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"Fatê were civatê": Bildung integriert, Integration bildet

„Fate were ciwatê“: Eine Tagung NAVEND - Kurdisches Informations- und Dokumentationszentrum e.V., das seinen Sitz in Bonn hat, veranstaltete am 28. Juni 2011 eine Fachtagung über das Thema „Bildung integriert - Integration bildet. Potenziale in Schule und Elternhaus am Beispiel kurdischer MigrantInnen“ in Düsseldorf. Es war eine Tagung, auf der das Kurden-Thema wieder ohne einheitliches Konzept diskutiert wurde. Es scheint so, als ob man den Kurden eine Kleidung schneidert, ohne ihre Größe zu wissen. Auf der Tagung wurde von Immigranten und derer Integration gesprochen und es wurden Daten der verschiedenen Gruppen analysiert. Man hat über Türken, Italiener, Griechen, Polen etc. und von ihren Organisationen gesprochen, aber das Kurdisch-Sein wurde nicht in den analysierten Daten berücksichtigt. Der Anlass dieser Analyse ist nicht, dass diese Tagung besonders oder außergewöhnlich war. Im Gegenteil: Sie hat gezeigt, dass die Wahrnehmung der Kurden von dem deutschen Staatsapparat in diesem Sinne im Jahr 2011 nach wie vor gleich geblieben ist und sich keineswegs geändert hat. Cahit Basar der RAA Köln wurde in der Fachtagung als Vorbild für die kurdische Integration in Deutschland eingeladen. Er hat die Möglichkeiten des Aufstiegs in der Gesellschaft dargestellt und die altbekannte Aussage, dass wenige kurdische Kinder das Gymnasium aber viele die Realschule besuchen, analysiert. Das ist jedoch eine Behauptung und entspricht nicht konkreten Fakten. Jede Organisation wie RAA (Regionale Arbeistsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) gehört zu den Organisationen, die das interkulturelle Miteinander als Chance sehen. Welche Kulturen sind eigentlich diejenigen, die miteinander agieren sollen? Wenn eine Kultur offiziell daraus ausgeschlossen ist, wieso sollen die Vertreter oder (sogar auch) Träger der jeweiligen Kultur sich darum kümmern und unbedingt „inter“-agieren? Dr. Nils Berkenmeyer vom Institut für Schulentwicklungsforschung, in Dortmund hat in seinem Vortrag (Zuwanderungshintergrund als Ressource oder Balast?) dafür plädiert, dass die Institutionen sich mehr um die Kinder kümmern sollen, als deren Eltern. Seiner Meinung nach sollen die Bildungsinstitutionen die Kinder umringen, weil sie die Enkulturation (kulturelle Einbindung) der Kinder stark beeinflussen müssen! Wenn auch die Enkulturation der Kinder von den offiziellen Institutionen geleistet wird, wird nicht mehr „Integration“ sondern „Assimilation“ der Fall Vgl. Schrader u.d.a. 1979. So gesehen passen die Forderung von Berkenmeyer und von Ihm zitiertes Schulgesetzes NRW, §2, 10 gar nicht zusammen. Ralf Dolgner, vom Ministerium für Schule und Weiterbildung von NRW; Schulleiter Hans-Joachim Reich (Gemeinschaftsgrundschule Burg Hackenbroich) und Dr. Antonietta P. Zeoli von der RAA haben geschildert, wie groß der Anteil ausländischer Kinder in Schulen ist und was für Schwierigkeiten diese Situation verursacht. Daher wurde behauptet, dass es zu wenig Lehrkräfte für Kurdisch oder das Alewitentum gäbe, was die Situation der Kurden in Deutschland widerspiegelt. Wie es unten mit dem Fall des kurdischen Lehrers Herr Ulumaskan dargestellt wird, wird die reale Situation der Kurden nicht richtig wahrgenommen. Prof. Dr. Veronika Fischer von der Fachhochschule Düsseldorf hat ihren Vortrag Partner auf Augenhöhe betitelt und die Rolle der Elternbildung für die Mitwirkung in Bildungsinstitutionen analysiert. Prof. Fischer hat die ungleiche Position von den Eltern und LehrerInnen betont. Die altbekannte Tatsache, dass die Erwartung der Eltern von ihren Kindern groß ist, kam wieder ins Spiel. Dr. Faraj Remo, ein Kurde aus dem Libanon mit einem deutschen Pass, hat in Anlehnung am Paul Mecherils Ansatz von den