RALPH BODENSTEIN
VILLEN IN BEIRUT
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
BERLINER BEITRÄGE ZUR BAUFORSCHUNG UND DENKMALPFLEGE 12
RALPH BODENSTEIN
VILLEN IN BEIRUT
Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
MICHAEL IMHOF VERLAG
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 12
Herausgegeben von Prof. Johannes Cramer und Prof. Dorothée Sack
RALPH BODENSTEIN
VILLEN IN BEIRUT – WOHNKULTUR UND SOZIALER WANDEL 1860–1930
D 83
Dissertation der Technischen Universität Berlin, 2007
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG
Petersberg 2012
© 2012
Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG
Stettiner Straße 25, D-36100 Petersberg
Tel. 0661/2919166-0; Fax 0661/2919166-9
www.imhof-verlag.com
Gestaltung und Reproduktion: Patricia Koch, Michael Imhof Verlag
Druck: Rindt-Druck, Fulda
Printed in EU
ISBN 978-3-86568-527-8
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Inhalt
Vorbemerkung und Danksagung .................................................................................................................................. 7
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................................................ 10
I. ZUGÄNGE .............................................................................................................................................................. 11
1. Einführung................................................................................................................................................................ 11
1.1 Vom „Beiruter Haus“ zum „libanesischen Haus“ und zurück: Ein Überblick zur Forschungsgeschichte ............ 15
1.2 Wohnhäuser als Gegenstand für Sozial- und Alltagsgeschichte: Herangehensweise, Quellen und Methoden...... 23
2. Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung .................................................................................... 30
2.1 Der politische und wirtschaftliche Aufstieg Beiruts .......................................................................................... 32
2.2 Demographische und gesellschaftliche Umwälzungen, kulturelle Umorientierung .......................................... 37
2.3 Umstrittene Europäisierung, selbstverständliche Osmanisierung ...................................................................... 42
2.4 Urbane und architektonische Veränderungen...................................................................................................... 49
3. Zum Problem der historischen Raumnutzungen.................................................................................................. 65
3.1 Das Raumprogramm nach al-Qāyātī .................................................................................................................. 65
3.2 Das Raumprogramm nach al-Muqtaṭaf .............................................................................................................. 69
3.3 Das Raumprogramm nach Dr. Boyer.................................................................................................................. 71
3.4 Das Raumprogramm in der Zusammenschau .................................................................................................... 76
3.5 Zur Erfassung und Deutung von Abweichungen und Veränderungen in der Raumnutzung.............................. 77
II. DIE FALLSTUDIEN .......................................................................................................................................... 80
1 Qaṣr Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“...................................................................................................... 80
1.1 Räumliche Lage – gegenwärtig und historisch .................................................................................................. 80
1.2 Beschreibung des Hauses .................................................................................................................................... 81
1.3 Zur Bau- und Bewohnergeschichte des Hauses.................................................................................................. 93
1.4 Die historischen Raumnutzungen...................................................................................................................... 102
2 Qaṣr Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair ........................................................................ 125
2.1 Räumliche Lage – gegenwärtig und historisch ................................................................................................ 126
2.2 Beschreibung des Hauses .................................................................................................................................. 128
2.3 Die Rekonstruktion der historischen Raumnutzungen...................................................................................... 141
3 Kurzfallstudien in chronologischer Abfolge ........................................................................................................ 158
3.1 Bayt Saadé ........................................................................................................................................................ 159
3.2 Bayt Aoun-Karam.............................................................................................................................................. 166
3.3 al-Madrasa al-Waṭaniyya .................................................................................................................................. 168
3.4 Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum .................................................................................................................................... 172
3.5 Ḥārat Yūsuf Geday .......................................................................................................................................... 176
3.6 Haus der Phalanges/ Qaṣr Malhamé ................................................................................................................ 179
3.7 Qaṣr Yūsuf Tabet .............................................................................................................................................. 183
3.8 Qaṣr Kady.......................................................................................................................................................... 185
3.9 Bayt Majzoub .................................................................................................................................................... 188
3.10 Bayt Haddad ...................................................................................................................................................... 192
3.11 Qaṣr Tuéni-Bustros............................................................................................................................................ 195
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
3.12
3.13
3.14
3.15
3.16
3.17
3.18
3.19
3.20
3.21
3.22
3.23
Qaṣr Kharsa/ Batlouni ...................................................................................................................................... 201
Qaṣr Mūsā Sursock .......................................................................................................................................... 203
Qaṣr Ḫalīl Sursock/ Antoine Moukbel ............................................................................................................ 207
Qaṣr Ḥannā Heneiné ........................................................................................................................................ 209
Qaṣr Mukhayyesh ............................................................................................................................................ 212
Qaṣr Bišāra el-Khoury ...................................................................................................................................... 214
Bayt Khayyat .................................................................................................................................................... 221
Bayt Fakhoury .................................................................................................................................................. 223
Bayt Ladki ........................................................................................................................................................ 225
Madrasat Fāṭima az-Zahrā’ .............................................................................................................................. 227
Villa Wadih Mezher .......................................................................................................................................... 229
Villa Joseph Aftimus ........................................................................................................................................ 235
Übersichtsplan ............................................................................................................................................................ 242
Grundrisszeichnungen ................................................................................................................................................ 243
III. WANDLUNGEN UND SPANNUNGEN DES WOHNENS .................................................................... 279
1. Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser.................................................................................................... 279
1.1 Die Einführung neuer Möblierungsformen ...................................................................................................... 279
1.2 Parallele Innovationen ...................................................................................................................................... 282
1.3 Die Schule des Wohnens: Praxis und Diskurs .................................................................................................. 285
1.4 Wie man sich setzt ............................................................................................................................................ 286
1.5 Möbelwelten: Die Frage der richtigen Einrichtung .......................................................................................... 291
1.6 Kamine und Kohlebecken ................................................................................................................................ 297
1.7 Wechselwirkungen zwischen Möblierung und Bauweise ................................................................................ 301
2. Die funktionale Differenzierung der Räume ...................................................................................................... 303
2.1 Hausgröße und Differenzierungsgrad .............................................................................................................. 303
2.2 Grundlegende Entwicklungen in der Raumstruktur.......................................................................................... 306
2.3 Weiterführende Entwicklungen ........................................................................................................................ 308
2.4 Die Diskussion um die „richtige“ Nutzung ...................................................................................................... 309
3. Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum................................................................ 312
3.1 Menschen unter einem Dach: Familie und Haushalt ........................................................................................ 312
3.2 Familie und Gäste.............................................................................................................................................. 317
3.3 Frau im Haus .................................................................................................................................................... 332
3.4 Das häusliche Dienstpersonal............................................................................................................................ 340
SCHLUSS .................................................................................................................................................................... 350
Anmerkungen .............................................................................................................................................................. 354
Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................................................................................ 376
1. Unveröffentlichte Primärquellen .......................................................................................................................... 376
2. Publizierte Primärquellen .................................................................................................................................... 376
3. Sekundärliteratur .................................................................................................................................................. 378
Bildnachweis ................................................................................................................................................................ 388
Register ........................................................................................................................................................................ 390
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Vorbemerkung und Danksagung
Diese Arbeit verdankt ihr Entstehen der Hilfe vieler Menschen, der Unterstützung durch Institutionen und einigen
glücklichen Umständen. Mit einem solchen Glücksfall fing
es an: ein kurzer Ausflug von Damaskus nach Beirut im Februar 1997, zu dem ich – damals noch Student der Islamwissenschaften, des Städtebaus und der Orientalischen
Kunstgeschichte in Bonn – von Dorothée Sack und Stefan
Weber „ins Schlepptau“ genommen wurde. Aus dem Treffen am Orient-Institut Beirut entstand das interdisziplinäre, DFG-geförderte Forschungsprojekt zur Geschichte,
Struktur und Wandel des Beiruter Stadtviertels Zokak elBlat, unter Leitung von Dorothée Sack und Hans Gebhardt,
das zwischen 1997 und 2004 den Hintergrund für die langjährigen Feldforschungen in Beirut bildete. Neben den stadtbaugeschichtlichen Forschungen, die mein eigentliches Aufgabengebiet im Zokak el-Blat-Projekt waren, begann ich
auch mit den bauhistorischen Forschungen über Beiruter
Wohnhäuser, zunächst für meine Magisterarbeit in Bonn,
dann für meine Abschlussarbeit im Aufbaustudium Denkmalpflege an der TU Berlin, und schließlich für diese Dissertation. Zu danken habe ich all den Menschen in Beirut,
die die Geduld hatten, mich mit Stift, Block, Fotoapparat
und Maßband durch ihre Häuser streifen zu lassen, meine
manchmal seltsam anmutenden Fragen zu beantworten und
mir zu alledem doch noch einen Kaffee zu servieren. Ihre
Gastfreundschaft bleibt mir in warmer Erinnerung. Auch
dem Orient-Institut Beirut und seinen Mitarbeitern – insbesondere den Direktoren Angelika Neuwirth und Manfred
Kropp sowie dem langjährigen Bibliothekar Wolf-Dieter
Lemke – bin ich für ihre vielfältige Unterstützung sehr dankbar. Großer Dank gebührt vor allem meiner Doktormutter
Dorothée Sack und meinem Doktorvater Stefan Wild, deren Fachgebiete der historischen Bauforschung bzw. der
Orient- und Islamwissenschaften in dieser Arbeit ineinandergreifen, und die mit ihrer kombinierten Expertise, Unterstützung und einem gerüttelt Maß an Geduld die Entstehung dieser Arbeit möglich machten und förderten. Danken möchte ich Dorothée Sack und Johannes Cramer außerdem dafür, dass sie diese Arbeit in die Reihe „Berliner
Beiträge für Bauforschung und Denkmalpflege“ aufgenommen haben.
Die kleine Gruppe von jungen Wissenschaftlern, die damals
das Zokak el-Blat-Projekt vor Ort am Orient-Institut Bei-
rut durchführten, wurde mir zu einer wissenschaftlichen
und menschlichen Heimat. Ganz besonders Anne Mollenhauer, der ich am Anfang unserer gemeinsamen Bauaufnahmen das Maßband halten durfte, Jens Hanssen, der bereitwillig sein Wissen und seine Begeisterung über Beiruter
Geschichte(n) teilte, und natürlich Bernhard Hillenkamp,
Oliver Kögler, Friederike Stolleis und Karla Börner. Die
Arbeit profitierte außerdem von dem glücklichen Umstand,
dass gleichzeitig – und häufig in Beirut – Forschungen zu
verwandten Themen durchgeführt wurden: Anne Mollenhauer forschte zum Mittelhallenhaus in der syrischen Region, Jens Hanssen zur politischen und Kulturgeschichte
des spätosmanischen Beirut; Stefan Weber zur Stadt- und
Architekturgeschichte des spätosmanischen Damaskus (und
später auch, gemeinsam mit mir, zum spätosmanischen Sidon); Christian Sassmannshausen, Karla Börner und Juren
Meister begannen schließlich ihre Forschungen zum spätosmanischen Tripolis. Zum befruchtenden Klima dieses
außergewöhnlichen stadt-, architektur- und gesellschaftsgeschichtlichen „Laboratoriums“ trugen in Beirut auch Jim
Quilty, John Chalcraft, George Arbid, Robert Saliba, Grace
Hanna, Youssef el-Khoury, Mona Harb, Mona Fawaz und
Mona Hallak bei. Für kritischen Input und mannigfaltige
Unterstützung in Berlin in verschiedenen Stadien der Arbeit möchte ich Claudia Lacher, Thorsten Dame, Mike
Schnelle und Stephan Rosiny danken.
In Beirut hat damals die Architektin Nathalie Chahine die
Grundrisspläne in AutoCAD umgezeichnet; dies sogar unter den schwierigen Umständen des Julikrieges 2006. Dafür
bin ich ihr heute noch dankbar. In jenen Kriegswochen, als
die Arbeit wegen Termindrucks trotz allem in Beirut fortgesetzt werden musste, bot mit Wolf-Dieter Lemke Unterschlupf seiner Wohnung im Westbeiruter Quartier Hamra,
wo die Schreibarbeit mit Hilfe von Generatorstrom und
phantastischer Privatbibliothek weitergehen konnte. Für die
Gastfreundschaft sei ihm gedankt. Gedankt sei ihm noch
auch dafür, mir seine Sammlung historischer Photographien
und Postkarten von Beirut geöffnet zu haben. Dieser Dank
geht auch an die Photosammler Badr el-Hage in London
und Camille Tarazi in Beirut. Ein dritter, bedeutender Sammler darf nicht ungenannt bleiben: Fouad Debbas, von dessen Rat und Wissen ich in der Frühphase meiner Forschungen noch profitieren konnte. Sein plötzlicher Tod 2001 ließ
7
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
diese Quelle traurigerweise versiegen; seine großartige
Sammlung bleibt der Forschung immerhin durch seine Publikationen und eine Stiftung zugänglich.
Diese Arbeit wäre nicht entstanden ohne die großzügige finanzielle Förderung durch ein Promotionsstipendium der
Studienstiftung des deutschen Volkes von Anfang 2001 bis
Ende 2003 und das anschließende Stipendium des OrientInstituts Beirut zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bis zum Sommer 2005. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat schließlich die Publikation dieser
Arbeit durch eine großzügige Publikationsbeihilfe ermöglicht.
Als Dissertation wurde diese Arbeit im November 2006 im
Fachgebiet Historische Bauforschung an der TU Berlin vorgelegt und im Dezember 2007 verteidigt, als Buch erscheint
sie Ende 2012. Manches würde ich inzwischen anders machen oder anders schreiben. Die Arbeit kann jedoch noch
immer als gültig und aktuell gelten. Auf eine aufwendige
Überarbeitung wurde daher verzichtet. Nötige Ergänzungen bezüglich Forschungsstand und neuer Literatur habe
ich manchmal im Text und meist in den Anmerkungen aufgenommen, und gegebenenfalls nachgetragen, ob ein Haus
inzwischen abgerissen worden ist. Was die historischen
Wohnhäuser Beiruts betrifft, geht der Bestand leider weiterhin schneller zurück als die Forschung vorangeht.
In der Vorlaufphase zur Publikation habe ich durch ein Stipendium des Aga Khan Program for Islamic Architecture
am MIT in Boston-Cambridge die glückliche Gelegenheit
erhalten, meine Forschungsergebnisse intensiv zu diskutieren. Ich danke Nasser Rabbat für die Unterstützung und Sibel Zandi-Sayek für viel kritisches Feedback. Für seine Hilfe bei der Suche nach ergänzendem Bildmaterial in der phantastischen Photosammlung der Fine Arts Library an der Harvard University danke ich außerdem Jeff Spurr.
Dank für ihre bereitwillige Hilfe – insbesondere bei der Bereitstellung von Bildmaterial für die Publikation – geht außerdem an Ralph Nashawaty (AIF), Nada Assi (ALBA),
Chaké Kezirian (APSAD), Jana Tamer (Dar an-Nahar), Yasmine Chemali sowie Robert und Antoine Debbas (The Fouad Debbas Collection), Myra Prince (Éditions Geuthner),
Joanne Bloom (Harvard Library), François Bernel (IFPO)
und Ayelet Rubin (National Library of Israel).
Für praktischen Rat und Unterstützung in der Druckvorbereitungsphase danke ich Stefan Seidlmayer, Daniel Polz und
Ulrike Fauerbach am DAI Kairo. Barbara Perlich am Fachgebiet Historische Bauforschung in Berlin gebührt Dank
für ihr scharfes Auge bei Korrekturen und Hilfestellung bei
der Druckvorbereitung. Patricia Koch vom Imhof-Verlag
hat das Layout gemacht, mit erfreulicher Effizienz und Flexibilität. Großer Dank geht schließlich an Vittoria Capresi,
die mit viel Nerv und Verve die Überarbeitung der Planzeichnungen und Abbildungen für den Druck auf sich genommen hat.
Vor allem gilt meine Dankbarkeit jedoch meinen Eltern –
für ihre unablässige Ermunterung und Unterstützung, auch
über große Entfernungen hinweg. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
Zur Umschrift arabischer Namen und Begriffe
Die wissenschaftliche Umschrift der arabischen Begriffe,
Zitate, Autorennamen und Publikationstitel folgt im Prinzip den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Von dieser Grundregel wird bei Bedarf abgewichen:
Ausdrücke und Zitate aus dem libanesischen Dialekt werden mit Rücksicht auf ihre lokale Aussprache wiedergegeben. Für Orts- und Straßennamen in lateinischer Schrift wurden im Libanon heute übliche, vereinfachte französische
Schreibweisen gewählt – so wie sie sich auch auf Straßenschildern und Stadtplänen Beiruts finden. Daher heißt es
beispielsweise Moussaitbé, nicht al-Muṣayṭiba, und Rue
Hussein Beyhum, nicht Šāriʿ Ḥusayn Bayhum. Auch für
arabische Personennamen wurde – besonders bei lebenden
Personen oder Personen der jüngeren Zeitgeschichte – Rücksicht auf heute übliche Schreibweisen genommen: also Bechara el-Khoury, nicht Bišāra al-Ḫūrī (libanesischer Präsident 1943–1952), und Joseph Heneiné, nicht Yūsuf Ḥunayna. Aus Gründen der Wiedererkennbarkeit werden libanesische Familiennamen im Regelfalle so geschrieben, wie
die Familien ihre Namen heute selbst in lateinischer Schrift
schreiben und wie sie auch im Telefonbuch stehen: also Tuéni anstatt Tuwaynī, Majzoub anstatt al-Maǧḏūb. Bei der
Erstnennung wird aber eine wissenschaftliche Umschrift in
Klammern beigefügt. Vornamen europäischer Herkunft werden als solche behandelt: also Victoria, nicht Fīktūriyā, und
Albert, nicht Albīr. Die arabischen Vornamen historischer
Personen – v. a. von Personen aus dem 19. Jahrhundert –
werden in der arabischen Form beibehalten und wissenschaftlich transkribiert, damit jemand, der sich damals noch
Yūsuf oder Ǧurǧī nannte, nicht plötzlich entsprechend später aufkommender Moden Joseph oder Georges heißt. Dies
wird aber mit dem Familiennamen in heutiger Form kombiniert: also Mūsā Sursock (nicht Mūsā Sursuq oder Moussa Sursock). Die Namen von Autoren arabischer Quellentexte werden immer in Gänze wissenschaftlich transkribiert,
damit die Schreibweisen in Text, Anmerkung und Literaturverzeichnis übereinstimmen.
8
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Vorbemerkung und Danksagung
Zur Benennung der Häuser
In den Quellen des 19. Jahrhunderts wurden Wohnhäuser in
Beirut innerhalb und außerhalb der Stadtmauern am häufigsten dār, aber auch bayt, ḫāne und ḥāra genannt.1 Diese Begriffe sind weitestgehend unabhängig von der Typologie der Häuser und oft austauschbar. Die großen Mittelhallenhäuser, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, wurden
in historischen Quellen meist als dār, ḥāra, bayt, manzil,
maskan sowie qaṣr bezeichnet.2 Der Begriff dār bezeichnete ganz allgemein ein Wohnhaus als physische oder räumliche Struktur, erhält aber im 19. Jahrhundert auch eine
zweite Bedeutung: die zentrale Halle der Mittelhallenhäuser in Beirut und im Libanon wird ad-dār, also „die dār“,
genannt. Der Begriff ḥāra bezeichnet im Arabischen üblicherweise ein Wohnviertel und seine Haupterschließungsgasse; in Beirut wurde dieser Begriff zudem in besonderer
Weise für ein außerhalb der Stadtmauern gelegenes größeres Haus oder Mittelhallenhaus mit Garten verwendet.
Bayt hat neben der allgemeinen Bedeutung „Haus“ auch
die engere Bedeutung „Zimmer“ und kann ebenfalls die
„Familie“ bezeichnen, sowohl im engeren Sinne eines zusammengehörenden Haushalts wie auch im weiteren Sinne einer patrilinearen Abstammungsgemeinschaft. Die Begriffe manzil (wörtlich etwa „der Ort, wo man absteigt/ sich
niederlässt“) und maskan („der Ort, an dem man wohnt“)
bedeuten allgemein Wohnhaus oder Wohnung und konnten daher sowohl auf ein ganzes Haus wie auch auf eine
Wohneinheit innerhalb eines Hauses bezogen sein. Qaṣr
ist unter den genannten Begriffen eigentlich der einzige,
der einen Status indiziert, eine gewisse Größe und repräsentative Ausstattung voraussetzt und zudem mit Wohnen
und Entspannung im Grünen assoziiert ist. Er bedeutet im
Allgemeinen „Festung“, „Schloss“ oder „Palast“ und ist
außerdem spätestens ab dem 19. Jahrhundert in der arabischen wie in der osmanisch-türkischen Sprache auch mit
der Bedeutung „Sommerhaus“, „Lusthaus“ oder „Villa“
belegt.3 Die Verwendung dieses Begriffs für herrschaftliche Beiruter Wohnhäuser lässt sich in Quellen aus dem späten 19. Jahrhundert nachweisen und ist heute die gebräuchlichste. Daher wird dieser Begriff in dieser Arbeit
für die meisten herrschaftlichen Wohnhäuser verwendet,
in Verbindung mit dem Namen der historischen oder gegenwärtigen Eigentümerfamilie. Kleinere, deutlich weniger
herrschaftliche Häuser werden – ebenfalls lokalem Usus
folgend – als bayt bezeichnet. Im Kontrast dazu wird das im
frühen 20. Jahrhunderts abgerissene, herrschaftliche Wohnhauses von Yūsuf Geday, das in einer Quelle vom Anfang
des Jahrhunderts ausdrücklich Ḥārat Geday (also „die ḥāra
des Geday“) genannt wird, mit dieser historischen Bezeichnung benannt. Damit soll dieser heute völlig außer
Gebrauch gekommene Begriff in Erinnerung gerufen werden, der noch in den 1920er Jahren fast so etwas wie eine
allgemeine Typenbezeichnung für Mittelhallenhäuser oder
Villen gewesen zu sein scheint.4 Schließlich werden herrschaftliche Häuser der Mandatszeit in dieser Arbeit „Villa“ genannt, wiederum in Anlehnung an damals neueingeführte Begriffe. Das Wohnhaus Aftimus beispielsweise wird
in einer zweisprachigen lokalen Publikation der 1930er im
arabischen Text dār und maskan, im französischen Text
villa genannt.5 Die Vielfalt in der Begriffswahl dieser Arbeit spiegelt daher nur einen Bruchteil der Vielfalt im historischen Sprachgebrauch wider.
9
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abkürzungsverzeichnis
Katasterdistrikte und Katasternummern:
Die Identifizierung der behandelten Beiruter Häuser geschieht durch Angabe des Katasterdistrikts und Katasternummer, wobei der Distriktname durch einen Buchstabencode abgekürzt wird. Kenntlich gemacht wird diese Angabe immer durch eine eckige Klammer.
Beispiel: [ZAB 614]
Schlüssel für die Buchstabencodes:
A
AM
MH
M
P
R
ZAB
Achrafieh
Ain el-Mreissé
Minet el-Hosn
Moussaitbé
Port
Rmeil
Zokak el-Blat
Abkürzungen:
AIF
Arab Image Foundation (Beirut)
ALBA
Académie Libanaise des Beaux-Arts (Beirut)
APSAD
Association pour la Protection des Sites et
Anciennes Demeures au Liban (Beirut)
AUB
American University of Beirut
CERMOC Centre d’Etudes et de Recherches sur le
Moyen Orient Contemporain (Beirut)
EJOS
Electronic Journal of Oriental Studies
IFAPO
Institut français d’archéologie du
Proche-Orient
IFPO
Institut français du Proche-Orient
IJMES
International Journal of Middle Eastern Studies
IREMAM Institut de recherche et d’études sur le monde
arabe et musulman
OIB
Orient-Institut Beirut
SPC
Syrian Protestant College (heute AUB)
TNA/PRO The National Archives, ehemals Public Record
Office (London)
10
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I. ZUGÄNGE
We shape our buildings and they shape us.
(Winston Churchill)6
Wohnen als Transitivum – im Begriff des „gewohnten Lebens“ z. B. – gibt eine Vorstellung von der
hastigen Aktualität, die in diesem Verhalten verborgen ist. Es besteht darin, ein Gehäuse uns zu prägen.
(Walter Benjamin)7
1 Einführung
Im Jahr 1909 bereiste Dr. Yaʿqūb Ṣarrūf, der in Kairo lebende Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift alMuqṭataf und einer der herausragenden arabischen Journalisten seiner Zeit, die syrischen Provinzen des osmanischen Reiches.8 Dabei besuchte er auch seine alte Heimatstadt Beirut, die er Ende 1884 in Richtung Kairo ver-
lassen und seit 25 Jahren nicht gesehen hatte. Für seine bildungsfreudige Leserschaft in der arabischen Welt verfasste er eine ausführliche und kritische Reportage über die
damaligen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Infrastruktur. Bei dieser Gelegenheit beschrieb Ṣarrūf auch
die Wohnhäuser (Abb. 1), die inzwischen so typisch für
Beirut geworden waren und zahlreiche Nachahmer in den
libanesischen Bergen und darüber hinaus gefunden hatten:
Abb. 1
Beirut, Blick vom Glockenturm der Amerikanischen Kirche in Richtung Südwesten über den Vorort Zokak el-Blat. Mittelhallenhäuser mit ihren Dreibogenfenstern dominieren die Stadtlandschaft. Aufnahme aus den 1890ern.
11
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Die Einwohner des Libanons und Beiruts widmen sich mit
Eifer und Freude dem Bau und der Dekoration ihrer Häuser. Die Beiruter wurden auf diesem Gebiet schon vor 40
oder 50 Jahren aktiv, und noch heute gehören die Häuser,
die damals gebaut wurden – wie die Häuser Sursock, Bustros, Geday, Beyhum, Hamadé und al-Ariss –, zu den großartigsten und prächtigsten Gebäuden Beiruts. Später nahm
die Zahl der Häuser, die nach ihrem System gebaut wurden, weiter zu, und die Bautätigkeit hält weiterhin an. In
der Regel hat das einzelne Haus zwei oder drei Geschosse. In jedem Geschoss gibt es eine geräumige dār [d.h. Mittelhalle] von zehn bis fünfzehn Metern Länge und von fünf,
sechs oder sieben Metern Breite, um die herum viele Zimmer liegen: davon einige große Räume als Wohn-, Empfangs- und Esszimmer, und einige kleine als Schlafzimmer.
Der Küchen- und Wirtschaftsteil (dā’irat al-maṭbaḫ wa-lḫadam) ist mit dem Haus verbunden, jedoch beinahe separat von ihm, und liegt meistens auf der Südostseite. Die
dār hat eine Fassade mit drei Bögen auf zwei kerzenschlanken Marmorsäulen. Inzwischen sind auch die neuen
Häuser im Libanongebirge nach diesem System gebaut
worden, große wie kleine.9
Dass Ṣarrūf diesen Häusern eine solche Aufmerksamkeit
zukommen lässt, spricht für die wichtige Rolle, die sie damals in der Wahrnehmung Beiruts und Selbstwahrnehmung der Beiruter spielten. Diese Häuser, die wegen ihrer
charakteristischen, zentral im Grundriss positionierten
Halle als „Mittelhallenhäuser“ bezeichnet werden, sind
der Gegenstand dieser Untersuchung.10 Dabei werden die
von Ṣarrūf namentlich erwähnten Beiruter, die sich diese
Häuser als ihr Zuhause und Gehäuse prägten, ebenfalls
eine Rolle spielen. Wir werden ihre Häuser besuchen und
versuchen, ihnen bei der „hastigen Aktualität“ des Wohnens nachzuspüren.
Diese Arbeit erkundet die vielfältigen Wandlungsprozesse, die die Beiruter Wohnhausarchitektur und Wohnkultur von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts durchliefen. Es ist eine architekturgeschichtliche und zugleich sozialgeschichtliche Untersuchung, die die Architektur dieser Häuser, ihre Raumstruktur, die historischen Raumnutzungen und die Wohnpraktiken zum Gegenstand hat. Dabei sollen uns die Häuser – aufbauend auf einer bauhistorischen Untersuchung
von Fallbeispielen – als Quelle, Ausgangs- und Bezugspunkt für sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen dienen. Die zentrale Grundannahme ist dabei, dass
die Häuser und die mit ihnen auf das Engste verbundene
Wohnkultur Licht auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse werfen können, die bislang in der historischen Li-
teratur vernachlässigt wurden bzw. im Schatten jener großen Erzählungen von libanesischer Nationalgeschichte,
Konfessionalismus und Verwestlichung standen, welche
den Geschichtsdiskurs zu Beirut und dem Libanon über
lange Zeit dominierten. Die Häuser sollen dabei als prozesshaft veränderliche Strukturen, als eine Form sozialen
Raums und als integraler Teil eines allgemeineren sozialen Wandels und daraus resultierender kultureller Adaptionsprozesse in den Wohn- und Lebensstilen untersucht
werden.
Im Allgemeinen wird der vielfältige Prozess des Wandels,
der sich in Beirut während des 19. und 20. Jahrhunderts
beobachten lässt, sowohl in der wissenschaftlichen Literatur wie auch in der Erfahrung von Reisenden, die nach
Beirut kommen, vor allem als ein Prozess intensiver „Verwestlichung“ wahrgenommen. In seiner Histoire de Beyrouth beschreibt der libanesische Historiker Samir Kassir
das Beirut des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sogar als einen „espace de mimétisme“ – d.h. einen Raum
der Mimikry, der Nachahmung, der Nachäffung.11 Das bezieht sich nicht zuletzt auch auf die Wohnhausarchitektur
und Wohnkultur. Dabei wird „Verwestlichung“ oft als unkritische Nachahmung westlicher Vorbilder verstanden,
für die das kulturell „Eigene“ oder „Authentische“ aufgegeben wird, als ein Bruch mit der Vergangenheit und
der Tradition, der zu Entwurzelung und Entfremdung führt.
Aber ist das wirklich so? Kann eine Gesellschaft die Kopie einer anderen sein? Kann eine Gesellschaft sich Häuser errichten, die ihr eigentlich fremd sind?
Eine solche Erklärung des Wandels läuft Gefahr, sich von
Äußerlichkeiten blenden zu lassen. Wohnhäuser sind
Wohnraum, Lebensraum, sozialer Raum; sie sind eng verknüpft mit den persönlichen, verinnerlichten und gesellschaftlich bedingten Bedürfnissen und Vorstellungen der
Erbauer und Bewohner. Es ist also genauer zu untersuchen, welcher Wandel denn eigentlich im Wohnen stattgefunden hat, und es gilt, diesen Wandel zu beschreiben
und zu analysieren, ohne ihn gleich mit Schlagworten klassifizieren zu wollen. Dabei muss auch der Frage nachgegangen werden, welche Vorbilder oder Modelle zur Verfügung standen, wie und warum bestimmte Elemente Akzeptanz fanden und andere nicht, wie diese Elemente auf
ganz spezifische Weise angeeignet und anverwandelt wurden und, ganz wichtig, welche Funktionen sie im lokalen
Kontext erfüllten. Auch ist darauf zu achten, welche Kontinuitäten sich trotz aller Veränderungen erkennen lassen,
und wie Neues in Bestehendes einbettet wurde und dadurch beides überformt und in neue Zusammenhänge ge-
12
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
rückt wurde. Die Veränderungen im Wohnen und im Habitus der Beiruter Ober- und Mittelschichten sollen vor
allem als zeit- und schichtenspezifische Phänomene untersucht werden. Nicht nur die Orientierung an fernen oder
nahegelegenen Vorbildern, sondern auch gesellschaftliche Positionierung und die Schaffung von Schichtenzugehörigkeit und Distinktion in Zeiten großer sozialer Mobilität stehen dabei als Erklärungsansätze im Vordergrund;
nicht kulturelle „Entfremdung“, sondern die Schaffung
zeit- und standesgemäßer Wohn- und Lebensformen in einer Epoche extremer Veränderungen in Beirut und in der
Welt.
Die Beiruter Mittelhallenhäuser entstanden und entwickelten sich in einer Zeit vielfältigen und tiefgreifenden
Wandels. Dazu gehört Beiruts kometenhafter Aufstieg zu
einem wichtigen Handels-, Verwaltungs- und Kulturzentrum der Region, der zu demographischen und sozioökonomischen Umschichtungsprozessen in der Stadt führte
und mit dem Entstehen neuer Eliten und Mittelschichten
einherging. Dazu gehören auch die politischen und gesellschaftlichen Reformen (tanẓīmāt) im Osmanischen
Reich und die gleichzeitige direkte wirtschaftliche Einbindung der Stadt und der Region in ein europäisch dominiertes Weltwirtschaftssystem im Zeitalter der Industrialisierung, des Kolonialismus und des Imperialismus.
Die Welt trat eine neue Phase der Globalisierung ein, im
Sinne einer explosionsartigen Expansion und Intensivierung des Flusses von Kapital, Gütern, Menschen und Ideen, die durch neue Transport- und Kommunikationsmittel ermöglicht wurde und überall – auch in Europa selbst
– ungekannte Auswirkungen auf das Leben der Menschen
hatten.12 Auch in Beirut mussten sich die Menschen auf
diesen Wandel einstellen und versuchen, in der neuen Zeit
heimisch zu werden, den Wandel zu bewältigen, zu „domestizieren“ und – wo möglich – für sich auszunutzen.
Wie in einer wachsenden Anzahl von Studien in den vergangenen Jahren gezeigt worden ist, führten die veränderten Bedingungen und Kräftekonstellationen damals in
vielen Städten des Osmanischen Reiches zu Veränderungen der Lebenswelten, der Selbstwahrnehmungen und der
Selbstdarstellung, der kulturellen Horizonte, der Geschmäcker, der Alltagskultur, der gebauten Umwelt und
nicht zuletzt auch der Wohnkultur vieler Menschen.13 Oft
und für lange Zeit wurden diese Veränderungen vor allem
mit den Begriffen Modernisierung, Europäisierung oder
Verwestlichung umschrieben.14 Erst in jüngerer Zeit gewinnt – besonders für die arabischen Provinzen – zunehmend auch das Konzept der Osmanisierung an Bedeutung,
im Sinne einer Verbreitung von Istanbuler Modellen, einer
Orientierung an der sich modernisierenden Kultur osmanischer Eliten und mithin auch einer Vermittlung ursprünglich europäischer Modelle über Istanbul bzw. in
durch Istanbuler Geschmack geprägten Formen und Variationen.15
Beirut unterschied sich darin nicht grundsätzlich von anderen städtischen Zentren der Region, aber – bedingt durch
besondere Konstellationen – doch im Grad und der Geschwindigkeit dieser Veränderungen. Verglichen beispielsweise mit Damaskus, der großen Schwesterstadt im
Binnenland, als deren Seehafen Beirut auch diente, war
der demographische und sozioökonomische Wandel hier
sicherlich massiver. Beirut war um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Migrantenstadt geworden. Weil Beirut sich
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer wichtigen Hafen- und Seehandelsstadt entwickelte, fanden diese Entwicklungen auch im Kontext einer stärkeren und direkteren Exponiertheit gegenüber europäischen Einflüssen statt. Hier landeten industrielle Güter und neue Ideen
an, wurden – im wörtlichen und übertragenen Sinne – ausgepackt, abgewogen, neu verpackt und weitervermittelt.
Zeitgleich jedoch wurde Beirut auch zu einem osmanischen Verwaltungszentrum und war dadurch stärker und
unmittelbarer als zuvor mit der Reichshauptstadt Istanbul,
ihren politischen und gesellschaftlichen Eliten und der
tanẓīmāt-Politik verbunden. Als aufstrebendes kulturelles Zentrum mit einem blühenden Bildungs- und Publikationswesen und als eine wichtige Keimzelle der nahḍa
(der arabischen kulturellen Reformbewegung) wurde die
Stadt darüber hinaus zu einem Anziehungs- und Ausstrahlungspunkt für den gesamten arabischen und osmanischen Raum.
Auch wenn diese Arbeit den Blick auf Beirut richtet, muss
man sich der größeren regionalen und globalen Zusammenhänge bewusst sein. Elitenwandel und das Entstehen
und Anwachsen neuer bürgerlicher Schichten waren ein
globales Phänomen des 19. Jahrhunderts. Das gilt auch
für die damit einhergehenden Gesellschafts- und Modernisierungsdiskurse, und es gilt für die Ausprägung einer
modernen, im weitesten Sinne bürgerlichen Wohnkultur.
Mittelhallenhäuser entstanden beispielsweise im Laufe
des 19. Jahrhunderts in vielen Teilen des osmanischen
Reiches als neuer Wohnhaustyp zunächst der Eliten, später auch der Mittelschichten; Wohnstrukturen veränderten sich an vielen Orten der Welt, die starkem sozialen
Wandel ausgesetzt waren, und neue Wohnideale und Häuslichkeitsdiskurse verbreiteten sich.16 Trotz vieler Unter13
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schiede in den jeweiligen lokalen Gegebenheiten gab es
bedeutsame Parallelen, die zum Teil durch Rezeption, zum
Teil durch ähnliche Möglichkeiten und Zwänge bedingt
waren. Die Rezeption europäischer Einflüsse war dabei
in Beirut – als Teil des „osmanischen Commonwealth“ –
zumindest bis zur Einrichtung des französischen Mandats
im Jahr 1920 nicht durch ein koloniales Machtverhältnis
bestimmt, im Unterschied beispielsweise zu Ägypten spätestens ab 1882 oder Alexandrien schon ab den 1850ern.17
Eigenmotivation, Eigeninitiative und Eigeninteressen
spielten daher bei der Rezeption europäischer und nichteuropäischer Einflüsse eine bedeutende Rolle, und lokale und regionale Bezogenheiten bestimmten die Art, wie
diese Einflüsse „übersetzt“ wurden. Bei allen Einflüssen
dürfen auch innergesellschaftliche Dynamiken und Spannungen als verändernde Kräfte nicht vernachlässigt werden. Der Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung
kann nicht auf den einer Verwestlichung oder Osmanisierung reduziert werden.
Wohnhäuser bieten sich an als alternative und relativ unbearbeitete Quelle für eine Untersuchung des gesellschaftlichen Wandlungs- und Modernisierungsprozesses. Sie können als materielle Kulturprodukte untersucht werden, die
im Unterschied zu schriftlichen Quellen zwar stark von
(auch diskursgeprägten) Vorstellungen ihrer Zeit geprägt
sind, aber auch Einblicke gewähren hinter die Kulissen ideologisch bedingter und oft sehr stereotyper Konzepte und
Begrifflichkeiten, durch die schriftliche oder mündliche
Quellen zwangsläufig bestimmt sind. Diese Häuser dokumentieren etwas, das sich nicht mit Worten sagen ließ, aber
gelebt und erfahren wurde – ein „unaussprechlicher“ Teil
der Lebens- und Erfahrungswelten also.
Daher wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen,
die Befunde aus der Untersuchung der materiellen Quellen in den Kontext von schriftlichen Quellen und mündlichen Überlieferungen zu setzen, um aus dem Zusammenklang, den Dissonanzen und Widersprüchen neue Erkenntnisse zu gewinnen und damit das Innere der Beiruter Häuser, die Wohnkultur ihrer Bewohner und den soziokulturellen Wandel Beiruts aus anderen Richtungen zu
beleuchten, als dies bisher geschehen ist.
Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich von der Zeit um
1860 bis etwa 1930 und schlägt damit eine Brücke zwischen den letzten sechs Jahrzehnten der von 1516 bis 1918
dauernden osmanischen Herrschaft in Beirut und dem ersten Jahrzehnt der französischen Mandatsherrschaft (1920–
1946). Diese Eingrenzung ergab sich aus Gegenstand
selbst: Um 1860 war das Mittelhallenhaus als neuer Wohn-
haustyp der Beiruter Oberschichten etabliert, und um 1930
begann dieser Typ in Beirut an Bedeutung zu verlieren,
weil in der Stadt immer weniger freistehende Wohnhäuser
(also quṣūr im Sinne von Villen) errichtet wurden und sie
zunehmend von Apartmenthäusern abgelöst wurden. Dabei ist auch diese zeitliche Eingrenzung nicht zwingend:
Schon die villenartigen Beiruter Mittelhallenhäuser des
19. Jahrhunderts funktionierten häufig wie Geschosswohnungshäuser, deren Etagen einzeln genutzt und vermietet wurden, und noch die modernen städtischen Apartmenthäuser der 1950er und 1960er weisen häufig Mittelhallengrundrisse auf. Die Entwicklungen überlappen zeitlich und sind durch starke Kontinuitäten und innere Zusammenhänge geprägt. Um diese Entwicklungen erfassen
und deuten zu können, bietet die gängige politische Periodisierung der Beiruter oder allgemeiner libanesischen
Geschichte keinen sinnvollen analytischen Rahmen.18 So
stellt beispielsweise das Ende des osmanischen Reiches,
sonst eine wichtige Zäsur, in der Wohnarchitektur und
Wohnkultur Beiruts keinen spürbaren Bruch dar. Ganz offensichtlich folgen das private und häusliche Leben und
dessen materielle Kultur eigenen Dynamiken, anderen
Veränderungsrhythmen und einer eigenen, etwas trägeren
Zeitlichkeit.
Diese Arbeit gliedert sich in drei große Teile. Der erste
Teil dient dazu, den Boden für die Untersuchung der Fallstudien im zweiten Teil und für die Bewertung und Interpretation im dritten Teil zu bereiten. Dazu wird zunächst
ein Überblick über die bisherige, stark ideologisch geprägte Forschungsgeschichte zu den Beiruter Mittelhallenhäusern gegeben und dargelegt, welche Anknüpfungspunkte sich daraus für diese Arbeit ergeben (Kap. 1.1).
Anschließend werden wichtige theoretische und methodische Grundlagen für die Untersuchung von Wohnhäusern als Quelle und Gegenstand für sozialgeschichtliche
Fragestellungen erläutert, wobei auch ein kurzer Überblick zu den anderen Quellen gegeben wird, die zur Rekonstruktion der historischen Wohnkultur Beiruts herangezogen werden (Kap. 1.2).
Das zweite große Kapitel des ersten Teils behandelt den
historischen Hintergrund mit starkem Fokus auf Beirut
selbst, unterteilt nach den Aspekten politische und wirtschaftliche Veränderungen (Kap. 2.1), demographische und
gesellschaftliche Veränderungen (Kap. 2.2), kulturelle Umorientierung im Sinne von Europäisierung und Osmanisierung (Kap. 2.3) sowie urbane und architektonische Veränderungen (Kap. 2.4). Dies geschieht relativ ausführlich und
aus einer kritischen Perspektive, um eine Grundlage zu ha-
14
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
ben, die Entwicklungen, die in der Wohnarchitektur und
Wohnkultur Beiruts zu beobachten sind, besser einordnen
und im möglichst konkreten Kontext der sozialen und kulturellen Entwicklungen der Stadt selbst interpretieren zu
können. Der zeitliche Bogen spannt sich dabei vom frühen
19. Jahrhundert, als der Aufstieg Beiruts begann, bis in die
Mandatszeit; besondere Aufmerksamkeit wird den architektonischen Entwicklungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts zugewandt – der Zeit, in der die ersten Mittelhallenhäuser in der Stadt nachzuweisen sind und sich schnell
als neue Wohnform der Eliten durchsetzten.
Im dritten Kapitel des ersten Teils wird anhand von drei
zeitgenössischen schriftlichen Quellen der 1880er und
1890er erkundet, welche Raumnutzungen und welches
Raumprogramm man in großen Beiruter Mittelhallenhäusern jener Zeit erwarten konnte. Als Momentaufnahmen oder „Schnitte“ im Fluss der historischen Entwicklung erlauben uns diese Quellen, Veränderungen zu erkennen, die vorher und nachher in den Wohnhäusern stattfanden, und damit einen Prozess der zunehmenden räumlich-funktionalen Ausdifferenzierung und Spezialisierung
der Räume herauszuarbeiten. Ausgestattet mit dieser zeitspezifischen und sehr schematischen Schablone kann dann
an die Fallstudien herangetreten werden.
Die Fallstudien machen den zweiten, relativ umfangreichen Teil dieser Arbeit aus. Dieser Teil kann als die notwendige Quellenedition verstanden werden, auf der die
Interpretation im dritten Teil aufbaut. Zwei ausführlich
behandelte Häuser als Hauptfallstudien (Kap. 1 und Kap.
2) und 23 weitere Häuser als kurze, ergänzende Fallstudien (Kap. 3) aus der Zeit von den 1850ern bis um 1930
werden beschrieben, in Photos und Plänen dokumentiert
und hinsichtlich ihrer Baugeschichte, Grundrisse, Erschließungsstrukturen und der historischen Raumnutzungen untersucht. Soweit die Quellenlage es gestattet, wird
auch immer auf die Erbauer und späteren Bewohner eingegangen. Bei den Hauptfallstudien wird die Entwicklung
der Raumnutzungen bis in die 1940er und 1950er Jahre
hinein untersucht, weil dieser Ausgriff es erlaubt, Veränderungen als längerfristig gerichteten Wandel zu begreifen.
Die chronologische Anordnung der ergänzenden Fallstudien wurde, da die Häuser in der Regel nicht durch Bauinschriften oder Quellen datiert sind, vor allem anhand
bautechnischer und stilistischer Merkmale unter Hinzunahme ergänzender Quellen vorgenommen. Sie ist ein zentrales Mittel, Entwicklungen in der Grundriss- und Erschließungsstruktur über den Untersuchungszeitraum hinweg sichtbar werden zu lassen.
Im dritten Teil der Untersuchung werden die Befunde aus
dem zweiten Teil zusammengeführt, hinsichtlich des Wandels der Wohnkultur ausgewertet und unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten interpretiert. Dabei wird
zunächst die Entwicklung der Ausstattung und Einrichtung der Häuser rekonstruiert und der Zusammenhang zwischen den Veränderungen der Möblierung und der zunehmenden funktionalen Spezialisierung der Räume beleuchtet (Kap. 1). Dann werden die Auswirkungen dieser
fortschreitenden Spezialisierung auf die räumliche Struktur der Häuser herausgearbeitet (Kap. 2). Schließlich werden diese räumlichen Entwicklungen auf ihre sozialen Bedeutungen und Implikationen hin untersucht (Kap 3). Das
häusliche Leben wird in seiner Wechselbeziehung zum
Wohnraum betrachtet. Dabei wird zunächst die Größe und
Zusammensetzung der Haushalte behandelt (Kap. 3.1),
und anschließend werden erkennbare räumlich-soziale Integrations- und Segregationsprozesse anhand ausgewählter Aspekte untersucht, nämlich der Beziehungen zwischen Bewohnern und Gästen (Kap. 3.2), des häuslichen
Soziallebens der Frauen (Kap. 3.3) und der Beziehung
zwischen Familie und häuslichem Dienstpersonal (Kap.
3.4). In allen Fällen gilt das Hauptaugenmerk der Art und
Weise, wie die sozialen Beziehungen in die räumliche
Struktur der Häuser eingeschrieben sind und in der Wohnpraxis reproduziert werden. Den Schluss der Arbeit bildet
eine zusammenfassende Bewertung.
1.1 Vom „Beiruter Haus“ zum „libanesischen Haus“
und zurück: Ein Überblick
zur Forschungsgeschichte
Ein Überblick über die bisherigen Forschungen zum Mittelhallenhaus in Beirut lässt sich nicht geben, ohne vorwegzuschicken, dass dies in großen Teilen eher die Geschichte eines ideologisch motivierten Diskurses als die einer wissenschaftlich-historisch motivierten Forschung ist.
Oft geht es dabei weniger um die Häuser selbst als um die
kulturellen Identitäten, die damit verbunden werden. Es ist
daher sinnvoll, mit einem Rückgriff in die späte Osmanenzeit und damit auf die Anfänge dieser Rezeptionsgeschichte zu beginnen. Wie die am Anfang der Arbeit zitierte Beschreibung aus der Zeitschrift al-Muqtaṭaf zeigt, war das
Verhältnis jener Angehörigen einheimischer bürgerlicher
Schichten, die Anfang des 20. Jahrhunderts überhaupt etwas über die Beiruter Häuser schrieben, sachlich und – man
möchte fast sagen – unverkrampft. Die in bestimmten Fällen als „großartige und prächtige Gebäude“ beschriebenen
15
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Häuser wurden so verstanden, wie sie vor allem gemeint
waren: als Zeichen von (meist neuem) Wohlstand und gesellschaftlichem Status, als Mittel der Distinktion, als Ausdruck der Zugehörigkeit zu denen, die es in Zeiten vielfältiger und tiefgreifender Umwälzungen „geschafft“ hatten,
und als Zeichen der Abgrenzung gegenüber den Übrigen,
die es (noch) nicht geschafft hatten. Eindeutig waren sie
auch ein Symbol neuer Zeiten und des Fortschritts. Es war
noch bekannt, dass sie ein relativ neues Phänomen waren,
das erst ein halbes Jahrhundert vorher – zu Lebzeiten älterer Menschen – in Beirut begonnen hatte und später viele
Nachahmer in der Stadt und der Region fand. Ihre Neuheit
machte einen wichtigen Teil der Attraktivität dieser Häuser aus. Man fand an dem Haus jedoch nichts grundsätzlich Fremdes oder Befremdliches, sah es sogar ausdrücklich als ortstypisch für Beirut an. Denn als die beiden osmanischen Beamten Rafīq Bey Tamīmī und Bahǧat Bey
während des Ersten Weltkriegs durch die Provinz Beirut
reisten, um für den Gouverneur eine ausführliche Beschreibung der Zustände und Missstände zu verfassen, bezeichneten sie die Mittelhallenhäuser, die sie in den damals
neuentstehenden Vororten von Tripolis oder Sidon sahen,
als Häuser im „Beiruter Stil“ – aṭ-ṭirāz al-bayrūtī. Sie beschrieben diese als Häuser mit zwei oder drei Geschossen,
geschlossener Halle, Dreibogenarkaden und Ziegeldach.
Das Gegenstück war der ältere Typ von Häusern mit offenem Hof, den sie als aṭ-ṭirāz aš-šāmī, also „Damaszener“
oder „syrischen“ Stil bezeichneten.19 Yaʿqūb Ṣarrūf, der Herausgeber des Muqtaṭaf, wusste in seinem eingangs dieser
Arbeit zitierten Artikel auch zu berichten, dass die Leute
ihre im neuen Stil errichteten Häuser gerne zu groß und zu
teuer bauten und sich viele dabei finanziell übernahmen:
„Sie werden nicht aus Bedarf gebaut, sondern ausschließlich, um damit zu prahlen.“ Manche verwendeten angeblich viel Aufwand auf den Fassadendekor, vergaßen aber
eine „ordentliche“ Toilette.20 Nie jedoch liest man in den
während der osmanischen Herrschaft verfassten Texten einheimischer oder arabischer Autoren, dass die Häuser dieses Typs „europäisch“ aussähen oder wären. Entweder sah
man das damals noch nicht so – oder man hatte kein Problem damit.
Anders hingegen reagierten europäische Reisende, deren
Vorstellungen vom Orient bei der Ankunft in Beirut oft
schon beim Anblick der Stadt vom Schiff aus enttäuscht
wurden. So klagt der französische Adelige Eugène de Vogüé im Jahr 1876:
… mais ces maisons européennes, à toits de tuiles, ont un
aspect trop civilisé. Je ne peux comparer Beyrouth, vue du
large, qu’à Hyères, Cannes ou toute autre station d’hiver de
la Méditerranée…En dehors des bazars, les rues proprement
dites sont larges, droites, à l’européenne, bordées de maisons neuves d’un style franco-arabe assez bâtard ...21
Dieser teils gerechtfertigte, teils aus Unkenntnis, Fehlurteilen und Enttäuschung herrührende Vorwurf der Europäisierung oder Verwestlichung gegenüber den Beiruter
Mittelhallenhäusern ist zunächst nur bei europäischen Reisenden zu beobachten, die erst dann, wenn sie die verhasste Hafenstadt Beirut nach wenigen Stunden oder Tagen endlich verließen, in den Bergen und in Damaskus eine bessere Projektionsfläche für den „Orient“ oder das
„Heilige Land“ fanden, nach dem sie suchten.
Bei einem einheimischen libanesischen Autor lässt sich
dieser ausdrückliche Vorwurf der Europäisierung zum ersten Mal erst Anfang der 1920er nachweisen, d.h. nach dem
Ende der osmanischen Herrschaft (1918) und dem Beginn
der französischen Mandatsherrschaft (1920). Der maronitische Priester, Dialektforscher und Volkskundler Michel Feghali publizierte 1923 einen Artikel mit dem programmatischen Titel „Notes sur la maison libanaise“. Es
war die erste Publikation, die den Begriff eines „libanesischen Hauses“ verwendete. Aber Feghali meinte damit
ausdrücklich die kleinen, einräumigen und mit einem flachen Lehmdach gedeckten Bauernhäuser in den libanesischen Bergen. Sie seien das „wahrhaft indigene Haus“,
das damals noch von der Mehrheit der Libanesen bewohnt
wurde, schon bei den antiken Völkern Syriens existiert
habe und „einfacher, ursprünglicher und patriarchalischer“
sei.22 Die Mittelhallenhäuser dagegen nennt er ḥārāt und
beschreibt sie als „superbe Villen“ „exakt wie in den Küstenstädten Europas“, die in den Städten und vermehrt auch
in den Bergen die Landschaft mit ihren roten Ziegeldächern dominierten. (Hatte Feghali sich von de Vogüé inspirieren lassen?) Städte wie Beirut seien „völlig europäisiert“, und auch auf dem Lande spüre man schon die fremden Einflüsse und den schrittweisen Verlust der lokalen
Sitten, was sich insbesondere in der Bauweise und der
Einrichtung der Häuser zeige. Die alte, „ursprüngliche Zivilisation“ des libanesischen Volkes (laut Feghali entstanden aus der Vermischung von aus Nordsyrien zugewanderten Maroniten und alteingesessenen Aramäern),
die so lange gegen die Einflüsse der Araber bewahrt werden konnte, weiche nun zusehends einer „moderneren Zivilisation“. Massenemigration, erzwungen durch das „türkische Joch“, hätte die Libanesen nach Europa und Amerika getrieben, auf der Suche nach finanzieller Verbesserung, Freiheit und Sicherheit. Bei der Rückkehr in ihre
16
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
Berge brachten sie andere Geschmäcker und andere Sitten mit sich.23
Unmittelbar nach Beginn der französischen Mandatsherrschaft war das Mittelhallenhaus demnach schon vom
Statussymbol zum ideologischen Zankapfel einer fortwährenden Identitätsdebatte im Kontext des libanesischen
nation-buildings geworden. Feghali war ein eingefleischter Libanist, anti-arabisch, anti-türkisch, auf der Suche
nach dem kulturell „Eigenen“ und besorgt um dessen Verlust. Als charakteristisch für diesen Authentizitätsdiskurs
kann gelten, dass der Autor eine kulturelle Verfremdung
der Libanesen durch Europäisierung beklagte, während er
in Bordeaux an seinem Schreibtisch saß und diese Klage
auf Französisch verfasste. Als ebenso prägend kann gelten,
dass das kulturell Eigene in den Bergen gesucht wird, während die Küstenstadt Beirut letztlich nur als Einfallstor für
fremde Einflüsse gesehen wird, nicht als das Zentrum einer kulturellen Blüte, das Beirut als eine Wiege der arabischen nahḍa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
war. Vielleicht war in der Sicht eines in den Bergen aufgewachsenen Libanisten die nahḍa zu arabisch oder zu
progressiv, und das Mittelhallenhaus war zu städtisch, zu
bourgeois, zu fremd. Jedenfalls waren damit die Weichen
für die Diskussion zu diesem Haus für den Rest des 20.
Jahrhunderts gestellt.
Antoine Tabet, ein bekannter libanesischer Architekt, geschult im Modernismus und während der 1930er gemeinsam mit dem französischen Architekten und Betonbaupionier Auguste Perret einer der Erbauer des Hotel SaintGeorges in Beirut, schlug eine andere Richtung ein: In einem 1947 in Beirut gehaltenen Vortrag zur „libanesischen
Architektur“ zählte er die Beiruter Mittelhallenhäuser –
als ausdrückliche Neuerung aus der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts – nicht nur
ganz selbstverständlich zu dieser libanesischen Architektur, sondern ordnete sie dazu noch in die größere arabische
Architekturtradition ein.24 Er sieht sie als Teil einer Architektur ohne Architekten, deren regionale und lokale Besonderheiten in wechselseitiger Abhängigkeit von Umwelt,
sozialen Bedingungen, Kunst, Handwerk, Wissenschaft
und Kultur entstanden sei. Er erwähnt, dass manche Forscher der Meinung seien, dass die Beiruter Häuser sich von
venezianischen Palästen herleiten ließen, während dagegen andere deutliche Einflüsse von türkisch-anatolischen
Palästen sähen. Jedenfalls stehe fest, dass die Häuser erst
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommen seien, dass
viele von ihnen unter Mitarbeit ausländischer und italienischer Bauhandwerker und Dekorateure erbaut worden
seien, die auf den gleichen Schiffen kamen, welche auch
den italienischen Marmor, die Marseiller Dachziegel, die
bedruckten Stoffe und das farbige Glas gebracht hätten,
und dass türkische Baumeister an der Errichtung einiger
Häuser der großen Beiruter Kaufleute und Grundbesitzer
beteiligt waren. Kennzeichnend für Tabets Darstellung ist
eine fundierte historische Einordnung, die die Rolle lokaler Gegebenheiten und Bedürfnisse ganz selbstverständlich im Wechselspiel mit dem Import von Baumaterial und
Arbeitskräften aus dem industrialisierten Europa sowie der
Beschäftigung türkischer Baumeister bei den gesellschaftlich tonangebenden Schichten Beiruts sieht. Tabet
wusste wahrscheinlich aus seiner eigenen Lebens- und Arbeitserfahrung in Beirut, wovon er sprach, aber die maßgeblichen Elemente seiner historischen Einordnung – libanesische und arabische Architekturtraditionen, europäische Industrieprodukte und Handwerker, türkisch-osmanische Baumeister – fielen in der libanesischen Identitätsdebatte nicht auf fruchtbaren Boden. Tabets Beitrag, der
für die Forschung hätte richtungsweisend sein können, geriet weitgehend in Vergessenheit.
Die umfangreichsten und bis heute in gewisser Weise
grundlegenden Publikationen zur historischen Wohnhausarchitektur im Libanon stammen vor allem aus den 1960ern
und 1970ern, und sie behandeln Paläste und Häuser aus
dem geographisch weiter gefassten Raum des gesamten
Libanon in seinen heutigen Grenzen: L’Habitation au Liban von Jacques Liger-Belair und Haroutune Kalayan
(1966) und Architecture in Lebanon. The Lebanese House
During the 18th and 19th Century von Friedrich Ragette
(1974). Die Grund- und Aufrisszeichnungen dieser von Architekten verfassten Arbeiten haben auch heute noch Bestand – in manchen Fällen, wo die Häuser heute nicht mehr
existieren, schon als historische Dokumente. Ragette unternimmt den Versuch einer Typologisierung der libanesischen Wohnhäuser; der Vorteil einer übersichtlichen Gruppenbildung wird dabei aber mit dem Nachteil bezahlt, dass
möglicherweise architektur- und sozialgeschichtlich aussagekräftige individuelle Eigenheiten sowie bauliche und
nutzungsbezogene Veränderungen zugunsten der Typologisierung vernachlässigt werden. Nada Sehnaoui argumentiert in L’Occidentalisation de la vie quotidienne à
Beyrouth 1860–1914 (ihrer mémoire de maîtrise von 1981,
die 2002 unverändert in Beirut in Buchform publiziert wurde), dass die Interpretation des Materials bei den drei genannten Autoren unter der irreführenden, aber gewollten
Rückprojektion einer kulturellen und geographischen Entität namens „Libanon“ in die vergangenen Jahrhunderte
17
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
und einer fehlenden Unterscheidung von urbaner und ländlicher Architektur leide, während in essentialistischer Weise die Existenz und das Fortleben einer „maison libanaise“ postuliert werde.25 Als das „traditionell-libanesische
Modell“ wird in dieser Diskussion allerdings – ganz im
Gegensatz zu Feghali – das Mittelhallenhaus („central hall
house“, Ragette 1974) betrachtet. Für Ragette ist das Mittelhallenhaus „the Lebanese house par excellence“, und er
vertritt die Ansicht, dass es zunächst als indigenes Produkt
in den Bergen entstand (möglicherweise aus dem Haustyp
mit offenem, zentralen īwān) und dann im späten 19. Jahrhundert in den Küstenstädten übernommen, urbanisiert und
stärker formalisiert wurde.26 Jedoch sind seine zahlreichen
Hausbeispiele nicht datiert, Umbauten nicht berücksichtigt, und daher ist seine Chronologie der Entwicklung oft
sehr problematisch. Wie auch immer: In einer Art Rochade hatte das Mittelhallenhaus nun erstens seine Beiruter
Herkunft mit einer Herkunft aus den Bergen vertauscht
und zweitens den kleinen Bauernhäusern Feghalis den Ehrentitel des „libanesischen Hauses“ abgenommen. Ungeachtet dieser Widersprüche zitiert Ragette dennoch ausführlich aus Feghalis Artikel, um zu zeigen, wie die Mittelhallenhäuser sich zu richtiggehenden Villen (ḥārāt) entwickelten und in ihrer Einrichtung verwestlicht wurden –
allerdings ohne die Zitate kenntlich zu machen und die
Quelle anzuführen.27
In stärker romantisierender Form wurde diese Idee des „libanesischen Hauses“ in der von Camille Aboussouan herausgegebenen Publikation L’Architecture libanaise du
XVe au XIXe siècle. Le Bonheur de vivre (1985) weitergetragen und der Mittelhallengrundriss kurzerhand auf antikphönizische Wurzeln zurückgeführt – und dies, ohne dass
eine durchlaufende lokale Überlieferung nachweisbar wäre und obwohl solche Grundrisse im 19. Jahrhundert fast
zeitgleich auch in anderen Gebieten des Osmanischen Reiches auftraten. Dazu werden die charakteristischen Dreibogenfenster, Ziegeldächer, Fensterverdachungen und andere Bauformen und Details durch suggestives Nebeneinanderstellen von Photos von Häusern im Libanon, in Italien und in Frankreich mit europäischen Vorbildern und
Parallelen verknüpft, aber auch mit antiken Ruinen und
Kreuzfahrerarchitekturen im Libanon in Verbindung gebracht. Iranische Ursprünge (für den īwān oder den ḫān)
werden angeführt, zeitlich und geographisch näherliegende
arabische und osmanisch-türkische Vorbilder hingegen
übergangen. Die europäischen (insbesondere italienischen)
Vergleichsbeispiele stammen sämtlich aus dem Mittelalter und der Renaissance, wohingegen mögliche Auswir-
kungen der Industrialisierung und kommerziellen Expansion Europas im 19. Jahrhundert keine Erwähnung finden.28 Alte Geschichte, nicht jüngere Geschichte, war offenbar erwünscht. In dieser Wahrnehmungsweise war der
Libanon von alters her offen für asiatische und vor allem
mediterrane Einflüsse und selbst darin eine Hochburg uralter nationaler Traditionen. Das Mittelhallenhaus wurde
zum Kernstück einer „erfundenen Tradition“ im Dienste
des nation-buildings, wurde seiner eigenen Geschichte
beraubt und in zeitloser, enthistorisierter Weise zu den anderen im Libanon existierenden Haustypen subsumiert.29
Bezeichnenderweise wurde Michel Feghalis inzwischen
60 Jahre alter Artikel in Aboussouans Buch neu abgedruckt, als eine Art ideologisches Gründungsmanifest,
dessen Geist man folgte, auch wenn man seinen Inhalten
gerade im Bezug auf das Mittelhallenhaus im Einzelnen
widersprach.
Zwischen den 1960ern und 1980ern hatte die historische
Mystifizierung des Mittelhallenhauses also einen Höhepunkt erreicht. Der Grund dafür, so argumentiert der Geograph und Historiker Michael Davie in einem 2003 publizierten Artikel, war die damalige Auseinandersetzung mit
dem Nasserismus und Panarabismus – politischen Ideologien, die größeres Gewicht auf eine arabische (und mithin
auch muslimische) Identität des Libanon legten.30 Sie fanden seit den 1950ern zahlreiche Anhänger unter den politisch und wirtschaftlich Benachteiligten des Landes und
führten auf der Gegenseite zu einer Verschärfung des libanesisch-nationalistischen Diskurses. Angehörige insbesondere der Beiruter Bourgeoisie sowie der professionellen Eliten „entdeckten“ und instrumentalisierten das Mittelhallenhaus (darunter in einigen Fällen ihre eigenen Häuser) als nationale Ikone, Symbol einer vermeintlich uralten libanesischen Kultur, die schon immer zum Westen hin
offen war und sich von der arabischen Kultur der Nachbarländer grundlegend unterschied. Die Publikationen, die
zwischen den 1960ern und 1980ern über diesen Haustyp
erschienen, um ihn in den Rang des historischen Erbes zu
heben, enthüllten, so bemerkt Davie ganz richtig, mehr
über die ideologischen Visionen ihrer Autoren als über die
Formen und historischen Nutzungen der Häuser.31
In diesen politischen Kontext sind laut Davie auch die Aktivitäten des in den frühen 1960ern gegründeten libanesischen Denkmalschutzvereins APSAD einzuordnen, deren
Aktivisten und Förderer oft aus den oben erwähnten Beiruter Kreisen stammten. Erstmalig wurde damals eine größere Anzahl Beiruter Mittelhallenhäuser mit Planskizzen,
Photographien und Angaben zu Geschichte, Zustand und
18
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
Abb. 2
„Recycling“ von historischen Motiven: Neubau
einer Villa in den Bergen
nördlich von Beirut (Aufnahme 2008).
Eigentümern der einzelnen Häuser dokumentiert. Diese
Sammlung stellt heute eine äußerst wertvolle Dokumentation inzwischen abgängiger oder stark überformter Häuser dar, auf die in dieser Arbeit vielfach zurückgegriffen
wird. Allerdings ist aus heutiger Sicht festzustellen, dass
die damals begonnene ideologische Auf- und Umwertung
der Häuser nicht wirklich zu ihrem Erhalt als historische
Bausubstanz beigetragen hat: Die alten Häuser wurden
weiterhin abgerissen (unter anderem auch von Mitgliedern eben jener Bourgeoisie), um Platz für profitablere
Neubauten zu machen. Ein Nebeneffekt dieses Diskurses
ist allerdings, dass die charakteristischen äußerlichen Gestaltungselemente der Häuser, beispielsweise das Dreibogenfenster und das Ziegeldach, nunmehr tatsächlich allgemein als Symbole libanesischer Identität angesehen werden und daher als symbolisches Kapital in Neubauten „recycelt“ werden (Abb. 2). Die wenigen alten Häuser, die
tatsächlich renoviert werden, werden hingegen oft ihrer
historischen Ausstattung beraubt, entkernt und äußerlich
dem Idealbild des „libanesischen Hauses“ angepasst.32
Eine ausdrückliche Gegenposition zum historisch mystifizierenden libanesisch-nationalistischem Diskurs wurde
1981 von Nada Sehnaoui eingenommen. In ihrer Arbeit,
die eigentlich nur als Magisterarbeit im Fachgebiet Geschichte an der Sorbonne angelegt war, aber in der späte-
ren Forschung stark rezipiert wurde, untersucht sie die
Verwestlichung des Alltagslebens in Beirut zwischen 1860
und 1914. Ein wichtiger Teilaspekt ist dabei der Wandel
der Wohnhausarchitektur und Wohnkultur. Die Grundlage
ihrer Untersuchung sind ausschließlich schriftliche Quellen – vor allem zeitgenössische Reiseberichte und Beschreibungen, die von europäischen Beobachtern verfasst
wurden, aber auch kommerzielle Werbeanzeigen in Zeitungen jener Zeit, die Reklame für Gebrauchs- und Einrichtungsgegenstände machen. Die hier nachweisbare zunehmende Verwendung von aus Europa importierten Gegenständen in Beiruter Haushalten (vor allem der wohlhabenden Schichten) wird von Sehnaoui als Beleg für eine Verwestlichung der Wohnkultur gewertet. Architektonisch drückt sich dieser Verwestlichungsprozess ihrer Meinung nach in der neuartigen Bauform der Mittelhallenhäuser in den neuen Stadtteilen extra muros aus, deren
fensterreiche Fassaden, zur Schau gestellter Luxus und
Extrovertiertheit im Kontrast zu den introvertierten Hofhausformen der traditionellen städtischen Wohnarchitektur des Nahen Ostens stehen. Ihre (allerdings oberflächliche und historisch irreführende) Charakterisierung der
Häuser als „venezianisch“ unterstreicht diese Deutung einer weitgehenden Verwestlichung der Wohnhausarchitektur Beiruts in dieser Epoche.
19
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Sehnaouis Leistung besteht erstens in einer bis dahin neuartigen, kritischen Lektüre historischer Quellen zu diesem
Thema – eine Lektüre, die mit Blick auf einen Prozess des
kulturellen Wandels stattfindet. Ihre Arbeit kann als die
erste gelten, die die Beiruter Häuser aus einer eher gesellschaftsgeschichtlichen statt architektur- oder formengeschichtlichen Perspektive betrachtet – eine Betrachtungsweise, die meine eigenen Fragestellungen in vieler
Hinsicht geprägt hat. Sehnaouis Arbeit stellt daher auch
für meine Untersuchung eine immense Fundgrube für bedeutsame Details und einschlägige Quellen dar. Zweitens
rekontextualisiert Sehnaoui das Mittelhallenhaus historisch und geographisch: Es wird als ein Beiruter Phänomen
des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts retabliert. Sie
legt außerdem Wert auf die Feststellung, dass die Stadt,
ihre Alltagskultur und ihre Architektur bis mindestens zur
Mitte des 19. Jahrhunderts die Merkmale anderer Städte
der arabisch-islamischen Region teilte und erst dann einem Wandel unterlag, den sie als intensiven Verwestlichungsprozess identifiziert. Ihr Verwestlichungsdiskurs
nimmt letztlich das Argument Feghalis wieder auf, nur
dass hier nicht eine ursprüngliche „libanesische Zivilisation“, sondern eine „arabisch-islamische Zivilisation“ zum
Ausgangspunkt genommen wird. In ihrem Schlusswort
wendet sie sich ausdrücklich gegen jene (insbesondere
Beiruter) Kreise, die Beirut schon immer als eine Art Okzident im Orient betrachten wollen, wie auch gegen jene,
die durch einen nationalistischen Diskurs vom „libanesischen Haus“ den Libanon als politisch-geographische und
kulturelle Entität in die Vergangenheit zurückprojizieren.
Interessant ist dabei jedoch, dass auch diese Kritik wiederum einer – heute mehr denn je allgegenwärtigen – Obsession mit und Angst um nationale und kulturelle Identität
und dem Verlust des „Eigenen“ entspringt, wodurch sich
der Kreis zu den Libanisten letztlich wieder schließt. So
schreibt Sehnaoui in ihrem Schlusswort:
Je voudrais simplement dire, pour conclusion, qu’une politique de mimétisme ne peut en aucun cas résoudre les problèmes particuliers à nos sociétés. Continuer à importer des
idées et des technologies sans l’adaptation et l’assimilation
nécessaire ne nous permet d’être que de passifs consommateurs. […] Notre principale ressource est l’imagination créatrice de courants d’idées, de styles, de savoir-faire issus de,
et adapté à nos sociétés. Cela ne signifie certes pas faire abstraction de l’apport gigantesque de la civilisation occidentale, mais créer et produire ailleurs que dans son sillon.33
Ein zentrales Problem ihrer Arbeit ist, dass sie Verwestlichung (ohne dies genauer zu definieren) als unreflektierte
Nachahmung westlicher Vorbilder – nämlich „Mimétisme“, d.h. Mimikry – versteht, welche zu kultureller Entfremdung und zum Verlust oder Fehlen eigener, dem sozialen und kulturellen Kontext angepasster Lösungsansätze führt. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass die Auswirkungen einer Verwestlichung oder Europäisierung weitaus komplexer sind, weil das, was Menschen mit den aus
dem „Westen“ importierten Gütern und Ideen machen, oft
im Ergebnis keineswegs „europäisch“ oder „westlich“ ist.34
Es ist eines der zentralen Anliegen meiner Arbeit, das von
Sehnaoui gezeichnete Bild zu relativieren und dahingehend zu differenzieren, wie sehr gerade die Beiruter Mittelhallenhäuser in ihrer Entwicklungsgeschichte Ausdruck
der von Sehnaoui geforderten kulturspezifischen Anpassung und Assimilierung von Einflüssen und Elementen
sind (die im übrigen nicht nur aus dem „Westen“ kamen),
und wie sehr sie als Ausdruck lokaler, sich wandelnder
gesellschaftlicher und schichtspezifischer Bedürfnisse und
Zwänge zu verstehen sind.
Entscheidende neue Entwicklungen in der historischen
Forschung um das Mittelhallenhaus fanden seit den späteren 1990ern statt und sind vor allem als ein Ergebnis internationaler Kolloquien zu bewerten, die es ermöglichten, die Forschungen zu den libanesischen Häusern in stärkeren Bezug zu Forschungen in anderen Ländern zu setzen – darunter ganz entscheidend auch der Türkei und anderen ehemaligen Provinzen des osmanischen Reiches.
Der libanesische Architekt Semaan Kfouri argumentiert
beispielsweise in mehreren Publikationen anhand eines
detaillierten Vergleichs gegen die immer noch verbreitete These, dass die libanesischen Mittelhallenhäuser aus
venezianischen oder auch toskanischen Häusern herzuleiten wären, weist darüber hinaus Ragettes Erklärungsansatz einer schrittweise und isoliert stattfindenden lokalen Entwicklung zurück und ordnet die Entwicklung des
Mittelhallenhauses in den größeren Zusammenhang des
Osmanischen Reiches ein.35
Die Loslösung von der Suche nach dem „libanesischen
Haus“ und die historische Inbezugsetzung der Haus- und
Wohnformen des Libanon mit denen im größeren osmanischen Kulturraum des 19. Jahrhunderts gehören gewiss
zu den wichtigsten Tendenzen in der Forschung seit den
späten 1990ern. Eine wissenschaftliche Neuentdeckung
war diese Einordnung nicht: Der türkische Architekt und
Architekturhistoriker Sedad Eldem hatte schon 1984 in
seiner zu einem Standardwerk gewordenen dreibändigen
Publikation über türkische Wohnhäuser die Mittelhallenhäuser der syrischen und ägyptischen Provinzen des os-
20
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
manischen Reiches in einen direkten Herleitungszusammenhang mit den Wohnhäusern in den zentralosmanischen
Provinzen während des späten 18. und des 19. Jahrhunderts gestellt.36 Im Kontext des damaligen libanesischen
Diskurses zu diesem Thema fand dies jedoch zunächst
keinen Widerhall. Erst Publikationen wie The Empire in
the City, herausgegeben von Jens Hanssen, Thomas Philipp und Stefan Weber (2002) und zuletzt noch themenspezifischer La Maison beyrouthine aux trois arcs, herausgegeben von Michael Davie (2003), bieten eine Anzahl
von Aufsätzen, die sich mit Einflüssen, Wechselwirkungen und lokalen Ausprägungen der Wohnhausformen innerhalb des osmanischen Reiches befassen. Der Titel „La
Maison beyrouthine“ (und nicht etwa „libanaise“) ist programmatisch und – im Hinblick auf den Diskurs der vergangenen Jahrzehnte – geradezu provokant. Es wird zunehmend erkannt, dass das Mittelhallenhaus eine Beiruter Hausform ist, die unter vielfältigen Einwirkungen (darunter wichtigen Bezügen nach Istanbul und zum osmanischen Kerngebiet) um die Mitte des 19. Jahrhunderts in
Beirut entstand und dann von dort aus wieder ausstrahlte
– in die libanesischen Berge, in die Städte entlang der gesamten syrischen Küste bis in die Türkei und nach Palästina, und hinein nach Jordanien und in die Binnenstädte
Syriens.37 Der Istanbuler Einfluss auf die Entwicklung dieses Haustyps in Beirut wird auch darin deutlich, dass –
wie Semaan Kfoury berichtet – der Mittelhallen-Grundriss von manchen betagten Libanesen noch heute als tafṣīl
istanbūlī bezeichnet werde – was soviel heißt wie der „Istanbuler Schnitt“.38
Zu den Beitragenden des letztgenannten Bandes gehört
auch die Historikerin May Davie, die sich in den vergangenen Jahren wiederholt mit der Frage beschäftigt hat,
wann und wie das Mittelhallenhaus in Beirut entstand.39
Die frühesten Prototypen konnte sie in einigen Zeichnungen und Reiseberichten der 1850er identifizieren. Diese
frühen Beispiele waren noch ohne Ziegeldach und Dreibogenarkade und sind daher für Davie eine „architecture
de transition“, eine Übergangsarchitektur in Richtung Dreibogenhaus. Sie entwickelt darüber hinaus einige Thesen
zur lokalen Entstehung dieser Bauform, auf die ich an anderen Stellen in dieser Arbeit eingehe.40 Wichtig an May
Davies Ansatz ist im Vergleich zu früheren Studien, dass
sie als Stadthistorikerin die Entstehung und Verbreitung
des Mittelhallenhauses in Beirut in Zusammenhang setzt
mit dem wirtschaftlichen und demographischen Wachstum Beiruts im 19. Jahrhunderts, dem Entstehen neuer
Vororte außerhalb der Stadtmauern sowie den zeitgleichen
politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, zu denen auch die Ausbildung neuer merkantiler Ober- und Mittelschichten gehört, welche als Träger der neuen Wohnform zu gelten haben. Dieser Ansatz liegt auch meiner Untersuchung zugrunde, wenngleich ich einige von Davies
Thesen zumindest teilweise revidieren möchte.
Als Untersuchungen, die sich konkret mit Beiruter – und
nicht allgemeiner mit libanesischer – Wohnhausarchitektur befassen und daher als Hintergrund dieser Arbeit relevant sind, sind zunächst zwei Publikationen zu nennen,
die meine Untersuchung gewissermaßen zeitlich rahmen:
May Davies und Lévon Nordiguians schon 1987 publizierter Artikel „L’Habitat de Bayrūt al-Qadīmat“ über die
Wohnhäuser in der Altstadt vor der Mitte des 19. Jahrhunderts und Robert Salibas 1998 erschienene Monographie zu mandatszeitlichen Wohnarchitektur Beiruts, Beirut 1920–1940. Domestic Architecture Between Tradition and Modernity.41 Der Artikel von Davie und Nordigian katalogisiert und erklärt auf der Grundlage von Dokumenten des 19. Jahrhunderts aus den Archiven des Griechisch-Orthodoxen Erzbistums von Beirut die arabischen
Begriffe, mit denen Beiruter Häuser intra muros und ihre
verschiedenen Räume und Komponenten beschrieben wurden. Im Anschluss werden am Beispiel eines noch bestehenden Hauses aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
– das ursprünglich jedoch im landwirtschaftlich genutzten Raum extra muros lag und kein Stadthaus ist – die Begriffe in einen praktischen Bezug gesetzt. Der Artikel ist
daher eine fundierte Arbeitsgrundlage, insbesondere als
Hilfestellung zur Rekonstruktion historischer Raumprogramme und Raumnutzungen; der Bedeutungswandel und
die Aufweichung der arabischen Begriffe mit den sich im
späteren 19. und im 20. Jahrhundert verändernden Wohnformen bleibt zu untersuchen.
Der Architekt und Urbanist Robert Saliba konzentriert
sich bei seiner Untersuchung der mandatszeitlichen Wohnhausarchitektur Beiruts zwischen 1920 und 1940 auf die
Entwicklungen in der Fassadengestaltung, dem Baudekor
und den Baumaterialen, um daran eine „Hybridisierung“
und „Verwestlichung“ der Wohnhausarchitektur festzumachen; die zahlreichen, im Katalog mitgelieferten
Grundrisse werden allerdings nicht in Bezug auf Veränderungen der Grundrissstrukturen und Raumnutzungen
untersucht.42 Auch dies ist somit in erster Linie eine fassadenmorphologische Untersuchung, in der wichtige sozialgeschichtliche Deutungspotentiale vernachlässigt wurden. Ähnlich wie Sehnaoui, deren Arbeit er rezipiert, konstatiert Saliba eine Verwestlichung der Wohnarchitektur.
21
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Dabei kommt es jedoch zu einem bedeutsamen Widerspruch, indem er den in der Mandatszeit als Standardmodell verbreiteten Mittelhallengrundriss als „traditionell“
auffasst und einen Großteil der Wohnhäuser in Anlehnung
an einen von Zeynep Çelik (1986) für Istanbul geprägten
Begriff als Häuser mit „Western appliquée façades on traditional interiors“ charakterisiert – d.h. traditionelle Interieurs mit vorgeblendeten westlichen Fassaden.43 Ein
Grundrisstyp, der erst ab der Mitte der 19. Jahrhunderts
in Beirut auftrat und bei seiner Ausbreitung bis ins 20.
Jahrhundert hinein offenbar als Ausdruck von Modernität
und bürgerlichen Standesbewusstseins gegolten hat, wird
also schon für den Kontext des frühen 20. Jahrhunderts
als „traditionell“ bezeichnet. Das ist sicherlich diskussionswürdig. Gerade hier zeigt sich, wie sehr eine genauere Untersuchung der Wohngrundrisse und Raumnutzungsstrukturen nötig ist, um uns von vereinfachenden
Schlagwörtern wie „traditionell“, „modern“ und „verwestlicht“ zu lösen, die die komplexen historische Sachverhalte bislang verunklären.
Festzustellen ist, das fast alle bisherigen Untersuchungen
zum Beiruter Mittelhallenhaus in erster Linie typologischer und morphologischer Art sind, mit einem Hauptaugenmerk auf Ursprüngen, Wanderungen und Entwicklungen architektonischer Formen und mit einem Hauptinteresse an seiner Herkunft oder Entstehung. Dabei muss
zwangsläufig vieles Spekulation bleiben, weil es keine
Baupläne oder erläuternde Dokumente der Baumeister
und Bauherren dieser Bauten gibt und weil in Beirut kaum
Bausubstanz aus der ersten Hälfte bis Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten ist, um Theorien zur Entwicklung der
Bauformen am Bestand zu überprüfen.
Über der sich manchmal im Kreise drehenden Diskussion um das Wann, Wie und Wo der Entstehung des Mittelhallenhauses als Grundrisstyp und Bauform sind jedoch
wichtige kultur- und sozialgeschichtliche Forschungspotentiale dieser Häuser, ihrer Weiterentwicklung nach der
Einführung in Beirut sowie ihrer Nutzungsweisen bislang
weitgehend vernachlässigt worden. Als richtungsweisende und auch für diese Untersuchung impulsgebende Ausnahmen können die Forschungen Akram Khaters und Anne Mollenhauers gelten.
Der Historiker Akram Khater behandelt in seinen Publikationen von 2001 und 2003, im Kontext einer allgemeineren sozialgeschichtlichen Untersuchung zur Entstehung
der modernen Mittelschichten im Libanon, wie das Mittelhallenhaus mit Ziegeldach am Ende des 19. Jahrhunderts von libanesischen Auswanderern, die aus Amerika
in den Libanon zurückkehrten, als Mittel entdeckt wurde,
um ihren neuen Wohlstand und die im Ausland adoptierte modern-bürgerliche Kultur in ihren Heimatdörfern in
den Bergen gegenüber den ärmeren, bäuerlichen Daheimgebliebenen auszudrücken.44 Erst diese Rückkehrer
verbreiteten laut Khater das Mittelhallenhaus sowie den
Gebrauch europäischer Möbel in den Bergen, und das Vorbild hierfür waren die modernen Häuser Beiruts, wo ein
vergleichbarer sozialer Wandel schon in den vorangegangenen Dekaden stattgefunden hatte. Besonders richtungsweisend sind Khaters Überlegungen zu den Zusammenhängen zwischen dem neuen Haustyp, dem Sozialleben und Statusbedürfnissen der Bewohner, den modernen,
bürgerlichen Häuslichkeitsdiskursen und den Geschlechterrollenbildern, die die Rückwanderer aus den USA mit
in die alte Heimat brachten. Bei Khater stehen weniger
die architektonischen Formen an sich als vielmehr ihre
sozialen „Inhalte“ und symbolischen Funktionen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Allerdings werden die Häuser
selbst auch nur oberflächlich und anhand einschlägiger
Literatur (darunter auch Feghali) behandelt. Die von ihm
eingeschlagene Richtung soll in dieser Arbeit fortgesetzt
werden, mit stärkerem Bezug auf die Häuser und auf den
konkreten Fall Beirut, wo diese Hausform und die damit
zusammenhängende Wohnkultur sich schon zu entwickeln
begannen, als – wie gezeigt werden soll – westliche Häuslichkeitsdiskurse noch keine große gesellschaftliche Wirkung hatten und erst im Zuge des späteren 19. Jahrhundert an Einfluss gewannen.
Die Kunsthistorikerin und Bauforscherin Anne Mollenhauer behandelt in ihrer unveröffentlichten Dissertation
über Mittelhallenhäuser in den Bilād aš-Šām sowie in ihren in den Publikationen von Hanssen/ Philipp/ Weber
(2002) und Michael Davie (2003) veröffentlichten Beiträgen in vergleichender Weise historische Ausstattungen,
Raumnutzungen, kulturelle Referenzen sowie lokale und
individuelle Besonderheiten solcher Häuser in so verschiedenen Orten wie Beirut, as-Salṭ in Jordanien und Latakia an der syrischen Küste. Dabei wird ein Haus immer
in Bezug zu seinem Erbauer, dessen Herkunft und sozioökonomischen Status gesetzt. Wie bei Khater wird das
Haus hier als Ausdruck sozialen Wandels und als Mittel
sozialer Distinktion in unterschiedlichen lokalen Kontexten und unter Rückgriff auf neu verfügbar gewordene Baumaterialien und- formen gedeutet. Jedoch werden die Häuser nicht – wie bei Sehnaoui oder Khater – als eines von
mehreren Mitteln oder Aspekten benutzt, um allgemeinere Thesen zur soziokulturellen Prozessen des Wandels zu
22
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
belegen oder illustrieren, sondern Thesen zu solchen Prozessen werden induktiv anhand von bauforscherisch und
bauhistorisch erarbeiteten Befunden an Einzelbeispielen
hergeleitet und historisch kontextualisiert. Diese Methode lag auch den gemeinsamen bauforscherischen und stadthistorischen Feldforschungen zugrunde, die Anne Mollenhauer und ich in den Jahren 1997 bis 2004 im Beiruter Quartier Zokak el-Blat durchgeführt haben. Deren Ergebnisse sind bislang in eine Anzahl von Artikeln und in
Anne Mollenhauers Dissertation eingeflossen und bilden
auch eine wichtige Basis dieser Untersuchung.45
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die historische Erforschung des Mittelhallenhauses seit der Mitte
der 1990er Jahre wichtige neue Impulse erhalten hat. Michael Davie stellt in seinem oben angeführten Artikel fest,
dass das Mittelhallenhaus einen unvergleichlichen Zugang
biete zu einem besseren Verständnis sowohl der Gesellschaft, die es hervorgebracht habe, wie auch der Gesellschaft, die es in der beschriebenen Weise „patrimonialisiert“, d.h. zu historischem Erbe erklärt habe. Als Gegenstand einer Analyse sei deshalb weniger das Haus selbst interessant, sondern vielmehr die Geschichts- und Identitätsdiskurse, zu deren Entstehung es beigetragen habe.46
In der Tat ist die Bedeutung dieser Geschichts- und Identitätsdiskurse für ein Verständnis der libanesischen Gesellschaft der Gegenwart kaum zu überschätzen. Aber der
„unvergleichliche Zugang“, den uns die Beiruter Häuser
zum besseren Verständnis auch der Enstehungsgeschichte dieser Gesellschaft bieten, sollte nicht ungenutzt bleiben.
Davies Aussage erweckt den Eindruck, als sei das Forschungspotential, das diese Häuser bieten, dadurch hinreichend erschöpft, dass man ein für alle Mal feststellt,
wie der Typ entstanden ist, wo die Formen, die Baumaterialien und die Handwerker herkamen, und dass er Statussymbol und Ausdruck des Selbstverständnisses der
weitvernetzten merkantilen Bourgeoisie Beiruts war. Die
historische Erforschung der Häuser steht jedoch in vieler
Hinsicht immer noch am Anfang, auch und gerade weil
sie jahrzehntelang von der Gretchenfrage eingezwängt
war, ob diese Haus- und Wohnform vor allem Ausdruck
einer Verwestlichung und damit nicht wirklich authentisch
libanesisch sind, oder ob sie nationales libanesisches Urgestein sind. Auch das Interesse an der Herkunft architektonischer Formen ordnete sich immer wieder in diese
übergeordnete Frage ein. In beiden Fällen stehen die Häuser wie steinerne Monumente da, nicht wie prozesshaft
veränderliche Wohnstrukturen, die eine große Aussagekraft über ein sich wandelndes häusliches Zusammenle-
ben und mithin gesellschaftliches Zusammenleben im spätosmanischen und mandatszeitlichen Beirut haben.
Gerade nachdem – zumindest für beschränkte akademische Kreise – das libanesische Haus wieder zum Beiruter
Haus geworden und die osmanische Herkunft seiner
Grundrissstruktur zumindest unter Architekturhistorikern
anerkannt wurde, sollten die Möglichkeiten besser ausgeschöpft werden, die uns diese Häuser als kultur- und sozialgeschichtliche Zeugnisse und Quellen bieten. Noch
immer gelten „Nachahmung“ und „Verwestlichung“ als
die treibenden Veränderungsfaktoren in der Beiruter Wohnarchitektur und Wohnkultur jener Zeit, noch immer ist
kaum etwas darüber bekannt, dass außerdem regionale
Vorbilder (u. a. Istanbuler und Damaszener) auch nach
der Einführung des Haustyps noch lange Zeit Einfluss ausübten, und tatsächlich ist noch immer kaum erforscht, wie
man in den Häusern wohnte, wie sehr sich dieses Wohnen
nach der Einführung des Typs veränderte, wie sich dies
auf die Grundrissstruktur der Häuser auswirkte und welche innergesellschaftlichen Motivationen und Zwänge dabei eine Rolle spielten. Dabei geht es nicht um das Mittelhallenhaus als Bauform oder architektonischen Typ,
sondern als gebauten Wohnraum und damit als sozialen
Raum.47 Es gilt zu untersuchen, was sich hinter den Fassaden abspielte – und dies nicht mit dem Ziel, eine neue
ideologische Bewertung vorzunehmen, sondern um davon losgelöst und darüber hinausgehend durch die Häuser einen neuen und differenzierteren Blick auf die komplexen sozialen und kulturellen Entwicklungen des spätosmanischen und mandatszeitlichen Beirut zu öffnen.
1.2 Wohnhäuser als Gegenstand für Sozial- und
Alltagsgeschichte: Herangehensweise, Quellen
und Methoden
Der sozial- und alltagsgeschichtliche Ansatz, der die Perspektive meiner Untersuchung der Beiruter Wohnhäuser
hauptsächlich bestimmt, schöpft seine Inspiration zum
Teil aus französischer Forschungsliteratur der 1980er und
frühen 1990er Jahre.48 Die Arbeiten von Eleb, Debarre
und Paravicini setzen Entwicklungen in der räumlichen
Struktur von französischen Wohnhäusern des 18. bis 20.
Jahrhunderts in engen Bezug zu gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere Prozessen der Verbürgerlichung,
der Modernisierung, einem Wandel des Verständnisses
von Privatheit und sich verändernder Klassen- und Geschlechterbeziehungen. Wohnstrukturen und ihre Veränderungen werden als Anzeiger sozialer Strukturen und ih23
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
rer Veränderungen verstanden. Für diese Sichtweise ist
selbstverständlich das Werk von Norbert Elias von grundlegender Bedeutung, und wie in dieser Arbeit gezeigt wird,
ist sein Konzept vom Prozess der Zivilisation ein hilfreicher Schlüssel zur Interpretation des schrittweisen Wandels
in der Beiruter Wohnkultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.49 Ebenso ist deutschsprachige Literatur zur Alltagsgeschichte – in der Tradition der sogenannten „Geschichte von unten“ der 1970er und 1980er – sowie zur
Soziologie der Lebensstile und Wohnstile in Anlehnung
an Pierre Bourdieus Theorien zu Habitus und sozialer Distinktion für die Fragestellungen und die Herangehensweise
dieser Arbeit bestimmend.50 Für solche sozialgeschichtlichen Fragestellungen erweisen sich die Beiruter Häuser
als sehr beredte Untersuchungsgegenstände und Quellen.
1.2.1 Wohnhäuser als Gehäuse des Sozialen
„Houses are people“, das heißt: Ein Wohnhaus reflektiert
die Persönlichkeit, den Lebensstil, den Geschmack, den
sozialen Status und den soziokulturellen Hintergrund seiner Erbauer und Bewohner.51 Häuser können und dürfen allerdings nicht nur als Ausdruck individueller Bedürfnisse, Lebensstile und Lebensgeschichten verstanden werden, sondern auch als Ausdruck sozial bedingter Anforderungen an den Wohnraum, an die räumliche Organisation des Wohnens und Zusammenlebens verschiedener
Angehöriger und Teile eines Haushalts und mithin als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen und deren Veränderung mit der Zeit. Das Wohnen ist, genau wie der Habitus von Menschen im Sinne von Elias und Bourdieu, keineswegs nur individuell, sondern grundlegend gesellschaftlich bedingt. Die Soziologin Magret Tränkle führt
aus, dass, auch wenn die eigene Wohnsituation häufig als
einzigartig empfunden werde, „Wohnen trotzdem gesellschaftlichen Einflüssen unterliegt und keine ausschließlich individuelle Daseinsform ist“. „Tatsächlich“, so Tränkle weiter, „gleicht sich das Wohnen verschiedener Wohnender…oft bis in die feinsten Nuancierungen des alltäglichen Lebensvollzugs hinein. Solche Gemeinsamkeiten
des Wohnens lassen sich unterscheiden nach ihrer sozialen Reichweite.“52 Wohnmuster und Wohnweisen sind daher in der Regel gruppen-, schichten- und kulturspezifisch:
Diese kulturellen Richtlinien des Wohnens werden innerhalb einer Kultur meist gar nicht als verhaltensbeeinflussende Maßnahmen, die von außen kommen, empfunden,
sondern als quasi-natürliche Selbstverständlichkeiten von
den einzelnen Individuen verinnerlicht, die in diese Kultur
hineinerzogen werden. Erst wo es zu einer Ausdifferenzie-
rung der kulturellen Richtlinien des Wohnens zu subkulturellen Wohnweisen kommt, werden Möglichkeiten der individuellen Alternative bewusst, und erst hier beginnt auch
der gesellschaftliche Einfluß auf das Wohnen sichtbar zu
werden, indem sich einzelne Gruppen durch ihren eigenen
Wohnstil von anderen Gruppen abzugrenzen versuchen.53
Zwei Gedanken sind aus diesem Zitat hervorzuheben, die
in dieser Untersuchung der Beiruter Wohnkultur von zentraler Bedeutung sind: Der erste ist, dass es bei Wohnweisen auch um Abgrenzung, um soziale Distinktion verschiedener Gruppen innerhalb einer Gesellschaft geht. Der
zweite Gedanke – in Weiterentwicklung und teilweiser
Revision der Aussagen Tränkles – ist der, dass wir Kultur
von vorneherein prozesshafter, vielschichtiger und keineswegs als nach außen abgeschlossen verstehen müssen,
und dass man auch innerhalb einer Gesellschaft verschiedene schicht- oder gruppenspezifische Kulturen – in diesem Sinne Subkulturen – unterscheiden kann, die ihrerseits in ihren Bezugnahmen über diese Gesellschaft hinausreichen können. Für den Fall Beiruts im 19. Jahrhundert ist es offensichtlich, dass beispielsweise die lokalen Elitenkulturen ganz entscheidend durch ihre Bezugnahmen zu den Zentren des osmanischen Reiches (besonders Istanbul und Kairo) und vermehrt auch zu der europäisch-bürgerlichen Kultur geprägt waren, und dass ein
Denkkonzept von „kulturellen Richtlinien...innerhalb einer Kultur“ in der Analyse der Entwicklungsprozesse in
der Wohnkultur nicht ausreicht, sondern in größeren Beziehungsverflechtungen gedacht werden muss.
Die komplexen sozialen Anforderungen, die an ein Haus
gestellt werden und sich in ihm räumlich ausprägen, werden schon darin deutlich, dass das Haus allgemein als Hort
der Familie und der Privatheit gilt. Die enge Verbindung
von Sozialem und Räumlich-Materiellem drückt sich auch
darin aus, dass im Arabischen (wie übrigens auch in vielen anderen Sprachen) ein Begriff – bayt – einerseits die
Familie und den Haushalt bezeichnet, andererseits das
Haus als gebauten Raum. Die physische Struktur des Hauses und die Bewohnerfamilie bilden eine zusammengehörige und relativ dauerhafte Untereinheit der Gesellschaft,
in deren Rahmen sich die Familie durch soziale, wirtschaftliche und rituelle Praktiken biologisch und gesellschaftlich reproduziert.54 Und das ist keineswegs idyllisch
zu verstehen: Das Haus ist – so die Historikerin Michelle
Perrot – „ein Kampfplatz, ein Mikrokosmos verwickelter
Frontstellungen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Herr
und Knecht, Familie und Individuum“.55
24
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
Es ist daher bei der Untersuchung der Beiruter Wohnhäuser danach Ausschau zu halten, wie dieser „Mikrokosmos
verwickelter Frontstellungen“ sich räumlich organisierte
und veränderte. Ein Gebäude als materielle Raumstruktur kann nicht nur in seiner Konstruktionsweise oder in
der Gestaltung seiner Oberflächen (Fassaden, Böden, Wände, Decken etc.) betrachtet werden, die natürlich ihre eigenen, sozial relevanten Symbolfunktionen haben, sondern auch im Hinblick darauf, welche Möglichkeiten seine räumliche Anlage den sich darin aufhaltenden Menschen gibt, sich zu bewegen, Aktivitäten nachzugehen, zu
interagieren und sich auszuweichen und zurückzuziehen.56
Die räumliche Anlage eines Wohnhauses – materiell gebildet durch Wände und durch die Art, wie die Räume zueinander und nach außen über Türen und Fenster in Verbindung stehen – hat eine lenkende, begrenzende und
(vor)strukturierende Wirkung auf die Wohnpraxis und die
sozialen Beziehungen – einerseits zwischen den Bewohnern untereinander, andererseits zwischen Bewohnern und
Besuchern.
Ihrerseits aber strukturiert diese Wohnpraxis und die sozialen Beziehungen auch die Raumstruktur. Dies geschieht
beispielsweise schon durch die Art, wie das Haus bei seiner Erbauung mit Blick auf die Wohnbedürfnisse und die
sozialen Konventionen angelegt wird, und anschließend
dadurch, wie einzelne Räume genutzt werden und von
wem, dadurch, wie diese Aktivitäten zueinander in ein
räumliches Verhältnis gesetzt werden oder auch dadurch,
welche Türen geöffnet, halb geöffnet oder geschlossen
(gehalten) werden und wer welche Wege und Räume nutzen darf. Der Raum eines Wohnhauses wird somit nicht
nur baulich-materiell durch Wände und Türen, sondern
ebenso im Handeln der Bewohner konstituiert, also durch
diese Nutzungsweisen, ihre Platzierung und die regelmäßig wiederkehrenden sozialen Praktiken oder – in der Terminologie Anthony Giddens’ – Routinen.57
Wir haben es demnach mit einer Wechselbeziehung zu
tun, in welcher der Raum das Handeln und das Handeln
den Raum strukturiert oder, wie Martina Löw es formuliert, „räumliche Strukturen eine Form von Handeln hervorbringen, welches in der Konstitution von Räumen eben
jene räumliche Strukturen reproduziert“.58 Aufbauend auf
Giddens’ Theorie der Strukturierung werden räumliche
Strukturen als eine von vielen Formen gesellschaftlicher
Strukturen verstanden.59 Raum wird hierbei durch soziale Beziehungen produziert und (re)produziert seinerseits
soziale Beziehungen. Wohnhäuser werden daher auch als
strukturierende Strukturen betrachtet.60
Aus dieser Wechselbeziehung lässt sich folgern, dass
räumliche Strukturen Licht auf soziale Beziehungen werfen können und dass Veränderungen in den räumlichen
Strukturen auch als Indikatoren für Veränderungen in den
sozialen Beziehungen interpretiert werden können. Genau dies ist gemeint, wenn mit Norbert Elias von Wohnstrukturen als Anzeiger gesellschaftlicher Strukturen die
Rede ist.61
Wie in dieser Arbeit gezeigt wird, finden in den räumlichen Strukturen der Beiruter Häuser tatsächlich jene sozialen Grenzziehungen und Spannungen Ausdruck, die
oben angesprochen wurden. Sie manifestieren sich darin,
wie die (Teil)Öffentlichkeit des Gästeempfangs in die
häuslichen Sphäre eingebunden und von ihr abgegrenzt
wurde, darin, wie Bereiche für Männer und Frauen getrennt oder nicht getrennt wurden, darin, wie Generationen
und Untergruppen der Familie sich den Raum teilten, darin, wie Klassenunterschiede ausgedrückt wurden (und
zwar nach außen hin ebenso wie nach innen im Verhältnis zwischen Herrschaft und Dienerschaft) und in der Einbindung des Individuums in die Familie. Anhand bestimmter Veränderungen in den räumlichen Strukturen,
die sich über den Untersuchungszeitraum hinweg beobachten lassen, lässt sich auch ein Wandel in diesen Beziehungen aufspüren – ein Wandel, der aus schriftlichen
oder mündlichen Quellen oft kaum zu erschließen ist. Das
kann kaum überraschen, denn wie der Soziologe Peter
Gleichmann beobachtet hat: „Wer vom Wohnen sprechen
will, hat über sozial modellierte Verhaltensbereiche zu
sprechen, die zum großen Teil nicht sprachlich abgebildet sind“ – teils, weil sie unbewusst sind, und teils, weil
über sie zu sprechen eine Bloßstellung bedeuten würde.62
Das Merkmal des Unbewussten und auch Zwanghaften
hat das Wohnen mit dem Habitus von Menschen gemein.
Und mehr als das: Pierre Bourdieu zufolge ist es sogar der
Habitus, der das Habitat macht.63 Der Habitus ist laut Bourdieu klassen- und geschlechtsspezifisch determiniert; die
soziale Herkunft und der bisherige soziale Lebenslauf sind
für die Prägung des Habitus von zentraler Bedeutung. Der
Habitus wird als ein „System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen“ definiert, welche als Erzeugungsund Ordnungsgrundlage für Praktiken und Vorstellungen
dienen, die sich spontan, also ohne Wissen und ohne Bewusstsein, in der Praxis eines Menschen offenbaren.64 Er
ist „einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte“.65 In den Habitus sind die
Denk- und Sichtweisen, die Wahrnehmungsschemata, die
Prinzipien des Urteilens und Bewertens eingegangen, die
25
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in einer Gesellschaft am Werk sind; er ist das „Körper gewordene Soziale“, ein „sozial konstituiertes System von
strukturierten und strukturierenden Dispositionen, das
durch Praxis erworben wird und konstant auf praktische
Funktionen ausgerichtet ist“.66 Ganz entscheidend ist die
Funktion des Habitus als Zeichen der Distinktion der einzelnen Klassen, die sich im Lebens- und Wohnstil, in Kleidung und Sprache, im Geschmack und Konsumverhalten,
und in der Haltung und dem Verhalten gegenüber anderen Menschen äußert. Dabei hat der Habitus als verinnerlichte Disposition einen Zwangscharakter, er setzt dem
Individuum Grenzen in der Denk- und Verhaltensweise,
die kaum überschritten werden können. Was jenseits dieser gruppen- oder klassenspezifischen Grenzen liegt, wirkt
für das Individuum unmöglich, undenkbar, verunsichernd,
befremdlich, abstoßend. Innerhalb dieser Grenzen verfügt
der Mensch jedoch über einen Spielraum, ist erfinderisch
und in der Lage, Neues aufzunehmen – zum Ausdruck der
Individualität wie auch zum Zweck der Distinktion.67
Darüber hinaus ist der Habitus – wie auch Norbert Elias in
seinem Prozess der Zivilisation ausführlich demonstriert
– ständig wandelbar; dies allerdings nicht plötzlich, sondern über längere Zeiträume hinweg und als Ergebnis veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, und nicht
allein individuell, sondern im Rahmen der veränderlichen
gesellschaftlichen Bedingungen und Figurationen, die den
Habitus der Menschen bestimmen.68
Was wir aus dem vorangehend Gesagten für die Untersuchung der Beiruter Wohnhäuser und der Wohnkultur vor
allem mitnehmen sollten, ist ein Grundverständnis, nach
welchem gebauter Raum, Nutzungsstrukturen, Wohnpraxis, Habitus und soziale Strukturen in wechselseitig strukturierenden Beziehungen zueinander stehen, und dass sie
in diesem Beziehungsgeflecht auch prozesshaft wandelbar sind. Der gebaute Raum eines Hauses könnte dabei –
in Anlehnung an den Habitus als das zum Körper gewordene Soziale – als das zu Stein gewordene Soziale bezeichnet werden. Und weil dieser Raum relativ fest in Stein
gefügt ist, könnte er als die dauerhafteste Struktur gesehen werden, die die Wohnpraxis über Jahrzehnte – in manchen Fällen über ein Jahrhundert hinweg – strukturiert und
ihr Wandlungspotential bremst. Bourdieu geht sogar soweit zu sagen, dass das Eingelagertsein sozialer Strukturen in den physischen Raum auch dazu führe, dass sich
soziale Strukturen derart langsam verändern. Man müsste dazu Häuser abreißen, Stadtteile umgestalten, oder Menschen müssten umziehen und sich von ihrer gewohnten
Umgebung trennen.69 Das ist jedoch nur bedingt richtig,
denn wie in dieser Arbeit gezeigt wird, wurden ältere Beiruter Häuser von ihren Bewohnern immer wieder umgebaut und umgenutzt, um veränderten Wohnansprüchen
Raum zu geben. Und diese veränderten Wohnansprüche
entstanden nicht nur aus zyklischen Veränderungen der
Haushaltsgröße und -zusammensetzung, sondern ordnen
sich auch in gerichtete Wandlungsprozesse der sozial bedingten Raumbedürfnisse, der sozialen Beziehungen und
des Habitus ein, die zeitgleich in sehr ähnlicher Form auch
bei Neubauten Ausdruck fanden.
1.2.2 Wohnhäuser als materielle Quelle
In diesen Veränderungen liegt also ein wichtiges Interpretationspotential, aber auch ein Rekonstruktionsproblem. Wenn historische Grundriss-, Erschließungs- und
Nutzungsstrukturen die Basis für eine sozialgeschichtliche Interpretation sein sollen, setzt dies einen kritischen
Umgang mit dem Baubestand voraus. Ein Wohnhaus ist
in vieler Hinsicht wie ein Palimpsest: Der „Ursprungstext“
wurde teilweise ausradiert, abgeändert, überschrieben. Die
heutige Möblierung ist eine andere als vor hundert Jahren; was heute ein Schlafzimmer ist, war früher ein Salon; wo heute eine Tür ist, war früher keine. Der Raum
war früher anders, die Menschen nutzten ihn anders und
andere Menschen nutzten ihn. Eine historische Rekonstruktion ist erforderlich, und zwar sowohl der früheren
Bauzustände wie auch der früheren Nutzungen.
Die bauforscherische und allgemeiner bauhistorische Herangehensweise an die behandelten Wohnhäuser wird in
den verschiedenen Fallstudien dieser Arbeit – und insbesondere den beiden Hauptfallstudien – konkret am Beispiel dargelegt und braucht daher hier nicht weiter erläutert werden. Allerdings sind kurze Erläuterungen zur Auswahl der Fallbeispiele nötig, sowie zu der Art und Weise,
wie räumliche Strukturen „gelesen“ oder interpretiert werden können.
Wohnhäuser aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die
als Quelle für eine solche Untersuchung dienen können,
gibt es in Beirut noch zu großer Zahl, auch wenn ihre Zahl
stetig abnimmt und daher eine Untersuchung dieser Art
in Zukunft immer schwieriger werden wird. In dieser Arbeit werden ausschließlich große Wohnhäuser der Oberschichten und oberen Mittelschichten Beiruts untersucht.
Das hat seinen Grund darin, dass diese Größe und die große Anzahl von Räumen Möglichkeiten zu einer klareren
räumlichen Ausdifferenzierung von Nutzungen boten, die
in kleineren Häusern nicht gegeben waren. Die erbauungszeitlichen Wohnbedürfnisse und gesellschaftlich be-
26
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
dingten Vorstellungen darüber, wie man wohnen sollte,
konnten sich in großen Häusern räumlich-materiell deutlicher und bleibender ausprägen und sind deswegen auch
heute noch an den Bauten ablesbar.70 Dagegen konnten
sie in kleineren Häusern mit einer geringen Zahl von Räumen nur in einer räumlichen Praxis – etwa einer gleichzeitigen oder zeitversetzten Nutzung derselben Räume für
verschiedene Zwecke – Ausdruck finden, die sich heute
kaum oder nicht mehr rekonstruieren lässt. Es versteht
sich allerdings, dass auf dieser Grundlage tatsächlich auch
nur von den Wohnbedürfnissen der oberen Mittelschichten und Oberschichten mit einiger Sicherheit gesprochen
werden kann, wohingegen die der unteren Mittelschichten und Unterschichten im unscharfen Randbereich der
hier angewandten Lupe verschwimmen.
Bei der Auswahl der Fallstudien bot es sich an, auf Häuser zurückzugreifen, die im Rahmen der langjährigen Projektforschungen zum Stadtviertel Zokak el-Blat zwischen
1997 und 2003 begangen und dokumentiert wurden. Unter diesen Häusern sind die beiden Hauptfallstudien dieser
Arbeit – Qaṣr Ziadé und Qaṣr Heneiné – diejenigen, die
im Rahmen des Projekts besonders intensiv als Einzelfallstudien untersucht wurden.71 Weitere, ergänzende Fallbeispiele wurden zum Teil aus Plansammlungen, Archiven und Publikationen ausgewählt, und zwar mit dem Ziel,
über ein hinreichend breites Sample aus dem gesamten
Untersuchungszeitraum von den 1850ern bis in die 1930er
zu verfügen, auf dessen Grundlage Kontinuitäten und
Wandlungen auf breiterer Basis erfasst und aufgezeigt
werden können, wodurch der Brückenschlag von der Mikrohistorie zur Makrohistorie versucht werden soll.
Für die Fragestellungen dieser Arbeit ist es dabei entscheidend, dass die Grundrisse nicht nur im Hinblick auf
ihre geometrische Form und Einteilung – d.h. plangeometrisch – betrachtet werden, sondern auch und vor allem
in Hinsicht auf die Erschließungsstrukturen und die räumlichen Abfolgen und Zusammenhänge von Räumen und
Funktionen. Diese Betrachtungsweise, die im Weiteren
als raumsyntaktisch bezeichnet werden soll, ist deswegen
von der plangeometrischen Betrachtung zu unterscheiden,
weil Häuser, deren Grundrisse in der Planzeichnung sehr
ähnlich wirken, bei genauerem Blick durch eine unterschiedliche Zahl und Positionierung von Türen oder durch
eine unterschiedliche räumliche Anordnung von Nutzungen sehr unterschiedliche Erschließungs- und Nutzungsstrukturen haben können.72 Somit geben sie den Menschen
andere Möglichkeiten, sich durch die Räume des Hauses
zu bewegen, sich zu begegnen oder sich zu meiden und
zurückzuziehen. Das gilt auch für bestehende Wohnhäuser, bei denen im Zuge von Umbauten neue Türen durchgebrochen, alte Türen zugesetzt oder Räume umgenutzt
werden: Der Grundriss bleibt plangeometrisch der alte,
aber raumsyntaktisch können sich bedeutende Veränderungen in den räumlichen Zusammenhängen ergeben. Daher ist bei den zu untersuchenden Fallbeispielen besonderes Augenmerk darauf zu richten, welche Türen bauzeitlich sind, welche Umbauten und Umnutzungen vorgenommen wurden, und in welchem Zusammenhang dies
geschah.73
Die raumsyntaktische Anordnung von Räumen ist ein
wichtiger Faktor für die Zugänglichkeit von Räumen, für
den Grad der Privatheit, den sie gewähren, und für Kontrolle und Lenkung der Bewegung von Bewohnern und
Außenstehenden im Haus. In Begriffen wie Vorzimmer
und Hinterzimmer schwingt die Vorstellung von Abschirmung und Zugangsbeschränkung deutlich mit. Ein Raum,
der nur über einen anderen Raum zu betreten ist, wird
durch diesen in seiner Zugänglichkeit kontrolliert. Die Anordnung von mehreren Räumen in einer Enfilade ist ein
gutes Beispiel dafür, wie ein Raum alle dahinter liegenden im Zugang kontrolliert und wie man mit jedem weiteren Raum, den man betritt, um eine Stufe vordringt. Dies
können Stufen der häuslichen Privatheit oder Stufen einer sozialen Hierarchie sein: Bekanntermaßen ließ sich in
der höfischen Kultur Frankreichs des 17. und 18. Jahrhunderts der Rang eines Adeligen am Hofe daran erkennen, wie weit er zum Schlafzimmer des Königs am Ende
der Enfilade vorgelassen wurde. Aber auch in häuslichen
Situationen ist der Grad, bis wohin beispielsweise ein Besucher im Hause vorgelassen wird, ob er am Eingang oder
im Vorraum warten muss oder im dahinterliegenden Empfangs- oder Wohnzimmer empfangen wird, ein klares Indiz der Vertrautheit, des Ansehens und des Ranges, die er
beim Besuchten innehat. Ganz deutlich wird hierin auch
das enge Wechselspiel zwischen Erschließungsstruktur,
der Anordnung von Raumfunktionen in dieser Struktur
und der räumlich-sozialen Praxis der Akteure.
Ähnlich wie Enfiladen, doch in anderer Weise, können
Verteilerräume die Bewegung kontrollieren. Gute Beispiele hierfür sind Korridore, über die man Zugang zu verschiedenen Räumen hat, oder die Höfe in Hofhäusern,
oder – wichtig im Beiruter Kontext – die Mittelhalle, von
der alle umliegenden Räume zu betreten sind. Anders als
bei der Enfilade sind die einzelnen umliegenden Räume
hier raumsyntaktisch gleichrangig, weil sie für jemanden,
der im Korridor, im Hof oder in der Mittelhalle steht, al27
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
le auf derselben Stufe der Zugänglichkeit liegen: nämlich
gleich hinter der nächsten Tür. Die Räume sind aber auch
unabhängiger voneinander und damit auf einfachste Weise räumlich segregiert. Ganz verschiedene Nutzungen –
beispielsweise Schlafzimmer und Empfangszimmer – können unmittelbar nebeneinander liegen, ohne einander zu
stören. Aber sie hängen sämtlich vom Verteilerraum ab,
weil dieser immer durchquert werden muss, um von einem Raum in den anderen zu gelangen. Und dabei kann es
sehr wohl zu Störungen kommen, etwa wenn ein Hausbewohner auf dem Weg vom Schlafzimmer zum Bad den
Weg eines Besuchers kreuzen muss, der auf dem Weg vom
Hauseingang zum Empfangszimmer ist. Wie solche Konflikte in Beiruter Häusern räumlich und praktisch gelöst
wurden und wie sich dies mit der Zeit veränderte, indem
Nutzungen anders verteilt und anders miteinander verknüpft wurden, wird in dieser Arbeit aufgezeigt.
Als Gegenstück zu einer durch einen Verteilerraum zentralisierten Raumstruktur lassen sich Raumstrukturen unterscheiden, deren Erschließungswege eher netzartig sind,
indem zusätzliche Türverbindungen zwischen den Räumen verschiedene, von einander unabhängige Möglichkeiten bieten, von einem Raum zu einem anderen zu gelangen. Eine solche „verteilte“ Raumstruktur zeichnet sich
durch eine geringere Kontrolliertheit aus und bietet bessere
Ausweich- und Meidungsmöglichkeiten.
Eine raumsyntaktische Betrachtung von Wohngrundrissen
kann somit helfen zu verstehen, wie Kontrolle und Segregation räumlich-architektonisch geschaffen werden. Der
Grad und die Art der Kontrolle in Raumstrukturen werden
von den Theoretikern der Raumsyntax-Methode als wichtiger Indikator der sozialen Organisation von Wohnraum
gewertet, und es wird davon ausgegangen, dass bestimmte soziale Organisationsformen sich in bestimmten Raumund Erschließungsmustern ausdrücken.74 Dabei kann räumliche Segregation wohl als der am deutlichsten ablesbare
Ausdruck sozialer Beziehungen gelten, sei es zwischen
den Geschlechtern, zwischen Untergruppen eines Großfamilienhaushalts, zwischen Familie und Dienstboten oder
zwischen Hausbewohnern und Gästen. Veränderungen in
der Erschließungsstruktur sind baulich oft unscheinbar,
aber sie machen deutlich, dass äußerlich statisch wirkende
Wohnhäuser prozesshaft wandelbar sind, und können im
Zusammenhang mit der Umnutzung von Räumen bedeutsame Hinweise auf veränderte Wohnbedürfnisse und mithin soziale Veränderungsprozesse geben.
Es muss jedoch auch deutlich gesagt werden, dass (Wohn-)
Raumstrukturen für sich allein genommen, ohne ergän-
zende historische und nutzungsgeschichtliche Informationen, nur sehr bedingt aussagekräftig hinsichtlich der
damit zusammenhängenden sozialen Strukturen sind, ja
dass selbst die Platzierung von Wohnaktivitäten und das
räumliche Handeln der Akteure nicht immer eindeutig zu
rekonstruieren sind. Dies gilt besonders dort, wo Räume
nicht durch fest eingebaute oder schwer bewegliche Ausstattung funktional weitgehend festgelegt sind, was – wie
gezeigt wird – in Beirut auch in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts noch oft der Fall war. Menschliches Verhalten, Wohnaktivitäten und mithin das soziale Miteinander der Bewohner sind, wie Amos Rapoport warnt,
nur lose durch Architektur gefasst und gebunden.75 Wie
materielle Kultur und soziale Struktur im Einzelnen zusammenhängen, bleibt daher für den jeweiligen historischen Fall zu untersuchen und ist nicht a priori klar oder
allgemeingültig zu definieren. Die verschiedenartigen,
von Zeit und Bewohnern abhängigen Nutzungen derselben Raumstrukturen, die sich in manchen Fallstudien dieser Arbeit beobachten lassen, unterstreichen immerhin eine grundsätzliche Ambivalenz der Raumstrukturen, gerade wenn es darum geht, wie eine sich verändernde
Wohnpraxis in einen dafür mehr oder weniger geeigneten Raum eingebettet wird. Wenn wir jedoch den gebauten räumlichen Strukturen grundsätzlich eine Aussagekraft als historische Quelle für die Sozialgeschichte zugestehen, so können gerade die zutage tretenden Ambivalenzen und die Widersprüche zu dem Bild, das wir aus
anderen Quellen haben, ein neues Licht auf Spannungen
und Konflikte werfen, die in den vielschichtigen sozialen
und kulturellen Wandlungsprozessen während des Untersuchungszeitraums auftraten.
1.2.3 Mündliche, schriftliche und visuelle Quellen
Verschiedene ergänzende Quellen wurden bei dieser Erforschung der Wohnhäuser und Wohnkultur herangezogen. Besonders wichtig für die Rekonstruktion der Bau-,
Bewohner- und Nutzungsgeschichte der einzelnen Häuser waren die Erinnerungen und mündlichen Überlieferungen der Bewohner und Eigentümerfamilien. Hierunter
fallen auch historische Informationen, die sich beispielsweise in den Akten der APSAD oder in Zeitungsartikeln
zu einzelnen Häusern finden, weil auch diese letztlich
mündliche Aussagen von Bewohnern und Eigentümern
wiedergeben. Die Methode der Oral History verlangt eine
kritische Herangehensweise, und die Überlieferungen haben sich auch in unseren Fällen oft als widersprüchlich
und problematisch erwiesen.76 Dies gilt insbesondere bei
28
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.1 Einführung
Häusern, deren Bewohner und Nutzer häufiger gewechselt haben. Die Chronologie der Ereignisse – eine charakteristische Schwäche der mündlichen Überlieferung –
war beispielsweise in vielen Fällen unzuverlässig; Häuser wurden häufig beträchtlich älter datiert als dies einer
kritischen Betrachtung standhält, und über unterschiedliche Häuser wurden sehr ähnliche Geschichten erzählt –
was nicht nur auf Verwechslung, sondern auch auf sogenannten Schemata beruht, die in die Überlieferung eingesickert sind.
Unter den verwendeten schriftlichen Quellen sind Reiseberichte und zeitgenössische Beschreibungen von großer
Bedeutung. Dabei habe ich besonders viel Wert auf Lebenserinnerungen von Ortsansässigen sowie Beschreibungen von der Hand länger ansässiger Auswärtiger (hier
wiederum vorzugsweise aus arabischer Hand) gelegt. Denn
die Beschreibungen dieser Autoren eignen sich wegen der
besseren Ortskenntnisse und der Innenansichten, die sie
auch für die Einrichtungsformen und Wohnpraktiken bieten, für eine Untersuchung der Wohnkultur besonders, sind
aber dieser Hinsicht immer noch weitgehend unbearbeitet. Dagegen sind die Berichte europäischer (Durch-) Reisender hinreichend bekannt, aber wegen ihrer Außenperspektive gerade für das Thema Wohnkultur oft problematisch. Hinsichtlich der Verwendung von Archivmaterial –
dem üblichen Quellenfundus des Historikers – muss gesagt
werden, dass man in staatlichen Archiven sehr wenig relevantes Material findet, weil es um die häusliche und private Sphäre geht, die außerhalb des Blicks und der Reichweite der öffentlichen und staatlichen Institutionen liegen. Einige Konsulatsakten, darunter insbesondere Abschriften von Mietverträgen und Dokumente zu Liegenschaftsangelegenheiten, sind hier die wichtigsten Funde.
Reiche Quellen könnten die Gerichtsakten der islamischen
Gerichtshofs der Stadt (al-maḥkama aš-šarʿ iyya) oder der
Gerichtsinstitutionen der verschiedenen anderen konfessionellen Gruppen in Beirut sein, in denen beispielsweise
Eigentums- und Erbschaftsangelegenheiten und andere
häusliche und familiäre Angelegenheiten dokumentiert
sind. Diese Akten werden in Beirut jedoch ungewöhnlich
argwöhnisch gehütet und wurden bislang nur wenigen
Auserwählten der jeweiligen Religionsgruppe zugänglich
gemacht, weshalb für diese Arbeit nur auf wenige publizierte Einzelakten zurückgegriffen werden konnte.77 Dieser Mangel ist vielleicht auch eine Stärke, weil dies die
Loslösung von öffentlichen, im Libanon oft konfessionell
geprägten Geschichtsperspektiven erleichtert.78 Auch wenn
dies keine „Geschichte von unten“ ist, weil die Arbeit sich
ʿ
vor allem mit der Wohnkultur der oberen Mittelschichten
und Oberschichten befasst, so ist es doch vielleicht so etwas wie eine „Geschichte von innen“.
Von zentraler Bedeutung für diese Arbeit sind historische
Photographien und anderes visuelles Quellenmaterial. Photographische Panorama-Ansichten der Stadt gibt es unzählige seit den späten 1850ern, von denen inzwischen
viele auch publiziert wurden. Sie können, ähnlich wie historische Karten, helfen, die Entwicklung von Stadtvierteln zu verfolgen und die Erbauung oder Aufstockung einzelner Häuser zu datierten. Gezielte Aufnahmen von Einzelhäusern sind im 19. Jahrhundert eher selten; Aufnahmen vom Inneren der Häuser bleiben bis ins 20. Jahrhundert hinein eine Ausnahme. Viele Aufnahmen, die mit verlockenden Titeln wie „une femme dans sa maison“ betitelt sind und als Postkarten für Touristen gehandelt wurden, sind Studioaufnahmen und sagen daher nichts über
das wirkliche Wohnumfeld aus.79 Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind Photographien, die tatsächlich das
Innere von Beiruter Häusern zeigen, von solchen Häusern,
die von Ausländern bewohnt wurden, und erlauben daher
nur sehr bedingt Rückschlüsse darauf, wie einheimische
Beiruter wohnten.
Erstaunlicherweise sind – im Unterschied zu bürgerlichen
Villen des 19. Jahrhunderts in europäischen Ländern –
selbst für die herrschaftlichen Wohnhäuser Beiruts bis in
das frühe 20. Jahrhundert keine Entwurfspläne überliefert
oder bekannt. Ebenso sind trotz der vielfältigen Veränderungen in der Wohnhausarchitektur jener Zeit keine Zeugnisse von zeitgenössischen theoretischen Diskussionen
unter Bauherren, Baumeistern oder Architekten zur „richtigen“ Grundriss- und Fassadengestaltung bekannt, wie
sie beispielsweise in Deutschland, England und Frankreich im 19. Jahrhundert (oft unter ideologischen Vorzeichen, etwa der Suche nach dem „deutschen Stil“) stattfanden.80 Publikationen in der Art von Robert Kerrs The
Gentleman’s House: or, How to Plan English Residences
(1865) oder Albert Geuls Die Anlage der Wohngebäude
(1868), wie sie in europäischen Ländern zum Beginn unseres Untersuchungszeitraums aufkamen, wurden in den
Ländern des östlichen Mittelmeers nicht produziert. Erst
für das Ende des Untersuchungszeitraums, nämlich die
1930er, sind solche theoretischen Überlegungen von Architekten zur Grundrissgestaltung schriftlich dokumentiert.81
Immerhin aber lassen sich normative Diskurse zum „richtigen“ Wohnen schon ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nachverfolgen: beispielsweise in der Zeitschrift
29
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
al-Muqtaṭaf („Die Auslese“), die sogar eine regelmäßige
Rubrik mit dem Titel „Tadbīr al-manzil“ (d.h. Haushaltsführung, Hausorganisation) hatte. Für diese Untersuchung wurden die einschlägigen Artikel dieser Zeitschrift vom ersten Jahrgang 1876 bis zum Jahrgang 1930
ausgewertet. Sie stellen eine reiche und für unsere Fragestellung weitgehend unbearbeitete Quelle für fast den
gesamten Untersuchungszeitraum dar.82 Die Zeitschrift
wurde 1876 von Yaʿqūb Ṣarrūf (Abb. 3) und Fāris Nimr
zunächst in Beirut gegründet und publiziert und zog im
Winter 1884–85 mit den Herausgebern nach Kairo um,
wo sie bis 1952 erschien. Auch nach dem Umzug nach
Kairo kann sie als weiterhin relevant für den Beiruter
Kontext gelten. Ihre Leserschaft war – erkennbar an den
Leserbriefen – schwerpunktmäßig in den Städten der syrischen Provinzen (Libanon, Syrien, Palästina) und später zunehmend Ägypten angesiedelt, darüber hinaus aber
auch bis in den Irak, den Jemen und sogar Marokko. Auch
wenn Yaʿqūb Ṣarrūf in späteren Jahren (bis zu seinem Tod
1927) einen immer größeren Teil der Artikel selbst verfasste, so gab es doch einen umfangreichen Kreis an Autor(inn)en, die weiterhin in Beirut wohnten bzw. als syrisch-libanesische Migranten in Ägypten stark mit Beirut verbunden waren. Nicht zuletzt weisen inhaltliche und
sprachliche Details in den relevanten Artikeln immer wieder nach Beirut. Die in der Zeitschrift dokumentierten
Diskussionen und Diskurse zum Thema Wohnen können
daher für unsere Untersuchung der Beiruter Wohnkultur
Abb. 3
Yaʿqūb Ṣarrūf (1852–1927), einer der Gründer, Herausgeber
und Hauptautoren der Zeitschrift al-Muqtaṭaf.
bis in das 20. Jahrhundert hinein einen wichtigen Bezugsrahmen bilden.
Ebenfalls in diese Arbeit einbezogen wurde eine neue
Form arabischsprachiger Benimmratgeberliteratur, die ab
dem Ende des 19. Jahrhunderts erscheint. Neben Auszügen aus damaligen Neuerscheinungen, die im Muqtaṭaf
abgedruckt wurden, ist hier zuvorderst ein Benimmbüchlein zu nennen, das der Beiruter Publizist Ḫalīl Sarkīs 1911
verfasste.83 Sie erlauben Rückschlüsse auf häusliche und
soziale Praktiken und werden hier erstmalig in eine Untersuchung der Beiruter und allgemeiner nahöstlichen
Wohnkultur einbezogen. Gerade die kritische Gegenüberstellung der in diesen Textquellen dokumentierten
und sich über die Zeit verändernden normativen Diskurse einerseits, der Befunde aus der Hausforschung und der
Aussagen anderen Quellen zur Wohnpraxis andererseits
gestattet es, einen komplexen, spannungsreichen und widerspruchsvollen „Lernprozess“ des bürgerlichen Wohnens in Beirut herauszuarbeiten und aufzuzeigen, wie alte Formen beibehalten und angepasst und wie neue Formen eingebracht und anverwandelt wurden.
2 Der historische Hintergrund:
eine kritische Einbettung
Das 19. Jahrhundert und frühe 20. Jahrhundert war für
Beirut eine Zeit tiefgreifender und weitreichender Umwälzungen: eine Zeit wirtschaftlichen Aufstiegs und zunehmender politischer Bedeutung, massiven Bevölkerungswachstums und urbaner Expansion, sozialer Veränderungen und kultureller Blüte. Aus dem kleinen, ummauerten Hafenstädtchen, das am Anfang des 19. Jahrhunderts noch 6.000 Einwohner hatte, war am Ende des
Jahrhunderts ein regionales wirtschaftliches und politisches Zentrum mit ausgedehnten Vorstädten und 120.000
Einwohnern geworden (Abb. 4). Bis 1932 wuchs die Bevölkerung auf über 160.000.84
Um die in dieser Arbeit behandelten Entwicklungen in der
Wohnarchitektur und Wohnkultur der Beiruter Ober- und
Mittelschichten in ihrem Kontext zu platzieren, ist es notwendig, sich die Dynamiken bewusst zu machen, die diese Stadt und ihre Gesellschaft in jener Zeit in erfasst hatten. Angesichts einer vorher nie da gewesenen sozialen
Mobilität, der Entstehung neuer Mittel- und Oberschichten und der Umformung gesellschaftlicher Hierarchien
spricht die Historikerin Leila Fawaz von einer „social revolution“, also einer sozialen Umwälzung oder Revoluti-
30
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abb. 4
Beirut, Blick über die Stadt und den Hafen, von St. Dimitri (Mar Mitr) im Osten der Stadt aufgenommen. Im Vordergrund die
Vorstadtviertel Rmeil und Saifi, rechts im Bild Teile der neuen Hafenanlagen, im Hintergrund über der Altstadt links die osmanische Kaserne (Grand Sérail) und das Vorstadtviertel Zokak el-Blat. Aufnahme aus den 1890ern.
on, in der Stadt und ihrem Hinterland.85 Zugegebenermaßen wird Fawaz’ Urteil nicht von allen geteilt: May Davie – wohl die Historikerin, die in den vergangenen Jahren am meisten zur Beiruter Wohnhausarchitektur publiziert hat – vertritt die Ansicht, dass es in Beirut „keine heftigen Brüche in den sozialen und kulturellen Praktiken gegeben hat, sondern vielmehr eine langsame und schrittweise Evolution“, die die Ausbildung einer neuen Wohnarchitektur in einem gezielten Auswahlprozess der Formen gestattete.86 Dabei sieht sie durchaus grundlegende
Veränderungen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexts als wichtige Faktoren in der Entwicklung der Beiruter Wohnhausarchitektur:
Über ästhetische Erwägungen hinaus... war das Mittelhallenhaus jedenfalls eine Antwort auf eine sich verändernde
Wirklichkeit, zu einem spezifischen Zeitpunkt der Geschichte
der Region. Sein Auftreten fällt mit dem Aufstieg Beiruts als
Provinzhauptstadt und als vorrangiges Handelszentrum zusammen. Es geht einher mit einem signifikanten demographischen Wachstum, mit einer Periode politischer Stabilität
(die der tanẓīmāt), mit der Einführung neuer Baugesetze und
Grundeigentumsgesetze und schließlich mit der Verfügbar-
keit neuer Baumaterialien aus dem Europa der industriellen
Revolution. Der Erfolg dieses Modells, sei es stark beeinflusst durch Europa oder sei es eine langsame Neuformulierung vorheriger Architektur oder beides zusammen, erklärt
sich hauptsächlich durch den politischen und wirtschaftlichen
Kontext, der die Entstehung einer wichtigen Bürgerschicht
ermöglichte, die durch Normen und Werte aus Europa beeinflusst war und in einer schnell wachsenden, kosmopolitischen Stadt lebte. Auch wenn der räumliche Rahmen der patriarchalischen Familie weiterbestand, so fanden Komfort,
Mode und Hygiene nun Ausdruck gemäß jener Normen.87
Sie identifiziert also die neuentstandenen bürgerlichen
Schichten als die Urheber und Träger der neuen Wohnarchitektur, aber die Etablierung dieser neuen Schichten, die
damit einhergehenden Verwerfungen in den gesellschaftlichen Hierarchien und Machtstrukturen der Stadt und die
Übernahme europäischer Normen und Werte scheinen –
wenn man ihr Schweigen diesbezüglich richtig deutet –
überraschend reibungslos vonstatten gegangen zu sein. Dem
entspricht, dass Davie das 19. Jahrhundert als eine Periode
politischer Stabilität sieht, wo Fawaz allgegenwärtige und
nur mühsam unterdrückte Spannungen ausmacht:
31
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Indeed, the economic and political changes the empire underwent in the nineteenth century were so fundamental and
the challenges to Ottoman society so profound that one wonders, not why the civil war [der Bürgerkrieg in den libanesischen Bergen von 1860, eig. Anm.] occurred, but why conflict was not more common and did not erupt more often.88
Friedliche Evolution oder spannungsgeladene, unterschwellige Revolution? Die unterschiedliche Bewertung
mag darauf zurückzuführen sein, dass Davies Gegenstand
die sich eher langsam verändernden Wohnhäuser sind,
während Fawaz sich mit oft konfliktreichen politischen
und sozialen Veränderungen befasst. In der Tat scheint es
für beide Lesarten gute Gründe zu geben, und die Entwicklung der Wohnhäuser mag in der Auseinandersetzung
und im Wechselspiel mit der unterschwelligen gesellschaftlichen Revolution zu erklären sein. Die sozialen
Spannungen werden, selbst wenn sie in Beirut nicht (oder
kaum) zum offenen Ausbruch gekommen sind, im Alltagsleben nicht verschwunden sein. Da die häusliche Sphäre einen wichtigen Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens umfasst, ja einen der Hauptschauplätze des Alltagslebens darstellt, und die Architektur und Ausstattung
der Häuser den Mitmenschen wichtige soziale Botschaften vermitteln sollen, müssen die Wohnarchitektur und
Wohnkultur auch in Hinblick darauf untersucht werden,
ob und wie sie mit den postulierten sozialen Veränderungen und Spannungen im Zusammenhang stehen. Entscheidend ist dabei der Norbert Elias und Pierre Bourdieu
verpflichtete Gedanke, dass Veränderungen in der Wohnarchitektur und – mehr noch – der Wohnkultur, d.h. im
weiteren Sinne im Habitat und Habitus, nicht allein durch
technischen Fortschritt, Verfügbarkeit von Materialien und
irgendwie eigendynamische morphologische Evolution
zu erklären sind, oder sich gleichsam zweckfrei an von
außen kommenden Moden und Normen orientieren, sondern ganz maßgeblich auf gesellschaftliche Bedingungen,
Motivationen und Zwänge zurückzuführen sind. Wenn es
stimmt, dass – wie Sigfried Giedion schrieb – das Haus
„sich immer am schwierigsten Neuformulierungen gegenüber zugänglich erwiesen“ hat, dann müssen bei den
Veränderungen in der Beiruter Wohnkultur starke Kräfte
und Zwänge am Werk gewesen sein.89
Im Folgenden sollen daher einführend die relevanten historischen Entwicklungen dieser Zeit in drei Bereichen umrissen werden: der politische und wirtschaftliche Aufstieg
Beiruts, die demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Einwohnerschaft, und schließlich die
damit einhergehenden urbanen und architektonischen Ver-
änderungen. Angesichts der Tatsache, dass – im oben angeführte Zitat May Davies wie allgemein in der Literatur
– der europäische Einfluss als der entscheidende auswärtige Einfluss im Wandel der Architektur sowie der Normen und Werte dargestellt wird, scheint es außerdem sinnvoll, in einem gesonderten Unterkapitel auf die Frage der
Vermittlung und der gesellschaftlichen Akzeptanz europäischer Vorbilder im Beirut des 19. Jahrhunderts einzugehen, und dabei ein stärkeres Licht auf den bislang eher
vernachlässigen Istanbuler oder allgemeiner osmanischen
Einfluss auf die Lebens- und Wohnstile der Beiruter Eliten jener Zeit zu werfen.
2.1 Der politische und wirtschaftliche
Aufstieg Beiruts
Beirut gehörte seit 1516 zu den syrischen Provinzen des
osmanischen Reiches und war lange Zeit als einer der Landeplätze der syrischen Küste (der so genannten Échelles du
Levant) nur eine vergleichsweise unbedeutende Zwischenstation zwischen den wichtigeren Umschlag- und
Handelsplätzen Tripolis (Ṭarāblus), Sidon (Ṣaydā) und
später Akkon (ʿAkkā). Politisch stand Beirut im 18. Jahrhundert unter wechselnder Kontrolle und Steuerpacht (iltizām) seitens der Lokalfürsten-Dynastie der Šihābs im
Schufgebirge und seitens der Provinz Sidon, welcher es
offiziell unterstand. Nachdem der Gouverneur Aḥmad Pascha al-Ǧazzār (reg. 1775–1804) im Jahr 1788 den Verwaltungssitz der Provinz von Sidon nach Akkon verlegt
hatte, entzog sich Beirut allmählich der politischen und
militärischen Kontrolle Akkons und umging durch die Aktivitäten einer kleinen, in der Stadt ansässigen Händlergemeinde großteils Damaszener Herkunft das von alǦazzār für Akkon errichtete Exportmonopol im Handel
regionaler Produkte mit den Franzosen. Infolge dieser
wachsenden eigenständigen Handelstätigkeiten – damals
vor allem mit den zu den Franzosen in Konkurrenz stehenden Briten – löste Beirut schon im ersten Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts Sidon in seiner bisherigen Funktion
als Seehafen von Damaskus ab. Abb. 5, 6)
Der Aufstieg Beiruts begann als eine Art Handelsenklave
und als eine eigenmächtig agierende „république de négociants“ (Händlerrepublik), die sich in einer sonst unter
Monopolherrschaft stehenden Region einen Spielraum
schuf und ihn ausnutzte, und dies entgegen der etablierten Städtehierarchie in dieser Region und trotz der eigentlich unvorteilhaften geographischen Lage.90 Die ersten Konsulate europäischer Staaten begannen, von Sidon,
32
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abb. 5
Der Hafen von Beirut um
1840 in einer Zeichnung von
Pascal-Xavier Coste.
Akkon und Tripolis nach Beirut zu ziehen, insbesondere
anlässlich der nur wenige Jahre dauernden, aber politisch
und wirtschaftlich stark impulsgebenden ägyptischen Besatzung Syriens (1832–1840), als der ägyptische Befehlshaber Ibrāhīm Pascha den Verwaltungssitz der Provinz Sidon nach Beirut verlegte.91
Beirut erhielt wie die anderen syrischen Städte unter ägyptischer Besatzung einen Verwalter (mutasallim) und, als eine neue Institution, eine städtische Ratsversammlung (dīwān
al-mašwara) aus je sechs Muslimen und Christen unter ei-
nem ägyptischen Vorsitzenden. Diese bot den lokalen Notabeln eine neue und wichtige stadtpolitische Plattform.92
Die institutionalisierte Möglichkeit politischer Einflussnahme, so ist argumentiert worden, hat eine zentrale Rolle
bei der Bildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls innerhalb der schnell anwachsenden merkantilen Mittel- und
Oberschicht Beiruts als Interessengemeinschaft gespielt.93
In die Zeit der ägyptischen Herrschaft fiel auch die entscheidende Einbindung Beiruts in ein europäisch dominiertes Weltwirtschaftssystem, besonders im Zusammen-
Abb. 6
Blick über Beirut vom
Hügel von Zokak el-Blat/
Moussaitbé im Südwesten
der Stadt in einem Stich von
1837. In der Bildmitte die
Altstadt, rechts die entstehenden Vororte auf dem Hügel von Achrafieh. Die rote
Nachkolorierung der Dächer
erweckt den irreführenden
Eindruck von Ziegeldächern, die jedoch erst ab den
1850ern auftreten.
33
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
hang der von der ägyptischen Verwaltung stark geförderten Rohseidenproduktion und -ausfuhr der Küstenregion.
Der Hafen wurde instandgesetzt, vergrößert und mit einer
kleinen Mole versehen, eine Quarantänestation wurde eingerichtet, und die städtische Infrastruktur verbessert. Dass
der Ausbau des Hafens mit den Anfängen der Dampfschifffahrt im östlichen Mittelmeerraum koinzidierte – der
erste Fracht-Dampfer legte 1836 in Beirut an –, kann als
einer der historischen Zufälle benannt werden, die Beirut
den kleinen, aber entscheidenden Vorsprung vor anderen
Küstenstädten der Levante gaben.94 Beirut verwandelte sich
von einer befestigten Steuerpacht-Domäne zu einer offenen port-city für den mediterranen Handel.95
Nach der Rückeroberung Syriens durch die Osmanen (mit
militärischer Unterstützung Großbritanniens und Österreichs) im Jahr 1840 setzte sich der Aufstieg Beiruts verstärkt fort, und zwar nunmehr im Rahmen der zeitgleich
einsetzenden osmanischen Reformpolitik, den tanẓīmāt.
Mit dem Reformedikt ḫaṭṭ-i šerīf von 1839 wurde das
Steuerpachtsystem abgeschafft und die Provinzstädte in
eine neue, stärker zentralisierte administrative Hierarchie
eingebunden. Die Umsetzung dieser Erlasse sollte aber
zum Teil mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die
Provinz Sidon wurde – bis zu den Provinzreformen von
1864 und 1867, die zu erneuten administrativen Grenzziehungen führten – um die bisherige Provinz Tripolis erweitert und zu einer von mehreren Modell-Provinzen (neben Bursa und Edirne) für administrative Reformversuche gemacht, die später auf andere Provinzen des Reiches
übertragen werden sollten. Der Sitz des Generalgouverneurs der vergrößerten Provinz Sidon wurde 1841 – nun
auch von den Osmanen – offiziell von Akkon nach Beirut verlegt. Ein sechzehnköpfiger Provinzrat, bestehend
aus osmanischen Bürokraten sowie lokalen ʿulamā’ (d.h.
islamischen Rechtsgelehrten) und Notabeln, bildete mit
seinen relativ weitreichenden Kompetenzen ein bedeutendes Gegengewicht zur osmanischen Zentralgewalt und
setzte die unter den Ägyptern begonnene Institutionalisierung städtischer Selbstverwaltung in verstärkter Form
fort. Während dieser politische Trend auch in vielen anderen Städten der osmanischen Provinzen zu beobachten
war, zeichnete sich Beirut durch seine besondere wirtschaftliche Dynamik aus: Die Stadt baute ihre neue Stellung als regionaler Umschlagplatz für europäische Importe und regionale Exporte massiv aus, nun besonders
im Zusammenspiel mit dem regelmäßig gewordenen
Dampfschiffverkehr, der zunehmenden Industrialisierung
und Handelsexpansion europäischer Staaten und der sich
stark weiterentwickelnden Seidenkultur und modernisierten Seidenfadenmanufaktur an der syrisch-libanesischen Küste und in den Bergen. Beirut wurde zu einer Anlandestelle für Menschen, Kapital, Waren und Ideen aus
anderen Teilen des Reiches, aus dem Mittelmeerraum, aus
Europa und der Welt.
Einen lebhaften Eindruck vom Beirut der 1840er, seiner
Geschäftigkeit und seinem neuen Selbstverständnis vermittelt uns der Wahl-Beiruter Ḥabīb Rizq Allāh in seinem
semi-autobiographischen Buch The Thistle and the Cedar
of Lebanon von 1854 – das er, der während der 1830er die
damals neueingerichtete amerikanische Missionsschule
in Beirut besucht und in den 1840ern in England Medizin
studiert hatte, bezeichnenderweise auf Englisch verfasste:
Since the expulsion of the Egyptians, in 1840-1, Beyrout
has rapidly risen into considerable importance; and it may
now be considered the chief entrepôt of Syrian commerce.
At that period there were barely three or four European families established; and an English vessel only occasionally
touched at the port; now, merchants, artizans, and shopkeepers, from all parts of Europe have flocked into the town;
and scarcely a week passes by without three or more vessels arriving in the roads from different ports of Europe. The
roadstead presents a gay appearance on Sunday, when all
the different vessels display the ensigns of their respective
nations, and corresponding flags are hoisted from the tops
of the consulates on shore. English, French, Sardinian, Austrian, American, Portuguese, Spanish, Dutch, Danish, Norwegian, and Swedish ships are daily arriving at, or sailing out
of the port, bringing manufactures from Manchester, colonial produce from London, sugar from Hamburg, assorted
cargoes from France and Italy, and numberless requisites
and necessaries from other parts of the world; whilst they
export from Beyrout, silk reeled in the many factories situated in the immediate neighbourhood and on Lebanon,
grain from the interior, raw silk, of which some portion is
contributed from my native village [Choueifat, südöstlich
von Beirut; eig. Anm.], and lately an enterprising American
has carried off ship-loads of our Beyrout and Syrian olive oil,
timber, nuts, and specimens of dried and preserved fruits.
The population is rapidly increasing, the wealth augmenting, new firms are being established, fresh channels of commerce discovered, houses being built, gardens enclosed,
grounds purchased and planted, till the once quiet, secluded, and almost desolate-looking Beyrout, many of whose
decayed and dilapidated ruins crumbled into dust under the
severe shocks of the great earthquake of 1821, has been rapidly metamorphosed into a pleasant and flourishing town,
replete with handsome buildings and luxuriant gardens, presenting, as viewed from the sea, one of the handsomest ma-
34
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
rine pictures possible for the pencil of the painter to depict,
or the lay of the poet to celebrate.
