, eine oder
mehrere Charakteristika ihrer Zielgruppe zu
definieren. Beispiele hierfür sind Interdisziplinarität, unterschiedliche Studienjahrgänge oder die
Gruppengröße, die sich alle auf Konzeption, Zielgruppe und Beschreibung auswirken.
WICHTIGE FRAGEN
Welche fachspezifischen Inhalte soll
das Seminar vermitteln?
Welche forschungsbezogenen Kompetenzen sollen erworben werden?
Angesichts der notwendig vertieften Zusammenarbeit beim Forschendem Lernen kann eine
große Heterogenität der Studierendengruppen
eine besondere Herausforderung darstellen.
Studierende aus verschiedenen Semestern bringen zumeist unterschiedliche theoretische und
methodische Vorkenntnisse mit. In interdisziplinären Gruppen unterscheiden sich zusätzlich
die fachlichen Hintergründe und Perspektiven.
Eine interdisziplinäre und heterogene Studierendengruppe setzt einen höheren Zeitaufwand für
Aushandlungsprozesse und eine umfassendere
forschungsmethodische Anleitung durch die
Lehrenden voraus, ermöglicht jedoch spannende
Diskussionen im Team und neue Erkenntnisse
für alle Beteiligten. Gerade bei interdisziplinären
B
19
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
Vorhaben sind die Definition und Reflexion studentischer Zielgruppen also wichtige Aspekte der
Vorbereitung.
Hinweis darauf, dass diese Kompetenzen sowohl
in wissenschaftlichen als auch außeruniversitären Berufsfeldern relevant sein können, kann
zusätzlich motivieren. Und natürlich bereiten
frühzeitige Forschungserfahrungen auch gut auf
anstehende Bachelor- oder Master-Arbeiten vor.
Besonders in Modulen mit größeren Freiräumen
ist es daher wichtig, dass Lehrende sich selbst
deutlich machen, für welche Studierenden die
Teilnahme am Projekt offen ist – und dies auch
im Ankündigungstext ausformulieren. Wie bereits ausgeführt, besteht das Ziel schließlich darin, das unterschiedliche Vorwissen und die verschiedenen methodischen und fachlichen Kompetenzen der Studierenden so einzubinden, dass
alle davon profitieren können.
In Abhängigkeit von der jeweiligen Studienordnung kann die Veranstaltung eher den Charakter
einer Forschungswerkstatt haben. Die Tatsache,
dass beim Forschenden Lernen ein eigenständigeres Arbeiten möglich wird, als dies in anderen
Lehrveranstaltungen üblich ist, trägt bei den meisten Studierenden zur Motivation für die aktive
Teilnahme bei (Sonntag & Rueß, 2018).
Neben der Zusammensetzung der Studierendengruppe ist die Gruppengröße ein weiterer
wichtiger Faktor, den es zu definieren oder zu berücksichtigen gilt. In der Regel ist ein gemeinsames Forschungsprojekt leichter durchzuführen,
wenn nicht zu viele Studierende beteiligt sind.
Sinnvolle Gruppengrößen hängen hier von der
Art der Bearbeitung ab (individuelle Forschungstätigkeit Einzelner versus Arbeit in Kleingruppen
von zwei bis fünf Studierenden). Als ideal haben
sich Gruppen von circa fünf bis fünfundzwanzig
Studierenden erwiesen; ab zehn bis zwölf Teilnehmer_innen ist die Arbeit in Kleingruppen mit
der gleichen Forschungsfrage sehr zu empfehlen.
Unabhängig davon, ob es im konkreten Fall darum geht, die Teilnehmer_innen eines Pflichtmoduls für eigenständige Forschung zu interessieren oder das Seminar attraktiv für Studierende
zu machen, die forschen wollen – es ist in jedem
Fall sinnvoll, die besonderen Anforderungen des
Seminars im Vorlesungsverzeichnis zu benennen. In jedem Fall sollte den Studierenden gleich
zu Veranstaltungsbeginn kommuniziert werden,
dass sie für dieses Seminar voraussichtlich mehr
Zeit und Energie investieren werden und/oder
terminlich während des Semesters flexibler sein
müssen als in vielen anderen Veranstaltungen.
Natürlich sollte der zeitliche Aufwand auch den
ECTS-Punkten entsprechen, die für das Seminar
vergeben werden sollen.
Besonders wichtig ist es, auf die Besonderheiten
des Forschenden Lernens hinzuweisen, da viele
Studierende mit dieser Veranstaltungsart nicht
vertraut sind. Ein zentraler Aspekt ist beispielsweise, dass die Studierenden eigenständig forschen werden – dass sie praktische Forschungserfahrungen sammeln und ihre Forschungskompetenzen (weiter)entwickeln können. Ein
Besonders wenn das Seminar kein Pflichtmodul
ist und nicht zum festen Angebot der Lehrveranstaltungen gehört, kann es notwendig sein, es
zusätzlich zu bewerben. Wenn der Erfolg der Veranstaltung beispielsweise von der Teilnahme ver-
B
20
schiedener Fächergruppen abhängt, ist es sinnvoll, die Veranstaltung unbedingt auch über die
üblichen Kanäle hinaus aktiv zu bewerben oder
bewerben lassen (z. B. in geeigneten Veranstaltungen von Kolleg_innen in den Zielfächern oder
über Aushänge an den Zielinstituten).
B.1.3 Die Lehrendenrolle im Forschendem
Lernen
Studierende bei der eigenen Forschung zu begleiten und im eigenständigen Arbeiten zu unterstützen, erfordert von Lehrenden auch eine
Reflexion der eigenen Rolle sowie der Bedeutung
implizit und explizit vorhandener Hierarchien.
WICHTIGE FRAGEN
Welches theoretische und/oder methodische Vorwissen sollten die Studierenden
mitbringen, um an meiner Veranstaltung
erfolgreich teilnehmen zu können?
Allein aufgrund ihres Wissens- und Erfahrungsvorsprungs befinden sich Lehrende in einer hierarchisch überlegenen Position gegenüber den
Studierenden bzw. werden von diesen als Autoritätsperson anerkannt. Allerdings besteht die
Aufgabe in einer Veranstaltung Forschenden Lernens in der Regel weniger darin, den Studierenden einen bestimmten Inhalt beizubringen, als
vielmehr ›Coach‹ der Studierenden zu sein. Das
heißt, den Forschungsprozess zu moderieren, zu
organisieren und die Studierenden zu beraten,
motivieren und begleiten. Dabei geben Lehrende
dem Arbeitsprozess der Gruppe einen organisatorischen Rahmen und stehen den Studierenden
mit konstruktivem Feedback zur Seite. Beim
Forschenden Lernen übernehmen Lehrende
insofern die Rolle von Forschunsgruppenleiter_
innen.
Ist das Seminar auch für fachfremde
Studierende geeignet?
Wenn ja, welche Fachrichtungen wären
wünschenswert?
Wie viele Studierende können/sollten an
der Veranstaltung teilnehmen?
Wie lassen sich die Unterschiede zu
herkömmlichen Veranstaltungen
beschreiben, damit die Studierenden mit
adäquaten Erwartungen an der Veranstaltung teilnehmen?
Wie kann ich dafür sorgen, dass der
Arbeitsaufwand für die Studierenden in
einem angemessenen Verhältnis zu den
ECTS-Punkten steht?
Die Rolle wird dabei an verschiedenen Stellen
im Projektverlauf unterschiedliche Formen annehmen. So kann die Rolle als Expert_in für
allgemein fachliche, theoretische und methodische Fachfragen sowohl zu Beginn des Prozesses als auch zum Ende des Projekts bei der
Redaktion des Abschlussprodukts verstärkt von
Bedeutung sein. In der Phase der selbständigen
Umsetzung des Forschungsdesigns wiederum
B
21
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
scheinlicher, dass Lehrende tatsächlich im Team
gemeinsam mit den Studierenden Ideen entwickeln und Entscheidungen treffen, zum Beispiel im Hinblick auf das Forschungsdesign oder
die Form des Endprodukts. In größeren Gruppen
ist es deutlich schwieriger, sich intensiv mit allen Teilnehmer_innen auseinanderzusetzen und
Entscheidungen gemeinsam auszuhandeln.
kann eher die Rolle als Berater_in und Begleiter_in, Kritiker_in oder Motivator_in ›auf Augenhöhe‹ gefragt sein. Auch der Aktivitätsgrad der
Lehrenden wird sich in den verschiedenen Phasen verändern – von aktiven Phasen bis zu Phasen, in denen sie eher beratend im Hintergrund
als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Beim Forschenden Lernen treten Lehrende also
nicht als wissensvermittelnde Dozent_innen auf,
sondern unterstützen ihre Studierenden in der
Rolle von Forschungsgruppenleiter_innen. Dieser Rollenwechsel kann für Lehrende wie auch
für Studierende ungewohnt sein. Die wiederholte Reflexion der eigenen Rolle und eine klare¿
Kommunikation über die Besonderheiten der
Zusammenarbeit sind daher wichtig für eine erfolgreiche Umsetzung Forschenden Lernens im
Seminar. Wichtig ist: Je nachdem wie Lehrende
ihre Rolle beim Forschenden Lernen definieren
und leben, wird sich dies auf den Charakter des
Seminars auswirken. Wenn sich Lehrende als
Forschungsgruppenleiter_innen verstehen und
danach handeln, wenn sie sich selbst als Forscher_innen oder Mitforschende einbringen,
wird dies den forschenden Charakter des Seminars unterstreichen und eine Zusammenarbeit
auf Augenhöhe anstoßen können.
Grundsätzlich ist es notwendig, dass Lehrende
flexibel bleiben, um auf die Zusammensetzung
der Gruppe und Unvorhergesehenes im Projektverlauf eingehen zu können. Beispielsweise kann
es notwendig werden, das wissenschaftliche Niveau an die Forschungsmöglichkeiten der Studierenden anzupassen und für einzelne – stärkere
und schwächere – Studierende individuelle Lösungen zu finden. Ebenso viel Flexibilität wird
im Forschungsprozess letztlich auch den Studierenden abverlangt.
WICHTIGE FRAGEN
Wie lässt sich den Studierenden meine
Rolle als ›Forschungsgruppenleiter_in‹ verdeutlichen?
Was sind meine Erwartungen an die
Studierenden?
Konkrete Anregungen zur Rolle der Lehrenden finden
Sie unter »Handreichungen für Lehrende«.
Die Abschnitte I.3 und I.4 sind als Kopiervorlagen
zur Selbstreflexion gestaltet.
Was können die Studierenden im
Gegenzug von mir erwarten?
Die Lehrendenrolle ist nicht zuletzt natürlich
auch abhängig von der Gruppengröße. In kleineren Seminargruppen ist es einfacher und wahr-
B
22
B.2
aktivität von Anfang an eignet sich folgende Vorgehensweise:
Einstieg
B.2.1 Das Forschungsthema
Der/die Lehrende skizziert das Forschungsfeld.
In den ersten Sitzungen des Semesters geht es
zunächst darum, mit der Gruppe einen motivierenden Einstieg in das Forschungsprojekt zu finden. Wie kann dies gelingen?
Lehrende können dann die Studierenden gezielt danach fragen, was ihre Ausgangsmotivation war, sich mit diesem Thema zu beschäftigen
und welche eigenen Erkenntnisinteressen oder
Fragen zum Thema sie mitbringen. Interessant
für die Studierenden ist es, wenn Lehrende dabei
auch ihre Perspektive beschreiben und den Studierenden erläutern, warum sie genau zu diesem
Thema forschen. Auf diese Weise lernen alle miteinander Forschenden – also Lernende und Lehrende – die Interessen und Motivationen der anderen kennen. Sinnvoll ist es, Motive und Ideen
schriftlich festzuhalten. Im weiteren Verlauf des
Seminars kann die Gruppe immer wieder daran
anknüpfen.
Wie bereits oben ausgeführt, kommen Studierende aus verschiedenen Gründen in das Seminar:
weil die Veranstaltung für sie verpflichtend ist,
aus Interesse am Thema bzw. dem forschungsorientierten Ansatz oder aus verschiedenen
Gründen zugleich. Trotzdem lohnt es sich, wenn
sich Lehrende Gedanken dazu machen, wie sie
das Interesse der Studierenden wecken und über
den Verlauf des Semesters aufrechterhalten können.
Ziel Forschenden Lernens ist es, dass die Studierenden möglichst häufig eine engagierte, forschend-lernende Rolle einnehmen. Diese Rolle
ist spätestens in der Forschungsphase erforderlich. Die aktive Rolle fällt Studierenden in der Regel leichter, wenn Lehrende von Beginn an eine
aktive Beteiligung der Studierenden stimulieren.
Der Vorteil besteht darin, dass es keinen deutlichen Bruch gibt zwischen einer ›klassischen‹
Einführungsphase – mit einem hohen Aktivitätsgrad der Lehrenden, die einen festen Seminarablauf präsentieren sowie Inputs zum Themengebiet referieren – und der Phase der Umsetzung
des Forschungsdesigns, in der die Studierenden
dann aus einer eher passiven, konsumierenden
Rolle in eine aktive, selbständige Rolle finden
müssten. Für die Stimulation der Studierenden-
Lehrende können in diesem Zusammenhang
auch mit den Studierenden über die Faszination des Themas diskutieren – ausgehend davon,
wie sie selbst zum Thema gefunden haben, was
sie daran gefesselt hat, welche Fragen ihnen
unter den Nägeln brennen. Im Idealfall bieten
Lehrende die Lehrveranstaltung zu einem Themengebiet an, das ihnen selbst am Herzen liegt
oder das ein besonderes Forschungsinteresse bei
ihnen geweckt hat. Ihre eigene Begeisterung für
das Thema wird in diesem Fall leichter auf die
Studierenden überspringen.
Es ist hilfreich, wenn Lehrende früh hervorheben, dass auch sie die Antwort auf die
Forschungsfrage nicht kennen und die Antwort
B
23
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
kennenlernen können. Es ist interessant und motivierend, miteinander nicht nur Teilnahmemotive und Erwartungen zu klären, sondern auch,
welches Hintergrundwissen, Erfahrungen und
Kompetenzen Lehrende und Studierende in das
gemeinsame Forschungsprojekt einbringen.
gemeinsam mit den Studierenden ergründen
wollen. Bereits dadurch kann die Besonderheit
des Lernarrangements transportiert werden. Die
meisten Studierenden werden vermutlich überrascht und bisweilen auch irritiert sein. Denn
nicht selten haben sie die Erwartungshaltung,
dass es die Aufgabe der Lehrenden ist, ihnen Fragen zu beantworten und Lösungen zu präsentieren.
Allgemeine Tipps zur Entwicklung des Teamspirits finden
Sie im Anhang unter »Tipps und Anregungen«
p Abschnitt II.1
In diesem Zusammenhang lässt sich auch
explizit darauf eingehen, dass es nicht das Forschungsthema der Lehrenden ist, sondern das
aller. Die Beiträge aller Beteiligten sind relevant
und die Verantwortung für den Forschungsprozess liegt bei allen gleichermaßen. In der Regel
erleben es Studierende als positiv, wenn ihnen
der Raum gegeben wird, ein Seminar (mit)zugestalten.
Auch wenn der Einstieg gelingt, kann es passieren, dass einige Studierende sich gegen eine
Teilnahme an dem Seminar entscheiden. Wie bei
vielen anderen Lehrveranstaltungen ist vor allem
in den ersten beiden Seminarsitzungen mit einer
Fluktuation der Teilnehmer_innen zu rechnen.
Nicht selten dauert es bis zur zweiten oder dritten
Semesterwoche, bis sich eine feste Studierendengruppe herausgebildet hat.
Konkrete Anregungen dazu, wie Sie den Einstieg und
das gegenseitige Kennenlernen didaktisch unterstützten
können, finden Sie in der Toolbox p Abschnitt III.1
WICHTIGE FRAGEN
Wie kann ich die Studierenden für
das gemeinsame Forschungsprojekt
interessieren und begeistern?
Wie kann ich an das Vorwissen und die
Interessen der Studierenden anknüpfen?
Wie kann ich bereits zu Beginn ein
Teamgefühl aufbauen?
Angesichts des möglichen Ein- und Ausstiegs
einzelner Studierender sollten Lehrende von Beginn an versuchen, ein Teamgefühl zu schaffen.
In der Eingangsphase geht es hier im Besonderen darum, eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen. Grundstein dafür ist, dass alle wissen,
mit wem sie es im Seminar zu tun haben werden.
Am Anfang des Semesters ist es gut, genügend
Zeit dafür einzuplanen, dass sich alle gegenseitig
B
24
eine gemeinsame Publikation in Form eines
Sammelbands / E-Books mit allen studentischen
Beiträgen
eine Broschüre für die außeruniversitäre
Öffentlichkeit
eine Posterpräsentation im Institut
eine öffentliche Diskussionsrunde mit
eingeladenen Expert_innen am Institut oder
auch außerhalb der Universität
ein (studentisches) Symposium
ein Film, in dem die Ergebnisse illustriert
werden
ein Vortrag auf einer (studentischen)
Konferenz
ein gemeinsam verfasster Artikel für eine
wissenschaftliche Zeitschrift oder Publikation
B.2.2 Abschlussprojekt und
gemeinsames Ziel
Die Erfahrung mit Lehrveranstaltungen zu Forschendem Lernen zeigt, dass ein gemeinsames
Abschlussprodukt die Motivation der Studierenden fördern kann:
In der Regel forschen Studierende in ihrem Studium individuell (z. B. Hausarbeit oder Bachelor-/ Masterarbeit). Möglichkeiten für kollektives
Forschen sind demgegenüber eher selten, werden von den Studierenden jedoch häufig sehr
positiv erlebt – insbesondere dann, wenn ein
gemeinsames Abschlussprodukt erarbeitet wird
(Sonntag & Rueß, 2018). Das Abschlussprodukt
markiert das gemeinsame Ziel, auf das Lehrende
und Studierende hinarbeiten können.
Besonders motivierend sind dabei Abschlussprodukte, die für eine breitere (Fach-)Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Studierenden erkennen,
dass sie nicht nur ›für die Schublade‹ arbeiten,
sondern auch für Dritte interessante Erkenntnisse erzielen. Das spornt an und erhöht die subjektive Bedeutsamkeit der gemeinsamen Forschung.
Im Idealfall nähert sich das Seminar dem Abschlussprodukt schrittweise. Lehrende setzen
– ggf. zusammen mit den Studierenden – kleine Teilziele, die das Abschlussprodukt im Laufe
des Seminars sukzessive entstehen lassen. Das
hat vielerlei Vorteile: Teilziele strukturieren den
gesamten Forschungsprozess und zwingen zu
regelmäßiger Dokumentation und Reflexion des
aktuellen Standes, sowohl auf inhaltlicher als
auch auf organisatorischer Ebene. Zudem erleben die Studierenden das stetige Erreichen von
Teilzielen als motivierend.
Nicht jedes Abschlussprodukt ist für jedes Seminar gleichermaßen geeignet. Es ist sinnvoll,
wenn Lehrende sich idealerweise von Beginn an
Gedanken machen, welches Produkt sie gemeinsam mit den Studierenden erstellen wollen und
können. Wenn möglich, sollten die Studierenden
in diese Entscheidung miteinbezogen werden,
sodass das Abschlussprodukt in einem gemeinsamen Aushandlungsprozess festgelegt wird.
Denkbare Formen sind zum Beispiel:
Damit das Arbeitsprodukt nicht am Ende des
Semesters mehr oder weniger ad hoc und unter
Zeitdruck erarbeitet werden muss, ist es hilfreich,
wenn Lehrende sicherstellen, dass Teilergebnisse
und -prozesse kontinuierlich dokumentiert werden:
B
25
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
die Bewertung einfließen zu lassen, empfiehlt
es sich, frühzeitig mit den Prüfungsverantwortlichen / -ämtern Rücksprache zur Anrechenbarkeit von Portfolios etc. zu halten.
Zu Beginn des Semesters lässt sich statt eines
klassischen Seminarplans z. B. ein Projektplan
oder eine Themenlandkarte nutzen, um mit
den Studierenden festzulegen, welche Felder
wann und wie bearbeitet werden sollen. Im
weiteren Verlauf des Seminars können die Seminarteilnehmer_innen immer wieder darauf
zurückkommen und gemeinsam prüfen, welche
Arbeitsschritte noch zu erledigen sind oder welche Texte, Theorien oder Methoden noch zwingend bearbeitet werden müssen, um (ggf. auch
neu entstandene) Lücken zu schließen. Auf diese
Weise lässt sich sicherstellen, dass alle stets wissen, warum sie was mit wem und bis wann tun.
Nicht zuletzt können Projektpläne bzw. Themenlandkarten auch zur Motivation genutzt werden:
Lehrende können den Studierenden im Laufe
des Semesters immer wieder zeigen, wie weit sie
schon gekommen sind. So werden Erfolge und
Fortschritte sichtbar.
Anregungen zur Dokumentation und Visualisierung von
Inhalten finden Sie im Anhang unter »Tipps und
Anregungen« p Abschnitt II.2
Konkrete Hinweise dazu, wie Sie – statt eines
klassischen Seminarplans – mit einer Themenlandkarte
arbeiten können, finden Sie in der Toolbox
p Abschnitt III.2
WICHTIGE FRAGEN
Was sind mögliche gemeinsame
Abschlussprodukte der Veranstaltung?
