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Kommentar Gen 22, 24, 25, 33, 34 (German, Grundlage Wenham)

Wo nicht anders gekennzeichnet, basiert der Kommentar in stichpunktartiger, zusammenfassender Form auf Gordon Wenham, Genesis 16–50. WBC, Dallas, TX: Word, 1994. Text: BHS und Elberfelder Übersetzung.

Genesis 22; 24; 25; 33; 34 Text: BHS und ELBERFELDER ÜBERSETZUNG Wo nicht anders gekennzeichnet, basiert der Kommentar in zusammenfassender Form auf Gordon Wenham, Genesis 16–50. WBC, Dallas, TX: Word, 1994. Genesis 22,1-19 Form, Struktur und Situation Die Geschichte der Opferung Isaaks bildet den ästhetischen und theologischen Höhepunkt der Abrahamerzählung. Keine andere Geschichte des Alten Testaments hat eine solche theologische Tiefe und erschütternde Schönheit, wie die Opferung Isaaks. Sie ist deutlich eingebettet in ihren Kontext, durch Bezüge zu Segen und Geburtsgeschichte und vieles mehr (Erscheinen Gottes, Vermehren der Nachkommen, „(er)sehen“, besondere Orte). Die Geschichte von Hagars Ausweisung und Gen 22 laufen parallel: Gott ordnet Ismaels Austreibung an (21,12f) Essen und Wasser mitgenommen (21,14) Reise (21,14) Ismael ist am sterben (21,16) Engel Gottes ruft vom Himmel (21,17) „fürchte dich nicht“ (21,17) „Gott hat gehört“ (21,17) „Ich werde dich zu einer großen Nation machen“ (21,19) Gott öffnet ihre Augen und sie sieht eine Quelle (21,19) Sie gibt dem Jungen zu trinken (21,19) Gott ordnet Isaaks Opfer an (22,2) Opfermaterial mitgenommen (22,3) Reise (22,4-8) Isaak ist am sterben (22,10) Engel des Herrn ruft vom Himmel (22,11) „fürchtest Gott“ (22,12) „Du hast meiner Stimme gehört“ (22,18) „Deine Nachkommen werden wie Sterne, Sand sein“, etc. (22,17) Abraham erhebt seine Augen und sieht einen Widder (22,13) Er opfer den Widder anstelle des Sohnes (22,14) Es gibt ferner eine Parallele von Anfang und Ende der Erzählung zu Gen 12: „...in das Land, das ich dir zeigen werde!“ (12,1) „...auf einem der Berge, den ich dir nennen werde!“ (22,2) „Und ich will dich zu einer großen Nation „darum werde ich dich reichlich segnen und machen, und ich will dich segnen... 3 ... und in dir deine Nachkommen überaus zahlreich machen... sollen gesegnet werden alle Geschlechter der 18 Und in deinem Samen werden sich segnen alle Erde!“ (12,2f) Nationen der Erde dafür, dass du meiner Stimme gehorcht hast“ (22,17f). Chiastische Struktur der Szenen: Einführung (1a) ...................................................................... E 1. Gottes Befehl „Opfere deinen Sohn“ (1b-2).................... M 2. Aufbruch am nächsten morgen (3) .............................. E 3. Die drei Tage Fußmarsch zum Berg (4-6b) ............. D 4. Reise auf den Berg (6c-8) ....................................... D 5. Vorbereitung für das Opfer (9f) ................................... E 6. Der Engel redet um das Opfer zu verhindern (11-18) ..... M Epilog: Rückkehr nach Beerscheba (19) ................................ E E = Erzählung, M = (göttlicher) Monolog, D = Dialog Auch zwischen Szene 1-3, 4-5, und 6A, sowie 6B-7 gibt es Parallelen: 22,1-6 Er sprach: „Abraham“ 22,7-10 Er sprach: „Mein Vater“ Er sprach: „Hier bin ich“ — Er sprach: „Hier bin ich“ — „deinen Sohn, dein einziges Kind“ „als Brandopfer“ „er ging“ „mein Sohn“ „der Ort, den Gott ihm gesagt hatte“ „er nahm... das Messer“ „als Brandopfer“ (2x) „die beiden gingen zusammen“ „der Ort, den Gott ihm gesagt hatte“ „er nahm das Messer“ 22,11-14 Der Engel rief vom Himmel und sprach: „Abraham, Abraham!“ Er sprach: „Hier bin ich“ „Tue ihm nichts!“ „deinen Sohn, dein einziges Kind“ „als Brandopfer“ „er ging“ „der Ort... von dem man sagt“ — 22,15-19 Der Engel rief Abraham — „weil du das getan hast“ „deinen Sohn, dein einziges Kind“ — „sie gingen zusammen“ — — Schlüsselwörter sind Abraham (18x), Isaak (5x), Sohn (10x). BRḴ „segnen“ und und HRBH „vermehren“ scheinen auf Abrahams Namen anzuspielen. WJQḤ „und er nahm“ und ʿEZJM „Holz“ könnten auf JZḤQ „Isaak“ anspielen. Solche kunstvollen Techniken werden wohl nur eine unbewusste Wirkung auf den Leser ausgeübt haben. Kommentar ‫ת־א ְב ָר ָ ָ֑הם‬ ַ ‫ֹלהים נִ ָ ָּ֖סה ֶּא‬ ִֵ֔ ‫ וַ יְ ִִ֗הי ַא ַח ֙ר ַה ְד ָב ִ ִ֣רים ָה ֵ֔א ֶּלה וְ ָ ִ֣ה ֱא‬1 22 ‫אמר ִהנֵּֽנִ י׃‬ ֶּ ‫אמר א ֵ֔ ָליו ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם וַ ֹּ֥י‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ Und es geschah nach diesen Dingen, da prüfte Gott den Abraham. Und er sprach zu ihm: Abraham! Und er sagte: Hier bin ich! Die Einführung mildert den schrecklichen Befehl für den Leser ab. Sie lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Frage, ob Isaak wirklich geopfert wird, hin zu der Frage, ob Abraham den Test bestehen wird. Die Formulierung „nach diesen Dingen“ vgl. 21,34 („Und Abraham hielt sich ‹noch› lange Zeit als Fremder im Land der Philister auf“) deutet darauf hin, dass einige Zeit verstrichen ist. Man kann sich Isaak als Teenager vorstellen, ähnlich wie Ismael, als er vertrieben worden ist. Beide werden „Junge“ genannt (NʿR, 21,12; 22,12). Ungewöhnlich ist die Bezeichnung „Gott“ (V. 1.3.8.9). JHWH erscheint erst wieder in V.11 („der Engel des HERRN“). Eine theologische Erklärung (Delitzsch) geht davon aus, dass hier eine Entfremdung zwischen Gott und Mensch sichtbar wird. Gott erscheint auf fremde, entfernte und unerklärliche Weise. Eine Prüfung offenbart, wie jemand wirklich ist und bringt normalerweise Schwierigkeiten Leid mit sich. Die Königin von Saba prüfte Salomo mit Rätseln (1.Kö 10,1). Daniel und seine Freunde werden durch besondere Speise geprüft (Dan 1,12.14). Gott prüft Israel in der Wüste durch Hunger, Durst, falsche Propheten und feindliche Unterdrückung. Ziel ist: „Und du sollst an den ganzen Weg denken, den der HERR, dein Gott, dich diese vierzig Jahre in der Wüste hat wandern lassen, um dich zu demütigen, um dich zu prüfen ‹und› um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht... 16 ...um dich zu demütigen und um dich zu prüfen, damit er dir am Ende wohltue 17 und du ‹dann nicht› in deinem Herzen sagst: Meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir dieses Vermögen verschafft!“ (Dtn 8,2.16f). Der Hintergrund mag ähnlich sein wie bei Hiob: Vertraut und gehorcht er Gott nur, weil (solange) er von ihm profitiert? Szene 1: Göttlicher Monolog Gott wartet darauf, ob Abraham ihm seine Aufmerksamkeit schenkt „Hier bin ich“. Diese Antwort drückt Aufmerksamkeit aus und die Bereitschaft zu hören (vgl. Isaak und dem Engel gegenüber). ‫ל־א ֶּרץ‬ ָּ֖ ֶּ ‫ְך־ל ֵ֔ך ֶּא‬ ְ ‫ר־א ַַ֨ה ְב ָ֙ת ֶּאת־יִ ְצ ֵָ֔חק וְ ֶּל‬ ָ ‫ת־בנְ ֙ך ֶּאת־יְ ִ ֵּֽח ְידךָ֤ ֲא ֶּש‬ ִ ‫ח־נא ֶּא‬ ָָ֠ ‫אמר ַק‬ ֶּ ‫וַ ֹּ֡י‬ ‫ַהמ ִר ָיָ֑ה וְ ַה ֲעלָ֤הּו ָש ֙ם ְלע ֵ֔ ָלה ַ ַ֚על ַא ַ ִ֣חד ֶּ ֵּֽה ָה ִ ֵ֔רים ֲא ֶּ ָּ֖שר א ַ ֹּ֥מר א ֶּ ֵּֽליך׃‬ Und er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebhast, den Isaak, und ziehe hin in das Land Morija, und opfere ihn dort als Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir nennen werde! Das Wort „nimm“ ist verbunden mit der Partikel naʾ „doch, bitte“. So hört sich der Befehl eher wie eine Bitte an. Ein Hinweis auf den hohen Preis des Gehorsams, der nun folgt. Die vierfache Beschreibung von Isaak als: „deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebhast, den Isaak“ ist der einzige ausdrückliche Hinweis auf Abrahams emotionale Verbindung mit seinem Sohn – verhindert die Unterstellung, dass Abraham hartherzig war. Auf Isaak ruhen alle seine Hoffnungen. Abraham wird zerrissen zwischen Gehorsam gegenüber Gott und Liebe zu seinem Sohn. Der Befehl lech-lecha „ziehe hin“, greift den folgenschweren Befehl aus Gen 12,1 auf und lässt nun auch gewichtiges erwarten. Dort sollte er seine Heimat und Familie verlassen. In Gen 21 musste er auf Drängen seiner Frau hin seinen geliebten erstgeborenen Sohn vertreiben. Kann noch etwas Härteres gefordert werden? Morija taucht noch einmal in 2.Chr 3,1 auf: „Und Salomo fing an, das Haus des HERRN zu bauen in Jerusalem, auf dem Berg Morija, wo der HERR seinem Vater David erschienen war, an der Stelle, die David bestimmt hatte, auf der Tenne Ornans, des Jebusiters“. Das Wortspiel in V.14 („Und Abraham gab diesem Ort den Namen ‚der HERR wird ersehen‘, von dem man heute ‹noch› sagt: Auf dem Berg des HERRN wird ersehen“) zeigt, dass bereits in dem Befehl zur Vernichtung Rettung steckt (vgl. NḤ in der Mitte von WJNḤM „und er bereute“ bei der Ankündigung der Sintflut). Das Brandopfer drückte vollständige Hingabe aus, zudem geht es um Sühnung von Sünden. Micha 6,7 protestiert gegen letzteren Sinn: „Soll ich meinen Erstgeborenen geben für mein Vergehen, die Frucht meines Leibes für die Sünde meiner Seele?“ Dennoch wurde es versucht (vgl. Ri 11,31-40; 2.Kö 3,27; 17,17). Der Erstgeborene war Gott geweiht, musste jedoch durch ein Tieropfer ausgelöst werden. „Den Erstgeborenen unter deinen Söhnen sollst du mir geben“ (Ex 22,28). „Alle Erstgeburt deiner Söhne sollst du auslösen“ (34,20). Gott hat also das Recht, ein solches Opfer zu fordern. Zu allen Zeiten erscheint dem Leser ein solches Opfer als außergewöhnlich, sowohl moralisch, also auch theologisch. Schließlich war Isaaks Überleben notwendig für die Erfüllung der Verheißung. Die körperlichen Strapazen beim Hinaufsteigen auf den Berg verstärken die emotionalen Strapazen. Gewöhnlich opferte Abraham nicht auf besonderen Bergen. Der Berg schlägt eine Querverbindung zum Berg Sinai als Ort der Offenbarung. Das Wort für Berg HMRYM ist ein Anagramm von HMRYH „Morija“. 2 Szene 2: Abreise ‫ת־שנָ֤י נְ ָע ָר ֙יו ִאת ֵ֔ו וְ ָּ֖את יִ ְצ ָ ִ֣חק‬ ְ ‫ת־חמ ֵ֔רו וַ יִ ַ ַּ֞קח ֶּא‬ ֲ ‫וַ יַ ְש ַ֨כם ַא ְב ָר ָָ֜הם ַב ִ֗ב ֶּקר ַוֵַּֽֽיַ ֲחב ֙ש ֶּא‬ 3 ‫ֹלהים׃‬ ֵּֽ ִ ‫ר־א ַמר־לוֹּ֥ ָה ֱא‬ ֵּֽ ָ ‫ל־ה ָמ ָּ֖קום ֲא ֶּש‬ ַ ‫ְבנָ֑ ו וַ ַיְב ַק ֙ע ֲעצִ֣י ע ֵ֔ ָלה וַ ָיִ֣ ַָֽקם וַ ֵ֔י ֶּלְך ֶּא‬ Da machte sich Abraham früh am Morgen auf, sattelte seinen Esel und nahm seine beiden Knechte mit sich und seinen Sohn Isaak. Er spaltete Holz zum Brandopfer und machte sich auf und ging an den Ort, den Gott ihm genannt hatte. Über Abrahams innere Gefühlswelt schweigt sich der Text aus, der Erzähler lässt der Phantasie des Lesers freie Bahn. „früh am Morgen“ betont Abrahams prompten Gehorsam, wie bei der Austreibung Ismaels (21,14; vgl. 19,27; 20,8). Dass er „sattelte... nahm... spaltete“ deutet an, dass er eines nach dem anderen tut. Unlogisch ist das Holzspalten nach dem satteln. War er so verzweifelt, dass er nicht mehr klar denken konnte? Wollte er den schmerzhaften Gedanken an den Zweck der Reise möglichst lange hinausschieben (vor sich und den anderen)? Die Mutmaßungen schließen sich nicht aus. Der Ort ist ein heiliger Ort oder Heiligtum (vgl. 12,6; 13,4; 28,16; Ex 3,5; 20,24). Szene 3: Dialog am Fuß des Berges ‫ת־ה ָמ ָּ֖קום מ ָר ֵּֽחק׃‬ ַ ‫ישי וַ יִ ַָ֨שא ַא ְב ָר ָ ָ֧הם ֶּאת־ע ָינָ֛יו וַ ַ ֹּ֥י ְַֽרא ֶּא‬ ִִ֗ ‫ַביִ֣ ום ַה ְש ִל‬ 4 Am dritten Tag erhob Abraham seine Augen und sah den Ort von ferne. Drei Tage ist eine typische Zeit der Vorbereitung auf etwas besonders (vgl. 31,22; 40,20; 42,18; Ex 19,11.16). „Drei lange Tage soll die Qual der Auf|opferung im Gemüte währen; die langen Vorbereitungen bedeuten ein qualvolles Empfinden“.1 Wenn jemand „seine Augen erhob“, dann ist das, was er sieht, von besonderer Bedeutung (vgl. 18,2; 24,63; 33,1.5; 43,29), hier „der Ort“. Die Wendung „von ferne“ erinnert an die Anbetung Israels am Sinai „von Ferne“ (Ex 20,18.21; 24,1). „Es bleibt an uns, sich vorzustellen, welcher Schmerz durch das Vaterherz schoss, als er diesen Platz erblickt.“2 ‫ד־כה‬ ָ֑ ‫ם־ה ֲח ֵ֔מור וַ ֲא ִנִ֣י וְ ַה ֵ֔ ַנ ַער נ ְל ָ ָּ֖כה ַע‬ ַ ‫בּו־ל ֶּ ֹּ֥כם פ ֙ה ִ ֵּֽע‬ ָ ‫אמר ַא ְב ָר ָָ֜הם ֶּאל־נְ ָע ָ ִ֗ריו ְש‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ ‫יכם׃‬ ֵּֽ ֶּ ‫ּובה ֲאל‬ ָ ‫וְ ִנ ְֵּֽש ַת ֲחֶּוָּ֖ה וְ נָ ֹּ֥ש‬ Da sagte Abraham zu seinen Knechten: Bleibt ihr mit dem Esel hier! Ich aber und der Junge wollen dorthin gehen und anbeten und zu euch zurückkehren. Warum möchte er nicht, dass die Knechte ihn begleiten? Ist der Weg zu schwer für den Esel? Möchte er nicht, dass die (jungen) Knechte das Opfer mit ansehen müssen? Hat er Angst, dass sie eingreifen? War der Esel zu unrein für das Heiligtum? Gehorchte er einem Befehl Gottes? Alle diese Gründe sind möglich. Die Parallele zum Sinai besteht, dass nur Mose auf die Spitze des Berges gehen durfte (Ex 19,20.24; 24,1f). Wenn Abraham nun die Bezeichnung „mein Sohn“ vermeidet, signalisiert dies seine Loslösung, hat er ihn innerlich bereits an Gott übergeben? Das Wort „anbeten“ vermeidet den Gedanken an ein Opfer, möglicherweise bewusst? Es könnte auch um der Kürze willen gewählt worden sein. Verwirrend ist jedoch die Aussage „und zu euch zurückkehren“. War es (1) eine Notlüge, um die wahre Natur des Opfers zu verbergen? War es (2) ein Hinweis darauf, dass Abraham nicht davon ausging, dass er es übers Herz bringen könnte, den Sohn letztlich zu töten? (3) Es kann auch als Bekräftigung des Glaubens gelesen werden. Die Verheißung würde erfüllt werden, vgl. Hebr 11,1719: 1 2 Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung. 1. Band. Das erste Buch Mose, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1920, S. 263f. 2 John Skinner, A Critical and Exegetical Commentary on Genesis, Edinburgh: Clark, 1910, 1930, S. 329. 5 „Durch Glauben hat Abraham, als er geprüft wurde, den Isaak dargebracht, und er, der die Verheißungen empfangen hatte, brachte den einzigen ‹Sohn› dar, 18 über den gesagt worden war: ‚In Isaak soll deine Nachkommenschaft genannt werden‘ [Gen 21,12], 19 indem er dachte, dass Gott auch aus den Toten erwecken könne, von woher er ihn auch im Gleichnis empfing.“ So auch Calvin, der sich jedoch auch nicht wundern möchte (4), „daß er in einer dunklen Sache verwirrte Reden führt“.3 Diese Erklärungen müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. In Abraham können sehr widersprüchliche Ideen gelebt haben im Sinne von „ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24; vgl. Mt 14,27-31). ‫ת־ה ָּ֖אש‬ ָ ‫ת־עצִ֣י ָהע ִ֗ ָלה וַ ַָ֨י ֶּש ֙ם ַעל־יִ ְצ ָ ִ֣חק ְבנֵ֔ ו וַ יִ ַ ִ֣קח ְביָ ֵ֔דו ֶּא‬ ֲ ‫וַ יִ ַ ַ֨קח ַא ְב ָר ָָ֜הם ֶּא‬ 6 ‫יהם יַ ְח ָ ֵּֽדו׃‬ ָּ֖ ֶּ ‫ת־ה ַמ ֲא ֶּכ ֶָּ֑לת וַ י ְל ֹּ֥כּו ְשנ‬ ֵּֽ ַ ‫וְ ֶּא‬ Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak, und in seine Hand nahm er das Feuer und das Messer. Und sie gingen beide miteinander. Abraham ist entschlossen, und drängt weiterzugehen. Der jüdische Midrasch Genesis Rabbah (eine Sammlung rabbinischer homiletischer Auslegungen, ca. 300-500 n.Chr.) vergleicht die Tatsache, dass Abraham das „Holz... auf seinen Sohn Isaak“ legt mit einem Mann, der sein eigenes Kreuz trägt.4 Szene 4: Dialog zwischen Isaak und Abraham Die Gefühlswelt des Dialogs kann einen Leser kaum kalt lassen: Die Neugierde des Kindes, die nicht übersehbare Zuneigung des Vaters und die ernsthafte Mehrdeutigkeit der Antwort.5 Der Rahmen „Und sie gingen beide miteinander“ (V.6.8) deutet auf beides hin: Ihre Einsamkeit und ihre Gemeinschaft, als sie schweigend den Berg hinaufklettern. Der amerikanische Assyriologe Ephraim A. Speiser bezeichnet diese Stille als „die ergreifendste und beredtste Stille der Literatur überhaupt“.6 ‫אמר ִה ֶּנ ִִ֣נֵּֽי ְב ִנָ֑י‬ ֶּ ‫אמר ָא ִֵ֔בי וַ ָּ֖י‬ ֶּ ‫ל־א ְב ָר ָ ָ֤הם ָא ִב ֙יו וַ ִ֣י‬ ַ ‫אמר יִ ְצ ָָ֜חק ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ ‫אמר ִהנָ֤ה ָהא ֙ש וְ ָ ִ֣הע ִֵ֔צים וְ ַאיֹּ֥ה ַה ֶּ ָּ֖שה ְלע ָ ֵּֽלה׃‬ ֶּ ‫וַ ִ֗י‬ Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham und sagte: Mein Vater! Und er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sagte: Siehe, das Feuer und das Holz! Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer? Aber nicht nur das, was nicht gesagt wird, verleiht der Geschichte hier ihre Tiefe und ihren Reichtum. Die Anrede „Mein Vater!“ und „mein Sohn“ lenkt die Aufmerksamkeit hin zur tiefen Zuneigung, welche die beiden verbindet. Die kindliche Naivität der Frage und die Sanftmut, die Antwort zu akzeptieren zeigt, dass Isaak vollständig in Abrahams gute Absichten vertraut. Oder war er klug genug, die Antwort des Vaters zu durchschauen? Dann wäre seine schweigende Akzeptanz in ähnlicher Hinsicht beindruckend. Sie würde vollständigen Gehorsam seinem Vater gegenüber ausdrücken. Isaak zeigt hier Qualitäten von Vollkommenheit, die bei einem Opfer gesucht werden (vgl. Lev 1,3). 3 4 5 6 Calvin, Auslegung, S. 265. H. Freedman und Maurice Simon, Hg., Genesis in two Volumes. Bd. 1. Midrash Rabbah Translated into 3 English with Notes, Glossary and Indices, London: Soncino, 1939, 1961. S. 493. https://archive.org/details/RabbaGenesis (zugegriffen 3. Dezember 2018). Skinner, Genesis, S. 329f. Ephraim A. Speiser, Genesis. Introduction, Translation, and Notes. The Anchor Bible, Garden City, NY: Doubleday, 1964, S. 165. 7 ‫יהם יַ ְח ָ ֵּֽדו׃‬ ָּ֖ ֶּ ‫ֹלהים יִ ְר ֶּאה־לוֹּ֥ ַה ֶּ ָ֛שה ְלע ָלָּ֖ה ְב ִנָ֑י וַ י ְל ֹּ֥כּו ְשנ‬ ִַּ֞ ‫אמ ֙ר ַא ְב ָר ֵָ֔הם ֱא‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ 8 Da sagte Abraham: Gott wird sich das Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn. Und sie gingen beide miteinander. Ähnlich wie bei „und zu euch zurückkehren“ (V.5) gibt es hier verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Ausweichende Antwort, Ausdruck von Glauben, Prophezeiung oder Gebet („Gott möge ersehen“, Ipf. als Jussiv). (Es ist grammatisch abwegig, „mein Sohn“ als Objekt zu deuten). Der Aufbau der Geschichte, für die „Gott wird ersehen“ auf den Wendepunkt hindeutet, deutet auf ein positives Verständnis (Hoffnung, Prophetie, Gebet) hin. Auf jeden Fall denkt Abraham hier nicht an einen Ausweg gegen Gottes Willen. „So wollen wir auch bei jeder Weisung Gottes sprechen, auch wenn vieles uns schwach machen will, auch wenn Mittel und guter Rat fehlen und alle Ausgänge verschlossen scheinen. In solchen Bedrängnissen kann dies uns vor aller Verzagtheit schützen, wenn wir Gott zutrauen, daß er Weg allerwegen hat, auch wenn für uns keiner zu sehen ist. Welche Unehre tun wir Gott an, wenn wir ihm nur so viel zutrauen, wie unsere Vorstellungen fassen! Aber wenn wir in höchster Ratlosigkeit seiner Vorsehung uns anheimgeben, damit ehren wir ihn recht.