Please God, I hope yet to see the day when much loved Beyrout shall rival and surpass in every sense Smyrna, and even
Stamboul.96
Das ehrgeizige Selbstbewusstsein, das aus diesen Äußerungen spricht, war deutlich das von Selfmade-Männern
in einer Selfmade-Stadt. Die politisch und wirtschaftlich
einflussreichen Kreise Beiruts – d.h. die Notabeln und die
Angehörigen der neuentstandenen und wachsenden gesellschaftlichen Gruppe der sogenannten intermediary
bourgeoisie, auf die später noch mal einzugehen sein wird
– bauten die Position ihrer Stadt geschickt aus, indem sie
allgemeinere Entwicklungen in der Region zum eigenen
Vorteil nutzten und beeinflussten. Der Bau einer von Pferdewagen befahrbaren Chaussee zwischen Beirut und Damaskus (begonnen 1859, eingeweiht 1863) – die erste ihrer Art in der Region, die die Reisezeit zwischen den beiden Städten von zwei Tagen auf zwölf Stunden verkürzte
– und die Einrichtung eines regelmäßigen Postkutschenund Lastverkehrs waren das Ergebnis eines größtenteils
ausländischen (nämlich französischen) Kapitaleinsatzes
und Managements. Aber es war auf Betreiben von Beirutern, dass die Trassenführung so gewählt wurde, dass ihre Stadt – und nicht Sidon – von der direkten Straßenverbindung über die Berge nach Damaskus profitierte.97
Nach einem politischen Rückschlag, als Beirut 1865 bei
der Zusammenfassung der Provinzen Sidon und Damaskus in eine Großprovinz Syrien die Funktion der Provinzhauptstadt an Damaskus verlor und nur Verwaltungssitz einer Unterprovinz (sanǧak) wurde, war es wiederum
die langjährige aktive Einflussnahme der Beiruter Eliten
durch gezieltes Lobbying und gemeinsame Petitionen bei
der Pforte in Istanbul, die schließlich 1888 zu der Schaffung einer eigenen Provinz Beirut führte.98 Dadurch wurde die Stadt zur Hauptstadt einer neuen Provinz, die ihren Namen trug (Wilāyat Bayrūt), und die sich – noch ganz
unberührt von späteren nationalstaatlichen Grenzvorstellungen – im Norden von Tripolis bis Latakia und im Süden von Sidon bis nördlich von Jaffa erstreckte. Zwischen
diesen zwei von Beirut räumlich getrennten Gebieten lag
das unmittelbare Hinterland der Stadt, der Ǧabal Lubnān
(das Libanongebirge, auch Mont Liban genannt), der seit
dem Bürgerkrieg von 1860 eine eigenständige Provinz
(mutaṣarrifiyya) mit einem von europäischen Mächten
protegierten Autonomiestatus innerhalb des osmanischen
Reiches bildete. Die eigentliche Stadt Beirut auf ihrer
Landzunge war dieser Provinz Ǧabal Lubnān als admi-
nistrative Enklave vorgelagert. Ungeachtet dieser Grenzziehung hatte der mutaṣarrif (Gouverneur) des Ǧabal
Lubnān zwar seinen Sommersitz innerhalb seiner Provinz
in Beiteddine und später in Baabda, aber seinen Wintersitz jenseits der Provinzgrenze in der Stadt Beirut.
Vor allem aber war die Stadt Sitz des Generalgouverneurs
(wālī) der Provinz Beirut als Vertreter der Reichsregierung, und sie war Versammlungsort des Provinzrates als
dem wichtigsten, aus Provinz-Notabeln zusammengesetzten Entscheidungsorgan in Steuer- und Landbesitzangelegenheiten, Infrastrukturprojekten, der Ansiedlung von
Gewerbe und Industrie und der Vergabe von Konzessionen.99 Die Verwaltung der Stadt selbst oblag dem gewählten zwölfköpfigen Stadtrat (maǧlis al-baladī), dem
in seiner neuen, 1868 nach dem Vorbild des Istanbuler
Stadtteils Pera geschaffenen Form keine ʿ ulamā’ und
Geistlichen mehr angehörten, sondern ausschließlich Kaufleute und Notabeln der Stadt. Die Aufgaben des Stadtrats
und seines Exekutivorgans, der Stadtverwaltung (baladiyya), umfassten Stadtplanung, Marktwesen, Gesundheitswesen, öffentliche Moral und öffentliche Wohlfahrt.
Beide waren damit für die Beiruter Eliten – besonders die
bürgerliche Kaufmannselite und intellektuellen Kreise –
zentrale Instrumente in der Gestaltung und Modernisierung ihrer Stadt.100
Zu den wichtigen Infrastrukturmaßnahmen jener Zeit gehörten der erneute, umfangreiche Ausbau des Hafens (geplant seit den 1860ern, fertiggestellt 1894), der Bau der
Damaskusbahn, einer Eisenbahnlinie zwischen Beirut und
Damaskus, durch deren Fertigstellung im Jahr 1894 Beirut einer schon begonnenen Bahnlinie von Haifa nach Damaskus zuvorkam, der Bau von Fahrstraßen als moderne
Landtransportverbindung nach Sidon und Tripolis am Anfang des 20. Jahrhunderts, die Einrichtung einer zentralen Wasserversorgung für Beirut aus dem nördlich der
Stadt gelegenen Hundsfluss im Jahr 1875, die Einführung
von Gasbeleuchtung in Straßen und (wohlhabenden) Häusern 1888, und die Einführung einer elektrischen Straßenbahn und – damit zusammenhängend – einer Elektrizitätsversorgung auch für (wiederum bessergestellte) Haushalte im Jahr 1909.101 Diese Projekte wurden in der Regel
von ausländischen, zumeist französischen und britischen
Gesellschaften und Kapitalgebern getragen, jedoch mit
der Beteiligung lokaler Kaufleute und Notabeln als ursprüngliche Konzessionsinhaber, Initiatoren und Projektförderer, als Aktionäre und als Gesellschafter. Der Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Position Beiruts
war keineswegs selbstverständlich und fand in ständigem
35
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Konkurrenzkampf mit anderen Städten – z.B. Tripolis,
Haifa und vor allem Damaskus – statt, und er führte zu
der zunehmenden wirtschaftlichen Peripheralisierung und
Abhängigkeit der ländlichen Gebiete in Hinblick auf Beirut. Dieser Konkurrenzdruck und das hierarchische Verhältnis zum Umland trug nicht wenig zu der Ausbildung
einer betont städtischen, auf Beirut bezogenen politischen
und kulturellen Identität unter den Kaufleuten und Intellektuellen der Stadt bei.
Parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg Beiruts verlief ein
Aufstieg im Bereich des Erziehungswesens und der kulturellen Produktion, der die Stadt im späteren 19. Jahrhundert an die Seite sehr viel größerer Städte wie Kairo
und Istanbul katapultierte. Beginnend in den 1820ern, und
verstärkt nach dem Bürgerkrieg in den Bergen von 1860,
wurden in Beirut zahlreiche Schulen gegründet, anfänglich getragen von ausländischen Missionaren, aber in wichtigen Fällen auch von einheimischen Intellektuellen und
schließlich vom osmanischen Staat. Sie umfassten alle
Stufen bis hin zum College-Studium (seit den 1870ern im
amerikanischen Syrian Protestant College und dem französischen Jesuitenkolleg St. Joseph) und boten ihren Schülern, die aus der ganzen Region von Ägypten bis Istanbul
nach Beirut kamen, Möglichkeiten zu einer modernen wissenschaftlichen Ausbildung und kulturellen Bildung, die
es vielen Absolventen ermöglichte, ihrerseits zu Lehrern,
Journalisten oder Schriftstellern zu werden oder eine administrative Stellung zu besetzen. So entstand in Beirut
eine lokale und regionale Bildungselite, die sich aus vielen Teilen und Schichten der Gesellschaft rekrutierte, und
deren Aktivitäten sich unter anderem – schon ab den
1840ern zunächst in Missionarskreisen und später unabhängig von ihnen – in der Etablierung von Gesellschaften
für Wissenschaft, Künste und Erziehung sowie der Gründung von zahlreichen Druckereien, Verlagen, Zeitschriften und Tageszeitungen ausdrückten.102 Beirut wurde zu
einem herausragenden Zentrum der nahḍa, der arabischen
Reformbewegung im Bildungs- und Erziehungswesen, die
durch Bildungseinrichtungen und Publikationen intensiv
und nachhaltig in weitere Kreise der Bevölkerung ausstrahlte und zur Ausformung einer Art lokalem Bildungsbürgertums als wichtigem Teil der sogenannten intermediary bourgeoisie beitrug.
Im oben beschriebenen politisch-administrativen Rahmen
seiner Provinz florierte Beirut bis zum Beginn des Ersten
Weltkriegs. Im Krieg wurde die Stadt zusammen mit dem
Ǧabal Lubnān, dessen Autonomiestatus aufgehoben wurde, einer direkten osmanischen Militärverwaltung unter-
stellt, und nach Kriegende und Zusammenbruch des osmanischen Reiches 1918 wurde Beirut den französischen
Besatzungsgebieten zugeschlagen. Die Stadt gehörte damit ab 1920 zum neugeschaffenen „Grand Liban“, dessen
Territorium das Gebiet der vormaligen Mutaṣarrifiyya
Ǧabal Lubnān um die Stadt Beirut, das Gebiet von Tripolis im Norden, die Gebiete um Sidon und Tyros im Süden
sowie im Osten die Bekaa-Ebene mit den Gebieten um
Baalbek, Hermel und Hasbaya erweiterte und damit die
Grenzen des heutigen Libanon etablierte. Diese Grenzziehung eines ‚Nationalstaates’, die sich noch bei der
Schaffung der osmanischen Provinz Beirut drei Jahrzehnte
vorher keineswegs hatte absehen lassen, entsprang den
Vorstellungen der Mandatsmacht und vor allem maronitischer Kreise aus dem Ǧabal Lubnān und entsprach nicht
unbedingt den Erwartungen der Beiruter Eliten – auch
wenn es letztlich ganz im Interesse der Stadt war, ihre
wirtschaftliche und politische Vormachtstellung unter den
veränderten Bedingungen zu bewahren und auszubauen.103
Der sich wiederholt wandelnde territoriale und administrative Kontext der Stadt macht auch deutlich, warum eine historische Untersuchung Beiruts gerade für das 19.
und frühe 20. Jahrhundert durchaus losgelöst von der libanesischen Nationalgeschichtsschreibung stattfinden
kann und sollte, ohne dass die Stadt deswegen von ihrem
Kontext isoliert wäre.104
Der seit 1920 unter französischer Mandatsherrschaft stehende Grand Liban wurde 1926 zur République Libanaise proklamiert, mit Beirut als Hauptstadt und Sitz der Regierung und des Parlaments. Das Fortbestehen der Organe städtischer Selbstverwaltung und die Ablösung der provinziellen durch nationale Verwaltungsorgane dürfen aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Macht
bis zur Unabhängigkeit des Libanon – deklariert 1943,
verwirklicht nach Abzug der französischen Truppen 1946
– in der Hand des französischen Hochkommissars und seines quasi-kolonialen, militärisch-technokratischen Verwaltungsapparates lag, dessen französische Berater gegenüber den „autonomen“ Verwaltungsorganen weisungsbefugt waren.105 Die völlig veränderte Machtkonstellation in der Region nach dem Beginn direkter französischer und britischer Mandatsherrschaft veränderte den
politischen Handlungsspielraum und kulturellen Bezugsrahmen der Beiruter. Mit dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches war eine politische und wirtschaftliche Struktur verschwunden, in der die Beiruter Eliten in eigenem Interesse gegenüber drohender regionaler Konkurrenz und in der Auseinandersetzung mit europäischer
36
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Einflussnahme agiert und manövriert hatten, und die ihnen gerade im 19. Jahrhundert eine wichtige und je nach
Bedarf betonte Komponente ihrer politischen und kulturellen Identität gegeben hatte: die von fortschrittlichen
Osmanen.106 Darüber hinaus verschwand mit dem Zusammenbruch des Reiches auch ein bis dahin sehr einflussreicher kultureller Bezugspunkt – die Reichshauptstadt Istanbul als Zentrum der Hof- und Elitenkultur – aus
dem Gesichtskreis der kulturellen und geschmacklichen
Orientierungen der Eliten der vormaligen arabischen Provinzen. Der Blick wandte sich – gerade in Beirut – noch
stärker und unvermittelter nach Europa, als dies im späteren 19. Jahrhundert schon der Fall gewesen war. Gleichzeitig wurde nicht nur der ältere arabische Nationalismus,
sondern auch der neue libanesische Nationalismus als kulturideologischer Bezugsrahmen wichtiger.
Diese neuen Rahmenbedingungen führten zwangsläufig
zu Veränderungen in dem erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der städtischen Eliten Beiruts und zu einer relativen
Abschwächung von Beiruter Identitätsdiskursen gegenüber nationalen Diskursen. Dennoch: was die politische
und wirtschaftliche Bedeutung Beiruts anging, so war die
oben zitierte, unrealistisch anmutende Hoffnung Ḥabīb
Rizq Allāhs, dass seine Wahlheimat einmal Smyrna und
Istanbul den Rang ablaufen möge, tatsächlich in gewisser
(doch von ihm sicherlich so nicht gewünschter) Weise in
Erfüllung gegangen:
Beirut war nun Hauptstadt eines Staates, während Istanbul
diese Rolle an Ankara abtreten musste; und Beirut entwickelte sich – nun mit der gezielten Förderung der französischen Mandatsregierung107 – weiter als regionales Wirtschafts-, Handels- und Finanzzentrum, wohingegen Smyrna (Izmir) im türkischen Befreiungskrieg 1922 in einem
stadtweiten Großbrand stark zerstört wurde und seine Bedeutung als kosmopolitisches Handelszentrum verlor.
2.2 Demographische und gesellschaftliche
Umwälzungen, kulturelle Umorientierung
Die maßgeblichen demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen, in deren Zusammenhang die Entwicklung der Beiruter Wohnarchitektur und Wohnkultur
zu sehen ist, lassen sich kurz in vier Punkten zusammenfassen: Ein bis dahin nie da gewesener Bevölkerungswachstum in Beirut, daraus resultierende Verschiebungen
in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft bezüglich
Herkunft und konfessioneller Zugehörigkeit, die Entste-
hung neuer sozialer Schichten als Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklungen und ein Prozess kultureller
Umorientierung, der nicht nur als Ergebnis von außen
kommender Einflüsse im Rahmen der osmanischen Zentralisierungspolitik und der zunehmenden europäischen
Einflussnahme zu sehen ist, sondern auch als eine kulturelle Bewältigung des sozialen Wandels in der Stadt selbst
verstanden werden sollte.
Das Bevölkerungswachstum ist in der einschlägigen Literatur zur Stadtgeschichte Beiruts eingehend untersucht
worden und soll hier nur umrissen werden.108 Bis in das
frühe 19. Jahrhundert hatte Beirut eine relativ stabile Bevölkerung von etwa fünf- bis sechstausend Einwohnern,
die vor allem aus Alteingesessenen bestand. Zeitgleich
mit dem einsetzenden wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt
begann auch die Bevölkerungszahl erstmalig und durch
Quellen rekonstruierbar zu wachsen. In den 1820ern waren es sechs- bis achttausend Einwohner, in den 1830ern
hatte sich die Einwohnerzahl schon auf zwölf- bis fünfzehntausend Einwohner verdoppelt, und in den 1850ern
waren es – je nach Quelle – zwischen zwanzig- und fünfzigtausend Einwohner. Nach dem Bürgerkrieg in den libanesischen Bergen und den Christenmassakern in Damaskus im Jahr 1860 stieg die Einwohnerzahl noch einmal sprunghaft auf 60–80.000 an. Um die Jahrhundertwende hatte Beirut über 120.000 Einwohner, 1920 waren
es über 130.000, und 1932 kam der französische Bevölkerungszensus auf 160.000 Einwohner.109
Ein unmittelbares Ergebnis schon des frühen Wachstums
war, dass die alteingesessenen Beiruter – deren Nachkommen in der sehr auf geographische Herkunft der Familie bedachten libanesischen Gesellschaft gelegentlich
auch heute noch als bayārte (lib. Pl. zu bayrūtī: „Beiruter“) bezeichnet werden – schon in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts zur Minderheit in ihrer Stadt geworden waren.
Wenn in dieser Arbeit also von Beirutern als Trägern einer
sich wandelnden städtischen Wohnkultur die Rede ist, können nicht nur die Alteingesessenen gemeint sein, sondern
müssen dazu ebenso die Neuzugezogenen gezählt werden,
die sich Beirut zum Wohnort wählten und sich – wenn sie
die Mittel dazu hatten – ein Haus dort errichteten.
Das Wachstum verdankte sich in der Hauptsache einer
starken und kontinuierlichen Zuwanderung von Menschen,
die auf der Suche nach Arbeit, zum Geschäftemachen oder
auch zum Besuch einer der vielen neugegründeten Schulen, letztlich also zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse nach Beirut kamen. Diese Wirtschafts- und Bildungsmigranten waren sowohl Muslime (hauptsächlich
37
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Sunniten) wie Christen (verschiedener Konfessionen), und
sie stammten aus der gesamten Region, d.h. anderen Küstenstädten, den Bergen und aus dem syrischen Binnenland
und seinen Städten. Zusätzlich zu dieser stetigen Zuwanderung erfuhr Beiruts Einwohnerschaft sprungartige
Wachstumsschübe durch Wellen von Flüchtlingen. Anders als die Wirtschafts- und Bildungsmigranten waren
die Flüchtlinge zumeist Christen (wiederum unterschiedlicher Konfessionen), die auf der Flucht waren vor den
wiederholten bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen
in den Bergen während der 1840er, den Ausschreitungen
gegen Christen in Aleppo von 1850, dem Bürgerkrieg zwischen Drusen und Christen in den Bergen und dem Christenmassaker in Damaskus im Jahr 1860 sowie weiteren
Unruhen in den Bergen in den frühen 1860ern. Von denen, die nach Beirut flohen, ließen sich nicht alle, aber
doch viele anschließend in der Stadt nieder.
Eines der Ergebnisse dieser Zuwanderung, die Verschiebungen im konfessionellen Kräfteverhältnis der Einwohnerschaft Beiruts, genießt in der Literatur besondere Aufmerksamkeit. Während das Zahlenverhältnis zwischen
Muslimen und Christen in der Stadt bis zur Jahrhundertmitte bei etwa 1:1 lag (und damit schon den höchsten Christenanteil im Vergleich zu anderen syrischen Städten repräsentierte), so waren ab den 1860ern die Christen insgesamt gegenüber den Muslimen in einem Verhältnis von
etwa 3:2 in der Mehrheit. Es ist jedoch auch darauf hingewiesen worden, dass die sich ergebende demographische
Kräfteverschiebung zum Nachteil der Muslime dadurch
teilweise wieder ausgeglichen wurde, dass die Zahl der
Christen sich auf zahlreiche verschiedene Konfessionen
aufteilte. Von ihnen stellten die Griechisch-Orthodoxen
und die Maroniten die zahlenmäßig größten Gruppen dar,
mit Abstand gefolgt von den griechisch-katholischen Christen als drittgrößter Gruppe. Die Ausbildung einer christlichen Bevölkerungsmehrheit in der zweiten Jahrhunderthälfte ging somit einher mit der Ausbildung einer ungefähren Dreiteilung der Einwohnerschaft in Sunniten, Griechisch-Orthodoxe und Maroniten. Den stärksten Zuwachs
erfuhr dabei die zuvor schon existierende, jedoch sehr viel
kleinere maronitische Minderheit in der Stadt.110 In konfessionellen Kategorien gedacht gab es also durch Religionszugehörigkeit definierte Gruppen in Beirut (nämlich
Sunniten und Griechisch-Orthodoxe), deren angestammte oder beanspruchte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Vormachtstellung gefährdet wurde durch die
Zuwanderung bzw. das Anschwellen anderer Religionsgruppen. Durch die tanẓīmāt wurde außerdem die rechtli-
che Stellung der nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen stark verbessert, und die in der ägyptischen Besatzungszeit geschaffenen und von der osmanischen Regierung weiter ausgebauten Strukturen städtischer Selbstverwaltung boten den Eliten der zahlenmäßig und wirtschaftlich erstarkenden christlichen Bevölkerungsteile ebenso
eine Einflussplattform wie den älteren, vor allem muslimischen Eliten der Stadt. Die zahlenmäßig anschwellenden Eliten und Mittelschichten der Stadt – d.h. jene Schichten, die sich die in dieser Arbeit behandelten Wohnhäuser
errichteten – rekrutierten sich also aus ganz verschiedenen
konfessionellen Gruppen. Es sollte aber vorab schon gesagt werden, dass die konfessionelle Zugehörigkeit in der
Entwicklung der Wohnhausarchitektur nur eine sehr beschränkte Rolle spielte, allerdings in der Art, wie die sich
ansonsten weitgehend gleichenden Häuser bewohnt wurden, durchaus zum Tragen kommen konnte.
Die Zuwanderer stammten auch aus unterschiedlichen regionalen und sozioökonomischen Kontexten. Es waren
Landbewohner, Dörfler, Kleinstädter und Großstädter,
Bauern und Handwerker, die in der Stadt ihr Glück versuchten, Besitzlose, kleine und große Landbesitzer, Pachtherren und ländliche Notabeln, vormalige höhere Bedienstete der amīre der Region (bis etwa 1840) sowie
Kaufmannsfamilien und Geschäftsleute, die teilweise
schon in anderen Städten etabliert waren und nach Beirut
übersiedelten, um von den Standortvorteilen der Stadt zu
profitieren. Die Einwohnerschaft Beiruts wurde folglich
nicht nur in konfessioneller, sondern auch in soziokultureller Hinsicht entscheidend heterogener. Die Zuwanderung ließ alle sozialen Schichten der Stadt zahlenmäßig
anschwellen, und die Notwendigkeit der sozialen Positionierung in diesem für die Zuwanderer neuen und für
die länger Ansässigen stark veränderten Umfeld gewann
sicherlich für alle Betroffenen an Bedeutung.
Ganz entscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung
Beiruts ab der späteren ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
war die Entstehung neuer Segmente der Oberschicht und
einer neuen Art von Mittelschicht. Wie Leila Fawaz es
formuliert hat, galt bis zum 19. Jahrhundert: „On the whole, people were born rich or poor and stayed as they were
born. But the expansion of Beirut provided new opportunities, especially those of the Western-oriented economy.“111 Der Journalist und Literat Ǧurǧī Zaydān (Abb. 7)–
der selbst aus einer nach Beirut zugewanderten Familie
stammte und zu der neuen Mittelschicht gehörte – beschreibt diese Entwicklung in seinen Anfang des 20. Jahrhunderts verfassten Memoiren:
38
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
At that time [d.h. die Jahrhundertmitte; eig. Anm.] the people
of Beirut consisted of two classes, ṭabaqatān: the lower class,
al-ʿ āmma, which means the riff-raff, the artisans, all the other people with menial occupations, and the small merchants.
The people of the government and the rich constituted the upper class, al-ḫāṣṣa. But the social norms were basically one
and the same as far as family life, manners of speech, eating
and drinking were concerned. Food and living style differed
only very little. Obscene expressions were predominant in
the speech of the rich as well as in that of the poor. Regard in
the same way the consumption of alcoholic beverages and
the like, keeping in mind, however, the difference in means
and resources.
During that period, i.e. after the unrest of the sixties, there
developed a third class amongst the people of Beirut educated in the Christian missionary schools, especially the
American, English, and German ones. […] This third social group was determined to change the social norms from
what they were to what they became, so that the contemporary morals of Beirut became comparable with the most
advanced habits and customs of the Europeans, as far as
good manners in talking or sitting, etc., were concerned.112
Diese neue soziale Schicht oder Klasse, der eine maßgebliche Rolle in den Veränderungen der Alltagskultur und der
Wohnkultur in Beirut zugesprochen wird, bestand allerdings nicht, wie man aus Zaydāns Bemerkung schließen
könnte, nur aus den Absolventen der ausländischen Schulen, sondern viel allgemeiner aus den Nutznießern des wirtschaftlichen Aufstiegs der Stadt und ihrer verstärkten Einbindung in den europäisch dominierten Welthandel. Auch
begann die Entwicklung dieser Schicht nicht erst nach den
Ereignissen von 1860, sondern schon in der späteren ersten Hälfte und Mitte des Jahrhunderts. Aufgrund ihrer Position als Zwischenhändler im Import- und Exporthandel
zwischen der Stadt, dem Hinterland und den europäischen
Märkten – darunter insbesondere der profitable Seidenhandel – wird diese Schicht in der Literatur als intermediary bourgeoisie (oder französisch bourgeoisie intermédiaire) bezeichnet.113 Darüber hinaus spielten auch die neuen Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in den
staatlichen Verwaltungsstrukturen und im Bildungs- und
Publikationswesen eine Rolle in der Entstehung dieser
Schicht. Daher soll dieser Begriff – in Abwandlung seiner
Verwendung bei Claude Dubar und Salim Nasr und in
Übereinstimmung mit Jens Hanssen – hier nicht nur eine
(augenscheinlich) westlich akkulturierte merkantile Schicht
bezeichnen, die den Import- und Exporthandel mit westlichen Ländern kontrollierte und die kapitalistische Durchdringung der Region vorantrieb, sondern allgemeiner ei-
Abb. 7
Ǧurǧī Zaydān
(1861–1914).
ne städtische, besitzende Mittelschicht, deren Aufstieg –
als Teil eines globaleren Phänomens des 19. Jahrhunderts
– sich auf allgemein utilitaristischen Ideen, nicht-feudalen
sozialen Beziehungen und intellektueller, kommerzieller
und administrativer Tätigkeit gründete.114
Die Grenzen besonders zwischen den oberen Segmenten
dieser neuen Bourgeoisie und der als Institution älteren
Klasse der städtischen Notabeln (aʿyān) waren offenbar
nicht scharf. Die beiden Kategorien konnten besonders dort
zur Überlappung kommen, wo sich wirtschaftlich erfolgreiche Aufsteiger durch die Ausübung politischer Ämter
und sozialer Fürsorge Ansehen als aʿyān erwarben oder wo
Mitglieder etablierter aʿyān-Familien wegen ihrer Tätigkeit im Zwischenhandelsgeschäft mit Europa per definitionem auch zur intermediary bourgeoisie zu zählen wären.115 Als Beispiel, das auch in den Haus-Fallstudien dieser Arbeit zu Sprache kommt, kann die sunnitische Familie Beyhum gelten, deren Angehörige schon am Anfang
des 19. Jahrhunderts als aʿyān galten, aber deren prominentes Mitglied ʿAbdallāh Beyhum im zweiten Viertel des
19. Jahrhunderts sein Vermögen insbesondere im Handel
mit Europa machte, wobei er sich gleichzeitig durch politische und gesellschaftliche Aktivitäten den Ruf eines ʿayn
al-aʿyān – des „Bedeutendsten der Notabeln“ – erwarb. Als
weiteres Beispiel (ebenfalls in den Fallstudien vertreten)
ist die griechisch-orthodoxe Familie Sursock zu nennen,
die eigentlich ein Paradebeispiel für die intermediary bourgeoisie ist, aber deren Angehöriger Yūsuf Sursock gemeinsam mit Muḥammad Beyhum im Jahr 1913 als „les
deux principaux notables“ von Beirut bezeichnet wurde.116
Die vielfachen Verflechtungen und Überlappungen zwi39
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schen den alten und den neuen Eliten, seien es Christen oder
Muslime, Zuwanderer oder Alteingesessene, sind in verschiedenen Studien gezeigt worden – oft allerdings mit besonderem Fokus auf das Zusammenleben der Konfessionen, weniger mit Blick auf das Zusammenleben von Etablierten und Aufsteigern, von „Old Money“ und „New Money“, von Alteingesessenen und Neuzugezogenen. Geschäftspartnerschaften, politische Allianzen und Familienallianzen zwischen Angehörigen dieser verschiedenen Gruppen waren in den Kreisen der Oberschichten und oberen
Mittelschichten häufig. Der politische und soziale (Minimal-) Konsens, der trotz der massiven demographischen
und gesellschaftlichen Veränderungen in Beirut aufrechterhalten oder immer wieder neu geschaffen werden konnte (und – wenn auch knapp – ein Übergreifen des Bürgerkrieges von 1860 auf Beirut verhinderte), wurde besonders
in Studien, die unter dem Eindruck des libanesischen Bürgerkriegs 1975–1990 standen, hervorgehoben. Auch eine
räumliche Aufteilung der Stadt nach Konfessionen oder
nach Alteingesessenen und Zuzüglern prägte sich bis ins
20. Jahrhunderts kaum aus.117 Die konfessionelle Kräfteverteilung sowie die komplexen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verflechtungen, Rollenverteilungen und
wechselseitigen Abhängigkeiten erzwangen letztendlich
schon aus Selbstinteresse der verschiedenen Beteiligten eine Politik des Ausgleichs, um den Fortbestand des wirtschaftlichen Erfolgs der Stadt – und damit die Lebensgrundlage der alten und neuen Eliten – in der fortwährenden Konkurrenz mit anderen Städten zu gewährleisten.
Offensichtlich jedoch waren durch die wirtschaftlichen,
demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen
alte soziale Hierarchien aufgebrochen, althergebrachte
Selbstverständlichkeiten waren in Frage gestellt, und es
kam notwendigerweise zu Verteilungskämpfen um Macht
und Einfluss in der Stadt. Die alten, vor allem sunnitischen
und griechisch-orthodoxen Eliten mussten ihre Stellung
verteidigen, und die zugezogenen oder neuaufgestiegenen
Eliten mussten ihre Position erarbeiten und erkämpfen –
sowohl gegenüber den Etablierten wie auch gegenüber
den weiterhin Nachrückenden.118 Die Chancen in diesen
Positionskämpfen waren keineswegs gleich verteilt: 1880
beispielsweise genossen 461 Christen verschiedener Konfessionen und 263 sunnitische Muslime das passive Wahlrecht für die Mitgliedschaft im Stadtrat – nicht gerade viel
für eine Stadt, deren Einwohnerzahl auf die 100.000 zuging. Von dieser Einwohnerzahl war allerdings nur eine
Minderheit in der Stadt registriert und damit überhaupt
(aktiv) wahlberechtigt. Die osmanische Gesetzgebung ziel-
te laut Hanssen darauf ab, „existierende lokale Eliten in
eine straffere staatliche Machtstruktur einzubinden“. Bis
1867 musste man, um das passive Wahlrecht für den Stadtrat zu besitzen, zu den „Notabeln der Stadt“ gehören, und
später war dieses Wahlrecht an die Höhe der jährlich gezahlten Eigentumssteuer gebunden.119
Wenn man kein Notabler war, konnte man jedoch zumindest einer werden. Wie Leila Fawaz gezeigt hat, hatten
Geld und Finanzkraft als Mittel zur Integration und sozialen Positionierung der Aufsteiger und Zuwanderer in der
städtischen Gesellschaft Beiruts während des 19. Jahrhunderts eine Bedeutung wie kaum anderswo im osmanischen Syrien: „In Beirut, money didn´t just talk, it dictated.“120 Ökonomisches Kapital (im Sinne Bourdieus) spielte demnach eine oder vielleicht sogar die bestimmende
Rolle. Aber es gab weitere wichtige Faktoren. Wie Antoine Hokayem feststellt, hätten die muslimischen Notabelnfamilien Beiruts (er nennt als Beispiele Beyhum, Ayas, Salam, Daouk, Tabbara, Solh, Ramadan und Majzoub) ihre
Reichtümer und ihr Ansehen nicht nur aus ihrem Handel
und Immobilienbesitz bezogen, sondern auch aus ihrer Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam als der Religion der
„türkischen Herrscherkaste“, was sich vorteilhaft auf ihre
gesellschaftliche Position in der Stadt auswirkte. Im Gegenzug versuchten Angehörige der christlichen Notabelnfamilien und Bourgeoisie, ihre Position und ihren Handlungsspielraum dadurch zu verbessern, dass sie Stellungen
als Dragomane oder Ehrendragomane an ausländischen
Konsulaten in Beirut einnahmen und so unter dem Schutz
der Kapitulationen standen.121 Dies versetzte sie – je nach
Bedarf – in eine vorteilhafte Rechtsposition gegenüber dem
osmanischen Staat und gab ihnen Rückhalt in geschäftlichen und gesellschaftlichen Positionskämpfen in der Stadt.
Allerdings, so sollte man zu Hokayems etwas zu polarisierender Darstellung hinzufügen, war die osmanische
Herrscherschicht keineswegs eine geschlossene „Kaste“,
und auch Angehörige der christlichen Beiruter Oberschicht
stiegen im 19. Jahrhundert in hohe staatliche Ämter auf
und bekleideten Ministerposten in Istanbul.
Im Konkurrenzkampf um Status und Einfluss, der diese in
einem Umwälzungs- und Umverteilungsprozess befindliche Gesellschaft prägte, wurde – um es in Bourdieu’schen
Begrifflichkeiten zu fassen – ökonomisches, soziales und
kulturelles Kapital zwangsläufig von den verschiedenen
Beteiligten je nach Möglichkeit und Verfügbarkeit eingesetzt.122 Und zu dem kulturellen Kapital, das in diesem Konkurrenzkampf eingesetzt wurde, gehörte auch das Wissen
um standesgemäße Formen des Wohnens, das sich in einer
40
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
schichtenspezifischen Wohnkultur ausdrückte und materiell in den Wohnhäusern Ausdruck fand, die im Zentrum
dieser Arbeit stehen. Ganz sichtbar waren diese Häuser natürlich auch Ausdruck der Wirtschaftskraft der Erbauer, und
schon allein dadurch waren sie ein äußerst wichtiges Mittel der sozialen Positionierung.
Im Prinzip ist diese Wirkungsweise der sozialen Zwänge
ähnlich denen, die Elisabeth Katschnig-Fasch mit engem
Bezug auf Bourdieu (und somit auf den französischen bzw.
österreichischen Kontext bezogen) erläutert:
Das Kleinbürgertum orientiert sich, so Bourdieu, am Aufstieg, bemüht, die Normen zu erfüllen, um nicht abzusteigen,
wobei ein „neues Kleinbürgertum“ sich penetrant von diesem Konformismus abhebe. Der Habitus der Bourgeoisie
hingegen glaubt sich durch einen sicheren Geschmack und
durch ein sicheres Umgehen mit Personen und Dingen auszuzeichnen. Diese Klasse setzt ihre Maßstäbe durch und
passt sich Fremdem nicht an. Ihre Alltagsformen sind differenziert, weil finanziell abgesichert. Sie leistet sich in der
oberen Etage auch Unkonventionelles. Auf der ständigen
Flucht vor Aufsteigern müssen allerdings die Mitglieder der
herrschenden Klasse ihre Symbole stets erneuern, was auch
hier eine interne Dynamik der Lebensstile garantiere.123
Die hier zugrundeliegende Bourdieu’sche Klasseneinteilung in Arbeiterklasse, Kleinbürgertum und Bourgeoisie
lässt sich natürlich auf die damaligen Beiruter Verhältnisse nicht deckungsgleich übertragen. Die vertikale
Schichtung und die horizontale Einteilung nach Klassenfraktionen ist historisch anders gewachsen (man erinnere
sich an Zaydāns Beschreibung der Zweiteilung in alʿāmma und al-ḫāṣṣa) und ist entsprechend den oben besprochenen demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts anders zusammengesetzt
und ausdifferenziert. Es würde hier zu weit führen, zu versuchen, ein Modell der sozialen Schichtung und seiner
Veränderungen für Beirut des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu entwerfen.124 Aber es lässt sich ganz allgemein feststellen, dass diese Schichtung komplexer wurde, dass ältere Formationen fortbestanden (z.B. Notabeln,
geistliche Eliten, Kaufmannschaft, Handwerkerschaft u.
a. m.) und von neuen Formationen ergänzt und teilweise
durchdrungen wurden (z.B. Intermediary Bourgeoisie, Bildungsbürgertum und Freiberufler oder Angestellte der Mittelschicht, Arbeiterschaft u. a. m.). Durch den wirtschaftlichen Aufstieg einer großen Zahl von Menschen wurden
die alten Grenzen zwischen den Schichten sehr viel poröser. Geld überwand gewiss nicht alle Grenzen (viel Geld
half allerdings schon); Zugehörigkeit zu einer bestimm-
ten Familie sowie Konfessionszugehörigkeit blieben weiterhin Faktoren, die die soziale Stellung mitbestimmten.
Die Eingliederung von Aufsteigern aus der Intermediary
Bourgeoisie in die altetablierte Schicht der aʿyān oder alḫāṣṣa von Beirut kann und muss als eine Erfolgsgeschichte
sozialer Integration gesehen werden; aber auch sie lief gewiss nicht ohne Widerstände und Widerwillen ab. Selbst diese etablierte Schicht konnte sich ihrer angestammten Position nicht mehr so sicher sein wie früher und musste sich nolens volens an die veränderten Verhältnisse anpassen, um ihre Position zu verteidigen. Bourdieus Annahme, dass eine
solche Klasse (bei ihm die Bourgeoisie) ihre Maßstäbe durchsetze und sich Fremdem nicht anpasse, gilt daher in unserem
Zusammenhang weniger als sein Zusatz, dass Mitglieder der
herrschenden Klasse auf der Flucht vor Aufsteigern ihre Symbole stets erneuern müssten. Auch in den etablierten Oberschichten Beiruts gab es – um Bourdieus Worte aufzugreifen – eine „interne Dynamik der Lebensstile“.
In der Frage nach den oben erwähnten Kräften und Zwängen, die für die Entwicklung der Wohnarchitektur und
Wohnkultur Beiruts als treibende Kräfte erforderlich gewesen sein müssen, kann daher an dieser Stelle schon recht
deutlich auf den doppelten gesellschaftlichen Druck in
Richtung Anpassung und Distinktion verwiesen werden,
dem die Individuen, Familien und Bevölkerungsgruppen
der Stadt im Kontext des sozialen Umwälzungsprozesses
jener Zeit ausgesetzt waren. Dies erforderte und förderte
notwendigerweise einen kulturellen Anpassungsprozess
im Sinne neuer Selbstdefinitionen und neuer Mittel und
Formen ihres Ausdrucks, eine Umorientierung bezüglich
sozialer und kultureller Normen und Symbole, sowie eine Neuorientierung bezüglich der Lebens- und Wohnstile.
Eine Aufrechterhaltung der altbewährten Lebensformen
und ihre Durchsetzung auch bei den Zuwanderern und
Aufsteigern war eine nur wenig geeignete Option. Selbst
wenn man den alteingesessenen Eliten auch weiterhin –
aufgrund ihres „Heimvorteils“ und ihrer gesellschaftlichen Position – eine gewisse kulturelle Definitionsmacht
zusprechen muss, so muss doch berücksichtigt werden,
dass die gewachsenen soziokulturellen Milieus, in denen
Traditionen, ohne hinterfragt zu werden, reproduziert werden konnten, für die Alteingesessenen und Etablierten zunehmend aufbrachen und für die Zuwanderer und Aufsteiger ohnehin verloren waren. So entstand eine Empfänglichkeit und ein Bedarf für neue Formen und Mittel,
mit denen soziale Zugehörigkeit und soziale Unterschiede geschaffen, aufrechterhalten und für alle sichtbar und
verständlich ausgedrückt werden konnten.
41
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Als Vorbilder für diese neuen Formen und Mittel eigneten sich allerdings nur solche, die bekannt und verfügbar
waren, die von allen relevanten Akteuren und Adressaten
als legitime Vorbilder anerkannt wurden, und deren Ansehen man sich deshalb zunutze machen konnte. Dies führt
uns zwangsläufig zu der Frage: Wer oder was waren diese wirkungsmächtigen Vorbilder im Beirut des 19. Jahrhunderts? Wer, jenseits der lokalen Eliten, besaß eine übergeordnete kulturelle Definitionsmacht?
2.3 Umstrittene Europäisierung,
selbstverständliche Osmanisierung
Der beschriebene Wandel im Inneren der städtischen Gesellschaft Beiruts fiel zusammen mit einer Öffnung der kulturellen Horizonte, die nicht nur allgemein durch den sich intensivierenden Fluss von Gütern, Menschen und Ideen zwischen Beirut und anderen Zentren des osmanischen Reiches
sowie Europa bedingt war, sondern ganz konkret auch durch
die neuartige Präsenz von Vertretern osmanischer und europäischer Macht- und Kulturzentren in Beirut selbst.
Dazu gehörte einerseits, ab 1832, die in Beirut völlig neuartige Gegenwart von zunächst ägyptischen und dann osmanischen Verwaltungs- und Militäreliten sowie von neuen städtischen Verwaltungsstrukturen, durch welche die
lokalen Eliten anders als zuvor direkt in zentralstaatliche
Institutionen eingebunden wurden und sich folglich auch
mit diesen Institutionen und ihrer Modernisierungspolitik stärker identifizieren konnten. Andererseits gehörte dazu die für die Stadt ebenfalls neue Präsenz von Europäern, die sich – verstärkt ab den 1840ern – in der Stadt auf
längere Zeit niederließen, und dies vor dem Hintergrund
einer global zunehmenden politischen, wirtschaftlichen
und kulturellen Einflussmacht europäischer Staaten.
Auf die Zusammensetzung und Rolle der beiden Gruppen
– den „osmanischen“ und den „europäischen“ – wird nachfolgend im Einzelnen zurückzukommen sein. Da das Erklärungsmodell der „Europäisierung“ und insbesondere
der „Nachahmung“ europäischer Sitten bislang in der Literatur eine zentrale Rolle zur Erklärung der kulturellen
und architektonischen Veränderungen im Beirut des 19.
Jahrhunderts spielt, sind jedoch zuerst einige vorbereitende Ausführungen nötig, die uns mit den damaligen
Wahrnehmungen dieses kulturellen Wandels vertrauter
machen können.
Zunächst ist dabei festzustellen, dass die innergesellschaftliche Bedingtheit der kulturellen Veränderungs- und
Anpassungsprozesse und ihre enge Verbindung mit Dis-
tinktionsbedürfnissen seinerzeit nicht unbemerkt blieben.
Sie veranlasste schon 1869 einen kritischen Zeitgenossen,
den Beiruter Intellektuellen und Publizisten Buṭrus alBustānī (Abb. 8), sich in einer Abhandlung über die Beiruter Gesellschaft und Sitten im Ost-West-Vergleich Gedanken über die Gründe für eine Veränderung von Sitten
und Gewohnheiten zu machen:
Es ist unstreitig, dass die meisten Sitten und Gewohnheiten (ʿādāt) – besonders die durch Mode und Geschmack
bedingten – einen Zwangscharakter und keinen freiwilligen Charakter haben, denn wir werden wohl selten sehen,
dass eine Sitte in einer Gruppe als das Ergebnis einer gemeinschaftlich beschlossenen Übereinkunft in dieser Sache üblich würde. Vielmehr werden die meisten Sitten unvorhergesehen unter den Leuten üblich, und der Einzelne
ist gezwungen, ihnen nolens volens zu folgen, aus Angst,
andernfalls mit der Allgemeinheit im Widerspruch zu stehen. Freilich entsteht eine Sitte meistens allmählich und
schrittweise, nicht mit einem Schlag.
Die Sitte, die aus der Nachahmung (taqlīd) entsteht, ist
schon eher von freiwilligem oder optionalem Charakter.
Sie resultiert manchmal daraus, dass sie für gut befunden
wird, manchmal aus dem Verlangen einer Person oder
Gruppe, einer anderen Person oder Gruppe zu ähneln, oder
manchmal aus dem Verlangen nach Anderssein/ Abgrenzung (muḍādda) – so wie beispielsweise jemand eine alte Sitte aufgibt, weil diese von einer Person oder Gruppe
befolgt wird, die sozial niedriger steht als er selbst, und
er danach strebt, eine andere, neue Sitte anzunehmen, die
ihn sichtbar und augenfällig von jener Person oder Gruppe abhebt. Dementsprechend sehen wir, dass viele der in
Beirut üblichen Sitten ein Ergebnis blinder Übernahme
sind, so zum Beispiel einige der Sitten, die sie von den
Europäern (ifranǧ) übernommen haben, ohne dass sie einen Grund wüssten, warum sie diese Sitten annehmen, außer der bloßen Tatsache, dass sie europäisch sind, und dies
ohne Rücksicht darauf, ob sie für sie nützlich sind oder
nicht oder ob sie bei ihren Landsleuten akzeptiert oder
verhasst sind. Die meisten Sitten, die von den Beirutern
(ahālī Bayrūt) aufgegeben werden, werden allein deswegen aufgegeben, weil sie mit den Bergbewohnern (ahālī
al-ǧabal) assoziiert werden, [...] oder weil das Abstoßende dieser Sitten erkannt wird, sobald sie bei anderen beobachtet werden.125
Das Phänomen der Europäisierung (at-tafarnuǧ), sei es
als erstrebenswertes Ziel, als Schreckgespenst oder als
Zielscheibe des Spotts, war bekanntermaßen ein Modethema in der arabischen und osmanischen Literatur und
Presse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – und ist es
als „Verwestlichung“ (at-taġarrub) noch heute.126 Bustānīs
42
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Argumentation macht jedoch deutlich, dass das Schlaglicht der Aufmerksamkeit, das allerseits auf at-tafarnuǧ
gerichtet wurden, andere, vielleicht ebenso wichtige gesellschaftliche Phänomene im Dunkeln ließ: nämlich in
diesem Falle die Stadt-Land-Gegensätze, die Geringschätzung, die viele Beiruter gegenüber allem zeigten,
was nach Land oder Bergen roch, sowie die ideologische
Assoziation der Stadt mit Fortschritt (taqaddum) und Zivilisation (tamaddun) und der Berge mit Rückständigkeit.
Bustānī verknüpft das Phänomen des kulturellen Wandels
und der Europäisierung in Beirut kausal mit der Migration aus den Bergen in die Stadt und mit sozialem Aufstieg
– also genau jenem Zusammenspiel von Anpassungsdruck, Abgrenzungsbedürfnis und Statusangst, von dem
vorangehend die Rede war. Da Bustānī selbst ein Zuwanderer und sozialer Aufsteiger war – er stammte aus
dem Bergdorf Dbayyé (ad-Dubbayya) und war als junger
Mann nach Beirut gegangen – mochte er aus persönlicher
Erfahrung sprechen. Umso bezeichnender ist es daher, zu
sehen, wie sehr er selber die Geringschätzung gegenüber
den Sitten der Bergbewohner schon internalisiert und sich
in einen selbstbewussten, städtischen Beiruter verwandelt hatte, und auch, mit welcher Selbstverständlichkeit
er sein Diktum über diese Sitten gibt – eine Selbstverständlichkeit, die den Eindruck erweckt, dass er sich mit
seinen Lesern einig wusste. Welchem Spott und Druck
man als Bergbewohner in Beirut (und anderen Küstenstädten) ausgesetzt war, das scheint in veröffentlichten
Lebenserinnerungen und Memoiren gelegentlich durch,
aber selten in so ausdrücklicher und analytischer Form
wie bei Bustānī.127 Ebenso kritisch – aber nicht grundsätzlich ablehnend – war seine Haltung gegenüber einer
Europäisierung. Wie Albert Hourani es treffend zusammenfasst, war Bustānī sich mit anderen nahḍa-Intellektuellen darin einig, dass europäische Sitten anzunehmen,
nur weil sie fremd seien, genauso absurd sei, wie sie abzulehnen, nur weil sie fremd seien; sie sollten aufgrund
ihrer jeweiligen Qualitäten angenommen oder abgelehnt
werden.128
In der Tat waren – wie sich in Bustānīs Bemerkung zur Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz der neuen Sitten bei den
Landsleuten andeutet – diejenigen unter den Zuwanderern,
die sich durch betont „europäisches“ Gehabe einen Platz in
der Beiruter Gesellschaft zu erkämpfen versuchten, damit
keineswegs automatisch erfolgreich. Ganz in diesem Sinne
mokiert sich der Anfang der 1880er Jahre im Beiruter Exil
lebende ägyptische Azhar-Gelehrte Šayḫ Muḥammad alQāyātī darüber, wie christliche und andere Zuwanderer,
Abb. 8
Buṭrus al-Bustānī
(1819–1883).
...die in arabischen Ländern geboren und aufgezogen wurden, ja womöglich sogar zum Bauernvolk und den Bergbewohnern (ahl al-fallāḥa wa-sukkān Ǧabal Lubnān) zählen,
in die Stadt kommen, dort Handelsgeschäfte betreiben und
dadurch reich werden, und sich in kürzester Zeit nach dem
Vorbild der fränkischen Sitten verwandeln und sich Villen
im Stil der fränkischen Länder errichten.129
Diese Bemerkung ist in mehrfacher Hinsicht interessant.
Denn einerseits deutet sich hier an, dass es gerade die neureichen Zuwanderer und Aufsteiger aus bescheidenen Verhältnissen gewesen sein könnten, die vorbehaltloser und
ostentativer als andere Beiruter „fränkische“ Sitten und
Formen übernahmen. Man könnte sie in ihrem Verhaltensmuster mit Bourdieus „Kleinbürgertum“ vergleichen,
welches sich penetrant vom Konformismus abhebt, wobei ihre durch die Umstände bedingte Stilunsicherheit sich
allerdings darin ausdrückt, dass sie allzu vorbehaltlos einem alternativen Vorbild nacheifern. Die Bemerkung wirft
andererseits ein wichtiges Licht auf die Widerstände, die
es gegen diese Art der Europäisierung gab, und auf die
komplexen Motivationen dieser Widerstände. al-Qāyātīs
Kritik kann als eine seltene Innenansicht eines Diskurses
verstanden werden, der seinerzeit in jenen Beiruter Kreisen geläufig gewesen sein mag, in denen er während seines Aufenthalts in Beirut verkehrte: nämlich den Kreisen
der städtischen sunnitischen Notabeln und ʿulamā’, von
denen einige seine ehemaligen Studienkollegen von der
Azhar in Kairo waren. Man kann in diesen Worten ganz
deutlich die ablehnende Haltung von Etablierten gegenüber Parvenüs und Neureichen spüren, eine Haltung, in
43
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
der auch Missgunst und Statusängste mitschwingen. Denn
der Stein des Anstoßes war nicht allein, dass Araber sich
wie Europäer gebärdeten, sondern auch, dass neureiche
Bauern sich nun protzige Villen bauten. Diese Haltung
spiegelt sich vielleicht nirgends besser wider als in dem
wahrscheinlich etwas später entstandenen Beiruter Sprichwort: „Bauer bleibt Bauer, auch wenn er die Suppe mit
der Gabel isst.“130 Der von Bustānī beschriebene städtische Akkulturationsprozess, in dem der wirtschaftlich erfolgreiche Zuwanderer seine verachteten Bergsitten durch
europäische Sitten (oder was danach aussah) ersetzte, war
unvermeidlich eine Gratwanderung, bei der ein „Bauer“
schnell vom Regen in die Traufe kommen konnte, wenn er
es in den Augen anderer übertrieb.
Diese Ablehnung gegenüber der Anmaßung oder Angeberei, die offensichtlich mit ostentativ europäisierten Sitten
assoziiert wurde, beschränkte sich in Beirut keineswegs nur
auf etablierte sunnitische Kreise. Denn in den Lebenserinnerungen des Journalisten und Schriftstellers Ǧurǧī Zaydān
(1861–1914), der in Beirut als Sohn einer griechisch-orthodoxen Zuwandererfamilie aufwuchs, wird der Vater in
einer Diskussion mit der Mutter über die Erziehung des
Sohnes in den 1870ern mit der Bemerkung zitiert:
It is better not to exaggerate with education which would
only make him into some westernized dandy, mutafarniǧ,
who eats only with fork and knife – and perhaps it will occur to him to wear Frankish clothes”. (Those clothes were
rare at the time and no Syrian would wear them with the exception of high officials in consulates and similar places.
To eat with fork and knife was still counted as one of the
elegant habits of westernization, tafarnuǧ.) My father did
not say this because of his distaste for civilization but because he liked to guard the Eastern habits and hated the artificiality or pretension of Europeanized appearance.131
Konservatismus – insbesondere verstanden als Widerstreben gegen die Übernahme fränkischer Sitten – war also durchaus verbreitet, und er fand sich auch bei aufstrebenden christlichen Zuwandererfamilien aus bescheidenen Verhältnissen. Wenn vorangehend von einem Anpassungs- und Distinktionsdruck die Rede war, der einen
fruchtbaren Boden für Neuerungen bereitete, so zeigt sich
hier, dass es gleichzeitig einen gewissen Drang und Zwang
zum Konservatismus gab – der natürlich auch seinerseits
als Ausdruck eines Zugehörigkeitsgefühls und als Bekenntnis zu gemeinsamen Werten fungierte. Die Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wurde, wurde dabei in
den vorangehenden Zitaten so groß und umfassend wie
irgend möglich gewählt („Eastern“, „arabisch“), und das
ihr kontrastierend gegenüber gestellte „Andere“ ist das
„Fränkische“, Europäische. Die gemeinschaftsstiftende
Absicht solcher kulturellen Abgrenzungsdiskurse ist offensichtlich. Allerdings war der Diskurs das eine und die
Wohnpraxis etwas anderes: Schon in Ǧurǧī Zaydāns sehr
bescheidenem Elternhaus gab es in den 1870ern einen Esstisch. Diese Neuerung europäischer Herkunft konnte demnach problemlos auch in solchen Familien akzeptiert werden, die sich selbst als konservativ verstanden.
Al-Qāyātīs oben zitierte Kritik ist in einer weiteren Hinsicht sehr bemerkenswert: Er spricht davon, wie sich der
reich gewordene und europäisierte Zuwanderer „eine Villa
im Stil der fränkischen Länder“ – „qaṣran ʿalā ṭarz bilād alifranǧ“ – baut. Anders als es auf den ersten Blick erscheinen mag, kann diese Kritik nicht gegen das Mittelhallenhaus als Haus- oder Grundrisstyp gerichtet gewesen sein.
Denn wie aus einer anderen Stelle seiner Erinnerungen klar
hervorgeht, wohnte al-Qāyātī selbst in einem Mittelhallenhaus, das damals (Anfang der 1880er) eben erst neu errichtet
worden war, und das er mit spürbarem Gefallen als eine
„munter-frische ḥāra“ beschreibt.132 Einige seiner Beiruter Bekannten und Gastgeber wohnten ebenfalls in solchen
Häusern – unter ihnen die Beyhums und die Hamadés, die
besonders große und prachtvolle Mittelhallenhäuser mit
Dreibogenfenstern und Ziegeldächern ihr eigen nannten,
und er hatte offenbar auch in diesen Fällen keinen Anlass,
sich darüber zu mokieren, dass es sich um „Villen im Stil der
fränkischen Länder“ handele.
Worin bestand der Unterschied? In der Tatsache, dass es in
diesen Fällen städtische sunnitische Notabeln waren und
nicht neureiche christliche Bauern, die die Häuser errichtet hatten? Oder darin, dass es nicht um die Bauweise und
den Grundriss der Häuser ging, sondern um bestimmte äußere Merkmale, z.B. die Fassadengestaltung und der Bauschmuck, oder ihre Einrichtungsweise? In Teil II und III
dieser Arbeit wird deutlich, dass die 1870er und 1880er
in Beirut tatsächlich eine stärkere Verbreitung „europäischer“ Dekor- und Einrichtungsformen in den Wohnhäusern zeitigten, und vielleicht waren es einige besonders
auffällige Beispiele dieser Art, die al-Qāyātī im Sinn hatte. Das Mittelhallenhaus als Typ wurde aber offenbar nicht
grundsätzlich als „fränkisch“ wahrgenommen, sondern als
etwas weit weniger Fremdes, das viel selbstverständlicher
akzeptiert werden konnte. Hierbei hat – um es vorwegzunehmen – die damals noch unbestrittene osmanische Herkunft dieses Haustyps sicherlich eine große Rolle gespielt.
Mit Blick auf die Frage, welche Vorbilder denn für die
kulturelle Neuorientierung der oberen Schichten Beiruts in
44
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abb. 9
Ausschnitt aus dem Stadtplan von Beirut von 1876 (dem sogenannten „Löytved-Plan“). Der Plan ist gesüdet (o. M., im Original
1:12.200). Der blassrot eingefärbte Bereich in der Bildmitte markiert die Altstadt. Die umliegenden Vorstadtquartiere mit ihren
Häusern und Gärten sind relativ detailliert wiedergegeben.
Frage kamen, lässt sich also feststellen, dass das „Fränkische“ bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
ein durchaus umstrittenes Vorbild war. Die sichtbare Übernahme europäischer, als „fremd“ wahrgenommener Formen und Sitten blieb lange Zeit eine heikle Gratwanderung und war daher als Mittel der gesellschaftlichen Positionierung nur sehr bedingt geeignet. Unproblematischer
und länger bewährt war hingegen die Übernahme osmanischer Formen, die von den relevanten Akteuren und
Adressaten in der Stadt – einschließlich der eher konservativen Schicht der etablierten Notabeln – sehr viel mehr
als etwas „Eigenes“ im weiteren Sinne wahrgenommen
und verstanden werden konnten. Wenn man sich bei der
Wahl der Mittel gesellschaftlicher Distinktion die osmanischen Eliten zum Vorbild nahm, konnte man sehr viel
eher mit dem (Ein-) Verständnis der relevanten Adressaten dieser symbolischen Botschaft rechnen. Neben der im
Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden, aber umstrittenen
Europäisierung konnte also ein schon früher einsetzender
und sehr nachhaltiger Prozess einer eher stillschweigenden
und selbstverständlichen Osmanisierung stattfinden.
Dabei ist festzustellen, dass die Rolle der osmanischen
Eliten als Vorbild für die Beiruter Wohn- und Alltagskultur im 19. Jahrhundert in der diesbezüglichen Forschung
bislang eher unterbelichtet ist. Das kann wohl zum Teil
als eine Nebenwirkung einer stark auf Nationalgeschich45
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
te, Konfessionalismus und Europäisierung fokussierenden historischen Forschung gesehen werden. Es kann auch
zum Teil dadurch erklärt werden, dass der europäische
Einfluss den osmanischen im Laufe des späteren 19. Jahrhunderts in seiner sichtbaren Wahrnehmbarkeit zunehmend überstrahlte – und dies auch deswegen, weil mit der
weiter zunehmenden Modernisierung und „Europäisierung“ der osmanischen Elitenkultur selbst auch die Unterscheidbarkeit zwischen osmanischen und europäischen
Einflüssen abnahm, sodass der osmanische Einfluss, selbst
wenn er weiter wirkte, immer schwerer als solcher auszumachen war. Schließlich kann diese Vernachlässigung
der osmanischen Vorbildrolle sicherlich auch auf den
schlechten Ruf zurückgeführt werden, der den atrāk (Türken) im kollektiven Gedächtnis der Libanesen anhaftet,
besonders nach den enttäuschten Hoffnungen der Jungtürkenzeit und mehr noch infolge der brutalen osmanischen Militärherrschaft während des Ersten Weltkriegs.
Es ist ein ungeliebtes Erbe. Die enge Verflechtung des oft
konstatierten Europäisierungsprozesses mit einem Prozess der Osmanisierung der Wohn- und Lebensstile wird
häufig ausgeblendet.
Zeitzeugnisse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts machen
jedoch ganz deutlich, dass die Vorbildrolle der osmanischen
Eliten damals noch viel selbstverständlicher und unbelasteter wahrgenommen wurde. So bemerkt Ḥabīb Rizq Allāh
in seiner Lebens- und Landesbeschreibung von 1854, dass
es in den vorangegangenen Jahren – also seit den späteren
1840ern – große „zivilisatorische Fortschritte“ hinsichtlich
der Bewegungsfreiheit von Frauen gegeben habe, die zurückzuführen seien auf „the examples set by the sultan’s ladies themselves at Stamboul, and by the increase of European ladies at Beyrout and other towns in Syria“.133 Auch in
der Kleidungsmode gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrfache Veränderungen, die jedes Mal deutlich
durch Istanbul als Vorbild inspiriert waren: Die sogenannte niẓāmī-Mode, eine Neuerung des frühen 19. Jahrhunderts, wurde im Osmanischen Reich und in Ägypten während des zweiten Viertels des Jahrhunderts durch die sogenannte istanbūlī-Mode abgelöst, die ihrerseits größere Ähnlichkeit mit europäischer Kleidung aufwies.134
Eine Orientierung an der osmanischen Hof- und Elitenkultur war also auch in der Mitte des 19. Jahrhunderts für lokale Eliten im gesamten osmanischen Reich selbstverständlich und natürlich keineswegs neu. Und wie sich in
den beiden Beobachtungen andeutet, haben wir es in Beirut zu jener Zeit mit einem beginnenden und sehr komplexen Zusammenwirken von osmanischen und europäischen
Einflüssen zu tun. Wenn wir außerdem berücksichtigen,
dass Rizq Allāh an anderer Stelle erwähnt, dass er – der in
den 1830ern die amerikanische Missionsschule in Beirut
besucht hatte – seine ersten Eindrücke von europäischen
Sitten erst später in Malta gewann (anlässlich seiner ersten
Reise von Beirut nach England im Jahr 1841), so wird auch
deutlich, dass ein direkter Einfluss europäischer Sitten und
Kultur in Beirut überhaupt erst im Laufe der 1840er mit der
beginnenden Präsenz von Europäern einsetzen konnte, und
auch dann erst langsam seine Wirkungsmacht – im weiteren Zusammenspiel mit osmanischen Einflüssen – entfalten konnte.135 Wir müssen uns also von der Idee lösen, dass
die Veränderungen von Alltagspraktiken, Lebensstil, Wohnstil und Geschmack, die sich im 19. Jahrhundert in Beirut
(und in anderen großen Provinzstädten des osmanischen
Reichs) beobachten lassen, sich allein oder vor allem als
eine Neuorientierung in Richtung Europa erklären lassen,
und müssen dem „osmanischen Faktor“ für große Teile des
19. Jahrhunderts viel größeres Gewicht einräumen.136
Diese Feststellung ist für das Verständnis der Entwicklung der Wohnhausarchitektur und Wohnkultur Beiruts
von großer Bedeutung: In den späten 1840ern oder frühen 1850ern, als die ersten in Quellen nachweisbaren Mittelhallenhäuser in Beirut errichtet wurden, konnte der europäische Einfluss auf die Gesellschaft der Stadt und ihre Alltagskultur bei weitem noch nicht hinreichend wirksam gewesen sein, um die Ausbildung dieser neuen Hausund Wohnform lokaler Eliten maßgeblich zu beeinflussen. Dagegen lassen sich, wie in Teil II und III gezeigt
wird, an den Beiruter Wohnhäusern des 19. Jahrhunderts
tatsächlich fortwährende und sehr maßgebliche Einflüsse
der Wohnarchitektur osmanischer Eliten aufzeigen.
Die Wege und Kanäle, über die solche kulturellen Einflüsse
– seien sie osmanische, europäische oder andere – in der
Beiruter Gesellschaft wirksam wurden, waren selbstverständlich vielfältig. Kurz umrissen wären erstens Erfahrungen zu nennen, die von Beirutern erster Hand während kürzerer oder längerer Aufenthalte in europäischen Ländern,
an bestimmten Orten im Mittelmeerraum (man denke an
Rizq Allāhs Malta- und England-Erfahrung, aber auch an
Alexandria im späteren 19. Jahrhundert) und in Zentren
osmanischer Hof- und Elitenkultur wie Istanbul oder Kairo gemacht wurden; zweitens die Vermittlung über mediterrane Netzwerke, besonders Familiennetzwerke, in denen Angehörige ein- und derselben Familie die Handelsgeschäfte der Familie in verschiedenen Hafen- und Handelsstädten im Mittelmeerraum und darüber hinaus (oft
z.B. in England) betrieben; und drittens Erfahrungen vor
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Ort in Beirut durch den Kontakt mit den dort ansässigen
Angehörigen der osmanischen Militär- und Verwaltungseliten und den Europäern, eine Erfahrung, die auch eine
direkte Begegnung mit deren Lebens- und Wohnstilen einschloss – und zwar in der Form, wie sie unter Beiruter Gegebenheiten realisiert und gelebt werden konnten. Schließlich wären auch Druckerzeugnisse (Bücher, Zeitschriften,
Bildmaterial) zu nennen, die mit der Verbreitung des Druckwesens im Nahen Osten und mit dem stark zunehmenden
Handelsvolumen vermehrt als Informations- und Inspirationsquelle zur Verfügung stehen konnten.
Anders als im vorangegangenen Jahrhundert, als die osmanische Herrschaft in der Region indirekt durch – häufig
recht unabhängig agierende – Angehörige lokaler Eliten
ausgeübt wurde, wurde die Staatsgewalt in den Provinzen
im Zuge der Zentralisierungs- und Modernisierungspolitik
der tanẓīmāt-Zeit (beginnend 1826 und verstärkt ab 1839)
von osmanischen Militär- und Verwaltungseliten leitend
vertreten. Diese Militärs und Verwaltungsbeamten hatten
eine zentrale Ausbildung durchlaufen – oft durch europäische Berater oder durch Entsendung in europäische Länder –, und waren überhaupt stark in der sich zunehmend
modernisierenden und europäisierenden osmanischen Elitenkultur akkulturiert, worin Istanbul den Provinzen (mit
Ausnahme Ägyptens) um Jahrzehnte voraus war. Bedingt
durch das osmanische Rekrutierungssystem konnten diese
Amtsträger im Übrigen auch europäischer Herkunft sein.
Einige von ihnen blieben auch nach Ablauf ihrer Amtszeit
mit Familie in Beirut. Wenn sie nicht kaserniert waren, so
wohnten sie in der Regel in angemieteten Häusern oder
Wohnungen in direkter Nachbarschaft zu den Einheimischen. Wie Jens Hanssen erläutert, überlappten sie als gesellschaftliche Gruppe besonders in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts zunehmend mit Teilen der einheimischen
Bevölkerung. Manche heiraten die Töchter lokaler Notabeln, und ein wachsende Anzahl Einheimischer aus den
Kreisen der Notabeln und der gesellschaftlichen Aufsteiger machte in zentralstaatlichen Institutionen Karriere. Als
der spätere Präsident der libanesischen Republik, Bechara
el-Khoury, im Jahr 1890 geboren wurden, öffnete er – so
schreibt er in seinen Memoiren – seine Augen auf ein „Meer
von Bürokraten“.137 Karrierewege und politisches Lobbying
führten viele Angehörige der Beiruter Eliten regelmäßig
nach Istanbul. Hinzu kommt, dass Beirut selbst nicht nur
als Provinzhauptstadt, sondern als Zentrum moderner osmanischer Kulturproduktion an eigener Bedeutung gewann,
dessen Attraktivität bis in die Reichshauptstadt ausstrahlte: Eine Anzahl von Söhnen hoher osmanischer Beamter
bis hin zu den Söhnen verschiedener Großwezire wurden
auf Beiruter Internatsschulen geschickt. Die Verflechtungen zwischen Beiruter Eliten und osmanischen Eliten waren folglich so vielschichtig, dass zwischen den beiden keine klare Trennlinie zu ziehen ist, sondern erstere als integraler Teil der zweiteren verstanden werden können.
Ähnliches gilt für die ägyptischen Militärs und Technokraten während der Besatzungszeit 1832–1840. Sie waren –
als Ergebnis der Reformpolitik Muḥammad ʿAlī Paschas –
zum Teil französisch, italienisch oder britisch ausgebildet;
zum Teil handelte es sich um ehemalige französische Offiziere, die in ägyptische Dienste übergetreten waren.138 Auch
wenn die Modernisierungspolitik Muḥammad ʿAlīs vor allem durch europäische Vorbilder und Berater bestimmt war,
war die kulturelle und geschmackliche Orientierung jedoch
sehr stark an der Istanbuler Hofkultur ausgerichtet, deren
Palast- und Wohnarchitektur – damals im charakteristischen
osmanischen Barock- und Empire-Stil – die Kairener Eliten nachahmten, oft mit Hilfe griechischer Baumeister aus
Istanbul.139 Es sollte auch nicht übersehen werden, dass der
Einfluss der ägyptischen Führungskräfte auf Beiruts Entwicklung die relativ kurze Besatzungszeit überdauerte. Einige der Wichtigsten von ihnen blieben auch nach Abzug
der ägyptischen Armee in Beirut, wurden in die lokale Notabelnschicht absorbiert, besetzten führende Ämter, in die
ihnen später sogar ihre Söhne nachfolgten, und errichteten
ihre eigenen Wohnhäuser.140 Im Gegenzug gingen Beiruter
oder spätere Einwohner Beiruts zur Ausbildung nach Kairo, und zwar nicht nur an die Azhar, sondern beispielsweise seit den 1830ern auch an die vom Franzosen Clot Bey
gegründete Medizinschule von Qaṣr al-ʿAynī, um anschließend wichtige Funktionen in Beirut zu übernehmen.141
Die in Beirut amtierenden oder ansässigen Vertreter der
ägyptischen und osmanischen Staatsgewalt sowie die in den
staatlichen Strukturen ausgebildeten Einheimischen können
somit in enger wechselseitiger Verflechtung als lokale Vermittler osmanischer Elitenkultur gewirkt haben – eine Kultur, welche ihrerseits auch schon europäische Einflüsse anverwandelt hatte, die so in ihrer spezifisch osmanischen Interpretation nach Beirut weitervermittelt werden konnten.
Das zweite potentielle Vorbild in Beirut waren die Ausländer. Diese Gruppe setzte sich aus Angehörigen verschiedenster Nationen vor allem europäischer, aber auch amerikanischer Herkunft zusammen, die sich in Beirut für längere Zeit oder dauerhaft als Unternehmer, Kaufleute, Konsuln,
Missionare, Ärzte, Lehrer, Hoteliers, Gastwirte, Ladenbesitzer, Handwerker und anderes mehr niederließen. Sie kamen teilweise mit Familie, und ihre Angehörigen heirateten
47
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 10
Stadtplan von Beirut aus dem Jahr 1904, mit den Namen ausgewählter Vorstadtgebiete. Der Plan ist gesüdet (o. M., im Original
1:24.500).
mitunter in einheimische Familien ein.142 Ihre Zuwanderung
setzte – wie auch Ḥabīb Rizq Allāh beobachtete – besonders ab 1840 ein, Mitte des Jahrhunderts betrug ihre Zahl
um die 400 und hatte zehn Jahre später schon auf 1000 zugenommen; allerdings betrug ihr Anteil an der Einwohnerschaft Beiruts bis zum Ersten Weltkrieg nie mehr als ein bis
drei Prozent; erst 1922 war er aufgrund der französischen
Mandatspräsenz auf 15 Prozent gestiegen.143 Sie wurden allgemein, ungeachtet ihrer nationalen Herkunft, als ifranǧ
(„Franken“, d.h. Europäer) bezeichnet – was darauf hindeutet, dass sie als eine zusammengehörige Gruppe von Ortsfremden wahrgenommen wurden und in gewissem Maße
die Rolle des gesellschaftlich „Anderen“ spielten.
Andererseits gibt es deutliche Hinweise, dass der Grad ihrer gesellschaftlichen Integration relativ hoch war und dies
– zumindest in bestimmten Kreisen – auch so wahrgenom-
men wurde. Buṭrus al-Bustānī ging in seinem 1869 publizierten soziologischen Essay über die Beiruter Gesellschaft
sogar so weit, sie schlichtweg zu den ahālī Bayrūt zu zählen – worunter er nicht einfach die Einwohnerschaft der
Stadt verstand, sondern so etwas wie die ansässige ‚Bürgerschaft’. Denn die ahālī Bayrūt setzten sich nach Bustānīs
Verständnis aus den Handwerkern, Kaufleuten, Immobilien- und Geschäftseigentümern sowie Notabeln der Stadt
zusammen, die unabhängig ihrer Herkunft durch gemeinsame politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen geeint waren und sich darin deutlich unterschieden
von den sogenannten awbāš, dem „Pöbel“.144 In Bustānīs
Diskurs spiegelt sich ganz ausdrücklich ein gleichsam bürgerliches, horizontal integrierendes, jedoch nach unten hin
ausgrenzendes Selbstverständnis der Beiruter Mittel- und
Oberschichten als Interessengemeinschaft wider.
48
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Wie tief dieses propagierte Selbstverständnis – und damit
auch die Integration der Ausländer – tatsächlich in die Realität des gesellschaftlichen Alltags hineinreichte, ist nicht
leicht festzustellen. Immerhin lässt sich für die städtisch-institutionelle Ebene beobachten, dass mit dem Österreicher
Georges Laurella und dem französischen Unternehmer Edmond de Perthuis zeitweise zwei Ausländer dem Stadtrat angehörten (allerdings nur, bis das neue osmanische Kommunalwahlrecht von 1877 die Kandidatur von nicht-osmanischen Staatsbürgern unterband), dass in Beirut registrierte
Ausländer angehalten waren, Kommunalsteuern zu zahlen
(was sie nicht immer taten), und dass sie, wie andere registrierte und steuerzahlende männliche Einwohner, das aktive Wahlrecht für Stadtratswahlen hatten.145 So gesehen waren solche „Ausländer“ im Sinne der politischen Partizipation zumindest für eine gewisse Zeit mehr „Beiruter“ als die
vielen zwar aus der Region stammenden, aber nicht registrierten Migranten in der Stadt. Auf der stadträumlichen Ebene lässt sich beobachten, dass es keine besonderen Quartiere gab, in denen die Ausländer sich konzentrierten, sondern
dass sie mit Einheimischen als Nachbarn in den gleichen
Stadt- und Vorstadtquartieren, häufig auch im gleichen Haus,
gelegentlich sogar in einer Wohnung wohnten, und dass sie
mit Einheimischen in engem gesellschaftlichen Verkehr standen.146 Darüber hinaus gab es im Arbeits- und Alltagsleben
zahlreiche Verflechtungen: ausländische Lehrer, Ärzte, Geschäftsleute, Missionare, Konsuln, Hoteliers, Gastwirte und
andere standen in ständigem Kontakt mit der lokalen Bevölkerung – über Geschäftspartnerschaften, Dienstleistungen, Schulbesuch, Angestelltenverhältnisse an Konsulaten
bis hin zum einheimischen Dienstpersonal in ausländischen
Haushalten und ausländischen Gouvernanten in Haushalten
der einheimischen Oberschicht.
In Anbetracht der oben angesprochenen Vielfalt der beruflichen und sozialen Hintergründe der ausländischen
Einwohnerschaft Beiruts muss allerdings auch betont werden, dass bei weitem nicht jeder Ausländer für Einheimische als nachahmenswertes Vorbild in Frage kam. Buṭrus
al-Bustānī warnte ausdrücklich, dass es auch unter den
Ausländern „Pöbel“ gäbe, das in Beirut Zuflucht gesucht
hätte und dort Frieden und Ordnung störte – womöglich
mit dem einheimischen „Pöbel“ als Komplizen.147
Diese räumliche und lebensweltliche Verflechtung zwischen Ausländern und Einheimischen wurde vom Historiker Eyüp Özveren als das charakteristische „foreign-local continuum“ bezeichnet, durch das sich Beirut von anderen Städten in der Region – auch anderen port-cities
wie Alexandria – unterschied.148 Im Zusammenwirken mit
den Geschäftsreisen und Auslandsaufenthalten von Beirutern gab es also zahlreiche Möglichkeiten für mehr als
nur oberflächliche Kontakte und für besseres wechselseitiges Kennenlernen, infolge derer die Ausländer, selbst
wenn sie anders waren und als „anders“ wahrgenommen
wurden, keine Fremden in einer ihnen fremden Umgebung waren. Özveren prägte für diese Verflechtung auch
den Begriff „transmission belt of westernization“. Aber
wie wir gesehen haben, darf die Wirkungskraft dieses
„Übertragungsriemens“ im mittleren 19. Jahrhundert nicht
überschätzt werden. Parallel dazu kann man von dem bis
zum Ersten Weltkrieg sehr zugkräftigen Übertragungsriemen der Osmanisierung sprechen, die seine Kräfte im
Räderwerk der Beiruter Gesellschaft an vielen Stellen sehr
viel widerstandsfreier übertragen konnte. Erst mit dem
Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und dem Beginn der französischen Mandatszeit änderten sich diese
Kräfteverhältnisse – und mithin auch die Wahrnehmung
der vorherigen osmanischen Einflüsse.
Dies also war das gesellschaftliche und kulturelle Kräftefeld, in den der Wandel in der Wohnarchitektur und Wohnkultur Beiruts von der Mitte des 19. bis zum ersten Viertel des 20. Jahrhunderts historisch einzuordnen ist. Es sollte nicht überraschen, dass die Ober- und Mittelschichten
der Stadt auf der ihrer Suche nach wirksamen Mitteln der
sozialen Positionierung und Distinktion diese je nach
schicht- und gruppenspezifischen Bedürfnissen und im
Rahmen des Verfügbaren und Akzeptierbaren aus der sich
ihnen bietenden, entscheidend erweiterten Palette auswählten und sich zu ihren Zwecken aneigneten.
2.4 Urbane und architektonische
Veränderungen
Das demographische und wirtschaftliche Wachstum Beiruts führte schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
dazu, dass die Stadt, die über Jahrhunderte hinweg auf den
kleinen Bereich innerhalb ihrer Stadtmauern beschränkt geblieben war, begann, sich in die Gärten ihres Umlands auszudehnen. Damit begann ein Prozess der Besiedlung, Urbanisierung und ständigen Nachverdichtung des Umlands,
der noch heute anhält und längst die Hänge des Libanongebirges erfasst hat.
Dauerhaftes Wohnen hatte es bis zum frühen 19. Jahrhundert in den Bereichen extra muros kaum gegeben – wohl
auch, weil die allgemeine Sicherheit für Leib und Besitz außerhalb der Mauern nicht hinreichend gewährleistet war.
Allerdings gab es schon länger Hütten und kleine Häuschen
49
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in den Gärten um die Stadt, errichtet aus Holz, in Sandsteinmauerwerk oder als Gewölbebau, deren Nutzung mit
der Seidenraupenzucht, dem Obstanbau und der Gartenkultur zusammenhing. Neben dieser landwirtschaftlichen
Nutzung entwickelte sich – trotz der noch problematischen
Sicherheitslage – spätestens in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Nutzung von Häusern als
zumindest temporäre Wohnsitze für wohlhabende Beiruter,
als Sommerhäuser oder Landhäuser. Während der ägyptischen Besatzungszeit 1832–1840, und mehr noch nach der
osmanischen Rückeroberung, erleichterte es die erheblich
verbesserte Sicherheitslage, dass sich immer mehr wohlhabende Beiruter in dauerhafterer Form in den Gärten außerhalb der Stadt niederlassen konnten. Vorhandene ältere
Gebäude wurden für Wohnzwecke ausgebaut, neue Häuser
wurden errichtet. Schon in den 1830ern überschritt der Bedarf an Baumaterial, Maurern und Bauhandwerkern das Angebot. In den 1850ern wurde das Umland schon als stark
besiedelt beschrieben, und während der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts wuchsen und verdichteten sich die neuen
Vororte stetig.149 (Abb. 9, 10)
2.4.1 Die Altstadthäuser
Die alten Häuser in der Altstadt wurden von ihren vormaligen Bewohnern, die ins Umland zogen, oft vermietet oder
verkauft. Und es war weniger in den entstehenden Vorstädten als vielmehr in der Altstadt, wo viele der Zuwanderer – zumindest bis zu den großen Flüchtlingswellen –
zunächst ihr neues Zuhause fanden. Die alten Hofhäuser
der Beiruter Altstadt sind uns in ihrem Aussehen eigentlich
nur aus Gerichtsakten, Reisebeschreibungen und in frühen
historischen Photographien überliefert. (Abb. 11) In vergleichbarer Form sind solche Häuser heute noch in Küstenstädten wie Sidon und Tripolis erhalten. Die Häuser wurden allgemein dār genannt und besaßen in der Regel ein
gewölbtes, meist für gewerbliche Zwecke oder als Lagerraum genutztes Erdgeschoss. Der für das städtische arabische Hofhaus typische offene Innenhof (lokal als fasḥa oder
fasḥa samāwiyya bezeichnet) lag daher in sonst eher untypischer Weise oft im ersten Obergeschoss. Um ihn herum
gruppierten sich ein offener īwān (im lokalen Sprachgebrauch meist līwān genannt) sowie Wohn- und Schlafräume (genannt ūḍa, murabbaʿ, sakan oder makān), Küche und
Abb. 11
Die Altstadt von Beirut in einer Aufnahme aus den 1880ern. Der Kontrast zwischen den kleinteiligen Flachdachbauten der Altstadt (im Vordergrund) und den Neubauten südöstlich der Stadt auf dem Hügel von Achrafieh (im Hintergrund) ist deutlich.
50
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abort. Die Dachterrasse darüber war durch hohe Brüstungsmauern so gut es ging vor den Blicken der Nachbarn
abgeschirmt. Oft gab es auf der Dachterrasse noch einen
zusätzlichen, ʿaliyye genannten Raum, der besonders im
schwül-heißen Sommerklima als Aufenthaltsraum dienen
konnte; gegebenenfalls gab es hier noch weitere Räume.
Nicht alle Häuser besaßen einen Innenhof, manche hatten
stattdessen nur einen īwān, oder eine als riwāq bezeichnete offene Galerie. Wie in historischen Photographien und
Zeichnungen zu erkennen ist, verfügten einige Häuser im
frühen 19. Jahrhundert im Obergeschoss über auskragende, durchfensterte Erker, die den Bewohnern einen Ausblick auf die Straße oder das Meer boten. Sie hatten die typische Form eines osmanischen köşk mit stark hinausgezogenem Traufüberhang und Bleideckung, und können so
als ein deutliches Zeichen des Wohlstands und einer Orientierung am osmanischen Geschmack verstanden werden
(Abb. 12). Manche größere Häuser verfügten außerdem
über ein separates Gästehaus, genannt dār al-manzūl, welches den Beschreibungen nach in der unmittelbaren Nachbarschaft des eigentlichen Wohnhauses lag und einen eigenen Eingang von der Straße her, einen eigenen Hof, līwān
etc. besaß.150 Es gestattete die Unterbringung von Besuchern, Gästen und Reisenden, ohne die häusliche Sphäre
des eigentlichen Wohnhauses zu stören. Diese Einrichtung
lässt sich später – jedoch in räumlich integrierter und veränderter Form – auch in den Mittelhallenhäusern finden.
Insbesondere ab den 1840ern lassen sich an den Häusern der
Altstadt verstärkt Aufstockungen, Einbauten und Unterteilungen beobachten, die mit der beträchtlichen Verdichtung
der Bevölkerung in Zusammenhang gebracht werden können.
Die Bauhöhe nahm zu, dreigeschossige und manchmal turmartig aussehende Gebäude charakterisierten das Stadtbild, und
gleichzeitig wurden auch bis dahin verbliebene Gartenflächen,
die 1840 immerhin noch ein Viertel der Fläche intra muros
ausmachten, zunehmend überbaut.151 Einige Beschreibungen
europäischer Reisender aus den 1830ern bis 1850ern können
gut illustrieren, wie Wohnhäuser in der Altstadt seinerzeit aussahen. So schreibt der Brite Louis Farley 1859:
The entrance is by an arched doorway and somewhat narrow passage, up a long flight of steps which enter upon a
large court open to the air...This court is paved with marble, and round it are the principal sitting rooms, over which
are the bedrooms.152
Eine Beschreibung aus den 1830ern berichtet:
Wir begaben uns zum Haus des treuen Jean Brindisy, welches in der Gasse Herat el-recif [Ḥārat ar-Raṣīf] liegt. Das
besagte Haus besteht aus einem Obergeschoss, das einen Hof
Abb. 12
Häuser der Altstadt. Lithographie von ca. 1827.
einschließt, drei Zimmer, die einen Blick auf die Straße haben und vom Hof her zugänglich sind, ein viertes Zimmer,
ein Diwan [im franz. Original: „divan“], eine Küche, ein
kleiner Speicherraum, und ein kleiner Raum, der ebenfalls
vom Hof her zugänglich ist und Zutritt zur Latrine gibt.153
Édouard Blondel, der 1838 in Beirut weilte, gibt eine ausführliche Beschreibung:
Türen, die so niedrig sind, dass sogar eine Person mittlerer Größe sich bücken muss, um hindurchzugehen, geben
Zutritt zum Haus. Nachdem man gewundenen und dunklen Gängen gefolgt ist, ist man angenehm überrascht, in
hübsche quadratische Höfe zu gelangen, hell und mit Marmorplatten aus Italien ausgelegt. Die verschiedenfarbigen
Platten bilden Mosaike und sind mit einer bemerkenswerten Reinlichkeit sauber gehalten. Vom Hof aus betritt man
die Zimmer, durch Türen, die derart zufällig platziert sind,
dass es scheint, man hätte sich Mühe gegeben, alles zu vermeiden, was den geringsten Anschein von Regelmäßigkeit geben könnte. […]
51
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Die Häuser verfügen üblicherweise über nicht mehr als drei
Zimmer, jedes von ihnen nimmt eine Seite des Hofes ein.
Sie stehen miteinander nur von außen in Verbindung, so
dass man den Hof überqueren muss, um von einem in das
andere zu gelangen. Obwohl dieses System äußerst unbequem ist, insbesondere während der regnerischen Jahreszeit, hat niemand es ändern wollen. Die Väter haben so gebaut, warum also sollten die Kinder es ändern? Die vierte
Seite des Quadrats, das der Hof bildet, wird von einem großen, offenen Bogen eingenommen und Diwan [auch hier
im franz. Original „divan“, gemeint ist offenkundig der īwān
oder līwān] genannt, und dort hält man sich in der Hitze des
Sommers auf, um im Schatten frische Luft zu atmen.
Der Boden der Zimmer besteht aus eine Mischung aus Sand
und Kalk, übersäht mit kleinen Kieseln, und zu einer einheitlichen und ebenen Oberfläche gestampft. […] Die wohlhabenden Einwohner haben überall in ihren Zimmern ägyptische Flechtmatten aus Palmblättern, auf denen man im
Winter reiche Teppiche ausbreitet. Die Fenster sind klein
und schmal, und setzen schon wenige Zollbreit über dem
Fußboden an. Der Wind bläst nach Belieben durch die groben hölzernen Fensterläden, die den einzigen Fensterverschluss bilden. Mehrere Reisende haben sich irrtümlicherweise eingebildet, dass Zedernholz häufig beim Bau eingesetzt würde. Was mich angeht, habe ich davon nichts gesehen: Zedern sind in Beirut so rar wie in Europa. Gemeinhin verwendet man Pinienholz; es ist das einzige, das
das Land produziert. Verglaste Fenster sind ein unbekannter Luxus bei den Einheimischen. Einige Europäer haben
sich davon welche für ihre Häuser kommen lassen. Das ist
nicht überflüssig, gerade im Winter, wenn es regnet, wenn
die Kälte stechend wird und wenn einem das absolute Fehlen von Kaminen und Öfen jeder Möglichkeit beraubt, Feuer zu machen.
Im Innen wie im Äußeren bleiben die Mauern der Häuser
gänzlich unverputzt; man beschränkt sich darauf, sie mit
Kalk zu weißen. Anstelle von Dächern sind alle Häuser
von Beirut mit massiven Terrassen aus Erde bedeckt. Sie
dienen als Promenade, man breitet dort die Wäsche aus,
viele haben eine bewundernswerte Aussicht, und im Sommer, wenn die 45 Grad heißen Sonnenstrahlen das Innere
der Wohnungen wie einen Ofen aufgeheizt haben, lässt jeder sich sein Bett auf die Terrasse tragen, um dort die ganze Frische auszunutzen, die die Nacht bringt.
Die Möblierung der Wohnungen besteht allein aus großen
Matratzen, die auf der Erde ausgebreitet werden und, von
einem Baumwoll- oder Teppichstoff bedeckt, entlang der
Wände des Zimmers laufen. Manchmal fügt man Kissen
hinzu, um sich anzulehnen. Den Betten, Stühlen, Tischen
und andere Möbeln Europas ist noch nicht die Ehre zuteil
geworden, die Nacktheit dieser Bruchbuden ein bisschen
maskieren zu dürfen.
Wenn der Abend kommt, breitet man eine Matratze am
Boden aus, um sich schlafen zu legen, und man wirft ein
Laken darüber, auf dessen einer Seite die Bettdecke angenäht ist. Ein Moskitonetz aus Musselin hängt in Form
einer Glocke von der Decke, bedeckt das improvisierte
Lager und schützt den Schlafenden vor Insektenstichen.
Vor Sonnenaufgang ist alle Welt auf den Beinen, die Matratzen und Decken werden weggeräumt und in Schränken
verstaut.
Die Küchen sind allerorten nur enge, dunkle, schmutzige
Gelasse, die nichts Gutes erwarten lassen bezüglich dessen,
was da zubereitet wird. Einige Töpfe und Kessel verschiedener Größe, ein Kaffeetopf aus Weißblech, ein großer Mörser aus Stein, ein oder zwei Wasserkrüge aus rotem Ton, die
in den Öffnungen eines Holzbretts stehen, das zu diesem
Zweck in der Mauer eingelassen ist; außerdem zwei oder
drei Weißblechplatten mit Rand, die die Aufgabe unserer
Teller erfüllen; das ist mehr oder weniger das Inventar der
Küchenausstattung eines syrischen Haushaltes.154
Zu Blondels sehr anschaulicher Beschreibung ließe sich
der Fairness halber ergänzen, dass gewiss nicht alle Häuser nackte Bruchbuden waren. Farley beispielsweise erwähnt schöne Boiserien und Wandschränke aus Zedernholz im Inneren mancher Räume, und Gérard de Nerval
meinte 1842 „Höfe und Interieurs, die im venezianischen
Stil gebaut sind“, zu sehen – eine Aussage, die bei genauerer Betrachtung mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet, aber gewiss als Hinweis auf eine reiche, dekorative Ausstattung verstanden werden kann, die im Inneren
mancher wohlhabender Häuser der Altstadt zu finden
war.155
2.4.2 Häuser außerhalb der Altstadt
Der Bevölkerungszuwachs in der Stadt – und möglicherweise auch der mit dem aufblühenden Handel zunehmende Bedarf an Gewerbe- und Lagerraum – mag schon in
den 1840ern zu einer Wohnraumknappheit in der Altstadt
geführt haben und muss sicherlich als wichtiger Push-Faktor für die Auszug aus der Stadt in das Umland gesehen
werden. Aber der Trend zu Sommerhäusern oder Landhäusern in den Gärten außerhalb der Mauern ist schon
zwei oder drei Jahrzehnte früher nachweisbar und muss
daher wohl auch – und zunächst vor allem – auf einen
Wandel der Wohnbedürfnisse und Wohnideale der wohlhabenden Beiruter zurückgeführt werden. Die Hintergründe sind bislang nicht wirklich erforscht. Ein weiterer
Push-Faktor könnten Probleme mit dem Schutz der häuslichen Privatheit in der städtischen Bebauungsstruktur gewesen sein. Dass es wegen der Enge und der Bauhöhen
52
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
in der Altstadt immer wieder Probleme damit gab, den Innenhof und die häusliche Sphäre vor den Blicken und Ohren der Nachbarn zu schützen, davon geben uns verschiedene Quellen Auskunft. Lewis Farley frohlockte darüber: „Die unserem Haus benachbarten Häuser mit ihren
offenen Innenhöfen geben uns die einmalige Gelegenheit,
bessere Bekanntschaft mit dem Intimleben der Syrer zu
machen.“156 Aber auch ein sich wandelndes Verhältnis zur
Umwelt, der Wunsch nach größeren Abständen zwischen
den Häusern und einer engeren Verbindung von Haus, Garten und Ausblick auf die Landschaft mag als Pull-Faktor
eine Rolle gespielt haben. Dieser Wandel fügt sich gut in
einen allgemeineren Trend, der sich bei den Oberschichten des osmanischen Reiches seit dem 18. Jahrhundert beobachten lässt.157
Die Bedeutung, die dem neuen Außenbezug des Hauses
beigemessen wurde, spiegelt sich in der Weise, wie
Muḥammad al-Qāyātī in den 1880ern den Auszug der Beiruter in die Gärten beschrieb:
Abb. 13
Häuser im Umland von Beirut in einer Zeichnung von Elise de
Perthuis von 1854.
Der Bereich außerhalb der Stadtmauern wurde vormals
von Gärten und Bäumen eingenommen, und als man in
den Bereich außerhalb der Mauern ziehen und dort bauen
wollten, ging jeder in seinen Garten und fällte seine Bäume, und errichtete in seiner Mitte das, was sie eine ḥāra
nennen. Das Ergebnis war wunderschön, denn sie [die
ḥāra] war von Bäumen umgeben, auf die du blicken konntest, die Blüten und Früchte zum Greifen nah.158
Die „graziösen Villen“, die schon Anfang der 1850er von
einem französischen Reisenden „zu Hunderten“ inmitten
der üppigen Vegetation aus Maulbeerplantagen, Zitrusbäumen, Kakteenhecken, Johannisbrotbäumen und anderen Bäumen beobachtet wurden, waren freilich zunächst keine Mittelhallenhäuser, sondern traten in verschiedenen Bauformen
auf.159 Die kleineren Häuser bestanden in der Regel aus einer kleinen Anzahl kubischer Räume, mit Terrassendächern
und manchmal auch ʿaliyye-artigen Aufbauten versehen. Sie
erhielten oft ein turmähnliches Aussehen. So schrieb die
Wienerin Ida Pfeiffer Anfang der 1840er: „[D]ie Häuser in
der ganzen Gegend haben dieselbe Bauart, an jedes ist ein
Thurm angebaut, in welchem sich ein bewohnbares Zimmer befindet.“160 Viele dieser kleinen – und manchmal sehr
kleinen – Häuser waren keine „Villen“, also Land- oder Sommerhäuser von Städtern, sondern einfache Unterkünfte für
die Bauern und Pächter, die die Gärten und Plantagen bewirtschafteten. Vorstädtisches Villenleben und bäuerliches
Landleben entwickelten sich seit dem frühen 19. Jahrhundert – an manchen Stellen bis in frühe 20. Jahrhundert – in
einer flickenteppichartigen Nachbarschaft zueinander. (Abb.
Abb. 14
Ländliches Haus in den Gärten von Ras Beirut westlich der
Altstadt, etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts.
13, 14) Ebenfalls Anfang der 1840er berichtet Gérard de
Nerval über etwas größere Häuser:
La plupart de ces demeures, situées au milieu des jardins,
étagées sur toute la côte le long des terrasses plantées de
mûriers, ont l’air de petits manoirs féodaux bâties solidement en pierre brune, avec des ogives et des arceaux. Des escaliers extérieurs conduisent aux différents étages dont chacun a sa terrasse jusqu’à celle qui domine tout l’édifice, et
où les familles se réunissent le soir pour jouir de la vue du
golfe.161
Von ähnlichen „Villen“, die er 1844 den Hängen von Ras
Beirut westlich der Altstadt besuchte, berichtet Charles
Reynaud, dass sie über einen hübschen kleinen „Salon“
verfügten, ausgestattet mit Matten und umgeben von ei53
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
nem weiß bezogenem Diwan. Dort sei es, wo man Freunde oder Fremde empfange.162
Eine der häufiger anzutreffenden Bauformen für etwas größere, mindestens aus drei Wohnräumen bestehende Häuser
war die, bei dem ein mittig angeordneter līwān von zwei
Räumen (oft murabbaʿ genannt) flankiert wird, vor denen
ein Vorhof oder Garten liegt. In einer älteren Form mögen
die līwāne noch gänzlich zu diesem Vorhof hin offen gewesen sein. Spätestens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine Form nachweisen, bei der der rückwärtige Bereich des līwāns mit einer Wand abgeteilt war
und so einen eigenen, geschlossenen Raum mit etwa quadratischem Grundriss bildete, der sich durch eine Tür und
flankierende Fenster auf den überdachten und zum Hof hin
offenen vorderen Bereich öffnete. Der Begriff līwān bezeichnete nunmehr den geschlossenen Raum. Solche līwānHäuser im Beiruter Umland waren, abhängig von ihrer Größe und Ausstattung, durchaus schon Ausdruck eines gehobenen sozialen Status’ ihrer Bewohner. Ähnlich wie die anderen Häuser konnten sie nach Bedarf durch den Anbau
weiterer Räume – üblicherweise entlang beider Seiten des
Vorhofs – oder durch Hinzufügung von Obergeschossräumen (ʿaliyye) vergrößert werden. Zudem konnten mit einem līwān kombinierte Räume auch als Obergeschoss auf
bestehenden, gegebenenfalls gewölbten Erdgeschossräumen errichtet werden, wobei der Vorhof durch die freibleibende Dachterrasse gebildet wurde. Die verschiedenen Bauformen der Häuser extra muros setzten sich aus Elementen
zusammen, die in verschiedener Weise kombiniert werden
konnten. Auf diese Art und Weise konnten die Häuser nach
Bedarf „wachsen“ und den Wohn- und Statusbedürfnissen
der Bewohner angepasst werden, und viele līwān-Häuser
konnten später sogar relativ einfach in Mittelhallenhäuser
verwandelt werden.163 Eine Art Hofhaus-Grundriss im ersten Obergeschoss – vergleichbar den Altstadthäusern – ist
für ein Haus extra muros durch eine Beschreibung John
Carnes aus den 1820ern überliefert:
Being recommended to the house of M. Massaad [Masʿad]
a native, I proceeded thither and ascending a flight of steps,
entered a small paved court with apartments all around it.
My abode here would have pleased the most fastidious
taste: the apartment had three windows in front, which
looked over the town and gardens and Mount Lebanon at
three miles distance, its interior summit covered with snow
and the windows in the end looked over the bay.164
Dieses Haus war also eigentlich das Obergeschoss eines
zweigeschossigen Baus, dessen Erdgeschoss vermutlich
für andere Zwecke genutzt wurde. Die Bedeutung, die ei-
ne hinreichende Zahl von Außenfenstern und ein guter
Ausblick bei diesen größeren Landhäusern hatten, ist offensichtlich. Der starke visuelle Bezug nach außen war
jedoch in einen räumlichen Kontext eingebunden, der in
seiner Erschließungsstruktur nach innen auf den Hof ausgerichtet blieb.
Von einem besonders herrschaftlichen Haus berichtet Alphonse de Lamartine aus den frühen 1830ern; es muss also
schon vor der ägyptischen Besatzung errichtet worden sein
und ist damit ein sehr frühes überliefertes Beispiel eines
großen Sommer- oder Landhauses der Beiruter Oberschicht,
in diesem Falle eines reichen sunnitischen Kaufmanns:
Il y a, sur une langue de terre à gauche de la ville, une des
plus délicieuses habitations que l’on puisse désirer au monde: […] Elle s’élève au milieu d’un jardin très vaste, planté de cèdres, d’orangers, de vignes, de figuiers, et arrosé par
une belle fontaine d’eau de roche ; la mer l’entoure de deux
côtés, et l’écume vient baigner le pied des murs...[...]
Tous les murs sont revêtus des marbres admirablement
sculptés, ou de boiseries de cèdre du plus riche travail ; de
jets d’eau éternels murmurent au milieu des pièces du rezde-chaussée, et des balcons grillés et saillants, qui font le
tour des étages supérieurs, permettent aux femmes de passer, sans être vues, les jours et les nuits en plein air, et d’enivrer leurs regards du spectacle admirable de la mer, des
montagnes, et des scènes animées du port.165
Es handelte sich demnach um ein dreigeschossiges Haus,
das direkt vom Meer stand und von einem üppigen Garten
umgeben war. Seine Empfangsräume im Erdgeschoss waren prachtvoll dekoriert, die Familienwohnräume in den
Obergeschossen waren auf allen Seiten mit holzvergitterten Balkonen oder Erkern ausgestattet, die Ausblick gewährten, doch vor Einblick schützten.166 Zudem gab es einen Gartenpavillon. Eine neue Form des Wohnens für die
städtische Beiruter Oberschicht hatte also schon um 1830
ganz deutlich Form angenommen: ein Haus außerhalb der
Stadt, freistehend in einem Garten, eingebettet in die Landschaft in einer Weise, die gute Aussicht und gute Sichtbarkeit gewährte, und auf die Zurschaustellung von Wohlstand
angelegt. Die familiäre Privatheit war – viel besser und angenehmer als in der Altstadt – durch räumlichen Abstand,
Garten und Holzgitterwerk in mehreren Stufen geschützt;
gleichzeitig bot die allseitige Befensterung auf allen Geschossen reichlich Blick nach außen und sorgte zudem für
eine exzellente Durchlüftung und Kühlung. Ob dieses Haus
über einen līwān verfügte, sei es im Erdgeschoss oder im
Obergeschoss, erfahren wir nicht. Die Grundrissstruktur
bleibt unklar; aber die Details in Lamartines Beschreibung
54
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
der Erdgeschossräume erinnern zumindest an qāʿa-Anlagen von Damaszener Hofhäusern jener Zeit, mit einem
Lauf- oder Springbrunnen in der Mitte, die Wände dekoriert mit reich bemalten Boiserien sowie – als besonderes
Merkmal, das auf direkte Damaszener Einflüsse hinweist
– „des marbres admirablement sculptés“167 Eine solche Orientierung an damals aktuellen Damaszener Dekortechniken war, wie auch in den Fallstudien im Teil II dieser Arbeit
gezeigt wird, noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Beiruter Oberschichten en vogue.168
Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass, anders als in der
Literatur bislang postuliert, europäische Vorbilder für diese Art der freistehenden Anordnung der Häuser in Gartengrundstücken kaum maßgeblich gewesen sein können.
Friedrich Ragette irrte sich in der historischen Datierung
und relativen Chronologie, als er bezüglich des Endes des
19. Jahrhunderts (und nicht des Anfangs) schrieb:
In towns the villa principle of siting was introduced, placing the building in the middle of the lot and considering
all elevations of having more or less equal importance.
The existence in traditional Lebanese architecture of a detached multi-level house, namely the house with central
hall, offered at this stage an opportunity to maintain a local model under western siting conditions…Countries that
had previously built in the cluster fashion, grouping houses around open spaces, had to turn to imported western
models at this stage for their villa designs.169
Wie gezeigt, wurde das „Villa-Prinzip“ freistehender
Wohnhäuser schon in den ersten beiden Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts in Beirut eingeführt, zu einer Zeit, als es
Mittelhallenhäuser noch nicht gab – weder in Beirut noch
allgemein im Repertoire einer „traditionellen libanesischen Architektur“, wie Ragette behauptet. Die beiden
Phänomene „Mittelhallenhaus“ und „Villa-Prinzip“ müssen also in Beirut als separate Entwicklungsschritte betrachtet werden, und das Phänomen des „Villa-Prinzips“
ging dem Mittelhallenhaus zeitlich voraus. In Umkehrung
von Ragettes Erklärungsmodell sollte man also von neu
entstandenen lokalen (nicht westlichen) „siting conditions“ sprechen, die den Boden für die Einführung des Mittelhallenhauses bereiteten.
Angesichts des frühen Auftretens dieses Phänomens in Beirut muss auch der Erklärungsansatz von May Davie in Zweifel gestellt werden, wonach die wohlhabenden Beiruter Familien, die ihre Häuser im Grünen oder entlang der Küste
errichteten, damit eine neue, durch die europäische Romantik inspirierte Ästhetik ausdrücken wollten.170 Eine solche Inspiration drückte sich deutlich in den Beschreibun-
gen der europäischen Reisenden aus, aber ob die Beiruter,
die solche Häuser erbauten, damals schon so maßgeblich
von der europäischen Romantik beeinflusst waren, ist eher
unwahrscheinlich. Die Erbauer mögen in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts vor allem einem Trend gefolgt sein,
der – wie weiter oben festgestellt – in anderen Städten des
osmanischen Reiches schon im 18. Jahrhundert eingesetzt
hatte, und einige reiche Beiruter Kaufleute machten es den
übrigen durch besonders schicke Sommer- oder Landhäuser vor. Finanzkräftige Zuwanderer und Aufsteiger, die ihr
Vermögen ebenfalls in Grundstücken extra muros zu investieren begannen, zogen bald nach.171
2.4.3 Mittelhallenhäuser in Beirut
Zu der oben beschriebenen Vielfalt und Variabilität der Bauformen der Häuser extra muros, die hauptsächlich mit schon
bekannten Elementen operierte, gesellte sich um die Mitte
des 19. Jahrhunderts eine weitere Form: die des Mittelhallenhauses. Die frühesten bekannten Beschreibungen und
Zeichnungen von Mittelhallenhäusern sind von May Davie
zusammengestellt worden und datieren aus den frühen
1850ern.172 Die Häuser könnten daher möglicherweise schon
in den späteren 1840ern errichtet worden sein. Die vielleicht
früheste bekannte Beschreibung eines solchen Hauses
stammt aus dem Jahr 1853 und wurde von Madame Elise
de Perthuis verfasst, der Ehefrau des in Beirut niedergelassenen französischen Unternehmers Edmond de Perthuis:
Nous montons un escalier étroit et raide et nous nous trouvons dans la grande salle, ou cour intérieure couverte, dont
les grandes fenêtres à ogives sont au nord. Nous jouissons
de là d’une vue sur la campagne et la mer d’une saisissante beauté. Le salon est attendant à cette salle, il a trois
croisés au nord et autant à l’ouest d’où la vue est également belle et variée, ainsi que vis-à-vis du cabinet de [...]
et de son balcon à l’est de la maison. Ma chambre se trouve à l’ouest après le salon. Nous ne nous lassons pas d’aller d’une pièce à l’autre pour admirer ces belles vues.173
Eine offensichtlich dominante Charakteristik dieses Hauses waren, genau wie bei den vorangehend beschriebenen,
etwas älteren Häusern, seine vielfachen Bezüge zum Außenraum, die abwechslungsreichen Ausblicke über die
Landschaft und das Meer. Neu war, dass dieses Haus keinen offenen Hof bzw. offene Terrasse oder offenen līwān
mehr hatte. Anstelle des Hofes gab es eine große überdachte Halle („grande salle, ou cour intérieure couverte“)
mit großen Spitzbogenöffnungen auf ihrer Nordseite; auf
ihren übrigen drei Seiten war sie von Räumen umgeben,
die von dieser Halle her erschlossen waren. Auf der West55
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 15
Ein frühes Mittelhallenhaus: Das Haus La Ferté in einer
Zeichnung von Elise de Perthuis von 1854.
seite der Halle lag nach Norden hin der sogenannte Salon,
dessen zahlreiche Fenster – jeweils drei je Außenwand –
nach Norden und Westen gingen. Südlich daran schloss
sich das Zimmer von Madame de Perthuis an, gegenüber
lagen weitere Zimmer, sämtlich gut befenstert, und eines
– offenbar das nördlichste der Zimmer auf der Ostseite,
hier „cabinet“ genannt174 – war auch mit einem „balcon“
versehen (wobei nicht völlig sicher ist, ob damit nicht auch
eine kleine Terrasse oder Galerie gemeint sein könnte).
Beschrieben wird nur das Obergeschoss, das über eine
Treppe zu erreichen war. Wie das Erdgeschoss in diesem
Falle aussah und wofür es genutzt wurde, bleibt offen.
Einige dieser frühesten belegten Mittelhallenhäuser ist uns
durch die Zeichnungen von Madame de Perthuis aus den
1850ern und durch frühe Photographien von etwa 1860
überliefert; keines dieser Häuser steht heute noch. Dazu gehörten das Haus La Ferté in Ras Beirut (Abb. 15) und zunächst ein, später zwei Häuser auf der Ras Mudawwar genannten Klippe im Osten der Altstadt, von denen sicher eines, möglicherweise beide der Familie Mudawwar gehörten (Abb. 16, 17); ein weiteres, aber kleineres Beispiel, belegt durch ein Photo von 1860, ist das Haus Henri Sauvaire im Quartier Bab Idriss westlich der Altstadt. (Abb. 18)
Die genannten Häuser waren wahrscheinlich nicht die ersten oder einzigen ihrer Art in Beirut. Es verdankt sich dem
historischen Zufall, oder der Tatsache, dass diese Häuser
jemandem gehörten, der dem beschreibenden oder photographierenden Ausländer bekannt war, dass gerade diese
Häuser uns überliefert sind. Panoramaaufnahmen der Stadt
vom Ende der 1850er zeigen jedenfalls schon eine größere
Anzahl sehr ähnlicher Häuser.175
Die charakteristischen Merkmale dieser frühen Exemplare
sind ein zweigeschossiger, ausgeprägt kubischer Baukörper und ein abgestuftes Flachdach, bei dem das Flachdach
der Mittelhalle die umliegenden Dachbereiche deutlich
überragt. Die höhere Mittelhalle besitzt damit eine Art Obergaden, der mit einer umlaufenden Reihe von Rundfenstern
Abb. 16
Das Haus Mudawwar, ein
weiteres frühes Mittelhallenhaus, in einer Zeichnung
von Elise de Perthuis von
etwa 1860.
56
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abb. 17
Zwei frühe Mittelhallenhäuser am Ras Mudawwar östlich der Altstadt, in einer Aufnahme von 1860.
(qamariyye genannt) im oberen Wandbereich versehen ist,
durch die das Innere der Halle zusätzlich belichtet wurde
und eventuell – falls die meist farbig verglasten Verschlüsse überhaupt zu öffnen waren – auch belüftet werden konnte. Auf der Nordseite besaßen die Mittelhallen der Obergeschosse entweder ein großes Zweibogenfenster mit gedrückten Spitzbögen bzw. – wie bei einem der MudawwarHäuser – einen einzelnen Bogen über drei hochrechteckigen
Fenstern.176 Dieser Häuser hatten noch keine Ziegeldächer
und auch noch keine Dreibogenfenster, beides Elemente,
die später so charakteristisch für die Beiruter Mittelhallenhäuser werden sollten. Auch den Balkon, der später typi-
scherweise der Mittelhalle im Obergeschoss vorgelagert
war, gab es noch nicht. Stattdessen hatten beispielsweise
die Mudawwar-Häuser einen in der Hauptfassade seitlich
positionierten Balkon, der somit jenem die Mittelhalle flankierenden Raum vorgelagert war, den Madame de Perthuis
in ihrer Beschreibung eines anderen Hauses als Salon bezeichnete. Sehr charakteristisch waren an diesen Häusern
die horizontalen Reihen regelmäßig und eng gesetzter Fenster, die zusammen mit den jeweils darüber angeordneten,
kleinen, hochrechteckigen und holzvergitterten Oberlichtern die Fassaden gliederten. Die Fenster selbst waren mit
massiven hölzernen Fensterläden verschließbar; die später
Abb. 18
Das von Henri Sauvaire gemietete Haus
westlich der Altstadt, in einer Aufnahme von
1860.
57
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
typischen Lamellenläden sind erst ab den 1860ern nachweisbar. Auch waren die Fenster – zumindest auf den Photos von 1860 – schon mit verglasten Hebefenstern verschlossen; die später üblichen Zweiflügelfenster sind erst
ab den späteren 1860ern nachweisbar. Auf Sturzhöhe der
Fenster verlief ein flaches Gesims entlang der Außenfassaden, das die hohen Geschosse etwa auf halber Höhe optisch
unterteilte und gleichzeitig als Fensterverdachung diente.
Diese Art der Fassadengliederung mittels Fensterreihen und
Gesims lässt sich teilweise auch schon an älteren Häusern
intra und extra muros beobachten; die neuen Mittelhallenhäuser der Jahrhundertmitte stehen in dieser Tradition, prägen sie jedoch durch ihre großflächigen Fassaden deutlicher und regelmäßiger aus.
Bei den Erdgeschossen der beschriebenen Häuser lässt sich
allerdings nicht mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich schon
Mittelhallengrundrisse aufweisen; sie sind mutmaßlich etwas älter als die Obergeschosse und besitzen in den meisten Fällen auf der Nordseite einen großen offenen Bogen
in der Art eines īwāns. Ob wir es hier mit „verlängerten“
und aufgestockten līwān-Häusern zu tun haben, oder schon
mit eventuell gewölbten, vollwertigen Mittelhallenstrukturen, wie sie in den 1850ern ebenfalls auftreten, muss offen bleiben. Zwei der ältesten, heute noch erhaltenen Mittelhallenhäuser Beiruts, die in den Fallbeispielen dieser
Arbeit vorgestellt werden und sich in die 1850er datieren
lassen, besitzen solche gewölbten Erdgeschosse mit ausformuliertem Mittelhallengrundriss.177
Ein wichtiges Merkmal der neuen Mittelhallenhäuser war,
dass sie sich hinsichtlich ihrer Grundriss- und Erschließungsstruktur ohne grundsätzlichen Bruch in die Tradition
der Zentralraumstruktur einfügten, wie sie schon in den älteren Hofhäusern existierte. Sie unterscheiden sich darin –
zumindest in ihrer frühen Form – nicht maßgeblich von Häusern, bei denen die Räume um einen Innenhof liegen. Nicht
zufällig ist eine der immer wieder geäußerten Thesen zur
Entstehung der Mittelhallenhäuser, dass sie aus der Überdachung der Höfe entstanden sind, insbesondere der Höfe vormaliger līwān-Häuser, oder auch von Häusern, die eine Uförmig umbaute Hofanlage als Obergeschoss besaßen.178 In
der Tat lässt sich diese nachträgliche Überdachung bei einer
beträchtlichen Anzahl von Häusern anhand historischer Photos und des historischen Baubestands nachvollziehen. Trotz
dieser individuellen Fälle von Umbauten lassen sich aber
das Aufkommen und der Erfolg des Mittelhallenhauses als
Haustyp in Beirut so nicht hinreichend erklären.179
Denn schließlich bildet eine geschlossene Halle doch einen
ganz anders gearteten Raum als ein offener Hof; sie ließ sich
anders nutzen, architektonisch und dekorativ ganz anders
gestalten, und sie führte zu anders gearteten Beziehungen
zwischen zentralem Raum und umliegenden Räumen sowie
zwischen Innen und Außen. Dass Mitglieder der städtischen
Oberschicht nach Jahrhunderten des Wohnens in Hofhäusern begannen, geschlossene Hallen zu bevorzugen, weist
– da sich das Klima nicht geändert hatte und diese Überdachung auch vorher technisch möglich gewesen wäre – auf
einen Wandel der Vorstellungen vom standesgemäßen Wohnen, der Wohnideale und Wohnleitbilder hin. Dies ist ein
Wandel, der sich nicht aus einer quasi-selbstständigen, lokalen Evolution der Bauformen erklären lässt, sondern auf
gesellschaftliche Veränderungen, eine geschmackliche und
kulturelle Umorientierung und den Einfluss wirkungsmächtiger und angesehener Vorbilder verweist.
Ein Vorbild, an dem sich Angehörige der Beiruter Oberschicht ganz offenkundig orientierten, ist der Typus des
osmanischen orta sofa-Hauses („mittlere“ oder „zentrale“ sofa-Haus) mit ihrer betonten repräsentativen Halle
(sofa) als zentralem Element, den um die Halle herum angeordneten Räumen in symmetrischer Grundrissanlage,
wie sie in den Palästen, Ufervillen (yalı) und herrschaftlichen Wohnhäusern (konak) in und um Istanbul und der
Bosporusregion seit dem 18. Jahrhundert in Erscheinung
traten, seit dem frühen 19. Jahrhundert unter Muḥammad
ʿAlī Pascha auch in Kairo und Alexandria errichtet wurden und schließlich in anderen Städten und Provinzen des
Osmanischen Reiches seit der Jahrhundertmitte als repräsentativer Wohnhaustyp der Eliten in Mode kamen. Sie
wurden das Standardprinzip bei der Anlage herrschaftlicher Palast- und Wohnbauten im 19. Jahrhundert. In ihrer
einfacheren, kleineren und variableren Ausführung, so wie
sie in kleineren Stadthäusern in Istanbul und anderen urbanen Zentren des osmanischen Reichs in der zweiten
Jahrhunderthälfte üblich wurde, wird die Halle in der türkischsprachigen Forschung auch als iç sofa („innere“ sofa) bezeichnet.180 Die Mittelhallenhäuser, die um die Jahrhundertmitte in Beirut auftraten, lassen sich – wie in den
Fallstudien aufgezeigt wird – in vielfacher Hinsicht in diesen osmanischen Zusammenhang einordnen.
Etwa gleichzeitig wurde in Beirut zunächst auch mit anderen Modellen experimentiert, die sich ebenfalls mit osmanischen Vorbildern in Verbindung bringen lassen: So lassen sich in den 1850ern breitgelagerte Häuser mit vorgelagerter Galerie im Obergeschoss, jedoch ohne Mittelhalle
beobachten. Es gab – dem Bestand und historischen Photos
nach zu urteilen – im Beirut jener Zeit nur sehr wenige Häuser dieser Art. Sie weisen einerseits Gemeinsamkeiten mit
58
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Galerie-Häusern in den libanesischen Bergen auf, andererseits mit den so genannten diş sofa-Häusern (Häusern mit
verandaartig vorgelagerter offener sofa, im Türkischen auch
hayat genannt), die ein älterer Typ der osmanischen Wohnhäuser sind.181 (Abb. 19) Auffälligerweise tritt die vorgelagerte Galerie als neue Bauform bei Wohnhäusern auch in
anderen Städten der Region, beispielsweise Damaskus, etwa um die Jahrhundertmitte und damit zeitgleich mit den
Beiruter Galeriehäusern auf.182 In Beirut drückt auch dieser Haustyp ein Bestreben aus, das Haus auf das Umland,
insbesondere mit Blick auf das Meer, zu öffnen.
Es wird deutlich, dass man in den wohlhabenden Schichten Beiruts während des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts auf der Suche nach neuen, repräsentativen Hausund Wohnformen war, wobei man zunächst verschiedene
Richtungen einschlug und mit verschiedenen Lösungen
und Kombinationen experimentierte, bis sich das Mittelhallenhaus als Grundrisstyp durchsetzte und dabei die anderen Formen entweder verdrängte oder wichtige Elemente
von ihnen integrierte. So lassen sich beispielsweise in den
1860ern zahlreiche Beispiele großer Mittelhallenhäuser
finden, die eine die gesamte Breite der Hauptfassade einnehmende Galerie im Obergeschoss aufweisen, während
Galeriehäuser ohne Mittelhalle verschwanden.183
Es soll und kann hier nicht geklärt werden, wie genau das
Mittelhallenhaus zuerst seinen Weg nach Beirut fand. Es ist
jedenfalls nichts darüber bekannt, dass es in Beirut konakoder sarāy-Bauten (d.h. herrschaftliche Häuser oder palastartige Gebäude) gegeben hätte, die sich die ägyptischen
oder osmanischen Herrscher der Stadt in den 1830ern oder
1840ern durch mitgebrachte Ingenieure oder Baumeister
hätten errichten lassen, und die den Einheimischen als lokales Anschauungsbeispiel hätten dienen können. Die Staatsbauten, die bekannt sind, sind die osmanische Kaserne (damals al-qišla genannt, der spätere „Grand Sérail“ und heutige Amtssitz des libanesischen Ministerpräsidenten), deren ersten zwei Geschosse 1853 errichtet wurden, und das
benachbarte Militärhospital, dessen erste Baustufen 1860
erbaut wurden. Als Inspiration für den Mittelhallengrundriss der Beiruter Häuser können sie jedoch wegen ihrer völlig andersgearteten Anlage und ihrer späten Erbauung nicht
gedient haben. Ihre langen, regelmäßigen Fensterreihen, die
so typisch für osmanische Staatsbauten und konaks des 19.
Jahrhunderts waren und daher als ein herrschaftliches Fassadenmotiv gelten müssen, können allenfalls verstärkend
auf eine Gestaltungsweise der Fassaden eingewirkt haben,
die es in Beiruter Wohnhäusern damals schon gab. Spätere
osmanische Amtsträger und Gouverneure residierten sämt-
Abb. 19
Ein Haus [AM 267] in der Rue Perthuis im Quartier Joumblat,
mit zugesetzter Bogengalerie im Erdgeschoss und hölzerner
Galerie im Obergeschoss, datierbar etwa in die Mitte des 19.
Jahrhunderts mit späteren Ergänzungen (Aufnahme 2006).
lich in schon existierenden herrschaftlichen Wohnhäusern,
die sie von Beiruter Eigentümern mieteten. Auch logierten
hohe osmanische Beamten und Mitglieder der Sultansfamilie, wenn sie Beirut besuchten, in Häusern, die ihnen von
reichen Beirutern zur Verfügung gestellt wurden – was natürlich auch den gesellschaftlichen Status der Gastgeber in
den Augen anderer Beiruter erhöhte.184 Es ist immerhin
denkbar, aber nicht nachgewiesen, dass sich ägyptische oder
osmanische Amtsträger, die in den 1830ern und 1840ern in
Beirut stationiert waren, bestehende Wohnhäuser, die sie
von Einheimischen anmieteten oder erwarben, nach dem
geltenden Istanbuler Geschmack umbauten, und dass auf
diese Weise „improvisierte“ orta sofa- oder iç sofa-Häuser
mit lokalen Grundbestandteilen geschaffen wurden, die anschließend anderen Beirutern als Vorbild für ihre eigenen
Häuser dienen konnten. Dabei könnten auch Ingenieure und
Bauleute, die Teil der Truppen waren, eine Rolle gespielt
59
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
haben. Gewiss darf auch nicht übersehen werden, dass es
schon seit dem frühen 19. Jahrhundert in Damaskus die ersten Mittelhallenhäuser für die osmanische Oberschicht und
Verwaltung gab, sodass eine direkte Inspiration durch diese damals auch in Beirut noch sehr einflussmächtige Nachbarstadt durchaus vorstellbar ist. Interessanterweise war in
Damaskus ein direkter Istanbuler und anatolischer Einfluss
sehr viel deutlicher ausgeprägt.185
Da uns in dieser Frage bislang weder schriftliche Quellen
noch der historische Baubestand den „Missing Link“ liefern
können, muss dies Spekulation bleiben. Sicher ist nur, dass
das neue Modell erstaunlich schnell Nachahmer fand, und
zwar ebenso unter wohlhabenden Beirutern wie unter ansässigen Ausländern – wie die oben erwähnten Häuser des
Beiruters Mudawwar und des Franzosen La Ferté zeigen.
Bezeichnenderweise gehörten zu den reichen Beirutern, die
sich dieses Modell schon in den 1850ern zu eigen machten, nicht nur die oft als „europafreundlich“ beschriebenen
Christen, sondern ebenso Muslime und Juden.186 Einer der
prominentesten unter ihnen war der schon erwähnte ʿAbdallāh Beyhum, der schon spätestens Ende der 1850er eines
der seinerzeit größten zweigeschossigen Mittelhallenhäuser der Stadt sein eigen nannte (Abb. 20).187 Der zu Beginn
dieser Arbeit zitierte Artikel aus der Zeitschrift al-Muqtaṭaf
von 1909 nennt unter den angesehenen Beirutern, die „vor
Abb. 20
Der Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum im Quartier Bab Idriss, in einer
Aufnahme aus den 1960ern.
40 oder 50 Jahren“ begannen, sich solche Häuser zu errichten, auch die Sunniten Beyhum, Hamadé (Ḥamāda) und
Ariss (al-ʿArīs). Aus der Zeit um 1860 datiert auch der heute abgängige qaṣr der sunnitischen Notabelnfamilie Daouk
(Dāʿūq) im Viertel Zokak el-Blat. (Abb. 21, 22) Die neue
Hausform wurde also sehr schnell als prestigeträchtiges
Wohnmodell von den Notabeln und der neuen merkantilen
Bourgeoisie unabhängig von ihrer Konfession adoptiert und
wurde zu einem begehrten, schichtspezifischen Mittel der
sozialen Distinktion. Dass eine so heterogen zusammengesetzte und sich in einem spannungsreichen sozialen Transformationsprozess befindliche städtische Oberschicht sich
so schnell auf einen relativ einheitlichen neuen Wohnhaustyp als gemeinschaftliches Modell einigen konnte,
spricht deutlich für die enorme Wirkungskraft des Istanbuler Vorbilds – sei es direkt oder indirekt – und für die kulturelle Definitionsmacht, die den osmanischen Eliten damals zugesprochen wurde. Die schnelle und breite Akzeptanz, die das neue Modell in Beirut fand, mag schließlich
auch darauf zurückzuführen sein, dass diese erst jüngst aufblühende Stadt auf keine ausgeprägte und bewusst kultivierte Tradition im Bau großer und repräsentativer Wohnhäuser zurückgreifen konnte – im Unterschied etwa zu Damaskus und Aleppo, wo das große städtische Hofhaus eine lange Tradition besaß und auch im 19. Jahrhundert der
wichtigste Leittyp der Wohnarchitektur auch für die Eliten
blieb, selbst wenn sich stilistisch und in der Grundrissstruktur manches änderte. In Beirut fing man eben erst an,
repräsentative Wohnhäuser im großen Stil und in großer
Zahl zu bauen, und man nutzte dafür große Gartengrundstücke außerhalb der Altstadtmauern. Unter diesen Bedingungen fiel das neue Modell auf fruchtbaren Boden.
Zahlreiche Photos aus der Sammlung Fouad Debbas, die
von 1859 und 1860 datieren, zeigen angesichts der Tatsache,
dass die ersten Mittelhallenhäuser erst Anfang der 1850er
belegt sind, eine geradezu erstaunliche Anzahl von Mittelhallenhäusern in den Vororten Beiruts: kleinere eingeschossige und große zweigeschossige Bauten, viele von ihnen mit Flachdächern und erhöhter Mittelhalle, wie sie vorangehend beschrieben wurden, einige von ihnen eingeschossige, quaderförmige Bauten mit durchgehendem
Flachdach, einige von ihnen auch schon mit ziegelgedeckten Walm- und Satteldächern, die sich als weitere, für die
Hauseigentümer sehr statusträchtige Neuerung schon in den
späten 1850ern zu verbreiten begannen (Abb. 23, 24).
Zwischen 1850 und 1860 fand demnach ein lokaler Prozess der Vervielfältigung und der rapiden Ausformulierung typischer Elemente mit einer gewissen Kombinati-
60
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Abb. 21
Qaṣr Daouk im Vorstadtquartier Zokak el-Blat. Ein zweiteiliges Walmdach mit Ziegeldeckung, der „Obergaden“ der überhöhten Mittelhalle mit seinen Okuli, die breiten, gekehlten
Traufgesimse und die Okuli (qamariyye) in Achtpassform sind
typische Elemente herrschaftlicher Beiruter Häuser der späten
1850er und der 1860er. Man beachte auch den Wechsel von
Paneel-Fensterläden im Erdgeschoss zu Lamellenläden im
Obergeschoss. Das Erdgeschoss datiert wahrscheinlich aus
den späteren 1850ern, das Obergeschoss aus den 1860ern.
Abb. 22
Qaṣr Daouk, Detail des Dreibogenfensters
des Obergeschosses. Die mit nasenartigen
Steinmetzarbeiten dekorierten Bögen und
das arabeske Sprossenwerk mit farbiger
Verglasung sind charakteristische Dekorelemente für gehobene Beiruter Häuser
der späten 1850er und der 1860er.
onsvariabilität statt – in May Davies Worten ein „urbanes
Experimentierlabor“, in dem das Know-how lokaler Handwerker und Baumeister, das Know-how auswärtiger Fachleute, die Einführung und Integration neuer Baumaterialien und -techniken und nicht zuletzt die Bedürfnisse und
Vorstellungen der Bauherren zur Ausbildung der charakteristischen Beiruter Variation des osmanischen Mittelhallenhauses führte.188 Dieser Typ, für den am Anfang des
20. Jahrhunderts, als er zunehmend in der gesamten syrischen Küstenregion Verbreitung fand, auch die Bezeichnung aṭ-ṭirāz al-bayrūtī (der Beiruter Stil oder Typ) belegt ist, ist im Allgemeinen charakterisiert durch die kompakte Form seines Baukörpers, seine ein bis drei Geschosse mit weitgehend identischen Mittelhallengrundrissen, seine dreigeteilte Hauptfassade mit den großen,
mittig positionierten Dreibogenfenstern der Mittelhalle,
und zunehmend das Ziegeldach.
Wie an den in Teil II behandelten Fallbeispielen gezeigt
wird, waren jedoch all diese mit dem ṭirāz al-bayrūtī üblicherweise assoziierten Charakteristika letztendlich wandelbar: Nicht immer gab es Ziegeldächer: noch in den
1880ern hatten viele Mittelhallenhäuser keine, viele wurden erst später hinzugefügt, und in den 1920ern kehrten
die Flachdächer zurück, diesmal aus Stahlbeton. Statt drei
Bögen konnte es – besonders bei den frühen Mittelhallenhäusern – einen, zwei, vier oder fünf Bögen geben, und
in der Mandatszeit wurden diese von großen, eckigen
Fensteröffnungen im Stil des Art déco und des Internationalen Stils abgelöst. Auch die kubisch-kompakte Form
des Baukörpers konnte im frühen 20. Jahrhundert durch
einen stärkeren Ausdruck des inneren Raum- und Funktionsgefüges in der Anlage des Baukörpers variiert werden. Das dauerhafteste und wirklich bestimmende Merkmal war daher die Mittelhalle – als mittig im Grundriss
61
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
positionierter, geschlossener Raum mit zentraler Erschließungs- und Verteilerfunktion für die umliegenden
Räume und Bereiche der Wohnung. Diese um 1850 eingeführte Neuerung lässt sich noch in modernistischen
Apartmentwohnhäusern der 1960er in Beirut finden. Als
Schlüsselelement der räumlichen Struktur der Häuser oder
Wohnungen überlebte die Mittelhalle alle geschmacklichen Wandlungen der Architektur und des Dekors, und
bestätigt so Giedeons Diktum, wonach das Haus sich immer am schwierigsten Neuformulierungen gegenüber zugänglich erwiesen habe. (Abb. 25, 26)
Allerdings – und dass ist gerade aus kultur- und sozialhistorischer Perspektive wichtig – lassen sich auch nach der
Einführung des Mittelhallengrundrisses weiterhin bedeutsame Veränderungen in der Raumstruktur, Nutzungsstruktur und Erschließungsstruktur der Mittelhallenhäuser nachweisen. Diese Veränderungsprozesse, die detailliert in Teil
II und III der Arbeit behandelt werden, weisen vor allen
Dingen auf Wandlungen in der Wohnpraxis und in der räumlichen Organisation des häuslichen – und mithin gesellschaftlichen – Zusammenlebens hin. Sie werfen Licht auf
die inneren Strukturen der Beiruter Gesellschaft.
Abb. 23
Blick auf Bachoura im Süden der Altstadt um 1860.
Das Mittelhallenhaus in der
Bildmitte hat zwar schon
ein Ziegeldach, ist aber
noch nicht mit Marseiller
Falzziegeln, sondern mit
Mönch- und Nonnen-Ziegeln gedeckt. Weitere Mittelhallenhäuser mit Flachdächern finden sich am
rechten und linken Bildrand.
Abb. 24
Das Vorstadtquartier Wadi
Abou Jemil im Westen der
Altstadt um 1870. Zu erkennen sind Mittelhallenhäuser
mit Flachdächern, mit Satteldächern über der Mittelhalle und mit abgeschleppten Walmdächern. In der
Bildmitte links die Infanteriekaserne (mit Flaggenmast) vor ihrer Aufstockung
in den 1880ern.
62
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.2 Der historische Hintergrund: eine kritische Einbettung
Was hingegen die geschmacklichen Entwicklungen betrifft,
so lässt sich beobachten, dass bis ins späte 19. Jahrhundert
immer wieder offensichtliche Entlehnungen aus dem Formenvokabular des Istanbuler Stils gemacht wurden – d.h.
auch dann noch, als zunehmend auch europäische Stilelemente übernommen wurden. Zu den augenfälligen Istanbuler oder osmanischen Bezugnahmen gehören, im äußeren
und für alle sichtbaren Erscheinungsbild der Häuser: die
Walmziegeldächer sowohl in ihrer Deckungsweise189 wie
auch in ihrer Form als komplexe Walmdächer mit Zwerchdächern oder als seitlich abgeschleppte Krüppelwalmdächer190; des weiteren die auskragenden, gekehlten Traufgesimse; die symmetrisch dreigeteilte Fassade; das Motiv der
Dreiergruppe hochrechteckiger Fenster in den Außenwänden der die Mittelhalle flankierenden Empfangsräume191;
und der halboktonale Grundriss der Mittelrisalite auf der
Rückseite mancher herrschaftlicher Häuser.192
Auch im Inneren der herrschaftlichen Beiruter Häuser finden sich solche direkten Entlehnungen: Neben dem Mittelhallengrundriss selbst gehören dazu beispielsweise das
sichtbare Bemühen um Regelmäßigkeit, Achsensymmetrie
und Zentralität in der Anlage und Dimensionierung der Räume und des Gesamtbaus193; die betont symmetrische Anordnung der Türen in der Mittelhalle; die abgeschrägten
Ecken mancher Mittelhallen; die in die Decke mancher Mittelhallen eingeschriebene große Ellipse als Referenz an die
elliptischen Grundrisse der sofas herrschaftlicher Istanbuler Häuser194; die Innendekorationen in Spielarten des osmanischen Barock- und Empire-Stils; und als formale Elemente, die schon in die Raum- und Erschließungsstruktur
der Häuser hineinwirkten, die zur Halle offenen Innentreppen oder die zur Mittelhalle parallel laufenden Korridore
mancher herrschaftlicher Beiruter Häuser.195
Die fortgesetzte Auffrischung des Beiruter Formenrepertoires mit offenbar prestigeträchtigen Istanbuler Elementen und damit eine betonte Orientierung an der Istanbuler
Elitenkultur lässt sich bei Angehörigen der Beiruter Oberschicht (und interessanterweise insbesondere der christlich-orthodoxen Oberschicht) bis in die 1880er klar nachweisen. Über diesen Weg konnten diese Formen weiterhin ihren Weg in das lokale Repertoire finden und so mit
einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch von den wohlhabenden Mittelschichten übernommen werden. Ganz im
Sinne von Bourdieu und Katschnig-Fasch zeigt sich hier
ein klassenspezifisches Verhaltensmuster, gemäß dem die
Mitglieder der herrschenden Klasse – „auf der ständigen
Flucht vor Aufsteigern“ – ihre Symbole stets erneuern
müssen. Und es ist durchaus bemerkenswert, welche Rol-
Abb. 25
Mittelhalle des Qaṣr Abou Chanab (1880er) mit italianisierender Stuckdecke. Aufnahme aus den 1960ern.
Abb. 26
Mittelhalle einer Beiruter Geschosswohnung etwa der 1940er
mit Art déco-Möblierung. Zeitgenössische Aufnahme.
63
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
le die Kennerschaft und Aneignung Istanbuler Statussymbole selbst in der oft als „europafreundlich“ oder „europäisiert“ bezeichneten christlichen Oberschicht noch
lange Zeit spielten. Dass diese Orientierung bewusst und
gewollt war, zeigt sich auch in der Tatsache, dass in der
mündlichen Überlieferung der griechisch-orthodoxen Familien Sursock und Tuéni noch heute von „türkischen“
Baumeistern gesprochen wird, die man beschäftigt hätte,
wohingegen in vielen anderen Fällen etwas vage von „italienischen Architekten“ und Handwerkern die Rede ist (eine Überlieferung, der übrigens nicht in jedem Falle zu
trauen ist, weil sie durchaus eine nachträgliche Ausschmückung der Familiengeschichte sein kann).
Dessen ungeachtet lassen sich – beginnend etwa um die
Mitte des 19. Jahrhunderts und vermehrt im Verlauf des
späteren 19. Jahrhunderts – eine zunehmende Integration
europäischer Baumaterialien, Bautechniken und Dekorformen beobachten. In ihrer Materialität wurden die Häuser der Beiruter Ober- und Mittelschichten daher schon relativ früh und in stetig zunehmender Weise „globalisiert“,
während ihre Struktur, nachdem der Mittelhallengrundriss
einmal Fuß gefasst hatte und sich weiter verbreitete, sich
in ihrer lokalspezifischen Spielform als äußerst beständig,
anpassungsfähig und für solche materiellen Importe und
Innovationen sehr aufnahmefähig erwies.
So gab es Bauholz aus dem Schwarzmeerraum, Marmor
aus Italien, Mönch-und-Nonne-Ziegel vermutlich aus den
osmanischen Kernprovinzen und ab den 1860ern die industriell produzierten Falzziegel aus Marseille, und weitere industrielle Massengüter wie etwa die Eisenbaustoffe (Balkon- und Treppengeländer, Tür- und Fensterbeschläge, Eisenträger) aus England, Frankreich, Deutschland und Italien. Nur der Mauerstein kam weiterhin aus
lokaler Quelle: der weiche Sandstein (ḥaǧar ramlī) für
das Mauerwerk kam aus den Steinbrüchen südlich von
Beirut, und der harte gelbliche Stein (ḥaǧar furnī), der für
beanspruchte Fußböden und Treppen im Eingangs- und
Wirtschaftsbereich verwendet wurde, kam aus Salima im
Metn, also den Bergen im Nordosten Beiruts.196
Neue Baumaterialien und -techniken erforderten auch ein
neues Spezialistentum. Während die älteren Häuser bis zur
Jahrhundertmitte in ihrer Gänze von lokalen Baumeistern
und Handwerkern errichtet werden konnten, setzten bestimmte neue Bauweisen auch Fachleute voraus, die das
entsprechende Know-how mitbrachten – welches dann jedoch sehr schnell von geschäftstüchtigen lokalen Bauhandwerkern übernommen werden konnte. Zu diesen Techniken gehörten beispielsweise Damaszener Marmorintar-
sienarbeiten, die schweren „italienischen“ Balkendecken
und die Stuckdecken, die „türkische“ Dachkonstruktion,
die eingespannten Steintreppen, die – zusammen mit Treppenhäusern – etwa in den 1860ern Einzug hielten, bestimmte Eisenträgerkonstruktionsweisen (besonders dort,
wo vernietet werden musste, oder im Falle der preußischen
Kappendecken des späten 19. Jahrhunderts), und schließlich auch die Betonbauweisen, die im frühen 20. Jahrhundert auftreten. Die Baufachleute mögen häufig europäischer
Herkunft gewesen sein, wie dies ja insbesondere für die Italiener überliefert ist. Da allerdings auch im Istanbuler Bauwesen und in dem anderer Provinzhauptstädte und Hafenstädte des Osmanischen Reiches vermehrt europäische Baustoffe und –techniken integriert wurden, können Handwerker mit dem entsprechenden Know-how auch von innerhalb des Reiches gekommen sein.
Die Bautrupps, die die Häuser – insbesondere die der innovationsfreudigen Oberschicht – erbauten, müssen oft
international zusammengesetzt gewesen sein und muten
daher fast babylonisch an. Und dennoch bleibt der lokale
Gesamtcharakter des Gesamtbaus immer unverkennbar –
in seiner räumlichen Grundstruktur, und in seiner ort- und
zeitspezifischen Zusammensetzung der unterschiedlichen
Komponenten.
„Hybrid“ waren die Beiruter Wohnhäuser – wie vermutlich
die meisten kulturellen Artefakte dieser Welt – schon immer in einem gewissen Grade. Doch der geographische
Einzugsbereich, aus dem die Komponenten und Inspirationen bezogen wurden, dehnte sich im 19. Jahrhundert
stark aus, und stand auch immer stärker unter der direkten Wirkung eines globalisierten, kapitalistischen und von
europäischen Staaten dominierten Arbeits- und Warenmarktes. Hierin war Beirut ganz und gar port-city.
Die Häuser wurden also baulich globalisiert, allerdings in
einer so durch lokale Bedingungen und Bedürfnisse geprägten Weise, die als Paradebeispiel einer „Glokalisierung“ avant le lettre gelten kann. Dies gilt zumindest für
die materielle Seite dieser Wohnhausarchitektur. Was hingegen die räumliche Struktur und die in ihr stattfindende
Wohnpraxis angeht, so folgten diese ganz anderen Gegebenheiten, Bedürfnissen, gesellschaftlichen Anforderungen
und Zwängen. Bis weit in das 20. Jahrhundert blieb der
Mittelhallengrundriss für die Oberschichten und für immer größere Teile der Mittelschichten Beiruts das Grundsystem, in das Neuerungen und Importe eingebettet und
heimisch gemacht wurden, und in dem der Wandel domestiziert wurde. Ein wirklich europäisch-bürgerlicher
Grundriss wie der des Qaṣr Heneiné (einer der Hauptfall-
64
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
studien dieser Arbeit) hatte auch bei den progressiven,
bürgerlich-kosmopolitischen und sich dem europäischen
Bürgertum kulturell verbunden fühlenden Angehörigen
der Beiruter Ober- und Mittelschichten keinen Erfolg.
3 Zum Problem der historischen
Raumnutzungen
Die historischen Raumnutzungen sind ein zentraler Punkt
für das Verständnis der räumlichen Strukturen und Veränderungen der Wohnhäuser sowie für das Aufspüren sozialer Wandlungsprozesse. Dabei geht es um die Arten der Nutzungen, ihre Lokalisierung im Raum, ihre Beziehungen untereinander und die Veränderungen, denen dies alles unterliegt. Abstrakt betrachtet, stellen die Raumnutzungen – als
sozial strukturiertes, routinisiertes und raumgebundenes
Handeln – das vermittelnde Bindeglied zwischen sozialen
Strukturen und Prozessen, Habitus und Wohnpraxis einerseits und physischem Raum andererseits dar.
Dabei sind die Nutzungen ihrer Natur nach beweglicher und
veränderlicher als die baulichen Strukturen. Das bedeutet
auch, dass sie auf Veränderungen in den Wohnbedürfnissen,
im Lebensstil und in den sozialen Strukturen – auf der Haushaltsebene oder gesamtgesellschaftlich – stärker und früher
reagieren. Die Nutzungen sind aber auch schwieriger zu rekonstruieren, eben weil sie temporärer und veränderlicher
sind, und weil sie nicht unbedingt bleibende Spuren hinterlassen. Die bauzeitliche baufeste Raumausstattung (Fußboden-, Wand-, Deckengestaltung) als kann als langlebiger
Hinweis auf bauzeitlich geplante Nutzungen interpretiert
werden, die aber möglicherweise nur kurzlebig waren. Spätere Phasen der Umnutzung lassen sich gegebenenfalls durch
identifizierbare Umbauten, historische Photos, zeitgenössische Beschreibungen und mündliche Überlieferung rekonstruieren. In diesem Zusammenhang sind auch überlieferte
historische Raumbenennungen von großer Wichtigkeit.
Tränkles Beobachtung, dass das Wohnen gesellschaftlichen Einflüssen unterliege und keine ausschließlich individuelle Daseinsform sei, und dass sich das Wohnen verschiedener Wohnender aber oft bis in die feinsten Nuancierungen des alltäglichen Lebensvollzugs hinein gleiche,
erhält in Beirut besondere Bedeutung, weil sich die baulich-räumlichen Strukturen von vielen Mittelhallenhäusern – unbenommen mannigfaltiger individueller Variationen – in der Grundanlage so ähnlich sind.197 Es liegt
daher nahe, anzunehmen, dass dies auch – freilich in beschränkterem Maße – für die Raumnutzungsstrukturen der
Häuser gilt, und dass es eine Art Matrix gibt, die uns zumindest im Prinzip erlaubt, aus vergleichender Übertragung darauf rückzuschließen, wie die verschiedenen Räume in einem Haus historisch genutzt worden sein mögen.
Dies birgt jedoch auch die große Gefahr, mögliche und
bedeutsame Abweichungen der Nutzung und Wohnpraxis
in sich sonst so ähnlichen Häusern zu übersehen.
Um eine grundsätzliche Vorstellung davon zu gewinnen,
wie das Raumprogramm von Beiruter Häusern – genauer: Mittelhallenhäusern – in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts allgemein aussah, welche Nutzungsarten und
Raumfunktionen es historisch gab und unterschieden wurden, und daraus sinnvolle Kategorien zu bilden, die allgemein genug sind, dass sie auch bei feineren Ausdifferenzierungen und Wandlungen noch anwendbar und vergleichbar sind, bietet es sich an, Beschreibungen aus zeitgenössischen Quellen als Grundlage zu nehmen. Diese
Beschreibungen sollten aus dem Untersuchungszeitraum
selbst stammen, möglichst sämtliche Räume des Hauses
umfassen, und idealerweise auf Arabisch sein, um die lokale und historisch gebräuchliche Terminologie zu erfassen. Sie sollten auch aus kundiger Feder stammen, d.h.
von Menschen, die sich durch eine gewisse Vertrautheit
mit diesen Häusern ausweisen und sie von innen kannten.
Als solche gleichsam „literarische Fallstudien“ eignen sich
drei Beschreibungen: die des Ägypters Muḥammad alQāyātī von 1885, eine weitere aus der Beiruter Zeitschrift
al-Muqtaṭaf von 1881, und eine dritte zusammen mit einer
Grundrisszeichnung publizierte Beschreibung aus der
Hand des in Beirut lebenden französischen Arztes Dr. Boyer von 1897. Freilich sind solche verbalen oder textlichen
Beschreibungen von Raumstrukturen für sich allein genommen nicht unmissverständlich. Sie bedürfen einer kritischen Lektüre, quasi einer Rückübertragung in einen vorgestellten Raum, und dafür einer Verknüpfung mit ihrem
Kontext. Dies soll im Folgenden versucht werden.
3.1 Das Raumprogramm nach al-Qāyātī
Unser Ausgangspunkt soll die Beschreibung sein, die der
aus Kairo stammende Šayḫ Muḥammad ʿAbd al-Ǧawād alQāyātī in seinen Memoiren von einem der Häuser gibt, in
denen er während seines Exils in Beirut von 1882 bis 1885
wohnte.198 Trotz ihrer relativen Kürze ist dies die ausführlichste mir bekannte zeitgenössische Beschreibung, die in
arabischer Sprache von einem Beiruter Mittelhallenhaus
des 19. Jahrhunderts existiert.199 Es ist bezeichnend, dass
diese Beschreibung von einem Ortsfremden stammt; denn
65
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
die Beiruter Zeitgenossen scheinen das Innere ihrer Häuser mit einer Art schweigender Selbstverständlichkeit wahrgenommen zu haben. Aufgrund seines langen Aufenthalts
und seines engen Verkehrs mit Ortsansässigen erwarb sich
al-Qāyātī allerdings gute Kenntnisse der lokalen Verhältnisse. Was seine Beschreibung darüber hinaus so wertvoll
macht, ist ihre Vollständigkeit hinsichtlich der vorhandenen Räume sowie das Interesse des Autors an den für ihn
selbst fremden lokalen Sprachgebräuchen:
Dann mieteten wir ein anderes Haus (dār) in Zokak elBlat, einen Neubau namens Dār al-ʿAraqǧī, geräumig, mit
gutem Klima und guter Luft. Wir zogen im Monat Šaʿbān
jenes Jahres [1302/1884] ein und wir wohnen dort bis jetzt,
wo ich dies schreibe, am 8. Ǧumādā I des Jahres 1303 der
Hiǧra des Propheten [1885]... Das Haus (dār) besteht aus
einem großen Empfangsraum (manzūl) und drei Zimmern
(uwad), von denen das mittlere „al-līwān“ genannt wird;
vor diesem liegt die dār, ausgelegt mit Platten aus Marmor und von äußerster Ordnung und Regelmäßigkeit, wie
man sie sich vollendeter nicht wünschen kann. In einem
der drei [Zimmer] ist ein kleiner, hübscher Schrank (ḫazna), und ebenso gibt es bei der Eingangstür innen einen
hochgelegenen Ort, der im Sprachgebrauch der Ägypter
„sandara“ [Speicherboden oder -empore] genannt wird.