Es hilft, wenn während des Semesters zentrale
Teilergebnisse und -prozesse regelmäßig dokumentiert werden. Denkbar sind hier Beiträge der
Studierenden zum theoretischen Hintergrund,
zur Methodenherleitung, zur Beschreibung der
Untersuchung oder zu den ersten Ergebnissen.
Konkret können Lehrende hier beispielsweise
mit Portfolios arbeiten, also einen geteilten (physischen oder digitalen) Ordner anlegen, in dem
die Beiträge gesammelt werden. Wer gerne mit
Social Media arbeitet, kann für das Portfolio beispielsweise auch einen Webblog nutzen, in den
die Studierenden ihre Einträge einstellen können. Alternativ könnten Protokolle von Diskussionen im Seminar so aufbereitet werden, dass
sie relevante Teilergebnisse und -prozesse widerspiegeln. Wenn geplant ist, diese Ergebnisse in
Wie lege ich das Abschlussprodukt
gemeinsam mit den Studierenden fest?
Welche kleinen Teilziele sollten
die Studierenden erreichen, sodass
das Abschlussprodukt sukzessive
entstehen kann?
In welchem Kontext könnten die
Ergebnisse des Forschungsprojekts einer
(Fach-)Öffentlichkeit präsentiert werden?
Wie sieht die Zielgruppe aus?
B
26
Deutlich stärker gefordert sind die Studierenden dann, wenn es darum geht, eigene Teilfragen
zu entwickeln, die helfen sollen, die übergeordnete Fragestellung des Seminars zu beantworten.
Die Studierenden sollten hier die Möglichkeit
haben, eigene Ideen einzubringen. Eine wichtige Aufgabe der Lehrenden besteht darin, die verschiedenen Erkenntnisinteressen so zusammenzuführen, dass der gemeinsame rote Faden nicht
verloren geht.
B.2.3 Strukturvorgabe und Freiraum
Forschendes Lernen soll Studierenden den Freiraum geben, selbständig zu forschen. Dabei
brauchen sie aber in aller Regel dennoch Unterstützung. Lehrende stehen somit häufig vor der
Frage, welche Vorgaben die Studierenden brauchen und wo sie (mit)gestalten können. Wie kann
dieser Spagat zwischen Strukturvorgabe und
Freiraum bewältigt werden?
An die Erarbeitung von Teilfragen schließt
sich die Untersuchungsplanung an. Auch hier
ist die Mitarbeit der Studierenden erforderlich.
Konkret könnte dies umgesetzt werden, indem
die Studierenden zunächst selbst Forschungsdesigns entwickeln, die dann wiederum in der
Seminargruppe vorgestellt und diskutiert werden. Wichtig: Falls die Studierenden nur wenig
Erfahrung damit haben, wie Forschungsvorhaben geplant werden können, müssen Lehrende
hier stärker unterstützen. Umso wichtiger ist es,
dass die Studierenden sich gegenseitig Feedback
geben, indem die Lehrenden sich selbst eher zurückhalten. Geben Lehrende zu schnell oder zu
detailliert Rückmeldungen, verlassen sich die
Studierenden oftmals zu sehr auf sie und hören
auf, sich aktiv zu beteiligen.
Im Idealfall führen Lehrende die Studierenden
langsam an die Freiräume heran:
In den ersten Sitzungen werden die Studierenden vermutlich stärker angeleitet werden müssen
als in späteren Phasen der Forschung. Um das
gemeinsame Forschen zu erleichtern, sollten alle
Studierenden zunächst auf einen gemeinsamen
Kenntnisstand im Hinblick auf fachliche Inhalte und methodische Vorgehensweisen gebracht
werden. Das bedeutet aber nicht, dass zwingend
die Lehrenden die zentralen Inhalte referieren
müssen. Es ist hilfreich, die Studierenden von
Beginn an einzubeziehen, zum Beispiel indem
die Studierenden bestimmte Aspekte selbst erarbeiten und sich gegenseitig vorstellen. Das
kann im Seminar selbst über Gruppenarbeiten
oder auch in Vorbereitung zu Hause realisiert
werden. Die Lehrenden sollten jedoch vorab festlegen und kommunizieren, wie das selbständig
erarbeitete Wissen im Seminar geteilt und vermittelt werden kann. Sinnvoll ist es, beispielsweise eine Gliederung oder Leitfragen vorzugeben,
anhand derer inhaltliche oder auch methodische
Aspekte präsentiert werden können.
Die Umsetzung des Forschungsdesigns findet
zumeist selbstgesteuert und in Kleingruppenarbeit statt. Die erarbeiteten Forschungsdesigns
werden von den Studierenden weitgehend eigenständig bearbeitet. Dabei sind jedoch begleitende,
regelmäßige Präsenztermine einzuplanen, um
eine kontinuierliche Unterstützung der Arbeitsgruppen zu gewährleisten und die Teilergebnisse
und -prozesse zusammenzuführen.
B
27
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
unterstreicht noch einmal, dass das Forschungsprojekt von allen gemeinsam verantwortet wird,
und schafft gleichzeitig Verbindlichkeit in der
Gruppe.
Diese Termine können von den Lehrenden moderiert oder auch alternierend durch die Gruppen
verantwortet werden.
Wie stark sich Lehrende in der Endphase der
Forschung einbringen möchten, hängt vor allem
von der Art des Abschlussproduktes ab: Ein gemeinsamer wissenschaftlicher Artikel wird vermutlich mehr Vorstrukturierung erfordern als
eine Broschüre, die für eine externe Öffentlichkeit erarbeitet wird. Es hilft, bereits während der
Definition des Abschlussproduktes zu bedenken,
welche Unterstützung die Studierenden voraussichtlich benötigen werden.
WICHTIGE FRAGEN
Welches grundlegende Wissen brauchen
die Studierenden, damit wir gemeinsam forschen können, und wie soll dieses Wissen
vermittelt werden?
Welche inhaltlichen bzw. methodischen
Vorgaben sind als verbindlich gesetzt und
über welche wird im Team noch
gemeinsam entschieden?
Wie Sie die verschiedenen Forschungsphasen im
Semester anordnen können, zeigt Ihnen ein
Beispiel-Semesterplan, den Sie in den angehängten
»Handreichungen für Lehrende« finden p Abschnitt I.2
Welche konkreten Aufgaben im Forschungsprozess bzw. in der Veranstaltung übernehme ich? Welche Aufgaben übernehmen
die Studierenden?
Konkrete Anregungen dazu, wie die Studierenden eigenständig erarbeitetes Wissen teilen und sich gegenseitig
vermitteln können, finden Sie in der Toolbox
p Abschnitt III.3
Bis wann sollen welche Aufgaben erledigt
bzw. welche Teilziele erreicht sein?
In ihrer Rolle als Leiter_innen des gemeinsamen
Forschungsprojektes müssen Lehrende ab und
an den Anstoß geben, dass anstehende Aufgaben
fristgerecht erledigt werden, um Teilziele wie geplant erreichen zu können. Entscheidend dabei
ist erstens, dass die Aufgaben frühzeitig verteilt
werden, sodass alle Studierenden und die Lehrenden wissen, wer für was bis wann zuständig
ist. Zweitens muss geklärt werden, wann welche
Teilziele erreicht werden sollen. Die entsprechenden Fristen sollten idealerweise zusammen
mit den Studierenden festgelegt werden. Dies
B
28
B.3
frage, die gemeinsam im Seminar beantwortet
werden soll. Die Einführung kann – je nach
Thema/übergeordneter Forschungsfrage – ganz
unterschiedliche Wissensbereiche umfassen:
Begriffsklärungen, aktuelle Forschungsbefunde,
konfligierende Theorien, ungeprüfte Hypothesen
oder umstrittene Erkenntnisse aber auch offene
Fragen und Forschungsdesiderate. Unabhängig
von den konkreten Inhalten werden für die thematische Einführung in der Regel die ersten zwei
bis drei Sitzungen des Seminars benötigt. Hier
kann die/der Lehrende inhaltlichen Input geben,
es ist aber ebenso möglich, die Studierenden bereits in dieser Phase gezielt einzubinden – beispielsweise, indem Grundlagentexte auf Kleingruppen aufgeteilt, von den Studierenden vorbereitet, zusammengefasst und referiert werden.
Hierbei können Regeln der Zusammenarbeit
bereits frühzeitig erprobt und – gerade auch in
heterogenen und multidisziplinären Studierendengruppen – bestehende Wissens- und Erfahrungsunterschiede produktiv genutzt werden.
Idealerweise findet die Vorbereitung der Literatur
außerhalb der Sitzungen statt. Wenn die Vorbereitung im Seminar stattfinden muss, sollten die
Texte so gewählt bzw. aufgeteilt werden, dass sie
auch innerhalb einer Sitzung bearbeitet und diskutiert werden können.
Forschungsphase
B.3.1 Entwicklung von Forschungsfrage
und -design
Beim Forschenden Lernen wird in der Regel ein
Gegenstand – das Thema des Seminars – gemeinsam erforscht. Idealerweise handelt es sich
also um ein gemeinschaftliches Forschungsvorhaben mit Raum für individuelle Ausprägungen.
Die Entwicklung eigener Forschungsfragen und
die Wahl passender Forschungsmethoden stellen
zentrale Momente im Prozess des gemeinsamen
Forschens dar. Nicht selten haben Studierende
aber gerade bei diesen Aufgaben Schwierigkeiten. Häufig nehmen sie sich aufgrund mangelnder Erfahrung zu viel vor. Sie wählen Forschungsfragen, die zu breit angelegt sind und mit den
verfügbaren Ressourcen nicht beantwortet werden können.
Hier stellt sich also die Herausforderung, die
Studierenden so zu unterstützen, dass sie interessante und zugleich bearbeitbare Forschungsfragen und -designs entwickeln können. In der
Regel können Fragen und Designs nicht ad hoc
entwickelt werden, sodass sich eine schrittweise
Annäherung empfiehlt:
Schritt 2: Ideen für Teilfragen brainstormen
Schritt 1: Thematische Einführung zum
übergeordneten Thema
Einige Studierende werden das Seminar aus einem inhaltlichen Interesse heraus besuchen.
Andere Studierende müssen dieses Interesse
vielleicht erst noch entwickeln, insbesondere
dann, wenn es sich um eine Pflichtveranstaltung handelt. Um auch jene Studierende ohne
ausgeprägtes Eigeninteresse zum Nachdenken
über das jeweilige Thema anzuregen, empfiehlt
Damit die Studierenden eigene Forschungsfragen finden können, benötigen sie zunächst
theoretisch-inhaltliches Wissen zum Themengebiet, in dem geforscht werden soll. Zunächst
muss dabei natürlich das Themengebiet vorgestellt werden bzw. die übergeordnete Forschungs-
B
29
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
es sich, die Interessen der Gruppe am Thema
explizit anzusprechen, die Studierenden etwa danach zu fragen, warum sie am Seminar teilnehmen, was genau sie am Thema interessiert oder
welche Fragen ihnen in den Sinn kommen, die
sie gerne bearbeiten würden. Natürlich braucht
auch die Entwicklung solcher erster Ideen Zeit.
Die Studierenden sollten daher zunächst den
Raum haben, um sich individuell mit ihren thematisch-inhaltlichen Interessen auseinanderzusetzen. Dafür können auch Methoden des Brainstormings eingesetzt werden, beispielsweise das
»Brain Walking« (vgl. Toolbox im Anhang).
einzeln oder in Kleingruppen bearbeitet werden.
Bei besonders wenigen Teilnehmer_innen kann
auch das gesamte Team gemeinsam die übergeordnete Fragestellung bearbeiten.
Schritt 4: Teilfragen präzisieren
Sind die gemeinsamen Ideen und Interessen formuliert, gilt es, diese in einem nächsten Schritt,
in bearbeitbare Forschungsfragen zu übersetzen.
Eine spielerische Möglichkeit, die Studierenden
bei der Präzisierung ihrer Interessen und -fragen
zu unterstützen, ist der ›Reality Check‹:
Schritt 3: Teilfragen im Plenum zusammentragen und clustern
Konkrete Anregungen zum Reality Check finden Sie in der
Toolbox p Abschnitt III.2.4
Die individuell erarbeiteten Interessen und Ideen
der Studierenden werden im Anschluss im Plenum aufgegriffen und diskutiert. Dabei erhalten
nach Möglichkeit alle Seminarteilnehmer_innen
Gelegenheit, eine erste Idee mitzuteilen (bei größeren Gruppen empfiehlt sich hier eine Kartenabfrage). Inhaltliche Überschneidungen können
auf diese Weise identifiziert und gemeinsame
Ideen geclustert werden, um gegebenenfalls
thematische Kleingruppen zu bilden. Das übergeordnete Thema bzw. die übergeordnete Forschungsfrage des Seminars bildet die Klammer.
Das heißt, im Idealfall sollten letztlich von den
Studierenden nur solche Teilfragen bearbeitet
werden, die auch wirklich zum Seminarthema
passen bzw. die helfen, die übergeordnete Frage
zu beantworten. Gemeinsam kann im Seminar
dann darüber beraten werden, welche Teilfragen
geeignet bzw. weniger geeignet sind und welche
– zumindest in diesem Seminar – weiterverfolgt
werden und welche nicht. Die Teilfragen können – je nach Zusammensetzung der Gruppe –
Die Studierenden schreiben ihre Teilfragen individuell oder in den bereits gebildeten Kleingruppen
auf. Dabei kommen – gerade bei unerfahreneren
Studierenden – häufig ziemlich anspruchsvolle
Projektideen heraus. Eine der eingereichten Teilfragen wird dann im Plenum einer Realitätskontrolle unterzogen und überarbeitet:
Wo liegt der Kern der Frage, was genau soll
untersucht werden? Passt die Formulierung der
Frage zum eigentlichen Interesse?
Welche Art von Daten (und Methoden) werden
zur Beantwortung der Frage benötigt? Welche Art
von Daten und Methoden suggeriert die Formulierung der Frage?
Welche Informationen und Daten sind (für die
Teilnehmer_innen) verfügbar? Welche Schwierigkeiten müssen wir antizipieren?
Gibt es Studien, an die wir anknüpfen können?
B
30
Welches Fachwissen und welche Fähigkeiten
bringen die Forscher_innen mit?
geeignetes Forschungsdesign entwickeln zu können, benötigen die Studierenden ein bestimmtes
methodisches Wissen. Im Idealfall sind die Forschungsfrage und das bestehende Methodenwissen bereits im Prozess der Fragenformulierung in Einklang gebracht worden (bzw. nötige
Methodenvorkenntnisse als Teilnahmevoraussetzung für das Seminar spezifiziert worden).
In der Praxis wird jedoch trotzdem häufiger ein
methodischer Input notwendig sein (z. B. wenn
methodisches Wissen zum ersten Mal angewandt
werden soll oder ein bislang unvertrautes Verfahren vertiefte Erkenntnisse verspricht). Hier
– und insbesondere für Veranstaltungen ohne
ausgewiesene Teilnahmevorausetzungen – empfiehlt es sich, frühzeitig zu überlegen, wie ein bedarfsorientierter methodischer Input am besten
gewährleistet werden kann. Dieser Input kann
durch die/den Lehrende/n erfolgen oder durch
Verweis auf relevante Literatur von den Studierenden selbständig angeeignet bzw. vertieft
werden. Eventuell kann hier aber auch auf das
Wissen anderer, weiter fortgeschrittener Teilnehmer_innen oder – natürlich nur nach vorheriger
Absprache – auf die Expertise von Kolleginn_en
zurückgegriffen werden.
An die Vermittlung relevanter methodischer
Kenntnisse schließt sich die Phase der Planung
des Forschungsdesigns an. Im Idealfall wird das
Forschungsdesign nicht vorgegeben, sondern
den Studierenden zunächst Raum dafür gelassen, sich selbst zu erproben, d. h. selbst geeignete
Untersuchungsdesigns zu entwickeln. In der Folge sollte die/der Lehrende den Studierenden in
jedem Falle Feedback auf ihre Designs geben, auf
dessen Grundlage sie daran weiterarbeiten können. Wenn möglich sollten die Studierenden in
diesen Feedbackprozess einbezogen werden, d. h.
Die ursprüngliche Frage wird hierbei in mehreren Schritten so überarbeitet und umformuliert,
dass Interesse und Möglichkeiten in Einklang gebracht werden. Ziel der Überarbeitung ist nicht,
den Studierenden ihre Projektideen auszureden,
sondern zu präzisieren, wo das Interesse tatsächlich liegt und die Gruppe dafür zu sensibilisieren,
wie sich das, was in einem begrenzten Zeitraum
und mit den vorhandenen Fähigkeiten realisierbar ist, möglichst anspruchsvoll gestalten lässt.
Nachdem das Prinzip ein oder zwei Mal gemeinsam im Plenum durchlaufen wurde, lassen sich
die übrigen Vorschläge auch in Kleingruppen
überarbeiten – bei Einzelprojekten mit der Maßgabe, dass das Projekt durchführbar, aber weiterhin spannend bleibt; bei Gruppenprojekten mit
der Maßgabe, einen gemeinsamen Vorschlag zu
erarbeiten.
Trotz Unterstützung seitens der/des Lehrenden
kann es natürlich passieren, dass nicht alle Studierenden in der Lage sind zu formulieren, welcher
wissenschaftlichen Fragestellung sie nachgehen
möchten. Insbesondere von Studierenden mit
geringen theoretischen Kenntnissen kann dieser
Freiraum für eigene Interessen als Überforderung empfunden werden. Bei Gruppenprojekten
reicht es aus, wenn sich diese Studierenden einer
Arbeitsgruppe zuordnen können. Wenn die Prüfungsvorgaben individuelle Leistungsnachweise
erfordern, könnten ihnen vorbereitete Teilfragen
zur Auswahl gestellt werden.
Schritt 5: Forschungsdesigns entwickeln
Um für die erarbeiteten Forschungsfragen ein
B
31
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
Wie stelle ich sicher, dass sich die
Studierenden (ggf. zusätzliche) methodische Kenntnisse aneignen können?
sich auch gegenseitig Feedback auf die erarbeiteten Designs geben. Beispielsweise können die
entwickelten Untersuchungsdesigns vorgestellt
und im Plenum diskutiert, bewertet und ggf.
gemeinsam verbessert werden. Alternativ kann
auch Peer-Feedback organisiert werden, indem
beispielsweise alle Studierenden zwei Untersuchungsdesigns lesen und Rückmeldung dazu
geben.
Wie kann ich die Studierenden dabei unterstützen, geeignete Forschungsdesigns für
ihre Teilfragen zu entwickeln?
Für die Darstellung der Untersuchungsdesigns
empfiehlt es sich, eine Reihe von Leitfragen
vorzugeben, an denen sich die Studierenden
orientieren können, z. B.: Was wird untersucht,
d. h. welche Untersuchungsgegenstände, welche
Stichproben etc. und warum genau diese? Mit
welchen Methoden und Instrumenten? Wie werden die Ergebnisse ausgewertet? Durch die Vorgabe von Leitfragen werden die studentischen
Präsentationen vergleichbar, sodass nicht zuletzt
auch gegenseitiges Feedback erleichtert wird.
B.3.2 Unterstützung und Austausch
während der Forschungsphase
Wenn die Studierenden Forschungsfragen gefunden, präzisiert und Designs zur Beantwortung
ihrer Fragen entwickelt haben, geht es an die
Umsetzung des Forschungsdesigns. Die Studierenden haben hier gezielt die Möglichkeit, sich
zu erproben, d. h. sie brauchen ausreichend Zeit,
um ihre Forschung eigenständig durchführen zu
können, in Kleingruppen oder auch individuell.
Eine Beschreibung des Brain Walkings sowie konkrete
Anregungen dazu, wie Sie im Seminar Ideen für
Forschungsfragen brainstormen und zusammentragen
lassen können, finden Sie in der Toolbox p Abschnitt III.2
Während dieser eigenständigen Phase empfiehlt
es sich trotzdem, regelmäßige Präsenztermine
beizubehalten (etwa in 14-tägigem Rhythmus).
Diese Termine können zum selbständigen Arbeiten im Seminarraum genutzt werden, sollten in
jedem Falle aber auch den wechselseitigen Austausch unter den Studierenden ermöglichen. Für
die Motivierung der Studierenden ist es wichtig,
dass sie den roten Faden bzw. die Schnittmengen
der Einzel- oder Kleingruppenarbeiten sowie das
Ziel des gemeinsamen Abschlussprodukts sehen.
Jene Sitzungen, die den Austausch zwischen den
Studierenden fördern, könnten zum Beispiel den
Charakter von Kolloquien haben, in denen Vor-
WICHTIGE FRAGEN
Wie kann ich die Studierenden dabei unterstützen, eigene Teilfragen zu finden?
Wie stelle ich sicher, dass die Teilfragen
zum Seminarthema bzw. zur übergeordneten Forschungsfrage passen?