multiplen Zugehörigkeiten erzählt. Er hat betont, dass die neuen Generationen auch hybride Identitäten haben dürfen, so wie das Recht anders zu sein. Seine Darstellung hat er durch die Namen Azad und Rojda und mit den deutschen und kurdischen Flaggen veranschaulicht. Natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeit, so Dr. Remo, bilden die multiple Identitäten der neuen Generationen. Die theoretische Grundlage dieses Ansatzes befindet sich bei Mecheril (2003), die besagt „Die Anerkennung durch Andere ist der Selbst-Anerkennung vorgelagert“. Dieser Ansatz geht von der Annahme aus, dass die Selbstanerkennung nur durch die Fremdanerkennug entwickelt werden kann. Das kann eine reine wissenschaftliche Ebene im Hinblick auf die Identitätsbildung im Rahmen der „emisch“en bzw. “etisch“en Betrachtungsweise schildern, aber auch das bezeichnen, was man Identifikationmacht nennt. Wer die Macht der Idendifikation beherrscht, entscheidet wer, was, wie etc. ist. Darüber hinaus kann der Ansatz von Mecheril auch als die Missachtung des Anderen interpretiert werden. Wenn man die Anderen nicht so kennt wie sie sind, sieht man sie so, wie man sie sehen will. Die Kurden bilden hier wieder ein Paradebeispiel: Wenn man die „etische“ Betrachtungsweise als die Betrachtungsweise der Herrschenden (z.B. des türkischen Staates) nimmt, werden die Kurden nicht existieren. Dies ist in der emisch-etisch-Diskussion problematischer als „Hexen können echt fliegen“. Für eine bessere Integration wurden zwei Integrationsprojekte dargestellt. Die Leiterin des Interkulturellen Referates der Stadt Köln, Ina Beate Fohlmeister, stellte ihr eigenes Integrationskonzept, das sich in der „Stadtgesellschaft“ verkörpert, vor: „Wir sind KölnerInnen“. Danach stellte der Integrationsbeauftragte der Stadt Mönchengladbach und Projektleiter von „Minze“ , Herr Klaus Schmitz, fest, dass Integration nur im Vorort geschehen kann. Diese beide Konzepte sehen bessere Integrationsmöglichkeiten auf lokaler Ebene als auf der Bundesebene. Die Integrationsprojekte haben wieder gezeigt, wie man alle Gruppen in denselben nationalen Topf wirft und damit für die Zukunft Deutschlands kocht. Die Projekte haben wieder gezeigt, wie die Selbstdefinition, -organisation einfach aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, weil sie offiziell nicht anerkannt ist. Die Prominente der Tagung kamen am Ende: Eine Podiumsdiskussion mit Politikern. Der Êzîdî-Kurd- stämmige Ali Atalan (die Linke), Bernhard von Grünberg (SPD), der tscherkes-stämmige und mit dem Veränderungsvorschlag der Eidesformel im Parlament bundesweit bekannt gewordene Abgeordnete Arif Ünal (B'90/ DIE GRÜNEN) und Stefan Wiedon (CDU) haben einerseits über parteiliche Politik und andererseits über Kurden Worte gewechselt. Dass die kurdischen Organisationen heimatorientiert sind, war das Hauptargument. Der Vorschlag von Ali Atalan, dass PKK-Verbot aufzuheben, fand bei den anderen Politikern keine Zustimmung. Alle legen aber eine große Hoffnung in die neue Veränderung des Einwanderungsgesetzes. Allgemein gesehen hat die Tagung wieder gezeigt, wie die Diskussion zu einem elaborierten „Dialog der Tauben“ wird, sobald man einerseits über ein Thema spricht, dass man nicht richtig wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will (auf der deutschen Seite) oder wenn man andererseits etwas fordert, ohne genau zu wissen, was man fordern soll (auf der kurdischen Seite). Von der deutschen Seite wurde explizit und implizit die Annahme ausgedrückt, dass die Kurden und die Türken nicht wirklich unterschiedlich seien und dass es ausreiche, wenn man nur über „Türken“ spricht. Wer aber Kurden und Türken in Deutschland undifferenziert wahrnimmt, macht einen großen Fehler. Die Kurden bilden eine „Minderheit innerhalb der Minderheit“. Dennoch sind sie stark politisiert und viele