[Das Haus] umfasst auch ein kleines Bad (ḥammām), eine Küche (maṭbaḫ) und eine Toilette (maḥall adab), genannt „bayt mā’“. Kurzum, es ist eine munter-frische ḥāra,
vor der das Wasser und das Grüne liegen, und unter der
es noch ein Geschoss (ṭābiq) gibt, der „dawr suflī”, den
wir aber nur zum Lagern von Brennholz, Holzkohle und
ähnlichem Gerümpel benutzen. Nun haben wir in diesem
Haus schon das Frühjahr und den Sommer verbracht; der
Winter ist auch fast schon vorüber, er war kalt und regenreich…200
al-Qāyātī bezeichnet das Haus sowohl als dār wie auch
als ḥāra, Bezeichnungen, die demnach zu dieser Zeit in
Beirut für solche Häuser üblich waren. Es bestand aus
zwei Geschossen (genannt ṭābiq, Pl. ṭawābiq). Das Erdgeschoss wurde im vom Autor kenntlich gemachten lokalen Sprachgebrauch dawr suflī („Untergeschoss“) genannt und als Lagerraum genutzt, während das Obergeschoss die Wohnung bildete. Dieses Wohngeschoss umfasste verschiedene Räume, die der Autor mit Bezeichnungen anspricht, die auf die unterschiedlichen Raumarten und –funktionen hinweisen. Vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Kenntnis des beschriebenen Haustyps
– ein Beiruter Mittelhallenhaus, das um 1880 erbaut worden war – erlaubt die Art und die Reihenfolge der Beschreibung auch Rückschlüsse auf die Lage der Räume.
3.1.1 Art und Lage der Räume
Der Autor nennt zuerst die Räume, die sich um die Mittelhalle herum gruppieren: zunächst al-manzūl, dann drei uwad
(Pl. von ūda), von denen die mittlere al-līwān genannt wird.
Man kann sich dabei gut vorstellen, wie der Autor in der
Mittelhalle steht und um sich blickt: ausgehend vom vorne seitlich der Halle liegenden manzūl bis zum hinten liegenden līwān, wobei er die auf drei Seiten verteilt liegenden Uwad summarisch auffasst. Die Begriffe manzūl und
uwad verwendet er mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, ohne jede Erklärung, wohingegen er al-līwān als lokalen Sprachgebrauch erläutert. Dann nennt die vor dem
līwān liegende dār, indem er diese Bezeichnung, die er zuvor für das Haus als Ganzes verwendet hat, nun im engeren Sinne für die Mittelhalle benutzt, wie dies auch heute
noch lokal üblich ist. Dass er sich veranlasst sieht, den Marmorfußboden und die extrem regelmäßige Anlage der Halle zu erwähnen, während er solche gestalterischen Aspekte in anderen Räumen übergeht, weist diese Elemente als
augenfällige und wirksame Mittel der Repräsentation aus.
Als weiteres dekoratives Ausstattungselement kommt ihm
nun der „kleine hübsche Schrank“ in einem der uwad in den
Sinn – vermutlich ein dekorierter, hölzerner Wandschrank,
wie man sie in den fenstergroßen Wandnischen solcher Zimmer findet. Offenbar so auf das Thema Stauraum gebracht,
springt er in seiner Beschreibung weiter zu dem im Eingangsbereich des Hauses befindlichen, hochgelegenen Speicherboden, den er für seine heimische Leserschaft mit dem
ägyptisch-arabischen Begriff sandara erklärt.201 Die in Beirut (zumindest heute) gebräuchliche Bezeichnung für solche als Speicherraum dienenden Zwischenböden – titḫīte –
benutzt er nicht.202 An dieser Stelle der Beschreibung wird
auch implizit deutlich, dass das Wohngeschoss des Hauses
nicht frontal durch die Mittelhalle, sondern von der Seite
her erschlossen wurde, vermutlich über eine Außentreppe.
Denn nur so lässt sich eigentlich die Lage des Speicherbodens beim Eingang erklären.
In räumlicher Nähe des Eingangs und des Speicherbodens,
aber räumlich unabhängig von der Mittelhalle muss auch
der Küchen- und Sanitärbereich des Hauses gelegen haben, da al-Qāyātī erst im unmittelbaren Kontext des Speicherbodens darauf zu sprechen kommt und nicht schon,
als er die Räume um die Mittelhalle herum bespricht. Dabei nennt er zunächst das Bad (ḥammām), dann die Küche (maṭbaḫ) und schließlich das Klosett, das er als maḥall
adab – wörtlich „Anstandsort“ – anspricht und dann die lokal gebräuchliche Bezeichnung hinzufügt: bayt mā’ (oder
in lokaler Aussprache: bēt mayy), das „Wasserzimmer“.
66
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
Die vom Autor gewählte Reihenfolge der Beschreibung
Bad-Küche-Klosett (anstelle der funktional und größenmäßig logischer erscheinenden Reihenfolge Küche-BadKlosett) legt die Vermutung nahe, dass sich hier eine räumliche Anordnung widerspiegelt, in welcher der ḥammām einen eigenen, von Küche und Klosett separaten Raum darstellte, während das Klosett sich als ein Kämmerchen innerhalb der Küche befunden haben mag – so wie es tatsächlich in vielen noch existierenden und von der Größe
her vergleichbaren Häusern der Fall ist.
3.1.2 Der Empfangsraum (manzūl)
Kommen wir nun zu den Raumfunktionen, aus den von
al-Qāyātī benutzten Begriffen ergeben. Da ist zunächst
der Begriff manzūl, den das Wörterbuch al-Munǧid „ein
für Gäste eingerichteter Ort“ ist, „makān muʿadd li-ḍḍuyūf”.203 Hiermit ist der repräsentativ ausgestattete
Hauptempfangsraum gemeint; in dieser Bedeutung wird
der Begriff auch heute noch von manchen Bewohnern von
Beiruter Häusern aus dem 19. Jahrhundert verwendet. Der
manzūl ist – das muss der Deutlichkeit halber unterstrichen werden – ein eigener und von der Mittelhalle (dār)
separater Raum. In zeitgenössischen schriftlichen Quellen waren förmlichere hocharabische Benennungen üblich, beispielsweise ġurfat al-istiqbāl (Empfangszimmer),
qāʿat al-istiqbāl (Empfangssaal), oder auch nur einfach
qāʿa oder radha (d.h. Halle, Saal).204 Daher ist al-Qāyātīs
Verwendung des Begriffs manzūl ein wertvolles Dokument des seinerzeitigen mündlichen Sprachgebrauchs im
Beirut.205 Später scheint dieser ältere Begriff zunehmend
vom neueren und noch heute üblichen Begriff ṣālūn überlagert worden zu sein, eine Übernahme des französischen
salon oder des italienischen salone. Daneben gab es noch
Variationen wie den für den Fall der Dār Debbané in Sidon
um die Jahrhundertwende belegten Ausdruck ṣālūtū, eine
offenkundige Übernahme des italienischen salotto. Die
Verwendung dieser verschiedenen Begriffe spiegelt die
Vielfalt und den Wandel kultureller Einflüsse und Orientierungen wieder. Sie diente natürlich auch – ähnlich wie
das Aufstellen europäischer Sitzmöbel – der Schaffung
schichtenspezifischer sozialer Distinktion im Sinne kulturellen Kapitals. Die allmähliche Umbenennung des
manzūl in ṣālūn muss dabei jedoch nicht unbedingt einen
Wandel in der Nutzung oder Ausstattung bedeuten, wie
sich schon in der parallelen Weiterverwendung des älteren Begriffs zeigt. Wie viel ein Beiruter ṣālūn letztlich mit
seinem französischen Namensvetter gemeinsam hatte, wird
im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch zu erkunden sein.
3.1.3 Die Zimmer (uwaḍ)
Zweitens spricht al-Qāyātī von den uwad (Pl. von ūda oder
ōda, korrektere und im Libanon übliche Schreibweise: ūḍa/
ōḍa, Pl. uwaḍ), ein Lehnwort aus der türkischen Sprache,
das mit der allgemeinen Bedeutung „Zimmer“ Eingang in
manche arabische Dialekte gefunden hat – darunter die libanesisch-syrische und ägyptische Umgangssprache.206 Es
ist etwa gleichbedeutend mit dem arabischen Begriff ġurfa, und kann auch – genau wie ġurfa – Spezifizierungen
erhalten, wie etwa ūḍat as-sufra (Esszimmer) oder ūḍat
al-ǧulūs („Sitzzimmer“, ähnlich dem englischen sitting
room, eine Art Familienwohnzimmer), wobei das Schlafzimmer dann ausdrücklich ūḍat an-nawm genannt wird.
Der Begriff ūḍa sollte also für sich genommen zunächst
einmal funktionsunspezifisch verstanden werden. al-Qāyātī
verwendet den Begriff für alle Zimmer mit der wichtigen
Ausnahme des Hauptempfangszimmers (manzūl) und der
Mittelhalle (dār). Da er diesen Unterschied macht, kann
man grundsätzlich eine funktionale Ausdifferenzierung der
beschriebenen Wohnung in zwei Kategorien konstatieren:
Einen besonderen und ausgesonderten Empfangsbereich
(manzūl) und einen Wohn- und Schlafbereich (die uwaḍ).
Die dār nimmt hierbei eine Zwischenposition ein, da sie
eindeutig zu Repräsentationszwecken gestaltet ist (Marmorboden, symmetrische Anlage), aber gleichzeitig ein
Durchgangs- und Verteilerraum ist.
3.1.4 Der līwān
Es bleibt der līwān als dritter und letzter der erklärungsbedürftigen Begriffe. Einer der drei von al-Qāyātī mit ūḍa
angesprochenen Räume wird – darauf weist er ausdrücklich hin – im lokalen Sprachgebrauch līwān genannt: und
zwar der in der rückwärtigen Verlängerung der dār liegende Raum.
Im Allgemeinen versteht man in der nahöstlichen Baukunst unter līwān oder īwān einen Raum, der auf drei Seiten durch Wände begrenzt, auf der vierten Seite jedoch –
üblicherweise durch einen weiten Bogen zum Hof hin –
offen ist.207 Bei historischen Wohnhäusern in den libanesischen Bergen kann er sich direkt nach außen oder auf
einen Vorplatz, eine Terrasse oder Galerie öffnen.208 In
Beirut gab es eine Variation, die sich durch photographische und schriftliche Quellen sowie durch erhaltenen Baubestand bis mindestens in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückdatieren lässt, innerhalb der Altstadt und
in den Gärten außerhalb zu finden war, und in Form und
Größe auf einen relativen Wohlstand der Bauherren hinwies.
67
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Bei dieser Variation öffnet sich ein breiter, aber nur etwa
zwei Meter tiefer Vorraum auf der einen Breitseite gänzlich mit einem Bogen nach außen auf einen Hof oder einen Garten; auf seinen drei übrigen Seiten – also den
Schmalseiten und der Rückwand – schließt jeweils ein annähernd quadratischer Raum an (zur Illustration siehe Plan
3.2). Die beiden seitlich flankierenden Räume wurden murabbaʿ genannt (genau wie in einer „klassischen“ īwānRaumgruppe in städtischen syrischen Hofhäusern), während der rückwärtig anschließende, geschlossene Raum –
nicht der offene Vorraum – als līwān bezeichnet wurde.
Mit dem Vorraum war der līwān üblicherweise durch eine von zwei Fenstern flankierte Tür verbunden.209 Genau
diese Tür-Fenster-Kombination findet sich auch in vielen
Beiruter Mittelhallenhäusern des 19. und 20. Jahrhunderts,
und zwar als Verbindung zwischen der Mittelhalle und
dem līwān genannten Raum in ihrer rückwärtigen Verlängerung. Die Bauform des Raums und seine Bezeichnung wurden also offenbar von dem älteren Haustyp mit
offener Vorhalle in den jüngeren Bautyp mit geschlossener Mittelhalle übernommen. Die den līwān seitlich flankierenden Räume in einem Mittelhallenhaus weisen in ihrem quadratischen oder kurzrechteckigen Grundriss, ihrer Positionierung und ihrer Erschließung von der Raumecke her ebenfalls eine klare formale Verwandtschaft mit
den älteren murabba ʿ s auf. Eine Verwendung der Bezeichnung murabbaʿ für diese Räume ließ sich jedoch für
die von mir untersuchten Mittelhallenhäuser in Beirut bislang nicht konkret belegen; sie werden üblicherweise –
wie die Mehrzahl der Räume beidseitig der Mittelhalle –
zu den uwaḍ gezählt.210
Hier liegt für uns ein wichtiger Schlüssel zur Identifizierung der historischen Funktion des līwāns in einem Mittelhallenhaus. Wie sich vielen Reisebeschreibungen entnehmen lässt, diente der offene līwān der städtischen Hofhäuser des 18. oder frühen 19. Jahrhunderts in Damaskus, Sidon und anderen Städten der Bilād aš-Šām wie
auch in den von Ragette sogenannten „Liwan-Häusern“
der libanesischen Berge bei sommerlichen Temperaturen
als Hauptsitzbereich der Familie und je nach Umständen
auch für den Empfang von Besuchern. Es ist anzunehmen, dass dies auch für die geschlossene Form galt, die
sich in Beirut seit spätestens dem frühen 19. nachweisen
lässt, wobei dieser geschlossene līwān auch in kühler winterlicher Witterung genutzt werden konnte. Diese Annahme wird entscheidend durch die Tatsache unterstützt,
dass es gerade die Idee von einem dauerhaften Hauptsitzbereich und Aufenthaltsraum der Familie ist, die dem
līwān als Raumbezeichnung in Beirut und im Libanon
angehaftet geblieben ist, und die, von der ursprünglich
offenen Form entkoppelt, sehr lange überlebt hat. Dies
zeigt sich auch darin, dass Friedrich Ragette den Begriff
in seinem Glossar einfach nur noch als „living room“
übersetzt, und dass ʿAbd ar-Raḥīm Ġālib – der selbst im
Libanon aufwuchs – in seiner arabischsprachigen Enzyklopädie diese spezifisch libanesische Auffassung des
līwāns gesondert erwähnt und sie unter Bezug auf Ragette als „ġurfat ǧulūs” erläutert, also als sitting room oder
Wohnzimmer.211
Wir können also feststellen, dass der Begriff līwān im Beiruter Kontext eine funktionsspezifische Bedeutung erhielt,
die seiner baulich-formalen Bedeutung zunächst beigeordnet war und spätestens mit seiner Eingliederung in die
Bauform des Beiruter Mittelhallenhauses im 19. Jahrhundert sogar wichtiger als die eigentliche Form wurde.
al-Qāyātīs Anmerkung, dass einer der drei von ihm zunächst generell als uwaḍ bezeichneten Räume von Einheimischen al-līwān genannt wurde, ist damit nicht nur
ein für ihn erwähnenswertes Kuriosum des lokalen Sprachgebrauchs (denn er selbst mag unter einem līwān noch etwas anderes verstanden haben), sondern hat bedeutende
funktionale Implikationen: Neben dem funktional spezifizierten manzūl als Hauptempfangsraum und den funktional eher unspezifizierten uwaḍ können wir hier einen
als eine Art Familienwohnzimmer ausdifferenzierten Raum
identifizieren, der sich der Mittelhalle rückwärtig anschloss, aber von ihr getrennt war.
Die Trennung dieses Raumes von der Mittelhalle war aber
nicht so scharf wie die der übrigen Räume, wenn wir davon ausgehen, das auch dieser līwān über die übliche
Kombination von mittiger Tür und zwei flankierenden
Fenstern mit der Halle kommunizierte. Diese Öffnungen
zur Mittelhalle stellten eine wichtige Qualifikation für den
Raum als Aufenthaltsraum der Familie dar. Sie garantierten erstens gemeinsam mit den rückwärtigen Außenfenstern eine hervorragende Querlüftung für die heiß-schwülen Beiruter Sommertage – eine klimatische Funktion, die
dieser Typ von līwān mit der offenen Variation gemein
hatte. Zweitens erlaubten sie auch das Schließen aller Öffnungen an klamm-kühlen Wintertagen – ein Komfort, den
dieser Typ der offenen Variation voraushatte. Drittens ermöglichten die Öffnungen die Blickkommunikation zur
Mittelhalle und damit bei Bedarf die Beobachtung und
Kontrolle aller Bewegungen – von Hausbewohnern, Bediensteten und Gästen – in der Mittelhalle als dem zentralen Durchgangsraum zu allen umgebenden Räumen.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
Auch diese Funktion hatte dieser līwān mit einem offenen, den Hof überblickenden līwān gemein, wobei er letzterem jedoch voraus hatte, dass durch das teilweise oder
völlige Schließen der Fenster und der Tür schnell und effizient Blickschutz zur Halle herstellt und reguliert werden
konnte, ohne dass die Insassen den Raum verlassen mussten.212 Die Verschlüsse der Fenster und Türen des līwān
waren nämlich in der Regel von innen angeschlagen und
verschließbar. Bleibt hinzuzufügen, dass ein līwān auch
für das weniger förmliche Zusammensitzen mit Verwandten, Freunden und Bekannten benutzt wurde (und
heute noch häufig so genutzt wird). Er war daher kein rein
„privater“ Wohnraum der Familie, sondern nebenbei auch
ein Empfangsraum, ein Raum der Geselligkeit und der
Begegnung.
Aus al-Qāyātīs Beschreibung lässt nicht erschließen, wie
er und seine Mitbewohner (er war in Gesellschaft einer
nicht spezifizierten Anzahl weiterer Exilanten) den erwähnten līwān in ihrem Haus genutzt haben – ob als gemeinsames Wohnzimmer, als eines von drei Zimmern, die
zum Schlafen und als persönlicher Rückzugsraum dienten, oder für andere Zwecke. Dabei darf nicht übersehen
werden, dass auch ein Zimmer, das nachts einer oder mehreren Personen zum Schlafen diente, tagsüber ohne weiteres anderweitig genutzt werden konnte, und dass keineswegs jeder sein eigenes Schlafzimmer zu haben brauchte. Überhaupt beziehen sich die hier gemachten Erläuterungen – das sollte betont werden – auf die in der rekonstruierbaren baulichen Struktur angelegten und in historischen Raumbenennungen widergespiegelten Raumfunktionen. Eine zentrale Aufgabe der weiteren Untersuchung wird es sein, mehr Licht auf die schwierigere Frage der Praxis der Nutzungen zu werfen, und Abweichungen und Veränderung in dieser Praxis zu identifizieren und
auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen.
Vorläufig lässt sich das baulich-funktionale Raumprogramm des von al-Qāyātī beschriebenen Hauses in folgenden Kategorien zusammenfassen:
1. Räume der Geselligkeit und der Begegnung, d.h.
Empfangsräume und kombinierte Empfangs- und
Wohnräume (hier die dār, der manzūl und der līwān);
2. Zimmer (uwad) als Schlaf- und Rückzugsräume;
3. Küchen und Hauswirtschaftsräume einschließlich
Lager- und Vorratsräumen (hier maṭbaḫ und titḫīte);
4. Sanitärräume (hier ḥammām und bayt mā’).
Zusätzlich sollte als eine fünfte Kategorie Verkehrsflächen und reine Durchgangsräume wie Treppen und Korridore angeführt werden, die aus al-Qāyātīs Beschreibung
nur implizit hervorgehen: so etwa der Eingangsbereich
der Wohnung („min dāḫil al-bāb”), wo er die titḫīte lokalisiert; die Treppe zum Wohngeschoss, von der wir nicht
erfahren, ob sie innerhalb oder außerhalb des Hauses liegt;
und möglicherweise ein weiterer Korridor im Bereich von
Küche und Bad.
Die von al-Qāyātī beschriebene Dār al-ʿAraqǧī war – mit
nur vier um die Mittelhalle herum angeordneten Räumen
– ein verhältnismäßig kleines Mittelhallenhaus, das vom
Status her der gehobenen Mittelschicht zuzuordnen wäre.
Wie ich jedoch weiter oben im Bezug auf die Auswahl der
Fallstudien schon angemerkt habe, spiegeln größere Häuser die Idealvorstellungen vom Wohnen deutlicher wider
als kleine, weil sich funktionale Anforderungen räumlich
besser ausdifferenzieren können. Deshalb ist es sinnvoll,
die soeben genannten Kategorien von historischen gegebenen Raumfunktionen mit weiteren zeitgenössischen
Quellen abzugleichen, die sich mit größeren Häusern befassen.
3.2 Das Raumprogramm nach al-Muqtaṭaf
Eine Idee von der Beiruter Idealvorstellung vom Raumprogramm eines Hauses der höheren Mittelschicht im späten 19. Jahrhundert vermittelt ein Artikel in der Beiruter
Zeitschrift al-Muqtaṭaf, der Ende 1881, also kurz vor alQāyātīs Ankunft in der Stadt, publiziert wurde. Die Zeitschrift wurde damals noch (bis zum Umzug nach Kairo
Ende 1884) in Beirut herausgegeben, und die Artikel wurden – von kenntlich gemachten Ausnahmen abgesehen –
von lokalen Autoren verfasst, häufig sogar den in Beirut
wohnenden Herausgebern selbst, Yaʿqūb Ṣarrūf und Fāris
Nimr.213 Selbst wenn der hier besprochene Artikel eine gewisse Allgemeingültigkeit beansprucht, so ist doch in ihm
wie in vielen anderen Artikel jener Jahre die Beiruter Perspektive, ja ein gewisser ‚Beirut-Zentrismus’ nicht zu übersehen. Das eigentliche Thema dieses Artikels ist die optimale, auf die einzelnen Raumfunktionen abgestimmte
farbliche Gestaltung einer Wohnung. Zu diesem Zweck
umreißt der Autor das seinen Betrachtungen zugrunde liegende Raumprogramm des Hauses wie folgt:
In einem geräumigen Haus gibt es einen Raum zum Sitzen (ġurfa li-l-quʿūd), einen anderen zum Essen (li-l-akl),
einen anderen für die Bibliothek (li-l-maktaba), und die
übrigen Räume dienen als Ort zum Schlafen (li-l-manāma).
Es wird auch einen großen Saal (qāʿa kabīra) geben, in
dem wichtige Leute und Menschen empfangen werden,
deren Besuch sehr geschätzt wird.214
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Im Weiteren gibt der Autor noch andere Bezeichnungen
für die von ihm aufgezählten Räume: ġurfat al-maqʿad für
den Sitzraum, ġurfat al-akl und ġurfat al-mā’ida für das
Esszimmer, al-maktaba für das Bibliothekszimmer, ġuraf
al-manāma für die Schlafzimmer, und einfach al-qāʿa für
das Hauptempfangszimmer. Es finden sich hier im Prinzip
all jene Raumfunktionen wieder, die al-Qāyātī erwähnt,
wobei hier jedoch themenbedingt der Servicebereich des
Hauses (Küche, Bad, Toilette, Hauswirtschafts- und Speicherräume) ausgeklammert wird, und bedeutsamerweise
nicht allgemein und unspezifisch von uwaḍ die Rede ist,
sondern ganz konkret von Schlafzimmern, ġuraf almanāma. Die Mittelhalle wird nicht ausdrücklich erwähnt,
sondern offenbar stillschweigend vorausgesetzt. Zusätzlich werden als eigene, funktionsspezifische Räume ein
Esszimmer und ein Bibliothekszimmer aufgeführt. Das
bedarf einer Erläuterung.
Das Esszimmer wird, wie in der Bezeichnung ġurfat almā’ida (wörtlich das „Tischzimmer“) sehr anschaulich wird,
durch das Vorhandensein eines Esstisches und der dazugehörigen Stühle in seiner Nutzung bestimmt. Die Einführung von dauerhaft aufgestellten Esstischen europäischer
Art – anstelle der bis dahin üblichen niedrigen Metallplatten auf klappbaren Holzuntersätzen, die bei Bedarf in einem beliebigen Raum zum Essen aufgestellt und wieder
weggeräumt werden konnten – setzte sich in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in den Haushalten der Beiruter Mittelschichten mehr und mehr durch.215 Somit wurde das Esszimmer als neuer, funktionsspezifischer Raum
zu einem (im Wortsinne) festen Bestandteil des Raumprogramms ihrer Häuser, als Statussymbol und Ausdruck eines neuen Habitus, dem allerdings ein bis dahin für andere,
flexiblere Nutzungen zur Verfügung stehender Raum geopfert werden musste. Auffällig ist, dass das von al-Qāyātī
1884–85 gemietete Haus – immerhin ein Neubau – ein solches Esszimmer offenbar noch nicht besaß, denn man kann
davon ausgehen, dass der Autor, der an anderer Stelle deutliche Kritik an der Nachahmung „fränkischer“ Sitten übt,
diesen besonderen Raum nicht verschwiegen hätte.216 Ob
dieses Fehlen durch die beschränkte Zahl der Zimmer zu
erklären ist, oder dadurch, dass die Wohnung zum Zeitpunkt
der Vermietung möglicherweise noch nicht vollständig möbliert war, muss offen bleiben. Es deutet sich jedenfalls an,
dass das Esszimmer als quasi-selbstverständlicher Teil des
1881 im Muqtaṭaf formulierten Raumprogramms eine SollVorgabe war, die sich in der Praxis zu diesem Zeitpunkt
noch nicht in allen Teilen der Beiruter Mittelschicht durchgesetzt hatte.
Als eine für die Mehrheit der Beiruter Mittelschicht wirklichkeitsferne Soll-Vorgabe muss dagegen das Bibliothekszimmer verstanden werden. Dieses war eher Teil des
zivilisatorischen Programms von al-Muqtaṭaf als ein tatsächlicher Bestandteil des üblichen Raumprogramms von
Beiruter Häusern. Das geben die Autoren von al-Muqtaṭaf
an anderer Stelle selbst zu, wo in einem Artikel beklagt
wird, dass sogar in den großen Häusern Beiruts zwar viel
Geld für Kronleuchter und Spiegel, nicht jedoch für eine
Bibliothek ausgegeben wird.217 Die Vorstellung, in einem
Haus der Mittelschicht – der Hauptzielgruppe des
Muqtaṭaf – der Bibliothek einen eigenen Raum zu widmen, reflektierte also eher Ambitionen als Realitäten und
scheint auch den Autoren dieser Zeitschrift in späteren Artikeln unrealistisch vorgekommen zu sein. Denn in nachfolgenden Artikeln wird die Bibliothek zunehmend wie
ein Bücherschrank in einem anderen Raum, etwa dem
Empfangszimmer, behandelt.218 Freilich gab es in Beirut
durchaus Häuser mit beträchtlichen Buchbeständen, so
beispielsweise die Häuser von gebildeten Angehörigen
der Oberschicht, oder von Intellektuellen, Publizisten und
Journalisten der nahḍa-Bewegung wie Buṭrus und Salīm
al-Bustānī, Nāṣīf und Ibrāhim al-Yāziǧī, Ḫalīl al-Ḫūrī,
ʿAbd al-Qādir al-Qabbānī, Yaʿqūb Ṣarrūf, Fāris Nimr oder
Ḫalīl Sarkīs, um nur einige zu nennen.219 Vom letztgenannten, dem Gründer und Herausgeber der Zeitschrift
Lisān al-Ḥāl, ist sogar ein Photo überliefert, das ihn in
seinem Arbeitszimmer mit Wandregalen voller Bücher
zeigt; allerdings datiert dieses Photo erst vom Beginn des
20. Jahrhunderts, und es ist nicht sicher zu klären, ob es
sich dabei um sein heimisches Arbeitszimmer oder sein
Verlagsbüro handelt (Abb. 27).
Jedenfalls war die Kombination der Bibliothek mit einem
Arbeitszimmer in solchen und anderen Fällen sicherlich
eine häufige Form der Raumnutzung. Wir dürfen annehmen, dass Yaʿqūb Ṣarrūf und Fāris Nimr, die Herausgeber
von al-Muqtaṭaf, in ihrem eigenen Beiruter Heim einen
ähnlichen Raum hatten. Und dies mag schließlich auch
ein Grund dafür sein, dass das Bibliothekszimmer so
selbstverständlich seinen Weg in das oben zitierte Raumprogramm eines geräumigen Hauses gefunden hat. In diesem Kontext betrachtet, lässt sich der im Artikel benutzte Begriff maktaba als ein Bibliothekszimmer verstehen,
das gleichzeitig als Arbeits- und Studierzimmer diente und
für diese Zwecke auch mit einem Schreibtisch (im Arabischen ebenfalls maktaba genannt) ausgestattet war. Der
als maktaba bezeichnete Raum war daher – wie das Esszimmer – ein weiterer Raum, der durch seine zwar nicht
70
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
baufeste, aber doch schwer bewegliche Ausstattung auf
bestimmte Nutzungen festgelegt war. Seine Funktion war
allerdings ambivalent, denn als Arbeitszimmer konnte er
ein Rückzugsraum – wohl in der Regel für den Herrn des
Hauses – sein, aber unter Umständen konnte er durchaus
auch dem Empfang von Kollegen, Freunden und Klienten des Hausherrn dienen. Er war somit gleichzeitig – neben dem Salon und dem līwān – ein weiteres, für bestimmte Arten von Besuchern vorbehaltenes Empfangszimmer. Das zeigt sich noch einmal deutlicher im folgenden dritten Beispiel.
Abschließend zum Raumprogramm nach al-Muqtaṭaf sei
an dieser Stelle schon darauf hingewiesen, dass in einem
zwei Jahrzehnte später erschienenen Artikel auch ein
Rauchzimmer sowie ein besonderes Wohn- und Empfangszimmer für die Frau als Bestandteil des Raumprogramms großer Häuser angeführt wird.220 Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Palette von Wohn- und Empfangsräumen im ausgehenden 19. Jahrhundert weiter ausdifferenziert wurde – ein gerichteter Prozess des Wandels, der
bei der Untersuchung der Fallbeispiele im Blick behalten
werden muss und bei der sozialgeschichtlichen Analyse
von Bedeutung ist.221
3.3 Das Raumprogramm nach Dr. Boyer
Ein Raumprogramm, das dem im Muqtaṭaf dargestellten
sehr ähnlich ist, findet sich in der Beschreibung einer „maison comfortable à Beyrouth“, die der Lyoneser Arzt Dr.
Benoilt Boyer anderthalb Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Muqtaṭaf-Artikels verfasste.222 Boyer unterrichtete von 1889 bis 1897 als Professor für Therapeutik
und Hygiene an der französischen Medizinfakultät von
Beirut. Er hatte also schon sechs Jahre in Beirut gelebt,
als er anlässlich einer Typhusepidemie im Jahr 1895, die
105 Einwohnern von Beirut das Leben kostete, eine umfangreiche Untersuchung der „aktuellen hygienischen Bedingungen Beiruts“ – so der Titel des 1896 abgeschlossenen Reports – abfasste. Er sammelte Daten, führte Messungen durch, durchstreifte die Gassen, Straßen und Plätze der Stadt, beschäftigte sich mit Krankenhäusern, öffentlichen Bädern, Bordellen und Friedhöfen, inspizierte
Häuser, wo er sein wachsames Auge und seine empfindliche Nase über die Marmorböden der Salons hinweg bis
in die Schlafzimmer, Klosetts und weiter in die Sickergruben wandern ließ, und stellte Überlegungen zu den Alltagsgewohnheiten, den Krankheiten und sogar der „Psychologie des Syrers“ an. Bei aller wissenschaftlichen Form
Abb. 27
Halīl Sarkīs (1841–1915) an seinem Schreibtisch, Anfang des
20. Jahrhunderts.
und Ambition sind Boyers als Buch publizierte Ausführungen zutiefst von der hygienistischen Ideologie des Fin
de Siècle geprägt. Die Grenzen zwischen einem medizinisch-technischem Gebrauch des Hygiene- und Gesundheitsbegriffs und seinem Missbrauch im Sinne von Sozialhygiene oder moralischer und psychischer Krankheit
sind bei ihm oft fließend.223 Dies vorausgeschickt, bleibt
das Buch dennoch eine wertvolle und sehr reichhaltige
zeitgenössische Quelle, die sich nicht nur aus der eigenen
langjährigen Beirut-Erfahrung des Autors speist, sondern
auch aus Informationen seiner Beiruter Kollegen und Studenten, so dass sich zahlreiche Details über das Beiruter
Alltagsleben am Ende des 19. Jahrhunderts herausdestillieren lassen.
Die hier zitierte Hausbeschreibung – sehr deskriptiv und
relativ wertfrei – ist Teil seines Kapitels über häusliche
Hygiene in Syrien. Darin unterscheidet er grundsätzlich
drei „Typen“ oder „Kategorien“ von Häusern, die nach
seiner Darstellung jeweils nach einem weitgehend gleichbleibenden Plan gebaut seien: Erstens „habitations pauvres“, also die Wohnhäuser der Armen in der Stadt (hier
beschreibt er einen sogenannten ḥawš, eine Wohnanlage
mit Einzelräumen für die Haushalte um einen gemeinschaftlichen Hof mit Brunnen)224, zweitens Bauernhäuser
71
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in den Bergen, und drittens „komfortable Häuser“. Dabei
ist die Behandlung des ersten und dritten Typs jeweils fast
ausschließlich auf Beirut fokussiert.225 Wie im Folgenden
zu sehen ist, entspricht das von ihm beschriebene Haus
des komfortablen Typs (Abb. 28, 29) – besonders in der
Ausführung, die in der von ihm beigefügten Grundrisszeichnung dargestellt ist – ungefähr dem, was dem Autor
des Muqtaṭaf-Artikels vorschwebte:
Maisons comfortables. – Elles existent, à Beyrouth, en
grande majorité, car beaucoup de propriétaires modestes on
adopté le plan que je vais décrire comme le plus commode et le plus pratique. A la montagne, pour les personnes aisées, cette disposition est également la règle. A Damas, les
maisons sont construites sur le même type avec quelques
légères variantes.
La pièce principale, celle autour de laquelle toutes les
autres viennent s’ouvrir, s’appelle la cour; c’est la plus
grande de la maison: elle offre l’aspect d’un carré long
dont la superficie toujours assez vaste varie avec l’impor-
Abb. 28
Ansicht und Längsschnitt eines Beiruter Mittelhallenhauses
nach Dr. Boyer.
tance de l’habitation. C’est là que se donnent toutes le fêtes.
Elle s’ouvre, d’une part, à l’extérieur sur la voie publique
ou le jardin, le plus souvent au nord, à Beyrouth, par trois
grandes baies vitrées. Celles-ci, encadrées par des colonnes
en marbre blanc, sont fermées par des boiseries délicatement découpées et destinées à supporter des vitrages, quelquefois coloriés, du plus belle effet. A l’autre extrémité de
la cour est une pièce appelée le Divan. C’est une sorte de
petit salon pour les réceptions ordinaires. Autour de cette
« cour » couverte à Beyrouth, mais en plein air à Damas,
s’ouvrent toutes les autres pièces de la maison dont la plus
grande, après la cour, constitue le salon d’apparat. Celuici s’ouvre souvent en dehors de la cour, par une porte spéciale, afin d’empêcher les visiteurs de pénétrer dans l’intérieur de la maison. Cette disposition, qui est de rigueur
dans les maisons musulmanes, a été copiée par les chrétiens. La destination des différentes chambres, en dehors
de celles que je viens de décrire, varie naturellement avec
les occupations, le nombre d’habitants, etc. Elles communiquaient autrefois seulement avec la cour ; actuellement
dans les maisons nouvelles on les fait également communiquer entre elles. Elles s’ouvrent à l’extérieur par un
nombre de fenêtres, restreint actuellement, mais très exagéré autrefois. Il n’etait pas rare de compter douze ou quatorze fenêtres pour une pièce de 5 mètres de largeur sur 7
de longuer.
Les locaux qui nous intéressent spécialement, au point de
vue hygiénique, sont justement ceux qu’un locataire ne visite jamais quand il prend possession d’une maison nouvelle. On se contente de s’assurer que la cour, le divan et
le salon sont luxueux et bien peints, tout le reste est un accessoire. C’est sont là, en effet, les seules pièces où sont admis les visiteurs. En général, cependant, les maisons comfortables de Beyrouth, même dans les ménages modestes,
sont très proprement tenues dans leur ensemble.226
Die Beschreibung Boyers fährt fort mit einer separaten
Auflistung und Beschreibung der Küche (cuisine) und der
Toiletten (cabinets d’aisance), die in Küchennähe liegen
und üblicherweise zwei an der Zahl sind, eine für die Herrschaften und eine für die Dienerschaft; weiterhin beschreibt er das Bad (salle de bains) und die Vorratskammer
(chambre de provisions). Anschließend schildert er die
Konstruktionsweisen der Fußböden, Decken, Mauern und
des Dachs des Hauses, und geht dann auf Lüftung, Belichtung und Reinigungspraktiken ein – all dies mit kritischem Augenmerk darauf, inwiefern das Vorgefundene
für seine Vorstellungen von Hygiene löblich oder dringend verbesserungswürdig wäre. Er schließt seine Behandlung der Häuser mit detaillierten Verbesserungsvorschlägen. (Er vergisst dabei nicht, anzumerken, dass er
72
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
Abb. 29
Grundriss eines Beiruter
Mittelhallenhauses nach
Dr. Boyer.
die seiner Ansicht nach wichtigste Verbesserung in seinem eigenen Wohnhaus schon vorgenommen hat: nämlich den Ersatz des für ihn unbequemen und unhygienischen Hockklosetts à la turque durch ein Sitzklosett mit
Wasserspülkasten und Siphon.)
Genau wie das Raumprogramm des Muqtaṭaf beansprucht
das Raumprogramm des hier beschriebenen Haustyps eine regionale Allgemeingültigkeit, dabei mit größerer sozialer Reichweite als noch in den 1880ern. In den französischen Begrifflichkeiten Boyers setzt es sich das Raumprogramm wie folgt zusammen: la cour, le divan, le salon d’apparat, les chambres, und die eben erwähnten Räume des Servicebereiches.
Mit dem Begriff la cour, an anderer Stelle als cour couverte, also überdeckter Hof, spezifiziert, bezeichnet Boyer die Mittelhalle. Es ist bedeutsam, dass er diesen Begriff
wählt, und nicht Begriffe aus der französischen Architekturterminologie wie vestibule, galerie, salle oder salon,
mit denen im 18. und 19. Jahrhundert vergleichbar geräumige, repräsentative und zentral im Grundriss positionierte geschlossene Räume mit Aufenthalts- und Er-
schließungsfunktion für benachbarte Räume bezeichnet
worden wären.227 Durch die Wahl des Begriffes cour (der
im zeitgenössischen französischen Gebrauch eigentlich
immer einen offenen Hof bezeichnete) setzt Boyer die
Mittelhalle formal und funktional gleich mit dem offenen
Hof der Damaszener Hofhäuser, die er in seiner Beschreibung ja auch ausdrücklich miterfasst wissen will.
Dass eine Mittelhalle als geschlossener Raum andere
Funktionen entwickeln konnte als ein offener Hof, wird
also zunächst beiseite gelassen. Dennoch erläutert Boyer
– im Unterschied zu den beiden vorangehend behandelten Beschreibungen – Entscheidendes mehr zu den Funktionen der Mittelhalle: nämlich dass alle umliegenden Räume mit ihr kommunizierten und nur von ihr aus zugänglich
waren (auf die Einführung von direkten Verbindungstüren zwischen den umliegenden Räumen wird später zurückzukommen sein), dass sie zu den Räumen gehörte, zu
denen Besucher (allerdings nicht alle) Zutritt hatten, und
dass hier alle Feste stattfanden.
Boyer erläutert auch, dass der neben der Mittelhalle liegende salon d’apparat (also der manzūl) meist über einen
73
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
zusätzlichen Eingang von außerhalb der Mittelhalle verfügte, damit Besucher eben nicht in das Innere des Hauses
– nämlich zunächst die Mittelhalle – eindrangen. Hier wird
die ambivalente, multifunktionale Rolle der Mittelhalle
ganz deutlich: sie war der zentrale Erschließungsraum und
die Wegkreuzung für alle Wohn- und Empfangsräume auf
einer Etage des Hauses. Sie war daher zwangsläufig auch
solchen Besuchern zugänglich, die im familiäreren Kreis
beispielsweise des līwāns empfangen wurden, aber nicht
unbedingt solchen, die im salon d’apparat empfangen wurden. Somit gehörte die Mittelhalle, obgleich sie unvermeidlich ein Ort der Begegnung und des Zusammenkommens war, im Alltagsgebrauch tendenziell zum geschützten familiären Bereich der Wohnung. Bei besonderen Anlässen jedoch wurde sie – als der größte Raum des Hauses
– zum Festsaal, der allen Gästen offen stand. Die Schwelle der Privatsphäre verschob sich bei solchen Gelegenheiten vom Eingang der Mittelhalle zu den Türen der Zimmer
– die natürlich auch im Alltag, etwa wenn Besucher die
Mittelhalle durchqueren, eine wichtige Abschirmfunktion
erfüllten. Die Mittelhalle war also ein Mehrzweckraum,
dessen verschiedene, teilweise im Konflikt stehende Funktionen durch temporäre und räumliche Ausweichbewegungen ermöglicht wurden. Die jeweilige Funktion der
Mittelhalle wurde in einem starken Maße im Handeln und
zeitabhängig konstituiert. Im Unterschied zu anderen Räumen des Hauses definierte sich die Mittelhalle nicht durch
eine eigentliche nominelle Funktion, sondern durch ihre
vermittelnde, verbindende und trennende Funktion in Relation zu den anderen Räumen. Dies hat sie letztlich tatsächlich mit dem offenen Hof gemein. Sie war ein Zwischenraum – vermittelnd zwischen Innen und Außen, zwischen häuslicher Privatheit und häuslicher Teilöffentlichkeit, und zwischen den verschiedenen Funktionen im Haus.
Nicht zuletzt deswegen entzog sie sich einer funktionsbezogenen Benennung in der Art, wie sie sich im späten 19.
Jahrhundert für andere Räume festsetzten.
Zu diesen funktional klarer definierten Räumen gehört
nun der schon besprochene līwān. Boyer nennt ihn „le Divan“ – eine geringfügige, aber in französischen Beschreibungen auffällig häufig zu findende Begriffsverwechslung, die daher rühren mag, dass man mit dem Begriff Diwan schon von zuhause her vertraut gewesen sein mochte, und dass ein līwān damals in konservativ möblierten
Häusern in Beirut oder Damaskus durchaus noch mit einem Diwan als Sitzgelegenheit ausgestattet sein konnte.
Boyer bestätigt auch das, was weiter oben schon über die
Funktion des līwān angemerkt wurde: er ist „eine Art pe-
tit salon für gewöhnliche Empfänge“.228 Der Begriff petit salon steht bei Boyer als ein weitgehend zutreffendes
und für eine französische Leserschaft gut verständliches
Kürzel für die Funktion des līwāns als die familiäre ġurfat al-maqʿad (das „Sitzzimmer“, um den Begriff aus alMuqtaṭaf aufzunehmen). Dabei ist gleich einschränkend
hinzuzufügen, dass – wie auch bei Boyer schon deutlich
wird – die räumlichen Zusammenhänge zwischen līwān
und Hauptempfangsraum in Beiruter Mittelhallenhäusern
andere waren als die eines petit salon und grand salon in
einem großbürgerlichen französischen Wohnhaus.
Denn anders als im französischen Kontext, wo petit salon und grand salon direkt beieinander lagen und miteinander kommunizierten, lag hier der līwān am rückwärtigen Ende der Mittelhalle, wohingegen der Hauptempfangsraum im vorderen Bereich seitlich der Mittelhalle
lag, ohne direkte Verbindung und sogar in größtmöglicher
räumlicher Distanz zum līwān. Der von Boyer beigefügte Grundriss illustriert dies hinreichend. Der Grundriss
zeigt auch, wie die Zusatzerschließung dieses Salons von
außerhalb der Mittelhalle durch eine kleine Vorhalle oder
Eingangshalle (im Grundriss vestibule genannt) gewährt
wurde. Diese Vorhalle bestand eigentlich aus dem abgeteilten vorderen Bereich der Mittelhalle und stand mit dieser und dem Außenraum durch (hier verglaste) Dreibogenarkaden in Verbindung. Diese Form der Erschließung
war dann üblich und möglich, wenn das Geschoss – wie
im Grundriss dargestellt – eine Frontalerschließung hatte,
d.h. in der Regel bei einem Parterre- oder HochparterreGeschoss. Bei einem zweiten Wohngeschoss, wie es viele in dieser Arbeit behandelte Fallbeispiele und auch das
von Boyer präsentierte Beispiel hatten, wurde diese Frontalerschließung jedoch nur in Ausnahmefällen gewählt,
und stattdessen ein ganz anders gearteter, seitlicher Zugang in die Wohnung und zur Mittelhalle geschaffen. Wie
sich in Boyers Grundriss erkennen lässt, verfügt sein Beispiel über ein mit separatem Eingang versehenes Treppenhaus (im Grundriss links oben), das keinerlei Verbindung zum Parterregeschoss hat und daher für eine unabhängige zweite Wohnung im Obergeschoss gedacht sein
muss, dessen Grundriss und Raumprogramm mit denen
des dargestellten Parterregeschosses weitgehend übereinstimmen müssten. Wie in solchen Fällen der seitlichen
Erschließung das Problem einer von der Mittelhalle unabhängigen Zweiterschließung des Salons gelöst (oder
auch nicht gelöst) wurde, darauf geht Boyer nicht ein. Es
ist eine Frage, auf die im Laufe dieser Untersuchung zurückzukommen sein wird.
74
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
Bezüglich Boyers Grundrisszeichnung als historischer Quelle muss an dieser Stelle allerdings zur Vorsicht gemahnt
werden. Denn ein genauerer Blick enthüllt, dass sein Beispiel kein real-existierendes Beispiel eines Beiruter Hauses darstellt, sondern ein idealisiertes (und daher in gewissen Details irreführendes) Modellbeispiel ist – auch wenn
Boyer selbst dies an keiner Stelle deutlich macht. Das zeigt
sich vor allem in einigen Unstimmigkeiten in der Raumeinteilung des Grundrisses, angefangen bei der nahezu vollkommenen Achsensymmetrie, die so in Beiruter Häusern
kaum zu finden war, und fortgesetzt in der Größe und Erschließung bestimmter Räume. Der Salon beispielsweise
müsste eigentlich, um dem damaligen Beiruter Regelfall
bei Häusern der dargestellten Größenordnung zu entsprechen, das im Plan unmittelbar angrenzende Zimmer (im
Grundriss mit „chambre“ bezeichnet) einschließen, so dass
sich ein großer, parallel zur Mittelhalle liegender, längsrechteckiger Saal ergäbe, dessen eine Tür mit der Mittelhalle und dessen zweite Tür mit der Vorhalle kommuniziert.229 Der im Plan dargestellte, sehr kleine und nicht mit
der Mittelhalle, sondern nur mit dem benachbarten Zimmer kommunizierende Salon steht auch im Widerspruch
mit Boyers eigener Beschreibung, nach der alle Räume mit
der Mittelhalle kommunizieren und der Salon, als der zweitgrößte Raum im Haus, zusätzlich von außerhalb der Mittelhalle erschlossen ist. Ähnliches gilt für den dem Salon
gegenüberliegenden Raum, der im Plan als cabinet de travail bezeichnet wird und ebenfalls von der Vorhalle her erschlossen ist. Auch er ist – im Vergleich zu dem „typischen“
Grundriss eines größeren Beiruter Mittelhallenhauses des
späten 19. Jahrhunderts – zu klein geraten und müsste zusammengefasst mit dem Nachbarraum den zweiten der beiden Säle ergeben, die in solchen größeren Häusern die Mittelhalle im vorderen Bereich beidseitig flankieren, und die
ich im weiteren einfach und funktionsneutral als Seitensaal
bezeichnen möchte.
In der Zeichnung zu groß geraten ist hingegen für damalige Beiruter Verhältnisse das Badezimmer. Dies mag
zeichnerisch begründet sein, zwecks einer gewünschten
Achsensymmetrie der Grundrisszeichnung, es mag aber
auch mit der der Propagierung verbesserter häuslicher Sanitäreinrichtungen zu tun haben. Denn schließlich beschreibt Boyer selber die in Beiruter Häusern vorgefundenen Badezimmer als kleine dunkle Kammern, während
das Bad in der Planzeichnung geräumig ist und über zwei
Fenster und zwei Türen verfügt.230 Die Küche, andererseits, ist in ihrer in der Zeichnung dargestellten Form für
ein Beiruter Haus dieser Größenordnung eher klein, ob-
wohl Boyer in seiner Beschreibung die Küchen allgemein
als geräumig bezeichnet.231 Die Widersprüche zwischen
der Zeichnung und dem Text sind also offensichtlich. Auch
das im Grundriss ablesbare Dreibogenfenster in der rückwärtigen Außenwand des līwāns stellt eher eine sehr ungewöhnliche Ausnahme als einen Regelfall bei solchen
Häusern dar; üblicherweise besteht die Befensterung hier
aus zwei oder drei hochrechteckigen Fenstern. Als eine
letzte Auffälligkeit sind die Verbindungstüren zu nennen,
die alle an die Mittelhalle anschließenden Räume untereinander verbinden. Da Boyer auf diese Neuerung in seiner Beschreibung ausdrücklich hinweist, kann man vermuten, dass er die Absicht hatte, in seinem Beispiel die
seinerzeit modernste Ausführungsform des Mittelhallenhauses darzustellen.
Insgesamt muss man bei einem Vergleich mit dem erhaltenen baulichen Bestand jedoch zu dem Urteil gelangen,
dass dieser Grundriss kein repräsentatives Beispiel eines
Beiruter Mittelhallenhauses der 1890er darstellt, sondern
vielmehr einen nach den Vorstellungen des französischen
Arztes und seines ebenfalls französischen Zeichners, M.
Giot, „verbesserten“ Ideal- oder Modellgrundriss, der offensichtlich weniger dokumentarischen als didaktischen
Zwecken dienen sollte.
Diese „Verbesserungen“ scheinen sich jedoch kaum auf
das dargestellte Raumprogramm zu erstrecken, und als
Ergänzung zu der faktenbezogenen Beschreibung bleibt
die Grundrisszeichnung eine hilfreiche Quelle für eine Rekonstruktion von damals gängigen Vorstellungen des
Raumprogramms für Häuser der oberen Mittelschicht.
Hinsichtlich des Raumprogramms enthalten die Beschreibung und der Grundriss auch Hinweise über die
Funktionen der von Boyer als chambres bezeichneten Räume. Dieser französische Begriff bezeichnet ganz ähnlich
den arabischen Begriffen ūḍa und ġurfa allgemein „Zimmer“ und im enger gefassten Sinne Ruhe- und Schlafzimmer, wobei diese enger gefasste Bedeutung im Französischen älter ist als die allgemeinere, welche erst im 19.
Jahrhundert üblich wurde.232 Da Boyer in seiner Beschreibung konsequent zwischen pièce für „Raum“ und
chambre für „Zimmer“ unterscheidet, scheint die enger
gefasste Bedeutung als Schlafzimmer bei seiner Verwendung des Begriffes chambre mitzuklingen. In weitgehender Übereinstimmung mit al-Qāyātī bezeichnet er so alle
Wohnräume mit Ausnahme der klar identifizierten Dreiergruppe Mittelhalle-Salon-līwān, und er fügt hinzu, dass
ihre Zweckbestimmung je nach Aktivitäten, Zahl der Bewohner u. a. m. variiert.
75
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Das heißt in Übereinstimmung mit al-Qāyātī und alMuqtaṭaf, dass man bei Mittelhallenhäusern einer bestimmten Mindestgröße von einem mehr oder weniger standardisierten Raumprogramm ausgehen kann: nämlich die
genannte Dreiergruppe aus Mittelhalle, Salon und līwān/
ġurfat al-maqʿad, zuzüglich einer variablen Anzahl weiterer Zimmer (uwaḍ), aus deren Zahl der Bedarf an Schlafzimmern und privaten Rückzugsräumen gedeckt wird. Je
nach Möglichkeit und Bedarf sind dann weitere funktionale Spezialisierungen möglich. Diese sind bei Boyer nicht
im allgemeingültig gedachten Text, sondern nur im Grundrissbeispiel spezifiziert, nämlich als Esszimmer (chambre du
salle à manger) und als Arbeitszimmer (cabinet du travail).
Durch diese ausdrückliche funktionale Spezifizierung von
einzelnen Zimmern wird letztlich den übrigen Zimmern implizit die Funktion von Rückzugs- und Schlafzimmern zugewiesen. Diese Zimmer liegen in Boyers Grundriss nicht
räumlich beieinander, sondern verteilen sich wie zufällig
zwischen den anderen, spezialisierten Räumen um die Mittelhalle. Das scheint durchaus der seinerzeit gängigen Praxis zu entsprechen und deutet darauf hin, dass ihre Lokalisierung nicht so sehr durch etwaige besondere Anforderungen an die Schlaf- oder Rückzugsräume (wie etwa Abgelegenheit oder besondere klimatische Bedingungen) bedingt war, sondern sich aus der Lage der funktional spezialisierten Räume ergab, deren sinnvolle Platzierung im
Raum- und Erschließungsgefüge offenbar vorrangig war.
Als Schlaf- und Rückzugsräume wurden somit die „übrig
gebliebenen“ Räume genutzt.
So liegt das Esszimmer in Boyers Grundrissbeispiel in der
Nähe der Küche, wie es in Beiruter Mittelhallenhäusern
– zumindest des ausgehenden 19. Jahrhunderts –tatsächlich auch häufig der Fall war. Das Arbeitszimmer hingegen ist in Boyers Plan am vorderen Haupteingang der
Wohnung platziert, wo es – wie der Salon – direkt von der
Vorhalle her zugänglich ist.
Dass es in manchen Beiruter Häusern damals Arbeitszimmer gegeben hat, ist schon besprochen worden. Boyers Aussage kann als ein zusätzliches Indiz dafür verstanden werden, dass eine Art Arbeitszimmer tatsächlich Bestandteil
eines zumindest in bestimmten Beiruter Kreisen üblichen
Raumprogramms war – jenen gehobenen und gebildeten
Kreisen vor allem, in denen vermutlich auch Boyer verkehrte. Die von ihm vorgeschlagene Lokalisierung am Eingang macht ebenfalls theoretisch Sinn, wenn wir uns die
ambivalente Funktion eines solches Zimmers einerseits als
ruhigen Arbeitsort des Hausherrn und andererseits als Ort
für den Empfang von Geschäftspartnern, Klienten, Liefe-
ranten oder Freunden des Hausherrn noch mal vor Augen
führen. Dennoch muss Boyers Lokalisierung dieses Raums
in seinem didaktisch gedachten Grundriss nicht unbedingt
die tatsächliche lokale Praxis widerspiegeln. Sie kann ebenso gut eine gewollte Übertragung von seinerzeit in französisch-bürgerlichen Kreisen vorherrschenden Vorstellungen
zur idealen Platzierung eines cabinet de travail in der Wohnung sein, wonach dieser Raum weitgehend unabhängig
vom Rest der Wohnung zu sein hatte, also nahe am Eingang
liegen oder über einen eigenen Eingang verfügen sollte.233
Inwieweit dies auch auf die damalige Beiruter Praxis zutraf, wird noch zu erkunden sein.
Als eine letzte separate Raumnutzung, die in Boyers Grundriss erwähnt ist, bleibt noch die Waschküche (buanderie)
zu nennen. Diese zur Gruppe der Hauswirtschaftsräume zu
zählende Einrichtung ist bei Boyer in einem eigenen Nebengebäude im Garten lokalisiert. Ob es jedoch überhaupt
eine Waschküche als besondere Räumlichkeit in damaligen
Beiruter Häusern gegeben hat, bleibt zu fragen. Jedenfalls
erwähnt Boyer in seiner ausführlichen Beschreibung von
häuslichen Einrichtungen und ihrer haustechnischen Ausstattung die Waschküche bedeutsamerweise nicht. Sie mag
daher auch zu den didaktisch motivierten Elementen seiner Grundrisszeichnung gehören.
3.4 Das Raumprogramm in der Zusammenschau
In der Zusammenschau ergibt sich aus den drei untersuchten Quellen ein relativ kohärentes Bild von dem
Raumprogramm, das – als eine Art Grundmuster mit einer gewissen Variationsbreite – in den Häusern der oberen Mittelschichten und Oberschichten Beiruts während
der 1880er und 1890er Jahre vorzufinden war.
Allgemein lassen sich dabei fünf Nutzungskategorien unterscheiden; und diese Kategorien werden in den Grundrisszeichnungen ausgewählter Fallbeispiele dieser Arbeit
den einzelnen Räumen mittels eines Farbschlüssels zugewiesen:
Blau:
Empfangsräume und Wohnräume mit
Empfangsfunktion;
Grün: Zimmer (uwaḍ) als Schlaf- und Rückzugsräume;
Orange: Hauswirtschaftsräume einschließlich Küche,
Lager- und Vorratsräumen sowie Bedienstetenkammern;
Gelb: Sanitärräume (Bäder und Toiletten);
Grau: Verkehrsflächen und reine Durchgangsräume,
wie Treppen und Korridore.
76
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
Zu der ersten Kategorie, Empfangsräume und Wohnräume
mit Empfangsfunktion, gehören der Salon, der līwān, die
Mittelhalle, das Arbeitszimmer bzw. die „Bibliothek“, das
Rauchzimmer sowie – mit Einschränkungen, auf die zurückzukommen sein wird – das Esszimmer. Arbeitszimmer, Rauchzimmer und Esszimmer sind dabei als damals
relativ rezente Neueinführungen anzusehen – funktionale Spezialisierungen von Räumen, die in beiden Fällen mit
der Aufstellung bestimmter neuer Möbeltypen (Esstisch,
Schreibtisch, Bücherregale usw.) und mit neuen Wohnund Empfangsritualen einhergingen. Durch solche Spezialisierungen wurden bestimmte Aktivitäten, die früher
in Vielzweckräumen stattgefunden hatten, räumlich auf
separate Räume festgeschrieben. Durch diese Vereinnahmung eines Raumes durch eine einzige Funktion erhöhte
sich letztendlich die Zahl der Räume, die insgesamt in einer Wohnung benötigt wurden.
Zur zweiten Kategorie, den Zimmern, lassen sich all jene
Räume zählen, die zum Schlafen und als Rückzugsraum
von Einzelnen oder Untergruppen der Familie gegenüber
dem Rest der Familie, dem Haushalt und eventuell anwesenden Gästen dienten. Als Schlafzimmer (ġurfat almanāma oder im lokalen Sprachgebrauch ūḍat an-nawm,
dialektal ūdet en-nōm) im eigentlichen Sinne konnten sie
sich allerdings erst ausdifferenzieren, als im Zuge der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fest aufgestellte Betten mit eisernen oder hölzernen Bettgestellen (anstelle der
nachts ausgebreiteten und tagsüber verstauten Matten und
Matratzen) bei den Ober- und Mittelschichten Beiruts üblich wurden. Dadurch wurde auch die Aktivität des Schlafens weitgehend aus den zuvor üblichen Vielzweckräumen ausgelagert. So erforderte auch diese Veränderung in
der materiellen Ausstattung und in der damit einhergehenden Wohnpraxis letztlich eine größere Zahl von Räumen. Denn Aktivitäten wie Essen, Schlafen, familiäres
Beisammensein, bestimmte Haushaltstätigkeiten und der
Empfang von Besuch, die zuvor zeitversetzt in ein und
demselben Raum stattfinden konnten, und für die das traditionelle, leicht verstaubare Mobiliar (ṣīniyye, Matten,
Matratzen, Kissen) ausgelegt war, wurden – bedingt durch
das neue, unbewegliche Mobiliar – auf verschiedene Räume verteilt und festgeschrieben. Die so entstandenen
(Schlaf-) Zimmer ihrerseits dienten jedoch nicht ausschließlich zum Schlafen; sie dienten, wie zu zeigen sein
wird, auch anderen Tätigkeiten, und waren unter Umständen auch Besuchern zugänglich.
Die dritte, vierte und fünfte Funktionskategorie (Hauswirtschafts-, Sanitär- und Durchgangsräume) sind relativ
klar fassbar und meist ganz eindeutig bestimmten Räumen zuzuordnen. Dagegen wird deutlich, dass die erste
und zweite Kategorie schon aus ihrem lokalen historischen
Ausdifferenzierungsprozess heraus komplexer und miteinander räumlich sehr viel enger verzahnt sind. Ihre mannigfaltigen Nutzungen in der häuslichen Alltagspraxis sind
auch nicht immer so eindeutig zu trennen und an einzelnen Räumen festzumachen, wie es die Benennung der
Räume suggeriert – was auch damit zusammenhängen
mag, dass Wohngewohnheiten sich nicht so schnell und
einfach ändern lassen wie das Mobiliar. Ein nicht immer
klares Verhältnis zwischen nomineller Raumnutzung und
der tatsächlichen praktischen Nutzung ist allerdings kein
spezifisches Merkmal von Beiruter Häusern; Wolfgang
Brönner hat dies beispielsweise auch bei seiner Untersuchung deutscher Villen des 19. Jahrhunderts festgestellt.234
In unserem Fall sind freilich nicht historische Architektenpläne der Häuser die Grundlage der Raumbenennung,
sondern Beschreibungen und beiläufige Bemerkungen von
Bewohnern und Besuchern, so dass eher davon ausgegangen werden sollte, dass die praktische, hauptsächliche
Nutzung in der Benennung reflektiert ist. Darüber hinaus
sind natürlich viele Räume durch ihre funktionsbezogene
baufeste Ausstattung, ihr Dekor und ihre Position im räumlichen Gefüge erkennbar auf bestimmte Nutzungen angelegt. Gerade dies macht die Rekonstruktion der historischen Raumnutzung oft überhaupt erst möglich und ist für
die in dieser Untersuchung behandelten Fallstudien von
entscheidender Bedeutung. Es wird sich in diesen Fallstudien jedoch auch zeigen, dass es einerseits flexible Zusatznutzungen gegeben haben kann, die sich nicht an solchen festen baulichen Merkmalen ablesen lassen, und dass
ein Raum späteren Umnutzungen unterliegen konnte, die
mit der baulichen Gestaltung und der Erschließungssituation des Raumes im Widerspruch standen.
3.5 Zur Erfassung und Deutung von Abweichungen
und Veränderungen in der Raumnutzung
Solche Widersprüche zwischen nomineller Raumnutzung
und tatsächlicher Nutzung sind durchaus bedeutsam: Spätere Umnutzungen sind vielleicht die augenfälligsten Anzeiger von Wandlungsprozessen in den Wohnbedürfnissen. Und die kleinen, alltäglichen, von Anfang an praktizierten Zusatznutzungen von Räumen, die von den ‚offiziellen’, an einer sich globalisierenden europäisch-bürgerlichen Kultur orientierten Raumbezeichnungen verschwiegen werden, können wichtige Indikatoren einer lo77
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
kalspezifischen Wohnkultur mit ihrer ganz eigenen Entwicklungs- und Adaptionsgeschichte sein. Diese historischen Zusatznutzungen sind natürlich am schwierigsten
zu rekonstruieren, weil sie keine materiellen, am Bau erhaltenen Spuren hinterlassen haben, und sie sich bestenfalls fragmentarisch in historischen Beschreibungen und
Lebenserinnerungen überliefert haben. Und selbst unter
solchen glücklichen Umständen bleibt immer noch offen,
inwieweit das überlieferte Zeugnis nur einen Einzelfall
darstellt oder zumindest orts- und schichtenbezogene Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
Grundsätzlich muss bei beobachteten Veränderungen in
der Raumnutzung immer bedacht werden, ob sie als Ausdruck eines linear gerichteten, gesellschaftlichen Wandels
gedeutet werden können, oder eher als Ausdruck zyklischer Veränderungen im Einzelhaushalt, die vor allem mit
dem familiären Reproduktionszyklus und dadurch bedingten Schwankungen in der Haushaltsgröße zusammenhängen.235 Das heißt jedoch nicht, dass solche zyklisch
bedingten Veränderungen in der historischen Perspektive
unwichtig sind. Denn die Art und Weise, wie der veränderte Raumbedarf der wachsenden und schrumpfenden
Familie im Haus akkommodiert wird, kann ein allgemeiner gültiges Muster gesellschaftlicher Praxis darstellen
und seinerseits einem gerichteten Wandlungsprozess unterliegen.
Ein anderer, nicht unwichtiger Grund für die Umnutzung
von Räumen kann ein Wechsel der Bewohnerschaft eines
Hauses sein. Je nach Haushaltsgröße, sozioökonomischem
oder kulturellem Hintergrund der neuen Bewohnerschaft
kann der Raumbedarf und die Raumnutzung sich unterscheiden.236 Auch die Aufteilung eines ursprünglich von
einem Haushalt bewohnten zweigeschossigen Wohnhauses in zwei separate Geschosswohnungen, die bei zahlreichen Beiruter Häusern nachzuweisen ist, führte zwangsläufig zu Umnutzungen von Räumen.
Veränderungen im Raumnutzungsgefüge bestehender
Wohnhäuser gab es also aus zahlreichen Gründen, und offensichtlich sind nicht alle Veränderungen in der Raumnutzung einzelner Häuser Indikatoren einer Veränderung
der Wohnideale und Wohnkultur einer gesellschaftlichen
Gruppe oder Schicht im Allgemeinen.237
Die mikrohistorische Untersuchung bestehender Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts als Quelle für Entwicklungsprozesse in der Wohnkultur verlangt daher mehrere, sich ergänzende Schritte für eine Interpretation in makrohistorischer Perspektive: Erstens die Identifizierung
von Veränderungen in Raumstruktur, Raumgestaltung und
Raumnutzung sowie die Rekonstruktion von früheren Nutzungsphasen eines Hauses, zweitens die Interpretation
dieser Befunde zunächst im Kontext der individuellen Bewohnergeschichte eines Hauses, und drittens ihre einordnende Bewertung in Hinsicht darauf, ob sie nur individuelle Erscheinungen oder Ausdruck eines allgemeineren, gerichteten Wandels sind. Besonders für die letztgenannte Bewertung – und damit, wenn man so will, den
Brückenschlag in die Makrogeschichte – ist es unabdingbar, zu vergleichen, ob ähnliche Veränderungen auch
bei anderen Häusern jener Zeit zu finden sind. Ebenso
bietet es sich an, Neubauten aus verschiedenen Zeitpunkten des Untersuchungszeitraums einzubeziehen, weil
diese den jeweiligen Entwicklungsstand des Wohnideals
hinsichtlich Raumstruktur und Raumprogramm deutlicher ausformuliert widerspiegeln, als ältere Wohnhäuser
dies in ihren Veränderungen tun. Eventuelle Parallelen
zwischen neuen Charakteristiken an Neubauten und Veränderungen an Altbauten helfen erstens, diese Veränderungen besser zu verstehen, und können zweitens als Beleg dafür dienen, dass diese Veränderungen tatsächlich
Ausdruck eines allgemeineren Wandlungsprozesses in der
Wohnkultur sind.
Allein durch diese Identifizierung solcher Wandlungsprozesse ist schon ein wichtiger Schritt getan, die immer noch
zu oft als statisch wahrgenommene Haus- und Wohnform
des Beiruter Mittelhallenhauses zu historisieren und als
etwas Veränderliches und Prozesshaftes lesbar zu machen,
etwas, in dem Älteres fortlebt und sich weiterentwickelt,
und Neues sich ausprägt. Darüber hinaus werden – durch
die Untersuchung der Raumstruktur und Raumnutzung –
die Häuser als Indikatoren von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen lesbar, die aus schriftlichen Quellen kaum
oder nur zwischen den Zeilen herauszulesen sind und daher bislang in der historischen Forschung zu Beirut und
überhaupt der Region stark unterbelichtet waren. Bei der
Interpretation dieser bau- und nutzungsgeschichtlichen
Befunde gibt es jedoch ein Quellenproblem. Denn in diesem Zusammenhang gilt weitgehend, was beispielsweise
in den Forschungen zu Proxemics – der Analyse des räumlichen Verhaltens des Menschen als einer spezifischen Ausformung von Kultur – festgestellt wurde: Der menschliche Gebrauch von Raum, als das Ergebnis einer langen,
historischen und kulturspezifischen Verhaltensmodellierung, ist weitgehend unbewusst.238 Im ähnlichen Sinne äußert sich P. Gleichmann bezüglich der Erforschung von
Wohnverhältnissen: „Wer vom ‚Wohnen’ sprechen will,
hat über sozial modellierte Verhaltensbereiche zu spre-
78
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
I.3 Zum Problem der historischen Raumnutzungen
chen, die zum großen Teil nicht sprachlich abgebildet
sind.“239 Das hat notwendigerweise gerade für die sonst in
der historischen Forschung so wichtige schriftliche Quellenlage Folgen. Die unsichtbare, soziale Dimension des
Wohnraums und der Wohnpraxis ist in der Regel für die
einheimischen Bewohner als Insider zu ‚selbstverständlich’, zu sehr Teil ihrer selbst, um kritisch wahrgenommen
und verbalisiert zu werden. Dies kann erklären, warum es
nur so wenige informative Aussagen von einheimischen
Zeitgenossen über ihre Wohnverhältnisse gibt. (Auf die
Ausnahmen wird besonders im dritten Teil dieser Arbeit
zurückzugreifen sein.) Dagegen sind Außenseiter, wie z.B.
Reisende, häufig kaum in der Lage, ihre distanzierteren
Beobachtungen losgelöst von ihren eigenen kulturellen
Konzeptionen zu machen (vgl. das Beispiel Boyer), und
sie tendieren in ihren Reisebeschreibungen oft zur einer
Vereinfachung und Essentialisierung, der eine intime
Kenntnis der Verhältnisse und ein Bewusstsein für historische Veränderlichkeit und Prozesshaftigkeit fehlen. Es
ist daher nicht unproblematisch, auf solche Beschreibungen als Hauptquelle für das Beiruter Wohn- und Alltagsleben des 19. Jahrhunderts zurückzugreifen, selbst wenn
sie wegen ihrer großen Zahl und ihrer Fülle an Beobachtungen nicht außer Acht gelassen werden können. Dennoch können aus den Reibungen, die dann entstehen, wenn
Insider mit Störungen, Veränderungen und Neuerungen in
ihrem Wohnumfeld, oder wenn von außen kommende Beobachter mit Andersartigkeit konfrontiert sind, erhellende Bemerkungen entspringen, die sich – oft ganz beiläufig
– in schriftlichen Texten, Lebenserinnerungen und Reisebeschreibungen niederschlagen. Sie erhalten ihre Bedeu-
tung für eine Untersuchung von Veränderungen der Beiruter Wohnkultur jedoch oft erst aus der Gegenüberstellung verschiedener Quellenaussagen und – entscheidender noch – im Lichte von Fragen, die sich zuvor aus der
bau- und nutzungsgeschichtlichen Untersuchung der
Wohnhäuser und ihrer Veränderungen ergeben haben. Die
baulichen, räumlichen Strukturen der Wohnhäuser können
daher als wichtige Anzeiger von sozialen Strukturen und
ihren Veränderungen dienen, aber sprechen nicht ganz für
sich selbst, sondern bedürfen – zur Rekonstruktion von
Nutzungen und zum Aufspüren der sozialen Bedeutungen
– der inhaltlichen Qualifizierung durch andere, meist
schriftliche, aber auch mündliche und photographische
Quellen. Dieses wechselseitige Inbezugsetzen muss im
Bewusstsein des jeweiligen zeitlichen Kontexts geschehen, und mit dem Grundverständnis eines lokalspezifischen „Prozesses der Zivilisation“ im Eliasschen Sinne.
Das oben aus den Quellen rekonstruierte Raumprogramm
für Beiruter Häuser des späten 19. Jahrhunderts soll uns
als Matrix bei der folgenden Untersuchung der Fallbeispiele dienen, die uns – in den baulichen Kontext des jeweiligen Hauses gesetzt – hilft, historische Raumnutzungen zu identifizieren und zu lokalisieren. Als ein datierbarer zeitlicher Schnitt, der die 1880er und 1890er erfasst
und somit in der Mitte des Untersuchungszeitraums liegt,
kann dieses Raumprogramm außerdem als Bezugspunkt
und Vergleichsmaßstab für frühere und spätere Entwicklungsstadien dienen. Denn um das Prozesshafte der Wohnstrukturen herauszuarbeiten, ist es wichtig, die zeitliche
Bedingtheit des identifizierten Raumprogramms im Auge zu behalten.
79
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II. DIE FALLSTUDIEN
1 Qaṣr Ziadé: Ein Wohnhaus im
„Beiruter Stil“
1.1 Räumliche Lage – gegenwärtig und historisch
Der Qaṣr Ziadé (Ziyāda) trägt heute den Namen seiner langjährigen Eigentümer und Bewohner, der Familie Ziadé, die
allerdings nicht der Erbauer des Hauses war. Das Haus [Katasternummer ZAB 614 & 615] befindet sich am westlichen Rand des Beiruter Stadtviertels Zokak el-Blat, gleich
südöstlich der Kreuzung von Rue Abdel-Kader und Rue
Hussein Beyhum (Abb. 30). Gegenwärtig ist diese Lage an
der westlichen Grenze Zokak el-Blats hin zu den benachbarten Quartieren Zarif und Kantari durch die für Beiruts
perizentrale Quartiere charakteristische, heterogene Bebauung charakterisiert, die stellenweise durch alte Gärten
und neue Abrissflächen aufgelockert und hinsichtlich Baualter, Gebäudetypen und Bauhöhen sehr kontrastreich ist.240
Zum richtigen Verständnis der Anlage des Hauses und seiner ursprünglichen räumlichen Bezüge ist es hilfreich, sich die
historische Situation vor Augen zu führen. Dafür eignet sich
als zeitgenössisches Dokument die sogenannte Löytved-Karte von 1876 (Abb. 31). Zur Zeit seiner Erbauung um 1870
und bis in das frühe 20. Jahrhundert lag das Haus am westlichen Bebauungsrand des noch jungen Quartiers. Von den
offenen Bogengalerien auf der West- und Südseite des Hauses genoss man damals einen freien Blick über die Sandhügel von ar-Raml oder Ramlat aẓ-Ẓarīf, die sich von hier aus
nach Westen und Süden über die Halbinsel Ras Beirut erstreckten, und die eine weitere Ausdehnung der Gartennutzung und der vorstädtischen Bebauung in diese Richtung bis
in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhundert hemmten.241 Nach
diesen Sandhügeln ist auch der Weg benannt, Ṭarīq ar-Raml
(der „Sandweg“, die heutige Rue Abdel-Kader), welcher der
Sohle einer flachen, von Norden nach Süden ansteigenden
Talsenke folgt und das ummauerte Gartengrundstücks von
Qaṣr Ziadé im Westen begrenzt.242 Jenseits dieses Weges lagen in den 1870ern einige Gärten mit Maulbeer- und Zitrusbäumen und vereinzelten kleinen Gebäuden, die ihrer Größe
nach zu urteilen vermutlich vor allem landwirtschaftlichen
Zwecken dienten, etwa als Geräteschuppen, zur Seidenraupenzucht oder auch als sehr bescheidene Wohnhäuser. Etwas
hangabwärts nach Nordwesten stand schon ein größeres Haus,
Bayt Haddad [M 1810] (siehe Fallstudie Kap. 3.10). Diesseits der Straße, gleich an der Südwestecke des Qaṣr Ziadé,
befand sich ein kleines Wohnhaus [ZAB 613], das später einem anderen Zweig der Ziadé-Familie gehörte.243
Hangaufwärts entlang dem Ṭarīq ar-Raml, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, befanden sich damals schon
drei große, villenartige Häuser, die um oder kurz nach 1860
hier errichtet worden waren: das Haus der maronitischen
Familie Mezher (Muzhir) [M 1931], die weitläufigen
Grundbesitz in dieser Gegend besaß, und die Häuser der
sunnitischen Familien Daouk (Dāʿūq) [M 1590] (siehe Abb.
21) und Mukhayyesh (Muḫayyiš) [M 1854].244 Die anderen spätosmanischen Häuser entlang dieser Straße, vor allem die des verzweigten Familienclans der Khoury (alḪūrī), wurden erst am Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert errichtet und sind heute entweder im ruinösem Zustand oder abgängig.
Abb. 30
Lageplan Qaṣr Ziadé (o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
80
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 31
Ausschnitt aus dem Löytved-Plan von 1876 mit dem Umfeld
von Qaṣr Ziadé im Quartier Zokak el-Blat. Markierte Häuser:
(1) Qaṣr Ziadé, (2) Qaṣr Mezher, (3) Qaṣr Daouk, (4) Qaṣr
Mukhayyesh, (5) Qaṣr Fargeallah, (6) Qaṣr de Freige,
(7) Ḥārat Geday, (8) Gebäude der British Syrian Mission,
(9) Infanteriekaserne („Grand Sérail“), (10) Madrasa alWaṭaniyya, (11) Bayt Haddad. Nördlich vom Qaṣr Ziadé
(1) das L-förmige Grundstück des später hier errichteten Qaṣr
Heneiné (schwarz umrandet).
Im Norden war und ist das Grundstück von Qaṣr Ziadé
durch eine in West-Ostrichtung verlaufende Querstraße
begrenzt, der heutigen Rue Hussein Beyhum. Sie verbindet den Ṭarīq ar-Raml mit der hangaufwärts liegenden zentralen Erschließungsstraße des Quartiers, Zuqāq al-Balāṭ
(der heutigen Rue Amine Beyhum). Die auf diese Querstraße ausgerichtete nördliche Hauptfassade des Hauses
überblickte damals einige kleinere, heute abgängige Wohnhäuser und ein größeres, damals noch leeres Grundstück,
auf dem erst in den 1880ern der Qaṣr Heneiné (Ḥunayna)
errichtet werden sollte (siehe Fallstudie Qaṣr Heneiné,
Kap. 2). Weiter hangabwärts nach Norden lagen die sich
damals ebenfalls entwickelnden und allmählich verdichtenden Vororte westlich der Altstadt: Wadi Abou Jemil,
Bab Idriss und – ganz unten am Meer – Zeitouni und Minet el-Hosn mit ihren Kaffeehäusern und Badestegen.
Die Gartengrundstücke unmittelbar im Osten des Hauses
waren damals – von einigen Kleinstrukturen abgesehen –
noch weitgehend unbebaut. Noch weiter östlich und hangaufwärts, auf dem Hügelrücken nahe der Zokak el-BlatStraße, lagen das damals noch zweigeschossige Wohnhaus
der Familie Fargeallah (Faraǧallāh) [ZAB 595] und – weitaus größer und prächtiger – die neue, dreiflügelige Villa
Abb. 32
Ausschnitt aus dem Katasterplan 1:500 von 1932 (o. M., Plan wie
im Original geostet). Hellgrau unterlegt die Grundstücke ZAB 614
und 615; dunkelgrau unterlegt der Hauptbau von Qaṣr Ziadé.
des Marquis Mūsā de Freige (Furayǧ) [ZAB 590], die etwa zeitgleich mit dem Qaṣr Ziadé um 1870 errichtet wurde. Gleich südlich dieser Villa stand die imposante, zehn
Jahre ältere Ḥārat Geday (Ǧuday) [ZAB 587], damals die
Residenz des mutaṣarrifs des Ǧabal Lubnān.245 Wiederum
südlich und westlich davon (damit sind wir wieder am
Ṭarīq ar-Raml angelangt und beenden den Rundblick in
die historische Nachbarschaft des Qaṣr Ziadé) lagen die in
den 1860ern errichteten Schulgebäude der protestantischen
British Syrian Mission. Dazu gehörte das spätere Wohnhaus [M 2111] des französischen Arztes Dr. de Brun, das
möglicherweise ursprünglich als Wohnhaus der ersten Direktorinnen dieser Schulen, Mrs. Thompson und später
Mrs. Mott, erbaut worden war und auf der Löytvedkarte
durch seine detailliert wiedergegebene Ziergartenanlage
heraussticht. Die Nachbarschaft, in der Qaṣr Ziadé um 1870
errichtet wurde, war also zu jener Zeit eine ausgesprochen
gehobene Wohnlage, sogar eine der besten in Beirut, mit
zahlreichen Villen von wohlhabenden Beiruter Kaufleuten und Notablen inmitten großer Gartengrundstücke.
1.2 Beschreibung des Hauses
1.2.1 Anordnung und Gliederung des Gebäudes
Das insgesamt ca. 1550 m3 große Grundstück von Qaṣr Ziadé teilt sich (zumindest seit der Katasterneuordnung 1927)
in zwei eigentumsrechtlich separate Einheiten mit den Katasternummern Zokak el-Blat 614 und 615 auf (Abb. 32). Da81
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
bei umfasst Nr. 614 das eigentliche Wohnhaus mit seinen
Gärten, während Nr. 615 den östlich am Wohnhaus anschließenden, etwa 90 m3 großen Annex entlang der Rue Hussein Beyhum bezeichnet, mit Werkstatt- und Ladenräumen
im Erdgeschoss sowie Wohnräumen im Obergeschoss. Beide Einheiten gehören jedoch historisch wie gegenwärtig den
gleichen Eigentümern, und standen zudem – zumindest phasenweise – in funktionalem Zusammenhang.246 Das zusammengenommen L-förmige Grundstück zieht sich mit einer
Länge von knapp 55 Metern die Rue Hussein Beyhum entlang
und stößt dabei mit einem schmaleren westlichen Fortsatz
auf die Rue Abdel-Kader. Der mittlere und östliche Teil des
Grundstücks hat eine Tiefe von knapp 36 Metern.
Das Wohnhaus nimmt in Straßenrandbebauung ziemlich
genau die mittleren zwei Viertel der Grundstückslänge entlang der Rue Hussein Beyhum ein. Hierin wird der Wunsch
nach einer symmetrischen Anlage deutlich, der sich auch
in der Fassadengestaltung dieser nördlichen Schauseite des
Hauses ausdrückt (Abb. 33). Von seiner Anlage her ist Qaṣr
Ziadé ganz allgemein als vorstädtisches Mittelhallenhaus
mit auf zwei Seiten umlaufender Arkadengalerie zu bezeichnen.247 Es hat zwei Wohngeschosse über einem gewölbten Substruktionsgeschoss, welches dem Ausgleich
des Geländegefälles dient und von der Rue Hussein Beyhum aus als Erdgeschoss anzusprechen ist, während es im
nach Südosten ansteigenden Gelände dahinter jedoch nur
als Teilunterkellerung der Südwestecke ausgeführt ist. Die
Fundamente in den nicht zugänglichen Teilen des Substruktionsgeschosses sind vermutlich – wie sonst damals
in Beirut üblich – als aufgefüllte Gewölbe ausgeführt.
Der Hauptbau (Abb. 34, 35) ist ein rechtwinklig ausgeführter,
geschlossener und kubisch wirkender Baukörper mit einem
weit nach Süden hinausgezogenen Wirtschaftsflügel in Verlängerung der Ostseite. Die dreigeschossige Hauptfassade ist
zur Straße nach Norden gerichtet und mit zwei Eckpavillons
bekrönt. Wegen des eben angesprochenen Geländeanstiegs
ist der südliche Teil des Hauptbaus und Wirtschaftsflügel bei
gleicher Traufhöhe nur zweigeschossig. Das Haus hat eine
Grundfläche von rund 647 m2 pro Geschoss und ist damit eines der großen Häuser im Quartier.248 Mauern und Gewölbe
Abb. 33
Qaṣr Ziadé, Ansicht Nordseite (Bauaufnahme 2001).
82
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 34
Qaṣr Ziadé, Ansicht von Nordosten. Rechts unten im Bild der Qaṣr Heneiné.
sind mit Beiruter Küstensandstein ausgeführt: als QuaderSichtmauerwerk für die Außenfassaden und als verputztes
Mauerwerk für die Innenwände. Dabei beträgt die Wandstärke
immer etwa 30 cm (ca. 27 cm Steindicke plus Putzschicht) –
die allgemein übliche Bauweise des Mauerwerks der Beiruter Häuser des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Der Bau schließt mit einem Walmdach ab, das mit Marseiller Falzziegeln gedeckt ist und nur den mittleren Bereich des
Gebäudes überdacht. Die umliegenden Randbereiche und
der Wirtschaftsflügel sind als Flachdach mit einer mörtelgebundenen und verdichteten Sand-Kies-Mischung ausgeführt.
Diese Teilüberdachung mit einem Ziegeldach ist auch ein Indiz zur Datierung des Hauses: im Allgemeinen findet man
sie bei Mittelhallenhäusern, die im dritten Viertel des 19.
Jahrhunderts errichtet wurden – oder im Nachhinein mit Ziegeldächern über der Mittelhalle versehen wurden.
Die unbebaute Restfläche des Grundstücks wird durch die
Form und Anordnung des Wohnhauses sowie durch das an
seine Südwestecke stoßende kleine Nachbarhaus in drei völlig getrennte Gärten aufgeteilt: Erstens auf der Westseite des
Hauses einen tieferliegenden, etwa quadratischen Garten;
zweitens im Süden einen ebenfalls annähernd quadratischen
Garten, der knapp unterhalb des Niveaus des ersten Obergeschosses liegt, durch den Servicetrakt im Osten und das kleine Ziadé-Haus im Westen begrenzt wird, und an seiner Südwestecke ein kleines, zum Haus gehöriges Backhaus umfasst;
83
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
drittens auf der Ostseite einen langrechteckigen Garten, der
ebenfalls knapp unterhalb des Niveaus des ersten Obergeschosses liegt. Der östliche Garten wird im Süden durch einen eingeschossigen Sandsteinquaderbau begrenzt, welcher
direkt mit dem Wirtschaftsflügel des Wohnhauses in Verbindung steht. Sein ursprüngliches Flachdach ist heute eingestürzt. Hier befanden sich eine Toilette (mit doppeltem Zugang vom Wirtschaftsflügel und vom Garten), ein Brennholzlager und Hühnerstall. Davor liegt ein weiterer, in Ziegelstein ausgeführter und mit Wellblech gedeckter Raum; er
ist eine Ergänzung aus den 1920er oder 30er Jahren. Auf der
Nordseite des Gartens, entlang der ca. 4,5 Meter tiefer liegenden Straße, befindet sich der schon erwähnte Annex mit
Werkstatt- und Ladenräumen, der eine eigene Katastereinheit darstellt. Dieser Annex ist in seiner westlichen Hälfte eingeschossig und mit einer vom Garten her zugänglichen, leicht
erhöhten Terrasse abgeschlossen, während die östliche Hälfte über ein Obergeschoss mit Flachdach und ursprünglich
zwei Räumen verfügt (der kleine Anbau im Süden ist rezent).
An seiner Ostseite stößt dieser Annex heute direkt an ein aus
den 1950er Jahren stammendes, fünfgeschossiges Nachbargebäude. Ein Treppenlauf mit einer eigenen Tür von der Straße führt zwischen Wohnhaus und Annex hinauf in den Garten, ist jedoch gegenwärtig mit Schutt blockiert. Eine klare
vertikale Baufuge trennt Wohnhaus und Annex.
Zwei Beobachtungen können an dieser Stelle festgehalten
werden. Im Verhältnis zur beträchtlichen Größe des Wohnhauses ist das Grundstück sehr klein. Dies weist darauf hin,
dass der Erbauer des Hauses kein bedeutender Grundeigentümer in dieser Nachbarschaft war, sondern das Grundstück
speziell für den Hausbau erwarb und das Bestmögliche aus der
sehr begrenzten Fläche machte. Folglich ist das Haus nicht
inmitten eines weitläufigen Gartengrundstücks situiert, wie
dies sonst häufig bei den großen Villen der Grundbesitzerfamilien in den neuen Beiruter Vororten der Fall war. Es ist derart an den straßenseitigen Grundstücksrand gerückt, dass es
den Eindruck eines städtischen, und nicht vorstädtischen,
Wohnhauses macht, und dies zu einer Zeit, in der die umliegenden Grundstücke noch weitgehend unbebaut waren. Diese Anordnung des Hauses hat jedoch auch den Vorteil, dass
das erste Obergeschoss – d.h. das erste Wohngeschoss des
Hauses – selbst in den rückseitigen Bereichen, wo es fast ebenerdig liegt, nirgendwo fremden Blicken ausgesetzt. Rückseitig ist das Haus durch Gärten abgeschirmt, während es zur
Straße im Norden durch seine Höhe geschützt ist. Das Haus
ist somit extrovertiert und dennoch hinreichend isoliert. Auf
den Aspekt der baulichen Schaffung von Privatheit werden
wir in dieser Arbeit immer wieder zurückkommen.
1.2.2 Grundriss und Erschließungssystem –
Allgemeines
Grundsätzlich gliedert sich das Haus, wie schon erwähnt,
in ein Erdgeschoss und zwei Wohngeschosse. Das Erdgeschoss (Plan 1A) besteht in der Hauptsache aus drei etwa
gleich großen, nebeneinanderliegenden Gewölberäumen,
deren hölzerne Tore sich unmittelbar auf die Straße im Norden öffnen. Ein weiterer, separater Gewölberaum in Südwestecke des Hauses ist vom südlichen Garten her über eine Art Kellertreppe zu betreten ist und steht ebenerdig durch
eine kleine Tür mit dem westlichen Garten in Verbindung.
Im Grundbucheintrag von 1927 werden diese Räume als
yāḫūrāt bezeichnet (Pl. von yāḫūr oder āḫūr , libanesischarabisch für „Stall“, ursprünglich persisch für „Pferdestall,
Viehstall”), womit ihre historische Funktion als Ställe und
Remisen belegt ist. Der Raum im Südwesten wird allerdings als Lagerraum für Brennholz und für Gärtnerutensilien gedient haben.249 Die Stall- und Lagerraumnutzung
stellt eine sehr typische Nutzung der Erdgeschossgewölbe
im Kontext vorstädtischer Beiruter Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts dar, besonders zu einer Zeit, als eine kommerzielle
Nutzung für den Einzelhandel in den Wohnquartieren extra muros noch selten war.
Die beiden Obergeschosse sind in ihren MittelhallenGrundrissen plangeometrisch nahezu identisch angelegt
(Plan 1B, 1C, 1D). Die Mittelhalle (ad-dār) öffnet sich
jeweils in ihrer ganzen Breite durch eine verglaste Dreibogenarkade in der Hauptfassade nach Norden. In beiden
Geschossen ist das nördliche Viertel der Mittelhalle noch
einmal durch eine Dreibogenarkade abgeteilt, die im zweiten Obergeschoss völlig offen und durchgängig ist, während im ersten Obergeschoss die beiden flankierenden
Öffnungen mit einer niedrigen Brüstungsmauer versehen
sind (Abb. 53 und Abb. 75). Dieser von der eigentlichen
Mittelhalle abgetrennte vordere Bereich ist sehr typisch
für große Beiruter Mittelhallenhäuser und soll im weiteren – in Unterscheidung von der Mittelhalle – als Vorderhalle bezeichnet werden. In Beirut für diese Vorderhalle auch die historische Bezeichnung dīwān-ḫāne nachgewiesen.250
In U-förmiger Anordnung um die Mittelhalle und Vorderhalle liegen in der für Mittelhallenhäuser typischen Weise
kleinere Räume, die sich jeweils mit einer Tür – manchmal
auch zwei – zur Halle öffnen. Direkt miteinander sind diese
Räume nur in Ausnahmefällen verbunden; auf diese Ausnahmen wird später eingegangen. Zwei Räume, nämlich die
beiden die Halle beidseitig im Norden flankierenden Räume
(R103 und R112, bzw. R203 und R213) sind deutlich größer
84
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 35
Qaṣr Ziadé, Blick von Südwesten.
dimensioniert als die übrigen; auch dies ist sehr typisch für
Beiruter Mittelhallenhäuser. Diese flankierenden Säle sollen
im Weiteren als Seitensäle bezeichnet werden. Auf der Außenseite dieser Seitensäle schließt sich beim Qaṣr Ziadé jeweils noch ein kleiner, annähernd quadratischer Raum an,
wodurch die Hauptfassade ihre eher ungewöhnliche Breite
erhält. Solche flankierenden Eckräume in „zweiter Reihe“
sind allerdings eine Ausnahme in Beiruter Mittelhallenhäusern. In der südlichen Verlängerung der Mittelhalle schließlich liegt der sogenannte līwān, der über eine mittig positionierte Tür und zwei flankierende Innenfenster mit der Mittelhalle in Verbindung steht (Abb. 54, Abb. 76).
Die Mittelhalle und die von ihr erschlossenen umliegenden
Räume konstituieren eine zusammenhängende Raumgruppe, die den Wohn- und Empfangsbereich ausmacht. Auf der
West- und Südseite ist dieser Teil des Hauses mit einer offenen, zweigeschossigen Bogengalerie versehen, die von
den anliegenden Räumen durch Fenstertüren zu betreten ist.
Im Südosten des Wohnbereichs schließt sich auf beiden Geschossen der Wirtschaftsflügel an, der jeweils aus einem in
Nord-Süd-Richtung verlaufenden Korridor und mehreren,
kammartig an dessen Ostseite aufgereihten Räumen besteht.
Hier sind Küchen, Anrichtezimmer, Toiletten, Bäder, Vorratskammern und Dienstbotenkammern lokalisiert. Im ersten Obergeschoss – das hier eigentlich ein Hochparterre ist
– sind diese Räume sämtlich in Gewölbebauweise ausgeführt; manche Räume sind mit einem eingezogenen Zwi-
schengeschoss (genannt titḫīte) versehen. Im zweiten Obergeschoss haben die Wirtschaftsräume Holzbalkendecken,
die teilweise wegen Kriegsschäden aus den 1980ern durch
Stahlbetondecken ersetzt wurden; auch hier sind einige Räume mit titḫīten ausgestattet (Plan 1C und 1D). Die Gewölbekonstruktion der Küchenräume (oft einschließlich der anliegenden Sanitärräume) ist übrigens typisch für die Beiruter Wohnhäuser des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; dies
jedoch – wie hier auch – aus konstruktiven Gründen fast immer nur im ersten Wohngeschoss, nicht im zweiten.251
In der Erschließung der beiden Wohngeschosse können wir
deutliche Unterschiede feststellen, die wichtige Implikationen für die historische Raum- und Geschossnutzung haben. Von der Straße her sind die Wohngeschosse durch zwei
identisch gestaltete Eingangstüren zu erreichen, von denen
die eine am westlichen und die andere am östlichen Ende der
Hauptfassade liegt (Abb. 41, 42). Die westliche Eingangstür öffnet sich auf einen geraden Treppenlauf, der hinauf
auf die offene Bogengalerie auf der Westseite des Hauses
führt. Am oberen Ende der Treppe tritt man linker Hand
durch eine dekorativ gerahmte Haustür (Abb. 45, 46) in einen schmalen, hohen Eingangskorridor und gelangt von
dort in die Mittelhalle.252 Über die Außengalerie kann man
außerdem den Wirtschaftsbereich erreichen, ohne den
Wohn- und Empfangsbereich zu durchqueren.
Die zweite, östliche Eingangstür führt von der Straße in das
Treppenhaus im Osten des Hauses, das die ganze Höhe des
85
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Gebäudes durchstößt und Zugang zu beiden Obergeschossen gibt (Abb. 50, 51). Im ersten Obergeschoss geschieht
dies durch eine einzelne Tür in der Südwand des Treppenhauses, durch die man in einen größeren Vorraum und von
dort in einen Korridor gelangt, der links in den Servicetrakt
und rechts in die Mittelhalle führt. Im zweiten Obergeschoss
dagegen öffnen sich gleich vier Türen auf den obersten Treppenabsatz. Eine davon – wiederum die in der Südwand –
gibt Zutritt zu einem Eingangskorridor, der geradeaus in
den Servicetrakt und rechts in die Mittelhalle führt; die übrigen drei Türen (zwei auf der Westseite, eine auf der Nordseite) öffnen sich direkt in drei Räume des Wohn- und Empfangsbereiches.
Wir haben es also mit einer doppelten Erschließung des ersten Obergeschosses von zwei Seiten über zwei separate Zugangswege zu tun, sowie einer vierfachen Erschließung des
zweiten Obergeschosses über einen Zugangsweg, nämlich
das Treppenhaus, über welches die beiden Wohngeschosse
auch miteinander verbunden sind. Dieses komplexe System
erlaubt sowohl eine völlig separate Erschließung der beiden
Wohngeschosse wie auch ihre Kommunikation miteinander. Dies wirft Fragen über die gemeinsame oder separate
Nutzung der Wohngeschosse auf, auf die weiter unten und
in Teil III der Arbeit genauer eingegangen wird.253
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Dachterrasse des Hauses
vom Eingangskorridor des zweiten Obergeschosses her zu
erreichen ist, über eine hölzerne Stiege gleich neben der
Tür zum Treppenhaus. Einen zweiten Zugang zum Dach
gab es am Südende des Wirtschaftsflügels über die titḫīte.
Dieser Treppenaufgang ist jedoch in den 1980ern beschädigt und provisorisch verschlossen worden. Die Dachterrasse war in jedem Falle nur vom Inneren des zweiten Geschosses aus zu betreten, nicht vom Treppenhaus.
1.2.3 Die Fassaden
Die Gestaltung der Außenfassaden spiegelt die innere Anlage des Hauses wider und zeigt dabei deutlich das Repräsentationsbedürfnis des Erbauers.
Abb. 36
Qaṣr Ziadé, Straßenfassade entlang Rue Hussein Beyhum, mit
drei Remisentoren flankiert von den beiden Eingangsportalen
im Erdgeschoss, und darüber die beiden Wohngeschosse.
Photo aus den frühen 1960ern.
Die Nordseite
Die nach Norden gewandte Hauptfassade (Abb. 33–35) ist
fast vollkommen achsensymmetrisch. Sie ist vollständig in
Sandstein-Sichtmauerwerk mit aufgesetzten Zierfugen ausgeführt – eine repräsentative und kostspielige Bauweise,
die eine bessere, härtere und teurere Sorte des lokalen Sandsteins erforderte, als die in Beirut meist übliche verputzte
Bauweise.
Die auffälligsten Elemente im Erdgeschoss sind die beiden
Hauseingänge am West- und Ostende, die zwar wegen des
ansteigenden Geländes auf unterschiedlicher Höhe liegen,
ansonsten aber fast identisch als repräsentative, hochrechteckige Portale mit spitzbogiger Lünette gestaltet sind. Ihre
Rahmen sind aus gelblichem, sehr hartem Sandstein gefügt,
dekoriert mit seitlichen Pilastern mit Akanthuskapitellen,
und bekrönt von einem blattfriesverziertem Gesims; verschlossen sind sie mit einer zweiflügeligen Rahmen-Füllungstür.254 Zwischen diesen blickheischenden Portalen liegen die drei großen, aber schlichten Remisentore mit einem
jeweils darüber positionierten Okulus.
Gestalterisches Hauptelement der Fassade sind jedoch die
großen, in der Fassadenmitte übereinander angeordneten
Dreibogenarkaden der Mittelhallen des ersten und zweiten
Obergeschosses (Abb. 36, 43). Die ihnen vorgelagerten Balkone sind zudem die das einzige stark plastische Element in
der ansonsten flächig wirkenden Fassade. Beide Dreibo-
86
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
genarkaden sind leicht gestaffelt; durch ihren jeweils etwas
höheren mittleren Bogen geben sie Zugang zum Balkon,
während die flankierenden Öffnungen mit niedrigen Brüstungen versehen sind. Zwei schlanke Säulen (aus braunem
Stein im ersten und aus weißem Marmor im zweiten Obergeschoss) tragen die gedrückten, mit Wulsten und Hohlkehlen profilierten Spitzbögen. Die relativ schlichten, hölzernen Verschlüsse, deren Verglasung heute weitgehend fehlt,
sind nicht bauzeitlich, sondern ersetzen ältere Verschlüsse
mit dekorativem Sprossenwerk, die im Bürgerkrieg von 1958
zerstört wurden. Die Balkone bestehen aus Marmorplatten,
die auf steinernen, volutenverzierten Konsolen aufliegen und
mit guss- und schmiedeeisernen Ziergeländern versehen sind
(Abb. 43, 44). Während der Balkon im ersten Obergeschoss
der Breite der Dreibogenarkade entspricht – wie es gemeinhin in Beirut üblich war –, erstreckt sich der Balkon im zweiten Obergeschoss beidseitig um zwei Fensterachsen über die
Arkade hinaus. Der auf diese Weise betonte Mittelteil der
Fassade wird auf beiden Geschossen beidseitig von je einer
Reihe von drei hochrechteckigen Fenstern mit jeweils darüber angeordneten Okuli flankiert.
Die Fassade weist somit eine ausgeprägte Dreiteilung nach
dem Muster A-B-A auf. Die äußeren Fensterachsen gehören zu den kleinen Räumen in der Nordwest- bzw. Nordostecke des Hauses. Diese Eckräume sind entsprechend der
Symmetrie der Hauptfassade dimensioniert: Im Westen ragen diese Räume daher als Risalit um 1,70 Meter über die eigentliche Westfassade hinaus, während die Räume im Osten um 0,5 Meter von der Grundlinie der Ostfassade zurückspringen.255 Auf Dachniveau sind die Eckräume durch
die zwei eckturmartigen, eingeschossigen Dachaufbauten
in Quader-Sichtmauerwerk bekrönt, deren Zinnenkranz ein
flaches Zeltdach verbirgt (Abb. 47). Dachpavillons dieser
Art werden in Beirut manchmal als ʿaliyye, manchmal als
ṭayyāra bezeichnet, meistens jedoch als maṣyaf, d.h. „Platz
für den Sommer“ oder „Sommerfrische“.256 Es sind Räume,
die der leichten Seebrise besser ausgesetzt sind und in der
sehr schwülen Sommerhitze Beiruts zum Aufenthalt der Familie und auch zur Bewirtung von Gästen benutzt wurden.
Auf drei Seiten öffnen sich die beiden maṣyafs jeweils durch
gekuppelte Rundbogenfenster mit Marmorsäule nach außen, auf der vierten, einander zugewandten Seite haben sie
eine architravierte Tür, deren steinerne Rahmung mit einer
Faszierung und Ohren in deutlich repräsentativer Weise dekoriert ist.257 Der obere Abschluss der Hauptfassade des Hauses wird durch eine steinerne Brüstungsmauer zwischen den
beiden Dachpavillons gebildet. Nicht mehr erhalten ist der
geschweifte, volutengeschmückte Ziergiebel, der vormals
Abb. 37
Qaṣr Ziadé, Ansicht von Westen, mit Galerie und
Dachpavillon (maṣyaf). Aufnahme aus den 1960ern.
dem mittleren Bereich der Brüstung vorgesetzt war und so
die Hauptfassade in der Achse der Dreibogenfenster bekrönte. Er wurde im Bürgerkrieg von 1975–1990 zerstört,
ist aber auf älteren Aufnahmen noch erkennbar (Abb. 36).258
Durch die Dachpavillons und den mittigen Ziergiebel betont auch die Dachlinie die horizontale Dreiteilung A-B-A
der Hauptfassade.
In der Höhe wird die Hauptfassade durch zwei Gesimse
gegliedert, die um den gesamten Bau laufen: ein schmales, profiliertes Stockwerkgesims zwischen erstem und
zweitem Obergeschoss, und ein breites Hauptgesims aus
weißem Kalkstein mit Marmorfries, reich profiliert wie ein
ionisches Gesims. Gemeinsam mit dem langen Balkon des
zweiten Obergeschosses bewirken die horizontalen Bänder dieser Gesimse eine vertikale Unterteilung der Hauptfassade, durch die das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss zu einer massiven Einheit zusammengefasst erscheint, über der sich das zweite Obergeschoss wie ein eher
separater Teil erhebt. Die massive Wirkung des Baukörpers und besonders der Nordfassade, bedingt durch die Dimensionen der steinernen Wandfläche und dem relativ kleinen Anteil von Öffnungen, wird zwischen diesen Gesimsen
eigentlich nur durch die Fensterreihen aufgelockert. Die
Fenster haben gerade, profilierte Fensterverdachungen mit
Wulst und Platte; die Öffnungen sind mit zweiflügeligen
Oberlichtfenstern mit Quersprossen und hölzernem Kämp87
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
fer auf Dreiviertelhöhe versehen; zusätzlich sind sie von
außen mit hölzernen, grün gefassten Lamellen-Klappläden
verschließbar. In den Details, besonders der Verdachung,
lassen sich deutlich neo-klassizistische Einflüsse europäischer Art erkennen, aber die enge Abfolge von hochrechteckigen Fenstern wirkt insbesondere bei geöffneten Klappläden wie ein horizontales Band, das lokalen Vorläufern
verpflichtet ist (Abb. 48, 49).
Die West- und Südseite
Die West- und die Südseite des Hauptbaus (Abb. 35, 37–39)
können ebenfalls als Schauseiten angesprochen werden.
Beide haben eine vorgelagerte, zweigeschossige Galerie
über einem auf Erdgeschossniveau weitgehend geschlossenen Mauersockel. Die Außenseiten sind in SandsteinSichtmauerwerk mit Zierfugen ausgeführt, die innenliegenden Wände sind mit Kalkputz versehen und in leuchtender Ockerfarbe gefasst. Die Arkaden des ersten Obergeschosses haben gemauerte Spitzbögen auf weißen Mar-
morsäulen, die ihrerseits auf einer durchgehenden gemauerten Brüstung stehen. Die Arkaden des zweiten Obergeschosses haben gedrückte Spitzbögen auf Marmorsäulen,
die auf marmorverkleideten Postamenten stehen, zwischen
denen sich schmiedeeiserne Ziergeländer befanden (von
den meisten sind heute nur die Rahmen und die hölzernen
Handläufe erhalten). Ein identisches (heute ebenfalls lückenhaftes) Brüstungsgeländer schließt die West- und Südfassade auf Dachniveau ab; seine marmorverkleideten Geländerpfosten setzen den Rhythmus der Säulenabstände der
Galerie fort. Beide Fassaden werden durch das schon angesprochene Stockwerkgesims und Hauptgesims untergliedert. Im Inneren sind die Galerien in beiden Geschossen
mit Holzbalkendecken versehen.
Ein augenfälliges Element auf der Westseite ist die Eingangstür des ersten Obergeschosses. Sie ist so positioniert,
dass sie gegenüber dem mittleren der sieben Bögen der Arkade liegt und daher gut vom Westen her sichtbar ist. Die
rechteckige Türöffnung und das halbkreisförmige Oberlicht
Abb. 38
Qaṣr Ziadé, Galerie auf der Südseite des Hauses mit Blick auf
den Wirtschaftsflügel. Aufnahme aus den 1960ern.
Abb. 39
Qaṣr Ziadé, Ansicht der Südseite des Hauses mit Galerie.
Aufnahme aus den 1960ern.
88
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 40
Qaṣr Ziadé, Blick von Südosten auf den Wirtschaftsflügel.
sind mit einer weißen Marmorrahmung mit verziertem Türsturz versehen. Beidseitig vom Eingang sind insgesamt drei
hochrechteckige Fenster mit jeweils darüber platziertem
Okulus. Die Fenster sind ausgestattet wie jene in der Nordfassade, jedoch ohne die Fensterverdachung, auf die bei allen auf die Galerien gehenden Fenster und Fenstertüren verzichtet wurde. Im zweiten Obergeschoss öffnen sich insgesamt vier Fenstertüren auf die Galerie, davon eine in der
Stirnwand im Norden.
Auf der Südseite des Hauses springt der mittlere Teil der
Galerie über die Breite von fünf von insgesamt sieben Bögen vor und bildet einen Mittelrisalit, mit dem die Galerie
den vorspringenden līwān-Raum ummantelt. Der līwān öffnet sich auf beiden Geschossen jeweils mit zwei Fenstertüren und einem mittig darüber positionierten Ochsenauge
nach außen. Die beiden flankierenden Räume haben jeweils
eine Fenstertür zur Galerie im Süden. Von der Galerie des
ersten Obergeschosses, das hier fast ebenerdig liegt, führt eine fünfstufige Freitreppe hinunter in den südlichen Garten.
Östlich dieses Gartens liegt der zweigeschossige Wirtschaftsflügel, dessen Korridore sich in beiden Geschossen
mit je einer Reihe von fünf spitzbogigen Fenstern nach
Westen öffnen. Sie sind mit zweibahnigen, verglasten
Sprossenfenstern verschlossen und im ersten Obergeschoss
zusätzlich vergittert, im zweiten Obergeschoss mit La-
mellenklappläden versehen. Auch die Fassaden des Wirtschaftsflügels werden durch das umlaufende Geschossgesims und das ionische Schlussgesims gegliedert. Anstelle
des Ziergeländers schließen die Fassaden hier jedoch mit
einer gemauerten Brüstung ab, die durch in regelmäßigen
Abständen gesetzte Wandvorlagen aus weißem Stein gegliedert wird.
Die schmale Südseite dieses Flügels (Abb. 40) ist im ersten
Geschoss verputzt und mit aufgesetzten Zierfugen versehen,
während das zweite Geschoss wie die West- und Nordfassade des Hauses in Sichtmauerwerk mit Zierfugen gehalten ist.
Dieser Fassadenabschnitt weist als Fensteröffnungen ausschließlich Okuli auf: im ersten Obergeschoss zwei Okuli
mit glattem Putzrahmen in horizontaler Reihe, von denen eines den Korridor und das zweite einen Durchgangsraum belichtet, der in den kleinen Annex im Osten führt; im zweiten
Obergeschoss sind fünf Okuli mit profilierten Kalksteinrahmen in zwei übereinander liegenden Reihen angeordnet; die
beiden unteren belichten einen Bad- und Toilettenraum, die
drei oberen den Korridor und einen Mezzaninraum.
Die Ostseite
Die Ostseite des Hauses (Abb. 40) ist die längste Fassade,
und ihr größter Teil wird vom Wirtschaftsflügel eingenommen, an den sich weiter nördlich das Treppenhaus und
89
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schließlich die zurückspringende Nordostecke mit ihrem
bekrönenden maṣyaf anschließen. Auch hier ist das erste
Geschoss über die gesamte Länge verputzt und mit Zierfugen dekoriert, während das Obergeschoss weiterhin in Sichtmauerwerk mit Zierfugen ausgeführt ist. Dies hat vermutlich vor allem ästhetische Gründe: die Gewölbekonstruktion der Wirtschaftsräume des ersten Geschosses – die an
Putzfehlstellen heute teilweise von außen sichtbar ist – sollte verdeckt werden und die Gesamtfassade so eine einheitliche Oberflächenstruktur erhalten.
Das erste und das zweite Geschoss weisen im Bereich des
Wirtschaftsflügels eine horizontale Reihe hochrechteckiger Fenster des schon beschriebenen Typs auf, und darüber
jeweils eine Reihe von Okuli, die teilweise als Oberlichter
für hohe Räume, teilweise als Fenster für Mezzaninräume
dienen. An zwei Stellen befinden im zweiten Oberschoss
auch Okuli auf der Höhe der Rechteckfenster, wo sie in einem Falle eine Toilette und im anderen Falle die zur Dachterrasse führende Nebentreppe belichten.259
Es fällt auf, dass die Fenster des zweiten Obergeschosses im
Gegensatz zu denen des ersten Geschosses mit profilierten
Verdachungen versehen sind, und dass die Okuli hier profilierte Kalksteinrahmen wie jene an der Hauptfassade haben,
wohingegen sie im ersten Geschoss die einfachen, glatten
Putzrahmen aufweisen, wie sie auch auf der südlichen
Schmalseite des Wirtschaftsflügels zu finden sind. Der gleiche Unterschied besteht am zurückspringenden Fassadenabschnitt im Norden. Darin wird deutlich, dass die Ostseite
des Hauses (wie die Südseite des Wirtschaftsflügels) in sehr
berechnender Weise nur im zweiten Geschoss auf Sicht und
Repräsentation angelegt wurde, während sie im ersten Geschoss (besonders dort, wo sie vom Garten verdeckt wird)
schlichter und billiger gestaltet werden konnte.
Besonders ausgeprägt ist diese Unterscheidung im Fassadenabschnitt des Treppenhauses: Während das Treppenhaus
im ersten Obergeschoss nur mit drei hochliegenden, mit Putzprofilen gerahmten Ochsenaugen belichtet wird, öffnet es
sich im zweiten Obergeschoss auf seiner ganzen Breite mit
einem großen, dekorativen Vierbogenfenster mit Marmorsäulen, Spitzbögen und zwei über den Bogenzwickeln angeordneten Okuli nach außen. Diese Kombination von Mehrfachbogen mit über den Säulen positionierten Okuli ist durchaus als ein Prunkmotiv zu verstehen, das sonst, an anderen
herrschaftlichen Häusern der 1860er und 1870er, für die Dreibogenfenster der Hauptfassade verwendet wurde. Seine sehr
ungewöhnliche Verwendung für das auf der Ostseite liegende Treppenhaus des Qaṣr Ziadé lässt sich vielleicht dadurch
erklären, dass diese Seite des Hauses der Stadt und den hangaufwärts gelegenen Villen von Zokak el-Blat zugewandt ist
– was überhaupt den Repräsentationsbedarf in den besser
sichtbaren oberen Bereichen der Ostfassade erklärt.
Der Wille zur Repräsentation von Status ist also über die
Lage des Hauses und seine imposante Größe hinaus auch
deutlich in der Gestaltung der Fassaden abzulesen. Dieses
Haus hat keine „Schmuddelseite“, keine Rückseite, die es
verstecken müsste. Selbst der Wirtschaftsflügel ist mit dekorativen Elementen versehen. Auch wenn die Nordseite
als Hauptfassade angelegt und daher in den Details reicher
ausgeführt ist, so sind dennoch alle anderen Seiten zumindest als sekundäre Schauseiten anzusehen – wobei „Schau“
Abb. 41
Qaṣr Ziadé, Eingangsportal zum Treppenhaus am Ostende der
Hauptfassade. Weiter links, ebenfalls in hellem Stein gerahmt,
der Zugang zum Garten im Osten des Hauses.
Abb. 42
Qaṣr Ziadé, Eingangsportal zum ersten Obergeschoss am
Westende der Hauptfassade. Links daneben eines der drei
Remisentore.
90
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
im doppelten Sinne verstanden werden kann: die Seiten waren darauf angelegt, gesehen zu werden, und sie boten den
Bewohnern einen Ausblick, ohne sie notwendigerweise den
Blicken auszusetzen. Höhe über Grund, Abstände zu Nachbarn und Straßen, und Sichtschutz durch Gartenmauern,
Pflanzen und die bei Bedarf verschließbaren Klappläden
waren Mittel, durch die die Wohnsphäre der Bewohner geschützt wurde. Selbst die West- und Südseite des Hauptbaus mit ihren Offenheit suggerierenden Galerien ist nicht
eigentlich offen nach (oder genauer: von) außen. Die Galerien sind nicht nur effektiver Wetterschutz auf der südlichen und westlichen Schlagwetterseite im Winter (daher
braucht es hier auch keine Fensterverdachungen) und schützen die Außenwände der Wohn- und Schlafräume im Sommer vor direkter Sonneneinstrahlung am Mittag und Nachmittag, sondern sie schaffen auch eine Art Vorhang, einen
Übergangs- und Pufferbereich zwischen Außen und Innen,
Außenwelt und Wohnraum.260
1.2.4 Das Innere des Hauses
Das Innere des Hauses – in seiner Grundrissgestaltung, der
Boden-, Wand- und Deckengestaltung, den Bautechniken
und Dekorformen, der baufesten Ausstattung sowie Umbauten – soll hier zunächst überblicksartig beschrieben werden. Dabei wird das Hauptaugenmerk auf den beiden Wohngeschossen und dort auf solchen Aspekten liegen, die uns
Schlüssel zum Rekonstruktion historischer Nutzungsstrukturen, räumlicher Zusammenhänge und ihrer Veränderung
gestatten. Bestimmte Befunde werden erst im den folgenden
Unterkapiteln zur Geschichte des Hauses und zu den historischen Raumnutzungen angesprochen, wo sie – in den historischen Zusammenhang gesetzt – besser verständlich sind.
Erdgeschoss und Treppenhaus
Die gewölbten Räume des Erdgeschosses (R 003-005 sowie
R 008) sind in glattverputztem Mauerwerk ausgeführt. Ihre
Böden sind mit einem gelb-braunen, harten und glatten Kalkstein (ḥaǧar furnī) belegt. Dieser harte Stein fand im 19. und
frühen 20. Jahrhundert breite Verwendung als Bodenbelag
für Ställe und Remisen, Küchen und andere Räume, deren
Fußböden starker mechanischer Beanspruchung ausgesetzt
sind. Der östlich neben diesen ehemaligen Stallräumen liegende Hauseingang öffnet sich zunächst einen Raum (R 001),
der als Vorraum und Durchgangsraum zum Treppenhaus (R
002) dient und durch eine Bogenstellung längsgeteilt ist. Der
Boden ist in robuster Weise mit Platten aus ḥaǧar furnī belegt, die Decke ist als offene Holzbalkendecke mit einem
Rahmen ähnlich denen der Galerie ausgeführt.
Abb. 43
Qaṣr Ziadé, mittlerer Abschnitt der Nordfassade mit dem
Dreibogenfenster der Mittelhalle des ersten Obergeschosses
und den Balkonen beider Geschosse.
Das südlich anschließende Treppenhaus stößt vom Erdgeschoss durch die gesamte Höhe des Hauses (Abb. 50, 51).
Eine steinerne Treppe, deren Keilstufen in die Wand eingespannt sind, führt mehrläufig im Uhrzeigersinn über in
den Ecken liegende Zwischenpodeste hinauf in das erste
und zweite Obergeschoss. (Teile der Treppe wurden im
Krieg von 1975 bis 1990 zerstört und provisorisch durch
eine grobschlächtige Stahlbetonkonstruktion ersetzt.) Den
oberen Austritt im zweiten Obergeschoss bildet ein L-förmiger Umgang entlang der West- und Nordseite des Treppenhauses zur Erschließung der vier dort befindlichen Türen. Die Zwischenpodeste bestehen aus eingespannten Marmorplatten; die Marmorplatten des Umgangs im zweiten
Obergeschoss sind durch eine verzierte Marmorkonsole und
einen Doppel-T-Träger aus Eisen als Unterzug unterfangen,
der mit Marmor verkleidet und auf der Unterseite mit Zierelementen bestückt ist. Die Treppengeländer entsprechen
in den Details ihrer hölzernen Handläufe und gusseisernen
Zierelemente den Galerie- und Dachgeländern der Westund Südseite des Hauses. Die Wände sind – wie alle Innenwände des Hauses – glatt verputzt und hier ockergelb
gefasst, mit einem die Treppe begleitenden Sockelbereich
in dunkel-brauner Farbe, der mit einer profilierten Holzleiste abschließt. Der Fußboden ist auf Erdgeschossniveau
bis zum Treppenantritt mit ḥaǧar furnī und im hinteren, unter den Treppen liegenden Bereich mit roten Terrakottafliesen belegt – ein schlichter und kaum repräsentativ wirkender Bodenbelag, der allerdings schon die zur Erbau91
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
ungszeit neuartigen Terrakottafliesen aufweist. Belichtet
wird das Treppenhaus – wie schon beschrieben – durch drei
Ochsenaugen im ersten Obergeschoss und das Vierbogenfenster im zweiten Obergeschoss. Weitere Okuli in den innenliegenden Wänden dienen der Belichtung von dahinterliegenden Innenräumen, die keine eigenen Außenfenster besitzen. Durch das Vierbogenfenster wird das Treppenhaus nach oben hin deutlich heller; die Marmorverzierungen des oberen Umgangs unterstützen den zum zweiten
Obergeschoss hin repräsentativer werdenden Eindruck dieses Raumes und stehen in einem seltsam anmutenden Kontrast zur Schlichtheit des Erdgeschosses. Die heutige Decke des Treppenhauses ist eine nicht-bauzeitliche, schmucklose Stahlbetondecke mit zwei Unterzügen, deren Einbau
in die 1920er oder 1930er Jahre datiert werden kann; zu
dieser Zeit wurden einige weitere Decken im zweiten Obergeschoss erneuert (siehe weiter unten). Die ursprüngliche
Decke war – so lässt das übrige Dekor des oberen Bereichs
des Treppenhauses vermuten – wahrscheinlich eine Stuckdecke einfacherer Ausführung, möglicherweise eine Kehlstuckdecke, wie sie in anderen Räumen des zweiten Obergeschosses oder bei vergleichbaren Beispielen (siehe Fallstudie Qaṣr Bišāra el-Khoury, Kap. 3.17) zu finden sind.
Die bauliche Gestaltung des Treppenhauses ist besonders
interessant für die Frage, ob die beiden Wohngeschosse des
Hauses von vorneherein als separate Wohneinheiten angelegt waren, und ob daher dieses Treppenhaus vor allem als
Zugang zum zweiten Obergeschoss konzipiert war, während das erste Obergeschoss seinen Hauptzugang von Westen her hatte. Zunächst lässt sich feststellen, dass beide straßenseitige Hauseingänge fast identisch als repräsentative
Portale gestaltet sind, was sie als fast gleichrangige Eingänge (und nicht als Haupt- und Nebeneingang) erscheinen lässt. Unterschiedliche Gewichtungen und Funktionen
der Zugangswege lassen sich aber darin ablesen, dass die
Dekoration und die Belichtung des Treppenhauses dem
zweiten Obergeschoss einen auffälligen Vorrang geben und
den Eintretenden gleichsam zum zweiten Geschoss hinaufziehen. Dies spräche dafür, dass das Treppenhaus hauptsächlich auf die Erschließung des zweiten Obergeschosses
angelegt war. Dabei bleibt aber zu beachten, dass das Treppenhaus auch eine Tür zum Garten auf der Ostseite des Hauses und eine Tür in das erste Obergeschoss hat – womit das
Treppenhaus auf jeden Fall auch Nebeneingangsfunktionen für das erste Obergeschoss hatte. Schließlich liegen sowohl die Tür zum ersten Obergeschoss wie die auf den Innenkorridor gehende Haupteingangstür im zweiten Obergeschoss beide in der Südwand des Treppenhauses. Sie bieten sich so beim Ersteigen der Treppe zuerst dem Blick,
was beiden Türen ein ähnliches Gewicht gibt. Da die Korridortür auch die breiteste der vier Eingangstüren im zweiten Obergeschoss ist, kann sie relativ sicher als die baulich
angelegte Haupteingangstür zu dieser Etage identifiziert
werden.
Abb. 44
Qaṣr Ziadé, Balkon des ersten Obergeschosses, Detail
des Geländers.
Abb. 45
Qaṣr Ziadé, Eingangstür
zum ersten Obergeschoss
auf der westlichen Galerie.
92
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Vorläufig zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das
Treppenhaus durchaus als repräsentativer Haupteingang für
das zweite Obergeschoss dienen konnte – und zwar für den
Fall, dass beide Geschosse als separate Wohneinheiten genutzt wurden. Für den alternativen Fall, dass beide Geschosse
von einem Haushalt gemeinsam genutzt wurden, kann das
Treppenhaus als innerer Verbindungsweg zwischen beiden
Geschossen und als privater Nebeneingang von der Straße
gedient haben – weshalb es im unteren Bereich ohne weiteres schlicht und unprätentiös gestaltet sein konnte. Der „offizielle“ Haupteingang für Besucher wäre in diesem Falle
der Eingang zum ersten Obergeschoss auf der Westseite gewesen, weshalb die eigentliche Haustür auf der westlichen
Galerie ebenfalls repräsentativ dekoriert war.
Das erste und zweite Obergeschoss
Die Räume im ersten Obergeschoss haben – mit Ausnahme der Gewölbe im Servicetrakt – sämtlich Holzbalkendecken mit sichtbarem, einfarbig grau bis cremefarben gefasstem Balkenwerk, deren unterschiedliche Ausführungsweisen weiter unten (Kap. 1.4.2.2) genauer beschrieben werden (Abb. 54, 56, 57, 59, 61, 65; Plan 1I).
Im zweiten Obergeschoss hingegen finden wir in den
Wohnräumen – also der Mittelhalle und den umliegenden
Räumen – Stuckdecken in unterschiedlichen Ausführungen (Abb. 77, 80), während die Räume des Servicetrakts
einfache Holzbalkendecken aufweisen. Die Fußböden beider Wohngeschosse sind entweder in weißem Marmor ausgeführt, wobei dieser in Kombination mit schwarzen Schiefereinlagen in Rautenmuster oder als rahmendes Band auftreten kann, oder sie sind mit farbigen Zementfliesen unterschiedlicher Gestaltung belegt (Abb. 54+55, Abb. 66+68,
Plan 1H). In den Mezzaninräumen beider Geschosse finden
sich außerdem Tonfliesenböden (Abb. 90).
Die Wände aller Räume beider Wohngeschosse sind farbig
gefasst, allerdings schlicht und ohne farbige Dekoration. In
den Räumen des eigentlichen Wohnbereichs sind die unteren und oberen Wandbereiche häufig in unterschiedlichen
Farbtönen gefasst; in einigen Fällen markiert eine schmale Holzleiste diese Unterteilung. Dadurch werden die ca.
6,70 m hohen Räume optisch proportioniert. Die unteren
Bereiche sind häufiger neu gestrichen worden, auch in jüngerer Zeit. Abgesehen von einem farblich abgesetzten
Wandsockel sind keine farblichen Gestaltungen wie etwa
Rahmen, Begleitstreifen oder Malereien nachweisbar. Beobachtungen an Schadstellen und gezielt durchgeführte
Sondagen ergaben auch für die unterste erhaltene Farbschicht keinerlei Befund für frühere dekorative Farbfas-
Abb. 46
Qaṣr Ziadé, Eingangstür des ersten Obergeschosses auf der
westlichen Galerie, Detail des Türsturzes.
sungen. Die Wandgestaltung ist daher für ein Haus dieser
Größe ungewöhnlich schlicht.
In beiden Wohngeschossen sind fast alle Türen als hölzerne und lackierte, zweiflügelige Rahmen-Füllungstüren mit
je vier oder drei Feldern je Flügel ausgeführt (Abb. 55). Die
Türbekleidungen weisen darüber hinaus verschiedene Profile auf, die sich in beiden Geschossen wiederholen und deren räumliche Verteilung einem bestimmten System folgt,
aus dem sich eine Hierarchie der Räume herauslesen lässt
(siehe dazu Kap. 1.4.2.2). Grundsätzlich muss hier festgehalten werden, dass die Rahmen-Füllungstüren in ihrer Art
und Gestaltung typisch für Wohnhäuser der Beiruter Oberschicht in der mittleren zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
und daher sicher als bauzeitlich einzustufen sind.
1.3 Zur Bau- und Bewohnergeschichte des Hauses
An dieser Stelle muss auf die Bau- und Bewohnergeschichte des Hauses eingegangen werden. Denn nur diese ermöglicht
es, Veränderungen am bauzeitlichen Ursprungsbestand in einem sinnvollen Zusammenhang zu verstehen, und uns durch
die Spuren späterer Nutzungen hindurch zu den ältesten
Schichten durchzuarbeiten, also den im Bestand eingeschriebenen, bauzeitlich angelegten Raumnutzungen. Wie
sich zeigt, lebten diese nämlich nur zum Teil in der späteren
Wohnpraxis fort. Die Umnutzungen und baulichen Veränderungen sind für die Fragestellung dieser Arbeit genauso bedeutungsvoll wie die zu rekonstruierende Ausgangssituation.
Wie so oft bei Beiruter Wohnhäusern und besonders bei solchen, deren Bewohner gewechselt haben, ist die Quellenlage
93
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
zur Rekonstruktion der Geschichte des Qaṣr Ziadé im 19.
und frühen 20. Jahrhundert eher schlecht. Für die Oral History-Interviews standen überhaupt nur zwei Informanten
zur Verfügung, die sich durch ihr Lebensalter und als engste Angehörige der alten Eigentümer- und Bewohnerfamilien als Zeugen qualifizierten: Erstens Iskandar Ziadé, der
1927 geboren wurde und von 1931 bis 1975 im Haus wohnte; und zweitens seine Tante Hélène Nasr-Sursock (NaṣrSursuq), die 1906 geborene Enkelin des Erstbewohners des
Hauses, Joseph Nasr (Yūsuf Naṣr). Hélène ist im ägyptischen Alexandria aufgewachsen und hat daher selbst nie in
diesem Haus gewohnt, konnte jedoch wichtige Informationen zur Familiengeschichte liefern. Die Aussagen beider Informanten bezüglich der Baugeschichte des Hauses
sind allerdings recht widersprüchlich und reflektieren darin die grundsätzliche Problematik der mündlichen Überlieferung als Quelle. Kurze Aktennotizen aus dem APSADArchiv, die aus den 1960er Jahren stammen und auf mündlichen Informationen der damaligen Hausbewohner beru-
Abb. 47
Qaṣr Ziadé, westlicher maṣyaf mit Kriegsschäden.
hen, liefern ergänzende, jedoch nicht immer klärende Hinweise. Visuelle Quellen wie historischen Stadtpläne und
Photographien geben – insbesondere für das 19. und frühe
20. Jahrhundert – nur kontextuelle Hinweise, photographische Nah- und Innenaufnahmen des Hauses stehen nur für
die Zeit ab Mitte des 20. Jahrhunderts zur Verfügung. Daher ist das Haus selbst, als materielle Quelle, umso wichtiger beim Rekonstruktionsversuch seiner Geschichte, und
bautechnische wie stilkritische Beobachtungen waren unabdingbar bei der chronologischen Einordnung. Eine detaillierte Diskussion und Abwägung der einzelnen Quellenaussagen, Thesen und Überprüfungsschritte kann hier
nicht wiedergegeben werden.261 In der Zusammenschau jedenfalls ergibt sich nach meiner Interpretation – grob skizziert – das folgende Bild.
1.3.1 Die Erbauung des Hauses
Die genauen Umstände der Erbauung sind nicht rekonstruierbar, ebenso wenig wie das genaue Baujahr. Es kann immerhin als ziemlich sicher gelten, dass das Haus etwa um
1870 errichtet wurde. Dafür spricht erstens, dass das Haus
schon auf dem Löytved-Plan von 1876 erkennbar ist – wenn
auch, so muss einschränkend gesagt werden – mit einem nicht
ganz übereinstimmenden Umriss (Abb. 31). Zweitens und
viel eindeutiger sprechen dafür der Grundriss und die verwendeten Baumaterialien und –techniken: Der zweigeschossige und sehr ausformulierte Mittelhallengrundriss von
Qaṣr Ziadé mit innenliegendem Treppenhaus ist auf der
Grundlage vergleichender Beobachtungen zu diesem Wohnhaustyp in Beirut am ehesten in die ausgehenden 1860er oder
die 1870er Jahre zu datieren. Innenliegende Treppenhäuser
lassen sich erst ab den späten 1860ern zunächst an herrschaftlichen Beiruter Mittelhallenhäusern nachweisen, bis
dahin waren Außentreppen üblich. Für diese Datierung sprechen auch die Verwendung von offenen Holzbalkendecken in
der am Hause vorgefundenen Bauweise: In den 1880ern hätte man für solche Decken schon (eventuell holzverkleidete)
Doppel-T-Eisenträger verwendet, oder man hätte Stuckdecken vorgezogen.262 Andererseits finden wir im Treppenhaus
einen nach bisheriger Befundlage bauzeitlich zu datierenden,
marmorverkleideten Doppel-T-Träger als Unterzug am Treppenaustritt des zweiten Obergeschosses – eine Konstruktionsweise, die sich identisch auch im Qaṣr Tuéni-Bustros finden lässt, welcher kurz vor 1870 errichtet wurde und in vielen baulichen Details wie ein Zeitgenosse des Qaṣr Ziadé
wirkt.263 Dieser T-Träger und die Verwendung von industriell
gefertigten guss- und schmiedeeisernen Geländerelementen
sowie industriell gefertigten Tür- und Fensterbeschlägen mit
94
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 48
Qaṣr Ziadé, ein Fenster der Nordfassade.
Abb. 49
Qaṣr Ziadé, Fensterreihe des ersten Obergeschosses.
teilweise historisierender Formensprache sprechen deutlich
für eine Datierung in die mittlere zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Produkte industrieller Massenproduktion
aus europäischen Industriestaaten zunehmend nach Beirut
importiert und dort im Wohnhausbau verwendet wurden. Neben einer Anzahl stilistischer und bautechnischer Details, die
hier nicht genauer behandelt werden können, ist es besonders die spezifische Kombination von aufwendigen Holzbalkendecken mit solchen Industrieprodukten, die eine Datierung Qaṣr Ziadés in die späten 1860er oder in die 1870er
Jahre erlaubt.
Bei der Erbauung scheint eine nicht genauer identifizierbare Person namens Altina eine tragende Rolle gespielt zu
haben. Diese Person soll – je nach Quelle – ausländischer
oder vielleicht italienischer Herkunft gewesen sein und war
möglicherweise der Baumeister264, wahrscheinlicher jedoch
der ursprüngliche Bauherr. Die Informationen sind jedoch
zu widersprüchlich und nicht verifizierbar.265 Immerhin
spricht – wie oben schon angedeutet – die Größe und Form
des Baugrundstücks dafür, dass der Erbauer des Hauses ein
Zugezogener war, der das Grundstück gezielt für den Haus-
bau erwarb und nicht zu einer der Familien mit großem
Grundeigentum in der Nachbarschaft gehörte.
Das kaum fertig gestellte Haus wurde – soviel kann relativ
sicher gesagt werden – in den 1870ern von Joseph Nasr
käuflich erworben. Dabei gibt es in der mündlichen Überlieferung einige Indizien dafür, dass das Haus damals noch
unvollendet war und Joseph Nasr den Bau fortgesetzt hat.
Das Haus ist jedenfalls in seiner baulichen Struktur und in
den Ausführungsdetails so einheitlich, dass davon ausgegangen werden kann, dass es von vorneherein als dreigeschossiger Bau angelegt und innerhalb einer relativ kurzen
Zeitspanne und weitgehend in einem Zuge errichtet wurde, und dass also keine nachträgliche Aufstockung stattfand
(wie es bei sehr vielen Beiruter Wohnhäusern jener Zeit üblich war). Die Rolle von Joseph Nasr, wenn er tatsächlich
zum Bauvorgang beigetragen haben sollte, wird sich auf
abschließende Arbeiten beschränkt haben.
1.3.2 Die Familie Joseph Nasr
Nach den Aussagen Iskandar Ziadés entstammte Joseph
Nasr einer maronitischen Familie aus Ghazir (Ġazīr), ei95
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
nem Ort in den Bergen des Kesraouan (Kisrawān) nördlich von Beirut, wo Teile der Familie Nasr und der mit ihr
verschwägerten Familie Ziadé heute noch ansässig sind.
Bevor er das Haus in Beirut erwarb – d.h. etwa in den
1860ern –, lebte und arbeitete Joseph Nasr für einige Jahre als Kaufmann in England, gemeinsam mit seiner Frau
Farida Soussa (Farīda Ṣūṣā), deren Familie ursprünglich
aus Deir el-Kamar im Schufgebirge stammte.266 Mit ihr
hatte er sechs Kinder: fünf Söhne – Michel, Iskandar, Alfred, Gabriel und Albert – und eine Tochter, deren Name
wie so oft nicht überliefert ist; einige der Kinder wurden
in England geboren.267 Nach der Rückkehr aus England,
als Familienvater und als zu Wohlstand gekommener Geschäftsmann mit internationalen Verbindungen, erwarb Joseph Nasr also diesen Neubau im renommierten Beiruter
Vorort Zokak el-Blat als ein neues und repräsentatives Zuhause für sich und seine wachsende Familie. Seine Frau
Farida hatte möglicherweise schon Verwandte im Quartier: Ausgedehnter Grundbesitz und einige Häuser um die
Hügelkuppe von Patriarcat im südlichen Zokak el-Blat gehörten damals schon der Familie Soussa.268
Während die meisten Söhne unverheiratet blieben und bis
zu ihrem Tod um 1940 im Hause wohnen blieben, siedelte zumindest einer der Söhne, Gabriel (der Vater meiner
Informantin Hélène Nasr), um die Jahrhundertwende nach
Alexandria über, wo er sich ebenfalls als Kaufmann etablierte und so die Migrationsgeschichte der Familie in der
für die damalige intermediary bourgeoisie typischen Weise fortsetzte. Das Eigentum des Hauses in Beirut wurde
offenbar auf den Namen von Josephs Frau Farida eingetragen: Die ersten Eintragungen in der neuen, mandatszeitlichen Grundbuchakte für die Immobilie aus dem Jahr
1927 nennen Farida Soussa als alleinige Eigentümerin,
die sämtliche der insgesamt 2400 Besitzanteile hält. 1931
– nach ihrem Tod – wurde die Immobilie zu jeweils gleichen Anteilen an ihre fünf Söhne vererbt.269
Es ist an dieser Stelle wichtig, festzuhalten, dass Joseph
Nasr nach kritischer Auswertung dessen, was uns überliefert ist, zwar der Erstbewohner, nicht aber der Erbauer
des Hauses war. Er hat das Haus somit nicht nach seinen
individuellen Bedürfnissen und denen seiner Familie gestaltet. Es liegt daher nahe zu sagen, dass das Haus nicht
Ausdruck seiner Persönlichkeit, Wohnbedürfnisse und kulturellen Orientierungen ist, zumindest nicht in der Grundrissorganisation und der baufesten Ausstattung. Jedoch,
er hat das Haus erworben, es also für seine Bedürfnisse
geeignet gehalten und nach seinen Bedürfnissen genutzt,
und dies, ohne es durch Umbaumaßnahmen anpassen zu
müssen. Nach derzeitiger Befundlage wurden über rund
fünfzig Jahre hinweg, nämlich von der Fertigstellung des
Hauses bis in die 1920er, keine identifizierbaren Veränderungen in der Grundrissstruktur (etwa durch Einbau von
Räumen, Einziehen zusätzlicher Wände oder Durchbrechen von Türen) vorgenommen. Dies weist deutlich darauf hin, dass Joseph Nasr mit der vorgefundenen baulichräumlichen Struktur zufrieden gewesen sein muss, und
dass er und seine Familie sich darin ohne Weiteres wiederfanden und zuhause fühlten, sich damit identifizieren
konnten und ihre räumlichen Bedürfnisse erfüllt sahen.
Insofern ist das Haus ganz deutlich ein Ausdruck des
schichtbezogenen Habitus und der Wohnkultur, die die
Familie Nasr mit vielen anderen Familien ihrer sozialen
Schicht – der oberen Mittelschicht und der Oberschicht
Beiruts – gemein hatten.
Es ist nicht überliefert, wie die Familie Joseph und Farida Nasr und später die im Hause verbleibenden, unverheirateten Söhne (von den fünfen hatten nach Iskandar
Ziadés Erinnerung nur zwei, Gabriel und Alfred, geheiratet) die beiden Wohngeschosse des Hauses nutzten und
sich aufteilten. Es kann nicht einmal gesagt werden, ob
die Familie überhaupt je beide Geschosse für sich nutzte, oder ob sie von Anfang an eines der Geschosse an Außenstehende vermietete. Es gibt immerhin Indizien dafür, dass eine Etage zumindest seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vermietet war: Ein Stadtplan Beiruts von der
Jahrhundertwende weist das Haus als Wohnsitz des französischen Arztes Dr. Hache aus. 270 Zudem erwähnte
Iskandar Ziadé wiederholt, dass etwa in der Zeit um den
Ersten Weltkrieg ein US-amerikanischer Konsul im Hause gewohnt habe, der auch Empfänge im südlichen Garten gegeben habe. Dies ließe darauf schließen, dass es
das mit dem Garten zusammenhängende erste Obergeschoss war, welches spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermietet wurde, während das zweite Obergeschoss den Nasrs vorbehalten blieb. Allerdings bleiben
erhebliche Zweifel an der Überlieferung bezüglich des
amerikanischen Konsuls bestehen.271 Damit bleibt auch
die Frage, in welchem Geschoss Dr. Hache gewohnt haben mag, offen.
1.3.3 Die Übernahme durch die Familie Ziadé
Nach dem Tod von Farida Soussa Nasr um 1930 (Joseph
Nasr war schon früher verstorben) wurde das zweite Obergeschoss frei, und 1931 zog der Arzt Dr. Joseph Ziadé mit
seiner Frau Antoinette Tarazi (Ṭarāzī) und den beiden Söhnen Iskandar und Farid ein.272 Im gleichen Jahr hatte An-
96
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 50
Qaṣr Ziadé, Treppenhaus auf Höhe des ersten Obergeschosses
mit Eingangstür zum ersten Geschoss.
Abb. 51
Qaṣr Ziadé, Treppenhaus auf Höhe des zweiten Obergeschosses mit Haupteingangstür zum zweiten Geschoss.
toinette Tarazi Ziadé die Besitzanteile von Albert Nasr an
der Immobilie (480 von insgesamt 2400 Anteilen) erworben.273 Mit der Familie zog noch ein Bruder von Joseph
Ziadé, Naoum (Naʿūm) Ziadé, ein, so dass die obere Etage in nicht untypischer Weise von einer Großfamilie bewohnt wurde. Im ersten Obergeschoss hingegen lebten für
eine weitere Dekade die unverheirateten und schon bejahrten Söhne Joseph Nasrs, die diese Etage damals offenbar schon seit längerer Zeit bewohnt hatten. Als nach
ihrem Tode auch dieser Wohnraum frei wurde, zog dort
in den frühen 1940er Jahren ein weiterer Bruder Joseph
Ziadés, der Rechtsanwalt Louis Ziadé, ein, zusammen mit
seiner Frau Tilda und den drei Kindern Georges, MarieRose und Janine. Zeitgleich mit dieser schrittweisen Übernahme des Hauses durch die Großfamilie Ziadé einher
ging auch der fortschreitende Erwerb von weiteren Besitzanteilen an der Immobilie durch die Ziadés.
In den Jahren während des zweiten Weltkrieges haben laut
Iskandar zeitweise auch amerikanische Offiziere im zweiten Obergeschoss als Gäste gewohnt. Als Grund dafür wurde angegeben, dass eine Familienangehörige der Ziadés,
die in den USA lebte und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, bei Kriegsausbruch auf Besuch in Beirut
festsaß und bis Kriegsende nicht zurückkehren konnte. Sie
lebte in dieser Zeit bei der Familie Joseph Ziadés und pflegte ihre amerikanischen Freundschaften, häufig US-Offiziere, die bei Aufenthalten in Beirut auch Unterkunft im
Hause fanden. Dieses Detail, nebensächlich wie es erscheint,
ist ein gutes Beispiel für eine langfristige Unterbringung
von Gästen – und zwar von Verwandten wie auch Außenstehenden –, wie sie in solchen Häusern im 19. und früheren 20. Jahrhundert nicht unüblich war, und die in dieser
Untersuchung wegen ihrer Implikationen für die Konzepte von Privatheit und privatem Wohnraum bedeutsam ist.274
97
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1.3.4 Bauliche Veränderungen 1920–1960
Etwa in die Zeit der Übernahme durch die Ziadés fallen einige bauliche Veränderungen am Hause. Sie sind nicht auf
das Jahr genau zu datieren. Vom baumateriellen und -technischen Standpunkt her können diese Renovierungen zu jeder Zeit zwischen den späten 1920ern und den frühen
1940ern stattgefunden haben. Wegen ihres Umfangs lassen
sich jedoch am besten im Zusammenhang mit dem Bewohnerwechsel verstehen.275 Die Maßnahmen bestanden
vor allem in der Erneuerung von Fußböden und Decken sowie dem Einbau von Badezimmern.
Neue Fußböden
Die Fußböden zahlreicher um die Mittelhallen liegender
Räume und in den Servicebereichen beider Geschosse wurden mit Zementfliesen neu ausgelegt, die einen älteren Belag – der vermutlich in den meisten Fällen aus roten Terrakottafliesen bestand – ersetzten. Die neuen Beläge weisen
entweder farbige Rapportmuster, farbige Schachbrettmuster oder einfarbig-beige Körnung auf (Pläne 1H und 1J).
Die farbigen Fliesen in den Maßen 20x20 cm sind typische
Beispiele der in Beirut als saǧǧāda-Fliesen („Teppich“-Fliesen) bezeichneten Zementfliesen, mit einer Auflage aus zementhaltigem, eingefärbten Gussmaterial auf einem Zementbodenstück, so wie sie seit den 1920ern in Beirut Mode wurden und bis in die 1940er weit verbreitet waren (Abb. 66,
72, 79).276 Dagegen entsprechen die einfachen beige-gekörnten Fliesen dem Typ der Terrazzofliesen, der in Beirut
in den 1940ern üblich wurde (Abb. 63).277 In einem Raum
Abb. 52
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des ersten Obergeschosses in einer
Aufnahme aus den 1960ern.
(R 207) finden wir eine edel wirkende Kombination von
einfarbig weiß-gekörnten Fliesen mit versetzt gelegten kleineren, schwarzweiß gemusterten Fliesen, die sich in die
1930er datieren lassen (Abb. 81).278 Die verschiedenen verwendeten Fliesentypen deuten auf eine längere Phase von
Renovierungen hin, die sich schrittweise von den frühen
1930ern bis in die 1940er zogen, und sich daher gut in die
Zeit der Übernahme des Hauses durch die Familie Ziadé fügen. Es ist davon auszugehen, dass die dabei ersetzten bauzeitlichen Bodenbeläge aus roten Tonfliesen bestanden.
Denn in hinsichtlich Größe und Status vergleichbaren Beiruter Häusern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in
denen die bauzeitlichen Fußbodenbeläge noch erhalten sind,
finden wir in solchen Räumen, die keinen Marmorfußboden haben, rote Tonfliesen.279 Im Qaṣr Ziadé sind solche
Tonfliesenböden nur in den Mezzaninräumen erhalten (Abb.
90), und außerdem finden wir sie – was unüblich ist – als
Pflasterung im südlichen Garten des Hauses. Hier sind möglicherweise Fliesen, die im Hause entfernt wurden, wiederverwendet worden. Die alten, nicht mehr zeitgemäßen Fußbodenbeläge fielen also Modernisierungs- und Verschönerungsmaßnahmen zum Opfer, wie sie etwa zur gleichen Zeit
auch in anderen alten Häusern – beispielsweise dem benachbarten Qaṣr Heneiné – durchgeführt wurden. Da diese
Tonfliesenbeläge eigentlich bei entsprechender Pflege sehr
haltbar sein können (die erhaltenen Beläge in anderen Häusern sind oft in makellosem Zustand), weist die Erneuerung
der Böden auch auf einen Geschmackswandel hin.280
Neue Decken
Mit Sicherheit durch Schäden bedingt war der Einbau der
neuen Stahlbetondecken in der Vorderhalle (R 202), den Seitensälen (R 203 und R 213) sowie im Treppenhaus R 002
(Abb. 51, 78, 82). Es handelt sich dabei ausschließlich um
Decken des zweiten Obergeschosses, die außerhalb des vom
Ziegeldach überdachten und geschützten Bereichs liegen.
Ursprünglich befanden sich hier Decken in Holzbalkenkonstruktion, die von oben mit einer etwa 10 cm dicken Schicht
aus verdichteter Kies-Mörtel-Mischung versiegelt waren.
Decken in dieser Konstruktionsweise sind heute nur noch in
den Dachbereichen über der West- und Südgalerie erhalten;
ihr äußerst schlechter Zustand vermittelt uns eine Vorstellung davon, wie anfällig diese Decken für Wasserschäden
waren, und warum sie im gesamten übrigen Bereich der
Dachterrasse nach und nach ausgetauscht oder zumindest
oberflächlich mit einer Betonschicht versiegelt wurden. Die
Decken der genannten Räume waren gemäß der Lage, Ausstattung und historischen Funktion der Räume sicherlich ur-
98
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
sprünglich Stuckdecken, und diese müssen unter der eindringenden Feuchte stark gelitten haben. Sie wurden jedenfalls laut Iskandar Ziadé von seinem Vater Joseph durch die
heute vorhandenen Betondecken ersetzt, die sich auch aufgrund bautechnischer Merkmale relativ zuverlässig in die
1920er oder 1930er datieren lassen.281 Die mit ihren massiven und unprofilierten Unterzügen und Rahmen grobschlächtig wirkenden Stahlbetondecken der Vorderhalle (R
202) und im Treppenhaus wirken in diesen ansonsten auf
Repräsentation angelegten Räumen etwas unpassend, sind
jedoch in dieser Ausführungsweise recht typisch für ihre Zeit.