B
32
Studierenden die Freiheit gibt, sich die Zeit selbst
einzuteilen und bei dem die/der Lehrende statt
der Präsenzveranstaltungen Rücksprachetermine anbietet. Gerade in diesem Fall ist die Klärung
der Kommunikationswege und der gegenseitigen
Möglichkeiten der Erreichbarkeit – zum einen
zwischen den Lehrenden und den Studierenden,
zum anderen innerhalb der Studierendengruppe
– von großer Bedeutung. Neben herkömmlichen
Kommunikationswegen (z. B. Email) können
hier natürlich auch gemeinsam geteilte Ordner in einer Cloud oder E-Learning-Plattformen
genutzt werden. Wenn möglich, sollte jedoch
ein Austausch-Tool genutzt werden, das nicht
nur einen Dialog zwischen Lehrenden und forschenden Studierenden ermöglicht, sondern
Diskussionsmöglichkeiten mit Kommiliton_innen einschließt.
gehensweisen oder erste Teilergebnisse diskutiert
und jeweils in den Kontext des gesamten Themas
gestellt werden. In einem solchen Format können sich die Seminarteilnehmer_innen selbst
und gegenseitig als Expert_innen und Berater_
innen wahrnehmen – als gemeinsam forschend
Lernende. Ganz nebenbei sind die Studierenden
dadurch aufgefordert, ihre Arbeitsschritte regelmäßig aufzubereiten. Sukzessive entsteht somit
eine Dokumentation, die als Grundlage für das
Abschlussprodukt dienen kann.
Konkrete Anregungen dazu, wie Zwischenergebnisse
während der Forschungsphase präsentiert werden können,
finden Sie in der Toolbox p Abschnitt III.3 illustriert
verschiedene Methoden, wie Wissen gegenseitig geteilt
und vermittelt werden kann.
Möglicherweise macht die Gruppe oder machen
einzelne Studierende die Erfahrung, dass im
Prozess der Forschung Rückschläge und Krisen
auftreten können, mit denen sie dann umgehen
müssen. So können sich beispielsweise der Zugang zum empirischen Feld oder die Auswertung
der erhobenen Daten als komplizierter erweisen
als gedacht, sodass eine zeitliche Verzögerung
eintritt oder sogar die Forschungsfrage neu konzipiert werden muss. Umso bedeutender ist es,
dass die/der Lehrende als Berater_in in diesem
Prozess zur Verfügung steht. Aufkommende
Hürden oder Rückschläge können in den Präsenzterminen dann gezielt thematisiert und aufgefangen werden. Nicht zuletzt im Austausch
mit Kommiliton_innen kann den Studierenden
nahegebracht werden, dass Forschung nicht immer geradlinig ist und auch nicht immer wie geplant verlaufen muss.
Natürlich ist auch ein Format denkbar, das den
WICHTIGE FRAGEN
Wie organisiere ich den Austausch mit
den Studierenden während der eigenständigen studentischen Forschungsphase
(z. B. wöchentliche Präsenztermine beibehalten oder Beratungstermine anbieten)?
Wie organisiere ich den Austausch zwischen
den studentischen Kleingruppen während
der eigenständigen Forschungsphase (z. B.
Präsenztermine mit Kolloquien-Charakter
oder Online-Plattformen)?
B
33
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
Feedback zu Forschungsdesigns von Kommiliton_innen (siehe Abschnitt B.3.1)
Feedback zu (Zwischen-)Ergebnissen von Kommiliton_innen (z. B. Poster, Abstracts, Ergebnispräsentationen)
Feedback zum gemeinsamen Abschlussprodukt (z. B. inhaltliches Feedback zu den Bereichen, die Kommiliton_innen verantwortet haben
oder auch Feedback zum gemeinsamen Arbeitsprozess).
B.3.3 Kommunikation und Feedback
im Forschungsprozess
Neben Forschungsfrage und Forschungsdesign
stehen und fallen gemeinschaftliche Forschungsvorhaben mit der Kommunikation innerhalb der
Gruppe, insbesondere damit, wie Beiträge zum
gemeinsamen Forschungsprozess bewertet und
wie mit potenzieller Kritik umgegangen wird.
Eine nützliche Methode hier ist das ›kollegiale
Feedback‹. Da Studierende oft wenig Vorerfahrung mit konstruktivem Feedback haben, ist es
gut, wenn sie gemeinsam auf ihre Rolle als Feedbackgeber_innen und -nehmer_innen vorbereitet
werden. Im Idealfall werden bereits zu Seminarbeginn zentrale Feedback-Methoden und -Regeln
eingeführt, damit sich die Studierenden sukzessive daran gewöhnen können. Methodisch ist
hier ein breites Spektrum denkbar (z. B. offene
Feedbackrunde, schriftliches/anonymes Feedback, Punkteabfrage). In jedem Falle sollten aber
vorab Feedback-Regeln verabredet werden (z. B.
eher beschreibend als bewertend, eher konkret
als allgemein und eher einladend als zurechtweisend). Natürlich können Lehrende auch immer
Feedback zum Feedback geben, d. h. gelungene
Äußerungen wertschätzen und, falls nötig, Alternativen zu ungünstig formulierten Bemerkungen aufzeigen, sodass die Studierenden weiter
dazulernen können.
Hinweise zum Thema Feedback und Feedback-Regeln,
die Sie im Seminar etablieren können, finden Sie im Anhang
unter »Tipps und Anregungen« p Abschnitt II.3
Konkrete Anregungen dazu, wie Sie zum Feedback anregen
können, finden Sie in der Toolbox p Abschnitt III.4
illustriert verschiedene Methoden des Feedbacks.
WICHTIGE FRAGEN
Welche Feedback-Regeln und -Methoden
möchte ich in der Seminargruppe
etablieren?
An welchen Punkten im Seminar ist es mir
besonders wichtig, dass sich die
Studierenden gegenseitig Feedback geben?
Im gemeinsamen Forschungsprozess bietet sich
das kollegiale Feedback fortlaufend, insbesondere aber an folgenden Punkten an:
Feedback zu den Forschungsfragen von Kommiliton_innen (siehe dazu v. a. den »Reality
Check« in Abschnitt B.3.1)
Wann möchte ich selbst Feedback von
den Studierenden zur Seminargestaltung
und zu meiner Rolle als Lehrende_r
imForschungsprozess erhalten?
B
34
B.4
Wenn ein studentisches Symposium zum Abschluss realisiert werden soll, kann die interne
Präsentation als Testdurchlauf für externe Vorträge genutzt werden. Damit das Feedback-Geben
nicht – wie in regulären Lehrveranstaltungen
häufig der Fall – allein auf die/den Lehrende_n
zurückfällt, sollten die Studierenden explizit dazu
eingeladen werden, sich auch gegenseitig Rückmeldung zu ihren Ergebnispräsentationen zu geben (siehe dazu Kapitel B.3.3).
Abschluss und Nachbereitung
B.4.1 Ergebnispräsentation
Die Herausforderung zum Ende des Semesters
besteht darin, die Ergebnisse der studentischen
Forschung so zusammenzuführen, dass ein gemeinsames Abschlussprodukt realisiert werden
kann. Zunächst werden also alle Ergebnisse erst
intern in der Seminargruppe zusammengetragen, bevor dann ein Abschlussprodukt für externe Zielgruppen erarbeitet werden kann.
Auch die interne Ergebniszusammenführung
braucht Vorbereitung: Der Zeitpunkt für die Ergebnissynthese sollte bereits früh im Semester
vereinbart werden, sodass alle wissen, bis wann
die Ergebnisse aufbereitet sein müssen. Im Idealfall haben die Studierenden Teilergebnisse bereits während des Semesters ausreichend dokumentiert, was die Aufbereitung der Endergebnisse erleichtert und den Arbeitsaufwand zum Ende
des Semesters überschaubar hält (siehe dazu
Kapitel B.2.2).
Auf die interne Ergebnissynthese folgt schließlich die Aufbereitung für externe Zielgruppen:
Ergebnisse wissenschaftlich aufzubereiten, fällt
Studierenden nicht immer leicht. Sie werden vermutlich hier verstärkt Unterstützung durch die/
den Lehrende_n benötigen. Hilfreich können
Handreichungen oder Beispiele sein, an denen
sich die Studierenden orientieren können, etwa
zu den Fragen: »Wie schreibt man einen wissenschaftlichen Artikel«, »Wie sieht ein wissenschaftliches Poster aus?«, »Wie präsentiert man
wissenschaftliche Ergebnisse?« etc.
Häufig lässt sich das Abschlussprodukt nicht innerhalb der Vorlesungszeit realisieren, sondern
die Arbeit daran wird in die vorlesungsfreie Zeit
verlegt. Damit die Aufgaben nicht an den Lehrenden oder einzelnen besonders engagierten Studierenden hängen bleibt, muss daher in der Seminargruppe frühzeitig diskutiert und vereinbart
werden, in welchem Maße die vorlesungsfreie
Zeit zur Finalisierung des Abschlussproduktes
genutzt werden kann bzw. soll. In der Regel sind
die Studierenden eher bereit weiterzuarbeiten,
wenn sie wissen, worauf sie sich einlassen. Falls
im Forschungsverlauf Verzögerungen eintreten,
sollten die Studierenden rechtzeitig darauf vor-
Die Zusammenführung selbst kann beispielsweise darin bestehen, dass die Studierenden sich
ihre Ergebnisse gegenseitig vorstellen. Ggf. können den Studierenden hier Leitfragen oder eine
Gliederung an die Hand gegeben werden, sodass
sie den Aufbau und die Inhalte ihrer Ergebnispräsentationen daran ausrichten können. Die
Form der internen Ergebnispräsentation kann
sich bereits an der Form des Abschlussproduktes
orientieren: Wenn als gemeinsamer Abschluss
beispielsweise eine Poster-Ausstellung geplant
ist, können die Ergebnisse bereits in Form von
Poster-Vorentwürfen zusammengeführt werden.
B
35
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
bereitet werden, dass sich dadurch der Zeitplan
nach hinten verschiebt und verbleibende Aufgaben in der vorlesungsfreien Zeit bearbeitet werden müssen.
hinreichender Reflexion zu hohen Lerneffekten
führen und auf die spätere Forschungspraxis vorbereiten (Forschungskompetenzen).
In der Regel legen die fachspezifischen Prüfungsordnungen fest, auf welcher Grundlage
Leistungspunkte bzw. Noten vergeben werden.
Grundsätzlich eignen sich jedoch manche
Prüfungsformen mehr, andere weniger, um forschungsbezogene Leistungen von Studierenden
zu bewerten. Sofern es die Prüfungsordnung
zulässt, sollte daher eine Form der Leistungsbeurteilung gewählt werden, die den Forschungstätigkeiten und Gruppenarbeiten der Studierenden gerecht wird. Abschlussklausuren etwa
erfragen in der Regel vor allem deklaratives Wissen. Erworbene Forschungskompetenzen oder
erbrachte Forschungsleistungen können in dieser Form nicht angemessen berücksichtigt werden. Nach Möglichkeit sollte auch nicht nur die
Qualität der Ergebnisse bzw. deren verschriftlichte Darstellung, sondern auch der Forschungsprozess insgesamt bewertet werden.
WICHTIGE FRAGEN
Wann im Semester planen wir die interne
Zusammenführung der Ergebnisse?
Welche Vorgaben für die gegenseitige
Ergebnispräsentation können den
Studierenden helfen?
Bis wann soll unser Abschlussprodukt
fertig sein?
Welche Hinweise für die Erstellung des
Abschlussproduktes können den
Studierenden helfen?
Gängige Prüfungsleistungen wie mündliche Präsentationen, Referate, Essays oder Hausarbeiten
lassen sich mitunter gut einsetzen bzw. adaptieren. Empfehlenswert ist auch das Format des individuellen Portfolios: darin haben die Studierenden die Möglichkeit, neben konkreten Ergebnissen sowohl ihre Beteiligung am Prozess, als auch
die Entwicklung persönlicher Erkenntnisse semesterbegleitend zu dokumentieren und die Herausforderungen der forschenden Tätigkeit selbst
kritisch reflektieren. Die Basis eines Portfolios
ist zum einen ein Arbeitsjournal incl. der recherchierten Artikel, eigener Diskussionsbeiträge,
Protokolle, der Ergebnisse von Arbeitsaufträgen
B.4.2 Prüfungsleistungen
In Seminaren des Forschenden Lernens sollen
Studierende die Chance erhalten und ermutigt
werden, sich auf das Wagnis Forschung einzulassen. Dafür benötigen sie einen möglichst
offenen Rahmen, der auch zulässt, dass sich Forschungsfragen im Laufe des Prozesses als zu wenig fokussiert erweisen, die Ergebnisse nicht den
Erwartungen entsprechen oder Methoden sich
als ungeeignet herausstellen. Manchmal sind
solche ›Fehler‹ sogar wünschenswert, da sie bei
B
36
im Seminar, und zum anderen ein Lerntagebuch
mit regelmäßigen Aufzeichnungen zu Erkenntnissen und offenen Fragen bzw. Begründungen
von bestimmten (methodischen) Vorgehensweisen. Wird das Portfolio als Leistungsnachweis genutzt, so wählen die Studierenden anhand eines
selbst gesetzten Schwerpunktes einige Materialien davon aus, die eine Entwicklung des inhaltlichen ›roten Fadens‹ aufzeigen. Diese Unterlagen
werden kommentiert, die Auswahl begründet, im
Idealfall um ein Peer-Feedback ergänzt und mit
einer Zusammenfassung abgerundet (ausführliche Gestaltungshinweise siehe z. B. Bräuer, 2016;
e-teaching.org, 2016).
und somit angstfreier arbeiten. Es ist im Sinne
des gemeinsamen Forschens auf Augenhöhe
auch denkbar, die Bewertungskriterien mit den
Studierenden zu entwickeln bzw. im Seminar zu
diskutieren.
Eine Orientierungshilfe zur Bewertung von Leistungen, die im Forschenden Lernen erbracht und
im Rahmen unterschiedlicher Prüfungsformen
bewertet werden, befindet sich in der Materialund Methodensammlung in den Abschnitten
I. 6–8.
Es versteht sich von selbst, dass jede erfolgte
Beurteilung anhand der im Voraus festgelegten
Kriterien erläutert und begründet werden muss.
Nur aus einem ausführlichen Feedback können
Studierende lernen. Forschendes Lernen als sozialer Prozess erfolgt in der Gruppe, so dass die
zu benotende Leistung häufig das Produkt einer
Kleingruppenarbeit ist. Um die Kooperation und
Zusammenarbeit zu fördern, sollten von Anfang
an klare Regeln und Standards mit den Studierenden vereinbar werden. Bewährt hat sich zum
Beispiel die Festlegung, dass alle Mitglieder einer
Kleingruppe die gleiche Note erhalten (für ein
Referat, eine Posterpräsentation oder eine Hausarbeit) und somit nicht klar erkennbar sein muss,
wer was genau geleistet hat. So haben die Studierenden die Möglichkeit, die Arbeit entsprechend
ihrer Kompetenzen und Vorlieben aufzuteilen.
Sollten sich Unstimmigkeiten in der Gruppe ergeben und kein ausgewogenes Leistungsverhältnis bestehen, können die Studierenden sich im
Voraus melden und den Wunsch äußern, einzeln
bewertet zu werden. In diesem Fall muss jedoch
darauf geachtet werden, dass die Einzelleistungen klar erkennbar sind.
Generell wirkt es motivierend, wenn Erfolge
und Ergebnisse bereits im Verlauf des Seminars
sichtbar werden und nicht erst am Ende mit der
Prüfung und der Präsentation der Ergebnisse für
interessierte Dritte. Diese Form des kontinuierlichen Prozesses wird in dem klassischen Bewertungssystem, mit Ausnahme des Portfolios, nicht
entsprechend abgebildet. Sie können jedoch
alternativ einzelne Beiträge (z. B. einen Blogeintrag und ein Review eines anderen Blogeintrags)
als Prüfungsvoraussetzung deklarieren. Damit
wird die aktive (Mit)arbeit gerade bei denjenigen
Studierenden forciert, die bisher weniger Erfahrungen mit interaktiver Seminarkultur machen
konnten.
Unabhängig von der gewählten Prüfungsform
empfiehlt es sich, Beurteilungskriterien in jedem
Fall im Voraus festzulegen und von Anfang an zu
kommunizieren. Je transparenter und eindeutiger die Anforderungen sind, desto eher können
sich die Studierenden darauf einstellen, Erwartungen der/des Lehrenden besser nachvollziehen
B
37
B _ Forschendes Lernen: Konzeption und Umsetzung
Die Reflexion bezieht sich auf drei Ebenen:
Erstens lässt sich der gemeinsame Forschungsprozess kritisch reflektieren. Die Studierenden
sollten entsprechend dazu angeregt werden, ihre
Forschungserfahrungen, die Arbeitsprozesse im
Team, die erreichten Ziele und Ergebnisse zu reflektieren: Was hat gut funktioniert? Was würde
man beim nächsten Mal anders machen? Inwieweit wurde die eingangs festgelegte Forschungsfrage beantwortet bzw. welche weiteren Schritte
wären hier noch notwendig (gewesen)?
Welche Bewertungskriterien im Forschenden Lernen
angelegt werden können, finden Sie in den angehängten
»Handreichungen für Lehrende« p Abschnitt I.6–8
WICHTIGE FRAGEN
Lässt die Prüfungsordnung Raum für die
Bewertung von Forschungsleistungen?
Wenn ja, welche Prüfungsform könnte
für das Seminar geeignet sein?
Zweitens können die Studierenden ihren eigenen Lernfortschritt reflektieren: Was haben
sie Neues aus der Lehrveranstaltung mitgenommen? Hier stellt sich besonders die Frage, welche
persönliche Erfahrung sie mit den Forschungstätigkeiten und den damit verbundenen Freiräumen (und Frustrationen) gemacht haben, da sich
diese Arbeitsweise teilweise deutlich von anderen
Lehrveranstaltungen unterscheidet. In diesem
Zusammenhang kann die/der Lehrende natürlich auch Feedback zur didaktischen Umsetzung
des Seminars einholen: Welche Form der Unterstützung hätten die Studierenden zu welchem
Zeitpunkt gebraucht?
Welche Kriterien möchte ich nutzen, um
die Forschungsleistungen (z. B. Forschungsfrage, methodisches Vorgehen, Ergebnisaufbereitung) zu bewerten?
B.4.3 Reflexion des Forschungs- und
Lernprozesses
Zu einem Forschungsprozess gehört es, nach
Projektende die Qualität der Ergebnisse, den Verlauf des Forschungsprozesses und nicht zuletzt
den eigenen Lernfortschritt kritisch zu reflektieren. Auch vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die oben genannten Feedback-Strukturen
im Team bereits während der Anfangsphase zu
etablieren (vgl. Abschnitt B.3.3), sodass am Ende
auf Grundlage des entstandenen Vertrauens eine
konstruktive gemeinsame Reflexion möglich ist.
Drittens kann Reflexion natürlich auch auf
Ebene der Lehrenden erfolgen, indem die Erfahrungen mit dem Format des Forschenden
Lernens gezielt reflektiert werden: Was haben
Lehrende selbst aus der Zusammenarbeit mit
den Studierenden für zukünftige Lehrtätigkeiten
mitgenommen? In welcher Form können und
wollen sie auch weiterhin eigene Forschungsinteressen in die Lehre integrieren?
B
38
Welche Methoden möchte ich nutzen,
um die Studierenden zur Reflexion
anzuregen?
Grundsätzlich gilt: Reflexion steht nicht nur am
Ende des Forschungsprozesses. Zwischenfeedbacks und -reflexionen sind eine sinnvolle Begleitung Forschenden Lernens. Auf diese Weise
können Lehrende den Lern- und Forschungsfortschritt der Studierenden kontinuierlich beobachten, wenn nötig, unterstützend eingreifen und/
oder ihr eigenes Lehrhandeln anpassen.
Wie kann ich meine eigenen Erfahrungen
als Lehrende_r reflektieren?
Hinweise zum Thema Feedback im Seminar finden Sie im
Anhang unter »Tipps und Anregungen« p Abschnitt II.3
Hinweise, welche Reflexionsfragen Sie an sich bzw.
Ihre Seminargestaltung richten können, finden Sie in
den angehängten »Handreichungen für Lehrende«:
p Abschnitt I.3, I.4 und I.5
Konkrete Feedback-Methoden, die Sie in Ihrem
Seminar nutzen können, finden Sie in der Toolbox
p Abschnitt III.4
WICHTIGE FRAGEN
Zu welchen Zeitpunkten im Seminarverlauf möchte ich Reflexionsmomente
einbauen? Wann sind Reflexionen zum
gemeinsamen Forschungsprozess sinnvoll,
wann zum persönlichen Lernfortschritt
der Studierenden?
B
39
C FORSCHENDES LERNEN IM VERGLEICH
ZU ANDEREN LEHR-LERNFORMEN
Zu Beginn dieses Leitfadens wurde Forschendes
Lernen anhand seiner wesentlichen Eigenschaften definiert. Aufbauend auf diesen Charakteristika werden im Folgenden die Besonderheiten
Forschenden Lernens durch die Abgrenzung
gegenüber anderen konstruktivistischen und
forschungsbezogenen Lehr-Lernformen genauer spezifiziert. Dieses Kapitel bietet somit auch
einen Überblick über Lehr-Lernformen jenseits
Forschenden Lernens.
C.1
Das Klassifizierungsmodell teilt die verschiedenen Umsetzungsformen nach zwei Kategorien
ein:
Die erste Kategorie unterscheidet nach dem inhaltlichen Schwerpunkt der Lehre, also danach,
ob im Kern Forschungsergebnisse, Forschungsmethoden oder der gesamte Forschungsprozess
thematisiert werden.
Die zweite Kategorie fragt nach dem Aktivitätsniveau der Studierenden und differenziert danach, ob die Studierenden rezeptiv lernen, ob sie
erworbenes Wissen anwenden oder ob sie selbst
forschend tätig sind.