“7 Szene 5: Erzählung ‫ת־ה ִמזְ ֵ֔ב ַח ַוֵַּֽֽיַ ֲע ָּ֖רְך‬ ַ ‫ם וַ ִַ֨י ֶּבן ָ ָ֤שם ַא ְב ָר ָה ֙ם ֶּא‬ ֒ ‫ֹלהי‬ ִ ‫שר ָ ֵּֽא ַמר־לוִ֣ ָה ֱא‬ ִ֣ ֶּ ‫קום ֲא‬ ֮ ‫ל־ה ָמ‬ ַ ‫וַ ִ֗יָבאּו ֶּ ֵּֽא‬ 9 ‫ל־ה ִמזְ ֵ֔ב ַח ִמ ַ ָּ֖מ ַעל ָלע ִ ֵּֽצים׃‬ ַ ‫תו ַע‬ ֙ ‫ת־הע ִ ָ֑צים ַוֵַּֽֽיַ ֲעק ֙ד ֶּאת־יִ ְצ ָ ִ֣חק ְבנֵ֔ ו וַ ָי ֶָּ֤שם א‬ ָ ‫ֶּא‬ Und sie kamen an den Ort, den Gott ihm genannt hatte. Und Abraham baute dort den Altar und schichtete das Holz auf. Dann band er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar oben auf das Holz. Die Geschwindigkeit der Erzählung verlangsamt sich. Die technischen Details, die hier genannt werden, erhöhen die Spannung. Die Formulierung „den Gott ihm genannt hatte“ erinnert daran, dass Abraham nicht aus eigenem Willen handelt. Abraham „band“ Isaak wahrscheinlich an Händen und Füßen, das Verb ʿQD taucht im Alten Testament nur hier auf. Die Juden nennen die Geschichte „die Aqedah“ Isaaks. In zwei Punkten weicht Abrahams Vorgehen von dem Brandopfer in Lev 1 ab: (1) Dort wird die Bindung eines Tieres nicht genannt, war vielleicht als selbstverständlich vorausgesetzt. (2) Das Opfer wird erst getötet und dann auf den Altar gelegt. – Es wäre für Abraham wohl das einfachste gewesen, dem Jungen überraschend die Kehle zu durchschneiden. Dass der alte Mann den Teenager fesseln kann deutet auf Isaaks Einwilligung hin. Dessen impliziter Gehorsam verstärkt den Eindruck, dass es sich um ein Opfer ohne Fehl handelt. ‫ת־בנֵּֽ ו׃‬ ְ ‫ת־ה ַמ ֲא ֶּכ ֶָּ֑לת ִל ְש ָּ֖חט ֶּא‬ ֵּֽ ַ ‫וַ יִ ְש ַלָ֤ח ַא ְב ָר ָה ֙ם ֶּאת־יָ ֵ֔דו וַ יִ ַ ָּ֖קח ֶּא‬ Und Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Wenn jemand die Hand ausstreckt, kündigt das oft eine besonders wichtige Handlung an (vgl. 3,22; Ex 3,20; 9,15; Dtn 25,11). Das Messer unterstreicht das Entsetzen der Situation. Der Opferbegriff „schlachten“ beschreibt gewöhnlich das Durchschneiden der Kehle. Der Hinweis auf die Beziehung („seinen Sohn“) unterstreicht die Schrecklichkeit der Tat: Im nächsten Moment wird das Undenkbare passieren. 7 Calvin, Auslegung, S. 265. 11 Szene 6: Göttlicher Monolog ‫אמר ִהנֵּֽנִ י׃‬ ֶּ ‫אמר ַא ְב ָר ָ ִ֣הם׀ ַא ְב ָר ָ ָ֑הם וַ ָּ֖י‬ ֶּ ‫ן־ה ָש ֵַ֔מיִם וַ ָּ֖י‬ ַ ‫וַ יִ ְק ָ ַ֨רא א ָ֜ ָליו ַמ ְל ַ ָ֤אְך יְ הוָ ֙ה ִמ‬ 11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! Und er sagte: Hier bin ich! Das letzte mal, wo Gottes Bundesname Jhwh genannt wurde, war bei der Geburt von Isaak in Gen 21,1. Der fremde Gott, der Abraham prüft, zeigt sich nun als gnädiger Gott, der seine Verheißungen hält. Die doppelte Anrede „Abraham, Abraham“ und der Ruf „vom Himmel her“ unterstreichen die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Anliegens. ‫ּומה‬ ָ ‫ל־ת ַעש לוָּ֖ ְמ ָ֑א‬ ֹּ֥ ַ ‫ל־ה ֵ֔ ַנ ַער וְ ַא‬ ַ ‫ל־ת ְש ַלָ֤ח ָ ֵּֽי ְַֽד ֙ך ֶּא‬ ִ ‫אמר ַא‬ ֶּ ‫וַ ִ֗י‬ 12 ‫ת־בנְ ךֹּ֥ ֶּאת־יְ ִח ְידךָּ֖ ִמ ֶּ ֵּֽמנִ י׃‬ ִ ‫ֹלה ֙ים ֵַ֔א ָתה וְ ֹּ֥לא ָח ַ ָ֛ש ְכ ָת ֶּא‬ ִ ‫ִ ִ֣כי׀ ַע ָ ִ֣תה יָ ַ ִ֗ד ְע ִתי ִ ֵּֽכי־יְ ָ֤רא ֱא‬ Und er sprach: Strecke deine Hand nicht aus nach dem Jungen, und tu ihm nichts! Denn nun habe ich erkannt, dass du Gott fürchtest, da du deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast. Gott zu fürchten bedeutet nicht nur, ihn in Anbetung zu ehren, sondern auch durch ein aufrichtiges Leben. Abraham fühlte sich in Gerar nicht sicher, weil er vermutete, dass die Menschen dort Gott nicht fürchten (20,11; vgl. Joseph gegenüber seinen Brüdern 42,18). Die beste Parallele ist Hiob: „Es war ein Mann im Lande Uz, sein Name war Hiob. Und dieser Mann war rechtschaffen und redlich und gottesfürchtig und mied das Böse“ (Hiob 1,1; vgl. V.8; 2,3). Wie Abraham musste auch er eine rätselhafte Prüfung seiner Loyalität Gott gegenüber durchleben. ‫ה־איִ ל ַא ַַ֕חר נֶּ ֱא ַ ֹּ֥חז ַב ְס ַ ָּ֖בְך ְב ַק ְר ָנָ֑יו‬ ֵַ֔ ‫וַ יִ ַָ֨שא ַא ְב ָר ָָ֜הם ֶּאת־ע ִ֗ ָיניו וַ יַ ְר ֙א וְ ִהנ‬ 13 ‫ת־ה ֵַ֔איִ ל וַ יַ ֲעלֹּ֥הּו ְלע ָלָּ֖ה ַ ֹּ֥ת ַחת ְבנֵּֽ ו׃‬ ָ ‫וַ י ֶָּ֤לְך ַא ְב ָר ָה ֙ם וַ יִ ַ ִ֣קח ֶּא‬ Und Abraham erhob seine Augen und sah, und siehe, da war ein Widder hinten im Gestrüpp an seinen Hörnern festgehalten. Da ging Abraham hin, nahm den Widder und opferte ihn anstelle seines Sohnes als Brandopfer. Die Erzählung schweigt über Abrahams Antwort oder Isaaks Befreiung. Es gibt eine Parallele zu Noah, der auch gleich ein Opfer darbringt, als er die Arche verlässt. Beide drücken Hingabe und Dankbarkeit aus und bestätigen Gottes Wohlwollen gegenüber zukünftigen Generationen (8,18-9,17). Das Opfer repräsentiert symbolisch den Opfernden, dessen Platz es einnimmt. ‫הוִ֣ה׀ יִ ְר ֶּ ָ֑אה‬ ָ ְ‫ם־ה ָמ ֹּ֥קום ַה ָּ֖הּוא י‬ ַ ‫וַ יִ ְק ָ ָ֧רא ַא ְב ָר ָ ָ֛הם ֵּֽש‬ ‫הוָּ֖ה י ָר ֶּ ֵּֽאה׃‬ ָ ְ‫ֲא ֶּש ֙ר י ָא ִ֣מר ַהיֵ֔ ום ְב ַ ֹּ֥הר י‬ Und Abraham gab diesem Ort den Namen „der HERR wird ersehen“, von dem man heute ‹noch› sagt: Auf dem Berg des HERRN wird ersehen. Hagar benannte eine Quelle beʾer laḥai roʾi, Abraham einen Berg Jhwh jirʾeh, beide verwenden das Verb RʾH „sehen“: „Da nannte sie den Namen des HERRN, der zu ihr geredet hatte: Du bist ein Gott, der mich sieht! [ʾel roʾi] Denn sie sagte: Habe ich nicht auch hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat? 14 Darum nennt man den Brunnen: Beer-Lachai-Roi“ (16,13f, „Quelle des Lebendigen, der mich sieht“). Während Abraham das Verb im Qal verwendet, wird es im Sprichwort zum Nifal „gesehen werden, sich sehen lassen“, vgl. EIN: „Auf dem Berg lässt sich der HERR sehen“, LUT2017: „Auf dem Berge, da der HERR sich sehen lässt.“ Diese Bedeutung ist wohl dem „Auf dem Berg des HERRN ist vorgesorgt“ vorzuziehen (vgl. das Nif. in 12,7; 17,1; 18,1). 14 ‫ן־ה ָש ָ ֵּֽמיִ ם׃‬ ַ ‫ל־א ְב ָר ָ ָ֑הם ש ִנָּ֖ית ִמ‬ ַ ‫הוָּ֖ה ֶּא‬ ָ ְ‫וַ יִ ְק ָ ָ֛רא ַמ ְל ַ ֹּ֥אְך י‬ 15 Und der Engel des HERRN rief Abraham ein zweites Mal vom Himmel her zu. Hätte Abraham sich geweigert zu gehorchen, wäre Isaak auch am Leben geblieben. So stellt sich die Frage, ob Abraham nichts weiter erhält, als das Leben Isaaks. ‫הוָ֑ה‬ ָ ְ‫אמר ִ ֹּ֥בי נִ ְש ַ ָּ֖ב ְע ִתי נְ ֻאם־י‬ ֶּ ‫וַ ַ֕י‬ 16 ‫ידך׃‬ ֵּֽ ֶּ ‫ת־בנְ ךֹּ֥ ֶּאת־יְ ִח‬ ִ ‫ת־ה ָד ָ ִ֣בר ַה ֵֶּ֔זה וְ ֹּ֥לא ָח ַ ָּ֖ש ְכ ָת ֶּא‬ ַ ‫ית ֶּא‬ ָ֙ ‫ִִ֗כי ַי ַַ֚ען ֲא ֶּ ָ֤שר ָע ִַ֨ש‬ und sprach: Ich schwöre bei mir selbst, spricht der HERR, deshalb, weil du das getan und deinen Sohn, deinen einzigen, ‹mir› nicht vorenthalten hast, Das ist der erste und einzige göttliche Eid in den Vätergeschichten. Regelmäßig wird später darauf Bezug genommen (24,7; 26,3; 50,24; Ex 13,5; oft in Dtn). Das „bei mir selbst“ gibt dem Eid besondere Feierlichkeit und Gewicht (Jer 22,5; 49,13; Am 4,2; 6,8; Heb 6,13-18). Die Formulierung neʾum Jhwh „spricht der HERR“ taucht 364x im Alten Testament auf, zur zweimal im Pentateuch (Num 14,28) und betont Gottes Zuverlässigkeit: „Und ihr werdet erkennen, dass ich, der HERR, geredet und es getan habe, neʾum Jhwh“ (Hes 37,14). 22x unterstreicht die Formel einen Eid Gottes. ‫כוכבִ֣י ַה ָש ֵַ֔מיִ ם וְ ַכ ַ֕חול ֲא ֶּ ָּ֖שר‬ ְ ‫י־ב ִ֣רְך ֲא ָב ֶּר ְכ ִ֗ך וְ ַה ְר ַָ֨בה ַא ְר ֶּ ָ֤בה ֶּ ֵּֽאת־זַ ְר ֲע ֙ך ְכ‬ ָ ‫ִ ֵּֽכ‬ 17 ‫יְביו׃‬ ֵּֽ ָ ‫ל־ש ַפִ֣ת ַה ָיָ֑ם וְ יִ ַ ִ֣רש זַ ְר ֲע ֵ֔ך ָּ֖את ַ ֹּ֥ש ַער א‬ ְ ‫ַע‬ darum werde ich dich reichlich segnen und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist; und deine Nachkommenschaft wird das Tor ihrer Feinde in Besitz nehmen. Die Verben „segnen“ und „zahlreich machen“ finden sich hier in einer sogenannten paranomastischen Konstruktion mit dem infinitivus absolutus (auch beschrieben als ‚tautologischer Infinitiv‘), d.h. das Verb wird zweimal hintereinander gestellt in unterschiedlicher Form: barech ʾabarchecha „segnend segne ich“. Diese Verstärkung des Segens gibt es nur hier in Genesis. Neu ist auch der Vergleich mit dem Sand am Ufer des Meeres und „das Tor ihrer Feinde in Besitz nehmen“. Nun wird deutlicher, wie die Landverheißung umgesetzt werden wird, die Erfüllung rückt näher. ‫וְ ִה ְת ָב ֲר ִ֣כּו ְבזַ ְר ֲע ֵ֔ך ָּ֖כל ּגוי ִ֣י ָה ָ ָ֑א ֶּרץ ַ֕ע ֶּקב ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָש ַ ָּ֖מ ְע ָת ְבק ִ ֵּֽלי׃‬ Und in deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde dafür, dass du meiner Stimme gehorcht hast. Die von Gen 12,3; 18,18 abweichende Zeitform (Hitpael statt Nifal) macht wahrscheinlich keinen Bedeutungsunterschied aus. Allerdings ist hier zu ersten Mal der „Same“ innerhalb des Segens genannt. War der Segen bisher alleine in Gottes Willen begründet, so gründet diese erweiterte Form in Gottes Willen und Abrahams Gehorsam. 18 ABRAHAM (A) und durch dich sollen gesegnet werden (B) und durch ihn sollen gesegnet werden (C) und durch deinen Samen sollen gesegnet werden alle Sippen der Erde (12,3). alle Völker der Welt (18,18). alle Völker der Welt (22,18). ISAAK (Anknüpfung) (C) und durch deinen Samen sollen gesegnet werden alle Völker der Welt (26,4). JAKOB (Rahmen) (A) und durch dich... und durch deinen Samen alle Sippen der Erde (28,14).8 ‫ל־ב ִ֣אר ָ ָ֑ש ַבע‬ ְ ‫וַ ָי ָָ֤שב ַא ְב ָר ָה ֙ם ֶּאל־נְ ָע ָ ֵ֔ריו וַ יָ ֻ ָָּ֛קמּו וַ י ְל ֹּ֥כּו יַ ְח ָ ָּ֖דו ֶּא‬ ‫פ‬ ‫וַ י ֶֹּּ֥שב ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם ִב ְב ֹּ֥אר ָ ֵּֽש ַבע׃‬ Dann kehrte Abraham zu seinen Knechten zurück, und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba; und Abraham ließ sich in Beerscheba nieder. Ein typisches Ende einer Erzählung (vgl. 12,9; 13,18; 18,33; 21,34), das aber vieles ungesagt lässt: Isaak wird nicht erwähnt. Es gibt keine Informationen darüber, wie Sara sich gefühlt haben muss. Man sollte vorsichtig damit sein, diese Lücke zu füllen. Denn solche Informationen lenken die Aufmerksamkeit ab von dem zentralen Anliegen der Geschichte: Abrahams hingegebener Gehorsam und der große Segen, der daraus hervorgegangen ist. Erklärung Abraham ist das Modell eines nationalen, religiösen Leiters. In Gen 18 und 20 tritt er für andere in Fürbitte ein. Hier handelt er wie ein Priester, besonders wie Mose, der auf den Berg steigt, um Gott anzubeten. Er ist auch das Urbild des „Weisen“ der Psalmen und Sprüche, der Gott über alles fürchtet und gehorcht (V.12). Wie Abraham bringt auch der Knecht des HERRN in Jes 53 ein Opfer und sieht Nachkommen (Jes 53,10). Wie Isaak „beugte [er] sich und tat seinen Mund nicht auf wie das Lamm, das zur Schlachtung geführt wird“ (V.7). Die Betonung des „einzigen Sohnes“ (V.2.12.16) wird im Neuen Testament aufgegriffen: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns? 32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,31f). „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“ (Joh 3,16). Die Septuaginta übersetzt in Gen 22,2 statt „einzig“ mit agapḗtos „geliebt“: „nimm deinen Sohn, den geliebten, den du lieb hast“ – die engste Parallele zu: „Und siehe, eine Stimme ‹kommt› aus den Himmeln, welche spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17, vgl. Ps 2,7 und zu „an dem ich Wohlgefallen habe“ Jes 42,1). Jakobus und der Hebräerbrief ziehen die Linie nicht zum Sühnopfer von Jesus sondern zum Gehorsam der Christen: „Ist nicht Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf den Opferaltar legte?“ (Jak 2,21). „Durch Glauben hat Abraham, als er geprüft 8 Neues Testament: „Die Schrift aber hat es vorausgesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündigte sie dem Abraham: ‚In dir sollen alle Heiden gesegnet werden‘“ (Gal 3,8 zitiert Gen 12,3). „Nun ist die Verheißung Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: und den Nachkommen, als gälte es vielen, sondern es gilt einem: ‚und deinem Nachkommen‘, welcher ist Christus“ (Gal 3,16 zitiert Gen 22,18). „Ihr seid die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott geschlossen hat mit euren Vätern, als er zu Abraham sprach: ‚Durch dein Geschlecht sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden‘“ (Apg 3,25 zitiert Gen 22,18). 19 wurde, den Isaak dargebracht, und er, der die Verheißungen empfangen hatte, brachte den einzigen ‹Sohn› dar“ (Heb 11,17). Genesis 24 Form, Struktur und Situation Dies ist die längste Erzählung der Genesis und es gibt zahllose Verbindungen zum Kontext, etwa eine enge Parallele zu Jakobs Begegnung mit Rahel an der Quelle (29,2-14), vgl. Mose in Ex 2,16-21 und die ugaritische Erzählung (Epos) von König Keret aus dem 13. Jh. v.Chr. Die Betonung von Gottes versorgende Führung inmitten menschlicher Angelegenheiten findet sich auch in der Josephserzählung. Rebekkas Bereitschaft, ihr Land und ihre Verwandtschaft zu verlassen, lässt sie als einen weiblichen Abraham erscheinen, die auch wie er Segen empfängt. Beide Namen haben die Konsonanten „b“ und „r“, möglicherweise ein Hinweis auf Segen (BRḴ „segnen“). Die Geschichte führt zwei der wichtigsten Figuren der Genesis ein: Rebekka und Laban. Im weiteren Verlauf des Buches werden sie mit menschlichen Mitteln und Intrigen versuchen, die Schicksale der Familie zu steuern. Diese Erzählung, die dem allen vorangestellt ist betont: Auch die Zukunft steht unter Gottes Kontrolle. Die Geschichte lässt sich in vier konzentrisch angeordnete Szenen unterteilen: 1. Abraham und sein Knecht in Kanaan (1-9) 2. Rebekka und der Knecht bei der Quelle (10-28) 3. Verhandlungen in Rebekkas Haus (29-61) a. Der Knecht tritt ein (29-32) b. Der Knecht erklärt seine Mission (33-49) c. Der Vorschlag wird angenommen (50-53) d. Rebekka und der Knecht gehen (54-61) 4. Isaak, Rebekka und der Knecht in Kanaan (62-67) Doppelt berichtete Ereignisse ergeben sich aus Gebet (V.12-14) und Erfüllung (V.15-21, bzw. -27), sowie Ereignissen (V.1-27) und Bericht (V.34-48). Die Unterschiede haben theologische Bedeutung. Der Auftrag „Geh und nimm“ (eine Frau für meinen Sohn, V.4) bildet eine Schlüsselrolle: 4 Auftrag 38 Bericht 51 Erwiderung 61 Erfüllung 67 Erfüllung „Sondern du sollst in mein Land und zu meiner Verwandtschaft gehen und ‹dort› eine Frau für meinen Sohn, für Isaak, nehmen!“ „sondern zu dem Haus meines Vaters und zu meiner Sippe sollst du gehen und ‹dort› für meinen Sohn eine Frau nehmen!“ „Siehe, Rebekka ist vor dir: Nimm sie und geh hin, dass sie die Frau des Sohnes deines Herrn werde, wie der HERR geredet hat!“ „Und Rebekka machte sich mit ihren Mädchen auf, und sie bestiegen die Kamele und folgten dem Mann. Und der Knecht nahm Rebekka und zog hin.“ „Dann führte Isaak sie in das Zelt seiner Mutter Sara; und er nahm Rebekka, und sie wurde seine Frau...“ Der Zweck der Geschichte, ist zu zeigen, dass die Segensverheißungen an Abraham sich auch dann noch erfüllen, wenn er sterben muss. Daneben wurde die Geschichte als Beispielgeschichte eines vorbildhaften Knechts gedeutet (Roth, Coats), sowie als Führungserzählung, die zeigt, wie göttliche Vorsehung Menschen dazu bringt, seinen Willen zu tun (Van Seters, Westermann). Kommentar Geburt Abraham Reise aus Haran Geburt Ismael Geburt Isaak Tod Sara Hochzeit Geburt Jakob Tod Abraham Tod Isaak 430 Jahre Ägypten v.Chr. 2167 2092 2081 2067 2030 2027 2007 1992 1887 1877 Alter -100 -25 -14 0 37 40 60 75 180 – 1-9: Szene 1 Die erste Szene besteht fast vollständig aus einem Dialog zwischen Abraham und seinem Knecht. Sie enthält die letzten aufgezeichneten Worte Abrahams. Genesis 25,1-11 lässt den Eindruck entstehen, dass Abraham nach dieser Erzählung noch einige Jahre gelebt hat („Und Abraham nahm wieder eine Frau, die hieß Ketura...“, 25,1). Isaak war 40 Jahre alt, als er Rebekka nach Edwin Thiele (Tempelbau= 967 v.Chr.) heiratete (25,20), sein Vater war 140 Jahre alt und starb erst mit 175 Jahren (25,7).9 Zwischen dem Tod von Sara im Alter von 127 Jahren (23,1f) und der Hochzeit liegen drei Jahre (denn 17,17 verrät, dass Abraham zehn Jahre älter als Sara war). Dennoch steht die Szene parallel mit den Todesbett-Szenen von Jakob und Joseph (47,29-31; 50,25). Doch es gibt auch Unterschiede: (1) Isaak ist abwesend, was auf eine gewissen Passivität seinerseits hindeutet. (2) Während Jakob und Joseph sich um ihre Beerdigung im verheißenen Land sorgen, ist Abraham am stärksten besorgt um eine Frau für seinen Sohn, denn ohne Nachkommen können die Verheißungen nicht erfüllt werden. Mit dieser Verheißung auf den Lippen (V.7) verschwindet er von der Bühne der Geschichte. ‫ת־א ְב ָר ָ ָּ֖הם ַב ֵּֽכל׃‬ ַ ‫יהוָ֛ה ב ַ ֹּ֥רְך ֶּא‬ ָ ‫ וְ ַא ְב ָר ָ ִ֣הם זָ ֵ֔קן ָ ָּ֖בא ַביָ ִ ָ֑מים ַ ֵּֽו‬1 24 Und Abraham war alt, hochbetagt, und der HERR hatte Abraham in allem gesegnet. Die Beschreibung als „alt, hochbetagt“ geht gewöhnlich den letzten Taten oder Worten großer Männer voraus (vgl. Jos 13,1; 23,1; 1.Kö 1,1), obwohl dies bereits zuvor über Abraham und Sara gesagt worden war: „Da sprach er: Wahrlich, übers Jahr um diese Zeit komme ich wieder zu dir, siehe, dann hat Sara, deine Frau, einen Sohn. Und Sara horchte am Eingang des Zeltes, der hinter ihm war. 11 Abraham und Sara aber waren alt, hochbetagt; es erging Sara nicht mehr nach der Frauen Weise“ (Gen 18,11). Hier finden wir den ersten ausdrücklichen Hinweis des Erzählers, dass Abraham gesegnet worden ist (so auch die Beobachtung des Knechts in V.35). ָ֑‫ל־א ֶּשר־לו‬ ֲ ‫דו זְ ַ ִָּ֣קן ב ֵ֔יתו ַהמ ָּ֖של ְב ָכ‬ ֙ ‫ל־ע ְב‬ ַ ‫אמר ַא ְב ָר ִָ֗הם ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ ‫ים־נֹּ֥א יָ ְדךָּ֖ ַ ֹּ֥ת ַחת יְ ר ִ ֵּֽכי׃‬ ָ ‫ִ ֵּֽש‬ Da sagte Abraham zu seinem Knecht, dem Ältesten seines Hauses, der alles verwaltete, was er hatte: Lege doch deine Hand unter meine Hüfte! Anders als Elieser in 15,2 wird dieser (selbe oder andere) Knecht nicht benannt – was alleine zählt, ist seine Beziehung zu Abraham. Abraham vertraut ihm völlig, er verwaltete alles, vgl. das Vertrauen, welches Joseph bei Potifar (39,4.6) und dem Pharao genießt (41,41; 42,6). Die Aufforderung ist mit der Partikel naʾ „doch, bitte“ eher wie eine Bitte formuliert (vgl. 22,2). Die „Hüfte“ (vgl. Jakob und Joseph in 47,29) wird von Wenham u.a. als Euphemismus Genitalien verstanden. Das steht in Spannung zu der Verurteilung Hams, der die Blöße seines Vaters nicht einmal berührt, sondern lediglich sieht (9,22), sowie zu dem strengen Verbot, die Genitalien eines anderen Mannes im Kampf zu berühren (Dtn 25,11f). Im Alten Orient konnte die Ernsthaftigkeit eines Eides durch das Halten eines heiligen Gegenstandes (ähnlich wie heute die Bibel) unterstrichen werden. Hier könnte wie in Gen 32,26 wirklich die Hüfte gemeint sein, die symbolisch als Sitz Nachkommen gilt, vgl. „die aus seinen Lenden hervorgegangen waren“ (46,26). 9 Dennoch nimmt Wenham an, dass Abraham während der Abwesenheit seines Knechtes stirbt (was möglich ist, wenn er die Jahreszahlen symbolisch deutet, vgl. 24,65, wo der Knecht über Isaak sagt „mein Herr“, was jedoch nicht ausschließt, dass Abraham weiterhin sein Herr ist). 