Die Betondecken in den Seitensälen R 203 und R 213 hingegen sind mit schlankeren, profilierten Unterzügen und Deckengesimsen versehen, nehmen somit mehr Rücksicht auf
die repräsentativen Funktionen dieser großen, salonartigen
Räume und können als eine Reminiszenz an den reicheren
Dekor der vormaligen Stuckdecken verstanden werden. Es
ist denkbar, dass die zwei verschiedenen Ausführungsweisen der Decken auf zwei unabhängige Umbauphasen deuten, die zeitlich nicht sehr weit auseinander lagen.282
Darauf, dass es schon früher Probleme mit Wasserschäden
in den Flachdachbereichen des Hauses gab, deutet die Decke von Raum R 216 hin (Abb. 85): Sie ist die einzige Decke im Hause, die als preußische Kappendecke konstruiert
ist und daher nicht bauzeitlich sein kann, sondern etwa aus
den 1890ern stammen muss.283 Dieser frühe Einbau einer
Ersatzdecke zeigt, wie problematisch Flachdächer bei den
bourgeoisen Häusern Beiruts im späten 19. Jahrhundert geworden waren, und dass sich Ziegeldächer, die immer größere Bereiche der Häuser überdachten, nicht nur wegen ihrer Funktion als Statussymbol, sondern auch aus praktischen Gründen immer mehr durchsetzten.
Neue Badezimmer
Weitere bedeutsame Veränderungen aus der Zeit um die
1930er waren der Einbau von Badezimmern in den nordwestlichen Eckräumen beider Wohngeschosse (R 113 und
R 214). Zu diesem Zwecke wurde R 113 mit einer Zwischendecke aus Stahlbeton versehen, auf welcher die erforderlichen Wasservorratsbehälter für dieses Bad aufgestellt
wurden. Über dieser Zwischendecke ist die bauzeitliche
Holzbalkendecke des Zimmers noch erhalten. Der Fußbodenbelag aus weißem Marmor mit schwarzem Randstreifen
könnte leicht für bauzeitlich gehalten werden, muss aber aufgrund bestimmter Details eindeutig mit der Einrichtung dieses Badezimmers im Zusammenhang stehen und hat vermutlich einen bauzeitlichen Tonfliesenboden ersetzt. Ob dieses Bad noch von den Brüdern Nasr eingerichtet wurde oder
Abb. 53
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des ersten Obergeschosses im Jahr 2001.
Der Marmorboden ist mit dem für Hauptrepräsentationsräume
typischen schwarzen Rautenmuster aus Schiefer eingelegt.
erst von Louis Ziadé, der den benachbarten Seitensaal (R
112) als Zimmer für sich und seine Frau herrichtete, bleibt jedoch unklar. Für das neue Bad im darüber liegenden Raum
R 214 wurde der Boden und der untere Teil der Wände blau
gefliest und eine Badewanne eingebaut (Abb. 84), deren
schlichte Art déco-Gestaltung sehr typisch für die 1930er ist
und daher gut mit der Aussage Iskandar Ziadés zusammengeht, dass sein Vater Joseph dieses Badezimmer als Elternbadezimmer für das nebenan befindliche Elternschlafzimmer einrichtete. Hier blieb die bauzeitliche Stuckdecke sichtbar; sie ist allerdings heute halb zerstört. Die Wasservorratsbehälter wurden im Dachpavillon darüber aufgestellt,
welcher folglich schon damals nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt wurde. Beide neue Bäder waren mit Badewanne, Waschbecken und mit einem Sitz-Klosett ausgestattet. Solche modernen Bäder wurden damals
(und werden noch heute) als ḥammām franǧī – also „fränkisches“ oder „europäisches Bad“ – bezeichnet. Die alten,
bauzeitlichen Toiletten im östlichen Servicetrakt, die ihre ur99
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
sprünglichen Hock-Klosetts behielten, und die alten Bäder
mit ihren Wasserheizkesseln, Steinbecken und Duschinstallationen erhielten in Abgrenzung dazu die Bezeichnung
ḥammām ʿarabī – „arabisches Bad“ (Abb. 67, 73, 88). Eine
seltene Beschreibung solcher Hausbäder, wie sie im späten
19. Jahrhundert aussahen, findet sich bei Benoilt Boyer und
soll der Anschaulichkeit halber hier angeführt werden:
Augenblicklich sind die Wohlhabenden darauf beschränkt,
ihr Bad zuhause zu nehmen – in Räumlichkeiten, die man in
den meisten gut gebauten Häusern findet und sich allgemein in der Nähe der Küche befinden. Dort steht ein besonderer Ofen mit einem gusseisernen Kessel, der etwa 50
Liter fasst. Das Zimmer ist durch den Ofen beheizt, was im
Winter angenehm ist, im Sommer jedoch unpraktisch. In
diesen kleinen Räumen, die im Allgemeinen ziemlich dunkel sind, gibt es auch eine Einrichtung für eine Kaltwasserdusche. Weiterhin sind zwei Wasserhähne über einem großen, steinernen Becken installiert, einer für kaltes Wasser
und einer für heißes Wasser, das aus dem Heißwasserofen
kommt. Es gibt keine Badewanne; man wäscht sich, aber
man nimmt kein Vollbad (Tauchbad).284
Im ersten Obergeschoss wurde ein weiteres, zum Wohnbereich gehörendes Bad am nördlichen Ende des Servicetrakts
(R 117) modernisiert, d. h. mit Badewanne, Sitz-Klosett
und Waschbecken ausgestattet. Dies geschah wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Übernahme dieses Geschosses durch die Familie Louis Ziadé in den frühen
1940ern. Die gemeinsame Erschließung des Bades mit der
alten Toilette R 116 lässt darauf schließen, dass dieser Raum
auch vorher schon ein Badezimmer war. Im nahegelegenen, von der Familie Louis Ziadé als Kinderzimmer genutzten Raum R 107 südöstlich der Mittelhalle wurde außerdem ein Waschbecken installiert.
In den 1950ern schließlich ließ Iskandar Ziadé, der nach
seiner Heirat 1951 weiterhin im Elternhaus im zweiten
Obergeschoss wohnte, für sich, seine Frau und seine zwei
Töchter ein weiteres Badezimmer (R 211) mit Ankleidezimmer (R 210) einrichten. Es wurde als Einbau von halber
Raumhöhe im damaligen Kinderzimmer (R 212) eingebaut,
mit beidseitigem Zugang vom Kinderzimmer und vom benachbarten Elternschlafzimmer (R 209). Dadurch wurde
ein separates Apartment für die junge Familie geschaffen.
Es lässt sich also beobachten, dass im Qaṣr Ziadé von den
1930ern an eine völlige Reorganisation der der Körperhygiene dienenden Räume vorgenommen wurde. Im Unterschied zum vorher üblichen gemeinsamen Badezimmer für
alle Familienmitglieder auf einer Etage wurden neu eingerichtete Badezimmer nunmehr bestimmten Schlafzimmern
zugeordnet und waren einzelnen Untergruppen des Haushalts
(Generationen und Kernfamilien) vorbehalten. Dies kann als
Ausdruck eines sich verändernden Schamgefühls und einer
sich verändernden Auffassung von Privatheit verstanden werden, die sich materiell in den alten Baubestand des Hauses
einschrieben. Parallelen dazu lassen sich, wie in den übrigen
Fallstudien dieser Arbeit sichtbar wird, in den 1920ern und
1930ern auch in anderen Altbauten und Neubauten finden.
Zimmeröfen und Küchen
Zwei weitere kleine, aber nicht unbedeutende Veränderungen in der technischen Ausstattung des Hauses müssen hier
noch erwähnt werden: neue Zimmeröfen und die Renovierung der Küchen.
Nach dem Einzug der Ziadés in das zweite Obergeschoss
1931 wurde – offenbar erstmalig – ein holzbefeuerter Heizofen in der Südwestecke der Mittelhalle installiert, dessen
Ofenrohr durch die Wand und durch den südlich anschließenden līwān-Raum nach außen geführt wurde. 1951 wurde dieser Ofen in die Nordwestecke der Halle umgestellt, wo
er an den hier in der Wand aus dem ersten Obergeschoss
zum Dach führenden Schornstein von R 112 angeschlossen wurde. Ebenfalls Anfang der 1950er Jahre wurde im
ersten Obergeschoss – erstmalig! – ein Zimmerofen aufgestellt, auch dieser in der Mittelhalle, wo er am ostseitigen
Schornstein angeschlossen wurde. Vor der Aufstellung dieser Heizöfen gab es im Hause – abgesehen von den bauzeitlichen Kaminen der Seitensäle – keine fest installierte
Raumbeheizung. Stattdessen wurden mobile Gasöfen oder
sogar noch die traditionellen tragbaren Kohlebecken (kānūn
oder manqal) benutzt.
In der Mitte der 1940er Jahre sind laut Iskandar Ziadé die Küchen auf beiden Etagen des Hauses erneuert worden. Von der
ursprünglichen baufesten Ausstattung der Küchen ist nichts
erhalten. Iskandar erinnert sich jedoch an die alten, aus Stein
gemauerten Herde in diesen Küchen, die ursprünglich mit
Holz befeuert wurden, aber in seiner Kindheit schon mit Gasflammen betrieben wurden. Auch an dieser Stelle bietet sich
an, eine Beschreibung Boyers aus den 1890ern anzuführen,
die uns eine ungefähre Vorstellung von der ursprünglichen
Ausstattung der Küchen vermitteln kann:
Bei den einfachen Leuten findet man als Küchenutensilien:
kleine Bratspieße zum Rösten von Fleisch; einen kleinen irdenen Ofen, der mit Holzkohle befeuert wird; manchmal
selbst anstelle des Ofens nur drei große Steine, die eine Feuerstelle markieren. Kleine Töpfchen aus Weißblech oder
Kupfer zum Kaffeekochen; einen Kupferkessel für die Brühe, ein rundes Becken zum Geschirrspülen, das gleichzei-
100
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 54
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des ersten Obergeschosses mit Blick
nach Süden auf den līwān, der durch eine typische Tür-Fenster-Kombination mit der Halle kommuniziert.
Abb. 55
Qaṣr Ziadé, Blick aus dem Servicekorridor in die Mittelhalle
des ersten Obergeschosses. Genau gegenüber liegt die Tür des
Eingangskorridors.
tig zur Zubereitung von Kebbé benutzt wird; einige Schüsseln, einige Teller, eine Gabel, einen Löffel, kleine Kaffeetassen, wie sie die Puppen in Frankreich haben – und das ist
alles. Weil es im Inneren der Häuser keinen Kamin gibt, sind
die armen Leute gezwungen, im Sommer an der freien Luft
zu kochen und sich im Winter im Zimmer einzuschließen.
Bei den reicheren Leuten findet man vier oder fünf in Reihe gesetzte Eisenroste oder steinerne Kochplatten. Das Küchengeschirr ist kaum vielfältiger als bei den Armen. Kennerhafte und komplizierte Kochkunst lässt sich also im Orient nicht beobachten. Die Küche als Ort ist hier nur ein gänzlich nebensächliches Anhängsel des Hauses („une annexe
tout à fait accessoire de la maison“), und die Küchenpraktiken und täglichen Speisen sind bei allen die gleichen.285
wider Erwarten nicht aufhörten, fanden sie letztlich eine
neue Bleibe in Ost-Beirut, Ghazir und Broummana. Auf
Veranlassung Iskandar Ziadés zog sein Firmen-Chauffeur
Abū Ṭalāl mit Familie in das Haus, um es vor Plünderung
durch Milizen oder Besetzung durch Flüchtlinge und kriegsbedingt obdachlose Familien zu schützen. Dies gelang jedoch nur bedingt, das Haus wurde sowohl teilweise geplündert wie auch wiederholt von Flüchtlingen besetzt. Die
Flüchtlingsfamilien, die bis 2004 im zweiten Obergeschoss
des Hauses sowie in den östlichen Gartenannexen wohnten, waren mehrheitlich in den frühen 1980er Jahren eingezogen und stammten ursprünglich alle aus demselben
Dorf, Beit Lif, das im seit 1978 israelisch besetzten Südlibanon lag. Sie teilten sich den Wohnraum in gänzlich neuer Weise auf und schufen sich separate Wohneinheiten innerhalb der Etage, indem sie neue Türen durchbrachen oder
alte Türen zumauerten. Heute stehen die von ihnen genutzten Räume leer, nur das erste Obergeschoss wird weiterhin von der Familie Abū Ṭalāls bewohnt.
1.3.5 Erneuter Bewohnerwechsel
Im Frühsommer des ersten Bürgerkriegsjahres 1975 verließen die bis dahin im Hause lebenden Mitglieder der Ziadé-Familie zunächst vorläufig das Haus. Als die Kämpfe
101
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Auch wenn die Bürgerkriegs- und Nachbürgerkriegsphase
des Qaṣr Ziadé ein integraler Teil der Geschichte dieses
Hauses ist und darüber hinaus sehr typisch ist für den Wandel der Raum- und Nutzungsstrukturen der herrschaftlichen
Wohnhäuser in Beirut in den jüngsten vier Jahrzehnten und
für die Art und Weise, wie sich die tiefgreifenden soziodemographischen Veränderungen in den perizentralen Quartieren in die alte Wohnbebauung einschrieben, so muss diese Phase hier doch außen vor gelassen werden. Wenden wir
uns nun den historischen Raum- und Nutzungsstrukturen
des Hauses zu.
1.4 Die historischen Raumnutzungen
Wie vorangehend gezeigt, lässt sich die Nutzungsgeschichte des Qaṣr Ziadé in drei Phasen einteilen: Die früheste Phase (1870er bis 1940er Jahre), in der das Haus durch die Familie Nasr bewohnt wurde; die mittlere Phase (1931 bis
1975), als das Haus den Ziadés als Domizil diente; und die
jüngste Phase (seit 1975), in der die Haushüter-Familie und
die Flüchtlingsfamilien das Haus bewohnten. Um die Rekonstruktion der historischen Raumnutzungsstrukturen in
groben Schritten nachvollziehbar zu machen, empfiehlt es
sich, in zeitlich umgekehrter Reihenfolge vorzugehen: Zunächst soll die auf Grundlage der mündlichen Überlieferung
gut rekonstruierbare Nutzung durch die Ziadé-Familien angegangen werden, und anschließend sollen vor allem aufgrund baulicher Merkmale die bauzeitlich ursprünglich angelegten Nutzungen rekonstruiert werden – welche jedoch
Abb. 56
Qaṣr Ziadé, Balkendecke der Mittelhalle des ersten Obergeschosses. Aufwendige Balkendecken wie diese finden sich in
allen Hauptempfangsräumen des Geschosses.
nicht identisch mit der Nutzungsweise der Familie Nasr sein
müssen, über die wir eigentlich nichts Sicheres wissen. Immerhin erlaubt es die Gegenüberstellung der aus dem Baubestand rekonstruierbaren, „geplanten“ Nutzungen und der
Nutzungsweise der Ziadés, bestimmte Rückschlüsse auf Veränderungen zwischen 1870 und 1931 zu ziehen.
1.4.1 Raumnutzungen durch die Ziadé-Familien
Die separate Geschossnutzung
Grundlegend zeichnete sich die Nutzung des Hauses durch
die Ziadé-Familien dadurch aus, dass die beiden Wohngeschosse als separate Wohnungen für jeweils eine Kernfamilie
bzw. Großfamilie genutzt wurden. Im ersten Obergeschoss
wohnte Louis Ziadé mit seiner Frau und den drei Kindern; im
zweiten Obergeschoss wohnte Louis‘ Bruder Joseph Ziadé
mit seiner Frau, seinen beiden Söhnen Iskandar und Farid sowie seinem unverheirateten Bruder Naoum. Der Haushalt des
zweiten Obergeschosses wurde Anfang der 1950er Jahre durch
die Ehefrau und Kinder Iskandars vergrößert, sodass nunmehr
drei Generationen in einer Wohnung zusammenwohnten. Eine solche Nutzung beider Wohngeschosse eines herrschaftlichen oder bürgerlichen Hauses durch eine verzweigte Großfamilie ist keine Entwicklung des 20. Jahrhunderts, sondern
ist für das spätere 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20.
Jahrhunderts in Beirut für zahlreiche andere Fälle überliefert.286 Mindestens genauso häufig, und mit der Zeit immer
häufiger, scheint die Vermietung eines Geschosses an eine andere Familie gewesen zu sein (wobei diese Mieter dann durchaus wieder mit den Vermietern verwandt oder verschwägert
sein können), oder an andere Nutzer mit Repräsentationsbedürfnissen, wie beispielsweise Konsulate oder hohe osmanische Beamte.287 In all diesen Fällen stellen die einzelnen Geschosse in sich abgeschlossene Wohneinheiten dar, mit eigenen Küchen und sanitären Einrichtungen sowie separaten Erschließungen durch ein gemeinsames oder separates Treppenhaus und – in den meisten Fällen – einem gesonderten zusätzlichen Eingang für das erste Wohngeschoss. Sie konnten
daher je nach Eigentumsverhältnissen an der Gesamtimmobilie zum Nutzen auch und besonders jener Anteilseigner, die
nicht im Hause wohnten, vermietet werden. Ob diese separate Nutzung der Geschosse (oder zumindest die Möglichkeit
einer separaten Nutzung) schon bei der Erbauung eines Hauses in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgesehen
war, muss immer am Einzelfall geklärt werden.
Die separate Nutzung der Geschosse durch zwei Haushalte der Ziadé-Familien folgte auf eine Phase, in der eines der
beiden Geschosse noch durch eine andere Familie (nämlich die Nasrs) genutzt wurde, bzw. – noch früher um die
102
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 57
Qaṣr Ziadé, Vorderhalle des ersten Obergeschosses mit Balkendecke.
Abb. 58
Qaṣr Ziadé, Blick von der Vorderhalle des ersten Obergeschosses nach Norden zum Qaṣr Heneiné.
Jahrhundertwende – von Außenstehenden (Dr. Hache und
möglicherweise einem amerikanischen Konsul) angemietet war. Beide Ziadé-Familien hatten einen eigenen Mietvertrag, der die Nutzungsrechte hinsichtlich der verschiedenen Teile des Anwesens spezifizierte, und beide Parteien
führten einen separaten Haushalt mit eigenem Dienstpersonal. Nach den Angaben Iskandar Ziadés hatte der Haushalt seiner Familie im zweiten Geschoss vier Dienstmädchen und einen Fahrer. Die Zahl der Haushaltsbediensteten vom Louis Ziadé im ersten Geschoss konnte Iskandar
nicht genau erinnern: es waren zwei oder drei Dienstmädchen und ein Gärtner. Ein Teil der Dienstmädchen wohnte
jeweils im Hause. Somit hatte der Haushalt Louis Ziadé im
ersten Obergeschoss etwa sieben oder acht Mitglieder, der
Haushalt Joseph Ziadé im zweiten Obergeschoss hingegen
hatte um die neun Mitglieder.
Die Zugänge zu beiden Wohnungen waren in dieser Phase
voneinander getrennt: Die Wohnung des ersten Obergeschosses wurde über den Eingang und die Treppe im Wes-
ten betreten, während das zweite Geschoss über den zweiten Eingang und das Treppenhaus im Osten erschlossen
wurde. Dementsprechend waren das Treppenhaus und der
ihm straßenseitig vorgelagerte Vorraum (R 001) durch vom
Antiquitätensammler Joseph Ziadé aufgestellte Büsten, Torsi und Spolien deutlich als repräsentativer Eingang zum
zweiten Wohngeschoss markiert. Daher bleibt unklar, inwiefern dieser Eingang auch von Bediensteten des ersten
Geschosses genutzt werden durfte, oder ob diese Bediensteten nicht generell die östliche Außentreppe in den Garten
oder den westlichen Straßeneingang zum ersten Obergeschoss benutzten.
Wichtig ist, festzuhalten, dass sich die Erschließungswege
bei der separaten Geschossnutzung im Qaṣr Ziadé nicht vollständig entflechten ließen. Dies wird besonders bei der Nutzungsaufteilung der Gärten deutlich. Die Gärten im Westen
und im Süden gehörten klar zum ersten Obergeschoss und
waren auch nur von hier zu betreten: der südliche Garten
über die Galerie, und der tieferliegende westliche Garten
103
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
entweder durch die Tür am unteren Ende der Eingangstreppe oder durch den gewölbten Erdgeschossraum im Südwesten des Hauses. Dieser Raum diente als Brennholzlager
für das erste Geschoss, außerdem waren die Geräte des Gärtners hier untergebracht. Der westliche Garten ist heute stark
überwachsen und mit Schutt und Abfällen überschüttet. Das
hier früher vorhandene Brunnenbecken ist daher nicht mehr
zu sehen. Der südliche Garten ist dagegen heute noch mit
dem gepflasterten Bereich und einzelnen Beeten in seiner
Gestaltung nachvollziehbar. In seiner südwestlichen Ecke
befindet sich das Ofenhaus, über dessen Verwendung zu Zeiten der Ziadés leider nichts bekannt ist, das aber sicher im 19.
Jahrhundert noch eine wichtige Rolle bei der täglichen Versorgung des Hauses mit Brot gespielt hat. Auffällig ist, dass
es durch seine Lage in diesem Garten von jeher nur vom ersten Obergeschoss her zugänglich war.
Der Garten im Osten des Hauses hingegen gehörte laut
Iskandar Ziadé zum zweiten Obergeschoss. Er war früher
durch Wege, Rondells und Beete gestaltet. Das heute noch
erkennbare Brunnenbecken war bis zum Bürgerkrieg mit
einer in seiner Mitte aufgestellten Statue ausgestattet (ein
Schmuck, der möglicherweise wie jener im Treppenhauseingang erst auf Joseph Ziadé zurückging). Die zu Zeiten
der Ziadés im Mietsvertrag eindeutig festgelegte Zugehörigkeit dieses Gartens zum zweiten Obergeschoss war jedoch in der praktischen Nutzung nicht konsequent: Im Süden des Gartens befinden sich Bauten, die ihren älteren,
aus Sandstein errichteten Teilen als Brennholzlager für
beide Geschosse und als Hühnerstall für das erste Obergeschoss dienten. Der nördlich angebaute Teil aus Ziegelstein (wahrscheinlich in den 1920er Jahren oder Anfang der 1930er Jahre bei Einzug der Ziadés errichtet)288
diente dagegen als Hühnerstall für das zweite Obergeschoss. Diese Überschneidung der Nutzungen ist vor allem baulich bedingt: Der ältere Teil dieses Anbaus ist direkt über Türen mit dem Servicebereich des ersten Geschosses verbunden. Genauer gesagt stellte der Anbau einen integralen Teil dieses Wirtschaftsbereiches dar, denn
hier befindet sich eine Toilette für das Hauspersonal des
ersten Geschosses, die außerdem über eine zweite Tür vom
Garten her zu betreten ist (eine übrigens etwas eigenwillige Lösung, bei der eine Toilette von zwei Seiten zu betreten ist, aber vermutlich nicht als Durchgangsraum gedacht war). Von dieser Erschließungssituation her betrachtet ist auch der Garten im Osten des Hauses deutlich
und vor allem mit dem ersten Obergeschoss verbunden.
Die funktionale Zuordnung zum zweiten Obergeschoss
scheint eine spätere Entwicklung zu sein.
Der straßenseitige Annex im Norden wurde zu Zeiten der
Ziadés vollständig für Werkstätten benutzt: Die drei von
der Straße her zugänglichen Räume im Erdgeschoss waren
(von West nach Ost) an einen Schuhmacher, eine Schreinerei und eine Druckerei vermietet. Die beiden vom Garten
her zugänglichen Räume im Obergeschoss dienten ab der
Mitte des 20. Jahrhunderts als Restaurierungswerkstatt für
Farid Ziadés Antikenhandel – also auch hier eine Zuordnung zum zweiten Obergeschoss, die laut Iskandar Ziadé
ebenfalls durch den Mietvertrag definiert war, aber nicht
unbedingt die historischen Verhältnisse widerspiegeln muss.
Über die frühere Nutzung dieses Annexes ist nichts bekannt.
Es lässt sich also feststellen, dass bei den Ziadés alle außerhalb der Wohnungen liegenden Teile des Anwesens jeweils
einer der beiden Wohnungen zur Nutzung zugeordnet waren. Dabei kam es jedoch im Falle der dem zweiten Obergeschoss zugeordneten Bereiche immer wieder zu Überschneidungen mit Erschließungswegen oder Nutzungen des
ersten Obergeschosses. Da letztlich aber alle in den Gärten
befindlichen Nutzräume direkt mit dem ersten Obergeschoss
verbunden sind (z. B. der bauzeitliche Hühnerstall) oder nur
vom ersten Obergeschoss her betreten werden konnten (wie
das Ofenhaus), besteht Grund zur Annahme, dass die beiden Geschosse ursprünglich nicht als selbstständig funktionierende Wohneinheiten angelegt waren, sondern einem gemeinsamen Haushalt dienen sollten. Auf diese Frage der separaten oder zusammenhängenden Nutzung der beiden
Wohngeschosse werden wir im Zusammenhang mit der baulich angelegten Nutzung noch einmal zurückkommen.
Die Wohnung der Familie Louis Ziadé
im ersten Obergeschoss
Die Raumnutzungen in der Wohnung des Rechtsanwaltes
Louis Ziadé sind in Plan 1E dargestellt. Auffällig ist der hohe Anteil an Räumen, die auch für den Empfang von Besuch oder Gästen dienten, und einen ausgedehnten, in sich
noch einmal ausdifferenzierten Bereich bildeten, in dem
die nicht-familiäre, für den gesellschaftlichen Verkehr vorgesehene Sphäre und die private/ familiäre Sphäre ineinander greifen konnten. Dazu gehörten die Mittelhalle (R
101) und die Vorderhalle (R 102), das Speisezimmer (R
103), der dahinterliegende, von Iskandar als „extension of
the dining room“ bezeichnete Raum (R 104), weiterhin das
auch als „Fernsehzimmer“ genutzte „Winterzimmer“ (R
105), der als „Salon“ bezeichnete Raum im Südwesten (R
109) und das Kanzleizimmer von Louis Ziadé (R 111).
Unter den genannten Räumen zeichnet sich der als Kanzlei genutzte Raum durch eine Sonderfunktion aus: Um zu
104
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 59
Qaṣr Ziadé, östlicher Seitensaal des ersten Obergeschosses
(R 103), Blick nach Norden. Auch hier ein Marmorboden mit
Rautenmuster und eine aufwendige Balkendecke mit vielen
Unterzügen.
Abb. 60
Qaṣr Ziadé, Seitensaal R 103 mit Blick in den östlich anschließenden Eckraum R 104, der mit farbigen Zementfliesen ausgelegt ist.
verhindern, dass Klienten die Mittelhalle betreten müssen,
wurde von Louis Ziadé durch einen Türdurchbruch (im
Plan grau markiert) eine direkte Verbindung zwischen diesem Raum und dem Eingangskorridor (R 110) geschaffen.
Damit wurde ein Raum, der von seiner Ausstattung her
(einfache Balkendecke und einfach gekörnte Zementfliesen, daher vormals vermutlich Tonfliesen) als früheres Privat- oder Schlafzimmer ohne jegliche Empfangsfunktion
angelegt war, aus dem privaten Wohn- und Empfangsbereich ausgegliedert und unmittelbar mit dem Eingang verbunden. Der Raum erhielt eine Art Pufferfunktion, mittels
derer Klienten und Geschäftskunden aus dem Wohnbereich
ferngehalten werden konnten. Bemerkenswert ist dabei,
dass es einen solchen Puffer im ersten Obergeschoss zuvor nicht (oder nur in sehr reduzierter Form als Eingangskorridor) gegeben hatte. Sollte der Bedarf nach solch einem Puffer zur Erbauungszeit nicht bestanden haben, so
ließe dies auf einen Wandel in der Nutzungsweise der Mit-
telhalle schließen, insofern als im Falle dieses Hauses –
oder genauer: dieses Geschosses – die Mittelhalle eine Tendenz zur Privatisierung zeigt.
Die Mittelhalle diente der Familie Louis Ziadé der Überlieferung nach als ein Hauptempfangs- und -wohnraum
(Abb. 53). Sie war entsprechend repräsentativ und gastlich
eingerichtet, mit zwei symmetrisch aufgestellten Sitzgruppen im mittleren Bereich und weiteren Sitzgelegenheiten
im südlichen Bereich der Halle. Ein großer Kristalllüster,
ein großer Perserteppich und vergleichsweise einfacher
Wandschmuck vervollständigten die Ausstattung. Der Bereich der Vorderhalle ist zur Mittelhalle hin weitgehend offen. Mit einem Kanapee, den Stühlen und Tischen sowie
der Stehlampe und einigen Zimmerpflanzen wirkt dieser
Bereich jedoch etwas bequemer, intimer und weniger förmlich. Er wurde daher wohl mehr für den täglichen Aufenthalt der Familie genutzt, war damit also mehr ein „Wohnzimmer“ als die Mittelhalle selbst.289
105
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
In der kühleren Jahreszeit diente jedoch nach Aussage Iskandar Ziadés der von ihm als Fernsehzimmer und Winterzimmer bezeichnete Raum (R 105) als Hauptaufenthaltsraum, weil er als einziger innenliegender Raum – zwischen
Mittelhalle und Treppenhaus gelegen – keine Außenfenster hatte, sondern nur durch Okuli vom Treppenhaus her
belichtet war und so weniger der Witterung ausgesetzt war.
Dennoch hat es in diesem Raum keine feste Heizung gegeben, während in der Mittelhalle ein Zimmerofen stand
und die beiden großen flankierenden Räume (R 103 und R
112) mit offenen Kaminen ausgestattet waren. Auch das
Winterzimmer wurde von den Ziadés mit einer neuen Tür
versehen, die eine direkte Verbindung mit dem Korridor
zum Wirtschaftsbereich und den dortigen Bädern und Wirtschaftsräumen herstellte und so ein Durchqueren der Mittelhalle vermeidbar machte. Das spricht für den relativ intimen Charakter des Winterzimmers; es konnte selbst bei
Anwesenheit von Gästen in der Mittelhalle ungestört betreten und verlassen werden. Auch hier können wir, ohne
die frühere Funktion dieses Raumes zu kennen, ein gestiegenes Bedürfnis nach Privatheit und Intimität ablesen. Vor
dem neuen Türdurchbruch war dieser Raum durch die Zweiflügeltür mit der Mittelhalle und eine weitere, größere und
verglaste Tür mit verglastem Rundbogenoberlicht (Abb.
62) mit Seitensaal R 103 im Norden verbunden, scheint also funktional mit diesem Seitensaal im engeren Zusammenhang gestanden zu haben. Dieser Seitensaal (Abb. 59)
diente der Familie Ziadé als Speisezimmer und wurde laut
Iskandar Ziadé in dieser Funktion durch den kleinen, östlich
anschließenden Raum R 104 ergänzt.
Der in der Südwestecke liegende Raum R 109 ist nur von
der Mittelhalle her erschlossen und diente als Salon, also als
weiterer, von der Mittelhalle abgesonderter Raum mit Empfangsfunktionen, allerdings von etwas intimerem Charakter.
Seine aufwendige, stattliche Holzbalkendecke (Abb. 65) –
gestaltet wie die der Mittelhalle mit zahlreichen, eng beieinanderliegenden Unterzügen, ohne dass dafür angesichts der
kleinen Fläche und Spannweite eine konstruktive Notwendigkeit gegeben wäre – und der weiße Marmorboden mit einfachem schwarzen Randstreifen sprechen in der Tat für eine
auch bauzeitlich geplante Funktion repräsentativer Art.
Die Nutzung des Seitensaals westlich der Mittelhalle (R 112)
als Schlafzimmer von Louis Ziadé und seiner Frau ist hingegen offenkundig nicht die ursprüngliche und baulich angelegte Nutzung. Dagegen sprechen die Lage des Raumes im
Grundriss, seine Dimensionen und die Ausstattung. Der Fußboden ist ein Marmorfußboden mit schwarzem Rautenmuster, die Holzbalkendecke ist in der reicheren Art wie jene in der Mittelhalle und im Salon (R 109) ausgeführt. Der
offene Kamin und die doppelte Erschließung zur Mittelhalle hin sprechen ebenso deutlich für eine vormals repräsentative Funktion. Im Zusammenhang mit der Nutzung als
Schlafzimmer wurde auch der westlich dahinterliegende
Eckraum R 113 als Badezimmer des Ehepaars genutzt. Ob
Abb. 61
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Raum R 105. Balkendecke mit zwei gerahmten Feldern und einem Unterzug.
Abb. 62
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Verbindungstür von
R 105 zum östlichen Seitensaal R 103.
106
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 63
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss,
R 107. Beispiel eines Bodens mit
sogenannten Terrazzofliesen.
Abb. 64
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, līwān-Raum
R 108. Marmorboden mit schwarzem Rautenmuster. Die Fenstertür geht auf die rückseitige Galerie.
die Umnutzung der beiden Räume eventuell schon auf die
späte Phase der Nasr-Familie zurückgeht, ließ sich bisher
nicht klären. Louis Ziadé jedenfalls ließ auch eine Tür zwischen dem Schlafzimmer und dem benachbarten Kanzleizimmer durchbrechen – wodurch eine zusammenhängende
Raumgruppe innerhalb der Etage geschaffen wurde, die verschiedene Wohnfunktionen (Schlafen/ Privatleben, Körperhygiene, Arbeiten) für das Elternpaar erfüllte und unabhängig von der Mittelhalle und dem Rest der Wohnung funktionierte. Die historische zentrale Erschließungsfunktion der
Halle war hier fast völlig ausgeschaltet worden.
Weitere Schlafzimmer befinden sich südlich der Mittelhalle: Der līwān-Raum R 108 diente als Zimmer für die
beiden Töchter, der südöstliche Eckraum R 107 als Zimmer für den Sohn. Die Kinderzimmer waren also keine Einzelzimmer, aber nach Geschlechtern getrennt. Beide Räume wurden durch eine neue Tür miteinander verbunden,
und eine weitere neue Tür wurde als direkter Zugang von
Raum R 107 zum Servicekorridor im Osten geschaffen, wo
das Badezimmer und die Toilette für die Kinder lagen. Das
Jungenzimmer R 107 erhielt außerdem ein eigenes Waschbecken. Dieser Raum hat einen Zementfliesenboden (vormals also vermutlich einen Tonfliesenboden) und eine Holz-
Abb. 65
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss,
südwestlicher Eckraum R 109 mit
aufwendiger Balkendecke.
balkendecke in der einfacheren Ausführung mit Rahmen
und einem starken Balken als Unterzug; er scheint daher
bauzeitlich als (Schlaf-) Zimmer angelegt zu sein. Anders
hingegen der līwān-Raum R 108: er hat zwar ebenso eine
Holzbalkendecke der einfacheren Art mit Rahmen und einem Unterzug, aber andererseits einen Marmorboden mit
Rautenmuster (Abb. 64). Im Zusammenhang mit der Lage
des Raumes in der Mittelachse des Hauses, in der südlichen Verlängerung der Mittelhalle und mit dieser über eine Tür und flankierende Innenfenster verbunden, ist diesem Raum in seiner baulichen Anlage eigentlich eine repräsentativere Funktion zugedacht: vermutlich wie bei anderen vergleichbaren Häusern die des līwāns im eigentlichen Sinne, d.h. als Familienwohnzimmer mit Empfangsfunktionen.
Alle entlang des Servicekorridors im Wirtschaftsflügel aufgereihten Räume sind Wirtschafts- und Sanitärräume. Laut
Iskandar Ziadé wurden sie wie folgt genutzt: Raum R 114
im Norden war Hauswirtschaftsraum und Bügelzimmer.
Hier stehen heute noch zwei von den Ziadés aufgestellte,
große Schränke, von denen der eine für Wäsche, der andere für Akten, Bücher und Papiere genutzt wurde. Dass dieser Raum eine zweiflügelige Rahmen-Füllungstür zum
107
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Treppenhaus (Abb. 66) und eine gleichartige Tür zum Korridor hat, spricht jedoch offenkundig für eine ursprünglich
anders gedachte Funktion, möglicherweise als eine Art Eingangsraum mit eben jener Pufferfunktion für nicht in der
Mittelhalle willkommene Besucher, die – wie oben festgestellt – am westlichen Haupteingang fehlt. Dies würde dem
Treppenhaus eine ursprünglich wichtigere Rolle auch für
die Erschließung des ersten Obergeschosses für Besucher
geben als die geschossweise Trennung der Erschließungswege unter den Ziadés annehmen lässt.
Südlich an diesen Raum schließen sich Bäder und Toiletten für die Familie an. Über dem Badezimmer, der Toilette und dem nördlichen Teil des Korridors liegt die titḫīte,
die als Kammer für die Dienstmädchen diente (Abb. 74)
und vom Servicekorridor über eine hölzerne Stiege zu erreichen ist. Die Dienstmädchenkammer steht außerdem mittels Innenfenster und Okuli mit dem Servicekorridor im Süden und dem „Hauswirtschaftsraum“ R 114 auf der Ostseite in Verbindung.
Südlich an das Badezimmer schließt sich die Küche (R
119, Abb. 71) und dann das sogenannte office (R 120, Abb.
72) an. Dieser aus dem Franzöischen stammende Begriff
wird in Beirut und andernorts im Nahen Osten als Bezeichnung für ein Anrichtezimmer und Bedientenraum verwendet, der auch der Zubereitung von Kaffee und Tee diente. Schließlich folgt ein weiteres Badezimmer (R 121). Küche und Badezimmer sind jeweils mit einem eigenen
Schornstein ausgestattet, so dass wir davon ausgehen dürfen, dass es im Bad von Anfang an einen Ofen zum Erhitzen von Bade- und Waschwasser gegeben hat. Ein altes
steinernes Wasserbecken, ein typisches historisches Ausstattungselement solcher Bäder, das im Arabischen ǧurn
genannt wird, ist heute noch hier vorzufinden (Abb. 73).
Dieser Raum ist daher eindeutig als das bauzeitliche Badezimmer dieser Etage identifizierbar. Der letzte Raum am
südlichen Ende des Korridors (R 122) ist vor allem ein
Durchgangsraum: Eine Tür in der Ostwand führt in den
südöstlichen Anbau mit Toilette (nach Aussage der heutigen Bewohner die Toilette für das Dienstpersonal) und zum
Hühnerstall, und eine Treppe führt hinauf auf die über dem
Bad und dem office liegende titḫīte, die als Vorratskammer (al-mūne) diente.
Für den gehobenen bürgerlichen Wohnstil der fünfköpfigen Familie Louis Ziadés reichten also drei Schlafzimmer,
denen die relativ große Zahl von sechs Wohn- und Empfangsräumen (bzw. sieben Räumen, wenn man das Kanzleizimmer einbezieht) gegenüberstand. Der Servicebedarf
eines solchen Haushaltes wird in der Zahl der Hausangestellten und in der Größe und räumlich-funktionalen Differenzierung des voll ausgenutzten Wirtschaftsbereiches
sehr deutlich. Bemerkenswert ist angesichts dessen das Fehlen eines eigenen Gästezimmers. Dieses war allerdings in
Beirut tatsächlich keine Standardausstattung großer Häuser, worauf später zurückzukommen sein wird.290
Abb. 66
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Raum R 114 mit der
Nebeneingangstür des Geschosses vom Treppenhaus.
Abb. 67
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Toilettenräume
R 115/R 116.
108
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 68
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss,
Servicekorridor R 118 mit Blick in
Richtung Süden.
Abb. 69
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Servicekorridor
R 118 mit Blick in Richtung Norden. Über dem
Durchgang am Ende des Korridors ist das Innenfenster der Dienstmädchenkammer zu sehen.
Die Wohnung der Familie Joseph Ziadé
im zweiten Obergeschoss
Die Raumnutzungen des zweiten Wohngeschosses durch den
Haushalt Joseph Ziadés sind in den Plänen 1F und 1G dargestellt. Sie lässt sich in zwei Phasen unterteilen: Die Phase
zwischen 1931 und 1951, als das Ehepaar Joseph Ziadé mit
den beiden Söhnen und dem Bruder Naoum Ziadé die Wohnung teilen, sowie die Phase von 1951 bis 1975, als der Haushalt um Iskandars Frau und ihre zwei Töchter wächst.
Die Raumnutzung ähnelt in Grundzügen der im ersten Geschoss. Die Mittelhalle (Abb. 75, 76) diente als ein Hauptwohn- und -empfangsraum und war dementsprechend mit
mehreren Sitzgruppen, Teppich, Wandschmuck und einem
großen Kronleuchter in der Mitte der Stuckdecke ausgestattet.291 Nach der Heirat Iskandars wurde hier für seine
musizierende Gattin ein Flügel aufgestellt, weshalb der
Zimmerofen von der Südwestecke der Halle in die Nordwestecke umgesetzt wurde. Die zur Mittelhalle völlig offene Vorderhalle (R 202) war ebenfalls mit einer Sitzgruppe ausgestattet und diente – soweit aus Familienphotos er-
Abb. 70
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss,
Servicekorridor R 118 mit Türen
zum Innenkorridor R 106 (rechts)
und zur Außengalerie (links).
kennbar – als Wohn- und Aufenthaltsraum besonders in den
wärmeren Jahreszeiten. Die Tür zum östlichen, als Salon
genutzten Seitensaal (R 203) war damals auf der Seite der
Vorderhalle durch eine Kommode verstellt – ein Beispiel
für das Verstellen von Türen, das als nicht-bauliches, provisorisch wirkendes, doch oft recht dauerhaftes Anpassen
der Erschließungsstruktur an veränderte Bedürfnisse nicht
unüblich war. Der Salon war daher durch jeweils eine Tür
von der Mittelhalle, vom Treppenhaus und vom benachbarten kleineren Salon (R 204) zugänglich, und dieser letztere war seinerseits ebenfalls direkt mit dem Treppenhaus
verbunden. Anders als im ersten Obergeschoss sind die Zugänge und die Verbindungen dieser Räume untereinander
sehr viel zahlreicher, und viele Räume sind direkt mit dem
Treppenhaus verbunden. Wegen dieser Erschließungssituation ist man ist versucht zu folgern, dass ihre Nutzung
schon bei der Planung des Hauses auf die von Empfangsräumen ausgelegt worden ist. Dies kann jedoch ein Fehlschluss sein, wie anhand der Fallstudie Qaṣr Bišāra el-Khoury ersichtlich wird, wo trotz fast identischer Erschlie109
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
ßungssituation (durch drei auf das Treppenhaus gehende
Türen) das Obergeschoss ursprünglich keine Empfangs-,
sondern private Wohn- und Schlaffunktionen hatte.292
Im Qaṣr Ziadé ist der größere Salon (R 203) ist mit einem
Marmorfußboden mit Rautenmuster, einem offenen Kamin
und einer zumindest versuchsweise „aufgehübschten“ Betondecke ausgestattet und damit eindeutig als einer der
Hauptrepräsentationsräume dieser Etage anzusprechen. Zu
Zeiten der Ziadés hing dort außerdem nach Aussage Iskandars ein venezianischer Kristalllüster. Der während der Bauaufnahme unzugängliche kleinere Raum besitzt – soviel
war von außen feststellbar – einen Zementfliesenboden mit
farbigem Schachbrettmuster, der möglicherweise auch hier
einen früheren Tonfliesenboden ersetzt hat. Wie die Decke
gestaltet ist, kann nicht sicher gesagt werden, aber es ist davon auszugehen, dass es sich analog zu Raum R 214 um eine Rahmenstuckdecke handelt. Sollte es hier einen Tonfliesenboden gegeben haben, so wäre der Raum trotz seiner direkten Erschließung vom Treppenhaus her doch als
privates Zimmer angelegt gewesen. Unter den Ziadés wurde dieser zunächst als „Erweiterung des Salons“ dienende
Raum erst 1951 als Zimmer für Farid umgenutzt, der bis
dahin in Raum R 212 gewohnt hatte.
Der südlich an den großen Salon anschließende Raum R
205 diente als ein Wohn- und später auch Fernsehzimmer
(Abb. 79, 80). Nach Aussagen Iskandar Ziadés nutzte sein
Vater Joseph diesen Raum auch, um dort „syrische Händler“ und Geschäftsleute zu empfangen, mit denen er wegen
seiner Kunstliebhaberei und seines Antikenhandels Kontakt hatte, die aber nicht in andere Bereiche der Wohnung
vorgelassen wurden. Also finden wir auch hier einen Raum
mit Pufferfunktion, der die Privatsphäre, zu der hier auch
die sonstige Wohn- und Empfangssphäre des Hauses zählt,
vor nicht genehmen Besuchern schützte. Die vielberufene
große Gastfreundschaft, die sich deutlich in der Zahl der
vorhandenen Empfangsräume ausdrückt, hatte also durchaus ihre sozialen Grenzen – und diese Grenze verlief zu
Zeiten der Ziadés durch diesen Raum. Aber dieser Raum
scheint von seiner Ausstattung her (Rahmenstuckdecke und
Zementfliesenboden, daher vormals wahrscheinlich Tonfliesenboden) ursprünglich eher als privates oder Schlafzimmer angelegt zu sein, obgleich seine Lage und die Zweiterschließung vom Treppenhaus her dieser Deutung (zumindest dem Anschein nach, s. o.) entgegenstehen. Diese
funktionale Ambivalenz kann nicht aufgelöst werden, ist
aber möglicherweise sogar gewollt.
Das Speisezimmer des zweiten Obergeschosses befand sich
in dem südlich an die Mittelhalle anschließenden Raum R
208, also dem līwān. Für die 1930er war dies durchaus eine verbreitete Nutzungsweise eines līwāns; es ist aber zu
vermuten, dass wir es in diesem Falle mit einer Umnutzung
zu tun haben.
Die Räume westlich der Mittelhalle dienten sämtlich als
Schlafzimmer. Der Seitensaal im Westen (R 213) diente als
Zimmer der Eltern, dem das neu eingerichtete Bad in Raum
R 214 zugeordnet war. Für diesen Seitensaal (Abb. 83) gilt
wie für den entsprechenden Raum im ersten Obergeschoss,
dass er nach allen baulichen Merkmalen nicht für diese Nutzung angelegt war, sondern eigentlich ein Hauptrepräsentationsraum war. Der südlich anschließende Raum R 212 diente bis 1951 als Zimmer Farid Ziadés und wurde dann als Kinderzimmer für die Töchter Iskandars umgenutzt. Für das nebenan in Raum R 209 wohnende Ehepaar Iskandar Ziadé
und ihre Töchter wurde auch das Bad und das Ankleidezimmer in Raum R 212 eingebaut. Auf diese Weise wurde
innerhalb der Wohnung eine beinahe selbstständige Wohneinheit für die zweite Generation und ihre Kinder geschaffen.
Hier lässt sich einerseits ein Trend zur räumlichen Absonderung der Kernfamilie von der Großfamilie beobachten,
und andererseits ein innerhäuslicher räumlich-funktionaler
Segregationsprozess hinsichtlich der privaten Körperhygiene, der schon mit der Einrichtung des eigenen Elternbadezimmers in Raum R 214 spürbar wurde. Veränderte Ansprüche an den Wohnkomfort sind sicherlich zum Teil verantwortlich für diesen Prozess, der auch in anderen Beiruter Häusern während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
zu beobachten ist. Immerhin war die neugeschaffene Wohneinheit nicht in sich abgeschlossen, sondern wurde durch eine neue Tür zwischen dem Kinderzimmer (R 212) und dem
Zimmer der Großeltern (R 213) zusätzlich erschlossen (Abb.
83). Diese Tür ist heute wieder zugesetzt, korrespondiert
aber in ihren Maßen und ihrer Lage genau der Tür zwischen
Kinderzimmer und neuem Ankleidezimmer (R 210) und
dürfte daher im Zusammenhang mit diesen Umbauten geschaffen worden sein, um auch den Großeltern direkten Zutritt zum Kinderzimmer zu geben. Durch diese Maßnahme
wurden alle auf der Westseite liegenden Schlafzimmer unabhängig von der Mittelhalle miteinander verbunden – ein
prinzipieller Wandel der Erschließungsstruktur, der in Neubauten des frühen 20. Jahrhunderts schon vollzogen war und
hier in einem Altbau nachvollzogen wurde.293
Für Raum R 212 ist noch anzumerken, dass er vor dem Umbau doppelt – nämlich über zwei direkt nebeneinander liegende Türen – mit der Mittelhalle verbunden war. Dennoch
erscheint es unwahrscheinlich, dass dieser Raum einmal
Empfangs- oder Repräsentationsfunktionen hatte. Die er-
110
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
haltene bauliche Ausstattung (Kehlstuckdecke und Zementfliesenboden, daher vormals wahrscheinlich Tonfliesen,
nicht Marmor) spricht eher für eine bauzeitlich geplante
Nutzung als Schlafzimmer – wegen der Größe möglicherweise als Schlafzimmer des Familienoberhaupts. Die für
diese Funktion nicht erforderliche doppelte Verbindung zur
Mittelhalle dürfte dem Wunsch nach möglichst vollkommener Symmetrie und Regelmäßigkeit in der Mittelhalle
zu verdanken sein – ein ästhetisches Bedürfnis, dessen hohe Priorität schon in der Beschreibung anklang, die der
Ägypter Muḥammad al-Qāyātī vom Dār al-ʿAraqǧī gab.
Dem Ziel, eine höchst regelmäßige, möglichst vollkommene „innere Fassade“ in der Mittelhalle zu schaffen, wurden funktionale Erwägungen ohne weiteres untergeordnet.
Eine weitere Auffälligkeit ist, dass in der ursprünglichen
Raumsituation die Räume R 209 und R 212 durch eine bauzeitliche Zweiflügeltür miteinander verbunden waren. Sie
waren damit in dieser Etage die einzigen an der Mittelhalle liegenden Räume, die untereinander direkt kommunizierten, ohne dass man die Mittelhalle durchqueren musste. Diese bauzeitlich angelegte Kopplung der Räume – die
ja gleichzeitig eine Abschirmung gegenüber der Mittelhalle ermöglichte – kann ebenfalls als Indiz für ihre schon bauzeitlich geplante Funktion als intimere Räume, also Schlafzimmer, gesehen werden.
Als letztes Schlafzimmer in dieser Etage ist Raum R 207
anzusprechen, das von Naoum bewohnt wurde. Es ist durch
eine Tür von der Mittelhalle her zu betreten und von seiner
Ausstattung her (Kehlstuckdecke und Zementfliesenboden)
wohl immer als Schlafzimmer angelegt und genutzt worden
(Abb. 81). Bei Bedarf war von hier unter Umgehung der
Mittelhalle ein direkterer Zugang zum Bad im Wirtschaftsbereich (R 217/218) über die Außengalerie möglich.294
Die Räume entlang des Servicekorridors nach Süden (Abb.
86, 87) sind sämtlich Wirtschafts- und Sanitärräume, die in
ihrer Anordnung und Nutzung weitgehend denen im ersten
Geschoss entsprechen. Raum R 216 stellt jedoch einen interessanten Sonderfall dar: Er wurde zu Zeiten der Ziadés
als Zimmer der Hausmädchen und als Bügelraum genutzt.
Seine Ausstattung mit Marmorboden mit Rautenmuster und
die zweiflügelige Rahmen-Füllungstür mit reich profilierter Rahmung (korridorseitig ein Profil mit Wulsten und Kehlen, raumseitig ein fasziertes Profil) erscheint für eine solche Nutzung jedoch unnötig aufwendig. Der Randbereich
des Marmorbodens ist durch einfach gekörnte Zementfliesen ersetzt worden. Die preußische Kappendecke mit Eisenträgern hat offenbar zu einem schon frühen Zeitpunkt
im ausgehenden 19. Jahrhundert die bauzeitliche Decke er-
Abb. 71
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Küche R 119 mit Tür zum
Korridor (links) und in Wandnische eingelassenem Schrank
(rechts).
setzt, über deren Gestalt wir daher nichts wissen. Angesichts seiner Ausstattung muss der Raum für eine andere,
repräsentativere Nutzung als die eines Hauswirtschaftsraums angelegt gewesen sein. Wegen seiner Lage am Korridor gleich in der Nähe des Eingangs vom Treppenhaus ist
es gut vorstellbar, dass dies ursprünglich ein Empfangsraum mit Pufferfunktion war, der für jene Besucher diente, welche nicht in die eigentlichen Empfangs- und Wohnbereiche der Etage vorgelassen wurden.
Das südlich anschließende Bad und die Toilette (R 217/218)
wurden von Farid und Naoum genutzt, während die Toilette am südlichen Ende des Korridors (R 223/224) sowie
das Bad nebenan (R 222) für die Dienstmädchen war (Abb.
88). Diese klare räumliche Segregation zwischen Sanitäreinrichtungen für die Familie einerseits und das Dienstpersonal andererseits haben wir auch schon im ersten Obergeschoss beobachten können und verdient später noch mal
unsere Aufmerksamkeit. Raum R 220 diente als Küche,
Raum R 221 als office. Das Bad (R 222) und die Küche (R
220) haben übrigens keinen eigenen Schornsteinanschluss,
und dies, obwohl die Schornsteine aus dem ersten Geschoss
durch diese Räume führen. Offenbar musste die Ventilation durch Fenster, Okuli und Türen ausreichen – so wie es
ja bei den meisten Häusern in Beirut die Regel war. Das
Zwischengeschoss am südlichen Ende des Servicetraktes
diente als Vorratskammer.295
111
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Da zwei Treppen vom zweiten Obergeschoss auf das Dach
führen, stellt sich die Frage, wie das Dach genutzt wurde.
Die Nutzung zur Zeit der Ziadés hat sich auf eine rein hauswirtschaftliche und haustechnische Nutzung beschränkt: Der
Bereich über dem Servicetrakt diente dem Trocknen von
Wäsche und Gemüse, während von den beiden Eckpavillons
im Norden der westliche als Unterstand für die Wassertanks
des darunterliegenden Bades und der östliche als eine Art
Abstellkammer diente. Aufgrund der repräsentativen Ausstattung der Eckpavillone mit Rahmenstuckdecken296, profilierten steinernen Türrahmungen und aufwendig verglasten Fenstern kann man davon ausgehen, dass die beiden Türme ursprünglich für familiäre sommerliche Aufenthalte dienen sollten. Die repräsentative Ausstattung an einer Stelle,
die man von außerhalb des Hauses kaum sehen konnte, und
die einfache, aber in guter Qualität ausgeführte Holztreppe,
die direkt vom Wohnungseingang im zweiten Geschoss auf
das Dach führte, spricht außerdem dafür, dass dieser nördliche Bereich des Daches durchaus auch für den Empfang und
die Bewirtung von Gästen gedacht war und möglicherweise
Abb. 72
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, Nebenraum der Küche
(office) R 120.
auch für ihre Übernachtung. Für eine solche Sommerfrische
auf dem Hausdach, die in Beirut und der Region eine lange
Tradition hat, bestand offenbar zu Zeiten der Ziadés kein Bedarf mehr. Dazu mögen die neuen Hochhäuser in der Nachbarschaft und die starke Überformung der Stadt und des Umlands seit den 1930ern beigetragen haben.
Ähnlich wie im ersten Obergeschoss finden wir also auch
bei der Nutzung des zweiten Obergeschosses ein deutliches
Übergewicht von Räumen mit Empfangsfunktionen, die
unter sich nochmals ausdifferenziert waren. Immerhin aber
verfügte die zunächst fünfköpfige Familie über vier Schlafzimmer, die später achtköpfige Familie über fünf Schlafzimmer – ein Zuwachs, der mit der Aufgabe eines Salonzimmers bezahlt werden musste.
Beim Vergleich der Raumnutzungen beider Geschosse durch
die Ziadé-Familien fällt auf, dass die Lage der Räume mit
Empfangsfunktionen deutlich auf die jeweilige Lage des
Wohnungseingangs ausgerichtet ist: Im ersten Obergeschoss
finden sich zwei Räume mit Empfangsfunktion westlich
der Mittelhalle rechts und links vom Eingangskorridor (zu
dem der südliche der beiden Räume jedoch keine direkte
Verbindung hat). Im zweiten Obergeschoss sind die Räume westlich der Mittelhalle dagegen durchgehend Schlafzimmer, während sich die Empfangsräume um das Treppenhaus im Osten gruppieren. Man kann diese Ausrichtung
von Empfangsräumen auf die Eingänge für selbstverständlich halten; jedoch sollte berücksichtigt werden, dass ein
Teil dieser Räume von der bauzeitlichen Ausstattung her
nicht – oder nicht unbedingt – auf eine Empfangsfunktion
angelegt war: Das gilt gewiss für Raum R 111 im ersten
Obergeschoss; und im zweiten Obergeschoss stellen, wie
oben schon angedeutet, die Räume R 204 und R 205 Zweifelsfälle dar. Das lässt sich dahingehend deuten, dass das
bauzeitlich angelegte, ursprüngliche Erschließungssystem
und die damit zusammenhängenden Raumnutzungen hauptsächlich über die Mittelhalle als Hauptempfangsraum und
Hauptverteiler konzipiert waren, und dass damit die Grundrissorganisation von innen nach außen konzipiert war. Dabei würde es dann eine untergeordnete Rolle spielen, ob ein
Schlafzimmer direkt mit dem Treppenhaus verbunden ist.
Privatheit und Intimität werden gegenüber Hausfremden
durch geschlossene Türen geschützt. Diese Überlegungen
sind für die weiter unten behandelte Rekonstruktion der
baulich angelegten Raumnutzung von Bedeutung.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es unter den
Ziadés deutliche Veränderungen und Verschiebungen gegenüber den (bislang rekonstruierbaren) baulich angelegten Nutzungsstrukturen der beiden Geschosse gegeben hat,
112
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 73
Qaṣr Ziadé, erstes Obergeschoss, altes Bad R 121, mit steinernem Wasserbecken (ǧurn).
Abb. 74
Qaṣr Ziadé, Zwischengeschoss bzw. titḫīte des ersten Obergeschosses. Die frühere Dienstmädchenkammer R 125.
die sich vor allem in Umnutzungen von Empfangsräumen
zu Schlafzimmern oder umgekehrt von Schlafzimmern zu
Empfangsräumen ausdrücken. Hinzu kommt – oft im Zusammenhang mit solchen Umnutzungen – das Durchbrechen neuer Türdurchgänge, sowie der Einbau von zusätzlichen Bädern, die jeweils näher an den Schlafzimmern liegen als dies bei den bauzeitlichen Bädern und Toiletten im
Wirtschaftsbereich der Fall war.
Decken, im Vergleich zur Außendekoration eher schlicht
ausgefallen sind. Daher kann nicht vorausgesetzt werden,
dass die Nasrs die Mittel besaßen, das Haus auch so zu führen, wie es baulich angelegt war.
1.4.2 Die Rekonstruktion der baulich angelegten
Raumnutzungen
Allgemeines
Es soll nun versucht werden, mit Hilfe der rekonstruierbaren bauzeitlichen Ausstattung der Räume die möglichen
und wahrscheinlichen Nutzungsweisen zu rekonstruieren,
wie sie baulich angelegt waren. Wie weiter oben erläutert,
werden die angelegten Nutzungen nicht im Einzelnen identifiziert werden können; es wird nicht völlig sicher festzustellen sein, ob ein Raum etwa als Salon, Speisezimmer
oder reiner Familienwohnraum genutzt werden sollte. Noch
weniger lässt sich verlässlich sagen, ob diese Räume auch
tatsächlich in dieser Weise von der Familie Nasr genutzt
wurden. Nach dem Bild, das wir im historischen Teil von
der Erbauungsgeschichte des Hauses entwickelt haben, hatte die Familie das Haus nicht für sich und ihre Bedürfnisse errichtet. Hinzu kommt, dass die Familie möglicherweise nicht über die gleichen finanziellen Mittel verfügte wie
jener unbekannte Bauherr des Qaṣr Ziadé, der sich ein Haus
solcher Dimensionen und solcher baulicher Qualität errichten ließ. Das zumindest wäre eine Erklärung dafür, warum große Teile des Innenausbaus, besonders Wände und
Unser Rekonstruktionsversuch beschränkt sich daher darauf, auf der Grundlage ausgewählter Elemente der baulichen Ausstattungen der Räume und ihrer Erschließungssituation Rückschlüsse auf ihre geplante Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeiten zu ziehen und die Räume den in Teil I,
Kap. 3 herausgearbeiteten fünf Kategorien zuzuordnen: 1)
Empfangs- und Wohnräume, 2) private Zimmer/ Schlafzimmer (uwaḍ), 3) Sanitärräume, 4) Küchen und Wirtschaftsräume und 5) Verkehrsflächen. Auf diese Weise kann
eine nutzungsbezogene Hierarchisierung der Räume vorgenommen bzw. rekonstruiert werden. Die Ausstattungselemente, die uns als Schlüssel für diese Hierarchisierung und
Kategorisierung dienen sollen, sind die bauzeitliche Gestaltung der Fußböden, der Decken und der Türbekleidungen.
Fußbodenbeläge, Decken und Türbekleidungen
als Elemente der Raumhierarchisierung
Fußbodenbeläge
Die bauzeitlichen Fußböden werden unterschieden in Marmorböden und Tonfliesenböden, außerdem finden wir Böden, die mit ḥaǧar furnī ausgelegt sind. Letzteres gilt für
stark beanspruchte Fußböden besonders im Erdgeschoss
(Räume R 001 und R 003 bis R 005) und im Durchgangsraum am südlichen Ende des Wirtschaftsbereichs des ersten
Obergeschosses.
113
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Die Marmorfußböden lassen sich nach ihren Ausführungsarten in folgender Reihenfolge abstufen:
- Weißer Marmor mit Rautenmuster aus schwarzen
Schiefer: sehr repräsentativ.
- Weißer Marmor mit Randstreifen aus schwarzem
Schiefer: repräsentativ.
- Schlichter weißer Marmorboden: rein funktional
für Sanitärräume.
Der weiße Marmor wurde also einerseits wegen seiner edlen Wirkung eingesetzt, die durch den schwarzen Schiefer
noch akzentuiert wurde. Räume mit solchen Fußböden können wir als der Repräsentation dienende Räume interpretieren, die dem Gästeempfang und als gehobene Wohnräume für das familiäre Zusammensein dienten. Andererseits
galt der Marmor in seiner einfachen Ausführung offenbar als
bestgeeigneter Bodenbelag für Nassräume.
Bei unserer Rekonstruktion der bauzeitlichen Fußböden im
Qaṣr Ziadé (Pläne 1L und 1M) gehen wir davon aus, dass die
Marmorböden, die wir heute vorfinden, bauzeitlich zu datieren sind. Einziger Ausnahmefall ist der Marmorboden des
Badezimmers R 113, dessen Gestaltung eindeutig erkennen
lässt, dass er beim nachträglichen Umbau dieses Zimmers in
ein Badezimmer eingebaut wurde. Der bauzeitliche Bodenbelag hier wird analog zu den (ebenfalls nicht erhaltenen)
Bodenbelägen in den anderen Räumen der Nordwest- und
Nordostecke des Hauses (R 104, R 204, R 213) gestaltet gewesen sein. Man kann relativ sicher davon ausgehen, dass
es ursprünglich Tonfliesenböden waren, denn Marmorfußböden sind, wie die erhaltenen Fußböden belegen, sehr haltbar und wären auch wegen ihrer hohen Wertigkeit kaum
durch Zementfliesenbeläge ersetzt worden.
Gebrannte Tonfliesen oder Terrakottafliesen wurden in Beiruter Häusern des späten 19. Jahrhunderts häufig in Schlafzimmern – also den uwaḍ – verwendet; außerdem finden
wir sie regelmäßig in Wirtschaftsräumen wie Küchen, Vorratsräumen und Kammern in Zwischengeschossen; in Repräsentationsräumen finden sie sich selten.297 In gepflegtem
Zustand sind sie optisch ansprechend und leicht zu reinigen;
sie sind natürlich auch kostengünstiger als ein Marmorboden.
Für die heute im Qaṣr Ziadé mit Zementfliesen ausgelegten
Räume nehmen wir als Regelfall an, dass sie bauzeitlich Tonfliesenböden hatten. Als mögliche Ausnahme mögen die Küchen beider Geschosse gelten, von denen nicht bekannt ist, ob
sie nicht eventuell einen strapazierfähigeren und schlagfesteren Bodenbelag aus ḥaǧar furnī besaßen. In der Rekonstruktion der Ausstattung (Pläne 1L und 1M) sind sie als Tonfliesenboden markiert. Für Rekonstruktion der baulich angelegten Nutzung macht dies wegen der klaren Identifizierbarkeit der Küchen keinen Unterschied.
Decken
Im Qaṣr Ziadé lassen sich mehrere bauzeitliche Deckenarten finden: Holzbalkendecken verschiedener Ausführungsweisen, Stuckdecken verschiedener Ausführungs-
Abb. 75
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des
zweiten Obergeschosses,
Blick nach Norden.
114
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 76
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des
zweiten Obergeschosses,
zwei Aufnahmen mit Blick
nach Süden. Nicht im Bild
ist die mittige Tür zum līwān.
Zahlreiche Türen und die
beiden Fenster des līwāns
sind von den hier wohnenden Flüchtlingen behelfsmäßig verschlossen worden.
weisen sowie die Gewölbe im Erdgeschoss und im ersten
Geschoss des Wirtschaftstrakts. Die preußischen Kappen
von Raum R 216 stellen einen Sonderfall dar.
Holzbalkendecken
Die Holzbalkendecken lassen sich in drei Typen aufteilen,
die sich in ihrer Repräsentativität stark unterscheiden:
Holzbalkendecken mit dicht beieinander liegenden, starken
Unterzügen, auf denen kleinere schmale Balken in kurzen
Abständen quer aufliegen (Abb. 56, 65). Auf diesen liegen
Bretter, deren Fugen mit schmalen Leisten verdeckt sind. Die
Zwischenräume der Unterzüge und der Balken sind dort, wo
sie in der Wand bzw. auf den Unterzügen aufliegen, mit schräg
nach unten geneigten Brettern verblendet und auf der Unterseite mit einer schmalen Leiste abgeschlossen, wodurch sowohl die gesamte Decke wie auch die einzelnen Felder zwischen den Unterzügen jeweils einen umlaufenden Rahmen
erhalten. Dieser „schwere“ Deckentyp ist der repräsentativste
unter den im Hause vorhandenen Holzbalkendecken.
Der zweite Typ ist eine vereinfachte Ausführung des beschriebenen Typs. Er hat nur einen starken Unterzug in der
Langrichtung des Raumes, auf dem schmale Balken in kurzen Abständen quer aufliegen, welche die Bretter mit den
Fugenleisten tragen. Hier sind nur die durch den Unterzug
gebildeten zwei Felder gerahmt (Abb. 57, 61). In sehr
schmalen Räumen wie den Korridoren und den Außenga-
lerien ist die Ausführung ähnlich, jedoch ohne Unterzüge,
aber mit breiteren Rahmen. Dieser Deckentyp hat durchaus dekorative Qualität, ist aber schlichter als der erste Typ.
Der dritte Typ besteht aus schmalen, in kurzen Abständen liegenden Balken, auf denen die Bretter mit Fugenleisten liegen. Die unteren Kanten der Balken sind als schmale Rundstabe ausgebildet. In Korridoren sind diese Decken auch gerahmt. Manche dieser Decken haben Unterzüge, die fast so
schmal sind wie die Balken und in einigen Fällen in zwei Lagen über Kreuz gesetzt sind (II_1_061). Diese Decken wirken
schlicht und funktional, mit geringem dekorativen Anspruch.
Im ersten Obergeschoss sind alle bauzeitlichen Holzbalkendecken erhalten. Die verschiedenen Typen lassen eine
deutliche Hierarchisierung der Räume erkennen (Plan 1L):
Räume mit Decken des ersten Typs können als Räume mit
repräsentativen Funktionen für den Gästeempfang und das
familiäre Zusammensein gedeutet werden, Räume mit Decken des zweiten Typs als eher private Räume zu Wohnund Schlafzwecken. Die einfachen Decken des dritten Typs
treten in beiden Wohngeschossen ausschließlich in den Wirtschaftsbereichen auf.
Stuckdecken
Stuckdecken finden sich nur im zweiten Obergeschoss des
Hauses; außerdem haben die auf dem Dach befindlichen
Eckpavillons nach Befundlage Stuckdecken besessen. Auf115
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 77
Qaṣr Ziadé, Mittelhalle des zweiten Obergeschosses, bauzeitliche Kehlstuckdecke. An den Schadstellen sind die Balken und
Lättchen der baġdādī-Deckenkonstruktion zu erkennen.
Abb. 78
Qaṣr Ziadé, Vorderhalle des zweiten
Obergeschosses,
mandatszeitliche
Decke und Unterzüge aus armiertem
Beton als Ersatz für
bauzeitliche Stuckdecke.
gehängt sind die Stuckdecken an schmalen, den Raum in
Abständen von 40–50 cm überspannenden Holzbalken. An
den Balken sind kurze, von Balken zu Balken reichende
Holzlättchen in engen Abständen befestigt, die als Putzund Stuckträger dienen (eine Bauweise, die im libanesischsyrischen Raum als baġdādī bezeichnet wird). Die erhaltenen Stuckdecken lassen sich in zwei Typen unterteilen:
Die Kehlstuckdecke (Abb. 77), mit Voute, umlaufenden
Profilleisten, Mittel- und Eckmedaillons. Die Zierelemente sind im Rokokostil gehaltene Rocailles und Rosetten,
teilweise mit Köpfen, und sind offenbar vergoldet gewesen. Dieser Typ ist der repräsentativste im Haus, wirkt dabei doch in keiner Weise überladen.298
Die Rahmenstuckdecke (Abb. 80), mit Mittelrosette und
umlaufenden Deckengesims aus mit Wulst und Kehle profilierten Formsteinelementen. Die Zierelemente sind auch
hier vergoldet gewesen. Der Deckenspiegel ist ansonsten
glatt und ungegliedert. Dieser Typ wirkt eher schlicht.
Auch bei den Stuckdecken lässt sich eine offenkundige Hierarchisierung feststellen: Den repräsentativsten, d.h. am
stärksten dekorierten Deckentyp finden wir in der Mittelhalle. Die schlichten Rahmenstuckdecken sind hauptsächlich den privaten Wohn- und Schlafzimmern zuzuordnen.
Die Befundlage wird jedoch dadurch verunklärt, dass nicht
alle Stuckdecken erhalten sind. In der Vorderhalle (R 202),
den beiden Seitensälen (R 203 und R 213) und dem Treppenhaus (R 002) finden wir heute Stahlbetondecken (Abb.
78, 82). In der Vorderhalle und insbesondere in den Seitensälen als Repräsentationsräumen wäre eigentlich zu erwarten, dass die ursprünglichen Decken dekorativer gestaltet
waren. Ob sich hier Kehlstuckdecken oder Rahmenstuckdecken befunden haben, lässt sich jedoch nicht mehr feststellen. In der graphischen Rekonstruktion der bauzeitlichen
Ausstattung (Plan 1M) sind die beiden Stuckdeckentypen
deshalb nicht unterschieden.
Gewölbe
Im ersten Obergeschoss des Qaṣr Ziadé ist der gesamte Servicetrakt als Gewölbekonstruktion ausgeführt, mit Ausnahme des Korridors und des Eingangsraums R 114. In die
meisten dieser gewölbten Räume sind hölzerne Zwischendecken für die titḫīte eingezogen. Ausnahmen hiervon sind
nur die Küche R 119 und der Durchgangsraum R 122. Anhand ihrer Konstruktionsweise und ihrer Lage im Grundriss lassen sich die Räume eindeutig als bauzeitliche Hauswirtschaftsräume identifizieren und stellen daher für die
Rekonstruktion der baulich angelegten Nutzung kein Problem dar. Die weitgehend analoge Raumaufteilung im Wirt-
116
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 79
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Raum R 205 mit Bodenbelag aus mandatszeitlichen Zementfliesen vom saǧǧāda-Typ.
Abb. 80
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Raum R 205 mit bauzeitlicher Rahmenstuckdecke in baġdādī-Bauweise.
schaftstrakt des zweiten Obergeschosses erlaubt eine entsprechende Identifizierung der dort befindlichen Räume.
rung ableiten. Leider sind aber im zweiten Obergeschoss
fast keine bauzeitlichen Türen mehr vorhanden, die eine
vollständige Kartierung und darauf basierende Analyse ihrer räumlichen Verteilung gestatten würden; sie wurden seit
1975 durch provisorisch eingesetzte Türflügel und Bretter
ersetzt.
Als Schlüssel für die Raumhierarchisierung können jedoch
die Profile der weitgehend erhaltenen Türbekleidungen dienen. Sie wurden im Zuge der Bauaufnahme im Einzelnen
kartiert; es wurde jedoch darauf verzichtet, diese umfangreiche Dokumentation in dieser Arbeit wiederzugeben. Es
ist aber hilfreich, darauf hinzuweisen, dass drei verschiedene bauzeitliche Typen grundsätzlich unterschieden und in
ihrer Verwendung hierarchisch abgestuft werden können:
Typ 1 weist eine reiche und plastische Profilierung durch
Kehlen und Wulste auf. Er ist der aufwendigste und repräsentativste Typ.
Türen und Türbekleidungen
Alle bauzeitlichen Türen in den Wohn- und Empfangsbereichen des ersten und zweiten Obergeschosses sind Zweiflügeltüren mit Rahmen-Füllungstüren, deren Flügel jeweils
vier Felder, in manchen Fällen auch drei Felder haben. In
den Wirtschaftsbereichen sind die Türen einfacher gestaltet.
Da sich die noch vorhandene Dreifeldertür zwischen den
Räumen R 212 (vor dem Einbau von R 210) und R 209 befindet, die ja beide wegen ihrer sonstigen Ausstattung als
private Schlafzimmer angelegt waren, die Vierfeldertüren
hingegen in der Mittelhalle, den Hauptkorridoren und als
Türen zwischen den großen Räumen und den Eckräumen
im Nordwesten und Nordosten zu finden sind299, ließe sich
eigentlich auch hieraus eine deutliche Raumhierarchisie-
117
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Typ 2 ähnelt in der Profilierung der äußeren Leiste dem Typ
1, besitzt aber zwei abgetreppte Faszien. Dadurch wirkt die
Bekleidung edel, aber schlichter als Typ 1.
Typ 3 hat ein über fast die gesamte Breite glattes Profil, das im
Falle des ersten Obergeschosses durch eine äußere vorspringende Kehlleiste, im Falle des zweiten Obergeschosses hingegen von einer schmalen, karniesartig zurückspringenden
Profilierung gerahmt wird. Dieser Typ ist der einfachste der
drei Typen und findet sich ausschließlich im Wirtschaftstrakt.
Türbekleidungen als funktionserklärendes Indiz
Dass diese Profiltypen gezielt eingesetzt wurden, um Räumen einen mehr oder wahlweise weniger repräsentativen
Charakter zu geben, wird besonders darin deutlich, dass
viele Türen verschiedene Türbekleidungen auf der Vorderund Rückseite besitzen. So haben alle Türen der Mittelhalle zur Hallenseite hin Bekleidungen vom Typ 1, während
Abb. 81
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Raum R 207 mit mandatszeitlichen Fliesen. Im Hintergrund der bauzeitliche Marmorboden der südlichen Außengalerie
sie auf ihrer Rückseite Bekleidungen vom Typ 2 aufweisen. Auch im Eingangskorridor des zweiten Obergeschosses (R 206) finden wir auf der zum Korridor gewandten
Seite Bekleidungen vom Typ 1, während die rückseitigen
Bekleidungen schlichter ausfallen: beispielsweise Typ 2
zum Raum R 216, oder auch Typ 3 auf der Seite zum Servicekorridor (R 219). Hier wurden also ganz gezielt Schauseiten gestaltet, die sich gleichsam als „innere Fassaden“
dem Blick des Besuchers darbieten sollten.
Auch im Treppenhaus wurde dieses Mittel der Hierarchisierung benutzt. Von den vier Türen des zweiten Obergeschosses, die auf das Treppenhaus gehen, hat nur die südliche Tür zum Eingangskorridor (R 206) eine Bekleidung
von Typ 1; die übrigen drei haben eine Bekleidung von Typ
2. Die Türbekleidung kann als Beleg dafür dienen, dass nur
die Tür zum Korridor als „offizieller“ Eingang zur Wohnung angelegt war, während die übrigen Türen untergeordnete Funktionen hatten.
Die rekonstruierten Raumnutzungen
Aus der in den Plänen 1L und 1M geschossweise zusammengeführten Kartierung der besprochenen bauzeitlichen
Ausstattungselemente kann nun eine recht deutliche Hierarchisierung der Räume abgelesen werden, anhand derer die
baulich angelegten Raumnutzungen zumindest hinsichtlich
der Funktionskategorien annähernd erschlossen werden können. Diese ist in den Plänen 1N und 1O dargestellt.
Grundsätzlich fällt die weitgehende Übereinstimmung in der
räumlichen Verteilung der Nutzungsarten auf beiden Etagen
auf. Dabei lässt sich zunächst beobachten, dass die auf Empfangsfunktionen ausgelegten Räume den Kern der Wohnung
bilden, während die privaten Schlafzimmer in einem Kranz
um diesen Kern herum liegen. Jedes Geschoss erschließt sich
also dem Eintretenden, wenn er einmal durch den Korridor
in die Mittelhalle gelangt ist, von innen nach außen. Fast
möchte man darin die Materialisierung der zentralen Rolle
des gesellschaftlichen Lebens auch in der Wohnsphäre sehen: Das soziale Leben (Familie und Gesellschaft) steht im
Zentrum, das private oder individuelle Leben ist um dieses
Zentrum herum organisiert und darauf bezogen.
Die repräsentativsten Räume sind in beiden Geschossen jeweils die Mittelhalle und die beiden Seitensäle. Sie bilden
eine Art Dreiergruppe – bzw. eine Vierergruppe, wenn wir
die der Mittelhalle vorgelagerte Vorderhalle als eigenen
Raum zählen. Beide Seitensäle kommunizieren über zwei
Türen mit der Mittelhalle und Vorderhalle, was in Anbetracht der Tatsache, dass Mittel- und Vorderhalle räumlich
kaum getrennt sind, redundant wirkt. Dass dies nicht allein
118
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
funktional, sondern auch entwicklungsgeschichtlich bedingt ist, wird an anderer Stelle erläutert.300 Jedenfalls ist
diese Raumgruppe der Bereich, der besonders stark für den
Empfang von Gästen ausgelegt zu sein scheint. In dieser
Raumgruppe war die Mittelhalle der Raum mit den vielfältigsten Funktionen, die sicherlich gelegentlich miteinander in Konflikt traten. Sie war – zumindest im Qaṣr Ziadé – der Raum, den alle Besucher, die überhaupt in das Haus
eingelassen wurden, betreten und durchqueren mussten,
auch wenn sie hier nicht unbedingt verweilten, sondern in
einem der zahlreichen anderen Räume, die dafür zur Verfügung standen, bewirtet und unterhalten wurden. Damit
war die Mittelhalle der Vorzeige- und Paraderaum an sich,
aber gleichzeitig war sie, als räumliches Relais aller um die
Mittelhalle gelagerten Räume, auch ein Wohnkorridor, über
den die Schlafzimmer miteinander und mit den Sanitärräumen kommunizierten. Bei Abwesenheit von Besuchern war
sie damit fast zwangsläufiger Begegnungsraum der Familienmitglieder und diente dann sicherlich auch gelegentlich
als Aufenthaltsraum.301
Für den eigentlichen Gästeempfang wird einer der beiden
Seitensäle gedacht gewesen zu sein, wobei der jeweils andere beispielsweise als Speisezimmer genutzt werden konnte. Beide Räume können wegen ihrer komfortablen Ausstattung mit einem offenen Marmorkamin auch als Familienwohnräume mitgenutzt worden sein. Wenn wir uns jedoch daran erinnern, dass der östliche Seitensaal R 203 der
Familie Joseph Ziadé als Salon für besondere Anlässe oder
Gäste diente und ansonsten ähnlich einer „guten Stube“ ungenutzt blieb, wird die Bandbreite der möglichen und zeitabhängigen Nutzungen (und Nicht-Nutzung) dieser Räume deutlich. Es gibt jedoch noch mehr Räume, die als
Wohn- und Empfangsräume dienten.
Der līwān kann in Anlehnung an die Nutzung dieser Räume in anderen Mittelhallenhäusern Beiruts als eine Art
Wohnzimmer für die Familie und eher vertraute Gäste, möglicherweise aber auch als Speisezimmer gedacht gewesen
sein. Die Kombination von Marmorfußboden mit Rautenmuster mit einem Deckentyp „zweiter Klasse“ (d.h. gerahmte
Holzbalkendecke mit nur einem Unterzug im ersten Obergeschoss, Rahmenstuckdecke im zweiten Obergeschoss)
macht die nachgeordnete Stellung dieses Raumes im Vergleich zur Mittelhalle und zu den beiden Seitensälen deutlich.
Doch seine räumlich-funktionale Zugehörigkeit zum Empfangsbereich wird dadurch deutlich, dass sich der līwān über
eine Tür und zwei flankierende Fenster auf die Mittelhalle
öffnet. Somit fügt sich ein fünfter Raum zu der oben beschriebenen Vierergruppe. Diese aus Mittelhalle, Vorder-
Abb. 82
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, westlicher Seitensaal R
213, mandatszeitliche Decke aus armiertem Beton als Ersatz
für eine bauzeitliche Stuckdecke.
Abb. 83
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, westlicher Seitensaal R 213,
Südwand mit Resten des bauzeitlichen Kamins. Links davon ein
Türdurchbruch der 1950er, der rezent wieder zugesetzt wurde.
119
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
halle, zwei Seitensälen und līwān bestehende Fünfergruppe aus von Familie und Besuchern genutzten Wohn- und
Empfangsräumen schreibt sich mit einer ausgeprägten TForm in den Grundriss der beiden Wohngeschosse des Hauses ein. Dieses Motiv ist typisch für die großen Mittelhallenhäuser Beiruts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
und wird uns immer wieder begegnen. Räume mit anderen,
intimeren Funktionen sind in der rechten oder linken Wange dieser T-Form platziert. Das Übergewicht von „Sozialräumen“ – also für den Verkehr von Familie, Verwandten
und Außenstehenden vorgesehenen Räumen – gegenüber
„Intimräumen“ drückt sich deutlich in der räumlich stark
formalisierten Anordnung und dem auffällig großen Anteil
der Sozialräume an der Geschossfläche aus.
Dass selbst der wenige, potentiell für Intimräume verbleibende Platz durch weitere Sozialräume reduziert werden
konnte, zeigt sich im Raum R 109 in der Südwestecke des
ersten Obergeschosses. Er kombiniert einen einfacheren
Marmorfußboden mit Randstreifen mit einer Holzbalkendecke vom hochwertigsten Typ, mit zahlreichen, eng beieinander liegenden Unterzügen. Die Verwendung einer solchen Decke in diesem Raum zeigt, dass die Wahl des Deckentyps keineswegs nur von statischen Überlegungen abhing. Denn wie der Vergleich mit anderen Räumen im Haus
zeigt, hätte für einen Raum dieser Größe eine Decke mit
einem einzelnen Unterzug ausgereicht. Die Wahl der De-
ckenkonstruktion hängt also klar mit einem Repräsentationsbedürfnis zusammen. Der Raum war eindeutig dafür angelegt, vorgezeigt zu werden, also für den Empfang von
Gästen zu dienen.
Auch um in diesen Raum zu gelangen, mussten Hausbewohner und Besucher – ebenso wie es für die Seitensäle
oder den līwān der Fall war – erst die Mittelhalle betreten. Eine direkte Verbindung zwischen diesem Raum und
dem unmittelbar benachbarten Eingangskorridor existiert
nicht und hat offenbar auch nie existiert, obwohl dies eine einfache und naheliegende Lösung gewesen wäre (die
ja später für das Kanzleizimmer von Louis Ziadé auf der
anderen Seite des Korridors nachträglich angewandt wurde). Die Mittelhalle des ersten Obergeschosses war folglich weniger gut vor Hausfremden abschirmbar als die des
zweiten Geschosses, zumindest, wenn allen Besuchern
unbesehen ihres sozialen Standes und ihres Anliegens nur
der westliche Eingang zur Etage zur Verfügung stand. Das
überrascht insofern, als zur Erbauungszeit des Hauses
durchaus schon räumliche Lösungen zur Abschirmung der
Mittelhalle vor nicht-statthaften Besuchern existierten, die
man daher auch in einem Haus von der Größe Qaṣr Ziadés
erwarten dürfte.302 Es mag sein, dass diese Lösungen für
Fälle, in denen eine Etage von der Seite her und nicht frontal erschlossen wurde, noch nicht ausformuliert oder in irgendeiner Form standardisiert waren. Die auf beiden
Abb. 84
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, der nordwestliche
Eckraum R 214, der in der
Mandatszeit zum Badezimmer umgebaut wurde, mit
rezenten Umbauten der
Flüchtlinge.
Abb. 85
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Decke des Raums
R 216. Preußische Kappendeckenkonstruktion mit Eisenträgern als Ersatz für eine bauzeitliche Stuckdecke.
120
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
Abb. 86
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Blick in den Servicekorridor R 219 Richtung Norden. Die einfache Holzbalkendecke ist
mit gekreuzten Unterzügen versehen. An der Tür zwischen
Wirtschaftsbereich und Wohnbereich wechselt der Bodenbelag
von Zementfliesen zu Marmor.
Abb. 87
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Blick in den Servicekorridor R 219. Am Südende befindet sich die Treppe zur titḫīte
mit Dienstmädchenkammer.
Wohnetagen jeweils in unmittelbarer Nähe des Treppenhauses zu findenden Räume (R 114 und R 216), die direkt
bzw. über den Eingangskorridor mit dem Treppenhaus in
Verbindung stehen, scheinen die in Qaṣr Ziadé gefundene,
experimentelle Lösung zur Schaffung solcher Puffer- oder
Abfangräume zu sein. Diese Lösung hat in der Beiruter
Wohnhausarchitektur ihrer Zeit keine mir bekannten Parallelen; sie ist aber insofern recht gut gelungen, als diese Räume deutlich vom eigentlichen Wohnbereich abgesetzt sind und somit ihre Aufgabe als Abfangräume besser
erfüllten als ein direkt an der Mittelhalle liegender Raum
es könnte. Dass diese beiden Räume später als Hauswirtschaftsräume umgenutzt wurden und die Abfangfunktion
von anderen (nun an der Mittelhalle gelegenen) Räumen
übernommen wurde, deutet darauf hin, dass die ur-
sprüngliche Lösung später als unnötig empfunden wurde.
Ein gewisses Problem mit R 114 als Abfangraum entsteht
jedoch, wenn das erste und zweite Geschoss als zusammenhängende Wohneinheit genutzt wurden, weil dieser
Raum der einzige Durchgangs- und Verbindungsraum zwischen den beiden Geschossen ist und daher nicht von
Fremden (und gerade solchen Fremden, die man vom
Wohnbereich fernhalten wollte) blockiert werden sollte.
Dieses Problem löst sich, wenn in diesem Fall das erste
Obergeschoss überhaupt eher Empfangszwecken und das
zweite eher privaten Wohnzwecken diente, weil dann ein
Abfangraum für das erste Obergeschoss unnötig war.
Ausgehend von der baulichen Hierarchisierung der Räume, besonders der Deckengestaltung, hat das erste Obergeschoss mindestens einen Empfangsraum mehr als das
121
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
zweite, denn Raum R 109 hat keine Entsprechung im zweiten Obergeschoss. Auch dies kann als Indiz dafür verstanden werden, dass das erste Obergeschoss bei gemeinsamer Nutzung beider Geschosse als „Empfangsgeschoss“
gedient haben könnte. Umgekehrt hat das zweite Obergeschoss mehr Räume als das erste Obergeschoss, die als
ūḍa (im Sinne von Privat- oder Schlafzimmer) angelegt
zu sein scheinen, nämlich sechs im Gegensatz zu vier oder
maximal fünf. Der fragliche Fall ist Raum R 105, der über
eine verglaste Zweiflügeltür mit darüber befindlichem
Halbkreisbogenfenster direkt mit dem Seitensaal R 103
verbunden ist und daher eigentlich kaum hinreichend vom
Empfangsbereich abgeschirmt ist, um als Schlafzimmer
gedient zu haben. Seine Nutzung als „Winterzimmer“
durch die Ziadés unterstützt diese Deutung. Damit wäre
noch mehr des eh schon sehr beschränkten Raums, der im
Abb. 88
Qaṣr Ziadé, zweites Obergeschoss, Blick in die Bad- und Toilettenräume des Dienstpersonals, R 223 und R 224. Die Wandfliesen sind nicht bauzeitlich.
ersten Obergeschoss potentiell für Intimräume verblieb,
von einem von der ganzen Familie und vertrauten Besuchern benutzten Sozialraum eingenommen. Wenn es die
beiden Eckräume im Norden nicht gäbe, die im Kontext
der Beiruter Mittelhallenhäuser eine große Ausnahme darstellen, dann blieben gemäß der baulichen Anlage im ersten Obergeschoss überhaupt nur zwei potentielle Schlafzimmer übrig – gegenüber sieben Wohn- und Empfangsräumen!
Die zusätzliche Erschließung einiger uwaḍ besonders des
zweiten Obergeschosses vom Treppenhaus her oder über
die Außengalerie gab den Bewohnern die Möglichkeit,
den zentralen Empfangsbereich zu umgehen. Alle Türen
zur Galerie sind schließlich von innen und außen zu öffnen gewesen. Dabei war der Weg über die Außengalerie sicherlich wegen seiner Exponiertheit eine stark nachgeordnete und vielleicht nur selten genutzte Zusatzerschließung. Aber hier immerhin gestattete sie es nötigenfalls,
zu anderen uwaḍ und den Bädern und Toiletten im Servicetrakt zu gelangen, ohne den Empfangsbereich zu
durchqueren.
Von entwicklungsgeschichtlicher Bedeutung ist auch das
Phänomen der direkten Verbindung zwischen zwei uwaḍ,
wie sie im zweiten Obergeschoss zwischen den Räumen R
209 und R 212 vor dem Einbau des Bade- und Ankleidezimmers existierte. Diese direkte Kopplung zweier uwaḍ
ist im Hause eine Ausnahme (auch weil dies die einzigen
beiden uwaḍ sind, die unmittelbar nebeneinander liegen),
aber sie ist richtungsweisend in der weiteren Entwicklung
der Beiruter Wohngrundrisse, in dem die uwaḍ vermehrt
direkt miteinander verbunden werden und so von der Mittelhalle unabhängiger werden.
Aus dem bis hierher beschriebenen, engen Gefüge von
Empfangs-, Wohn- und Schlafzimmern ist der Wirtschaftsbereich in beiden Geschossen völlig ausgegliedert.
Die Wirtschaftsräume – Küchen- und Arbeitsräume, Bedienstetenkammern, Vorratsräume, Bäder und Toiletten –
sind in einem großzügig dimensionierten, eigenen Flügel
untergebracht, entlang eines langen Korridors, der durch eine Tür vom Wohnbereich getrennt ist. Eine klare räumliche Segregation des Dienstpersonals und ihrer Aktivitäten vom Bereich der Familie war also von vorneherein bezweckt. Die Lokalisierung und Gruppierung von Küche,
Wirtschafts- und Sanitärräumen am äußeren Rande des
Wohnbereichs lässt sich in allen größeren Beiruter Wohnhäusern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beobachten. In der Regel ist diese Raumgruppe baulich nicht so
stark aus dem Hauptbau herausgezogen wie im Qaṣr Zia-
122
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.1 Qas.r Ziadé: Ein Wohnhaus im „Beiruter Stil“
dé, sondern nimmt die Ecke eines Hauses ein oder ist als
erkennbarer, aber kleinerer Anbau stärker in den Hauptbau integriert. Kaum irgendwo ist diese Ausgliederung
baulich so klar ausformuliert wie am Qaṣr Ziadé mit seinem langen, mit Zwischengeschossen versehenen Wirtschaftsflügel. Auch die Erschließung der Wirtschaftsräume durch einen langen Korridor ist zu seiner Zeit außergewöhnlich, wenn nicht gar einmalig. Dieser Flügel zeigt
uns zwei Dinge: Erstens durch seine Dimensionen, dass
der Erbauer ein großes Haus zu führen plante und mit seinem Personalbedarf sicherlich zur Oberschicht der Beiruter Gesellschaft gehörte. Zweitens durch seine bauliche
Anlage, dass der Erbauer ein deutliches und schichtenspezifisches Bedürfnis hatte, Distanz zwischen Familie
und Hauspersonal zu schaffen.303
So wie sich allgemein in großen Wohnhäusern mit zahlreichen Zimmern die sich entwickelnde räumliche Differenzierung und Spezialisierung stärker und lesbarer ausprägen
konnte als in kleinen Häusern, so erlaubte auch der in diesem großen Wirtschaftstrakt zur Verfügung stehende Platz
eine deutlichere Ausprägung bestimmter Raumbedürfnisse.
Zu den Auffälligkeiten gehören die zwei Toilettenräume je
Etage: einer jeweils in der Nähe des Wohnbereichs am Nordende des Wirtschaftsflügels, und einer so weit wie möglich
davon entfernt am Südende des Flügels – im ersten Obergeschoss sogar außerhalb des eigentlichen Flügels im Gartenanbau. Der Zugang zur nördlichen der beiden Toiletten liegt
jeweils im Korridor des Wohnbereichs, der durch eine Tür
vom Korridor des eigentlichen Wirtschaftsbereichs abgetrennt ist. Daraus lässt sich schließen, dass die Toiletten schon
in der baulichen Anlage für bestimmte Nutzergruppen vorgesehen waren. Die Toiletten im Norden dienten in erster Linie der Familie und ihrer Gäste, während die Toiletten im
Süden vor allem für das Hauspersonal gedacht waren.304
Ähnlich, jedoch weniger vollständig getrennt waren die Badezimmer – zumindest im ersten Obergeschoss, wo eines bei
der Toilette im Norden und eines im Süden des Flügels lag.
Dabei muss hier jedoch einschränkend gesagt werden, dass
nur dass südliche Bad einen Schornstein für einen bauzeitlichen Heißwasserofen besitzt und daher auch dieses Bad bei
Bedarf von der Familie genutzt worden sein muss. Im zweiten Obergeschoss ist die Aufteilung anders eingerichtet: Ein
größerer Raum im südlichen Bereich des Flügels diente möglicherweise schon bauzeitlich als Familienbad, während die
kleinere Bedienstetentoilette ganz im Süden in einen Toilettenbereich und in einen kleinen Nassbereich unterteilt ist.
Auch die Unterbringung der Schlafkammern der Bediensteten in den Zwischengeschossen (am Nordende des Flü-
Abb. 89
Qaṣr Ziadé, titḫīte des zweiten Obergeschosses, frühere
Dienstmädchenkammer R 225 mit schlichter Holzbalkendecken und Okuli. In der Raumecke gab es früher einen Aufgang
zur Dachterrasse des Wirtschaftsflügels.
gels im ersten Obergeschoss und am Südende im zweiten)
ist räumlicher Ausdruck der gewollten Segregation des
Dienstpersonals von der Familie – dies unbenommen der
Frage, ob nicht möglicherweise ein Kindermädchen mit den
Kindern im selben Zimmer untergebracht war. Separiert
war im zweiten Obergeschoss auch der Zugang zur Dachterrasse, mit einem Treppenaufgang im Norden in der Nähe der Eckpavillons, der offenbar vor allem für die Familie
und ihre Gäste gedacht war, und einem zweiten Zugang im
Süden über das Zwischengeschoss, der Zutritt zum hauswirtschaftlich genutzten Teil der Dachterrasse gab. Im ersten Obergeschoss geht die Tür, die vom Korridor auf die
südliche Außengalerie führt, vom Wirtschaftskorridor ab,
während sie im zweiten Obergeschoss vom Korridor des
Wohnbereichs abgeht. Dieser Unterschied weist darauf hin,
dass der südliche Bereich der Außengalerie des ersten
Wohngeschosses stärker auf hauswirtschaftliche Funktionen und eine Nutzung durch die Hausbediensteten ausgelegt
war als die des zweiten Obergeschosses. Das kann unter
anderem mit der Lage des Ofenhauses im südlichen Garten zusammenhängen, mag aber auch darauf hindeuten,
dass die Galerie auch als Bedienstetenzugang vom westlichen Hauseingang her gedacht war.
In den Wirtschaftsbereichen des ersten und zweiten Obergeschosses sind weitere Unterschiede zu beobachten: Es
123
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
gibt von der Fläche und Anzahl her mehr titḫīten im ersten
Obergeschoss als im zweiten – und damit mehr Stauraum
und mehr Raum zur Unterbringung von Bediensteten. Außerdem waren nur die Küche und das südliche Bad des ersten Obergeschosses bauzeitlich mit Schornsteinen versehen, während diese Funktionen im zweiten Obergeschoss
baulich weit weniger festgeschrieben sind. Es scheint daher, dass nur das erste Obergeschoss eine vollwertige Küche hat, wohingegen das zweite nur über eine Hilfsküche
– oder eine vielleicht sekundär eingerichtete Küche – verfügt. Zusammen mit den oben gemachten Beobachtungen
bezüglich der Zugänge zu den in den Gärten befindlichen
Wirtschaftsräumen (Hühnerställe, Ofenhaus, Brennholzlager) untermauert dies den Eindruck, dass das erste Obergeschoss von der baulichen Anlage her einen vollwertigeren Wirtschaftsbereich besaß als das zweite.
1.4.3 Zusammenfassende Bemerkungen
zur historischen Nutzungsstruktur
Es zeigt sich also, dass die auf den ersten Blick weitgehend
analogen Grundrisse des ersten und zweiten Obergeschosses bei genauerem Blick bedeutende Unterschiede aufweisen, die auf unterschiedliche geplante Nutzungen schließen
lassen. Das zweite Obergeschoss ist nicht einfach eine
Dopplung des ersten, sondern beide bilden ursprünglich
sich ergänzende Teile eines komplexeren Raum- und Funktionsgefüges, das später auseinanderdividiert wurde – möglicherweise schon gleich durch die Erstbewohner des Hauses, der Familie Nasr.
Abb. 90
Qaṣr Ziadé, titḫīte des zweiten Obergeschosses, frühere
Dienstmädchenkammer R 226 mit bauzeitlichem Terrakottafliesenboden.
In der baulichen Anlage des Hauses spricht vieles dafür,
dass die beiden Wohngeschosse ursprünglich als eine zusammengehörige Wohneinheit gedacht waren, in der Empfangsfunktionen schwerpunktmäßig (aber nicht ausschließlich) im ersten Obergeschoss und privatere Wohnfunktionen schwerpunktmäßig (aber ebenfalls nicht ausschließlich) im zweiten Obergeschoss lokalisiert waren.
Dass das zweite Obergeschoss mit seinen Stuckdecken für
uns heute repräsentabler wirkt als das erste Obergeschoss
mit seinen Holzbalkendecken, spricht nicht unbedingt gegen diese Deutung. Betont dekorative Stuckdecken in den
Mittelhallen und Seitensälen des Obergeschosses sind auch
bei anderen Häusern zu finden, wo dieses Obergeschoss der
Familie in erster Linie für private Zwecke diente und nur
in zweiter Linie für den Empfang eines eingeschränkten
Besucherkreises (vgl. Fallstudie Qaṣr Bišāra el-Khoury,
Kap. 3.17). Zudem darf man nicht vergessen, dass die
schweren, materialaufwendigen Holzbalkendecken des ersten Obergeschosses einen Besucher, der um die damaligen
Bauholzpreise in Beirut wusste, sicherlich nicht unbeeindruckt ließen, denn diese Decken waren – selbst ohne dekorative Farbfassung – damals mit Sicherheit kostspieliger
als die leichter konstruierten und weniger materialaufwendigen Stuckdecken des obersten Geschosses.305
Es muss aber auch festgehalten werden, dass die Option zur
separaten Geschossnutzung offenbar von vorneherein eingeplant war und die räumlichen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden. Dies wird in der weitgehenden Analogie
der Grundrisse sowie in der Anlage des Treppenhauses deutlich, die eine – wenn auch nicht vollständige, so doch hinreichende – Entflechtung der Zugangswege von vorneherein gestattete.306
Über diese aus der baulichen Anlage ablesbaren geplanten
Raum- und Geschossnutzungen hinaus ist es eine relativ
große Flexibilität, die das räumliche Gefüge des Hauses
ausmacht und die sich in den tatsächlichen späteren Nutzungen – etwa durch die Ziadés – ausdrückt. Die Differenzen zwischen der baulichen Anlage und der späteren
Entwicklung der Nutzungen sind natürlich nicht zufällig.
Die separate Nutzung der Geschosse, die Umnutzung von
„Sozialräumen“ zu „Intimräumen“, die Schaffung von
Apartments innerhalb der Geschosse, all dies sind Entwicklungen, die auf gerichtete Veränderungen im Platzbedarf, in der Art des häuslichen und familiären Zusammenlebens, im Bedürfnis nach Privatheit und familiärer
und individueller Intimität hinweisen. Diesen Veränderungen gilt es auch in den nachfolgenden Fallstudien auf
der Spur zu bleiben.
124
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
2 Qaṣr Heneiné: Europäisch-bourgeoise
Räume mit Orientflair
Qaṣr Heneiné (Ḥunayna) liegt ebenfalls im Quartier Zokak el-Blat, unmittelbar gegenüber vom Qaṣr Ziadé, an
der Ecke von Rue Hussein Beyhum und Rue Abdel-Kader (Abb. 91). Das Haus trägt den Namen jener Familie,
die hier seit Ende der 1930er Jahre bis 1970 gewohnt hat.
Der Name seines Erbauers konnte allerdings auch in diesem Fall nicht sicher geklärt werden. Dennoch verrät das
Haus, wie im Folgenden gezeigt wird, sehr viel über seinen Erbauer. Im Kontext der Beiruter Wohnhausarchitektur der spätosmanischen Zeit ist der Qaṣr Heneiné in
vieler Hinsicht ein Exot. Die grundsätzliche Andersartigkeit des Hauses besonders hinsichtlich der Raum- und
Erschließungsstrukturen (siehe Pläne 2A–2E) ist um so
bedeutsamer, als sich das Haus in seiner Materialität –
das heißt in den verwendeten Baumaterialen und Konstruktionstechniken – kaum von anderen Häusern seiner
Zeit in Beirut unterscheidet. Wie in einer leicht veränderten Versuchsanordnung, bei der scheinbar nur der Bauherr ausgetauscht wurde, wurden hier die gleichen Materialien und Techniken verwendet, um ganz anders gearteten Wohnbedürfnissen Raum und bauliche Form zu
geben – und zwar, wie sich zeigen lässt, europäisch-großbürgerlichen Bedürfnissen. Deswegen bietet sich Qaṣr
Heneiné als eine Art Kontrastmittel an, mit dem die bedeutenden Unterschiede zwischen den Raum- und Wohnbedürfnissen der europäischen Bourgeoisie und denen der
Beiruter Oberschichten plastisch herausgearbeitet werden können.
Das Haus hat eine wechselhafte Geschichte, was sich auch
in der für die verschiedenen Phasen seiner Geschichte sehr
unterschiedlichen Quellenlage ausdrückt und was die Erforschung gerade der für unsere Fragestellung wichtigen
Erbauungs- und frühen Nutzungsphasen sehr schwierig
machte. Zur grundsätzlichen Orientierung sollte daher eine grobe Skizze dieser rekonstruierten Geschichte vorweg
geschickt werden. Auf bestimmte Details und Probleme
dieser Geschichte wird im Laufe des Kapitels genauer einzugehen sein.307
Erbaut wurde das zweigeschossige Haus etwa in den 1880er
Jahren. Sein Erbauer war – soweit es sich rekonstruieren
lässt – ein russischer Adeliger, der mal als Graf, mal als
Fürst bezeichnet wird, und über dessen Namen überhaupt
erst lang nach Abschluss der Forschungen ein erster Hinweis ans Tageslicht kam. Dazu später mehr. Nach dem Tod
des Bauherrn etwa um die Jahrhundertwende ging das Haus
Abb. 91
Lageplan Qaṣr Heneiné (o. M., Grundlage: Katasterplan
1:2.000 von 1964).
in den Besitz der Familie Salloum Mezher (Sallūm Muzhir) über, einer wichtigen Hotelier- und Grundbesitzerfamilie aus der Nachbarschaft (Abb. 137). Von 1903 bis 1914
war es an den französischen Arzt Dr. Justin Calmette (lebte 1874–1957) vermietet (siehe Abb. 297). Von 1914 bis
1936 diente das Erdgeschoss als Sitz des US-amerikanischen Generalkonsulats und das Obergeschoss als Residenz
des Generalkonsuls, mit einer kurzen kriegsbedingten Unterbrechung von 1917 bis 1918, als das Gebäude vorübergehend vom niederländischen Generalkonsulat übernom-
Abb. 92
Ausschnitt aus dem Katasterplan 1:500 von 1932 (o. M., Plan geostet). Hellgrau unterlegt das Grundstück ZAB 622 und 623; dunkelgrau der Hauptbau des Qaṣr Heneiné, damals noch US-Konsulat.
125
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
men wurde (Abb. 96). 1936, nach dem Auszug des US-Konsulats, zog die Familie des Arztes Dr. Joseph Heneiné
(Yūsuf Ḥunayna, lebte 1883–1961) in das erste Geschoss
(Abb. 138). Seine Angetraute Marie Mezher (1892–1970)
war eine der Erbinnen des Anwesens (Abb. 139). Dort richtete Dr. Heneiné auch seine Privatpraxis ein. Nach Joseph
Heneinés Tod führte seine Witwe Marie über kurze Zeit von
1969 bis zu ihrem Tod 1970 ein kleines französisches Restaurant im Hause, „Le Petit Palais“ (Abb. 122). Das zweite Geschoss war seit dem Auszug des US-Konsuls an die
Familie von Georges Haddad (Ḥaddād, lebte 1890er–1969)
und seiner Ehefrau Marie Chiha (Šīḥā, lebte 1889–1973)
vermietet. Ihre Wohnung entwickelte seitdem ein besonderes Eigenleben: Marie Chiha Haddad war Malerin und
Schriftstellerin, und ihr Salon galt in den 1930ern und 40ern
als Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen.308 Ab den
1940er Jahren wurde die Wohnung zunehmend zum Zentrum einer religiös-spirituellen Gruppe namens „Daheschisten“. Deren geistiger Begründer, Prophet und Namensgeber war ein gewisser „Doktor Dahesch“ („Duktūr
Dāhiš“, was etwa mit „Doktor Erstaunlich“ zu übersetzen
wäre). Dieser hieß mit bürgerlichem Namen Salīm al-ʿAššī.
Er lebte von 1909 bis 1984, war sehr eng mit den Haddads
befreundet und wohnte später sogar gemeinsam mit der Familie im zweiten Geschoss, wo auch Treffen seiner Freunde und Anhänger abgehalten wurden. Der anhaltenden Faszination, die diese wahrhaft schillernde Persönlichkeit auf
viele Beiruter ausübte, ist es zu verdanken, dass das Haus
manchen Beirutern immer noch als Qaṣr Dahesch bekannt
ist. Im Bürgerkrieg 1975–1990 wanderten die Haddads gemeinsam mit Doktor Dahesch in die USA aus, blieben aber
weiterhin die Mieter des zweiten Geschosses, das allerdings
bis heute die meiste Zeit über nur durch ihren Haushälter
bewohnt wird. Das erste Geschoss hingegen stand schon
nach dem Tode Marie Heneinés im Jahr 1970 leer. Ab etwa 1976 wurde es von Bürgerkriegsflüchtlingen besetzt,
von denen die letzten im Jahr 2005 auszogen. Danach stand
die Wohnung wieder leer und war verschlossen.
Qaṣr Heneiné diente also in den ersten knapp drei Jahrzehnten als Wohnhaus von in Beirut lebenden Ausländern:
zunächst eines russischen Adeligen, dann eines französischen Arztes; in den folgenden zwei Jahrzehnten diente
es als Konsulatsbüro und Residenz des amerikanischen
Konsuls. Erst danach, ab den 1930ern, wurde es etagenweise von Beiruter Familien bewohnt. Die Auswirkungen
dieser Bewohnerwechsel auf die Raumnutzungen im Hause sind für unsere Fragestellung besonders interessant,
wobei wir jedoch mit dem Problem konfrontiert sind, dass
die zur Verfügung stehenden Quellen – nämlich Konsulatsakten für den Zeitraum 1914–1936, Oral History für
die Zeit danach, jedoch kaum etwas für die Zeit davor –
diese Raumnutzungen gerade für den besonders interessanten Fall der Erstbewohner nur sehr eingeschränkt rekonstruierbar machen. Wie beim Qaṣr Ziadé sind beim
Qaṣr Heneiné stark auf eine Analyse der baulichen Struktur angewiesen, eine bauliche Struktur, die – soviel kann
vorausgeschickt werden – seit ihrer Erbauung keine maßgeblichen Veränderung erfahren hat.
2.1 Räumliche Lage – gegenwärtig und historisch
Das Haus liegt – wie gesagt – unmittelbar nördlich gegenüber dem Qaṣr Ziadé, im Grenzbereich von Zokak el-Blat
zu Zarif und Kantari, auf einem Eckgrundstück, das im Süden von Rue Hussein Beyhum, im Westen von Rue AbdelKader und im Norden von der mehrspurigen Avenue Fouad Chéhab begrenzt wird. Diese Hauptdurchgangsstraße,
von Einheimischen auch schlicht als „Ring“ bezeichnet,
wurde in den späten 1960ern und frühen 1970ern durch die
bestehende Bebauung gebrochen. Dabei wurde ein kleines
Stück von der Nordseite des Grundstücks abgeschnitten,
und die kleine, das Grundstück ursprünglich im Norden begrenzende Nebenstraße namens Rue Tewfik Bassat verschwand (Abb. 92). Damit wurde auch die alte, auf diese
Nebenstraße hinabführende Gartentreppe in der Nordostecke des Grundstücks außer Funktion gesetzt und die ehemals sehr ruhig gelegene Nordseite wurde zur exponiertesten Seite des Hauses.
Zur Erbauungszeit des Hauses um die 1880er (zur Datierung siehe weiter unten) war die städtebauliche Situation
noch weitgehend so, wie sie schon für den benachbarten
Qaṣr Ziadé beschrieben wurde (Abb. 31). Die KhouryHäuser südlich hangaufwärts entlang Ṭarīq ar-Raml (der
späteren Rue Abdel-Kader) waren noch nicht errichtet.
Das zweigeschossige Mittelhallenhaus Qaṣr Aker (ʿAqr)
[M 1824], das heute direkt westlich gegenüber dem Qaṣr
Heneiné steht, existierte damals ebenfalls noch nicht (Abb.
94).309 Der Löytved-Plan von 1876 und Beirut Town-Plan
der britischen Armee von 1919 zeigen, dass hier im Westen des Qaṣr Heneiné nach und nach einige kleinere Häuser entstanden; das größte und älteste von ihnen war der
vor kurzem abgerissene Bayt Haddad [M 1810] etwas
weiter westlich an der heutigen Rue Spears.310 Der Qaṣr
Aker selbst scheint erst nach 1919 an der Stelle kleiner
Vorgängerbauten errichtet worden zu sein.311 Ähnlich wie
der Qaṣr Ziadé hatte also auch der Qaṣr Heneiné zu Zeit
126
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 93
Qaṣr Heneiné, Ansicht von Osten, mit östlicher Galerie und Küchenannex. Links im Bild der Qaṣr Ziadé.
seiner Erbauung von der Bogengalerie und den Veranden
auf seiner Westseite noch einen weitgehend freien Blick
über die Gärten und Sandhügel von ar-Raml. Im Norden
hingegen standen damals zwei zweigeschossige Mittelhallenhäuser mittlerer Größe. Im Nordwesten von ihnen,
in dem bis dahin unbebauten Gebiet westlich des Ṭarīq
ar-Raml, wurde in der Mitte der 1880er Jahre – also etwa zeitgleich mit dem Qaṣr Heneiné – ein großes, dreigeschossiges Mittelhallenhaus auf einem großen Gartengrundstück errichtet [M 1761]; es wurde nach 1946 als
Residenz und Amtsitz der libanesischen Präsidenten Bechara Khalil el-Khoury und Camille Chamoun bekannt.312
Sein Erbauer, Ḥannā Heneiné, war ein Onkel Dr. Joseph
Heneinés, des späteren Miteigentümers und Hausherrn
des hier besprochenen Qaṣr Heneiné. Auch das längst verschwundene kleinere zweigeschossige Mittelhallenhaus,
das zur Zeit der Erbauung unseres Qaṣr Heneiné auf dem
östlichen Nachbargrundstück stand, gehörte möglicherweise damals schon einem Zweig der Heneiné-Familie.313
Die Heneinés, eine alteingesessene Beiruter Familie maronitischer Konfession, gehörten seit der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zu den Familien mit großem Grundbesitz in diesem Teil Zokak el-Blats und prägten – gemeinsam mit anderen maronitischen Grundbesitzerfamilien dieser Gegend wie den Mezhers und Khourys – durch
ihre Bautätigkeiten und den Erwerb, die Vererbung und
den Verkauf von Grundeigentum maßgeblich die städtebauliche Entwicklung dieser Nachbarschaft bis in das späte 20. Jahrhundert.314 Weiter nach Osten und Nordosten
hin, mit zunehmender Nähe zur 1853 errichteten osmanischen Infanteriekaserne (dem späteren Grand Sérail)
und der Altstadt von Beirut, wurde – wie schon der Lö127
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
ytved-Plan von 1876 zeigt – die Bebauung kleinteiliger
und dichter. Dort lag aber auch, unweit nordöstlich des
Qaṣr Heneiné und schon auf dem Plan von 1876 eingezeichnet, ein großes, heute abgängiges Wohnhaus der Familie Beyhum, einer der wichtigsten sunnitischen Notablenfamilien Beiruts, die zahlreiche Grundstücke und
Häuser in den neuen Quartieren westlich und südlich der
Altstadt besaßen. In seiner Nachbarschaft wurde schließlich um die Jahrhundertwende die im neogotischen Stil
gehaltene Villa Pharaon (Farʿawn) errichtet, in der sich
heute das Mouawad-Museum befindet.315 Der Bereich östlich des Qaṣr Heneiné war also in baulicher und demographischer Hinsicht damals schon stärker verdichtet und
durchmischt als die durch Villen dominierten westlichen
und südlichen Bereiche des Quartiers, an dessen damaligen westlichen Bebauungsrand der Qaṣr Heneiné entstand.
2.2 Beschreibung des Hauses
2.2.1 Grundstück und Anordnung des Gebäudes
Wie auf dem Löytved-Plan (Abb. 31) erkennbar, war das
Grundstück des Qaṣr Heneiné das letzte große Stück Bauland, das in diesem Bereich auf der Ostseite von Ṭarīq arRaml im Jahr 1876 noch völlig unbebaut war. Mit der Bebauung dieses „Reststücks“ wurde die vorstädtische Ur-
banisierung dieses Straßenblocks also vorläufig abgeschlossen. Das leere Grundstück auf dem Löytved-Plan
liefert uns auch den terminus post quem für die Erbauung
des Qaṣr Heneiné. Das Haus muss demnach aus der Zeit
nach 1876 stammen und von Grund auf neu erbaut worden sein, ohne ältere Vorgängerbauten zu integrieren. Inwiefern die L-Form des Grundstücks auf dem Plan die damaligen tatsächlichen Verhältnisse wiedergibt, muss offen bleiben. 316 Jedenfalls hatte das Grundstück, als es
schließlich für den Hausbau benutzt wurde, keinen östlichen Fortsatz mehr. Es bestand nur in dem rechteckig-trapezoiden westlichen Teil mit einer Fläche von 1.133 m2.
Das Grundstück liegt in der Südostecke ebenerdig zur
Straße; das allgemeine Gefälle des Geländes nach Nordwesten hin wird durch eine Terrassierung ausgeglichen,
durch die das Niveau des Grundstücks an der Nordwestecke etwa vier Meter über Straßenniveau liegt. Diese Ecke
wird durch einen eingeschossigen, aus einem einzigen,
kreuzgewölbten Raum bestehenden Bau abgestützt, der
vermutlich im Zusammenhang mit der Terrassierung zeitgleich mit dem Haus errichtet wurde. Spätestens seit dem
Ersteintrag in das mandatszeitliche Grundbuch im Jahr
1931 war dieser Eckbau als eigene Katastereinheit registriert [ZAB 623] und als Ladenlokal (maḥall tiǧārī) eingetragen. Seine Eigentumsgeschichte ist jedoch identisch
Abb. 94
Qaṣr Heneiné, Ansicht von
Südwesten. Links im Bild
der Qaṣr Aker. Deutlich zu
erkennen sind der Eingangsrisalit und die Galerie auf
der Westseite des Qaṣr Heneiné entlang der Rue Abdel-Kader.
128
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
mit der des übrigen Grundstücks, das die Katasternummer Zokak el-Blat 622 erhielt.
Das Haus selbst ist ein geschlossener, kubisch wirkender
Baukörper mit einem beinahe quadratischen Außengrundriss von 25x26 Metern und einem kurzen, rund sechs
Meter nach Osten vorspringenden Wirtschaftsflügel im
Südosten (Abb. 92–94). Die Grundfläche pro Geschoss
beträgt 705m2, womit das Haus etwas größer ist als der
Qaṣr Ziadé. Über einem niedrigen Substruktionsgeschoss,
einer Art Sockelgeschoss, das nur im Südwesten und im
Osten ebenerdig zugängliche Gewölberäume hat und in
den restlichen Bereichen als nicht zugängliche (vermutlich ebenfalls gewölbte) Substruktion angelegt ist, erheben sich zwei Wohngeschosse, von dem das erste als eine Art Hochparterre anzusprechen ist.317 Der Bau ist mit
einem flachgeneigten, ziegelgedeckten Walmdach abgeschlossen, das schon als Vollüberdachung gelten kann:
nur der kleine Bereich über dem Küchenanbau und über
der Galerie im Osten bleiben als begehbare Dachterrasse ausgespart.
Der Bau ist auf dem Grundstück an den südlichen und
westlichen Rand unmittelbar an die Straße gerückt, so dass
ein kleiner, L-förmiger Garten im Norden und Osten des
Hauses übrig blieb. Der Garten im Norden liegt hoch genug, um allen Blicken von der Straße her entzogen zu sein.
Der schmale Streifen Garten im Osten schuf einen gewissen Abstand zum heute abgängigen östlichen Nachbarhaus. Nach Süden ist dieser Garten durch den Küchenflügel abgeschlossen, der als einziger Teil des Hauses
bis an die östliche Grundstücksgrenze vorgezogen ist. Damit waren die Nord- und Ostseite des Hauses sehr viel geschützter und ruhiger gelegen als die anderen Seiten des
Hauses. Auf der direkt an die Straße stoßenden Haupteingangsseite im Westen dagegen musste – ähnlich wie
beim Qaṣr Ziadé – vor allem die Höhe des ersten Wohngeschosses über dem Straßenniveau für Schutz sorgen.
Zusätzlicher Schutz wurde hier durch die Grundrissorganisation geschaffen, indem die Wohnräume erst in zweiter
Reihe, nämlich hinter einer Galerie und einer Treppenhalle, lagen. Entlang der Straße im Süden schließlich waren dort, wo die Fenster des ersten Geschosses wegen des
Geländeanstiegs nicht mehr hoch genug über dem Augenniveau von Passanten liegen, nur das Treppenhaus und
die Küche lokalisiert.
Es ist deutlich, dass schon in der baulichen Gliederung und
Anordnung des Gebäudes auf dem Grundstück darauf geachtet wurde, die Wohnsphäre so gut nach außen abzuschirmen wie es auf diesem kleinen Grundstück möglich
Abb. 95
Qaṣr Heneiné, Ansicht von Nordwesten, Straßenfassade entlang Rue Abdel-Kader und gartenseitige Nordfassade.
war. Darin unterscheidet sich der Qaṣr Heneiné nicht vom
Qaṣr Ziadé.
2.2.2 Die Fassaden
Das Mauerwerk des Qaṣr Heneiné ist in der üblichen Weise in Beiruter Küstensandstein (ḥaǧar ramlī) ausgeführt;
sämtliche Wände – innen und außen – sind voll verputzt,
und die Fassaden in Ockergelb gefasst. Die Fassaden sind
durch ein umlaufendes Sockelgesims, Stockwerkgesims und
Hauptgesims gegliedert. Das Sockelgesims und das Stockwerkgesims sind schmal und verputzt, wohingegen das
Hauptgesims bzw. Traufgesims sehr viel breiter und aufwendiger gestaltet ist, mit einem Profil aus flachem Fries,
Zahnschnitt, Karnies, Hohlkehle und Karnies. Es ist aus ursprünglich unverputzten, weißen Kalk-Formsteinen gemauert, auf die im Zuge einer Renovierung eine Putzschicht
aufgetragen wurde, die das gleiche Profil wieder aufnimmt.318
Der Farbkontrast zwischen ockerfarbener Wand und weißem, breitem Hauptgesims als optischer Abschluss des Baukörpers ist ein Motiv, das wir schon am Qaṣr Ziadé beobachten konnten. Da solche breiten Gesimse mit Zahnschnitt
an Beiruter Wohnhäusern selten sind, könnte das ältere Nachbarhaus hier sogar als Vorbild gedient haben.
Was die Fassadengestaltung des Qaṣr Heneiné angeht, so
fällt eines schnell auf: Man sucht vergeblich nach den
übereinander positionierten, großen Dreibogenfenstern,
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
mit denen sich die Mittelhallen der Beiruter Häuser üblicherweise in der Hauptfassade nach außen öffnen. Auf der
Nordseite, wo diese Dreibogenfenster normalerweise zu
erwarten wären, befindet sich auf Höhe des ersten Geschosses in mittiger Position nur ein kleineres Drillingsfenster, mit Rundbögen und (heute fehlenden) Doppelsäulen, von außen mit einem Fenstergitter versehen (Abb.
105, 106). Es überblickt das im Garten davor befindliche
Wasserbassin. Ansonsten finden wir auf dieser Seite nur
hochrechteckige Fenster ähnlich denen des Qaṣr Ziadé,
mit geraden profilierten Fensterverdachungen und hölzernen Lamellen-Klappläden. Sie bilden eine durchgehende Reihe aus sechs Fenstern im zweiten Geschoss,
kombiniert mit einer zusätzlichen qamariyye (Okulus) jeweils mittig über jedem Fensterpaar, und sie flankieren
jeweils paarweise das Drillingsfenster im ersten Geschoss.
Das Fensterpaar westlich des Drillingsfensters hat keine
geraden Stürze, sondern flache Stichbögen ohne Verdachung – eine Form, die in lokalen Kontext fast schon als
historisierend bezeichnet werden kann.319
An der Nordwestecke öffnet sich ein einzelner hoher Spitzbogen nach Norden hin (Abb. 95). Er gehört zur nördlichen Stirnseite der offenen Bogengalerie des ersten Geschosses, die sich mit sechs Spitzbögen auf schlanken
Marmorsäulen über einen großen Teil der Westseite des
Hauses zieht. Das zweite Geschoss hat stattdessen eine
offene Terrasse. Die Wellblechüberdachung dieser Terrasse ist nicht bauzeitlich, stammt aber mindestens aus
dem frühen 20. Jahrhundert.320 Die Bögen der Galerie sind
Abb. 96
Qaṣr Heneiné von Nordwesten in einer Aufnahme aus dem
Jahr 1931. Die amerikanische Flagge weist das Haus weit
sichtbar als US-Konsulat aus.
vollständig eisenvergittert und scheinen dies schon bauzeitlich gewesen zu sein. Die Bogengalerie bzw. Terrasse wird im Süden durch eine Art Mittelrisalit abgeschlossen, der im Weiteren als Eingangsrisalit bezeichnet werden
soll (Abb. 97). Hier befindet sich auf Straßenniveau der
Haupteingang des Hauses, durch eine schlichte Rahmenquaderung in der ansonsten glatten Wand hervorgehoben.
(Heute ist dieser Eingang mit Betonsteinen vermauert.)
Darüber, auf dem Niveau des ersten Geschosses, sind die
einzigen wirklich auffälligen Dreibogenfenster des Hauses (Abb. 98). Sie wirken imposant, aber dennoch schlicht,
denn anstelle der zu erwartenden schlanken Marmorsäulen ruhen ihre Spitzbögen auf gemauerten, glattverputzten Pfeilern. Verschlossen sind sie mit schmiedeeisernen
Geländern und Hebefenstern, deren hölzernes Sprossenwerk mit seinen geometrischen Mustern durch Kriegseinwirkung stark beschädigt, aber noch gut erkennbar ist.
Diese Dreibogenfenster stehen jedoch nicht mit einer Mittelhalle in Zusammenhang, sondern belichten die dahinterliegende große Eingangshalle des Hauses, die sich in
ihrer Höhe über zwei Geschosse – Erdgeschoss und erstes
Geschoss – erstreckt. Im darüber liegenden zweiten Geschoss hat die Fassade des Eingangsrisalits kein Dreibogenfenster, sondern einfach zwei hochrechteckige Fenster der üblichen Ausführung, mit einer mittig darüber angeordneten elliptischen qamariyye.
Südlich des Eingangsrisalits schließt sich das südwestliche
Ecksegment der Westseite an, wo sich auf Straßenniveau
der Zugang (heute ebenfalls vermauert) und das vergitterte bogenförmige Oberlicht des Gewölberaums des Sockelgeschosses befindet, während das erste Geschoss ein
hochrechteckiges Fenster und das zweite Geschoss zwei
hochrechteckige Fenster besitzt. Die andersgearteten Fensterverdachungen der beiden Fenster des zweiten Geschosses (sie sind nicht profiliert, sondern als schräg aus
der Wandoberfläche heraustretende Putzflächen ausgebildet321), das im Vergleich zur Traufhöhe des Hauses niedrigere Flachdach dieses Raumes, seine Lage außerhalb des
Ziegeldaches, deutlich sichtbare Putzfugen in der Fassade und andere Details mehr weisen diesen Eckraum im
zweiten Geschoss als nachträglichen Anbau vom Beginn
des 20. Jahrhunderts aus.322 Ursprünglich hatte es hier eine zweite, kleinere Terrasse gegeben, die als Gegenstück
zur großen Terrasse im Norden den Eingangsrisalit südlich flankierte.
Damit sind die von der Straße her sichtbaren Elemente
der West- und Hauptfassade des Hauses beschrieben. Eine der Haupteigenschaften dieser Fassade ist, dass die
130
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
hinter der Bogengalerie und der Terrasse liegenden Bereiche relativ gut vor Blicken von außen abgeschirmt sind.
Hier in den rückwärtigen Wänden befindet sich auf beiden
Geschossen tatsächlich noch jeweils eine Dreibogenkombination der in Beirut üblichen Art. Im ersten Geschoss gehört sie zu einer ursprünglich zur Galerie hin offenen Loggia, die im frühen 20. Jahrhundert nachträglich
mit verglasten Verschlüssen versehen wurde (Abb. 99,
100). Im zweiten Geschoss ist sie als Kombination von
mittlerem Durchgang mit flankierenden Bogenfenstern
gestaltet, die schon bauzeitlich verglast war. Auch diese
beiden Dreibogenkombinationen stehen jedoch nicht im
Zusammenhang mit einer Mittelhalle im eigentlichen Sinne, die es im Qaṣr Heneiné nicht gibt, sondern mit einer
T-förmigen Halle, auf die später zurückzukommen sein
wird. Im Wandbereich nördlich der Dreibogenstellung befinden sich im zweiten Geschoss zwei hochrechteckige
Fenster. Im ersten Geschoss finden wir in analoger Position zwei hohe Fenster in ungewöhnlicher Ausführung,
nämlich mit zugespitzten Hufeisenbögen und gotisierendem hölzernen Maßwerk, die wir identisch auch auf der
Ostseite des Hauses finden (Abb. 128). Auf der westlichen Galerie sind die beiden Fenster jedoch heute von einem provisorischen Küchenraum verbaut, den die hier
lange Zeit lebenden Flüchtlingsfamilien errichtet haben,
und daher von außen nicht sichtbar.
Das Innere der Galerie zeichnet sich durch weitere Besonderheiten aus: Die Laibungen und Stirne aller Bögen
sind zur Galerie hin dekorativ in abwechselnd hellbrauner und schwarzer Farbe gefasst, wodurch der historisierende Effekt von ablaq-Mauerwerk erzielt wird.323 Ein oktogonales Brunnenbecken befindet sich mittig vor der
Dreibogenstellung, und früher erstreckte sich entlang der
straßenseitigen Bögen ein gemauertes Pflanzenbeet, dessen Bepflanzung an den Gittern der Bögen emporwuchs
und zusätzlichen Blickschutz gewährte.324 Dieser schon
halb wie ein Innenraum wirkende Galerieraum ist also
deutlich reicher ausgestattet als die schlichten Außenfassaden des Hauses. Durch den Brunnen und die Begrünung
bildete er fast so etwas wie einen Wintergarten.
Die Südseite des Hauses entlang der Rue Hussein Beyhum (Abb. 101) ist im Unterschied zur Westseite wieder
vor allem durch Reihen hochrechteckiger Fenster dominiert, mit jeweils sechs Fenstern im ersten und zweiten
Geschoss, mit zusätzlichen fünf qamariyyen im oberen
Wandbereich des zweiten Geschosses, die teilweise als
Oberlichter von Zimmern, teilweise zur Belichtung der
titḫīte dieses Geschosses dienen. Unterbrochen werden
Abb. 97
Qaṣr Heneiné, Ansicht der westlichen Straßenfassade von
Südwesten, mit Haupteingang auf Straßenniveau und Dreibogenfenster der Eingangshalle.
Abb. 98
Qaṣr Heneiné, Dreibogenfenster über dem Haupteingang auf
der Westseite des Hauses. Hinter den Bögen verläuft der Umgang der Eingangshalle.
131
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
die Fensterreihen nur von den Nebeneingängen des Hauses (Abb. 102, 103): Eine etwa auf halber Länge der Fassade befindliche, schmucklose Tür mit einem spitzbogigen Oberlicht gibt Zugang zum ersten Geschoss. Östlich
davon gibt eine größere Tür mit dekorativer Steinrahmung
und etwas höher liegendem, spitzbogigen Oberlicht Zutritt zu einem Treppenhaus, welches beide Geschosse von
der Straße erschließt und miteinander verbindet. Auf Höhe des zweiten Geschosses ist das Treppenhaus durch ein
hohes Zweibogenfenster mit schlanker Marmorsäule und
hölzernen, verglasten Verschlüssen belichtet. Solche Zweibogenfenster sind eine seinerzeit für Beirut sehr typische
Form der Treppenhausbefensterung. Analog zu der Position des Nebeneingangs zum ersten Obergeschoss finden
wir auf Höhe des zweiten Geschosses außerdem noch zwei
kleine, quadratische Fenster, die zu den dahinter liegenden Toiletten gehören.
Abb. 99
Qaṣr Heneiné, westliche Galerie des ersten Geschosses, mit
Brunnen, stark beschädigter Tür zum Umgang der Eingangshalle und links den Bögen der Loggia.
Die Ost- und Nordseite des Küchenflügels (Abb. 104) sind
denkbar schlicht gestaltet: nach Osten hin zwei hochliegende kleine Fenster im ersten Geschoss, und zwei hochrechteckige Fenster der üblichen Ausführung im zweiten
Geschoss. Nach Norden hin ist der Küche eine kleine Terrasse vorgelagert, wo eine zweiflügelige Rahmen-Füllungstür direkten Zugang von außen in die Küche gewährt.325 Von der Terrasse führt eine Außentreppe hinunter
in den östlichen Garten, von wo man das Gartentor am Nordende des Grundstücks und die Räume unter der Terrasse
und im Sockelgeschoss auf der Ostseite des Hauses erreichen kann – alles Räume, die man funktional dem Küchenund Wirtschaftsbereich zuordnen kann. Die Küchentür zur
Terrasse wird von einem hochrechteckigem Fenster rechts
und einem kleinen Fenster links flankiert; über ihr befindet
sich ein weiteres kleines Fenster zur Belichtung der Küchen-titḫīte. Im zweiten Geschoss hat diese Seite des Küchenflügels nur ein hochrechteckiges Fenster mit einer darüber positionierten qamariyye und einem kleinen Fenster
rechts. Der kleine Dachaufbau in der Nordostecke des Küchenflügels ist eine Ergänzung aus der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts und dient der Unterbringung von zusätzlichen
Wasservorratsbehältern.
Die am Küchenflügel anschließende Ostseite des Hauptbaus (Abb. 93) lässt sich in zwei Abschnitte einteilen: einen mittleren und einen nördlichen Abschnitt. Der nördliche Abschnitt wirkt mit seinen verputzten Mauerwerksflächen eher geschlossen. Auf der Höhe des ersten Geschosses geht eine mittig platzierte Tür auf eine Außentreppe, die
in den Garten hinabführt, im zweiten Geschoss befindet
sich ein einzelnes hochrechteckiges Fenster kombiniert mit
einer qamariyye. Der mittlere Fassadenabschnitt öffnet sich
mit einer zweigeschossigen Bogengalerie auf der gesamten Breite zwischen Küchenflügel und nördlichem Eckabschnitt. Unterhalb der Galerie im Sockelbereich befinden
sich zwei niedrige Türen, die in die weiter oben schon erwähnten Gewölberäume führen. Die zweigeschossige Galerie hat je sechs Bögen, wobei die Arkade im ersten Geschoss gemauerte Pfeiler mit auf Kämpferhöhe leicht eingezogenen Spitzbögen (d.h. Hufeisenbögen) hat, die im
zweiten Geschoss dagegen schlanke weiße Marmorsäulen
mit einfachen Spitzbögen.
Auf beiden Geschossen ist die Galerie mit hölzernen, verglasten Fensterverschlüssen versehen, im ersten Geschoss
ist sie zusätzlich von außen vergittert. Eisenringe in den
Bogenscheiteln beider Geschosse, die zum Aufhängen von
Laternen gedient haben mögen, deuten jedoch darauf hin,
dass die Galerien ursprünglich offen waren. Für die ur-
132
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
sprünglich offene Ausführung spricht auch, dass die Fenster und Türen innerhalb der Galerie wie Außenfenster gestaltet sind. Im zweiten Geschoss zeichnen sich außerdem
im Außenputz der Brüstung Postamente unter den Säulen
ab. Das lässt den Schluss zu, dass die Galerie des zweiten
Geschosses – wie es bei vielen Vergleichsbeispielen der
Fall ist – einst gänzlich offene Bögen mit Säulen auf Postamenten und dazwischen gesetzten Eisengeländern hatte
(vgl. Fallbeispiele Qaṣr Ziadé und Qaṣr Bišāra el-Khoury),
und dass die gemauerte Brüstung auf einen Umbau späteren Datums zurückgeht.326 Aufgrund der Gestaltung der hölzernen Verschlüsse lässt sich dieser Umbau etwa in die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert datieren. Die bauzeitlich offene Ausführung der Galerie im zweiten Geschoss kann
auch erklären, warum die nördlichen drei der sechs Bögen
gestaffelt sind, während die südlichen drei von einheitlicher Größe sind: Die gestaffelten Bögen nehmen die Form
der dahinter befindlichen, verglasten Dreibogenarkade auf,
mit der sich die T-förmige Halle des Geschosses auf die östliche Galerie öffnet – analog zu der oben besprochenen
Dreibogenarkade zur Terrasse im Westen.
Durch das recht frühzeitige Verschließen der östlichen Galerien schon ein oder zwei Jahrzehnte nach der Erbauung des
Qaṣr Heneiné deutet sich ein wachsendes Bedürfnis nach
besserem Schutz der Wohn- und Privatsphäre nach außen (in
diesem Falle vielleicht vor den Nachbarn im Osten) an. Dies
überrascht nicht, wenn wir berücksichtigen, dass – wie im
folgenden Unterkapitel gezeigt wird – diese östlichen Galerien im Unterschied zu den westlichen wichtige Erschließungsfunktionen innerhalb des Hauses erfüllten. Solche baulichen Veränderungen sind in der wechselhaften Geschichte des Qaṣr Heneiné jedoch auch immer im Zusammenhang
mit den wechselnden Bewohnern und Nutzern zu sehen, deren Anforderungen an das Haus sich unterschieden und dementsprechend baulich-materiellen Ausdruck fanden.
2.2.3 Grundriss und Erschließung der Geschosse
Auch ohne Dreibogenarkaden als zentralem Gestaltungselement der Hauptfassade ist die äußere Gestalt des Qaṣr
Heneiné insgesamt doch sehr weitgehend lokalen Bauweisen verpflichtet, wobei allerdings die Zusammenstellung
und Position der einzelnen Elemente in den Fassaden schon
auf eine ungewöhnliche Grundrissdisposition hindeuten.
Und in der Tat erweist sich das hinter diesen eher unscheinbaren Fassaden verborgene Hausinnere definitiv eine Besonderheit im Beirut des späten 19. Jahrhunderts.
Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der inneren räumlichen
Anlage beider Geschosse sowie der Innendekoration des
Abb. 100
Qaṣr Heneiné, westliche Galerie des ersten Geschosses, Bögen
der ursprünglich offenen Loggia.
ersten Geschosses. Was allerdings die Erschließung der
Geschosse von außen angeht, so müssen wir zunächst feststellen, dass sie sich im Prinzip nicht von der anderer Beiruter Häuser vergleichbarer Größenordnung unterscheidet: Das erste Geschoss (Plan 2A) hat seinen besonderen
Haupteingang von der Hauptfassade her, in diesem Fall
also der straßenseitigen Westseite des Hauses. Ein Treppenhaus auf der Südseite, versehen mit einem repräsentativ gestalteten Straßeneingang, gibt Zugang zum ersten
und zweiten Geschoss und stellt auch die einzige Verbindung beider Geschosse miteinander dar. Und es gibt – wie
bei Beiruter Häusern dieser Größe ebenfalls üblich – einen
separaten Kücheneingang für das erste Geschoss, dessen
Zugangsweg durch den Garten führt und auf diese Weise
von den Zugangswegen des Haupteingangs und des Treppenhauses getrennt ist. Zusätzlich führt ein weiterer,
schmuckloser Nebeneingang von der Straße im Süden in
133
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
einen inneren Servicekorridor des ersten Geschosses und
ist somit hauptsächlich als zweiter Dienstboteneingang zu
verstehen, der dem Dienstpersonal das Umlaufen des
Grundstücks ersparte. Die kleine Treppe vom nordöstlichen Eckraum in den Garten ersparte ihrerseits den Bewohnern das Durchqueren der Küche auf dem Weg in den
Garten. In Hinsicht auf das Geschosserschließungssystem
folgte der russische Adelige als überlieferter Bauherr des
Hauses sehr weitgehend einem zur Erbauungszeit schon
verbreiteten System für Häuser der Beiruter Ober- und
oberen Mittelschichten. Er teilte auch, wie wir hier schon
erkennen, das Bedürfnis, das Dienstpersonal auf räumlicher Distanz zu halten.
In der Grundrissgestaltung ging der Bauherr jedoch ganz
eigene Wege. Der im Westen gelegene Haupteingang führt
unmittelbar in eine hohe Eingangs- oder Treppenhalle (R
001) auf Straßenniveau, die die gesamte Höhe des Sockel-
Abb. 101
Qaṣr Heneiné, südliche Straßenfassade entlang Rue Hussein
Beyhum.
geschosses und des erstes Geschosses durchstößt. In der
Mitte der Halle befand sich ein marmorner Springbrunnen
(er ging im Bürgerkrieg verloren); gleich links vom Eingang geht eine Tür in einen ebenerdig liegenden, gewölbten Eckraum R 002, der wohl ursprünglich als eine Art Portierskammer diente. Eine zweiarmige, steinerne Treppe mit
gekrümmten Läufen liegt dem Eingang gegenüber und führt
empor in den östlich anschließenden Raum auf Höhe des
ersten Geschosses (R 101), der sich durch eine Dreibogenarkade auf die Eingangs- oder Treppenhalle öffnet (Abb.
107, 110). Dieser zweite Raum erfüllt die Funktion einer
Vorhalle oder eines Vestibüls (ich benutze diese Begriffe
bewusst mit ihren Konnotationen für die bürgerliche Villenarchitektur West- und Mitteleuropas), indem er als räumlicher Verteiler über drei Türen einerseits zum großen Tförmigen Saal im Norden (R 102) sowie andererseits zu einem langen Servicekorridor (R 107) und zu einem großen
Raum (R 108) in Süden Zutritt gibt.
Der Saal im Norden (R 102) ist von allen Räumen der Etage der größte, und er ist mit seiner prachtvollen orientalisierenden Dekoration das Herzstück des ganzen Hauses.
Der Saal hat einen T-förmigen Grundriss mit drei Flügeln,
die sich durch offene Dreibogenarkaden auf der ganzen
Breite zum zentralen Bereich öffnen. Der nördliche Flügel
hat in seiner Stirnwand das Drillingsfenster, das auf den
Garten und den Brunnen im Norden blickt (Abb. 115, 116).
Der östliche und westliche Flügel öffnen sich auf ihren
Stirnseiten jeweils durch eine mittige Tür mit flankierenden Fenstern zur Loggia im Westen (R 103) bzw. zur Galerie im Osten. In den nordwestlichen und nordöstlichen
Winkeln dieser T-Form liegt jeweils ein annähernd quadratischer Raum. Beide sind vom nördlichen Flügel des
Saals her zu betreten. Der westliche Raum (R 104) hat außerdem auf seiner Südseite eine zweite Tür zum westlichen Flügel des Saals, während der östliche Raum (R 105)
eine zweite Tür im Süden zur Galerie sowie eine dritte,
nur von innen zu öffnende Fenstertür im Osten zur außenliegenden Gartentreppe hat.
Ein dritter großer Raum (R 106), der vom großen Saal her
erschlossen ist und zur gleichen Gruppe von Räumen gezählt werden muss, schließt sich südlich zwischen Vestibül
und östlicher Galerie an. Zu beiden – Vestibül und Galerie
– steht er jedoch nur über jeweils zwei Fenster in Verbindung327, während er nach Süden eine zweite Tür zum Servicekorridor (R 107) hat.
Der lange, in West-Ost-Richtung laufende Servicekorridor ist neben dem Vestibül und dem großen Saal der dritte Raum mit wichtigen Verteilerfunktionen. Er ist das Ver-
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 102
Qaṣr Heneiné, südliche Straßenfassade, Eingangsportal des
Treppenhauses.
Abb. 103
Qaṣr Heneiné, südliche Straßenfassade, Neben- und Dienstboteneingang zum ersten Geschoss.
bindungsglied zwischen Vestibül, südlichem Nebeneingang (R 003), Treppenhaus (R 004) und östlicher Galerie
und verknüpft daher alle wichtigen Kanäle räumlicher
Kommunikation im Haus. Er führt zur Küche (R 111) und
den Sanitärräumen im Osten (R 110), und er erschließt außerdem zwei kleine Räume auf seiner Südseite (R 112, R
113) und dient als Zweiterschließung für die beiden großen Räume auf seiner Nordseite (R 106) und an seinem
Westende (R 108).
Der letztgenannte große Raum (R 108) ist vom Vestibül und
vom Korridor her zugänglich; er besitzt aber noch zwei weitere, teilverglaste Türen, die ihn in einer Art Enfilade mit
den beiden kleineren Räumen (R 113, R 114) auf seiner Ostund Westseite verbinden (Abb. 134). Die drei Räume scheinen also eine funktional zusammenhängende Raumgruppe
gebildet zu haben. Das kleine Badezimmer (R 115) im Sü-
den des westlichen Raums (R 114) ist ein späterer Einbau
aus den 1940ern, der mit 2,70m Höhe nur etwa die Hälfte der
gesamten Raumhöhe von knapp fünf Metern einnimmt; der
offene Bereich darüber dient als Stauraum. Raum R 114 hat
eine zweite Tür, die nach Norden in die Eingangshalle geht
– und zwar auf Niveau des ersten Geschosses, wo ein hölzerner, emporenartiger Umgang entlang dem großen Dreibogenfenster auf der Westseite über die Eingangstür hinweg führt (Abb. 136). An seinem nördlichen Ende gibt dieser Umgang Zutritt zur großen westlichen Galerie, von der
aus man wiederum in den großen T-förmigen Saal gelangen kann. Die Empore in der Eingangshalle schafft somit
einen westlichen Erschließungsring im ersten Geschoss. Ein
zweiter, östlicher Erschließungsring wird durch die (ursprünglich offene) Galerie auf der Ostseite geschaffen: Vom
Servicekorridor gelangt man durch einen kleinen Vorraum
135
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
auf diese Galerie und von dort weiter zum großen Saal und
zum Eckraum in Nordosten.
Das Fehlen einer Mittelhalle und, damit zusammenhängend,
die von der Grundrissgeometrie her asymmetrische Anlage unterscheidet den Grundriss des Qaṣr Heneiné schon auf
den ersten Blick deutlich von den anderen Beiruter Häusern seiner Zeit und Größenordnung. Vielleicht noch wichtiger als dieser eher formale Unterschied ist der strukturelle Unterschied, dass es – anstelle einer Mittelhalle als zentralem Verteiler – mehrere Verteilerräume und mehrere Erschließungsringe gibt, dass fast alle Räume mehrfach erschlossen sind, und dass verschiedene Wege genommen
werden können, um Räume zu erreichen oder – und dies ist
besonders wichtig für die Schaffung von Privatheit – zu
vermeiden. Dies sind herausragende Charakteristika des
Qaṣr Heneiné, und sie unterscheiden ihn auch in seiner
räumlichen Funktionsweise grundlegend von den Mittelhallenhäusern seiner Zeit.
Das zweite Geschoss (Plan 2B) hat hinsichtlich der Lage,
Form und Dimensionen der Räume sowie weitgehend auch
der Lage der Türen den gleichen Grundriss wie das erste
Geschoss. Diese Übereinstimmung der Geschossgrundrisse ließ sich schon am Qaṣr Ziadé beobachten. Sie ist übrigens zu einem guten Teil statisch bedingt, weil in der Beiruter Sandsteinbauweise des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Regelfall sämtliche Mauern tragende Mauern sind,
die durch alle Geschosse durchgehen. Auch hierin folgt das
Haus also in seiner Konstruktionsweise Beiruter Gepflogenheiten.
Dadurch jedoch, dass das zweite Geschoss durch das Treppenhaus von Südosten her erschlossen ist, gibt es in diesem
Geschoss keine Treppenhalle und kein Vestibül. An deren
Stelle befinden sich zwei analog große, quadratische Räume, von denen der östliche (R 216) zwangsläufig so im Inneren des Hauses liegt, dass er keine Außenfenster haben
kann, sondern durch Innenfenster von den Nachbarräumen
im Westen und Osten (R 215 bzw. R 217) eher schlecht als
recht belichtet wird – dies um so mehr, als der östliche Nachbarraum (R 217) auch nur indirekt über Fenster von der benachbarten östlichen Galerie her belichtet ist.