Ein Vergleich zu forschungsbezogenen Lehr-Lernformen
Hochschullehre, die einen Bezug zu Forschung
hat, wird als forschungsbezogene Lehre bezeichnet. Dabei können Forschung und Lehre auf
unterschiedliche Weise miteinander verbunden
sein, sodass sich in der hochschuldidaktischen
Praxis verschiedene Umsetzungsformen herausgebildet haben.
Was genau Forschendes Lernen von anderen Formen forschungsbezogener Lehre unterscheidet,
ist nicht immer leicht zu erkennen. Aus diesem
Grund wurde im bologna.lab der HumboldtUniversität zu Berlin eine Systematisierung forschungsbezogener Lehre erarbeitet und auf Basis einer empirischen Prüfung weiterentwickelt
(Rueß et al., 2016).
Kombiniert man die beiden Vergleichskategorien
entsteht eine Klassifizierungsmatrix (vgl. Abb. 3),
die – nach empirischer Prüfung – verschiedene
Gruppen forschungsbezogener Lehre unterscheidet.
C
41
C _ Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen Lehr-Lernformen
Inhaltlicher Schwerpunkt
Forschungsergebnisse
Forschungsmethoden
… arbeiten selbständig Literatur zu
einem Forschungsfeld auf
8
9
… verfolgen eine Forschungsfrage
und durchlaufen dabei den gesamten
Forschungsprozess
… wenden vorgegebene Methoden
anhand einer Forschungsfrage an
FORSCHENDES LERNEN
anwendend
4
5b
… diskutieren Vor- und Nachteile
von Methoden
… diskutieren
Forschungsergebnisse
6b
… diskutieren Forschungsvorhaben
5a
1
6a
… üben die Planung von Forschungsvorhaben
… üben Methoden
rezeptiv
Aktivitätsniveau der Studierenden
forschend
7
Forschungsprozess
2
3b
… bekommen den Forschungsprozess
erläutert
… bekommen Forschungsergebnisse
vorgestellt
… bekommen Forschungsmethoden
vermittelt
3a
… bekommen Techniken wissenschaftlichen Arbeitens erläutert
Abb. 3: Matrix zur Klassifizierung forschungsbezogener Lehre (Rueß, Gess & Deicke, 2016)
C
42
Wie in Abbildung 3 zu sehen, lässt sich Forschendes Lernen oben rechts in der Klassifizierungsmatrix verorten, wo forschende studentische
Aktivität mit dem inhaltlichen Fokus auf den
Forschungsprozess verbunden ist (Abb. 3: Gruppe 9). Die Besonderheiten Forschenden Lernens
lassen sich vor allem im Vergleich zu anderen
forschungsbezogenen Lehr-Lernformen illustrieren:
Forschungsvorhaben planen kann (Gruppe 6a).
Die Anwendung erworbenen Wissens kann aber
auch über Diskussionen angeregt werden. Raum
dafür können Seminare oder Kolloquien bieten,
in denen Studierende Forschungsergebnisse inhaltlich diskutieren können (Gruppe 4), über die
Vor- und Nachteilen verschiedener Forschungsmethoden beraten (Gruppe 5b) oder eigene sowie
fremde Forschungsvorhaben diskutieren (Gruppe 6b).
Forschendes Lernen im Vergleich zu rezeptiven
Lehr-Lernformen:
Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen
forschenden Aktivitäten:
Forschendes Lernen ist klar von rezeptiven LehrLernformen abgegrenzt. Während die Studierenden beim Forschenden Lernen selbstgesteuert
forschen, werden ihnen beim rezeptiven Lernen
forschungsbezogene Inhalte vermittelt. Typischerweise in Form von Vorlesungen werden den
Studierenden Forschungsergebnisse präsentiert
(Abb. 3: Gruppe 1) oder Forschungsmethoden
vermittelt (Gruppe 2). In seminaristischer Form
werden sie häufig in die Techniken wissenschaftlichen Arbeitens eingeführt (Gruppe 3a) oder
bekommen erläutert, wie ein Forschungsprozess
aufgebaut ist (Gruppe 3b).
Forschende studentische Aktivitäten können
auch in anderen Umsetzungsformen als im
Forschenden Lernen realisiert werden. Gemeinsam haben diese Formen, dass die Studierenden jeweils eine Forschungsfrage weitgehend
selbständig bearbeiten. Die zu bearbeitende Forschungsfrage kann dabei zwei unterschiedliche
didaktische Funktionen haben:
In den Gruppen 7 und 8 der Abbildung 3 wird
die Forschungsfrage genutzt, um das Lernen
zu stimulieren und während des Lernprozesses
weiter zu motivieren. Bei diesem forschungsmotivierten Lernen werden die Studierenden
anhand einer – in der Regel vom Lehrenden
vorgegebenen oder eingegrenzten – Frage dazu
angeregt, sich vertiefend mit bestimmten Lerngegenständen auseinanderzusetzen. Diese Lerngegenstände können ausgewählte Forschungsfelder sein, zu denen Studierende fragengeleitet
und selbständig Literatur aufarbeiten (Gruppe 7).
Es kann sich aber auch um Forschungsmethoden
handeln; das heißt, Studierende wenden vorgegebene Methoden anhand einer Forschungsfrage
an (Gruppe 8). Unabhängig vom Lerngegenstand
Forschendes Lernen im Vergleich zu anwendenden Lehr-Lernformen:
Forschendes Lernen enthält auch anwendende
Aktivitäten der Studierenden, geht jedoch darüber hinaus. Durch Anwendung kann das bereits erworbene Wissen vertieft werden, jedoch
werden im Gegensatz zum Forschenden Lernen
keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse generiert. Als anwendende Lehr-Lernform ausgestaltet werden in der Regel praktische Übungen,
etwa indem Forschungsmethoden erprobt werden (Abb. 3: Gruppe 5a) oder geübt wird, wie man
C
43
C _ Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen Lehr-Lernformen
Begriff des »inquiry learning« beschrieben (z. B.
Spronken-Smith, Walker, Batchelor, O’Steen &
Angelo, 2011). Beim »research-based learning«
hingegen geht es im Kern darum, eine Forschungsfrage zu beantworten (z. B. Brew, 2010;
Griffiths, 2004).
ist entscheidend, dass die Beantwortung der
Forschungsfrage nachrangig ist. Im forschungsmotivierten Lernen dient die Fragestellung vielmehr als didaktisches Mittel, um das Lernen zu
stimulieren.
Im Unterschied zum forschungsmotivierten
Lernen geht es bei Forschendem Lernen (Abb. 3:
Gruppe 9) darum, die Forschungsfrage zu beantworten. Die Frage soll nicht mehr nur das Lernen
stimulieren, sondern ist Ausgangspunkt für Studierende, sich im Forschen zu erproben und die
eigenen Forschungsfähigkeiten (weiter) auszubilden. Damit die Studierenden den gesamten Forschungsprozess weitgehend eigenständig vollziehen können, werden keine engen Vorgaben
gesetzt, weder zum Forschungsfeld noch zu den
gewählten Forschungsmethoden.
C.2
Ein Vergleich zu konstruktivistischen
Lehr-Lernformen
Wie eingangs ausgeführt, sind konstruktivistische Lehr-Lernformen durch die eigene Wissenskonstruktion der Studierenden charakterisiert.
Wissensbestände werden demnach nicht von den
Lehrenden direkt vermittelt (wie in sogenannten
instruktionsorientierten Ansätzen). Vielmehr eignen sich die Studierenden in Auseinandersetzung
mit Materialien relevante Wissensbestände selbständig an und konstruieren Wissen aktiv und
individuell (Reinmann & Mandl, 2006). Zu den
konstruktivistischen Lehr-Lernformen gehören
beispielsweise problembasiertes, entdeckendes
oder genetisches Lernen.
Im deutschsprachigen Raum wird forschungsmotiviertes Lernen bisweilen mit Forschendem
Lernen gleichgesetzt, vor allem dann, wenn konzeptuelle Vorstellungen aus der Schulforschung
auf die Hochschuldidaktik übertragen werden
(z. B. Bönsch, 2000). Um die beiden Formen
nicht zu vermengen, sondern ihrer Unterschiedlichkeit auch begrifflich gerecht zu werden,
sollten sie zumindest als verschiedene Typen
Forschenden Lernens benannt werden. So kann
forschungsmotiviertes Lernen, das auf die Aneignung spezifischer Lerngegenstände zielt, auch
als Forschendes Lernen des Typs »Lernen« beschrieben werden, Forschendes Lernen im engen
Sinne dagegen als Typ »Forschen« (vgl. Rueß et
al., 2016). Eine ähnliche Unterscheidung wird
auch im englischsprachigen Raum getroffen:
Steht die Aneignung spezifischer Lerngegenstände im Zentrum, wird dies in der Regel mit dem
Forschendes Lernen im Vergleich zu
problembasiertem Lernen:
Ausgangspunkt problembasierten Lernens ist ein
Problem, das vom Lehrenden vorgegeben wird.
Häufig sind diese Probleme authentisch (vgl. situiertes Lernen in Klauer, 2010) und/oder werden
im Lernprozess stetig anspruchsvoller (vgl. Cognitive-Apprenticeship-Ansatz in Seidel & Reiss,
2014). Wie bei Forschendem Lernen konstruieren die Lernenden Wissen – in diesem Fall zur
C
44
VERBINDUNG VON FORSCHUNG UND LEHRE REALISIERT DURCH …
REZEPTIVES
LERNEN
Aktivität
der Studierenden
rezipieren
ANWENDUNGSORIENTIERTES
LERNEN
FORSCHUNGSMOTIVIERTES
LERNEN
FORSCHENDES
LERNEN
anwenden
(üben, diskutieren)
forschen (i. d. R. nicht
gesamter Forschungsprozess)
forschen
(kompletter Forschungsprozess)
übergeordnetes Ziel
lernen:
Studierende sollen forschungsbezogene Inhalte lernen,
um sie auf eigenständiges Forschen vorzubereiten
forschen:
Studierende sollen forschen
bzw. sich darin erproben
vorrangiges Ziel der
Wissenskonstruktion
Aneignung von Wissensbeständen
wissenschaftliche
Erkenntnis
Ergebnisoffenheit
keine Ergebnisse
Ergebnisse sind Lehrenden
weitgehend bekannt
Ergebnisse sind für
Lehrende neu (zumindest
in Teilen)
Funktion der
Forschungsfrage
keine Forschungsfrage
didaktisches Mittel:
Frage soll das Lernen
stimulieren
Selbstzweck:
Frage soll beantwortet
werden
Vorgaben durch
Lehrende
Lerngegenstände
(Themen, Methoden, Prozessaspekte) vorgegeben
Lerngegenstände und i. d. R.
auch Forschungsfrage
vorgegeben
Studierende wählen
Forschungsfrage selbst
(ggf. Forschungsfeld
vorgegeben)
Abb. 4: Verschiedene Formen der Verbindung von Forschung und Lehre
C
45
C _ Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen Lehr-Lernformen
Forschendes Lernen im Vergleich zu
genetischem Lernen:
Problemlösung – weitgehend selbstgesteuert. Ein
wesentlicher Unterschied zwischen beiden LehrLernformen liegt jedoch im jeweiligen Ausgangspunkt begründet: Problembasiertes Lernen geht
von einem Problem aus, das vom Lehrenden definiert und den Studierenden in Form einer Problemlöseaufgabe gestellt wird. Die Lösung dieses
Problems ist dem Lehrenden bekannt. Ausgangspunkt von Forschendem Lernen demgegenüber
ist eine Frage, die von den Studierenden selbst
entwickelt wird. Das Ergebnis ist offen; das heißt,
in der Regel kennen weder Studierende noch
Lehrende die Antwort auf die Frage. Zudem wird
bei Forschendem Lernen mit wissenschaftlichen
Methoden gearbeitet, was beim problembasierten
Lernen nicht zwingend gegeben sein muss.
Beim genetischen Lernen schließlich geht es darum, Erkenntnisprozesse (beispielsweise Problemlösewege) nachzuvollziehen (Reinmann, 2011).
Dafür werden die zu vermittelten Wissensinhalte
von den Lehrenden in ihrem Entstehungsprozess
präsentiert oder dialogisch mit den Lernenden erarbeitet. Die Lernenden verfolgen den Prozess in
seinen wichtigsten Stationen und eignen sich auf
diese Weise die Wissensinhalte selbständig an.
Im Unterschied zu Forschendem Lernen wird
also Erkenntnis nicht generiert, sondern in ihrer
Entstehungshistorie nachvollzogen.
Forschendes Lernen im Vergleich zu
entdeckendem Lernen:
Beim entdeckenden Lernen steht das Erkunden
von Inhaltsbereichen im Zentrum. Durch dieses
Erkunden sollen Lernende Schlussfolgerungen
ziehen, um zentrale Konzepte und Prinzipien
des Bereichs selbst zu generieren (Renkl, 2015).
Eine mögliche Umsetzungsform besteht etwa
darin, Lernende dazu anzuregen, aus verschiedenen bereitgestellten Beispielen oder Fällen ein
Schema zu erarbeiten (Neber, 2010). Während
beim Forschenden Lernen die zielgerichtete Beantwortung einer Forschungsfrage im Zentrum
steht, geht es beim entdeckenden Lernen in erster Linie darum, dass die Lernenden spezifische
vom Lehrenden bestimmte und bereits bekannte
Wissensbestände erkunden und sich aneignen.
C
46
PROBLEMBASIERTES
LERNEN
ENTDECKENDES
LERNEN
GENETISCHES
LERNEN
FORSCHENDES
LERNEN
Ausgangspunkt
Problem
Phänomen
bereits erfolgter wiss.
Erkenntnisprozess
Forschungsfrage
Aufgabe der
Studierenden
lösen
erkunden
nachvollziehen
beantworten
Aufgabentyp
vorgegebene
Problemlöseaufgabe
vorgegebene
Explorationsaufgabe
vorgegebene
Rekonstruktionsaufgabe
keine Aufgabe: Studierende
wählen Frage selbst
Ergebnisoffenheit
Ergebnisse sind
Lehrenden bekannt
Ergebnisse sind
Lehrenden bekannt
Erkenntnisprozess ist
Lehrenden
bekannt
Ergebnisse sind Lehrenden
(teilw.) nicht bekannt
Anwendung wissenschaftlicher Methoden
nicht zwingend
nein
ggf. Labortechniken
nein
ja
Lernziele
Inhalte lernen
Inhalte lernen
Vorgehen zur
Erkenntnisgewinnung
lernen
Forschungskompetenzen
erwerben
Abb. 5: Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen konstruktivistischen Lehr-Lernformen
C
47
C _ Forschendes Lernen im Vergleich zu anderen Lehr-Lernformen
C.3
den übertragen können. Über das Wälzen von
Ideen in jungen, unvorbereiteten Köpfen im besten Humboldt’schen Sinne können Lehrende
potenziell überraschende Einsichten und Forschungszugänge zu ihrem eigenen und ihnen
(allzu) vertrauten Forschungsthema erhalten.
Forschendes Lernen – eine LehrLernform für Lehrende?
Wie eingangs erwähnt, lässt sich Forschendes
Lernen im hier beschriebenen Sinne nicht in
allen Situationen gleich gut umsetzen. Wie die
vorangegangenen Abschnitte zeigen, gibt es in
der Familie konstruktivistischer Lehrkonzepte
jedoch etliche alternative und ergänzende Ansätze zur stärkeren Verbindung von Forschung und
Lehre. Forschendes Lernen selbst kann jedoch einen deutlichen Mehrwert bieten, beispielsweise
für Lehrende, die die Aussicht auf überraschende
Einsichten und Zugänge der Studierenden reizt.
Ein Eckpfeiler dieser Lehr-Lernform ist, dass
die Teilnehmer_innen selbst Wissen konstruieren. Im Forschenden Lernen drückt sich dies
im Idealfall darin aus, dass nicht allein für die
Studierenden subjektiv neues Wissen entsteht,
sondern Erkenntnisse generiert werden, die auch
für die Lehrenden (und eine breitere Fachöffentlichkeit) neu bzw. interessant sein können. Dies
unterscheidet Forschendes Lernen maßgeblich
vom schulischen, entdeckenden Lernen und den
meisten Varianten des problembasierten Lernens. Die Studierenden erleben den Prozess als
bedeutsam, wenn sie relevante Erkenntnisse erzielen, wenn sie in der Lehrveranstaltung ›etwas
erreicht‹ haben.
Dieses Relevanzempfinden der Studierenden
hängt auch von den Lehrenden ab. Wenn diese
sich ehrlich für die Forschungsfragen der Studierenden interessieren, wenn auch sie von den
Studierenden lernen wollen, dann wird sich ihre
Neugier und Wertschätzung auf die Studieren-
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48
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51
MATERIAL- UND METHODENSAMMLUNG
Der erste Teil enthält Handreichungen für
Lehrende zur Planung und Umsetzung von
Der Anhang des vorliegenden Leitfadens ist eine
Material- und Methodensammlung, die Lehrenden bei der konkreten Umsetzung von Forschendem Lernen behilflich sein soll. Diese Sammlung
gliedert sich in drei Abschnitte:
Seminaren, die teilweise auch in Form von
Kopiervorlagen eingesetzt werden können (z. B.
Selbstreflexion, Sitzungsevaluation, Beispiel-Semesterplan, Prüfungskriterien).
Im zweiten Teil sind Tipps und Anregungen
zu Themen zu finden, die beim Forschenden
Lernen immer wieder auftauchen (z. B. Aufbauen von Teamspirit, Visualisierung als interaktives
Vermittlungsformat, Feedback).
Der dritte Teil umfasst eine Toolbox zur Seminargestalltung mit didaktischen Methoden, die
bei der konkreten Sitzungsgestaltung weiterhelfen kann (z. B. Methoden zum Einstieg in Forschendes Lernen, Methoden zur gegenseitigen
Wissensvermittlung im Team, Methoden zum
Feedbackgeben).
I
53
I
Handreichungen für Lehrende
I. 1
Checkliste wichtiger Fragen
Vorbereitung / Rahmenbedingungen und Ziele
Welche fachspezifischen Inhalte soll das Seminar vermitteln?
Welche forschungsbezogenen Kompetenzen sollen erworben werden?
Zielgruppe und Seminarbeschreibung
Welches theoretische und/oder methodische Vorwissen sollten die Studierenden
mitbringen, um an meiner Veranstaltung erfolgreich teilnehmen zu können?
Ist das Seminar auch für fachfremde Studierende geeignet?
Wenn ja, welche Fachrichtungen wären wünschenswert?
Wie viele Studierende können/sollten an der Veranstaltung teilnehmen?
Wie lassen sich die Unterschiede zu herkömmlichen Veranstaltungen beschreiben,
damit die Studierenden mit adäquaten Erwartungen an der Veranstaltung teilnehmen?
Wie kann ich dafür sorgen, dass der Arbeitsaufwand für die Studierenden in einem
angemessenen Verhältnis zu den ECTS-Punkten steht?
Die Lehrendenrolle im Forschenden Lernen
Wie lässt sich den Studierenden meine Rolle als ›Forschungsgruppenleiter_in‹
verdeutlichen?
Was sind meine Erwartungen an die Studierenden?
Was können die Studierenden im Gegenzug von mir erwarten?
I
55
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
Einstieg / Das Forschungsthema
Wie kann ich die Studierenden für das gemeinsame Forschungsprojekt interessieren
und begeistern?
Wie kann ich an das Vorwissen und die Interessen der Studierenden anknüpfen?
Wie kann ich bereits zu Beginn ein Teamgefühl aufbauen?
Abschlussprodukt und gemeinsames Ziel
Was sind mögliche gemeinsame Abschlussprodukte der Veranstaltung?
Wie lege ich das Abschlussprodukt gemeinsam mit den Studierenden fest?
Welche kleinen Teilziele sollten die Studierenden erreichen, sodass das
Abschlussprodukt sukzessive entstehen kann?
In welchem Kontext könnten die Ergebnisse des Forschungsprojekts einer
(Fach-)Öffentlichkeit präsentiert werden? Wie sieht die Zielgruppe aus?
Strukturvorgabe und Freiraum
Welches inhaltliche oder methodische Grundlagenwissen brauchen die Studierenden,
damit wir gemeinsam forschen können, und wie soll dieses Wissen im Seminar
vermittelt werden?
Welche inhaltlichen oder methodischen Aspekte des Forschungsprojekts stehen
bereits fest, und über welche wird im Team noch gemeinsam entschieden?
Welche konkreten Aufgaben im Forschungsprozess bzw. in der Veranstaltung
übernehme ich? Welche Aufgaben übernehmen die Studierenden?
Bis wann sollen welche Aufgaben erledigt bzw. welche Teilziele erreicht sein?
I
56
Forschungsphase / Entwicklung von Forschungsfrage und -design
Wie kann ich die Studierenden dabei unterstützen, eigene Teilfragen zu finden?
Wie stelle ich sicher, dass die Teilfragen zum Seminarthema bzw. zur
übergeordneten Forschungsfrage passen?
Wie stelle ich sicher, dass sich die Studierenden (ggf. zusätzliche)
methodische Kenntnisse aneignen können?
Wie kann ich die Studierenden dabei unterstützen, geeignete Forschungsdesigns
für ihre Teilfragen zu entwickeln?
Unterstützung und Austausch während der Forschungsphase
Wie organisiere ich den Austausch mit den Studierenden während der eigenständigen
studentischen Forschungsphase (z. B. wöchentliche Präsenztermine beibehalten oder
Beratungstermine anbieten)?