2 ‫א־ת ַ ָ֤קח ִא ָש ֙ה ִל ְב ֵ֔ ִני‬ ִ ‫ֵּֽאֹלהי ָה ָ ָ֑א ֶּרץ ֲא ֶַּ֨שר ֵּֽל‬ ָּ֖ ‫ֹלהי ַה ָש ֵַ֔מיִם ו‬ ִ֣ ‫יע ֵ֔ך ַ ֵּֽביהוָ ֙ה ֱא‬ ֲ ‫וְ ַא ְש ִ ִ֣ב‬ 3 ‫יושב ְב ִק ְר ֵּֽבו׃‬ ֹּ֥ ‫נות ַ ֵּֽה ְכנַ ֲע ֵ֔ ִני ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָאנ ִ ָּ֖כי‬ ֙ ‫ִמ ְב‬ Ich will dich schwören lassen bei dem HERRN, dem Gott des Himmels und dem Gott der Erde, dass du meinem Sohn nicht eine Frau von den Töchtern der Kanaaniter nimmst, in deren Mitte ich wohne. Die Bezeichnung Gottes als „Gott des Himmels und dem Gott der Erde“ hat ihre engste Parallele in 14,22: „Da sagte Abram zum König von Sodom: Ich hebe meine Hand auf zu dem HERRN, ‹zu› Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde geschaffen hat“. Man könnte eine Ähnlichkeit zur der Praxis vermuten, dass Himmel und Erde als Zeugen für einen Bund angerufen werden konnten (Dtn 30,19; Jes 1,2; Jacob). Was Wenham nicht nennt, ist die Möglichkeit, dass Abraham in beiden Fällen gegenüber einem Fremden umschreibt, wer sein Bundesgott Jhwh ist. Der König von Sodom und der Knecht Abrahams sollen wissen, dass es sich nicht um einen Familiengott handelt, sondern um den einen wahren Gott. Auch das Gesetz lehnt eine Heirat mit Kanaanitern streng ab (Ex 34,16; Num 25; Dtn 7,3). Abraham ist hier der erste, der dieses Prinzip formuliert (vgl. Jakob in 28,1f). ‫ל־מול ְד ִ ָּ֖תי תלְָ֑ך וְ ָל ַק ְח ָ ֹּ֥ת ִא ָ ָּ֖שה ִל ְב ִנֹּ֥י ְליִ ְצ ָ ֵּֽחק׃‬ ַ ‫ל־א ְר ִ ָ֛צי וְ ֶּא‬ ַ ‫ִ ָ֧כי ֶּא‬ 4 ‫ל־ה ָ ִ֣א ֶּרץ ַה ָ֑זאת‬ ָ ‫אבִ֣ה ָ ֵּֽה ִא ֵָ֔שה ָל ֶּל ֶֹּּ֥כת ַא ֲח ַ ָּ֖רי ֶּא‬ ֶּ ‫אּולי לא־ת‬ ֙ ַ ‫אמ ר א ָל ֙יו ָה ֵ֔ ֶּע ֶּבד‬ ֶּ ‫וַ ָ֤י‬ 5 Sondern du sollst in mein Land und zu meiner Verwandtschaft gehen und ‹dort› eine Frau für meinen Sohn, für Isaak, nehmen! Die „Verwandtschaft“ ist der Clan, eine Größe zwischen Vaterhaus (erweiterte Familie) und Stamm. ‫את ִמ ָ ֵּֽשם׃‬ ָ ‫ל־ה ָ ָּ֖א ֶּרץ ֲא ֶּשר־יָ ָ ֹּ֥צ‬ ָ ‫ת־בנְ ֵ֔ך ֶּא‬ ִ ‫ֶּ ֵּֽה ָה ָ֤שב ָא ִש ֙יב ֶּא‬ Der Knecht aber sagte zu ihm: Vielleicht wird die Frau mir nicht in dieses Land folgen wollen. Soll ich dann deinen Sohn in das Land zurückbringen, aus dem du ausgezogen bist? Der Knecht weist auf die naheliegendste Schwierigkeit hin: Was wenn die Frau ihre Heimat nicht verlassen will? ‫ת־ב ִנָּ֖י ָ ֵּֽש ָמה׃‬ ְ ‫ן־ת ִ ֹּ֥שיב ֶּא‬ ָ ‫אמר א ָלָּ֖יו ַא ְב ָר ָ ָ֑הם ִה ָ ִ֣ש ֶּמר ְל ֵ֔ך ֶּפ‬ ֶּ ‫וַ ֹּ֥י‬ 6 Da sagte Abraham zu ihm: Hüte dich wohl, meinen Sohn dorthin zurückzubringen! Der Ausdruck „Hüte dich wohl“ weist oft eine schockierende, unwürdige Idee zurück (vgl. 31,24.29; Ex 34,12; Dtn 4,9). Abraham weist hier wohl auch die Idee von sich, dass Gott so widersprüchlich sein könnte im Hinblick auf die Landzusage. ֒‫ול ְד ִתי‬ ַ ‫בי ּומ ֶּ ִ֣א ֶּרץ ֵּֽמ‬ ֮ ִ ‫ֹלהי ַה ָש ִַ֗מיִ ם ֲא ֶַּ֨שר ְל ָק ַָ֜חנִ י ִמבִ֣ית ָא‬ ִ֣ ‫הוִ֣ה׀ ֱא‬ ָ ְ‫י‬ ‫ת־ה ָ ִ֣א ֶּרץ ַה ָ֑זאת‬ ָ ‫אמר ְל ַַ֨ז ְר ֲע ֵ֔ך ֶּא ָּ֖תן ֶּא‬ ֵ֔ ‫ע־לי ל‬ ֙ ִ ‫ר־לי וַ ֲא ֶּ ָ֤שר ִ ֵּֽנ ְש ַ ֵּֽב‬ ִ ָ֜ ‫וַ ֲא ֶַּ֨שר ִד ֶּב‬ ‫כו ְל ָפ ֵ֔ ֶּניך וְ ָל ַק ְח ָ ֹּ֥ת ִא ָ ָ֛שה ִל ְב ִנָּ֖י ִמ ָ ֵּֽשם׃‬ ֙ ‫ִ֗הּוא יִ ְש ַלָ֤ח ַמ ְל ָא‬ Der HERR, der Gott des Himmels, der mich aus dem Haus meines Vaters und aus dem Land meiner Verwandtschaft genommen und der zu mir geredet und der mir dies geschworen hat: Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben, der wird seinen Engel vor dir hersenden, dass du eine Frau für meinen Sohn von dort holen kannst. Der Inhalt des Eides (22,16) wird teilweise auch Rebekka von ihren Verwandten zugesprochen. 7 ‫ית ִמ ְש ֻב ָע ִ ָּ֖תי ָ֑זאת‬ ָ ‫אבה ָ ֵּֽה ִא ָש ֙ה ָל ֶּל ִֶּ֣כת ַא ֲח ֶּ ֵ֔ריך וְ נִ ִַ֕ק‬ ָ֤ ֶּ ‫ם־לא ת‬ ַ֨ ‫וְ ִא‬ 8 ‫ת־ב ֵ֔ ִני ֹּ֥לא ָת ָּ֖שב ָ ֵּֽש ָמה׃‬ ְ ‫ַ ִ֣רק ֶּא‬ Wenn aber die Frau dir nicht folgen will, so bist du frei von diesem Schwur. Nur sollst du meinen Sohn nicht dorthin zurückbringen! Abraham erkennt, dass der Knecht seinen Glauben nicht teilen könnte und eröffnet ihm einen Ausweg. Eine Rückkehr nach Mesopotamien bleibt aber ausgeschlossen. ‫ל־ה ָד ָ ָּ֖בר ַה ֶּזֵּֽה׃‬ ַ ‫וַ ָי ֶָּ֤שם ָה ַ֨ ֶּע ֶּב ֙ד ֶּאת־יָ ֵ֔דו ַ ָ֛ת ַחת ֶּ ֹּ֥י ֶַּֽרְך ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם ֲאד ָנָ֑יו וַ יִ ָ ִ֣ש ַ ֵּֽבע ל ֵ֔ו ַע‬ 9 Und der Knecht legte seine Hand unter die Hüfte Abrahams, seines Herrn, und schwor ihm ‹in Hinsicht› auf dieses Wort. Unter diesen Umständen kann der Knecht schwören. 10-28: Szene 2 Die zweite Szene spielt sich an eine Quelle in Aram-Naharajim ab. Hier gibt es nur drei Akteure: der Knecht, Rebekka und Gott (letzterer nur im Hintergrund). Die Szene lässt sich folgendermaßen unterteilen: 10f Knecht reist zur Quelle 12-14 Knecht betet 15-25 Gebet beantwortet 15f Rebekka erscheint 17 Knecht fragt nach Wasser 18 Rebekka gibt Wasser 19f Rebekka gibt Kamelen Wasser 21f Knecht reagiert 23 Knecht fragt Rebekka nach Familie 24 Rebekka sagt wer sie ist 25 Rebekka beschreibt ihr Haus 26f Knecht preist 28 Rebekka geht heim ‫ל־טּוב ֲאד ָנָּ֖יו ְביָ ָ֑דו‬ ֹּ֥ ‫וַ יִ ַ ִ֣קח ָ֠ ָה ֶּע ֶּבד ֲע ָש ָ ַ֨רה גְ ַמ ָ֜ ִלים ִמּגְ ַמלָ֤י ֲאדנָ ֙יו וַ ֵ֔י ֶּלְך וְ ָכ‬ 11 ‫ל־עיר נָ ֵּֽחור׃‬ ֹּ֥ ִ ‫ל־א ַ ֹּ֥רם ַנ ֲֵּֽה ַ ָּ֖ריִ ם ֶּא‬ ֲ ‫וַ ִָ֗י ָקם וַ י ֶָּ֛לְך ֶּא‬ Dann nahm der Knecht zehn Kamele von den Kamelen seines Herrn und zog hin und ‹nahm› allerlei Gut seines Herrn mit sich. Und er machte sich auf und zog nach Aram-Nacharajim, zu der Stadt Nahors. Kamele waren relativ selten, zehn deuten auf großen Reichtum hin, aber auch auf Rebekkas langen Atem, sie alle zu tränken. Abrahams Verwandte lebten in Haran (11,31) in der Region Aram-Nacharajim „Aram der zwei Flüsse“ (Dtn 23,5; Ps 60,2; 1.Chr 19,6), zwischen Euphrat und Tigris, enger eingeengt zwischen Euphrat und dem Nebenarm Chabur. Die Stadt Nahor könnte eine Umschreibung für Haran sein (Westermann, Gipsen, Wenham) oder eine eigene Stadt Naḫur bei Haran (Ersterwähnung 20. Jh. v.Chr.). ‫ל־ב ִ֣אר ַה ָ ָ֑מיִ ם ְלעִ֣ת ֵ֔ ֶּע ֶּרב ְל ָּ֖עת ֹּ֥צאת ַהש ֲא ֵּֽבת׃‬ ְ ‫וַ ְיַב ָ֧רְך ַהּגְ ַמ ִ ָ֛לים ִמ ֹּ֥חּוץ ָל ִ ָּ֖עיר ֶּא‬ Und er ließ die Kamele niederknieen draußen vor der Stadt am Wasserbrunnen um die Abendzeit, zur Zeit, da die Schöpferinnen herauskommen. Nach der langen Reise ist die Erschöpfung der Reisenden erkennbar. Der Knecht erlaubt den Kamelen Erholung (niederknieen), scheint aber keine Energie zu besitzen, ihnen Wasser zu bringen. 11 ‫ה־נֹּ֥א ְל ָפ ַנָּ֖י ַהיָ֑ ום‬ ָ ‫ֹלהי ֲאד ִנִ֣י ַא ְב ָר ֵָ֔הם ַה ְקר‬ ֙ ‫הוה ֱא‬ ִָ֗ ְ‫אמר׀ י‬ ַַ֓ ‫וַ י‬ 12 ‫ה־ח ֶּסד ִ ָּ֖עם ֲאד ִנֹּ֥י ַא ְב ָר ָ ֵּֽהם׃‬ ֶַּ֕ ‫וַ ֲעש‬ Und er sagte: HERR, Gott meines Herrn Abraham, lass es mir doch heute begegnen, und erweise Gnade an meinem Herrn Abraham! Mit dem „Herrn Abraham“ ist das Gebet durch eine Inclusio umgeben. Der Apell an die Gnade Gottes ist eine machtvolle Grundlage für ein Gebet. Die Formulierung „lass es mir doch heute begegnen“ findet sich in dieser Zeitform nur noch in der Lüge Jakobs in 27,20, der erklärt, wie er so schnell ein Mahl hat zu bereiten können. Der Ausdruck drückt Gottes versorgende Herrschaft über alle Ereignisse aus. ‫שי ָה ֵ֔ ִעיר י ְצ ָּ֖את ִל ְש ֹּ֥אב ָ ֵּֽמיִ ם׃‬ ִ֣ ְ‫נות ַאנ‬ ֙ ‫ּוב‬ ְ ‫ִהנָ֛ה ָאנ ִ ֹּ֥כי נִ ָ ָּ֖צב ַעל־עִ֣ין ַה ָ ָ֑מיִם‬ 13 ‫י־נָ֤א ַכד ְ֙ך וְ ֶּא ְש ֵֶּ֔תה וְ ָא ְמ ָ ִ֣רה ְש ֵ֔תה וְ גַ ם־ּגְ ַמ ֶּלָּ֖יך‬ ָ ‫יה ַה ִט‬ ָ֙ ‫וְ ָהָיִ֣ה ַ ֵּֽהנַ ֲע ָ ִ֗ר ֲא ֶַּ֨שר א ַ ָ֤מר א ַ֨ ֶּל‬ 14 ‫ם־אד ִנֵּֽי׃‬ ֲ ‫ית ֶּ ָּ֖ח ֶּסד ִע‬ ָ ‫י־ע ִ ֹּ֥ש‬ ָ ‫ּובּה א ַ ֵ֔דע ִכ‬ ִ֣ ָ ‫ַא ְש ֶּ ָָּ֑קה א ָ ָ֤תּה ה ַַ֨כ ְח ָ֙ת ְל ַע ְב ְדךִ֣ ְליִ ְצ ֵָ֔חק‬ Siehe, ich stehe an der Wasserquelle, und die Töchter der Leute der Stadt kommen heraus, um Wasser zu schöpfen. 14 Möge es nun geschehen: Das Mädchen, zu dem ich sagen werde: „Neige doch deinen Krug, dass ich trinke!“ und das ‹dann› sagt: „Trinke! Und auch deine Kamele will ich tränken“, das ‹soll es sein, das› du für deinen Knecht Isaak bestimmt hast! Und daran werde ich erkennen, dass du an meinem Herrn Gnade erwiesen hast. Das Zeichen Gottes ist gleichzeitig ein kluger Charaktertest: An der Aufnahme des erschöpften Reisenden möchte er erkennen, ob die Frau geeignet ist für die Familie eines Vorbilds an Gastfreundschaft. ‫ן־מ ְל ֵָ֔כה‬ ִ ‫תּואל ֶּב‬ ִ֣ ‫י־הּוא ֶּט ֶּר ֮ם ִכ ָלִ֣ה ְל ַדבר֒ וְ ִהנָ֧ה ִר ְב ָ ִָּ֣קה י ִ֗צאת ֲא ֶּ ָ֤שר יֻ ְל ָד ֙ה ִל ְב‬ ִ֗ ‫ַוֵַּֽֽיְ ִה‬ 15 ‫ל־ש ְכ ָ ֵּֽמּה׃‬ ִ ‫ֹּ֥א ֶּשת נָ ָּ֖חור ֲא ִ ִ֣חי ַא ְב ָר ָ ָ֑הם וְ ַכ ָ ָּ֖דּה ַע‬ Und es geschah – er hatte noch nicht ausgeredet – und siehe, da kam Rebekka heraus, die dem Betuel geboren war, dem Sohn der Milka, der Frau Nahors, des Bruders Abrahams; ‹sie trug› ihren Krug auf ihrer Schulter. Für das zukünftige Friedensreich verheißt Jesaja: „Und es wird geschehen: ehe sie rufen, werde ich antworten; während sie noch reden, werde ich hören“ (65,24). Der Zuhörer kennt bereits die Verwandtschaftsverhältnisse, der Knecht tappt völlig im Dunkeln. In der Liste der Nachkommen Nahors, Abrahams Bruder (22,20-24), ist Rebekka bereits aufgetaucht: „Siehe, Milka, auch sie hat deinem Bruder Nahor Söhne geboren:... 22 ...und Betuel. 23 Betuel aber zeugte Rebekka.“ (22,20.22f). ∞ Milka Bild: Thomas Hieke, „Abraham“, in: Michaela Bauks u.a., Hg., WiBiLex, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2005. https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/12288 (Erweiterung SR). ‫תּולה וְ ִ ָּ֖איש ִ֣לא יְ ָד ָ ָ֑עּה‬ ָ ַ֕ ‫וְ ַ ֵּֽהנַ ֲע ָ ִ֗ר ט ַ ָ֤בת ַמ ְר ֶּא ֙ה ְמ ֵ֔אד ְב‬ ‫וַ ִ֣ת ֶּרד ָה ֵ֔ ַעיְ נָ ה וַ ְת ַמ ֹּ֥לא ַכ ָ ָּ֖דּה וַ ָ ֵּֽת ַעל׃‬ Und das Mädchen war sehr schön von Aussehen, eine Jungfrau, und kein Mann hatte sie erkannt. Sie stieg zur Quelle hinab, füllte ihren Krug und stieg ‹wieder› herauf. Der hebräische Begriff betulah, hier übersetzt als „Jungfrau“, betont eher ihr heiratsfähiges Alter, als ihre Jungfräulichkeit, welche jedoch durch die nächste Bemerkung mitgeteilt wird. Es kann sein, 16 dass man die Jungfräulichkeit an der Kleidung erkennen konnte, es kann auch sein, dass der Knecht auch hier weniger Informationen als der Leser hatte. Dass sie wieder heraufstieg deutet an, dass es wohl einige Stufen zur Quelle hinab waren, die sie laufen musste, um Wasser zu beschaffen, bei größeren Mengen mühsam. ‫ט־מיִ ם ִמ ַכ ֵּֽדְך׃‬ ָּ֖ ַ ‫יאינִ י ָנָ֛א ְמ ַע‬ ֹּ֥ ִ ‫אמר ַהגְ ִמ‬ ֶּ ‫אתּה וַ ַ֕י‬ ָ֑ ָ ‫וַ ָ ֹּ֥י ַָֽרץ ָה ֶּ ָּ֖ע ֶּבד ִל ְק ָר‬ 17 Da lief ihr der Knecht entgegen und sagte: Lass mich doch ein wenig Wasser aus deinem Krug schlürfen! Wichtig ist hier nun die Unterschiede zu beobachten zwischen dem Gebet und der Durchführung des Tests. Der Knecht formuliert höflicher, als im Gebet. ‫אמר ְש ִ֣תה ֲאד ִנָ֑י וַ ְת ַמ ִ֗הר וַ ָ֧ת ֶּרד ַכ ָ ָ֛דּה ַעל־יָ ָ ָּ֖דּה וַ ַת ְש ֵָּּֽקהּו׃‬ ֶּ ‫וַ ָּ֖ת‬ 18 Und sie sagte: Trinke, mein Herr! Und eilends ließ sie ihren Krug auf ihre Hand herunter und gab ihm zu trinken. Rebekka ist zuvorkommender, als im Gebet erhofft, sie gibt ihm eilends zu trinken. ‫ם־כ ָּ֖לּו ִל ְש ֵּֽתת׃‬ ִ ‫אמר ַּגָ֤ם ִלגְ ַמ ַ֨ ֶּל ֙יך ֶּא ְש ֵָ֔אב ַ ֹּ֥עד ִא‬ ֶּ ‫וַ ְת ַכָּ֖ל ְל ַה ְשקתוָ֑ וַ ִ֗ת‬ 19 Und als sie ihm genug zu trinken gegeben hatte, sagte sie: Auch für deine Kamele will ich schöpfen, bis sie genug getrunken haben. Der erste Halbsatz erhöht für den Leser die Spannung. Und tatsächlich, sie bietet es an, nicht nur die Kamele zu tränken, sondern so lange, „bis sie genug getrunken haben“, mehr als im Gebet erwartet. ‫ל־ה ְב ָּ֖אר ִל ְש ָ֑אב‬ ַ ‫ל־ה ֵ֔ש ֶּקת וַ ָ ֹּ֥ת ָרץ ָ֛עוד ֶּ ֵּֽא‬ ַ ‫וַ ְת ַמ ִ֗הר וַ ְת ַ ָ֤ער ַכ ָד ּ֙ה ֶּא‬ 21 ‫וַ ִת ְש ַ ָּ֖אב ְל ָכל־ּגְ ַמ ָ ֵּֽליו׃‬ Und sie eilte und goss ihren Krug aus in die Tränkrinne, lief noch einmal zum Brunnen, um zu schöpfen, und schöpfte so für alle seine Kamele. Ihre enthusiastische Gastfreundschaft erinnert an den Eifer, den Abraham bei der Bewirtung der drei Gäste in Gen 18 an den Tag legt, mit denselben beiden Verben wie hier: „Da eilte Abraham ins Zelt zu Sara und sagte: Nimm schnell drei Maß Mehl, Weizengrieß, knete und mache Kuchen! 7 Und Abraham lief [ruz „rannte“] zu den Rindern und nahm ein Kalb, zart und gut, und gab es dem Knecht; und der beeilte sich, es zuzubereiten“ (V.6f). Alle Unterschiede zwischen dem Gebet und der Erfüllung weisen darauf hin: Rebekka übertrifft die optimistischsten Erwartungen. ‫ם־לא׃‬ ֵּֽ ‫הוָ֛ה ַד ְר ָּ֖כו ִא‬ ָ ְ‫וְ ָה ִ ֹּ֥איש ִמ ְש ָת ָּ֖אה ָלָּ֑ה ַמ ֲח ִ ַ֕ריש ָל ַ ִ֗ד ַעת ַ ֵּֽה ִה ְצ ִ ָ֧ל ַיח י‬ Der Mann aber sah ihr zu, schweigend, um zu erkennen, ob der HERR seine Reise würde gelingen lassen oder nicht. Im Unterschied zum Leser ist der Knecht noch nicht sicher. Das Verb ZLḤ (im Hifil) „gelingen lassen“ ist ein Schlüsselwort in der Erzählung. 40 Verheißung (Bericht) 52 Gebet (Bericht) 56 Erfüllung (Rückblick) „Da sagte er zu mir: Der HERR, vor dessen Angesicht ich gelebt habe, wird seinen Engel mit dir senden und wird deine Reise gelingen lassen“ „So kam ich heute zu der Quelle und sprach: HERR, Gott meines Herrn Abraham, wenn du doch Gelingen geben wolltest“ „Er aber sagte zu ihnen: Haltet mich nicht auf, da der HERR meine Reise hat gelingen lassen“ 21 ‫יש ֶּ ִ֣נַֽזֶּ ם זָ ֵָ֔הב ֶּ ָּ֖ב ַקע ִמ ְש ָק ָ֑לו‬ ֙ ‫וַ יְ ִִ֗הי ַכ ֲא ֶַּ֨שר ִכ ָ֤לּו ַהּגְ ַמ ִל ֙ים ִל ְש ֵ֔תות וַ יִ ַ ָ֤קח ָה ִא‬ 22 ‫יה ֲע ָש ָ ֹּ֥רה זָ ָ ָּ֖הב ִמ ְש ָק ָ ֵּֽלם׃‬ ָ ‫ּושנָ֤י ְצ ִמ ִיד ֙ים ַעל־יָ ֶּ ֵ֔ד‬ ְ Und es geschah, als die Kamele genug getrunken hatten, da nahm der Mann einen goldenen Ring, ein halber Schekel sein Gewicht, und zwei Spangen für ihre Handgelenke, zehn ‹Schekel› Gold ihr Gewicht; Ein ungewöhnlicher Lohn für eine Arbeit, welche sie aus freien Stücken angeboten hat. Ein Schekel ist etwa 12 g. Das bestätigt Reichtum und Großzügigkeit des Herrn des Knechts. ‫ית־א ִ ָ֛ביְך ָמ ֹּ֥קום ָ ָּ֖לנּו ָל ִ ֵּֽלין׃‬ ָ ‫ֹּ֥ידי ָנָּ֖א ִ ָ֑לי ֲהיָ֧ש ב‬ ִ ‫ת־מי ֵַ֔א ְת ַה ִּג‬ ִ֣ ִ ‫אמ ֙ר ַב‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ 23 und er sagte: Wessen Tochter bist du? Sage es mir doch! Gibt es im Haus deines Vaters Platz für uns zu übernachten? Er bittet sie nun um einen größeren Gefallen, einen Platz zum Übernachten. ‫ן־מ ְל ַָ֕כה ֲא ֶּ ֹּ֥שר יָ ְל ָ ָּ֖דה ְלנָ ֵּֽחור׃‬ ִ ‫תּואל ָא ָ֑נ ִכי ֶּב‬ ָּ֖ ‫ת־ב‬ ְ ‫אמר א ֵ֔ ָליו ַב‬ ֶּ ‫וַ ִ֣ת‬ 24 ‫ם־מ ָּ֖קום ָל ֵּֽלּון׃‬ ָ ַ‫ם־מ ְס ָּ֖פוא ַ ִ֣רב ִע ָ ָ֑מנּו ּג‬ ִ ַ‫ם־ת ֶּבן ּג‬ ֹּ֥ ֶּ ַ‫אמר א ֵ֔ ָליו ּג‬ ֶּ ‫וַ ִ֣ת‬ 25 Da sagte sie zu ihm: Ich bin die Tochter Betuels, des Sohnes der Milka, den sie dem Nahor geboren hat. 25 Und sie sagte ‹weiter› zu ihm: Sowohl Stroh als auch Futter ist bei uns in Menge, auch Platz zum Übernachten. Rebekka antwortet präzise, nennt ihren eigenen Namen nicht. Sie ist die Enkelin von Abrahams Bruder Nahor, ihr Vater heißt Betuel. Ihre Großmutter Milka war die Tochter des anderen Bruders Haran. Ihre Mutter nennt sie hier nicht. Die Dinge laufen besser als erhofft, die Frau ist nicht nur aus dem Clan (V.4), sondern aus dem Vaterhaus von Abraham. Rebekkas Vater stammt von beiden Seiten von Abrahams Brüdern (V.27) ab. ‫יהוה׃‬ ֵּֽ ָ ‫וַ יִ ִ֣קד ָה ִֵ֔איש וַ יִ ְש ַ ָּ֖תחּו ַ ֵּֽל‬ 26 ‫א־ע ַזֹּ֥ב ַח ְס ָ֛דו וַ ֲא ִמתוָּ֖ מ ִ ִ֣עם ֲאד ִנָ֑י‬ ָ ‫ֹלהי ֲאד ִנִ֣י ַא ְב ָר ֵָ֔הם ָ֠ ֲא ֶּשר ֵּֽל‬ ֙ ‫אמר ָב ָ֤רּוְך יְ הוָ ֙ה ֱא‬ ֶּ ‫וַ ִ֗י‬ 27 ‫הוה ָּ֖בית ֲא ֹּ֥חי ֲאד ִנֵּֽי׃‬ ֵָ֔ ְ‫ָאנ ִִ֗כי ַב ֶּ ַ֨ד ֶּר ְ֙ך נָ ַ ִ֣חנִ י י‬ Da verneigte sich der Mann und warf sich nieder vor dem HERRN 27 und sprach: Gepriesen sei der HERR, der Gott meines Herrn Abraham, der seine Gnade und Treue gegenüber meinem Herrn nicht hat aufhören lassen! Mich hat der HERR den Weg zum Haus der Brüder meines Herrn geführt. Die erste und letzte Handlung des Knechts an der Quelle ist ein Gebet. Der doppelte Bezug auf die Verneigung deutet darauf hin, wie überwältigt er ist, dass sein Gebet so schnell erhört wurde. ‫וַ ַָ֨ת ָר ֙ץ ַ ֵּֽהנַ ֲע ָ ֵ֔ר וַ ַתּגָּ֖ד ְלבִ֣ית ִא ָ ָ֑מּה ַכ ְד ָב ִ ָּ֖רים ָה ֵּֽא ֶּלה׃‬ Das Mädchen aber lief und berichtete diese Dinge dem Haus ihrer Mutter. Der Leser und der Knecht ist sich sicher, dass sie die bestimmte Frau ist. Aber wird es die Familie auch so sehen? Wie steht die Mutter (die hier auffällig genannt wird) zu Betuels Seite der Familie? 28 29-61: Szene 3 (a) 29-32 ‫ל־ה ָ ֵּֽעיִ ן׃‬ ָ ‫ּוצה ֶּא‬ ָ ‫ל־ה ִ ָ֛איש ַה ָּ֖ח‬ ָ ‫ּוש ִ֣מו ָל ָ ָ֑בן וַ ַָ֨י ָרץ ָל ָ ָ֧בן ֶּא‬ ְ ‫ּול ִר ְב ָ ָֹּּ֥קה ָ ָּ֖אח‬ ְ 29 Nun hatte Rebekka einen Bruder, der hieß Laban. Und Laban lief zu dem Mann hinaus an die Quelle. Der Name Laban ist auch aus anderen Texten bekannt. Laban bedeutet „weiß“. Es könnte aber auch etwas mit dem Mondgott Sin zu tun haben, der in Haran verehrt wurde. Das Wort kann auch von der hebräischen Übersetzung von „Vollmond“ kommen. Der Eifer Labans lässt zunächst vermuten, dass er ebenso gastfreundlich ist wie Rebekka und Abraham. ‫ת־ד ְב ַּ֞רי ִר ְב ָ ָָּ֤קה‬ ִ ‫ּוכ ָש ְמ ִ֗עו ֶּא‬ ְ ֒‫ים ַעל־יְ ִ֣די ֲאחתו‬ ֮ ‫ת־ה ְצ ִמ ִד‬ ַ ‫ת־ה ִ֗ ֶּנזֶּ ם ְ ֵּֽו ֶּא‬ ַ ‫וַ יְ ִ ִ֣הי׀ ִכ ְר ִ֣את ֶּא‬ 31 ‫ה־ד ֶּ ֹּ֥בר א ַלָּ֖י ָה ִ ָ֑איש‬ ִ ‫אמר ֵּֽכ‬ ֵ֔ ‫תו ל‬ ֙ ‫ֲאח‬ ‫ל־ה ָ ֵּֽעיִ ן׃‬ ָ ‫ל־הּגְ ַמ ִ ָּ֖לים ַע‬ ַ ‫ל־ה ִֵ֔איש וְ ִהנָ֛ה ע ֹּ֥מד ַע‬ ָ ‫וַ יָב ֙א ֶּא‬ Und es geschah, als er den Ring sah und die Spangen an den Handgelenken seiner Schwester und als er die Worte seiner Schwester Rebekka hörte, die sagte: „So hat der Mann zu mir geredet“, da kam er zu dem Mann; und siehe, er stand ‹noch› bei den Kamelen an der Quelle. Doch dieser Eindruck vergeht. Labans Handlungen sind durch Gier motiviert, nicht durch Gastfreundschaft. Laban muss erleichtert gewesen sein, dass der Gast noch nicht weitergezogen ist, als er ihn und seine wertvolle Kamele erblickt. ‫ּומ ָּ֖קום ַלּגְ ַמ ִ ֵּֽלים׃‬ ָ ‫ִ֣יתי ַה ֵַ֔ביִת‬ ִ ‫הוָ֑ה ָל ָָ֤מה ַת ֲעמ ֙ד ַב ֵ֔חּוץ וְ ָאנ ִ ֙כי ִפ ִנ‬ ָ ְ‫אמר ָּ֖בוא ְב ִ֣רּוְך י‬ ֶּ ‫וַ ַ֕י‬ 31 Und er sprach: Komm herein, du Gesegneter des HERRN! Warum stehst du draußen? Habe ich doch schon das Haus aufgeräumt, und ‹auch› für die Kamele ist Platz da. Laban weiß noch nichts über den Fremden, aber der Reichtum lässt ihn diese Worte als höfliche Anrede einem Reichen gegenüber wählen, ein Zeichen göttlichen Segens. Doch wie so oft in der Bibel haben seine Worte eine tiefere Wahrheit als er denkt. Der Reichtum steht am Anfangspunkt der Geschichte (V.1.35). ‫יש ַה ֵַ֔ביְ ָתה וַ יְ ַפ ַ ָּ֖תח ַהּגְ ַמ ִ ָ֑לים‬ ֙ ‫וַ ָ֤יָבא ָה ִא‬ 32 ‫ּומיִ ֙ם ִל ְר ִ֣חץ ַרגְ ֵ֔ ָליו וְ ַרגְ ֹּ֥לי ָה ֲאנָ ִ ָּ֖שים ֲא ֶּ ֹּ֥שר ִאתוֵּֽ ׃‬ ַַ֨ ‫פוא ַלּגְ ַמ ֵ֔ ִלים‬ ֙ ‫ּומ ְס‬ ִ ‫וַ יִ ַ֨תן ֶּ ָ֤ת ֶּבן‬ Da kam der Mann ins Haus; und man sattelte die Kamele ab und gab den Kamelen Stroh und Futter, ‹ihm› aber Wasser, um seine Füße zu waschen und die Füße der Männer, die bei ihm waren. (b) 33-49 In V.34-48 der langen Rede (-49) wiederholt der Knecht die Ereignisse, die in V.1-27 geschildert wurden. Er muss die Familie überzeugen. Sein gesamter Bericht ist auf dieses Ziel hin ausgelegt, auf den letzten Appell. So lassen sich feine Unterschiede zwischen Ereignissen und Bericht erklären. ‫אמר ַד ֵּֽבר׃‬ ֶּ ‫ם־ד ַ ָּ֖ב ְר ִתי ְד ָב ָ ָ֑רי וַ ָּ֖י‬ ִ ‫אמ ֙ר ִ֣לא א ֵַ֔כל ַ ֹּ֥עד ִא‬ ֶּ ‫ישם ְל ָפנָ ֙יו ֶּל ֱא ֵ֔כל וַ ַ֨י‬ ֶּ ִ‫וַ י‬ Dann wurde ihm zu essen vorgesetzt. Er aber sagte: Ich will nicht essen, bis ich meine Worte geredet habe. Und er sagte: Rede! Der Höhepunkt der Gastfreundschaft war natürlich das Mahl, dann würde die ernsthafte Unterhaltung beginnen (vgl. Gen 18,1-15). Doch der Knecht, der zunächst zu schwach war, um zu trinken, weigert sich zu essen. Seine Mission ist ihm so wichtig, dass er zuerst reden muss. Seine Hingabe ist bemerkenswert. Es ist ihm wichtiger, seine Pflicht gegenüber Abraham zu erfüllen, als seinen Hunger zu stillen. 