In dieser etwas unglücklichen Disposition zeigt sich, dass
es die räumlich-funktionale Gestaltung des ersten Geschosses war, auf die das gestalterische Hauptaugenmerk
des Bauherrn und seines Baumeisters gerichtet war, und
dass das zweite Geschoss der so vorgegebenen Raumaufteilung zwangsläufig folgen musste, selbst wenn es zu ungünstigen Ergebnissen führte. Das zweite Geschoss war
also gegenüber dem ersten zweitrangig. Diese Feststel-
lung legt auch nahe, dass dem zweiten Geschoss schon
bei der Erbauung eine Nebenrolle in der Geschossnutzung
zugedacht war, nämlich die eines privaten Wohngeschosses, während das erste Geschoss die Paraderolle spielen
und der Repräsentation dienen sollte.
Bevor wir uns dem Grundriss des zweiten Geschosses zuwenden, muss ich darauf hinweisen, dass mir vom alleinigen
Bewohner des Geschosses, nämlich dem Haushälter der in
den USA lebenden Mieter, kein Zutritt in die Räumlichkeiten gewährt wurde. Die Aussagen zum Inneren dieses Geschosses beruhen daher hauptsächlich auf US-Konsulatsakten, die Grundrisszeichnungen aus dem Jahr 1922 enthalten, sowie mündlichen Beschreibungen von Kassem
Chokr (Qāsim Šukr), dem ebengenannten langjährigen Haushälter, der mir bei der Erstellung einer aktuellen Grundrissskizze half und Aussagen zu den heutigen Funktionen der
Räume machte.328 Die in Plan 2E wiedergegebenen Raumnutzungen zur Zeit der Wohnnutzung durch den US-Konsul 1922 können uns als ungefährer Anhalt auch für die frühere Nutzungsweise der Räume dieser Etage dienen.
Das zweite Geschoss wird vom Treppenhaus (R 004) her
unmittelbar in den langen Innenkorridor (R 201) betreten.
Gleich gegenüber führt eine Tür durch einen Vorraum (R
202) in die östliche Galerie. Von diesem Vorraum aus ist
außerdem ein Bad- und Toilettenraum (R 207) zu betreten.
Im Osten endet der Innenkorridor an der Küche (R
208/209), auf seiner Südseite sind die Türen zu zwei kleineren Räumen (R 210, R 212) und zu einem dazwischengelegenen, schmalen Toilettenraum (R 211), analog zur
Position des Nebeneingangs im ersten Geschoss. Am westlichen Ende des Korridors liegt ein großer Raum (R 213),
der – wie im ersten Geschoss – mit dem kleinen Raum auf
seiner Ostseite (R 212) und einem weiteren kleinen Raum
auf seiner Westseite (R 214) mit Türen verbunden ist und
eine Art Appartement bildet. Der kleine Raum (R 214)
nimmt – daran sollte hier erinnert werden – den Platz der
ursprünglich offenen Terrasse in der Südwestecke des Hauses ein. Auf der Nordseite des Korridors liegen zwei große Räume (R 216, R 217), die jeweils eine zweite Tür im
Norden zum großen T-förmigen Saal (R 203) haben. Der
dritte große Raum im äußersten Westen (R 215) ist vom
östlichen Nachbarraum (R 216) her zugänglich, und hat
außerdem drei weitere Türen: eine zum westlichen Fortsatz des großen Saals im Norden (R 204), eine zur Terrasse im Norden, und eine zum kleinen Raum (R 214, ursprünglich ebenfalls Terrasse) im Süden.
Der Hauptbewegungskanal für einen Außenstehenden
durch die Wohnung ist jedoch die östliche Galerie, die
136
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 104
Qaṣr Heneiné, östliche Gartenfassade mit Küchenannex.
Abb. 105
Qaṣr Heneiné, gartenseitige Nordfassade.
über einen kleinen Durchgangsraum (R 202) zu betreten
ist, dessen Tür dem Wohnungseingang unmittelbar gegenüber liegt. Im Norden gibt die Galerie durch die auf
ihrer Westseite befindliche Dreibogenstellung Zugang zum
großen Saal – dem Salon der Etage (R 203). In der nördlichen Schmalseite der Galerie führt außerdem eine Tür
in den nordöstlichen Eckraum (R 206).
Der große T-förmige Saal besteht aus einem langen, in
Ost-West-Richtung durch das Gebäude laufenden Teil, der
an beiden Enden mit verglasten Dreibogen-Tür-FensterKombinationen endet, und einem mittig nach Norden abgehenden Querarm, der sich durch eine offene Dreibogenstellung zum langen Teil hin öffnet. In den Winkeln
der so gebildeten T-Form liegen wie im ersten Geschoss
zwei quadratische Räume (R 205, R 206), die hier jedoch
vom Süden her über Türen mit dem Saal verbunden sind,
nicht vom nördlichen Flügel her. Im Westen ist dem Saal
ein Art Zwischenraum (R 204) vorgelagert, der zum Saal
und zur Terrasse durch verglaste Dreibogen-Tür-FensterKombinationen in Verbindung steht, und eine seitliche Tür
zum Nachbarraum (R 215) hat.
Der Saal im zweiten Geschoss hat also eine Verteilerfunktion, die in einem eingeschränkten Maße der einer
Mittelhalle ähnelt. Aber auch in diesem Geschoss sorgen
die plangeometrisch und raumsyntaktisch dezentrale Lage des Saals im Grundriss, die zahlreichen Verbindungen
der Räume untereinander und der am Eingang der Etage
vorgeschaltete Korridor dafür, dass der Saal – im Unterschied zu einer Mittelhalle – für die Bewohner des Hauses keine zentrale, weil nicht zwingende Erschließungsfunktion hat. Dies lässt darauf schließen, dass die räumlichen Bedürfnisse des Erbauers und Erstbewohners des
Hauses sich deutlich von denen seiner Beiruter Zeitgenossen unterschieden.
137
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
In Hinblick auf die angelegten Geschossnutzungen ist auch
anzumerken, dass der Zutritt zum zweiten Geschoss schon
von der räumlichen Anlage her bei weitem nicht so repräsentativ wie der des ersten Geschosses angelegt ist. Besonders die Tatsache, dass ein Besucher den Korridor in unmittelbarer Nähe der Küche durchqueren muss, und dass
derselbe Korridor neben Sanitärräumen vor allem Schlafzimmer erschließt (zu den historischen Raumnutzungen siehe unten), lässt diesen Zugang für repräsentative Zwecke
ungeeignet erscheinen.
Die sich in dieser räumlichen Anlage ausdrückende Hierarchisierung der beiden Geschosse des Hauses in ein Empfangsgeschoss und ein privates Wohngeschoss wird noch
deutlicher in der Innendekoration und der baufesten Ausstattung.
Abb. 106
Qaṣr Heneiné, Nordfassade mit kleinem Dreibogenfenster des
großen Saals und vorgelagertem Brunnen.
2.2.4 Raumdekoration und baufeste Ausstattung
Bei der Beschreibung der Raumdekoration und Ausstattung empfiehlt es sich, in umgekehrter Reihenfolge mit
dem zweiten Geschoss zu beginnen. Dieses Geschoss kann
sehr kurz abgehandelt werden, weil es nicht zugänglich
war, weshalb keine systematische oder annähernd vollständige Beschreibung der Raumdekorationen und baulichen Ausstattung möglich ist. Es liegt jedoch eine kleine
Anzahl von Innenaufnahmen des Geschosses vor, die in
Publikationen über Doktor Dahesch veröffentlicht wurden.329 Allgemein lässt sich feststellen, dass die Räume
schlicht und für Beiruter Verhältnisse konventionell gestaltet sind. Die Wände sind einfarbig in hellen Tönen gehalten; ob frühere dekorative Wandfassungen durch spätere
Anstriche überdeckt wurden, muss offen bleiben. Die Decken sind – soweit erkennbar – einfache, weiße Stuckdecken in baġdādī-Bauweise, wie sie zur Erbauungszeit des
Hauses für Obergeschosse üblich war.330 Die Stuckdecke
des großen Saals (R 203) ist außerdem mit einer Mittelrosette dekoriert. Die Fußböden des großen Saals und der
östlichen Galerie sind aus weißem Marmor mit Rautenmuster aus schwarzem Schieferbändern und entsprechen
damit jener repräsentativsten Ausführungsform von Marmorfußböden, die schon für den Qaṣr Ziadé beschrieben
wurden. Über die Fußböden der anderen Räume sind keine Aussagen möglich. Immerhin unterstreicht die Ausstattung der östlichen Galerie mit diesem repräsentativen
Fußbodentyp (im Unterschied zum Fußboden der östlichen Galerie des ersten Geschosses, der in einfacherer
Form als weißer Marmorboden mit schwarzen Randstreifen ausgeführt ist) die oben angesprochene Rolle dieser
Galerie als Durchgang zum großen Saal für Besucher des
zweiten Geschosses.
In einem auffälligen Kontrast zum schlichten und konventionellen Interieur des zweiten Geschosses steht die
sehr viel aufwendigere Ausstattung des ersten Geschosses.
Ähnlich wie im Qaṣr Ziadé können wir die Innendekoration im ersten Geschoss des Qaṣr Heneiné jeweils als Kombination bestimmter Typen von Bodenbelägen, Wanddekorationen und Ausführungsweisen der Zimmerdecken beschreiben, die anschließend zur Rekonstruktion der baulich angelegten Raumhierarchie und Raumnutzungen herangezogen werden.
Die Fußböden
Die im ersten Geschoss des Qaṣr Heneiné anzutreffenden
Fußbodenbeläge sind Marmor, Zementfliesen, Terrakottafliesen und ḥaǧar furnī.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Die Marmorböden treten in den vom Qaṣr Ziadé her bekannten drei Ausführungsweisen auf: Weißer Marmor mit
Rautenmuster aus schwarzen Schieferbändern (in den Räumen R 101 und R 106), weißer Marmor mit schwarzem
Randstreifen aus Schiefer (in den Räume R 102, R 107, R
109 und der östlichen Galerie), und einfache weiße bzw.
graue Marmorböden ohne Schiefereinlage (in den Räumen
R 001, R 102, R 103, R 104, R 110, R 114, R 115). Dabei
sind die beiden erstgenannten Variationen sicher als bauzeitlich zu identifizieren, wohingegen die einfache Ausführungsweise in Einzelfällen auch auf Renovierungen zurückgehen kann.
Die Zementfliesenböden sind in zwei Variationen zu finden: aus saǧǧāda-Fliesen mit farbigem Rapportmuster (in
den Räumen R 105 und R 108) oder aus einfarbigen, gekörnten Fliesen (in der westlichen Galerie). Alle Zementfliesenböden sind aus Gründen, die am Fallbeispiel des
Qaṣr Ziadé besprochen wurden, mit Sicherheit das Ergebnis von Renovierungen. Die Terrakottafliesenböden
(in den Räumen R 112 und R 113) und der Belag aus ḥaǧar
furnī (in der Küche R 111) sind wiederum mit Gewissheit
bauzeitlich.
Die Wände
Die Wände sind (bzw. waren vormals) in den größeren Räumen (R 101, R 102, R 104, R 105, R 106, R 108) durch auf
den Putz gemalte, farbige Wandgliederungelemente dekoriert, welche die Wand in einen unterschiedlich gestalteten
unteren und oberen Bereich unterteilen. In vielen Fällen
dient ein farbig gemusterter Fries etwa auf halber Höhe als
trennendes Element (Abb. 126). In einigen Räumen sind
diese bauzeitlichen Farbfassungen in jüngerer Zeit übertüncht worden.331 Im großen Saal finden wir außerdem plastische Gestaltungselemente wie Nischen, mehrfarbig gefasste Stuckdekorfelder und Stuckfriese als Wandornamente.
Auf die Wandgestaltung der einzelnen Räume wird jeweils
im Besonderen einzugehen sein.
Die Türen
Bis auf wenige Ausnahmen sind die Türen als zweiflügelige Rahmen-Füllungstüren mit profilierten hölzernen Türrahmen ausgeführt, und damit quasi identisch mit jenen,
die wir im Qaṣr Ziadé und den meisten Beiruter Wohnhäusern jener Zeit vorfinden. Solche maschinell hergestellten
Türen lassen sich – historischen Photographien und dem
erhaltenen Bestand nach zu urteilen – seit spätestens um
1860 an Beiruter Häusern nachweisen. Sie mögen anfänglich vielfach importiert worden sein und waren daher ge-
Abb. 107
Qaṣr Heneiné, Eingangshalle im Westen (R 001), Treppe vom
Erdgeschoss zum ersten Geschoss. Unten im Bild der Sockel
des früher hier befindlichen dekorativen Laufbrunnens.
rade in Hafenstädten wie Beirut leicht verfügbar, wurden
aber zunehmend auch lokal hergestellt: „Nur in den größeren Städten, wo europäische Bauweise Eingang gefunden
hat, finden sich Tischler und auch größere Tischlereien mit
mechanischem Betrieb und Sägemaschinen zur Anfertigung
von Fenstern, Fensterläden, Türen, so zum Beispiel in Jaffa, Beirut und Tripoli“, schreibt Arthur Ruppin für das frühe 20. Jahrhundert.332
Die Decken
Die Decken lassen sich grundsätzlich in Stuckdecken und
Holzbalkendecken unterteilen. Als weiterer Deckenkonstruktionstyp sind noch die Gewölbe der Küche (R 111) und
des Nebeneingangs (R 003) zu erwähnen.
Stuckdecken gibt es im großen Saal (R 102) – hier in sehr
farbenreicher, orientalisierender Ausführung – sowie in
der zur westlichen Galerie hin gelegenen Loggia (R 103),
dort jedoch nur als einfarbig weißgraue Kehlstuckdecke,
wie sie vermutlich ähnlich auch im zweiten Geschoss zu
finden sind. Die Stuckdecken sind in baġdādī-Bauweise
ausgeführt; an einer Schadstelle im Nordflügel des großen Saals ist jedoch zu erkennen, dass für die Tragkonstruktion zumindest in diesem Raum Eisenträger und nicht
Holzbalken als Deckentragbalken verwendet wurden. Im
Vergleich zur Tragkonstruktion aus Holz, wie wir sie im
Qaṣr Ziadé angetroffen haben, lässt sich im Qaṣr Henei139
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 108
Qaṣr Heneiné, Eingangshalle R 001, Konsole des Umgangs.
Abb. 109
Qaṣr Heneiné, Eingangshalle R 001, Geländer des Umgangs.
né eine Weiterentwicklung der baġdādī-Bauweise beobachten, die importierte Eisenträger als neues Baumaterial integriert.
Ähnliches lässt sich auch bei den Holzbalkendecken im
Haus feststellen. Sie sind in zwei Grundtypen anzutreffen:
Einfache, einfarbig gefasste Holzbalkendecken aus schmalen, in kurzen Abständen liegenden Holzbalken, auf denen
die Bretter mit Fugenleisten liegen, sowie mit einer an den
Wandanschlüssen umlaufenden Rahmenleiste mit schräg
angewinkelten Blendbrettern in den Balkenzwischenräumen (Abb. 135). Sie entsprechen also etwa den einfacheren Balkendecken im Qaṣr Ziadé und finden sich in den
kleinen Räumen, den Galerien und im Korridor.
Aufwendige Holzbalkendecken kombiniert mit Stahlträgern, bei denen der eben beschriebene Aufbau durch Unterzüge aus großdimensionierten Stahlträgern mit DoppelT-Profil ergänzt ist, die in relativ kurzen Abständen liegen
und auf der Unterseite und seitlich mit Holzpanelen vollständig verkleidet sind – was ihnen das Aussehen von Holzbalken gibt. In den meisten Fällen sind diese Decken mehrfarbig dekorativ gefasst. Sie finden sich in allen großen
Räumen des ersten Geschosses in verschiedenen Variationen, auf die im Einzelfall eingegangen wird (Abb. 112,
125, 129, 133).
Die bei diesem zweiten Typ der Holzbalkendecken und bei
den Stuckdecken zu beobachtende Integration von Stahlträgern dient offenkundig als Ersatz für großdimensionier-
te Holzbalken (die vielleicht auf dem Beiruter Markt nicht
mehr ausreichend oder kostengünstig genug zur Verfügung
standen). Dabei bleibt die Konstruktionsweise im Prinzip
noch die alte; preußische Kappendecken als neue, gänzlich
mit Stahlträgern zusammenhängende Konstruktionsweise
sind der nächste Schritt, der sich in Beirut – nach dem mir
bekannten Baubestand zu urteilen – erst in den 1890ern zunächst bei herrschaftlichen Häusern vollzieht.
2.2.5 Anmerkungen zum Erbauungsdatum und
den Bauhandwerkern
Wie weiter oben schon festgestellt, ist der terminus post
quem der Erbauung des Hauses durch den Löytved-Plan
von 1876 gegeben. Der terminus ante quem wird durch
ein Panoramaphoto Beiruts festgelegt, das aus der Zeit
zwischen 1894 und 1897 datiert und das Haus in vollendetem Zustand zeigt.333 Darüber hinaus ist nun die Tatsache, dass Stahlträger in die Deckenkonstruktion integriert
wurden und wie sie verwendet wurden, ein recht klares
Indiz dafür, dass der Qaṣr Heneiné in den 1880ern errichtet wurde. Das Haus wurde überhaupt in fast allem,
was Bautechnik und Baumaterialien angeht, nach lokaler
Weise und gemäß dem Entwicklungsstand der 1880er erbaut: Das zeigt sich in der Ausführung der Mauerwerks
und in der Form und Verwendung von Fenstern und Bögen in den Fassaden, in den Ausführungsweisen der Fußböden und ganz besonders in den Konstruktionsweisen
140
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
der Decken. Daraus lässt sich folgern, dass sich der ausländische Bauherr für die Ausführung des Rohbaus und
eines Großteils des Innenausbaus eines lokalen Baumeisters und lokaler Bauhandwerker bedient haben muss.
Das entspricht in etwa dem Bild, das Arthur Ruppin vom
syrischen Bauhandwerk noch im frühen 20. Jahrhundert
zeichnet:
Wenn der Bauherr nicht gerade das Glück hat, von einem
der wenigen in Syrien vorhandenen landes- und fachkundigen europäischen Architekten beraten zu werden, bleibt
ihm nichts anderes übrig, als die Handwerker nach ihrer alten Routine arbeiten zu lassen. In diesem Falle kann er wenigstens darauf rechnen, daß sein Haus nach der einheimischen Technik richtig zu einigermaßen angemessenen Preisen gebaut wird.334
Eben das ist es offenbar, was der russische Bauherr bei der
Erbauung seines Hauses tat. Dabei zeigt das Beispiel des
Qaṣr Heneiné jedoch auch, dass lokale Handwerker in Beirut (und andernorts in syrischen Provinzen) nicht nur nach
„alter Routine“ arbeiteten, sondern fortschreitend neue Materialien und mit ihnen zusammenhängende Techniken in
ihr handwerkliches Repertoire aufnahmen.
Nur für die abschließenden Dekorationsarbeiten – nämlich
die Ausführung der Stuckdekorationen im großen Saal sowie die dekorative Bemalung der Wände und Holzdecken
– scheint der russische Bauherr des Qaṣr Heneiné eine
Truppe von auswärtigen Spezialisten herangezogen zu haben. Denn diese Handwerker beherrschten ein orientalisierendes Stilrepertoire, das in dieser Art im Beirut jener
Zeit keine Parallele hatte. Zumindest ist nichts Vergleichbares aus dieser Zeit bekannt oder erhalten.335 Tatsächlich
spricht eine mündliche Überlieferung der Heneiné-Familie von Italienern, die für die Innendekoration verantwortlich gewesen seien.336
Abb. 110
Qaṣr Heneiné, Blick von der Eingangshalle R 001 in das Vestibül R 101. Aufnahme aus den 1950ern.
2.3 Die Rekonstruktion der historischen
Raumnutzungen
Im Folgenden werden Details der Raumdekoration und baufesten Ausstattung im Einzelnen und raumweise besprochen, im direkten Zusammenhang mit der Rekonstruktion
der historischen Raumnutzungen. Gleichzeitig gestatten
uns diese Details Rückschlüsse auf den besonderen Geschmack, Wohnstil und kulturellen Hintergrund des Bauherrn. Zur Übersicht sind die historischen Raumnutzungen
für die Zeit der Wohnnutzung durch die Familie Heneiné
und die rekonstruierten baulich angelegten Raumnutzungen in den Plänen 2C und 2D dargestellt.
Abb. 111
Qaṣr Heneiné, Blick vom
großen Saal R 102 in das
Vestibül R 101, Ausschnitt
einer Aufnahme von der
Jahrhundertwende (s. Abb.
113).
141
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
2.3.1 Die Eingangshalle und das Vestibül
Als erste Besonderheit im Raumgefüge des Qaṣr Heneiné ist
die Eingang- und Treppenhalle (R 001) anzusprechen (Abb.
107–110). Zweiarmige Treppen als Hauptzugang zum ersten
Geschoss lassen sich bei vielen herrschaftlichen Häusern Beiruts im späten 19. Jahrhundert finden. Es sind jedoch immer
Freitreppen, die der Mittelhalle axial vorgelagert im Garten
des Hauses liegen. Obwohl dies auch beim Qaṣr Heneiné
theoretisch möglich gewesen wäre (der Garten im Norden
hätte ausreichend Platz geboten), ist der repräsentative Treppenaufgang in ganz untypischer Weise an die Seite und in das
Hausinnere gelegt worden. Er ist somit kein unmittelbar außenwirksames Mittel der Repräsentation und er ist als Zugang nicht unmittelbar auf den großen Saal bezogen. Die Eingangs- und Treppenhalle schafft einen von der Straße abgeschlossenen Raum, der in seiner Ausstattung schlicht war, in
seiner Wirkung jedoch eindrucksvoll gewesen sein muss. Hinter der schmucklosen Fassade und der schlichten Eingangstür öffnete sich dieser Raum dem Hereintretenden mit seiner
über zwei Geschosse reichenden lichten Höhe. Ein grauweißer Marmorfußboden und der Marmorspringbrunnen in der
Mitte der Halle sorgten für willkommene Kühle. Der Türrahmen ist auf der verputzten Innenseite mit einem Stichbogen ausgebildet und mit breiten Farbstreifen in Schwarz und
Ocker bemalt, die ablaq-Mauerwerk imitieren. Ansonsten
sind die Wände – wahrscheinlich auch bauzeitlich schon –
einfarbig grau und in den höheren Bereichen weiß getüncht.
Durch diese Einfachheit wird die Wirkung anderer Dekor-
Abb. 112
Qaṣr Heneiné, Vestibül R 101, farbig gefasste Decke. Die Unterzüge sind holzummantelte Stahlträger.
elemente verstärkt: die weißen, kannelierten Marmorpfeiler
der Dreibogenarkade zum Vestibül, ihre farbig verglasten Verschlüsse mit einem Sprossenwerk in geometrischen Sternmustern und das hölzerne Schnitzwerks ihrer Balustraden337,
sowie auf der gegenüberliegenden Seite die identisch gestalteten, geschnitzten Holzbalustraden des Umgangs auf der
Westseite und ihre dekorativ holzverkleideten Konsolen. Man
ist versucht, in den gekurvten Laubsägearbeiten dieser Balustraden osteuropäische oder russische Anklänge zu sehen;
ebenso gut könnten sie mit dem Bosporusgebiet, Westanatolien oder der Schwarzmeerküste in Verbindung gebracht werden.338 Als grundsätzlich maßgeblich für die Gesamtgestaltung des hölzernen Umgangs kann sicherlich der sogenannte „Schweizerstil“ gelten, der seit dem mittleren 19. Jahrhundert in Europa Verbreitung fand. Im Detail hingegen lassen sich die Laubsägearbeiten der Balustrade am konkretesten auf das Vorbild ägyptischer Holzarbeiten zurückführen,
die in Émile Prisse d’Avennes’ 1877 publizierten L’Art arabe abgebildet sind.339 Sie wären somit ein Beispiel der Vermittlung von Formen über Musterbücher, für die es auch in anderen Details der Dekoration des Qaṣr Heneiné deutliche Hinweise gibt. Eine stärker geometrische Formensprache ist an
den geschnitzten Holzverkleidungen der den Umgang tragenden Eisenstützen erkennen, besonders in ihren schabrackenartig durchbrochenen Kantenverzierungen, während die
Seitenflächen mit ihrem Rapportmuster aus Rauten und Vierpässen gleichzeitig gotisierend und orientalisierend wirken, eine Formenambivalenz, der für die orientalisierenden Stilmoden in Europa und Ägypten im 19. Jahrhundert nicht untypisch ist.340 Die eigentümlichen Formenkombinationen und
Stilmischungen, die hier zu beobachten sind, sind deshalb erwähnenswert, weil sie uns auch an anderen Stellen im Qaṣr
Heneiné wieder begegnen und als Indiz für eine auswärtige
Herkunft der ausführenden Handwerker gelten müssen. Die
Decke der Eingangshalle ist eine der oben beschriebenen
Holz-Stahlträger-Kombinationen, wobei die Stahlträger hier
ausnahmsweise unverkleidet belassen wurden, und das Holz
– soweit die gegenwärtige Rußschwärze erkennen lässt – unbemalt ist.341 Auch hier wurde also auf Schlichtheit geachtet,
was der insgesamt sehr stattlichen Wirkung der Eingangshalle jedoch keinen Abbruch tut.
Das Vestibül ist etwas reicher gestaltet (Abb. 110–112).
Dort, wo die zweiarmige Treppenanlage ihren gemeinsamen Austritt hat, sind die Stufen statt aus gelblichem Stein
aus weißem Marmor. Der Boden des Vestibüls ist in der für
Beiruter Empfangsräume typischen Weise in weißem Marmor mit schwarzem Rautenmuster ausgeführt. Die unteren
Wandbereiche sind mit einer auf den Putz gemalten Qua-
142
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 113
Der große Saal R 102 des Qaṣr Heneiné. Die beiden hier kombinierten Aufnahmen stammen aus der Zeit vor 1903 und wurden
um 1905 von Tarazi & Fils als Postkarte publiziert, als das Haus von Dr. Calmette bewohnt wurde.
Abb. 114
Drei Aufnahmen des großen Saals R 102 des Qaṣr Heneiné, von Dumas & fils etwa zur Jahrhundertwende aufgenommen. In einer dieser Aufnahmen wird das Haus als „Maison Todorschi“ identifiziert.
143
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
drierung dekoriert, der obere Wandbereich ist einfarbig hell
getüncht. Die Decke ist wiederum eine – hier jedoch mehrfarbig gefasste – Holz-Stahlträger-Decke, deren holzverkleidete Unterzüge seitlich mit einem fortlaufenden Arabeskenmuster und auf der Unterseite mit einem doppelten
Wellenband dekoriert sind. Als weitere, heute jedoch abgängige baufeste Ausstattung sind die beiden Endpfosten
der Treppengeländer zu erwähnen, auf deren Postamenten
ehemals Säulenstümpfe mit spiralförmig gedrehten Wulsten saßen, die – wie auf einer Photographie vom Beginn
des 20. Jahrhunderts zu erkennen ist – ehemals als Sockel
für Lampen dienten (Abb. 111).
Wie auf dieser Aufnahme ebenfalls zu erkennen ist, waren
die Türen früher einmal mit Türvorhängen oder Portièren
versehen, so wie dies auch in vielen anderen bourgeoisen
Häusern Beiruts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
üblich war. Zusätzlich waren die Innenfenster zwischen
dem Vestibül und dem östlichen Nachbarraum R 106 mit
bis auf den Boden reichenden Vorhängen verhängt.342
Insgesamt ist die Ausstattung und die Dekoration der Eingangshalle und des mit ihr zusammenhängenden Vestibüls
als Haupteingangsbereich des Hauses als ausgesprochen
schlicht zu beurteilen – insbesondere im Vergleich zum reicheren Dekor, den wir in den Hauptwohn- und Empfangsräumen des Geschosses antreffen. Im Zusammenhang mit
den weitgehend schmucklosen Außenfassaden des Hauses
gesehen, entsteht der Eindruck, dass der Bauherr im Unterschied zu vielen seiner Beiruter Zeit- und Standesgenossen weniger Wert auf unmittelbar nach außen sichtbaren Prunk legte, sondern diesen fast gänzlich für den inneren Bereich der Wohnung vorbehielt. Damit befand er sich
in auffälliger Übereinstimmung mit einem zum Ende des
19. Jahrhunderts hin zu beobachtenden Trend in der Wohnarchitektur etwa der französischen, aber auch der deutschen
Abb. 115
„Interior of a Beyrouth home“ – Der große Saal des Qaṣr Heneiné in einer stereoskopischen Aufnahme aus dem frühen 20. Jahrhundert vom Photo Department der American Colony in Jerusalem.
144
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 116
Qaṣr Heneiné, nördlicher
Flügel des großen Saals
R 102. Vom Brunnen blieb
nach dem Bürgerkrieg nur
das Fundament, Fenster und
Wand sind stark beschädigt.
Abb. 117
Qaṣr Heneiné, nördlicher
Flügel des großen Saals,
östliche Seitenwand mit
Nischen und ablaq-Dekor.
Bourgeoisie, der entgegen der früher stärker betonten Pracht
von Eingangsbereichen nunmehr einfachere Eingangsbereiche und reichere Ausstattung der Innenräume bevorzugte.343 Etwas später, zu einem Zeitpunkt, als dieser Trend
sich zumindest als Ideal schon stark durchgesetzt hatte, gab
der Nouveau Larousse Illustré von 1905 folgende, als normativ zu verstehende Beschreibung eines Vestibüls:
Un vestibule ne comporte, en aucun cas ni meubles, ni glaces, ni tableaux, ni riches ornements, il est décoré avec des
pilastres, des colonnes simples, quelquefois, mais rarement
des statues.344
In diesen mit gewissen Einschränkungen als europäischbürgerlich zu bezeichnenden Trend lässt sich das Vestibül
des Qaṣr Heneiné einordnen, auch wenn die historischen
Photos der Jahrhundertwende und des mittleren 20. Jahrhunderts eine – wenn auch sparsame – Möblierung erkennen lassen, die von dieser Norm abweicht.
2.3.2 Der große Saal
Der vom Vestibül her zu betretende große Saal R 102 im
Norden war das Paradezimmer, der grand salon des Hauses,
und er war ganz deutlich darauf angelegt, der Repräsentation und Selbstdarstellung des Bauherrn zu dienen (Abb.
113–124). Der Inspektionsbericht des US-Konsulats für das
Jahr 1922 beschreibt das Haus und den großen Saal mit den
Worten:
The house was originally designed and occupied by an exiled Russian prince. The large interior room is a copy of a
famous court in the Alhambra Palace in Granada. The copy is a faithful reproduction even unto the inlaid wall and
pillar designs.345
Auch heute – trotz Beschädigungen durch einen israelischen
Artillerietreffer im Sommer 1982, der ein metergroßes Loch
in die nördliche Außenwand des Saales gerissen hat – ist der
Saal noch immer eines der prachtvollsten und faszinierendsten Interieurs in Beirut. Als solches muss es auch schon
zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegolten haben, denn zwei
frühe photographische Aufnahmen dieses Saals wurden damals vom Beiruter Photoatelier Dimitri Tarazi & Fils als
Postkarte in den Handel gebracht. Es ist die einzige bekannte
Postkarte, die überhaupt das Interieur eines Beiruter Wohnhauses zum Motiv hat (Abb. 113). Unter dem Bild trägt sie
den Titel „Intérieur de la maison du Docteur Calmette“. Sie
wurde demnach in der Zeit publiziert, in der das Haus vom
französischen Arzt und Medizinprofessor Dr. Justin Calmette bewohnt wurde, also zwischen 1903 und 1914. Das
Publikationsdatum lässt sich auf die Zeit zwischen 1903 und
1905 präzisieren, denn die Rückseite der Postkarte weist eine für diese Jahre charakteristische Einteilung auf.346 Die
Postkarte besteht eigentlich aus zwei nebeneinander gesetzten Photographien, von denen die linke vom nördlichen
Flügel des Saals mit Blick nach Süden aufgenommen wur145
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
de und die rechte vom östlichen Flügel mit Blick nach Südwesten, so dass in beiden der Blick aus unterschiedlichen
Winkeln auf die Südwand der Halle gerichtet ist. In der linken Aufnahme können wir außerdem durch die Tür einen
Blick in das Vestibül erhaschen (s.o.), in der rechten ist durch
die Tür im Mittelgrund ein Teil der Wand von Raum R 106
zu sehen. Daher kann diese Postkarte Hinweise auf den historischen Zustand nicht nur des Saals, sondern auch dieser
Nachbarräume geben. Das ist aber noch nicht alles.
Erst im Frühjahr 2011 wurden die für die Postkarte verwendeten Originalphotographien im Archiv der Familie
Tarazi entdeckt (Abb. 114). Diese Albumindrucke enthielten auch die originalen Bildbeschriftungen, und daraus geht nicht nur der Name des Photographen hervor
(nämlich „Dumas & fils ph. à Beyrouth/ Syrie“), sondern
auch die Bezeichnung des Hauses zum Zeitpunkt der Aufnahmen: „Maison Todorschi à Beyrouth“.347 Zwei Schlüsse lassen sich aus diesen Funden vorläufig ziehen: Erstens: Der damalige Besitzer oder Bewohner des Hauses
hieß Todorschi; dies könnte tatsächlich der lang vergessene Name jenes russischen Adeligen sein, dem die Erbauung des Hauses zugeschrieben wird. Zweitens: Die
Photos wurden aufgenommen, bevor Dr. Calmette das
Haus übernahm, und damit vermutlich schon vor 1903,
vielleicht sogar schon in den 1890ern. Die Benennung des
Hauses wurde für die spätere Postkartenpublikation der
Firma Tarazi auf den aktuellen Stand gebracht: aus „Maison Todorschi“ wurde „la maison du Docteur Calmette“.
Aber was wir sehen, ist Todorschis Haus; und wir können
nicht einmal sicher sein, ob die Möblierung des Saals zu
Dr. Calmettes Zeiten überhaupt noch dieselbe war.
Es gibt eine weitere frühe Photographie des Saals: Es handelt
sich dabei um eine stereoskopische Aufnahme, die durch einen Photographen des Photo Department der American Colony in Jerusalem gemacht wurde und auf dem Glasnegativ
den Titel „Interior of a Beyrouth home“ trägt (Abb. 115). Sie
zeigt den Saal so, wie er sich beim Betreten vom Vestibül
her darbot, mit Blick nach Norden. Die Möblierung unterscheidet sich deutlich von jener, die in der eben beschriebenen Postkarte zu sehen ist. Damit stellt sich die Frage der
Datierung dieser Aufnahme. Da das Photo Department der
American Colony in Jerusalem erst 1898 aktiv wurde, ist
theoretisch möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, dass die
Aufnahme noch älter ist als jene von Dumas & fils. Viel
wahrscheinlicher datiert diese Aufnahme – wie die Mehrzahl der stereoskopischen Photos der American Colony –
aus den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: entweder aus der Zeit zwischen 1903 und 1910, als die Photographen der American Colony ausgedehnte Photoexpeditionen durch die syrischen Provinzen durchführten, oder aus
der Zeit zwischen 1914 und 1920, als das Haus schon als
US-Konsulat diente. Die Identifizierung des Motivs als „Bey-
Abb. 118
Qaṣr Heneiné, großer Saal
R 102, Ostseite mit Tür zu
Raum R 105 und im Hintergrund die Fenster zur östlichen Galerie.
Abb. 119
Qaṣr Heneiné, Südwand des
großen Saales R 102 mit
Tür zum Esszimmer R 106.
146
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
routh home“ und nicht etwa als US-Konsulat könnte darauf
hinweisen, dass es sich zum Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich noch um eine Wohnhausnutzung – und folglich um
Dr. Calmettes Haus – handelte.348 Jedenfalls zeigt diese Aufnahme das Interieur des Hauses entweder zu Zeiten Dr. Calmettes (zwischen 1903 und 1914) oder in der frühen Phase
der Konsulatsnutzung, während die zuvor besprochen Postkarte das Interieur zu Zeiten Todorschis (vor 1903) zeigt.
Beide Photos sind übrigens die einzigen in den jeweils
zugehörigen Sammlungen, die das Interieur eines Beiruter Hauses zeigen. Das ist besonders deswegen bemerkenswert, weil der große Saal des Qaṣr Heneiné mit seinem maurisch-orientalisierenden Dekor keineswegs als
repräsentativ für damalige Beiruter Wohnhäuser gelten
kann, die ja – wenn sie nicht mehr osmanisch-barock inspiriert waren – inzwischen zumeist europäisierende oder
italianisierende Interieurs mit neo-barocken oder NeoRokoko-Dekorationen aufwiesen. Nun waren sowohl die
Postkarten Tarazis wie auch die Photos der American Colony in Jerusalem als verkäufliche Souvenirs für Orientreisende gedacht. Das Interieur des Qaṣr Heneiné verdankte seine Attraktivität als Photomotiv für kommerzielle Postkarten offenkundig auch der Tatsache, dass es
nicht gewöhnlich war, sondern die stereotypen Erwartungen europäischer und amerikanischer Orientreisender
bezüglich dem „orientalischen“ Aussehen von Wohnhäusern in der Region besser erfüllte als gewöhnliche Beiruter Wohnhäuser seiner Zeit. Dies hatten offenbar auch
die geschäftstüchtigen Photographen verstanden.349
Der Saal des Qaṣr Heneiné bot ein Bild des Orients, den
es so nie gegeben hat. Er ist keine „originalgetreue Wiedergabe“ eines berühmten Hofes der Alhambra in Granada, wie es der Autor des oben zitierten Inspection Reports
von 1922 darstellt. Ganz ähnlich dem, was Edward Said
den „imaginary Orient“ genannt hat, für den in charakteristisch zitathafter Weise bestimmte Elemente, Motive und
Topoi immer wieder kopiert und in neuer Kombination
zusammenfügt werden, kombinierte der Saal Bau- und
Dekorformen ganz verschiedener Herkünfte zu einem
kreativen und phantasievollen Ganzen.350
Dazu gehören in der Tat einerseits Elemente des sogenannten maurischen Stils, eines Stils, der – neben anderen spanisch-islamischen Bauten – die Alhambra in Granada und
die Moschee von Cordoba als wichtigste Inspirationsquellen hatte, durch Publikationen von Owen Jones, James C.
Murphy und Washington Irving in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts in Europa bekannt gemacht wurde und im Laufe des Jahrhunderts als eine von mehreren Spielarten des Exo-
Abb. 120
Qaṣr Heneiné, großer Saal, Dekor der Bögen und Decken.
tismus in der Architektur Verbreitung fand.351 Kombiniert
mit den maurischen Elementen finden wir im Saal des Qaṣr
Heneiné aber gleichzeitig Elemente regionaler Bau- und Dekorformen der Bilād aš-Šām, die jedoch zur Erbauungszeit
des Hauses unter lokalen Bauherren außer Gebrauch und aus
der Mode gekommen waren, und deren Verwendung im Qaṣr
Heneiné deshalb als historisierend und mithin wiederum orientalisierend verstanden werden muss.
Zu den maurischen Elementen gehören zum Beispiel die
Gitternetz-Stuckaturen der Bogenzwickel und oberen Wandbereiche im mittleren Teil der Halle, die ihre Vorbilder in
der Alhambra und anderen spanisch-islamischen Bauten
finden, aber hier – durch ihre dem Bogenverlauf angepassten, gekrümmten Linien – etwas verfremdet wirken.352 Die
Vielpassbögen dieser Arkaden und die würfelförmigen
Kämpferblöcke mit seitlichen Muqarnas-Konsolen verweisen ebenfalls deutlich auf das Vorbild der Alhambra,
147
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
sind hier jedoch auf die für Beirut typische gedrückte Spitzbogenform appliziert. Die Vielpassrundbögen und das rechteckige Rahmenfeld des Drillingsfensters im Nordflügel haben ebenfalls ihre Parallelen in der Alhambra – wobei aber
die Innengestaltung des Rahmens, insbesondere die kalligraphischen Kartuschen mit Koranzitaten im sogenannten
ṯuluṯ-Duktus, stilistisch stärker dem arabischen Mašriq als
Andalusien verpflichtet sind.353 Weitere maurische Motive
sind die Stufenzinnenbekrönungen über den Türen im Nordflügel, und ganz besonders die Säulen der Arkaden, mit den
eingetieften und farbig gefassten geometrischen Mustern
in den Schäften, den typischen stilisierten Lotuskelchen unterhalb der Kapitelle, und die arabesken Blatt- und Bandmuster auf den Kapitellen, wobei die Kapitelle hier nicht
wie in der Alhambra einen quadratischen Querschnitt haben, sondern gerundet sind. All dies ist Ausdruck eines freien, spielerischen Umgangs mit der Vorlage, der für solche
exotistischen Architekturen typisch ist.
Die geometrischen Muster auf den Säulenschäften sind ein
interessantes Beispiel für Dekormotive, die sich nicht aus
der Alhambra oder anderen spanisch-islamischen Bauten als
historischen Vorbildern erklären lassen, sondern auf die ganz
eigene Vorbild- und Vermittlerrolle von berühmten maurisch-orientalisierenden Bauten des 19. Jahrhunderts verweisen. Hier ist insbesondere der Gezira-Palast des Khediven Ismāʿīl in Kairo zu nennen, errichtet von Julius Franz
Pascha und Carl von Diebitsch in den 1860ern, wo sich ganz
ähnlich dekorierte Säulen aus Gusseisen finden, oder auch
die Wilhelma in Bad Cannstadt bei Stuttgart, die in den
1840ern vom Architekten Ludwig Zandt entworfen wurde,
und deren Ruhm und Wirkung weit über Deutschland hinaus reichte – nicht zuletzt, weil Zandt 1855 ein Buch mit
zahlreichen Zeichnungen dieser Anlage publizierte.354 Die
Wilhelma (bzw. die Publikation) ist ihrerseits als Vorlage
für Teile der in den 1860ern in Istanbul errichteten Sultanspaläste von Beylerbey und Çirağan identifiziert worden355,
und könnte auch bei einigen Details des Qaṣr Heneiné Pate
gestanden haben: beispielsweise den farbigen geometrischen
Mustern auf den Säulenschäften, den bemalten konischen
Stuckkonsolen unterhalb der wandseitigen Bogenansätze,
und den gemalten Arabeskmotiven auf den außenseitigen
Bogenzwickeln der Arkaden – alles Elemente, die sich nicht
in der Alhambra, wohl aber an den genannten orientalisierenden Bauten finden lassen. Ähnlich verhält es sich mit den
Stuckdecken des Saals mit ihren großflächigen geometrischen Flechtbandrapportmustern, die im Mittelteil des Saals
und in den Flügeln jeweils unterschiedliche Variationen von
Sternmustern haben, in Gold, Rot, Grün und Blau gefasst
sind und zusätzlich mit Spiegeln eingelegt sind. Decken dieser Art finden sich zahlreich in Bauten wie der Wilhelma
oder auch dem Çirağan-Palast. Die Decke des Nordflügels
mit ihrem zentralen Sternmuster gerahmt von einem Flecht-
Abb. 121
Qaṣr Heneiné, großer Saal,
Blick in den östlichen
Flügel in einer Aufnahme
aus den 1950ern.
148
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 122
Qaṣr Heneiné, großer Saal R 102 um 1970. Damals wurde der
Saal als Restaurant „Le Petit Palais“ genutzt.
Abb. 123
Qaṣr Heneiné, großer Saal, Nordostecke in den 1950ern.
bandfries hat eine weitgehend identische Parallele im Çirağan-Palast und hat darüber hinaus ältere Vorbilder in den
Holzdecken reicher Kairener Häuser, wie seit der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zeichnungen und orientalistischen Gemälden an ein gebildetes europäisches Publikum
übermittelt wurden. Der Saal der Qaṣr Heneiné ist ein Panoptikum von Zitaten – ein deutlicher Hinweis, dass hier
wie in anderen orientalisierenden Bauten mit ähnlichen Vorlagen und Musterbüchern gearbeitet wurde.
Im Qaṣr Heneiné jedoch verband der russische Bauherr diese Spielformen einer internationalen und schon früh das Osmanische Reich und Ägypten erfassenden Architekturmode mit Elementen lokaler und regionaler Bautraditionen: So
ist die T-förmige Anlage des großen Saals deutlich an die
dreiflügelige qāʿa herrschaftlicher Hofhäuser des syrischen
Raums angelehnt.356 Unterstrichen wird dieser Bezug durch
die auf Putz gemalten ablaq-Streifen der Wände im Nordflügel und die jeweils drei Wandnischen mit Stichbögen in
den Seitenwänden dieses Flügels. Auch das Detail des
schmalen Flechtbandfrieses, der den ablaq vom weißgetünchten oberen Wandbereich absetzt, hat seine Vorbilder
der regionalen Tradition, nur dass er hier in Stuck statt wie
sonst üblich in Stein ausgeführt ist. Vervollständigt werden
diese Zitate aus einer historischen syrischen qāʿa durch den
umlaufenden steinernen Diwan im Nordflügel, der früher –
wie auf dem Photo aus der American Colony-Sammlung erkennbar – mit Polstern und Kissen versehen war, sowie durch
den achteckigen, mit farbigem Marmor eingelegten Springbrunnen im Inneren des Saals, der heute leider durch Kriegsschaden völlig verloren ist. Im Unterschied zu einer typischen qāʿa besitzt der Saal des Qaṣr Heneiné aber keinen
ṭazar (podestartig erhöhte Estraden) in den Flügeln, sondern
hat ein durchgehendes Fußbodenniveau; auch ist die Decke
des zentralen Bereichs nicht erhöht, und der Brunnen befindet sich nicht, wie dies in einer qāʿa der Fall wäre, im
Zentrum und Kreuzungspunkt der Raumachsen, sondern ist
149
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in den nördlichen Flügel gerückt. Der östliche und westliche Flügel folgen dem Vorbild nur in sofern, als hier alle Türen und Fenster mit Stichbögen versehen sind, wie sie für
Wandnischen und –öffnungen in solchen qāʿas üblich waren. Der breite, gemalte Flechtbandfries auf halber Wandhöhe und das über den Fenstern und Türen aufgekröpfte
Stuckgesims (gebildet aus einer Reihe kleiner, farbig gefasster Miniatur-Konchen) scheinen hingegen freie Adaptionen von Motiven aus Musterbüchern maurisch-orientalisierender Ornamente zu sein.
Diese freie Nachempfindung einer dreiarmigen syrischen
qāʿa bzw. ihre Umsetzung in einen modernen Geschossbau
wurde zusätzlich mit einem weiteren charakteristischen Motiv der regionalen Architekturtradition verschmolzen: der
aus einem līwān (īwān) und zwei flankierenden Räumen
(genannt murabbaʿ) bestehenden Raumformation, bei der
sich die murabbaʿs durch jeweils eine Tür auf den zum Hof
hin offenen līwān öffnen. Im Qaṣr Heneiné entspricht der
Nordflügel des Saals dem līwān (hier allerdings ohne Bezug zu einem Innenhof), während die Eckräume R 104 und
R 105 den murabbaʿs entsprechen. Die Formenübernahme
beschränkt sich nicht auf den Grundriss, sondern reicht bis
in die Dekoration: die Wandnischen des Nordflügels (Abb.
117) lassen sich ebenso auf dieses Vorbild zurückführen wie
die Verbindungstüren zwischen dem Nordflügel und den
Eckräumen, die als einzige dieser Art im Hause als schmale einflügelige Türen mit Stichbögen ausgebildet sind (Abb.
114, 118, 123). Die Rahmen und Füllungen der (heute fehlenden) Türblätter hatten sogar ein geometrisches Winkel-
Muster in der Art, die für solche Türen im 18. Jahrhundert
oder frühen 19. Jahrhunderts charakteristisch war. Auch das
Motiv der kleinen Zwillingsbögen über den Türen ist diesem Vorbild entlehnt (in Damaszener Häusern werden diese Oberlichter über den Türen als mandalūn bezeichnet),
aber ihre Ausführung als holzvergitterte Rundbögen sowie
ihre Rahmung ist wiederum stark der maurisch-orientalisierenden Formensprache verpflichtet.
Der Fußboden des Saals ist als weißer Marmorfußboden
ausgeführt – im zentralen Bereich mit schwarzen Randstreifen, in den Flügeln ohne. Dies ist eine für diesen sonst
sehr reich dekorierten Hauptempfangs- und -repräsentationsraum des Hauses überraschend einfache Ausführungsweise, die sich dadurch erklären mag, dass der „orientalische Flair“ des Saales ursprünglich durch Teppiche und
Matten unterstrichen werden sollte (wie sie auf den historischen Photos erkennbar sind). Nur der Boden unmittelbar
um den Brunnen herum ist mit Marmoreinlegearbeiten dekoriert – diese sind heute das einzige, das vom Brunnen
geblieben ist (Abb. 116).
Die hier vorgefundene eklektizistische und extrem hybride Zusammenführung von Elementen aus ganz verschiedenen räumlichen und historischen Kontexten zeugt von
einer Kennerschaft und Begeisterung nicht nur für europäischen-maurischen Stilformen, sondern auch der syrischen Baukunst besonders des 17. bis 19. Jahrhunderts,
und repräsentierte eine ganz private, halb „wissenschaftliche“, halb traumhafte Vision des Orients. Sie gibt uns
gerade dadurch einen deutlichen Hinweis auf den euroAbb. 124
Qaṣr Heneiné, großer
Saal, Blick in den
Nordflügel in den
1950ern. Hier noch
gut zu erkennen: Der
Brunnen, die Spiegel
in den Nischen und
die Doppelsäulen des
Dreibogenfensters.
Auch ein Zimmerofen war inzwischen
installiert worden.
Abb. 125
Qaṣr Heneiné, nordwestlicher Eckraum
R 104, farblich gefasste Decke mit
holzverkleideten
Stahlträgern.
150
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
päisch-bourgeoisen kulturellen Hintergrund des Bauherrn.
So außergewöhnlich und beinahe deplatziert, wie seine
steingewordene Vision seinerzeit in Beirut war, so geläufig waren solche Bauten unter russischen Adeligen in St.
Petersburg und in den Sommerfrischen auf der Krim.357
Der russische Bauherr des Qaṣr Heneiné war also, als er
sich sein exotisches Zuhause in Beirut erbauen ließ, ganz
ein Kind seiner Zeit, ganz ein Vertreter seiner sozialen
Schicht, und ganz er selbst. Während das Beiruter Bürgertum fortschrittsbegierig nach Europa schaute, blickten
bürgerliche Europäer wie er mit nostalgisch-träumerischem Blick in den Orient.358 Die orientalisierende Hybridität seines Wohnhauses ist das asymmetrische Gegenstück zur okzidentalisierenden Hybridität der Häuser
der Beiruter Oberschichten.
2.3.3 Raum R 104: der petit salon
Im Vergleich zum großen Saal – dem grand salon – haben
alle anderen großen Räume des Geschosses eine im Sinne
der Repräsentation nachrangige Position, sowohl in ihrer
baulichen Ausstattung wie auch in ihrer Funktion. Raum R
104 im Nordwesten kommuniziert über zwei Türen mit dem
großen Saal und muss daher in ganz engem funktionalem
Zusammenhang mit ihm gesehen werden. Von den Heneinés wurde dieser Raum als Salon genutzt. Diese Nutzung
ist – wegen der doppelten Erschließung und vor dem Hintergrund eines bürgerlich-europäischen Raumprogramms –
auch für die Phase des russischen Adeligen und die Dr. Calmettes durchaus die wahrscheinlichste. Daher mag dieser
Raum der petit salon gewesen sein, der wie in europäischgroßbürgerlichen Häusern unmittelbar an den grand salon
anschloss und – in seiner leicht abgeschiedenen Position,
die das Durchqueren des großen Saals erforderte – dem Beisammensein in kleinerer, vertrauterer Runde diente.359 Was
von seiner Ausstattung erhalten ist, reflektiert diese Zwischenposition zwischen Repräsentation und Häuslichkeit:
der Fußboden ist mit weißem Marmor belegt, jedoch ohne
Schiefereinlagen; die Holzbalkendecke (Abb. 125) mit holzverkleideten Stahlträgern ist mit geometrischen Flechtbandmustern in eher zurückhaltenden, bräunlichen Farben
dekoriert – im Unterschied zu den farbenfroheren Bemalungen in den Räumen R 101, R 106 und R 108. Von einer
dekorativen Farbfassung der Wände ist nichts mehr erkennbar. Aber die besondere Ausführung der Fenster mit gotisierenden Spitzbögen auf der Westseite (Abb. 128) und
Stichbögen auf der Nordseite spricht deutlich für eine repräsentative Anlage des Raumes, die ursprünglich auch farbliche Wanddekorationen eingeschlossen haben mag.
Abb. 126
Qaṣr Heneiné, nordöstlicher Eckraum R 105, mit erhaltenem bauzeitlichen Wanddekor und mandatszeitlichen saǧǧāda-Fliesen.
Abb. 127
Qaṣr Heneiné, nordöstlicher Eckraum R 105, Detail des farbigen Wandfrieses.
151
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 128
Qaṣr Heneiné, Esszimmer R 106, Detail eines der beiden gotisierenden Fenster zur östlichen Galerie. Ein identisches Fensterpaar findet sich im nordwestlichen Eckraum R 104, dort zur
westlichen Galerie.
Abb. 129
Qaṣr Heneiné, Esszimmer R 106, Detail der Decke.
2.3.4 Raum R 105: Wohnzimmer, Rauchzimmer,
Zimmer der Dame?
Auf einer ähnlichen Zwischenstufe der Raumhierarchie bezüglich Ausstattung und Erschließung befindet sich der in
der Nordostecke liegende Raum R 105 (Abb. 126, 127).
Über den bauzeitlichen Fußbodenbelag kann keine sichere
Aussage gemacht werden; der heutige Belag mit farbig ge-
musterten Zementfliesen stammt gewiss aus den 1930ern,
als das Haus von der Heneiné-Familie als Wohnsitz übernommen und renoviert wurde. Der umlaufende breite Marmorrand mag jedoch als Indiz dafür gelten, dass hier früher
ebenfalls ein Marmorboden existierte, der durch die Konsulatsnutzung stark abgenutzt und daher ersetzt wurde. Denkbar ist aber auch ein Terrakottafliesenboden, der mit einem
Teppich bedeckt war.360 Die Decke ist wieder eine Holzbalkendecke mit holzverkleideten Stahlträgerunterzügen. Sie
ist hier jedoch ganz schlicht in brauner Holzfarbe ohne aufgemaltes Ornament gehalten, also noch einfacher gestaltet als
in Raum R 104. Die so betonte Holzcharakter der Decke
wird von der hier erhaltenen Wanddekoration aufgenommen: Bis auf Türhöhe sind die Wände in hellbrauner Farbe
mit einem dunkelbraunen, zierfugenähnlichen Linienmuster gefasst, in Nachahmung einer Holzvertäfelung. Ein breiter Fries mit einem zweifarbigen geometrischen Muster
schließt diesen Wandbereich nach oben ab. Die Laibungen
der Tür zum großen Saal sind mit einem hölzernen, ebenfalls braunen Futter verkleidet. In Absetzung von den Holzund Brauntönen des unteren Wandbereichs ist der obere
Wandbereich einfarbig dunkelgrün gehalten.
Die ursprüngliche Funktion dieses Raumes muss sicherlich wie bei Raum R 104 im Zusammenhang mit dem
grand salon und somit im Kontext der Repräsentationsund Empfangsräume gesehen werden. Im Gegensatz zu
Raum R 104 hat er jedoch nur eine Tür zum großen Saal
und ist daher stärker von ihm abgeschirmt. Seine Zweiterschließung von der östlichen Galerie her und sein eigener Zugang zum Garten rücken ihn näher an den Be-
Abb. 130
Qaṣr Heneiné, Blick
vom großen Saal
R 102 in das Esszimmer R 106, Ausschnitt einer Aufnahme von der Jahrhundertwende (s. Abb.
113).
152
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 131
Qaṣr Heneiné, großer Raum im Südwesten R 108 mit Türen
zum Vestibül (links), zum Servicekorridor (Mitte) und zum
Nachbarraum R 113 (rechts).
Abb. 132
Qaṣr Heneiné, Raum R 108, mandatszeitliche Zementfliesen
mit Rapportmuster.
reich der Küche, der Sanitärräume und des Dienstpersonals. Mit Blick auf das übliche Raumprogramm der bürgerlichen Villa oder Wohnung in Europa mit ihren gelegentlich zahlreichen zusammenhängenden Repräsentationsräumen könnte dies ein zweiter kleiner Salon, ein
Rauchzimmer (fumoir) oder ein Wohnzimmer gewesen
sein, mit etwas familiärerem Charakter als Raum R 104.361
Es könnte aber auch als das Zimmer der Dame gedacht
gewesen sein (gelegentlich auch nach der aristokratischen
Tradition boudoir genannt), das häufig in bürgerlichen
Wohnhäusern nicht direkt vom Vestibül her (wie üblicherweise das Zimmer des Herrn, s.u.) zu betreten war,
sondern vom Salon oder Esszimmer her.362 Eine annähernd vergleichbare Nutzung erfuhr dieser Raum in späteren Jahren: Nachdem er seit den späten 1930ern zunächst lange Zeit als das Elternschlafzimmer von Joseph
und Marie Heneiné gedient hatte, war er nach dem Tode
Josephs 1961 das Zimmer Maries. Sie nutzte es nicht nur
als Schlafzimmer, sondern empfing dort – wie in einem
boudoir – auch Besuch von Freunden. Die Schlafzimmernutzung war freilich eine Nutzung, die mit der geschossweisen Aufteilung des Hauses in zwei separate
Wohnungen in den 1930ern zusammenhing und die Zahl
der ursprünglich auf dieser Etage für Empfangszwecke
zur Verfügung stehenden Räume reduzierte.
tengittermuster. Die holzverkleideten Stahlunterzüge der
Holzbalkendecke sind mit mehrfarbigen Schablonenmalereien in geometrischen Mustern geschmückt, die Holzbalken sind grün gefasst und die Dreiviertelstäbe ihrer Kanten zusätzlich mit Rot hervorgehoben, während die Bretter
und Fugenleisten in Ockergelb gehalten sind (Abb. 129).
Die Fenster zur östlichen Galerie haben – wie jene in Raum
R 104 – Spitzbögen, deren hölzernes Sprossenwerk gotisches Maßwerk nachahmt (Abb. 128). Die historische Farbfassung der Wände ist hier nicht erhalten, aber ihre ehemals reiche Ausführung ist uns glücklicherweise durch eine jener Photographien aus der Zeit Todorschis überliefert
2.3.5 Raum R 106: das Speisezimmer
Dieser Raum ist unter den drei großen Räumen, die vom
großen Saal her betreten werden, der am reichsten dekorierte. Der weiße Marmorfußboden hat ein schwarzes Rau-
Abb. 133
Qaṣr Heneiné, Decke in Raum R 108.
153
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 135
Qaṣr Heneiné, Decke von Raum R 114.
Abb. 134
Qaṣr Heneiné, südwestlicher Eckraum R 114 mit Tür zum
Raum R 108 und (rechts) Tür zum später eingebauten Badezimmer R 115. Im Hintergrund in Raum R 108 sieht man die
in Enfilade angeordnete Tür zum Raum R 113.
(Abb. 130): Bis auf Türhöhe war der untere Teil der Wände durch ein aufgemaltes farbiges Dekor geschmückt, dessen unteres Register aus schmalen senkrechten Feldern bestand, die sich im mittleren Register in ein zunächst rautenförmiges Muster auflösten, das wiederum im oberen
Register in ein komplexes, schlaufenartiges Flechtbandwerk überging. Der darüberliegende Wandbereich war einfarbig hell gestrichen.
Die historische Funktion dieses Raumes kann relativ sicher
bestimmt werden: Von der Heneiné-Familie wurde er als
Speisezimmer genutzt, und als solches hat der Raum nach
allem Dafürhalten auch schon zu Todorschis Zeiten gedient.
Seine Lage, seine Zweiterschließung vom Korridor und seine Nähe zum Küchenbereich lassen diese Nutzung als die
baulich angelegte erscheinen. Darüber hinaus lassen sich
in der eben erwähnten Photographie aus der Zeit Todorschis Stühle mit hölzernen Rückenlehnen erkennen, die in
enger Reihe an der Wand entlang standen und nach allem
Dafürhalten zu einem Esstisch gehörten, an den sie bei Bedarf gerückt werden konnten.363
In seiner Lage und Ausstattung vereinte dieses Speisezimmer zwei widersprüchliche Trends in der bürgerlichen
Wohnarchitektur Europas im späten 19. Jahrhundert, wo
das Speisezimmer einerseits ein zunehmend integraler Teil
der zusammenhängenden Gruppe von repräsentativen
Empfangsräumen wurde, andererseits dagegen aber auch
einen stärker privaten, familiären Charakter erhielt und
daher oft abgesetzt vom Eingangsbereich auf die Gartenseite des Hauses gelegt wurde.364 Diese Absonderung vom
Eingangsbereich lässt sich auch im Qaṣr Heneiné beobachten, wo das Speisezimmer trotz der unmittelbaren
Nachbarschaft zum Vestibül nicht direkt von dort, sondern nur durch den großen Saal betreten werden kann.
Gleichzeitig aber ist es von seiner Größe und dekorativen
Ausstattung her deutlich einer der wichtigsten Repräsentationsräume im Hause. Dabei ist interessant zu bemerken, wie selbst nach der zwei Jahrzehnte währenden Konsulatsnutzung, bei der der Raum als Wartezimmer diente,
die frühere Nutzung als Speisezimmer von den Heneinés
wieder aufgenommen wurde. Es ist offensichtlich, wie
154
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
stark dem Raum diese Funktion durch seine Lage im räumlichen Gefüge der Wohnung eingeschrieben ist.
2.3.5 Raum R 108: das Zimmer des Herrn?
Dieser letzte unter den großen, repräsentativ gestalteten
Räumen des ersten Geschosses ist neben dem großen Saal
der einzige, der unmittelbar vom Vestibül her zu betreten
ist. Seine Decke (Abb. 133) ähnelt in der Farbigkeit ihrer
Bemalung jener von Raum R 106, mit einem Diamantfries
auf den Unterseiten und schabrackenförmigen geometrischen Mustern auf den Seitenflächen der holzverkleideten
Stahlunterzüge. Die Balken und Felder dazwischen sind
hier jedoch einfarbig hellbraun gehalten. Der Fußboden
(Abb. 132) ist ähnlich dem in Raum R 105 mit einem farbig gemusterten Zementfliesenboden mit Marmorplatten
in den Randbereichen ausgelegt – auch hier eindeutig eine
Renovierung aus der Zeit der Heneinés, bei der ein älterer
Belag (aus Marmor oder Terrakottafliesen) ersetzt wurde.
Eine ursprüngliche ornamentale Farbfassung der Wände
wurde nach Aussage der hier lange wohnenden Flüchtlingsfamilie von ihr selbst mehrfach übertüncht und ist uns
damit zwar nicht in ihrer Gestalt, aber immerhin in ihrer
vormaligen Existenz ausdrücklich überliefert.
Der Raum hat neben seiner direkten Erschließung vom Vestibül noch die weitere Besonderheit, dass er nicht nur zum
Korridor, sondern zusätzlich noch zu den zwei kleinen
Nachbarräumen in direkter Verbindung steht, mit denen er
also eine zusammenhängende Raumgruppe bildet (Abb.
131, 134). Dabei kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt
werden, dass dies auch bauzeitlich schon der Fall war. Denn
in der Grundrisszeichnung aus dem Inspektionsbericht des
US-Konsulats von 1922 fehlt die Tür zwischen Raum R
108 und dem östlichen Nachbarraum R 113. Es wäre daher
denkbar, dass diese Verbindung erst später hergestellt wurde, möglicherweise als Dr. Joseph Heneiné Ende der 1930er
seine Privatpraxis in den Räumen R 113 und R 112 einrichtete. Im Zusammenhang dieser Umnutzung wurden auch
die Türen dieser beiden Räume zum dazwischenliegenden
Nebeneingang durchgebrochen. Sie unterscheiden sich allerdings als niedrige, einflügelige Türen deutlich von jener
zwischen R 113 und R 108, welche als hohe, zweiflügelige
Rahmen-Füllungstür mit Sprossenverglasung im oberen
Feld ausgeführt ist und damit in ihren Maßen und ihrer Gestaltung exakt der gegenüberliegenden Tür zwischen Raum
R 108 und R 114 entspricht (Abb. 134). Auch die Tür zum
Korridor hat eine solche Sprossenverglasung, und darüber
hinaus haben alle vier Türen in Raum R 108 identisch profilierte Rahmen und andere Details, aufgrund derer sie al-
Abb. 136
Qaṣr Heneiné, Durchgang von Raum R 114 auf den Umgang
in der Eingangshalle R 001. Man sieht die hölzerne Balustrade
und das Dreibogenfenster.
lesamt als zusammengehörig und mithin als bauzeitlich interpretiert werden sollten. Das Fehlen der Tür in der Grundrisszeichnung von 1922 kann daher einfach einer der zahlreichen Detailfehler sein, die diese Zeichnung gerade hinsichtlich der Verortung von Türen und Fenstern auch an anderen Stellen aufweist.
Was war die historische Nutzung dieses Raumes? Zur Zeiten der Heneiné-Familie – also ab Ende der 1930er – diente Raum R 108 in Kombination mit Raum R 114 als Kinderschlafzimmer (zu den Raumnutzungen der Heneinés
siehe Plan 2C). Dabei waren die beiden halbwüchsigen
Töchter Leila und Zeina (geb. 1926 bzw. 1928) in Raum
R 108 untergebracht, der ältere Sohn Habib (geb. 1924)
hingegen in Raum R 114. Etwa um die Zeit seines Auszugs in der Mitte der 1940er Jahre wurde das Badezim155
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
mer (R 115) in Raum R 114 eingebaut. Die Nutzung des
Raumes als Schlafzimmer hängt selbstverständlich – genau wie die Schlafzimmernutzung von Raum R 105 – mit
der geschossweisen Aufteilung des Hauses zusammen und
war angesichts der Nähe zum Vestibül und repräsentativen Ausstattung des Raumes gewiss nicht seine baulich
angelegte Funktion.
Wenn man die Raumprogramme europäisch-bürgerlicher
Villen als Schlüssel zur Hilfe nimmt und vergleicht, welche Räume dort in der Regel um ein Vestibül herum angeordnet und von ihm zugänglich waren, so findet man – zum
Beispiel in Deutschland – neben dem großen Salon, dem
Wohnzimmer/ kleinen Salon und dem Speisezimmer immer wieder das sogenannte „Zimmer des Herrn“ in einer
vergleichbaren Position nahe am Eingangsbereich.365 Ge-
Abb. 137
Die Kinder von Yūsuf Mezher, Erben des Qaṣr Heneiné kurz
nach 1900. Vorne v.l.n.r: Salloum, Marguerite, Jeanne; hinten
v.l.n.r.: Alice, Marie, Victoria.
meint ist damit das Arbeitszimmer und je nach beruflicher
Tätigkeit auch das Geschäftszimmer oder Privat-Kontor
des Hausherrn. In dieser Funktion hätte Raum R 108 wegen seiner eigenen Tür zum Korridor auch den Vorteil, dass
auch der Nebeneingang des Geschosses als Zugang für
Klienten und Boten benutzt werden konnte. Das entspräche recht genau den Forderungen damaliger theoretischer
Abhandlungen zu Wohngrundrissen beispielsweise in
Frankreich, die viel Wert darauf legten, dass das cabinet de
travail, das Herrenarbeitszimmer, unabhängig vom Rest
der Wohnung sei, nahe beim Eingang liege oder über einen
eigenen Eingang verfüge.366 Es spricht daher vieles dafür,
dass Raum R 108 als das Zimmer des Herrn angelegt war.
Nicht völlig geklärt bleiben aber die historischen Nutzungen der beiden mit ihm verbundenen Nachbarräume und
die Gründe für diese Raumgruppenbildung, für die es keine unmittelbaren Vorbilder im Raumprogramm europäischbürgerlicher Villen gibt. Für sich genommen könnte Raum
R 114 einfach ein Nebenraum zu Raum R 108 sein, der wegen seiner Lage nur von dort aus erschlossen werden kann.
Raum R 113 hingegen ist in seiner Ausstattung mit Tonfliesenboden, undekorierten Wänden und einfacher Holzdecke identisch mit Raum R 112. Beide sind wegen dieser
Ausstattung, ihrer geringen Größe und ihrer Lage am Korridor recht eindeutig im räumlich-funktionalen Kontext der
Küche und des Servicebereichs zu sehen, und müssten fast
zwangsläufig als Kammern für das Dienstpersonal, als Bügelzimmer oder – im Falle von Raum R 112 – auch als Anrichte gedient haben. Warum Raum R 113 eine Tür zu Raum
R 108 hat, bleibt jedoch unklar.
2.3.6 Der Küchen- und Sanitärbereich
Die Küche R 119 ist wohl der Raum dieser Etage, der die
meisten Umbauten erfahren hat. Von der ursprünglichen
baufesten Ausstattung ist nichts erhalten. Das mag vor allem darin begründet sein, das dieser gewölbte Raum zu
Konsulatszeiten als Lagerraum diente. Aus dieser Zeit
stammt wahrscheinlich die eingezogene Zwischendecke
aus Stahlbeton im nördlichen der beiden Joche, die vermutlich eine vormalige hölzerne titḫīte ersetzte. Die beiden Aborte in der Nordostecke der Küche, aus zwei separaten, engen Kammern mit jeweils einer eigenen Tür und
Hockklosett, wirken in ihrer heutigen Form, mit ihren dünnen und daher wahrscheinlich aus verputztem Ziegelsteinmauerwerk bestehenden Wänden, wie spätere Einbauten.
Sie können wegen des Verputzes jedoch nicht ohne weiteres auf mögliche Baufugen und Ausbauphasen (z.B. anfangs eine Kammer, später zwei) untersucht werden. Wir
156
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.2 Qas.r Heneiné: Europäisch-bourgeoise Räume mit Orientflair
Abb. 138
Dr. Joseph Heneiné, in einem Gemälde eines unbekannten
Künstlers aus etwa den späten 1930ern.
Abb. 139
Marie Mezher, Hausherrin des Qaṣr Heneiné, in einem Gemälde aus etwa den späten 1930ern.
müssen allerdings davon ausgehen, dass es an dieser Stelle auch bauzeitlich schon eine Toilette gab.
Der zweite Sanitärraum, das Bad R 110, ist in seinem gegenwärtigen Zustand ein modern eingerichtetes Bad aus
der Zeit der Nutzung durch die Familie Heneiné. Vorher,
zu Konsulatszeiten, diente der Raum als Archivraum – eine Nutzung, der die ursprüngliche Ausstattung des Raumes
zum Opfer gefallen sein dürfte. Er ist jedoch der einzige
Raum auf dieser Etage, der angesichts des bisher beschriebenen Raumprogramms überhaupt als bauzeitliches Bad in
Frage käme, und er wäre wegen seiner Nähe zur Küche und
zum Speisezimmer sowie seiner guten Erreichbarkeit von
den Empfangsräumen über die östliche Galerie für diese
Funktion sehr gut geeignet.
bürgerlichter und verwestlichter Angehöriger der russischen Aristokratie aus.
Die ausgeprägte Dreiteilung des Hauses in einen großzügigen, aus einer zusammenhängenden Gruppe von funktional differenzierten Räumen bestehenden Empfangsbereich, der den Großteil des ersten Geschosses einnimmt, einen im südöstlichen Randbereich entlang dem Korridor
lokalisierten Hauswirtschaftsbereich und einem gesonderten, geräumigen Wohn- und Schlafbereich mit weiteren
Bädern und Hauswirtschaftsräumen im zweiten Geschoss
stellt eine geradezu idealtypische Ausformulierung europäisch-bürgerlicher Wohnvorstellungen des späteren 19.
Jahrhunderts dar. Sie gewährleistet die räumliche Segregation sowohl von Empfangs- und Privatbereich wie auch
von Familie und Dienstpersonal. Durch die Mehrfacherschließung vieler Empfangsräume über den Korridor und
die östliche Galerie konnten zudem die Bewegungskanäle für Gäste, Familie und Dienstpersonal so entflochten
werden, dass je nach Situation die Privat- und Intimsphäre der Familie gegenüber Gästen und gegenüber den
Dienstboten sehr weitgehend gewährt war.
Die Einbindung einer historisierenden līwān-murabbaʿ-Raumgruppe Damaszener Art in die Anlage des ersten Geschosses
führt dabei vor allem zu einer plangeometrischen Besonderheit des Hauses, die es von europäisch-bürgerlichen Vergleichsbeispielen unterscheidet. Zu dieser Besonderheit tragen auch die Verwendung des Beiruter Geschosserschließungssystems mit dem etwas abgesonderten Treppenhaus so-
2.3.7 Ein europäisch-bürgerliches Raumprogramm
Es ist nun deutlich geworden, wie sehr – hinter seinen unscheinbaren Beiruter Fassaden – das räumlich-funktionale Gefüge des Qaṣr Heneiné in seiner baulichen Anlage
dem Muster und Raumprogramm europäisch-bürgerlicher
Villen folgt. Es ist gar nicht so sehr die ungewöhnliche
Innendekoration des Hauses, welche letztlich sehr viel
leichter von einem Kontext in einen anderen übertragbar
war, als vielmehr die spezifische Zusammenstellung und
räumliche Anordnung von Funktionen, die die europäischbourgeoise Qualität des Hauses ausmachen. Der als russischer Graf oder Fürst überlieferte Bauherr weist sich mit
diesem Wohnhaus als ein in seinem Wohnstil stark ver-
157
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3 Kurzfallstudien in chronologischer
Abfolge
Abb. 140
Familiäre Runde im großen Saal des Qaṣr Heneiné in den
1950ern. Rechts mit Brille Dr. Joseph Heneiné, weiter links
mit Krawatte sein Sohn Habib, ganz links der Schwiegersohn
Raymond Khoury.
wie die „Beiruter Küche“ – d.h. eine gewölbte Küche auf Geschossniveau mit eigenem Außenzugang, Toilette und titḫīte
bei. Diese Einbindung lokaler Elemente unterscheiden das
Beiruter Haus des russischen Adeligen von vielen europäisch-bürgerlichen Villen, wo wir üblicherweise eine vom Vestibül ausgehende Haupttreppe in das Obergeschoss, eine separate Treppenanlage für das Dienstpersonal und die Küchenund Wirtschaftsräume im Souterrain finden würden.
Wir haben es also auch in der Raum- und Grundrissstruktur mit einer äußerst hybriden und kreativen Verschmelzung von Elementen verschiedener Herkunft zu tun. Hier
materialisiert sich das gestalterische Zusammenspiel des
russischen Bauherrn mit dem lokalen Baumeister und lokalen Handwerkern am deutlichsten. Wie in einem Baukastenverfahren wurden einige zu Standardlösungen gewordene Elemente der modernen Beiruter Wohnhausarchitektur mit den Raumvorstellungen des russischen Bauherrn kombiniert. Wie in den nachfolgenden Fallbeispielen
Beiruter Häuser aus der Zeit zwischen 1850 und 1930 zu
sehen ist, wurden die Bestandteile europäisch-bürgerlicher
Raumprogramme, die in der Tat nach und nach übernommen wurden, in den Häusern der Beiruter Bourgeoisie ganz
anders räumlich organisiert als in den Häusern der europäischen Bourgeoisie.
Im Folgenden wird eine Anzahl zumeist größerer Beiruter
Mittelhallenhäuser aus der Zeit zwischen 1850 und 1930
in chronologischer Abfolge vorgestellt. Eine solche chronologische Anordnung – die übrigens in der einschlägigen
Literatur bisher nicht unternommen wurde – gestattet es
überhaupt erst, die über die Jahrzehnte stattfindenden Entwicklungen in Grundriss, Raumerschließung und, soweit
möglich, Raumprogramm in ihren Grundzügen zu identifizieren und vergleichend zu analysieren. Außerdem dient
der hier zusammengestellte Überblick als ein Bezugsrahmen, der es ermöglicht, die an den Hauptfallbeispielen im
Einzelfall und im Detail gemachten Beobachtungen in den
größeren Kontext einzuordnen und dadurch die Brücke vom
Individuellen zum Allgemeinen zu schlagen.
Die vorgestellten Beispiele stammen zum Teil aus der Gruppe von Häusern, die zwischen 1997 und 2003 im Rahmen
des Forschungsprojektes zum Stadtviertel Zokak el-Blat untersucht wurden. In der Regel wurden diese Häuser im Systemaufmaß aufgemessen, mit den Katasterplänen im Maßstab 1:500 in ihren Umrissen abgeglichen und im Maßstab
1:100 gezeichnet. In Fällen, wo das Maßnehmen nicht möglich war, handelt es sich um Schrittmaße, die zum Zeichnen
ebenfalls mit den Katasterplänen abgeglichen wurden.
Ein Anzahl weiterer Beispiele gehören zu den Häusern, die
in den frühen 1960er Jahren von den Architekten der APSAD
in (relativ groben) Planskizzen dokumentiert wurden, und zusammen mit einer kurzen Beschreibung und Angaben zu Eigentümern und Geschichte jedes Hauses – in einigen Fällen
auch mit photographischen Außen- und Innenansichten – zu
einem kleinen Archiv zusammengefasst wurden. Da viele der
158
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 141
Lageplan Bayt
Saadé (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
II.3.1 Bayt Saadé
großen Häuser inzwischen abgängig sind oder umgebaut wurden, ist dieses Material, das damals eigentlich gesammelt
wurde, um den Erhalt dieses baulichen Erbes zu fördern (eine Absicht, der leider nicht viel Erfolg beschieden sein sollte), inzwischen zu einer wichtigen historischen Dokumentation geworden, deren Auswertung sich in vieler Hinsicht lohnt.
3.1 Bayt Saadé
Der Bayt Saadé (Saʿāda) [ZAB 122] befindet sich auf einem
kleinen Gartengrundstück an der heutigen Rue Église Évangelique (vormals Rue Maurice Barrès) im Nordosten Zokak
el-Blats (Abb. 141). Damit liegt es am unteren Abschnitt der
historischen Haupterschließungsstraße, die dem damals entstehenden Quartier seit spätestens um 1840 seinen Namen
gab: Zuqāq al-Balāṭ, „die Pflasterstein-Straße“. Wegen der
amerikanisch-protestantischen Missionseinrichtungen, die
seit den 1830ern auf den östlichen Nachbargrundstücken des
Hauses entstanden, hieß dieser steil ansteigende Abschnitt
der Straße im 19. Jahrhundert auch Ṭalʿat al-Amīrkān, „die
Amerikaner-Steigung“. Das Haus lag nur hundert Meter
hangaufwärts vom historischen Stadttor, Bāb Yaʿqūb, und
der damals außerhalb dieses Tores liegenden Sāḥat as-Sūr
(„Mauerplatz“), dem heutigen Riad el-Solh-Platz. Dem Haus
gegenüber nach Norden liegt der sogenannte Grand Sérail,
der heutige Sitz des Ministerpräsidenten, begonnen 1853 als
osmanische Infanteriekaserne.
Das heute dreigeschossige Haus (Pläne 3.1A und 3.1B) bestand ursprünglich nur aus einem Erdgeschoss mit Mittelhallengrundriss, das durchgehend in steinernen Gewölben
ausführt war. Baulichen Details nach zu urteilen muss dieser eingeschossige Ursprungsbau in den 1850ern oder spätestens zu Anfang der 1860er errichtet worden sein. Die beiden Obergeschosse wurden in zwei kurz aufeinander folgenden Schritten um 1930 in kombinierter Mauerwerksund Stahlbetonkonstruktion hinzugefügt (Abb. 142–144).
Damit schlägt die zweistufige Errichtung dieses Hauses einen Bogen über den gesamten Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, und ein Vergleich ihrer Grundrisse kann wichtige Hinweise auf die Entwicklung des Mittelhallengrundrisses in dieser Zeit geben. Allerdings ist dieses Haus, das
im Gebiet der Wiederaufbaugesellschaft Solidere liegt, in
den vergangenen Jahren massiven Umbauten unterworfen
gewesen; als historisches Gebäude müsste es deswegen eigentlich als abgängig betrachtet werden.367
Die historischen Eigentümer des Hauses lassen sich ab dem
späten 19. Jahrhundert als die Familie des Muḥammad ʿAlī
Saʿāda und damit als sunnitische Muslime identifizieren.368
Abb. 142
Bayt Saadé, Ansicht der Straßenfassade von Norden.
Abb. 143
Bayt Saadé, Teilansicht des Erdgeschosses von Norden. Hinter
den Stützen der um 1930 angebauten Veranda ist die Bogenöffnung der Mittelhalle zu erkennen.
Es ist gut möglich, dass die Saadés auch die Erbauer des
Hauses waren. Hinsichtlich der Nutzungsgeschichte ist nicht
viel bekannt, außer dass das damals noch eingeschossige
Haus schon 1876 als österreichisches Konsulat diente – und
folglich zu jener Zeit nicht (mehr) von der Eigentümerfamilie bewohnt wurde.369 Ob die als jeweils separate Ge159
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schosswohnungen angelegten Obergeschosse später von
Teilen der Eigentümerfamilie oder von Mietern bewohnt
wurden, konnte nicht eruiert werden.
Das Erdgeschoss des Bayt Saadé ist eines der wenigen erhaltenen Beispiele eines vollwertigen, eingeschossigen Mittelhallenhauses, das – obgleich es freisteht und nicht in den
Hang gebaut wurde – gänzlich in Gewölbetechnik ausgeführt wurde. (Das zweite bekannte Beispiel ist das Erdgeschoss des Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, s.u., Kap. 3.4.) Die Mittelhalle und der līwān sind tonnengewölbt und auf einer
Nordsüdachse ausgerichtet (Abb. 145, 146). Die beidseitig
flankierenden Räume sind jeweils in einer Kombination von
Halbtonne und Stichgewölbe ausgeführt; ein weiteres, mittig auf der Westseite anschließendes Kreuzgewölbe bildet
den Küchenanbau. Während die Küche also einen eigenen,
baulich ausgegliederten Annex bildet, bildet der eigentliche
Hauptbau einen quaderförmig geschlossenen Baukörper mit
kurzrechteckigem, fast quadratischem Grundriss, in den der
līwān gänzlich integriert ist, und nicht – wie dies sonst oft üblich und es später auch bei diesem Haus in den Obergeschossen getan wurde – als im Süden vorspringender Risalit aus dem Baukörper herausgezogen ist.
Die beschriebene, vollkommen achsensymmetrische Konstruktionsweise des Hauptbaus funktioniert statisch als zusammenhängendes Gesamtsystem und bezeugt, dass das eingeschossige Haus als ganzes konzipiert und in einem Zug er-
richtet wurde. Das Haus wurde also schon von vorneherein als
„komplettes“ Mittelhallenhaus geplant und belegt in heute fast
einmaliger Weise, wie sehr dieses Modell in Beirut mit seinen
charakteristischen Grundzügen in den 1850ern schon ausgeprägt war: Fast modellhaft finden wir im Bayt Saadé eine Mittelhalle in Kombination mit rückwärtig anschließendem līwān,
beidseitig flankiert von zwei größeren, vorne liegenden Seitensälen und zwei kleineren, hinten liegenden Eckräumen.
Die nördliche Stirnseite der Halle öffnet sich zum Garten
im Norden durch eine schlichte Tür mit zwei flankierenden
Fenstern und mit einer darüber befindlichen großen Rundbogenöffnung, die die ganze Breite und Höhe der Gewölbetonne einnimmt. Eine Dreibogenstellung gibt es weder
hier noch anderswo im Erdgeschoss. Auf der rückwärtigen
Stirnseite kommuniziert die Halle durch eine ähnliche TürFenster-Kombination mit dem līwān. Hinsichtlich der seitlichen Türen – zwei auf der östlichen Längsseite, drei auf
der westlichen – ist die Mittelhalle nicht vollständig achsensymmetrisch angelegt, aber doch annähernd, weil jeweils
zwei Türen einander exakt gegenüberliegen.
Die beiden Türen auf der Ostseite der Halle gehen in zwei
Räume, von denen jeder ein Gewölbejoch einnimmt, und der
nördliche in der Art eines Seitensaals größer ist als der südliche Eckraum (Abb. 151). Untereinander sind diese beiden
Räume ebenfalls durch eine Tür verbunden – wobei ungeklärt bleibt, ob sie bauzeitlich ist. Die drei Türen auf der West-
Abb. 144
Bayt Saadé, Südansicht.
Der eingeschossige Kernbau aus der Mitte des 19.
Jahrhunderts verschwindet
fast unter den Aufstockungen von ca. 1930.
160
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.1 Bayt Saadé
Abb. 145
Bayt Saadé, Mittelhalle des Erdgeschosses, Blick nach Norden
zum Eingang.
Abb. 146
Bayt Saadé, Mittelhalle des Erdgeschosses, Blick nach Süden
auf den līwān.
Abb. 147
Bayt Saadé, Mittelhalle des Erdgeschosses, südliche und westliche Wand mit den Türen (v.l.n.r.) zum līwān, zum südwestlichen Eckraum, zum Servicekorridor in Richtung Küche und
(ganz rechts) zum manzūl.
seite der Mittelhalle gehen in drei Räume, von denen der
mittlere (dessen Tür die Symmetrie bricht) kein vollwertiger, gewölbter Raum, sondern eigentlich nur ein Korridor in
Richtung Küche ist. Dieser Korridor wirkt wie ein Einbau
im großen nördlichen Gewölbejoch und nimmt auch nur die
halbe Raumhöhe ein; der Bereich darüber ist zum Raum im
Norden hin offen und kann als titḫīte dienen.370 Eine zusätzliche Tür verbindet den Raum im Norden mit dem Korridor
und kann als „Kurzschluss“-Verbindung in Richtung Küche
und die dortigen Sanitärräume dienen.
Die heute in der Küche eingebauten, etwas geräumigeren Badund Toilettenräume sind das Ergebnis mandatszeitlicher Modernisierungsmaßnahmen, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Aufstockung des Hauses eingebaut wurden.
Die viel kleineren bauzeitlichen Toiletten- und Nassräume waren als kleine Kammern in die Eckpfeiler des Kreuzgewölbes
integriert (Abb. 152–154). Auch in diesem Haus waren also
– wie im Qaṣr Ziadé und zahllosen anderen Beiruter Altbau-
ten – die bauzeitlichen Sanitäreinrichtungen ab etwa den
1930ern nicht mehr ausreichend. Außer der Küche gibt es auffälligerweise keine weiteren Wirtschaftsräume, vor allem keine besonderen Dienstbotenkammern. Ein über dem Küchengewölbe liegendes Zwischengeschoss, das heute nur vom ersten Obergeschoss her zugänglich ist, könnte, falls es auf die
Erbauungszeit zurückgeht, vormals als von außen zugänglicher Vorratsspeicher für das Erdgeschoss gedient haben.
Hinsichtlich der Außenerschließung des Hauses lässt sich
feststellen, dass das Erdgeschoss über drei Eingänge verfügt: den oben erwähnten Eingang vom Norden her in die
Mittelhalle, einen gesonderten Kücheneingang auf der Westseite, und außerdem einen weiteren Eingang auf der Nordseite, der durch einen kurzen, gewölbten und abgeknickten
Gang in den nordwestlichen Seitensaal führt.371
Mit diesem dritten Eingang hat es eine besondere Bewandtnis: Er ist von seiner baulichen Gestaltung her der repräsentativste (Abb. 155–157). Im Gegensatz zum völlig schmuck161
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 148
Bayt Saadé, Erdgeschoss, Südwestecke
der Mittelhalle mit vergittertem Fenster
des līwāns (links) und Tür zum südwestlichen Eckraum. Man beachte die Fensterrahmung im Eckraum.
Abb. 149
Bayt Saadé, Erdgeschoss, Tür des südwestlichen Eckraums.
losen Eingang der Mittelhalle hat dieser Eingang einen dekorativen Portalrahmen mit spitzbogigem Oberlicht, aufwendig gearbeiteten schmiedeeisernem Gitter und reliefverziertem Krongesims. An dem ansonsten insgesamt sehr
schlicht gestalteten Ursprungsbau war dieses Portal das aufwendigste Element. Der Eingang war demnach der offizielle
„Vorzeigeeingang“; er identifiziert die historische Funktion
des westlichen Seitensaals, in den er führt, eindeutig als die des
manzūls, des Hauptempfangsraums. Der etwas weiter östlich
liegende, direkte Eingang zur Mittelhalle war dagegen nur
ein Nebeneingang für Familienangehörige und Hausfreunde.
Und anders als dieser Eingang zur Mittelhalle, der unmittelbar und ohne weitere bauliche Vorkehrungen zum Schutz der
häuslichen Sphäre ins Zentrum des Hauses führt, ist der Eingang zum manzūl mit einer Reihe von Schutzmechanismen
versehen: Schwere Türklopfer gestatten dem Besucher, sich
an der Schwelle des Hauses – dort, wo die häusliche Privatsphäre begann – deutlich bemerkbar zu machen; das Signal
gab den Hausbewohnern Zeit, sich zurückzuziehen bzw. sich
und den manzūl auf den Empfang des Besuchers vorzubereiten. Wenn der Besucher schließlich durch die schwere, zweiflügelige Tür eingelassen wurde, hatte er wegen des abgewinkelten Zugangs zum manzūl immer noch keinen direkten
Abb. 150
Bayt Saadé, Südwand des südwestlichen
Eckraums. Ein eckiges Oberlicht und
die Art der hölzernen Einfassung der
vergitterten Fenster sprechen für die
Datierung des Erdgeschosses in die
1850er oder frühen 1860er.
Einblick in den Raum, was eventuell gegenwärtigen Bewohnern noch einmal Extrazeit gab, sich durch eine der anderen
Türen des Raums ins Hausinnere zurückzuziehen. Mit seinem gesonderten Außeneingang, seiner zweiten Tür zur Mittelhalle und einer dritten Tür zum Servicekorridor weist der
manzūl des Bayt Saadé schon ein vollausgebildetes Erschließungsschema auf, dass für den Hauptempfangsraum der Beiruter Mittelhallenhäuser und -wohnungen bis weit in das zwanzigste Jahrhundert charakteristisch bleiben sollte.372
Zur historischen Nutzung der übrigen Räume des Erdgeschosses lässt sich wenig Sicheres sagen.373 Auffälligerweise
scheint nur die Mittelhalle mit Marmorplatten ausgelegt gewesen zu sein. Der manzūl, welcher heute wie alle anderen
Wohnräume mit einem mandatszeitlichen Zementfliesenboden versehen ist, scheint daher auch in seiner ursprünglichen
baufesten Innenausstattung nicht wesentlich repräsentativer
als die übrigen Räume gewesen zu sein. Diese übrigen Räume waren von ihrer Anlage und baufesten Ausstattung her
kaum ausdifferenziert (deutlich weniger als beispielsweise
im Qaṣr Ziadé eine Dekade später), und hatten daher potentiell einen noch stärker multifunktionalen Charakter.
Ob der līwān oder der große östliche Seitensaal als Hauptaufenthaltsraum der Familie diente (oder beide je nach Sai-
162
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.1 Bayt Saadé
Abb. 151
Abb. 128: Bayt Saadé, östlicher Seitensaal des Erdgeschosses mit Tür zur Mittelhalle (links) und später eingesetzten
Fenstertüren der Mandatszeit. Früher
waren hier wahrscheinlich einfache,
vergitterte Fenster.
son), muss offen bleiben. Bezüglich des līwāns sei noch eine Auffälligkeit angemerkt: Von seinen zahlreichen Fenstern
– zwei zur Mittelhalle, drei nach außen – haben sowohl die
Außenfenster (wie alle Außenfenster des Erdgeschosses) wie
auch die Innenfenster eiserne Fenstergitter, und ebenso wie
Abb. 152
Bayt Saadé, Küche des Erdgeschosses,
mit Tür des Servicekorridors in Richtung
Mittelhalle (links) und später eingebautem Badezimmer (rechts).
die Außenfenster sind auch die Innenfenster durch geschlossene Holzläden verschließbar (Abb. 146).374 Der Raum
wird also gegen unwillkommene Einblicke und gegen körperliches Eindringen geschützt – und zwar auch gegenüber
der Mittelhalle, ganz als ob die Mittelhalle als Außenraum
Abb. 153
Bayt Saadé, Küche des Erdgeschosses,
mit bauzeitlichem Abort im Eckpfeiler
des Gewölbes.
Abb. 154
Bayt Saadé, Küche des Erdgeschosses,
mit später eingebauten Arbeitsflächen
und Spülstein.
163
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
und potentielle Störungs- und Gefahrenquelle wahrgenommen wurde. Tatsächlich lässt sich in der darin zum Ausdruck
kommenden Raumwahrnehmung ein psychologisches Fortleben jener Innen-Außen-Beziehungen beobachten, die zwischen den Wohnräumen und dem offenen Hof der älteren
Hofhäuser und līwān-Häuser bestanden hatte, jedoch in der
geschlossenen Bauweise des Mittelhallenhauses eigentlich
obsolet gewesen wären. In später errichteten – und besonders in größeren – Mittelhallenhäusern lassen sich solche
Fenstergitter an den Innenfenstern des līwāns nicht mehr beobachten; hier reichten verglaste Verschlüsse aus.
Das erste Obergeschoss, siebzig Jahre später errichtet, folgt
in seiner plangeometrischen Anlage nur teilweise dem Erdgeschoss (Abb. 158–160): Die drei parallelen Hauptachsen
– Mittelhalle und zwei flankierende Reihen von Räumen –
korrespondieren mit dem Erdgeschoss, aber wegen der Gewölbebauweise des Erdgeschosses war es im ersten Obergeschoss statisch möglich, die Räume der beiden flankierenden Reihen anders zu unterteilen, so dass hier jeweils drei
Räume beidseitig der Mittelhalle liegen. Somit liegen im
Obergeschoss sieben Räume um die Mittelhalle, gegenüber
fünf Räumen im Erdgeschoss.375 Außerdem wurde – mittels
einer Betonstützenkonstruktion – der līwān als vorspringender Erker rückwärtig aus dem Baukörper herausgezogen,
weshalb die Mittelhalle des Obergeschosses länger ausfallen
konnte als die des Erdgeschosses. Auf der Nordseite wurden
die Mittelhallen beider Obergeschosse mit einer Veranda in
Betonbauweise versehen, ein typisches Element der 1930er,
das die bis dahin für die Mittelhallen der Obergeschosse üblichen Balkone ablöste.376 Balkone finden sich hier auf der
Nordfassade an den flankierenden Räumen. Der Wirtschafts-
Abb. 156
Bayt Saadé, Detail des Eingangs zum manzūl.
Abb. 155
Bayt Saadé, Nordseite. Dekorativ gerahmter Eingang des
manzūls. Rechts davon zu erkennen ist der später angefügte
Zugang zu den Obergeschossen.
und Sanitärbereich befindet sich korrespondierend zum Erdgeschoss in einem Annex im Westen. In der Nordwestecke
liegt das im Zusammenhang mit der Aufstockung errichtete
Abb. 157
Bayt Saadé, Türklopfer an der Eingangstür zum manzūl.
164
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.1 Bayt Saadé
Abb. 158
Bayt Saadé, erstes Obergeschoss: Blick vom līwān nach Norden in die Mittelhalle.
Abb. 159
Bayt Saadé, erstes Obergeschoss, Nord- und Westseite der
Mittelhalle mit den Türen zum Esszimmer, zum Eingangskorridor und zum Empfangszimmer (v.l.n.r.).
Treppenhaus, dass gänzlich unabhängig vom Erdgeschoss
Zutritt zum ersten und zweiten Obergeschoss gibt.
Vom Treppenhaus führen zwei Türen in die Wohnung: eine
führt in einen Eingangskorridor zum Wohn- und Empfangsbereich, die zweite führt direkt in die Küche und die Wirtschaftsräume. Der nordsüdlich verlaufende Eingangskorridor gibt seinerseits direkten Zutritt zum Empfangsraum auf
seiner Ostseite, gibt indirekten Zutritt zur Mittelhalle über einen Verbindungskorridor, und außerdem Zugang zum Wirtschaftsbereich. Letztendlich es dadurch auch im Obergeschoss
eine jeweils separate Erschließung des Empfangsraums, des
Wohnbereiches und des Wirtschaftsbereiches gewährleistet.
Dadurch, dass die Tür zum Empfangsraum direkt gegenüber der Wohnungstür liegt, und dass die Toilette, die ein
Besucher eventuell aufsuchen musste, ebenfalls vom vorderen Bereich des Eingangskorridors zu erreichen ist, konnte der Bewegungsraum eines Besuchers fast gänzlich auf
den eingangsnahen Bereich der Wohnung beschränkt werden. Eine zweite Tür zwischen Empfangszimmer und Mittelhalle sorgt für den erforderlichen Zweitzugang vom
Wohnbereich her; eine gesonderte Tür in Richtung Küche
und Sanitärräume erübrigt sich, weil diese Aufgabe von der
Tür zum Eingangskorridor miterfüllt wird.
Ein derartiger, als Hauptverteiler dienender Eingangskorridor stellt eine späte Stufe in der Entwicklungsgeschichte
der Beiruter Mittelhallengrundrisse dar (für Parallelen vgl.
Bayt Ladki, Kap. 3.20, und Villa Aftimus, Kap. 3.23). Die
Eingangskorridore der früheren Häuser sind noch ausschließlich oder hauptsächlich Durchgangskorridore zur
Mittelhalle, ohne seitlich abgehende Türen (vgl. Qaṣr Ziadé sowie Qaṣr Kady, Kap. 3.8). Der Wohnbereich um die
Mittelhalle genießt durch die Existenz eines solchen „Vorverteilers“ eine deutlich besser geschützte Privatheit.
Die beidseitig der Mittelhalle liegenden Räume sind sämtlich
durch innere Erschließungstüren miteinander verbunden, ein
Merkmal, das – wie schon an anderer Stelle festgestellt – sich
erst gegen Ende des 19. Jahrhundert allmählich durchsetzte.
Der līwān und die Mittelhalle sind getrennt und gleichzeitig
verbunden mittels einer verglasten Dreibogenstellung – hier
ausgeführt in der Form von Korbbögen, wie sie in der Mandatszeit in Mode kamen (Abb. 158). Der erforderliche Sichtschutz wird durch Milchglas gewährt. Alle Zimmer mit Ausnahme des līwāns haben nur ein Fenster je Außenwand, im
Gegensatz zum Erdgeschoss, wo zwei Fenster je Wand zu finden sind. Diese Verringerung der Fensterachsen von Räumen
ist ebenfalls eine Entwicklung des späteren 19. Jahrhunderts,
auf die in Teil III dieser Arbeit eingegangen wird (Kap. III.1).
Hinsichtlich der historischen Raumnutzungen lassen sich
hier im Obergeschoss sehr viel klarere Zuschreibungen machen als im Erdgeschoss: Der līwān hatte – in gewisser Überlappung mit der Mittelhalle – offenkundig die Funktion eines
Familienwohnzimmers. Die drei Zimmer im Osten und das
Zimmer im Südwesten waren höchstwahrscheinlich Schlafund Privatzimmer der Familienmitglieder. Ganz deutlich lässt
165
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
halten: die Organisation des Wohnbereiches um die Mittelhalle, die räumliche Ausgliederung des Wirtschaftsbereiches,
und die spezifische Mehrfacherschließung des Empfangsraumes. Letzterer hatte immerhin seinen Namen geändert:
vom manzūl zum ṣālūn.
3.2 Bayt Aoun-Karam
Abb. 160
Bayt Saadé, erstes Obergeschoss, Detail eines Zimmers. Unter
den später aufgebrachten Tapeten sind Reste einer farbigen
Wandfassung mit Sockelstreifen erhalten.
sich ein Esszimmer identifizieren, als baulich erkennbarer
Raumtyp eine Neueinführung des späteren 19. Jahrhunderts,
den es im Erdgeschoss noch nicht gab. Dieser Raumtyp zeichnet sich in der Regel durch eine besondere, von der Mittelhalle
unabhängige Erschließung in Richtung Küche aus; hier ist
dieser Zugang über den Verbindungskorridor zwischen Mittelhalle und Eingangskorridor gewährt. Ein Innenfenster zum
Servicekorridor konnte zusätzlich als Durchreiche dienen.
Als letzte Beobachtung sei angeführt, dass die Sanitärräume noch sämtlich im Wirtschaftsbereich liegen. Gesonderte Bäder in unmittelbarer Nähe der Schlafzimmer hatten in
der Mandatszeit eben erst begonnen, sich bei herrschaftlichen Häusern durchzusetzen (vgl. Neubauten wie die Villa Mezher und die Villa Aftimus, oder die Umbauten am
Qaṣr Ziadé); bei Häusern von bescheidenerem Status wie
Bayt Saadé war dies in den 1930ern noch nicht die Regel.377
Ein Vergleich des Erdgeschosses mit dem ersten Obergeschoss
des Bayt Saadé macht deutlich, in wie vielen Dingen sich der
Beiruter Mittelhallengrundriss in den siebzig Jahren zwischen
1860 und 1930 verändert hatte. Es waren nicht nur stilistische
Veränderungen, sondern bedeutsame Wandlungen in der räumlichen Organisation und Erschließungsstruktur. Neue Nutzungen und die funktionale Spezialisierung von Räumen erhielten eine erkennbare bauliche Ausprägung, und neue Erschließungsformen lassen auf veränderte Privatheitsbedürfnisse schließen. Dabei blieben bestimmende Merkmale er-
Der zweigeschossige Bayt Aoun-Karam (ʿAwn Karam) [S
614] liegt an der Rue Mar Maroun im gleichnamigen perizentralen Quartier im Osten der Beiruter Innenstadt, knappe
400 Meter östlich des Märtyrerplatzes am Fuße des Hügels
von Achrafieh (Ašrafiyya) (Abb. 161). Das Haus, dessen Name auf seine christlich-maronitischen Eigentümer verweist,
wurde 1996 von Architekturstudenten der ALBA aufgemessen. Die Dokumentation enthält Grundrisse der beiden Geschosse, Ansichten und Schnitte, jedoch keinerlei Informationen zur offensichtlich komplexen Erbauungsgeschichte
und den historischen oder aktuellen Raumnutzungen.378 Die
Grundrisse (Pläne 3.2A und 3.2B) sollen daher nur als ein anschauliches Beispiel eines Wohnhauses dienen, dass über mehrere Jahrzehnte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
durch wiederholtes Anbauen und Aufstocken „gewachsen“
ist und dadurch erst zu einem Mittelhallenhaus wurde. Es bildet einen interessanten Kontrast zu den übrigen vorgestellten
Beispielen, die in einem Zug oder zumindest in jeweils vollständigen geschossweisen Ausbauphasen errichtet wurden.
Aus den Plänen des Erdgeschosses und des Obergeschosses lassen sich bestimmte Ausbauphasen des Bayt AounKaram deutlich herauslesen. Der Ursprungsbau (im Plan
farblich markiert) war kein Mittelhallenhaus, sondern eines
jener līwān-Häuser, wie sie in den Gärten außerhalb der
Stadtmauern Beiruts in der ersten Hälfte und der Mitte des
166
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 161
Lageplan Bayt
Aoun Karam
(o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
II.3.2 Bayt Aoun-Karam
Abb. 162
Bayt Aoun-Karam, Südseite. Der eingeschossige Ursprungsbau verbirgt sich hinter den offenen Bögen, die als Substruktion des Obergeschosses dienen.
Abb. 163
Bayt Aoun-Karam, westlicher Eingang zum Erdgeschoss
(unter der Treppe) und Eingangstreppe zum Obergeschoss.
19. Jahrhunderts errichtet wurden. Er besteht aus drei nebeneinander angeordneten Räumen mit annähernd quadratischem Grundriss, von denen der mittlere so nach hinten
versetzt ist, dass ein kleiner, anderthalb Meter tiefer Vorraum entsteht. Dieser ist überdacht und öffnet sich durch einen weiten Segmentbogen mit seiner ganzen Breite zum davor liegenden Hof. Im Unterschied zu einem „klassischen“
īwān ist der līwān bei Häusern dieser Art in seinem rückwärtigen Bereich verschlossen, und der dahinter liegende
līwān-Raum öffnet sich auf den Vorraum durch eine mittig
angeordnete Tür flankiert von zwei Fenstern. Die beiden
flankierenden Räume sind jeweils durch eine Tür in den
Schmalseiten des Vorraums zu betreten. Auf den Seiten und
der Rückseite öffnen sich die Räume durch Fensterpaare.
Die so gebildete līwān-Raumgruppe war ein typisches Schema der ländlichen oder vorstädtischen Wohnhausarchitektur in der Küstenregion Beiruts im 19. Jahrhundert, und als
Schema wurde sie auch ab der Jahrhundertmitte en bloc in
den neueingeführten Mittelhallenhaustyp integriert.379
Beim Bayt Aoun-Karam erfolgte diese Integration nicht nur
als Bauschema; hier wurde ganz konkret eine bestehende
līwān-Raumgruppe zum Mittelhallenhaus ausgebaut. Im
Norden des Ursprungsbaus werden in einer ersten Ausbauphase beidseitig des Hofes weitere Räume errichtet: ein
großer Raum auf der Westseite (durch seine Mehrfacherschließung von außen und innen eindeutig als manzūl identifizierbar), und zwei kleinere Räume auf der Ostseite. Ihr
auf einer Linie verlaufender nördlicher Abschluss markiert
die neue Gebäudegrenze dieser Ausbaustufe. Der Hof wurde überdacht und damit zur Mittelhalle umgewandelt, deren
nördliche Stirnwand mit einer mittigen Tür, flankierenden
Fenstern und drei darüber angeordneten spitzbogigen Oberlichtern versehen ist. Ob dieser Ausbau mit einem Mal oder
in zwei Schritten stattfand, bleibt offen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass dieses dem Zeitgeschmack
folgende „Upgrading“ des līwān-Hauses zum Mittelhallenhaus mit großem manzūl und schlichter Dreibogenfassade in den 1870ern abgeschlossen gewesen sein muss.
167
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Denn das Obergeschoss, dessen Errichtung einer der nächsten Schritte war, weist bauliche Details auf, die eine Datierung um die 1870er nahe legen: Die rückwärtigen Raumecken der Mittelhalle in einem Winkel von 45 Grad abgeschrägt, und in diesem abgeschrägten Ecken befinden sich
die Türen zu den Eckräumen. Hier wurde offenkundig dem
Beispiel herrschaftlicher Mittelhallenhäuser nachgestrebt, die
in den 1860ern oder frühen 1870ern neu errichtet wurden und
vergleichbare oktogonale Mittelhallen haben (vgl. Haus der
Phalanges/ Qaṣr Malhamé, Kap. 3.6). Allerdings ist die Mittelhalle des Bayt Aoun-Karam nicht in Relation zu den umliegenden Räumen erhöht, wie das bei den Obergeschossen
herrschaftlicher Wohnhäuser der 1860er oder frühen 1870er
noch häufig der Fall war. Wir haben es hier mit einer einfacheren Ausführung zu tun, die einen in die gehobene Mittelschicht aufgestiegenen Bauherrn verrät, der sich die neuen
Häuser der Oberschicht zum Vorbild nahm, als er das Wohnhaus seiner Familie ausbaute. Bemerkenswerterweise hat das
Obergeschoss eine größere Geschossfläche als das Erdgeschoss – was dadurch ermöglicht wurde, dass seine südlichen
Teile auf steinernen Bogenkonstruktionen auflagern, die das
Erdgeschoss entlang der Grundstücksgrenze in der Art offener Arkaden umstellen (Abb. 162). Der līwān des Obergeschosses öffnet sich mit einer offenen Dreibogenarkade zur
Mittelhalle (ebenfalls ein Motiv aus herrschaftlichen Häusern jener Zeit), und ein großer manzūl – erkennbar an seiner Erschließung – korrespondiert in seiner Lage mit dem
des Erdgeschosses; er ist für den Besucher direkt vom Eingangskorridor zu betreten, der von der im Westen liegenden
Außentreppe (Abb. 163) zur Mittelhalle führt. Eine zweite
Tür verbindet den manzūl mit der Mittelhalle.
Auf der Nordseite des Hauses wurden zunächst auf Erdgeschossniveau weitere Anbauten errichtet, wiederum beidseitig eines offenen Hofes, welcher der Mittelhalle des Erdgeschosses vorgelagert ist. In einem zweiten Schritt wurden auch diese Anbauten aufgestockt. Die hier liegenden
Obergeschossräume sind über eine den Hof auf drei Seiten
umlaufende Bogengalerie mit dem Hauptbau verbunden.
Das Erdgeschoss dieser nördlichen Ergänzung wurde möglicherweise schon vor der Aufstockung des Hauptbaus errichtet; das Obergeschoss mit seiner Galerie hingegen datiert frühestens vom Ende des 19. Jahrhunderts, da die Galerie unter Verwendung von Eisenträgern errichtet wurde.
Und erst als diese Galerie errichtet war, wurde der Hauptbau mit dem heute vorhandenen Ziegelwalmdach versehen,
das den mittleren, entlang der Fassade des Hauptbaus laufenden Teil der Hofgalerie in das Volldach einbezieht. Die
Überdachung ist damit die letzte Ausbaustufe des wandel-
baren Bayt Aoun-Karam, des steinernen Zeugen einer wachsenden Familie, ihres wachsenden Wohlstands und ihres
unermüdlichen Bemühens, mit den Wohnmoden der tonangebenden Schichten Beiruts Schritt zu halten.
3.3 al-Madrasa al-Waṭaniyya
Dieses große, sehr herrschaftliche Haus [ZAB 313] liegt am
unteren Ende der Rue Boutros Boustany, Ecke Rue Kasti, am
östlichen Abhang des Hügels von Zokak el-Blat (Abb. 164).380
Der langgestreckte, zweigeschossige Hauptbau mit Ziegeldach erstreckt sich mit seiner südlichen Langseite entlang der
Rue Boutros Boustany und bildet mit einigen kleineren Nebengebäuden auf der West- und Nordseite des Grundstücks einen Komplex, der ab 1863 bis etwa zur Jahrhundertwende
als Schulhaus der Madrasa al-Waṭaniyya („die nationale/ patriotische Schule“) diente. Gegründet und geleitet vom prominenten nahḍa-Intellektuellen Buṭrus al-Bustānī, war diese Kolleg- und Internatsschule die erste von Einheimischen
geführte Schule in Beirut und Bilād aš-Šām mit modernen
Unterrichtsmethoden und einer – im Unterschied zu den europäischen Missionsschulen – betont nicht-konfessionellen
Ausrichtung. Das Haus war eine Denkfabrik und Ausbildungszentrum der arabischen nahḍa-Bewegung und zog
Schüler aus dem gesamten osmanischen Reich an.381
Heute steht das Gebäude leer, nachdem es bis vor wenigen
Jahren von Kriegsflüchtlingen bewohnt wurde. Es ist in vielen Teilen einsturzgefährdet, viele Decken sind eingefallen,
und es verfällt weiterhin zusehends (Abb. 165, 166). Seine
Vergangenheit als Hort der arabischen nahḍa des 19. Jahrhunderts ist völlig in Vergessenheit geraten; die Vorgeschichte
des Hauses – d.h. bevor es zur Schule wurde – liegt noch mehr
im Dunkeln. Es sind bislang keine Quellen bekannt, die aus-
168
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 164
Lageplan alMadrasa alWaṭaniyya (o.
M., Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
II.3.3 al-Madrasa al-Wat.aniyya
Abb. 165
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Aufsicht von Südwesten.
drücklich sagen, von wem al-Bustānī dieses Gebäude – das
offenkundig ursprünglich ein herrschaftliches Wohnhaus war
– übernahm bzw. anmietete. Es gibt allerdings Hinweise, die
den vorsichtigen Schluss zulassen, dass das Haus ursprünglich
der sunnitischen Notablenfamilie Hamadé gehört haben könnte – genauer, dem aus Ägypten zugewanderten Gründervater
des Beiruter Zweiges dieser Familie, ʿAbd al-Fattāḥ Aġā
Ḥamāda.382 Denn es ist einerseits überliefert, dass die protestantischen Missionare, die 1866 das Syrian Protestant College (SPC) in Beirut gründeten, ihren Unterricht anfänglich im
Hause ʿAbd al-Fattāḥ Aġā Ḥamādas in Zokak el-Blat abhielten, bevor sie 1871 ihren eigenen Campus im Westen Beiruts
eröffneten (den heutigen AUB-Campus). Aus anderer Quelle ist überliefert, dass die Missionare ihren Unterricht zu Anfang „in einem kleinen, mit der Madrasa al-Waṭaniyya verbundenen Gebäude“ abhielten.383 Vielleicht sind in diesen bei-
den Berichten zwei verschiedene Gebäude und Gründungsphasen gemeint, aber möglicherweise handelt es sich um zwei
unterschiedliche Bezeichnungen für ein und denselben größeren Gebäudekomplex. Jedenfalls sprechen die für damalige Beiruter Verhältnisse außergewöhnliche Größe, die Anlage und der noch erhaltene Baudekor des Gebäudes dafür, dass
dieses Haus ursprünglich als Residenz einer herausragenden
Persönlichkeit im politischen und gesellschaftlichen Leben
der Stadt errichtet worden sein muss. ʿAbd al-Fattāḥ Aġā
Ḥamāda, einer der wichtigsten Politiker der Stadt von den
1830ern bis zu seinem Tod 1858, würde diese Voraussetzung
erfüllen. Sein Todesjahr wäre auch eine mögliche Erklärung
dafür, dass dieses repräsentative Wohnhaus schon 1863 zur
Schule umgenutzt werden konnte, während die Nachkommen in andere Wohnhäuser umgezogen waren, von denen die
Familie Hamadé in der weiteren Nachbarschaft im späteren 19.
169
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 166
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Ansicht von Südwesten.
Abb. 167
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Galerie auf der Nordseite. Eine erkennbare horizontale Baufuge zwischen dem Erdgeschoss und
dem Obergeschoss weist auf eine Aufstockung hin.
Jahrhundert mehrere besaß. Zum Zeitpunkt der Übernahme
durch die Schule war das Haus gewiss kein Neubau.
Aus chronologischen Gründen und aufgrund baulicher
Merkmale lässt sich das Haus – jedenfalls sein Obergeschoss – ungefähr in die Mitte des 19. Jahrhunderts datieren. Dabei weisen Baufugen darauf hin, dass das Gebäude
in seiner heutigen Form schrittweise ausgebaut und in Teilen umbaut wurde, und dass große Teile des sehr schlichten, niedrigen und nicht gewölbten Erdgeschosses älter sind
als das Obergeschoss (Abb. 167).
Das Obergeschoss (Plan 3.3) lässt sich als das eigentliche
Wohngeschoss und repräsentative Hauptgeschoss identifizieren. Sein entscheidendes Merkmal ist, dass es keinen Mittelhallengrundriss im eigentlichen Sinne hat, sondern im Kern
aus drei parallel nebeneinander liegenden, hallenartigen Räumen besteht, von denen jeder auf halber Länge durch eine
Dreibogenstellung unterteilt ist. Die Bögen sind mit einem in
dieser Form seltenen, sägezahnartigen Zackenschnitt dekoriert (Abb. 169).384 Auf der Nordseite öffnen sich alle drei Hallen jeweils mit einer Tür, zwei flankierenden Fenstern und
drei axial darüber positionierten gestelzten Spitzbögen auf eine vorgelagerte, sehr imposante offene Bogengalerie (Abb.
168). Diese breite Galerie oder Loggia mit ihren Arkaden aus
schlanken Säulen und flachen Spitzbögen ist das zentrale Gestaltungselement der nördlichen Hauptfassade des Hauses.
Das wird zusätzlich betont durch die äußerst dekorative Ausführung der Bögen als Zacken- oder Vielpassbögen, deren
eng gesetzten Nasen in Fleurs-de-Lys-Form gestaltet sind.
Beidseitig ist die Galerie von zwei vorspringenden Gebäudeteilen eingefasst, von denen der westliche bei der Bauaufnahme nicht begehbar war, der östliche hingegen noch einmal einen großen, mit einer Dreibogenstellung unterteilten
Raum aufweist. Zwei kleinere Räume und ein Treppenhaus
schließen den Bau im Osten ab. Im Süden, am rückwärtigen
Ende der drei zentralen Hallen, schließt sich eine līwān-Raumgruppe an (vgl. Kap. 3.2: Bayt Aoun-Karam).
Die historische Erschließungsstruktur ist wegen der komplexen Baugeschichte des Hauses heute nicht mehr sicher nachzuvollziehen. Es lässt sich aber immerhin feststellen, dass der
Zugang zum Hauptgeschoss nicht über die Galerie von Norden her stattfand, auch wenn dies wegen der auf die Galerie
gehenden Türen der anliegenden Räume eigentlich zu erwarten wäre. Es lässt sich aber kein Treppenaufgang oder direkter Außenzugang auf die Galerie nachweisen. Der Zugang
zum Hauptgeschoss war möglicherweise schon immer von
der Straße im Süden her, wo noch heute eine steinerne Treppe hinaufführt in den westlichen Eckraum der līwān-Raumgruppe und von dort in die mittlere der drei Hallen; oder al-
170
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.3 al-Madrasa al-Wat.aniyya
Abb. 168
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Galerie auf der Nordseite, Detail.
Abb. 169
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Blick von der Galerie in die mittlere
Halle. Über den Bögen mit Zackenschnitt befinden sich die stark
zerstörten Überreste einer Wandmalerei mit Bosporuslandschaft.
ternativ von der Ostseite her, wo sich ein Treppenhaus mit
Außenzugang und weitere Räume befinden. Dabei ist einschränkend zu sagen, dass dieser östliche Flügel wegen einer erkennbaren Baufuge sicher als späterer Anbau anzusprechen ist, welcher allerdings schon in den 1860ern errichtet
worden sein kann; was hier vorher war, ist nicht bekannt.
Besonders anzumerken ist auch, dass die mittlere der drei
parallelen Hallen, in die der südliche Zugangsweg führt, keinerlei seitliche Türen zu den Nachbarhallen hat – und damit
keine zentrale Verteilerfunktion erfüllt. Die westliche Nachbarhalle ist ausschließlich von Norden über der Galerie zu
betreten. Die östliche Nachbarhalle hat ebenfalls ihren Eingang von der Galerie, darüber hinaus jedoch auch zwei Türen zum östlichen Gebäudeflügel und eine Tür zum östlichen Eckraum der līwān-Raumgruppe – und von dort in die
mittig gelegene Halle. Ob diese zusätzlichen Türen allerdings bauzeitlich sind, ist ungeklärt.
Die Galerie erfüllte hier also eine wichtige Verteilerfunktion
in der Art eines äußeren Erschließungskorridors, und die drei
Hallen wirken wie separate, gleichartige und multifunktionale Raumeinheiten, die möglicherweise als eigenständige
Apartments für verschiedene Teile des Haushalts angelegt
waren (und sich daher auch später gut für separate Klassenzimmer eigneten). Allerdings erhält die mittlere Halle wegen
der mit ihr verbundenen līwān-Raumgruppe im Süden und
ihrer Durchgangsfunktion eine besondere Stellung. Hier war
möglicherweise der Empfangsbereich lokalisiert.
Im vorderen, galerieseitigen Teil dieser Halle und an der westlichen Schmalseite der Galerie sind Überreste von Wanddekorationen erhalten, die unsere Aufmerksamkeit verdienen:
Die oberen Wandbereiche sind mit großflächigen, auf den
Putz aufgebrachten Landschaftsmalereien versehen, die bei
näherer Betrachtung trotz ihres stark verblassten und verwitterten Zustands noch Wasserflächen, Uferkonturen, Hügel,
171
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in seiner räumlichen Anlage und Erschließungsstruktur andere
Wege ging. Falls es in Beirut weitere Häuser dieses Typs gegeben hat, so sind sie – bis auf eine mögliche Ausnahme –
heute nicht mehr erhalten (Abb. 19).387 Dieser Haustyp stellt
eine weitere Innovation in der herrschaftlichen Beiruter
Wohnhausarchitektur dar, die etwa in dieselbe Zeit des sozialen und kulturellen Umbruchs datiert wie die das erste Erscheinen der Mittelhallenhäuser, aber schon bald wieder verschwand. Dieser Typ wurde offenbar vom erfolgreicheren
Mittelhallentyp verdrängt.
3.4 Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
Abb. 170
al-Madrasa al-Waṭaniyya, Detail einer dekorierten Holzbalkendecke in der östlichen Halle.
Häuser, Zypressen und andere Bäume erkennen lassen, und
von gemalten, drapierten Vorhängen gerahmt sind (Abb. 169).
Dies sind Bosporuslandschaften, wie sie typisch für den sogenannten Istanbūlī-Stil sind. Solche direkt auf den Putz aufgebrachten Landschaftsmalereien gehen auf Istanbuler Vorbilder des 18. Jahrhunderts zurück, und lassen sich seit den
1830ern und 1840ern auch in herrschaftlichen Damaszener
Häusern nachweisen.385 In Ägypten lassen sie sich ab dem
ausgehenden 18. Jahrhundert beobachten und finden während der Regierungszeit des Muḥammad ʿAlī Pascha (1805–
1848) in zahlreichen Palastneubauten in Kairo und Alexandria noch größere Verbreitung. Die durch Feuchtigkeit und
Verwitterung stark zerstörten Wandmalereien in der Madrasa al-Watạniyya sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand die
einzigen erhaltenen Beispiele dieser Art in Beirut. Sie sprechen für den hohen sozialen Status des Erbauers dieses Hauses und für seine Orientierung am Geschmack und der Wohnkultur der osmanischen Eliten im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts.
Eine Diskussion der Typologie dieses Hauses, das wegen seiner Bogengalerie entsprechend der Terminologie Friedrich
Ragettes am ehesten zum Typ der Galerie- oder riwāq-Häuser gezählt werden könnte und außerdem Verwandtschaft mit
dem Typ des türkischen hayat-Hauses zeigt, muss hier beiseite
gelassen werden.386 Entscheidend ist, dass wir es mit einem
herrschaftlichen Beiruter Haus der Jahrhundertmitte zu tun
haben, das viele architektonische Elemente mit den damals
aufkommenden Mittelhallenhäusern gemeinsam hat, diese
Elemente jedoch räumlich anders kombinierte und letztlich
Der Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum (Bayhum) [MH 1042] liegt in
der Rue Omar Daouk im Quartier Zeitouni, 400 Meter westlich von Bab Idriss und der ehemaligen Altstadt, gleich gegenüber dem Starco-Center (Abb. 171). Dieser Bereich gehört heute zum Solidere-Gebiet, und das im Bürgerkrieg
stark beschädigte Haus ist in den vergangenen Jahren einer
wenig denkmalgerechten Runderneuerung im Inneren und
Äußeren zum Opfer gefallen, die zwar immer noch nicht
abgeschlossen ist, aber jede bauhistorische Untersuchung
fruchtlos macht. Der eigentliche, historische Qaṣr ʿAbdallāh
Beyhum muss als weitgehend abgängig betrachtet werden.
Das auf die Zeit um 1850 zu datierende Haus ging in der
Mandatszeit in den Besitz des französischen Staates über und
wurde damals zunächst als Altenheim, dann als Militärwohnheim genutzt. Nach dem Abzug der französischen Truppen 1946 bis zum ersten Bürgerkriegsjahr 1975 diente es dem
Institut Français d’Archéologie als Institutsgebäude.388 Im
Krieg wurde es geräumt und beschädigt, nach dem Krieg
ging es in den Besitz der Wiederaufbaugesellschaft Solidere
über. Schon Anfang der 1960er wurde es von der APSAD
172
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 171
Lageplan Qaṣr
ʿAbdallāh
Beyhum (o.
M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
II.3.4 Qas.r ʿAbdalla-h Beyhum
Abb. 172
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Ansicht von Nordwesten. Aufnahme aus den 1950ern.
dokumentiert, und deren Planskizze des Obergeschosses dient
hier hauptsächlich als Grundlage (Plan 3.4).
Die Katastereinheit MH 1042 bestand eigentlich aus zwei
Wand-an-Wand stehenden Häusern auf demselben Grundstück, deren Nutzungszusammenhang jedoch unbekannt ist:
ein großes zweigeschossiges Mittelhallenhaus im Westen (der
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum) und ein kleineres zweigeschossiges
Mittelhallenhaus, das etwas zurückversetzt an dessen Ostseite steht und etwas jüngeren Baudatums als das erste ist. Es ist
vorstellbar, dass das kleinere Haus ebenfalls von Angehörigen
der Beyhum-Familie erbaut und bewohnt wurde, es ist aber
auch denkbar, dass es als eine Art separates Gästehaus diente.
Die Errichtung des Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum lässt sich auf die
Zeit um oder kurz nach 1850 datieren. Sein Bauherr und Namensgeber, al-Ḥaǧǧ ʿAbdallāh Yūsuf Beyhum al-ʿĪtānī, gehörte zu den prominentesten sunnitischen Kaufleuten – oder
„merchant notables“ – Beiruts des mittleren 19. Jahrhunderts.
Die Beyhums waren ein Zweig der alteingesessenen sunni-
tischen Familie al-ʿĪtānī und waren seit dem frühen 19. Jahrhundert durch ihre erfolgreichen kaufmännischen Tätigkeiten im sich ausweitenden Import-Export-Handel zwischen
Syrien und Europa auf das engste mit dem wirtschaftlichen
Aufstieg Beiruts verbunden. Durch die Ausübung von öffentlichen Ämtern und eine sprichwörtliche Wohltätigkeit
waren die Beyhums außerdem in die Schicht der Notabeln
(aʿyān) aufgestiegen, und in ihren Häusern verkehrte jeder, der
in Beirut Rang und Namen hatte. Sie können als die wohl
mächtigste Beiruter Familie des 19. Jahrhunderts gelten.
ʿAbdallāh Beyhum – geboren im frühen 19. Jahrhundert, gestorben 1882 – übernahm schon früh Verantwortung im Großhandelsgeschäft seines Vaters und seines Onkels und machte
sein Vermögen im Handel mit Stoffen, Baumwolle, Seide,
Getreide u. a. m., insbesondere mit europäischen Ländern. Er
erwarb sich aber auch einen Namen als geschickter und gerechter Vermittler in kaufmännischen Rechtsstreitigkeiten und
erfüllte eine Reihe öffentlicher Ämter. In seinem eigenen, von
173
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
ihm erbauten Haus im Westen von Bab Idriss empfing er fast
täglich eine größere Zahl von Gästen und logierte außerdem
regelmäßig Herrschaften, Staatsgäste und hohen Besuch von
innerhalb und außerhalb des osmanischen Reiches. Noch heute ist das Haus berühmt als zeitweilige Unterkunft des Emirs
ʿAbd al-Qādir al-Ǧazā’irī (1808–1883), des langjährigen Führers des algerischen Widerstandes gegen die französische Besatzung von den frühen 1830ern bis 1847, der auf seinem Weg
ins Damaszener Exil im Jahr 1855 einen längeren Zwischenaufenthalt in Beirut einlegte und dort von ʿAbdallāh Beyhum
großzügig aufgenommen und beherbergt wurde.389
Das Haus, das sich ʿAbdallāh Beyhum in der Mitte des 19.
Jahrhunderts errichten ließ, hat zwei Geschosse mit Mittelhallengrundrissen und kann als eines der frühesten uns bekannten und noch erhaltenen Mittelhallenhäuser Beiruts gelten (Abb. 172, 173). Gleichzeitig ist es auch das größte und
herrschaftlichste unter diesen frühen Beispielen.390 Dies ist
besonders hervorzuheben angesichts der Tatsache, dass es
sich um das Haus eines sunnitischen Muslimen handelt, während in der Literatur häufig die als europafreundlich beschriebenen Christen als die Trendsetter bei der Einführung
des Mittelhallenhauses in Beirut dargestellt werden. Das Erdgeschoss ist – wie beim Bayt Saadé, das etwa aus der glei-
Abb. 173
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Aufsicht von Nordosten aus den
1960ern. Vor dem Nachbarhaus links ist die ins Obergeschoss
führende Außentreppe zu erkennen.
chen Zeit stammt – gänzlich in Gewölbebauweise errichtet,
mit einem enormen Tonnengewölbe für die Mittelhalle (Abb.
174) und kombinierten Halbtonnen- und Stichgewölben für die
seitlich und rückwärtig anschließenden Räume. Das Obergeschoss ist in dem üblichen, 30 cm starken Beiruter Sandsteinmauerwerk ausgeführt und wurde wahrscheinlich etwas
später als das Erdgeschoss errichtet. Wie es bei den Obergeschossen der frühen Mittelhallenhäuser bis um 1870 typisch
war, überragt die Mittelhalle die umliegenden Räume und ist
mit einem ziegelgedeckten Satteldach überdacht, während die
übrigen Räume mit Flachdächern versehen sind. Die Mittelhallen beider Geschosse öffnen sich in der nach Norden zur
Straße gehenden Hauptfassade des Hauses mit großen Dreibogenstellungen. Die Bögen des Obergeschosses sind – wie
bei der Madrasa al-Waṭaniyya – mit einem Fleurs-de-Lys-Dekor dekoriert, wie es in den 1850ern und 1860ern bei herrschaftlichen Beiruter Häusern beliebt war. Die kubische Form
des Hauses, das Flachdach mit dem ziegelgedeckten Satteldach der Mittelhalle, die horizontalen, bei aufgeklappten Fensterläden fast durchgehend wirkenden Reihen eng beieinander stehender Fenster (hier noch nicht mit Lamellenläden,
sondern geschlossenen Holzpaneel-Läden) und die hohen,
über den Fensterreihen aufgehenden Wandflächen, die nur
durch kleine Okuli (qamariyyen) durchbrochen sind und schon
von außen die enormen Raumhöhen erraten lassen, all dies
verleiht dem Haus das typisch imposante, an türkisch-osmanische Konaks erinnernde Aussehen der Beiruter Oberschichthäuser des mittleren 19. Jahrhunderts. Gegenüber den
wuchtig und dunkel wirkenden Gewölberäumen des Erdgeschosses – das ja auch ein Wohngeschoss war – hatte das Obergeschoss mit seinen hohen Holzbalkendecken, der farbigen
Verglasung des Dreibogenfensters (Abb. 175) und den schwarzen Einlegearbeiten im weißen Marmor der Böden und Wandsockel sehr viel leichtere, luftigere Atmosphäre.391
Die Frage, ob die beiden Geschosse zusammenhängend bewohnt wurden, lässt sich für die Anfangszeit nicht sicher beantworten. Erschlossen ist das Obergeschoss über eine Außentreppe auf der Ostseite des Hauses (zu erkennen in Abb.
173), deren oberer Teil innerhalb des Gebäudes weitergeführt ist, wo sie seitlich auf die Mittelhalle stößt. Damit sind
die Geschosse in ihrer Erschließung deutlich separiert. Auch
ist dokumentiert, dass das Haus – vermutlich, wie in solchen Fällen meist üblich, das Erdgeschoss – schon 1876 als
russisches Konsulat diente.392 Es lässt sich schließen, dass
ʿAbdallāh Beyhum mit seiner Familie hauptsächlich das
Obergeschoss bewohnte – wenn nicht von Anfang an, so
doch zumindest in dem Jahrzehnt vor seinem Tod 1882. Diese Nutzungsaufteilung – Vermietung des unteren Geschos-
174
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.4 Qas.r ʿAbdalla-h Beyhum
Abb. 175
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Dreibogenarkade des Obergeschosses von innen, Aufnahme aus den 1950ern. Die Verglasung
(im Original farbig) weist das typisch arabeske Sprossenwerk
der 1850er und 1860er auf, mit Zypressen- und Kelchmotiven.
Abb. 174
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Blick in die tonnengewölbte Mittelhalle des Erdgeschosses. Aufnahme von ca. 1946–48, als die
Bibliothek des Institut français d’archéologie gerade in den
Räumen eingerichtet worden war.
ses, Weiterwohnen im oberen Geschoss – lässt sich auch bei
anderen herrschaftlichen Mittelhallenhäusern jener Zeit finden (vgl. Ḥārat Yūsuf Geday, Kap. 3.5).
Der Grundriss des Obergeschosses lässt sich grob in vier Bereiche aufteilen: erstens die Mittelhalle als repräsentativer
Empfangssaal mit zentraler Verteilerfunktion; zweitens zwei
große, nach Norden liegende Seitensäle und ein oder zwei
Räume auf der Westseite, die wegen ihrer Lage und Größe
als Empfangs- und Hauptwohnräume angesprochen werden
können; drittens nach Süden und Südwesten liegende kleinere Räume, die vermutlich als Privat- und Schlafzimmer
dienten; und viertens der Wirtschaftsbereich im Südosten.393
Auf zwei Merkmale ist besonders hinzuweisen: Das Haus hat
– jedenfalls im Obergeschoss –interessanterweise keinen
līwān, keine līwān-Raumgruppe in der südlichen Verlängerung der Mittelhalle, weshalb es auch keinen Risalit auf der
Südseite aufweist. Stattdessen wird der südliche Abschluss
durch eine Reihe von vier nebeneinander liegenden, relativ
kleinen Räumen gebildet, deren zwei mittlere direkt von der
Mittelhalle, und deren zwei äußere über von der Mittelhalle abgehende Stichkorridore zu betreten sind. Dass der līwān hier
fehlt, zeigt, dass dieses für Beiruter Mittelhallenhäuser später so typische Element nicht von Anfang an selbstverständlicher Teil des neu eingeführten Grundrisstyps war, sondern
erst sich erst später als ein Standardbestandteil durchsetzte.
Da wir es hier mit einem sehr frühen Mittelhallenhaus zu tun
haben, kann dies auch als wichtiges Indiz dafür verstanden
werden, dass das U-förmige līwān-Haus nicht der genealogische Ursprung des Beiruter Mittelhallenhauses war, wie May
Davie argumentiert hat, sondern dass der Grundrisstyp als
neues, repräsentatives Wohnmodell von osmanischen Vorbildern übernommen wurde und zunächst in unterschiedlichen
Variationen „ausprobiert“ wurde.394 Die Überdachung des Hofes von U-förmigen līwān-Häusern war dabei nur eine von
mehreren möglichen Vorgehensweisen, um dieses Modell an
schon bestehenden Häusern nachzubilden. Das Ergebnis – die
Kombination der Mittelhalle mit einem rückwärtigen līwān
flankiert von murabbaʿs – erwies sich offenbar für die Beiruter attraktiver als die Lösung, die im Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
gewählt wurde, und führte dazu, dass sich diese Kombination
recht schnell als Standardmodell für Neubauten durchsetzte.
Aber der Erfolg dieser Kombination hängt möglicherweise
175
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
auch mit der Tatsache zusammen, dass auch bei türkisch-osmanischen Sofa-Häusern eine eyvan genannte, zur sofa hin
offene Sitznische typisch war, die auch hier von murabbaʿähnlichen Räumen flankiert war, und darüber hinaus häufig
von zwei eingestellten Säulen optisch von der sofa abgetrennt
war.395 Die nachhaltige Wirksamkeit dieses Einflusses zeigt
sich ebenfalls darin, dass die häufig abgeschrägten Ecken der
sofas als Motiv schon in den 1860ern auch in die Mittelhallen
herrschaftlicher Beiruter Häuser zu finden sind, und zur gleichen Zeit auch zur Mittelhalle hin offene līwāne mit Dreibogenstellungen anzutreffen sind. Das Beiruter Mittelhallenhaus
entwickelte sich in einem komplexen Zusammenspiel zwischen lokalen architektonischen Traditionen und Innovationen einerseits und den überregional wirkenden Einflüssen der
Wohnhausarchitektur der osmanischen Eliten andererseits.
Die äußeren Einflüsse waren – wie Maurice Cerasi argumentiert – auch und besonders deswegen so erfolgreich, weil sie
auf lokale Gegebenheiten trafen, in die sie sich reibungslos
und vorteilhaft einfügen konnten.396
Als ein zweites wichtiges Merkmal des Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum ist zu beobachten, dass das Haus über Seitensäle verfügt, also zwei die Mittelhalle am vorderen Ende flankierende, sehr große Räume. Das Motiv ist schon deutlich ausgeprägt und kann seinerseits als Übernahme eines typischen
Schemas des „Istanbuler“ Modells verstanden werden, wo
häufig zwei große Räume – einer davon der Hauptempfangsraum (genannt baş oda oder selamlik odası) – beidseitig der Halle auf der Vorderseite des Hauses liegen.397 Als repräsentative Hauptempfangs- und Hauptwohnräume sind
diese Räume beim Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum auch anhand der
großen Zahl von relativ eng gesetzten Fenstern zu erkennen,
die in Beirut für Räume dieser Funktion in der Mitte und der
frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr typisch war
und ebenfalls – zumindest teilweise – auf die Istanbuler Vorbilder als eine Inspirationsquelle verweisen.
Der östliche der beiden Seitensäle ist sowohl von der Mittelhalle wie auch vom Treppenaufgang her erschlossen und
lässt sich dadurch als der manzūl dieses Geschosses identifizieren. Der gegenüberliegende westliche Seitensaal ist
von der Mittelhalle zu betreten, hat jedoch eine zweite Tür
zum südlichen Nachbarraum. Falls diese Tür bauzeitlich
ist, kann sie als von der Mittelhalle unabhängige Zugangsund Rückzugsmöglichkeit verstanden werden, die besseren Schutz vor den Blicken Familienfremder bot und daher
dem besonderen Schutz der Privatsphäre der Familie und
besonders der Frauen gedient haben mag (siehe dazu Teil
III, Kap. 3.2).398 Dieser westliche Seitensaal diente höchstwahrscheinlich als der Hauptwohnraum der Familie.
Die repräsentativen Empfangs- und Wohnräume des Geschosses liegen somit sämtlich im nördlichen Bereich. Sie waren – dem damaligen Geschmack entsprechend – sehr wahrscheinlich mit großen, an den Wänden entlang der Fenster
umlaufenden Diwanen ausgestattet (siehe dazu Teil III, Kap.
1). Im Süden hingegen liegen kleinere Räume, die sicherlich
privateren Charakter hatten und als Rückzugsräume für die
Familien- und Haushaltsangehörigen gedient haben mögen;
ob sie zur Erbauungszeit des Hauses wirklich schon Schlafzimmer im eigentlichen Sinne waren, ist fraglich. In einem
herrschaftlichen Haus wie diesem gab es möglicherweise
schon Bettgestelle; aber dies kann nicht als sicher gelten, und
das Schlafen mag noch in traditioneller Weise auf Matten und
Matratzen stattgefunden haben, die abends ausgelegt und morgens wieder fortgeräumt wurden. Dies konnte, je nach Bedarf,
in jedem Raum geschehen. Eine funktionale Spezialisierung
der Räume in dieser Form ist in der Grundriss- und Erschließungsstruktur des Hauses noch nicht deutlich angelegt.
Als letzter Punkt ist zu beobachten, dass die Erschließung
des Wirtschaftsbereich des Geschosses von außen über die
Haupteingangstreppe erfolgt, von wo eine eigene Tür in
den Wirtschaftsteil abgeht, ohne dass die Mittelhalle betreten werden muss. Im Ansatz ist also eine separate Erschließung gewährleistet. Ob alle in dem Grundriss der
APSAD als Wirtschaftsräume gekennzeichneten Räume
auch historisch schon als solche genutzt wurden, muss offen bleiben. Zwei kleine Kammern, im APSAD-Plan ohne
Türen dargestellt, sind vermutlich die Toilette und das kleine häusliche Badezimmer, die auch hier Teil des Wirtschaftsbereiches sind.
3.5 Ḥārat Yūsuf Geday
In seiner Glanzzeit galt das Haus von Yūsuf Dīmitrī Geday
(Ǧuday) in den Worten des Zeitgenossen und Nahda-Intellektuellen Ibrāhīm al-Yāziǧīs als „das schönste Haus in den
syrischen Ländern“.399 Das Haus, das in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts eines der prominentesten LandmarkGebäude Beiruts war, steht allerdings längst nicht mehr. Die
Bewunderung, die das Haus erweckte, trug aber dazu bei,
dass seine Existenz und sein Aussehen uns aus schriftlichen
Quellen, historischen Photos und Zeichnungen überliefert
ist. Es existiert jedoch keine Grundrisszeichnung zu diesem
Haus. Eine Beschreibung, die der spanische Reisende Don
Alfonso de Mentaberry von seinem Besuch bei Yūsuf Geday
im Jahr 1866 hinterlassen hat, wird in Teil III dieser Arbeit
mehrfach behandelt.400 Daher soll hier nur sehr kurz einiges
Grundsätzliches zu dem Haus gesagt werden.401
176
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.5 Ha-rat Yu-suf Geday
˙
Das herrschaftliche Wohnhaus Geday wurde im späten 19.
Jahrhundert von Beirutern noch als Ḥārat Geday bezeichnet.402 Michel Feghali hatte den Begriff ḥāra ja noch in den
1920ern allgemein für die villenartigen Häuser in Beirut
und den libanesischen Bergen verwendet. Das Haus Geday ist bislang das einzige Haus, für das wir diesen Begriff
im konkreten Einzelfall überliefert finden. Deutlich wird
hier aber, dass sich die Bezeichnung qaṣr für solche Häuser offenbar erst später durchsetzte. Die Ḥārat Geday stand
in Zokak el-Blat – dort, wo sich heute die Schule der Sœurs de Saint-Joseph de l’Apparition befindet, auf einem
großen Gartengrundstück [ZAB 587], das an die Rue Boutros Boustany, die Rue Abdel-Kader und Rue du Patriarcat grenzt (Abb. 176). Es war ein zweigeschossiges Mittelhallenhaus mit einem eingeschossigen Wirtschaftsannex im Osten. Das Erdgeschoss war eindeutig älter als das
Obergeschoss und stammte wahrscheinlich aus den
1850ern, während das Obergeschoss Anfang der 1860er
errichtet wurde: Ein Gedicht, das Nāṣīf al-Yāziǧī zur Einweihung des Hauses – genauer: des Obergeschosses – verfasste, ist auf 1862 datiert. Ein historisches Photo, das das
Haus im vollendeten Zustand zeigt, ist auf 1864 datiert
(Abb. 177, 178).403
Abb. 176
Lageplan Ḥārat Yūsuf Geday (o. M., Grundlage: Plan de
Beyrouth im Maßstab 1:5.000, Blatt „Le Port“, 1920).
Beide Geschosse waren vollwertige Wohngeschosse mit
Mittelhallengrundriss. Die Mittelhalle im Erdgeschoss lag
hinter einer offenen, loggiaartigen Vorhalle (riwāq) in der
nördlichen Hauptfassade, deren Dreibogenstellung mit
Fleurs-de-Lys-Dekor in den Bögen und zusätzlich mit zy-
Abb. 177
Ḥārat Yūsuf Geday, Ansicht von Nordwesten aus dem Jahr 1864.
177
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
pressenförmigen Öffnungen in den Zwickeln geschmückt
war (Abb. 179). Auf diese Vorhalle öffnete sich die Mittelhalle durch eine mittlere Tür mit flankierenden Fenstern und
einem darüber positionierten, großen Rundbogenfenster. Die
beidseitig liegenden Seitensäle öffneten sich ebenfalls jeweils mit einer Tür-Fenster-Kombination auf die Vorhalle,
worin sichtbar wird, dass die offene Vorhalle eine wichtige
Verteilerfunktion für die Erschließung des Erdgeschosses
von außen erfüllte. Auf der Westseite hatte das Erdgeschoss
eine offene fünfbogige Arkade, in deren Rückwand sich
Fenster, eine Tür und eine Anzahl Oberlichter öffneten.
Das Obergeschoss war über eine auf der Ostseite des Hauses liegende Außentreppe zu erreichen. Das augenfälligste
Element war die große, die gesamte Nordfassade einnehmende offene Galerie mit Reihen dekorativ gestaffelter Bögen auf schlanken Marmorsäulen. Laut Mentaberry war diese Galerie mit Diwanen ausgestattet und mit prachtvollen
Teppichen auf dem Marmorboden ausgelegt. Marmor-Einlegearbeiten schmückten die Brüstung; die Decke war mit
„Fresken“ bemalt und mit Spiegeln eingelegt.404 In der rückwärtigen Wand dieser Galerie öffnete sich die Dreibogenarkade der Mittelhalle und beidseitig flankierend je zwei
Fenster und zwei Türen, abwechselnd angeordnet. Hier gab
es also scheinbar keine Seitensäle in der Art, wie wir sie in
den vorangehend beschriebenen Mittelhallenhäusern gesehen haben, sondern insgesamt vier Räume mit auf die Galerie
gehenden Türen. Auf der West- und der Ostseite des Obergeschosses lagen – erkennbar an den hochrechteckigen Fenstern und den versetzt darüber angeordneten Okuli – jeweils
drei Räume. Zwischen diesen Räumen, genau in der Mitte
der Fassade, befand sich jeweils eine Loggia, die sich durch
einen einzelnen großen Spitzbogen nach außen öffnete. Auf
der Ostseite fungierte diese Loggia als eine Art offene Vorhalle am oberen Ende des Treppenaufgangs. Wie in der historischen Zeichnung (Abb. 178) zu erkennen ist, gaben dort
mehrere Türen (mindestens zwei, vermutlich drei) Zutritt in
verschiedene Bereiche des Hauses. Die Erschließung des
Obergeschosses ähnelte demnach der im Qaṣr ʿAbdallāh
Beyhum.
Die Mittelhalle überragte die umliegenden Räume deutlich
und war im oberen Bereich mit einer umlaufenden Reihe
achtpassförmiger Okuli für zusätzliche Belichtung versehen. Das Haus hatte ein zweiteiliges Ziegeldach: ein Walmdach über der Mittelhalle, und ein umlaufendes Pultdach,
das die umliegenden Teile bedeckte. Im Inneren der Mittelhalle des Obergeschosses zierten Segensverse, von Nāṣīf
Abb. 178
Ḥārat Yūsuf Geday, Ansicht
von Nordosten, in einer
Zeichnung vom Anfang der
1860er. Links im Bild sichtbar: der Küchenannex des
Erdgeschosses und die Außentreppe zum Obergeschoss.
178
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.6 Haus der Phalanges/Qas.r Malhamé
al-Yāziǧī verfasst, als kalligraphisches Band mit goldenen
Lettern den oberen Wandbereich.405
Hinsichtlich der räumlichen Organisation des Hausinneren
ist nichts Genaues zu sagen. Immerhin wissen wir aus der
zufällig erhaltenen Abschrift eines Mietvertrages aus dem
Jahr 1867, dass das Erdgeschoss „sept chambres, une cour,
une cuisine et ses dépendances“ (also sieben Zimmer, eine
dār, eine Küche und ihre Nebenräume) umfasste.406 Der
Grundriss des Obergeschosses unterschied sich offenkundig
von dem des Erdgeschosses, und beide Geschosse wurden
als separate Wohneinheiten genutzt.