Wie organisiere ich den Austausch zwischen den studentischen Kleingruppen
während der eigenständigen Forschungsphase (z. B. Präsenztermine mit KolloquienCharakter oder Online-Plattformen)?
Kommunikation und Feedback im Forschungsprozess
Welche Feedback-Regeln und -Methoden möchte ich in der Seminargruppe etablieren?
An welchen Punkten im Seminar ist es mir besonders wichtig, dass sich die
Studierenden gegenseitig Feedback geben?
Wann möchte ich selbst Feedback von den Studierenden zur Seminargestaltung und
zu meiner Rolle als Lehrende_r im Forschungsprozess erhalten?
I
57
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
Abschluss und Nachbereitung / Ergebnispräsentation
Wann im Semester planen wir die interne Zusammenführung der Ergebnisse?
Welche Vorgaben für die gegenseitige Ergebnispräsentation können den
Studierenden helfen?
Bis wann soll unser Abschlussprodukt fertig sein?
Welche Hinweise für die Erstellung des Abschlussproduktes können den
Studierenden helfen?
Prüfungsleistungen
Lässt die Prüfungsordnung Raum für die Bewertung von Forschungsleistungen?
Wenn ja, welche Prüfungsform könnte für das Seminar geeignet sein?
Welche Kriterien möchte ich nutzen, um die Forschungsleistungen
(z. B. Forschungsfrage, methodisches Vorgehen, Ergebnisaufbereitung) zu bewerten?
Reflexion des Forschungs- und Lernprozesses
Zu welchen Zeitpunkten im Seminarverlauf möchte ich Reflexionsmomente einbauen?
Wann sind Reflexionen zum gemeinsamen Forschungsprozess sinnvoll, wann zum
persönlichen Lernfortschritt der Studierenden?
Welche Methoden möchte ich nutzen, um die Studierenden zur Reflexion anzuregen?
Wie kann ich meine eigenen Erfahrungen als Lehrende_r reflektieren?
I
58
I. 2
Beispiel-Semesterplan
PHASE
SITZUNG
INHALTE
Die erste Sitzung bildet den Einstieg in das gemeinsame
Forschungsprojekt.
In das Forschungsfeld
einsteigen
und erste
Forschungsfragen
identifizieren
1
Wichtige Aspekte:
Wie stelle ich mich und meine Rolle in diesem Seminar
vor?
Wie sorge ich dafür, dass wir uns gegenseitig
kennenlernen?
Wie erläutere ich den Studierenden das geplante gemeinsame Forschungsprojekt bzw. die übergeordnete
Forschungsfrage, die im Seminar beantwortet werden soll?
Wie erläutere ich den Studierenden, was wir im Semester
zusammen vorhaben?
Wie sammeln wir gemeinsam erste Forschungsfragen
zum Forschungsfeld, also Teilfragen, die Studierende
interessieren und von ihnen bearbeitet werden könnten?
In der anschließenden Phase geht es darum, die
Studierenden mit dem Forschungsfeld vertraut zu machen,
d. h. Inhalte und Methoden, die für das Forschungsprojekt
gebraucht werden, zu erarbeiten.
Inhalte und
Methoden
aneignen
2
3
Wichtige Aspekte:
Welche Inhalte sollten alle Studierenden kennen und
verstehen, bevor es an die gemeinsame Forschung geht?
Wie eignen wir uns diese Inhalte an?
Welche Forschungsmethoden werden wir anwenden?
Wie eignen wir uns diese Forschungsmethoden an?
Welche offenen Fragen und Verständnisprobleme erwarte
ich bei den Studierenden?
Wie kann ich mich auf diese offenen Fragen und
Verständnisprobleme vorbereiten?
I
59
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
PHASE
SITZUNG
INHALTE
Wenn alle Studierenden die vorausgesetzten Inhalte und
Methoden kennen, kann die Planung der eigentlichen
Forschungstätigkeit beginnen. Gemeinsam mit den
Studierenden wird ein Fahrplan für das Forschungsprojekt
erarbeitet.
Forschungsfrage
präzisieren und
Forschungsdesign
entwickeln
4
5
6
7
Forschungsdesign
umsetzen
8
9
10
Wichtige Aspekte:
Wie unterstütze ich die Studierenden dabei, eigene
konkrete Forschungsfragen zu entwickeln?
Wie sorgen wir dafür, dass diese Fragen präzise formuliert
und im Zeitraum von einem Semester beantwortbar sind?
Wie entwickeln wir Forschungsdesigns für die Forschungsfragen der Studierenden?
Welche Arbeitspakete ergeben sich aus den Forschungsdesigns für die Kleingruppen und für die Gesamtgruppe?
Wie kann unser gemeinsames Abschlussprodukt aussehen, d. h. in welcher Form können die Ergebnisse der
Studierenden zusammengeführt und aufbereitet werden
(z. B. Forschungsbericht, Posterpräsentation,Symposium?)
Welche Vereinbarungen müssen getroffen werden, damit
die Ergebnisse der Studierenden die »richtige« Form für
das Abschlussprodukt haben?
Sobald über Forschungsfragen und -designs entschieden
wurde, geht es an die konkrete Umsetzung, d. h. die vereinbarten Arbeitspakete werden von den Studierenden weitgehend eigenständig bearbeitet (z. B. Datenerhebung und
-analyse).
Wichtige Aspekte:
Wie viel Zeit werden die Studierenden vermutlich für die
Umsetzung ihrer Forschungsdesigns brauchen?
Welche Meilensteine sollten wir vereinbaren, d. h. was
muss bis wann von wem geleistet werden?
Wie regeln wir den Austausch untereinander in dieser Zeit
(z. B. Präsenztermine in Form von Forschungskolloquien)?
Wie sorge ich dafür, dass nicht nur ich Rückmeldung zu
Zwischenständen gebe, sondern dass sich die Studierenden auch gegenseitig Feedback geben?
I
60
PHASE
SITZUNG
INHALTE
Ist das Forschungsdesign umgesetzt (z. B. Datenerhebung
und -auswertung abgeschlossen) geht es schließlich darum,
die Ergebnisse aufzubereiten und zu präsentieren.
11
Ergebnisse aufbereiten
und präsentieren
12
13
Wichtige Aspekte:
In welcher Form werden die Ergebnisse der Studierenden
zusammengeführt (z. B. seminarinterne gegenseitige
Präsentation)?
Wie müssen die Ergebnisse aufbereitet werden, damit das
gemeinsame Abschlussprodukt entstehen kann
(z. B. Forschungsbericht, Posterpräsentation, Symposium)?
Wie sind die Ergebnisse zu bewerten:
Was war zu erwarten, was war überraschend? Inwieweit
liefern unsere Ergebnisse Antworten auf die übergeordnete
Forschungsfrage des Seminars?
Sind die Ergebnisse aufbereitet und präsentiert, sollte Raum
für Reflexion nicht fehlen, d. h. der gemeinsame Forschungsprozess sollte abschließend reflektiert werden.
Forschungsprozess
reflektieren
14
Wichtige Aspekte:
Wie rege ich die Studierenden zur Reflexion des gemeinsamen Forschungsprozesses an?
Wie rege ich die Studierenden dazu an, dass sie auch den
eigenen Lernprozess reflektieren?
Wie sorge ich dafür, dass sich die Studierenden gegenseitig
Feedback geben?
Wie hole ich Feedback zum Seminar und zu meiner
eigenen Rolle im Forschungsprozess ein?
Wie kann ich meine eigenen Erfahrungen als Lehrende_r
reflektieren?
I
61
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
PHASE
SITZUNG
INHALTE
Manche Forschungsprojekte ziehen sich bis in die
vorlesungsfreie Zeit, beispielsweise wenn die Präsentation
der Ergebnisse erst im nachfolgenden Semester stattfindet.
Die Zusammenarbeit und Kommunikation in der Gruppe
sollte in diesem Fall weiter aufrecht erhalten werden.
Vorlesungsfreie
Zeit
15–25
Wichtige Aspekte:
Sind die Studierenden dazu bereit, auch in der vorlesungsfreien Zeit weiterzuarbeiten?
Wie gestalten wir den Austausch in den Semesterferien?
Welche Meilensteine setzen wir?
Was bildet den Abschluss des gemeinsamen Forschungsprojektes?
I
62
I. 3
Meine Rolle I
Ihr Selbstverständnis als Lehrende_r in der Zusammenarbeit mit den Studierenden ist für den
Gruppenprozess im Forschenden Lernen von großer Bedeutung (vgl. Abschnitt B.1.3). Nehmen Sie
sich daher etwas Zeit und überlegen Sie anhand der folgenden Leitfragen, was Sie als Lehrende_n
ausmacht und wie Sie Ihre Rolle im Format des Forschenden Lernens ausfüllen möchten: wann sind
Sie im Laufe des Semesters z. B. eher Expert_in, Coach, Moderator_in, Forschungsgruppenleiter_in
oder Mitforschende_r? Versuchen Sie so ehrlich wie möglich zu sein, es ist nur für Sie selbst bestimmt.
Meine Stärken sind … / Folgende Fähigkeiten und Eigenschaften zeichnen mich als Lehrende_n aus:
In diesem Bereich habe ich noch Entwicklungspotenzial:
An die Studierenden habe ich die Erwartung, dass …
An mich selbst habe ich die Erwartung, dass …
Ich habe folgende Ressourcen zur Verfügung
(Vorbereitungszeit, Materialien, Unterstützung in Fachkreisen, Netzwerke in die Praxis, Moderationsmaterial … )
I
63
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
I. 4
Meine Rolle II
In meiner Rolle als Seminarleiter_in im Forschenden
Lernen bin ich …
Das bedeutet konkret folgende Verantwortlichkeiten /
Handlungen / Verhaltensweisen …
z. B. Moderator_in
ich versuche eine neutrale
Haltung einzunehmen,
Diskussionsprozesse zu
strukturieren und Ergebnisse
zu sichern
Die Studierenden sehen mich wahrscheinlich als …
Das bedeutet konkret, dass Sie wahrscheinlich von
mir erwarten, dass …
z. B. Wissensvermittler_in
ich mich in dem Themengebiet
auskenne, die Literatur
auswähle, strukturiere und
die Inhalte aufbereite
Überlegen Sie nun, inwieweit Ihr Rollenverständnis mit den wahrscheinlichen Erwartungen der
Studierenden übereinstimmt und wie Sie im Falle einer Diskrepanz damit umgehen wollen:
Transparenz, Vorgehen begründen, Erwartungen abfragen,
eigenes Rollenbild anpassen, gar nicht thematisieren
I
64
I. 5
Session Wrap-up
Ein Rückblick auf den Verlauf des Seminars sollte nicht nur am Ende des Semesters stattfinden. Vielmehr ist eine regelmäßige Reflexion einzelner Sitzungen hilfreich, um den Forschungsprozess der
Studierenden erfolgreich zu begleiten. In ähnlicher Form können auch die Studierenden angehalten
werden, regelmäßig den eigenen Lernerfolg zu dokumentieren (vgl. die Abschnitte B.4.3 und II.3 zum
Thema Feedback und Reflexion).
SEMINAR:
Best Practice
Pannen
SESSION-NR.
DATUM:
Was ist heute besonders gut gelaufen?
Warum empfand ich das als gelungen?
Woran genau lag es, dass es so gut
gelaufen ist?
Was habe ich dazu beigetragen?
Was ist heute nicht gut gelaufen?
Warum bin ich damit unzufrieden?
Woran genau lag es, dass es nicht gut
gelaufen ist?
Was würde ich beim nächsten Mal
anders machen?
Das möchte ich zur nächsten Sitzung auf keinen Fall vergessen …
Diese interessanten Gedanken sind mir heute gekommen …
Diese fachlichen Impulse möchte ich aufnehmen …
I
65
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
I. 6
Bewertungskriterien – Leistungen im Prozess des Forschenden Lernens
Kompetenzziel
mögliche Bewertungskriterien
Entwicklung von
Forschungsfragen
Forschungsfrage beantwortet ein Desiderat / ein wissenschaftliches oder
praktisches Problem
Forschungsfrage ist gut begründet / leitet sich aus Forschungsstand ab
Forschungsfrage verdeutlicht methodologische Orientierung (z. B. quantitativ, qualitativ)
(…)
Entwicklung von
Forschungsdesigns
Forschungsdesign ist geeignet, um Forschungsfrage zu beantworten
Forschungsdesign ist gut begründet
(z. B. Begründung der Methoden, Stichprobe/Untersuchungsgegenstand)
Forschungsdesign ist umsetzbar (z. B. Feldzugang/Quellenlage, zeitlicher Rahmen)
(…)
Anwendung von
Forschungsmethoden
Untersuchungsmethoden werden korrekt eingesetzt
(z. B. Fragebogen, Interview, experimenteller Aufbau, Archiv- oder Textarbeit)
Auswertungsmethoden werden korrekt eingesetzt
(z. B. statistische Auswertungen, qualitative Inhaltsanalyse)
(…)
Darstellung und Diskussion
der Ergebnisse
Ergebnisse beziehen sich auf Forschungsfrage
Ergebnisse werden angemessen interpretiert (weder über- noch unterinterpretiert)
Relevanz und Grenzen des eigenen Vorhabens werden diskutiert
Implikationen für die Praxis oder künftige Forschungen werden abgeleitet
(…)
Formale Aufbereitung von
Forschungsergebnissen
Aufbau nach wissenschaftlichen Standards
korrekte Bibliografie und Zitierweise
wissenschaftlich korrekter Umgang mit Begriffen (»Wissenschaftssprache«)
klarer und verständlicher Schreib- bzw. Präsentationsstil
(…)
Engagement
im Seminar
Engagement bei Aufgaben in Kleingruppen
Engagement bei Diskussionen in Seminargruppe
Engagement beim kollegialen Feedback
(…)
I
66
I. 7
Bewertungskriterien – Prüfungsleistung ›Referat‹
Am Beispiel der Prüfungsleistung ›Referat‹ werden im Folgenden mögliche Bewertungskriterien aufgezeigt. Solche Kriterien können nicht nur im Voraus den Studierenden als Orientierung dienen, sondern vereinfachen auch Ihnen als Dozent_in die Einschätzung der Leistung. Im Anschluss an die Prüfung kann eine solch differenzierte Tabelle als Grundlage für ein ausführliches Feedbackgespräch dienen. Die vorliegende Auflistung ist nur exemplarisch konzipiert worden, sie muss für jedes Seminar
und jede Prüfungsart individuell erstellt und an die jeweiligen Lern- und Kompetenzziele angepasst
werden (vgl. Abschnitt B.4.2 zu möglichen Prüfungsleistungen sowie die Einführungskapitel und B.1.1
zu den Kompetenzzielen im Forschenden Lernen). Über die Punktwerte kann eine Hierarchisierung
der einzelnen Aspekte vorgenommen werden. Eine Übersicht mit der Zuordnung der Gesamtpunktwerte zu den entsprechenden Noten ist zu ergänzen.
MAX. PUNKTE:
I.....Sachliche Richtigkeit und umfassende
I.....Darstellung
ERREICHTE PUNKTE:
Die Terminologie wird korrekt verwendet.
Die wesentlichen Begriffe, Modelle und Methoden sind umfassend, korrekt angewendet und
verständlich dargestellt.
Es werden Bezüge zu anderen Inhalten des Seminars hergestellt, das Thema bzw. einzelne
Konzepte werden in den übergeordneten Kontext gestellt.
Es ist klar gekennzeichnet, welche Argumentation / Beispiele der Literatur folgen und was eigene
Überlegungen / Verknüpfungen sind.
MAX. PUNKTE:
ERREICHTE PUNKTE:
II....Klare Struktur
Es wird gut in das Thema eingeführt.
Die Zielsetzung des Vortrags ist klar.
Die Gliederungslogik des Referats ist sinnvoll überlegt und nicht allein an der Struktur der
Texte orientiert.
Die einzelnen Teile der Präsentation sind gut miteinander verknüpft, die Übergänge zwischen
Referatsteilen werden so verdeutlicht, dass man immer nachvollziehen kann, wo man im
Thema steht.
Es wird ein angemessenes Fazit gezogen (z. B. als Take-Home-Message oder Antwort auf eine
Eingangsfrage).
I
67
I _ Material- und Methodensammlung _ Handreichungen für Lehrende
MAX. PUNKTE:
ERREICHTE PUNKTE:
III...Präsentation und Diskussionsleitung
Die Inhalte werden an geeigneten Beispielen verdeutlicht.
Die mündliche Präsentation ist frei, lebendig, flüssig, laut genug und nicht zu schnell.
Die Referent_innen nehmen Blickkontakt mit dem Publikum auf.
Die verwendeten Präsentationsmedien sind angemessen, gut strukturiert und verständlich.
Meinungen oder Stellungnahmen von Autoren werden nicht unreflektiert referiert, sondern
kritisch bewertet (ggf. gemeinsam mit den Teilnehmenden).
Auch während des Referats wird das Verständnis der Zuhörer_innen geprüft und ggf. hergestellt.
Die Relevanz der berichteten Ergebnisse oder der eingesetzten Methode in der Forschung
oder Praxis wird dargestellt.
In Diskussionseinheiten werden eindeutige Fragen gestellt, die in Zusammenhang mit den
Referatsinhalten stehen.
Es ist eine klare Struktur in den Fragen bzw. der Diskussion erkennbar.
Übungen werden nicht als Selbstzweck durchgeführt, sondern haben inhaltsbezogene Lernziele.
Übungen sind verständlich instruiert und supervidiert.
Es werden sinnvolle Schlussfolgerungen gezogen.
MAX. PUNKTE:
ERREICHTE PUNKTE:
IV....Zeitmanagement
Die Zeitplanung ist durchdacht und berücksichtigt Pufferzeiten.
Der Umfang der Darstellung ist dem Inhalt angemessen und entspricht den vorgegebenen
Begrenzungen.
I
68
I. 8
Bewertungskriterien – Prüfungsleistung ›Portfolio‹
Bei der Beurteilung eines Portfolios (vgl. Abschnitt B. 4.2) ist darauf zu achten, dass es viele persönliche
Anteile enthält (z. B. Reflexion des eigenen Lernprozesses), die nicht bewertet werden können und
sollten. Trotzdem lassen sich auch hier Kriterien definieren, die den Studierenden eine Orientierungshilfe bieten und den Einsatz des Portfolios als Leistungsnachweis möglich machen. In der folgenden
Tabelle sind einige Bereiche und Leitfragen exemplarisch dargestellt, die als Ausgangspunkt für die
Formulierung von Kriterien dienen können. Abgewogen und festgelegt werden muss auch, welchen
Umfang das Portfolio haben soll.
Bewertungsbereich
Leitfragen
Struktur und Form
Ist das Portfolio entsprechend des gesetzten Umfangs vollständig?
Sind Elemente des Arbeitsjournals, des Lerntagebuchs und ein Peer-Feedback enthalten?
Folgt das Portfolio einer klaren Gliederung?
Sind die Materialien, Texte und Kommentare übersichtlich angeordnet und eindeutig
voneinander zu unterscheiden?
Gibt es eine Einleitung und eine Zusammenfassung?
Inhaltliche Qualität und
wissenschaftliches Arbeiten
Bei der Bewertung der entsprechenden Materialien im Portfolio können die Kriterien
aus den Tabellen I.6 und ggf. I.7 herangezogen werden.
Dokumentation und Reflexion
Ist die Auswahl des Schwerpunktes nachvollziehbar begründet?
Ist der Schwerpunkt in den Gesamtkontext des Seminars eingebettet?
Zieht sich ein inhaltlicher ›roter Faden‹ durch das Material?
Werden theoretische Elemente mit eigenen Überlegungen verknüpft?
Werden Fragen gestellt und beantwortet?
Wird der Forschungsprozess (innerhalb des gesetzten Schwerpunktes) reflektiert?
I
69
II
Tipps und Anregungen
II.1
Teamspirit mit einfachen Mitteln
entwickeln
und sich in einer vertrauensvollen Atmosphäre
auszutauschen. Daher bietet es sich an, am Anfang des Semesters genügend Zeit für das gegenseitige Kennenlernen einzuplanen. Wenn alle
wissen, wer sich aus welcher Motivation heraus
mit welchem Hintergrundwissen, welchen Erfahrungen und Kompetenzen dem entsprechenden
(Forschungs-)Thema widmet, ist der Grundstein
eines Teamgefühls gelegt. Hinweise zur konkreten methodischen Gestaltung der Anfangssituation sind in der Toolbox zusammengestellt.
In diesem Leitfaden wurde des Öfteren auf die
zentrale Bedeutung von Teamarbeit und dem Verständnis des Forschenden Lernens als Gruppenprozess hingewiesen. Damit verlagert sich auch
der Schwerpunkt der Rolle der Lehrenden, von
der Verantwortung für die Wissensvermittlung
zur Verantwortung für die Gestaltung des Arbeits- und Lernprozesses – und somit auch für
die Kommunikation im Seminar. Hierfür gibt es
sicher kein allgemeingültiges Rezept, aber einige Hinweise, wie der ›Teamspirit‹ (mit)gestaltet
werden kann.