33 ‫אמר ֶּ ֹּ֥ע ֶּבד ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם ָא ֵּֽנ ִכי׃‬ ָ֑ ַ ‫וַ י‬ 34 Da sagte er: Ich bin Abrahams Knecht. Laban muss sich wundern: Wenn schon der Knecht so mit Geld um sich wirft, wie muss dann erst Abraham sein? ‫ת־אד ִנָ֛י ְמ ָּ֖אד וַ יִ גְ ָ ָ֑דל וַ יִ ֶּתן־ל ַּ֞ו ָ֤צאן‬ ֲ ‫יהוה ב ַ ָ֧רְך ֶּא‬ ַָּ֞ ַ‫ו‬ 35 ‫ּוש ָפ ֵ֔חת ּוגְ ַמ ִ ָּ֖לים וַ ֲחמ ִ ֵּֽרים׃‬ ְ ‫ּוב ָק ֙ר וְ ֶּכ ִֶּ֣סף וְ זָ ֵָ֔הב וַ ֲע ָב ִד ֙ם‬ ָ Der HERR hat meinen Herrn sehr gesegnet, so dass er groß geworden ist. Er hat ihm Schafe und Rinder gegeben, Silber und Gold, dazu Knechte und Mägde, Kamele und Esel. Nur hier ist der Segen mit meʾod „sehr“ verstärkt. In der sehr langen Liste der Belege sind die sichtbaren Güter (Gold, Knechte, Kamele) unter die nicht sichtbaren gemischt, und verleihen diesen Glaubwürdigkeit. ‫ל־א ֶּשר־לוֵּֽ ׃‬ ֲ ‫ת־כ‬ ָ ‫וַ ֹּ֡ת ֶּלד ָש ָר ֩ה ַ֨א ֶּשת ֲאד ִנֹּ֥י ֙בן ַ ֵּֽלאד ֵ֔ ִני ַא ֲח ָּ֖רי זִ ְקנָ ָ ָ֑תּה וַ יִ ֶּתן־לוָּ֖ ֶּא‬ 36 Und Sara, die Frau meines Herrn, hat meinem Herrn einen Sohn geboren, nachdem sie schon alt geworden war; dem hat er alles, was er hat, übergeben. Der Einschub „nachdem sie schon alt geworden war“ gibt den Hinweis, dass Isaak (Abrahams Sohn) möglicherweise noch jung genug ist, um ein passender Ehemann für Rebekka (Nahors Enkelin, Harans Ur-Enkelin!) zu sein. Sie steht ja 1-2 Generationen unter ihm. Der Knecht nimmt mit „dem hat er alles, was er hat, übergeben“ Abrahams Absichten vorweg, deren Umsetzung erst in 35,5 berichtet wird. Er verleitet Laban zu dem Gedanken: Was für ein Fang! Das Unglück der Eltern ist das Glück des Sohnes, der nun alles alleine erben wird. Bevor er die harte Bedingung nennt, möchte er die Herzen der Zuhörer gewinnen. ‫א־ת ַ ָ֤קח‬ ִ ‫אמר ל‬ ָ֑ ‫וַ יַ ְש ִב ֹּ֥ענִ י ֲאד ִנָּ֖י ל‬ 37 ‫נות ַ ֵּֽה ְכנַ ֲע ֵ֔ ִני ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָאנ ִ ָּ֖כי י ֹּ֥שב ְב ַא ְר ֵּֽצו׃‬ ֙ ‫ִא ָש ֙ה ִל ְב ֵ֔ ִני ִמ ְב‬ ‫ל־מ ְש ַפ ְח ִ ָ֑תי וְ ָל ַק ְח ָ ֹּ֥ת ִא ָ ָּ֖שה ִל ְב ִנֵּֽי׃‬ ִ ‫ית־א ִ ָ֛בי תלְָּ֖ך וְ ֶּא‬ ָ ‫ם־לא ֶּאל־ב‬ ָ֧ ‫ִא‬ 38 ‫ל־אד ִנָ֑י ֻא ַלָ֛י לא־ת ֹּ֥לְך ָה ִא ָ ָּ֖שה ַא ֲח ָ ֵּֽרי׃‬ ֲ ‫וָ א ַ ָּ֖מר ֶּא‬ 39 ‫ר־ה ְת ַה ַל ְִ֣כ ִתי ְל ָפ ִ֗ ָניו יִ ְש ַ֨ ַלח ַמ ְל ָא ָ֤כו‬ ִ ‫הוה ֲא ֶּש‬ ַָּ֞ ְ‫אמר א ָלָ֑י י‬ ֶּ ‫וַ ָּ֖י‬ 41 ‫ּומ ֹּ֥בית ָא ִ ֵּֽבי׃‬ ִ ‫ִא ָת ְ֙ך וְ ִה ְצ ִ ִ֣ל ַיח ַד ְר ֵֶּ֔כך וְ ָל ַק ְח ָ ָ֤ת ִא ָש ֙ה ִל ְב ֵ֔ ִני ִמ ִמ ְש ַפ ְח ִ ָּ֖תי‬ ‫ם־לא‬ ָ֤ ‫ל־מ ְש ַפ ְח ִ ָ֑תי וְ ִא‬ ִ ‫ָ ָ֤אז ִתנָ ֶּק ֙ה מ ָ ִ֣א ָל ִֵ֔תי ִ ֹּ֥כי ָת ָּ֖בוא ֶּא‬ ‫ֹּ֥ית נָ ִ ָָּּ֖קי מ ָא ָל ִ ֵּֽתי׃‬ ָ ‫יִ ְת ֙נּו ֵ֔ ָלְך וְ ָה ִי‬ Mein Herr aber hat mich schwören lassen und gesagt: Du sollst für meinen Sohn nicht eine Frau von den Töchtern der Kanaaniter nehmen, in deren Land ich wohne; 38 sondern zu dem Haus meines Vaters und zu meiner Sippe sollst du gehen und ‹dort› für meinen Sohn eine Frau nehmen! 39 Und ich sagte zu meinem Herrn: Vielleicht will die Frau mir nicht folgen. 40 Da sagte er zu mir: Der HERR, vor dessen Angesicht ich gelebt habe, wird seinen Engel mit dir senden und wird deine Reise gelingen lassen, dass du für meinen Sohn eine Frau aus meiner Sippe und aus dem Haus meines Vaters nimmst. 41 Dann bist du frei von dem Schwur: Wenn du zu meiner Sippe kommst und wenn sie sie dir nicht geben, dann bist du entlastet von dem Schwur. Nach einer etwas ausführlichen Einführung wird nun der Auftrag Abrahams und folgender Dialog etwas abgekürzt. Die Kanaaniter sind hier nicht von großer Bedeutung. Betont wird das Verwandtschaftsverhältnis, um den Schmerz der Trennung Rebekkas von ihrer Familie zu verringern. 41 Die mögliche Verweigerung der Frau wird weniger betont, dafür die Entscheidung der Familie ins Spiel gebracht. Der größte Unterschied ist wohl, dass der Knecht die Möglichkeit überhaupt nicht mehr nennt, dass Isaak ja auch nach Mesopotamien zu Rebekkas Familie ziehen könnte. Das auch nur zu erwähnen, könnte sie auf dumme Gedanken bringen. ‫ֹלהי ֲאד ִנִ֣י ַא ְב ָר ֵָ֔הם‬ ֙ ‫ל־ה ָ ָ֑עיִ ן וָ א ִַ֗מר יְ הוָ ֙ה ֱא‬ ָ ‫וָ ָא ֹּ֥בא ַהיָּ֖ ום ֶּא‬ 42 ‫יה׃‬ ָ ‫ִאם־יֶּ ְשך־נָ ֙א ַמ ְצ ִ ִ֣ל ַיח ַד ְר ִֵ֔כי ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָאנ ִ ָּ֖כי ה ֹּ֥לְך ָע ֶּ ֵּֽל‬ ‫ִהנָ֛ה ָאנ ִ ֹּ֥כי נִ ָ ָּ֖צב ַעל־עִ֣ין ַה ָ ָ֑מיִם‬ 43 ‫ט־מיִ ם ִמ ַכ ֵּֽדְך׃‬ ָּ֖ ַ ‫י־נֹּ֥א ְמ ַע‬ ָ ִ‫יה ַה ְש ִ ֵָּּֽקינ‬ ָ ‫וְ ָהָיָ֤ה ָ ֵּֽה ַע ְל ָמ ֙ה ַהיצִ֣את ִל ְש ֵ֔אב וְ ָא ַמ ְר ִ ִ֣תי א ֵ֔ ֶּל‬ ‫ם־א ָ ִ֣תה ְש ֵ֔תה וְ ַגֹּ֥ם ִלגְ ַמ ֶּלָּ֖יך ֶּא ְש ָ ָ֑אב‬ ַ ַ‫וְ ָא ְמ ָ ָ֤רה א ַ ֙לי ּג‬ 44 ‫ן־אד ִנֵּֽי׃‬ ֲ ‫הוָּ֖ה ְל ֶּב‬ ָ ְ‫ִ ִ֣הוא ָ ֵּֽה ִא ֵָ֔שה ֲא ֶּשר־ה ִ ֹּ֥כ ַיח י‬ ‫ל־ש ְכ ֵָ֔מּה וַ ֹּ֥ת ֶּרד‬ ִ ‫את וְ ַכ ָ ִ֣דּה ַע‬ ֙ ‫ל־ל ִִ֗בי וְ ִה ַ֨נה ִר ְב ָ ָָּ֤קה יצ‬ ִ ‫ֲאנִ י֩ ֶַּ֨ט ֶּרם ֲא ַכ ָ֜ ֶּלה ְל ַד ִ֣בר ֶּא‬ 45 ‫ָּ֖יה ַה ְש ִ ָֹּּ֥קינִ י ָנֵּֽא׃‬ ָ ‫ָה ַ ָּ֖עיְ נָ ה וַ ִת ְש ָ ָ֑אב וָ א ַ ֹּ֥מר א ֶּל‬ ‫אמר ְש ֵ֔תה וְ גַ ם־ּגְ ַמ ֶּלָּ֖יך ַא ְש ֶּ ָָּ֑קה‬ ֶּ ‫יה וַ ִ֣ת‬ ָ ‫וַ ְת ַמ ִ֗הר וַ ָ֤ת ֶּורד ַכ ָד ּ֙ה ֵּֽמ ָע ֵ֔ ֶּל‬ 46 ‫וָ ַ֕א ְש ְת וְ ַגֹּ֥ם ַהּגְ ַמ ִ ָּ֖לים ִה ְש ָ ֵָּּֽק ָתה׃‬ ָּ֖‫ת־בתּואל֙ ֶּבן־נָ ֵ֔חור ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָי ְֵּֽל ָדה־לו‬ ְ ‫אמר ַב‬ ֶּ ‫ת וַ ִ֗ת‬ ֒ ְ ‫ת־מי ַא‬ ִ֣ ִ ‫וָ ֶּא ְש ַ ִ֣אל א ִָ֗תּה וָ א ַמ ֮ר ַב‬ ‫יה׃‬ ָ ‫ידים ַעל־יָ ֶּ ֵּֽד‬ ָּ֖ ִ ‫ל־א ֵ֔ ָפּה וְ ַה ְצ ִמ‬ ַ ‫ִמ ְל ָכָ֑ה וָ ָא ִ ָ֤שם ַה ַ֨ ֶּנזֶּ ֙ם ַע‬ So kam ich heute zu der Quelle und sprach: HERR, Gott meines Herrn Abraham, wenn du doch Gelingen geben wolltest zu meinem Weg, auf dem ich gehe! 43 Siehe, ich stehe bei der Wasserquelle. Möge es nun geschehen, dass das Mädchen, das herauskommt, um zu schöpfen, und zu dem ich sage: „Gib mir doch ein wenig Wasser aus deinem Krug zu trinken!“ 44 und das ‹dann› zu mir sagt: „Trinke du, und auch für deine Kamele will ich schöpfen“, ‹dass dies› die Frau sei, die der HERR für den Sohn meines Herrn bestimmt hat! 45 Ich hatte in meinem Herzen noch nicht ausgeredet, siehe, da kam Rebekka heraus mit ihrem Krug auf ihrer Schulter; und sie stieg zur Quelle hinab und schöpfte. Da sagte ich zu ihr: Gib mir doch zu trinken! 46 Und eilends ließ sie ihren Krug von ihrer Schulter herunter und sagte: Trinke, und auch deine Kamele will ich tränken. Da trank ich, und sie tränkte auch die Kamele. 47 Und ich fragte sie und sprach: Wessen Tochter bist du? Und sie sagte: Die Tochter Betuels, des Sohnes Nahors, den Milka ihm geboren hat. Und ich legte den Ring an ihre Nase und die Spangen an ihre Handgelenke. Nun folgt die Erzählung den Ereignissen viel genauer. Die Fakten sprechen für sich selbst. Wer etwas bereit ist nachzudenken, wir einsehen, dass Gott hier wirklich geführt hat. Der Knecht erwähnt nicht seine Zweifel, die nun überwunden sind. Die Höflichkeit der Frage nach Wasser ist wieder verschwunden, um den Zusammenhang zwischen Gebet und Frage zu unterstreichen. Die einzige wirkliche Abweichung findet sich am Ende: Es wäre unpassend gewesen, die Frage nach einer Unterkunft zu wiederholen. Warum er die Geschenke und die Frage nach Familie vertauscht, ist unklar. Könnte auch dies dem Aufbau der Argumentation hin zur entscheidenden Frage dienen, im Sinne einer Rangfolge von Gründen, die den gierigen Laben überzeugen: Isaak ist verwandt (47a), er ist reich (47b), es ist Gottes Wille (48)? 47 ‫ֹלהי ֲאד ִנִ֣י ַא ְב ָר ֵָ֔הם ֲא ֶּ ָ֤שר ִהנְ ַַ֨חנִ ֙י‬ ֙ ‫יהוָ֑ה וָ ֲא ָב ִ֗רְך ֶּאת־יְ הוָ ֙ה ֱא‬ ָ ‫וָ ֶּא ֹּ֥קד ָ ֵּֽו ֶּא ְש ַת ֲחֶּוָּ֖ה ַל‬ 48 ‫ת־א ִ ֹּ֥חי ֲאד ִנָּ֖י ִל ְבנֵּֽ ו׃‬ ֲ ‫ת־ב‬ ַ ‫ְב ֶּ ִ֣ד ֶּרְך ֱא ֵֶּ֔מת ָל ַ ָָּ֛ק ַחת ֶּא‬ Dann verneigte ich mich und warf mich vor dem HERRN nieder und dankte dem HERRN, dem Gott meines Herrn Abraham, der mich den rechten Weg geführt hatte, die Tochter des Bruders meines Herrn für seinen Sohn zu nehmen. Bei dem dérech ʾémet „rechten Weg“ geht es eigentlich um Zuverlässigkeit: Treue, Wahrheit/Wahrhaftigkeit und Beständigkeit. Der Begriff ʾémet taucht sechs Mal im Buch Genesis auf, dreimal in diesem Kapitel (auch V.49 und V.27, dort je übersetzt mit „Treue“). Gott ist zuverlässig, auf sein Wort und sein Werk kann man vollkommen vertrauen. ‫ת־אד ִנָּ֖י ַה ִּגִ֣ידּו ִ ָ֑לי‬ ֲ ‫ְו ַָ֠ע ָתה ִאם־יֶּ ְש ֶַּ֨כם ע ִָ֜שים ֶּ ָ֧ח ֶּסד ֶּו ֱֵּֽא ֶּ ָ֛מת ֶּא‬ 49 ‫ל־ש ֵּֽמאל׃‬ ְ ‫ם־לא ַה ִּגִ֣ידּו ֵ֔ ִלי וְ ֶּא ְפ ֶּנֹּ֥ה ַעל־יָ ִ ָּ֖מין ֹּ֥או ַע‬ ַ֕ ‫וְ ִא‬ Und nun, wenn ihr Gnade und Treue an meinem Herrn erweisen wollt, so teilt es mir mit; und wenn nicht, so teilt es mir ‹auch› mit! Und ich werde mich zur Rechten oder zur Linken wenden. Die entscheidende Frage, auf welche der Bericht hinausläuft ist mit diesem verbunden über die Worte „Gnade und Treue“. In V.27 ging es um Gottes Gnade und Treue: Er hat dieses Haus erwählt. In V.48 hat Gott den Weg der Treue in dieses Haus geführt. Sie antworten mit ihrer Entscheidung nicht auf die Bitte eines Menschen, sondern auf Gottes Führung. Wenn sie ablehnen, stellen sie sich gegen Gottes Weg. Schlimmer noch, sie bringen Schande auf sich, weil sie einen gottlosen Charakter zeigen, indem sie nicht wie Gott Gnade und Treue erweisen. Sie sollen den Mut haben, ihm ihre Ablehnung frei heraus ins Gesicht zu sagen. Dann gibt es würdigere Familien „zur Rechten oder zur Linken“, nicht nur eine, die bestimmt schon Schlange stehen und sich eine solche Chance nicht entgehen lassen, denen Gott, Familie und Besitz etwas bedeutet. Gekonnt appelliert der Knecht an traditionelle Werte, Ehrgefühl, und nicht zuletzt auch an die Habsucht und damit verbunden die Angst, etwas zu verpassen. (c) 50-53 ‫או־טוב׃‬ ֵּֽ ‫נּוכָ֛ל ַד ֹּ֥בר א ֶּלָּ֖יך ַ ֹּ֥רע‬ ַ ‫הוָּ֖ה יָ ָצִ֣א ַה ָד ָ ָ֑בר ֹּ֥לא‬ ָ ְ‫אמ ֵ֔רּו מי‬ ְ ‫ּובתּואל֙ וַ ִ֣י‬ ְ ‫וַ ַַ֨י ַען ָל ָ ָ֤בן‬ 51 Da antworteten Laban und Betuel und sagten: Vom HERRN ist die Sache ausgegangen; wir können dir nichts sagen, weder Böses noch Gutes. Es verwundert nicht, dass Laban und Betuel hier nicht mehr ablehnen können. Das einzige Argument, was der Erzähler wiedergibt, ist Gottes Vorsehung. Alle anderen Faktoren erscheinen als Entscheidungsgrundlage unvollkommen:  In ihrem Weltverständnis fehlt ihnen als Grundlage der Monotheismus.  In ihrer Moral erscheint Habgier als schlechtes Motiv.  Ihr Wissen um die Sachlage ist begrenzt auf das, was der Knecht mitzuteilen bereit ist.  In ihrer Entscheidung fehlt ihnen die volle Hingabe, wie der weitere Verlauf der Erzählung zeigen wird. Die Erwähnung von Betuel erstaunt, war doch bisher der Bruder Laban dominant, welcher mit der Mutter die Verhandlungen führen wird (V.53.55). Seine Inaktivität deutet darauf hin, dass er entweder zu alt ist, oder unter der Fuchtel seiner Frau steht, die ihn ähnlich wie Rebekka später Isaak „organisiert“. ‫הוה׃‬ ֵּֽ ָ ְ‫ן־אד ֵ֔ ֶּניך ַכ ֲא ֶּ ָּ֖שר ִד ֶּ ֹּ֥בר י‬ ֲ ‫ּות ִ ָ֤הי ִא ָש ֙ה ְל ֶּב‬ ְ ‫ֵּֽה־ר ְב ָ ָֹּּ֥קה ְל ָפ ֶּנָּ֖יך ַ ִ֣קח וָ לְָ֑ך‬ ִ ‫ִהנ‬ Siehe, Rebekka ist vor dir: Nimm sie und geh hin, dass sie die Frau des Sohnes deines Herrn werde, wie der HERR geredet hat! Die Worte „Nimm,... geh“ lassen den Befehl Abrahams an seinen Knecht nachhallen. 51 Nach der grundsätzlichen Zustimmung (V.51) folgen die Verhandlungen über Brautpreis (versteckt in V.53) und den Zeitplan der Hochzeit (V.53-58). ‫יהוה׃‬ ֵּֽ ָ ‫יהם וַ יִ ְש ַ ֹּ֥תחּו ַ ָּ֖א ְר ָצה ַ ֵּֽל‬ ָ֑ ֶּ ‫ת־ד ְבר‬ ִ ‫וַ יְ ִַ֕הי ַכ ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָש ַ ָ֛מע ֶּ ֹּ֥ע ֶּבד ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם ֶּא‬ 52 Und es geschah, als Abrahams Knecht ihre Worte hörte, da warf er sich zur Erde nieder vor dem HERRN. Eine erneute Betonung der Frömmigkeit des Knechts (V.12-14.26f.42-44.48). ‫ּובגָ ִ ֵ֔דים וַ יִ ָּ֖תן ְל ִר ְב ָ ָָּ֑קה‬ ְ ‫ּוכלָ֤י זָ ָה ֙ב‬ ְ ‫י־כ ֶּסף‬ ֶַּ֨ ‫יוצא ָה ָ֜ ֶּע ֶּבד ְכל‬ ַ֨ ַ‫ו‬ 53 ‫ּול ִא ָ ֵּֽמּה׃‬ ְ ‫יה‬ ָ ‫ּומגְ ָד ֵ֔נת נָ ַ ֹּ֥תן ְל ָא ִ ָּ֖ח‬ ִַ֨ Und der Knecht holte silbernes Geschmeide und goldenes Geschmeide und Kleider hervor und gab sie der Rebekka; und Kostbarkeiten gab er ihrem Bruder und ihrer Mutter. Eine Verlobung wurde im Alten Vorderen Orient gewöhnlich durch eine größere Bezahlung der Familie der Braut durch die Familie des Bräutigams geschlossen.10 Jakob musste sieben Jahre je für Lea und Rahel arbeiten. Wenn die Braut verheiratet war, wurde ihr dieses Geld später von ihrer Familie normalerweise gegeben. In diesem Fall gab der Knecht Rebekka selbst bereits „silbernes Geschmeide und goldenes Geschmeide und Kleider“. Vielleicht war dies ein zusätzliches Zeichen guten Willens. Vielleicht fürchtete er, dass Laban ihr keine Mitgift geben würde. (d) 54-61 ‫ר־עמוָּ֖ וַ יָ ִ ָ֑לינּו‬ ִ ‫אכ ִ֣לּו וַ יִ ְש ִ֗תּו ָ֛הּוא וְ ָה ֲאנָ ִ ֹּ֥שים ֲא ֶּש‬ ְ ‫וַ י‬ 54 ‫אמר ַש ְל ֻ ֹּ֥חנִ י ַ ֵּֽלאד ִנֵּֽי׃‬ ֶּ ‫וַ יָ ִ֣קּומּו ַב ֵ֔ב ֶּקר וַ ָּ֖י‬ Dann aßen und tranken sie, er und die Männer, die bei ihm waren, und übernachteten. Aber am Morgen standen sie auf, und er sagte: Entlasst mich zu meinem Herrn! Erst nach der wahrscheinlich langwierigen Diskussion entspannt der Knecht und isst. Aber er entspannt nicht lange. Die ersten Worte am Morgen sind: „Entlasst mich zu meinem Herrn!“. Der große Diplomat erscheint auf einmal sehr ungehobelt und fordernd. Es gibt kein bittendes naʾ „doch, bitte“ mehr, wie noch gegenüber Rebekka (V.14.17.23; im Bericht V.44.45). ‫יה וְ ִא ֵָ֔מּה ת ַ֨שב ַהנַ ֲע ָ ֹּ֥ר ִא ָ ָ֛תנּו יָ ִ ָּ֖מים ִ֣או ָע ָ֑שור ַא ַ ָּ֖חר ת ֵּֽלְך׃‬ ָ֙ ‫אמר ָא ִַ֨ח‬ ֶּ ‫וַ ָ֤י‬ 55 ‫יהוָּ֖ה ִה ְצ ִ ִ֣ל ַיח ַד ְר ִ ָ֑כי ַש ְל ַ֕חּונִ י וְ א ְל ָ ָּ֖כה ַ ֵּֽלאד ִנֵּֽי׃‬ ָ ‫ל־ת ַא ֲח ִ֣רּו א ִֵ֔תי ַ ֵּֽו‬ ְ ‫אמר ֲאל ֶּה ֙ם ַא‬ ֶּ ‫וַ ָ֤י‬ 56 Da sagten ihr Bruder und ihre Mutter: Lass das Mädchen ‹noch einige› Tage oder zehn bei uns bleiben, danach magst du gehen. Die Formulierung „Tage oder zehn“ ist unterschiedlich verstanden worden, etwa von Jakob als „ein Jahr oder zehn Monate“ (in Lev 25,29 wird auf den Zeitraum bis Jahres Ende mit dem Begriff „Tage“ Bezug genommen, was natürlich keinen Beweis darstellt). Er aber sagte zu ihnen: Haltet mich nicht auf, da der HERR meine Reise hat gelingen lassen; entlasst mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe! Sein Grund an sich ist kaum überzeugend. Hatte er Angst, dass sie Rebekka nie ziehen lassen würden? Hatte er Angst, dass Abraham zwischenzeitlich sterben könnte? 10 In Dtn 22,29 muss derjenige, der mit einem Mädchen schläft und sie danach heiraten möchte, dem Vater (als Entschädigung oder Brautpreis?) 50 Schekel zahlen. Das sind mehrere Jahresgehälter. ‫יה׃‬ ָ ‫ת־פ‬ ֵּֽ ִ ‫אמ ָּ֖רּו נִ ְק ָ ִ֣רא ַ ֵּֽלנַ ֲע ָ ָ֑ר וְ נִ ְש ֲא ָלָּ֖ה ֶּא‬ ְ ‫וַ י‬ 57 Da sagten sie: Lasst uns das Mädchen rufen und ihren Mund befragen. Rebekka selbst soll diese Pattsituation entscheiden. Laban spekuliert offensichtlich auf ihre Familienbindung und ihren Respekt vor der Meinung ihrer Mutter. ‫אמר א ֵּֽלְך׃‬ ֶּ ‫ם־ה ִ ִ֣איש ַה ֶּזָ֑ה וַ ָּ֖ת‬ ָ ‫יה ֲהת ְל ִ ָּ֖כי ִע‬ ָ ‫אמ ִ֣רּו א ֵ֔ ֶּל‬ ְ ‫וַ יִ ְק ְר ָ֤אּו ְל ִר ְב ָק ֙ה וַ י‬ 58 Und sie riefen Rebekka und sagten zu ihr: Willst du mit diesem Mann gehen? Sie sagte: Ich will gehen. Die Geschichte erreicht ihren Höhepunkt. Die Kürze ihrer Antwort erinnert an Abrahams „und er ging“ als Reaktion auf Gottes Befehl, seine Familie zu verlassen (Gen 12,4). ‫ת־אנָ ָ ֵּֽשיו׃‬ ֲ ‫ת־ע ֶּבד ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם וְ ֶּא‬ ֹּ֥ ֶּ ‫ת־ר ְב ָ ָֹּּ֥קה ֲאח ָ ָּ֖תם וְ ֶּאת־מנִ ְק ָ ָ֑תּה וְ ֶּא‬ ִ ‫ַוֵַּֽֽיְ ַש ְל ָ֛חּו ֶּא‬ 59 So entließen sie ihre Schwester Rebekka mit ihrer Amme und den Knecht Abrahams und seine Männer. Der Betriff „Schwester“ wird hier allgemeiner im Sinn von „Verwandten“ gebraucht, da nicht nur der Bruder Abschied nimmt. Die Amme hieß nach Gen 35,8 Debora: „Und Debora, die Amme Rebekkas, starb, und sie wurde unterhalb von Bethel begraben unter der Eiche; und er gab ihr den Namen Allon Bachut“. ‫אמרּו ֵ֔ ָלּה ֲאח ַ֕תנּו ַ ֹּ֥א ְת ֲהיִ ָּ֖י ְל ַא ְלפִ֣י ְר ָב ָ ָ֑בה‬ ְ ‫ת־ר ְב ָק ֙ה וַ ִ֣י‬ ִ ‫וַ ָיְב ֲר ָ֤כּו ֶּא‬ 61 ‫ירש זַ ְר ֵ֔עְך ָּ֖את ַ ֹּ֥ש ַער שנְ ָ ֵּֽאיו׃‬ ִ֣ ַ ִ‫וְ י‬ Und sie segneten Rebekka und sprachen zu ihr: Du, unsere Schwester, werde zu tausendmal Zehntausenden, und deine Nachkommen mögen das Tor ihrer Hasser in Besitz nehmen! Der Segen spielt auf Rebekkas Name an, der ja auch lautliche Ähnlichkeiten mit dem Wort BRḴ „segnen“ hat: wajbarachu ʾet-ribqah... rebabah „und sie segneten Rebekka... Zehntausenden“. Eine Verbindung von rebabah „Zehntausende“ besteht auch zum Verb RBH „vermehren“ (1,28; 9,1.7; 17,2; 22,17) und der damit verbundenen Verheißung. Die Verbindung zu 22,17 besteht auch über die Formulierung, dass hier Tore in Besitz genommen werden sollen. ‫ל־הּגְ ַמ ֵ֔ ִלים וַ ת ַל ְָּ֖כנָ ה ַא ֲח ִ֣רי ָה ִ ָ֑איש‬ ַ ‫יה וַ ִת ְר ַַ֨כ ְבנָ ֙ה ַע‬ ָ ‫וַ ַָ֨ת ָקם ִר ְב ָ ָ֜קה וְ נַ ֲער ִֶּ֗ת‬ 61 ‫ת־ר ְב ָ ָָּּ֖קה וַ י ַ ֵּֽלְך׃‬ ִ ‫וַ יִ ַ ֹּ֥קח ָה ֶּ ָ֛ע ֶּבד ֶּא‬ Und Rebekka machte sich mit ihren Mädchen auf, und sie bestiegen die Kamele und folgten dem Mann. Und der Knecht nahm Rebekka und zog hin. Endlich reisen sie ab. Die Reisegruppe schließt auch „Mädchen“ mit ein, vermutlich Sklavinnen von Rebekka als Teil der Mitgift, wie später Silpa und Bilha als Mitgift Labans für Lea und Rahel (29,24.29). 62-67: Szene 4 ‫יושב ְב ֶּ ֹּ֥א ֶּרץ ַה ֶּנֵַּֽֽגֶּ ב׃‬ ָּ֖ ‫וְ יִ ְצ ָח ֙ק ָ ִ֣בא ִמ ֵ֔בוא ְב ֹּ֥אר ַל ַ ָּ֖חי ר ִ ָ֑אי וְ ֹּ֥הּוא‬ Isaak aber war von einem Gang zum Brunnen Lachai-Roi gekommen; er wohnte nämlich im Land des Südens. In der letzten Szene bleiben Fragen offen: Warum wohnte Isaak im Süden? Was tat er beim Brunnen Lachai-Roi? Und vor allem: Wo ist Abraham? Zuletzt war er in Hebron, wo Sara stirbt (23,2). Der in Genesis 16 benannte Brunnen liegt südwestlich von Hebron. Entweder ist Abraham weitergewandert oder Isaak lebt getrennt von seinem Vater. 62 ‫וַ י ֹּ֥צא יִ ְצ ָ ָ֛חק ָל ֹּ֥ש ַּוח ַב ָש ֶּ ָּ֖דה ִל ְפנִ֣ ות ָ ָ֑ע ֶּרב וַ יִ ָ ָ֤שא עינָ ֙יו וַ ֵַ֔י ְרא וְ ִהנֹּ֥ה גְ ַמ ִ ָּ֖לים ָב ִ ֵּֽאים׃‬ 63 Und Isaak aber war hinausgegangen, um auf dem Feld zu sinnen beim Anbruch des Abends. Und er erhob seine Augen und sah, und siehe, Kamele kamen. Die Bedeutung des hebräischen Wortes für „sinnen“ ist unsicher, der Text folgt den frühesten Übersetzungen. Die Wendung „erhob seine Augen und sah“ deutet darauf hin, dass etwas wichtiges folgt (vgl. 22,4), hier der erste Blick auf seine zukünftige Frau. ‫יה וַ ָּ֖ת ֶּרא ֶּאת־יִ ְצ ָ ָ֑חק וַ ִת ָּ֖פל מ ַ ֹּ֥על ַהּגָ ָ ֵּֽמל׃‬ ָ ‫וַ ִת ָ ָ֤שא ִר ְב ָק ֙ה ֶּאת־ע ֵ֔ ֶּינ‬ 64 ‫אמר ָה ֶּ ָּ֖ע ֶּבד ִ֣הּוא‬ ֶּ ‫אתנּו וַ ֹּ֥י‬ ֵ֔ ‫י־ה ִ ָ֤איש ַה ָלזֶּ ֙ה ַההלְָ֤ך ַב ָש ֶּד ֙ה ִל ְק ָר‬ ָ ‫ל־ה ִ֗ ֶּע ֶּבד ִ ֵּֽמ‬ ָ ‫אמר ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ִ֣ת‬ 65 Und ‹auch› Rebekka erhob ihre Augen und sah Isaak. Da glitt sie vom Kamel Ebenso erhob Rebekka ihre Augen und wirft den ersten Blick auf ihren zukünftigen Mann. Dass sie sofort vom Pferd „glitt“, wörtlich „fällt“, betont ihren Respekt gegenüber Isaak (vgl. 1.Sam 25,23; Jos 15,18).11 Sie verweilt nicht dabei, ihn anzustarren. ‫ֲאד ִנָ֑י וַ ִת ַ ֹּ֥קח ַה ָצ ִ ָּ֖עיף וַ ִת ְת ָ ֵּֽכס׃‬ und sagte zu dem Knecht: Wer ist dieser Mann, der uns da auf dem Feld entgegenkommt? Und der Knecht sagte: Das ist mein Herr. Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich. Bei ihrer Hochzeit wurde eine Braut ihrem Bräutigam verhüllt zugeführt (29,23-25). Dieser Vers lässt vermuten, dass Rebekka bis zu ihrer Hochzeit verhüllt war. ‫ל־ה ְד ָב ִ ָּ֖רים ֲא ֶּ ֹּ֥שר ָע ָ ֵּֽשה׃‬ ַ ‫וַ יְ ַס ֹּ֥פר ָה ֶּ ָּ֖ע ֶּבד ְליִ ְצ ָ ָ֑חק ֹּ֥את ָכ‬ 66 ‫ת־ר ְב ָ ָָּ֛קה וַ ְת ִהי־לוֹּ֥ ְל ִא ָ ָּ֖שה וַ יֶּ ֱא ָה ֶּ ָ֑ב ָה‬ ִ ‫וַ ִיְב ֶּ ִ֣א ָה יִ ְצ ִָ֗חק ָה ַ֨א ֱה ָל ֙ה ָש ָ ִ֣רה ִא ֵ֔מו וַ יִ ַ ָ֧קח ֶּא‬ 67 ‫פ‬ ‫וַ יִ נָ ֹּ֥חם יִ ְצ ָ ָּ֖חק ַא ֲח ֹּ֥רי ִא ֵּֽמו׃‬ Der Knecht aber erzählte Isaak all die Dinge, die er ausgerichtet hatte. 67 Dann führte Isaak sie in das Zelt seiner Mutter Sara; und er nahm Rebekka, und sie wurde seine Frau, und er gewann sie lieb. Und Isaak tröstete sich nach ‹dem Tod› seiner Mutter. Rebekka wird in das Zelt von Sara geführt, sie tritt deren Nachfolge an als führende Frau in der Großfamilie. Das Zelt ist ein Zeichen für ihre Position. Bei arrangierte Hochzeiten ging die Liebe der Eheschließung nicht voran: „und sie wurde seine Frau, und er gewann sie lieb.“ Erklärung Die Erzählung betont, dass Abrahams Nachkommen keine Kanaaniter heiraten sollen, später auch allgemeiner – wenn auch mit Ausnahmen – keine Ausländerinnern (Ri 3,6; 14,3; 1.Kö 11,1f; Esr 10; Neh 13,23-27; Mal 2,11). Ähnlich besteht auch Paulus darauf, dass Christen keine Nichtchristen heiraten sollen (1.Kor 7,39; 2.Kor 6,14-18). Die Erzählung lehrt das Wesen eines wahren Dieners, der die Interessen seines Herrn an erste Stelle setzt, loyal und nach bestem Vermögen handelt (vgl. Spr 10,32; 13,17; 15,29). Auch das Vorbild von Jesus und Paulus zeigen solche idealen Diener (Mt 21,34-36; Lk 12,37-48; 16,10-13; 17,10; Eph 6,6,; 1.Kor 4,1-3). Der Diener ist ein Vorbild an Frömmigkeit. (1) Er betet bevor er handelt. (2) Er preist Gott, wenn sein Gebet erhört wird. (3) Er lebt in dem Bewusstsein, dass Gottes Hand alle Belange der Menschen überwacht. 11 Wenham vermutet, dass der Erzähler diese Handlung evtl. vor V.65 vorzieht, um die Ehrerbietung vor dem Mann, den sie erst in V.65 identifiziert, zu betonen. Doch diese Vermutung ergibt sich nicht zwangsläufig. (1) Dass ein Mensch in einem ständigen Gespräch mit Gott durch Gebet sein sollte, wird regelmäßig in der Bibel wiederholt (vgl. Lk 18,1; 1.Thess 5,17). (2) Auch dass die Gebet eines Aufrichtigen sicher erhört werden (Ps 65,3; Spr 15,8.29; Mt 21,22; Lk 18,7). (3) In ähnlicher Weise wird Gottes Vorsehung in den Geschichten von Josef, Hiob und Nehemia verdeutlicht. Abrahams letzte aufgezeichneten Worte sind ein Bekenntnis des Glaubens: „Diese alle sind im Glauben gestorben und haben die Verheißungen nicht erlangt, sondern sahen sie von fern und begrüßten sie und bekannten, dass sie Fremde und ohne Bürgerrecht auf der Erde seien“ (Hebr 11,13). Genesis 25,19-34 Form, Struktur und Situation Dieser Abschnitt führt die gesamte Erzählung von Jakob und Esau ein (26-35). Die drei kurzen Episoden aus ihren ersten Jahren bestimmen und illustrieren den weiteren Verlauf der Erzählung. Überschrift: „Das ist die Geschlechterfolge...“ (19a) Isaaks Ehefrau (19b-20) Episode 1: Schwangerschaft und Geburt von Esau und Jakob (21-26) Szene 1: Isaak betet für Rebekka (21) Szene 2: Probleme bei der Schwangerschaft erklärt (22f) Szene 3: Geburt der Zwillinge (24-26) Episode 2: Esau und Jakob einander gegenübergestellt (27f) Episode 3: Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht an Jakob (29-34) Während die Erzählung viel auf die Unfruchtbarkeit von Sara und Rahel eingeht, ist dieses Problem bei Rebekka schnell abgehandelt. Die Geschichte konzentriert sich auf den Kampf ihrer Söhne. Der bereits vor ihrer Geburt herrschende Konflikt wird die folgenden Erzählungen bestimmen (Kap. 27; 32f). Auch die Eltern werden durch ihre Vorlieben in den Konflikt hineingezogen (25,28). Wenham weist auf zahlreiche Rückbezüge zu 11,27-12,20 oft durch bestimmte Formulierungen hin. Das göttliche Orakel „der Ältere wird dem Jüngeren dienen“ (25,23) bekommt durch die Parallele zu dem Befehl Gottes in 12,1-3 ein besonderes Gewicht als Programm für den weiteren Verlauf der größeren Jakob-Erzählung. Kommentar ‫הוליד ֶּאת־יִ ְצ ָ ֵּֽחק׃‬ ֹּ֥ ִ ‫ן־א ְב ָר ָ ָ֑הם ַא ְב ָר ָ ָּ֖הם‬ ַ ‫תול ֹּ֥דת יִ ְצ ָ ָּ֖חק ֶּב‬ ְ ‫וְ ָ֛א ֶּלה‬ 19 Das ist die Geschlechterfolge Isaaks, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte Isaak. Auch wenn Isaak nach Kap. 27 kaum in der Geschichte auftaucht, ist dies die Überschrift über 25,19-35,29 und umfasst die Zeit, in welcher Isaak dem Namen nach Haupt der Familie ist. In diesem Sinn sind die Taten seine Söhne seiner Geschichte zuzurechnen. Der ungewöhnliche Rückverweis auf Abraham in Parallele zur Überschrift in V.12 erinnert an die Verheißung Abrahams und die Auseinandersetzung zwischen Ismael und Isaak: „Das ist die Geschlechterfolge Ismaels, des Sohnes Abrahams, den die Ägypterin Hagar, die Magd Saras, dem Abraham geboren hat“. ‫ת־בתּואל֙ ָ ֵּֽה ֲא ַר ִֵ֔מי ִמ ַפ ַ ָּ֖דן ֲא ָ ָ֑רם‬ ְ ‫ת־ר ְב ָ ִ֗קה ַב‬ ִ ‫ן־א ְר ָב ִ ִ֣עים ָש ֵ֔ ָנה ְב ַק ְחתוִ֣ ֶּא‬ ַ ‫וַ יְ ִ ָ֤הי יִ ְצ ָח ֙ק ֶּב‬ ‫ֲא ָ֛חות ָל ָ ֹּ֥בן ָה ֲא ַר ִ ָּ֖מי לוֹּ֥ ְל ִא ָ ֵּֽשה׃‬ Und Isaak war vierzig Jahre alt, als er sich Rebekka zur Frau nahm, die Tochter des Aramäers Betuel aus Paddan-Aram, die Schwester des Aramäers Laban. Dieser Vers fasst die Geschichte der Hochzeit zusammen und gibt einen Ausblick auf Jakobs Reise nach Paddan-Aram und zwanzigjähriges Leben mit Laban (31,41; Kap. 29-31).12 Die Ortsbezeichnung „Paddan-Aram“ taucht nur im Buch Genesis auf (28,2.5-7; 31,18; 33,18; 35,9.26; 46,15; 48,7). Es liegt irgendwo in Norden von Mesopotamien, wahrscheinlich im Gebiet um Haran (vgl. 11,31), es könnte auch ein alternativer Name für Haran sein, ein Ort, der im Süden der heutigen Türkei an der Grenze zu Syrien lokalisiert wird („Padan“ könnte Feld, so Hos 12,13, oder 12 Jakob hatte Laban 14 Jahre gedient, da wurde Joseph geboren (Gen 30,25). Joseph war zu Beginn der sieben Jahre Überfluss in Ägypten 30 Jahre alt (41,46). Im zweiten Jahr der siebenjährigen Hungersnot ist Josef dann 39 Jahre alt und Jakob 130 Jahre (Gen 41,46). Demnach muss Jakob bei der Geburt Josephs 91 Jahre alt gewesen sein. Demnach lebte er im Alter zwischen 77 und 97 Jahren in Padan-Aram. 21 Straße bedeuten). Die aramäische Identität wird in Dtn 26,5 betont: „Du aber sollst vor dem HERRN, deinem Gott, anheben und sprechen: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater; und er zog nach Ägypten hinab und hielt sich dort als Fremder auf, als ein geringes Häuflein“. Episode 1 ‫וַ יֶּ ְע ַַ֨תר יִ ְצ ָ ָ֤חק ַ ֵּֽליהוָ ֙ה ְל ִ֣נ ַכח ִא ְשת ֵ֔ו ִ ֹּ֥כי ֲע ָק ָ ָּ֖רה ִ ָ֑הוא‬ 21 ‫הוה וַ ַ ָּ֖ת ַהר ִר ְב ָ ָֹּּ֥קה ִא ְשתוֵּֽ ׃‬ ֵָ֔ ְ‫וַ י ָ ָ֤ע ֶּתר ֙לו י‬ Und Isaak bat den HERRN für seine Frau, denn sie war unfruchtbar; da ließ der HERR sich von ihm erbitten, und Rebekka, seine Frau, wurde schwanger. Isaak erscheint grundsätzlich als passive Figur, die von ihrem Vater, Frau, Kindern und Fremden zum Handeln gedrängt wird. Hier ergreift er zum ersten Mal die Initiative in der Fürbitte für seine Frau. Das „bat... für“ findet sich oft bei Mose als Gebet gegen die Plagen (Ex 8,4.5.24.25.26). Die Zeit wird nicht genannt, was den Eindruck einer mächtigen Fürbitte hinterlässt, in der Tradition seines Vaters (vgl. 20,17: die Kinderlosigkeit in Abimelechs Reich). Erst in V.26 erfahren wir von seiner großen Beharrlichkeit im Gebet, zwanzig Jahre lang (Hochzeit mit 40 Jahren, Geburt mit 60 Jahren). ‫הוֵּֽה׃‬ ָ ְ‫ם־כן ָל ָֹּ֥מה ֶּזָּ֖ה ָא ָ֑נ ִכי וַ ָּ֖ת ֶּלְך ִל ְד ֹּ֥רש ֶּאת־י‬ ֵ֔ ‫אמר ִא‬ ֶּ ‫וַ יִ ְת ֵּֽר ֲצ ָ֤צּו ַה ָבנִ ֙ים ְב ִק ְר ֵָ֔בּה וַ ִ֣ת‬ 22 ‫ּושנִ֣י ְל ֻא ִֵ֔מים ִממ ַ ָּ֖עיִ ְך יִ ָפ ָ֑רדּו‬ ְ ‫הוה ִ֗ ָלּה ְשנָ֤י גיִ ים ְב ִב ְט ֵ֔נְך‬ ָָ֜ ְ‫אמר י‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ 23 Und die Kinder stießen sich in ihrem Leib. Da sagte sie: Wenn es so steht, warum ‹trifft› mich dies? Und sie ging hin, den HERRN zu befragen. Die Mehrfachschwangerschaft ist eine kraftvolle, aber für Rebekka auch schmerzvolle, Gebetserhörung. Das Wort „stießen“ wird gewöhnlich für die Unterdrückung der Armen verwendet. Wörtlich beschreibt es das Zerschmettern eines Schädels (Ri 9,53; Ps 74,14) oder das Zerbrechen eines Schilfrohrs (Jes 36,6). Es ist die lebendige Beschreibung eines gewalttätigen Kampfes. Schon vor der Geburt bringt der Konflikt die Mutter so weit, daran zu zweifeln, ob es noch irgendeinen Sinn hat weiterzuleben: „warum mich dies?“ Nachdem sie erwachsen sind, hat sie ähnliche Gedanken: „Ich bin des Lebens überdrüssig“ (27,46). Sie treiben die Mutter zur Verzweiflung. „Wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen“ (Ps 133,1), auch für den Rest der Familie. Die Vorfreude auf die Nachkommen ist bedroht. An anderer Stelle bedeutet, „den HERRN zu befragen“, einen Propheten zu befragen (Ex 18,15, 1.Sam 9,9; 1.Kö 22,8). Weitere Details sind hier nicht gegeben, weil nicht relevant, die Botschaft jedoch schon. ‫ּולא ֙ם ִמ ְל ִ֣אם ֶּי ֱֵּֽא ֵָ֔מץ וְ ַ ָּ֖רב יַ ֲע ֹּ֥בד ָצ ִ ֵּֽעיר׃‬ ְ Der HERR aber sprach zu ihr: Zwei Nationen sind in deinem Leib, und zwei Volksstämme scheiden sich aus deinem Innern; und ein Volksstamm wird stärker sein als der andere, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen. Die zweite Hälfte jedes der beiden Satzteil-Paare intensiviert die Aussage des ersten. Die erste Hälfte wiederholt die Verheißung vieler Nationen (17,4-6.16), die zweite kündigt eine Scheidung zwischen Völkern an. Wie sicher kann Rebekka hier bereits schließen, dass sie Zwillinge erwartet, die diese beiden Völker repräsentieren? Auch der Hinweis auf den Älteren und Jüngeren ist für sich genommen evtl. noch nicht klar, da Zwillinge (in etwa) gleich alt sind. Das Orakel weist in die Zukunft auf Jakob/Esau, bzw. Israel/Edom. Das hebräische jaʿbad „dienen“ klingt an Jaʿqob an. Das Wort zaʿir klingt an seʿir „Seir“ an, ein alternativer Name für Edom (Gen 32,4; 33,14.16). Wenham nimmt an, dass Rebekka zunächst kaum etwas verstanden hat von der Prophezeiung. ‫תומם ְב ִב ְט ָנֵּּֽה׃‬ ָּ֖ ִ ‫יה ָל ֶּל ֶָּ֑דת וְ ִהנֹּ֥ה‬ ָ ‫וַ יִ ְמ ְל ֹּ֥אּו יָ ֶּ ָּ֖מ‬ 24 Und als ihre Tage erfüllt waren, dass sie gebären sollte, siehe, da waren Zwillinge in ihrem Leib. Als die Eltern erkennen, dass es Zwillinge sind, wird das Orakel mit den beiden Völkern verständlich. ‫מוני ֻכ ָּ֖לו ְכ ַא ֶּ ִ֣ד ֶּרת ש ָ ָ֑ער וַ יִ ְק ְר ֹּ֥אּו ְש ָּ֖מו ע ָ ֵּֽשו׃‬ ִ ֵ֔ ‫אשון ַא ְד‬ ֙ ‫וַ יצָ֤א ָה ִר‬ 25 ‫י־כן יָ ָצִ֣א ָא ִִ֗חיו וְ יָ ָ֤דו א ֶַּ֨חזֶּ ֙ת ַב ֲע ִָּ֣קב ע ֵָ֔שו וַ יִ ְק ָ ֹּ֥רא ְש ָּ֖מו יַ ֲע ָ֑קב‬ ַּ֞ ‫וְ ַ ֵּֽא ֲחר‬ 26 Und der erste kam heraus, rötlich, ganz ‹und gar› wie ein haariger Mantel; und man gab ihm den Namen Esau. Die Art der Geburt mag wie ein Omen verstanden worden sein, welches das Orakel unterstreicht. Auch David wird als ʾadmoni „rötlich“ beschrieben (1.Sam 16,12; 17,42). Es ist schwierig zu sagen, welche Farbe mit diesem Begriff gemeint ist und ob er sich auf Haare oder Haut bezog. Es ist hier zweifellos ein Wortspiel mit Edom. Auch das Wort seʿar „haarig“ ist eine Anspielung auf „Seir“. Es könnte damals als Hinweis auf einen unzivilisierten Charakter verstanden worden sein (Bruce Vawter). Der Name ʿ esaw „Esau“ ist sonst nicht bekannt, auch die Bedeutung nicht (ein Vorschlag wäre „bedeckt“). Es gibt jedoch eine lautliche Ähnlichkeit mit „Seir“. ‫ן־ש ִ ֹּ֥שים ָש ָנָּ֖ה ְב ֶּ ֹּ֥ל ֶּדת א ָ ֵּֽתם׃‬ ִ ‫וְ יִ ְצ ָ ָ֛חק ֶּב‬ Und danach kam sein Bruder heraus, und seine Hand hielt die Ferse Esaus. Da gab man ihm den Namen Jakob. Und Isaak war sechzig Jahre alt, als sie geboren wurden. Der Name Jakob hingegen ist weit verbreitet, als Kurzform von jaʿ qob-el „möge El behüten, belohnen“, ein typisch amoritischer Name aus dem frühen 2. Jahrtausend. Wie üblich ist die Bibel nicht interessiert an der historischen Etymologie, sondern an dem aktuellen Ereignis, welches die Namensgebung inspiriert. Das Baby fasst, greift die ʿaqeb „Ferse“ des Bruders. Der Symbolismus ist das entscheidende. Der zweite Zwilling versucht verzweifelt, mit dem ersten mitzuhalten. Der Kampf im Leib setzt sich nach außen hin fort. Das Muster für den Rest der Geschichte ist gelegt. Nach 20 Jahren Gebet muss die Freude über die Geburt zweier gesunder Kinder alles Leid und schlechte Omen überwogen haben. Episode 2 ‫ַוֵַּֽֽיִ גְ ְד ֙לּו ַהנְ ָע ִ ֵ֔רים וַ יְ ִ ִ֣הי ע ִָ֗שו ִ ָ֛איש י ֹּ֥ד ַע ַ ָּ֖ציִ ד ִ ִ֣איש ָש ֶּ ָ֑דה‬ 27 ‫וְ יַ ֲעק ֙ב ִ ִ֣איש ֵָ֔תם י ָּ֖שב א ָה ִ ֵּֽלים׃‬ Und die Jungen wuchsen heran. Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann des ‹freien› Feldes; Jakob aber war ein gesitteter Mann, der bei den Zelten blieb. Die Verschiedenheit der Charaktere wird in zunehmendem Alter immer deutlicher. Das Wort tam „gesittet“ ist nicht leicht zu verstehen. Eigentlich bedeutet es „vollkommen“ (Hi 1,1.8; 2,3; Gen 6,9), kann hier aber nicht im moralischen Sinn gemeint sein. Vielleicht war er vollkommen zufrieden mit sich selbst, zurückgezogen, still. Als Mann der Zelte konnte man ihn sich – im Gegensatz zu dem umherschweifenden Jäger – als einen angehenden Hirten vorstellen (vgl. 4,20; 13,5), wie sein Vater und Großvater. ‫י־צִ֣יִ ד ְב ִ ָ֑פיו וְ ִר ְב ָ ָָּּ֖קה א ֶּ ֹּ֥ה ֶּבת ֶּ ֵּֽאת־יַ ֲע ֵּֽקב׃‬ ַ ‫וַ יֶּ ֱא ַ ֹּ֥הב יִ ְצ ָ ָ֛חק ֶּאת־ע ָ ָּ֖שו ִכ‬ Und Isaak hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Mund; Rebekka aber hatte Jakob lieb. Isaak ist nicht nur ein passiver, friedfertiger Mann des Gebets, sondern auch ein Freund der Gaumenfreuden, der sein Essen liebt. Das verschärft den Konflikt. Rebekka wird den Appetit Isaaks und Jakobs Offenheit für Manipulation nutzen, um den Segen für ihren Lieblingssohn zu gewinnen – 28 und diesen damit zu verlieren. Unaufhaltsam steuern die Brüder auf die prophetisch angekündigte Scheidung zu. Episode 3 Während die vorhergehende Beschreibung zeigt, wie die Scheidung zwischen den Brüdern wie angekündigt wächst, geht diese Episode auf den zweiten Teil des Orakels ein: Der Jüngere beginnt, sich den älteren zu unterwerfen. Jakob ist seines Namens als „Fersenhalter“ würdig. ‫ן־ה ָש ֶּ ָּ֖דה וְ ֹּ֥הּוא ָע ֵּֽיַֽף׃‬ ַ ‫וַ ָ ֹּ֥יַֽזֶּ ד יַ ֲע ָּ֖קב נָ ִזָ֑יד וַ ֹּ֥יָבא ע ָ ָ֛שו ִמ‬ 29 Einst kochte Jakob ein Gericht. Da kam Esau vom Feld, und er war erschöpft. Wie, wann und warum Jakob das Gericht machte, wird nicht berichtet, auch nicht die Zutaten. Wichtig ist nur, dass der starke Jäger hier erschöpft ankommt. Bei Erschöpfung geht es im Alten Vorderen Orient um Anstrengung und Durst, weniger um Hunger (vgl. Ri 8,4; Jes 29,8; Hi 22,7). Esau benötigte dringend etwas zu trinken und Ruhe. ‫ן־ה ָא ָ֤דם ָה ָאד ֙ם ַה ֵֶּ֔זה ִ ֹּ֥כי ָעיַָּֽ֖ף ָא ָ֑נ ִכי‬ ָ ‫יטנִ י נָ ֙א ִמ‬ ָ֤ ‫אמר ע ָָ֜שו ֶּ ֵּֽאל־יַ ֲע ִ֗קב ַה ְל ִע‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ 31 ‫א־ש ָּ֖מו ֱא ֵּֽדום׃‬ ְ ‫ל־כן ָק ָ ֵּֽר‬ ֹּ֥ ‫ַע‬ Und Esau sagte zu Jakob: Lass mich doch schnell essen von dem Roten, dem Roten da, denn ich bin erschöpft! Darum gab man ihm den Namen Edom. Esau scheint nicht zu erschöpft zu sein, um (1) höflich „Bitte“ zu sagen, (2) mit hohem Sprachniveau (das hebräische Wort für „schnell essen“), und die Qualität des Essens zu erkennen. Ein drittes Wortspiel erfolgt mit haʾadom haʾadom „dem Roten, dem Roten“ auf die Namen Esau/Seir/Edom (vgl. V.23.25), im Vorübergehen erwähnt. ‫ת־ב ֵּֽכ ָר ְתךָּ֖ ִ ֵּֽלי׃‬ ְ ‫אמר יַ ֲע ָ֑קב ִמ ְכ ָ ֹּ֥רה ַכיָ֛ ום ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ָּ֖י‬ Da sagte Jakob: Verkaufe mir heute dein Erstgeburtsrecht! Während Esau das Wasser im Mund zusammenläuft, antwortet Jakob hart, ohne „bitte“ und mit „heute“, d.h. „sofort“. Diese Art deutet darauf hin, dass er schon lange auf eine solche Gelegenheit wartet und bereit ist, die Schwäche seines Bruders erbarmungslos auszubeuten. Der Erstgeborene wurde in Israel in besonderen Ehren gehalten. Er war die Erstlingsfrucht des Vaters (49,3), Gott geweiht (Ex 22,28). Während seines Lebens war er besonders privilegiert (43,33), auch wenn das Erbe13 ausgeteilt wurde (doppelter Anteil): „Wenn ein Mann zwei Frauen hat, eine geliebte und eine gehasste, und sie gebären ihm Söhne, die geliebte und die gehasste, und der erstgeborene Sohn ist von der gehassten: 16 dann soll es geschehen an dem Tag, an dem er seine Söhne erben lässt, was ihm gehört, dass er nicht den Sohn der geliebten zum Erstgeborenen machen kann gegen den Sohn der gehassten, ‹der doch› der Erstgeborene ‹ist›. 17 Vielmehr soll er den Erstgeborenen, den Sohn der gehassten, anerkennen, dass er ihm zwei Teile von allem gibt, was sich bei ihm findet. Denn er ist der Erstling seiner Kraft, ihm gehört das Recht der Erstgeburt“ (Dtn 21,15-17). Das hebräische BḴRH „Erstgeburtsrecht“ ist ein Anagramm von BRḴH „Segen“, der Inhalt von Gen 26-27 und ein Schlüsselthema im gesamten Buch. Was Esau hier so leichtfertig bereit ist aufzugeben, deutet bereits den größeren Verlust an, der ihm in Kap. 27 widerfahren wird. 13 Matitiahu Tsevat (ThWAT) nimmt an, dass Esau nur sein Erbe, nicht jedoch Rang und Position verkaufte. Sein Verweis auf Gen 27 erscheint jedoch als Begründung zu schwach, denn Isaak scheint den Handel insgesamt nicht zu kennen oder akzeptieren. 31 ‫ה־זֹּ֥ה ִ ָּ֖לי ְבכ ָ ֵּֽרה׃‬ ֶּ ‫אמר ע ֵָ֔שו ִהנָ֛ה ָאנ ִ ֹּ֥כי הולְָּ֖ך ָל ָ֑מּות וְ ָל ָמ‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 32 ‫ת־בכ ָרתוָּ֖ ְליַ ֲע ֵּֽקב׃‬ ְ ‫אמר יַ ֲע ִ֗קב ִה ָ ָ֤ש ְב ָעה ִ ֙לי ַכיֵ֔ ום וַ יִ ָש ַ ָּ֖בע לוָ֑ וַ יִ ְמ ֹּ֥כר ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 33 ‫אכל וַ ֵ֔י ְש ְת וַ ָ ָּ֖י ַָֽקם וַ י ַלְָ֑ך‬ ַ ‫וְ יַ ֲע ַּ֞קב נָ ַ ִ֣תן ְלע ִָ֗שו ֶּ ַ֚ל ֶּחם ּונְ ִזִ֣יד ֲע ָד ִֵ֔שים וַ ִ֣י‬ 34 Esau sagte: Siehe, ich gehe ‹ja doch› dem Sterben entgegen. Was soll mir da das Erstgeburtsrecht? Esau ist weit davon entfernt zu sterben. Was in seiner Kultur in hohen Ehren gehalten wurde, dem steht er achtlos und gleichgültig gegenüber. ‫ס‬ ‫ת־ה ְבכ ָ ֵּֽרה׃‬ ַ ‫וַ ִי ֶֹּּ֥בז ע ָ ָּ֖שו ֶּא‬ Jakob aber sagte: Schwöre mir heute! Da schwor er ihm und verkaufte sein Erstgeburtsrecht an Jakob. 