Soweit sich rekonstruieren lässt, wohnte Yūsuf Geday – ein
reicher Seidenhändler und Bankier griechisch-katholischer
Konfession, der als zweimaliges Mitglied des Beiruter Stadtrats (1876–77 und 1882–89) auch politisch tätig war – hauptsächlich im Obergeschoss seines herrschaftlichen Anwesens, von dessen Galerie aus er ganz Beirut und sein Umland überblickte.407 Das Erdgeschoss hatte er schon 1860
(also vor der Fertigstellung des Obergeschosses) an das französische Konsulat vermietet, und 1867–68 an den Briten
John Wilson. Anschließend diente das Erdgeschoss als Winterresidenz von Franko Pascha, mutaṣarrif des Ǧabal Lubnān
von 1868 bis 1873. Ein zweiter mutaṣarrif jedoch, Wāṣā Pascha (im Amt 1883 bis 1892), residierte der Überlieferung
nach im Obergeschoss. Yūsuf Geday musste demnach zu
jener Zeit die Wohnung gewechselt haben – wohin, ist allerdings nicht bekannt. Die spätere Nutzung des Hauses ist
ebenfalls unbekannt. Um 1920 jedenfalls war das Gebäude
von der benachbarten Schule der Sœurs de Saint-Joseph de
l’Apparition übernommen worden und wurde bald darauf
abgerissen, um neuen Schulgebäuden Platz zu machen.
Die Beschreibungen, die Mentaberry vom Inneren und der Galerie des Hauses gibt, bezeugen, dass der Ausstattungs- und
Dekorationsstil des Hauses sehr starke Ähnlichkeit mit dem
gehabt haben müssen, was in der Mitte des 19. Jahrhunderts
auch in Damaskus geschmacklich angesagt war, nämlich der
sogenannte osmanische Barock und Istanbūlī-Stil. Böden und
Wandsockel mit mehrfarbigen Marmorintarsien, Decken mit
Vergoldungen, eingelegten Spiegel und „Fresken“ (darunter
möglicherweise auch aufgemalte Bosporuslandschaften), sowie umlaufende Inschriften mit arabischen Versen (Abb.
179a+b).408 Dies ist noch sehr verschieden von den zunehmend
italianisierenden Dekorationen, die sich etwa ab 1870 vermehrt
in herrschaftlichen Häusern nachweisen lassen (vgl. Qaṣr Ziadé und Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11). Yūsuf Geday konnte
zwar – wie Mentaberry berichtet – Italienisch sprechen, in der
Ausstattung seines Domizils aber teilte er stark den Geschmack
seiner Damaszener Zeit- und Standesgenossen.
Abb. 179
Ḥārat Yūsuf Geday, Eingangs-riwāq des Erdgeschosses zur
Zeit der französischen Konsulatsnutzung um 1860. Gut zu erkennen sind das dekorative Mosaikpflaster aus Kieselstein und
das Zypressenmotiv in den Zwickeln der Arkade.
3.6 Haus der Phalanges/Qaṣr Malhamé
Das Haus der Phalanges [P 282] liegt auf einer Klippe oberhalb des Beiruter Hafens an der Avenue Charles Hélou, 200
Meter nordöstlich des Märtyrerplatzes in einem Quartier, das
historisch als Saifi bezeichnet wurde (Abb. 180). Vom Hafen
und vom Meer aus gesehen war die zweigeschossige Bogengalerie seiner nördlichen Hauptfassade seinerzeit ein imposanter Blickfang (Abb. 181). Heute ist das Haus durch unsachgemäße Renovierungen und Anbauten allerdings sehr entstellt, und zudem durch großflächige Abrisse und Straßendurchbrüche in seinem Umfeld in den 1960ern und 1990ern
seines historischen städtebaulichen Kontexts gänzlich beraubt.
Über die Geschichte des Hauses ist nur bekannt, dass es gegen Ende des 19. Jahrhunderts als britisches Konsulat diente, um 1920 als Sitz der französische Admiralität, und seit
Mitte des 20. Jahrhunderts als das Hauptbüro der libanesischen Phalangisten-Partei (al-Katā’ib). Laut Jens Hanssen
und Fouad Debbas war dieses Haus ursprünglich eines von
mehreren Häusern der Familie Asʿad Malhamé (Malḥama),
wurde später als Residenz an den britischen Konsul vermietet und 1908 an das Hôtel d’Angleterre verkauft. Die
Malhamés sind eine maronitische Familie, die Ende des 18.
Jahrhunderts nach Beirut zugewandert war und im 19. Jahr179
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 179a
Beispiel eines Interieurs im Stil des osmanischen Barock in
Damaskus: Bayt Ǧabrī/ al-Muǧallid, Dekoration der nördlichen qāʿa aus der Zeit um 1840, mit Landschaftsmalereien
auf den Wänden und in der Deckenvoute, mit vergoldetem
Stuckdekor und eingelegten Spiegeln.
Abb. 179b
Beispiel eines barocken Interieurs in Damaskus: Bayt ʿAlī Aġā
Ḫazīna–Kātibī, Qāʿat al-ʿInab, Detail der Holzdecke aus den
frühen 1830ern, mit vergoldetem Stuckdekor und eingelegten
Spiegeln.
hundert zu Wohlstand und Einfluss gelangte. Asʿad Malhamé, einer der prominentesten Angehörigen der Familie während der 1860er und 1870er und laut Debbas der ursprüngliche Bewohner des Hauses, war politisch sehr aktiv und
zeitweise Stadtratsmitglied. Er finanzierte auch die Ausbildung seines Neffen Salīm in Istanbul, wo dieser zum Regierungsbürokraten im Yildiz-Palast aufstieg und 1892 Minister für Bergbau, Land- und Forstwirtschaft wurde.409
Laut der APSAD-Dokumentation aus den 1960ern, auf welcher die hier präsentierte Grundrisszeichnung des Obergeschosses beruht (siehe Plan 3.6), wurde das Haus um 1880
errichtet. Allerdings ist das Haus schon auf dem Löytved-Plan
von 1876 eingezeichnet, und nach stilistischen Merkmalen
lässt es sich sogar am ehesten in die späten 1860er datieren.
Es handelt sich um ein zweigeschossiges Haus mit Ziegelwalmdach, dessen zwei Geschosse laut APSAD-Akten identische Mittelhallengrundrisse haben. Der līwān beider Geschosse tritt auf der Südseite des Hauses als Risalit mit halboktogonalem Grundriss hervor (Abb. 182) – ein Motiv, das
auf Istanbuler Vorbilder verweist und sich dort bis zum berühmten Çinili Köşk im Topkapı-Palast zurückverfolgen
lässt.410 Da der Zugang zum Haus von der Straße im Süden
her erfolgte, war dieses repräsentative Element geschickt auf
der Eingangsseite platziert. Bezüge zur Ästhetik osmanischer
Konak-Architektur lassen sich auch an den stark auskragenden Kehlgesimsen der Dachtraufen erkennen. Die Bogengalerie auf der Nordseite ist im Erdgeschoss eher schlicht ge-
halten, wohingegen das Obergeschoss mit schlanken Marmorsäulen und reich dekorierten Spitzbögen versehen ist. Eine solche, die gesamte Breite der Hauptfassade einnehmende Galerie ließ sich schon an der Ḥārat Geday beobachten,
wo sie allerdings nur im Obergeschoss zu finden war. Ebenfalls wie die Ḥārat Geday besitzt das Haus der Phalanges auf
der Westseite eine mittig platzierte, offene Bogengalerie (im
Weiteren der Einfachheit halber Westloggia genannt), hier
allerdings im Obergeschoss.411 Sie wurde später verglast.
Das Obergeschoss ist über zwei Treppenaufgänge zu erreichen: eine Außentreppe im Südosten, über die man durch eine kleine Loggia und einen kurzen Korridor von Osten in die
180
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 180
Lageplan Qaṣr
Malhamé (o.
M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
II.3.6 Haus der Phalanges/Qas.r Malhamé
Abb. 181
Qaṣr Malhamé von Norden,
in einer Aufnahme von etwa
1920.
Abb. 182
Qaṣr Malhamé von Südwesten. Aufnahme aus den
1960ern.
Mittelhalle gelangt, sowie ein von der Westseite des Hauses innerhalb des Gebäudes emporführender Treppenlauf,
der von Westen in die Mittelhalle führt. Die Türen beider
Eingänge liegen sich in der Mittelhalle symmetrisch gegenüber (vgl. die ähnliche Situation im ersten Obergeschoss
des Qaṣr Ziadé). Warum es zwei Eingänge zum Obergeschoss gab, und welcher Funktion jeder einzelne diente, ist
kaum zu rekonstruieren. Immerhin lässt sich feststellen,
dass der Osteingang auch direkten Zutritt zum dort befindlichen Wirtschaftsbereich gibt, und außerdem zu einem besonderen Raum auf der Südseite des Korridors, der als ein
Empfangsraum angesprochen werden kann (wenn auch
nicht als der repräsentative Hauptempfangsraum).
In seiner Plangeometrie ist dieser Grundriss strukturiert durch
eine Art Doppel-T-Form, gebildet aus der Mittelhalle, der
līwān-Raumgruppe im Süden und einer Vorderhalle mit flan181
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 184
Qaṣr Malhamé, Galerie des Obergeschosses. Aufnahme aus
den 1960ern.
Abb. 183
Qaṣr Malhamé, Mittelhalle des Obergeschosses mit Blick nach
Norden. Aufnahme aus den 1960ern.
kierenden Seitensälen im Norden. In den Wangen dieser Doppel-T-Form liegen auf der Westseite der Halle zwei Räume
und auf der Ostseite der eben angesprochene Empfangsraum
und der Wirtschaftsbereich. Letzterer umfasst wie üblich auch
ein kleines Bad und eine Toilette in seiner Nordostecke, sowie – an der kleinen Treppe erkennbar – titḫīten.
Die Mittelhalle des Obergeschosses ist auch in diesem Haus
höher als die umliegenden Räume (einschließlich des līwāns
und der Vorderhalle) und ist im oberen Wandbereich mit einer
umlaufende Reihe kleiner Vielpassfenster versehen. (Abb.
184) Ob diese Fenster als Hinweis darauf zu verstehen sind,
dass das Haus ursprünglich keine durchgehende Vollüberdachung hatte, sondern separate Dächer für Mittelhalle und umliegende Bereiche, muss gegenwärtig offenbleiben. Die Decke
der Mittelhalle ist eine massive Balkendecke in der Bauweise, wie wir sie aus der Mittelhalle des Qaṣr Ziadé kennen. Erhöhte Mittelhalle, Balkendecke und Vielpassfenster sprechen
deutlich für eine Erbauung des Hauses noch in den 1860ern.
Der Grundriss der Mittelhalle ist durch abgeschrägte Ecken
Abb. 185
Vergleichsbeispiel Qaṣr Jean Tuéni, Mittelhalle des Obergeschosses mit abgeschrägten Ecken und schmaler Vorderhalle.
Aufnahme aus den 1960ern.
182
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.7 Qas.r Yu-suf Tabet
achteckig ausgebildet; in jeder der vier abgeschrägten Ecken
ist jeweils eine Tür, und bedingt durch die Abschrägung sind
die in der nördlichen Verlängerung der Mittelhalle liegende
Vorderhalle und der in der südlichen Verlängerung liegende
līwān in ihrer Breite eingezogen. All dies sind Motive, die auf
Einflüsse aus der osmanischen Konak- und Palastarchitektur
verweisen, und die in mehreren anderen herrschaftlichen Beiruter Häusern der Zeit der 1860er bis hinein in die 1880er anzutreffen sind (z.B dem Qaṣr Jean Tuéni, Abb. 185).412
Die Vorderhalle ist durch eine offene Dreibogenstellung mit
der Mittelhalle und durch eine verglaste Dreibogenstellung
mit der vorgelagerten Galerie verbunden; seitliche Türen
geben Zutritt in die in die flankierenden Seitensäle. Ganz
ähnlich verhält es sich mit dem līwān, dessen Dreibogenstellung in den seitlichen Öffnungen mit niedrigen Brüstungen versehen ist, ansonsten jedoch offen ist. Ungewöhnlicherweise verfügt auch der līwān über seitliche Türen in die benachbarten Räume.
Die historischen Raumnutzungsstrukturen sind auf der
Grundlage des zur Verfügung stehenden Materials und wegen nicht nachvollziehbarer Umbauten nur schwer zu rekonstruieren. Es gibt mehrere große Räume, die als Hauptempfangsräume gedient haben können – insbesondere der
Seitensaal im Nordosten und der Eckraum im Südwesten.
Da sie aber sämtlich nur durch die Mittelhalle zu erreichen
sind, verfügen sie nicht über die für einen manzūl charakteristische Mehrfacherschließung.413 Diese Voraussetzung erfüllt nur der oben genannte Raum am östlichen Eingang, der
allerdings relativ klein ist. Die beiden Räume, die westlich
der Mittelhalle liegen und mit der Westloggia verbunden
sind, erfüllen am ehesten die Voraussetzungen für Privatgemächer oder Schlafzimmer. Bei dem kleinen Raum im Nord-
Abb. 187
Qaṣr Yūsuf Tabet, Blick von Westen auf den nördlichen Teil
des Gartens mit dem Gästehaus des Anwesens im Vordergrund. Aufnahme von ca. 1891.
Abb. 186
Lageplan Qaṣr
Yūsuf Tabet
(o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
westen kann nicht sicher gesagt werden, ob er bauzeitlich
ist oder erst nachträglich vom westlichen Seitensaal abgetrennt wurde. Das im Grundriss dieses Hauses schon markant
ausgeprägte Doppel-T-Schema ist ein Schema, das bei Beiruter Mittelhallenhäusern – insbesondere den großen Häusern – lange Zeit prägend bleiben sollte.
3.7 Qaṣr Yūsuf Tabet
Der Qaṣr Yūsuf Tabet [S 262] steht auf einem großen Gartengrundstück im Ost-Beiruter Quartier Yesouieh (Abb.
186). Das Grundstück wird im Norden durch die Rue de
l’Université Saint-Joseph und im Osten durch die Rue du
Liban begrenzt. Im Westen liegen die Kirche und die Gebäude der jesuitischen Université Saint-Joseph. Zu dem Anwesen gehört auch ein kleineres, separates Mittelhallenhaus
auf der nordöstlichen Grundstücksecke, das früher als Gäs-
Abb. 188
Qaṣr Yūsuf Tabet, Blick von Nordwesten auf das Wohnhaus,
damals noch ohne Freitreppenanlage. Aufnahme von ca.
1891.
183
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 189
Qaṣr Yūsuf Tabet, Ansicht
von Norden. Aufnahme aus
den 1990ern.
Abb. 190
Qaṣr Yūsuf Tabet, Ansicht der Hauptfassade mit Freitreppe
zum Obergeschoss. Aufnahme aus den 1960ern.
tehaus diente (heute Restaurant Time-Out) und einen eigenen Zugang von der Straße hat (Abb. 187, 188).
Der Qaṣr Yūsuf Tabet ist ein sehr großes, guterhaltenes
zweigeschossiges Mittelhallenhaus und wurde laut APSADDokumentation, die hier als Grundlage dient, in zwei Stufen erbaut: Der Überlieferung nach wurde das gänzlich gewölbte (hier nicht dokumentierte) Erdgeschoss von Yaʿqūb
Tabet (Ṯābit) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Das Obergeschoss wurde von seinem Sohn Yūsuf
um oder kurz nach 1860 hinzugefügt (siehe Plan 3.7). Das
Haus ist somit eines von vielen überlieferten Beispielen, in
denen die zweite Generation das Elternhaus um ein Obergeschoss erweitert und dort ihren eigenen Haushalt etabliert. In einer für die 1860er recht typischen Weise ist das
Haus mit einem seitlich abgeschleppten Walmdach bedeckt,
eine damals häufig angewandte Lösung für das Problem,
ein Haus mit einer höheren Mittelhalle und niedrigeren Seitenräumen „unter ein Dach“ zu bringen.
Die monumentale, zweiarmige Freitreppe und die portikusartige, offene Bogengalerie, die der Hauptfassade im Norden
vorgelagert sind und heute Zutritt zum Obergeschoss geben,
sind als spätere Hinzufügungen zu identifizieren. Noch in
den 1890ern hatte das Obergeschoss einen der Mittelhalle
vorgelagerten Balkon; und anstelle der mit kleinen Balkonen
kombinierten Fenstertüren hatten die Seitensäle einfache
Fenster (Abb. 188, 189).414 Der Zugang zum Obergeschoss
muss ursprünglich über eine Außentreppe von der Ostseite
184
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.8 Qas.r Kady
Abb. 191
Qaṣr Yūsuf Tabet, Obergeschoss,
Blick aus dem līwān in die Mittelhalle. Aufnahme aus den 1960ern.
des Hauses her erfolgt sein, ähnlich der Situation beim Qaṣr
ʿAbdallāh Beyhum und der Ḥārat Yūsuf Geday.
Die ungewöhnliche Breite der Mittelhalle von knapp zehn
Metern bedingt, dass die Bogenstellungen fünf statt der
sonst üblichen drei Bögen haben (Abb. 191). Die erste, äußere Bogenstellung in der Hauptfassade ist farbig verglast,
eine innere, offene Bogenstellung bildet eine Art Vorderhalle. Die Mittelhalle ist gänzlich symmetrisch angelegt,
mit nur drei Türen auf jeder Seite. Rückwärtig schließt die
Halle mit einer Dreibogenstellung ab (mit farbigen Verglasungen im oberen Bereich und niedrigen seitlichen Brüstungen), die den Blick freigibt in einen sehr tiefen līwān.
Die bekannte līwān-Raumgruppe ist hier abgewandelt, indem die Türen zu den flankierenden Räumen in der sehr
breiten Rückwand der Mittelhalle beiderseits der Dreibogenstellung Platz finden, und nicht wie sonst in den Seitenwänden der Halle platziert sind. Darüber hinaus liegen
hier jeweils zwei in Enfilade hintereinander geschaltete
Räume neben dem līwān – ein Motiv, das plangeometrisch
an die Reihe kleinere Räume im Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
erinnert, hier jedoch keine Stichkorridore zur separaten Erschließung der Räume aufweist.
Auf der Nordseite wird die Mittelhalle in der bekannten
Weise von zwei Seitensälen flankiert, die mit der Halle über
jeweils eine Tür verbunden sind. Der östliche Seitensaal
hat einen zweiten Zugang auf seiner Südseite – dort, wo
heute der Wirtschaftsbereich liegt und wo historisch auch
der Hauptzugang zum Obergeschoss gewesen sein muss.
Diese direkten Zugangsmöglichkeiten für Besucher und
Bedienstete qualifizieren den östlichen Seitensaal recht eindeutig als den historischen manzūl. Die historische Funktion der kleinen Räume beidseitig des Zugangskorridors des
manzūls bleibt allerdings unklar.
Der westliche Seitensaal hat – ähnlich wie beispielsweise im
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum – eine zusätzliche Tür zum südlichen Nachbarraum, der auch hier als „gedeckter“ Zugangsund Rückzugsweg für Familienangehörige gedacht gewesen sein mag. So hat wahrscheinlich auch hier der westliche
Seitensaal als Familienwohnzimmer gedient, zumal der līwān
dafür unter Umständen zu offen und ungeschützt war.
Die Räume auf der Westseite der Halle wurden offenkundig
– ähnlich wie im Qaṣr Ziadé – im Laufe des 20. Jahrhunderts
zu Apartments mit eigenen Badezimmern umgebaut. Ob hier
auch bauzeitlich schon Schlafzimmer lagen, kann auf der Basis der APSAD-Dokumentation nicht gesagt werden.
3.8 Qaṣr Kady
Das Haus Kady [M 127] ist eines von vielen Hausbeispielen, die von der APSAD Anfang der 1960er dokumentiert
und deren Zustand damals als „gut“ bezeichnet wurde, und
die heute längst spurlos verschwunden sind. Es befand sich
auf einem kleinen (heute von einem Apartmentblock überbauten) Gartengrundstück im Quartier Basta Tahta, einem
185
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Quartier südlich der Altstadt, und lag nur einige Schritte südwestlich der Moschee von Basta Tahta (Abb. 192). Das
Grundstück ist im Westen von der Rue Kady (Š. Nūr ad-Dīn
al-Qāḍī) begrenzt, im Süden und Südosten von der Rue Zantout. Das Haus wurde laut APSAD-Akte im Jahr 1869 von
der Familie Kady (al-Qāḍī) errichtet, eine sunnitische Notabeln-Familie, die der Überlieferung nach ein Seitenzweig der
Familie Daouk war. Der genaue Name des Erbauers ist allerdings nicht bekannt.415 Das in der Akte angegebene Erbauungsdatum 1869 erscheint angesichts der baulichen Merkmale des Hauses durchaus glaubwürdig. Zum Zeitpunkt seiner Dokumentation durch die APSAD diente das Haus als
Schulgebäude für die Madrasat Iṣlāḥ al-Basṭa, geleitet von
einem Angehörigen der Familie Kady.
Es handelte sich um ein zweigeschossiges Mittelhallenhaus
mit nach Norden gewandter Hauptfassade (siehe Plan 3.8).
Der Zugang erfolgte von der Rue Kady im Westen. Das
Erdgeschoss war nicht frontal erschlossen, sondern von der
Westseite her, wo man über eine kurze Treppe zunächst eine kleine offene Bogengalerie betrat (Abb. 193, 194), und
von dort durch einen Eingangskorridor ohne seitliche Türen
direkt in die Mittelhalle gelangte (vgl. die prinzipiell identische Situation im Qaṣr Ziadé). Ein zweiter Eingang befand sich am östlichen Ende der Nordseite, wo man durch
eine Dreibogenstellung eine Art Treppenhaus betrat, welches Zugang zum (nicht dokumentierten) Obergeschoss
gibt. Eine Tür in der Westwand dieses Treppenhauses führte in den östlichen Seitensaal des Erdgeschosses.
Auch bei diesem Haus war der Grundriss durch das DoppelT-Schema charakterisiert: Die Mittelhalle (Abb. 195) – hier
ohne jede innere Unterteilung bzw. ohne Vorderhalle – war
im Norden von zwei Seitensälen mit annähernd quadratischem Grundriss flankiert, im Süden der Halle lag eine konventionelle līwān-Raumgruppe; der līwān stand hier durch
eine Tür-Fenster-Kombination mit der Mittelhalle in Verbindung. In den „Wangen“ der Doppel-T-Form lagen beidseitig der Halle jeweils ein kleiner Raum und ein Stichkorridor – der Eingangskorridor im Westen, und der Wirtschaftskorridor im Osten. Diese ausgesprochen symmetrische Anordnung findet sich in fast identischer Form im Qaṣr
Ziadé. Und ähnlich wie dort war hier der Wirtschaftsbereich von der Mittelhalle abgerückt in der Südostecke positioniert, mit separatem Eingang von Süden her.
Ebenfalls wie im Qaṣr Ziadé war die Mittelhalle dieses Geschosses auch mit einer jener schweren Balkendecken ausgestattet, die für jene Zeit als typisch gelten kann. Als Besonderheit war sie im Qaṣr Kady in sehr ansprechender Weise von einer umlaufenden Schalung in elliptischer Form einrahmt – möglicherweise eine Referenz an die großen elliptischen sofas einiger großer Bosporus-Yalis des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, und jedenfalls eine sehr ausgeprägte
Spielart der im 19. Jahrhundert in der ganzen Region beliebten elliptischen Deckenspiegel.416 Auch die Bögen der Dreibogenstellung in der nördlichen Hauptfassade waren spürbar
im Duktus des osmanischen Barock gehalten, mit leicht karnisartig gewellten Laibungen und mit farbiger Verglasung,
deren fein gegliedertes Sprossenwerk die kurvigen Linien
spätosmanischer Arabesken aufwies.417 In diesen Details war
der Qaṣr Kady – obgleich er kleiner war – reicher ausgestattet und deutlich barocker gestaltet als der Qaṣr Ziadé.
Abb. 192
Lageplan Qaṣr Kady (o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
Abb. 193
Qaṣr Kady, Blick von Südwesten auf die westliche Galerie.
Aufnahme aus den 1960ern.
186
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.8 Qas.r Kady
Abb. 194
Qaṣr Kady, Blick von Nordwesten auf die westliche Galerie
mit Haupteingangstreppe. Aufnahme aus den 1960ern.
Abb. 195
Qaṣr Kady, die prachtvolle Mittelhalle des Erdgeschosses in einer Aufnahme aus den 1960ern. Die im Deckenbereich erkennbaren Eisenträger wurden später als Verstärkung eingezogen.
Er war aber auch in manchen Details konservativer: Die
Mittelhalle und die Seitensäle waren noch über Innenfenster verbunden – ein Merkmal, das in den 1870ern unüblich
wurde und schon im Qaṣr Ziadé, der etwa zur gleichen Zeit
wie der Qaṣr Kady erbaut wurde, nicht mehr anzutreffen
ist (vgl. auch Bayt Majzoub, Kap. 3.9).
Ein weiteres konservatives Element des Qaṣr Kady war der
quadratische Grundriss der Seitensäle. Dies war – wie die
vorangehend behandelten Beispiele illustrieren – bis Ende
der 1860er durchaus eine übliche Form, aber schon der Qaṣr
Ziadé und der Qaṣr Tuéni-Bustros (Kap. 3.11) weisen die
parallel zur Halle liegenden, langrechteckigen Seitensäle
mit doppelter Türenverbindung zur Mittelhalle und Vorderhalle auf, wie sie dann charakteristisch werden sollten.
Eine sichere Funktionszuschreibung für die Seitensäle bzw.
eine eindeutige Lokalisierung eines manzūls fällt auch hier
wegen ihrer (möglicherweise beabsichtigten) Ambivalenz
schwer: Der östliche Seitensaal hatte eine Zusatzerschließung
vom Treppenhaus im Osten, wohingegen der westliche zur
Straße hin lag und mehr Fenster auf der Hauptfassadenseite
hatte – sowie zwei Fenster in der Südwestecke des Raumes, die
vom westlichen Eingang her bei geöffneten Fensterläden einzusehen gewesen wären. Wegen dieser Exponiertheit ist wahrscheinlich der westliche Seitensaal als manzūl zu identifizieren. Er konnte nur von der Mittelhalle her betreten werden –
wie dies ja auch im Qaṣr Ziadé und im Qaṣr Malhamé (Haus
der Phalanges) der Fall war. Der Zweitzugang des östlichen
Seitensaals von Treppenhaus her mag auch hier als von der
Mittelhalle unabhängiger Rückzugsweg gedient haben – in
diesem Falle in das Obergeschoss. Hier ist allerdings Vorsicht
anzumelden: Da das Haus schon vor vielen Jahren abgerissen
wurde, kann allein auf der Grundlage des vorliegenden Materials nicht mehr sicher gesagt werden, ob das Obergeschoss
und das dazugehörige Treppenhaus zeitgleich mit dem Erdgeschoss errichtet wurden, oder ob wir es nicht vielmehr mit
zwei Bauphasen zu tun haben.418 Falls das Treppenhaus und
das Obergeschoss spätere Hinzufügungen sind, dann kann die
besagte Tür des östlichen Seitensaals ursprünglich ein Außenfenster gewesen sein, korrespondierend zur Befensterung
des westlichen Seitensaals. Wie dem auch sei, es gab in diesem
Geschoss des Qaṣr Kady jedenfalls einen zweiten repräsentativen Wohn- und Empfangsraum, der – im Zusammenspiel
187
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 197
Bayt Majzoub, Ansicht von Westen aus dem Jahr 1997. Links im Bild der teilüberdachte Aufgang zum Obergeschoss.
mit dem kleineren, weniger repräsentativen līwān –familiäreren Formen der Geselligkeit gedient haben mochte als der
manzūl. Diese „Zweitsalons“ – in der Regel war dies der zweite Seitensaal – lassen sich in fast allen großen Häusern finden,
und zumindest in einem Fall, Bayt Ladki (Kap. 3.20), ist für
diesen zweiten Salon die Bezeichnung ṣāliya überliefert. Inwieweit dies tatsächlich im 19. Jahrhundert eine allgemein gebräuchliche Bezeichnung war, muss allerdings offen bleiben.
dieser sunnitischen Familie erbaut wurde.420 Das mittelgroße, zweigeschossige Mittelhallenhaus (Abb. 197) wurde in mindestens zwei Phasen errichtet: Baulichen Merkmalen nach zu urteilen stammt das Erdgeschoss aus den
1850ern (und umfasst möglicherweise einen noch älteren
3.9 Bayt Majzoub
Der Bayt Majzoub [ZAB 22] liegt im Quartier Zokak elBlat an der Rue Église Évangelique (Abb. 196), auf einem kleinen Grundstück schräg gegenüber vom Bayt Saadé (Kap. 3.1). Es befindet sich heute im Solidere-Gebiet
und ist seit 2002 durch eine nicht denkmalgerechte Renovierung stark überformt worden. Der Plan des Obergeschosses und der Schnitt (siehe Plan 3.9) zeigen den Zustand vor dem massiven Umbau.419
Das Haus gehörte laut Grundbuchersteintrag im Jahr 1931
mehreren Erben von Aḥmad Majzoub (al-Maǧḏūb), und es
ist möglich, wenn auch nicht gesichert, dass es auch von
Abb. 196
Lageplan Bayt Majzoub (o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
188
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.9 Bayt Majzoub
Abb. 198
Bayt Majzoub, östliche Hauptfassade mit Dreibogenfenster im
Erdgeschoss und einfachen Fensterreihen im Obergeschoss.
Aufnahme von 1997.
Abb. 199
Bayt Majzoub, östliche Hauptfassade während der Renovierungsarbeiten 2003.
Kern), während das Obergeschoss mit seinem seitlich abgeschleppten, ziegelgedecktem Walmdach aus den frühen
1860ern zu datieren scheint. Die Hauptfassade und die Achse seiner Mittelhallen sind in sonst ungewöhnlicher Weise
nach Osten ausgerichtet, wo man einen (heute verbauten)
Blick über die Altstadt und die Berge hatte.
Das Erdgeschoss, dessen Grundriss weitgehend mit dem des
Obergeschosses korrespondiert, jedoch den Eingang von der
Straße im Süden her hatte, wurde zu einem nicht ganz bestimmbaren Zeitpunkt vermutlich im frühen 20. Jahrhundert
in zwei Wohneinheiten unterteilt, wozu die Mittelhalle mit
einer eingezogenen Trennmauer halbiert wurde. Auch wurden, offensichtlich schon im späteren 19. Jahrhundert und
teilweise wohl im Zusammenhang mit der Aufstockung, eine
Anzahl von Außenfenstern zugesetzt oder versetzt, teils möglicherweise aus statischen Gründen, teils wegen veränderter
Bedürfnisse. Beispielsweise wurden die Zahl der Fensterachsen in der Südwand des großen Raumes im Südosten von
drei auf zwei reduziert (siehe dazu auch Teil III, Kap. 1.7).421
Während das Erdgeschoss ein großes Dreibogenfenster
in der Hauptfassade nach Osten hat, verfügt das Obergeschoss über kein Dreibogenfenster (Abb. 198, 199, 201).
Allerdings verfügt der līwān-Risalit auf der Westseite des
Abb. 200
Bayt Majzoub, südliche Fassade während der Renovierungsarbeiten 2003.
189
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 201
Bayt Majzoub, Erdgeschoss, Mittelhalle und östliche Vorderhalle. Aufnahme von 1998.
Abb. 203
Bayt Majzoub, Erdgeschoss, Wandschrank. Aufnahme von
1999.
Abb. 202
Bayt Majzoub, Erdgeschoss, Detail einer Balkendecke. Aufnahme von 1999.
Hauses in beiden Geschossen über jeweils ein Paar große, spitzbogige Oberlichter, wodurch diese Seite fast wie
eine zweite Hauptfassade wirkt. Die Fassaden des Hauses sind jedoch insgesamt asymmetrisch und durch Vorund Rücksprünge gegliedert, die mit den unregelmäßigen
Grundrissen der Geschosse korrespondieren.
Beide Geschosse stellten offenbar von Anfang an separate
Wohneinheiten dar. Das Obergeschoss wird über eine (teilweise überdachte) Außentreppe an der Nordwestecke des
Gebäudes erschlossen. Am oberen Ende der Treppe knickt
der Zugangsweg nach Süden in einen Eingangskorridor ab,
der an der Mittelhalle endet. An der westlichen Stirnseite
der Mittelhalle schließt der līwān an, verbunden mit der
Halle über eine Tür-Fenster-Kombination und drei darüber
angeordnete spitzbogige Oberlichter. Ein līwān-ähnlicher
Raum befindet sich auch – anstelle einer Vorderhalle – in
der östlichen Verlängerung der Mittelhalle, mit einer gleichartig gestalteten Trennwand zur Halle (Abb. 204). Im Unterschied zu Mittelhallen mit offenen Bogenstellungen ist
diese Halle daher zu beiden Seiten relativ geschlossen. Sie
190
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.9 Bayt Majzoub
Abb. 204
Bayt Majzoub, Obergeschoss, die Mittelhalle und der östlich
vorgelagerte Raum. Aufnahme von 1997.
Abb. 205
Bayt Majzoub, Obergeschoss, Nebenraum mit titḫīte und hölzerner Treppe, die gleichzeitig als Schrank ausgeführt ist. Aufnahme von 1999.
ist höher als die umliegenden Räume und wird im oberen
Bereich durch eine umlaufende Reihe eng gesetzter Okuli
in den Dachraum entlüftet – ein Merkmal, dass für eine Datierung des Obergeschosses in die 1860er spricht. Die fein
gearbeitete Holzdecke mit Deckenschalung ist durch aufgesetzte Leisten mit einem großen elliptischen Motiv versehen – vergleichbar dem Motiv im Bayt Kady (Kap. 3.8).
Insgesamt sind die Decken im Obergeschoss als hölzerne
Paneeldecken ausgeführt, während die des Erdgeschosses
als Balkendecken in schwerer Ausführung, aber mit dekorativen Details gearbeitet sind (Abb. 202).
Entlang der südlichen Langseite der Mittelhalle des Obergeschosses liegen zwei relativ große, rechteckige Räume, die
so zueinander positioniert sind, dass sie im Grundriss eine LForm bilden. Beide sind durch jeweils eine Tür und ein Innenfenster (ohne Verglasung, nur mit Fensterläden versehen)
mit der Mittelhalle verbunden. Die Verwendung von Innen-
fenstern und Wandnischen bzw. Wandschränkchen (Abb. 203)
ist übrigens ein auffälliges Merkmal dieses Hauses und kann
als typisch für Häuser der 1850er und 1860er gelten. Auf der
nördlichen Seite der Mittelhalle liegen östlich des Eingangskorridors zwei kleine Räume, ausgestattet mit hölzernen Treppen und titḫīten (Abb. 205). Westlich des Eingangskorridors
liegt ein weiterer großer Raum; er war offenkundig der
manzūl: eine Tür verbindet ihn mit der Mittelhalle, eine zweite Tür geht direkt auf den Austritt der Eingangstreppe, noch
außerhalb des Eingangskorridors. Hausfremde Besucher
konnten gänzlich vom Wohnbereich ferngehalten werden.
Von den eben erwähnten beiden kleineren Räumen hat der
östliche mit seiner titḫīte den Charakter einer Privat- oder
Schlafkammer. Der westliche dient vor allem als Durchgangsraum zu den Küchen-, Wirtschafts- und Sanitärräumen
im Norden, und verfügt dementsprechend über eine zusätzliche Tür zum Eingangskorridor, durch die vermieden wer191
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 206
Bayt Majzoub, Obergeschoss, Detail der Holzbalkendecke eines Nebenraums. Aufnahme von 1999.
Abb. 207
Bayt Majzoub, Obergeschoss, Detail des historischen Fußbodenaufbaus bei der Holzbalkendecke eines Nebenraums, aus
geschichtetem Sand-Kies-Gemisch mit Kalkmörtelbindung.
Aufnahme von 1999.
den konnte, dass etwa von Besorgungsgängen zurückkehrende Dienstboten durch die Mittelhalle laufen mussten. Auch
dadurch wurden Störungen des Wohnbereichs vermindert.
Bleibt anzumerken, dass die Bodenbeläge zur Zeit der Bauaufnahme schon großteils entfernt worden waren. Feststellen lässt sich aber, dass die Mittelhalle und der manzūl –
wie es schon aus anderen Beispielen bekannt ist – repräsentativ mit weißen Marmorplatten mit schwarzem Rautenmuster ausgelegt waren (Abb. 196). Andere Räume hingegen (beispielsweise der schmale Raum auf der Südseite
der Mittelhalle sowie die titḫīten) waren mit Fußböden aus
einem geschichteten Sand-Kies-Gemisch versehen, deren
stark kieshaltige Oberflächenschicht verdichtet und geglättet
war (Abb. 206, 207). Solche Böden waren in Neubauten
herrschaftlicher Häusern um 1870 (beispielsweise Qaṣr Ziadé und Qaṣr Tuéni-Bustros) nicht mehr üblich, sondern
durch Terrakottafliesen abgelöst worden. Wir haben es hier
also mit einem Haus von etwas geringerem Status zu tun, in
dessen offenbar nicht für Empfangszwecke vorgesehenen
Räumen diese alte Fußbodenart erstaunlicherweise noch
bis vor wenigen Jahren erhalten war.422
mensionen eingezeichnet (Abb. 31).423 Damals lag es auf einem großen Gartengrundstück westlich des Ṭarīq ar-Raml,
nur wenige Schritte nordwestlich des Qaṣr Ziadé. Die heutige Rue Spears war damals ein kleiner Stichweg, der an
diesem Haus endete. Ein Gemälde der libanesischen Künstlerin Marie Chiha Haddad – von der im Zusammenhang
mit dem Qaṣr Heneiné die Rede war – stellt das Haus und
den Straßenzug so dar, wie sie sich in den 1930ern oder
frühen 1940ern darboten. Das Bild ist mit „Villa Haddad,
rue Kantari“ betitelt.424 Das Haus lässt sich daher mit der
Familie Haddad, der Familie von Maries Ehemann George Haddad, in Verbindung bringen.
Ähnlich wie der Bayt Aoun-Karam (Kap. 3.2) ist dieses
Haus erst durch schrittweisen Ausbau zu einem – eher klein
3.10 Bayt Haddad
Dieses Haus [M 1810], über dessen historischen Eigentümer und Geschichte nicht viel bekannt ist, befindet sich an
der Rue Spears im Quartier Kantari, eingezwängt zwischen
höheren Apartmenthäusern (Abb. 208–210). Auf dem Löytved-Plan von 1876 ist es schon in seinen endgültigen Di192
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 208
Lageplan Bayt
Haddad (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
II.3.10 Bayt Haddad
Abb. 209
Bayt Haddad, Ansicht von
Süden, mit dem Dreibogenfenster der Mittelhalle des
Obergeschosses. Rechts unten im Bild die Außentreppe
zum Obergeschoss.
Abb. 210
Bayt Haddad, Ansicht von
Norden über die Rue Spears
hinweg. Das hohe Gewölbe
des älteren Erdgeschosses
dient als Unterbau für das
reich befensterte und ziegelgedeckte Obergeschoss.
dimensionierten – Mittelhallenhaus geworden (siehe Bd.
II, Pläne 3.10A und 3.10B). Das Erdgeschoss, das erkennbar auf mehrere Bauphasen aus der ersten Hälfte bis Mitte
des 19. Jahrhunderts zurückgeht, besteht zur Gänze aus
Kreuzgewölben (Abb. 213); auf der Nordseite sind diese
Gewölbe wegen des abfallenden Geländes so hoch, dass sie
193
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 211
Bayt Haddad, die Ostseite des
Hauptbaus vom Vorhof des
Hauses gesehen, mit Eingang
zur Erdgeschosswohnung.
Abb. 212
Bayt Haddad, Detail der Ostfassade auf Höhe des
Obergeschosses mit den Fenstern des Empfangsraums.
Abb. 213
Bayt Haddad, Erdgeschoss, kreuzgewölbter Raum auf der Nordseite des
Hauses.
durch eine Zwischendecke unterteilt werden konnten. Dadurch entstand ein Untergeschoss, dessen auf die Rue Spears gehenden Räume heute als Ladengeschäfte benutzt werden. Historisch bildete das Erdgeschoss eine Gruppe von
Wohnräumen einschließlich einer kleinen Küche, deren
heute noch zugänglicher Teil sich um einen Vorhof im Nordosten gruppiert und von dort zugänglich ist (Abb. 211). Die
Gewölberäume im Westen sind von hier nicht begehbar und
Abb. 214
Bayt Haddad, Mittelhalle des Obergeschosses, Detail der
baġdādī-Decke mit Deckenmalerei und Voute.
Abb. 215
Bayt Haddad, Obergeschoss, baġdādī-Decke des Speisezimmers.
194
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.11 Qas.r Tuéni-Bustros
Abb. 216
Bayt Haddad, Obergeschoss, Zimmer
auf der Westseite der
Mittelhalle.
Abb. 217
Bayt Haddad, Obergeschoss, die hölzerne Paneeldecke im
Zimmer auf der
Westseite der Mittelhalle.
waren vermutlich separat erschlossen; der Zugang war jedoch nicht auffindbar (er ist möglicherweise verbaut).
Das Obergeschoss ist unabhängig von den Erdgeschossräumen über eine auf der Südseite liegende Außentreppe
erschlossen. Anfänglich bestand dieses Obergeschoss
scheinbar nur aus wenigen Räumen auf einer Art Dachterrasse. Zu diesen erkennbar älteren Räumen gehörte vermutlich der östliche Fortsatz des L-förmigen Geschosses
(der eine eigene Wohnung darstellt) sowie – deutlich durch
Baufugen unterscheidbar – der Raum in der Nordostecke
des Hauptblocks, welcher sich durch seine je drei Fenster
und drei qamariyyen auf der Nord- und Ostseite heraushebt
und sich aufgrund dieser Art von Befensterung etwa in die
1850er oder 1860er datieren lässt (Abb. 212). In einer späteren Ausbauphase wurde dieser Raum in eine neugeschaffene Mittelhallenstruktur eingebunden, wobei die Gegebenheiten dazu führten, dass die Mittelhalle mit der Dreibogenöffnung nach Süden statt nach Norden ausgerichtet
wurde, und dass es keinen līwān gab. Die farbig gefasste
und mit Blumen- und Rankenmotiven bemalte baġdādīDecke der Halle mit ihrer breiten, mit schabrackenartig gezahnten Leisten verzierten Voute, gestatten es, diesen Ausbau zum Mittelhallenhaus etwa in die 1870er oder spätestens die 1880er zu datieren (Abb. 214). In diesem Zusammenhang muss das Haus auch mit einem Ziegelwalmdach
versehen worden sein.
Das wegen der kleinen Anzahl von Räumen eher beschränkte, aber doch schon ausdifferenzierte Raumprogramm ist relativ
gut rekonstruierbar: Die beiden Räume auf der Westseite der
Halle (beide mit verschalten Holzbalkendecken ausgestattet,
Abb. 216, 217) waren wahrscheinlich Schlafzimmer; die beiden Räume im Norden (verbunden mit einer Tür und ausgestattet mit farbig gefassten baġdādī-Decken) dienten vermutlich als Wohnzimmer und Empfangszimmer (letzteres in dem
älteren Raum mit den drei Fensterachsen je Außenseite); und
die beiden Räume im Osten waren das Esszimmer (mit farbig gefasster baġdādī-Decke, Abb. 215) und die Küche – letztere mit integriertem kleinen Bad- und Toilettenraum sowie
einer titḫīte. Ein kleiner Eingangskorridor gibt Zutritt sowohl
zur Küche wie zur Mittelhalle und gewährleistet somit die
räumliche Segregration von Wohn- und Wirtschaftsbereich.
Der Ausbau des älteren Hauses zu einem Mittelhallenhaus gibt
deutliche Kunde vom wirtschaftlichen Aufstieg seines Eigentümers in die obere Mittelschicht und seinen dementsprechend veränderten Wohn- und Repräsentationsbedürfnissen.
3.11 Qaṣr Tuéni-Bustros
Der Qaṣr Tuéni-Bustros [A 564] liegt im Ost-Beiruter Quartier Furn el-Hayek in Achrafieh, auf einem Gartengrundstück
zwischen der Rue Gabriel Khabbaz und der Rue Madrassat
es-Salam (Abb. 218). Etwa einen Kilometer östlich des Mär195
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
tyrerplatzes auf dem nördlichen Abhang des Hügels von Achrafieh gelegen, liegt das Haus im Vergleich zu den bisher vorgestellten Häusern ziemlich weit ab von der historischen Altstadt. Als einer der ersten großen Villenbauten in dieser Gegend markiert es die beginnende Verwandlung dieses vormals
garten- und landwirtschaftlich geprägten Gebiets in ein Villenviertel vor allem der griechisch-orthodoxen Bourgeoisie
Beiruts. Das Grundstück des Hauses war historisch sehr viel
größer als heute und erstreckte sich über die später parzellierten und bebauten Straßenblöcke zwischen der Rue Selim Bustros im Norden, der Rue Madrassat es-Salam im Süden, der
Rue Gérios Tuéni im Westen und der Rue Zahret el-Ihsan im
Osten. Auf dem Löytved-Plan von 1876 ist es das größte Gartengrundstück eines Wohnhauses in Beirut, detailliert dargestellt mit Reihen von Palmen entlang der geometrisch angelegten Gartenwege – zu einer Zeit, als Palmen ansonsten in
Beirut noch so selten waren, dass jede einzelne von ihnen als
Landmarke auf dem Löytved-Plan eingezeichnet wurde.425
Das herrschaftliche, zweigeschossige Mittelhallenhaus wurde in einem Zug von Gérios Tuéni (Ǧurǧī Bey Tuwaynī) errichtet. Die Erbauung fand definitiv vor 1876 statt, denn auf
dem Löytved-Plan ist das Haus schon verzeichnet; nach Angaben von Familienangehörigen soll das Haus sogar schon
um 1869 erbaut worden sein.426 Die griechisch-orthodoxe Familie Tuéni stammt ursprünglich aus dem syrischen HauranGebiet. Der Vater von Gérios Tuéni, Nammūr, stand bis 1820
in den Diensten ʿAbdallāh Paschas in Akkon und siedelte dann
nach Beirut über. Gérios war seit den 1860ern der Kopf der Familie, er war ein bedeutender Kaufmann und Grundbesitzer in
Beirut, außerdem ein hochdekorierter lokaler osmanischer
Bürokrat, ohne jedoch offizielle Ämter innezuhaben. Seine
Kinder waren Nakhlé (Naḫla), ein einflussreicher Stadtpolitiker in Beirut, Jean, der als osmanischer Botschafter in Paris
und London diente, weiterhin Alfred und Gabriel, sowie die
einzige Tochter Evelyne, eine auf französisch schreibende
Schriftstellerin, die Ǧibrān Faḍlallāh Bustros heiratete und
um die Jahrhundertwende das Haus erbte.427 Laut Darstellung
meiner Informantin Gaby Bustros waren die Bustros „Neureiche“, die durch die Einheirat in die Familie Tuéni „ihr Wappen vergolden wollten“, wohingegen die Tuénis Geld brauchten. Evelynes Nachkommen bewohnen auch heute noch das
Haus. Der Überlieferung nach bewohnte anfänglich Gérios
mit seiner großen Familie das ganze Haus, später teilten sich
zwei der Söhne, Nakhlé und Alfred, das Haus geschossweise.
Den größten Teil des 20. Jahrhunderts hindurch war das Obergeschoss an Konsulate und Niederlassungen ausländischer
Firmen vermietet, während das Erdgeschoss von verschiedenen Mitgliedern der Familie Tuéni-Bustros bewohnt wurde.
Erst 1980 wurde das Obergeschoss wieder von der Familie
übernommen, 1985/86 wurden beide Geschosse in vier eigenständige Wohneinheiten unterteilt, jeweils mit eigener Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer.
Der Ursprungsbau verfügte über ein Souterrain, in dem Küchen- und Wirtschaftsräume untergebracht waren – ein Novum im Beiruter Hausbau –, sowie zwei Wohngeschosse
mit Mittelhallengrundriss, abgeschlossen mit einem ziegelgedeckten Walmdach (Abb. 219, 220). Das Walmdach
wurde im Bürgerkrieg 1975–90 stark beschädigt und Anfang der 1990er durch ein Flachdach ersetzt. Schon während des Ersten Weltkriegs hatte ein Feuer Teile des Obergeschosses beschädigt, woraufhin in manchen Räumen neue
Decken eingezogen wurden. Um 1950 wurde das Haus renoviert und eine Zentralheizung eingebaut. Ein zusätzlicher
Wirtschaftsannex für das Erdgeschoss wurde in den 1960ern
im Osten des Hauses errichtet.
Die zahlreichen Reparaturen, Renovierungen und Umbauten machen eine Rekonstruktion des ursprünglichen Raumund Erschließungsgefüges schwierig. Daher soll hier nur
auf einige grundsätzliche Merkmale und die zur Zeit seiner Erbauung wichtigen Innovationen eingegangen werden
(siehe Pläne 3.11A und 3.11B).428
Beide Geschosse organisieren sich räumlich um eine nach
Norden ausgerichtete Mittelhalle mit einer durch offene Dreibogenstellungen abgeteilten Vorderhalle. Der rückwärtig anschließende līwān ist von der Halle durch eine Wand mit TürFenster-Kombination und drei darüber angeordneten spitzbogigen Oberlichtern abgetrennt. Der Grundriss folgt dem
bekannten Doppel-T-Schema mit flankierenden Seitensälen
Abb. 218
Lageplan Qaṣr Tuéni-Bustros (o. M., Grundlage: Katasterplan
1:2.000 von 1964).
196
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.11 Qas.r Tuéni-Bustros
Abb. 219
Qaṣr Tuéni-Bustros, nördliche Hauptfassade.
Abb. 220
Qaṣr Tuéni-Bustros, Ansicht von Süden.
197
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 221
Qaṣr Tuéni-Bustros, līwān-Raum des Erdgeschosses mit Außenzugang vom Garten.
im Norden und zwei den līwān flankierenden Räumen im
Süden. In den „Wangen“ liegen im Osten der Halle Wirtschafts- und Dienstbotenräume, im Westen der Halle liegt
das Treppenhaus flankiert von zwei Schlafzimmern. In der
Position dieser Schlafzimmer liegen in Zwischengeschossen
beidseitig des Treppenhauses zusätzliche Dienstbotenkammern, die vom Treppenhaus her erschlossen sind – eine neuartige Form der Platzierung solcher Unterkünfte außerhalb
des eigentlichen Wirtschaftsbereichs.
Zu den signifikantesten Neuerungen am Qaṣr Tuéni gehören die Korridore, die unmittelbar parallel zur Mittelhalle
laufen und als Verbindung zwischen der Halle und den umliegenden Räumen fungieren. Der Einfachheit halber sollen sie Parallelkorridore genannt werden. Auch diese Innovation hat – wie so viele in der damaligen Wohnhausarchitektur Beiruts – ihre Vorläufer am Bosporus: dort lassen
sich solche Korridore in einigen großen Yalis schon im frühen 19. Jahrhundert finden.429
Ein Teil der zentralen Verteilerfunktionen, die üblicherweise
von der Mittelhalle erfüllt werden, werden hier von den Korridoren übernommen. Die Korridore gestatteten es, die Mittelhalle zu umgehen und „hinter den Kulissen“ zu bleiben,
und ermöglichten es den Bewohnern, sich auch bei Gegenwart von Fremden in der Mittelhalle weiterhin ungestört durch
das Haus zu bewegen. Wie in Häusern ohne Parallelkorridore hat die Mittelhalle im Qaṣr Tuéni-Bustros mehrere, sich
symmetrisch gegenüberliegende Türen (Abb. 224). Hier je-
Abb. 222
Qaṣr Tuéni-Bustros, līwān-Raum des Erdgeschosses mit Marmorintarsien-Boden im osmanisch-barocken Stil und Kamin
im französischen Stil.
doch sind diese Türen in ihrer Erschließungsfunktion redundant, weil sie sämtlich in dieselben Korridore führen. Der Parallelkorridor machte es auch möglich, im Obergeschoss nur
eine einzige Tür vom Treppenhaus in das Geschoss zu haben,
und dennoch die Wege in einer Weise zu entflechten, wie dies
im Qaṣr Ziadé, und später noch im Qaṣr Bišāra el-Khoury
(Kap. 3.17) oder im Qaṣr Mukhayyesh (Kap. 3.16) nur mittels
mehrerer Türen zum Treppenhaus erreicht werden konnte.
Die Seitensäle liegen im Qaṣr Tuéni-Bustros längs der Vorderhalle und haben hallenseitig zwei Türen, von denen jeweils eine in die Vorderhalle geht, und eine sich nach außen
öffnet: im Erdgeschoss auf den Vorplatz des Haupteingangs
mit seiner monumentalen Freitreppe, im Obergeschoss auf
die offene Loggia. Damit erfüllen beide Seitensäle des Erdgeschosses die Anforderungen für einen manzūl. Der östliche dieser beiden Seitensäle diente jedoch schon von Anfang an oder frühzeitig als Esszimmer. Indem er über den
198
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.11 Qas.r Tuéni-Bustros
Abb. 222a
Vergleichsbeispiel in Damaskus: Bayt Salīm al-Quwatlī /aṣ-Ṣawwāf. Der īwān mit Marmorintarsien-Boden und Wanddekor im
osmanisch-barocken Stil datiert aus den 1860ern oder 1870ern.
Abb. 223
Qaṣr Tuéni-Bustros, Treppenhaus zum Obergeschoss.
östlichen Parallelkorridor fast direkt mit den Wirtschaftsräumen und besonders dem Anrichteraum verbunden war,
kann dieses Zimmer als eines der frühesten bekannten Beiruter Beispiele eines baulich angelegten Esszimmers gelten
– klares Indiz einer sich durchsetzenden funktionalen Differenzierung und Spezialisierung von Räumen in den Häusern der Beiruter Oberschicht um 1870.
Der līwān des Erdgeschosses weist einige Besonderheiten
auf: Er öffnet sich durch eine Tür-Fenster-Kombination und
ein dreibogiges Oberlicht in den rückwärtigen Garten (bzw. auf
einen Balkon im Falle des Obergeschosses), im Unterschied
zu den bisher vorgestellten līwānen, die sich nur durch Fenster nach außen öffneten (Abb. 220, 221).430 Die Rückseite des
Hauses wird hier in einer Weise aufgewertet, dass sie zu einer
zweiten Schauseite wird. Die sich darin abzeichnende zweiseitige Ausrichtung eines Hauses lässt sich ein Jahrzehnt später in noch ausgeprägterer Form an einigen Villen der grie-
chisch-orthodoxen Sursock-Familie finden.431 Der līwān selbst
erfüllt wegen der in die flankierenden Räume abgehenden Türen eine Verteilerfunktion, hat einen eigenen Außenzugang
und ist darüber hinaus repräsentativer ausgestattet als die Mittelhalle. Mehr als in anderen Häusern wird er zu einem zentralen Familienwohnraum, der offensichtlich auch Empfangsfunktionen hatte. Gaby Bustros machte in dieser Hinsicht eine interessante Bemerkung: Die Mittelhallen seien in
diesem Haus nie Aufenthaltsräume gewesen, dafür seien sie
viel zu groß und unwohnlich. Nur bei großen Empfängen wurden sie benutzt. Dies ist eine Aussage, die vermutlich für die
meisten großen Mittelhallenhäuser Beiruts gelten kann.
Die baufeste Dekoration des Erdgeschoss-līwāns ist hochwertig und bemerkenswert eklektisch: Ein Marmorfußboden
mit Rautenmuster und einem großen zentralen Feld mit aufwendigen, mehrfarbigen Marmorintarsien in osmanisch-barockem Stil, wie man sie gleichzeitig auch in Damaskus fin199
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 224
Qaṣr Tuéni-Bustros, Blick
von der Vorderhalle in die
Mittelhalle des Obergeschosses.
Abb. 225
Qaṣr Tuéni-Bustros, Tür der
Vorderhalle zum westlichen
Seitensaal. Hölzerne Türeinfassung mit schlichter
klassizistischer Sopraporte.
Rechts die Dreibogenarkade
zur Veranda im Norden.
det432; dazu ein offener Kamin mit Marmorrahmen im französischen Stil, und Stuckdecken in italienischem Stil (Abb.
222, 222a). Diese Kombination zeigt sehr deutlich den Übergang vom überwiegend osmanischen-barocken Dekorstil der
großen Beiruter Häuser der 1850er und 1860er (vgl. insbesondere Madrasa al-Waṭaniyya, Kap. 3.3, Ḥārat Geday, Kap.
3.5, und Qaṣr Kady, Kap. 3.8) zum eher italianisierenden
Dekorstil der Häuser ab den 1870ern.
Abb. 226
Qaṣr Tuéni-Bustros, Obergeschoss, Stuckdecke des westlichen
Seitensaals, Detail mit Musikinstrumenten als Dekormotiv des
Medaillons.
Dieser fortschreitende Wandel in den baulichen Mitteln sozialer Distinktion ist ebenfalls in den Außenfassaden des
Hauses abzulesen, wo Fenstergiebel, Wandpilaster und ein
Traufgesims in italienisch-klassizistisch inspiriertem Stil
die Fassaden gliedern, und gotisierende Elemente die Öffnungen der Mittelhallen schmücken – im Kontrast zu den
markanten, einfachen Fensterreihen und gekehlten Traufgesimsen der älteren Häuser. Die monumentale, zweiarmige Freitreppe aus Marmor, die der Nordseite des Hauses
vorgelagert ist, kann als eines der frühesten bekannten Beispiele solcher Treppen in Beirut gelten und war eine Innovation, die viele Nachfolger finden sollte. Auch in den Innenräumen des Hauses finden sich italianisierende Stuckdecken in allen Hauptwohn- und Empfangsräumen. Im nordwestlichen Seitensaal des Obergeschosses ist die Stuckdecke sogar mit Musikinstrumenten als Motiven bemalt, die –
in Kombination mit einem für Beirut außergewöhnlichen
hölzernen Parkettfußboden – diesen Raum als das Musikzimmer auszeichnen (Abb. 226).
An solchen Details lässt sich auch die fortgeschrittene funktionale Spezialisierung der Räume dieses Hauses ablesen, die
ihm schon zur Erbauungszeit eingeschrieben wurde. Dementsprechend sind beispielsweise alle bauzeitlichen Schlafzimmer und alle Dienstbotenzimmer mit Terrakottafliesen
ausgelegt und – was besonders für die Schlafzimmer eine
Neuerung ist – nicht von unmittelbar von der Mittelhalle her
200
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.12 Qas.r Kharsa/Batlouni
Abb. 227
Qaṣr Tuéni-Bustros, Schlafzimmer im Südwesten des
Obergeschosses, mit Fenstertüren auf die Balkone und
den zur Erbauungszeit des
Hauses üblich werdenden
Terrakottafliesen.
Abb. 228
Qaṣr Tuéni-Bustros, Blick in
eine der Bedienstetenkammern im Mezzaningeschoss
beim Treppenhaus.
zu betreten (Abb. 227, 228). Zu der Spezialisierung gesellt
sich eine räumlich klarer ausgeprägte Segregation der Funktionen, die in der späteren Entwicklung der Beiruter Mittelhallenhäuser eine wichtige Bedeutung spielen sollte.
Im Vergleich zum ungefähr zeitgleich errichteten Qaṣr Ziadé lässt sich feststellen, dass beide Häuser besonders in der
Ausstattung viel gemeinsam haben: auch dort gibt es schon
ein klassizistisches Schlussgesims, italianisierende Stuckdecken, offene Kamine, Terrakottafliesen u.ä.m. In der
räumlichen Gliederung, besonders in der Art, wie Räume
verschiedenster Nutzungen um die Mittelhalle liegen und
direkt von ihr erschlossen werden, ist der Qaṣr Ziadé jedoch konservativer als der auch in dieser Hinsicht sehr innovative Qaṣr Tuéni-Bustros.
Dokumentation in den 1960ern als Schule (Ecole secondaire Ahmad Tabbara) genutzt. Damals befand es sich im
Besitz von Emile Batlouni.433
Es war ein etwas kleineres, aber immer noch herrschaftliches
Mittelhallenhaus mit zwei vollen Wohngeschossen (Abb.
230, 231), wobei das zweite Geschoss als etwas spätere Aufstockung aus dem späten 19. Jahrhundert erkennbar ist. Es
stand mit seiner Ostseite direkt an der sehr viel tiefergelege-
3.12 Qaṣr Kharsa/ Batlouni
Der Qaṣr Kharsa [ZAB 730&732] ist ein im APSAD-Archiv dokumentiertes Haus, das in den 1980ern abgerissen
wurde. Es befand sich an der südöstlichen Grenze des Quartiers Zokak el-Blat in Richtung Basta, auf der Westseite der
Rue Ahmad Tabbara (Abb. 229). Laut APSAD-Akte wurde das Haus um 1870 von einem nicht weiter identifizierten Angehörigen der sunnitischen Beiruter Familie Kharsa
(al-Ḫarsā) errichtet, diente eine Zeitlang als Residenz eines
osmanischen Gouverneurs und wurde zum Zeitpunkt der
Abb. 229
Lageplan Qaṣr Kharsa (o. M., Grundlage:
Katasterplan 1:2.000 von 1964).
201
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 230
Qaṣr Kharsa, Ansicht von
Nordosten. In der straßenseitigen Ostfassade des
Hauses sind im Erdgeschoss
die Eingangstür und darüber
die Zwillingsbogenfenster
des Treppenhauses zu erkennen. Rechts der Eingang
zur Gartentreppe. Aufnahme aus den 1960ern.
nen Rue Ahmad Tabbara, wo zwei Substruktionsgeschosse
mit Ladengeschäften und weiteren separaten Wohnräumen
den Höhenunterschied zum Geländeniveau des Gartens ausglichen. Eine ungewöhnlich lange, repräsentativ gestaltete
Freitreppe – die, falls sie tatsächlich bauzeitlich gewesen sein
sollte, ein ebenso frühes Beispiel wäre wie die des Qaṣr Tuéni-Bustros – führte von der Straße hinauf zur Nord- und
Schauseite des eigentlichen Wohnhauses.
Der Grundriss des ersten Wohngeschosses (das zweite ist nicht
dokumentiert) war einfach aufgebaut (Plan 3.12): Auf der in
nord-nordöstlicher Richtung ausgerichteten Mittelachse lagen eine nach außen durch eine Dreibogenstellung offene Vorhalle, die Mittelhalle und der līwān, jeweils durch Wände voneinander abgetrennt und eine Tür-Fenster-Kombination miteinander verbunden. Auf der Westseite lagen vier etwa gleichgroße Räume, die jeweils über zwei Innenfenster miteinander kommunizierten. Auf der Ostseite lagen fünf Räume: ein
etwas größerer Seitensaal im Norden, das Treppenhaus, die
Küche mit Bad- und Toilettenräumen, und ein kleiner, zur
Mittelhalle hin gelegener Raum mit einen dahinter liegenden,
L-förmigen Raum in der Südostecke. Der L-förmige Raum
war durch den kleineren Raum mit der Mittelhalle verbunden; beide hatten direkten Zugang zur Küche.
Das Treppenhaus war – obgleich dies in der Planskizze von
APSAD nicht eindeutig erkennbar ist – vermutlich die Zweiterschließung der Wohngeschosse von der Straße her. Von
der Treppe führte eine Tür unmittelbar in die Mittelhalle, eine weitere Tür ging direkt in die Küche, so dass es auch in
diesem Haus separate Eingänge zur Küche und zum Wohnbereich gab. Eine dritte Tür ging von der Treppe in den östlichen Seitensaal, der außerdem von der Mittelhalle und von
der außenliegenden Vorhalle her zu betreten war. Dieser Seitensaal lässt sich daher als der manzūl identifizieren.
Ein Kuriosum lässt sich jedoch beobachten: Der Raum in
der Nordwestecke – zu klein, um als Seitensaal bezeichnet
zu werden – war laut Grundrissskizze ausschließlich von
der Vorhalle und damit nur von außen zu betreten. Dieser
vom Wohnbereich fast völlig isolierte Raum (die einzige
Verbindung waren scheinbar die Innenfenster zum südlichen Nachbarraum) könnte wegen seiner Lage am Haupteingang ein zweiter Empfangsraum gewesen sein, offenkundig für Besucher, die nicht einmal in den manzūl vorgelassen wurden. In der hier vorgefundenen Form ist dieser
Raum meiner Kenntnis nach in Beiruter Mittelhallenhäusern eine Ausnahmeerscheinung. Das Prinzip jedoch lässt
sich auch im Qaṣr Ziadé wiederfinden, wo ein repräsenta-
202
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.13 Qas.r Mu-sa- Sursock
Abb. 232
Lageplan Qaṣr
Mūsā Sursock
(o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
3.13 Qaṣr Mūsā Sursock
Abb. 231
Qaṣr Kharsa, Ansicht der Nordseite, mit Freitreppe und offener Vorhalle, von der Türen in die Mittelhalle und die flankierenden Räume führen. Aufnahme aus den 1960ern.
tiv gestalteter Raum im zweiten Obergeschoss direkt am
Eingangskorridor liegt, wodurch die hier Eintretenden ebenfalls vom Wohn- und Empfangsbereich um die Mittelhalle
gänzlich ferngehalten werden.
Für ein um 1870 errichtetes Haus war der Qaṣr Kharsa/ Batlouni ein insgesamt konventionelles Mittelhallenhaus, was
wohl auch durch seine geringere Größe bedingt war. Immerhin verfügte er schon über eine ausgesprochen monumentale Freitreppenanlage, die das in Beirut erstmalig in
den 1860ern nachweisbare Element einer geschwungenen
zweiarmigen Treppe mit gemeinsamem Austritt sogar zweimal aufwies: einmal unten an der Straße, und ein zweites
Mal oben vor dem Haus. Die Anlage des Grundrisses war
jedoch sehr einfach, der Wirtschaftsbereich ist extrem klein
und nicht weiter ausdifferenziert. Vorrats- und Bedienstetenkammern befanden sich vermutlich in einer titḫīte. Der
intensive Gebrauch von Innenfenstern war selbst für kleine
Häuser ungewöhnlich und in großen Häusern dieser Zeit
eigentlich kaum mehr üblich.434
Die griechisch-orthodoxe Familie Sursock (Sursuq) gehörte im
Beirut des 19. Jahrhunderts sicherlich zu den Familien, die
den spektakulärsten wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg
machten. Die Familie stammt der Überlieferung nach ursprünglich aus der Türkei, war allerdings schon lange bei Jbeil
(Byblos) ansässig gewesen, als der Stammvater der Beiruter
Sursocks, Ǧabbūr, im Jahr 1712 nach Beirut übersiedelte. Sein
Enkel Dīmitrī oder Mitrī war schon zur ägyptischen Besatzungszeit (1832–1840) als „private merchant“ bekannt und
arbeitete als Geldwechsler. Es war aber die Generation seiner
sechs Söhne Niqūlā, Mūsā, Ḫalīl, Ibrāhīm, Yūsuf und Luṭfallāh
(drei weitere Söhne waren im Kindesalter verstorben, die Mädchen sind nicht mitgezählt), die den enormen Wohlstand und
den heute als „aristokratisch“ betrachteten Rang der Familie
in der Beiruter Gesellschaft begründeten. Dies geschah insbesondere im Zusammenhang mit dem Bau des Suezkanals
unter den ägyptischen Khediven Saʿīd Pascha (1854–63) und
Ismāʿīl Pascha (1863–79), an dessen Finanzierung sie als Bankiers beteiligt waren, und an dem sie gewinnbringende Aktienanteile erwarben. Enge Beziehungen zu den Khediven öffneten ihnen viele Türen. Sie investierten in Seidenfabriken,
Baumwollindustrie und Infrastrukturprojekten, sie erwarben
ausgedehnten Landbesitz, der sich in den 1890ern von Ägypten über Palästina bis in die Türkei verteilte, und wurden von
manchen die „Rothschilds des Orients“ genannt.
Die Familie Dīmitrī Sursock wohnte bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts in einem Haus im östlichen Teil der Altstadt –
dort, wo die Nachkommen Anfang der 1880er den nach ihnen benannten Laden- und Handelsbaukomplex Sūq Sursock errichteten. Schon um die Mitte des Jahrhunderts
wohnten offenbar alle sechs Brüder mit ihren Frauen und
203
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Familien in einem gemeinsamen Haus mit großer Galerie
weit östlich außerhalb der Altstadt im Quartier Mār Niqūlā
oder Saint-Nicolas, dort, wo später das Quartier Sursock
entlang der Rue Sursock/ Rue de l’Archevêche Orthodoxe
entstand. Nach ihrer Rückkehr aus Ägypten (bzw. im Falle Luṭfallāhs aus Manchester) in den 1870ern und 1880ern
erbauten die sechs Brüder ihre eigenen, herrschaftlichen
Villen – in der Nachbarschaft des alten Hauses und nur wenig nördlich vom großen Park des kurze Zeit vorher errichteten Qaṣr Tuéni-Bustros (siehe Kap. 3.11).435
Unter diesen Villen war der Qaṣr von Mūsā Dīmitrī Sursock
[R 358] (Abb. 232). Das Erbauungsjahr des Hauses ist nicht
genau bekannt, ist jedenfalls aber nach 1876 zu datieren; auf
dem Löytved-Plan von 1876 ist das Haus noch nicht eingezeichnet.436 Da sein Erbauer 1887 starb, ist zumindest anzunehmen, dass das Haus rechtzeitig vorher – d.h. gegen Ende der 1870er – fertig gestellt war. Im Falle dieses Hauses
gibt es ausnahmsweise Angaben zum Baumeister, allerdings
widersprüchliche: Lady Yvonne Cochrane, die Enkelin Mūsā
Sursocks und heutige Bewohnerin, berichtete von einem „türkischen Baumeister“, der Entwurf und Ausführung besorgte.
An anderer Stelle ist von einem „maître-maçon libanais“ (einem libanesischem Maurermeister) die Rede, der diese Aufgabe erfüllt habe. Die erste Angabe ist nach allem Dafürhalten wahrscheinlicher. Davon bleibt unbenommen, dass die
Bauausführung – insbesondere des Mauerwerks – durchaus
in den Händen eines lokalen Meisters gelegen haben kann.437
Das Haus wurde zunächst von Mūsā, seiner ebenfalls aus guter Beiruter, griechisch-orthodoxer Familie stammenden Gat-
Abb. 233
Blick auf das Quartier Sursock mit dem Qaṣr Mūsā Sursock
rechts im Bild. Postkarte der Jahrhundertwende.
tin Anastasie Dagher (Dāġir) und ihren insgesamt acht Kindern bewohnt – fünf Töchter und drei Söhne, von denen einer
früh verstarb. Nach Mūsās Tod im Jahr 1887 wurde das Haus
vom jüngeren Sohn Alfred ererbt und weiter bewohnt; der ältere Sohn Georges (Ǧurǧī, lebte 1852–1913) erbte umliegende Grundstücke. Alfred Sursock war kein Geschäftsmann wie
sein Vater, sondern als Diplomat des osmanischen Reiches in
London und Paris tätig und zeigte außerdem künstlerische Neigungen; er heiratete die italienische Herzogstochter Marie de
Cassano. Das Paar hatte eine einzige Tochter, Yvonne, welche
ihrerseits den irischen Lord Sir Desmond Cochrane ehelichte
und alle Besitztümer ihres Vaters erbte, einschließlich des Hauses, das sie mit ihren Kindern auch heute noch bewohnt.
Die Villa des Geschäftsmanns und Bankiers Mūsā Sursock
strahlt das ganze Selbstbewusstsein neuen und selbsterworbenen Reichtums aus. Es war damals wie heute eines der größten, wenn nicht das größte Wohnhaus Beiruts – und das
Flaggschiff einer ganzen Flotte von Sursock-Villen entlang
der nach ihnen benannten Straße (Abb. 233). Es steht mittig in
einem parkartigen Gartengrundstück auf der Nordseite der
Straße. Zwei Wohngeschosse erheben sich über einem Souterrain mit Wirtschaftsräumen – worin das Haus dem in Beirut vom Qaṣr Tuéni-Bustros gesetzten Beispiel folgt. Auch in
seiner zweiseitigen Ausrichtung, mit Dreibogenfenstern sowohl auf der straßenseitigen Eingangsfront im Süden als auch
auf der dem Meer zugewandten Gartenfront im Norden, nimmt
es einen schon vom Tuéni-Haus bekannten Trend auf. Der
enorme, breitgelagerte, quaderförmige Baukörper wird durch
Rundtürme akzentuiert, die die Mittelrisalite des Treppenhauses auf der Westseite und des Wirtschaftsbereiches auf der
Ostseite flankieren, und dem Haus – wohl mit Absicht – einen burgartigen und feudalen Charakter geben. (Abb. 234–236)
Die Grundrisse der beiden Wohngeschosse korrespondieren
weitestgehend. Der hier vorgestellte Grundriss des Erdgeschosses (Plan 3.13) beruht auf den APSAD-Akten. Beide Geschosse wurden von der Familie bewohnt, das Erdgeschoss
diente vor allem als Empfangsgeschoss, das Obergeschoss
enthielt die Schlaf- und Privatzimmer der Familienangehörigen. In seiner Anlage weist der Grundriss das bekannte Doppel-T-Schema auf, mit einer Reihe von fünf Räumen auf der
Eingangsseite im Süden, zwei Seitensälen beidseitig einer Vorderhalle im Norden, und in den Wangen auf der Westseite das
Haupttreppenhaus mit zwei flankierenden Räumen sowie auf
der Ostseite Wirtschaftsräume und die Dienstbotentreppe. Die
Mittelhalle ist mit über elf Metern Breite sehr groß dimensioniert, was jedoch in seiner räumlichen Wirkung dadurch abgeschwächt (und statisch aufgefangen) wird, dass der großen
Halle eine zweite, kleinere Halle mittig eingeschrieben ist, die
204
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.13 Qas.r Mu-sa- Sursock
Abb. 234
Qaṣr Mūsā Sursock, Ansicht der Nord- und Ostseite. Aufnahme aus den 1990er Jahren.
auf ihren vier Seiten durch offene Dreibogenstellungen mit
dem umliegenden Raum kommuniziert. Daraus ergibt sich der
Effekt eines zur inneren Halle hin offenen Umgangs, von dem
aus die umliegenden Räume erschlossen werden (Abb.237).
Der Haupteingang des Erdgeschosses (Abb. 236) führt von
einer Freitreppe auf der Südseite des Hauses in eine Vorhalle, die sich mit einer offenen Dreibogenstellung zur Mittelhalle öffnet. Eine Verteilerfunktion zur Sortierung von
Besuchern hat diese Vorhalle im Unterschied zu den bisher
bekannten Vorhallen nicht. Auch gibt es keinen līwān im eigentlichen Sinne; die Vorhalle liegt hier in genau jener Position, die normalerweise vom līwān eingenommen würde.
Die relativ kleinen Räume seitlich des Vorraums weisen Umbauten auf, die ihre bauzeitliche Erschließungsform (im Falle der Eckräume mittels kleiner Stichkorridore) nicht mehr
sicher ablesen lassen. Eine direkte Verbindung zur Vorhalle ist nicht (mehr?) gegeben; Besucher, die von vorne in das
Abb. 235
Qaṣr Mūsā Sursock, Ansicht der nördlichen Gartenfront des
Hauses. Aufnahme aus den 1960er Jahren.
205
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Haus traten, konnten nur durch die Mittelhalle bzw. den offenen Umgang in besondere Empfangsräume gelangen.
Die Vorderhalle auf der Nordseite ist zur Mittelhalle und
dem Umgang durch eine offene Dreibogenstellung verbunden. Nach außen öffnet sie sich mit einer verglasten
Dreibogenstellung auf die vorgelagerte Terrasse. Es ist somit eine „klassische“ Vorderhalle (oder dīwān-ḫāne), wie
wir sie auch aus dem Qaṣr Ziadé kennen. In ebenso bekannter Form sind die beiden Seitensäle von dieser Vorderhalle her erschlossen. Der westliche Seitensaal – heute
und wohl auch historisch ein Salon – ist außerdem auch direkt vom Umgang der Mittelhalle zu betreten. Der östliche
Seitensaal hat seine Zweiterschließung nicht von der Mittelhalle her, sondern von einem Nebenraum, der seinerseits
direkt mit dem Wirtschaftsbereich verbunden ist. Dieser
Saal ist sowohl in seiner heutigen Nutzung wie auch schon
in seiner baulichen Anlage das Esszimmer (vgl. die identische Situation im Qaṣr Tuéni-Bustros).
Ein besonderes und innovatives Merkmal dieses Hauses ist
das Treppenhaus. Es ist in der bekannten Weise separat erschlossen, hier durch einen Eingang auf der Westseite des
Abb. 236
Qaṣr Mūsā Sursock, südliche
Hauptfassade mit Eingang zum
Erdgeschoss. Aufnahme aus den
1990er Jahren.
Hauses. Es ist jedoch weit repräsentativer gestaltet als es in
Beiruter Mittelhallenhäusern bis dahin üblich war: eine filigrane, symmetrisch angelegte, zweiläufige Treppenanlage,
die gänzlich von schlanken Marmorsäulen und von marmorverkleideten Eisenträgern getragen wird, und von oben
durch ein Glasdach belichtet wird. Bemerkenswerterweise
ist das Treppenhaus nicht durch eine verschließbare Tür von
der Mittelhalle des Erdgeschosses getrennt, sondern durch
eine als Serliana gestaltete, offene Bogenstellung zur Halle
hin offen (Abb. 238). In neuartiger und ganz eindeutiger Weise ist hier die Nutzung der beiden Wohngeschosse als eine
zusammengehörige Wohneinheit baulich ausgedrückt. Dies
steht in deutlichem Kontrast zu den Treppenhäusern des üblichen Beiruter Geschosserschließungssystems, die hinsichtlich der zusammengehörigen oder separaten Nutzung der Geschosse mit Absicht zweideutiger sind. Derart offene, repräsentative Treppenanlagen wurden fast zu einem Markenzeichen der Villen der Sursocks und anderer Familien des orthodoxen Geldadels der 1880er (vgl. auch Qaṣr Ḫalīl Sursock, Kap. 3.14).438 Die Erschließung vieler Räume des Erdgeschosses von der Mittelhalle bzw. dem Umgang, wie sie
Abb. 237
Qaṣr Mūsā Sursock, Blick aus dem Eingangsbereich des Erdgeschosses in die Mittelhalle nach
Norden. Aufnahme aus den 1960er Jahren.
206
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 238
Qaṣr Mūsā Sursock, Blick von der Mittelhalle des Erdgeschosses zum Treppenhaus auf der Westseite, mit als Serliana gestaltetem offenem Durchgang.
Aufnahme aus den 1960er Jahren.
II.3.14 Qas.r Hal-l l Sursock/Antoine Moukbel
Abb. 239
Qaṣr Mūsā Sursock, Mittelhalle des Erdgeschosses, Detail der
orientalisierenden Stuckdecke. Aufnahme 1999.
Abb. 240
Lageplan Qaṣr Ḫalīl Sursock (o. M., Grundlage: Katasterplan
1:2.000 von 1964).
im Qaṣr Mūsā Sursock anzutreffen ist, stellt zwar in gewisser Weise einen Rückschritt gegenüber der besseren räumlichen Abschirmung dar, wie sie die Seitenkorridore des Qaṣr
Tuéni-Bustros schon ein knappes Jahrzehnt früher boten. Weil
aber das Erdgeschoss im Sursock-Haus vor allem als Empfangsgeschoss diente und die Schlafzimmer in Obergeschoss
lagen, war diese Abschirmung auch weniger nötig.
Hinsichtlich des Bauschmucks setzt das Sursock-Haus den
schon am Qaṣr Tuéni-Bustros und am Qaṣr Ziadé beobachteten Trend zu stärker italianisierenden Formen fort.
Auch dieses Haus ist mit Stuckdecken im Stil des Neobarock und Neorokoko ausgestattet, einige Decken sind mit
Deckenmalereien versehen; nach Angaben von Lady Cochrane sind jedoch nicht alle Decken bauzeitlich, es gab Renovierungen. Bauzeitlich soll allerdings die Stuckdecke der
Mittelhalle des Erdgeschosses sein, die in orientalisierender
Weise mit geometrischen Flechtbandmustern und Arabesken dekoriert ist (Abb. 239). Sie ist damit vielleicht das
früheste bekannte Beispiel eines solchen Dekors in Beirut,
und datiert etwa gleichzeitig oder nur wenig früher als der
Qaṣr Heneiné.439 Die steinsichtigen Außenfassaden sind
durch weiß abgesetzte profilierte Gesimse, Pilaster und üppig barockisierende Fensterverdachungen gegliedert, ein
barocker Ziergiebel bekrönt die straßenseitige Fassade.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts verlief die Straße hier
etwa 50 Meter weiter südlich, so dass die breite Eingangstreppe der Villa ursprünglich nicht direkt auf die Straße
ging, sondern in einen vorgelagerten Garten.
Laut APSAD-Akte wurde das Haus „wahrscheinlich“ in
den 1880ern von Ḫalīl Sursock errichtet. Das Baudatum ist
in der Tat wahrscheinlich, denn auf dem Löytved-Plan ist
der Bau noch nicht eingezeichnet, aber Photos aus der Mitte der 1880er zeigen das Haus schon. Daher lässt es in die
frühen 1880er datieren.440 Ḫalīl war verheiratet mit Mehgé
Debbas (Muhǧa Dabbās) und hatte acht Kinder, davon vier
Jungen. Zur weiteren Bewohnergeschichte des Hauses liegen mir allerdings keine Informationen vor.441 Später kam
es in den Besitz von Antoine Moukbel (Muqbil), der es dem
Staat als Schulgebäude vermietete; zum Zeitpunkt der Dokumentation durch die APSAD in den 1960ern war es die
École Superieure de Jeunes Filles. Seit 2004 dient es der
französischen Business-Schule Pigiér.
Der Qaṣr Ḫalīl Sursock hat zwei Wohngeschosse über einem Souterrain für die Küchen- und Wirtschaftsräume (Abb.
241, 242). Die nach Süden und Norden gerichteten Hauptfassaden (auch dieser Bau ist nach zwei Seiten ausgerichtet) sind breiter als die Ost- und Westseite, welche ihrerseits
jeweils durch einen Mittelrisalit gegliedert sind – letzteres ein
Motiv, dass schon am Qaṣr Tuéni-Bustros und am Qaṣr Mūsā
Sursock ausgeprägt war. Die symmetrischen Fassaden sind
durch profilierte Gesimse, rahmende Pilaster und dreieckige Fenstergiebel gegliedert. In der südlichen Fassade – d.h.
auf der Eingangsseite – zeichnen sich die Mittelhallen nicht
durch Dreibogenfenster, sondern durch mittig positionierte
3.14 Qaṣr Ḫalīl Sursock/Antoine Moukbel
Dieser von Ḫalīl Dīmitrī Sursock erbaute Qaṣr [R 310] liegt
200 Meter westlich von dem seines Bruders Mūsā Sursock,
ebenfalls auf der Nordseite derselben Straße (Abb. 240).
207
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 241
Qaṣr Ḫalīl Sursock, Ansicht von Südwesten.
Tür-Fenster-Kombinationen mit Fenstergiebeln ab (Abb.
243). Auf der dem Meer zugewandten Nordseite hingegen
öffnen sich die Hallen beider Geschosse mit verglasten Dreibogenfenstern. Neben der Haupteingangstreppe in der Mit-
Abb. 242
Qaṣr Ḫalīl Sursock, Ansicht von Südosten, mit Dienstbotentreppe zum Zwischengeschoss des Wirtschaftsbereichs.
te der Südseite gibt es eine zum Obergeschoss führende Außentreppe am östlichen Ende des Gebäudes. Dies war ein
Neben- und Dienstbotenaufgang.
Der hier präsentierte Grundriss ist der des Erdgeschosses
(Plan 3.14); der Grundriss des Obergeschosses ist nicht dokumentiert, aber weitgehend identisch. Der Erdgeschossgrundriss folgt dem bekannten Doppel-T-Schema, das hier
allerdings in innovativer Weise variiert ist, indem die Mittelhalle kreuzförmig angelegt ist. Die seitlichen Kreuzarme
sind von der in Nordsüdachse liegenden Haupthalle durch
offene Dreibogenstellungen abgegrenzt. Im östlichen Kreuzarm befindet sich eine repräsentative, zur Mittelhalle hin offene Treppenanlage (zweiarmig und dreiläufig mit gemeinsamen Antritt), die die Mittelhalle des Erdgeschosses mit der
der Obergeschosses verbindet – auch hier ein deutliches Zeichen dafür, dass das Haus von einem Haushalt bewohnt wurde, der das Erdgeschoss als Empfangsgeschoss und das Obergeschoss als Privat- und Schlafgeschoss nutzte.442
Ebenerdig an der Treppe vorbei erreicht man die im östlichen Gebäudebereich liegenden Wirtschaftsräume. Gleich
im Norden der Treppe gehen zwei Türen in den östlichen
Seitensaal, der offenkundig auch hier das Esszimmer war –
möglichst direkt mit den Wirtschaftsräumen verbunden. Der
westliche Seitensaal und der am westlichen Kreuzarm der
Mittelhalle anschließende, sehr große Raum waren beide
Salons (in der APSAD-Akte wird der große Raum auf der
Westseite als „grand salon“ bezeichnet). Die historische Nutzung der übrigen, auf der Südseite gelegenen Räume des
Erdgeschosses ist nicht ganz sicher zu klären. Feststellen
lässt sich immerhin, dass die in der südlichen Verlängerung
der Mittelhalle liegende Vorhalle oder Eingangshalle hier
(anders als im Qaṣr Mūsā Sursock) über Seitentüren verfügt, die in die flankierenden Räume führen. Der östliche
von ihnen ist zusätzlich von der Treppenhalle und vom Wirtschaftsbereich her zu betreten und mag daher so etwas wie
ein manzūl gewesen sein, ein äußerer Empfangsraum für
Besucher, die nicht tiefer in das Innere des Hauses vorgelassen werden sollen (aber immerhin beim Eintreten in die
Vorhalle einen Blick durch die verglaste Dreibogenstellung
in die Mittelhalle erheischen konnten).
Ein auffälliges Merkmal dieses Hauses ist auch, dass alle
Räume nicht nur von der Mittelhalle (genauer, ihren Kreuzarmen) her zu betreten waren, sondern durch zusätzliche
Türen untereinander verbunden waren. Das Haus ist eines
der frühesten mir bekannten Beispiele, wo dies so konsequent durchgeführt wurde. So konnte man sich, unabhängig
von der Mittelhalle, freier zwischen den Salons, dem Esszimmer und anderen Empfangsräumen bewegen, und man
208
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.15 Qas.r Hanna- Heneiné
˙
Abb. 243
Qaṣr Ḫalīl Sursock, Haupteingang auf der Südseite.
Abb. 244
Lageplan Qaṣr Ḥannā Heneiné (o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000 von 1964).
konnte sich auch besser ausweichen. Damit wurde auch hier
– ähnlich wie im Qaṣr Tuéni-Bustros – die hergebrachte
Funktion der Mittelhalle als unumgänglicher Verteiler zunehmend abgelöst durch eine stärker „verteilte“, weniger
zentral kontrollierte Erschließungsstruktur. Einige große
Beiruter Mittelhallenhäuser wie dieses begannen also schon,
sich in bestimmenden Eigenschaften der dezentralen Erschließungsstruktur eines Qaṣr Heneiné anzunähern – wurden darin also „europäisch-bürgerlicher“, und dies etwa zu
der Zeit, als der Qaṣr Heneiné errichtet wurde.443 Die bauliche Grundform des Mittelhallenhauses wurde allerdings
noch längst nicht aufgegeben.
Y. Haddad (Darwīsh Yūsuf Ḥaddād) das Haus, und später
wurde es von dessen Tochter Renée ererbt, die mit dem
Bauunternehmer, Architekten und Geschäftspartner ihres
Vaters verheiratet war, Fouad Khalil el-Khoury (Fu’ād Ḫalīl
al-Ḫūrī). Die Initialen HH und DH – für Ḥannā Heneiné
und Derviche Haddad – finden sich noch heute auf den
Gartentoren des Anwesens. Das Haus wurde in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts geschossweise von verschiedenen Verwandten und Mietern bewohnt, u. a. von Dr. Joseph Heneiné und seiner Familie, bevor sie 1936 in das
Haus hangaufwärts umzogen, und ab Ende der 1930er von
Bechara Khalil el-Khoury (Bišāra Ḫalīl al-Ḫūrī), der das
Obergeschoss bewohnte, sowie Tannous (Ṭannūs) Haddad
im Erdgeschoss. Als Bechara el-Khoury 1943 der erste Präsident der unabhängigen Republik Libanon wurde, übernahm er das ganze Haus als Präsidentenpalast und Residenz. Sein Amtsnachfolger Camille Chamoun (reg. 1952–
1958) residierte ebenfalls hier. Als „palais présidentiel“
oder „ancienne résidence présidentielle“ ist das Haus daher auch heute noch vielen bekannt. Die Familie el-Khoury blieb bis 1986 Eigentümer, und der Sohn Bechara elKhourys, Michel, bewohnte es in den 1960ern und 1970ern.
Seit Ende des Bürgerkrieges dient es der Fernsehgesellschaft Future TV als Verwaltungsgebäude.444
Es handelt sich um ein nach Norden ausgerichtetes Mittelhallenhaus mit zwei Wohngeschossen und Ziegelwalmdach
über einem gewölbten Erdgeschoss, das hier allerdings nicht
die Küche, sondern nur Wirtschafts- und Lagerräume umfasste (Abb. 246, 246). Die Grundrisse der beiden Geschosse
gleichen sich weitgehend; das hochgelegene erste Oberge-
3.15 Qaṣr Ḥannā Heneiné
Der Qaṣr Ḥannā Heneiné [MH 1761] ist nicht zu verwechseln mit dem uns schon bekannten Haus des Dr. Joseph Heneiné. Er steht allerdings ganz in der Nähe, auf einem Gartengrundstück im Quartier Kantari, an der Ecke
Rue Kantari (auch Rue Michel Chiha genannt) und Rue
Abdel-Kader, und damit nur 50 Meter nördlich vom Qaṣr
Joseph Heneiné auf der gegenüberliegenden Straßenseite
(Abb. 244). Im Gegensatz zu letzterem wurde das hier besprochene Haus der Überlieferung nach tatsächlich von einem Heneiné erbaut, und zwar Josephs Onkel Ḥannā Heneiné im Jahr 1885. Ḥannā Heneiné war ein Angehöriger
jener maronitischen, schon seit Generationen in Beirut ansässigen Familie, die in dieser Gegend größeren Grundbesitz erworben hatte. Um 1910 erwarb der bedeutende
Beiruter Bauunternehmer und Baustoffhändler Derviche
209
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schoss wird frontal von Norden her über eine zweiarmige
Freitreppe in die Vorhalle und Mittelhalle erschlossen, das
zweite Obergeschoss (Plan 3.15) ist über ein geschlossenes
Treppenhaus auf der Ostseite zu betreten.445 Ein weiteres
Treppenhaus an der Südostecke des Hauses gibt gesonderten Zutritt zu den Wirtschaftsbereichen beider Geschosse.
Abb. 245
Qaṣr Ḥannā Heneiné, Ansicht der Ostseite mit Zugang zum
Treppenhaus.
Abb. 246
Qaṣr Ḥannā Heneiné, Nordseite mit Freitreppe zum ersten
Obergeschoss. Aufnahme aus den 1960ern.
Es handelt sich hierbei jedoch um einen späteren Umbau –
vermutlich aus der Zeit, als das Haus zum Präsidentenpalast umgenutzt wurde. Der Katasterplan aus den 1930ern
zeigt hier noch eine schmale Außentreppe, die nur den Wirtschaftsbereich des ersten Obergeschosses erschloss.
Der Grundriss des zweiten Obergeschosses zeigt eine für
die Erbauungszeit Mitte der 1880er auf den ersten Blick konventionelle – und im Vergleich zu den vorgestellten Häusern der Sursocks und Tuénis beinahe konservative – Anlage. (Die im Plan angegebenen Raumnutzungen sind die von
Fouad el-Khoury gegebenen und beziehen sich auf die Gegebenheiten in den 1960ern und 1970ern.) Die einfach rechteckige Mittelhalle ist nach Norden ausgerichtet; offene Dreibogenstellungen begrenzen eine Vorderhalle am Nordende
und einen līwān (hier „Living room“) am Südende der Halle (Abb. 247). Der līwān ist als Risalit aus dem sonst vollkommen kubischen Baukörper herausgezogen.
Die Seitensäle auf der Nordseite liegen – bedingt durch die
Breite des Baus – quer zur Achse der Halle. Sie haben eine
Tür zur Mittelhalle, aber keine zur Vorderhalle, welche dadurch etwas abgeschlossener als sonst üblich ist. Nun ist
das Schema der Doppelerschließung zur Mittelhalle und
Vorderhalle in Obergeschossen, die von der Seite erschlossen werden, nicht wirklich funktional begründet, sondern
eine Erschließungsform, die wohl ursprünglich für frontal
erschlossene Erdgeschosse entwickelt wurde, um separate
Außeneingänge zum manzūl und zur Mittelhalle zu haben,
und dann als formales Motiv auch in die Obergeschosse
übertragen wurde (vgl. Qaṣr Ziadé). Aus praktischen Gründen konnte man – wie hier geschehen – darauf verzichten,
wodurch die Vorderhalle etwas ungestörter als Sitzbereich
oder Wohnzimmer genutzt werden konnte.
Südlich des östlichen Seitensaals schließt das Treppenhaus
an, und davon wiederum südlich der Wirtschaftsbereich
mit Anrichtezimmer, Dienstmädchenkammer, Toilette und
Küche.446 Das Treppenhaus hat Türen zur Mittelhalle, zum
Seitensaal und zum Wirtschaftsbereich. Dadurch sind auch
hier im Obergeschoss (wo es ursprünglich keine Außentreppe für Dienstboten gab) die Eingänge in der bekannten Weise getrennt. Auch der Seitensaal ist unabhängig von
der Mittelhalle von außen erschlossen, weshalb er historisch als Hauptempfangsraum (manzūl) gedient haben
könnte. Gleichzeitig macht diese Erschließungssituation
jedoch auch schon die Esszimmernutzung als eine von vorneherein angelegte Nutzung vorstellbar – zumindest wenn
wir hinnehmen, dass das Dienstpersonal sich über den oberen Treppenabsatz zwischen Anrichtezimmer und Esszimmer bewegte.
210
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.15 Qas.r Hanna- Heneiné
˙
Das Schema der līwān-Raumgruppe ist hier fast aufgegeben: Zwar entspricht die Position der seitlichen Türen in
den Ecken der Mittelhalle diesem Schema, aber der Raum
auf der Ostseite des līwāns ist äußerst klein; seine historische Funktion bleibt unklar, und die im Plan angegebene
Nutzung als „Guest room“ ist ganz sicher eine spätere Umnutzung. Auf der Westseite liegt statt eines Raumes ein kleiner Stichkorridor, der Zugang zu drei Räumen gibt: laut
Plan zwei Schlafzimmer und ein Ankleidezimmer, historisch vermutlich drei Schlafzimmer. Dieses Arrangement
ist innovativ und zeigt ein sich stärker ausprägendes Bedürfnis nach räumlich spezialisierten Schlafzimmern an,
die besser vom Wohn- und Empfangsbereich der Mittelhalle abgesondert sind. Auch wenn wir erste Schritte in diese Richtung schon am Qaṣr Tuéni-Bustros beobachten konnten, so ist die hier an diesem etwas kleineren Haus vorgefundene Form schon sehr artikuliert und sollte sich im frühen 20. Jahrhundert weiter durchsetzen.
Die Tür zwischen Ankleidezimmer und dem nördlich anschließenden Raum ist möglicherweise nicht bauzeitlich,
denn im älteren APSAD-Grundriss aus den frühen 1960ern
ist sie nicht eingezeichnet, erst in späteren Plänen. Die Lage und die Funktion des Raumes, „Family room“, erinnert
an das innenliegende Wohnzimmer oder Winterzimmer im
Qaṣr Ziadé; auch historisch mag es hier eine ähnlich Nutzung gegeben haben.
Ein altes Motiv ist die auf der Westseite liegende, kleine
Bogengalerie („Verandah“). Es ist eine Westloggia, wie sie
schon an großen Häusern der 1850er und 1860er zu finden
war (z.B. Ḥārat Geday, Haus der Phalanges) und dazu dienen konnte, gerade den Bereich des Hauses, wo Privat- oder
Schlafzimmer liegen, der nächtlichen Brise aus Westen zugänglicher zu machen und eine zusätzliche rückwärtige Verbindung zwischen den Zimmern zu schaffen.447 Später wurde hier, dem Trend der Mandatszeit folgend, ein modernes
Bad (ḥammām franǧī) eingebaut.
Der nördliche Seitensaal hat – wie dies auch in älteren
Häusern schon bekannt ist – eine zusätzliche Tür zum südlichen Nachbarraum (ihre bauzeitliche Datierung kann jedoch auch hier nicht als völlig sicher gelten). Die angegebene Funktion, „Main living room“, bezeichnet hier wohl
einen Salon oder besseres Wohnzimmer, und steht in weitgehender Übereinstimmung mit dem, was bei anderen großen Häusern hinsichtlich der Nutzung dieses Raumes als
einer Art zweiter Salon (oder ṣāliya) mit familiärerem Charakter gesagt wurde. Auffällig ist sicherlich die große Anzahl von verschiedenen Arten von Wohn- und Empfangszimmern, für die Fouad el-Khoury die Benennungen „Li-
Abb. 247
Qaṣr Ḥannā Heneiné, zweites Obergeschoss, Blick aus dem
līwān in die Mittelhalle. Aufnahme aus den 1960ern.
ving“, „Living room“, „Family room“, „Main living room“,
„Dining“ angibt, verglichen mit nur zwei Schlafzimmern,
die in diesem Geschoss übrig bleiben. Für Haushaltsgrößen, wie sie im späten 19. Jahrhundert üblich waren, reichten zwei Schlafzimmer vermutlich nicht aus; aber grundsätzlich waren die Gewichte wohl auch damals schon ähnlich verteilt.448
Abschließend lässt sich festhalten, dass auch in diesem
Haus, dass von seiner plangeometrischen Anlage her konservativer erscheint als die Sursock- oder Tuéni-Häuser,
schon bestimmte räumliche Absonderungstendenzen (besonders der Schlafzimmer) zu beobachten sind, die im Qaṣr
Ziadé noch nicht erkennbar waren. Auch sind im Unterschied zum Qaṣr Ziadé viele Räume schon unabhängig von
der Mittelhalle miteinander verbunden, worin dieses Haus
schon dem neuen Trend folgt, den der französische Arzt
Benoilt Boyer in den 1890ern beschrieb.449
211
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.16 Qaṣr Mukhayyesh
Der Qaṣr Mukhayyesh [ZAB 449] liegt auf einem etwas
kleineren Gartengrundstück auf der Ecke Rue Youssef Assir und Rue Khalil Sarkis im Quartier Zokak el-Blat, in
einer Nachbarschaft, die als Ḥayy Yamūt bekannt ist (Abb.
248). Sein Erbauer war Amīn Pascha Muḫayyiš, ein Textilkaufmann und Mitglied einer sunnitischen Kaufmannsfamilie mit Geschäftsniederlassungen in Manchester und
engen Verbindungen nach Istanbul. Er war Mitglied der
Provinzrates der Provinz Beirut in den Jahren 1899 und
1904, und war neben seiner Rolle in der osmanischen Verwaltung offenkundig auch eine wichtige Figur in der Freimauerloge in Beirut: Das Relief in dem marmornen Dreieckgiebel über dem Gartentor des Hauses vereint Freimauersymbole einträchtig mit dem osmanischen Halbmond und Stern. Sein Sohn Salīm Bey Muḫayyiš erhielt
mehrere Orden und Auszeichnungen des osmanischen
Staates.450
Das repräsentative Wohnhaus Amīn Paschas – ein zweigeschossiges, kubisches und nach Norden ausgerichtetes Mittelhallenhaus mit Walmdach (Abb. 249) – wurde laut Familienüberlieferung während der 1890er über mehrere Jahre hinweg in Ausbaustufen errichtet, jedoch von vorneherein als Ganzes geplant: Als erster Schritt wurde Anfang
der 1890er das Substruktionsgeschoss mit Ställen, Remisen und Wirtschaftsräumen und das erste Obergeschoss mit
Mittelhalle, acht umliegenden Räumen und einem Küchenannex auf der Ostseite gebaut. Nachfolgend wurde das
weitgehend identisch angelegte zweite Obergeschoss ausgeführt. Das erste Geschoss wurde schon bezogen, als das
zweite noch im Bau war. Es ist in der Eigentümerfamilie
überliefert, dass die Stuckdecken des ersten Wohngeschosses von italienischen Handwerken ausgeführt wurden, wohingegen die des zweiten von lokalen Handwerkern angefertigt wurden, die ihr Handwerk zuvor bei den
Italienern gelernt hatten (Abb. 251).451
Nach der Fertigstellung des Hauses – die Inschrift im Gartentor gibt das Jahr 1315 H. (1897–98) an – bezogen die
Söhne Amīn Paschas eigene Schlafzimmer im zweiten
Obergeschoss. Ein oder zwei andere Räume dieses Geschosses wurden jedoch vermietet. Im ersten Jahrzehnt des
20. Jahrhunderts übernahm einer der verheirateten Söhne
mit seiner Frau das zweite Obergeschoss. Das Haus ist auch
heute noch das Familienwohnhaus der Mukhayyeshs und
der mit ihnen verschwägerten Familie Rifai (Rifāʿī), die das
erste Obergeschoss bewohnt. Nach einer Anfangsphase um
die Jahrhundertwende, als ein Haushalt das ganze Haus be-
wohnte und nur einige Schlafzimmer im zweiten Obergeschoss nutzte, wurde die beiden Wohngeschosse später von
zwei Haushalten (der gleichen Familie) eher separat genutzt (vgl. Qasṛ Ziadé und Qasṛ Tuéni-Bustros).
Der Grundriss (Plan 3.16) ist in seiner Grundanlage zunächst konventionell, spiegelt jedoch auch neuere Entwicklungen seiner Erbauungszeit wider.452 Das erste Obergeschoss ist frontal vom nördlich vorgelagerten Garten über
eine zweiarmige Freitreppe zu betreten. Durch eine verglaste Dreibogenstellung betritt man die Vorhalle, die rückwärtig durch eine Wand mit Tür-Fenster-Kombination Zugang zur Mittelhalle gibt, sowie durch seitliche Türen direkten Zugang in die als Empfangsräume dienenden Seitensäle gewährt. Im zweiten Obergeschoss, das nur über
das Treppenhaus auf der Westseite des Hauses erreichbar ist,
gibt es am oberen Treppenabsatz neben der Tür zur Mittelhalle eine zweite Tür zum westlichen Seitensaal. In beiden Geschossen konnten Besucher von der Mittelhalle ferngehalten werden, und in beiden Geschossen wurde der westliche Seitensaal konkret als Empfangsraum für Männer bezeichnet, wohingegen der östliche Seitensaal als Empfangsraum für Frauen spezifiziert wurde. In solch deutlicher und baulich formalisierter Form ist die Geschlechtertrennung in den Grundrissen der bisher vorgestellten Häuser nicht (oder zumindest nicht nachweisbar) zum Ausdruck gekommen.453
Baulich ausgeprägt durch seine Lage und Erschließung
ist hier auch das Esszimmer auf der Ostseite der Halle,
welches durch Türen auf drei Seiten mit dem Frauenempfangszimmer im Norden, der Mittelhalle im Westen
und einem Servicekorridor im Süden verbunden ist. Dieser Korridor führt vom Küchen- und Bäderbereich in die
Mittelhalle und gestattet durch die separate Tür zum Ess-
212
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 248
Lageplan Qaṣr
Mukhayyesh
(o. M., Grundlage: Katasterplan 1:2.000
von 1964).
II.3.16 Qas.r Mukhayyesh
Abb. 249
Qaṣr Mukhayyesh, Ansicht von Nordwesten.
zimmer den Bediensteten, das Auftischen, Bedienen und
Abdecken zu besorgen, ohne die Mittelhalle betreten zu
müssen.
Am Südende der Mittelhalle liegt ein konventioneller līwān,
der über eine Tür-Fenster-Kombination mit der Halle in
Verbindung steht und als Familienwohnzimmer diente (Abb.
250). Eine Besonderheit ist die Art, wie die vier Schlafzimmer (sämtlich mit Terrakottafliesen ausgestattet) jeweils
paarweise beidseitig des südlichen Bereichs der Halle zusammengefasst sind und über innere Türen kommunizieren. Auch dies ist eine räumlich ungewöhnlich klare Lösung. Allerdings haben nur die beiden auf der Ostseite liegenden Zimmer den Vorteil, durch eine Tür zum eben erwähnten Servicekorridor einen von der Mittelhalle unabhängigen Zugang zum Bad und zur Toilette im Wirtschaftsannex zu haben.
Interessant ist hierbei, dass darauf verzichtet wurde, diese beiden Zimmer direkt über Türen mit dem inneren Küchenkorridor auf der Ostseite zu verbinden; hier gibt es
nur ein Innenfenster. Offensichtlich wurde Wert auf eine
räumliche (und mithin soziale) Absonderung des Wirtschaftsbereiches gelegt.454 Schon in der Grundrissdisposition ist dieser Bereich mit seiner innenliegenden Küche,
einer Reihe von kleinen Bäder und Toiletten (separat für
Familie und Personal), und darüber befindlichen titḫīten
plangeometrisch klar als „Anhängsel“ außerhalb des rechteckig umrissenen Wohnbereichs lokalisiert. Und selbstverständlich gibt es auch hier (zumindest im ersten Obergeschoss) eine separate Außentreppe für den Wirtschaftsbereich.
Obwohl das Haus des Amīn Pascha Mukhayyesh nicht besonders groß ist und sein Grundriss relativ einfach geglie213
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 250
Qaṣr Mukhayyesh, Mittelhalle des ersten Obergeschosses mit
Blick auf den līwān.
Abb. 251
Qaṣr Mukhayyesh, zweites Obergeschoss, Stuckdecke des
nordwestlichen Seitensaals.
Rue Osmane ben Affane und wird im Osten von der Rue
du Patriarcat begrenzt; es war ursprünglich größer als und
wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch Straßenverbreiterungsmaßnahmen auf der Südseite und eine Grundstücksaufteilung auf der Westseite beschnitten. Das Haus
steht mittig auf dem Grundstück und ist ausnahmsweise
nach Osten ausgerichtet, denn nach Norden wäre der Ausblick durch ältere Nachbarhäuser und das Schulgebäude
des Patriarchats verbaut gewesen. Der steile Geländeanstieg von der Straße im Osten hinauf zum Haus wird durch
eine hohe, gemauerte Terrasse ausgeglichen. Eine imposante, zweiarmige Freitreppe mit S-förmig geschwungenen
Läufen überwindet den Höhenunterschied (Abb. 253, 254).
Auf historischen Panoramaansichten Beiruts ist das zweigeschossige Haus wegen seiner herausgehobenen Lage, seiner markanten zweigeschossigen Bogengalerie und seiner
beiden eckturmartigen und zinnenbekrönten maṣyafs gut
zu erkennen. Heute allerdings ist es zwischen Hochhäusern
versteckt. Eine solche Panoramaphotographie, die aus der
Zeit vor dem Ausbau des Beiruter Hafens 1890–94 stammt
und das Haus schon sichtbar auf dem Hügel von Moussaitbé
thronend zeigt, gestattet uns auch, die Erbauung des Hauses etwa in die späten 1880er zu datieren.455
Der Erbauer dieses Anwesens war ein gewisser Bišāra elKhoury (al-Ḫūrī). Er ist nicht zu verwechseln mit dem
gleichnamigen späteren Präsidenten Bechara el-Khoury,
der einer der zahlreichen maronitischen Khoury-Familien
angehörte (vgl. Qaṣr Ḥannā Heneiné, Kap. 3.15). Der Erbauer dieses Hauses gehörte zu den griechisch-katholischen
Khourys, aber bezüglich seiner genaueren Identität gibt es
Widersprüche: Es handelte sich wahrscheinlich nicht – wie
uns ursprünglich von den heutigen Nutzern des Hauses mitgeteilt wurde – um Bechara Abdallah el-Khoury (lebte
dert ist (ohne Parallelkorridore o.ä.), zeichnet sich dieser
Grundriss durch eine außergewöhnlich klare Formalisierung in der räumlichen Anordnung und Trennung von verschiedenen Nutzungen aus. Räumlich-funktionale Spezialisierungen sind baulich und in der Erschließungsstruktur
viel eindeutiger ausgeprägt als dies mehr als zwei Jahrzehnte früher im Qaṣr Ziadé der Fall war.
3.17 Qaṣr Bišāra el-Khoury
Der Qaṣr Bišāra el-Khoury [ZAB 501] liegt auf der Hügelkuppe gleich südlich der Schule des Griechisch-Katholischen Patriarchats, an der Grenze von Zokak el-Blat zu
Moussaitbé (Abb. 252) Das schmalrechteckige Gartengrundstück erstreckt sich auf seiner Südseite entlang der
214
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 252
Lageplan Qaṣr
Bišāra elKhoury (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
II.3.17 Qas.r Biša-ra el-Khoury
1885–1968), einem Journalisten und Dichter, der als „alAḫṭal aṣ-ṣaġīr” berühmt war.456 Dieser wäre als der Erbauer dieses Hauses allemal zu jung gewesen. Stattdessen haben ergänzende Nachforschungen ergeben, dass der Erbauer
entweder Bišāra Antoine el-Khoury oder wahrscheinlicher
noch Bišāra Ibrāhīm el-Khoury hieß, und jedenfalls einer
Kaufmannsfamilie angehörte, die ihr Vermögen im Baumwollhandel in Ägypten gemacht hatte. Der Erbauer starb
dieser Überlieferung nach in seinem sechsten Lebensjahrzehnt im Jahr 1912, und hatte das Haus für sich und seine
Familie erbauen lassen, als er etwa 50-jährig war. Er war –
so lässt sich auch den Grundbuchakten entnehmen – verheiratet mit Malika Ḥabīb al-Muṣallī und hatte mit ihr zehn
Kinder – fünf Töchter und fünf Söhne.
Bis in die 1960er wohnte diese Familie bzw. einige ihrer
nachgeborenen Angehörigen im Haus, und zwar als ein gemeinsamer Haushalt, der beide Geschosse als zusammengehörige Wohnung nutzte. Die Räume des Erdgeschosses dienten als Empfangs- und Wohnräume, die des Obergeschosses
als private Wohn- und Schlafzimmer. (Abb. 262, 263) Erst
in den 1960ern wurde infolge von Geldknappheit und einer
maßgeblichen Verkleinerung des Haushalts das Obergeschoss
als eigenständige Wohnung an die Familie Toufic Moufarrège (Tawfīq Mufarriǧ) vermietet. Das Erdgeschoss diente
den Eheleuten Joseph und Marie Khoury als Wohnraum und
gleichzeitig als Ausstellungsraum für ihren Antik-MöbelHandel. Marie Khoury verstarb als letzte Familienangehörige, die noch im Haus wohnte, im Jahr 1999. Ihr alter Diener
Nino Soave lebt noch heute im Haus, und noch heute wird
das Erdgeschoss von den Möbelschreinern – den Brüdern atTannir – als Werkstatt genutzt, deren Vater schon seit den
1960ern bei der Familie angestellt war. Das Obergeschoss
wurde im Bürgerkrieg von Squattern besetzt und steht heute leer. Das Ziegeldach und viele Decken des Obergeschosses weisen schwere Kriegs- und Wetterschäden auf, die Südostecke der Galerie und der darüber befindliche maṣyaf wurde vor wenigen Jahren wegen Einsturzgefahr abgerissen. Das
ehemals so prachtvolle Haus befindet sich insgesamt in einem beklagenswerten Zustand; der einzig verbleibende Erbe und Eigentümer lebt im Ausland.
Der Qaṣr Bišāra el-Khoury (Pläne 3.17A und 3.17B) ist ein
bedeutendes Beispiel eines am Ende des 19. Jahrhunderts errichteten, zweigeschossigen Mittelhallenhauses, das nicht
als Etagenwohnhaus, sondern als Einfamilienhaus errichtet wurde und dabei etwas kleiner angelegt ist als beispielsweise die Sursock-Villen.
Die beiden Wohngeschosse sind auf einem niedrigen, geschlossenen Sockel errichtet. Eine zweigeschossige offe-
Abb. 253
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Ansicht von Osten mit Gartentreppe,
Aufnahme aus den 1950ern.
ne Bogengalerie umläuft den gesamten Bau mit Ausnahme des Wirtschaftsbereiches, der in der Nordwestecke
leicht aus dem inneren Baukörper herausgezogen ist und
in einer Flucht mit der Galerie abschließt. Die nach Osten gewandte Hauptfassade ist von den maṣyaf genannten
Ecktürmen und einem kleinen, wie ein Pagodendach geschwungenen Ziergiebel bekrönt. Auf dieser Ostseite führt
der Haupteingang vom Garten durch die Galerie in die
Vorhalle und Mittelhalle des Erdgeschosses. Ein zweiter
Eingang auf der Südseite gibt Zutritt zum Treppenhaus,
welches das Erdgeschoss mit dem Obergeschoss verbindet und weiter hinauf auf das Dach mit den maṣyaf-Räumen führt. Ein weiterer Zugang führt von der Nordseite
des Grundstücks – d.h. über einen völlig getrennten Weg
– in die Küche.
215
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 254
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Ansicht von Südosten im Jahr
2004. Der südliche der beiden maṣyafs war Ende der
1990er mit Teilen der Galerie eingestürzt.
Abb. 255
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Mittelhalle des Erdgeschosses mit
Blick nach Osten zur Vorderhalle und zum Eingang.
Hinsichtlich der Mittelhallengrundrisse der beiden Geschosse fällt zunächst auf, dass es im Vergleich zu den bisher behandelten Häusern dieser Größe nur sehr wenige, aber
große Räume gibt. Im Grunde beschränkt es sich, abgesehen von der Mittelhalle und den Wirtschaftsräumen, auf
drei große Räume plus einen Nebenraum im Erdgeschoss
bzw. drei Nebenräume im Obergeschoss. Im Obergeschoss
gab es bis weit in das 20. Jahrhundert keine Küche und kein
Bad, nur Toiletten.
Die drei großen Räume der beiden Geschosse sind jeweils
die Seitensäle und ein quer zur Mittelhalle liegender Raum
in der rückwärtigen Position des līwāns. Alle drei sind ungefähr so groß wie die Mittelhalle und nehmen den größten Teil der Geschossfläche ein. Im Erdgeschoss bleibt nur
noch Platz für den Wirtschaftsbereich in der Nordwestecke
und einen kleineren Raum in der Südwestecke, im Obergeschoss für zwei weitere Räume, Korridor und Toiletten
in der Nordwestecke und wiederum einen kleineren Raum
in der Südwestecke. Da die großen Räume im Erdgeschoss
sämtlich Hauptwohn- und Empfangsräume waren und als
solche an ihren reich dekorierten Stuckdecken zu erkennen
sind, konnten die Schlafzimmer für die vielköpfige Familie tatsächlich nur im Obergeschoss gelegen haben – wo die
Stuckdecken auch der großen Räume dementsprechend einfacher gestaltet sind. Die Nutzung des Hauses als Einfamilienwohnhaus war schon baulich klar angelegt.
216
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.17 Qas.r Biša-ra el-Khoury
Abb. 256
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Vorderhalle des Erdgeschosses, Detail
der Decke. Die Eisenträger der Deckenkonstruktion sind deutlich erkennbar.
Abb. 257
Qaṣr Bišāra el-Khoury, nördlicher Seitensaal des Erdgeschosses, Detail der Stuckdecke.
Die räumliche Struktur des Hauses kombiniert bekannte,
konventionelle Elemente mit einigen Besonderheiten: Die
doppelte Erschließung der Seitensäle von der Vorderhalle
und der Mittelhalle entspricht auf beiden Geschossen dem
bekannten Schema. Im Erdgeschoss dient die Vorderhalle
als Eingangsraum, dessen äußere Dreibogenstellung verglast und vergittert ist, und dessen innere Dreibogenstellung zur Mittelhalle hin mit Milchglas und farbigem Glas
verschlossen ist und damit die Mittelhalle vor den Blicken
der Eintretenden abschirmt (Abb. 255). Je nach Bedarf
konnte Besucher von hier in einen der beiden Seitensäle
vorgelassen werden, ohne weiter in das Haus einzudringen. Die im Plan angegebene, rekonstruierte historische
Nutzung als Empfangssaal einerseits und Rauchzimmer
andererseits beruht auf dem damals zu erwartenden Raumprogramm, sowie auf der Tatsache, dass das Esszimmer –
Abb. 258
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Esszimmer im Erdgeschoss, Detail der
Decke und Bogenfenster zur Mittelhalle.
Abb. 259
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Esszimmer im Erdgeschoss, Detail der
Stuckdecke.
217
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
als ein weiterer inzwischen unabdingbarer Teil des Raumprogramms – hier auf jeden Fall im rückwärtigen großen
Raum lokalisiert war.457 Interessanterweise sind die Seitensäle im Erdgeschoss dieses Hauses mit Böden aus
schlichten, quadratischen Terrakottafliesen ausgestattet;
nur an den Türschwellen sind schmale Marmorstreifen.
Offensichtlich waren also diese Räume gänzlich darauf
angelegt, mit großen Teppichen ausgelegt zu sein – so wie
dies oft in Empfangsräumen der Fall war –, so dass man auf
den kostspieligen Marmor verzichten konnte. Das Esszimmer ist ebenfalls mit Terrakottafliesen ausgelegt; hier
sind sie jedoch von ungewöhnlicher, sechseckiger Form.
Diese Wahl einer besonderen Fliesenform legt nahe, dass
der Boden zumindest hier nicht völlig von Teppichen abgedeckt sein sollte.
Das Esszimmer ist durch eine mit Milchglas und farbigem
Glas verschlossene Dreibogenstellung von der Mittelhalle
abgetrennt und steht bezeichnenderweise durch eine kleine Tür mit dem Anrichteraum (R 007) in Verbindung. Zusätzlich gibt es eine Durchreiche in den Servicekorridor (R
010), deren bauzeitliche Datierung jedoch nicht ganz gesichert ist. Die Größe des Raumes und seine mit Sternen, Blumengirlanden, Trauben und Vögeln dekorierte Stuckdecke
zeichnen ihn als hochrepräsentatives Esszimmer aus, das
offenkundig auch für festliche Abendgesellschaften gedacht
war (Abb. 258, 259). Während eine direkte Erschließung
des Esszimmers zum Wirtschaftsbereich auch in älteren
Häusern schon üblich war, war seine Lokalisierung in der
Position des līwāns – dem bekannten Bestand nach zu ur-
teilen – eine damals neue Lösung, die sich erst bei Häusern
des frühen 20. Jahrhunderts häufiger findet.458 Auch die Tatsache, dass die Verbindungstür zum Servicebereich durch
seine Lage, Größe und Gestalt eindeutig als Nebentür oder
Dienstbotentür erkennbar ist, ist eine Innovation.
Der Wirtschaftsbereich verfügt über eine hochgewölbte Küche, ein flachgewölbtes Bad mit zwei Kammern, eine Toilette mit zwei Toilettenkammern (eine vermutlich für die
Herrschaften, eine für die Dienerschaft), sowie eine vollwertige Dienstbotenkammer (die vielleicht auch als Bügelzimmer diente), die gleich am Eingang des Wirtschaftsbereiches liegt. Eine hölzerne Stiege führt hinauf zur titḫīte,
die sehr niedrig ist und wohl nur als Speicherkammer diente. Eine Besonderheit ist, dass von dieser titḫīte ein weiterer kleiner Aufgang direkt ins Obergeschoss führt. Diese
zweite Verbindung zwischen beiden Geschossen, unabhängig vom Treppenhaus, stellt ebenfalls eine Neuerung in
der Beiruter Wohnhausarchitektur jener Zeit dar. Sie ist
nicht nur ein baulicher Beleg dafür, dass beide Geschosse
eine zusammenhängende Wohnung bildeten. Sie ist auch
ein Hinweis auf ein sich entwickelndes Bedürfnis, auch innerhalb des Hauses die Wege von Herrschaften und Dienerschaft besser zu entflechten, und ist daher sozialgeschichtlich von Bedeutung.459
Ein weiteres Detail der Erschließungsstruktur des Erdgeschosses verdient Aufmerksamkeit: Der Raum in der Südwestecke – der abgelegenste Wohnraum des Geschosses –
ist direkt mit dem Esszimmer verbunden. Seine historische
Funktion bleibt etwas unklar. Seine Stuckdecke ist von al-
Abb. 260
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Treppenhaus, Aufgang zum Dach.
Abb. 261
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Blick vom līwān-Raum in die Mittelhalle
des Obergeschosses, mit Mehrfacherschließung zum Treppenhaus
(die kleinere Tür in der Bildmitte ist ein rezenter Durchbruch).
218
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.17 Qas.r Biša-ra el-Khoury
Abb. 262
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Blick vom līwān-Raum in die Mittelhalle des Obergeschosses. Aufnahme aus den 1960ern.
Abb. 263
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Blick aus der Vorderhalle in die Mittelhalle des Obergeschosses. Aufnahme aus den 1960ern.
len Räumen des Erdgeschosses die einfachste und daher
nicht besonders repräsentativ. Eine Nutzung als Empfangsraum ist kaum anzunehmen. Jedoch besitzt er als der
einzige kleine Raum des Hauses Fenstertüren auf die Galerie
– ein Merkmal, das sonst – sowohl im Erdgeschoss wie
auch im Obergeschoss – ausschließlich die großen Räume
aufweisen. Das verleiht diesem Raum eine besondere Wohnqualität. Es ist daher naheliegend, ihn als eine Art privateres Familienwohnzimmer zu verstehen. In diesem Zusammenhang muss auf die zweite Tür hingewiesen werden, die
dieser Raum zum Treppenhaus hat. Es ist eine etwas kleinere Tür, die etwas versteckt unter der Treppe in das Treppenhaus mündet, und die als ein von der Mittelhalle unabhängiger Zugangs- und Rückzugsweg aus dem Empfangsgeschoss in das privatere Obergeschoss verstanden werden
kann. Hierdurch konnten Familienangehörige bei Bedarf
vermeiden, Gästen zu begegnen, die sich in der Mittelhalle oder allgemein im Empfangsbereich des Hauses auf-
hielten. Ähnliche, von der Mittelhalle unabhängige Rückzugsmöglichkeiten waren uns schon bei anderen Häusern
begegnet.460 Hier aber ist sie in einer geschossverbindenden Form ausgebildet, und sie wirft ein deutliches Licht auf
ein ausgeprägtes Bedürfnis, die Privatheit von Familienangehörigen gegenüber Haushaltsfremden zu schützen.461
Auch das Obergeschoss weist bedeutsame Merkmale auf.
Das Geschoss kann vom Treppenhaus durch drei Türen betreten werden – was auf den ersten Blick dem schon bekannten Beiruter Geschosserschließungssystem entspricht
(Abb. 261). Nun haben wir es in diesem Falle eindeutig mit
einem Geschoss zu tun, in dem nur Schlafzimmer und privatere Wohnräume lagen (zu denen nur hinreichend vertraute Besucher Zutritt erhielten), und es gab weder einen
Wirtschaftsbereich, der einen gesonderten Zugang erfordert hätte, noch gab es einen manzūl. Es muss also eine
zweite Lesart für diese Art der Mehrfacherschließung geben, die sich in ähnlich ausgeprägter und redundant wir219
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 264
Qaṣr Bišāra el-Khoury, hochgewölbte baġdādī-Stuckdecke der
Mittelhalle des Obergeschosses.
Abb. 265
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Blick in den Dachstuhl und auf die tragende Holzkonstruktion der gewölbten baġdādī-Stuckdecke
der Mittelhalle des Obergeschosses.
Abb. 266
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Mittelhalle des Obergeschosses,
Dreibogenarkade zur Vorderhalle. Überreste der blauen und
weißen Farbfassung sind im Sockelbereich der Wände erkennbar.
kender Form im Qaṣr Ziadé finden lässt. Die Erklärung mag
darin liegen, dass bei einer gemeinsamen Nutzung beider
Wohngeschosse durch einen Haushalt das Treppenhaus wie
ein im Inneren der häuslichen Sphäre gelegener Wohnungskorridor verstanden wurde. Dabei dienten die zahlreichen Türen weniger der Sortierung der von außen kommenden Gäste, Bediensteten und Familienmitglieder, sondern einem möglichst direkten, bequemeren Zugang der
Bewohner zum Treppenhaus von verschiedenen Innen-Räumen her. Auch im Qaṣr Ziadé könnte diese Erschließungsform des zweiten Obergeschosses, in Kombination mit der
eigentümlichen „Hintertür“ des ersten Obergeschosses zum
Treppenhaus, in erster Linie dazu gedacht gewesen zu sein,
beide Wohngeschosse als eine zusammenhängende Wohneinheit zusammenzuschließen. Allerdings bleibt diese Erschließungsform zweideutig, denn sie gestattet es ebenso
gut, die Geschosse separat zu nutzen und auch im Obergeschoss die Zugangswege zu trennen. Nicht zufällig wurde,
als das Obergeschoss des Qaṣr Bišāra el-Khoury in den
1960ern vermietet wurde, die nun erforderliche Küche in
den direkt vom Treppenhaus her zugänglichen südlichen
Seitensaal eingebaut.
Anders als die Mittelhalle des Erdgeschosses ist die des
Obergeschosses sehr offen gestaltet; die Dreibogenstellung
zur Vorderhalle ist offen ausgeführt – ähnlich wie im Qaṣr
Ziadé und Qaṣr Ḥannā Heneiné (Abb. 262). Die Dreibogenstellung zum rückwärtigen großen Raum (R 104) war
allerdings verglast, und wie an Resten zu erkennen ist, mit
Milchglas (Abb. 263). Auch hier wurde also innerhalb des
220
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.18 Bayt Khayyat
Abb. 267
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Decke des līwān-Raums im Obergeschoss, mit Eisendraht als Putzträger.
Abb. 268
Qaṣr Bišāra el-Khoury, Decke des südwestlichen-Raums im
Obergeschoss. Auch hier wurde Eisendraht als Putzträger
eingesetzt.
Wohngeschosses Privatheit geschützt. Dass die Mittelhalle auch dazu gedacht war, von Außenstehenden gesehen zu
werden, belegt ihre eindrucksvolle, hochgewölbte Stuckdecke in baġdādī-Bauweise (Abb. 264, 265).462 Repräsentativ gestaltet war auch die Kehlstuckdecke des großen rückwärtigen Raumes R 104. Daraus wird ersichtlich, dass diese beiden Räume des Obergeschosses zumindest in begrenztem Maße auch für „Publikumsverkehr“ gedacht waren; der Raum R 104 mag gut als ein größeres Familienwohnzimmer mit Empfangsfunktionen für Freunde und Verwandte gedient haben, welches im Erdgeschoss ja nicht
existierte.
Alle im Plan des Obergeschosses grün markierten Räume
sind mit Stuckdecken ausgestattet, die schlichter als die der
Mittelhalle und von Raum R 104 gestaltet sind, und waren
scheinbar sämtlich als Schlafzimmer angelegt. Weitere
Dienstbotenkammern wie im Erdgeschoss sind im Obergeschoss nicht zu identifizieren, es mag jedoch eine solche
in der (heute nicht zugänglichen) titḫīte über dem Korridor
im Nordwesten des Geschosses gegeben haben. Im Zuge
der Umnutzung des Obergeschosses als eigenständige Wohnung wurden allerdings zahlreiche Umbauten vorgenommen: Die Seitensäle wurden durch neu eingezogene Wände (in baġdādī-Bauweise) zweigeteilt, eine Küche mit Bad
sowie ein weiteres Bad eingebaut (R 102, R 108), und damit das frühere „Schlafgeschoss“ zur einer eigenständig
funktionsfähigen Geschosswohnung umgerüstet.463 Das
herrschaftliche Einfamilienhaus des Bišāra el-Khoury hatte sich zweigeteilt.
3.18 Bayt Khayyat
Das Haus Khayyat (Ḫayyāṭ) [R 232] ist ein Beispiel eines
Geschosswohnungshauses, das etwa in den 1890ern errichtet wurde.464 Es steht im Ostbeiruter Quartier Saint-Nicolas, am westlichen Ende des Sursock-Viertels, auf einem
kleinen Eckgrundstück entlang der Rue Sursock im Süden
und der Rue Boutros Dagher im Osten. Der Bau nimmt den
größten Teil des Grundstücks ein, nur schmaler Streifen
Garten verbleibt im Norden (Abb. 269–272).
Bedingt durch den Geländeabfall nach Norden ist das Erdgeschoss als gewölbte Halbunterkellerung ausgeführt und
vom Garten im Norden her zu betreten. Die beiden Obergeschosse (Pläne 3.18A und 3.18B) sind Vollgeschosse mit
Abb. 269
Lageplan Bayt
Khayyat (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
221
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 270
Bayt Khayyat, Nordfassade.
weitgehend identischen Mittelhallengrundrissen. Sie sind
von der Westseite erschlossen, wo ein Eingang mit anschließendem Korridor Zutritt zur Mittelhalle des ersten Geschosses gibt, und ein zweiter, separat neben dem ersten liegender Eingang durch ein eigenes Treppenhaus in das zweite Obergeschoss hinaufführt. Dieses Treppenhaus hat keinen Zugang zu den anderen Geschossen. Jedes Geschoss
dieses Hauses ist eine völlig separate und selbstständige
Wohneinheit mit eigenem Eingang. Interessanterweise sind
die auf der Ostseite liegenden Wirtschaftsbereiche des ersten und zweiten Obergeschosses ebenfalls mit eigenen Außeneingängen ausgestattet; im ersten Obergeschoss liegt dieser Eingang ebenerdig, im zweiten Obergeschoss führt er
über eine schmale Außentreppe. So war für beide Geschosse gewährleistet, dass das Dienstpersonal nicht den gleichen
Weg ins Haus benutzen musste wie die Herrschaften.
Das Haus soll hier als Beispiel eines Wohnhauses der höheren Mittelschicht dienen, in welchen jenes System des
Parallelkorridors angewandt wurde, das in Beirut erstmalig um 1870 am herrschaftlichen Qaṣr Tuéni-Bustros nachweisbar ist. Im Falle des Hauses Khayyat liegt der Korridor allerdings nur auf einer Seite der Mittelhalle, nämlich
der Ostseite, wo er einer von der Mittelhalle unabhängigen
Erschließung der Wirtschafts- und Sanitärräume in Richtung Esszimmer und Schlafzimmer dient. Auch hier konnte das Personal hinter den Kulissen bleiben, und Familien-
Abb. 271
Bayt Khayyat, Ansicht von Südwesten. Links ist auf der Westseite das Zweibogenfenster des Treppenhauses zu erkennen.
Abb. 272
Bayt Khayyat, Ansicht von Südosten, mit Dienstboteneingängen des ersten und zweiten Obergeschosses.
222
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.19 Bayt Fakhoury
mitglieder konnten bei Bedarf Besuchern ausweichen, die
die Mittelhalle betraten.
Ansonsten sind die Geschossgrundrisse recht konventionell. Līwān-Raumgruppe, Mittelhalle, Vorderhalle (im ALBA-Plan nicht ganz korrekt „Liwan“ genannt) und Seitensäle folgen dem inzwischen verbreiteten und besonders im
beginnenden Geschosswohnungsbau des ausgehenden 19.
und frühen 20. Jahrhunderts zur Konvention werdenden
Schema. Die beiden in der Südostecke liegenden Schlafzimmer sind miteinander durch eine Innentür „kurzgeschlossen“. Die im Plan angegebenen Raumnutzungen sind
im Wortlaut aus der Vorlage in der ALBA-Plansammlung
übernommen und stellen die Gegebenheiten im Jahr 1996
wieder. Der westliche Seitensaal war historisch wahrscheinlich ein Empfangszimmer, denn die Seitensäle sind sicherlich mit gutem Grund etwas größer angelegt und so positioniert worden, dass die Vorderhalle schmaler als die Mittelhalle ausfiel. Die kleinen, zwischen Seitensaal und Treppenhaus liegenden Räume sind scheinbar auch umgenutzt
worden, und die Badezimmereinbauten auf der Westseite
(„Salle de bains“, „Bloc service“) sind definitiv spätere Modernisierungsmaßnahmen.
3.19 Bayt Fakhoury
Dieses heute abgängige Mittelhallenhaus [BT 717] war von
eher kleineren Dimensionen und ist in einer Publikation des
Historikers ʿAbd al-Laṭīf Fāḫūrī dokumentiert, dessen Großeltern das Haus erbaut hatten.465 Es stand auf einem kleinen Grundstück entlang der Rue Daoud Ammoun im Ḥayy
ad-Daḥdāḥ südlich der Altstadt, zwischen al-Ḫandaq alĠamīq und der Damaskusstraße (Abb. 273). Das Haus wurde in mehreren Phasen errichtet. Die Erbauung des ältesten Teils wird auf ʿAbd al-Laṭīf Fāḫūrīs Urgroßmutter, Ṣafiya
bint aš-Šayḫ Muḥammad al-Fāḫūrī, zurückgeführt und auf
das Jahr 1868 datiert. Dieser von vorneherein ausdrücklich
zur Vermietung dienende Ursprungsbau war – wie es damals häufig für die erste Bauphase der Fall war – ein eingeschossiger Flachdachbau, bestehend aus einer nach Norden ausgerichteten dār und drei Zimmern (sämtlich mit
Holzbalkendecken) sowie einem gewölbten Teil mit Küche, Bad und Toilette. Zwei weitere Zimmer wurden später hinzugefügt. Die dār hatte ein verglastes Dreibogenfenster in der Nordfassade und eine weitere Dreibogenstellung zum līwān im Süden. Da Fāḫūrīs Beschreibung nur
eine Grundrisszeichnung des Obergeschosses umfasst (Abb.
274), können keine Aussagen über die Erschließungs- und
Nutzungsstrukturen des Erdgeschosses gemacht werden,
Abb. 273
Lageplan Bayt
Fakhoury (o.
M., Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
außer dass wir es hier mit einem durch Hinzufügung von
Zimmern „wachsenden“ Mittelhallengrundriss zu tun haben, dessen ungefähre Anlage sich im Grundriss des späteren Obergeschosses widerspiegelte.466
Im Jahr 1902 fügte ʿAbd al-Laṭīf Fāḫūrīs Großvater ʿAbd
al-Laṭīf ʿAlī Aḥmad Fāḫūrī das Obergeschoss hinzu und
versah das Haus mit einem Ziegeldach, wodurch der Bau
die für die Jahrhundertwende typische, zweigeschossige
und ziegelgedeckte Gestalt von Wohnhäusern dieser Größe
erhielt. Das Obergeschoss war über eine straßenseitig in der
Nordostecke vorgelagerte Außentreppe erschlossen, über
welche die von der Familie Fakhoury bewohnte Etage gänzlich unabhängig vom vermieteten Erdgeschoss zugänglich
war. Der Grundriss der Etage war laut Fāḫūrī grundsätzlich
analog zu dem des Erdgeschosses.
Die dār war ebenfalls mit Dreibogenfenstern zum Balkon
und zur Straße nach Norden sowie zum līwān im Süden
ausgestattet (dem abgebildeten Grundriss nach waren es offenbar Tür-Fenster-Kombinationen mit drei darüber angeordneten spitzbogigen Oberlichtern). Als Zimmer gab es,
zusätzlich zum genannten līwān, im Westen der dār zwei
Schlafzimmer sowie im Osten ein Esszimmer und ein als
manzūl bezeichnetes Empfangszimmer. Zwischen Esszimmer und manzūl verlief ein innerer Korridor (genannt riwāq,
zārūb oder mamarr), an dessen östlichem Ende der Eingang zur Wohnung nach Norden, und gegenüber der Zugang zur Küche nach Süden lag. In der Küche befand sich
der einzige Abort der Etage, und nach hinten an die Küche
anschließend das Badezimmer. Korridor und Küchenbereich waren mit einer titḫīte (matḫat) ausgestattet.
Die beiden Schlafzimmer im Westen – das Elternschlafzimmer und das Kinderschlafzimmer – waren durch je223
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 274
Bayt Fakhoury, Grundrissskizze des Obergeschosses (o .M.).
Legende: I & II – Schlafzimmer, III – līwān, IV – ad-dār, V –
Esszimmer, VI – manzūl, VII – Korridor, VIII – Küche, Toilette und Bad.
weils eine Tür direkt von der dār her zu betreten und zusätzlich miteinander durch eine Tür verbunden, eine Kopplung, wie sie um die Jahrhundertwende üblich war, und die
eine von der dār unabhängige interne Kommunikation und
somit besseren Schutz der Privatheit gewährte.467 Von den
beiden Räumen auf der Ostseite war nur der vorne liegende manzūl direkt mit der dār verbunden; die zweite Tür
auf dieser Seite der dār führte auf den Korridor. Von diesem Korridor her war das nach hinten liegende Esszimmer
zu betreten, und gleich daneben lag in praktischer Weise
die Küchentür. Eine direkte Verbindung über eine Tür zwischen Küche und Esszimmer gab es nicht, obgleich die
Räume nebeneinander lagen, nicht. Typischerweise wurde also Nähe, aber nicht unmittelbarer Kontakt des Esszimmers zur Küche gesucht, da letztere eine Quelle von
Geruchs- und Lärmbelästigung und – bei Gegenwart von
Hauspersonal – von Störungen der familiären Sphäre sein
konnte. Des Weiteren wurde durch die unmittelbare Nähe
der Küchentür zum Hauseingang vermieden, dass die
Dienstboten für Besorgungsgänge durch den Wohnbereich
laufen mussten, und dies, ohne dass es einen separaten
Dienstboteneingang gab.
Es gab auch keine Türverbindung zwischen Esszimmer und
dem benachbarten līwān. Ob dies nur formalem Konservatismus zu verdanken war – līwān-Räume hatten ja in der
Regel keine seitlichen Türen – oder aus eher sozialen Be-
weggründen einer besseren Abschirmung des Familienwohnzimmers diente, muss offen bleiben. In den 1920ern,
zwei Jahrzehnte nach der Errichtung dieses Geschosses,
lässt sich eine solche direkte Verbindung allerdings schon
in neuen, großen Wohnhäusern finden (vgl. Villa Joseph
Aftimus, Kap. 3.23). Anzumerken ist, dass das Esszimmer
im Obergeschoss des Bayt Fakhoury aus dem Kreis der um
die Mittelhalle liegenden und direkt von ihr zugänglichen
Räume ausgegliedert worden ist. Auch in diesem vergleichsweise kleinen Mittelhallenhaus wurde dieser Raum
schon ganz spezifisch mit Blick auf seine Nutzung als Esszimmer angelegt und besaß nicht mehr die prinzipielle, bei
kleineren Häusern oft unvermeidliche Vielseitigkeit der
Räume um die Mittelhalle.
Der manzūl des Hauses verdient eine genauere Behandlung,
denn Fāḫūrī liefert wertvolle Details zu dessen Erschließungsweise und historischen Nutzung. Wie in anderen Häusern war der manzūl des Bayt Fakhoury durch eine Mehrfacherschließung charakterisiert. Er hatte insgesamt drei
Türen, eine nach außen, eine zweite zum Innenkorridor und
eine dritte zur dār. Entscheidend war die eigene, neben dem
Haupteingang der Wohnung liegende Außentür vom äußeren Treppenaufgang im Osten her, „durch den der Fremde
eintrat, ohne den Korridor zu betreten, der den Hausbewohnern als Eingang diente“.468 Falls der fremde Besucher
die Toilette in der Küche aufsuchen musste, so musste er
allerdings doch den Korridor durchqueren. Theoretisch hatte er dazu zwei Wege: entweder indem er durch den Außeneingang des manzūls hinaus und dann durch die Haustür wieder hinein zur Küche ging, oder indem er durch die
Innentür in den Korridor und in die Küche gelangte. In der
Praxis scheint laut Fāḫūrī der erstgenannte Weg der übliche gewesen zu sein. Dies war für den Besucher gewiss umständlicher, aber ließ den Hausbewohnern mehr Zeit, eventuell den Korridor und die Küche zu räumen.
Der Faktor Zeit spielte überhaupt beim Empfang eines
Fremden eine wichtige Rolle. Laut Fāḫūrī war die Außentür des manzūls in diesem Haus aus Sicherheitsgründen mit drei verschiedenen Schlössern und Riegeln versehen. Das Öffnen dieser Riegel, das Öffnen der Fensterläden des Raums und das Aufziehen der Vorhänge dauerte mehr als zehn Minuten, während derer der Besucher
vor der Außentür zu warten hatte – reichlich Zeit also für
die Haushaltsangehörigen, sich auf die Anwesenheit des
Fremden vorzubereiten. Einmal in den manzūl vorgelassen,
musste der Besucher in diesem abgeschiedenen Raum
(ḫalwa) wieder warten, bis der Hausherr erschien. Bis hierhin hatte der Eintretende – wenn man Fāḫūrī zwischen
224
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.20 Bayt Ladki
den Zeilen liest – noch nicht mit Familienangehörigen zu
tun gehabt, sondern ausschließlich mit Dienstboten. Wenn
der Hausherr schließlich den Gast empfing und ihm Kaffee oder etwa anderes anbieten wollte, klopfte er an die
Tür zwischen manzūl und dār, woraufhin ihm der Kaffee
an der Tür übergeben wurde und er ihn dem Besucher servieren konnte.469
Hier wird deutlich, wie die Anwesenheit eines Fremden
im Haus – selbst wenn er nicht die Wohnräume selbst, sondern nur den manzūl betrat – mittels Zeit „gepuffert“ wurde, Zeit, die dazu genutzt werden konnte, die Bühne für
den Empfang herzurichten und die Akteure ihre Plätze einnehmen bzw. sich hinter die Kulissen zurückziehen zu lassen. Ebenfalls wird deutlich, dass die Vielzahl der Türen
des manzūls nicht dazu diente, eine möglichst große Bewegungsfreiheit und Durchlässigkeit zu ermöglichen, sondern vielmehr dazu, räumliche Bewegung so gut wie möglich zu kanalisieren und zu kontrollieren, indem wie in einem komplexen Schleusensystem immer nur eine der Türen zeitlich versetzt geöffnet und wieder geschlossen wurde. Die Türen fungieren nicht nur als räumliche Verbindungen, sondern als selektive Verbindungen bzw. Absperrungen, die durch menschliches Handeln in Raum und
Zeit geschaffen werden.
Bayt Fakhoury kann als ein für die Jahrhundertwende recht
typisches Beiruter Wohnhaus mittlerer Größe angesprochen
werden, hinsichtlich seiner Dimensionen und Zweigeschossigkeit, seiner stufenweisen Errichtung, der separaten
Nutzung der beiden Geschosse durch die Eigentümerfamilie und eine Mietpartei, und hinsichtlich Grundriss und
Raumprogramm. Anders als das uns in seinen Details nicht
ausreichend bekannte Erdgeschoss ist das in einem Zug geplante und errichtete Obergeschoss ein gutes Beispiel für
den Stand der Entwicklung der Wohngrundrisse um die
Jahrhundertwende. Das Raumprogramm umfasste dār,
manzūl, līwān, Esszimmer, Elternschlafzimmer, Kinderschlafzimmer, Küche, Toilette und Bad; das Programm war
also relativ ausdifferenziert, dabei jedoch auf das inzwischen Wesentliche beschränkt. Da die Wohnung offenbar
nur für eine Kernfamilie (vermutlich mit einem Dienstmädchen) diente, kam man auch mit einer einzigen Toilette zurecht. Manzūl und līwān folgten lang etablierten Mustern. Die Schlafzimmer waren gekoppelt und lagen auf der
vom Eingangsbereich der Wohnung abgewandten Seite,
und das Esszimmer markiert durch seine funktionsbezogene Positionierung und Erschließung einen Trend zu einer
zunehmend eindeutigen Spezialisierung dieses Raums auch
in kleineren Häusern.
Abb. 275
Lageplan Bayt
Ladki (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
3.20 Bayt Ladki
Der Bayt Ladki [AM 295] liegt im Westbeiruter Quartier
Joumblat in einer ausgesprochen pittoresken Hanglage entlang der Rue Rebeiz, die im Volksmund als Talʿat Ǧumblāṭ
(„Joumblat-Steigung“) bekannt ist (Abb. 275–279) Auch dieses Haus ist ein Beispiel aus der ALBA-Plansammlung, über
dessen Geschichte keine Angaben gemacht werden. Jedenfalls
ist die Familie Ladki (Lādqī) eine sunnitische Beiruter Familie, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine An-
Abb. 276
Bayt Ladki, Ansicht von Nordosten.
225
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 277
Bayt Ladki, Ansicht der
Südseite.
zahl erfolgreicher Großkaufleute hervorbrachte.470 Das Haus
wurde vor dem Ersten Weltkrieg im frühen 20. Jahrhundert
errichtet; in einer der frühesten Luftaufnahmen von Beirut
aus dem Jahr 1917 ist es schon zu erkennen.471
Das Haus ist auf der Südseite der stark ansteigenden Straße
in den steilen Hang gebaut, mit zwei Wohngeschossen über
einem Substruktionsgeschoss. Die hochwertige steinsichtige
Hauptfassade mit ihren Dreibogenfenstern ist nach Norden
gewandt und blickt über die Straße auf das Meer. Die wegen
des Gefälles sehr hoch über der Straße liegenden Wohngeschosse werden durch eine sehr schöne, S-förmig geschwungene zweiarmige Freitreppe erschlossen, die vom stra-
Abb. 278
Bayt Ladki, Nordfassade mit
Detail der geschwungenen
Freitreppe.
Abb. 279
Bayt Ladki, Nordfassade mit
den beiden separaten Eingangstüren zum ersten und
zweiten Wohngeschoss.
226
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.21 Madrasat Fa-t.ima az-Zahra-’
ßenseitigen Gartentor hinauf zum ersten Geschoss führt. In
sonst ungewöhnlicher Weise liegt diese Treppe nicht frontal
vor der Mittelhalle, sondern seitlich versetzt, und führt so zu
den beiden Haupteingangstüren des Hauses. Diese direkt nebeneinander liegenden Türen sind identisch gestaltet; eine
gibt ebenerdig Zugang zum ersten Geschoss, die zweite führt
in ein Treppenhaus zum zweiten Geschoss. Auch hier ist die
separate Nutzung der Geschosse schon „eingebaut“.
Die korrespondierenden Grundrisse der beiden Geschosse
(vorgestellt wird hier das zweite Obergeschoss, siehe Plan
3.20) sind hinsichtlich der Anlage des Wohnbereichs um die
Mittelhalle sehr einfach und konventionell gegliedert. Der
von Studenten der ALBA aufgenommene Grundriss verdient
u. a. deswegen besonderes Interessen, weil er – als Ausnahme unter den sonst „frankophonen“ Plänen in der Sammlung – die arabischen Bezeichnungen enthält, mit denen die
Bewohner des Hauses ihre Räumlichkeiten nennen. Die Mittelhalle (ad-dār) hat eine Vorderhalle (dīwān-ḫāne), flankiert von zwei Seitensälen, von denen der östliche der manzūl
ist, und der westliche als ṣāliya bezeichnet wird – also eine
Art zweiter Salon, der eventuell auch als Frauenempfangsraum gedient haben mochte (vgl. Qaṣr Mukhayyesh, Kap.
3.16). Im rückwärtigen Bereich der dār liegt eine konventionelle līwān-Raumgruppe, mit līwān und flankierenden
Eckräumen, die hier als al-ġarbiyya („die Westliche“) und
aš-šarqiyya („die Östliche“) bezeichnet werden.