Wertschätzung in Haltung und Handeln:
Studierende werden dann aktiv und bleiben es,
wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Beiträge tatsächlich relevant sind. Dies soll nicht bedeuten,
dass alle Beiträge richtig oder gut sind. Auch eine
kritische Würdigung ist eine Anerkennung. Wird
den Studierenden respektvoll begegnet, werden
sie auch untereinander wertschätzend kommunizieren. Das klingt erst einmal selbstverständlich, hat jedoch in den Feinheiten der alltäglichen
didaktischen Praxis einige Fallstricke. Es kann
nützlich sein, sich von Zeit zu Zeit folgende Fragen zu stellen: Werden Fragen, die aus dem Seminarkreis kommen, zurück an die Gruppe gegeben (da erst einmal jede_r Expert_in sein kann),
oder besteht die Tendenz, dass der/die Dozent_in
sie meist selbst beantwortet? Wird der/die Lehrende bei Unklarheiten gefragt, oder werden die
Fragen in den Raum gestellt? Können die Studierenden offen argumentieren, oder haben sie das
Gefühl, ständiger Bewertung ausgesetzt zu sein?
Wer gibt Feedback auf Vorträge, Thesenpapiere
oder den Arbeitsstand – der/die Lehrende oder
auch die ›Peers‹?
Sitzordnung im Raum:
Seminarräume sind häufig so gestaltet, dass die
Studierenden neben- und hintereinander sitzen
und ihren Blick auf den/die Dozent_in, den Rükken ihrer Kommiliton_innen und das eingesetzte
Medium richten. Diese Sitzordnung unterstützt
Monologe und bestenfalls Dialoge zwischen der
präsentierenden Person und dem Auditorium.
Wenn es gewünscht ist, dass die Studierenden
miteinander reden, dass sie die Themen gemeinsam bearbeiten, sollten sie sich dabei anschauen
können. Der Kontakt aller untereinander wird
erheblich erleichtert, wenn die Stühle im Kreis
oder Halbkreis (mit oder ohne Tisch in der Mitte)
angeordnet sind. Manchmal ist es etwas aufwendig, aber es lohnt sich, und hierbei können die
Studierenden miteinbezogen werden.
Kennenlernen:
Zu Beginn ist es hilfreich, an den Interessen der
Teilnehmer_innen des Seminars anzuknüpfen
II
71
II _ Material- und Methodensammlung _ Tipps und Anregungen
Inhalte mitschreiben:
II.2 Visualisierung von Inhalten
In Teammeetings und Sitzungen sind Protokolle
durchaus üblich. Im Hochschulkontext obliegt es
jedoch meist jedem Einzelnen, Inhalte schriftlich
zu sichern. Im besten Fall in Form von Lerntagebüchern. Sind nicht nur die zu lesenden Texte
und die vorbereiteten PowerPoint-Präsentationen
relevant, sondern auch die gemeinsam erarbeiteten Ideen, die Argumente und Thesen aus den
Diskussionen und die geplanten Vorgehensweisen, so sollten diese öffentlich und strukturiert
protokolliert werden.
Visualisierung bedeutet Sichtbarmachen – von
Zusammenhängen, Gedanken, Wissen, Prozessen etc. Die Möglichkeiten, mit ›sichtbaren Inhalten‹ zu arbeiten, geht weit über die Aufbereitung
von theoretischen Inputs in Form von PowerPoint-Präsentationen hinaus. Insbesondere in
interaktiven Seminaren braucht es Methoden der
Visualisierung, die flexibler sind und z. B. dabei
unterstützen, Themen gemeinsam zu erkunden,
Sitzungen zu strukturieren und Diskussionen
zu dokumentieren. Im Folgenden werden – angelehnt an Haussmann (2014) – einige Beispiele
angeführt, in welcher Form Visualisierung in Seminaren als unterstützende Methode ohne großen künstlerischen Anspruch eingesetzt werden
kann:
Beiträge kartieren / Wissensbausteine bewegen:
Eine erweiterte Form des Protokolls ist das Kartieren von Beiträgen, wobei Inhalte strukturiert
grafisch abgebildet werden. Wissen kann von
allen Beteiligten schnell gesammelt, sortiert und
ggf. neu gruppiert werden. Die bekannteste Methode ist das Mindmapping an der Pinnwand mit
Metaplankarten oder digital. Ebenso denkbar ist,
Wissenslandkarten entstehen zu lassen, um sich
im Themenfeld zurechtzufinden und darüber gemeinsam reflektieren zu können.
Wissen grafisch darstellen:
Sachverhalte, Zahlen, Abläufe und Strukturen
können zur besseren Veranschaulichung grafisch
dargestellt werden, zum Beispiel anhand von Infogrammen. Die Reduktion auf wesentliche, bildhafte Elemente unterstützt das Verständnis von
Inhalten in Textform.
Formulare ausfüllen:
Wenn Kleingruppen Themen selbstgesteuert
erkunden und danach Ergebnisse präsentieren,
können vorgestaltete Arbeitsplakate sinnvoll
sein. Sie helfen, sich auf die wesentlichen Punkte zu fokussieren und unterstützen eine ansprechende Darstellung, welche die Inhalte für alle
schnell greifbar macht.
Frontalpräsentationen in Dialoge verwandeln:
»Wir lernen nicht durch Informationsaufnahme, sondern durch Informationsverarbeitung«
(Haussmann, 2014, p. 34). Wird statt mit einem
Beamer an einem Smartboard, Flipchart, Whiteboard oder einer Tafel präsentiert, können die
Inhalte langsam entwickelt und Anmerkungen,
Ideen etc. der Teilnehmer_innen sofort einfügt
werden.
Gedanken skizzieren:
Ob Dozent_in oder Studierende – viele machen
sich Notizen in ihren eigenen Unterlagen, um
Gedanken zu skizzieren und weiterzuentwickeln.
II
72
Abb. II.1: Wissen grafisch darstellen
Abb II.2: Frontalsituationen in Dialoge verwandeln
Abb II.3: Inhalte mitschreiben
II
73
II _ Material- und Methodensammlung _ Tipps und Anregungen
Feedback der Gruppe an Einzelne:
Im seminaristischen Setting kann es hilfreich
sein, diesen individuellen Prozess für alle sichtbar zu machen und somit den gemeinsamen
Ideenfindungsprozess anzuregen. Gedanken
werden so im Fluss gehalten und inspirieren sich
gegenseitig.
Studierende sollten auf ihre Beiträge – sei es ein
Referat, eine Moderation oder ein Text – Feedback erhalten. In Seminaren des Forschenden
Lernens sollte dieses nicht (nur) von der Seminarleitung ausgehen. Alle Teilnehmer_innen
sind die Adressat_innen der theoretischen Inputs, alle sind Teilnehmende der moderierten
Diskussion o. Ä. – und somit gleichberechtigte
›Kritiker_innen‹. Vielfältiges Feedback aus der
Gruppe erweitert die Perspektive. Dabei könnte
die Rolle der Feedbackgeber_innen rotieren. Gut
überlegt sein sollte das Setting, in dem ein persönliches Feedback stattfindet. Eine intime Runde am Ende der Veranstaltung bietet viel Ruhe,
um ausführlich einige Punkte zu besprechen.
Öffentliches Feedback kann auch zu Lerneffekten bei den anderen Teilnehmenden führen und
diverse Einschätzungen zutage fördern. Letzteres
gilt auch für Textfeedback. So könnte ein PeerReview beispielsweise eines Blogeintrags auch
für alle Studierenden sichtbar sein. Zu der Kategorie ›Feedback der Gruppe an Einzelne‹ gehört
auch das Feedback, das die Rolle des/der Lehrenden von der Gruppe erhalten kann. Gerade dann,
wenn der/die Dozent_in sich frisch in die Rolle
im Rahmen des Forschenden Lernens hineinbegeben hat, können Rückmeldungen sehr inspirierend und informativ sein.
II.3 Feedback
Feedback steuert Verhalten. Es hilft, zielgerichtet
zu arbeiten. Positives Feedback ermutigt, hilft bei
der Fehlersuche und fördert persönliche Lernprozesse. Feedback hebt die Motivation. Feedback hilft bei der Selbsteinschätzung. Feedback
führt zu einem Zuwachs an Einfluss sowohl
beim Empfänger als auch beim Geber von Rückmeldungen. Es bewirkt eine engere Verbindung
mit der Aufgabe. Feedback hilft, die Qualität von
Entscheidungen adäquat zu bewerten und zu beurteilen. In der Konsequenz führt diese Kommunikationstechnik dazu, den Bereich des wechselseitigen Sichverstehens zu vergrößern (siehe u. a.
Fengler, 2009; Luft & Ingham, 1955).
Dies sind viele gute Gründe, Feedback gezielt
in Seminaren Forschenden Lernens einzusetzen und als didaktische Methode zu begreifen.
Dabei ist ein ausführliches, konstruktives Feedback des/der Dozent_in an Studierende nach
einem Referat nur eine der möglichen Formen.
Feedback kann sich grundsätzlich an einzelne
Personen, an Teilgruppen und Teams richten. Es
kann Verhalten, Atmosphäre, Kommunikation,
Inhalte, Veränderungen und Beziehungen zum
Gegenstand haben.
Feedback des Einzelnen an die Gruppe:
Lehrende sollten ein Gefühl dafür entwickeln,
ob einzelne Studierende das Bedürfnis haben,
der Seminargruppe ein Feedback zu geben. Dies
könnte sich u. a. auf Arbeitsprozesse oder die
Kommunikation miteinander beziehen. In diesem Fall bietet es sich an, zum Feedback einzuladen und entsprechend strukturierten Kontext
II
74
Abb II.4: Beiträge kartieren, Wissensbausteine bewegen
Abb II.5: Formulare ausfüllen
Abb II.6: Gedanken skizzieren
II
75
II _ Material- und Methodensammlung _ Tipps und Anregungen
zu bieten, damit es nicht den Anschein persönlicher Befindlichkeiten hat. Schließlich soll die
Arbeitsfähigkeit der ›Forschergruppe‹ gewahrt
bleiben.
halte, prüfen das Verständnis und schaffen eine
Überleitung in die nächste Woche.
Selbstfeedback:
Natürlich kommt man schlecht aus der eigenen
Haut und kann eine völlig andere Perspektive
einnehmen. Selbstfeedback als Stichwort in dieser Liste soll aber dazu anregen, die Seminarsitzungen und das didaktische Handeln regelmäßig
in schriftlicher Form zu hinterfragen. Was sind
Best-Practice-Beispiele? Was ist besonders gut gelungen und woran lag das? Was würde ich noch
einmal genauso machen? Welche Pannen gab es?
Was würde ich beim nächsten Mal anders machen? Was haben Lehrende selbst gelernt? Was
sollten die Studierenden beim nächsten Mal mitnehmen? Wie hat sich eine bestimmte Rolle angefühlt? Wo haben Lehrende an sich selbst Entwicklungen bemerkt? (vgl. auch Abschnitt B.4.3
sowie die beispielhaften Fragen zur Reflexion
einer einzelnen Sitzung in Abschnitt I.5)
Für alle Formen gilt, dass Feedback dann erfolgreich ist und blinde Flecken erhellen kann, wenn
es bestimmten Kriterien genügt. Nach Antons
(1998) sind dies:
Feedback an Kleingruppen durch andere
Kleingruppen:
Wird die Forschungsphase mit Präsenzphasen in
Form eines Kolloquiums gestaltet, so können die
verschiedenen Arbeitsgruppen ihren jeweiligen
Arbeitsstand präsentieren – und von den anderen
Gruppen Feedback einfordern. Dabei geht es weniger um die Präsentationsfähigkeiten Einzelner,
als um die inhaltliche und methodische Arbeit
der Gruppe und die Bezüge zum Gesamtkontext
des Seminars.
Seminarfeedback:
Eine Evaluation am Ende eines Seminars gehört
inzwischen zum Standard an Hochschulen und
Universitäten. Unabhängig davon können Lehrende eigene Feedbackrunden gestalten, die sich
eher auf die Lernerfolge der Teilnehmer_innen
und die Prozesse in der Gruppe beziehen. Dies
dient nicht nur der Qualitätskontrolle, sondern
auch dem Gestalten eines Abschlusses nach einer intensiven Zusammenarbeit über Monate
hinweg. Bei einer solchen Zeitspanne bietet sich
auch ein Zwischenfeedback zur Halbzeit an. Die
Ergebnisse ermöglichen gegebenenfalls eine
gezielte Modifikation der Veranstaltung. Einige
Dozent_innen arbeiten auch mit einem ›Tagesfeedback‹ nach jeder einzelnen Sitzung. Hier
lässt sich z. B. in sehr knapper Form reflektieren,
was wichtige oder besonders interessante Punkte
waren und wo offene Fragen bestehen. Das hat
vielerlei Nutzen: die Studierenden (und die Lehrenden selbst) durchdenken noch einmal die In-
eher beschreibend als bewertend und interpretierend,
eher konkret als allgemein,
eher einladend als zurechtweisend,
eher verhaltensbezogen als charakterbezogen,
eher erbeten als aufgezwungen,
eher sofort und situativ als verzögert und
rekonstruierend,
eher klar und pointiert als verschwommen
und vage,
eher durch Dritte überprüfbar als auf
dyadische Situationen beschränkt.
II
76
Die Formulierung ›eher‹ ist hier bewusst gesetzt,
da es immer Ausnahmen geben kann. Zum Beispiel kann es an Hochschulen und Universitäten
durchaus notwendig sein, Feedback auch ungefragt zu geben oder in der Seminarevaluation
nicht nur situativ rückzuspiegeln, sondern das
gesamte Semester zu betrachten.
Natürlich ist auch die Haltung des oder der Feedbacknehmer_innen entscheidend. Wenn eine
Person neugierig ist und das Gesagte erst einmal aufnehmen kann (ohne es annehmen zu
müssen), wird der Erkenntnisprozess gefördert.
Denn: »Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich die Antwort meines Gegenübers gehört
habe« (Paul Watzlawick). Begünstigend wirkt
hierbei eine Seminaratmosphäre, in der gegenseitige Unterstützung selbstverständlich ist, um
nicht alte Muster einer Schülerhaltung zu aktivieren, welche in Erwartung von Lob und Tadel
innere Abwehr und Verteidigung hervorrufen.
Um eine angemessene Feedbackkultur in Seminaren zu schaffen, empfiehlt es sich, auf Formulierungshilfen, Vordrucke oder andere Instrumente (z. B. Tagesauswertung mit Leitfragen an
der Pinnwand) zurückzugreifen. Durch den regelmäßigen und begründeten Einsatz etablieren
Lehrende strukturiertes und konstruktives Feedback. Einige Beispiele hierzu sind in der Toolbox
zu finden.
II
77
III
Toolbox zur Seminargestaltung
Diese Toolbox gibt konkrete Anregungen zur
didaktischen Gestaltung forschungsorientierter
Seminare. Es handelt sich hierbei nicht um
einen vollständigen Methodenkatalog, sondern
vielmehr um eine Auswahl von Methoden, die
sich im Rahmen des Forschenden Lernens besonders bewährt haben. Dieser Abschnitt stellt
nicht nur Methoden für verschiedene Situationen
vor. Er bietet auch Informationen hinsichtlich
des Stellenwertes im Prozess des Forschenden
Lernens.
III.1 Einstieg gestalten
In den ersten Sitzungen des Semesters geht es
zunächst darum, mit der Gruppe einen motivierenden Einstieg in das Forschungsprojekt zu
finden. Dieser Abschnitt beinhaltet Methoden,
die insbesondere das gegenseitige Kennenlernen
und die Abfrage von Teilnahmemotiven und
Erwartungen erleichtern sollen.
III
79
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.1.1 Kennenlernen durch Aufstellung
Hintergrund
Aufstellungen sind eine lockere, methodisch unkomplizierte Form des
Kennenlernens, die ihren Ursprung in der Soziometrie nach Jacob
L. Moreno haben. Das Grundprinzip besteht darin, dass die Seminarteilnehmer_innen sich bezüglich einer Impulsfrage im Raum verteilen – sie
geben also Auskunft über sich selbst und ihre Beziehung zueinander, ohne
sich zwangsläufig zu exponieren. Inhaltlich lässt sich diese Methode beliebig
ausgestalten.
Durchführung
Die Lehrperson bittet die Studierenden, aufzustehen und genügend Platz
zu schaffen.
Als nächstes instruiert sie die erste Aufgabe. Hier eignen sich z. B.
»Stellen Sie sich in einer Reihe auf, alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen geordnet. Hier beginnt das A (Der Startpunkt wird
markiert)«.
Wenn sich die Reihe gebildet hat, sollten sich die Studierenden noch einmal
vorstellen. Das kann mit einer weiteren Information verknüpft werden
(z. B. in welchem Semester sie studieren).
Die Lehrperson fährt mit weiteren Aufgabenstellungen fort. Der Fokus kann
so gesetzt werden, wie es für den jeweiligen Zweck geeignet ist.
Einige Beispiele sind:
Persönliche Fragen, z. B. in verschiedenen Seiten des Raumes aufstellen
nach Kaffee- oder Teetrinkern.
In einem interdisziplinären Rahmen können sich die Studierenden nach
Studienrichtungen aufstellen. Meist bilden sich dann kleinere Gruppen.
Eine mögliche Frage wäre, was die jeweilige Disziplin zum Thema beitragen kann.
Eine Rangreihe mit der bisherigen Erfahrung mit dem Thema (von ›Laie‹
bis ›ich habe dazu schon geforscht‹) kann Aufschluss darüber geben, was
die Studierenden an Kompetenzen mit in das Seminar bringen.
III
80
Durchführung
In geeigneten Settings (z. B. Seminare zu interkulturellen Themen) kann
die Lehrperson die Studierenden anhand der Himmelsrichtungen nach
ihren Herkunftsorten aufstellen lassen und fragen, inwiefern sie das
geprägt hat.
Die letzte Aufgabe sollte so gewählt werden, dass daran anknüpfend zu
den nächsten Punkten übergeleitet werden kann.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode kann die Heterogenität der Teilnehmenden transparent
machen. So können Lehrende im Forschungsprozess auf die individuellen
Erfahrungen und Bedürfnisse besser eingehen. Die Methode kann zudem
zu Beginn bereits ein erstes Teamgefühl aufbauen.
Materialien
keine; evtl. Markierungen für die verschiedenen Ecken / Anfang – Ende
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: ab 6
Benötigte Zeit: richtet sich nach der Anzahl der Fragen und der Intensität
der Auswertung, mind. 10 Min.
Für die Aufstellung wird viel Raum benötigt. Falls der Platz im Stuhlkreis
dafür zu klein ist, kann die Aufstellung auf dem Flur oder draußen durchgeführt werden.
Diese Methode können Lehrende auch abwandeln und z. B. dafür
einsetzen, bestimmte Positionen zu einem Thema sichtbar zu machen
(Pro – Contra, Nähe – Distanz usw.)
Quelle
diverse; u. a. Grolman (2016): 11 Methoden für Interaktive Konferenzen,
Seminare und Workshops.
III
81
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.1. 2 Vorstellungsrunde mit inhaltlichem Zentrum
Hintergrund
Diese Methode bietet sich bereits für die erste Sitzung des Seminars an.
Sie ermöglicht die Verknüpfung von Kennenlernen, Heranführung an das
Thema sowie bereits eine erste Präzisierung bzw. Eingrenzung der Inhalte.
Vorstellungsrunden nehmen insbesondere in größeren Gruppen oft sehr
viel Zeit in Anspruch, daher kann die Bildung von kleineren Gruppen angebracht sein.
Zur Weiterarbeit bietet sich im Anschluss eine Erläuterung des Semesterablaufs an. Dabei können die inhaltlichen Zentrierungen, die durch die
Methode erarbeitet wurden, mit den Schwerpunkten der Programmplanung
verknüpft werden.
Durchführung
Die Gruppen bilden sich möglichst nach einem Zufallsprinzip, z. B. durch
Abzählen (je nach Anzahl der Teilnehmenden ca. zwei bis fünf Gruppenmitglieder)
Die Teilnehmenden sollen sich austauschen zu:
Ich bin …
Zum Thema dieses Seminars bringe ich mit … (z. B. bestimmte Fragen
oder Erfahrungen)
Mich interessiert an dem Seminar …
Variation: Die Studierenden machen sich miteinander bekannt und
entwickeln eine erste Definition des interessierenden
Gegenstandes / Phänomens
Im Anschluss werden die Aspekte, die den Teilnehmenden im Laufe ihres
Austausches gemeinsam wichtig geworden sind, auf einem Plakat festgehalten. (z. B. Stichwörter, Motto oder These). Die Plakate der Gruppen werden
aufgehängt und jeweils von einer Person erläutert (Vorstellung der Gruppenmitglieder und der zentralen gemeinsamen Punkte).
III
82
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode stellt die gemeinsamen Interessen der Studierenden heraus
und vereinfacht es Lehrenden, an diese Interessen im Forschungsprozess
anzuknüpfen. Die Zentrierung auf gemeinsame Aussagen fördert bereits zu
Beginn ein erstes Teamgefühl sowie erste Prozesse der Kooperation.
Materialien
Flipcharts, Stifte
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 10 – 50
Benötigte Zeit: ca. 50 Min. (20 – 30 Min. für den Kleingruppenaustausch
und die Ergebnissicherung, 20 – 30 Min. für die anschließende Vorstellung
und Zusammenführung im Plenum)
Bei der Vorstellung der Plakate im Plenum kann es vorkommen, dass sich
die Sprechenden auf den Inhalt fokussieren und die Nennung der Gruppenmitglieder vergessen. In diesem Fall ist eine Erinnerung sinnvoll, da auch
die anderen Teilnehmenden die einzelnen Personen zumindest ansatzweise
kennenlernen sollen.
Quelle
Knoll, J. (2007). Kurs- und Seminarmethoden. Ein Trainingsbuch zur
Gestaltung von Kursen und Seminaren, Arbeits und Gesprächskreisen
(11. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz. (Methode: S. 122f.)