34 Und Jakob gab Esau Brot und ein Gericht Linsen; und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau das Erstgeburtsrecht. Jakobs drei Worte „Schwöre mit heute“ bestätigen, dass er kalt und berechnend die Torheit seines Bruders ausnutzt. Esau schwor – und Jakob gab: dies unterstreichet die beidseitige Natur des Abkommens. Aber was gab er ihm: Statt rotem Fleischtopf, wie V.30 suggeriert, ein Linsengericht. Dies unterstreicht Jakobs Geschick und Esaus Torheit. Nach der anfänglichen Geschwätzigkeit Esaus lassen die vier Verben „aß, trank, stand, ging“ eine unheimliche Stille entstehen. Hat er bereits so viel Bitterkeit in sich, dass er nicht mehr mit seinem Bruder reden kann? Eine moralische Beurteilung findet sich selten in der Bibel. Jakobs Herzlosigkeit bedarf keines Kommentars, er wird noch für die provozierte Gegnerschaft bezahlen. Der Erzähler betont jedoch, wie Esau letztlich sich selbst und damit auch Gott verachtet und daher den Platz mit Jakob tauschen muss. Erklärung Kapitel 24 führt Rebekka als dynamische, aktive junge Frau ein, voller Energie und Enthusiasmus. In Kapitel 25 ändert sich ihre Situation. Zwanzig Jahre lang bleibt sie leidvoll ohne Kinder. Dann kommen die Zwillinge, mit ihnen ein Konflikt den die Eltern durch Ihre Begünstigungen schüren. Isaak, der passive Gaumenfreund liebt das Essen von Esau. Rebekka, die aktive Mutter bevorzugt den ruhigen, zurückhaltenden Jakob. Die Geschichte mit dem Linsengericht zeigt, wie sich das Orakel aus V.23 zu erfüllen beginnt: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen“. Aber auch der Same der Feindseligkeit ist gelegt, der die ganze Familie zersprengen wird. Die bittere Feindschaft und ihre Konsequenzen wird fast sieben Kapitel füllen (27-33). Die Geschichte setzt sich in dem bitteren Konflikt zwischen den Nationen Israel und Edom fort. Edoms Heimatgebiet liegt südöstlich des Toten Meeres. Auf dem Weg ins verheißene Land musste Israel das Land Edom umgehen, weil sie ihnen kein Durchzugsrecht gewährten (Num 20,14-21). Während der Königszeit gab es ständig Konflikte. Manchmal wurde Edom in das Gebiet Israels integriert (1.Sam 14,47; 2.Sam 8,14). Manchmal war Edom unabhängig und konnte sich gegen Israel behaupten (2.Kö 8,20.22). Als Jerusalem fiel, unterstütze Edom die Babylonier und schnitt den fliehenden Juden den Weg ab. Dieses unbrüderliche Verhalten wird von den Propheten bitterlich beklagt (Hes 25,12-14; Obd 10-14; Ps 137,7). Aus diesem Grund wird die völlige Zerstörung und Integration in Israel vorausgesagt (Obd 18-21; Mal 1,4), die letzte Erfüllung des Orakels. Der Hebräerbrief warnt jüdische Christen, ihren langfristigen Segen gegen kurzzeitige Erleichterung einzutauschen: „dass nicht jemand ein Hurer oder ein Gottloser sei wie Esau, der für eine Speise sein Erstgeburtsrecht verkaufte! 17 Denn ihr wisst, dass er auch nachher, als er den Segen erben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obgleich er sie mit Tränen eifrig suchte“ (12,15-17). Esau ist ein Typos des Abtrünnigen und Ungläubigen. Paulus greift die Geschichte als Beispiel für das Geheimnis der Erwählung auf: „Nicht allein aber ‹bei ihr [Sara] war es so›, sondern auch bei Rebekka, als sie von einem, von unserem Vater Isaak, schwanger war. 11 Denn als ‹die Kinder› noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten – damit der nach ‹freier› Auswahl gefasste Vorsatz Gottes ‹bestehen› bliebe, nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund des Berufenden – 12 wurde zu ihr gesagt: ‚Der Ältere wird dem Jüngeren dienen‘; 13 wie geschrieben steht: ‚Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.‘ (Mal 1,2f) 14 Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!“ (Röm 9,10-12). Paulus hat hier eine tiefere Wahrheit der Geschichte erfasst. Die Fehler der Verheißungslinie werden nicht kaschiert. Noah tritt fehl. Abraham begeht mehrere Fehler. Isaak und Rebekka sind parteiisch. Jakob ist teilweise widerwärtig. Doch trotz dieser Sündhaftigkeit erhält und segnet Gott diese Verheißungslinie. Seine Erwählung gründet nicht darin, dass sie so liebenswert sind, sondern in seiner verkündeten Absicht, durch diese Familie alle Familien der Erde zu segnen. Mit ihrem sündhaften Charakter kann sich jeder identifizieren. Es besteht Hoffnung, dass Gott auch uns in seiner Gnade gebrauche kann. Genesis 33,1-20 Form, Struktur und Situation Es stellt sich die Frage, ob der kurze Bericht über die Ankunft Jakobs in Sichem (V.18-20) den Abschluss der Erzählung von der Versöhnung mit Esau bildet oder den Beginn der Erzählung von Dina in Kapitel 34, die ja in Sichem spielt. Folgendes spricht dafür, dass die Verse den Abschluss bilden: In V.17 kommt Jakob nach Sukkot, einem Ort wohl außerhalb von Kanaan. Das wäre kein passender Abschluss des größeren Erzählbogens. Vielmehr zielt die Erzählung auf eine wohlbehaltene Rückkehr nach Kanaan (vgl. das Gebet in Bethel: „zu meinem Vater“, 28,21). Die Errichtung eines Altars erinnert an den Altar Abrahams nach seine Ankunft in Kanaan (12,8), bei dem er nach seinem unfreiwilligen Exil in Ägypten den Namen Jhwhs anruft (13,4). Der Kauf von Land in Sichem (vgl. Jos 24,32; Joh 4,5) erinnert an den Kauf der Grabstätte für Sara (Kap. 23). So lässt sich die auf den ersten Blick beiläufige Bemerkung als gewichtiger Abschluss eines Erzählbogens deuten. Die unbestrittene Verbindung zum folgenden Kapitel ist nicht ungewöhnlich. Auch an anderen Stellen des Buches beinhaltet der Abschluss bereits eine Vorschau des Folgenden (vgl. 4,25f; 9,18-29; 32,2f). Gordon Wenham sieht eine Parallele zwischen Genesis 31 und Genesis 32-33: Szene 1 Szene 2 Szene 3 Szene 4 Szene 5 Szene 6 Szene 7 3 4-16 17-21 22-24 25-44 32,1 2f Anweisungen zum Aufbruch Vorbereitungen zum Aufbruch Abreise, Überqueren des Euphrat Verfolgung durch Laban Konfrontation Trennung von Laban und Jakob Abschluss/Vorschau Der Plan, Esau zu treffen Vorbereitungen zum Treffen Überqueren des Jabbok Kampf mit einem Mann Konfrontation Trennung von Esau und Jakob Abschluss/Vorschau 4-7 8-22 23f 25-33 33,1-15 16f 18-20 Kommentar Szene 5: Versöhnung Jakob und Esau (1 -15) Die Szene beschreibt das lange erwartete Treffen von Jakob und Esau. In den Versen 1-3 gibt es eine Verzögerung mit Wiederholungen im Detail, bevor in Vers vier ein plötzlicher Ansturm von Verben losbricht, die Esaus herzliche Begrüßung eines Bruders beschreiben. In dem anschließenden Gespräch klingen Jakobs Worte etwas künstlich, was seine Unsicherheit ausdrückt, ob er wirklich angenommen worden ist. Er zeigt große Zurückhaltung, Esau wirklich zu vertrauen. (a) 1-3: Jakob nähert sich ‫ וַ יִ ַָ֨שא יַ ֲע ָ֜קב ע ִ֗ ָיניו וַ יַ ְר ֙א וְ ִהנִ֣ה ע ָ ִ֣שו ֵָ֔בא וְ ִעמ ַ֕ו ַא ְר ַ ֹּ֥בע מ ָּ֖אות ִ ָ֑איש‬1 33 ‫ל־ר ֵ֔חל וְ ַ ָּ֖על ְש ֹּ֥תי ַה ְש ָפ ֵּֽחות׃‬ ָ ‫ת־היְ ָל ִ ִ֗דים ַעל־ל ָא ֙ה וְ ַע‬ ַ ‫וַ ַי ִַ֣חץ ֶּא‬ Und Jakob erhob seine Augen und sah: und siehe, Esau kam und mit ihm vierhundert Mann. Da verteilte er die Kinder auf Lea und auf Rahel und auf die beiden Mägde; Schließlich sieht Jakob Esau. Der Erzähler unterstreicht die Wichtigkeit mit der Formulierung „erhob seine Augen“ (vgl. 22,4.13; 24,64). Die vierhundert Mann sind eine bedrohliche Zahl, wie bereits in 32,7 angekündigt. Wie dort auch im folgenden Vers 32,8 reagiert er damit, dass er verteilt. „Und die Boten kehrten zu Jakob zurück und sagten: Wir sind zu deinem Bruder, zu Esau, gekommen, und er zieht dir auch ‹schon› entgegen und vierhundert Mann mit ihm. 8 Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm wurde angst; und er teilte das Volk, das bei ihm war, die Schafe, die Rinder und die Kamele in zwei Lager“ (32,7f). ‫יהן ִ ֵּֽראש ָנָ֑ה‬ ָּ֖ ֶּ ‫ת־ה ְש ָפ ָ֛חות וְ ֶּאת־יַ ְלד‬ ַ ‫וַ ָי ֶָּ֧שם ֶּא‬ 2 ‫ת־יוסף ַא ֲחר ִנֵּֽים׃‬ ָּ֖ ‫ת־ר ֹּ֥חל וְ ֶּא‬ ָ ‫יה ַא ֲחר ֵ֔ ִנים וְ ֶּא‬ ָ֙ ‫וְ ֶּאת־ל ָ ָ֤אה ִ ֵּֽו ָיל ֶּ ַ֨ד‬ und er stellte die Mägde und ihre Kinder vornan und Lea und ihre Kinder dahinter und Rahel und Joseph zuletzt. Ist die Reihenfolge aus Angst gewählt, dass die Frau, welche er am meisten liebt, die größte Möglichkeit hat zu überleben? Das war in 32,8-22 das klare Motiv, wo er selbst hinten ging, um eine mögliche Flucht anzuführen. Oder geht es nun darum, seine Familie nach Priorität zu präsentieren? ‫ד־א ִ ֵּֽחיו׃‬ ָ ‫ש ַבע ְפ ָע ִֵ֔מים ַעד־ּגִ ְשתוָּ֖ ַע‬ ִ֣ ֶּ ‫יהם וַ יִ ְש ַ ָ֤תחּו ַַ֨א ְר ָצ ֙ה‬ ָ֑ ֶּ ‫וְ ָּ֖הּוא ָע ַ ִ֣בר ִל ְפ נ‬ 3 Er selbst aber ging vor ihnen her und warf sich siebenmal zur Erde nieder, bis er nahe an seinen Bruder herangekommen war. Die Worte „Er selbst aber ging vor ihnen her“ deuten eine Veränderung an. Der neue „Israel“ (32,29) triumphiert über den alten angstbeherrschten Jakob. Sich siebenmal zur Erde werfen ist aus Texten der Umwelt bezeugt (Amarna Briefe 137, 244, 250 u.a.) als ein angemessener Akt des Respekts von einem Vasallen gegenüber seinem Herren. Der Ausdruck „sich niederwerfen“ tauch in Genesis regelmäßig auf als angemessene Geste gegenüber einem Würdenträger (23,7.12; 42,6; 43,26.28; vgl. 37,7.9f), auch gegenüber Gott oder seinen Engeln (18,2; 19,1; 22,5). Wichtiger zum Verständnis ist hier Isaaks erster Segen über Jakob, den er ja eigentlich Esau geben wollte: „Völker sollen dir dienen und Völkerschaften sich vor dir niederbeugen! Sei Herr über deine Brüder, und vor dir sollen sich niederbeugen die Söhne deiner Mutter!“ (27,29). Mit dem Niederbeugen versucht Jakob, den großen Betrug rückgängig zu machen, mit dem er Esau seines Segens beraubt hat. Während der ganzen Szene besteht er darauf, Esau Geschenke zu machen, und versucht so, den Segen an ihn zurückzugeben (V.11), der eigentlich seiner hätte sein sollen. (b) 4-11: Begrüßung ‫ארו ַַׄו ִַׄי ַָׄש ַָ֑ׄק ַׄהּוַׄ וַ ְיִב ֵּֽכּו׃‬ ָּ֖ ָ ָ‫ל־צּו‬ ַ ‫אתו ַ ֵּֽוַֽיְ ַח ְב ֵ֔קהּו וַ יִ ֹּ֥פל ַע‬ ֙ ‫וַ ַָ֨י ָרץ ע ָ ָ֤שו ִל ְק ָר‬ 4 Esau aber lief ihm entgegen, umarmte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn; und sie weinten. Esau reagiert herzlich. Keine Spur der Bitterkeit, die während ihrer Trennung da war. „Und Esau war dem Jakob feind wegen des Segens, mit dem sein Vater ihn gesegnet hatte; und Esau sagte in seinem Herzen: Es nahen die Tage der Trauer um meinen Vater, dann werde ich meinen Bruder Jakob erschlagen.... Siehe, dein Bruder Esau will an dir Rache nehmen ‹und› dich erschlagen“ (27,41f). Er begrüßt Jakob mit der Herzlichkeit eines lange verloren gegangenen Bruders. Die Begriffe sind „laufen“ (24,17; 29,12f), „umarmen“ (29,13; 48,10), „um den Hals fallen“ (45,14) und „weinen“ (29,11; 45,14f; 46,29), übliche Begriffe für die Begrüßung von Verwandten in der Bibel. Wichtig ist hier beim letzten Verb, dass Jakob mit eingeschlossen ist: „sie weinten“. Das Eis ist gebrochen. Die Brüder sind vereint, die Kommunikation kann beginnen. ‫י־א ֶּלה ָלְָ֑ך‬ ִ֣ ‫אמר ִמ‬ ֶּ ‫ת־היְ ָל ִ ֵ֔דים וַ ָּ֖י‬ ַ ‫ת־הנָ ִש ֙ים וְ ֶּא‬ ַ ‫וַ יִ ָ ִ֣שא ֶּאת־ע ִ֗ ָיניו וַ ַיָ֤ ְַֽרא ֶּא‬ ‫ת־ע ְב ֶּ ֵּֽדך׃‬ ַ ‫ֹלהים ֶּא‬ ָּ֖ ִ ‫ר־ח ַנַֹּֽ֥ן ֱא‬ ָ ‫אמר ַהיְ ָל ִ ַ֕דים ֲא ֶּש‬ ַַ֕ ‫וַ י‬ Und er erhob seine Augen und sah die Frauen und die Kinder und sagte: Wer sind diese ‹bei› dir? Er sagte: Die Kinder, die Gott deinem Knecht aus Gnaden geschenkt hat. Esau als der Überlegene eröffnet das Gespräch. Obwohl sie Brüder sind, bleibt Jakob durchgehend bei der Terminologie „dein Knecht“ und „mein Herr“ (V.5.8.13.14.15). Hervorstechend ist die Formulierung „aus Gnaden geschenkt“. Ein Drittel alle 17 Belege dieses Verbs in der Genesis taucht in Kap. 32f auf Jakobs Lippen auf (32,6; 33,8.10.11.15). Man hätte erwartet, dass Jakob formuliert „mit denen Gott deinen Knecht gesegnet hat“. Denn „segnen“ ist das 5 weitaus häufigere Verb in Genesis (88x), und Jakob ist der Mann, der Segen sucht (Kap 27; 32,27). Wenham vermutet, dass Jakob hier jeden Bezug auf den unglücklichen Tag vermeiden möchte, an dem er Esau um seinen Segen betrogen hat. Durch Worte und Taten versucht er, seine Fehler ungeschehen zu machen. ‫יהן וַ ִ ֵּֽת ְש ַת ֲחֶּוֵּֽין ָ׃‬ ָּ֖ ֶּ ‫וַ ִת ַּג ְָ֧שן ָ ַה ְש ָפ ָ֛חות ֹּ֥הנָ ה וְ יַ ְלד‬ 6 ‫יוסף וְ ָר ָּ֖חל וַ ִ ֵּֽי ְש ַת ֲחוֵּֽ ּו׃‬ ָ֛ ‫יה וַ ִ ֵּֽי ְש ַת ֲחוָ֑ ּו וְ ַא ִַ֗חר נִ ַּגֹּ֥ש‬ ָ ‫וַ ִת ַּגָ֧ש ּגַ ם־ל ָ ָ֛אה וִ ָיל ֶּ ָּ֖ד‬ 7 7 Da traten die Mägde heran, sie und ihre Kinder, und verneigten sich. Und auch Lea trat heran und ihre Kinder, und sie verneigten sich. Und danach traten Joseph und Rahel heran und verneigten sich. Jakob stellt seine Familie gruppenweise vor. Auch diese verneigen sich, eine erneute Umkehrung des Segens aus 27,29. ‫א־חן ְבעינֹּ֥י ֲאד ִנֵּֽי׃‬ ָּ֖ ‫אמר ִל ְמצ‬ ֶּ ‫שר ָפ ָג ְָ֑ש ִתי וַ ַ֕י‬ ִ֣ ֶּ ‫ל־ה ַמ ֲח ֶּנֹּ֥ה ַה ֶּזָּ֖ה ֲא‬ ַ ‫אמר ִ ֹּ֥מי ְלךָ֛ ָכ‬ ֶּ ‫וַ ַ֕י‬ 8 Und er sagte: Was willst du mit diesem ganzen Lager, dem ich begegnet bin? Er sagte: Um Gunst zu finden in den Augen meines Herrn. Im Gespräch erscheint Esau in heiterer Stimmung und Jakob ernsthaft und ehrerbietig. Wenham versteht die Frage als eine Art Witzelei. Esau müsste doch wissen, dass es sich hier um Versöhnungsgeschenke handelt (32,14.19.21; 33,10), denn Jakob hatte seinen Knechten gesagt, dass sie dies erklären sollten: „Deinem Knecht Jakob [gehören die Tiere der Herden]; es ist ein Geschenk, gesandt an meinen Herrn, an Esau; und siehe, er selbst ist hinter uns“ (32,19). Jakob scheint diese Frage persönlich zu berühren, denn kurz zuvor noch hatte er diese Lager für einen möglichen Angriff Esaus vorbereitet (32,8f.11). Seine Antwort lässt sich als stille Erwiderung deuten. ‫ר־לְך׃‬ ֵּֽ ָ ‫ש־לי ָ ָ֑רב ָא ִַ֕חי יְ ִ ֹּ֥הי ְלךָּ֖ ֲא ֶּש‬ ִ֣ ִ ֶּ‫אמר ע ָ ָּ֖שו י‬ ֶּ ‫וַ ֹּ֥י‬ 9 ‫חן ְבע ֵ֔ ֶּיניך וְ ָל ַק ְח ָ ֹּ֥ת ִמנְ ָח ִ ָּ֖תי ִמיָ ִ ָ֑די‬ ֙ ‫אתי‬ ִ ‫ם־נא ָמ ָ ָ֤צ‬ ָ ַ֨ ‫אמר יַ ֲע ִ֗קב ַאל־נָ ֙א ִא‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 11 ‫ֹלהים וַ ִת ְר ֵּֽצנִ י׃‬ ָּ֖ ִ ‫ל־כן ָר ִ ִ֣אי ִתי ָפ ִ֗ ֶּניך ִכ ְר ָ֛את ְפנֹּ֥י ֱא‬ ַּ֞ ‫ִ ִ֣כי ַע‬ Da sagte Esau: Ich habe genug, mein Bruder; es sei dein, was du hast. 10 Jakob aber sagte: Nicht doch; wenn ich überhaupt Gunst gefunden habe in deinen Augen, dann nimm mein Geschenk aus meiner Hand! Denn ich habe ja doch dein Angesicht gesehen, wie man das Angesicht Gottes sieht, und du hast Gefallen an mir gehabt. Jakob überredet Esau, indem er sein Geschenk mit einer Gabe an Gott vergleicht. Das letzte Verb „Gefallen am mir gehabt“ ist Opferterminologie und beschreibt Gottes Annahme des Opfers (z.B. Lev 1,4; 7,18; 19,7). Sein Argument ist: Wenn du mich angenommen hast, musst du auch meine Gabe – ein Begriff für Opfer (z.B. Gen 4,3f; Lev 2,1.3-7) annehmen, wie Gott die Gabe desjenigen annimmt, der ihm wohlgefällt. ‫י־כל‬ ָ֑ ‫ש־ל‬ ִ ֶּ‫ֹלהים וְ ִ ִ֣כי י‬ ָּ֖ ִ ‫י־ח ַנֹּ֥נִ י ֱא‬ ַ ‫שר ֻה ָ ִ֣באת ֵ֔ ָלְך ִ ֵּֽכ‬ ִ֣ ֶּ ‫תי ֲא‬ ֙ ִ ‫ת־ב ְר ָכ‬ ִ ‫ח־נָ֤א ֶּא‬ ָ ‫ַק‬ ‫וַ יִ ְפ ַצר־בוָּ֖ וַ יִ ָ ֵּֽקח׃‬ Nimm doch mein Geschenk, das dir überbracht worden ist! Denn Gott hat es mir aus Gnaden geschenkt, und ich habe alles. Und als er in ihn drang, da nahm er es. Jakob beharrt, denn zweifellos hätte er sich der Vergebung nicht sicher sein können, wenn Esau die Wiedergutmachung abgelehnt hätte. 11 Das Verb „in ihn drang“ ist ein sehr starker Begriff; die Bewohner von Sodom „drangen hart ein auf den Mann, auf Lot, und machten sich daran, die Tür aufzubrechen“ (Gen 19,9; vgl. V.3; Ri 19,7; 2.Kö 2,17; 5,16). (c) 12-15: Ablehnung von Esaus Einladung ‫אמר נִ ְס ָעִ֣ה וְ נל ָָ֑כה וְ א ְל ָ ָּ֖כה ְלנֶּ גְ ֶּ ֵּֽדך׃‬ ֶּ ‫וַ ָּ֖י‬ 12 ‫קּום יִ֣ ום‬ ֙ ‫י־היְ ָל ִ ִ֣דים ַר ִֵ֔כים וְ ַה ֹּ֥צאן וְ ַה ָב ָ ָָּּ֖קר ָע ִ֣לות ָע ָלָ֑י ְּוד ָפ‬ ַ ‫אמר א ִ֗ ָליו ֲאד ִנָ֤י י ַ֨ד ַ ֙ע ִ ֵּֽכ‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 13 ‫ל־ה ֵּֽצאן׃‬ ַ ‫ֶּא ֵָ֔חד וָ ָּ֖מתּו ָכ‬ Und Esau sagte: Lass uns aufbrechen und weiterziehen, und ich will vor dir herziehen. 13 Er aber sagte zu ihm: Mein Herr weiß, dass die Kinder zart sind und dass säugende Schafe und Kühe bei mir sind; wenn man sie nur einen Tag zu schnell triebe, so würde die ganze Herde sterben. Esau antwortet auf diese Geschenke mit der Einladung, mit ihm in das Land Seir zu kommen, offensichtlich, um dort bei ihm zu wohnen. Aber Jakob lehnt diese Einladung höflich („Mein Herr“) ab mit dem vordergründigen Verweis auf Kinder und Tiere, welche nicht mit der Truppe von Kriegern mithalten können. Verschiedene tiefere Gründe für diese Ablehnung wurden vorgeschlagen, die sich gegenseitig nicht ausschließen müssen:  Jakob zeigt das „Mißtrauen dessen, der selber viel betrogen hat“.14  Calvin überlegt, dass Esaus Großzügigkeit nicht lange andauern würde und schon bald neue Gründe für Konflikte entstehen würden: „Für den Augenblick mag er die beste Gesinnung haben. | Doch könnte sein trotziger, ungebundener Geist durch kleine Ursachen wieder erbittert werden.“15 (Calvin hält diese Zweifel für übervorsichtig. Doch sind die Brüder an dieser Stelle bereits von so unterschiedlichen Emotionen bestimmt, was wenig Harmonie erwarten lässt).  Daneben wird ein theologischer Grund erkennbar: „Und der HERR sprach zu Jakob: Kehre zurück in das Land deiner Väter und zu deiner Verwandtschaft! Ich werde mit dir sein“ (31,3; vgl. V.13; 32,10). Jakob kann sich in Seir nicht ansiedeln, denn es ist nicht Teil von Kanaan. ‫ר־ל ָפנַ ֙י‬ ְ ‫אכה ֲא ֶּש‬ ָ֤ ָ ‫ר־נֹּ֥א ֲאד ִנָּ֖י ִל ְפנִ֣י ַע ְב ָ֑דו וַ ֲא ַּ֞ ִני ֶּ ֵּֽא ְתנָ ֲה ָלִ֣ה ְל ִא ִִ֗טי ְל ֶּ ַ֨רגֶּ ל ַה ְמ ָל‬ ָ ‫יַ ֲע ָב‬ ‫ל־אד ִנָּ֖י ש ִ ֵּֽע ָירה׃‬ ֲ ‫ר־א ֹּ֥בא ֶּא‬ ָ ‫ּול ֶּ ִ֣רגֶּ ל ַהיְ ָל ִ ֵ֔דים ַ ָ֛עד ֲא ֶּש‬ ְ Mein Herr ziehe doch vor seinem Knecht hin! Ich aber, ich will einherziehen nach meiner Gemächlichkeit, nach dem Schritt des Viehs, das vor mir ist, und nach dem Schritt der Kinder, bis ich zu meinem Herrn nach Seir komme. Diese Antwort erscheint unaufrichtig, Jakob bricht in V.17 nach Sukkot auf. Zu seiner Rechtfertigung lässt sich sagen: Er lässt den Zeitpunkt offen, wann er nach Seir kommen wird. Und er redet in der Einzahl: „ich“, d.h. es ist nicht zu erwarten, dass die gesamte Gruppe ihn begleitet. 14 15 8 So Gerhard von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis. ATD, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1949, 1967, S. 286, mit Verweis auf Hellmuth Frey. Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung. 1. Band. Das erste Buch Mose, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1920, S. 386f. 14 ‫א־חן‬ ָּ֖ ‫אמ ֙ר ָל ִָ֣מה ֵֶּ֔זה ֶּא ְמ ָצ‬ ֶּ ‫שר ִא ִ ָ֑תי וַ ַ֨י‬ ִ֣ ֶּ ‫ן־ה ָ ָּ֖עם ֲא‬ ָ ‫ה־נִ֣א ִע ְמ ֵ֔ך ִמ‬ ָ ָ‫אמר ע ֵָ֔שו ַא ִ ֵּֽציג‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 15 ‫ְבעינֹּ֥י ֲאד ִנֵּֽי׃‬ Da sagte Esau: Ich will doch von dem Volk, das bei mir ist, ‹einige› bei dir zurücklassen. Er aber sagte: Wozu das? Möchte ich ‹nur› Gunst finden in den Augen meines Herrn! Esau möchte einige zum Schutz bei Jakob lassen, aber auch das wird höflich abgelehnt. Auch hier wird offengelassen, ob das aus Furch oder Vertrauen geschieht – Gott hat oft verheißen, mit Jakob zu sein (z.B. 31,3; 32,10). Szene 6: Trennung Jakob und Esau (16f) ‫וַ יָ ָשב֩ ַביַ֨ ום ַה ֹּ֥הּוא ע ָ ָ֛שו ְל ַד ְר ָּ֖כו ש ִ ֵּֽע ָירה׃‬ 16 So kehrte Esau an diesem Tag auf seinem Weg nach Seir zurück. Zum Zeitpunkt dieser positiven Situation (vgl. 32,1f) trennen sie sich. Seir ist das traditionelle Heimatland der Edomiter (vgl. 14,6; 36,8; vgl. zur Verschwägerung 36,2; zur Verdrängung der Horiter aus Seir durch die Edomiter Dtn 2,12.22). ‫וְ יַ ֲעק ֙ב נָ ַ ִ֣סע ֻס ֵ֔כ ָתה וַ ִי ֶֹּּ֥בן לוָּ֖ ָ ָ֑ביִת‬ ‫ס‬ 17 ‫ם־ה ָמ ָּ֖קום ֻס ֵּֽכות׃‬ ַ ‫הּו ָע ָ ִ֣שה ֻס ֵ֔כת ַעל־כָ֛ן ָק ָ ֹּ֥רא ש‬ ֙ ‫ּול ִמ ְק ַ֨נ‬ ְ Und Jakob brach auf nach Sukkot und baute sich ein Haus, und seinem Vieh machte er Hütten; darum gab er dem Ort den Namen Sukkot. Sukkot wird östliche des Jordans, nördlich des Jabbok lokalisiert (Tell Deir ʾAlla oder Tell Ekhsas, knapp 2 km voneinander entfernt). Da hier nicht erwähnt wird, dass Jakob erneut den Jabbok überquert, könnte man auch überlegen, ob Sukkot vielleicht südlich des Jabbok lag. Sukkot wird auch erwähnt in Jos 13,27; Ri 8,5f.8.14-16; Ps 60,8; 108,8. Der Grund der Erwähnung ist, die Herkunft des Namens zu erklären und die Verbindung mit dem Patriarchen. Jakob „baute sich ein Haus“, was darauf hindeutet, dass er wohl länger dort wohnte. In Kapitel 34 sind seine Kinder schon groß. Szene 7: Abschluss/Vorschau: Jakob siedelt sich in Kanaan an (18 -20) Die Verse 18-20 bilden den Abschluss zu Kap. 32-33 und den Vorspann zu Kap. 34, ein Übergang ähnlich wie 12,5-9; 13,1-4; 26,22-25. Der Inhalt erscheint lapidar, ist jedoch von immenser Bedeutung: Jakob hat das Ziel erreicht, nach Kanaan zurückzukehren, die Verheißungen sind erfüllt; ein passendes Ende für die berichteten Wanderungen (28,2.5f.15; 30,25; 31,3.13.18; 32,10). Doch die Dinge entwickeln sich nicht so reibungslos, wie erhofft. ‫וַ יָב ֩א יַ ֲע ַ֨קב ָש ָ֜לם ִ ִ֣עיר ְש ִֶּ֗כם ֲא ֶּש ֙ר ְב ֶּ ִ֣א ֶּרץ ְכ ֵ֔ ַנ ַען ְבב ָּ֖או ִמ ַפ ַ ִ֣דן ֲא ָ ָ֑רם‬ ‫ת־פנֹּ֥י ָה ִ ֵּֽעיר׃‬ ְ ‫וַ ִי ַָּ֖חן ֶּא‬ Und Jakob kam wohlbehalten zur Stadt Sichem, die im Land Kanaan ist, als er aus Paddan-Aram kam, und lagerte vor der Stadt. Laut Wenham folgt die deutsche Übersetzung (LUT, ELB, EIN, SCH) hier dem samaritanischen Pentateuch, der „Salem“ als „wohlbehalten“ deutet und „Stadt von Sichem“ als „Stadt Sichem“. Ausgehend von vergleichbaren Formulierungen (z.B. 24,10; Num 21,26f; 22,36; 1.Sam 15,5) folgt auf die Bezeichnung Stadt jedoch gewöhnlich der Name dessen, der dort wohnt, beispielsweise ein König. Von daher ist es wahrscheinliche, dass die Stadt „Salem“ heißt, beispielsweise identifizierbar mit „Salim“, etwa 5 km östlich von Tel Balata (Sichem). Was jedoch wichtiger ist als die Lokalisierung, ist der Name „friedlich“ für eine Stadt, in der der bitterste Konflikt der ganzen Vätergeschichte ausgetragen wird (vgl. 34,20). 18 ‫ֵּֽי־ח ָּ֖מור ֲא ִ ִ֣בי ְש ֶּכָ֑ם‬ ֲ ‫ה־ש ֙ם ָא ֳה ֵ֔לו ִמַיֹּ֥ד ְבנ‬ ָ ‫ת־ח ְל ַ ִָּ֣קת ַה ָש ֶּ ִ֗דה ֲא ֶּ ָ֤שר ָנ ֵָּֽט‬ ֶּ ‫וַ ִָ֜י ֶּקן ֶּא‬ 19 ‫יטה׃‬ ֵּֽ ָ ‫ְבמ ָ ָּ֖אה ְק ִש‬ Und er kaufte das Stück Feld, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte, von der Hand der Söhne Hamors, des Vaters Sichems, für hundert Kesita. Der Vers verstärkt den Eindruck friedlicher Sicherheit, den der Name „Salem“ hervorruft. Abraham muss für seinen Kauf von Land für 400 Schekel harte Verhandlungen führen (25,10; vgl. 49,30; 50,13). Jakob kauft das Land für 100 Kesita. Wenn Kesita weniger wert sind als Schekel, deutet das auf Großzügigkeit der Söhne Hamors hin. Wenn Kesita mehr wert sind als Schekel (vgl. Hi 42,11),16 dann auf den großen Reichtum Jakobs und deutet an, dass er mehr Land erwarb, als sein Großvater Abraham. ‫ס‬ ‫ֹלהי יִ ְש ָר ֵּֽאל׃‬ ֹּ֥ ‫ב־שם ִמזְ ָ֑ב ַח וַ ִַ֨י ְק ָרא־ל ֵ֔ו ָּ֖אל ֱא‬ ָּ֖ ָ ‫וַ יַ ֶּצ‬ Und er richtete dort einen Altar auf und nannte ihn: Gott, der Gott Israels. Mit der Ankunft im verheißenem Land und Landerwerb verehrt Jakob Gott so wie es seine Väter auch getan haben (12,7f; 13,18; 26,25; 35,7). Das Wort „aufrichten“ wird nur zweimal in Genesis für das Aufrichten von heiligen Denkmälern verwendet (35,14.20); für Altäre gewöhnlich das Wort „bauen“. Es mag an die großen Momente erinnern, in denen Jakob Gedenksteine aufgerichtet hatte (28,15; 35,14.20). Mit der Bezeichnung „Gott Israels“ bekennt er, dass der Schöpfergott nun sein Gott ist, vgl. seinen Eid in Bethel (28,21), obgleich ihm die Reise nach Bethel noch bevorsteht, um den Rest seines Eides einzulösen. Erklärung Die Erzählung von der Versöhnung bringt die traurige Geschichte des Bruderstreits zu einem glücklichen Ende. Sie bringt Jakob zurück ins verheißene Land. Doch das Verhältnis zu Esau bleibt gespannt und ihm steht im Verhältnis zu den Kanaanitern große Schande bevor. Gottes Verheißung triumphiert über menschliche Torheit und Fehler. Die volle und bedingungslose Vergebung von Esau ist für Jakob ein Sinnbild göttlicher Liebe (33,10). Jesus scheint auf diese Szene angespielt zu haben, wenn er das Verhalten des Vaters des Verlorenen Sohnes beschreibt: „Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn“ (Lk 15,20; vgl. das Thema Versöhnung bei Paulus 2.Kor 5,16-21). Der Aufruf, sich mit seinem Bruder zu versöhnen, durchzieht die Bibel (Lev 19,17f; Ps 133; Spr 17,9.17; Mt 5,21-26; 1.Joh 4,12-21). Sein Verhalten Esau gegenüber zeigt weiter Hintergedanken. Der neue „Israel“ hat immer noch Eigenschaften des alten Jakob. Er folgt ihm nicht, sondern kehrt nach Kanaan zurück. Wie so oft in Genesis wird die auf den ersten Blick endgültige Lösung zum Ausgang einer neuen Krise. 16 „Und sie gaben ihm jeder eine Kesita und jeder einen goldenen Ring.“ 21 Schematische Darstellung: Ostjordanland SIHON Jordan OG Jabbok AMMON Arnon MOAB Sered EDOM Westliche Stämme Totes Meer Jordan KANAAN Nach der Eroberung Totes Meer Vor der Eroberung HalbManasse Jabbok Gad AMMON Ruben Arnon MOAB Sered EDOM Simon Jenkins, Karten zur Bibel, Gießen: Brunnen, 1986, 31998, S. 21. Genesis 34 Form, Struktur und Situation Der Anfang der Geschichte ist umstritten, alternativ wird 33,18 angenommen (s.o.). Die Geschichte endet mit einer starken rhetorischen Frage: „Durfte er unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ (34,31; vgl. ähnlich dramatisch 27,45; 29,14; 30,24; 37,35; 42,38; 45,28). Genesis 35,5 („Und der Schrecken Gottes kam über die Städte, die rings um sie her waren, so dass sie den Söhnen Jakobs nicht nachjagten“) steht noch in Zusammenhang mit der Erzählung, ist jedoch nicht das Ende (so jedoch Westermann). Wenham erkennt vier Szenen: Szene 1 Szene 2 Szene 3 Szene 4 Sichem schändet Dina und möchte sie heiraten (1-4) Rede an den Vater: „Nimm mir dieses Mädchen zur Frau!“ (4) Hamor und Sichem schlagen ein Heiratsbündnis mit Jakobs Familie vor (5-19) Hamors Rede (8-10) Sichems Rede (11f) Rede von Jakobs Söhnen (14-17) Einwilligung durch Hamor und Sichem (18f) Hamor und Sichem präsentieren Stadtbewohnern die Bedingungen der Heirat (20-24) Rede von Hamor und Sichem (21-23) Einwilligung durch Stadtbewohner (24) Jakobs Söhne schänden die Stadt (25-31) Rede an den Vater: „Durfte er unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ (31) Es gibt Entsprechungen in der Terminologie an Anfang und Ende („hinausgehen“ in V.1.26, „nehmen“ in V.2.4.25.26.28, Sternberg, Kevers). Der szenische Aufbau zeigt weitere Entsprechungen (Rede an den Vater; Rede und Einwilligung). Es stellt sich die Frage nach der Funktion von Kapitel 34 in der Erzählung. In 33 ist Jakob mit Esau versöhnt und zurück in Kanaan. In 35 kehrt er zu seinem Ausgangspunkt Bethel zurück. Dieses Kapitel 34 erscheint hier wie ein Abschweifen mit wenig Ertrag für die übergreifende Handlung. Verbindung mit Kontext Zunächst muss festgestellt werden, dass das Kapitel untrennbar mit dem Kontext verbunden ist. Die Idee der Beschneidung greift auf Kapitel 17 zurück: „Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden“ (17,10, vgl. V.12), wörtlich zitiert: „Doch dann wollen wir euch zu Willen sein, wenn ihr uns gleich werdet und alles, was männlich unter euch ist, beschnitten wird“ (34,15; vgl. V.17.22.24). Dina hat sechs ältere Brüder17 und ist die Tochter von Lea, der weniger geliebten Frau Jakobs. Das ist wichtig, um zu verstehen, welche Emotionen mit der Geschichte verbunden sind. Jakob zeigt leidenschaftliche Liebe für Rahels Söhne Joseph und Benjamin, Dinas Vergewaltigung scheint ihm gleichgültig zu sein. Gerade diese Gleichgültigkeit scheint dann die Überreaktion der Brüder zu provozieren. Die Erwähnung der Dina in 30,21 ähnelt der Erwähnung Rebekkas in einem sonst nur männlichen Stammbaum (22,23). Sie werden erwähnt, weil sie in folgenden Geschichten (Kap. 24; 34) noch eine wichtige Rolle spielen. Gen 33,18-19 dient als Vorschau für Gen 34. Ebenso dient Gen 34,30 als Vorschau für 35,1-5 (insbesondere V.5). 17 Lea: 1. Ruben, 2. Simeon, 3. Levi, 4. Juda. Bilha: 5. Dan, 6. Naphtali. Silpa: 7. Gad, 8. Asser. Lea: 9. Issachar, 10. Sebulon, ♀ Dina (Gen 30,21, einzige erwähnte Tochter). Rahel : 11. Josef, 12. Benjamin. Im Rahmen seines Segens verurteilt Jakob das Blutbad, welches Simeon und Levi in der Stadt anrichten: „Die Brüder Simeon und Levi, Werkzeuge der Gewalttat sind ihre Waffen. 6 Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung! Denn in ihrem Zorn erschlugen sie den Mann, in ihrem Mutwillen lähmten sie den Stier. 7 Verflucht sei ihr Zorn, weil er so gewalttätig, und ihr Grimm, weil er so grausam ist! Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (49,5-7). Wenn das Kapitel so in den Rahmen eingebunden ist, stellt sich die Frage nach seiner Bedeutung für das Gesamtthema (welche nur wenige Ausleger wahrnehmen). Es lässt eine Verbindung zwischen Kapitel 26 und 34 beobachten (Fishbane, Fokkelman). Beide Kapitel haben auf den ersten Blick recht wenig zu tun mit dem Gesamtthema oder ihrem Kontext. In beiden Fällen gibt es Kontakt mit den Bewohnern des Landes, in Kapitel 26 sind es die Philister. In 26,7-11 wird Rebekka fast von einem König der Philister zur Frau genommen, in Kapitel 34 wird Dina genommen. In beiden Fällen zeigt der Patriarch wenig Mut darin, seine Frau bzw. Tochter zu beschützen. Letztlich entkommt er unversehrt aber ohne Gewinn (26,31.13; 34,28f; 35,5). Auch Abraham erlebte ähnliches in zwei Fällen (12,10-20; 20,1-18). Diese Parallelen geben den Schlüssel, um den Zweck der Erzählungen zu verstehen. Das Programm ist in den Worten Gottes über der Himmelsleiter zusammengefasst: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks; das Land, auf dem du liegst, dir will ich es geben und deiner Nachkommenschaft. 14 Und deine Nachkommenschaft soll wie der Staub der Erde werden, und du wirst dich ausbreiten nach Westen und nach Osten und nach Norden und nach Süden hin; und in dir und in deiner Nachkommenschaft sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde. 15 Und siehe, ich bin mit dir, und ich will dich behüten überall, wohin du gehst, und dich in dieses Land zurückbringen; denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan, was ich zu dir geredet habe (28,13-15). Jakob schwört darauf hin: wenn „ich in Frieden zurückkehre zum Haus meines Vaters, dann soll der HERR mein Gott sein“ (28,21). Er hat Gottes Bewahrung bereits in Mesopotamien erfahren, aber er hat sein Ziel Bethel noch nicht erreicht. Kurz bevor sich Verheißung und Eid erfüllen können, stellt sich ein letztes Hindernis in den Weg: Die Begierde der Kanaaniter, in Kombination mit eigener Feigheit und Torheit der Söhne. Und wieder wird die Unbezwingbarkeit von Gottes Verheißungen gezeigt, die menschliche Sünde nicht durchkreuzen können. Kommentar 1-4: Szene 1 ‫ וַ תצָ֤א ִדינָ ֙ה ַבת־ל ֵָ֔אה ֲא ֶּ ֹּ֥שר יָ ְל ָ ָּ֖דה ְליַ ֲע ָ֑קב ִל ְר ָּ֖אות ִב ְבנֹּ֥ ות ָה ָ ֵּֽא ֶּרץ׃‬1 34 Und Dina, die Tochter Leas, die sie dem Jakob geboren hatte, ging aus, die Töchter des Landes zu sehen. Zwar ist das gesamte Kapitel oft als „Vergewaltigung Dinas“ betitelt, doch berichten genauer gesehen nur die ersten vier Verse davon. Ansonsten geht es um die Rache. Die relativ lange Beschreibung des Verwandtschaftsverhältnisses von Dina kann als Einführung in die emotionale Stimmung gedeutet werden (Jakobs relative Gleichgültigkeit und der Zorn der Brüder): als Hinweis darauf, dass sie der ungeliebten Ehefrau zugeordnet wird und den Brüdern Simeon und Levi. Der jüdische Kommentar Genesis Rabbah hingegen deutet den Verweis auf Lea als Verurteilung. Leas Schwangerschaften mit Issachar, Sebulon und Dina beginnen mit einer Szene der Verführung: „Und als Jakob am Abend vom Feld kam, da ging Lea hinaus, ihm entgegen, und sagte: Zu mir sollst du eingehen, denn gekauft habe ich dich, gekauft mit den Dudaim meines Sohnes. Da lag er in dieser Nacht bei ihr.“ Nun geht Dina hinaus wie ihre Mutter. Wen möchte sie verführen? Dass sie sich mit den Töchtern des Landes trifft, klingt unschuldig. Doch werden diese sie nicht mit den Söhnen des Landes vertraut machen? Eine Vermischung mit den Frauen des Landes wird in Genesis deutlich verurteilt (24,3.37; 27,46; 28,1.6.8). Dina segelt zumindest hart am Wind. ‫ן־ח ָ֛מור ַ ֵּֽה ִחִ ָּּ֖וי נְ ִ ִ֣שיא ָה ָ ָ֑א ֶּרץ וַ יִ ַ ֹּ֥קח א ָ ָ֛תּה וַ יִ ְש ַ ֹּ֥כב א ָ ָּ֖תּה וַ יְ ַע ֶּנ ֵָּֽה׃‬ ֲ ‫וַ ַַ֨י ְרא א ָָ֜תּה ְש ֶּכָ֧ם ֶּב‬ 2 Da sah Sichem sie, der Sohn des Hewiters Hamor, des Fürsten des Landes; und er nahm sie und legte sich zu ihr und tat ihr Gewalt an. Es gibt wenige genaue Angaben zu den Hewitern. Ihre Hauptsiedlungsregionen scheinen weit im Norden im Libanon und Syrien gelegen zu haben (Jos 11,3; Ri 3,3). Einige wohnen auch weiter südlich bis Sichem und Gibea hinunter (Gen 34,2; Jos 9,1.7). Das Wort „Fürst“ bezeichnet einen Prinzen oder Stammesführer. Hier wird es den Regenten der kanaanitischen Stadt bezeichnet haben (so Reviv). Die Formulierung „legte sich zu ihr“ statt „lag mit ihr“ deutet auf gewaltsamen, illegitimen Verkehr außerhalb der Ehe hin (Num 5,13.19; Hes 23,8; vgl. Gen 34,7; 19,34; 26,10). Das hier mit „tat ihr Gewalt an“ übersetzte Wort (wörtlich „demütigte sie“) deutet auf Verkehr außerhalb der Ehe hin (z.B. Dtn 21,14; 22,29; 2.Sam 13,12). Die Doppelung dieser sehr negativen Begriffe deutet auf die starke Missbilligung des Verhaltens durch den Erzähler hin (vgl. das Gebot in Dtn 22,28f mit den 50 Schekel). ‫ת־הנַ ֲע ָ ֵ֔ר וַ יְ ַד ָּ֖בר ַעל־לֹּ֥ב ַ ֵּֽהנַ ֲע ָ ֵּֽר׃‬ ֵּֽ ַ ‫ינ ה ַ ֵּֽבת־יַ ֲע ָ֑קב וַ ֶּי ֱֵּֽא ַה ֙ב ֶּא‬ ָּ֖ ָ ‫וַ ִת ְד ַבִ֣ק נַ ְפ ֵ֔שו ְב ִד‬ 3 Und seine Seele hing an Dina, der Tochter Jakobs, und er liebte das Mädchen und redete zum Herzen des Mädchens. Sichem behandelt Dina nicht wie Amnon die Tamar, die er nach er Vergewaltigung „hasste mit sehr großem Hass“ (2.Sam 13,15). Seine Seele hing an ihr, wie es für ein Ehepaar angemessen ist (dasselbe Verb wie in 2,24). Vgl. zu „redete zum Herzen“ beruhigend, beteuernd: Gen 50,21; Ri 19,3; 2.Sam 19,7; 2.Chr 30,22; Jes 40,2. Nach einer starken Verurteilung werden nun positive Seiten sichtbar, er möchte sie wirklich ernsthaft heiraten. ‫ת־היַ ְל ָ ֹּ֥דה ַה ָּ֖זאת ְל ִא ָ ֵּֽשה׃‬ ַ ‫ח־לי ֶּא‬ ָ֛ ִ ‫אמר ַ ֵּֽק‬ ָ֑ ‫ל־ח ֹּ֥מור ָא ִ ָּ֖ביו ל‬ ֲ ‫אמר ְש ֵֶּ֔כם ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ִ֣י‬ 4 Und Sichem sagte zu seinem Vater Hamor: Nimm mir dieses Mädchen zur Frau! Der charmante Sichem aus V.3 wird hier schroff und verlangt von seinem Vater ohne „Bitte“ nach dem Mädchen. Die Bezeichnung als „Mädchen“ (Kind) ist hier herabsetzend, entwertend. 5-19: Szene 2 Das folgende Gespräch verläuft sehr höflich, aber man muss zweierlei beachten: Die Israeliten reden in betrügerischer Absicht. Dina ist (unfreiwillig oder freiwillig) in der Hand der Sichemiter, sie ist nicht mehr nach Hause zurückgekehrt (vgl. V.17.26). ‫ת־מ ְקנָּ֖הּו ַב ָש ֶּ ָ֑דה‬ ִ ‫ּוב ָנָ֛יו ָהיֹּ֥ ּו ֶּא‬ ָ ‫ת־ד ָינִ֣ה ִבת ֵ֔ו‬ ִ ‫וְ יַ ֲע ִ֣קב ָש ִַ֗מע ִ ָ֤כי ִטמ ֙א ֶּא‬ ‫וְ ֶּה ֱח ִ ֹּ֥רש יַ ֲע ָּ֖קב ַעד־ב ָ ֵּֽאם׃‬ Und Jakob hatte gehört, dass er seine Tochter Dina entehrt hatte, seine Söhne aber waren mit seinem Vieh auf dem Feld; so schwieg Jakob, bis sie kamen. Der Erzähler betont das Verwandtschaftsverhältnis („seine Tochter“) und die Bosheit der Tat („entehrt“). Zu erwarten ist eine heftige Reaktion des Vaters, wie David, als er von Tamars Vergewaltigung hört und „sehr zornig“ wird (2.Sam 13,21). Jakob dagegen tut nichts, bis seine Söhne zurückkommen, ja er „schwieg“ sogar. Mag Schweigen in manchen Fällen die richtige Reaktion sein, so ist das hier nicht der Fall. Jakob macht sich nichts aus Dinas Ehre. 5 ‫י־ש ֶּכָּ֖ם ֶּ ֵּֽאל־יַ ֲע ָ֑קב ְל ַד ָּ֖בר ִאתוֵּֽ ׃‬ ְ ‫וַ יצָ֛א ֲח ֹּ֥מור ֲא ִ ֵּֽב‬ 6 Und Hamor, der Vater Sichems, kam heraus zu Jakob, um mit ihm zu reden. Mittlerweile kommen Sichem und Hamar, um die Frage zu verhandeln. Genannt wird hier nur Hamor, als ob die beiden Väter einander gegenüber gestellt werden sollten: Hamor, der alles tut, um seinem Sohn mit seinem Problem zu helfen – und Jakob, der nichts für seine Tochter tut. ‫בּו ָ ֵּֽה ֲאנָ ִֵ֔שים וַ ִי ַֹּ֥חר ָל ֶּ ָּ֖הם ְמ ָ֑אד‬ ֙ ‫ן־ה ָש ֶּד ֙ה ְכ ָש ְמ ֵ֔ ָעם וַ ִי ְֵּֽת ַע ְצ‬ ַ ‫ּוב ַ֨ני יַ ֲע ָ֜קב ָ ָ֤באּו ִמ‬ ְ 7 ‫ת־בת־יַ ֲע ֵ֔קב וְ ָּ֖כן ֹּ֥לא י ָע ֶּ ֵּֽשה׃‬ ֵּֽ ַ ‫ִ ֵּֽכי־נְ ָב ַּ֞ ָלה ָע ָ ִ֣שה ְביִ ְש ָר ִ֗אל ִל ְש ַכ ֙ב ֶּא‬ Und die Söhne Jakobs kamen vom Feld. Als sie ‹aber davon› hörten, fühlten sich die Männer gekränkt und wurden sehr zornig, weil er eine Schandtat in Israel verübt hatte, bei der Tochter Jakobs zu liegen. Denn so ‹etwas› hätte nicht geschehen dürfen. Das Wort, was hier als „gekränkt“ übersetzt wird, ist die äußerste Form menschlicher Emotion, eine Mischung aus Wut und bitterer Qual. So fühlte Gott, als er die Sintflut brachte (6,6), Jonathan, als er von Sauls Mordplänen gegenüber David hörte (1.Sam 20,34), David, als er von Absaloms Tod hörte (2.Sam 19,3). Eine verlassene Frau kann so fühlen (Jes 54,6). Sobald sie davon hören, stürmen sie heim. Es ist unklar, ob die Söhne oder der Erzähler der Ansicht sind, dass dies seine „Schandtat“ ist, die nie hätte geschehen dürfen. Söhne, Erzähler und Leser sind sich darin einig. Das Wort wird an anderer Stelle für ein todeswürdiges Verbrechen verwendet (Dtn 22,21; Jos 7,15; Ri 19,23f; 20,6; 1.Sam 25,25; 2.Sam 13,12). Die Verwendung von Jakobs altem und neuem Namen unterstreicht das Erstaunen über seine Passivität. Die Söhne scheinen mehr besorgt um seine Ehre zu sein, als er selbst. Die Formulierung „Schandtat in Israel“ findet sich auch in Dtn 22,21; Jos 7,15; Ri 20,6; Jer 29,23. Aufgrund des Parallelismus Israel ‖ Jakob und aufgrund des Gebrauchs von „Israel“ im Kontext liegt es näher, in Gen 34 die Person und nicht die Nation zu sehen, d.h. „Schandtat an Israel“, also Jakob.18 ‫אמר‬ ָ֑ ‫וַ יְ ַד ֹּ֥בר ֲח ָּ֖מור ִא ָ ִ֣תם ל‬ 8 ‫שו ְב ִב ְת ֵֶּ֔כם ְתנַ֨ ּו ָנֹּ֥א א ָ ָ֛תּה לוָּ֖ ְל ִא ָ ֵּֽשה׃‬ ֙ ‫ְש ֶּכִ֣ם ְב ִ֗ ִני ָ ֵּֽח ְש ָ ָָּ֤קה נַ ְפ‬ Und Hamor redete mit ihnen und sagte: Mein Sohn Sichem - seine Seele hängt an eurer Tochter. Gebt sie ihm doch zur Frau, Hamor redet freundlich, jedoch ohne Entschuldigung. Er erwähnt nicht, was Sichem getan hat oder dass sie noch immer in seinem Haus ist. Er hat sich in sie verliebt (freie Wahl, vgl. Dtn 7,7; 10,15; 21,11) und bittet um ihre Hand. ‫ת־בנ ָּ֖תינּו ִת ְק ֹּ֥חּו ָל ֶּ ֵּֽכם׃‬ ְ ‫נּו־לנּו וְ ֶּא‬ ָ ֵ֔ ‫יכ ֙ם ִת ְת‬ ֶּ ‫וְ ִ ֵּֽה ְת ַח ְתנָּ֖ ּו א ָ ָ֑תנּו ְב ֵּֽנת‬ und verschwägert euch mit uns: gebt uns eure Töchter, und nehmt euch unsere Töchter; Hamor geht weiter und schlägt weitere Verschwägerung vor. Das genau wird jedoch im Gesetz untersagt: „Und du sollst dich nicht mit ihnen verschwägern. Deine Tochter darfst du nicht seinem Sohn geben, und seine Tochter darfst du nicht für deinen Sohn nehmen“ (Dtn 7,3; vgl. Jos 23,12; Esr 9,14). 