Da das Haus nur von mittlerer Größe ist, bleibt in den Wangen des Doppel-T-Schemas, zwischen līwān-Raumgruppe
und Seitensälen, nur sehr wenig Platz: auf der Westseite der
dār für ein kleines Schlafzimmer (ġurfat an-nawm), und
auf der Ostseite für zwei parallel laufende und daher auf
den ersten Blick redundant wirkende Korridore. Der südliche ist der Servicekorridor und führt in den in der Südostecke des Geschosses liegenden Wirtschaftsbereich, mit
Küche, Bad und Toilette, die sich um einen kleinen Vorraum und Verteilerraum gruppieren, der hier ad-dār aṣṣaġīra genannt wird – „die kleine dār“. Die Bezeichnung
weist darauf hin, wie stark der Begriff ad-dār mit der Idee
eines zentralen Vor- und Verteilerraums verbunden ist und
durchaus losgelöst von einer eigentlichen Wohn- oder Aufenthaltsfunktion verstanden werden konnte.
Der nördliche Korridor ist der Eingangskorridor, auf dessen
Nordseite der manzūl, das Treppenhaus und – am östlichen
Ende – das Esszimmer (ṭaʿām) liegen. Der manzūl ist dreifach
(vom Treppenhaus, vom Korridor und von der Mittelhalle her)
erschlossen und damit ein manzūl im vollwertigen Sinne (vgl.
Bayt Fakhoury, Kap. 3.19). Das Esszimmer ist hier (wie im
Bayt Fakhoury) aus dem Erschließungskontext der Mittelhalle
ganz herausgelöst und in die Nähe der Küche gerückt. Darüber hinaus ist es interessanterweise mit dem Treppenhaus verbunden und demnach ebenfalls bei Bedarf für Empfangszwecke nutzbar. Es verfügt als eine Besonderheit auch über
große Zweibogenfenster mit vorgelagertem Balkon nach Norden und ist daher vergleichsweise repräsentativ gestaltet. Die
beiden Korridore und die dār aṣ-ṣaġīra sind durch Türen miteinander verbunden, die einen möglichst direkten Zugang zwischen Küche und Treppenhaus, Esszimmer und manzūl schaffen und somit das Betreten der Mittelhalle durch die Bediensteten unnötig machen. Eine eigene Toilette am Ostende
des Eingangskorridors konnte außerdem von Gästen benutzt
werden, ohne dass diese in den Wohn- oder Wirtschaftsbereich eindringen mussten. Auch dies unterscheidet sich deutlich von den räumlichen Gegebenheiten noch der großen Mittelhallenhäuser der 1890er (z.B. Qaṣr Bišāra el-Khoury oder
Qaṣr Mukhayyesh), wo es eine solche Trennung nicht gab.
Gästeempfang und Wirtschaftsaktivitäten werden weitgehend
vom Wohnbereich um die Mittelhalle ferngehalten.
3.21 Madrasat Fāṭima az-Zahrā’
Dieses in eine Schule umgenutzte vormalige Wohnhaus [M
1325] befindet sich im Quartier Moussaitbé, nur einen Block
südlich des Qaṣr Bišāra el-Khoury, auf einem Gartengrundstück entlang der Avénue de l’Indépendance (Abb.
280). Die historische Dokumentation zu diesem Haus in
der ALBA-Plansammlung nennt zwar nicht den Namen der
Erbauerfamilie, enthält jedoch interessante Informationen
zur Nutzungsweise, die hier zusammen mit dem Grundriss
kurz vorgestellt werden sollen.
Es handelt sich um ein zweigeschossiges Mittelhallenhaus
mittlerer Größe (Abb. 281, 282). Den Angaben der ALBA-
Abb. 280
Lageplan
Madrasat
Fāṭima azZahrā’ (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
227
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 281
Madrasat Fāṭima az-Zahrā’, Ansicht von Norden.
Dokumentation zufolge wurde es kurz nach dem Ersten Weltkrieg errichtet, anlässlich der Eheschließung des Erbauers,
eines angesehenen sunnitischen Kaufmanns. Der heute weiß
verputzte Bau ist mit einem spitzen Dachgiebel über dem
Dreibogenfenster des Obergeschosses ausgestattet: Solche
kleinen Dreiecksgiebel waren eine neue Form mit modischer
Note, die ab der Jahrhundertwende bis in die 1920er bei Bei-
ruter Mittelhallenhäusern zu beobachten ist.472 Auch besitzt
das Haus einen maṣyaf an der Nordostecke. Trotz der eher
bescheidenen Dimensionen des Hauses wurde hier durch bestimmte architektonische Elemente – für jeden deutlich erkennbar – der Statusanspruch des Bauherrn signalisiert.
Die Grundrisse des Erdgeschosses (hier vorgestellt) und des
Obergeschosses sind identisch und sehr konventionell (sie-
Abb. 282
Madrasat Fāṭima az-Zahrā’,
Ansicht von Nordwesten, mit
Außentreppe zum Obergeschoss.
228
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.22 Villa Wadih Mezher
he Plan 3.21). Angesichts der Erbauungszeit ist die Erschließung des Obergeschosses durch eine seitlich im Westen des
Hauses liegende Außentreppe schon fast altmodisch zu nennen. Diese Erschließungsform mag gewählt worden sein, um
bei der begrenzten Raumzahl keinen Platz an ein Treppenhaus zu verlieren; vielleicht kann sie auch als Hinweis gedeutet werden, dass das Obergeschoss nachträglich hinzugefügt wurde. Jedenfalls macht die Außentreppe deutlich, dass
die beiden Geschosse als separate Wohneinheiten gedacht
waren. Dementsprechend gibt es im Erdgeschoss und im
Obergeschoss einen jeweils vollständigen Wirtschaftsbereich
mit kleinem Badezimmer, einer Toilette, darüber befindlichen titḫīten und einer als Annex ausgebildeten Küche.
Der Grundriss folgt im Kern einem auf das Essentielle reduzierten Grundschema: Die nach Norden ausgerichtete
Mittelhalle geht ohne Vorderhalle direkt durch eine Dreibogenstellung nach außen (im Erdgeschoss liegt hier eine
Eingangsveranda, im Obergeschoss ein Balkon), sie ist flankiert von zwei Seitensälen und rückwärtig von der līwānRaumgruppe. Zwischen den Eckräumen der līwān-Raumgruppe und den Seitensälen geht auf beiden Seiten der Halle jeweils ein Stichkorridor ab: auf der Westseite der Eingangskorridor (mit einer seitlichen Tür in den Seitensaal),
auf der Ostseite der Servicekorridor zum Wirtschaftsbereich (mit einer seitlichen Tür zum südlich des Korridors
liegenden Raum).
Soweit ähnelt der Grundriss in seiner plangeometrischen Gestalt sehr dem des Bayt Saadé, der etwa 70 Jahre früher errichtet wurde; er ist jedoch noch symmetrischer, noch stärker formalisiert als es die frühen Häuser waren. Aber er integriert auch wichtige Neuerungen des späteren 19. Jahrhunderts: Auf der Ostseite des östlichen Seitensaals liegt das
Esszimmer, losgelöst von der Mittelhalle und in Küchennähe gerückt (vgl. die ähnliche Situation im Bayt Fakhoury,
Kap. 3.19, und Bayt Ladki, Kap. 3.20). Eine der beiden Türen des Esszimmers geht in den Wirtschaftsbereich, die zweite führt in den Seitensaal, so dass der Zugangsweg für Familie und Gäste separat von dem der Dienstboten sein konnte.
In der historischen Dokumentation zum Haus ist beschrieben, wie in diesem Haus in den 1920ern und 1930ern Empfänge abgehalten wurden. Für die gelegentlichen großen Empfänge und festlichen Gesellschaften, die zu geben die Hausherren ihrer gesellschaftlichen Position schuldig waren, wurden demnach alle (oder zumindest die meisten) Räume zur
Mittelhalle hin geöffnet. Bei solchen Gelegenheiten betraten
die Gäste das Haus von vorne durch die Mittelhalle. Kleinere Geselligkeiten wurden im westlichen Seitensaal, dem Empfangszimmer, abgehalten. Für solche Gelegenheiten diente
der Seiteneingang des Geschosses als Gästeeingang, von wo
aus das Empfangszimmer betreten werden konnte, ohne dass
der häusliche Bereich um die Mittelhalle davon berührt wurde. Zu diesen Geselligkeiten zählte insbesondere der Empfangstag der Frau, der damaligen Gepflogenheiten entsprechend alle zwei Wochen stattfand, in diesem Falle Mittwoch
nachmittags. An anderen Tagen empfing der Mann in diesem
Raum seine Freunde und Bekannten, um „nach Männerart“
über Politik und Geschäfte zu reden.473 Auf den hier anklingenden Aspekt der geschlechterspezifischen Formen der Geselligkeit und der Raumnutzung wird in Teil III dieser Arbeit
noch einmal ausführlich eingegangen.474
Allgemein lässt sich zu diesem Haus festhalten, dass die
beschränkte Raumzahl auch nur ein begrenztes Raumprogramm zuließ. Die historischen Nutzungen sind in der ALBA-Dokumentation nur für das Esszimmer und das Empfangszimmer wiedergegeben. Wenn man jedoch davon
ausgeht, dass allein ein Ehepaar mit Kindern mindestens
zwei oder – bei Geschlechtertrennung der heranwachsenden Kinder – drei Schlafzimmer benötigte, blieb in der
Geschosswohnung neben dem Empfangszimmer und dem
Esszimmer nur noch ein weiterer Raum übrig, der als
Wohnzimmer dienen konnte, und dies war – aufgrund seiner Verbindung zur Mittelhalle und zum Esszimmer – vermutlich der östliche Seitensaal. Die drei rückwärtig liegenden Räume der līwān-Gruppe dienten somit wahrscheinlich als Schlafzimmer. Einen separaten Frauenempfangsraum – wie beispielsweise im Qaṣr Mukhayyesh
– gab es in diesem ebenfalls von Sunniten erbauten und
bewohnten Haus nicht.
3.22 Villa Wadih Mezher
Dieses zweigeschossige, luxuriöse Wohnhaus [M 1872] wurde Anfang der 1920er von Wadih Mezher (Wadīʿ Muzhir)
auf einem Gartengrundstück am äußersten westlichen Rand
von Zokak el-Blat erbaut, knapp zweihundert Meter südlich
vom Qaṣr Ziadé und Qaṣr Heneiné (Abb. 283). Zu jener Zeit
war das sich von hier nach Westen erstreckende Quartier
Zarif, zu dem das Grundstück heute zählt, noch in den Anfangsstadien der Urbanisierung.475 Das Haus liegt an einer
kleinen, von der Rue Abdel-Kader abgehenden Seitenstraße,
welche damals einen Teil des weitläufigen Grundeigentums
der Mezher-Familie erschloss und nach dem Grundeigentümer Rue Wadih Mezher benannt war (heute Rue Faris
Nimr). Auf der südlichen Rückseite des Hauses verläuft die
Rue Rachid Nakhlé (damals Rue Zarif) von der Rue AbdelKader nach Westen, und unmittelbar im Osten, zwischen
229
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
dem Haus und Rue Abdel-Kader, stand das alte, etwa aus
den 1860ern datierende Familienwohnhaus der Familie Wadih Mezher [M 1931], das 1998 abgerissen wurde.476
Nicht bekannt ist, wer die neue Villa Wadih Mezher anfänglich bewohnte. Es ist auch nicht überliefert, dass die im Nachbarhaus lebenden Eigentümer die Villa jemals selbst bewohnt
hätten. Es scheint, dass das Haus zunächst vor allem zur Vermietung gedacht war, mit der üblichen (hier jedoch nie realisierten) Option, es später für verheiratete Kinder zu nutzen.
Es ist überliefert, dass es bis zum Zweiten Weltkrieg als Sitz
des japanischen Generalkonsulats diente – seit wann, ist allerdings nicht bekannt. Dokumentiert ist darüber hinaus, dass
es ab 1941 oder spätestens 1942 – während des Zweiten Weltkriegs – von der britischen, in Beirut operierenden „Spears
Mission“ als Operationszentrale des Generals Sir Edward
Spears in Dienst genommen wurde. In diesem Zusammenhang gibt es auch Hinweise, dass das Haus kurz zuvor von
den Franzosen unter Androhung der Beschlagnahme zu einer
sehr niedrigen Miete angemietet worden war. Nach Kriegsende wurde das Haus – nun mit einem regelrechten Mietvertrag – zur Residenz des britischen Botschafters und blieb
es bis in die 1980er Jahre.477 1986 wurde es von der Erbin,
Samia Mezher-Saab, an die islamische Waisenhausorganisation Dār al-Aytām al-Islāmiyya verkauft und dient dieser
seitdem als Verwaltungssitz.
Ähnlich wie im Falle des Qaṣr Heneiné verdanken wir den
diplomatischen Funktionen dieses Hauses eine archivarische Dokumentation, in diesem Falle im britischen Nationalarchiv (TNA), einschließlich dreier Sätze von Grundrisszeichnungen aus der Zeit zwischen der Übernahme des
Hauses 1941/42 und 1962. Diese Pläne zeugen von zahlreichen Umbauten, und es gab weitere Umbauten nach der
Übernahme des Hauses durch Dār al-Aytām. Daher soll hier
vor allem auf den frühesten, offenbar gleich nach der Übernahme entstandenen Plansatz zurückgegriffen werden, um
den Ursprungszustand des Hauses hinsichtlich Grundriss
und Raumstruktur zu rekonstruieren (Pläne 3.22A und
3.22B).478 Dabei ist weniger die tatsächliche Nutzung durch
die Spears Mission oder durch den britischen Botschafter
– die beide Sondernutzungen waren – für unsere Zwecke
interessant, sondern vielmehr, wie man sich die „normale“
Wohnnutzung, für die das Haus ja eigentlich errichtet worden war, für die 1920er vorzustellen hat.
Der Bau ist mittig in dem ursprünglich kleinen, längsrechteckigen Gartengrundstück positioniert, welches erst
in den 1960ern durch Ankauf eines Teils des Nachbargrundstücks nach Westen erweitert wurde und die Ausdehnung erhielt, die es heute hat. Drei kleine, eingeschossige
Nebengebäude befanden sich im Südwesten, Südosten und
im Nordosten des Hauses jeweils an der das Grundstück
begrenzenden Gartenmauer, von denen heute nur die beiden letztgenannten erhalten sind. Das Haus selbst (Abb.
284, 285) hat zwei Geschosse mit weitgehend identisch angelegten Mittelhallengrundrissen in Nord-Süd-Ausrichtung
über einer aus zwei separaten Räumen bestehenden Teilunterkellerung im Süden; ein drittes Geschoss war vorgesehen, aber nur einige im Osten liegende Räume des Wirtschaftstraktes dieses Geschosses wurden schon bei der Erbauung des Hauses (oder zumindest vor 1940) errichtet, der
Rest blieb bis heute unausgeführt. Der Gesamtbau – aus-
Abb. 283
Lageplan Villa Wadih Mezher (o. M., Grundlage: Katasterplan
1:2.000 von 1964).
Abb. 284
Villa Mezher, Hauptfassade im Norden mit ursprünglichem
Eingang.
230
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.22 Villa Wadih Mezher
Abb. 285
Villa Mezher, Südseite mit
neuem Eingang (als Ergebnis der Umbauten der 1960er
und Renovierung der
1990er).
geführt in einer damals gebräuchlich werdenden Kombination von tragendem Sandsteinmauerwerk und Stahlbetondecken – hat daher ein Flachdach mit umlaufender Mauerbrüstung und Dachaufbauten im Osten. Die Hauptfassade im Norden hat zwei mittig übereinander positionierte
Dreibogenstellungen mit Verglasungen, deren Sprossenwerk „neo-islamische“ geometrische Muster bildet, wie sie
in den 1920ern sehr modisch wurden. Ihnen vorgelagert ist
eine zweigeschossige Veranda in kombinierter Stein- und
Stahlbetonbauweise. Weitere kleine Veranden befinden sich
an den beiden nördlichen Gebäudeecken, und eine große,
ebenfalls zweigeschossige Veranda nimmt fast die gesamte rückwärtige Fassade im Süden ein. Das Obergeschoss
hat außerdem auf der Nordseite zwei die Veranda flankierende Balkone und einen weiteren Balkon im Westen.
Das von vorneherein geplante dritte Geschoss könnte als
ein Hinweis darauf verstanden werden, dass auch die beiden errichteten Geschosse in der schon bekannten Weise
als zumindest potentiell selbstständige Wohnungen angelegt waren, selbst wenn dies in der zusammenhängenden
Nutzung des Erdgeschosses und des Obergeschosses als
Residenz des britischen Botschafters nicht zum Tragen kam.
Das Geschosserschließungssystem folgt daher dem bekannten, ambivalenten Muster: Eine breite Freitreppe führt vom
Gartentor im Norden hinauf zum Hochparterregeschoss und
erschließt dieses frontal über die Mittelhalle. (Der Haupteingang des Hauses wurde allerdings um 1950 auf die Südseite
verlegt, wo er sich auch heute befindet.) Ein über einen Seiteneingang zu betretendes Treppenhaus im Osten gibt Zutritt
zu beiden Wohngeschossen und der Dachterrasse. Ein weiterer, heute zugesetzter Eingang im Südosten erschloss den
Küchen- und Wirtschaftsbereich des Erdgeschosses; eine hölzerne Treppe – teilweise außen und teilweise innen durch einen abgesonderten Teil der südlichen Veranda geführt – führte hinauf zum Mezzaningeschoss des Wirtschaftsbereiches
und weiter hinauf in den Küchentrakt des Obergeschosses.
Ob diese Dienstbotentreppe bauzeitlich war, ist nicht mit letzter Sicherheit zu sagen; jedenfalls war sie schon am Platze, als
die Briten das Haus übernahmen, und wurde später durch eine Wendeltreppe im Inneren des Küchenbereichs ersetzt. Hier
waren die beiden Geschosse baulich zu einer zusammenhängenden Wohnung zusammengefasst.
Der Grundriss der beiden Wohngeschosse ist jeweils durch
eine langgestreckte, nach Norden orientierte Mittelhalle bestimmt, die jede Etage in eine vor allem von Schlafzimmern
eingenommene westliche Hälfte und eine vom Wirtschaftsräumen dominierte östliche Hälfte unterteilt. Eine solch klare Aufteilung war – wie an den bisher vorgestellten Beispielen erkennbar – früher nicht üblich.479 Die Mittelhallen selbst
sind im Inneren durch zwei offene Bogenstellungen in drei
231
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Teile unterteilt (Abb. 286, 287). Diese Bogenstellungen sind
im Erdgeschoss als leicht gestaffelte Dreibogenstellungen
aus schwarzem Marmor ausgeführt; im Obergeschoss hingegen ist jeweils eine sehr breite mittlere Öffnung mit abgeflachtem Korbbogen von nur leicht von der Wand abgerückten Säulen flankiert. Die Bögen und die Decken der Mittelhallen weisen – wie die oben erwähnten Dreibogenfenster in
der Nordfassade – das modische, „neo-islamische“ Dekor
auf. Hier taucht auch das Motiv der kreuzförmigen Halle wieder auf, wie es schon 40 Jahre früher im Qaṣr Ḫalīl Sursock
zu finden war. Ihre auf halber Länge der Halle liegenden, kurzen Kreuzarme sind durch Bogenstellungen vom Hauptraum
separiert; in ihrer Rückwand befindet sich jeweils eine Tür.
Die Tür im östlichen Seitenflügel ist jeweils der direkte Zugang vom Treppenhaus zur Mittelhalle, d.h. im Erdgeschoss
der Nebeneingang und im Obergeschoss der Haupteingang
der Wohnung. Dadurch also, dass diese Eingänge zunächst
in Kreuzarme führen, sind die vorderen und rückwärtigen
Bereiche der Mittelhalle etwas besser vor den Blicken der
Eintretenden geschützt. (Vergleichbare, aber kleinere Seitenflügel mit der gleichen Funktion finden sich in der nur kurze Zeit später errichteten Villa Joseph Aftimus, Kap. 3.23.)
Eine weitere Besonderheit ist ein zusätzlicher Seitenflügel,
der im Obergeschoss (und nur dort) den rückwärtigen Abschnitt der Mittelhalle nach Osten erweitert, über eine offene
Bogenstellung mit der Halle verbunden ist, und in der Rückwand mit einem Kamin ausgestattet ist. (Weitere offene Kamine finden sich in anderen Räumen des Hauses; s.u.)
Abb. 286
Villa Mezher, Mittelhalle des Erdgeschosses in den 1960ern,
mit neuer Eingangstür im Süden, die das frühere Fenster noch
erkennen lässt.
In Fortführung des aus den älteren Häusern bekannten Systems werden die Mittelhallen auf beiden Etagen im vorderen,
nördlichen Bereich von zwei Seitensälen flankiert, die hier
allerdings nur mit jeweils einer Tür mit der Mittelhalle in
Verbindung stehen. Es fehlt die Verbindung zur Vorderhalle (obwohl hier der Eingang zum Erdgeschoss lag), und anders als man erwarten könnte, gab es anfangs offenbar auch
keine zusätzliche Erschließung des östlichen Seitensaals vom
Treppenhaus her.480 Bezeichnenderweise scheint daher keiner dieser Seitensäle anfänglich die Mehrfacherschließung
besessen zu haben, die für einen manzūl typisch gewesen
wäre. Ebenso bezeichnend ist jedoch, dass dies später durch
den Einbau zusätzlicher Türen nachgeholt wurde.
Eine zweite Abweichung vom bekannten Grundrissmuster
ist, dass es keine līwān-Räume in der südlichen Verlängerung
der Mittelhallen gibt – wenn man die durch offene Bogenstellungen abgetrennten rückwärtigen Bereiche der Mittelhalle nicht als solche zählen will. Stattdessen liegt im Erdgeschoss südlich der Mittelhalle ein quergelagerter, zweigeteilter Raum (im ältesten Plan zusammengehörig als „Gallery“
bezeichnet), der sich auf der Südseite durch vier große, verglaste Bogenfenster (die jedoch keine Türen waren) nach außen öffnete und nur über zwei Innenfenster mit der Mittelhalle kommunizierte. (Später, in den 1960ern, wurde hier der
neue Haupteingang des Erdgeschosses eingerichtet und eines der beiden Fenster zur Tür umgestaltet.) Die beiden Teile der sogenannten Galerie sind im ältesten Plan durch eine
mit einer mittig liegenden Tür versehene Trennwand separiert, deren geringe Wandstärke darauf hindeutet, dass sie
möglicherweise nicht bauzeitlich, sondern ein früher Einbau
ist. Im Osten und Westen stand die Galerie über je eine Tür mit
dem Küchenbereich bzw. einem (Schlaf-) Zimmer in Verbindung. Im östlichen Teil der Galerie führte außerdem eine
Treppe hinab in den darunter liegenden Kellerraum. Sie stellte den einzigen Zugang zu diesem Keller dar. Damit erweist
sich diese Galerie in ihrer ursprünglichen Funktion hauptsächlich als eine Art Durchgangsraum, der funktional stark
mit dem Wirtschaftsbereich des Geschosses zusammenhing.
Anders stellt sich die Situation im Obergeschoss dar: Hier
liegt südlich der Mittelhalle ein quergelagerter, großer Raum,
der im ältesten Plansatz als „Dining Room“ bezeichnet wird.
Er steht über zwei Türen mit der Mittelhalle in Verbindung,
während vier Fenstertüren auf die Veranda im Süden gehen.
Im Westen führt eine Tür in den Schlafzimmertrakt, und im
Osten geht eine Tür direkt in den Küchenbereich. Gerade die
letztgenannte Verbindung lässt darauf schließen, dass dieser
Raum tatsächlich schon bauzeitlich als Esszimmer angelegt
war. Mit dieser Positionierung des Esszimmers setzt das Mez-
232
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.22 Villa Wadih Mezher
Abb. 287
Villa Mezher, Mittelhalle
des Obergeschosses in den
1960ern.
her-Haus eine Entwicklung fort, die schon etwa drei Jahrzehnte früher im Qaṣr Bišāra el-Khoury (Kap. 3.17) nachzuweisen ist, und in ähnlicher Form in der Villa Joseph Aftimus (Kap. 3.23) Ausdruck findet.
Der Küchen- und Wirtschaftsbereich nimmt in beiden Geschossen den gesamten Bereich östlich der Mittelhalle und
südlich des Treppenhauses ein, und verfügt in beiden Fällen
über Mezzaninräume, die Platz für Vorratskammern und zusätzliche Bedienstetenkammern bieten. Erschlossen werden
die Wirtschaftstrakte auf beiden Etagen durch einen auf der
Ostseite der Mittelhalle abgehenden, L-förmigen Korridor. Er
gibt Zutritt zu ein bzw. zwei Bedienstetenkammern oder
Hauswirtschaftsräumen, einem Waschraum mit jeweils zwei
separaten WCs, sowie einem kleinen Badezimmer, und mündet in das sogenannte office, dem geräumigen Anrichtezimmer, an das wiederum südlich die Küche anschließt. In das
Anrichtezimmer führt jeweils auch der Dienstboteneingang
im Süden des Hauses (Abb. 288). Es handelt sich also auf
beiden Geschossen um ausgedehnte, vom Wohnbereich abgesonderte und in sich räumlich-funktional ausdifferenzierte Küchen- und Wirtschaftsbereiche, wie sie in großen Beiruter Häusern während des späteren 19. Jahrhunderts üblich
wurden. Auch die Positionierung im Südosten des Hauses
und die zweifache Erschließung – von der Mittelhalle her
und durch einen gesonderten Dienstboteneingang – setzt die
im 19. Jahrhundert entwickelten Konventionen fort.
Eine Eigentümlichkeit lässt sich im Erdgeschoss beobachten: Der von der Mittelhalle abgehende Servicekorridor steht
nicht nur wie im Obergeschoss mittels einer Tür mit der Halle in Verbindung, sondern öffnet sich zusätzlich direkt in den
östlichen Seitenflügel der Halle, dessen Südostecke gänzlich
zum Korridor hin offen ist. Einzig ein hölzerner Wandschirm
scheint – wenn man den verschiedenen Plänen glaubt – als bewegliche Absperrung und Blickschutz gedient zu haben. Diese eigentümliche Konstruktion mag einer direkteren Verbindung zwischen Wirtschaftsbereich und Treppenhaus gedient
haben, bei der nur der Seitenflügel, nicht aber die eigentliche Mittelhalle betreten werden brauchte. Es bleibt jedoch
offen, warum dafür nicht eine gewöhnliche Tür ausreichte.481
Die Schlafbereiche der beiden Geschosse können hinsichtlich ihrer räumlichen Anlage als das innovativste Element des
Hauses gelten. Die Schlafzimmer sind sämtlich auf der westlichen Seite des Hauses gelegen und in neuer Weise zu einem
relativ eigenständigen Raumkomplex zusammengefasst, der
von der Mittelhalle her durch einen nach Westen stoßenden
Stichkorridor zu betreten ist und neben zwei bis drei Schlafzimmern auch Badezimmer und Toiletten umfasst. Gerade in
den Schlafbereichen sind allerdings in beiden Geschossen
wiederholt Umbauten, Einbauten, Türdurchbrüche und -zusetzungen vorgenommen worden, und dies offenbar schon
vor der Übernahme des Hauses durch die Spears Mission, so
dass manche Einzelheiten der ursprünglichen Erschließungen und Raumnutzungen nicht ganz geklärt werden können.
So ist zu vermuten, dass die Korridore der Schlafbereiche
ursprünglich bis an die westliche Außenwand durchliefen
und die an den westlichen Enden befindlichen kleinen Ba233
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
dezimmer das Ergebnis früher Umbauten sind. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, warum diese Badezimmer so große Fenster haben, bzw. im Obergeschoss sogar eine Fenstertür, die auf einen eigenen Balkon geht. Diese Öffnungen
machen als Belichtung in der Stirnwand der Korridore mehr
Sinn. Das im Erdgeschoss südlich vom Korridor liegende,
innenliegende Badezimmer ist höchstwahrscheinlich bauzeitlich; analog dazu ist im Obergeschoss im frühesten Plan
ein „Cloak Room“, also ein Garderobenzimmer, eingezeichnet; hier liegt das Badezimmer weiter südlich zwischen
dem südwestlichen Schlafzimmer und dem Esszimmer. Ob
das die ursprüngliche Anordnung war, muss offen bleiben.
Die drei großen Räume entlang der westlichen Außenwand
können auf beiden Geschossen zunächst grundsätzlich als
Schlafzimmer angesprochen werden; die diese Räume in
Nord-Südrichtung verbindenden Türen liegen auf einer Achse, wodurch die Räume wie in einer Enfilade aufgereiht
sind und als zusammenhängende Einheit wirken. Das nördliche und mittlere Zimmer ist dabei jeweils direkt vom dazwischenliegenden Korridor her zugänglich, das südliche
Zimmer ist über das mittlere zu erreichen, hat allerdings eine Zweiterschließung von der Galerie (im Erdgeschoss)
bzw. vom Esszimmer (im Obergeschoss) her. Das nördliche Zimmer hat in beiden Geschossen ebenfalls eine Zweit-
Abb. 288
Villa Mezher, östlicher Abschnitt der Südseite vor den Umbauten der 1960er, mit Dienstboteneingang und Aufgang zum
Wirtschaftsbereich des Obergeschosses.
erschließung direkt vom westlichen Seitenflügel der Mittelhalle her, im Falle des Obergeschosses sogar noch eine
dritte Erschließung vom nordwestlichen Seitensaal her. Somit haben alle Schlafzimmer mindestens zwei Türen; das
mittlere ist außerdem ein Durchgangszimmer. Aus dieser
Mehrfacherschließung ergibt sich eine gewisse potentielle
Multifunktionalität, die sich auch historisch darin zeigt,
dass die nördlichen Zimmer in beiden Geschossen auf dem
Plan vom Mai 1942 als „Drawing Room“ (d.h. Wohnzimmer oder Salon) bezeichnet wurden, im Plan von 1962 allerdings wieder als Schlafzimmer identifiziert wurden.
Trotz der deutlich stärker gewordenen Ausdifferenzierung
und Absonderung des Schlafbereichs im Verhältnis zu den
Wohn- und Empfangsbereichen der einzelnen Geschosse,
die es nun überhaupt erst gestatten, von einem wirklichen
Schlafbereich zu sprechen, lässt sich also auch in diesem
Haus noch eine große, im Bau angelegte Flexibilität in der
Nutzung einzelner Räume feststellen. Dies kann auch nicht
überraschen angesichts der Tatsache, dass die beiden Geschosse sowohl als separate wie auch als zusammengehörige Wohnung dienen konnten, infolgedessen das den 1920ern
für gehobenes Wohnen übliche Raumprogramm – je nach
Umständen – entweder innerhalb eines Geschosses oder über
zwei Geschosse hinweg realisiert werden musste.
Dabei erweist sich, dass trotz der Größe des Hauses die Realisierung eines solchen Raumprogramms auf einer Etage allein eher schwierig war. Im Gegensatz zum Obergeschoss
verfügt das Erdgeschoss beispielsweise über keinen Raum,
der sich durch eine gute Erschließung von der Küche her
als Esszimmer eignen würde. Der östliche Seitensaal wäre
eine denkbare Möglichkeit, aber wegen seiner Lage zwischen Vordereingang und Treppenhaus wäre er besser als
Empfangszimmer geeignet (und tatsächlich diente er dem
Plan von 1942 zufolge als „Waiting Room“). Alle übrigen
Räume liegen auf der anderen Seite der Mittelhalle und damit im Verhältnis zur Küche sehr ungünstig. (Die Existenz
offener Kamine in beiden Seitensälen des Erdgeschosses
kann hier nicht wirklich zur Klärung beitragen, da solche –
wie ein Vergleich mit dem Obergeschoss zeigt – gleichermaßen für Empfangszimmer, Wohnzimmer oder Esszimmer vorgesehen sein können.) Einzig der Raum in der Südwestecke hätte über die Südgalerie eine gute Verbindung
zur Küche, liegt aber seinerseits ganz offensichtlich im
Schlafbereich des Hauses, und wäre für ein Esszimmer auch
von der Mittelhalle her nur völlig unzureichend zugänglich.
Es ist auch schon erwähnt worden, dass es keinen līwānRaum gibt, der als Familienwohnzimmer dienen könnte;
die offene Mittelhalle bietet dazu keinen geeigneten Raum.
234
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.23 Villa Joseph Aftimus
Auch diese unverzichtbare Funktion musste also in einem
der drei großen Räume im vorderen, nördlichen Bereich des
Hauses Platz finden – am ehesten im nördlichen der drei
„Schlafzimmer“, weil hier eine Nebenerschließung zu den
Toiletten und Bädern des Schlafbereichs existierte (eine vergleichbare Situation gab es in der Villa Joseph Aftimus) und
damit auch der aus den älteren Häusern bekannte „gedeckte Rückzugsweg“ gegeben war. Im Erdgeschoss wären daher zwangsläufig Empfangszimmer, Esszimmer und Wohnzimmer in diesen vorderen Räumen lokalisiert gewesen.
Schon die Verwirklichung dieses eher minimalen Standardprogramms bedeutete, dass es nur zwei Schlafzimmer
geben konnte: ein Eltern- und ein Kinderschlafzimmer. Für
weitere besondere Nutzungen, die in einem Haus dieser Größenordnung zu erwarten gewesen wären – etwa ein Arbeitszimmer, eine Bibliothek oder ein Rauchzimmer – gab
es keinen Platz.
Im Obergeschoss sind die Gegebenheiten etwas besser, weil
mit dem rückwärtig an die Mittelhalle anschließenden Raum
ein großer Wohnraum mehr zur Verfügung steht als im Erdgeschoss. Dieser ist wegen seiner Lage optimal als Esszimmer geeignet und sogar mit einem Kamin ausgestattet.
Damit standen die beiden Seitensäle (und je nach Bedarf
auch das nördliche „Schlafzimmer“) für die Nutzung als
Empfangszimmer und Wohnzimmer sowie für eine zusätzliche Nutzungsart zur Verfügung. Auch in diesem Geschoss
hat der westliche Seitensaal einen Kamin. Ein dritter Kamin befindet sich im hinteren Seitenflügel der Mittelhalle,
der sich auch durch seine relativ blickgeschützte Lage als ein
weiterer Raum für ein Zusammensitzen mit Familienangehörigen oder Freunden eignete, ohne freilich ein vollwertiges Wohnzimmer zu sein. Bei Verwirklichung des minimalen Standardprogramms (Empfangszimmer, Esszimmer,
Wohnzimmer) hätten im Obergeschoss also immerhin noch
drei Schlafzimmer zur Verfügung gestanden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Haus in seiner
Grundriss- und Erschließungsstruktur einerseits ältere Konventionen fortführt, andererseits einige Neuentwicklungen
– besonders in der Anlage des Schlafbereiches – aufweist.
Bestimmte Abweichungen von älteren Formen – wie der Verzicht auf līwān-Räume oder auf die zusätzliche Erschließung
der Empfangsräume – dürften in ihren Auswirkungen auf die
Wohnnutzung wohl nicht unproblematisch gewesen sein.
Richtungsweisend hingegen war die sich sehr viel klarer
räumlich ausprägende Ausgliederung und Ausdifferenzierung des Schlafbereiches vom Wohn- und Empfangsbereich
der jeweiligen Etage, die im Zusammenspiel mit der schon älteren Zweiteilung in Wohnbereich und Wirtschaftsbereich
nun zu einer deutlicheren, auch baulich eingeschriebenen
Dreiteilung der einzelnen Geschosse führte. Die Unterteilung in einen Tagbereich, einen Nachtbereich und einen Küchenbereich, der auch heute für Beiruter Apartments als Standard gilt, ist hier schon ausgeprägt. Dabei blieb einigen, an
den Nahtstellen dieser unterschiedlichen Bereiche liegenden
Räumen eine „eingebaute“ Flexibilität erhalten, die sich zu
einem guten Teil aus dem Fortleben der alten Ambivalenz
zwischen Einfamilien-Wohnhaus und Etagenwohnung erklären lässt, und außerdem Spielraum für den veränderten
Raumbedarf eines im familiären Reproduktionszyklus wachsenden und schrumpfenden Haushaltes gewährte.
3.23 Villa Joseph Aftimus
Einer der wichtigsten Beiruter Architekten des frühen 20.
Jahrhunderts, Joseph Aftimus (Yūsuf Bey Aftīmūs, lebte
1866–1952), hatte dieses Wohnhaus um 1925 nach eigenen
Plänen für sich und seine Familie errichten lassen.482 Die
eingeschossige Villa lag in einem größeren Gartengrundstück [MH 675] an der Kreuzung von Rue Kantari und Rue
Justinien im damals neu erschlossenen Stadtviertel Sanayeh (Abb. 289, 290). In den 1970ern wurde sie abgerissen,
und auf dem Grundstück wurde ein großer Büro- und Geschäftskomplex, der Aresco Center, errichtet. Das Aussehen der Villa ist uns hauptsächlich durch historische Photos
und Pläne überliefert, die 1934 in der regionalen Architekturzeitschrift Annuaire d’Architecture du Syrie et du Liban
publiziert wurden. Sie wurden ausdrücklich deswegen publiziert, weil die Grundrissgestaltung seinerzeit – und dies
immerhin noch ein Jahrzehnt nach der Erbauung – für zukunftsweisend gehalten wurde.
3.23.1 Der publizierte Grundriss der Villa Aftimus
In der Tat ist der Grundriss (wiedergegeben mit seinen arabischen und französischen Raumbezeichnungen in Plan
3.23) in mancher Hinsicht innovativ, aber keineswegs revolutionär. Anlage und Raumprogramm dieser Villa stellen in vieler Hinsicht eine Fortsetzung jener Entwicklungen dar, die schon an den vorangegangenen Fallstudien beobachtet werden konnten. Im Vergleich zu dieser Villa sind
die Wohnungsgrundrisse zweier anderer bekannter Wohngebäude, die Aftimus etwa zur gleichen Zeit oder kurze Zeit
später entwarf (das Daouk-Haus in der Rue Omar Daouk
und das Barakat-Gebäude an der Sodeco-Kreuzung), deutlich konservativere Mittelhallengrundrisse, was durch die
beschränktere Größe der Geschosswohnungen im Vergleich
zu dieser geräumigen Villa bedingt sein mag.
235
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Grundsätzlich hat auch die Villa Aftimus einen Mittelhallengrundriss, in dem – wie wir es etwa aus dem Qaṣr Bišāra elKhoury oder aus dem Obergeschoss der Villa Mezher kennen – die Mittelhalle (in der arabischen Beschriftung des publizierten Grundrisses: ad-dār, französisch hall genannt) und
das rückwärtig anschließende, die Position des līwāns einnehmende Esszimmer (ġurfat aṭ-ṭaʿām/ salle à manger) die
Mittelachse bilden. Im Gegensatz zur meist üblichen Ausrichtung der Mittelhalle nach Norden ist jedoch hier die Ausrichtung um 180 Grad gedreht: Die Halle öffnet sich über eine zentrale Tür mit zwei flankierenden Fenstern (hier eine
stilistisch modernisierte, mit Segmentbögen versehene Form
des Dreibogenfensters mit drei rechteckigen Oberlichtern)
auf die große Eingangsveranda im Süden, während das Esszimmer die Halle nach Norden abschließt, abgegrenzt mit der
für den līwān traditionsreichen Tür-Fenster-Kombination.
In einer zuvor in einem Beiruter Wohnhaus kaum erreichten Deutlichkeit ist die räumliche Segregation von verschiedenen Funktionen im Grundriss formal ausgeprägt,
indem der Servicebereich im Osten der Mittelhalle und der
Schlafbereich im Westen über jeweils eigene Korridore erschlossen werden, die zentral von der Halle her zu betreten
sind. Mit Ausnahme des Esszimmers im Norden und des
Salons im Südosten ist in diesem Haus kein Raum mehr direkt von der Mittelhalle her zugänglich.
Der Schlafbereich bildet einen eigenen Flügel von annähernd quadratischem Grundriss, der für sich genommen die
Struktur eines eigenen, um 90 Grad zur Hauptachse des
Hauses gedrehten Mittelhallengrundrisses aufweist: Ein
breiter zentraler Korridor ist durch kleine Dreibogenstellungen nach Osten und Westen abgeschlossen und gibt
durch einander symmetrisch gegenüberliegende Türen Zutritt zu drei Schlafzimmern, einem modern ausgestatteten
Bad und einer geräumigen Toilette (ġurfat at-tuwālīt). Zusätzliche innere Verbindungstüren – ähnlich denen, die bei
Neubauten des späten 19. Jahrhunderts zwischen den Räumen um die Mittelhalle herum üblich wurden – gestatten
den direkten Zutritt von den Schlafzimmern zu Bad bzw.
Toilette unter Umgehung des zentralen Korridors. Die kleine Veranda am Westende des Korridors, über die er belichtet und belüftet wird, ist ein Motiv, das an die Tradition der
an manchen großen Beiruter Häusern des 19. Jahrhunderts
zu findenden Westloggia anzuknüpfen scheint.483
Ebenfalls als eine fortgeführte und weiterentwickelte Tradition kann die Positionierung des Salons verstanden werden:
Ganz ähnlich dem großen, die Mittelhalle im vorderen Bereich flankierenden Seitensaal der älteren Mittelhallenhäuser
liegt der Salon der Villa Aftimus seitlich am vorderen Ende
der dār. Dabei ist er hier jedoch als eigener Risalit stark aus
dem Baukörper herausgezogen und durch die ihn auf drei Seiten umfassende große Eingangsveranda in der Fassade sichtbar hervorgehoben. Der Repräsentationsbereich des Hauses
wird dadurch in vorher unüblicher Weise nach außen abgebildet. Darüber hinaus steht der Salon nur noch mit einer Tür
mit dem vorderen Bereich der Mittelhalle in Verbindung, und
hat zwei weitere separate Zugänge: einen von der Veranda auf
der von der Mittelhalle abgewandten östlichen Seite, und einen vom Korridor des Servicebereiches her, gleich beim Treppenhauseingang. So erhält der Salon den Charakter eines sehr
deutlich aus dem Wohnbereich herausgezogenen und mit eigenen Erschließungen versehenen Ablegers – eine räumliche
Aussonderung, die sich auch in der Bezeichnung widerspiegelt, die dem Salon in dem arabischen Begleittext zum publizierten Grundriss gegeben wird: qāʿat al-istiqbāl al-ḫāriǧiyya,
der „äußere“ oder „außenliegende Empfangssaal“. Damit ist
der Beiruter manzūl des 19. Jahrhunderts begrifflich in seiner
historischen Funktion als räumlicher und sozialer ‚Abstandhalter’ unmissverständlich beschrieben, und darüber hinaus
auch plangeometrisch stärker „marginalisiert“. Die Erschließungsweise steht jedoch ganz klar in der Tradition des manzūls.
Am anderen, hinteren Ende der Mittelhalle ist der innere,
eher familiäre Empfangs- und Wohnbereich unter Abwandlung des alten Motivs der līwān-Raumgruppe mit neuen Erschließungsweisen modifiziert worden. Das Esszimmer, das im Grundriss die Position des līwāns einnimmt,
steht nach Westen über eine breite Türöffnung mit dem
Rauchzimmer (fumoir/ ġurfat at-tadḫīn) in Verbindung,
während eine schmalere Tür nach Osten in das Anrichtezimmer (office/ al-ḫidma) führt. Dabei lässt sich feststellen, dass das sogenannte Rauchzimmer in diesem Haus die
236
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Abb. 289
Lageplan Villa
Joseph Aftimus (o. M.,
Grundlage:
Katasterplan
1:2.000 von
1964).
II.3.23 Villa Joseph Aftimus
privatere Wohnzimmer-Funktion vom līwān übernommen
zu haben scheint. Dafür spricht auch, dass der Zweitzugang
dieses Raums nicht direkt in die Mittelhalle, sondern in einen zwischen Mittelhalle und dem Korridor des Schlafbereichs zwischengeschalteten Vorraum führt, und dass der
Raum auch plangeometrisch zum Westflügel gehört. Unter
den Räumen des familiären Empfangs- und Wohnbereichs
ist dieser Raum derjenige, der am weitesten vom Salon (als
Ort der familienfremden Gäste) und vom Servicebereich
(als potentieller Ort der Störung durch Lärm, Küchengerüche und Dienstpersonal) abgelegen ist. Das familiäre Beisammensein war – solange es nicht beispielsweise in der
Mittelhalle stattfand – räumlich gut geschützt.
Der Servicebereich im Osten umfasst neben dem genannten Anrichtezimmer die Küche, die Dienstmädchenkammer,
ein relativ geräumiges Bad und ein WC, und diese Räume
sind sämtlich über einen Korridor erschlossen, der außerdem mit der Mittelhalle und dem Salon in Verbindung steht.
Das Raumprogramm des Servicebereiches ist also identisch
mit dem der großen Beiruter Häuser aus dem späten 19. Jahrhundert und führt die räumliche Segregation des Dienstpersonals von der Familie fort, die sich auch in dem gesonderten Eingang (hier durch die Küche) und den eigenen Sanitäranlagen (hier – zumindest laut Plan – mit eigener Badewanne als neuem Komfort) für das Personal ausdrückt.
Im Servicebereich sind im Plan außerdem zwei Treppenhäuser zu erkennen, von denen das nördliche, nahe der Küche
gelegene wahrscheinlich eine Dienstbotentreppe ist. Sie ist
so groß dimensioniert, dass davon ausgegangen werden muss,
dass sie nicht nur zu einem im Plan nicht kenntlich gemachten Mezzaningeschoss führte, sondern auch in den Servicebereich eines für später geplanten Obergeschosses führen sollte. Die gesonderte Dienstbotentreppe zwischen zwei Wohngeschossen, die in kleinerer Form schon am Qaṣr Bišāra elKhoury zu finden war, wäre somit hier völlig ausgeprägt. Das
andere Treppenhaus ist als „entrée“ (al-madḫal) bezeichnet,
verfügt über einen eigenen Eingang von außen im Osten und
einen Zugang zum Servicekorridor im Westen, gleich in der
Nähe des Eingangs zum Salon. Auch wenn der Treppenhauseingang im Osten sicherlich nicht der repräsentativste
Zugang zum Haus ist (er geht auf einen schmalen Streifen des
Grundstücks, der zwischen der Villa und dem östlichen Nachbarhaus eingezwängt liegt), so ist zumindest zu vermuten,
dass dieses entrée einer der beiden möglichen Eingänge für familienfremde Gäste ist, die im Salon empfangen werden. (Der
andere Zugangsweg, auch für die Familie, führt durch den repräsentativ gestalteten Garten auf die Veranda). Darüber hinaus
war dieses Treppenhaus ganz offenbar für eine spätere Auf-
Abb. 290
Villa Aftimus, Ansicht der südlichen Hauptfassade mit Eingangsveranda um 1930.
stockung der Villa vorgesehen, wobei allerdings nicht bekannt
ist, ob sie je ausgeführt wurde. Als Ganzes steht auch diese
multiple Eingangslösung mit den Entflechtungsmöglichkeiten, die sie je nach Bedarf bietet, deutlich in der Tradition der
großen Beiruter Häuser des 19. Jahrhunderts.
Der Grundriss dieser Villa zeichnet sich also dadurch aus,
dass er viele in den vorangegangenen Jahrzehnten entwickelte Raumlösungen aufnimmt und sie dabei formal stärker ausbildet. Dies hat die Villa Aftimus mit der nur kurz
zuvor errichteten Villa Mezher gemeinsam. Aber Aftimus
ging weiter: Er bricht mit der Tradition eines geschlossenen kubischen Baukörpers und der bis dahin vorherrschenden, weitgehenden Achsensymmetrie des Grundrisses, und setzt an dessen Stelle eine breitgelagerte, unregelmäßige Baugliederung, die eine klarere und deutlich funktionalistisch konzipierte funktionale Dreiteilung des Wohnraums erlaubt und sie nach außen artikuliert.
Die Gruppierung des Schlaftraktes mit seinen Sanitärräumen und dessen Absonderung von der Mittelhalle hatte sich
ja über Jahrzehnte schon embryonal in den Häusern mit Parallel- oder Stichkorridoren zu den Schlafzimmern angedeutet.484 Nun wurde diese Lösung gleichsam „ausgeklappt“
und als eigener Gebäudeflügel ausgebildet. Es ist diese funktionalistische Überarbeitung schon vorhandener Lösungen,
die das Innovative an der Anlage dieses Wohnhauses des
Architekten Aftimus ausmacht.
237
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Französischer Begleittext:
Arabischer Begleittext (deutsche Übersetzung):
L’immeuble d’habitation au Liban se divise en trois parties:
Die Wohnhäuser im Libanon sind in drei Teile aufgeteilt.
a) La partie Ouest étant le plus exposé aux rayons solaires
et la fraicheur du soir contient les chambres à coucher.
b) La partie centrale se compose d’un salon de réception
nommé (Liwan), et d’un grand Hall autour duquel sont
distribuées toutes les salles. En été le vent soufflant
Sud-Nord et le soleil ne pénétrant pas le Hall, ce dernier conserve toute sa fraîcheur.
c) La partie Est reçoit en plein le soleil d’été tandis qu’en
hiver il en est tout privée et comme le vent souffle rarement du côté Est, cette parties pour ces diverses raisons est affectée au Salon, à la cage d’escalier et le Service.
a) Der erste Teil ist der westliche Flügel, der die Schlafzimmer umfasst und vom Westwind und den Sonnenstrahlen profitiert.
b) Der zweite Teil ist der mittlere Flügel, bestehend aus
dem südlichem Empfangssaal „al-līwān“ und einer geräumigen nördlichen dār, die mit allen Zimmern in
Verbindung steht. Diese dār bleibt an Sommertagen
kühl und angenehm dank des süd-nördlichen Windes
und weil die Sonnenstrahlen nicht eindringen.
c) Der dritte Teil ist der östliche Flügel, in den die Sonne im Sommer eindringt, im Winter jedoch ausbleibt,
und selten weht der Wind von Osten, weswegen dieser
Teil dem Treppenhaus, dem äußeren Empfangssaal
(qāʿat al-istiqbāl al-ḫāriǧiyya) und den Dienstbotenräumen (dūr al-ḫadama) vorbehalten ist.
Après la guerre la vie ayant changé de rôle, le peuple Libanais chercha à introduire dans cette distribution plus
d’ordre et de confort.
Nach dem großen Krieg, und nachdem die Zivilisation
(al-madaniyya) zur Devise des libanesischen Volkes geworden ist, bedarf dieses Grundrisssystem (taḫṭīṭ) zahlreicher Verbesserungen, und in dem Wohnhaus, das der
Ingenieur Yūsuf Bey Aftīmūs errichtet hat, hat er das
grundsätzliche System beibehalten und dabei alle notwendigen Verbesserungen eingeführt. Dieses System ist
nun grundlegend geworden, in einer Weise, dass es nun
sogar in alten Häusern eingeführt wird.
La villa de Joseph Bey Aftimus fut une des prèmieres à
réaliser, les conditions préalables et indispensables et devient par la suite une des bases de distribution adoptée
dans le pays.
Remarquons que l’aile Ouest de la villa est indépendant
du reste de l’immeuble.
On y pénètre du Hall par un corridor qui donne sur toutes
les chambres à coucher, la toilette et le bain. Ce corridor
donne un nouvel accès au vent de l’Ouest et augmente la
fraîcheur du Hall.
Le service assez spacieux a son entrée indépendante et a
tout le confort désiré.
Hinsichtlich dieses Grundrisssystems sehen wir, dass der
westliche Flügel über ein Bad zwischen den Schlafzimmern verfügt und über einen Korridor, der mit der dār in
Verbindung steht und den Westwind hereinbringt. Auch
sehen wir, dass der Servicebereich geräumig und unabhängig vom Haus ist und einen eigenen Eingang von außen hat.
Le porche est en forme de Vérandah et remplace avantageusement les balcons dans les anciennes constructions.
Quant à la façade elle est d’un style moderne et agréable
et fait grand contraste avec les anciennes façades vieilles
et démodées.
Die Veranda (ar-riwāq al-ḫāriǧī) nimmt den Platz der
Balkons bei alten Bauten ein, und das Gesamte ergibt –
wie in der Abbildung sichtbar – eine zeitgemäße (ʿaṣriyya)
und gefällige Fassade, die sich von den Fassaden der alten Häuser abhebt, die alle so ordinär und gleichförmig
geworden sind.
238
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
II.3.23 Villa Joseph Aftimus
3.23.2 Der programmatische Begleittext im
Annuaire d’Architecture
Dies wird auch deutlich in dem Begleittext, in dem der Entwurf im Annuaire d’Architecture erläutert wird. Da die französische und die arabische Version des Textes interessante
Unterschiede in Inhalt und Wortwahl aufweisen, sollen hier
beide Versionen wiedergegeben werden.
Die beiden Texte sind nicht einfach nur Beschreibungen;
sie sind offensichtlich normativ und programmatisch gedacht und daher für unsere Fragestellung von besonderem
Interesse. Die einerseits bestimmte Gepflogenheiten fortführenden, andererseits ausdrücklich innovativen und als
vorbildlich verstandenen Eigenschaften des Hausgrundrisses werden dadurch hervorgehoben, dass die Anlage der
Villa Aftimus vor den Hintergrund des landesüblichen
Wohngrundrisses gesetzt wird. Mit Blick auf die vorangegangenen Fallstudien lässt sich allerdings feststellen,
dass die hier gegebene Beschreibung des landesüblichen
Wohngrundrisses stark idealisiert ist, insofern als die funktionale Dreiteilung in Wirklichkeit keineswegs so klar
räumlich ausgeprägt war, wie es die beschriebene Ost-Mitte-West-Einteilung der Häuser suggeriert. Die Beschreibung der Wohnhäuser scheint weniger durch die tatsächliche Praxis als durch bestimmte ideologische Sichtweisen bestimmt zu sein, welche die räumliche Anordnung
von Nutzungen in erster Linie durch Himmelsrichtungen,
Windrichtungen und Sonneneinstrahlung begründet sieht.
Unbenommen der Tatsache, dass solche Faktoren auch im
Beiruter Hausbau schon immer eine Rolle gespielt haben,
lässt sich hier ein hygienistischer Diskurs beobachten, der
natürlich – auch in Beirut – nicht ganz neu war. Es gibt
ganz deutliche Bezüge zu der fortwährenden Propagierung
von ausreichender Belüftung und Belichtung von Schlafzimmern, wie sie in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie al-Muqtaṭaf seit den frühen 1880ern nachzuweisen ist und bis weit ins 20. Jahrhundert fast gebetsmühlenartig wiederholt wurde – was darauf hinweist, dass
die Praxis oft anders aussah.485 Möglicherweise gibt es, da
wir es bei Aftimus und bei den Autoren des Annuaire d’Architecture mit Architekten mit internationaler Studien- und
Arbeitserfahrung zu tun haben, auch Bezüge zu den hygienistischen Planungsideen etwa eines Tony Garnier vom
Beginn des 20. Jahrhunderts oder gar zum Funktionalismus des CIAM ab 1928.486
Die Bezüge der Autoren des Annuaire zur modernen Bewegung werden schon im Vorwort deutlich, wo der Herausgeber – der in Beirut tätige Architekt Igor Pitlenko – die
programmatische Aussage macht: „Nous nous acheminons
vers une Architecture nouvelle, qui aura à refleter la vie nouvelle de notre époque.“487 Die Nähe zur Aussage des Schlusscommuniqués des ersten CIAM-Kongresses von 1928: „Die
Bestimmung der Architektur ist es, dem Zeitgeist Ausdruck
zu verleihen“, ist unübersehbar.488 In diesem größeren ideengeschichtlichen Kontext können die Aussagen des oben
wiedergegebenen Begleittextes verstanden werden, dass
nach dem Krieg das Leben eine veränderte Rolle habe, oder
dass „nach dem großen Krieg, und nachdem die Zivilisation zur Devise des libanesischen Volkes geworden ist“, Verbesserungen der Wohngrundrisse erforderlich seien. Dabei
ist der Bezug auf Zivilisation und Moderne im arabischen
Text ausdrücklicher als im französischen Text (selbst in der
Wahl eines so unscheinbaren Adjektivs wie ʿaṣriyya, d.h.
„zeitgemäß“, „modern“, zur Beschreibung der eklektizistischen Fassade), und er ist letztlich auch vielschichtiger, weil
für den arabischen Leser erkennbar auch an lokale Modernisierungsdiskurse von Autoren wie Buṭrus al-Bustānī,
Aḥmad Fāris aš-Šidyāq, Ǧurǧī Zaydān und Ḫalīl al-Ḫūrī aus
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert angeknüpft wird, die
durch Begriffe wie tamaddun oder madaniyya (für Zivilisation), al-ʿaṣr al-ǧadīd („das neue Zeitalter“) und rūḥ alʿaṣr („Zeitgeist“) geprägt waren.489
Wir haben es also bei diesem im Begleittext zum Ausdruck
kommenden Zivilisations- und Fortschrittsdiskurs – genau wie bei Aftimus’ Hausgrundriss – mit propagierten Innovationen zu tun, die aber deutlich lokalen Traditionen
verpflichtet und aus ihnen heraus entwickelt sind, wobei
ganz selbstverständlich globalere Entwicklungen in den
Diskursen zu Architektur und Gesellschaft Niederschlag
finden. Dass die von Aftimus vorgenommenen „Verbesserungen“ laut Begleittext so schnell auch in älteren Häusern „eingeführt“ wurden, zeigt ganz deutlich, dass sie eigentlich keine wirklichen Neuschöpfungen oder gar
Neuimporte waren, sondern Entwicklungen der Wohnbedürfnisse folgten, die schon länger und auf breiterer Ebene im Gange waren.
Dies mag auch erklären, warum in den Begleittexten keine expliziten Aussagen zu den eben nicht nur klimatisch,
sondern auch und besonders sozial bedingten Anforderungen an Grundriss und Raumprogramm gemacht werden,
und warum beispielsweise nicht erklärt werden musste, worin genau der Vorteil der räumlichen Absonderung von
Schlafbereich, Servicebereich, Wohnbereich und Salon lag.
Hier konnten die Autoren des Annuaire mit dem stillschweigenden Einverständnis ihrer (bürgerlichen) Leserschaft rechnen. Aftimus’ Grundriss bot auch verbesserte
Lösungsvorschläge für bis dahin noch nicht „optimal“ ge239
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
löste Wohnprobleme sozialer Art, die die bürgerlichen
Schichten gemeinsam hatten, aber öffentlich (und in dieser
Publikation) unausgesprochen blieben. Und offensichtlich
waren diese Bedürfnisse und Probleme nicht erst mit dem
Ersten Weltkrieg entstanden, wie der Begleittext in beiden
Versionen suggeriert. Der Zusatz in der arabischen Version, der einen Zusammenhang mit dem Streben nach „Zivilisation“ herstellt, ist in diesem Zusammenhang höchst bedeutsam: Wie Jens Hanssen für das spätosmanische Beirut
argumentiert hat, diente die Beschwörung von Fortschritt,
Zivilisation und einem neuen Zeitalter schon bei den bürgerlichen Intellektuellen und Journalisten des 19. Jahrhunderts der Abgrenzung nicht nur von einer als rückständig
und ignorant gesehenen Vergangenheit, sondern auch von
weniger „zivilisierten“ gesellschaftlichen Gruppen. In diesem Zusammenhang war auch der im späten 19. Jahrhundert adaptierte wissenschaftliche und hygienistische Diskurs eng verknüpft mit gesellschaftlichen Ein- und Ausgrenzungspraktiken und mit der Produktion von sozialer
Distinktion.490
In der Art und Weise, wie diese Diskurse im Begleittext
anklingen, wie Licht- und Windverhältnisse als Gründe
für die Grundrisseinteilung angegeben werden, während
die Dienstmädchenkammer auf der ‚schlechten’ Ostseite
liegt (oder gar, wie bei anderen in der gleichen Ausgabe
des Annuaire vorgestellten Häusern, im Souterrain), und
wie ein unausgesprochenes Grundverständnis der räumlich-sozialen Zwecke dieser Distribution beim Leser vorausgesetzt werden kann, zeigt, dass auch in den 1930ern
die gesellschaftliche Ordnung, Positionierung und Ausgrenzung noch mit sehr ähnlichen Mitteln und (Schein-)
Argumenten wie im 19. Jahrhundert realisiert und reproduziert wurde. So neu war „la vie nouvelle“ auf der häuslichen Ebene also nicht. Es ließ sich allerdings durch gewisse „Verbesserungen“ unter grundsätzlicher Beibehaltung des Mittelhallensystems effizienter räumlich organisieren als dies bislang in den „alten Häusern“ möglich
oder üblich war.
Der Grundriss der Aftimus-Villa war somit letztlich in formaler und sozialer Hinsicht konservativer als es zunächst
den Anschein erwecken mag. Die Fassadengestaltung andererseits konnte sehr viel leichter als der Grundriss den
Moden der Zeit angepasst werden, und auch dies war ein
gesellschaftliches Erfordernis, indem sich der bürgerliche
Bauherr durch die Wahl eines neuen Stils von den „ordinär
und gleichförmig“ gewordenen Fassaden der alten Häuser
absetzen konnte. Tatsächlich verschwanden die vormals typischen Dreibogenfenster bei Beiruter Neubauten der
1930er und 1940er zunehmend und wurden von großen,
rechteckigen Fenstern abgelöst; die Fassadengestaltung
folgte beispielsweise der Formensprache des Art déco oder
des Internationalen Stils, wohingegen das Mittelhallensystem unter weiteren Abwandlungen noch lange fortlebte.491
Das soziale Distinktionsbedürfnis, das maßgeblich zum Erfolg des Beiruter Mittelhallenhaustyps in und außerhalb
Beiruts beigetragen hatte, führte somit zum Ende der vielberufenen „Maison à trois arcs“, nicht aber zum Ende des
Mittelhallengrundrisses.
240
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
ÜBERSICHTSPLAN
UND GRUNDRISSE
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Übersichtsplan und Ausschnitt mit Lage der Fallstudien. Grundlage: Plan „Beyrouth“, T.F.L. 1936 (o. M., im Original 1:10.000).
242
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1A
Qaṣr Ziadé
Grundriss Erdgeschoss
243
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1B
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
244
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1C
Qaṣr Ziadé
Grundriss Mezzanin 1. Obergeschoss
1D
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss & Mezzanin
245
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1E
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
Raumnutzung Familie Louis Ziadé
1940er – 1975
246
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1F
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Raumnutzung Familie Joseph Ziadé
1931–1951
1G
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Raumnutzung Familie Joseph Ziadé
1951–1975
247
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1H
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
Fußbodenbeläge Bestand
248
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1I
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
Decken Bestand
249
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1J
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Fußbodenbeläge Bestand
1K
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Decken Bestand
250
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1L
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
Rekonstruktion der bauzeitlichen Fußboden- und Deckengestaltung
251
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
1M
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Rekonstruktion der bauzeitlichen Fußboden- und Deckengestaltung
1O
Qaṣr Ziadé
Grundriss 2. Obergeschoss
Rekonstruktion der baulich angelegten Raumnutzungen
252
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
1N
Qaṣr Ziadé
Grundriss 1. Obergeschoss
Rekonstruktion der baulich angelegten Raumnutzungen
253
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
2A
Qaṣr Heneiné
Grundriss 1. Obergeschoss
254
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
2B
Qaṣr Heneiné
Grundriss 2. Obergeschoss
255
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
2C
Qaṣr Heneiné
Grundriss 1. Obergeschoss
Raumnutzungen Familie Dr. Joseph Heneiné
1930er–1971
256
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
2D
Qaṣr Heneiné
Grundriss 1. Obergeschoss
Rekonstruktion baulich angelegte Raumnutzungen
257
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
2E
Qaṣr Heneiné
Grundriss 2. Obergeschoss
Raumnutzungen US-Konsul 1922
258
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.1 A
Bayt Saadé
Grundriss Erdgeschoss
3.1 B
Bayt Saadé
Grundriss 1. Obergeschoss
259
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.2 A
Bayt Aoun-Karam
Grundriss Erdgeschoss
3.2 B
Bayt Aoun-Karam
Grundriss Obergeschoss
260
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.3
al-Madrasa al-Waṭaniyya
Grundriss Obergeschoss
3.4
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
Grundriss Obergeschoss
261
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.6
Haus der Phalanges/ Qaṣr Malhamé
Grundriss Obergeschoss
262
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.7
Qaṣr Yūsuf Tabet
Grundriss Obergeschoss
263
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.8
Qaṣr Kady
Grundriss Erdgeschoss
264
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.9
Bayt Majzoub
Grundriss Obergeschoss & Schnitt
265
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.10 A
Bayt Haddad
Grundriss Erdgeschoss
3.10 B
Bayt Haddad
Grundriss Obergeschoss
266
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.11 A
Qaṣr Tuéni-Bustros
Grundriss Erdgeschoss
267
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.11 B
Qaṣr Tuéni-Bustros
Grundriss Obergeschoss
268
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.12
Qaṣr Kharsa/Batlouni
Grundriss 1. Obergeschoss
269
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.13
Qaṣr Mūsā Sursock
Grundriss Erdgeschoss
270
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.14
Qaṣr Ḫalīl Sursock/Antoine Moukbel
Grundriss Erdgeschoss
271
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.15
Qaṣr Ḥannā Heneiné
Grundriss 2. Obergeschoss
(Raumbenennungen nach Planvorlage)
272
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.16
Qaṣr Mukhayyesh
Grundriss 1. Obergeschoss
mit historischen Raumnutzungen
273
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.17 A
Qaṣr Bišāra el-Khoury
Grundriss Erdgeschoss
mit rekonstruierten historischen Raumnutzungen
3.17 B
Qaṣr Bišāra el-Khoury
Grundriss Obergeschoss
mit rekonstruierten historischen Raumnutzungen
274
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.18 A
Bayt Khayyat
Grundriss 1. Obergeschoss
(Raumbenennungen nach Planvorlage)
3.18 B
Bayt Khayyat
Grundriss 2. Obergeschoss
(Raumbenennungen nach Planvorlage)
275
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.20
Bayt Ladki
Grundriss 2. Obergeschoss
(in Klammern: arabische Raumbenennungen nach Planvorlage)
3.21
Madrasat Fāṭima az-Zahrā'
Grundriss Erdgeschoss
276
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Pläne
3.22 A
Villa Wadih Mezher
Grundriss Erdgeschoss
3.22 B
Villa Wadih Mezher
Grundriss 1. Obergeschoss
277
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.23
Villa Joseph Aftimus
Grundriss Erdgeschoss
(Raumbenennungen nach Planvorlage)
278
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III. WANDLUNGEN UND SPANNUNGEN DES WOHNENS
Auf der Grundlage der vorgestellten Hausbeispiele sollen
nun unter Zuhilfenahme weiterer Quellen und Literatur bestimmende Eigenschaften und Entwicklungen der Beiruter
Wohnhäuser identifiziert und in ihren sozialen Zusammenhängen und Bedeutungen interpretiert werden. Veränderungen in der Einrichtung und Ausstattung der Häuser
sowie Veränderungen in der räumlichen Struktur in Richtung einer funktionalen Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Räume werden in ihrem zeitlichen Ablauf beschrieben und vor allem sozialgeschichtlich erklärt. Das besondere Augenmerk gilt dem – wie zu zeigen sein wird –
sehr engen Zusammenhang zwischen Wandlungsprozessen
in den räumlichen Strukturen einerseits und Veränderungen im häuslichen Leben der Bewohner und ihrer sozialen
Beziehungen anderseits. Familie und Haushalt, Familie und
Gäste, das Sozialleben der Frauen und das Verhältnis zwischen Familie und Dienstpersonal werden in engem Zusammenhang mit den räumlichen Strukturen der Häuser untersucht. In einen solchen Kontext gesetzt, bieten die Wohnhäuser der Beiruter Oberschicht und oberen Mittelschicht
ein großes Potential, über sich selbst hinaus Licht auf soziale Entwicklungen und gesellschaftsgeschichtliche Zusammenhänge zu werfen, die bislang in der Forschung weitgehend unbeachtet blieben, aber eine Untersuchung lohnen. Viele der Deutungen und Interpretationen, die im Folgenden entwickelt werden, dürfen nicht als zwingende Befunde verstanden werden, sondern als mögliche und begründete Lesarten, die den Weg für weitere Forschungen
weisen und einer künftigen Überprüfung oder Widerlegung
harren.
1 Zur Einrichtung und Ausstattung
der Häuser
Bevor bestimmte Eigenheiten und Entwicklungsprozesse
in der Raum- und Nutzungsstruktur der Beiruter Häuser in
ihren sozialen Zusammenhängen untersucht werden, ist es
nötig, zunächst eine bessere Vorstellung davon zu erhalten,
wie sich das Innere der Häuser bezüglich Ausstattung und
Einrichtung gestaltete. Denn in der Art, in der räumlichen
Anordnung wie auch im Stil der Einrichtung sind bedeutsame Veränderungen innerhalb des untersuchten Zeitraums
zu verzeichnen. Dies ist von ganz entscheidender Bedeutung für die Nutzung der Räume und die Entwicklung ihrer
funktionalen Spezialisierung. Darüber hinaus weist es auf
einen Wandel dessen hin, was als „guter Geschmack“ galt
(im Arabischen war dafür der Begriff aḏ-ḏawq üblich), und
es zeigt einen Wandel darin an, was als bequem und komfortabel galt. Außerdem bedingten und reflektierten bestimmte Veränderungen auch einen Wandel im Habitus der
Bewohner – so wie beispielsweise neue Arten von Sitzmöbeln andere Körperhaltungen bedingten, die ihrerseits mit
sozialen Bedeutungen belegt waren. Dies alles verweist auf
Veränderungen hinsichtlich der geschmacklichen Vorbilder und kulturellen Bezugnahmen, hinsichtlich der Art und
Weise der Einbettung der entlehnten Elemente, und hinsichtlich der Formen und Mittel, mit denen soziale Zugehörigkeit und Distinktion geschaffen und zum Ausdruck
gebracht werden.
1.1 Die Einführung neuer Möblierungsformen
Die Einrichtung, die mit den Beiruter Mittelhallenhäusern
heute gemeinhin assoziiert wird, ist stark durch Einrichtungsgegenstände „europäischer“ Art charakterisiert und in
der einschlägigen Literatur häufig beschrieben worden. Sie
soll an dieser Stelle zunächst nur kurz skizziert werden. Michel Feghali fasst in seiner schon besprochenen Abhandlung
über das „libanesische Haus“ von 1923 die damals charakteristische (und für ihn unlibanesische) Einrichtung der ḥārāt
in Beirut und den libanesischen Bergen zusammen, indem er
die gebräuchlichen, bezeichnenderweise oft fremdsprachigen Lehnwörter für die Einrichtungsstücke anführt:
Die Salons waren ausgestattet mit Kanapees (Kanabäyyät),
Fauteuils (Foteiyät), Diwanen (Diwänät) und Korbstühlen
(Krāse khaizrān), Teppichen (Sejjädät), Spiegeln (Mräyyät),
Vorhängen (Berdäyyät), Kristallleuchtern (Traiyät), Pen279
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
deluhren (Sāʿät kbīre oder Sāʿät deqqāqāt) und anderem
mehr. Es gab Esszimmer mit Esstischen (Maidät), und in
den Schlafzimmern (Uwad) fanden sich Frisiertische mit
Marmorplatte (Ṭaulät rkhām), Betten (Tkhūte) mit Moskitonetzen (Nämūsīyät) und Schränke (Khzänät).492 In vielen
Räumen wurden die Wände mit gerahmten Bildern (Drucke, Gemälde und zunehmend Photos) geschmückt, und
auf den Tischen standen Blumenvasen und Gestecke.
Diese Art der Einrichtung mit ihrer betonten Orientierung
an europäisch-bürgerlichen Einrichtungsformen – einschließlich der historistischen Moden des 19. Jahrhunderts
– war, wie auch Feghali mit Hinweis auf die genannten Bezeichnungen feststellt, eine relativ rezente Einführung. Sie
stellt den weitverbreiteten Entwicklungsstand in den Häusern der Beiruter Ober- und Mittelschichten in den 1920ern
dar, also gegen Ende unseres Untersuchungszeitraums; und
sie kann selbst heute noch in vielen Haushalten ganz ähnlich beobachtet werden. Die Entwicklung dorthin war freilich nicht schlagartig, sondern zog sich – nach ersten vereinzelten Anfängen im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts
– durch die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts. Sie durchlief verschiedene Mischungs- und Durchdringungsstadien,
und sie war geprägt von Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, individuellen Haushalten und sogar innerhalb einzelner Haushalte (Abb. 291–293).
Am Anfang der Entwicklung, während der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, waren reiche wie ärmere Haushalte
in Beirut noch in ähnlicher Weise mit der leicht beweglichen Möblierung ausgestattet, die für die arabische und osmanische Wohnkultur seit Jahrhunderten charakteristisch
war: Es gab Diwane, d.h. Matten und Matratzen auf niedrigen, hölzernen oder steinernen Bänken (maṣṭaba) entlang der Wände, zusätzlich ausgestattet mit Kissen und
Polstern. Teppiche oder Matten auf dem Boden, einzelne
niedrige hölzerne Tischchen sowie Metallplatten auf ebenso niedrigen hölzernen Untergestellen, die zum Einnehmen der Mahlzeiten aufgestellt wurden, vervollständigten
das Mobiliar.493 Der gesamte Sitzbereich eines Raums war
häufig als etwa kniehoch erhöhte Estrade (ṭazar) baulich
ausgebildet, die man nur barfüßig, in Strümpfen oder in
dafür vorbehaltenen, leichten Lederpantoffeln betrat, indem man seine Schuhe in der niedrigeren ʿataba zurückließ.494 Hölzerne Truhen und offene oder mit Vorhängen
bzw. Holzläden verschlossene Wandnischen dienten dem
Verstauen von Haushaltsgut und Geschirr sowie von Matratzen, Decken und Moskitonetzen zum Schlafen. Tragbare Kohlebecken (manqal oder in der größeren Ausführung kānūn genannt) dienten im Winter zum Heizen und
im Allgemeinen auch zur Zubereitung des Kaffees und der
Bereitstellung glühender Kohlen für die Tabak- und Wasserpfeifen. Der Unterschied zwischen arm und reich drückte sich vor allem in der Quantität der Ausstattungsgegenstände, der Qualität des Materials und der Verarbeitung
und dem Reichtum der Dekoration aus, sowie darin, dass
in größeren Häusern zusätzliche Räume zur Verfügung
standen, von denen unter Umständen einige hauptsächlich
zum Schlafen dienen konnten, so dass das sonst übliche
abendliche Ausbreiten und morgendliche Wegräumen der
Matratzen entfallen konnte.495
In der Regel waren die Räume daher multifunktional, sie
konnten tagsüber dem familiären Zusammensitzen, dem
Abb. 291
Häusliches Abendessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Abb. 292
Eine häusliche Dinnerparty in Beirut in den 1960ern.
280
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
Essen, verschiedenen häuslichen Tätigkeiten, Geschäftstätigkeiten, dem Empfang von Gästen, sowie der rituellen
Waschung und dem Gebet dienen; nachts dienten sie dem
Schlafen. Bestimmte feste Einrichtungen zum Schlafen
sind für Beirut in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allerdings belegt. So fand der französische Reisende Lamartine 1832 in dem von ihm gemieteten Haus in Beirut eine Art Schlafempore vor, die den hinteren Bereich eines
Zimmers einnahm und zu der eine hinter der Holzvertäfelung versteckte Treppe emporführte. Die Empore war so
schmal, dass dort gerade ein mit Matratzen und Seidenkissen bedeckter Diwan Platz fand. „Dort ist es, wohin sich
die reichen Türken und Araber zum Schlafen zurückziehen.“496 Eine ähnliche hölzerne Empore mit kleiner Treppe und geschnitzter Holzbalustrade erwähnt auch der Brite Lewis Farley in dem von ihm in den späten 1850ern gemieteten Haus; hier allerdings diente sie nur dem Verstauen des Bettzeugs.497 In beiden Fällen fanden sich diese Emporen in reicheren Häusern und waren daher als bauliche
Ausstattung wahrscheinlich eher auf gehobene Wohnverhältnisse beschränkt. Gewisse Tendenzen zu einer räumlichen Trennung des Schlafens von den übrigen Wohnaktivitäten lassen sich also – nicht überraschend – für jene gehobenen Schichten feststellen, die sich die räumlichen Voraussetzungen für diesen Luxus leisten konnten. Allerdings
fand dies in einer Form statt, die noch immer mit Diwanen und prinzipiell beweglichen Matratzen zum Schlafen
operierte – auch wenn diese schon stärker ortsgebunden
waren. Der Gebrauch von stationären Betten mit Bettgestellen, durch die der zum Schlafen benutzte Raum als
Schlafzimmer funktional festgelegt wird, ist zwar schon
in den 1830ern für den Palast des Amīr Bašīr in Beiteddine überliefert, war aber derselben Quelle nach in Beirut zu
jener Zeit noch nicht anzutreffen.498
Vereinzelte Angehörige der Eliten im ländlichen Raum
scheinen tatsächlich schon relativ früh bestimmte Möbeltypen und damit einhergehende ostentative Verhaltensformen europäischen Stils adaptiert zu haben. So ist im Haus
des christlichen Notablen Buṭrus Karam in Zghorta (einem
Dorf im Norden der libanesischen Berge) schon 1836 ein
Esstisch mit Stühlen bezeugt, an dem unter Verwendung
von Silberbesteck und Gläsern gespeist wurde.499 Wann diese Sitte in Beiruter Oberschichten Einzug zu halten beginnt,
ist nicht genau festzustellen. Immerhin bemerkt Farley in
den späten 1850ern, dass ein großer Teil der reichen Kaufleute Beiruts, die Europa besucht hatten, ihrer Häuser zunehmend nach Pariser und Londoner Geschmack möblierten, und er berichtet von einem Dinner im Hause eines sehr
Abb. 293
Interieur eines wohlhabenden Beiruter Hauses. Lithographie
von etwa 1827.
wohlhabenden Beiruter Kaufmanns, das im „französischen
Stil“ serviert wurde.500 Solche Dinner mögen allerdings besonderen Anlässen vorbehalten gewesen sein, und eine solche Möblierung war noch eher die Ausnahme als die Regel. Als Yūsuf „Giuseppe“ Debbané – irgendwann zwischen
den 1850ern und 1870ern – sein Haus in Sidon mit einem
Esstisch ausstatten wollte, fand er sich der Familienüberlieferung nach noch gezwungen, diesen direkt aus Italien
einzuführen, weil es solche Tische auf dem regionalen
Markt noch nicht gab (es mag auch sein, dass es keinen gab,
der seinen Preis- oder Qualitätsvorstellungen entsprach,
oder dass es für ihn als Kaufmann mit den richtigen Verbindungen günstiger war, ihn direkt aus Italien zu beziehen).501 Die Bekanntheit und Verfügbarkeit derartiger Möbel – Esstische, eiserne oder hölzerne Bettgestelle usw. –
auf dem Beiruter Markt hingen aber keineswegs nur von
direkten Kontakten nach Europa ab. Die Eröffnung der ersten Hotels und Gasthöfe europäischer Art (in Anlehnung an
italienischen Sprachgebrauch lūkandā genannt) ab den frühen 1840ern – unter anderem durch ansässige Levantiner
wie Antonio Bianchi und Signor Battista, oder durch den
uns schon bekannten Ḥabīb Rizq Allāh als dem ersten Libanesen in diesem Geschäft502 – mag hier ebenso eine gewissen Rolle gespielt haben wie die Hauseinrichtungen
mancher ortsansässiger europäischer Kaufleute und Unternehmer.503 Auch darf nicht vergessen werden, dass in Beirut tätige Angehörige osmanischer Staatseliten solche Einrichtungsgegenstände durchaus schon in ihren Häusern gehabt haben dürften. Folglich wurden seit spätestens Anfang
der 1840er des öfteren Tische, Betten und andere Möbelstücke im Beiruter Hafen entladen, und so konnte das eine
281
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
oder andere Stück auch seinen Weg in die privaten Haushalte von Beiruter Kaufleuten finden. Als 1878 in Beirut
die erste Ausgabe der Zeitschrift Lisān al-Ḥāl erschien, enthielt sie schon zahlreiche Werbeanzeigen für Möbel europäischer Art, darunter Tische, Stühle, Sessel, Spiegel und
Schränke, viele davon aus Frankreich importiert.504 Demnach war in den 1870ern sowohl das Angebot durch lokale Händler wie auch die Nachfrage auf relativ breiter Ebene institutionalisiert.
1.2 Parallele Innovationen
Das erste Auftreten europäischer Möbel in lokalen Haushalten lässt sich etwa auf die gleiche Zeit datieren wie das
Aufkommen des Mittelhallenhauses als Wohnhaustyp der
Beiruter Oberschichten, nämlich um die 1840er. Das heißt
jedoch nicht, dass die beiden Phänomene unmittelbar und
kausal miteinander zusammenhingen oder einander vo-
Abb. 294
Interieur des französischen Konsulats im Erdgeschoss der
Ḥārat Geday, ca. 1860–61. Der Raum – an bestimmten Details
als der līwān identifizierbar – nimmt im Unterschied zu Gedays eigener Wohnung im Obergeschoss schon eine Einrichtungsweise vorweg, die später auch in Haushalten einheimischer Beiruter üblicher wurde: Schränke, Vitrinen, Kristalllüster, drapierte Vorhänge, große Wandspiegel, Gemälde und eine
dekorative Sammlung alter Waffen an den Wänden. Man beachte aber auch die hohen Diwane und das Chinaporzellan auf
dem Stelltisch in der Raummitte – Einrichtungsstücke, die
auch im Obergeschoss zu finden waren.
raussetzten. Es scheinen vielmehr Prozesse gewesen zu sein,
die zunächst über weite Strecken unabhängig voneinander
verliefen, aber zunehmend überlappten und in Wechselwirkung traten.
Dies wird an folgendem Beispiel deutlich: Das Wohnhaus
Yūsuf Gedays in Zokak el-Blat, das um 1860 errichtet wurde und für Zeitgenossen das größte und prachtvollste Mittelhallenhaus Beiruts war, stellt zweifelsohne die Spitze des
damaligen Entwicklungsstands der Wohnarchitektur und –
einrichtung in Beirut dar. Sein Erbauer und Hausherr war
griechisch-katholischer Christ, neureicher Kaufmann und
Bankier und später wiederholt Mitglied des Stadtrates; er
vermietete eines der beiden Geschosse seines Hauses schon
in den 1860ern zunächst an das französische Konsulat, dann
an einen Briten, und schließlich an den osmanischen mutaṣarrif Franko Pascha (amtierte 1868–1873). Geday ist daher ein geradezu idealtypischer Vertreter jener eng mit Europa und Europäern in Kontakt stehenden merkantilen Bourgeoisie in Beirut, die als Hauptträger des Europäisierungsprozesses angesehen wird. Die oben erwähnte Aussage Farleys über die nach Londoner oder Pariser Geschmack eingerichteten Häuser einiger reicher Kaufleute sollte – so
könnte man leicht annehmen – gerade auf Geday zutreffen.
Die Beobachtungen, die der spanische Reisende Mentaberry anlässlich eines Hausbesuchs bei Geday im Jahr 1866
machte, vermitteln jedoch ein anderes Bild:
Wir stiegen die Treppe hinauf, durchquerten eine breite Passage (pasadizo), deren Boden mit kostbarem Jaspis belegt
ist, und betraten – ohne weiteres Empfangszimmer (recibimiento) oder Vorzimmer (antecámera) – den gran salon,
ein weitläufiges Rechteck mit hoher, gewölbter Decke505,
überzogen mit Gold und Farben, die ebenso reich von den
Wänden, Türen und Fenstern leuchten und sich abwechseln
mit Einlegearbeiten aus kleinen Spiegeln ohne geometrische Form oder jedwede Symmetrie. Marmor und Jaspis
verzieren in vielfachen Mosaiken den Boden und die Wandsockel, und acht Türen – zwei an den Stirnseiten und je drei
auf jeder Seite – geben Zutritt zu diesem prachtvollen Raum.
Prächtige Diwane (divanes) aus Seide und Gold luden zum
Entspannen ein, und auf Bitten des Hausherrn setzten wir
uns. Jedoch: sie waren so hoch, dass ich nicht wusste, wie
ich mich setzen sollte – da ich nicht wollte, dass meine Haltung zu ungezwungen wirkte, wenn ich mich in orientalischer Weise niederließ, ich aber auch nicht mit in der Luft
baumelnden Beinen dasitzen wollte, wenn ich mich auf europäische Art setzte.
Ich wies Geday darauf hin, und er nahm vier von den zahlreichen Kissen, die in gewissen Abständen Rücken an Rücken aneinanderliegend den Diwan unterteilten, packte mir
282
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
je zwei an jede Seite und lud mich ein, die Beine zu verschränken und mich nach Laune zurückzulehnen. Er selbst
tat es so, und ich nahm mir ein Beispiel an ihm und dem
Konsul und lehnte mich ebenso zurück.
Indessen trat ein schöner Schwarzer ein, gekleidet in weißer Tunika mit fleischfarbener Leibbinde, ließ seine roten
und spitzen Pantoffeln aus Saffianleder an der Tür zurück,
und legte, beginnend mit dem Konsul, jedem von uns eine Pfeife aus Rose und Bernstein in die Hand, gefüllt mit
dem aromatischen Tabak aus Latakia. Sie waren so groß,
dass ihre Köpfe aus Siegelerde, auf Arabisch galium genannt, über einen Meter vom Diwan entfernt auf dem Boden ruhten, jeder von ihnen auf einem mamfadam genannten Metallteller.
Das Pfeiferauchen ist bei den Orientalen eine derart ernste
Sache, dass für einige Momente eine tiefe Stille im Raum
herrschte. Ich nutzte sie dazu, meinen Blick an der künstlerischen Meisterlichkeit des Dekors und der Pracht der Möbel zu ergötzen. Dies waren, neben den Diwanen, große Tische und [kleine] Tischchen aus Lack oder kostbar eingelegten Hölzern, vollgestellt mit altem Porzellan aus China,
Japan, Sèvres und Sachsen.506
Der Raum, in dem Mentaberry und der spanische Konsul
von Geday empfangen und auf traditionelle Weise mit Tschibuk-Pfeifen und Kaffee bewirtet wurden, ist die Mittelhalle des Obergeschosses – und nicht etwa ein besonderer Empfangsraum, den es in diesem großen Haus sicherlich auch
gegeben hat. Diese Absonderung war aber offenbar bei den
spanischen Gästen nicht erwünscht, denn sehr bald betraten
auch Gedays Gattin und zwei Nichten aus einer der Seitentüren die Halle und gesellten sich zu ihnen. Das beschriebene Mobiliar des Raumes ist weitgehend „traditionell“ – zumindest auf den ersten Blick: Seidene Diwane mit
Kissen entlang der Wände, kleine und größere Tische, dekoriert mit Lack oder Einlegearbeiten, und die Porzellansammlung als einer der wichtigsten Statusanzeiger in der
Region – angereichert mit den seit dem späten 18. Jahrhundert auch im osmanischen Reich beliebten Stücken aus
Sèvres und Sachsen. Allerdings ist diese Sammlung nicht
mehr wie sonst üblich in Wandnischen ausgestellt, sondern
auf den Tischen; dies vermutlich auch deshalb, weil die moderne Mauertechnik der Beiruter Häuser im 19. Jahrhundert, mit ihrer Wandstärke nur noch 30 cm statt der früheren über 60 cm, keine ausreichend tiefen Wandnischen mehr
gestattete. Von den in diesem Raum befindlichen Tischen
diente offenbar keiner als Esstisch, denn laut Mentaberry
waren sie sämtlich mit Porzellan „vollgestellt“.
Am auffälligsten aber sind die Diwane, die so hoch sind,
dass Mentaberry seine liebe Not damit hatte, sich für seine
Abb. 295
Wohlhabende syrische Familie im īwān eines Damaszener
Hofhauses, Aufnahme von 1903.Die Ausstattung des īwāns
datiert nach stilistischen Merkmalen aus den 1860ern oder
1870ern. Der Diwan ist ähnlich hoch wie jene in der Ḥārat
Geday.
Begriffe „anständig“ hinzusetzen. Einen ungefähren Eindruck von der Höhe dieser Diwane kann uns eine Innenaufnahme des Erdgeschosses desselben Hauses geben, die
Anfang der 1860er entstand, als hier das französische Konsulat untergebracht war (Abb. 294). Die Einrichtung des
Raumes war – im Unterschied zu Gedays eigener Wohnung
im Obergeschoss – offensichtlich sehr weitgehend dem europäisch-bürgerlichen Geschmack der Mieter angepasst.
Dennoch fanden sich auch hier Diwane, deren Höhe den
Sitzenden einige Schwierigkeiten bereitete.
Dies sind nicht die traditionellen, nur wenige Zentimeter
bis Dezimeter hohen Diwane, die auf einem ṭazar aufliegen. Stattdessen hat im Hause Geday der Fußboden im gesamten Raum ein durchgehendes Niveau, und der Diwan
ist so erhöht, dass er letztlich ungefähr die gleiche Sitzhöhe gewährt wie ein niedriger Diwan auf einem ṭazar – wodurch auch die Kissen der Rückenlehne wie gewohnt mit
der Höhe der Fensterbrüstungen abschließen. Solche erhöhten Diwane lassen sich für die Zeit der 1860er und
1870er auch in Damaszener Häusern als Innovationen nachweisen – in der Regel auch in Kombination mit ähnlich
283
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
reich eingelegten Marmorfußböden und Wandsockeln, wie
Mentaberry sie für Gedays Haus beschreibt (Abb. 295).507
Sie können damit als ein neues Phänomen mit regionaler
Verbreitung angesprochen werden, von dem noch offen ist,
ob es möglicherweise Istanbuler Vorbilder hatte. Als sicher
kann jedenfalls gelten, dass hier noch keine europäischen
Vorbilder wirkten. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
verschwand diese Form wieder.
Indes schuf das durchgehende Fußbodenniveau schon gute Voraussetzungen für das Aufstellen von Möbeln europäischer Art, ohne dass dies jedoch schon der Zweck gewesen sein muss. In vielen älteren Häusern in der Region,
die noch mit ṭazars ausgestattet waren, kamen die Bewohner nicht umhin, die in der zweiten Jahrhunderthälfte modisch werdenden europäischen Möbel auf dem ṭazar aufzustellen – was einen ausländischen Beobachter zu der spöttischen (und nicht ganz zutreffenden) Bemerkung veranlasste, dies wäre so, als ob man die Stühle auf die Tische
stelle.508 Auch Yūsuf Debbané stellte den aus Italien importierten Esstisch wahrscheinlich zunächst auf einer der
ṭazars in der alten qāʿa seines Hauses in Sidon auf. Erst später wurden diese ṭazars – als der logisch folgende Entwicklungsschritt – bei Modernisierungsmaßnahmen entfernt, die Yūsufs Sohn Rafleh um 1902 im Hause durchführen ließ, womit die alten Diwane endgültig verabschiedet wurden und Raum für die europäischen Möbelstücke
geschaffen wurde. Das Debbané-Haus war bei weitem kein
Einzelfall. Der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende
Einbettungsprozess von neuen Möblierungsformen in die
bauliche Struktur besonders älterer Häuser lässt sich auch
an vielen Damaszener Häusern jener Zeit nachweisen, und
er ist bei manchen alten Hofhäusern, in denen man etwa ein
modernes Doppelbett auf einem alten ṭazar findet, noch
heute nicht ganz vollzogen.509
Die Ḥārat Geday dagegen hätte sich schon damals von vorneherein gut für eine europäische Möblierung geeignet und
erhielt diese, wie wir gesehen haben, auch schon sehr früh
im Erdgeschoss. Aber dies scheint – in Anbetracht der vom
Bauherrn im Obergeschoss gewählten Möblierung – nicht
der ursprüngliche Grund seiner Bauweise und des einheitlichen Bodenniveaus gewesen zu sein. Es muss weniger eine „funktionale“ als eine geschmackliche Entscheidung gewesen sein, die den Bauherrn zu dieser Konstruktionsweise bewegte, und sie mag durchaus mit Istanbuler Vorbildern in Verbindung gebracht werden, wo sich solche durchlaufenden Böden seit dem 18. Jahrhundert vermehrt finden
lassen – ganz besonders in den Hallen der Häuser des orta
sofa-Typs.
Die Entwicklung des Mittelhallenhauses in Beirut bis in die
1860er einerseits und die Einführung europäischer Möblierung andererseits müssen somit zunächst als separate
Prozesse betrachtet werden. Die Einrichtung von Gedays
im neuesten Stil errichteten Haus ist ein bislang einmaliges
Zeugnis dafür, dass es im Beirut der 1850er und 1860er einen Innovationstrend in den Einrichtungsformen gab, der
innerhalb regionaler und osmanischer Idiome operierte und
„traditionelle“ Elemente einem neuen Zeitgeschmack anpasste. Allerdings muss man mit Rücksicht auf Farleys Aussagen über europäische Möbel in manchen reichen Beiruter Haushalten auch festhalten, dass Gedays Einrichtung einen unter mehreren Neuerungstrends in den geschmacklich
tonangebenden Schichten der Stadt repräsentierte, die zeitlich und räumlich überlappten und zueinander in Wechselbeziehung treten konnten – wobei letztlich der am europäischen Geschmack orientierte Trend zunehmend die Oberhand gewann.
Noch aber konnten vermögende Hausbewohner in der Gestaltung der Einrichtung (die letztlich ja beweglich und veränderlich war) je nach Raum, Zweck und persönlichen Vorlieben für verschiedenartige Stile, Typen und Kombinationen aus der lokalen, osmanischen oder europäischen Palette optieren, ohne dass dies als Widerspruch wahrgenommen werden musste – ähnlich wie in europäisch-bürgerlichen Interieurs des 19. Jahrhunderts verschiedenste
Stile mehr oder weniger harmonisch beieinander standen
oder bestimmten Räumen zugeordnet waren.510 Es ist durchaus denkbar, dass auch Geday in anderen Teilen seines Hauses schon dem „fränkischen“ Trend folgte, mit dem er ja –
allein schon durch seine Mieter im Erdgeschoss – einigermaßen vertraut war. Leider verpasste Mentaberry die Führung, die der stolze Hausherr seinen spanischen Besuchern
zum Abschluss durch das Obergeschoss gab, weil er von
der grandiosen Aussicht auf der Galerie festgehalten wurde. Deshalb erfahren wir von ihm nicht, ob es auch einen
Salon im fränkischen Stil, ein Esszimmer mit Esstisch, oder
ein Schlafzimmer mit Bettgestellen gegeben hat, oder ob
es stattdessen noch weitere, als multifunktionale Apartments dienende Räume mit Diwanen, Matratzen und ähnlichem gegeben hat. Ähnlich war es jedenfalls im Qaṣr Nicolas Sursock (Niqūlā Sursuq), von dem eine Beschreibung
von 1872 berichtet, dass einige Räume auf europäische Art
möbliert, wohingegen andere mit „enormen Diwanen“ entlang der Wände ausgestattet waren. Wieder andere Zimmer hatten „immense Betten aus Messing“ mit Baldachinen und Tüllvorhängen.511 Man darf also davon ausgehen,
dass Lewis Farley die Diwane, die er Ende der 1850er bei
284
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
seinen Hausbesuchen bei reichen Beiruter Kaufleuten sicherlich ebenfalls gesehen haben muss, als Normalität verschwiegen hat. Für die im Entstehen begriffene vielschichtige Hybridität, die die Beiruter Interieurs auszeichnete, fehlte den damaligen Orientreisenden häufig der Blick,
das kontextuelle Verständnis oder die begrifflichen Kategorien, um sie als nicht etwas dichotomes und unstimmiges,
sondern als zusammengehöriges und dynamisches Ganzes
zu erfassen und zu beschreiben, das seinen eigenen kulturellen Codes folgte und seine eigenen gesellschaftlichen
Bedeutungen hatte.
1.3 Die Schule des Wohnens: Praxis und Diskurs
Die in den späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts festzustellende, zunehmende Verbreitung von europäischen
Möbeln in Beiruter Haushalten der Ober- und Mittelschichten führte nicht – oder nur selten – zu einer wirklichen Nachbildung europäisch-bürgerlicher Interieurs und
des mit ihnen verknüpften Habitus. Stattdessen prägten sich
– und dies kann kaum überraschen – neue Eigentümlichkeiten aus. Dies geschah in einem komplexen und oft widerspruchsvollen Wechselspiel zwischen Praxis und normativem Diskurs, den man als einen gleichzeitig individuellen und gesellschaftlichen Lernprozess – oder, um mit
Norbert Elias zu sprechen – als einen ortsspezifischen „Prozess der Zivilisation“ beschreiben könnte. Die zügigen und
weitreichenden Veränderungen, denen die Wohnkultur besonders der Ober- und Mittelschichten in jenen Jahrzehnten
innerhalb von ein oder zwei Generationen unterworfen war,
verlangte von den einzelnen Menschen eine fortlaufende
Anpassung. Das Wissen, wie man standesgemäß wohnt,
konnte nicht mehr ohne weiteres von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden; es musste aktiv erlernt werden,
und man musste sich auf dem Laufenden halten. Wie dieses
neue Wissen erworben und dabei gleichzeitig als gesellschaftlicher Konsens (re)produziert wurde, ist eine wichtige und nicht leicht zu beantwortende Frage. Immerhin erlauben uns zeitgenössische Quellen, sie zumindest teilweise zu beantworten.
Von zentraler Bedeutung war – soweit sich aus den Quellen
erschließen lässt – das Abschauen von anderen: Nicht etwa von Europäern, wie man vielleicht vermuten könnte,
sondern vielmehr von Verwandten, Freunden, Bekannten,
Nachbarn und anderen, deren gesellschaftlicher Status sie
für diese Vorbildrolle qualifizierte. In der Zeitschrift alMuqtaṭaf finden sich wiederholt Bemerkungen, die die Vorbildnahme an Nachbar(inne)n kritisierten – und somit de-
ren Bedeutung in der Praxis anerkannten.512 Ganz ausdrücklich heißt es an einer Stelle: „Bekanntermaßen ist das
Schmücken des Hauses eine der Aufgaben der Frau, und
sie lernt dies von ihrer Mutter, ihrer Nachbarin oder ihrer
Lehrerin.“ Da die Frau aber von ihrer Mutter oder Nachbarin eigentlich nicht mehr lernen könne, als sie selbst eh
schon wisse, wird nachdrücklich gefordert, dass die Mädchen das Einrichten und Schmücken des Hauses durch Lehre und Anschauung in der Schule beigebracht bekommen
sollten. 513 Weil letzteres jedoch noch 1901 nur eine Forderung war und dies auch weitgehend blieb, wird hier ganz
offenkundig, zu welchem Grade die Produktion und Vermittlung dieses praktischen Wissens und Geschmacks in
eigendynamischer und informeller Weise in der halb privaten, halb öffentlichen Sphäre von Familie, Freundeskreis
und Nachbarschaft stattfand – und dies keineswegs mit einem Ergebnis, das den Autoren des Muqtaṭaf zusagte. Die
Zeitschrift, die gerade in einrichtungsbezogenen Angelegenheit eine ausgeprägte Neigung zur Propagierung europäischer und besonders britischer Formen zeigte, sah ihre zivilisatorische Mission scheinbar immer wieder dadurch unterlaufen, dass der tatsächlich stattfindende Prozess der Zivilisation seine ganz eigenen, unorthodoxen und synkretistischen Formen hervorbrachte.
Über das Abschauen und Ratholen hinaus gab es offenbar
auch Fälle, in denen man einem sachverständigen Freund
oder Nachbarn das Einrichten des eigenen Hauses gleich
ganz überließ. So erwähnt der Beiruter Arzt und soziale
Aufsteiger Šākir al-Ḫūrī in seinen Memoiren, wie er bei
seiner Heirat im Jahr 1879 seinem Nachbarn Mīḫā’īl
Mallūk, „einem der angesehenen Kaufleute“, die Einrichtung des neuen, noch völlig unmöblierten ehelichen Heims
auftrug, was dieser auch – gemäß einiger Vorgaben des Auftraggebers – prompt innerhalb weniger Tage „mit äußerst
elegantem Geschmack“ ausführte.“514 Auch hier spielte wieder der Nachbar, und nicht etwa die Eltern, eine maßgebliche Rolle, nicht nur als Vorbild, sondern sogar als aktiver
Gestalter, ähnlich einem Innenarchitekten, der dem Auftraggeber die Wohnung bezugsfertig ausstattet. In dieser
„Schule des Wohnens“ wurde also nicht nur vom Nachbarn
abgeschrieben; man ließ sich mitunter auch die Hausarbeiten gleich von jemand anderem schreiben. Deutlicher als
in diesem Fall – der vermutlich kein Einzelfall war – könnte die Gültigkeit von Tränkles in der Einführung zitierter
Aussage kaum illustriert werden, dass Wohnen keine ausschließlich individuelle Daseinsform sei. Individualismus
war in diesem Fall nicht einmal angestrebt, sondern im Gegenteil Konformität: Das Ziel war die möglichst fehlerfreie
285
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Erfüllung und Reproduktion der schichtspezifischen (und
darüber hinaus stark generationsspezifischen) Geschmacksund Wohnkonventionen. Wie am Fallbeispiel der Familie
Yūsuf Naṣr angemerkt wurde, die den schon fertiggestellten Qaṣr Ziadé bezog und ohne erkennbare bauliche Veränderungen über Jahrzehnte hinweg bewohnte, ergab sich
die Wohnpraxis so zu guten Teilen aus dem (vor)gegebenen Wohnumfeld, das einem für die gehobenen Schichten
allgemeingültigen Muster folgte. Nicht nur die Grundrissstruktur der Häuser, sondern auch die Art ihrer Einrichtung
ähnelte sich weitgehend. In einem kontinuierlichen wechselseitigen Übernahme- und Anpassungsprozess, der wie
ein fortlaufendes Gespräch unter Standesgenossen und
Nachbarn anmutet, wurde ein für weite Teile der Ober- und
Mittelschicht gültiger sozialer Konsens darüber produziert
und reproduziert, wie man zu wohnen hatte.
Dabei ist es hinsichtlich der Akteure dieses Reproduktionsprozesses auch interessant zu beobachten, dass hier der
Mann die Einrichtung des Heims übernahm bzw. an einen
anderen Mann delegierte. Und dies, obwohl diese Aufgabe zu dieser Zeit zumindest im öffentlichen Diskurs mit zunehmender Entschiedenheit der Frau zugesprochen wurde,
und obwohl al-Ḫūrīs Frau, Maryam bint Ḫalīl at-Tayyān,
aus einer wohlhabenden und schon länger etablierten Beiruter Kaufmanns- und Notablenfamilie stammte. Sie hätte
daher eigentlich – mehr noch als ihr aus bescheideneren
Verhältnissen aufgestiegener Gatte – über das nötige Einrichtungs-Know-how verfügen sollen. Wenn es also 1885 im
Muqtaṭaf aus dem Munde einer Frau heißt: „Das Haus ist für
den Menschen notwendig wie das Essen und die Kleidung,
und seine Einrichtung obliegt der Frau“, so muss festgestellt werden, dass solche von fortschrittlichen Stimmen im
öffentlichen Diskurs als Selbstverständlichkeit präsentierte Rollenbilder in der gelebten Alltagspraxis nur mit Einschränkung galten und zwischen den Geschlechtern zumindest umstritten waren.515
Hier ist schon sehr deutlich geworden, dass in diesem Lernprozess des Wohnens neben dem informellen, in der Praxis und dem Alltagsdiskurs (re)produziertem Know-how
auch ein öffentlicher und medialisierter Wohndiskurs eine
Rolle spielte, wie er beispielhaft in der Beiruter (und später
„Exil-Beiruter“) Zeitschrift al-Muqtaṭaf überliefert ist. Dieser Diskurs war stark normativ, aber dennoch in Tuchfühlung mit der Praxis, auf die er oft kritisch und korrigierend
reagierte und sie somit direkt reflektierte. Das heißt, dass
die gelebte, gewohnte Wirklichkeit sich häufig in den Artikeln der Zeitschrift eher in jenen Sätzen widerspiegelt, in denen erklärt wird, wie man es nicht machen soll, als in je-
nen, wo erläutert wird, wie man es macht. Dass die so in
der Leserschaft publik gemachten Soll-Vorschriften nicht
buchstabengetreu befolgt wurden, versteht sich von selbst.
Es wird schon allein darin deutlich, dass dieselben Anweisungen und Mahnungen über Jahrzehnte hinweg ständig
wiederholt wurden, manchmal unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Übel, die es abzustellen galt. Dennoch
muss man davon ausgehen, dass der gute Rat bei beflissenen Leserinnen und Lesern nicht ganz ungehört verhallte.
Das vielschichtige und widerspruchsvolle Wechselspiel
zwischen normativem Diskurs und heimischer Praxis hinsichtlich der Möblierung soll nun an einigen Beispielen illustriert werden. Dabei wird auch immer wieder deutlich,
wie die Art, wie die Möbel aufgestellt wurden, durch spezifische gesellschaftliche Bedürfnisse geprägt war, und wie
dies einer „originalgetreuen“ Übernahme europäischer Möblierungsweisen und Wohnformen entgegen stand und zur
Ausprägung eigener Lösungen führte.
1.4 Wie man sich setzt
Ein sehr anschauliches Beispiel für dieses Wechselspiel ist
die soziale Deklassierung und das eigentümliche Fortleben
des Diwans – einer Art der Möblierung besonders von
Wohn- und Empfangsräumen, die mit der Einführung verschiedenster europäischer Sitzmöbel zunächst aus den
Hauptempfangsräumen in den Hintergrund der Familienwohnzimmer und zunehmend ganz aus dem Häusern verdrängt wurde. Völlig verdrängt wurde er allerdings nicht.
Es scheint nämlich, dass sich der Diwan auch in bessergestellten Kreisen weiterhin eine gewisse Beliebtheit bewahrte.
Denn anders ist es kaum zu erklären, dass ein Anfang des
Jahres 1889 veröffentlichter Muqtaṭaf-Artikel zur Einrichtung des Salons, also des prunkvollen Hauptempfangszimmers des Hauses, sich ausdrücklich gegen das Aufstellen
von Diwanen ausspricht. Als Begründung wird angegeben,
dass die Sitzmöbel des Salons so geformt sein sollten, dass
man auf ihnen bequem sitzen und seinen Rücken anlehnen
könne, ohne die Anstandsregeln des Sitzens (ādāb al-ǧulūs)
zu verletzen. Die ermüdendsten Sitzmöbel seien daher die
Möbel im „türkischen Stil“ (al-uslūb at-turkī – eine auffällige Übernahme des europäischen Sprachgebrauchs zur
Bezeichnung alles Osmanischen oder Orientalischen), weil
der Sitzende, um anständig aufrecht zu sitzen, steif auf dem
Polsterrand sitzen müsse – was unbequem sei und die Redefreude hemme. Kurzum: Wer solche Möbel wähle, wolle seine Gäste am Reden hindern und ihren Besuch kurz
halten.516
286
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
Abb. 296
Formvollendetes Sitzen: Beiruter Notabeln mit ʿAzmī Bey,
Wālī von Beirut, im Jahr 1915.
Abb. 297
Osmanische und französische Mitglieder der Prüfungskommission der Französischen Medizinfakultät von Beirut, 1903.
Ganz rechts im Bild sitzt Dr. Justin Calmette (damals der neue
Bewohner des Qaṣr Heneiné) mit übereinandergeschlagenen
Beinen; in der Mitte und links sitzen osmanische Beamte in
der typischen förmlichen Haltung.
Dass der Diwan plötzlich als unbequem wahrgenommen
wurde, mag zunächst verwundern. Es erklärt sich aber dadurch, dass zeitgleich mit der Einführung europäischer Sitzmöbel auch relativ schnell eine neue Etikette des Sitzens
Einzug hielt. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass diese Sitzmöbel aus sich heraus eine spezifische Sitzhaltung
erzwängen: Ḥabīb Rizq Allāh berichtet anschaulich, wie er
während seines langjährigen Englandaufenthaltes in den
1840ern zunächst noch eine ganze Weile mit bequem untergeschlagenen oder gekreuzten Beinen auf den Sesseln
und Ottomanen der englischen Salons saß, bis ihn amüsierte
einheimische Damen darauf aufmerksam machten, dass in
ihrem Land nur die Schneider so säßen. Woraufhin Rizq
Allāh zwar erwiderte, dass in seiner Heimat auch die Fürsten so säßen, fürderhin aber doch versuchte, so gut er konnte wie ein Engländer zu sitzen – „a task that I at first found
both difficult and disagreeable“.517
Die neue Sitzhaltung, die mit den europäischen Möbeln
zur Etikette wurde, hatte daher sehr viel weniger praktische als vielmehr soziale Beweggründe: auch hier sollte
auf neue Weise Status und Standeszugehörigkeit ausgedrückt und geschaffen werden. Dabei ist jedoch zu beobachten, dass die tatsächlich von der neuen Etikette geforderte Sitzhaltung nicht wirklich jener entsprach, die in bürgerlichen Kreisen Europas damals verbreitet war – und
welche auf zahlreichen Photographien überliefert ist, auf
denen die Herren in einer entspannt wirkenden Position
mit leicht nach vorne gestreckten Beinen und voreinan-
dergestellten Füßen oder häufig mit übereinandergeschlagenen Beinen dasitzen. Gerade letztere Haltung galt (und
gilt noch heute) im Nahen Osten als unziemlich, wenn nicht
respektlos, zumindest bei gesellschaftlichen Anlässen von
förmlicherer Art. Stattdessen wurde eine Körperhaltung
Abb. 298
Ein Zeichen guter Erziehung. Sitzen im heimischen līwān,
Aufnahme aus den 1920ern.
287
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
gefordert, die sich sowohl von der europäisch-bürgerlichen
durch ihre betontere Förmlichkeit unterschied, wie auch
zur hergebrachten Sitzposition auf dem Diwan in größtmöglichen Kontrast stand.
Ein eigener Beitrag zu Sitzsitten (ādāb al-ǧulūs) in einer
Ausgabe des Muqtaṭaf von 1906 beschreibt die nun als
„ziemlich“ geltende Haltung im Detail: Die Beine sollten
nicht zu weit auseinander, aber auch nicht zusammengepresst sein, und die Füße weder vor- noch zurückgestellt,
sondern parallel zueinander, nebeneinander und flach auf
dem Boden stehen. Für Frauen galt ähnliches, allerdings
sollten die Beine nahe beieinander stehen.518 Die Hände
sollen mit den Handflächen auf den Oberschenkeln liegen,
und den Rücken anlehnen darf man nur, wenn man dabei
noch halbwegs aufrecht sitzen kann. Unter Umständen ist
das Übereinanderschlagen der Beine gestattet (es wird darauf hingewiesen, dass Damen der Oberschicht dies
manchmal auch tun), wobei hier besonders auf die sittsame Haltung zu achten ist. Freilich, Bemerkungen über bestimmte „hässliche Sitten“ beim Übereinanderschlagen
der Beine können als Hinweis darauf verstanden werden,
dass es solche Praktiken auch im Umfeld der MuqtaṭafAutoren gab (die Artikelreihe „Ādāb wa-ʿādāt“ war eine
Eigenproduktion der Zeitschrift), und manche Photographien aus jener Zeit geben davon Zeugnis. Wer aber einen
Blick auf die Sitzhaltung wirft, die noch heute bei offiziellen Anlässen in der arabischen Welt üblich und geboten ist, der sieht, wie stark sich die im Muqtaṭaf beschrie-
bene förmliche Sitzhaltung durchgesetzt und gehalten hat.
Auch Photos aus dem späteren 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert zeigen immer wieder Menschen in
dieser Haltung, sei es daheim oder bei öffentlichen Anlässen (Abb. 296–298). In gewisser Weise lässt sich diese
eigentümliche Haltung – die wie ein „Strammsitzen“ anmutet – als Ausdruck neuer Ordnungsvorstellungen der
tanẓīmāt-Epoche interpretieren: sie wirkt wie die körperliche Entsprechung der betont regelmäßigen und symmetrischen Fassaden- und Grundrissgestaltungen der Wohnhäuser, Paläste und Kasernen jener Zeit.519
Die zu beobachtende Veränderung der Anstandsregeln
beim Sitzen stellte einen deutlichen Wandel im Habitus
der gehobenen Schichten des osmanischen Reiches dar.
Und weil diese neue Sitzhaltung in der Tat unbequem war,
wenn man versuchte, sie auf einem Diwan einzunehmen,
trug dieser Wandel seinerseits zur weiteren Verdrängung
der alten, kissenbedeckten Diwane bei – besonders in jenen Kreisen sozialer Aufsteiger, für die die Erfüllung solcher Normen eine unabdingbare Voraussetzung für den gesellschaftlichen Erfolg waren. Durch sozialen Anpassungsdruck war also eine Sitzweise, die Jahrhunderte lang
als ebenso bequem wie sittsam galt und in allen Schichten verbreitet war, plötzlich in den Ober- und Mittelschichten diskreditiert und damit sozial deklassiert worden – zumindest im förmlichen Kontext der Salons. Man
kann sich vorstellen, was für ein unzeitgemäßer Sonderling der russische Erbauer des Qaṣr Heneiné für manche
Abb. 299
Salīm Salam mit seiner Frau Kulṯūm Barbir vor ihrem Sommerhaus in Sofar, Mitte der 1930er.
Abb. 300
Der spätere Präsident der Republik, Bechara el-Khoury, mit
seiner Frau Laure Chiha (rechts) und einer Verwandten im
Sommerhaus, um 1920.
288
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
Abb. 301
Sessel und Diwan mit weißem Schonbezug in der Mittelhalle
eines Beiruter Hauses, ca. 1920.
Abb. 302
Familie auf dem Diwan: Uniform, Fez, Vatermörder, Spitzendeckchen, Zimmerpflanzen und der unverzichtbare Schonbezug – festtägliche Beiruter Wohnwelt in der Zeit um die Jahrhundertwende.
seiner Beiruter Zeitgenossen gewesen sein muss, als er in
den 1880ern seinen Salon mit einem altertümelnden Diwan auf steinerner maṣṭaba ausstatten ließ. Jedoch, ganz
verschwunden war der Diwan deswegen keineswegs. Noch
in den 1920ern und 1930ern fanden sich in den in den Bergen liegenden Sommerhäusern der Beiruter Eliten Diwane, auf denen man es sich in einem lockeren, freizeitbezogenen Kontext ganz formlos – in alter oder neuer Position – bequem machen konnte (Abb. 299, 300).
Selbst in den Wohn- und Empfangsräumen der Beiruter
Häuser lebte der Diwan fort. Manchmal überlebte er als ein
Möbelstück zwischen anderen, optisch angepasst, indem er
ebenso wie die europäischen Sessel und Sofas mit weißen
Schonüberzügen bedeckt war. Solche Überzüge sind schon
auf den Diwanen des französischen Konsulats im Ḥārat Geday in den 1860ern zu erkennen und begegnen einem auch
bei späteren Aufnahmen von Interieurs selbst gehobener
Beiruter Haushalte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein regelmäßig (Abb. 301, 302).
Diese Schonüberzüge sind übrigens ein weiteres Beispiel
einer „unorthodoxen“ Alltagspraxis, denn sie entsprachen
weder europäisch-bürgerlichen Vorstellungen (wo solche
Überzüge nur bei längeren Abwesenheiten der Bewohner
üblich waren – oder zumindest sein sollten)520, noch waren
sie nach dem Regelwerk des Muqtaṭaf vorgesehen, wo zahlreiche Artikel immer wieder ausführlich die „richtige“ und
gut abgestimmte Farbgebung der Hölzer und Polster der
Sitzmöbel in den verschiedenen Räumen des Hauses behandelten. Auf diesen Ausdruck verfeinerten Geschmacks
konnte man – bei allem Repräsentationsbedürfnis – in vielen Beiruter Haushalten scheinbar doch verzichten, bzw.
wenn man den nötigen Aufwand betrieben hatte, so wollte
Abb. 303
Mutterglück und häusliche Ordnung: Fauteuils und Sofas entlang der Wand, Anfang des 20. Jahrhunderts.
289
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
man doch die guten Möbel vor unnötiger Abnutzung und
Beschmutzung schützen. Mit den waschbaren Schonüberzügen trat das Bedürfnis zu prunken zurück gegenüber dem
ebenso gesellschaftlich bedingten Bedürfnis nach einer betonten Reinlichkeit im Haus. Eine Reinlichkeit, für die die
Beiruter im Übrigen berühmt waren, und die – wenn wir einem zeitgenössischen Beobachter Glauben schenken dürfen – in manchen Beiruter Haushalten soweit getrieben wurde, dass sogar die Wäscheleine, das Brennholz und alles,
was ein Besucher anfasste, abgeseift wurde, bis „am Schluss
nichts abzuseifen übrigblieb als die Seife“.521
Dort, wo der Diwan tatsächlich durch europäische Sitzmöbel verdrängt worden war und sich nicht nur unter Schonbezügen verbarg, lebte er oft in neuer, noch verborgenerer
Abb. 304
Konvention und Bruch: Rattanmöbel in säuberlicher Reihe entlang der Wand, die Wanduhr als populäre Insignie der Moderne
– und eine junge Dame in Männerkleidung, beliebtes Photomotiv des frühen 20. Jahrhunderts, Aufnahme aus Haifa, 1920er.
Form fort: in der räumlichen Anordnung der Sessel und Sofas im Raum. Zeitgenössische Aufnahmen von Interieurs
in Beirut und anderen Städten der Region zeigen häufig,
wie die Sessel, Sofas und Korbstühle in Reihen an den Wänden der Räume entlang aufgestellt sind (Abb. 303–305).
Auch al-Muqtaṭaf gibt Zeugnis von diesem Phänomen,
das so verbreitet gewesen sein muss, dass sich die Autoren
der Zeitschrift wiederholt veranlasst sahen, ihren Lesern zu
erklären, dass man es so nicht machen sollte. So heißt es
1885 über die Möblierung der Empfangs- und Wohnzimmer: „Die Sessel müssen so aufgestellt sein, dass sie bei
Festen und Trauerfeiern nicht den Eintritt der Besucher in
den Raum behindern; sie sollen auch nicht einer neben
dem anderen oder in einer geraden Reihe stehen.“522 Und
1892 wird die „in den meisten großen Häusern praktizierte
Art“ bekrittelt, Sessel und Sofas in einer Reihe an den
Wänden entlang aufzustellen. Stattdessen wird eine abwechslungsreichere, für das Auge erquicklichere Anordnung der Sitzmöbel empfohlen.523 Offensichtlich unterschieden sich also die Vorstellungen davon, wie die neuen Möbel aufzustellen seien, in der häuslichen Praxis auch
der Oberschichten sehr deutlich vom normativen Diskurs
– und mithin ebenso von der Art und Weise, wie diese Möbel in ihrem europäisch-bürgerlichen Ursprungskontext
räumlich angeordnet waren. Dies hatte sicherlich nicht nur
ästhetische Gründe, auch wenn die Aufstellung in Reihen
als ein weiterer Ausdruck der oben angesprochenen,
tanẓīmāt-zeitlichen Vorliebe für regelhafte Anordnungen
verstanden werden kann. Es hängt offenbar auch mit der
Vorstellung zusammen, wie Menschen im Raum zueinander positioniert sein sollen. Noch heute lässt sich bei geselligen Zusammenkünften in Beirut und anderswo im Nahen Osten häufig beobachten, dass die Sitze in einer großen Kreisform aufgestellt sind, und die Menschen in einer Reihe nebeneinander und über größere Distanz einander gegenüber sitzen. Historisch war diese Anordnung
der Personen im Raum vormals durch die an den Wänden
umlaufenden Diwane gewährleistet und bedingt. Dadurch
wurden – so ein Argument – auch sozial unerwünschte
Grüppchenbildung und private Zwiegespräche unterbunden.524 In der Aufstellung der europäischen Sitzmöbel in
Reihen entlang der Wände wurde diese Sitzordnung nun
mit neuen, importierten Mitteln reproduziert und modisch
angepasst. Die „Europäisierung“ der Einrichtung war hier
eine materielle und – mit Einschränkungen – visuelle, während räumlich-strukturell die traditionellen, gewohnten
Formen des sozialen Beisammenseins fortgeführt wurden.
Allerdings kann aus den Quellen nicht erschlossen wer-
290
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
den, ob und für wie lange im Kontext der neuen Möblierung auch die rigiden Regeln der räumlichen Sitzrangordnung, die für den Diwan gegolten hatten, weiterbestanden.525
Der normative Diskurs des Muqtaṭaf geht auf diese sozialen Aspekte der räumlichen Anordnung der Möbel an keiner Stelle ein; argumentiert wird nur damit, dass durch die
aufgelockerte Positionierung der Möbel im Raum das Auge erfreut und die Gäste besser unterhalten werden. Letztlich propagierte die Zeitschrift damit einen sehr viel stärker europäisch-bürgerlichen Einrichtungsgeschmack, als
er in weiten Teilen der lokalen Mittel- und Oberschichten
gewünscht war oder praktiziert wurde.
1.5 Möbelwelten: Die Frage der richtigen
Einrichtung
Gut sichtbar werden die lokalen Eigentümlichkeiten bezüglich dessen, wie europäische Möbel in Beirut in den
Wohnraum und das Wohnverhalten eingebunden wurden,
in einem 1882 im Muqtaṭaf publizierten Artikel, welcher
zwei Empfangszimmer beschreibt – das eine im Hause eines reichen Beiruters, das andere im Hause eines in Beirut
wohnenden Europäers – und diese didaktisch kontrastreich
gegenüberstellt:
Ich betrat eines der Notabelnhäuser (buyūt al-aʿyān) in Beirut. Man führte mich in den Empfangssaal (qāʿat al-istiqbāl).
Dieser war zwar geräumig, besaß viele Fenster und eine hohe Decke, und war mit kostbaren Möbeln möbliert, aber ich
ließ meinen Blick nur ein einziges Mal schweifen, sah alles,
was darin war, und jedes Mal, wenn ich mich wieder umblickte, sah ich nicht mehr als das, was ich beim ersten Male schon gesehen hatte. Unerquickt und müde kehrte mein
Blick zurück. Wenn ich nicht durch das Gespräch mit den
Bewohnern vom Anblick dieses Ortes abgelenkt worden wäre, wäre ich noch in der Minute, in der ich gekommen war,
wieder gegangen, voller Verdruss über den Geschmack der
Bewohner. Denn in diesem großen Saal sah ich nichts außer
zwei Farben, die alles darin beherrschten: Gelb und Weiß.
Der Autor beschreibt im Weiteren, dass die Sessel, Sofas
und Stühle sämtlich gelbe Atlas-Polster haben, die Rahmen
der Vorhänge und Spiegel gelblich vergoldet sind, während
die Wände, Fenstervorhänge, Marmorböden und Tischplatten weiß sind. Die Wände sind ohne Bilder, Regale oder
sonst irgendetwas, was das Auge erfreuen könnte. „In der
ganzen qāʿa gab es nichts zum Schauen und Betrachten außer dem Rauch der Wasserpfeifen, der in Kräuseln aufstieg.“
Dann fährt der Autor fort:
Abb. 305
Ordnung muss sein, in Beirut und außerhalb: Möblierung der
Mittelhalle im Elternhaus der Familie Fouad el-Khoury in
Rachmaya in den libanesischen Bergen, frühes 20. Jahrhundert.
Ein anderes Mal betrat ich eines der Häuser der in Beirut lebenden Europäer (ifranǧ). Ich wurde in die qāʿat al-istiqbāl
geführt. Und wenn diese auch nur halb so groß war wie jene
andere, und die Einrichtung nur halb so teuer wie die der anderen, so verweilte ich dort doch eine Stunde, in der ich jeden Augenblick etwas Neues entdeckte. Ich glaube, dass ich,
selbst wenn ich dort einen ganzen Tag verbracht hätte, noch
jeden Augenblick etwas Neues gesehen hätte. Auf dem Boden der qāʿa lagen Kissen in zumeist grüner Farbe. Das Holz
der Stühle und Sessel war zwischen rot und walnussfarbig, ihre Polster waren olivgrün. In jeder der vier Ecken stand ein
kleiner Tisch mit Kuriositäten der Natur oder mit Bildbänden, an denen man sich nicht satt sehen konnte. Zwischen
den Fenstern hingen verschiedene Bilder, die Landschaften
und berühmte Persönlichkeiten darstellten, oder kleine, originell dekorierte Regale, auf denen Vasen standen, in denen
Blumen verschiedenster Farben und Formen in schönster
Weise arrangiert waren, und von Geschicklichkeit und gutem Geschmack zeugten. Im hinteren Teil der qāʿa stand ein
Schrank mit sechs Ebenen, die nach oben hin kleiner wurden und jeweils auf schön gedrechselten Stützen ruhten. Auf
diesem mehrstöckigen Regal fanden sich gesammelte Kostbarkeiten aus verschiedenen Ländern und mit Perlmutt eingelegte Kästen in unterschiedlichen Formen und Farben.
Wenn ich all das beschreiben wollte, was ich in dieser qāʿa ge-
291
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
sehen habe, und was mir der Anblick dieser Dinge an Harmonie der Gedanken inspirierte, so würde das eine ganze
Monatsausgabe von al-Muqtaṭaf füllen! Es stimmt zwar, dass
die Bewohner dieses Hauses mich nicht mit einer Wasserpfeife mit Fruchttabak oder mit Kaffee bewirtet haben. Aber
das ist mir überhaupt erst aufgefallen, als ich diesen Vergleich
zwischen ihrer qāʿa und der Ersteren anstellte.
Es wäre schön, wenn die geschätzten Söhne unserer Heimat den Geist ihrer Besucher mit schönen Anblicken und
belehrenden Unterhaltungen beschäftigen würden, statt ihre Sinne mit Kaffee und Fruchttabak zu erfreuen.526
Die Art der Gästebewirtung in den Heimen von Beirutern
hatte sich also seit Mentaberrys Besuch bei Geday nicht
sehr verändert und unterschied sich noch immer bedeutsam von der ansässiger Europäer. Aber beide Empfangsräume – die des Beiruters und die des Europäers – waren
mit europäischen Möbeln ausgestattet: Sessel, Sofas, Stühle, Tische, Standspiegel etc. Diese Möbel hatten nun – im
Vergleich zu Gedays Einrichtung in den 1860ern – breiteren Einzug in die Salons der wohlhabenden Beiruter gehalten, und dennoch waren die Unterschiede im Charakter der Einrichtung signifikant.
Abb. 306
Man hat es offensichtlich geschafft: Eine stolze Familie posiert
(mit Kindermädchen) für die Kamera, und fast wie ein Hausaltar ist die Wand des līwāns geschmückt mit Stichen, Drucken
und dekorativ gerahmten Photos von Angehörigen, die den
Ehrenplatz in Zentrum des Arrangements einnehmen.
Man muss zwar in Anbetracht des vom Autor gewünschten
Kontrastes vorsichtig sein, seine Beschreibung eines Beiruter Empfangszimmers für allgemeingültig zu halten. Es
ist ja durchaus vorstellbar und fast zu erwarten, dass der
Autor selbst (bei dem es sich höchstwahrscheinlich um einen der beiden Herausgeber, Yaʿqūb Ṣarrāf oder Fāris Nimr,
handelte) seine Empfehlungen in seinem eigenen Beiruter
Heim schon praktizierte. Aber wenn man der Beschreibung
eine gewisse Repräsentativität zuspricht, so lässt sich
schließen, dass über die schon festgestellten Kontinuitäten in der räumlichen Anordnung der Möbel hinaus auch
die Raumdekoration weiterhin älteren Grundprinzipien
folgte und dabei neue Mittel einsetzte: Anstelle von Bildern, Blumengestecken, Bildbänden, Nippes und Kuriositäten, welche auf geschnitzten Etageren, Ecktischen und
Regalen ausgestellt werden, ist eine maßvolle Dekoration
zu beobachten, die mit raumweit einheitlicher Farbgebung
und einigen vergoldeten Dekorelementen arbeitet und dabei in weiten Teilen fest angebracht ist. Dies steht den Ausstattungen traditioneller syrischer qāʿas mit ihrer hauptsächlich baufesten Dekoration (seien es farbig gefasste
Holzvertäfelungen, ablaq-Mauerwerk, Reliefdekor in Stein
oder Stuck oder farbig gefasster Putz, jeweils in Kombination mit weiß getünchtem Glattputz in den oberen Wandbereichen) im Prinzip noch sehr viel näher als die Raumdekoration mittels einer bunten Mischung von beweglichen Dekorationsobjekten, wie sie im Beiruter Salon des
Europäers zu finden ist.
In der Praxis war demnach die hier beschriebene Beiruter
Einrichtungs- und Dekorform der Zeit um 1880 weiterhin bestimmten lokalen Traditionen verpflichtet, die materiell und stilistisch – auch durch die Einbindung importierter Elemente – dem Zeitgeschmack und den eigenen Bedürfnissen in einer wiederum lokalen Ausprägung
angepasst wurden. Dagegen propagierten die Autoren des
Muqtaṭaf als Teil einer modernistischen intellektuellen
Elite einen sehr viel betonteren Bruch mit der Vergangenheit, indem sie sich vorbehaltloser als viele ihrer Beiruter Zeitgenossen europäischen Vorbildern zuwandten
und ihre Einrichtungstipps nach ihnen ausrichteten, und
gleichzeitig (mit oft begrenztem Erfolg) die häuslichen
Praktiken schlecht machten, die auf ganz eigene Weise
Tradition mit Innovation zu verbinden verstanden.527 Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass das im oben zitierten Artikel gepriesene Interieur des Europäers tatsächlich bis in
Details hinein dem damaligen europäisch-bürgerlichen
Einrichtungsstil der 1870er und 1880er entspricht – einem Stil, über den Egon Friedell in den 1920ern (nach
292
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
dem Ende des bürgerlichen Zeitalters in Europa) scharfzüngig befand:
An den Interieurs irritiert zunächst eine höchst lästige Überstopfung, Überladung, Vollräumung, Übermöblierung. Das
sind keine Wohnräume, sondern Leihhäuser und Antiquitätenläden. Zugleich zeigt sich eine intensive Vorliebe für alles Satinierte...und für lauter beziehungslose Dekorationsstücke: vielteilige Rokokospiegel, vielfarbige venezianische
Gläser, dickleibiges altdeutsches Schmuckgeschirr... Dabei
macht sich eine Bevorzugung aller Ornamentik und Polychromie geltend... Hiermit im Zusammenhang steht ein auffallender Mangel an Sinn für Sachlichkeit, für Zweck; alles
ist nur zur Parade da. Wir sehen mit Erstaunen, dass der bestgelegene, wohnlichste und luftigste Raum des Hauses, welcher die „gute Stube“ genannt wird, überhaupt keinen Wohnzweck hat, sondern nur zum Herzeigen für Fremde vorhanden ist; wir erblicken eine Reihe von Dingen, die trotz ihrer
Kostspieligkeit keineswegs dem Komfort dienen: Portieren
aus schweren staubfangenden Stoffen, die die Türen verbarrikadieren... Prunkfauteuils, die das ganze Jahr mit hässlichen pauvren Überzügen, und dünnbeinige wacklige Etageren, die mit permanent umfallenden Überflüssigkeiten bedeckt sind; Riesenprachtwerke, die man nicht lesen kann,
weil einem schon nach fünf Minuten die Hand einschläft,
und nicht einmal lesen möchte, weil sie illustriert sind; und
als Krönung und Symbol des Ganzen das verlogene und triste Makartbukett, das mit viel Anmaßung und wenig Erfolg
Blumenstrauß spielt.528
Im weiteren beschreibt Friedell Kamine, in denen Holzscheite nur als Attrappe lagen, während die „Illusion des
lustigen Herdfeuers durch rotes Stanniol“ gesteigert wurde, und als Wandschmuck „trotzige Schwerter, die nie gekreuzt, und stolze Jagdtrophäen, die nie erbeutet wurden“.
Obgleich Friedells spöttische Ausführungen – im Geist der
1920er Jahre geschrieben – natürlich auf bürgerliche Interieurs im Habsburgerreich, in Deutschland und in Europa
im späten 19. Jahrhundert abzielten, sind sie für unseren
Beiruter Zusammenhang von faszinierender Relevanz.
Denn im letzten Viertel des Jahrhunderts wurde vieles von
dem, was er beschreibt, oft ganz ähnlich in al-Muqtaṭafs
Haushaltsrubrik propagiert, und fand auch tatsächlich zunehmend Einzug in die Häuser der Beiruter Ober- und Mittelschichten. Die zuvor vergleichsweise maßvoll dekorierten und für den Autor des Muqtaṭaf-Artikels leer und
langweilig wirkenden Beiruter Interieurs wurden nach und
nach von der europäisch-bürgerlichen „Angst vor der Leere“ ergriffen.529
Das zeigte sich besonders in der beweglichen Ausstattung:
Die Zahl der Möbel, Tischchen, Wandborde, Anrichten,
Abb. 307
Familiäres Zusammensitzen in der dār eines kleineren Mittelhallenhauses in den 1920ern, hier das Abiad-Haus in Haifa.
Die Ausstattung ist eher schlicht, folgt aber in der Zusammenstellung der Sitzmöbel – Sofa, Stühle, Tisch – weitgehend
Šukrīs Empfehlungen aus den 1880ern, nur dass hier leichtere
und billigere Rattanmöbel mit Bezügen Verwendung finden.
Etageren und anderer potentieller Stellflächen nahm nun
ebenso zu so wie die der neuartigen Dekorationsobjekte,
die sich neben dem altehrwürdigen China-Porzellan ihren Platz eroberten – ohne dieses jedoch jemals völlig zu
verdrängen. Dem Chinageschirr, dem nach dem Verschwinden der Wandnischen der traditionell angestammte Platz abhanden gekommen war, und das bei Geday auf
Tischen stand, wurde nun ausdrücklich ein neuer Platz auf
einem dafür vorgesehenen Wandregal im Salon zugewiesen.530 Chinavasen fanden auch Platz auf den Marmorplatten der Spiegelanrichten, die – den relativ wenigen
historischen Aufnahmen von Interieurs nach zu urteilen
– zu einem allgegenwärtigen Standard-Einrichtungsstück
von Mittelhallen, Salons, Wohn- und Esszimmern wurden und in solchen Häusern bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein blieben; und dies ungeachtet der Tatsache, dass alMuqtaṭaf schon 1889 verkündete, dass man Spiegel nun
nicht mehr wie früher im Salon aufstelle, sondern nur noch
in der dār und in den Zimmern, in denen man sich ankleide.531 Spiegel und Kronleuchter scheinen im übrigen
zu den luxuriösen Raumdekorstücken zu gehören, die am
frühesten breiten Einzug in die größeren Beiruter Häuser
gehalten haben. Schon 1883 beklagte ein Autor des
Muqtaṭaf: „Selten betritt man eines der großen Häuser
Beiruts und findet darin nicht Kronleuchter (ṯurayyāt),
Spiegel (mirāyāt) und andere teure und luxuriöse Einrichtungsgegenstände.“532
293
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Die Wände wurden zunehmend mit Bildern behängt, und
dies in einer Weise, die selbst den Vorstellungen der Autoren des Muqtaṭaf zuwider lief. So heißt es schon in einer
Ausgabe von 1890: „Das Aufhängen von Photos im Empfangszimmer hat in einer Weise zugenommen, dass die
Photos den Platz der Bücher einnehmen, die dafür bestimmt sind, und sie zahlenmäßig übertreffen.“533 Jedoch
war es laut einem 20 Jahre später erschienenen Artikel im
Muqtaṭaf immer noch vorzuziehen, wenn die Hausfrau
Familienphotos oder Bilder mit geistig erbaulichen Motiven aufhing, als jene unpersönlich-beliebigen Landschaftsbilder, die bei ihrer vielberufenen Nachbarin an der
Wand hingen – was wiederum als ein indirekter Hinweis
darauf zu verstehen ist, wie beliebt diese Landschaftsgemälde gewesen sein müssen.534 Aber auch Bilder von Personen – seien es historische Persönlichkeiten oder Familienmitglieder, als Ölgemälde, Photodruck und Stich – erfreuten sich zunehmender Beliebtheit als Zimmerschmuck,
und dies nicht nur in christlichen, sondern auch in bessergestellten muslimischen Haushalten, wie eine Anzahl
erhaltener Porträtgemälde von wichtigen sunnitischen Persönlichkeiten belegt.535 Ein Ölporträt des sunnitischen
Kaufmanns und osmanischen Amtsträgers Amīn Pascha
Muḫayyiš hängt noch heute in der Mittelhalle des von ihm
errichteten Beiruter Hauses. Solche Porträts und Familienphotos erfüllten, besonders wenn sie in Empfangsräumen hingen, mehr als nur eine Schmuckfunktion; sie dienten – in einer bis dahin unbekannten Form – der Familienerinnerung und der sichtbaren Repräsentation von Familienidentität und -tradition. Weil diese Bildkultur so
jung war, besaßen selbst altetablierte Familien keine weit
in die Vergangenheit reichenden Porträtreihen ihrer
Stammväter, wodurch solche Bilder auch bei erst jüngst
sozial aufgestiegenen Familien wichtige neue Mittel zur
Produktion von Status sein konnten (Abb. 306).
Eine recht gute Vorstellung von der Einrichtung der verschiedenen Räume eines Mittelhallenhauses mittlerer Größenordnung gibt ein im Muqtaṭaf abgedruckter Vortrag, den
eine Frau, Rūǧīnā Šukrī, zu diesem Thema 1885 gehalten
hatte.536 Auch dies ist ein Text normativer Art, aber im Vergleich zu dem oben zitierten Artikel aus der gleichen Zeitschrift zeichnet er sich durch einen eher nüchtern-praktischen Ton aus und kann als weitgehend repräsentativ für
die Wohnvorstellungen zumindest bestimmter fortschrittlich gesonnener Teile der Beiruter Mittelschicht in der Mitte der 1880er betrachtet werden.
Laut Šukrī verfügt ein Haus für diese Schicht „in der Regel
über zahlreiche Zimmer, jedes mit seiner besonderen Möb-
Abb. 308
Eine Beiruter Dame in ihrem Schlafzimmer. Das Photo datiert
aus den 1920ern, ältere Aufnahmen von Schlafzimmern sind
leider nicht bekannt. In diesem späten Beispiel sind die Vorhänge leichter und heller als Šukrī sie in den 1880ern empfahl.
Ein Frisiertisch mit Spiegel gehörte in besseren Kreisen jedoch auch schon früher zur Ausstattung dieser Räume.
Abb. 309
Eine junge Dame vor ihrem Waschtisch. Hinter ihr das Bett,
links unten ist die Kante eines Zimmerofens zu erkennen.
Auch dieses Zimmer wirkt recht hell. Aufnahme aus den
1920ern.
294
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
lierung, und es hat gewiss eine dār, auf die seine Türen gehen, und die je nach ihrer Größe ausgestattet wird“. Die
Grundausstattung der dār besteht nach ihren Worten aus verschiedenfarbigen Teppichen, und an den Wänden Bilder berühmter Menschen oder gedruckte Bilder. Gleich neben der
Eingangstür sollte sich eine Ablage (raff) befinden, aus geschmücktem Holz, einen Meter lang und 1/3 Meter breit,
und darüber ein großer oder kleiner Spiegel, je nach Größe
der dār. Diese Ablage diene Besuchern dazu, ihre Sachen –
Stöcke, Schirme, Hüte – abzulegen. Ebenfalls in die dār gehöre ein kleines Sofa (maqʿad) aus geschnitztem Holz (ḫašab
manqūš) sowie Stühle bzw. Sessel (karāsī) in derselben Farbe, und in die Mitte ein Esstisch (mā’ida). Falls kein Sofa
aus geschnitztem Holz zu haben sei, reiche auch ein Sitz,
der mit einem Überzug bedeckt ist, der farblich zum Holz
der dār passt. Über dem Tisch hängt ein Kronleuchter, und
an den Wänden Kerzenhalter (Abb. 307).
Als nächstes wendet sich Šukrī dem Empfangszimmer zu,
für das sie verschiedene Benennungen wie ūḍat al-istiqbāl,
ġurfat al-maǧlis oder ūḍat al-maqʿad angibt, und dessen
Einrichtung besser sein soll als die der Schlafzimmer und
der übrigen Räume. Der Anstrich solle in schönen Motiven
und Farben sein, etwa in Blumenfarben oder etwas Vergleichbarem. Der Boden sollte mit einem großen Teppich
(bisāṭ) bedeckt sein, der bis zu den Stühlen und Sofas reiche, und farblich zur Wandfarbe passe. Wenn es keinen so
großen Teppich gäbe, so könnten auch kleinere Teppiche
(saǧǧādāt) verwendet werden. Die Möblierung bestehe aus
einem hölzernen Tisch (ṭāwula, von ital. tavola) in der
Raummitte, auf dem ein oder zwei dekorierte Blumenvasen stehen sollen. Šukrī empfiehlt außerdem, „natürliche
Blumen“ im Empfangsraum zu platzieren (man beachte diese Spitze gegen Kunstblumen, die – so darf man daraus
schließen – sich einer gewissen Beliebtheit erfreut haben
müssen) sowie „Bücher von bildender und erheiternder Art,
die schön anzusehen sind – aber nicht zu viele Bücher, denn
der Empfangsraum sei keine Bibliothek (maktaba), und sie
sollten auch nicht platt übereinander gestapelt, sondern auf
die Kante gestellt werden“.
Notwendig sei auch mindestens ein Sofa (maqʿad) und einige Sessel (karāsī), alle mit einheitlicher Stoffbespannung.
Leichte Stühle aus Rohr oder ähnlichem würden neben den
Tisch (ṭāwula) gestellt. (Die Rohrstühle sind übrigens vor
allem die damals weltweit überaus erfolgreichen ThonetStühle, die auch auf Photographien Beiruter Interieurs jener
Zeit immer wieder zu sehen sind.) Die Anzahl der Kronleuchter und Kerzenständer hänge von der Raumgröße ab.
Die Vorhänge (burdāyāt oder satā’ir) an den Fenstern vari-
Abb. 310
Interieur der Wohnung von Antoine Peretié, Chancelier des
französischen Konsulats in Beirut, um 1860. Marmorboden
und Wandfarbfassung sind im Stil herrschaftlicher Beiruter
Häuser jener Zeit, die Einrichtung folgt französisch-bürgerlichem Geschmack mit lokalen „orientalischen“ Einsprengseln
(Wasserpfeife und Tischchen, Metallarbeiten und Porzellan).
Der obligatorische Spiegel steht hier auf einem Piano, auf dem
Tisch mit reich bestickter Decke liegt ein Album, die Regale
sind mit Gefäßen und Nippes bestückt.
ierten je nach Geschmack; ihre Farbgebung müsse allerdings
auf die Ausrichtung der Fenster Rücksicht nehmen: Fenster,
die nach Osten in Richtung Sonnenaufgang gehen, sollten
dunkel sein. Bilder und anderer Schmuck variierten ebenfalls, je nach Geschmack und Vermögen der Hausbewohner.
In den Schlafzimmern, so fährt Šukrī fort, sollten die Farben der Wände, Zimmerdecke, Türen und Fenster harmonisieren. In jedes Schlafzimmer gehöre ein Spiegel, ein
Schreibtisch (bīrū, von franz. bureau), ein großer Schrank
(ḫazāna) zum Aufhängen der Kleider, ein Waschtisch mit
Zubehör, sowie ein Bett, wenn eine Person im Zimmer
schlafe, bzw. bei einer Familie entsprechend der Anzahl
derer, die im Zimmer schliefen (Abb. 308, 309). Der Boden werde mit Matten (ḥuṣur) und schönen Samtteppichen (ṭanāfis) belegt, die vor jedem Bett ausgebreitet würden, aber nicht unter dem Bett oder den Stühlen liegen
dürften. Auch gehörten in jedes Schlafzimmer Bilder, Bücher, Stühle, Sessel und Sofas und ähnliches, aber nur wenig von alledem. Für die Vorhänge in Richtung der Sonne
295
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 311
Haus des französischen Arztes Dr. Hippolyte de Brun (vormals
Haus Mott), um 1900: Blick in die weitläufige Mittelhalle,
eher schlicht ausgestattet mit hauptsächlich hölzernen Stühlen
und einem kleinen Sofa, einem Tisch in der Mitte, einer Zimmerpflanze, einem Diwan, einem Vogelkäfig und einem Konzertflügel.
schließlich gelte dasselbe wie für die Vorhänge im Empfangszimmer.
Šukrīs Darstellungen waren anzunehmenderweise nicht
gänzlich der Phantasie entsprungen und zeichnen ein anschauliches Bild von dem, was man in der Mitte der 1880er
in vielen Beiruter Häusern der gehobenen Mittelschicht an
Möbeln und Dekor erwarten durfte – eine Einrichtung, in
der sich zum Einen die zunehmende Ausdifferenzierung
der Raumnutzungen materialisierte, und die sich zum Anderen eine zunehmend „europäische Optik“ gab, als dessen lokale Vorläufer (und unter Umständen Inspirationsquelle) die Interieurs einiger in Beirut ansässiger Europäer
gesehen werden können, die schon zwei Jahrzehnte früher
dem pittoresken Geschmack frönten (Abb. 310–312).
Als der französische Journalist Gabriel Charmes auf seiner
Syrienreise während der frühen 1880er in Beirut Zwischenstopp machte, beobachtete er im Hause eines Einheimischen Dinge, die einige farbige Akzente zu Šukrīs Einrichtungskatalog hinzufügen:
Wenn man einen vor Vergoldung blendenden Salon betritt,
auf dessen gewachstem Parkett [sic!] man Gefahr läuft auszurutschen und zu stürzen, gewahrt man zu seiner Verblüf-
Abb. 312
Haus des französischen Arztes Dr. Hippolyte de Brun (vormals
Haus Mott), um 1900: Blick in den repräsentativ ausgestatteten Salon. Die gepolsterten Sessel und Sofas stehen in betont
lockerer Anordnung und sind zusätzlich mit bestickten Kissen
ausstaffiert. Zu den üblichen, mit Dekorgegenständen bestückten Regalen und Anrichten gesellen sich orientalisierende
Tischchen mit Mašrabiyya-Dekor und Damaszener Einlegearbeiten, wie sie in dieser Zeit eher in den Haushalten von ansässigen Ausländern als in denen von Beirutern zu finden
waren. In der Stirnwand befindet sich ein Kamin, daneben ein
weiteres Piano. Der große Teppich, der den ganzen Boden des
Salons bedeckt, war auch in Beiruter Haushalten üblich.
fung auf dem Tisch, der die Mitte des Raumes einnimmt,
Alabasterschalen voller Früchte aus Pappmaché. Lüster in
tausend Farben, gigantische Spiegel, die eine ganze Zimmerwand einnehmen, und mit gleißenden Stoffen bedeckte
Fauteuils gesellen sich zu künstlichen Blumen, die auf Kugeln platziert sind, und zu Kristallarmleuchtern mit Leuchtertellern, die mit gestrickter Wolle verkleidet sind.537
Es nimmt nicht wunder, dass sich die Journalisten des
Muqtaṭaf bald veranlasst sahen, die Geister, die zu rufen
sie geholfen hatten, wieder zu bändigen. So wird beispielsweise in einem Artikel von 1891 eine allzu reiche
Möblierung und Dekoration als unpraktisch, weil schwer
sauber zu halten, bemängelt – ein angesichts des schon
erwähnten Beiruter Reinlichkeitsfimmels durchaus
schwerwiegendes Argument.538 Ein weiterer Aufruf zur
Mäßigung aus dem Jahr 1897 argumentiert im Sinne eines etwas verqueren bürgerlichen Utilitarismus, dass je-
296
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
des Einrichtungsstück entweder nützlich oder schön sein
solle, und dass nichts aufgestellt werden solle, was nicht
entweder den einen oder den anderen Zweck – oder beide
– erfülle. Keinesfalls aber sei es gut, etwas aufzustellen,
das hässlich aussehe, selbst wenn es nützlich sei. Denn:
„Die Einrichtung des Hauses ist eine essentielle Angelegenheit, die sich auf den Charakter der Bewohner auswirkt, so wie sich die Umweltbedingungen auf das Wesen der Tiere auswirken.“539 Im neuen wissenschaftlichen
Weltbild wird der vom Menschen geschaffenen, häuslichen Umwelt eine Rolle im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung und im Prozess der Zivilisierung zugewiesen, die mit der Rolle der natürlichen Umwelt in der Darwinschen Evolutionstheorie verglichen wird. Das Schöne wird also aus Gründen seiner für den Menschen ethischmoralisch förderlichen Funktion gefordert, nicht um des
prunkvollen Scheins willen.