III
83
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.1.3 Erwartungsabfrage als Zeitreise
Hintergrund
Es ist hilfreich, wenn sich die Lehrperson zunächst einen Eindruck über
die Erwartungen der Studierenden verschafft, damit das Konzept auch auf
konkrete Bedürfnisse und Kompetenzen der Teilnehmenden ausgerichtet
werden kann. Beim Einsatz dieser oder ähnlicher Methoden in der zweiten
Sitzung ist bereits der erste Schritt in Richtung der gemeinsamen Zieldefinition erfolgt. Aus diesem Grund wird die hier vorgestellte Erwartungsabfrage auch aus der Zukunftsperspektive durchgeführt.
Das Element einer imaginären Zeitreise schafft einen lockeren Einstieg.
In der ersten Woche sind die Erwartungen meist noch zu global und unkonkret, da die Studierenden diese bis dato nur auf die Seminarbeschreibung
stützen können.
Ein Teil der Abfrage sollte auch den eigenen Anteil beinhalten, den die
Studierenden bei sich selbst sehen, um ihre Erwartungen zu erfüllen.
Dies verdeutlicht von Anfang an, dass Forschendes Lernen von den Beiträgen aller profitiert und von Interaktion lebt.
Durchführung
Die Lehrperson beginnt mit einer Zeitreise zur Einleitung (z. B. »Stellen
Sie sich vor, wir setzen uns jetzt in eine Zeitmaschine. Diese bringt uns ein
paar Monate in die Zukunft. Das Semester ist vorbei und Sie treffen sich
in einem Café mit dieser Seminargruppe wieder. Das Gespräch kommt auf
die gemeinsamen Erfahrungen in dieser Veranstaltung, und ich würde jetzt
gerne wissen ...«)
Auf einer Pinnwand sind drei Bereiche durch Überschriften
gekennzeichnet:
»Zum Glück ist folgendes passiert … «
»Zum Glück ist folgendes nicht passiert … «
» … und dazu habe ich folgendes beigetragen … «
Die Teilnehmenden schreiben auf vorher bereitgelegte Karten ihre Ideen
dazu. Im Anschluss kommen die Teilnehmenden nacheinander zur Pinnwand, bringen ihre Karten an und kommentieren ihren Beitrag kurz
und knapp.
III
84
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode ermöglicht es den Lehrenden, stärker auf die jeweiligen
Erwartungen und Bedürfnisse im Forschungsprozess eingehen zu können.
Durch den Einbezug des Anteils der Studierenden fördert diese Methode bereits zu Beginn die persönliche Verbundenheit mit dem gemeinsamen Ziel.
Die Ergebnisse der Erwartungsabfrage können zudem am Ende oder während des Forschungsprozesses erneut betrachtet werden und so als Basis für
die gemeinsame Reflexion dienen.
Materialien
Pinnwand, Moderationskarten, Stifte, Pinnnadeln
(Alternativ: Whiteboard und Magnete)
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 3 – 30
Benötigte Zeit: Instruktion und stille Arbeit ca. 10 – 15 Min., Sammeln
an der Pinnwand ca. 3 Min. je Teilnehmer_in
Diese Methode kann mit einer großen Gruppe etwas langwierig werden.
In diesem Fall empfiehlt sich, paarweise oder zu dritt über die Erwartungen
zu reflektieren und diese auf Karten zu notieren (ohne Beschränkung der
Kartenanzahl).
Die Beiträge sollten nicht bewertet werden. Allerdings kann im Anschluss
besprochen werden, welche Konsequenzen die gesammelten Erwartungen
für die Gestaltung des Seminars haben. Dabei wird auch deutlich gemacht,
was eventuell unrealistisch ist.
Quelle
Knoll, J. (2007). Kurs- und Seminarmethoden. Ein Trainingsbuch zur
Gestaltung von Kursen und Seminaren, Arbeits und Gesprächskreisen
(11. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz. (Methode: S. 124f.)
III
85
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.2 Ideen und Fragen entwickeln
und präzisieren
Für Studierende ist es oft eine besondere Herausforderung, im Rahmen Forschenden Lernens
eine eigene Forschungsfrage zu finden, diese einzugrenzen und ein geeignetes Forschungsdesign
zu wählen (vgl. Abschnitt B.3.1). Die Methoden
in diesem Abschnitt sollen dabei unterstützen,
die individuellen Interessen der Studierenden zu
präzisieren, in Bezug zueinander zu setzen und
Ideen für Forschungsfragen zusammenzutragen.
Sie fördern zudem den Einbezug der Studierenden in die Planung des Forschungsprozesses und
unterstützen die Studierenden, in die aktive forschend-lernende Rolle hineinzufinden.
III
86
III.2.1 Brain Walking
Hintergrund
Eine gute Durchblutung des Gehirns fördert den Ideenfluss im Gehirn
ganz entscheidend. Daher ist Bewegung ein wesentliches Element im
Zusammenhang mit kreativem Denken. Hat eine Seminargruppe schon
längere Zeit gesessen, dann lockert diese Methode auf und ist deshalb auch
nach dem Mittagessen gut anwendbar. Es handelt sich um eine Weiterführung der bekannteren Varianten ›Brain Writing‹ oder ›Brainstorming‹,
sollen deren Vorteile (ungestörte Assoziationsmöglichkeiten, keine Bewertung im Ideenfindungsprozess) übernommen werden, deren Nachteile
(statisch, etwas komplizierte Nachbearbeitung) jedoch vermieden werden.
Die Teilnehmer_innen bringen eigene Ideen ein und bauen auf Ideen
anderer auf, entwickeln diese weiter.
Durchführung
Auf mehreren, im Raum verteilt angebrachten Flipchartblättern steht oben
das gleiche Thema (Das ist wandelbar: Es lassen sich auch z. B. vier Flipcharts mit vier verschiedenen Themenbereichen im Raum verteilen).
Während der ersten Minuten schreiben die Teilnehmer_innen spontane
Einfälle auf das Flipchartblatt, bei dem sie stehen. Dann gehen sie im Raum
herum, sehen sich auf anderen Flipchartblättern die Einfälle der übrigen
Studierenden an und schreiben dort neue Assoziationen dazu.
Sie schreiten so nach und nach den Raum ab und entwickeln immer
wieder neue Ideen, die auf den Gedanken der anderen aufbauen.
Während der Ideensammlung wird nicht gesprochen, um den spontanen
Assoziationsfluss nicht zu unterbrechen (das muss nicht streng gehandhabt
werden, manchmal wirken kleine Gespräche unter den Teilnehmenden
auch auflockernd).
Die Blätter werden anschließend an einem gemeinsamen Ort aufgehängt.
Die folgende Auswertung richtet sich nach dem Ziel der Übung (Prioritäten
setzen, Clustern … ).
III
87
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode vereinfacht es, Ideen für Unterthemen und Teilfragen
zu entwickeln, diese zu ordnen und in Bezug zu der übergeordneten
Forschungsfrage des Seminars zu setzen. Sie kann auch bei der Auswahl
von Teilfragen oder bei der Präzisierung vom Teilfragen und der übergeordneten Forschungsfrage hilfreich sein. Die Methode ermöglicht die
gemeinsame Entwicklung des Forschungsprozesses und fördert die
Teamentwicklung.
Materialien
Flipchartblätter, Stifte
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 3 – 20
Benötigte Zeit: ca. 20 Min.
Quelle
Beyer, G., Dirlewanger, A., Schmidt, P., Schlicksupp, H., Kaan,
E. G. & Bußmann, N. (2001). So springt der Funke über. Kreativität im
Team. managerSeminar, 49, 32–42.
III
88
III.2.2 Themenlandkarte
Hintergrund
Eine Themenlandkarte zeigt die Teilbereiche und Zusammenhänge eines
Forschungsfeldes auf. Als Einstieg gibt sie eine grafisch visualisierte Inhaltsstruktur, die die Vorkenntnisse der Studierenden aktiviert, ihr Interesse
erhöht und eine erste Orientierung im Thema ermöglicht. Sie kann über
das gesamte Semester genutzt werden. So kann sie aufzeigen, was bereits
bearbeitet wurde und wo noch Lücken bestehen. Auch kann sie sukzessive
ergänzt werden, wenn sich durch die Beschäftigung mit dem Themenfeld
neue Perspektiven (z. B. weitere Theorien, Praxisanwendungen, Autoren)
eröffnen.
Durchführung
Eine Themenlandkarte kann auf unterschiedlichste Weise erstellt und ergänzt werden. Sinnvoll ist die Wahl einer beständigen Variante (nicht das
Whiteboard), die flexibel genug ist, um im Laufe des Semesters angepasst zu
werden. Es bieten sich z. B. eine Pinnwand oder ein digitales MindmappingProgramm an. Es ist hilfreich, wenn die Lehrperson eine Grundstruktur
vorschlägt, an der die Studierenden anknüpfen können.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode fördert die gemeinsame Entwicklung und Kontrolle des
Forschungsprozesses. Die Themenlandkarte kann auch zur Motivation der
Studierenden dienen, da die Themenlandkarte im Laufe des Semesters
Fortschritte und Erfolge der Studierenden aufzeigen kann.
Materialien
Die benötigten Materialien richten sich nach der gewählten Form.
Quelle
diverse; u. a. Arnemann (2016): Einstieg mit grafischer Themenübersicht.
Unter: https://dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/lehrformate-methoden/aktivieren-und-motivieren/motiviert-ins-semester/einstieg/
III
89
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.2. 3 Buzz Groups
Hintergrund
Buzz Groups, oder Murmelgruppen, stellen eine Form des Brainstormings
dar und können in verschiedenen Phasen einer Veranstaltung eingesetzt
werden. Grundprinzip ist, dass kleine Diskussionsgruppen gebildet werden,
die innerhalb von wenigen Minuten Ideen generieren, Problemlösungen
sammeln oder einen gemeinsamen Standpunkt zu einem Thema formulieren.
Buzz Groups können zur Aktivierung einer Lehrveranstaltung eingesetzt
werden. Sie fördern die Interaktion innerhalb der Studierenden sowie der
Teilnehmer_innen mit der Lehrperson. Durch das Gespräch in kleineren
Gruppen sinkt die Hemmschwelle zur Beantwortung einer Frage, es entsteht Raum für die aktive Auseinandersetzung mit einem Problem.
Die Methode lässt sich flexibel anwenden, einige Beispiele für ihre Funktion
können sein:
Einstieg in neues Problem, neues Thema
Vorwissen aktivieren
Diskussion animieren
Hemmschwelle für die Beantwortung von Fragen abbauen (z. B. wenn
sich auf Fragen in einer größeren Gruppe selten jemand meldet, können
Studierende kleine Diskussionsgruppen bilden, bevor Wortmeldungen
nach ein bis zwei Minuten im Plenum erfolgen)
Gehörtes Vertiefen
Aufmerksamkeit nach längeren Frontalphasen wieder erhöhen
Durchführung
Die Lehrperson stellt nach Ziel und Thema eine Frage an die Gesamtgruppe.
Sie bittet die Studierenden, mit ihren unmittelbaren Nachbarn zu zweit oder
zu dritt eine Gruppe zu bilden und die Frage kurz zu besprechen.
Die Studierenden werden informiert, wie viel Zeit ihnen zur Verfügung
steht. Meist reichen zwei bis fünf Minuten völlig aus. Es sollten nicht mehr
als vier Personen gemeinsam murmeln.
Nun stellt die Lehrperson die Frage noch einmal an das Plenum. Sie kann
das Zusammentragen bzw. die Diskussion frei öffnen oder sie bittet die
Gruppen, ihre Kerninhalte nacheinander vorzustellen.
III
90
Durchführung
Beispielfragen:
Einstieg in ein neues Thema – »Was wissen Sie schon über … ?«
Sie fördern damit die Motivation.
Evaluation – »Was war heute das Interessanteste für Sie?«
Lehrende können damit zu viele Wiederholungen vermeiden (wie sie mitunter bei Blitzlichtrunden auftauchen) und regen eine Auseinandersetzung
mit anderen Perspektiven an.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Durch die aktive Beteiligung unterstützt diese Methode die Studierenden, in die aktive forschend-lernende Rolle hineinzufinden. Sie kann die
Hemmschwelle für die aktive Beteiligung bei Studierenden mit geringem
Vorwissen abbauen und die Balance zwischen deren Wortbeiträgen und Beiträgen von aktiveren Studierenden mit größerem Vorwissen herstellen.
Materialien
Ggf. zur Visualisierung der Frage
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: ab 4
Benötigte Zeit: 5 – 10 Min. zuzüglich der gemeinsamen Diskussion im
Plenum
Quelle
Weidenmann, B. (2006). Handbuch Active Training. Die besten Methoden für
lebendige Seminare. Weinheim und Basel: Beltz. (Methode: S. 25f.)
III
91
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.2.4 Reality Check
Hintergrund
Der Reality Check unterstützt die Studierenden dabei zu präzisieren, wo
ihre Interessen liegen. Es geht auch darum, die Gruppe dafür zu sensibilisieren, wie sich das, was in einem begrenzten Zeitraum und mit den
vorhandenen Fähigkeiten realistisch möglich ist, möglichst anspruchsvoll
gestalten lässt.
Durchführung
Variante 1 zur Präzisierung von Forschungsfragen:
Die Studierenden schreiben ihre Teilfragen individuell oder in den bereits
gebildeten Kleingruppen auf. Dabei kommen – gerade bei unerfahreneren
Studierenden – häufig ziemlich anspruchsvolle Projektideen heraus. Eine
der eingereichten Teilfragen wird dann im Plenum einer Realitätskontrolle
unterzogen und überarbeitet:
Wo liegt der Kern der Frage, was genau soll untersucht werden?
Welche Art von Daten (und Methoden) werden zur Beantwortung der
Frage benötigt?
Welche Informationen und Daten sind (für Teilnehmer_innen) verfügbar?
Warum ist das so?
Gibt es in den gesichteten Quellen Studien, an die sich vom Ansatz oder
Design her anknüpfen lässt?
Welches Fachwissen und welche Fähigkeiten bringen die Forscher_innen
mit?
Das Prinzip der Überarbeitung wird ein- oder zweimal gemeinsam im
Plenum durchlaufen. Die Studierenden beteiligen sich am Feedbackprozess.
Im Anschluss lassen sich die übrigen Vorschläge in Kleingruppen überarbeiten – bei Einzelprojekten mit der Maßgabe, dass das Projekt durchführbar, aber weiterhin spannend bleibt; bei Gruppenprojekten mit der Maßgabe, einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten.
Variante 2 zur Entwicklung eines Forschungsdesigns:
Nachdem die Studierenden eine vorläufige Forschungsfrage gefunden
haben, schreiben sie die Antworten zu den folgenden Leitfragen individuell
oder in den bereits gebildeten Kleingruppen auf:
III
92
Durchführung
Welche Untersuchungsgegenstände, welche Stichproben etc. werden
untersucht und warum genau diese?
Mit welchen Methoden und Instrumenten?
Wie werden die Ergebnisse ausgewertet?
Ein eingereichter Vorschlag wird wie zuvor im Plenum einer Realitätskontrolle unterzogen und überarbeitet. Im Anschluss lassen sich die übrigen Vorschläge in Kleingruppen überarbeiten. Alternativ können die Studierenden auch aufgefordert werden, jeweils zwei Untersuchungsdesigns zu
lesen und Rückmeldung zu geben, um ein Peer-Feedback zu ermöglichen.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Die Entwicklung einer eigenen Forschungsfrage und eines Forschungsdesigns sind zentrale Momente im Prozess des Forschenden Lernens.
Häufig haben Studierende gerade bei diesen Aufgaben Schwierigkeiten und
nehmen sich zu viel vor. Ein Reality Check ist hilfreich für die Präzisierung
und die Überprüfung der Realisierbarkeit. Das gegenseitige Feedback durch
die Studierenden fördert auch während der Forschungsphase die aktive
forschend-lernende Rolle der Studierenden.
Materialien
Ggf. Arbeitsbögen mit den Leitfragen
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: ab 4 Personen
Benötigte Zeit: Die Zeit richtet sich nach den Vorarbeiten, der Anzahl der
zu diskutierenden Projekte pro Kleingruppe und nach dem individuellen
Beratungsbedarf.
Einige Studierende werden Probleme dabei haben zu formulieren, welcher
wissenschaftlichen Fragestellung sie nachgehen möchten. Hier ist es sinnvoll, diese im oben genannten Prozess besonders zu unterstützen – oder zur
Not mögliche Teilfragen oder geeignete in der Hinterhand zu haben, aus
denen diese Studierenden auswählen können.
Quelle
Deicke, W. (2008). reality check – a tool for developing research questions.
Oxford: Ruskin College Oxford (unpublished manuscript).
III
93
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
hineinzubringen. Die Methoden in diesem Abschnitt geben konkrete Anregungen dazu, wie die
Studierenden eigenständig erarbeitetes Wissen
teilen und sich gegenseitig vermitteln können.
III.3 Wissen teilen und vermitteln
Auch bei der Vermittlung von zentralen Inhalten
ist es wichtig, die Studierenden durch aktive Beteiligung in die aktive forschend-lernende Rolle
III.3.1 Jigsaw
Hintergrund
Die Methode des Jigsaw (oder Gruppenpuzzle) unterstützt die Studierenden
darin, Inhalte selbst zu erarbeiten und zu präsentieren. Dabei werden die
Inhalte nicht nur rezipiert, sondern gleich in der Gruppe strukturiert und
bearbeitet. Sie eignet sich insbesondere, wenn eine gemeinsame Wissensbasis als Diskussionsgrundlage geschaffen werden soll.
Durchführung
Nach einer Einführung der Methode und einer Übersicht über die betreffenden Inhalte, werden die Studierenden je nach Vorwissen, Erfahrungen oder
Kompetenzen in Kleingruppen aufgeteilt.
Diese Expert_innengruppen beschäftigen sich mit dem jeweiligen Inhalt
und erarbeiten dessen Vermittlung.
In der zweiten Phase gehen die Expert_innen in neu gebildete Kleingruppen
und vermitteln den zuvor erarbeiteten Inhalt. Diese Kleingruppen setzen
sich so zusammen, dass aus jeder Expert_innengruppe eine Person anwesend ist.
Im Anschluss erfolgt eine gemeinsame Bearbeitung im Plenum. Das kann
die Diskussion der Ergebnisse, die Anwendung an einem konkreten Fallbeispiel oder etwas anderes sein.
III
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Stellenwert im
Forschenden Lernen
Durch die eigenständige Erarbeitung einer gemeinsamen Wissensbasis
unterstützt diese Methode die Studierenden, in die aktive forschendlernende Rolle hineinzufinden. Sie kann die Hemmschwelle für die aktive
Beteiligung bei Studierenden mit geringem Vorwissen abbauen und die
Balance zwischen den Wortbeiträgen dieser Studierender und der aktiveren
Studierenden mit größerem Vorwissen herstellen.
Materialien
Ggf. Texte mit den Inhalten für die Expert_innengruppen, Material zur
Vorbereitung der Präsentation in den Kleingruppen (Blätter oder Flipcharts,
Stifte)
Zu beachten …
Empfohlenen Teilnehmerzahl: ab 4 Personen möglich
Benötigte Zeit: Jigsaw ist sehr zeitaufwendig. Die Studierenden müssen sich
koordinieren, Inhalte aneignen, aufbereiten und weitergeben.
Genauere Angaben sind ohne die Kenntnis des Inhaltes nicht möglich.
Die Methode lässt sich jedoch auch auf zwei Sitzungen verteilen.
Quelle
Stary, J. & Kretschmer, H. (1994). Umgang mit wissenschaftlicher Literatur.
Berlin: Cornelsen Scriptor.
III
95
III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.3.2 Fishbowl-Diskussion
Hintergrund
Die Fishbowl-Methode ist eine abgewandelte Form der Podiumsdiskussion.
Hier diskutiert ein Teil einer größeren Gruppe stellvertretend für den Rest
der Gruppe. Die anderen Teilnehmenden können jedoch die Diskussionen
kommentieren und zeitweilig auch der Diskussion neue Impulse geben. Die
Fishbowl-Diskussion lässt sich vielfältig anwenden, u. a. um Entscheidungen
zu finden, Arbeitsergebnisse und verschiedene Standpunkte zu diskutieren
oder das Wissen in größeren Gruppen zu teilen und zu vermitteln.
Durchführung
Ca. vier bis fünf Studierende bilden einen Innenkreis, in dem eine bestimmte Frage diskutiert wird. Die restlichen Studierenden bilden einen
Außenkreis und beobachten die Diskussion. Die moderierende Person
(Lehrende_r oder Studierende_r) stellt eine Frage zur Diskussion. Es können auch nacheinander mehrere Fragen diskutiert werden. Primär diskutiert der Innenkreis, der Außenkreis beobachtet die Diskussion. Er bewertet
und analysiert den Verlauf und gegebenenfalls den Weg zur Entscheidungsfindung. Der Innenkreis kann beispielsweise mit Vertreter_innen bestimmter Arbeitsgruppen besetzt oder zufällig bestimmt werden. Abhängig ist dies
vom jeweiligen Ziel der Diskussion. Eine Moderation ist nicht unbedingt
notwendig, bei Diskussionen mit hohem Konfliktpotenzial jedoch zu empfehlen.