18 Hendrik J. Koorevaar, „Die Bedeutung der Post-Josephica für eine Datierung des Buches Genesis“, in: Reinhard Junker, Hg., Genesis, Schöpfung und Evolution. Beiträge zur Auslegung und Bedeutung des ersten Buches der Bibel, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2015, S. 219-239, hier S. 227f. 9 ‫ּוה וְ ֵּֽה ָא ֲחזָּ֖ ּו ָ ֵּֽבּה׃‬ ָ ‫ּוס ָח ֵ֔ר‬ ְ ‫בּו‬ ֙ ‫יכם ְש‬ ֵֶּ֔ ‫וְ ִא ָ ָּ֖תנּו ת ָ֑שבּו וְ ָה ַָ֨א ֶּר ֙ץ ִת ְהֶּיִ֣ה ִל ְפנ‬ 11 ‫אמ ָ֛רּו א ַלָּ֖י ֶּא ֵּֽתן׃‬ ְ ‫א־חן ְבעינ ֶּיכָ֑ם וַ ֲא ֶּ ֹּ֥שר ת‬ ָּ֖ ‫יה ֶּא ְמ ָצ‬ ָ ‫ל־א ֵֶּ֔ח‬ ַ ‫ל־א ִ ִ֣ביה וְ ֶּא‬ ָ ‫אמר ְש ֶּכ ֙ם ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ָ֤י‬ 11 ‫אמ ָּ֖רּו א ָלָ֑י‬ ְ ‫ּומ ֵָ֔תן וְ ֶַּ֨א ְת ֵ֔ ָנה ַכ ֲא ֶּ ֹּ֥שר ת‬ ַ ‫ַה ְר ַ֨בּו ָע ַלָ֤י ְמא ֙ד ִ֣מ ַהר‬ 12 und bleibt bei uns wohnen, und das Land soll ‹offen› vor euch liegen! Bleibt, verkehrt darin, und macht euch darin ansässig! Bei dem Verb „verkehrt darin“ geht es um freien Zugang, aber evtl. auch Handel, so zumindest, wenn es als Partizip gebraucht wird („Händler“, 23,16; 37,28). Das Verb „macht euch darin ansässig“ stammt von dem Nomen „Besitz“, welches Teil der göttlichen Verheißung ist: „Und ich werde dir und deinen Nachkommen nach dir das Land deiner Fremdlingschaft geben, das ganze Land Kanaan, zum ewigen Besitz, und ich werde ihnen Gott sein“ (17,8; vgl. 48,4). Man könnte also sagen, dass Hamor das anbietet, was Gott verheißen hat. Hamor verhandelt mit freundlichen Worten aus einer überlegenen Position, die er mit unfairen Mitteln errungen hat. ‫ת־הנַ ֲע ָ ָּ֖ר ְל ִא ָ ֵּֽשה׃‬ ֵּֽ ַ ‫נּו־לי ֶּא‬ ֹּ֥ ִ ‫ּות‬ ְ Und Sichem sprach zu ihrem Vater und zu ihren Brüdern: Lasst mich Gunst finden in euren Augen! Was ihr mir sagt, will ich geben. 12 Legt mir sehr viel auf als Heiratsgeld und als Geschenk, ich will es geben, so wie ihr ‹es› mir sagt; nur gebt mir das Mädchen zur Frau! Man hat den Eindruck, dass Sichem ungeduldig wird, als die Verhandlungen sich als langwierig gestalten. Er bringt das Gespräch zurück auf den Kern mit einem leidenschaftlichen Ausbruch: er zahlt, was auch immer sie fordern. Bei vorehelichem Verkehr konnte der Vater nach dem Gesetz die Höhe eines „Heiratsgeld“ festlegen (Ex 22,15f), maximal 50 Schekel (Dtn 22,29). Sichem scheint bereit zu sein, ein „Heiratsgeld“ an Jakob und ein Braut-„Geschenk“ an Dina zu geben. ‫ת־ח ֹּ֥מור ָא ִ ָ֛ביו ְב ִמ ְר ָ ָּ֖מה וַ יְ ַד ָ֑ברּו‬ ֲ ‫ת־ש ֶַּ֨כם וְ ֶּא‬ ְ ‫וַ יַ ֲענַ֨ ּו ְבנֵּֽי־יַ ֲע ָ֜קב ֶּא‬ 13 ‫שר ִט ֵ֔מא ָּ֖את ִדי ָנֹּ֥ה ֲאח ָ ֵּֽתם׃‬ ִ֣ ֶּ ‫ֲא‬ Da antworteten die Söhne Jakobs dem Sichem und seinem Vater Hamor mit Hinterlist und redeten, weil er ihre Schwester Dina entehrt hatte; Auf diesen leidenschaftliche Einwurf müssen die Söhne Jakobs antworten und tun dies „mit Hinterlist“ (wie Jakob zu Isaak beim Segen, 27,35). Die Form des Betrugs ist noch nicht klar, doch der Leser wird ein wenig auf den Schock vorbereitet, der ihn angesichts des Massakers erwartet. Die Hinterlist wird durch den Begründungssatz (andere Möglichkeit: Relativsatz, bezogen auf Sichem) gerechtfertigt; „ihre Schwester“ betont, warum sie Grund haben, so zu handeln. ִ֣‫ת־אח ֵ֔תנּו ְל ִ ָּ֖איש ֲא ֶּשר־לו‬ ֲ ‫שות ַה ָד ָ ִ֣בר ַה ֵֶּ֔זה ָלת ֙ת ֶּא‬ ֙ ‫נּוכל֙ ַל ֲע‬ ַ ‫יהם ָ֤לא‬ ִֶּ֗ ‫אמ ִ֣רּו ֲאל‬ ְ ‫וַ י‬ ‫י־ח ְר ָ ֹּ֥פה ִ ָּ֖הוא ָ ֵּֽלנּו׃‬ ֶּ ‫ָע ְר ָלָ֑ה ִ ֵּֽכ‬ und sie sagten zu ihnen: Wir können das nicht tun, unsere Schwester einem unbeschnittenen Mann geben, denn das wäre eine Schande für uns. Während Hamor die wirtschaftlichen Vorteile betont, betonen die Brüder die religiösen Einwände. Die „Schande“ ist etwas, was jemanden zur Zielscheibe negativer Bemerkungen und Verspottung machen würde (wie z.B. Kinderlosigkeit, 30,23; Sklaverei, Jos 5,9; militärische Schwäche, 1.Sam 17,26; Ehebruch, Spr 6,33). 14 ‫ְך־ב ָּ֖זאת נ ִ֣אות ָל ֶּכָ֑ם ִ ַ֚אם ִת ְהיִ֣ ּו ָכ ֵ֔מנּו ְל ִה ֹּ֥מל ָל ֶּכָּ֖ם ָכל־זָ ָ ֵּֽכר׃‬ ְ ‫ַא‬ 15 ‫ח־לָ֑נּו וְ יָ ַ ִ֣ש ְבנּו ִא ְת ֵֶּ֔כם וְ ָהיִ ָּ֖ינּו ְל ַ ֹּ֥עם ֶּא ָ ֵּֽחד׃‬ ָ ‫ת־בנת ֶּיכָּ֖ם ִ ֵּֽנ ַ ֵַּֽֽק‬ ְ ‫ינּו ָל ֵֶּ֔כם וְ ֶּא‬ ֙ ‫ת־בנ ַ֨ת‬ ְ ‫וְ נָ ַ ָ֤תנּו ֶּא‬ 16 Nur unter der ‹Bedingung› wollen wir euch zu Willen sein, wenn ihr werdet wie wir, indem sich alles Männliche bei euch beschneiden lässt; Sie zitieren die Schlüssel-Bestimmung des Bundes mit Abraham: „Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden“ (17,10). dann wollen wir euch unsere Töchter geben und uns eure Töchter nehmen, und wir wollen bei euch wohnen bleiben und zu einem Volk werden. Die Söhne bestehen darauf, dass Geld keine Rolle spielt, beim Heiraten geht es um religiöse Identität. Wenn die geklärt ist, ist volle Einheit möglich. Das Wort „Volk“ (im Unterschied zu „Nation“) bezeichnet eine Gruppe, die sich durch ihren gemeinsamen Ahnen definiert, eine zum Volk gewordene Familie oder Stamm. ‫ת־ב ָּ֖תנּו וְ ָה ָ ֵּֽל ְכנּו׃‬ ִ ‫ם־לא ִת ְש ְמ ָ֛עּו אלָּ֖ינּו ְל ִה ָ֑מול וְ ָל ַ ָֹּּ֥ק ְחנּו ֶּא‬ ָ֧ ‫וְ ִא‬ 17 Wenn ihr aber nicht auf uns hört, euch beschneiden zu lassen, dann nehmen wir unsere Tochter und ziehen weg. Mit dieser kaschierten Drohung, Dina mit Gewalt zurückzunehmen, gewähren sie einen Blick in ihre Gefühle und geben einen Hinweis auf das, was geschehen wird. ‫ן־ח ֵּֽמור׃‬ ֲ ‫ּובעינָּ֖י ְש ֶּ ֹּ֥כם ֶּב‬ ְ ‫יהם ְבעינִ֣י ֲח ָ֑מור‬ ָּ֖ ֶּ ‫ֵּֽיט ֹּ֥בּו ִד ְבר‬ ְ ‫וַ ִי‬ 18 ‫וְ ֵּֽלא־א ַ ָ֤חר ַה ַ֨ ַנ ַע ֙ר ַל ֲע ִ֣שות ַה ָד ֵָ֔בר ִ ֹּ֥כי ָחפָּ֖ץ ְב ַ ֵּֽבת־יַ ֲע ָ֑קב‬ 19 ‫וְ ִ֣הּוא נִ ְכ ֵָ֔בד ִמ ָּ֖כל ֹּ֥בית ָא ִ ֵּֽביו׃‬ Und ihre Worte waren gut in den Augen Hamors und in den Augen Sichems, des Sohnes Hamors. Und der junge Mann zögerte nicht, dies zu tun, denn er hatte Gefallen an der Tochter Jakobs. Und er genoss mehr Ansehen als alle im Haus seines Vaters. Es ist unklar, ob die Brüder eine Zustimmung erwarteten. Die Ablehnung dieser ungemütlichen Forderung (vgl. 1.Sam 18,25) hätte ihnen einen Anlass gegeben, Gewalt anzuwenden. Die Formulierung „Gefallen haben an“ ist noch stärker als „hängen an“ und „lieben“ (V.3), wenn man den Gebrauch an anderen Stellen heranzieht (Dtn 21,14; 25,7f; Est 2,14). Die Erwähnung der Rangstellung macht verständlich, warum seine Sicht in der Gemeinschaft einen solchen Stellenwert haben würde. 20-24: Szene 3 Auch in der dritten Szene findet ein Dialog statt. Das Thema ist dasselbe, wird jedoch in anderer Weise präsentiert, um die Zustimmung zu gewinnen. ‫אמר׃‬ ֵּֽ ‫ירם ל‬ ָּ֖ ָ ‫ל־אנְ ֹּ֥שי ִע‬ ַ ‫ירם ַוֵַּֽֽיְ ַד ְב ָ֛רּו ֶּא‬ ָ֑ ָ ‫ל־ש ַער ִע‬ ִ֣ ַ ‫ּוש ֶּ ֹּ֥כם ְבנָּ֖ ו ֶּא‬ ְ ‫וַ ֹּ֥יָבא ֲח ָ֛מור‬ Und Hamor und sein Sohn Sichem kamen in das Tor ihrer Stadt, und sie redeten zu den Männern ihrer Stadt und sagten: Das Tor als öffentlicher Bereich war ein typischer Platz für Versammlungen in biblischer Zeit (vgl. Dtn 22,15.24; Jer 7,2; Am 5,10.12). Es handelt sich wohl um eine öffentliche Versammlung der freien und ständigen Bewohner dieser Stadt, ein größerer Kreis als nur die Ältesten der Stadt, welcher auch außerhalb der Bibel im 2. Jahrtausend v.Chr. bezeugt ist (vgl. Reviv). 21 ‫ָה ֲאנָ ִַ֨שים ָה ָ֜א ֶּלה ְ ֵּֽשל ִ ָ֧מים ִ֣הם ִא ִָ֗תנּו וְ י ְש ָ֤בּו ָב ַָ֨א ֶּר ֙ץ וְ יִ ְס ֲח ִ֣רּו א ֵָ֔תּה וְ ָה ָ ָ֛א ֶּרץ ִהנֹּ֥ה‬ 21 ‫ת־בנ ָּ֖תינּו נִ ֹּ֥תן ָל ֶּ ֵּֽהם׃‬ ְ ‫ח־לִ֣נּו ְלנָ ִֵ֔שים וְ ֶּא‬ ָ ‫ת־בנ ָת ֙ם נִ ַ ֵּֽק‬ ְ ‫יהם ֶּא‬ ָ֑ ֶּ ‫ַ ֵּֽר ֲח ַבת־יָ ַ ָּ֖דיִ ם ִל ְפנ‬ ‫ש ֶּבת ִא ֵָ֔תנּו ִל ְהיָּ֖ ות ְל ַ ִ֣עם ֶּא ָ ָ֑חד‬ ִ֣ ֶּ ‫ְך־בזאת י ַ֨אתּו ָלָ֤נּו ָה ֲאנָ ִש ֙ים ָל‬ ְ ָ֠ ‫ַא‬ 22 ‫ְב ִה ֹּ֥מול ַ֨ ָל ֙נּו ָכל־זָ ֵָ֔כר ַכ ֲא ֶּ ָּ֖שר ֹּ֥הם נִ מ ִ ֵּֽלים׃‬ ‫ותה ָל ֵֶּ֔הם וְ י ְש ָּ֖בּו ִא ָ ֵּֽתנּו׃‬ ָ ‫ל־ב ֶּה ְמ ֵָ֔תם ֲה ֹּ֥לוא ָלָּ֖נּו ָ֑הם ַ ַ֚אְך נ ִ֣א‬ ְ ‫ִמ ְקנ ֶּ ָ֤הם וְ ִקנְ יָ נָ ֙ם וְ ָכ‬ 23 ‫ל־ש ֶּכִ֣ם ְבנֵ֔ ו ָכל־י ְצ ָּ֖אי ַ ִ֣ש ַער ִע ָ֑ירו‬ ְ ‫מור וְ ֶּא‬ ֙ ‫ל־ח‬ ֲ ‫וַ יִ ְש ְמ ָ֤עּו ֶּא‬ 24 Diese Männer sind friedlich gegen uns ‹gesinnt›, so mögen sie im Land wohnen bleiben und darin verkehren; und das Land, siehe, nach beiden Seiten ausgedehnt ‹liegt es› vor ihnen. Wir wollen uns ihre Töchter als Frauen nehmen und ihnen unsere Töchter geben. 22 Nur unter der ‹Bedingung› wollen die Männer uns zu Willen sein, bei uns zu wohnen ‹und› ein Volk ‹mit uns› zu werden, dass sich bei uns alles Männliche beschneiden lässt, so wie sie beschnitten sind. 23 Ihre Herden und ihr Besitz und all ihr Vieh, werden die nicht uns gehören? Nur lasst uns ihnen zu Willen sein, und sie werden bei uns wohnen. Die Unterschiede zu den Reden in V.9-12.14-17 sind bezeichnend. Hamor und Sichem argumentieren nun völlig anders. Sie erwähnen ihre persönlichen Gründe nicht. Sie bestehen auf den Vorteilen der Verschwägerung. Dabei erwähnen sie nicht das Zugeständnis, dass die Israeliten Land kaufen können (V.10). Stattdessen versprechen sie, dass Besitz und Vieh „uns gehören“ werden. Diese gegenläufigen Versprechungen sind an der Grenze zwischen Diplomatie und Betrug angesiedelt. Entweder ziehen sie hier ihre eigenen Stadtbewohner über den Tisch, oder sie sind ihnen gegenüber unverblümt offen und beschreiben, wie sie die Israeliten betrügen wollen. „Auch andere Vorteile machen sie geltend. Ihre persönlichen Gründe verschweigen sie klüglich. Daraus folgt, daß das, was sie sagen, nur Vorwand ist. Aber diese Krankheit findet sich oft bei den Vornehmen und Fürsten, daß sie ihre Privatangelegenheiten im Sinne haben und dabei so tun, als sorgten sie für die öffentliche Wohlfahrt und den Nutzen der Allgemeinheit“.19 Die Enthüllung des Doppelspiels und der Gier der Mitbürger verringert den Schock über das hereinbrechende Schicksal. Ironisch die Erwähnung der „friedlichen“ Gesinnung, sowie der Erwartung, dass Besitz und Vieh „uns gehören“ werden – in wenigen Tagen werden die Israeliten ihren Besitz plündern. ‫וַ יִ ַ֨מ ֙לּו ָכל־זָ ֵָ֔כר ָכל־י ְצ ָּ֖אי ַ ֹּ֥ש ַער ִע ֵּֽירו׃‬ Da hörten auf Hamor und auf seinen Sohn Sichem alle, die zum Tor seiner Stadt ‹ein- und› ausgingen. So ließ sich alles Männliche beschneiden, alle die zum Tor seiner Stadt ‹ein- und› ausgingen. Was auch immer die wahren Motive der Leiter sind, die Bürger stimmen zu. 25-31: Szene 4 Die hier wieder aufgegriffenen Worte erinnern an das Talionsgesetz (Auge um Auge). Simeon und Levi „nehmen“ ein Schwert, wie Sichem ihre Schwester „genommen“ hat. Dina „geht aus“ zu den Töchtern des Landes, jetzt „geht sie aus“ dem Haus von Sichem zurück. Auch wenn es ein Element von Gerechtigkeit in der Rache zum Tragen kommt, macht die Erzählung deutlich, dass sie unangemessen handeln. 19 Calvin, Auslegung, S. 393. ‫י־י ֲָ֠עקב ִש ְמ ַ֨עון וְ ל ִָ֜וי ֲא ָ֤חי‬ ַ ‫ֵּֽי־בנ‬ ְ ‫יותם ֵּֽכ ֲא ִִ֗בים וַ יִ ְק ִ֣חּו ְשנ‬ ִ֣ ָ ‫ישי ִ ֵּֽב ְה‬ ִָ֜ ‫וַ יְ ִהי֩ ַביַ֨ ום ַה ְש ִל‬ 25 ‫ל־ה ִ ָּ֖עיר ֶּב ַָ֑טח וַ ַי ֵַּֽה ְרגָּ֖ ּו ָכל־זָ ָ ֵּֽכר׃‬ ָ ‫ִדינָ ֙ה ִ ִ֣איש ַח ְר ֵ֔בו וַ ֹּ֥יָבאּו ַע‬ Und es geschah am dritten Tag, als sie in Schmerzen waren, da nahmen die beiden Söhne Jakobs, Simeon und Levi, die Brüder Dinas, jeder sein Schwert und kamen ungehindert gegen die Stadt und erschlugen alles Männliche. Der Angriff zum Zeitpunkt „als sie in Schmerzen waren“ ist heimtückisch, was der mit „ungehindert“ übersetzte Begriff andeutet. Wenham übersetzt in durch „welche sich sicher fühlte“ (vgl. Dtn 33,28; Ri 8,11, 18,7). Selbst wenn die Sichemiter ihnen nicht vertraut hätten, ließe sich solch ein schrecklicher Akt der Rache nicht durch das Gesetz rechtfertigen. Das Massaker aller Männer einer Stadt für die Sünde eines einzelnen ist für den Erzähler ebenso schockierend wie für den modernen Leser. Dennoch lenkt er die Aufmerksamkeit auf das Motiv, sie sind „die Brüder Dinas“. Sie lieben ihre Schwester, Jakobs Untätigkeit und mangelnde Liebe hat ihre Überreaktion provoziert. ‫ת־ד ָינָ֛ה ִמ ֹּ֥בית ְש ֶּכָּ֖ם וַ י ֵּֽצאּו׃‬ ִ ‫י־ח ֶּרב וַ יִ ְק ָ֧חּו ֶּא‬ ָ֑ ָ ‫ת־ש ֶּכִ֣ם ְבנֵ֔ ו ָה ְרגָּ֖ ּו ְל ִפ‬ ְ ‫מור וְ ֶּא‬ ֙ ‫ת־ח‬ ֲ ‫וְ ֶּא‬ 26 Auch Hamor und seinen Sohn Sichem erschlugen sie mit der Schärfe des Schwertes und nahmen Dina aus dem Haus Sichems und gingen davon. Während der Leser schockiert ist über die Tat der Söhne, enthüllt der Autor, dass Dina während der ganzen Zeit im Haus von Sichem war, wahrscheinlich als Geisel. Dies ändert die Situation: Die Söhne Jakobs standen die ganze Zeit der Verhandlung unter erpresserischem Zwang. Hier standen zwei Brüder gegen eine ganze Stadt. Die Ablehnung der Mussehe war angesichts der Geiselnahme unmöglich. So blieb nur die Gewalt als Alternative, angesichts der Überzahl an Gegnern nur mit Mitteln der List. Die Art und Weise der Darstellung lässt das Verhalten nicht als blinden Wutausbruch, sondern als erzwungene und zielgerichtete Tat verstehen. Um sich zu Dina vorzuarbeiten, müssen die Brüder zunächst alle Bürger, und dann Hamor und Sichem erschlagen. ‫חותם׃‬ ֵּֽ ָ ‫ל־ה ֲח ָל ֵ֔ ִלים וַ ָּ֖יָבזּו ָה ִ ָ֑עיר ֲא ֶּ ֹּ֥שר ִט ְמ ָּ֖אּו ֲא‬ ִ֣ ַ ‫ְבנִ֣י יַ ֲע ִ֗קב ָ ַ֚באּו ַע‬ Die Söhne Jakobs kamen über die Erschlagenen und plünderten die Stadt, weil sie ihre Schwester entehrt hatten. Die Parallele zur Rache an den Midianitern für die Verführung zur Hurerei lässt auch die Plünderung in positivem Licht erscheinen: „Und sie kämpften gegen Midian, so wie der HERR dem Mose geboten hatte, und brachten alles Männliche um“ (Num 31,7; vgl. Gen 34,26). „Und die Söhne Israel führten die Frauen der Midianiter und ihre Kinder gefangen weg und erbeuteten all ihr Vieh und alle ihre Herden und all ihren Reichtum“ (Num 31,9; vgl. Gen 34,29 fast Wort für Wort, nur in anderer Reihenfolge). Eine weitere Parallele ist, dass Pinhas ein Levit ist (dem Leviten folgt ganz Israel, wie dem Levi seine Brüder folgen). Der erneute Verweis auf das sexuelle Vergehen erinnert daran, dass eines Tages auch die anderen Kanaaniter für ihre sexuellen Vergehen mit Vernichtung bestraft werden (vgl. Gen 19; Lev 18,3; 20,23). 27 ‫יּהם‬ ָ֑ ֶּ ‫ת־חמר‬ ֲ ‫ת־ב ָק ָ ָּ֖רם וְ ֶּא‬ ְ ‫אנֹּ֥ם וְ ֶּא‬ ָ ‫ֶּאת־צ‬ 28 ‫ת־א ֶּ ֹּ֥שר ַב ָש ֶּ ָּ֖דה ָל ָ ֵָּּֽקחּו׃‬ ֲ ‫ר־ב ִ ָ֛עיר וְ ֶּא‬ ָ ‫וְ ָ֧את ֲא ֶּש‬ ‫ל־א ֶּ ֹּ֥שר ַב ָ ֵּֽביִ ת׃‬ ֲ ‫יהם ָש ָּ֖בּו וַ ָ֑יָבזּו וְ ָּ֖את ָכ‬ ֵֶּ֔ ‫ל־ט ָפ ֙ם וְ ֶּאת־נְ ש‬ ַ ‫ת־כ‬ ָ ‫ת־כל־ח ָילָ֤ם וְ ֶּא‬ ָ ‫וְ ֶּא‬ 29 ‫שב ָה ֵָ֔א ֶּרץ ַ ֵּֽב ְכנַ ֲע ִנָּ֖י‬ ִ֣ ‫ישנִ ֙י ְבי‬ ַ֨ ‫ל־ש ְמ ִ֣עון וְ ֶּאל־לוִ ֮י ֲע ַכ ְר ֶּ ִ֣תם א ִתי֒ ְל ַה ְב ִא‬ ִ ‫אמר יַ ֲע ָ֜קב ֶּא‬ ֶּ ‫וַ ַ֨י‬ 31 Ihre Schafe und ihre Rinder und ihre Esel und ‹alles›, was in der Stadt und was auf dem Feld war, nahmen sie; 29 und all ihr Vermögen und alle ihre Kinder und ihre Frauen führten sie weg und plünderten auch alles, was in den Häusern war. Die Liste der Beute ist ähnlich mit: „Und er [der Pharao] tat Abram Gutes um ihretwillen; und er bekam Schafe und Rinder und Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele“ (Gen 12,16). Auch dort wurde ein Patriarch bereichert trotz seiner Sünde. ‫יתי׃‬ ֵּֽ ִ ‫ּוב ְפ ִר ִזָ֑י וַ ֲאנִ ֙י ְמ ִ֣תי ִמ ְס ֵ֔ ָפר וְ נֶּ ֶּא ְס ָ֤פּו ָע ַ ֙לי וְ ִה ֵ֔כּונִ י וְ נִ ְש ַמ ְד ִ ָּ֖תי ֲא ִנֹּ֥י ּוב‬ ַ ‫פ‬ ‫חותנּו׃‬ ֵּֽ ‫ת־א‬ ֲ ‫זונה יַ ֲע ֶּ ָּ֖שה ֶּא‬ ָ ַ֕ ‫אמ ָ֑רּו ַה ְכ‬ ְ ‫וַ י‬ Da sagte Jakob zu Simeon und Levi: Ihr habt mich ins Unglück gebracht, indem ihr mich stinkend macht bei den Bewohnern des Landes, bei den Kanaanitern und bei den Perisitern. Ich aber bin ein geringes Häuflein. Wenn sie sich gegen mich versammeln, werden sie mich schlagen, und ich werde vernichtet, ich und mein Haus. 31 Sie aber sagten: Durfte er unsere Schwester wie eine Hure behandeln? Der hitzige Wortwechsel zwischen Jakob und seinen Söhnen bringt die Erzählung zu einem dramatischen Abschluss. Das Wort „ins Unglück gebracht“ bezieht sich immer auf eine persönliche oder nationale Katastrophe (Jos 7,25; Ri 11,35; 1.Sam 14,29; Spr 11,17.29; 15,27). Zu „mich stinkend macht“ vgl. Ex 5,21; 1.Sam 27,12. Seine starke Zurechtweisung gründet in einem furchtsamen Herzen. Die Furcht, geschlagen und vernichtet zu werden, findet sich bereits in 32,12: „dass er nicht etwa komme und mich schlage“. Trotz der Erfahrung am Jabbok und der erfolgreichen Versöhnung mit Esau zeigt er dieselbe alte Furcht. Natürlich ist Furcht natürlich in einer solchen Situation, aber der Grund, den er nennt, verrät Jakob:  Er rügt sie nicht für das Massaker,  oder den Beschneidungsritus missbraucht zu haben,  oder eine Abmachung gebrochen zu haben.  Die Vergewaltigung von Dina stört ihn nicht,  auch nicht die Aussicht auf eine Verschwägerung mit Kanaanitern.  Es geht ihm nur um seine eigene Haut, er könnte unbeliebt werden. Die stolze Antwort der Söhne setzt der egozentrischen Stimme eine idealistische entgegen. Indem sie Jakobs Sorge als völlig fehl am Platz verurteilen, erinnern sie daran, dass er seiner Pflicht als Vater von Anfang an nicht gerecht geworden ist. Sie bezeichnen Dina nicht als „deine Tochter“, sondern als „unsere Schwester“, ein weiterer Hinweis auf die Spannungen in der Familie: „Letztlich entreißen sie sie aus dem Schutzbereich des Vaters: sie mag nicht deine Tochter sei, aber sie ist mit Sicherheit ‚unsere Schwester‘ und niemand wird sie wie eine Hure behandeln.“20 Dina wie eine „Hure“ zu behandeln, das hätte auch Jakob getan, wenn er den „Lohn“ der angebotenen Geschenke angenommen hätte. Der Vorwurf klagt beide an, Sichem und den passiven Jakob. 20 Meir Sternberg, The Poetics of Biblical Narrative. Ideological Literature and the Drama of Reading, Bloomington, IN: Indiana UP, 1987, S. 474f. 31 Erklärung Nachdem wir in Kap. 32-33 einen neuen Israel kennengelernt haben, der seinem Bruder Esau mutig entgegentritt, zeigt diese Erzählung Jakobs alte Natur, ein Mann mit schwachen moralischen Prinzipien, der Angst hat, für das Recht einzustehen, wenn es ihn etwas kosten könnte, der daran zweifelt, dass Gott ihn beschützen kann, und der dabei zusieht, wie der Hass seine Kinder von ihm entfremdet, so wie er seinen Bruder entfremdet hat. Auch in der Josephsgeschichte führt der Hass der Lea-Söhne zu Leid, dem Verlust von Joseph. Dies jedoch bricht Jakob das Herz, im Unterschied zu dem, was Dina angetan wird. Jakob überlebt trotz seiner Mängel. Selbst von dem Zorn seiner Söhne profitiert er aufgrund der Plünderung. In ähnlicher Weise haben auch Abraham und Isaak profitiert, obwohl sie darin versagten, ihre Frauen zu beschützen (12,10-20; 20; 26,6-14). Der erste Teil des Segens „Die dir fluchen, seien verflucht, und die dich segnen, seien gesegnet“ (27,29) tritt in Kraft, trotz menschlicher Schwäche. Die Bösewichte der Josephsgeschichte sind hier zweifelsohne die Helden: Sie lehnen eine Verschwägerung mit Kanaanitern entschieden ab, und erheben wie Pinhas das Schwert gegen sexuelle Verfehlung (vgl. Num 25,6-8). Mit Simeon beschützt Levi die Reinheit der Linie, der Vorfahre des priesterlichen Stammes.