haben eine Asylgeschichte hinter sich. Diese Geschichte verursacht eine besondere Wahrnehmung von der Migration, die man von der Wahrnehmung der Gastarbeitermigration unterscheiden muss. Bevor die Kurden nach Deutschland kamen, hatten sie bereits Erfahrung, wie es ist, in der Minderheit zu sein. Sie sind in Bezug auf jegliche Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen sehr aufmerksam. Sie können sich auf Herrschafts- und Dominanzbeziehungen mehr einstellen. Die Kurden haben verschiedene Migrationswahrnehmungen als die Türken oder Araber. Daher zeigen die Kurden aufgrund gegebener Situationen in den Integrationsbemühungen andere Reaktionen als z.B. Türken oder Araber. Das Problem ist, dass in diesem Sinne noch nicht geforscht wurde. Eine weitere klassische Annahme wurde von der deutschen Seite erfrischend erwähnt, nämlich die Beziehung zwischen den Einwanderern und ihrer Heimat und deren jegliche Erscheinungen (wie internationale Netze etc.), die einseitig betrachtet wurden. Wenn man die deutsche Seite, sowohl in der deutschen Soziologie als auch in den Medien, beobachtet, kann man sofort feststellen, dass die gesamte Lage der Ausländer modernistisch bzw. mit der Besinnung des Staatsapparats betrachtet wird. Die Diskussion mit der staatlicher Besinnung über Ethnizität beinhaltet die Wahrnehmung, dass die Modernität und Traditionalität schlagartig voneinander getrennt sein sollen, alle unterschiedlichen Kulturen auf den offiziellen Kultur der Herkunftsstaaten reduziert werden sollen etc. Das Kernthema der Tagung war die Bildung und für beide Seiten ist die Bildung der bedeutendste Anknüpfungspunkt. Bildung ist nicht nur auf individueller Ebene sondern auch auf kollektiver Ebene äußerst wichtig. Bildung schafft nicht nur eine strukturelle Integration (Esser 2004), sondern stabilisiert die Identität der Teilnehmenden. TeilmehmerInnen werden Dinge bewusst und sie können dann ganz rational entscheiden. Dies soll auch im Schulgesetz gesichert werden, wie Berkemeyer auf der Tagung zitiert hat: „Die Schule fördert die Integration von Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, durch Angebote zum Erwerb der deutschen Sprache. Dabei achtet und fördert sie die ethnische, kulturelle und sprachliche Identität (Muttersprache) dieser Schülerinnen und Schüler. Sie sollen gemeinsam mit allen anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet und zu den gleichen Abschlüssen geführt werden“ (Schulgesetz NRW, §2, 10) In dem Gesetzartikel wird es explizit dargestellt, dass die Schule die ethnische, kulturelle und sprachliche Identität der SchülerInnen achtet und fördert. Und die Achtung und Förderung der Identitäten wird aus guten Gründen gewollt. So können die Kinder ihre Identitätsprobleme überwinden und ihr zukünftiges Leben ein Stück besser gestalten. Umgekehrt wäre „Assimilation als Identitätspolitik“ der Fall. Wenn die Identitäten ständig im Wandel sind, müssen Individuen gut gerüstet sein, um mit den wechselnden Situationen zurecht zu kommen. Wenn aber manche Individuen nicht genug gerüstet sind, sollten auch Optionen existieren, um die Defizite zu kompensieren. Dafür ist die Wir-Gruppen-Identität die beste geeignete Option und kann das Individuum gegen Marginalisierung schützen. Wie viele andere, geht Taylor (1993) auch davon aus, dass Akzeptanz und Anerkennung für den Aufbau der Identität wesentlich sind. In Bezug auf Taylors Ansatz kann man folgendes heranziehen: Solange die Akzeptanz und Anerkennung der Kurden nicht der Fall ist, kommt dieser auch ein Stück Schuld zu, wenn es um den erfolglosen Bildungszustand und die krisenhaften sozialen Zuständen, wie Marginalisierung, bei den kurdischen Kindern an der Schule geht. Wenn die Bildung von den Ausländern als Instrument der Assimilierung wahrgenommen wird, kann die Schule ihre Bildungsziele nicht erreichen.