Varianten zum Einbezug des Außenkreises:
Der Innenkreis lädt den Außenkreis gelegentlich dazu ein, sich in die
Diskussion einzubringen.
Im Innenkreis wird ein zusätzlicher Stuhl platziert, auf den sich
Personen aus dem Außenkreis setzen können, um sich in die
Diskussion einzubringen.
Die Studierenden aus dem Außenkreis können eine Person im
Innenkreis antippen und ablösen, wenn sie sich einbringen möchten
oder das Gefühl haben, dass die Diskussion in eine einseitige
Richtung verläuft.
III
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Stellenwert im
Forschenden Lernen
Die Fishbowl-Methode kann Frontalsituationen im Seminar auflösen.
Durch die aktive Beteiligung unterstützt diese Methode die forschendlernende Rolle der Studierenden. Sie verringert die Hemmschwelle für die
aktive Beteiligung bei Studierenden mit geringem Vorwissen und kann eine
Balance zwischen den Wortbeiträgen aktiverer und weniger aktiver Studierender herstellen. In der Phase der Umsetzung kann sie als Format für
›Reality Checks‹ einzelner Forschungsfragen und Forschungsdesigns dienen oder zur Entscheidungsfindung über den weiteren Forschungsprozess
beziehungsweise das Abschlussprodukt. Die Methode ist zudem geeignet,
um Zwischenergebnisse der einzelnen Projektgruppen zu präsentieren und
zu diskutieren.
Materialien
Stühle für den Innen- und Außenkreis
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 4 – 5 im Innenkreis, ca. 10 – 20 im
Außenkreis
Benötigte Zeit: Die Zeit richtet sich nach dem Ziel und der Komplexität der
Frage. Pro Frage sollten etwa 15 – 30 Min. eingeplant werden.
Quelle
Grolman, F. (2016): 11 Methoden für Interaktive Konferenzen, Seminare und
Workshops. Unter: https://organisationsberatung.net/methoden-fuer-interaktive-konferenzen-seminare-workshops/#Fishbowl-Diskussionen, GoetheInstitut (2016): »Fishbowl«-Diskussionsmethode.
Unter https://www.goethe.de/resources/files/pdf1/pk5793988.pdf
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III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.3.3 Gallery
Hintergrund
Gallery knüpft an eine Gruppen- oder Einzelarbeit an und dient dem
Austausch und der Auswertung von Arbeitsergebnissen. Sie kann z. B. in
der Phase der eigentlichen Umsetzung des Forschungsdesigns an den
Präsenzterminen angewandt werden und frontale Präsentationen ersetzen,
um mehr Interaktion und Kooperation zu fördern. In der Literatur finden
sich unter dem Namen ›Gallery‹ zwei sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, die hier beide vorgestellt werden. Voraussetzung ist jedes Mal, dass
die Kleingruppen ihre Arbeitsergebnisse bereits visualisiert bzw. aufbereitet
haben. Am besten funktioniert es, wenn die Kleingruppen bereits Fragen
an die anderen Studierenden vorbereitet haben, um das Potenzial des Feedbacks ausnutzen zu können.
Durchführung
Variante 1:
Die Arbeitsergebnisse der Gruppen (Forschungsdesign, erste Ergebnisse,
Darstellung einer theoretischen Perspektive o. Ä.) sind auf Plakaten visualisiert und werden im Raum aufgehängt. Die gesamte Seminargruppe läuft
nun gemeinsam an den Postern entlang, ähnlich eines Museumsbesuchs
oder einer Postersession auf einer Konferenz. An jedem Plakat gibt es ein
kurzes Impulsreferat mit anschließender Diskussion, bevor die Studierenden weiterziehen.
Variante 2:
Es werden, ähnlich wie beim Jigsaw, Kleingruppen gebildet, die sich aus
Mitgliedern der Arbeitsgruppen zusammensetzen. Die Beiträge der einzelnen Gruppen werden nun nacheinander vorgestellt und diskutiert.
Das Feedback sollte protokolliert werden, damit es wieder zurück in die
ursprünglichen Arbeitsteams getragen werden kann.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Durch diese Methode behalten die Studierenden die Projekte ihrer Mitstudierenden und das gemeinsame Ziel im Blick. Das gegenseitige Feedback
durch die Studierenden fördert auch während der Umsetzungsphase die
aktive forschend-lernende Rolle der Studierenden.
III
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Materialien
Flipcharts oder Plakatvorlagen
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: max. 25
Benötigte Zeit: Die Zeit richtet sich nach dem Umfang der aufbereiteten
Ergebnisse und der Anzahl der Kleingruppen.
Bei beiden Varianten sollte eine Person auf die Zeit achten, damit alle
Gruppen genügend Raum zur Besprechung ihrer Ergebnisse haben.
Quelle
Romoth, F. (2014). Reader: Methodenkoffer. Tutoren-Handreichung. Rostock:
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Rostock.
Bühs, R. (2016). Gallery Walk. Unter: http://www.buehs.com/Publikationen/
lerntagbuch_gallery_walk.pdf
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III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
Meinungen der Lehrperson orientieren. Vielmehr
erhalten sie Anregungen aus der gesamten Gruppe. Die Methoden in diesem Abschnitt illustrieren, wie Lehrende Feedback unter den Studierenden anregen können (vgl. auch die einführenden
Abschnitte B.3.3 und II.3 zum Thema Feedback
sowie B.4.3 zum Thema Reflexion).
III.4 Feedback
Regelmäßiges kollegiales Feedback der Studierenden fördert deren aktive forschendlernende
Rolle im gesamten Forschungsprozess. Eine entsprechende Feedbackkultur unterstützt die eher
moderierende Rolle von Lehrenden im Forschenden Lernen, da die Studierenden ihren Arbeitsprozess nicht allein an den Bewertungen und
III.4.1 One-Minute-Paper
Hintergrund
Mit Hilfe des One-Minute-Papers werden Lernergebnisse und offene Fragen
am Ende einer Seminareinheit erhoben. Dabei setzen sich die Studierenden noch einmal aktiv mit den Inhalten auseinander, ziehen ihre eigenen
Schlüsse. Lehrende erhalten einen guten Überblick zum aktuellen Stand
und Bedarf. Diese Methode ist sehr kurzweilig und niedrigschwellig und
eignet sich dafür, regelmäßig eingesetzt zu werden.
Durchführung
Am Ende eines Veranstaltungsblocks beantworten die Studierenden schriftlich auf einem Blatt folgende Fragen:
»Welche wichtigen Erkenntnisse haben Sie heute gewonnen?«
»Welche Fragen sind offen geblieben bzw. welche weiterführenden Fragen
haben sich heute herauskristallisiert?«
Die Antwortzeit sollte auf max. drei Minuten begrenzt sein. Im Anschluss
werden alle Zettel eingesammelt (anonym). Die Lehrperson kann diese
zwischen den Sitzungen auswerten und die ›Ergebnisse‹ in die weitere
Seminarplanung einfließen lassen.
Die Impulsfragen können bei Bedarf variiert werden.
III
100
Durchführung
Varianten:
Diese kleine Sequenz kann auch als eine Art Lerntagebuch dienen. In diesem Fall würden die Studierenden die Antworten behalten. Die Lehrperson
bittet die Studierenden, die offenen Fragen zum nächsten Mal mitzubringen oder selbst zu beantworten (in ihren Impulsvorträgen, Forschungsgruppen …). Die gewonnenen Erkenntnisse könnten in einem wöchentlichen Blog zusammengetragen werden.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Diese Methode ermöglicht es den Studierenden, Einfluss auf den weiteren
Verlauf des Seminars zu nehmen. Gerade bei Studierenden mit sehr unterschiedlichem Vorwissen wird durch das One-Minute-Paper deutlich, wer
an welcher Stelle weitere Hilfestellungen benötigt. Die gemeinsame übergeordnete Forschungsfrage und der Bezug der Einzelsitzungen zum gesamten Forschungsprozess bleiben so stets im Blick.
Materialien
Vorbereitete Blätter mit den Fragen
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: unbegrenzt
Benötigte Zeit: 5 Min. (inkl. Instruktion und Einsammeln)
Die Studierenden sollten nicht das Gefühl bekommen, kontrolliert oder
bewertet zu werden.
Quelle
angelehnt an Lehner, M. (2013). Viel Stoff – wenig Zeit. Bern,
Stuttgart, Wien: Haupt-Verlag.
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III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.4.2 Punkteabfrage
Hintergrund
Punkteabfragen dienen dazu, Urteile oder Bewertungen der Gruppe sichtbar
zu machen. Sie können sowohl Ausgangspunkt einer Diskussion darstellen,
als auch Feedback übersichtlich abbilden oder Entscheidungen über das
weitere Vorgehen erleichtern. Gerade in größeren Gruppen kann jede_r ein
eigenes Urteil abgeben, ohne dass z. B. recht zeitaufwendig reihum alle zu
Wort kommen. Ausgangspunkt ist immer eine oder mehrere präzise formulierte und visualisierte Fragen und ein vorstrukturiertes Antwortformat.
Durchführung
Auf einem vorbereiteten Plakat werden nach ausführlicher Instruktion zu
verschiedenen Aspekten des Seminars (Thema, Klima, Methode …) Punkte
platziert, welche die relative Zustimmung zu den entsprechenden Äußerungen sichtbar macht. Vorher muss die Anzahl der Punkte festgelegt werden,
die jedes Gruppenmitglied vergeben darf. Dann werden die Punkte ausgeteilt und individuell aufgeklebt. Das entstandene Bild sollte kommentiert
und ausgewertet werden.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Durch diese Methode können Studierende Einfluss auf den weiteren Verlauf des Seminars nehmen. Sie kann z. B. genutzt werden, um Prioritäten
hinsichtlich relevanter Teilfragen, des Abschlussprojekts oder weiterer Vorgehensweisen zu verdeutlichen. Ebenso kann die Punkteabfrage den Stand
des Arbeitsprozesses und den Beratungsbedarf der Studierenden während
des Forschungsprozesses ermitteln. Um Fortschritte darzustellen, kann das
Plakat zu einem späteren Zeitpunkt nochmals mit Klebepunkten in einer
anderen Farbe beklebt werden.
Materialien
Vorbereitete Pinnwand, Klebepunkte (ersatzweise Whiteboard und Stifte)
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 5 – 50
Benötigte Zeit: 5 – 10 Min. für Instruktion und Durchführung,
Auswertungszeit ist abhängig von Ziel und Gegenstand der Abfrage.
III
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Quelle
u. a. Freimuth, J. (2000). Moderation in der Hochschule. Konzepte und
Erfahrungen in der Hochschullehre und Hochschulentwicklung.
Hamburg: Windmühle. (Grafik: S. 55)
Beispiel Durchführung: Punkteabfrage
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III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.4. 3 Auswertungszielscheibe
Hintergrund
Die Auswertungszielscheibe ist eine mögliche Form, Seminarfeedback
am Ende oder zur Hälfte des Semesters einzuholen. Wie auch bei einigen
anderen Methoden fungiert es wie eine ›Schablone‹, in die die relevanten
Aspekte eingetragen werden. Diese kann die Lehrperson im Voraus festlegen oder gemeinsam mit den Studierenden erarbeiten.
Durchführung
An einer Pinnwand (o. ä. Visualisierung) wird eine Zielscheibe erstellt, auf
der von 1 (Volltreffer, Mitte) bis 5 (kaum, nur am Rande) einzelne Aspekte
des Seminars bewertet werden sollen.
Zunächst erstellen die Studierenden die Bewertungen erst einmal für sich
selbst. Diese werden dann mit einem Punkt oder Kreuz auf die Pinnwand
übertragen. Das gesamte Feedbackbild wird im Anschluss gemeinsam
ausgewertet.
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Die Methode eignet sich als Zwischenfeedback oder für die Reflexion am
Semesterende, um insbesondere den gemeinsamen Forschungsprozess zu
reflektieren und Feedback zum eigenen Lehrhandeln zu erhalten.
Materialien
Vorbereitete Pinnwand, Klebepunkte oder Stifte (alternativ Whiteboard,
Flipchart, Smartboard), Notizblätter
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 5 – 25
Benötigte Zeit: mind. 30 Min.
Es wird anonymer, wenn die Studierenden die Aspekte gleichzeitig evaluieren, anstatt nacheinander.
Quelle
Ladwig, A. & Auferkorte-Michaelis, N. (2012). Feedback – Methodenbar.
Feedbackmethoden im Lehralltag. Universität Duisburg-Essen.
III
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Beispiel Durchführung: Auswertungszielscheibe
III
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III _ Material- und Methodensammlung _ Toolbox zur Seminargestaltung
III.4.4 Zeitungsredaktion
Hintergrund
Diese Methode ermöglicht ein umfassendes Bild der aktuellen Seminarsituation aus mehreren Perspektiven. Das Erstellen einer fiktiven Seminarzeitung eignet sich insbesondere für ein Zwischenfeedback oder die Auswertung des gemeinsamen Arbeitsprozesses am Semesterende. Durch die
verfremdete Darstellung (Zeitung) gewinnt die Gruppe Distanz zur eigenen
Situation. Das Medium regt dazu an, die Dinge etwas zu überzeichnen und
humoristisch zu beschreiben. So fällt es vielen leichter, positive Ereignisse
ins Licht zu setzen und kritische Aspekte offen darzustellen.
Durchführung
Es werden kleinere Redaktionsgruppen analog zu den Ressorts einer
Zeitung gebildet, z. B. Titelseite, Wetterbericht, Anzeigenmarkt, Wirtschaft &
Politik, Feuilleton usw.
Aufgabe ist es, die aktuelle Situation bzw. rückblickend das Seminar zu erörtern und passend zum jeweiligen Ressort dazu eine aktuelle Zeitungsseite
zu gestalten.
Die Ergebnisse werden anschließend in einer gemeinsamen ›Redaktionskonferenz‹ präsentiert, gewürdigt und ausgewertet.
Variante: Diese Methode kann auch in einer Kurzform als eine Art erweitertes Blitzlicht zur Auswertung einer Sitzung verwendet werden. Die Lehrperson vergibt die Ressorts an zwei bis drei Sitznachbar_innen und stellt
die Aufgabe, alles Revue passieren zu lassen und dann entsprechend dem
jeweiligen Ressort eine Schlagzeile zu formulieren.
(z. B. Anzeigenmarkt: ›Suchen Experten für Theorie X‹ oder
Titelseite: ›Endlich Durchbruch bei …‹)
Stellenwert im
Forschenden Lernen
Die Methode eignet sich als Zwischenfeedback oder für die Reflexion am
Semesterende, um den Lern- und Forschungsfortschritt der Studierenden
festzuhalten und den gemeinsamen Forschungsprozess zu reflektieren.
III
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Beispiel Durchführung: Zeitungsredaktion
III
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Materialien
Flipchart oder Pinnwand, um die Ergebnisse zu sammeln; Papier und Stifte;
ggf. Zeitungen als Anregungen, Schere, Kleber, farbiges Papier
Zu beachten …
Empfohlene Teilnehmerzahl: 6 – 30
Benötigte Zeit: Wenn die Studierenden Zeit haben sollen, ausführlich über
das Seminar, den Arbeitsprozess und die Gruppenatmosphäre zu reflektieren und das entsprechend aufzubereiten, werden 60 – 90 Min. benötigt. Der
Prozess lässt sich auch verkürzen, indem die Studierenden nur Schlagzeilen
produzieren oder weniger Wert auf die Gestaltung legen.
Quelle
Funcke, A. & Havenith, E. (2014). Moderations-Tools. Anschauliche, aktivierende und klärende Methoden für die Moderationspraxis (4. Aufl.). Bonn: managerSeminare Verlags GmbH. (Methode: S. 115 – 117)
III
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Die Autorinnen und Autoren
Monika Sonntag studierte Geographie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung an der Universität Trier
und an der Université de Montréal in Kanada. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeiten am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner bei
Berlin und an der Universität Bremen promovierte sie an der Humboldt-Universität zu Berlin in der Kultur- und Sozialgeographie. Am bologna.lab der HumboldtUniversität betreut sie derzeit Projekte und Fortbildungen zum Forschenden Lernen mit dem Ziel, die Verbindung von Forschung und Lehre an der Universität zu
stärken und innovative Lehr- und Lernformen zu fördern.
Julia Rueß studierte Diplom-Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin, wobei empirische Sozialforschung den
Schwerpunkt ihres Studiums bildete. Vor ihrer Tätigkeit am bologna.lab arbeitete sie als Beraterin bei Rambøll Management Consulting, wo sie vorrangig in die
Evaluation bildungspolitischer Projekte eingebunden war. Im bologna.lab ist sie für die wissenschaftliche Begleitforschung der umgesetzten Projekte zuständig.
Dabei untersucht sie die Wirkungen und Wirkmechanismen der erprobten Lehr-Lernformate mit dem Ziel einer systematischen Weiterentwicklung. In ihrer
Doktorarbeit analysiert sie vertiefend die Frage, wie die epistemologischen Überzeugungen von Studierenden verändert werden können.
Carola Ebert studierte Architektur an der Technischen Universität Berlin sowie am University College London und promovierte an der Universität Kassel im
Bereich Architektur- und Kulturgeschichte. Neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit am Fachbereich Architektur Landschaftsplanung Stadtplanung der
Universität Kassel war sie als Dozentin für fachspezifische wie auch fächerübergreifende Schlüsselqualifikationen an verschiedenen Universitäten tätig.
Am bologna.lab ist sie für die Konzeption und Durchführung verschiedener Fortbildungsangebote zum Forschenden Lernen zuständig. Seit ihrer Ausbildung bei
artop, einem Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, ist sie zudem freiberuflich als Coach und Kommunikationstrainerin tätig.
Kathrin Friederici studierte Psychologie mit den Nebenfächern Vergleichende Erziehungswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre an der HumboldtUniversität zu Berlin. Zurzeit promoviert sie im interdisziplinären Postgraduate Program Microenergy Systems am Zentrum für Technik und Gesellschaft der
Technischen Universität Berlin. Seit ihrer Ausbildung zum Trainer and Coach for Cross-Cultural Competence bei artop und einer Weiterbildung als Online-Tutorin
bei der Daten+Dokumentation GmbH ist sie an verschiedenen Hochschulen als freie Dozentin, Trainerin und Beraterin tätig. Am bologna.lab ist sie zuständig für
die Konzeption und Durchführung des didaktischen Begleitprogramms im Q-Programm.
Laura Schilow studierte Anglistik und Italianistik an der Universität Leipzig, der Università degli Studi di Palermo und der Bangor University sowie
Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Am bologna.lab der Humboldt-Universität ist sie sowohl für die Koordination
des Q-Programms als auch für die Konzeption und Durchführung von Fortbildungen zum Forschenden Lernen zuständig.
Wolfgang Deicke studierte Soziologie und Politikwissenschaften an der Universität Hamburg und der Postgraduate School of Peace Studies in Bradford.
Er war Dozent für Soziologie, Politikwissenschaften und Europäische Sozial- und Geistesgeschichte an der Universität Northampton, der School of Oriental and
African Studies in London und am Ruskin College, Oxford. In Northampton und Oxford sammelte er als Fachbereichsleiter für Politik bzw. Sozialwissenschaften
umfangreiche Erfahrungen in der Umsetzung des Bologna-Prozesses und der Entwicklung innovativer und interdisziplinärer Studiengänge. Seit 2012 ist er Leiter
des bologna.labs an der Humboldt-Universität zu Berlin und beschäftigt sich insbesondere mit der curricularen Verankerung von Forschendem Lernen.
III
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Das Interesse an einer engeren Verbindung von Forschung und Lehre hat in jüngster Zeit stark
zugenommen. Dieser Leitfaden bietet Hochschullehrenden einen Einstieg in das ›Forschende
Lernen‹ vom Konzept bis hin zur konkreten praktischen Umsetzung im Seminar.
Inhalt
Zielgruppen
Im ersten Teil des Leitfadens wird die Lehr-Lernform
Forschenden Lernens zunächst definiert und in den
zentralen Charakteristika beschrieben.
Hochschullehrende, die Interesse daran haben, (die
eigene) Forschung mit Lehre zu verbinden
Der zweite Teil enthält konkrete Hinweise zur Vorbereitung und Durchführung von Seminaren im Format
des Forschenden Lernens.
Im dritten Teil wird Forschendes Lernen im weiteren Feld forschungsbezogener Lehre verortet, um die
Besonderheiten dieser Lehr-Lernform im Vergleich
herauszuarbeiten und interessierten Lehrenden ergänzende Anregungen zu geben, wie Forschung und Lehre
auch in anderen Formaten miteinander verbunden werden können.
Eine ergänzende Material- und Methodensammlung
enthält Arbeitsmaterialien und Empfehlungen zu didaktischen Methoden, die speziell für die praktische Umsetzung Forschenden Lernens genutzt werden können.
Hochschuldidaktiker_innen und Hochschulentwickler_innen, die Interesse daran haben, Fortbildungen,
Workshops oder Beratungen zum Forschenden Lernen
anzubieten
Autor_innen
Monika Sonntag, Julia Rueß, Carola Ebert, Kathrin Friederici, Laura Schilow und Wolfgang Deicke sind Mitarbeiter_innen des bologna.labs der Humboldt Universität zu Berlin und dort seit 2012 mit der Entwicklung
und wissenschaftlichen Begleitung von Projekten zum
Forschenden Lernen befasst. In diesem Rahmen bieten
sie für Lehrende Fortbildungen zur Didaktik im Forschenden Lernen an.
ISBN 978-3-86004-328-8