Insgesamt war der nun in den Häusern zu beobachtende
Trend in Richtung einer hypertrophen und falschen Prachtentfaltung sicherlich nicht im Sinne der sich als progressiv, wissenschaftlich-aufklärerisch verstehenden Zielsetzungen des Muqtaṭaf (Abb. 313). Er bezeugt vielmehr den
begrenzten Einfluss, den die Zeitschrift tatsächlich auf die
Entwicklung der Beiruter Wohnkultur und Praxis hatte. Und
selbst vor den gutmeinenden Autoren dieser Zeitschrift
machte der Trend keineswegs Halt: In einem Artikel von
1919 wird den Lesern empfohlen, die Mittelhalle ihrer Häuser mit alten Säbeln, Gewehren und mit Jagdtrophäen zu
dekorieren – womit sich der Kreis zu Egon Friedells satirischer Bemerkung vollends schließt.540
Europäische Modephänomene erfassten schließlich auch
die Art der Aufstellung und Anordnung der Möbel im Raum:
Die von Walter Benjamin im Passagen-Werk beobachtete
„Neigung, die Gegenstände schräg und übereck zu stellen“
– unter anderem, weil es „apart“ wirke541 – lässt sich auch
in Beirut ab Anfang des 20. Jahrhunderts nachweisen. Aber
selbst in dem abgebildeten Beispiel des für die gehobenen
Ansprüche einer osmanische Kommission eingerichteten
Gästehauses stehen die Stühle und Sitzbank im Salon zwar
auf aparte Weise schräg und übereck, aber dennoch weiterhin in Reihen nebeneinander.542 Entlang der Wand und
in der Ecke links stehen darüber hinaus weitere Stühle und
ein Sofa in Reihe (Abb. 314, 315). Die Beiruter blieben sich
– bei aller Offenheit für Neues – treu.
Neben den schon wiederholt angesprochenen Teppichen,
schweren Vorhängen und Portieren, großen Spiegeln, goldgerahmten Gemälden, Kronleuchtern, Zimmerpflanzen,
Polstersitzmöbeln, Thonet-Stühlen, Tischchen, Regalen und
Abb. 313
Blick in den Salon einer Beiruter Familie am Anfang des
20. Jahrhunderts. Die ganze Palette des bürgerlichen Salondekors ist zu erkennen: Spiegelanrichte mit Chinavasen, natürlicher und künstlicher Blumenschmuck, Regale und Wandborde
mit Schmuckthermometer, Statuetten und Nippes und an der
Wand die Schweizer Berg- und Seenlandschaften, die sich noch
heute in den Häusern der Region großer Beliebtheit erfreuen.
dazugehörigen Dekorstücken, die den Salon und die Mittelhalle dieses Gästehauses zu einem repräsentativen Beispiel des gehobenen Beiruter Einrichtungsgeschmacks des
frühen 20. Jahrhunderts machen, findet sich im Hintergrund,
in der Stirnwand des Salons, zwischen den beiden verhangenen Fenstern und unter dem Ölporträt eines osmanischen
Staatsmannes, ein offener Kamin.
1.6 Kamine und Kohlebecken
Kamine gab es – wie an den Beispielen Qaṣr Ziadé und
Qaṣr Tuéni-Bustros zu sehen war – auch in anderen Beiruter Häusern des späten 19. Jahrhunderts. Dabei datieren diese Beispiele auch in anderen mir bekannten Fällen schon
in die Zeit um 1870 zurück. Die Lokalisierung der Kamine
variiert: Qaṣr Ziadé hat Kamine in den Seitensälen, der Qaṣr
Faḍlallāh Dagher (ein hier nicht vorgestelltes Haus in der
Rue Gouraud im Ostbeiruter Stadtteil Rmeil [R 320]) hat
einen Kamin in der Mittelhalle, im Qaṣr Tuéni-Bustros finden wir sie im repräsentativ gestalteten līwān des Erdge297
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schosses sowie in den Seitensälen des Obergeschosses und
im Haus de Brun sind sie in den Seitensälen. In allen Fällen befinden sich die mit dekorativen Marmoreinfassungen
versehenen Kamine in Repräsentationsräumen, wo sie von
Besuchern gesehen werden konnten. In seiner Untersuchung
von 1897 kritisierte Dr. Boyer, dass es in vielen reichen
Häusern Beiruts prunkvolle Kamine gäbe, die jedoch keinen Schornstein hätten und daher rein dekorativ seien.543
Daraus folgert Nada Sehnaoui, dass der alleinige Zweck
der Kamine war, den Wohlstand und den Europäisierungsgrad der Hauseigentümer zu demonstrieren, ohne überhaupt
einen praktischen Zweck zu haben, denn er sei kulturell
noch nicht assimiliert gewesen. Zum Heizen wurde weiterhin das Kohlebecken verwendet. Dabei stützt sie sich
auch auf eine Aussage Fernand Braudels, dass es im gesamten „türkischen Islam“ keine Kamine gegeben habe,
ausgenommen der monumentalen Kamine im Istanbuler
Serail.544 Diese Aussagen bedürfen in zweifacher Hinsicht
einer Richtigstellung.
Erstens hat es durchaus zahlreiche Kamine im osmanischen
Reich gegeben, und dies nicht nur – seit dem 15. und 16.
Jahrhundert – als dominantes Element in den Haupträumen
vieler großer Wohnhäuser in Istanbul und den osmanischen
Provinzen im Balkan und in Anatolien, sondern auch – im 17.
und 18. Jahrhundert – in einigen herrschaftlichen Wohnhäusern und Palästen in Damaskus, in den libanesischen
Bergen und an der Küste.545 Als Beispiele lassen sich der
ʿAzm-Palast in Damaskus, der Palast von Yūsuf aš-Šihābī
in Deir el-Qamar im libanesischen Schufgebirge, der Palast
der Abī Lamaʿ in Salima im libanesischen Metn, sowie das
Ḥammūd-Debbané-Haus in Sidon nennen.546 Diese Kamine
wurden bezeichnenderweise auch im Arabischen mit dem
türkischen Lehnwort ūǧāq oder wuǧāq bezeichnet, haben
mit ihren türkisch-osmanischen Vorbildern den typischen
polygonalen Mantel mit konisch zulaufender Spitze gemeinsam und mögen wie ihre Vorbilder als Feuerstätte, als
Rauchabzug für das Kohlebecken und für die Ventilation
gedient haben. Sie sind bei allen genannten Beispielen nicht
in der qāʿa, sondern in einem separaten, repräsentativ gestalteten Sitzraum mit ṭazar und Diwan lokalisiert, im Falle des Debbané-Hauses im östlichen murabbaʿ. Hier wurde
der Rauchsabzugsschacht im späten 19. oder am Anfang des
20. Jahrhunderts zugesetzt und der Mantel entfernt. Daher ist
zu vermuten, dass dieser ūǧāq schon einige Zeit vorher kaum
oder nicht mehr in Benutzung war. Inwiefern dies auch für
die anderen Beispiele gilt, muss offen bleiben. Festzuhalten
ist jedenfalls, dass es in der Region in osmanischer Zeit eine relativ junge Tradition von offenen Kaminen gab, die sich
in luxuriösen Residenzen der osmanisierten Eliten fanden
und dort sicherlich ein Statussymbol waren. Darüber hinaus
fassten sie jedoch keinen breiteren Fuß, und aus dem 19.
Jahrhundert sind keine Kamine dieser Form mehr bekannt.
Immerhin aber war der Kamin als Konzept und als funktionales Ausstattungselement von Häusern in der Region bekannt, zumindest in jenen Kreisen, die Zugang zu solchen
Häusern genossen. Man assoziierte ihn daher fast zwangsläufig mit hohem sozialem Status, und dies mag den Weg
zum Revival des Kamins in neuer Form mitgeebnet haben.
Abb. 314
Gästehaus für eine osmanische Kommission, Beirut 1905: der
Salon.
Abb. 315
Gästehaus für eine osmanische Kommission, Beirut 1905: die
Mittelhalle.
298
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
Zweitens waren die Kamine des neuen, europäischen Typs,
die um 1870 in einigen herrschaftlichen Beiruter Häusern
auftraten, keineswegs – wie Boyers Beschreibung suggeriert – immer nur Schauobjekte. Im Falle des Qaṣr Ziadé
waren die Kamine mit Abzugschächten ausgestattet, und
die Rußablagerungen im Inneren der Schächte belegen, dass
sie tatsächlich benutzt wurden. In den anderen genannten
Fällen lässt sich allerdings nicht sagen, inwieweit die Kamine genutzt wurden. Ihre Hauptfunktion mag tatsächlich
die des Statussymbols gewesen sein. In dieser symbolischen
Nutzung des Kamins zeigten die Beiruter sogar überraschende Ähnlichkeit mit jenen europäischen Zeitgenossen,
die ihre Kamine – laut Friedell – mit Holzscheit und rotem
Stanniolpapier als Attrappe dekorierten. Auch in europäisch-bürgerlichen Kreisen wurde der Kamin in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, als er mit der Verbreitung neuer Heiztechniken in den Häusern seine ursprüngliche Bedeutung verlor, in neuer Weise in die Wohnkultur eingebunden.547 In Umkehrung von Sehnaouis Urteil hätten die
Beiruter nicht nur den Kamin, sondern sogar dessen aktuelle, hauptsächlich dekorative Funktion in ihre eigene Wohnkultur assimiliert.
Der Grund für dieses Phänomen mag in Beirut aber nicht
das Aufkommen neuer Heiztechniken, sondern das Weiterleben alter Heiztechniken gewesen sein: Das Kohlebecken war in den großen, hohen Räumen der Beiruter
Häuser zum winterlichen Heizen praktischer und effizienter, weil es sich in unmittelbarer Nähe der im Raum
Sitzenden aufstellen ließ. Das Fortleben althergebrachter
Formen des Zusammensitzens, das sich in der diwanartigen Anordnung der Sitzmöbel ausdrückte, machte es zudem eher schwierig, die Sitze um ein Kaminfeuer herum
zu gruppieren. Nicht die Menschen bewegten sich ans
Feuer, das Feuer wurde zu den Menschen bewegt. Demnach wäre der Kamin als Heizeinrichtung nicht nur technisch, sondern auch sozial unpraktisch gewesen, und das
bewegliche Kohlebecken behielt aus Gründen gesellschaftlicher Umgangsformen seine Vorzugsstellung. Als
Statussymbol hingegen war der Kamin, wie wir gesehen
haben, historisch bekannt und hatte in seiner neuen europäischen Optik (und durch seine Verfügbarkeit in der Form
importierter Fertigbauteile) einen breiteren Erfolg als seinem osmanischen Vorläufer beschieden war. In den Fällen, wo der Kamin mit einem Rauchabzugsschacht ausgestattet war, konnte er außerdem – wie sein Vorläufer,
der ūǧāq, dessen Namen er im übrigen übernahm – als
zeitweiliger Rauchabzug für ein davor aufgestelltes Kohlebecken dienen.548
Im Gegensatz zum Kamin wurde der Gebrauch des Kohlebeckens allerdings schon früh als problematisch angesehen. Schon ein Muqtaṭaf-Artikel von 1881 warnt davor,
dass sich beim Entzünden eines Kohlebeckens (kānūn) in
einem Zimmer mit verschlossenen Fenstern giftiges Gas
sammelt, das den Anwesenden schadet und sie eventuell
tötet,
...und das geschieht häufig hierzulande, denn es vergeht kein
Jahr, in dem wir nicht von zwei oder drei Menschen hören,
die den Heizungsmärtyrertod gestorben sind (mātū šuhadā’a
ad-dafa’). Sie entzündeten Feuer in einem Zimmer mit verrammelten Fenstern, schliefen dort und starben. Wenn schon
unbedingt Feuer im Hause zum Heizen entfacht werden
muss, so sollte es in einem Ofen (kānūn) entzündet werden,
der einen Schornstein nach außen hat, so dass die dem Feuer entweichenden Gase nach draußen geführt werden. Wenn
kein Ofen (kānūn) dieser Art – ein wuǧāq – vorhanden ist,
dann sollte die Kohle nicht ins Haus getragen werden, bevor sie rotglühend ist, und das Haus sollte eine Wandöffnung in Deckenhöhe haben, durch welche die schlechte Luft
entweichen kann. Offenes Feuer sollte nicht in Schlafzimmern entzündet werden, und wenn doch, so sollte vor dem
Schlafen gelüftet und das Feuer hinausgetragen werden.549
Auch dieser gutgemeinte Rat scheint nur begrenzt Gehör
gefunden zu haben. Anders als viele Häuser in den Bergen
hatten die Beiruter Häuser auch keine Wandöffnungen in
Deckenhöhe.550 Der Beiruter Architekt Assem Salam erinnerte sich in einem Interview, dass es immer wieder vorkam, dass Menschen in Beirut im Winter an Kohlenmonoxidvergiftung starben – und dies bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein.551 Erst um die 1940er Jahre fanden andere Arten von
Heizungen in Beiruter Haushalten Verbreitung, nämlich
häufig mit Holz, Holzkohle oder später auch Dieselöl
(mazūt) befeuerte Zimmeröfen mit Ofenrohr, wie sie damals beispielsweise im Qaṣr Heneiné, Qaṣr Ziadé und Qaṣr
Mukhayyesh installiert wurden, oder auch bewegliche Gasöfen, wie sie damals im Debbané-Haus in Sidon eingeführt wurden.
Damit hatten sich die Beiruter als erstaunlich widerstrebend
gegenüber heiztechnischen Innovationen erwiesen, die nachweislich schon viel früher vor Ort verfügbar gewesen wären: denn Ofenrohre, durch Fenster oder durch die Wand
nach außen geführt, sind schon auf Photographien der
1860er und 70er an den Außenwänden einiger Beiruter Häuser zu erkennen. Dabei handelte es sich in der Regel um
Häuser, die von Europäern bewohnt wurden. An der Ḥārat
Geday beispielsweise sind Ofenrohre zum Beginn der
1860er am Erdgeschoss zu sehen, wo das französische Kon299
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abb. 317
Bayt Majzoub: Das bei der Renovierung 2003 freigelegte
Mauerwerk der Südseite lässt Umbauten an den Fenstern erkennen, die bei (oder bald nach) der Aufstockung des Hauses
in den 1860ern ausgeführt wurden. Grau markiert sind die ursprünglichen Fensteröffnungen: drei große Fenster und zwei
Oberlichter.
Abb. 316
Die osmanische Kaserne von Beirut, der spätere „Grand
Sérail“, auf einer Postkarte von etwa 1900.
sulat untergebracht war, jedoch nicht am Obergeschoss, wo
der Hausherr Yūsuf Geday wohnte. Ebenfalls photographisch dokumentiert sind Ofenrohre am Haus von Henri
Sauvaire zu Anfang der 1860er (siehe Teil I, Abb. 18), am
Abb. 318
Qaṣr Mansour Aouad, erbaut um 1860. Im rechten Fassadenabschnitt ist das mittlere der ursprünglich drei Fenster des Seitensaals (hellgrau markiert) nachträglich zugesetzt worden.
Hotel Bellevue um 1870 und am Ḫān Anṭūn Bey, der Sitz
vieler Konsulate und ausländischer Geschäftsvertretungen,
der auf einem Photo von ca. 1870 wie „gespickt“ erscheint
von Ofenrohren, die über das Dach hinausragen, wohingegen sie bei den anderen Gebäuden im gleichen Photo völlig fehlen.552 Immerhin sind am Qaṣr Yūsuf Tabet in den
1870ern schon Ofenrohre zu erkennen, die beidseitig des
līwāns an der Außenwand zum Dach emporführen – ein
Hinweis darauf, dass die Verwendung von holz- oder holzkohlebefeuerten, geschlossenen Zimmeröfen zumindest unter manchen Angehörigen der Beiruter Oberschicht gewisse Akzeptanz zu finden begann.553 Die um die Jahrhundertwende errichtete Villa von Philippe Pharaon in Zokak
el-Blat soll das erste mit einer Zentralheizung ausgestattete Wohnhaus in Beirut gewesen sein – auch hier also wieder ein Angehöriger der reichsten Beiruter Familien.
Solche Heiztechnik war und blieb aber eine Ausnahme,
denn noch in den 1930ern waren baufest eingerichtete Heizanlagen auch bei Neubauten von gehobenem Status nicht
üblich.554 Trotz der Unannehmlichkeiten und Gefahren, die
mit dem Gebrauch der Kohlebecken einhergingen, blieben
sie erstaunlich lange in Gebrauch. Selbst dort, wo fest in-
300
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.1 Zur Einrichtung und Ausstattung der Häuser
Abb. 319
Qaṣr Jean Chakour Trad in
Furn el-Hayek aus den
1870ern, das Erdgeschoss ist
vermutlich etwas älter.
Rechts auf der Nordfassade
sind in beiden Geschossen
anhand von Verfärbungen jeweils drei zugesetzte Fenster
zu erkennen; nicht im Bild
die äußeren Fenster. Hier
wurde von vier auf zwei
Fensterachsen reduziert.
Abb. 320
Qaṣr Tuéni-Bustros, Westseite. Das mittlere der drei
Fenster des Seitensaals im
Obergeschoss ist ein Blendfenster.
stallierte Zimmeröfen schon vorhanden waren, wurden weiterhin bewegliche Heizapparate benutzt: Als schon längst
Zimmeröfen in den Mittelhallen des Qaṣr Ziadé standen,
gab es immer noch ein sogenanntes Winterzimmer (ohne
besondere Belüftung oder Rauchabzugsvorrichtung, sondern im Gegenteil möglichst abgeschlossen nach außen),
in dem man in der kalten Jahreszeit um ein Kohlebecken
oder einen beweglichen Gasofen saß. Bei der Frage nach
der Heizpraxis waren offenbar selbst in finanzkräftigen
Haushalten weniger die technischen Möglichkeiten maßgeblich als die soziale Praxis.
1.7 Wechselwirkungen zwischen Möblierung und
Bauweise
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass das Beiruter Mittelhallenhaus sich zunächst unabhängig von einer
Möblierung europäischer Art entwickelte und dann im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend mit
Einrichtungsgegenständen europäischen Stils ausgestattet
wurde. Die angestrebte Ästhetik war dabei in zunehmendem Grade an europäisch-bürgerlichen Vorbildern orientiert, deren Feinheiten und modebedingten Variationen zumindest manchen Angehörigen der oberen Schichten auch
aus eigener Anschauung bekannt waren. Es waren weniger
Unwissenheit oder „schlechtes Kopieren“ der Vorbilder,
sondern eher die Art der Produktion eines sozialen Konsenses darüber, wie man zu wohnen hatte, sowie – ganz eng
damit zusammenhängend – die vom europäischen Ursprungskontext verschiedenen räumlichen und sozialen Bedürfnisse, die dabei zu einer „eigenartigen“ Verwendungsund Aufstellungsweise der Einrichtungsstücke und somit
einer lokalspezifischen Anverwandlung dieser Art der Einrichtung führte. Die importierten Elemente wurden integraler Teil der Beiruter Interieurs und Wohnwelten.
Es war unvermeidlich, dass die sich verändernde Möblierungsweise im Laufe der Zeit auch in Wechselwirkung mit
der Bauweise der Häuser trat. Auch wenn man vorsichtig
sein muss, unmittelbare kausale Zusammenhänge zu postulieren, wo vielleicht nur Koinzidenzen des geschmacklichen Wandels am Werke waren (wie das Beispiel der
durchgehenden Fußböden des Geday-Hauses zeigt), so
liegt es doch nahe, bestimmte Zusammenhänge zu vermuten, ohne dass die Quellen uns gestatten würden, diese klar
zu belegen.
Eine Veränderung der Bauweise der Häuser, die sich etwa
um die 1870er beobachten lässt, ist die Abnahme der Zahl
der Außenfenster bzw. Fensterachsen einer Fassade bei
gleichzeitiger Zunahme ihrer Abstände. Jener Muqtaṭaf-Artikel von 1882, der den Empfangsraum eines Einheimischen
mit dem eines Europäers vergleicht, erwähnt, dass der Empfangsraum des Beiruters viele Fenster und eine hohe De301
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
cke besaß – beides Eigenschaften, die auch vom diesem
kritischen Autor des Artikels offensichtlich noch als Statussymbole verstanden wurden. Boyer bemerkt in seinem 15
Jahre später publizierten Bericht, dass die Anzahl der nach
außen gehenden Fenster der Räume „gegenwärtig beschränkt, früher jedoch sehr übertrieben“ gewesen sei.
„Nicht selten zählte man 12 oder 14 Fenster in einem Raum
von fünf Metern Breite und sieben Metern Länge.“555 In
den im zweiten Teil dieser Arbeit vorgestellten Hausbeispielen ist diese Abnahme der Fensterzahl augenfällig nachzuvollziehen – insbesondere bei den noch in den 1860ern
reich befensterten Seitensälen, aber auch bei anderen Räumen wie dem līwān, wo die Fensterzahl von drei auf zwei
rückseitige Fenster abnahm.
Sicherlich spielt hier eine geschmackliche Entwicklung
eine Rolle, denn auch bei der osmanischen Infanteriekaserne von Beirut – dem heutigen Grand Sérail – haben die
aufgestockten Geschosse aus den 1880ern weniger und in
größeren Abständen gesetzte Fenster als die beiden unteren Geschosse aus den 1850ern (Abb. 316). Dennoch sind
gerade bei Wohnhäusern die Vorteile, die eine geringere
Zahl von Fenstern und damit eine größere Wandfläche
zwischen den Fenstern für die neue Art der Möblierung
hatten, unübersehbar: Im Gegensatz zu früher stand mehr
Wandfläche für die großen Spiegel, verschiedene Arten
von Schränken sowie das Aufhängen von Bildern zur Verfügung. Dieser Trend war so stark, dass nicht nur Neubauten dementsprechend gebaut wurden, sondern sogar
bei manchen älteren Häusern der 1850er und 1860er Fensterachsen verändert und vorhandene Fenster zugesetzt
wurden – häufig das mittlere von dreien (Abb. 317–319).
Die Reihen eng gesetzter Fenster, Ausdruck eines osmanischen, eher nach Istanbul orientierten Architekturgeschmacks, wurden abgelöst durch in größeren Abständen
gesetzte und oft mit aufwendigeren Rahmen und Verdachungen versehene Fenster, ihrerseits Ausdruck eines mehr
europäischen Architekturgeschmacks klassizistischer Prägung. In Umkehrung zu Sehnaouis These der zunehmenden Extrovertiertheit der Häuser durch mehr Fenster als
Ausdruck der Europäisierung führte demnach gerade die
zunehmende „Europäisierung“ hinsichtlich Fassadengestaltung und Inneneinrichtung zu einer Reduzierung der
Fensterachsen und einer stärkeren baulichen Abgeschlossenheit nach außen.
Als ein interessanter Fall einer hybriden Übergangsform in
dieser Entwicklung kann der Qaṣr Tuéni aus den frühen
1870ern angesprochen werden, dessen westlicher Seitensaal des Obergeschosses in der westlichen Außenwand zwei
Fenster und einen mittig dazwischen positionierten (später
entfernten) Kamin aufweist, wohingegen sich im entsprechenden Abschnitt der Außenfassade drei klassizistisch gerahmte Fenster befinden, von denen das mittlere – weil es
auf der Rückseite des Kamins liegt – als Blendfenster ausgebildet ist (Abb. 320). Hier wurde also der Vorteil einer
geschlossenen Wand für die Ausstattung des Innenraums
mit einer optisch regelmäßigen Reihe relativ eng gesetzter
Fenster in der Außenfassade kombiniert, die ihrerseits den
älteren Geschmack für die Fensterreihung mit dem neuen
Geschmack für klassizistische Fensterrahmungen vereint.
Dies kann als Hinweis darauf verstanden werden, wie ein
sich wandelnder Geschmack in der Fassadengestaltung mit
einem einrichtungsbedingt gewachsenen Bedarf nach Wandflächen im Innenraum bei dieser Entwicklung zusammenwirkten.
Parallel zu der abnehmenden Zahl der Fenster in den Außenwänden verschwanden von den Innenwänden auch die
fenstergroßen Wandnischen, die bis dahin in der gering
tiefen Ausführung, wie sie die 30 Zentimeter starken Wände gestatteten, in den älteren Mittelhallenhäusern noch zu
finden waren (wir erinnern uns an den Wandschrank in
Bayt Majzoub, Kap. 3.9). Desgleichen verschwanden die
ebenfalls in manchen älteren Häusern anzutreffenden Innenfenster zwischen den Zimmern und der Mittelhalle.556
Auch dieser Prozess kann zumindest zum Teil mit der neuen Art der Einrichtung erklärt werden. Regal- und Schrankmöbel ersetzten die Nischen, was die lange Geschichte
der traditionellen Wandnischen und Wandschränke in Beiruter Häusern beendete und freie Wandflächen für neuen
Raumdekor schuf. Das Verschwinden der Innenfenster –
ausgenommen jener zwischen līwān und Mittelhalle – hatte allerdings weitere Implikationen für das häusliche Leben. Der Verzicht auf diese häufig mit Holzläden verschließbaren Öffnungen kam um den Preis verringerter
Querlüftungs- und Kühlungsmöglichkeiten bei Sommerhitze. Er hatte jedoch andererseits den zusätzlichen Vorteil,
dass die Zimmer nunmehr stärker zur Mittelhalle hin abgeschirmt waren. Hier mag also auch ein verändertes Bedürfnis nach Privatheit eine Rolle gespielt haben, ein
Aspekt, auf den im folgenden Kapitel eingegangen wird.
Schließlich mögen auch ästhetische Präferenzen beigetragen haben: Möglichst vollkommene Regelmäßigkeit
und Symmetrie war ja eine der maßgeblichen Anforderungen an die bauliche Gestaltung der Mittelhalle, und
dieses Ziel ließ sich mit Türen allein, ohne zusätzliche
Fenster, sehr viel besser erreichen. Diese Innenfassaden,
deren Gleichförmigkeit nicht verrät, was sich hinter den
302
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.2 Die funktionale Differenzierung der Räume
einzelnen Türen befindet, stehen wie Kulissen zwischen
der Mittelhalle und den Zimmern und schützen dadurch
ihrerseits die Privatsphäre des Hauses vor dem Blick des
Besuchers.
Ebenfalls in jenem Zeitraum um die 1870er scheinen auch
bestimmte Fußbodenarten außer Gebrauch gekommen sein,
die noch in den 1860ern bei Häusern selbst von gehobenen
Status in solchen Zimmern üblich waren, die nicht für Empfangszwecke vorgesehen waren: Es sind dies die mit dichtgesetzten Kieselsteinen belegten ḥaǧariyye-Böden, wie sie
Boyer noch in den 1890ern als Bodenbelag in ärmeren Häusern vorfand, und die ebenfalls mit kleinen Kieselsteinen
durchsetzten, aber eher stampflehmartigen Böden, wie sie
Blondel in den 1830ern beschrieben hatte, und wie sie beispielsweise in einigen Räumen des aus den 1860ern stammenden Obergeschosses des Majzoub-Hauses vor seiner
rezenten Renovierung noch erhalten waren (siehe Teil II,
Kap. 3.9).557 Solche Böden mögen mit der zunehmenden
Verbreitung der Terrakottafliesen, wie sie in größeren Häusern ab den 1870ern üblich wurden (vgl. Qaṣr Ziadé, Qaṣr
Tuéni-Bustros), als nicht mehr standesgemäß gegolten haben, und waren in den 1890ern – laut Boyer, der sie unhygienisch, weil schwer zu reinigen fand – nur noch in den
Häusern der Armen zu finden. Sicherlich waren sie aber
auch für eine Möblierung mit Stühlen, Tischen, Betten etc.
nicht gut geeignet, da die Füße solcher Möbel die Bodenoberfläche leicht beschädigen konnten.
Die Einführung von Möbeln und Einrichtungsstücken europäischer Art begann demnach in der mittleren zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, sichtbare Auswirkungen auf
die Bauweise der Beiruter Mittelhallenhäuser zu haben,
wobei allerdings immer auch andere Faktoren zu diesen
Veränderungen beitrugen. Es waren jedoch nicht nur rein
bauliche Veränderungen, die sich mit diesen Möbeln in
Verbindung bringen lassen, sondern auch räumlich-strukturelle. Die neuartige Möblierung war eng mit der funktionalen Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Räume verknüpft, ja erforderte und festigte diese. Das heißt
aber nicht, dass Spezialisierungsprozesse nicht auch schon
vor der Einführung solcher Möbel einsetzen konnten: die
am Anfang dieses Kapitels erwähnten Fälle von separaten Schlafräumen oder dem Schlafen vorbehaltenen Emporen indizieren, dass solche Absonderungen in Häusern
privilegierter Schichten schon vorher möglich waren und
nachweisbar sind. Aber die weitere Ausformung eines umfangreicheren und differenzierteren Raumprogramms, wie
es im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Verbreitung findet, ist nicht von den neuen Möblierungsformen zu tren-
nen. Diese Spezialisierung von Räumen gestattete es
schließlich auch, dass die zuvor gewissermaßen „gleichrangig“ um die Mittelhalle herum angeordneten Räume
eine immer stärker funktionsspezifisch ausgeprägte Position im Raum- und Erschließungssystem erhalten konnten: In seiner durch den Esstisch festgeschriebenen Funktion als Esszimmer konnte einem Raum eine besondere
Erschließung und Nähe zur Küche gegeben werden, und
in seiner durch Betten festgeschriebenen Funktion als
Schlafzimmer konnte ein Raum durch einen zwischengeschalteten Korridor von der Mittelhalle abgerückt werden. Wie in den folgenden Kapiteln zu zeigen sein wird,
entwickelte dieses Raumprogramm – auch wenn es ostentativ europäischer Nomenklatur in der Raumbenennung
folgte – seine ganz eigenen räumlich-funktionalen Charakteristika, genauso, wie die „europäische“ Möblierung
in Beiruter Häusern ihre Eigenheiten entwickelte.
2 Die funktionale Differenzierung der Räume
2.1 Hausgröße und Differenzierungsgrad
In ihrem Vortrag zur Einrichtung von Wohnhäusern von
1885 stellte Rūǧīnā Šukrī grundsätzlich fest, dass das Haus
„in der Regel über zahlreiche Zimmer [verfügt], jedes mit
seiner besonderen Möblierung, und es hat gewiss eine dār,
auf die seine Türen gehen“.558 Sehr deutlich wird hier die
funktionale Ausdifferenzierung der Räume, die man inzwischen in einem Haus der oberen Mittelschicht und der
Oberschicht erwartete, und der enge Zusammenhang dieser Ausdifferenzierung mit der besonderen Möblierung der
einzelnen Räume. Ebenso deutlich wird hier – wie auch in
zahlreichen anderen Artikeln des Muqtaṭaf – eine sich sehr
selbstverständlich gebende Erwartungshaltung, nach welcher Angehörige dieser Schichten in einem Mittelhallenhaus, und zwar eines mit „zahlreichen Zimmern“, zu wohnen hatten.
Bei diesem Eindruck ist jedoch Vorsicht anzumelden: Für
große Teile der Beiruter Mittelschichten, insbesondere die
wirtschaftlich schwächeren, war ein Haus von der hier implizierten Größe damals – Mitte der 1880er – noch eher
Wunschtraum als Wohnwirklichkeit. Es ist hilfreich, Šukrīs
Darstellung mit einer zeitgenössischen Beschreibung der
Wohnverhältnisse dieser Teile der Mittelschicht zu vergleichen. Ǧurǧī Zaydān beschreibt in seiner Autobiographie, wie seine Familie von seiner Geburt im Jahr 1860 bis
zu seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr im Jahr 1882
303
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
in sechzehn (!) verschiedenen Häusern zur Miete wohnte:
„The tenant carries his house on the back.“ Unter den aufgelisteten Häusern war sein Geburtshaus – das Erdgeschoss
eines zweigeschossigen Hauses – mit seinen drei Zimmern
und einer dār fast noch das größte:
…most of them consisted of two rooms: one bedroom, a salon to receive people, and a hall to sit and to eat in. Some houses had three rooms. There was no urgent need for many rooms
since people did not use any beds. In the same room one could
receive guests in the daytime and sleep at night. When getting up one would fold the bed rolls and pile them one on top
of the other on a chest on the ground, which was used for utensils. One would arrange the bedding on top of it and fit in front
of it a curtain. This place was called a niche, al-yūk. Thus, the
bedding was not visible to anybody. There was usually a beautifully arranged and very clean place to sit in the room. […]
The dwelling of a family, consisting of a man, a woman and
several children, had two rooms. This would indicate average circumstances – not poverty. This family might even
live in one room; yet they would not appear to live in misery and ignominy. Because whenever you would enter that
room you would find it clean. 559
Ǧurǧī Zaydān schrieb diese Erinnerungen an seine alte Heimat Beirut zwischen 1908 und 1912 in seiner neuen Heimat Kairo für seinen Sohn Emile nieder, und offenkundig
war damals vieles von dem, was er beschrieb, schon erklärungsbedürftig – eine vergangene Welt. Nicht nur für
die Zaydāns als sozial arrivierte Familie, sondern allgemeiner für zur Mittelschicht zählende Familien scheint es
inzwischen nicht mehr „normal“ gewesen zu sein, in einem Haus mit zwei Räumen zu wohnen, in ein und demselben Raum tagsüber Gäste zu empfangen und nachts zu
schlafen, oder in dem gleichen Raum zu kochen und zu bewirten. Innerhalb einer Generation hatte sich in Beirut ein
Prozess des sozialen Wandels vollzogen, der eigentlich aus
zwei Prozessen bestand: Einerseits gab es einen qualitativen Prozess, bei dem sich der Bedarf an Räumen vergrößerte, bei dem zuvor in einem Raum stattfindende Tätigkeiten auf verschiedene Räume verteilt wurden, und bei
dem sich die Grenzen zwischen verschiedenen Graden der
Privatheit in der häuslichen Sphäre schärfer räumlich ausprägten, indem die Möglichkeit eines räumlich separierten Nebeneinanders von Aktivitäten die Notwendigkeit eines zeitlichen Nacheinanders ablöste. Andererseits gab es
einen quantitativen Prozess, insofern als einer der Hauptzüge dieses Wandels war, dass – absolut und relativ zur
Gesamtbevölkerung – allein die Zahl von Familien, die unter diesen neuen räumlichen Bedingungen wohnen konn-
ten, im Vergleich zu den 1860ern oder 1870ern exponentiell zugenommen hatte. Deutliche Kunde vom zahlenmäßigen Anschwellen der Mittelschicht und der Verbreitung
dieser Wohnform als allgemeingültigem Leitbild bürgerlichen Wohnens geben die große Zahl der in den letzten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Beirut errichteten Mittelhallenhäuser aller Größenkategorien, sowie die ab Ende
des 19. Jahrhunderts in Beirut auftretenden und im frühen
20. Jahrhundert an Zahl zunehmenden Apartmenthäuser,
deren Wohnungen üblicherweise mit dār, līwān, drei Zimmern, Küche, kleinem Bad und Toilette ausgestattet waren, und in zwei oder drei Etagen übereinander und in zwei,
manchmal drei Blöcken mit gemeinsamem Treppenhaus
nebeneinander gesetzt waren.560 Aber auch im frühen 20.
Jahrhundert fing mittelständisches Wohnen für viele aufstrebende Familien noch klein an, nun jedoch mit dem Mittelhallenhaus fest im Blick: Darauf weisen die Ein-RaumHäuser hin, die als erste, schon bewohnbare Baustufe eines
geplanten und schrittweise auszubauenden Mittelhallenhauses in neuentstehenden Stadtvierteln wie Zarif und Sanayeh errichtet wurden (Abb. 321).
Zaydāns Beschreibung gewährt für die Zeit der 1860er bis
1880er einen fast einmaligen Einblick in das Leben, die
Denkweise und die Wohnweise von Beiruter Familien, die
(sich) zur Mittelschicht – „mutawassiṭū l-ḥāl“ – zählten
und deren Lebensweise sich dennoch von der jener bessergestellten Familien unterschied, die al-Muqtaṭaf als seine Zielgruppe ansprach und ebenfalls als Mittelschicht
bezeichnete. Die sozioökonomischen Unterschiede zwischen denen, die sich selbst zu dieser Schicht zählten,
konnten beträchtlich sein, aber die Übergänge waren aufgrund der starken sozialen Mobilität fließend und wurden
auch so wahrgenommen: Ǧurǧī Zaydān selbst abonnierte
schon als Sechzehnjähriger den Muqtaṭaf, von seinem eigenen kleinen Einkommen als Angestellter und Buchhalter im Restaurant seines Vaters am Sāḥat al-Burǧ (dem
heutigen Märtyrerplatz), und er gab damit auch vor seinen Freunden und Bekannten an.561 So erschwinglich das
Abonnement also offenbar war, so wichtig war seine Bedeutung als kulturelles Kapital, als Mittel der sozialen Distinktion, und als Ausdruck einer Aspiration nach Bildung,
sozialem Aufstieg und einem besseren Leben auch in der
unteren Mittelschicht.
Die Wohnwirklichkeit dieser sozialen Schicht unterschied
sich allerdings Zaydāns Angaben zufolge von den Wohnformen, die im Muqtaṭaf anvisiert und propagiert wurden:
Anstelle von zahlreichen Zimmern um eine dār, wie sie
Šukrī als Standard vorschwebten, finden wir ein bis höchs-
304
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.2 Die funktionale Differenzierung der Räume
tens drei Zimmer, mitunter in Kombination mit einer dār.
In dieser Konstellation waren die Möglichkeiten einer funktionalen Ausdifferenzierung der Räume kaum gegeben, oder
jedenfalls sehr beschränkt.
Sobald mindestens zwei Zimmer mit einer dār zur Verfügung standen, lassen sich immerhin bestimmte Tendenzen
der Spezialisierung feststellen: es gab ein Schlafzimmer,
ein Empfangszimmer, und die dār, die unter solchen Umständen der Familie als Raum zum Sitzen und Essen diente (erinnern wir uns auch, dass Zaydāns schon in den
1870ern einen Esstisch hatten!). Falls es keine besondere
Küche gab, fand in einem dieser Räume auch das Kochen
statt – und wie bei Zaydān durchklingt, mag dies unter Umständen vor den Augen des Besuchers gewesen sein.
In seinen Grundzügen lässt sich dieses Minimal-Raumprogramm zumindest insofern mit Šukrīs Anforderungen in
Einklang bringen, als die dār mit einem Esstisch (mā’ida)
und bequemen Sitzgelegenheiten ausgestattet sein sollte,
es ein besonders ausgestattetes Empfangszimmer geben
sollte, und im Schlafzimmer je nach Umständen auch mehrere Betten stehen konnten. Mehr als diese drei Raumarten
beschreibt auch Šukrī nicht, als sie auf Ausstattung der
„zahlreichen Räume“ im Einzelnen eingeht. Selbst eine Küche erwähnt sie nicht ausdrücklich. Aber das lässt sich auch
darauf zurückführen, dass der Wirtschaftsbereich der Häuser ganz allgemein aus solchen Einrichtungsempfehlungen
ausgeklammert wurde.562
Bei genauerer Betrachtung ergibt sich daher, dass Šukrīs
Grundanforderungen hinsichtlich der Art der Räume, die
in einem Wohnhaus der Mittelschicht zu finden sein sollten, zu jener Zeit auch für Teile der unteren Mittelschicht
nicht gänzlich fremd oder wirklichkeitsfern waren. Die Unterschiede bestanden vielmehr in der Zahl der (nominellen)
Schlafzimmer, im Grade, in dem Räume multifunktional
waren, und in der Ausstattung der verschiedenen Räume.
Diese Ausstattung ist bei Šukrī – und allgemein in den diesbezüglichen Artikel des Muqtaṭaf – sehr viel stärker durch
europäische Möblierung charakterisiert als dies in den Häusern der Fall war, die Zaydān beschreibt. Die von Zaydān
beschriebene Verwendung von verstaubaren Matten und
Matratzen bezeugt deutlich das längere Fortbestehen traditioneller Wohnpraktiken in diesen Teilen der Mittelschicht,
selbst wenn sie schon mit der Verwendung von Stühlen und
Tischen einhergingen.
Die offenbar als Ideal angestrebte und sich in der Praxis abzeichnende funktionale Differenzierung wurde also dadurch
wieder aufgeweicht, dass letztlich alle Räume unabhängig
von ihrer „nominellen“ Tagesnutzung nachts zum Schlafen
Abb. 321
Mittelständisches Wohnen als Projekt: Ein-Raum-Häuser im
neuentstehenden Sanayeh-Viertel in der Zeit um den Ersten
Weltkrieg. Die Befensterung und die Wartesteine an den Seitenwänden weisen viele dieser Bauten als (noch) allein stehende līwān-Räume geplanter oder im Bau befindlicher Mittelhallenhäuser aus. Im Hintergrund die 1905-7 errichtete Industrie-, Handels- und Handwerkschule (Maktab al-Ṣanāʿiʼ wa-tTiǧārāt al-Ḥamīdī, kurz Sanayeh-Schule) mit dazugehörigem
Krankenhaus und öffentlichem Park, die dem neuen Quartier
seinen Namen gaben.
genutzt werden konnten und wegen der Größe der Haushalte oft auch mussten. Der Haushalt Zaydān beispielsweise
bestand aus sieben oder acht Familienangehörigen (Vater,
Mutter und Kinder), zeitweise erweitert um einen jungen
Angestellten aus dem Restaurant des Vaters, der – weil er
aus den Bergen stammte – als Bettgänger mit im Hause lebte.563 An bestimmten Stellen in Zaydāns Autobiographie
wird deutlich, dass die Eltern in einem anderen Raum als
Ǧurǧī schliefen; es scheint also selbst unter solch beschränkten Platzverhältnissen das Bestreben gegeben zu
haben, Eltern und Kinder in getrennten Räumen schlafen
zu lassen, selbst wenn die Räume tagsüber anderen Zwecken gedient haben mochten. Wie viele seiner sechs oder
sieben Geschwister mit Ǧurǧī in einem Zimmer geschlafen haben, erfahren wir nicht. Die Zahl dieser Zimmergenossen mag mit dem Alter der Geschwister und natürlich
in Abhängigkeit der räumlichen Bedingungen des jeweils
gemieteten Hauses geschwankt haben, und die Matratzen
sorgten zusätzlich für eine Flexibilität der Schlafplätze innerhalb des Hauses. Dass Ǧurǧī oft bis spät in die Nacht
oder ganze Nächte durch in seinem Bett bei Kerzenschein
305
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
studierte, schien seine Zimmergenossen auch nicht gestört
zu haben. Das geschwisterliche Teilen der Schlafzimmer
war selbstverständlich (und ist es heute noch in vielen Mittelschichtfamilien in Beirut), und die Toleranz gegenüber
Störungen notgedrungen groß.
Festzuhalten ist, dass Bestrebungen nach räumlicher Trennung von verschiedenen Wohnaktivitäten und Untergruppen des Haushalts auch in kleinen Häusern schon in den
1860ern und 1870ern zu beobachten sind, wobei diese Trennung jedoch aus Raummangel nicht durch eine feste räumliche Verteilung realisiert werden konnte, sondern vielmehr
durch routinisierte, zeitabhängige Umnutzungen derselben
Räume im Tagesablauf. Als Bühnen des familiären und sozialen Lebens betrachtet, erforderten kleine Häuser – und
ganz besonders ihr Zentrum, die dār – im Laufe eines Tages wiederholt „Umbauten“ und Umdeutungen des Bühnenraums und seiner Requisiten. Je größer ein Haus dagegen war, desto spezifischer, dauerhafter und ausgefeilter
konnten die Bühnenbauten sein.
Mit Blick auf die allgemeineren Grundzüge der Nutzungsstrukturen in Mittelhallenhäusern sind zwei Übereinstimmungen zwischen den von Zaydān beschriebenen
Wohnverhältnissen und dem normativen (Mindest-) Raumprogramm bei Šukrī besonders interessant: Erstens wurde
selbst unter beschränkten räumlichen Bedingungen die dār
niemals zu den Zimmern gezählt, sondern konzeptionell
immer wie etwas Separates behandelt, das keine spezifische oder benennbare Funktion annahm. Zweitens diente
die dār jedoch unter beschränkten Bedingungen nicht nur
als Vorraum, Verteiler oder „Drehscheibe“ zwischen den
eigentlichen Zimmern, sondern auch als Wohn- und Esszimmer. Am Esstisch wurden im Falle der Zaydāns auch
Freunde empfangen. Dagegen war in großen Häusern wie
dem Yūsuf Gedays eine solche Nutzung der Mittelhalle als
Esszimmer scheinbar nicht üblich, immerhin scheint es
aber noch eine kombinierte Wohn- und Empfangsnutzung
gegeben zu haben. (Mentaberry nennt zwar eine Tür am
Ende der Halle, der dahinterliegende līwān bleibt uns jedoch verschlossen.)
Als eine ganz allgemein zu beobachtende Tendenz könnte
man formulieren: Je größer das Haus und die Zahl der Zimmer, desto weniger Funktionen musste die Mittelhalle erfüllen und desto mehr spezifische Wohnaktivitäten konnten in den umliegenden Zimmern verortet werden. Und: Je
größer das Haus, desto weniger war das räumliche Zentrum
– die Mittelhalle – auch ein soziales Zentrum. Während in
kleineren Häusern die Mittelhalle unverzichtbarer Aufenthaltsraum war, war in größeren Häusern das eigentliche Fa-
milienwohnzimmer häufig der līwān, als Esszimmer (als
spätere und fakultative Ergänzung) diente oft ein seitlich
der Halle liegender Raum, und das gleiche gilt für alle weiteren Spezialisierungen, die sich im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausprägten. Zentrifugale Tendenzen – von der Mittelhalle als räumlichem Zentrum her gesehen – können daher als ein Phänomen identifiziert werden,
das die räumliche Verteilung der Nutzungen schon sehr früh
prägte. Die zunehmende funktionale „Entleerung“ der Mittelhalle war ein zwangsläufiges Resultat der räumlichen
Ausdifferenzierung der Nutzungen und der sich entwickelnden besonderen Anforderungen an die jeweiligen Räume und ihre Ausstattung.
2.2 Grundlegende Entwicklungen in der
Raumstruktur
In schematischer Form können – mit Blick auf die im zweiten Teil der Arbeit vorgestellten Hausgrundrisse – die Entwicklungslinien der räumlich-funktionalen Struktur der Mittelhallenhäuser wie folgt umrissen werden:
Ein prägendes und von Anfang an wirksames Bedürfnis war
es, einen im Hause befindlichen, aber vom häuslich-familiären Kreis abgesonderten Raum für familienfremde Besucher zu haben. Selbst unter den beengten Wohnverhältnissen, die Zaydān beschreibt, wurde nach Möglichkeit großer Wert auf ein besonderes, von der dār separates Empfangszimmer gelegt. Fast ebenso wichtig war es, das Kochen, Wäschewaschen und ähnliche, mit Wasser, Feuer, Hitze, Dämpfen und Lärm einhergehende Aktivitäten so gut
wie möglich vom eigentlichen Wohnbereich fernzuhalten.
Beides, der gesonderte Gästebereich wie der gesonderte
Küchenbereich waren Elemente, die es schon früher in großen städtischen Hofhäusern mit ihren verschiedenen Höfen oder in der Beiruter Form als Trennung von Familienwohnhaus und benachbartem manzūl-Haus gegeben hatte,
bzw. die bei kleinen ländlichen Häusern oft außerhalb des
Hauses lokalisiert waren. Mit der Einführung der Mittelhallenhäuser wurden sie in das Haus – ja sogar in jedes einzelne Geschoss – integriert, und dies erforderte neue räumliche und soziale Mechanismen der Trennung.
Die Küche erhielt – zusammen mit den Bädern, Toiletten,
Wirtschaftsräumen und Bedienstetenkammern – einen gesonderten, üblicherweise als Gewölbe ausgeführten Bereich
an einer der rückwärtigen Ecken des Hauses, und wurde
mit einem separaten, den Wohnbereich nicht störenden Zugang versehen. Der Küchenbereich lag häufig in der Südostecke, oft sogar als eigener Flügel aus dem Baukörper he-
306
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.2 Die funktionale Differenzierung der Räume
rausgezogen, was allgemein damit begründet wird, dass so
die vorherrschenden südwestlichen Winde die Gerüche aus
der Küche und den Toiletten nicht in das Haus trugen.
Als manzūl diente in der Regel einer der beiden großen Seitensäle an der Vorderseite des Hauses, wobei es im Falle einer frontalen Erschließung des Geschosses relativ gleichgültig war, auf welcher Seite der Mittelhalle der manzūl lag,
wohingegen im Falle der seitlichen Erschließung vorzugsweise der auf der Eingangsseite des Geschosses liegende Seitensaal gewählt wurde. Auf diese Weise konnte der Empfangsraum einen separaten Zugang vom Eingangsbereich her
und einen zweiten Zugang von der Mittelhalle her haben.
Küchenbereich und manzūl waren somit in den Eck- oder
Randbereichen eines Geschosses lokalisiert und jeweils
mit eigenen Zugängen versehen. Interessanterweise lag dabei der manzūl in größerer räumlicher Nähe zum häuslichfamiliären Bereich als die Küche, was zunächst bedeutet,
dass die störenden Aktivitäten des Wirtschaftsbereichs stärker auf Distanz gebracht wurden als der Empfang familienfremder Gäste. Weitergehend kann dies aus einer sozialen Perspektive so gedeutet werden, dass das Dienstpersonal für einen guten Teil seiner täglichen Aktivitäten allein durch die bauliche Struktur auf räumlich größerer Distanz vom Wohnbereich gehalten wurde, als dies für familienfremde Gäste der Fall war. Letztere konnten dagegen
durch ein flexibleres und letztlich permeableres „Schleusensystem“ von Türen – und dadurch durch Handeln im
Raum – mehr oder weniger stark mit dem häuslich-familiären Bereich in Kontakt gebracht werden konnten. Ob
und wie diese Integration und Segregation von Dienstpersonal und Besuchern in Bezug auf den häuslich-familiären Bereich tatsächlich im Handeln der Bewohner verstärkt
oder konterkariert wurden, ist eine Frage, der in den nächsten Kapiteln nachgegangen werden soll. Hier muss zunächst festgehalten werden, dass das beschriebene Muster
in der Anordnung und Erschließung von Küchenbereich
und manzūl sich grundsätzlich schon an den frühesten bekannten Mittelhallenhäusern in Beirut beobachten lässt,
und damit als eines der von vorneherein prägenden und
über lange Zeit stabil bleibenden Strukturelemente dieser
Häuser gelten kann.
Innerhalb des so von Störfaktoren freigehaltenen häuslichfamiliären Bereichs lassen sich weitere Absonderungsphänomene beobachten, von denen einige – den Hausbeispielen nach zu urteilen – schon sehr früh wirksam waren, andere jedoch erst später einsetzten. Unter den Wohnaktivitäten des häuslich-familiären Bereichs war das Schlafen
scheinbar von Anfang an von der Mittelhalle getrennt und
in umliegenden Räumen verortet. Ähnlich wie der Hof eines Hofhauses war die Mittelhalle als zentraler Durchgangsraum als Schlafstätte nur sehr bedingt geeignet. (Ausnahmen könnten improvisierte Schlafplätze für einzelne
Bedienstete gewesen sein, aber darüber erfahren wir in den
Quellen nichts.) Interessant ist, dass auch das Wohnen, genauer: das Zusammensitzen der Familie und Freunde, offenbar schon sehr früh von der Mittelhalle abgesondert war.
Diese Funktion übernahm häufig der līwān, der in seiner
Form und Funktion zum Teil als eine Fortführung aus älteren lokalen Haustypen, zum Teil als Übernahme des eyvans
der Istanbuler Sofa-Häuser verstanden werden kann, und
der schon bei den frühesten bekannten Beispielen mit seinen charakteristisch bleibenden Grundzügen nachweisbar ist
(nämlich einer Tür und flankierenden Fenster oder alternativ einer Dreibogenstellung zur Mittelhalle, meist als Risalit auf der Rückseite des Hauses vorspringend und daher
mit rückwärtigen und seitlichen Fenstern versehen). Dabei
ist allerdings festzustellen, dass vereinzelte frühe Beispiele von Mittelhallenhäusern (so etwa der herrschaftliche Qaṣr
ʿAbdallāh Beyhum, aber auch der kleinere Bayt Haddad in
der Rue Spears) keinen līwān in der rückwärtigen Verlängerung der Mittelhalle hatten, sondern stattdessen zwei voneinander unabhängige Räume. Der Beiruter Mittelhallengrundriss war unter diesem Aspekt noch in den 1860ern
nicht standardisiert, und in solchen Fällen war die Lokalisierung der Wohnzimmerfunktion notwendigerweise individueller. Auch die sehr früh zu beobachtende Unterteilung
der Mittelhalle durch offene Dreibogenstellungen, insbesondere die Schaffung einer Loggia-ähnlichen Vorderhalle (dīwān-ḫāne) in Fällen, wo die Mittelhalle nicht frontal
von vorne, sondern seitlich erschlossen ist, kann im Sinne
dieser Tendenz zur Ausbildung besonderer, vom Durchgangsverkehr der Mittelhalle abgesonderter Sitzbereiche
verstanden werden.564 Insgesamt lässt sich also feststellen,
dass in dem Grade, in dem die Größe des Hauses es zuließ,
der bequemere längere Aufenthalt und die familiäre Geselligkeit in gesonderten Bereichen am Ende der Halle oder
in einem eigens dafür vorgesehenen Raum verortet wurde,
wobei dieser Raum jedoch meist über Innenfenster stärker
mit der Mittelhalle kommunizierte als die übrigen Räume.
Schon von der Frühzeit an waren die Beiruter Mittelhallenhäuser demnach in ihrer Raumnutzungsstruktur durch
mehrere Absonderungsbedürfnisse geprägt: Die räumliche
Trennung des Empfangsraums und des Küchenbereichs
vom häuslich-familiären Bereich, sowie innerhalb des familiären Bereichs die räumliche Absonderung des Schlafens und – in geringerem Grade – der familiären Gesellig307
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
keit von der Mittelhalle. Keines dieser Absonderungsbedürfnisse war neu; sie lassen sich auch an älteren Haustypen wie dem der städtischen Hofhäuser der Region oder
den U-förmigen ländlichen Wohnhäusern des Beiruter Umlands ausmachen, wo sie in vergleichbarer Weise um den
Hof (anstelle der Mittelhalle) herum realisiert wurden. Mit
der Einführung des Mittelhallenmodells als modische
Wohnform osmanischer Eliten wurden diese Bedürfnisse
in die neue Bauform eingebettet und bestimmten die weitere
lokale Entwicklung dieser Bauform grundlegend.
2.3 Weiterführende Entwicklungen
Vor dem Hintergrund dieses schon früh in der Raum- und
Nutzungsstruktur relativ fixierten Grundmusters betrafen
die Entwicklungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
vor allem den häuslich-familiären Bereich. Hier veränderten sich die Alltagspraktiken: Gegessen wurde bald zunehmend am Esstisch, für Geschäfts- und Privatkorrespondenz
gab es bald Schreibtische, geschlafen wurde in festen Betten. Diese und ähnliche Neuerungen erforderten und förderten die zunehmende räumliche Entmischung einzelner
Funktionen voneinander und ihre Absonderung von der Mittelhalle. Dies verlangte eine größere Zahl von Räumen, oder
es ging auf Kosten der Schlafzimmer. Sobald diese Aufteilung unterschiedlicher Aktivitäten auf verschiedene Räume um die Mittelhalle herum grundsätzlich vollzogen war,
konnten als nächster Schritt funktional zusammengehörige Räume in Raumgruppen zusammengefasst werden, die
ihrerseits eine weitere innere Aufgliederung zuließen.
Schlafzimmer, die sich zunächst oft unzusammenhängend
um die Mittelhalle verteilten, wurden zu zusammenhängenden Schlafbereichen mit Korridoren und eigenen Sanitäreinrichtungen zusammengefasst. Esszimmer rückten vorzugsweise in die Nähe der Küche oder in eine Position, die
die Nähe zur Küche mit der Nachbarschaft des Wohnzimmers oder eines Rauchzimmers kombinierte. Solche veränderten räumlichen Bedürfnisse zeichnen sich nicht nur
in Neubauten ab, sondern – innerhalb der gegebenen Beschränkungen – auch in älteren Mittelhallenhäusern, wo es
zu Umnutzungen und entsprechenden Umbauten kam.
Diese Entwicklungen innerhalb des häuslich-familiären Bereichs fanden – anders als die oben erwähnten älteren Separierungstendenzen von Empfangsbereich und Küchenbereich
– erst im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt.
Zu dieser Zeit hatte sich der Mittelhallengrundriss für die
Oberschichten und wachsende Teile der Mittelschichten Beiruts schon als unverzichtbarer Standard durchgesetzt. Die
räumliche Umsetzung der sich weiter verändernden oder teilweise neuartigen Wohnbedürfnisse fand daher – auch bei
Neubauten – innerhalb dieses vorgegebenen räumlich-strukturellen Rahmens statt und war durch ihn in seinen Entwicklungsmöglichkeiten entscheidend vorgeprägt – und dies
über ein ganzes Jahrhundert hinweg, von der Mitte des 19. bis
mindestens zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Wenn es also berechtigt ist, angesichts der Einführung von Esszimmern,
Rauchzimmern, Arbeitszimmern, Bibliotheken oder sogar
Musikzimmern (im Qaṣr Tuéni-Bustros) und Wintergärten
(im Qaṣr Rayes565) im späten 19. Jahrhundert von einer „Europäisierung“ des Raumprogramms in Beiruter Häusern zu
sprechen und hierin eine Anpassung an die Wohnvorstellungen und Lebensformen des Bürgertums (im Sinne eines
globalen Phänomens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts)
zu sehen, so ist auch festzustellen, dass die räumliche Einbettung dieser entlehnten Komponenten in die gegebene
Grundstruktur des osmanischen Mittelhallenhauses zu einem ganz eigenen, lokalspezifischen Ergebnis führte. Gerade in dieser lokalspezifischen Anordnung der Räume und
der mit ihnen verbundenen Aktivitäten drückten sich die besonderen sozialen und kulturellen Anforderungen des Beiruter Bürgertums an ihren Wohn- und Lebensraum aus. Ähnlich wie bei der Einrichtungsweise der Häuser standen bei
der Entwicklung der Raumstrukturen ältere Traditionen, Ergebnisse früherer Innovationen und nachfolgend wirksam
werdende spätere Innovationen in einem fortlaufenden Wechselspiel, im Laufe dessen sich Grundriss und räumlich-funktionales Gefüge des Mittelhallenhauses nach dessen Einführung und Verbreitung weiter veränderten, ohne seine
Grundzüge zu verlieren. So gesehen blieb – um May Davies
Begriff zu variieren – das Beiruter Mittelhallenhaus bis weit
ins 20. Jahrhundert hinein eine architecture en transition, eine Architektur im Übergang.566
Es versteht sich, dass dies kein homogener, gradliniger und
spannungsfreier Prozess war. Einerseits war, wie anhand der
Muqtaṭaf-Beiträge gezeigt wurde, das neue Raumprogramm
schon relativ früh – etwa um 1880 – in ausformulierter Weise im normativen Diskurs präsent, und es stimmte in seinen
Komponenten fast völlig mit dem zeitgenössischem bürgerlichen Raumprogramm in Europa überein.567 In der Praxis fand man darüber hinaus in manchen großen, herrschaftlichen Häusern wie dem Qaṣr Tuéni sogar schon in
den frühen 1870ern Räume, die auf ganz spezifische Funktionen hin gestaltet waren: Das Musikzimmer beispielsweise ist (in für Beirut außergewöhnlicher Weise) mit einem
hölzernen Parkettboden ausgelegt, um eine bessere Akustik
zu gewähren, und die Deckenmalereien zeigen Musikin-
308
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.2 Die funktionale Differenzierung der Räume
strumente. Auch der Qaṣr Ziadé, der aus der gleichen Zeit
stammt, weist zahlreiche Unterschiede in der mehr oder weniger repräsentativen Ausstattung sowie in der Erschließung
und Verbindung verschiedener Räume auf, die sich als Beleg dafür lesen lassen, dass eine funktionale Spezialisierung
vieler Räume schon von Anfang an „eingebaut“ war, selbst
wenn sich die vorgesehenen Funktionen im Einzelnen nicht
unbedingt rekonstruieren lassen. Es scheint daher gerechtfertigt, davon auszugehen, dass sich eine funktionale Ausdifferenzierung in den Neubauten der oberen gesellschaftlichen Schichten Beiruts während der 1870er schon in einem fortgeschrittenen Stadium befand, noch bevor sie sich
im normativen Diskurs niederschlug. Diese Datierung steht
im Einklang mit der im vorangegangenen Kapitel gemachten Feststellung, dass in den 1870ern ein lokaler Markt für
Möbel europäischer Art etabliert war, die ja mit dieser funktionalen Differenzierung im engsten Zusammenhang standen. Die Vorbilder, an denen sich der an die Mittelschichten gerichtete normative Diskurs zum Raumprogramm ab
den 1880ern orientierte, waren also nicht nur im bürgerlichen Europa, sondern auch schon in den lokalen Oberschichten zu finden – was die Attraktivität dieser Vorbilder
für soziale Aufsteiger ja überhaupt erst begründen konnte.
2.4 Die Diskussion um die „richtige“ Nutzung
Dennoch bleibt fraglich, wie gefestigt diese funktionale
Ausdifferenzierung hinsichtlich Art der verschiedenen Räume, ihrer räumlichen Anordnung und ihrer Nutzung in der
Praxis war, und wie weit diese Differenzierung in die Mittelschichten hineinreichte. Die Variationsbreite, die sich in
der räumlichen Struktur der großen Häuser beobachten lässt,
macht schon deutlich, dass hier noch experimentiert wurde,
und räumliche Lösungen, die in großen Häusern praktikabel waren, waren nicht unbedingt auf kleinere Häuser übertragbar. Die Beschreibung, die al-Qāyātī von seinem Haus
1885 gab, erwähnt – abgesehen vom manzūl – keine besondere Funktion oder Ausstattung der übrigen drei Räume. Es scheint, dass es in Häusern dieser Größe keine erkennbare, baulich eingeschriebene Spezialisierung der Räume gab, und sich eine funktionale Differenzierung in flexibler Weise aus der Einrichtung und jeweiligen Wohnpraxis der Bewohner ergeben konnte. Darüber hinaus vermitteln verschiedene Stellen im Muqtaṭaf den Eindruck, dass
trotz der insgesamt fortschreitenden nominellen Spezialisierung vieler Räume noch über lange Zeit eine gewisse
Unsicherheit – zumindest bei Teilen der Leserschaft – darüber herrschte, wozu ein Wohnzimmer, ein Esszimmer, ein
Empfangszimmer „korrekterweise“ dienen sollte und wozu nicht. Wie oben gesehen, sah sich schon Rūǧīnā Šukrī
veranlasst, ihre Leser darauf hinzuweisen, dass das Empfangzimmer keine Bibliothek sei. Bis in die Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg finden sich immer wieder Sätze, die wie
Begriffsdefinitionen aus einem Anfängerkurs in bürgerlichem Wohnen anmuten. So heißt es 1889:
al-Qāʿa, aṣ-ṣālū [sic!] oder ġurfat al-istiqbāl sind unterschiedliche Bezeichnungen für das große Zimmer, das für
den Empfang von Besuchern hergerichtet ist, die dort ehrenvoll empfangen werden sollen. Es ist meistens das größte, das am kostbarsten möblierte und das am besten eingerichtete Zimmer im Haus.568
Und noch 1919 liest man über das Wohnzimmer:
Die ġurfat al-maqʿad ist das Zimmer, in dem die Familie
(ahl al-bayt) sitzt, wenn des Tages Arbeit getan ist, um sich
von der Mühe zu erholen.569
Warum wurden diese Definitionen als nötig empfunden?
Ist es einfach nur, um Klarheit bei Lesern zu schaffen, die
die betreffenden Räume vielleicht unter anderen Bezeichnungen kannten, z.B. manzūl und ūḍat al-ǧulūs? Oder bedeutet es, dass auch im Jahr 1919 noch nicht bei allen Lesern vorausgesetzt werden konnte, dass sie wussten, was
ein Wohnzimmer ist und welchen Zwecken es dient? War es,
weil diese Einrichtung für weiterhin nachrückende, neuaufsteigende Familien (und Neuabonnenten der Zeitschrift)
noch unvertraut war? Oder bedeutet es vielmehr, dass man
zwar wusste, was ein Wohnzimmer ist, aber man die Nutzung in der Praxis etwas unorthodox handhabte, sodass diese „Richtigstellung“, diese Verhaltenskorrektur seitens der
Sittenwächter des Muqtaṭaf als notwendig erachtet wurde?
Es scheint tatsächlich, dass im Unterschied zum normativen Diskurs, der schon seit den 1880ern mit klaren Funktionsbezeichnungen für diesen und andere Räume operierte, diese Spezialisierungen in der Praxis verschwommener
und variierter waren. Zeugnis davon gibt ein 1903 im
Muqtaṭaf publizierter Artikel, dessen Autor sich in Reaktion auf einen (möglicherweise fingierten) Leserbrief bemüht, ein wenig Ordnung in diese Unordnung zu bringen:
Eine Dame hat uns geschrieben: Es sei bei vielen Frauen
üblich geworden, das Esszimmer als Wohnzimmer (li-lǧulūs) zu nutzen, und die prächtigsten Möbel in einem anderen Zimmer aufzustellen, das sie dem Empfang von Besuchern vorbehielten, die nur selten in ihrem Haus verkehrten. Besucher, die oft vorbeikämen – Verwandte, Nachbarn und all jene, bei denen man die Förmlichkeiten weglässt
– empfingen sie dagegen im Esszimmer.
309
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Diese Sitte ist nicht gut.
Wenn es in einem Haus zwei Zimmer gibt, eines zum Essen und eines zum Empfang, so sollte das kleinere der beiden als Esszimmer vorgesehen werden; in dieses wird nur hineingestellt, was zum Einnehmen der Speisen erforderlich
ist. Das größere der beiden dient als Wohn- und Empfangszimmer; dort werden viele Sofas und Sessel oder Stühle aufgestellt, auf denen sich es bequem sitzen lässt, Bücher zur
Lektüre und zur Zerstreuung, ein Tisch zum Schreiben, ein
Piano und ein Schrank für die Notenbücher. In diesem Zimmer werden die Freunde und die Besucher jeweils gemäß
ihres Standes empfangen, und sie finden dort Entspannung
und entzückende Pracht.
Wenn allerdings das Haus groß ist und sein Besitzer es sich
leisten kann, dann wird darin ein Esszimmer, ein Empfangszimmer und ein Rauchzimmer eingerichtet, dazu ein
Zimmer, in dem die Frau sitzt und ihre Besucherinnen empfängt, sowie jeweils ein Schlafzimmer für jedes Familienmitglied und ein großer Raum zum Spielen für die Kinder
– abgesehen von Wirtschaftsräumen (dār al-ḫadam). Und
wenn schon an der Zahl der Zimmer gespart werden muss,
dann sollte der Großteil der Zimmer als Schlafzimmer dienen, und nur die wenigsten von ihnen als Wohn- und Empfangsräume.570
Vergleichbare Diskussionen (und entsprechende Konflikte
zwischen Norm und Praxis) um das Verhältnis von Esszimmer, Wohnzimmer und Salon einerseits und von Schlafzimmern und Empfangsräumen andererseits hat es zu jener Zeit
auch in europäischen Ländern gegeben.571 Sie können als eine typische und fast unvermeidliche Begleiterscheinung der
räumlich-funktionalen Spezialisierungsprozesse im bürgerlichen Wohnhaus gelten. Es mag durchaus sein, dass dieser
Muqtaṭaf-Artikel sich auf Vorlagen in europäischen Publikationen bezog, aber dessen unbenommen war die Veröffentlichung des Artikel zweifelsohne durch lokale Realitäten motiviert. Und wie sahen diese lokalen Realitäten aus?
Es ist hinsichtlich des Esszimmers zunächst festzustellen,
dass der Autor auch für räumlich beschränktere Wohnverhältnisse nun ausdrücklich davon ausgeht, dass es neben
dem Empfangszimmer ein besonderes Esszimmer geben
sollte, und zwar in einem kleineren Raum. Darin unterscheidet er sich von der zwei Jahrzehnte früher von Rūǧīnā
Šukrī gegebenen Empfehlung, derzufolge der Esstisch wie
selbstverständlich in der dār stand.
Der sich darin widerspiegelnde Entwicklungsschritt lässt
sich in der Tat auch an den Hausbeispielen nachvollziehen:
Wie aus Reiseberichten wie dem von Farley überliefert ist,
gab es Esszimmer – als entsprechend möblierter Raum –
schon Ende der 1850er in manchen großen Häusern. Um
1870 lassen sich die ersten Esszimmer nachweisen, die auch
baulich durch ihre Lage und besondere Erschließung vom
Wirtschaftsbereich her ausgeprägt sind, beispielsweise im
Qaṣr Tuéni-Bustros. Als die großen Sursock-Villen in den
1880ern errichtet wurden, gehörte das Esszimmer nach Angaben eines Muqtaṭaf-Artikels von 1881 schon zum erwarteten Raumprogramm eines „geräumigen Hauses“, wohingegen al-Qāyātī es für das kleinere Haus, in dem er
1884–85 wohnte, noch verschwieg.572 In den 1890ern sind
baulich ausgeprägte Esszimmer in etwas kleineren herrschaftlichen Häusern wie dem Qaṣr Bišāra el-Khoury und
dem Qaṣr Mukhayyesh zu finden, und schließlich lässt sich
ein solches auch in dem 1902 errichteten Obergeschoss des
relativ kleinen Bayt Fakhoury beobachten. Das Esszimmer
als besonders für diesen Zweck angelegter Raum hatte demnach um die Jahrhundertwende auch in der mittleren Mittelschicht Einzug gehalten.
In jedem der genannten Fälle war das Problem der Lokalisierung und Erschließung des Esszimmers allerdings anders gelöst. Auch hier wurde also offensichtlich experimentiert. Die Lösung, die schließlich während der ersten
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die Oberhand gewann und
auch in vielen Apartmenthäusern der Mittelschicht zu einer Standardlösung wurde, war jene, bei der das Esszimmer die Position des līwāns in der rückwärtigen Verlängerung der dār einnahm. Der Qaṣr Bišāra el-Khoury kann damit als ein frühes belegbares Beispiel dieser später so erfolgreichen Raumlösung gelten.573 Der Erfolg gerade dieser
Lösung – die den līwān, eigentlich der Ort der familiären
Geselligkeit, zum Esszimmer umwidmete – mag als ein Indiz dafür verstanden werden, dass die im Muqtaṭaf kritisierte kombinierte Nutzung eines Raumes als Esszimmer
und Wohnzimmer tatsächlich in der Beiruter Praxis eine
wichtige Rolle spielte. Dies lässt sich übrigens historisch
herleiten: Denn wie schon angemerkt, wurde das Essen bis
weit in das 19. Jahrhundert hinein in dem gleichen gemeinschaftlich genutzten, multifunktionalen Raum eingenommen, in dem man auch zusammensaß. Die Genealogie
des Beiruter Esszimmers ist daher eine ganz andere als die
im Kontext des europäischen Bürgertums, wo die Aktivität des Essens im Laufe des 19. Jahrhunderts räumlich von
der Küche getrennt wurde.574
Im Gegensatz zu der historisch erklärbaren Verknüpfung
der Wohn- und Esszimmernutzung scheint die vom
Muqtaṭaf als bessere Alternative vorgeschlagene Kombination von Wohnzimmer und repräsentativen Empfangszimmer in der Beiruter Wohnpraxis keine große Akzeptanz
genossen zu haben. Denn wie schon festgestellt wurde, lässt
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.2 Die funktionale Differenzierung der Räume
sich schon bei Wohnungen von relativ kleiner Größenordung eigentlich immer das Bestreben nach einem gesonderten Empfangszimmer beobachten. Dass dies schlichtweg als eine Notwendigkeit angesehen wurde, drückt sich
bei Rūǧīnā Šukrī deutlich aus:
Nach der dār gibt es die ġurfat al-maǧlis oder ūḍat almaqʿad oder ūḍat al-istiqbāl. Sie ist unabdingbar für das
Haus, und in ihr offenbart sich die Vollendung der Hausherrin. Ihr muss noch mehr Aufmerksamkeit und eine noch
bessere Einrichtung zuteil werden als dies für die Schlafzimmer und die übrige Räume gilt. Und bekanntermaßen
soll die ġurfat al-istiqbāl das erste Zimmer nach der dār
sein, so dass die Besucher sie betreten, noch bevor sie andere
Zimmer sehen.575
Ein besonderes Wohnzimmer nennt Šukrī dagegen nicht.
Könnte das Empfangszimmer unter solchen Umständen
auch als Wohnzimmer gedient haben? Offenbar nicht, denn
diese Funktion scheint von der dār erfüllt worden zu sein,
deren Aufgaben bei einem Haus dieser beschränkten Größe denkbar vielfältig und ambivalent waren. Die von Šukrī
vorgeschlagene Einrichtung verrät jedenfalls, dass diese
dār die Funktion des Vestibüls (mit einer Ablage für Stöcke, Schirme und Hüte der Besucher) mit der des Esszimmers (mit einem Esstisch in der Mitte) und in der Tat auch
des Wohnzimmers (ausgestattet mit einigen Sitzmöbeln)
kombinierte. Damit im Einklang steht die oben erwähnte, im
frühen 20. Jahrhundert bei kleineren Mittelhallen-Etagenwohnungen üblich werdende Verbindung von Wohnzimmer-Esszimmer auf der Achse dār-līwān bei fortwährender Absonderung eines Empfangszimmers mit eigenem Eingang von Treppenhaus oder Eingangskorridor. Beides zusammen lässt den Schluss zu, dass man die Wohnzimmerund Empfangszimmernutzungen nach Möglichkeit räumlich voneinander getrennt hielt. Wenn die räumlichen Verhältnisse es erforderten, kombinierte man Funktion des
Wohnzimmers mit anderen Nutzungen, ließ aber das Empfangszimmer außen vor. Hier argumentierte der Autor des
Muqtaṭaf-Artikels also an den realen Wohnbedürfnissen
vorbei. Doch die Trennung von Wohnen und Empfangen
bedeutete nicht, dass das Beiruter Empfangszimmer wie eine kleinbürgerliche „gute Stube“ oder ein großbürgerlicher
grand salon ausschließlich dem besonderen Anlass oder
dem besonderen Besucher vorbehalten war. Im Gegenteil
wurde bei festlichen Anlässen nicht die „gute Stube“ für
die Familie und Gäste geöffnet, sondern der Empfangsbereich vom Empfangszimmer in die Mittelhalle und in andere Räume des Hauses hinein ausgedehnt. Darüber hinaus
behielt das Empfangszimmer über lange Zeit die auf das
Gästehaus oder manzūl zurückgehende Funktion als Gästeschlafzimmer. Tatsächlich war die ūḍat al-istiqbāl eben
nicht einfach ein Salon im europäisch-bürgerlichen Sinne,
sondern in einem weiter gefassten Sinne ein Gästezimmer,
ein manzūl. Hierauf wird im folgenden Kapitel zurückzukommen sein. Hinsichtlich des Wohnzimmers muss andererseits betont werden, dass diese Funktion bei größeren
Häusern gegebenenfalls von mehreren verschiedenen Räumen erfüllt werden konnte: Insbesondere die Existenz von
sogenannten „Winterräumen“ (al-ġurfa aš-šatawiyya), von
maṣyaf-Räumen auf dem Dach und von bequem ausgestatteten Sitzbereichen in der luftigen Vorderhalle in Ergänzung zum līwān macht deutlich, dass es mehrere Orte des
Zusammensitzens im Familien- und Freundeskreis gab, und
dass deren Nutzung auch von der Jahreszeit und den Witterungsverhältnissen abhing. Althergebrachte, jahreszeitlich angepasste Wohnpraktiken wurden in den neuen Häusern in neuer räumlicher Form fortgeführt, und es ist bezeichnend für die traditionsfeindliche Tendenz der MuqtaṭafAutoren, dass dieses wichtige Phänomen in ihren Erläuterungen zu Raumprogramm, Einrichtung und Praxis des bürgerlichen Wohnens stillschweigend übergangen wird.
In der Art und Weise, in der verschiedene Wohnaktivitäten
in den Beiruter Wohnhäusern räumlich angeordnet, miteinander kombiniert oder voneinander separiert wurden, drücken sich die orts- und schichtspezifischen, oft auch schichtübergreifenden Bedürfnisse häuslichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens aus. Die bis hierher aufgezeigten
Entwicklungen der Raumnutzungsstrukturen geben davon
Zeugnis, dass die in einem hohen Grade sozial bedingten
Wohnbedürfnisse in ihren Grundzügen viel zäher und
schwerer veränderlich, in ihren Auswirkungen viel langlebiger waren, als der sich immer schneller verändernde, immer stärker an europäischen Vorbildern orientierte Geschmack hinsichtlich architektonischer Formen, Dekor und
Einrichtung der Häuser erwarten lässt. Die vielberufene Offenheit für alles Neue, alles Europäische, alles Westliche,
die sich in Beirut ohne Zweifel feststellen lässt, hatte sein
Gegengewicht in einem ausgeprägten Konventionalismus
und Konformismus. Hier waren offenbar Zwänge am Werk,
die stärker als geschmackliche Moden waren. Es mag sein,
dass manche Angehörige der Oberschichten – allein schon
aus Gründen der notwendigen Distinktion – für sich Extravaganzen in Anspruch genommen haben („Sie glauben
doch nicht, dass wir es so wie die Anderen machen würden?“).576 Aber es muss doch festgestellt werden, dass die
Beiruter Wohnhäuser sogar dieser Oberschichten im Großen
und Ganzen ziemlich konventionell blieben, im Vergleich
311
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
zu manchen kapriziösen Architekturen, die man spätestens
um die Jahrhundertwende in anderen Zentren des osmanischen Reiches wie Istanbul, Kairo oder Alexandria finden
konnte.577 Vor diesem Hintergrund erscheint die Einführung
des Mittelhallenhauses als Haus- und Grundrisstyp im Beirut der 1840er/ 1850er noch als der größte oder sichtbarste
„Bruch“ mit bis dahin gültigen lokalen Konventionen. Und
selbst dieser Bruch mit lokalen Konventionen bestand vor
allem in einer betonteren Anlehnung an eine andere, damals sehr viel mächtiger gewordene Konvention: eine „moderne“, reichsweite osmanische Elitenkultur. Sie war allerdings auch keine getreue, vor Ort implantierte Kopie der
osmanischen Vorlage, sondern verknüpfte schrittweise bestimmende Elemente dieses Modells mit älteren, lokal gegebenen Bau- und Nutzungstraditionen und neuentwickelten Lösungen zu jener eigentümlichen Beiruter Ausprägung
dieser osmanischen Hausform, die etwa um 1860 in ihren
charakteristischen Hauptzügen vorläufig ausformuliert war.
Was an weiteren internen Neuerungen oder an Entlehnungen aus anderen Wohnkulturen hinzukam – sei es weiterhin die der osmanischen Eliten, sei es vermehrt die des europäischen Bürgertums, oder seien es „europäische“ Einflüsse, die durch Zentren wie Istanbul oder Kairo vor-adaptiert und weitervermittelt wurden – wurde in das nur langsam veränderliche Grundmuster der schon früh ausgeprägten Raum- und Nutzungsstrukturen des Beiruter Mittelhallenhauses eingebettet. Denn nur so waren solche Veränderungen offenbar in der Beiruter Gesellschaft akzeptabel und
praktikabel, nur so machten sie gesellschaftlich Sinn.
3 Das häusliche Leben und seine
Wechselbeziehung zum Wohnraum
Um genauer zu untersuchen, welche sozialen Faktoren im
Inneren der Häuser wirkten bzw. in Wechselbeziehung zu
den beschriebenen Grundriss- und Raumnutzungsstrukturen
(im Sinne von sogenannten „strukturierenden Strukturen“)
standen, soll nun der Blick auf die Bewohner, das häusliche Sozialgefüge und die Wohnpraktiken gerichtet werden.
Die Mauern und Räume müssen mit Leben gefüllt werden.
Eine solche Erkundung des häuslichen und privaten Lebens
im Beirut des 19. und frühen 20. Jahrhundert bleibt natürlich – aufgrund der zeitlichen Distanz und einer sehr schwierigen Quellenlage – eine Annäherung. Diese Annäherung
soll im Folgenden auch nur aspekthaft geschehen. Dabei
stehen solche Aspekte im Vordergrund, die sich erwartungsgemäß am ehesten auf die räumliche Struktur aus-
wirkten bzw. sich in ihr widerspiegeln – also solche, die
Abschirmung, Abstände, Schutzmechanismen erforderten,
und solche, die Kontakt, Nähe, Begegnungsräume verlangten. Beim Miteinander und Nebeneinander von Menschen und ihren Aktivitäten unter einem Dach entstanden
Spannungen, die räumlich entschärft oder gelöst werden
mussten. Es soll daher zunächst ein Blick auf die Größe
und Zusammensetzung der Haushalte geworfen werden,
um dann das Verhältnis von verschiedenen Untereinheiten
der Haushalte zueinander und vom Haushalt zu Außenstehenden unter räumlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.
Dafür bieten sich insbesondere drei Spannungsbereiche des
Wohnens an, die sich an den untersuchten Hausgrundrissen immer wieder beobachten lassen:
1. die Frage nach der Segregation oder Integration von Besuchern oder Gästen in den häuslichen Bereich, und damit die Frage nach den Vorstellungen, den Grenzen und
dem Schutz der häuslichen oder familiären Sphäre;
2. im Zusammenhang damit die Frage nach dem Ob und
Wie einer Geschlechtertrennung, der Rolle der Frau im
Haus und den Freiheiten und Begrenzungen ihres räumlichen Handelns und sozialen Interaktion;
3. das Problem des Dienstpersonals als Haushaltsangehörige, die weder mit der Familie verwandt sind noch derselben sozialen Klasse angehören; und die räumliche
und verhaltensmäßige Einbindung und Ausgrenzung
dieser Haushaltsangehörigen.
Bei all den genannten Punkten ist es aus sozialhistorischer
Sicht wichtig, sie nicht als statisch wahrzunehmen, sondern
sie auf Veränderungen hin zu betrachten. Denn die Entwicklung der Hausgrundrisse und der Raum- und Nutzungsstrukturen im untersuchten Zeitraum geben wertvolle Hinweise auf Veränderungen, die es unter Hinzunahme
anderer Quellen näher zu untersuchen lohnt.
3.1 Menschen unter einem Dach: Familie und
Haushalt
Die Frage danach, wie die Bewohner eines Hauses den
Wohnraum nutzten, ist untrennbar verbunden mit der Frage, wie viele Menschen in dem zur Verfügung stehenden
Raum zu wohnen hatten. Hierzu gehört die Frage nach der
Größe eines Haushalts, nach seiner Zusammensetzung, und
danach, welchen Teil eines ein- oder mehrgeschossigen
Wohnhauses ein Haushalt belegte. Es gilt auch zu überlegen,
wie der Begriff Haushalt in den untersuchten Fällen einzu-
312
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
grenzen ist, und in welchem Verhältnis er zum dem Begriff
Familie steht. Diese letzte Frage ist hier nicht theoretisch
oder juristisch gemeint, sondern ganz praktisch auf das häusliche Zusammenleben bezogen.
Eines der Fallbeispiele – die Großfamilie Ziadé als Bewohner des Qaṣr Ziadé – illustriert sehr gut, wie verzwickt,
aber notwendig die Grenzziehung zwischen den beiden Begriffen Familie und Haushalt in Bezug auf die Wohnverhältnisse ist: Das zweite Obergeschoss wurde ab den 1930er
Jahren von Dr. Joseph Ziadé, seiner Frau, ihren beiden Söhnen und zusätzlich von einem Bruder Josephs, Naoum, bewohnt. Kurze Zeit später bezog ein weiterer Bruder, Louis
Ziadé, mit seiner Frau und drei Kindern das erste Obergeschoss. Eine zwei Generationen umfassende Großfamilie
aus drei Brüdern, zwei davon mit ihrer jeweiligen (Kern-)
Familie, war damit auf zwei Geschosse verteilt, und es kann
berechtigterweise davon gesprochen werden, dass das Haus
als Ganzes von einer Familie bewohnt wurde. Aber in diesem Haus bildete diese Familie zwei separate Haushalte,
indem sie sich in zwei Untergruppen aufteilte – eine Kernfamilie und eine erweiterte Kernfamilie zweier Brüder –,
welche die beiden Geschosse als getrennte, eigenständige
Wohnungen bewohnten und jeweils eigenes Dienstpersonal beschäftigten. Der Haushalt (im Arabischen einfach albayt, „das Haus“, genannt) bezeichnet somit eine Wohnund Wirtschaftsgemeinschaft von Menschen, die sich einen funktional zusammengehörigen Wohnraum teilten.
In einem klar begrenzten physischen Raum fasste der Haushalt Menschen zusammen, die in ganz verschieden gearteten
sozialen Verhältnissen zueinander standen: einerseits Menschen, die durch ein (meist, aber nicht immer) unmittelbares
Verwandtschaftsverhältnis durch Abstammung oder Heirat
miteinander verbunden sind, und andererseits – sobald die
wirtschaftlichen Verhältnisse es gestatten – Menschen, die
als Dienstboten in einem Dienstverhältnis zu ersteren stehen.
Der Haushalt umfasste fast immer nur einen Ausschnitt einer Familie im erweiterten Sinne (die über mehrere Wohnungen, Häuser, Städte oder Länder verteilt sein konnte), aber
er umfasste oft mehr als nur Familienangehörige.
Die sozialen Beziehungen dieser verschiedenen Haushaltsangehörigen waren durch ungleiche Machtverhältnisse und verschiedene, sich überlagernde Hierarchien charakterisiert: zwischen Herrschaft und Dienerschaft, zwischen Hausherr und Angehörigen, Mann und Frau, Eltern
und Kindern, und in Abhängigkeit von Alter, eigenem Einkommen oder gesellschaftlichem Rang des Einzelnen. Dies
konnte sich in der Wohnpraxis etwa in der Größe und Lage des Zimmers auswirken, das ein Einzelner oder ein Ehe-
paar als Schlaf- und Privatzimmer belegte: So wohnte – um
beim gleichen Beispiel zu bleiben – das Elternpaar Joseph
und Antoinette Ziadé zeitlebens im größten Zimmer des
Geschosses, dem westlichen Seitensaal, während Josephs
unverheirateter Bruder Naoum, der „nur“ Mitbewohner war
und keine Eigentumsrechte am Haus hatte, in einem kleinen
Zimmer im Südosten in der Nähe des Wirtschaftsflügels
untergebracht war. Dagegen hatten die beiden Söhne Josephs jeweils ein eigenes Zimmer (was auch in den 1930ern
noch ungewöhnlich war), von denen jedes größer war als
das von Naoum. Die Verteilung der Räume war also keineswegs rein funktional und bedarfsgerecht, sondern auch
symbolischer Ausdruck von Hierarchien, Rechtsansprüchen
und Status innerhalb der Familie. Dies darf sicherlich auch
für das 19. Jahrhundert angenommen werden, für das die
Raumbelegung im Einzelnen für keines der behandelten
Häuser hinreichend genau rekonstruierbar ist.
Die Größe der Beiruter Haushalte konnte natürlich – unabhängig von der Größe des zur Verfügung stehenden
Wohnraums – sehr unterschiedlich sein. Dies war einerseits
– seitens der Familie, die den Haushalt führte – ganz stark
bedingt durch die Zahl der Kinder des Hausherrn sowie außerdem der Geschwister und anderer Verwandter, die gegebenenfalls in derselben Wohnung lebten. Andererseits –
seitens des Dienstpersonals – war dies abhängig vom Personalbedarf, dem wirtschaftlichen Vermögen und dem Status der Familie, die das Haus führte.
Was die Zahl der Familienangehörigen angeht, die in einem Haushalt lebten, so ist vorwegzuschicken, dass im Rahmen dieser Untersuchung keine Quelle oder Forschungsliteratur gefunden werden konnte, die Informationen zu Familiengrößen oder Haushaltsgrößen und -zusammensetzung für den Untersuchungszeitraum geben. Die einschlägige Literatur erfasst frühestens die Zeit ab den 1930ern.
Für den Untersuchungszeitraum sind wir daher auf Einzelbeispiele angewiesen, die sich aus der mündlichen Überlieferung und anderen, auf einzelne Familien bezogenen
Quellen rekonstruieren lassen. Als allgemeiner Hintergrund
kann jedoch zunächst auf zwei Trends hingewiesen werden, die allgemein für die städtischen Gesellschaften der
arabischen Welt für das 20. Jahrhundert beobachtet wurden: ein Trend von der erweiterten oder Großfamilie zu
Kernfamilie als Haushaltseinheit, und darüber hinaus ein
Trend zu weniger Kindern. Diese Trends wurden vor allem
für die Zeit ab der Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellt,
wobei allerdings Beirut als Vorreiter im Vergleich zu anderen Städten der Region identifiziert wurde.578 Entgegen der
verbreiteten Vorstellung, dass sich Kinderreichtum eher in
313
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
der ländlichen, bäuerlichen Bevölkerung als in der städtischen, gebildeten oder kaufmännischen Bevölkerung antreffen lässt, wurde auch festgestellt, dass ein Trend zu weniger Kindern in der Levanteregion bis in die 1950er – anders als in den industrialisierten Ländern Europas – zunächst nicht mit Stadtleben, besseren Einkommensverhältnissen, Zugehörigkeit zu einer höheren Schicht oder höherem Bildungsgrad der Mutter in kausalen Zusammenhang
gebracht werden kann. Kinderreichtum (und dies bezieht
sich vor allem darauf, viele Söhne zu haben) blieb lange
ein allgemeines gesellschaftliches Ideal. In Beirut, wo die
medizinische Versorgung schon zu einem früheren Zeitpunkt besser und die Kindersterblichkeit niedriger war als
andernorts in der Region, konnte dieses Ideal besonders seit
dem frühen 20. Jahrhundert sogar besser realisiert werden
als im ländlichen Raum – und dies um so mehr, wenn bessere Einkommensverhältnisse es erleichterten. Von den
1930ern bis zu den 1960ern blieb die durchschnittliche Kinderzahl von Beiruter Familien bei fünf bis sechs Kindern,
und für die Zeit um und vor 1930 tendierten Oberschichtfamilien zu mehr Kindern als Mittelschichtfamilien. Es gibt
allerdings auch Anzeichen, dass Angehörige der sunnitischen Oberschicht Beiruts ab dem zweiten Viertel des 20.
Jahrhunderts begannen, weniger Kinder zu haben.579 Insgesamt lässt sich aus daraus für unseren Untersuchungszeitraum zunächst ganz allgemein schließen, dass die Familien der oberen Mittelschicht und Oberschicht Beiruts,
die die behandelten Häuser bewohnten, dazu tendierten,
kinderreich zu sein, unabhängig von ihrer konfessionellen
Zugehörigkeit.
Die Einzelbeispiele von Familien, über deren Größe bzw.
Kinderzahl wir entweder durch mündliche Überlieferung
oder durch andere Quellen informiert sind, entsprechen im
Großen und Ganzen dem eben gezeichneten Bild:
Joseph Nasr und seine Frau Farida Soussa, die Erstbewohner des Qaṣr Ziadé in den 1870ern, hatten sechs Kinder –
fünf Söhne und eine Tochter. Yūsuf Mezher, Eigentümer
des Qaṣr Heneiné um die Jahrhundertwende, hatte ebenfalls sechs Kinder – fünf Töchter und einen Sohn. Mitrī Sursock hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (mindestens) neun Kinder: vier Söhne und zwei Töchter von seiner ersten Frau, drei Söhne von seiner zweiten Frau. In seinen Memoiren erwähnt der Zeitgenosse Šākir al-Ḫūrī, dass
die sechs erwachsenen Söhne dieser ʿā’ila (Familie) Sursock, nachdem sie zu Wohlstand gekommen waren, sechs
eigene buyūt (Häuser bzw. Haushalte) gründeten.580 Von
diesen Söhnen hatte Mūsā Sursock (der Erbauer des Qaṣr
Mūsā Sursock) seinerseits acht Kinder – fünf Töchter und
drei Söhne; Niqūlā Sursock hatte fünf Kinder, Ḫalīl Sursock acht. In den Stammbäumen der Familie Sursock und
anderer namhafter griechisch-orthodoxer Familien lassen
sich vergleichbare Kinderzahlen auch bei der nachfolgenden, um die Jahrhundertwende geborenen Generation noch
beobachten, und begannen erst in der nächsten Generation,
während des zweiten Viertels des 20. Jahrhunderts, auf drei
oder vier Kinder zurückzugehen.581 Hier entspricht der zeitliche Trend also dem, was weiter oben für sunnitische Oberschichtfamilien festgestellt worden war. Auch Bišāra elKhoury, der griechisch-katholische Hausherr des gleichnamigen Qaṣr in Patriarcat, Zokak el-Blat, hatte in den
1920ern zehn Kinder – sechs Töchter und vier Söhne.582
Diese Liste kinderreicher Familien der Beiruter Ober- und
Mittelschichten aller Konfessionen ließe sich lange fortsetzen. Es versteht sich aber auch, dass ungeachtet des herrschenden Trends nicht alle Familien so groß waren. Šākir alḪūrī erwähnt beispielsweise nur zwei eigene Brüder (dass
er keine Schwestern erwähnt, bedeutet jedoch nicht, dass
er keine hatte, denn die Mädchen wurden oft verschwiegen). Šākir selbst hatte nach seiner Heirat 1879 eine Tochter und drei Söhne, und sein Bruder Ḫalīl hatte eine Tochter und einen Sohn – ein zweiter war schon sehr früh gestorben.583
Für die Raumsituation in den jeweiligen Wohnhäusern bedeuteten viele Kinder allerdings zunächst nicht, dass viele
Räume als Kinderschlafzimmer benötigt wurden. In jungen Jahren konnten viele Kinder noch in einem einzigen
Raum untergebracht werden oder – im Säuglings- und
Kleinkindalter – mit den Eltern in einem Raum schlafen;
erst bei fortgeschrittenem Alter wurden separate Räume für
Jungen und Mädchen erforderlich. Aber selbst das bedeutete, dass man auch bei einer großen Kinderschar nötigenfalls mit zwei Kinderzimmern auskommen konnte. Es wird
jedoch deutlich, dass allein mit diesen zwei Kinderzimmern
und dem Zimmer der Eltern schon drei Räume in einer Wohnung belegt waren. Wenn dann noch ein manzūl, ein Wohnzimmer und ein Esszimmer Platz finden sollten, dann reichte ein Mittelhallengrundriss des recht häufig anzutreffenden kleineren Typs mit fünf Zimmern (līwān und je zwei
Räume beidseitig der dār) schon nicht mehr aus, ohne Nutzungen in der Weise zu kombinieren, wie es im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde. So geräumig wie viele der Beiruter Mittelhallenhäuser auch waren, man geriet
doch schnell in Raumnot – besonders bei gehobenen Wohnansprüchen, die relativ viel Wohnfläche für repräsentative
Empfangszwecke, standesgemäße Nutzungen wie Esszimmer und familiäre Gemeinschaftsräume erforderten.
314
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Nun umfasste ein Haushalt oft mehr als nur eine Kernfamilie und das Dienstpersonal. Häufig wohnten erweiterte
Kernfamilien oder Großfamilien in einem Haushalt zusammen. Dies konnte eine vorübergehende Lösung sein:
Šākir al-Ḫūrī berichtet, dass sein zeitweise arbeitsloser Bruder Ḫalīl ebenso wie sein Vater Yūsuf zeitweilig bei ihm in
seiner Beiruter Wohnung (einem angemieteten Erdgeschoss)
wohnten und von ihm mit ernährt wurden. Damals war Šākir
erst jung verheiratet, und die Kinder noch nicht geboren.584
Solche Lösungen ergaben sich vermutlich besonders häufig
in solchen Fällen, wo das Elternhaus nicht in Beirut, sondern
– wie in diesem Fall – in den Bergen oder andernorts lag,
und geschäftliche Tätigkeiten die Anwesenheit von Angehörigen in Beirut erforderten.
Abgesehen von diesen durch Migration bedingten Fällen
war die Großfamilie als Haushaltseinhalt oft ein zwangsläufiges Ergebnis der zyklischen Entwicklung von Familien in Verbindung mit gesellschaftlichen Traditionen. Bedingt durch die Tradition der Patrilokalität blieben die erwachsenen Söhne oft auch nach ihrer Heirat im Elternhaus
wohnen, wo der Haushalt damit um die Ehefrauen und bald
auch um die Kinder anwuchs. Die erwachsenen Töchter
hingegen zogen nach ihrer Heirat üblicherweise in das Haus
ihres Ehegatten – und damit oft in dessen Elternhaus.585 Damit wuchs der Raumbedarf der Haushalte, denn anders als
die jungen Söhne und Töchter, die sich die Zimmer teilten,
benötigten die jungvermählten Paare nach Möglichkeit ihr
eigenes Zimmer. In den anfangs von einer Kernfamilie gegründeten Haushalten oder neuerrichteten Häusern – von
denen es ja in den „Gründerjahren“ Beiruts in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zahllose Fälle gab – war dies
der Moment bedeutsamer Umnutzungen von Räumen innerhalb einer Wohnung, und Platzmangel führte unter Umständen dazu, dass das Familienhaus entweder aufgestockt
wurde, oder ein schon vorhandenes, bislang vermietetes
Zusatzgeschoss für Eigenbedarf reklamiert wurde.586
Das Ergebnis dieses veränderten Raumbedarfs für die Raumnutzungsstrukturen eines Wohnhauses beschreibt die Beiruter Notablentochter ʿAnbara Salām in ihren Lebenserinnerungen: Viele der ursprünglich zahlreichen Empfangsräume in ihrem Elternhaus in Moussaitbé wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schließlich zu Schlafzimmern, und das, obwohl das Haus im frühen 20. Jahrhundert aufgestockt wurde.587 Der Architekt Assem Salam,
ein Neffe ʿAnbaras, der im gleichen Hause aufwuchs, erinnert sich, dass sein Großvater elf Kinder hatte; die Söhne
blieben allesamt nach ihrer Heirat im Haus wohnen. So blieb
die gesamte Familie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr-
hunderts unter einem Dach. Bis zum Alter von etwa 14 bis
16 Jahren schliefen die Jungen und Mädchen der jüngsten
Generation auch in gemeinsamen Räumen, spätestens dann
wurden sie nach Geschlechtern getrennt, und die jugendlichen Männer – Assem, seine Brüder und Cousins – schliefen sämtlich in einem einzigen Raum, der dadurch in Assems Erinnerung zu einer Art Schlafsaal („dormitory“) wurde.588 Aus der Perspektive europäisch-bürgerlicher Wohnvorstellungen wäre dies sicherlich für eine Familie vom gesellschaftlichen Status der Salams nicht standesgemäß gewesen; in Beirut jedoch war es nichts Ungewöhnliches.
Erst in den späten 1930ern begannen laut Assem Salam diese Großfamilien-Haushalte sich zunehmend aufzulösen:
Vermehrt zogen nun – nicht nur im Hause Salam – jungverheiratete Paare in eigene vier Wände. Tatsächlich erleichterte und verbilligte die zunehmende Verbreitung von
mehrgeschossigen Apartmenthäusern die Gründung eigener Haushalte, und sie war gleichzeitig Ausdruck dieses
Trends auf der städtebaulichen Ebene. Der Trend zur Kernfamilie als Haushaltseinheit und der Trend zu weniger Kindern gestatteten es auch, dass diese Etagenwohnungen bei
gleichem sozioökonomischen Status und verbessertem
Komfort geringere Wohnflächen haben konnten als die alten, mit Blick auf eine wachsende Großfamilie und viele
Kinder angelegten Mittelhallenhäuser.
Aber auch auf der Ebene der bestehenden Haushalte, innerhalb der herrschaftlichen Wohnhäuser, zeigten sich die
räumlichen Absonderungsprozesse in der großfamilialen
Hausgemeinschaft. Der deutliche Trend zu mehreren Badezimmern in Schlafzimmernähe, der in Neubauten ab den
1920ern erkennbar und in Altbauten ab den 1930ern nachweisbar ist, verweist auf eine zunehmende Unbeliebtheit
von Gemeinschaftsbädern für die gesamte Großfamilie und
ein verstärktes Bedürfnis nach Intimität und Absonderung
im Rahmen von Kernfamilien.
So beschreibt Assem Salam, dass es noch während seiner
Kindheit (er ist Jahrgang 1924) in seinem Elternhaus nur
ein Badezimmer und eine Toilette für die ganze Großfamilie gab. Die Toiletten waren „türkische“ Toiletten, und die
Bäder hatten keine Badewanne, sondern nur ein steinernes
Wasserbecken (ein sogenannter ǧurn, wie er sich heute noch
in einem alten Bad im Qaṣr Ziadé findet), aus dem das Wasser mit einem Krug über Kopf und Körper gegossen wurde.
Für die sechs bis neun Hausbediensteten der Familie gab
es ein eigenes Bad und eine eigene Toilette, die noch einfacher ausgestattet waren als die der Herrschaften. Erst in
den 1950ern wurden weitere, moderne Badezimmer für die
einzelnen Familienmitglieder und Kernfamilien eingebaut.
315
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Parallele Entwicklungen lassen sich – teilweise schon früher – im Qaṣr Ziadé, Qaṣr Heneiné und anderen Altbauten
beobachten – oft Häusern, deren Haushalte von Großfamilien oder von Eltern mit erwachsenen Kindern bewohnt waren. Dies waren nicht nur technische Modernisierungen,
sondern auch Absonderungserscheinungen, die auf einen
Wandel der sozialen Beziehungen und der Privatheitsbedürfnisse innerhalb der Haushalte verweisen.
Diese Absonderung drückte sich bald sogar in einer regelrechten Unterteilung zusammenhängender Wohngeschosse
in verschiedene Apartments aus – etwa in der einfacheren
Ausführung bestehend aus Elternzimmer, Kinderzimmer,
Bad und Ankleidezimmer, wie sie Iskandar Ziadé nach der
Geburt seines ersten Kindes 1951 schuf, oder noch später in
der stark eigenständigen Form mit eigenem Salon, Esszimmer, Schlafzimmer, Bad und Küche, wie sie während
der 1980er im Qaṣr Tuéni-Bustros für verschiedene Teile
der Familie eingerichtet wurden.
Dieser Wandel in der Form des Zusammenwohnens in Richtung eines Weniger-Eng-Zusammenwohnens oder gar eines Nicht-Mehr-Zusammenwohnens scheint jedoch nicht
zu bedeuten, dass die Großfamilien sich auflösten: „Even
though the extended family is not living in one household,
it is nevertheless a strong social psychological reality“, beobachteten Prothro und Diab. Starke Familienbindung und
Verwurzelung in der Familie, enger Kontakt, wechselseitige Hilfeleistung und Verpflichtungen (und als weniger willkommene Begleiterscheinung auch Einmischung), und nicht
zuletzt häufige gegenseitige Besuche blieben auch dort
selbstverständlich, wo Kernfamilien separate Haushalte bildeten.589 Und tatsächlich ist die Tatsache, dass auch heute in
Beirut regelmäßig mehrere Kernfamilien einer Großfamilie verschiedene Wohnungen in ein und demselben modernen Apartmenthochhaus wohnen, ein deutlicher Beleg dafür, dass zu viel Abstand in der Regel gar nicht erstrebt wird.
Bei den beschriebenen Absonderungstendenzen ging es
demnach vor allem um die Vermeidung von zu großer Enge (die in den Elternhäusern im Laufe der Zeit unvermeidlich wurde) und um die Schaffung von räumlich geschützten Privatsphären auch innerhalb der Großfamilie und des
Haushalts, in die man sich bei Bedarf zurückziehen konnte. Der soziale und psychologische Bezugsrahmen dieser
zu schützenden Privatsphäre blieb dabei die Familie, nicht
das Individuum. Aber der Bezugsrahmen verschob sich in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – soweit es räumlich
an den Häusern ablesbar ist – von der Großfamilie deutlich
in Richtung Kernfamilie oder Ehepaar. Dass solche Prozesse sozialen Wandels sich weiterhin im Rahmen der Fa-
milie als sozialer Primäreinheit artikulierten, unterstützt die
Sichtweise, nach der die Familie – in Beirut und im Nahen
Osten allgemein – nicht als Insel der Tradition in einer sich
modernisierenden Welt verstanden werden sollte, sondern
als eine tragende Einheit im Prozess des sozialen Wandels
und der Modernisierung. Dabei sollte allerdings ergänzend
hinzugefügt werden, dass diese tragende Einheit selbst
Wandlungsprozessen unterlag.590
Nun treten solch sozialen Entwicklungen nicht plötzlich
auf, und man muss davon ausgehen, dass diese Tendenz zu
einer räumlichen Privatsphäre von Kernfamilien auch schon
früher bestand, aber weniger leicht zu verwirklichen war.
Als ein Indiz dafür kann gelten, dass der Diskurs um Häuslichkeit und Familienglück, wie er schon im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts im Muqtaṭaf geführt wurde, die
Frau immer als Hausfrau (sitt al-bayt), Hausherrin (rabbat
al-bayt) und Mutter anspricht, deren Wirkungsbereich ihr
Haus, ihr Ehemann, ihre Kinder und ihr Hauspersonal ist.
Von Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Onkeln, Schwägern, Nichten oder Neffen ist hingegen niemals die Rede.
Dieses Bild vom häuslichen Glück im Schoße der Kernfamilie hatte, wie gesehen, mit der damaligen Wohnwirklichkeit der Beiruter Ober- und Mittelschichten nur sehr bedingt zu tun. Aber es verweist auf die Existenz eines Ideals, das in einem gewissen Widerspruch zur Tradition der
Patrilokalität und zur Rolle der Großfamilie als Haushaltseinheit stand. In den Fällen immerhin, in denen ein Paar die
Möglichkeit hatte, einen eigenen Hausstand in einem eigenen Haus oder zumindest einer eigenen Etage zu gründen,
konnte dieses Ideal zumindest zeitweise realisiert werden
– bis die Söhne groß waren und ihre Ehefrau ins Haus holten, oder bis die Gepflogenheiten erforderten, dass beispielsweise die verwitwete Mutter oder ein bedürftiger Bruder im Hause aufgenommen wurde.
Die Errichtung eigener Häuser für die eigene Familie, oder
die Gründung eines eigenen Hausstands in einer eigenen
oder gemieteten Hausetage, für die es ja im 19. Jahrhundert zahllose Beispiele gibt, könnte also auch als Indiz dafür verstanden werden, dass ein solches Ideal schon in der
Praxis wirkte. Dies hieße aber, andere soziale Faktoren zu
unterschätzen. Es ist bekannt, wie hoch beispielsweise der
gesellschaftliche Erwartungsdruck besonders seitens der
Brauteltern war, dass ein Mann, um zu heiraten, in der Lage war, einen Hausstand zu gründen („byiftaḥ bēt“, d.h. „er
öffnet ein Haus“). Šākir al-Ḫūrīs Bericht darüber, wie er
anlässlich seiner Hochzeit das neue familiäre Heim einrichten ließ, illustriert, unter welchem Druck der Mann
stand, den Ansprüchen zu genügen, die an das Haus und
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
seine Einrichtung gestellt wurden, damit sich die Braut in
ein gemachtes Nest setzen konnte. Dies hat mehr mit dem
Status der Familie und der materiellen Absicherung der Frau
zu tun als mit Absonderungstendenzen in der Familie. Überhaupt spielte Statusdenken bei der Gründung eines eigenen
Hausstands eine zentrale Rolle: Der Prunk des Hauses und
das Ansehen, das beispielsweise aus der gewährten Gastfreundschaft entspringt, erhöhte vor allem den Namen des
Hausherrn und seiner Familie, nicht den seiner Eltern.
3.2 Familie und Gäste
Bētī ya bweytētī, ya masattir ʿuweybētī,
fīk bēkul u fīk benēm u fīk bemudd eǧreyyētī.
Mein Haus, oh du mein Häuschen, du Deckmantel meiner
kleinen Schändchen,
in dir ess’ ich, in dir schlaf’ ich, und in dir streck’ ich meine Beine aus.
Bētī bēbhū ʿālī, u kawē’irhu bil-mu’n malēne,
u huwe maftūḥ li-l-rēyiḥ u-l-ǧēy.
Mein Haus hat eine hohe Tür, seine Honigstöcke sind mit
Vorrat gefüllt,
und es steht jedem offen, der vorbeischaut.
(Beiruter Sprichwörter)591
Diese beiden Sprichwörter unterstreichen die zwei wesentlichen Rollen, die ein Haus für seine Bewohner zu erfüllen hat: Einerseits ist es der Ort der Privatheit, ein geschützter und schützender Ort, der die eigenen „kleinen
Schanden“ hinter Wänden, Türen und Fenstern verbirgt,
und in dem der Mensch – im Rahmen seiner Familie – er
selbst sein darf, sich entspannen und seinen Bedürfnissen
nachgehen kann. Frei von Zwängen und Formalitäten der
Außenwelt, leben die Menschen hier in einem anderen Modus. Dies drückt sich nicht zuletzt (und auch heute noch)
darin aus, dass bequeme, häusliche Kleidung angelegt wird,
die nur bedingt oder gar nicht für die Blicke Fremder gedacht sind: Männer in tōb592, Pyjama oder Unterwäsche,
Frauen in Nachthemd, leichten Hauskleidern oder häuslicher ʿabāya. Die Libanesen haben für das Ablegen der Straßenkleidung und den Wechsel in diesen häuslich-familiären Entspannungsmodus ein eigenes Wort: yatafarraʿ – was
im Hocharabischen nur soviel bedeutet wie „sich verzweigen, sich ausbreiten“. Deswegen ist die Atmosphäre allerdings keineswegs immer gelöst: Zuneigung, kleine und große Sorgen, bittere Kämpfe, menschliches Glück und Ver-
zweiflung – alles was es in Familien eben gibt, kann zutage treten und ausgetragen werden. Aber all diese Dinge gelten als ḫuṣūṣiyyētnā, „unsere privaten Angelegenheiten“,
die nicht nach außen dringen dürfen. Sobald ein familienfremder Gast im Hause ist, werden die Tränen getrocknet,
die Wut geschluckt, die Kleidung angepasst (tōb bzw. ʿabāya
reichten für nicht-förmliche Besucher aus), und dem Gast
wird sein Aufenthalt mit Kaffee, freundlichem Lächeln, angelegentlichen Fragen nach seinem Wohlergehen und Plaudereien so angenehm wie möglich gemacht. Das Haus ist
die Sphäre, in der sich die Familie als die wichtigste gesellschaftliche Primäreinheit biologisch, sozial und psychologisch reproduziert.
Andererseits ist das Haus der Ort der Gastlichkeit, der seinem Inhaber zu umso höherem Ansehen und sozialen Status gereicht, desto offener seine Tür für Gäste steht und desto reicher die Bewirtung ist. Hier werden die gesellschaftlichen Beziehungen der Familie nach außen und die Stellung der Familie in der Gesellschaft produziert und reflektiert. Als wichtige Orte der Zusammenkunft erfüllten die
Häuser – insbesondere die Empfangsräume – auch öffentliche und politische Funktionen für die städtische Gesellschaft. Schutz der familiären Privatheit auf der einen Seite,
Raum für ostentative Gastlichkeit und Teilöffentlichkeit auf
der anderen – der Konflikt ist offenkundig.593 Wie dieser
Konflikt sich räumlich und in der Wohnpraxis in Beiruter
Wohnhäusern ausprägte, und welche Veränderungen sich
dabei beobachten lassen, soll nun untersucht werden.
3.2.1 Empfangsräume – private Räume
Angesichts der Prominenz, die die Idee eines eifersüchtig
gehüteten Harems in der „westlichen“ Vorstellungswelt vom
„Orient“ genießt, und der Bedeutung, die der räumlichfunktionalen Unterscheidung zwischen einem Empfangsbereich/ Männerbereich und Familienbereich/ Frauenbereich in der Forschung zu arabischen, muslimischen oder
nahöstlichen Wohnhäusern zukommt, ist die Frage, wie in
den Beiruter Häusern mit der Anwesenheit Außenstehender und Fremder umgegangen und die familiäre Privatheit
geschützt wurde, sicherlich bedeutsam. Ohne dem nachfolgenden Kapitel über Frauen im Haus vorzugreifen, sollte hier schon betont werden, dass die verbreiteten Vorstellungen vom Harem (oft verbunden mit der Idee der Vielehe) mit dem häuslichen Leben der Beiruter (Groß-) Familien – auch der wohlhabenden Schichten – nur wenig gemein haben. Die von mir untersuchten Quellen geben auch
keinerlei Hinweis darauf, dass Polygamie unter den muslimischen Ober- und Mittelschichten Beiruts eine nen317
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
nenswerte Rolle spielte.594 Um falsche Assoziationen zu
vermeiden, verzichte ich daher die Verwendung des irreführenden Begriffes Harem und spreche stattdessen von der
Familie, dem Familienwohnbereich oder dem häuslich-familiären Bereich.
Was die räumliche Trennung zwischen dem Gästeempfangsbereich und dem Familienwohnbereich betrifft, so
ist zunächst festzustellen, dass diese Trennung – zumindest
auf den ersten Blick – in den meisten Beiruter Mittelhallenhäusern baulich und räumlich-symbolisch bei weitem
nicht in der Deutlichkeit ausgeprägt war, wie dies beispielsweise in großen städtischen Hofhäusern in den Bilād
aš-Šām mit ihrem „äußeren“ und „inneren“ Hof (ad-dār albarrānī und ad-dār al-ǧuwwānī) der Fall war, oder in osmanischen Palastanlagen mit ihren oft separaten Gebäuden
oder Gebäudeflügeln für Empfangszwecke und für die Familie (dem selamlık und dem mabeyin, in der Regel Männern und ihrem gesellschaftlichen Verkehr vorbehalten, und
dem harem oder haremlik, wo die Frauen auch weibliche
Besucher empfingen).595
Weitaus deutlicher artikuliert war diese Trennung allerdings
in jenen Beiruter Mittelhallenhäusern, in denen ein Haushalt
beide Etagen bewohnte und diese Funktionen auf das Erdgeschoss (als Empfangsgeschoss) und das Obergeschoss
(als Familienprivatgeschoss) verteilt waren, so wie es z.B.
im Qaṣr Bišāra el-Khoury, anfänglich vermutlich auch im
Qaṣr Ziadé, und jedenfalls in vielen Sursock-Villen mit ihren repräsentativen, zur Mittelhalle hin offenen Innentreppen der Fall war. Diese vertikale Aufteilung lässt sich in
weitgehend identischer funktionaler und sogar ähnlicher
baulicher Form in den herrschaftlichen Wohnhäusern des
iç sofa -Typs in Istanbul und Kairo finden und kann daher
als eine typische Wohnform der osmanischen Oberschichten des 19. Jahrhunderts verstanden werden, an der sich
auch die Beiruter Oberschichten – seien sie muslimisch
oder christlich – orientierten.596
In diesem Lichte betrachtet, erhalten die eigentümlichen
Geschosserschließungssysteme der Beiruter Häuser, bei denen die beiden Wohngeschosse sowohl über das Treppenhaus verbunden waren wie auch unabhängig voneinander
von der Straße her zu betreten waren, einen faszinierenden
Doppelsinn: Sie machten das Haus für separate, eigenständige Haushalte (und damit auch für eine lukrative, geschossweise Vermietung) nutzbar, aber sie schufen ebenso
ideale Voraussetzungen für eine räumliche Segregation von
Empfangsgeschoss und Familiengeschoss innerhalb eines
Hauses. Mitglieder des Haushaltes – insbesondere die Frauen – konnten das Haus betreten oder verlassen, ohne Ge-
fahr zu laufen, Haushaltsfremden zu begegnen, für die es
einen separaten Zugang zum unteren der beiden Geschosse gab. Auch die „fluchtwegartigen“ Zusatzerschließungen
bestimmter Räume des Erdgeschosses (und zwar nicht des
manzūls) zum Treppenhaus und damit zum Obergeschoss,
wie sie im Haus Kady (muslimisch, um 1860, Aufstockung
möglicherweise erst um die Jahrhundertwende) und im Qaṣr
Bišāra el-Khoury (christlich, um 1890) zu finden sind, erhalten überhaupt erst ihren vollen Sinn, wenn das Haus in
ein Empfangs- und ein Familienwohngeschoss aufgeteilt
war, und die Anwesenheit von Hausfremden im Erdgeschoss
den „Rückzugsweg“ durch die Mittelhalle abschnitt.
Beide Nutzungsweisen – Nutzung durch verschiedene
Haushalte oder Aufteilung in Empfangs- und Familiengeschoss – existierten offenbar zeitlich schon sehr früh parallel. Frühe nachweisbare Beispiele für die Nutzung zweigeschossiger Häuser durch verschiedene Haushalte sind
zum Beispiel die Hārat Yūsuf Geday in Zokak el-Blat oder
das Haus von Yūsuf Dā’ūd Duwayk in Bab Idriss, beide in
den 1860ern.597 In beiden Fällen hatten die Eigentümer das
Erdgeschoss vermietet und bewohnten mit ihrer Familie
das Obergeschoss. Wenn wir uns daran erinnern, dass Šākir
al-Ḫūrī und die Familie Ǧurǧī Zaydāns gemäß ihrer Memoiren fast immer in gemieteten Erdgeschossen wohnten,
und al-Ḫūrī außerdem gelegentlich spezifiziert, dass seine
Vermieter im Obergeschoss wohnten, so haben wir deutliche Hinweise darauf, dass die Obergeschosse oft von der
Eigentümerfamilie als Domizil bevorzugt wurden. Dies
mochte mit den allgemeinen Vorzügen des Obergeschosses zusammenhängen: Es war in der Regel heller, luftiger,
geschützter – und oft auch neuer – als das untere Geschoss.
Aber darüber hinaus mag die Präferenz des Obergeschosses als Wohngeschoss der Eigentümerfamilie auch darauf
zurückzuführen sein, dass das untere Geschoss noch am
ehesten als ein Geschoss für Gäste und Hausfremde – und
mithin auch für Mieter – wahrgenommen wurde. Die grundsätzliche Idee einer Zweiteilung Empfangsgeschoss-Familienprivatgeschoss könnte dabei bestimmend gewesen
sein, welches Geschoss vermietet wurde, wenn der Eigentümer im Hause wohnen blieb. Bei der Vermietung von Altbaugeschossen im 20. Jahrhundert scheint dieses Prinzip
(wenn es denn eines war) allerdings nicht mehr wirksam
gewesen zu sein.
Frühe Beispiele zweigeschossiger Mittelhallenhäuser, deren beide Geschosse von einer Familie in der funktionalen
Zweiteilung Empfangsgeschoss-Familienprivatgeschoss
genutzt wurden, sind schwer namhaft zu machen, müssen
aber existiert haben. Denn immerhin lässt sich feststellen,
318
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Abb. 322
Qaṣr Maurice Sursock: Beispiel einer offenen Innentreppe
zwischen den Mittelhallen des ersten und zweiten Geschosses.
Aufnahme aus den 1960ern.
Abb. 323
Qaṣr Mūsā Sursock: offen gestaltete Verbindung zwischen
Mittelhalle und Treppenhaus, mittels Serliana und Dreibogenfenster auf halber Höhe. Aufnahme aus den 1960ern.
dass diese funktionale Spezialisierung der Erd- und Obergeschosse in Beirut schon vor der Einführung des Mittelhallentyps existierte. Alphonse de Lamartine, der 1832 in
Beirut weilte, beschreibt eine griechisch-orthodoxe Hochzeitsfeier in einem Haus außerhalb der Altstadt, bei der die
Frauen mit der Braut in einem „Diwan“ im Obergeschoss
feierten, während die Männer im Garten und einem „Diwan“ im Erdgeschoss bewirtet wurden. In einem anderen,
in einem Garten am Meer gelegenen Hause eines reichen
muslimischen Kaufmanns wurde Lamartine im Erdgeschoss empfangen, erhielt aber auch Gelegenheit, das Obergeschoss zu besichtigen, nachdem die sich dort aufhaltenden Frauen und Mädchen vorgewarnt worden waren und
sich in einen Gartenpavillon zurückziehen konnten. Die
Erker und Terrassen des Obergeschosses waren durch Holzgitterwerk vor Blicken von außen geschützt und damit deutlich als der Privatbereich – sozusagen der haremlik – des
Hauses markiert.598
Nach der Einführung des Mittelhallenhauses wurde dieses
Nutzungsmuster in neuer baulicher Form und mit neuen Erschließungslösungen fortgeführt. Wie das Problem des
Rückzugsweges bei älteren Häusern der 1850er bis 1870er,
die ja oft noch Außentreppen hatten, gehandhabt wurde,
konnte noch nicht geklärt werden. Um 1870 jedoch, als der
Qaṣr Ziadé errichtet wurde, war das Erschließungssystem
mittels integriertem, geschlossenem Treppenhaus und Zusatzerschließungen für blickgeschützte Bewegungsmöglichkeiten der Bewohner bei großen Wohnhäusern schon in
seiner lange gültig bleibenden Form entwickelt – was darauf
schließen lässt, dass man sich mit dem Problem schon länger beschäftigt hatte.
Um die 1880er wurde – beginnend mit der Errichtung einer Anzahl von Villen durch die Söhne Mitri Sursocks – eine weitere Erschließungsform für zweigeschossige „Einfamilienhäuser“ eingeführt: die Innenerschließung des Obergeschosses mittels einer zu den Mittelhallen beider Ge319
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
schosse hin offenen, repräsentativ gestalteten Treppenanlage (Abb. 322, 323). Dieses Konzept folgte augenscheinlich Istanbuler Vorbildern und hatte im Übrigen auch Parallelen in herrschaftlichen Kairener Villen der Khedivenzeit.599 Es könnte daher auch auf die Beschäftigung „türkischer“ Baumeister zurückgehen, die in verschiedenen mündlichen Überlieferungen der Beiruter Familien Sursock, Bustros und Tuéni erwähnt werden.600 Diese vornehme „Istanbuler“ Erschließungsvariante blieb jedoch – dem mir bekannten Bestand nach zu urteilen – auf Villenbauten der
Familien Sursock und zwei Villen der Familie Bustros beschränkt, beschränkte sich also auf Angehörige des griechisch-orthodoxen Geldadels von Beirut, die sich hierin
ganz als Istanbul-orientierte osmanische Oberschicht gaben.601 In einem unterschieden sich diese Treppen in den
Beiruter Häusern jedoch von den Istanbuler und Kairener
Beispielen: sie waren nicht, wie dort üblich, in der rückwärtigen Verlängerung der Mittelhalle positioniert, sondern
in der Regel seitlich; das hatten sie mit den seitlich gelagerten Treppenhäusern anderer Beiruter Häuser gemein.
Durch ihre Offenheit zu den Mittelhallen beider Wohngeschosse waren diese Treppenanlagen ausschließlich für Häuser geeignet, die als Ganzes von einem Haushalt genutzt
wurden. Ihre Einführung bedeutete daher auch die Einführung von richtiggehenden Einfamilienvillen in Beirut, die
keine zusätzliche Option der geschossweisen Vermietung
mehr boten. Mona Rayes (Rayyis), die im Qaṣr Edouard
Rayes (Abb. 324) aufwuchs (es handelt sich dabei um das
ursprünglich in den 1880ern errichtete Haus von Edouards
Schwiegervater, Elias Sursock, abgerissen in den 1960ern),
erinnert sich, wie die Schlafzimmer ihrer Familie noch im
der Mitte des 20. Jahrhunderts sämtlich im Obergeschoss
lagen, verbunden über die enorme dār, die kaum möbliert
war und kaum benutzt wurde – außer als eine Art Antechambre und Warteraum, beispielsweise für den Friseur,
der zu diesem Bereich Zutritt hatte.602 Auch die dār im Erdgeschoss war im Alltag eigentlich nicht viel mehr als eine
große Eingangshalle, deren nördliche Vorderseite von der
herrschaftlichen Treppe zum Obergeschoss, dem Haupteingang mit der Garderobe und der Treppe zum Küchenund Wirtschaftsbereich im Untergeschoss eingenommen
wurde. Um die Halle herum lagen (U-förmig und im Uhrzeigersinn im Nordosten beginnend) das Anrichtezimmer,
das Esszimmer, der „petit salon de musique“ (mit Piano) in
der Südostecke des Hauses, ein großflächig verglaster Wintergarten am südlichen Ende der Halle in der Position des
līwāns, ein weiterer „petit salon“ in der Südwestecke, der
„salon d’apparat“ und schließlich im Nordwesten der so-
genannte „fumoir“ – also eigentlich das Rauchzimmer, welches jedoch als Familienwohnzimmer („séjour“) diente.
Ganz ähnlich darf man sich die Raumnutzungsstrukturen
anderer zweigeschossiger Einfamilienvillen vorzustellen.
Deutlich wird hier, wie fließend und reibungsarm das osmanische Konzept einer Verteilung von selamlık und haremlik auf Erdgeschoss und Obergeschoss in das europäisch-bürgerliche Konzept einer Verteilung der Empfangsund Wohnräume auf das Erdgeschoss und der Schlafzimmer der Familie auf das Obergeschoss übergehen konnte.
Dabei ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass im beschriebenen Haus gerade das vorne, unmittelbar in Eingangs- und Treppennähe liegende Rauchzimmer (und nicht
– wie man vielleicht erwarten könnte – einer der hinten gelegenen petit salons) als Familienwohnzimmer diente. Denn
von hier konnte man (bzw. frau) sich bei Bedarf sehr schnell
über die Treppe ins privatere Obergeschoss zurückziehen.
Auch hier war also die Raumnutzungs- und Erschließungsstruktur letztlich so gestaltet, dass eine gute Rückzugsmöglichkeit die familiäre Häuslichkeit schützte. Aber
dieser Schutzmechanismus war in Häusern mit offenen
Treppenanlagen räumlich weniger scharf ausgeprägt als in
Häusern mit geschlossenen Treppenhäusern. Dies ist um so
bezeichnender, als gerade die großen Häuser eigentlich genügend Raum für eine sehr ausgeprägte bauliche Trennung
zwischen familiärer Sphäre und Empfangsbereich geboten
hätten, wenn man sie hätte haben wollen – eine Trennung,
die sich in kleinen Geschosswohnungen niemals so realisieren ließ, selbst wenn man gewollt hätte. Verglichen mit
großen „Einfamilien“-Häusern aus der Zeit um 1870 (wie
dem Qaṣr Tuéni-Bustros oder auch dem Qaṣr Ziadé), die
diese scharfe Trennung durchaus verkörpern, kann man
demnach ab den 1880ern eine allmähliche Abschwächung
oder Aufweichung dieser Trennung konstatieren. Jedoch
beschränkte sich dieser Trend offensichtlich auf einen sehr
kleinen, stark kosmopolitisch geprägten und weniger konservativen Teil der Beiruter Oberschicht; und man sollte als
weitere Einschränkung darauf hinweisen, dass schon allein
die Größe, die Zweigeschossigkeit und die Weitläufigkeit
dieser Einfamilienvillen für ausreichende Abstände zwischen den Bereichen sorgen konnten. Der in den 1890ern
errichtete Qaṣr Bišāra el-Khoury war daher in seiner Erschließungsstruktur sozial konservativer als die SursockVillen, aber er war auch etwas kleiner. Die hier noch für ein
zweigeschossiges Einfamilienhaus verwendete, geschlossene Treppenhausform sollte im 20. Jahrhundert verstärkt
und immer ausschließlicher für Häuser mit Geschosswohnungen in Gebrauch kommen, wohingegen bei neuerrich-
320
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Abb. 324
Qasr Rayyes, vormals Elias
Sursock, im Quartier Sursock. Postkarte von ca.
1920.
teten zweigeschossigen Villen für die Beiruter Oberschicht
in den 1930ern – sei es in Beirut oder in den Orten der Sommerfrische – vermehrt offene Treppen in einer großen, eingangshallenartigen dār zu finden sind und somit jene Entwicklung weitergeführt wurde, die mit den Sursock-Villen
der 1880er einsetzte.603
Was die Raum- und Erschließungsstruktur der einzelnen
Geschosse mittelgroßer bis großer Häuser angeht, so wurde in der Zeit zwischen den 1860ern und den 1880ern offenbar mit verschiedenen Methoden der Abschirmung des
manzūls und der Entflechtung seiner Zugangswege vom
übrigen, privateren Wohnbereich der Geschosse experimentiert. Dabei lassen sich im Prinzip drei Arten unterscheiden: Der ausschließliche Außenzugang des manzūls,
ein ausschließlicher Innenzugang durch die Mittelhalle, und
eine Kombination von Außen- und Innenzugängen.
Die erste Art war, dem Bestand nach zu urteilen, sehr selten. Das einzige mir bekannte Beispiel war der um 1870 errichtete Qaṣr Kharsa-Batlouni mit seinem nur von der nach
außen offenen Vorderhalle zu betretenden Raum. Und selbst
hier existiert parallel zu diesem Raum ein zweiter, größerer,
der sich durch seine kombinierten Außen- und Innenzugänge (von der Vorderhalle, der Mittelhalle und dem Treppenhaus) als der eigentliche und sehr viel typischere manzūl
ausweist. Dennoch ist für den kleineren Raum eine andere
Funktion als die eines Raumes zum Empfang und zur Unterbringung von Hausfremden kaum denkbar. Von der Idee
her erinnert diese Lösung an die separaten, manzūl ge-
nannten Gästehäuser, wie sie in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts in der Altstadt existierten. Der Vorteil, dass
der hier empfangene hausfremde Besucher völlig von der
häuslich-familiäre Sphäre ferngehalten wird, wurde damit
bezahlt, dass der Gastgeber selbst gezwungen war, den Außenzugang zu benutzen. Dieser Ansatz wurde in der Entwicklung des Beiruter Mittelhallenhauses offenkundig früh
aufgegeben, bzw. überlebte nur in der Form völlig eigenständiger kleiner Gästehäuser, wie es beispielsweise auf
dem Grundstück des Qaṣr Yūsuf Tabet erhalten ist.
Die zweite Art, der ausschließliche Innenzugang durch die
Mittelhalle, war häufiger anzutreffen. Dem bekannten Bestand nach zu urteilen scheint sie dort zur Anwendung gekommen sein, wo das betreffende Geschoss nicht frontal
durch die Dreibogenarkade erschlossen war, sondern durch
einen seitlichen Korridor, der in die Mittelhalle führt (z.B.
Qaṣr Ziadé und Qaṣr Kady). Auf besondere Außenzugänge
des manzūls wurde interessanterweise verzichtet – selbst
dort, wo eine solche ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Da die beiden genannten Beispiele relativ frühe Beispiele
aus den 1860ern bzw. um 1870 sind, könnte man darin eine
Entwicklungsphase sehen, in der der Hausherr und seine Familie noch kein Problem darin sahen, dass Hausfremde die
Mittelhalle betreten und durchqueren mussten. Ähnliches
war ja auch im Hause Yūsuf Gedays in den 1860ern der Fall.
Jedoch existierten damals schon Häuser (z.B. Qaṣr ʿAbdallāh
Beyhum), in denen eine Mehrfacherschließung des manzūls
auch in seitlich erschlossenen Geschossen gegeben war.
321
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Die Erklärung liegt daher wohl weniger in anders gearteten Privatheitsvorstellungen einiger Bauherren als vielmehr
in den räumlichen Zusammenhängen, in denen diese Innenerschließung anzutreffen ist. Denn sowohl im Qaṣr Ziadé wie auch im Qaṣr Kady (freilich nicht bei Geday) findet
sich diese Erschließungsform im unteren Geschoss von
Häusern, deren beide Geschosse als eine zusammenhängende Wohnung angelegt waren. Da dies das Empfangsgeschoss war, konnte die Mittelhalle für Hausfremde offen
stehen. Damit wäre diese Erschließungsart als eine frühe
Stufe jener Entwicklung zu verstehen, die sich dann in den
oben beschriebenen Häusern mit offenen, „Istanbuler“ Innentreppenanlagen fortsetzte: Auch dort betrat der Besucher die zahlreichen Repräsentationsräume des Empfangsgeschosses in der Regel von der dār her, ohne dass dies ein
Problem für die familiäre Privatheit darstellte. Die Villa
Mezher, errichtet in den 1920ern, hatte zwar keine offene Innentreppe zur Verbindung der beiden Wohngeschosse, aber
kam anfänglich ebenfalls mit einem ausschließlichen Innenzugang der Empfangsräume zurecht, so dass die Vermutung nahe liegt, dass auch hier beide Geschosse zunächst
als eine zusammenhängende Wohnung gedacht waren. Diese Erschließungsart des Empfangsraums lebte also lange
fort, blieb aber großen Häusern vorbehalten.
Die dritte Art, der kombinierte Außen- und Innenzugang
des Empfangsraums, kann dagegen als bei weitem die üblichste Variante gelten. Sie lässt sich schon sehr früh, nämlich in den 1850ern, nachweisen, und zwar sowohl bei Erdgeschossen (mit besonderem Zugang von außen, wie beispielsweise im Bayt Saadé) oder bei Obergeschossen (mit
besonderem Zugang von der Treppe, wie im Qaṣr ʿAbdallāh
Beyhum), und sie lässt sich in verschiedenen Variationen
und Kombinationen von zwei oder drei Zugängen durch
den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch beobachten. Empfangsräume mit zwei Zugängen – einen vom Eingangskorridor, einen von der dār – finden sich noch in den
Geschosswohnungen moderner Beiruter Apartmenthäuser
aus den 1960ern. Die Mehrfacherschließung des manzūls,
deren Funktionsweise am Beispiel des Bayt Fakhoury erläutert wurde, kann zentrales Instrument für die Schaffung
der Art häuslich-familiärer Privatheit betrachtet werden,
wie sie besonders von den Beiruter Mittelschichten (aber
auch Teilen der Oberschicht) erstrebt wurde. Diese Lösung
leistete gerade in solchen Fällen die besten Dienste, in denen der Haushalt nur ein Geschoss belegte und daher die
Mittelhalle stärker zum häuslich-familiären Bereich zählte. Allerdings muss einschränkend festgestellt werden, dass
in manchen Apartmenthäusern der 1940er, in denen es kei-
nen Platz für einen gesonderten Empfangsraum gab (bzw.
man es inzwischen vorzog, den vorhandenen Platz für
Schlafzimmer zu nutzen), die dār die Funktion des Wohnzimmers und des Empfangszimmers erfüllte, womit sich
ein ausgeklügelter Schutz der häuslich-familiären Sphäre
durch besondere Erschließungsstrukturen erübrigte.604 Anstelle eines separaten Empfangszimmers, auf dessen Priorität auch bei beschränkten Wohnverhältnissen Ǧurǧī
Zaydān hingewiesen hatte, lag nun die Priorität offenbar
bei genügend separaten Schlafzimmern. Die Grenzen der
Privatheit hatten sich innerhalb des Haushalts und der Familie verschoben.
3.2.2 Wohin mit den Gästen?
Inwiefern ein Besucher die häusliche Privatheit störte, hing
natürlich von seiner Person, seinem Verhältnis zur Familie
und der Art und Dauer seiner Anwesenheit ab. Gäste und
Fremde im Haus konnten verschiedener Art sein, ihre Aufenthaltsdauer konnte stark variieren (von wenigen Minuten bis zu vielen Monaten) und ihre räumliche und soziale
Einbindung entsprechend unterschiedlich ausfallen. Die
große soziale Bedeutung von wechselseitigen Besuchen
und Gastfreundlichkeit, ja die unausweichliche gesellschaftliche Verpflichtung zu ihnen ist schon angesprochen
worden, und sie betraf sowohl Familienangehörige wie
Freunde und Bekannte, Geschäftspartner, Kunden, Schutzbefohlene und andere mehr, und schloss auch völlig Fremde ein – wie das Beispiel zahlreicher europäischer Reisender zeigt, die während ihres Aufenthaltes im „Heiligen
Land“ eine Stippvisite in Beiruter Häusern machten. In typisch kritischem Ton heißt es in einem Muqtaṭaf-Artikel
von 1882:
Besuche sind eine unumgängliche Pflicht zwischen Freunden und Bekannten, und die gastfreundliche Aufnahme eines Besuchers ist notwendigerweise genauso wichtig. Der
Zweck eines Besuches besteht darin, die Freunde zu sehen,
gesellschaftlichen Verkehr (muǧālasa) mit ihnen zu haben
und mit ihnen zu reden. Nur wenn der Besucher den Besuchten gesehen, mit ihm verkehrt und gesprochen hat, ist
der Besuch erfolgreich durchgeführt, sonst nicht. Was das
Anbieten von Limonade, Kaffee und ähnlichem angeht, so
sind dies Nebensächlichkeiten für Menschen von Geist und
Verstand, welche die Früchte eines Gesprächs jedem anderen Obst vorziehen. Oft kommt es aber vor, dass der Gastgeber diesen Nebensächlichkeiten eine solche Aufmerksamkeit zuwendet, dass der Verkehr und das Zusammensein mit dem Besucher darunter leidet, und dies ganz besonders unter den Armen und den Angehörigen der Mittelschicht, so als ob der Besucher nur zu diesem Zweck ge-
322
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
kommen sei. [...] Wichtiger noch als die Aufmerksamkeit
des Besuchten (al-mazūr) gegenüber dem Besucher (azzā’ir) ist die des Gastgebers (al-muḍīf) gegenüber dem Gast
(aḍ-ḍayf). Dies gilt besonders für Frauen: Da kommt eine
Frau von weit her, um einen Tag oder länger bei einer anderen zu weilen, und sieht sie dann nicht außer zu den Essenszeiten!605
Die hier gemachte Unterscheidung zwischen einem Besucher (zā’ir), der nur einige Minuten oder Stunden im Hause weilt, und einem Gast (ḍayf), der mehrere Tage oder Wochen im Hause untergebracht und bewirtet wird, ist bedeutsam. Gerade die Anwesenheit solcher Langzeitgäste
bedeutete ja anzunehmenderweise eine anhaltende Störung
der häuslich-familiären Sphäre, und daher überrascht es
fast, dass sie offenbar nicht ungewöhnlich war. Zum einen
erklärt sich dies – wie im Muqtaṭaf angedeutet – dadurch,
dass in den Zeiten vor der Einführung des motorisierten
Verkehrs die Anreise von Verwandten oder Freunden aus
entfernteren Orten Stunden oder Tage in Anspruch nehmen
konnte und sich daher nur für einen längeren Aufenthalt
lohnte, wobei es für die Besuchten eine selbstverständliche
Verpflichtung war, den Gast im Hause unterzubringen. Dass
dies nicht immer gerne geschah, macht die kritische Bemerkung im obigen Zitat hinreichend deutlich.
Aber auch Nicht-Verwandte wurden offenbar länger im familiären Heim einquartiert, und dies sowohl als Gäste wie
auch als Mieter. Der junge Angestellte des väterlichen Restaurants, der im engen Heim der Familie Zaydān als Schlafgänger untergebracht war, ist schon erwähnt worden. Auch
die amerikanischen Freunde, die während des Zweiten Weltkriegs lange Zeit im Hause der Familie Joseph Ziadé zu
Gast waren, fallen in diese Kategorie. Von ähnlichen Fällen der längeren Unterbringung von Verwandten und NichtVerwandten in ihrem Hause (dem heutigen Sitz des OrientInstituts) berichtet auch Maud Fargeallah in ihren Memoiren.606 Während die beiden letztgenannten Beispiele vor allem die Mandatszeit betreffen, finden sich auch vereinzelte Zeugnisse aus dem 19. Jahrhundert: Die allein reisende
Wienerin Ida Pfeiffer wurde im Jahr 1842, als sie kein Zimmer im Gasthof fand, mehrfach in Privathäusern von (christlichen) Beirutern untergebracht, deren Bewohner sich dadurch ein kleines Zubrot verdienten. Dort konnte sie als Beobachterin am häuslichen Leben der Frauen und Kinder
teilhaben, welches sie als ungewohnt lebhaft beschrieb.607
Der russische Orientalist Kremsky wohnte Ende der 1890er
bei einer (griechisch-orthodoxen) Mittelschichtfamilie, die
ihm zu diesem Zweck ihren Salon vermietete. Dabei benutzte die Familie den Raum allerdings weiterhin, um ge-
legentlich Besucher zu empfangen – die zu seinem Unmut
manchmal auch in den Raum geführt wurden, um den exotischen Gast aus Russland vorzuzeigen. Und natürlich empfing auch Kremsky selbst eigenen Besuch in „seinem“ Zimmer.608 Ähnliches erfahren wir über Šayḫ Muḥammad ʿAbduh (1849–1905), dem bekannten muslimischen Reformer,
der (ähnlich wie sein im ersten Teil dieser Arbeit zitierte
Kollege und Landsmann Šayḫ Muḥammad al-Qāyātī) anlässlich der britischen Besetzung Ägyptens 1882 ins Exil
nach Beirut gegangen war, und zunächst längere Zeit als
Gast im Hause des prominenten sunnitischen Stadtpolitikers Muḥyī ad-Dīn Ḥamāda wohnte, bevor er eine eigene
Unterkunft bezog. Schon als Gast bei Ḥamāda „empfing er
einen ständigen Strom von Besuchern“ aus den intellektuellen und religiösen Kreisen Beiruts und Damaskus’.609 In
keinem der genannten Fälle erhält man den Eindruck, dass
eine solche Langzeitunterbringung, Vermietung von Zimmern in der eigenen Wohnung oder der Empfang von Besuchern durch die Gäste als ungewöhnlich oder schwer erträglich angesehen wurde – weder in Familien der Oberschicht noch der Mittelschicht mit ihren beschränkteren
Raumverhältnissen.
Es stellt sich nun die Frage, wie diese Gäste untergebracht
wurden, um die Störung der häuslich-familiären Privatheit
zu minimieren. Bei den Fargeallahs, die damals als vierköpfige Familie vor allem die Räume des ersten Obergeschosses ihres großen Hauses bewohnten, standen dafür offenbar ungenutzte Zimmer im zweiten Obergeschoss zur
Verfügung. Iskandar Ziadé berichtet, dass Gäste im Qaṣr
Ziadé seinerzeit in der Regel auf temporären Bettstätten,
Matratzen oder Klappbetten in einem der Salons im Nordosten der Obergeschosswohnung gebettet wurden. Hier war
es demnach, genau wie im Falle Kremskys, der Salon, der
zur Unterbringung von Schlafgästen diente. Der Beiruter
Salon stand damit noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz deutlich in der Tradition des manzūls, der
historisch nicht nur ein Empfangszimmer, sondern auch ein
Gästeschlafzimmer war. Sogar die Verwendung von Matratzen und anderen Bettstätten, die tagsüber wieder fortgeräumt wurden, führte traditionelle Wohnpraktiken fort. An
einem der unwahrscheinlichsten Orte, dem prunkvoll im
„europäischen“ Stil eingerichteten Hauptempfangs- und
Repräsentationsraum, lebte die Multifunktionalität des traditionellen Wohnraumes fort.
In eben diesem Sinne berichtet auch Assem Salam, wie der
manzūl im Hause seiner Großeltern – es war der direkt am
Eingang liegende, nordöstliche Seitensaal – nicht nur tagsüber als Empfangszimmer für männliche Besucher diente,
323
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
sondern bei Bedarf auch nachts als Gästeschlafraum benutzt wurde, wo die Männer auf Diwanen und Sofas schliefen. Dasselbe galt auch für den zweiten Seitensaal – von
Salam als Salon bezeichnet – der ebenfalls zum „Männerempfangsbereich“ des Großvaters zählte. Frauen hingegen
durchquerten die Mittelhalle und wurden im rückwärtigen
līwān-Raum empfangen, der als das Wohn- und Empfangszimmer seiner Großmutter, aber auch als Familienzimmer diente. Die gläsernen Verschlüsse der Dreibogenarkade, die diesen Raum von der Mittelhalle trennte, waren aus Gründen des Sichtschutzes weiß gestrichen.610 In
dem sunnitisch-muslimischen Umfeld, in dem Assem Salam
aufwuchs und auf das er sich im Interview hauptsächlich
bezog, gab es also bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine
recht deutliche Geschlechtertrennung hinsichtlich der Orte,
wo Gäste empfangen wurden. Frauen – auch wenn sie familienfremd waren – wurden dabei offenkundig sehr viel
tiefer in die häuslich-familiäre Sphäre einbezogen, als dies
nicht zur Familie gehörenden Männern gestattet wurde.
Dies zeigte sich übrigens ebenso deutlich in Ida Pfeiffers
Erfahrungen als Gast in christlichen Beiruter Familien. Auf
diesen Aspekt wird jedoch im folgenden Kapitel zurückzukommen sein.
Als einen weiteren Ort, an dem Gäste übernachteten, erwähnte Assem Salam die beiden ṭayyāra- oder maṣyaf-Räume, die – ähnlich wie beim Qaṣr Ziadé – die nördliche
Hauptfassade des Salam-Hauses bekrönen. Eine solche historische Nutzungsweise der maṣyaf-Räume darf auch für
den Fall des Qaṣr Ziadé und des Qaṣr Bišāra el-Khoury angenommen werden. Die Lage auf dem Dach und die von
den Wohngeschossen abgeschirmte Erschließung über die
geschlossenen Treppenhäuser prädestinierten sie geradezu
für eine solche Funktion. Darüber hinaus setzte eine solche
Nutzung eine ältere historische Tradition fort: Auch die architektonische Vorläuferform des eckturmartigen Beiruter
maṣyaf, die ʿaliyye – ein in den vorangegangenen Jahrhunderten auf den Flachdächern der älteren Haustypen in der
Art eines Belvedere errichteter Raum (Abb. 325)– diente
nicht nur als luftiger Aufenthaltsraum der Familie im Sommer, sondern wurde als der beste Raum des Hauses auch
bevorzugt zur Unterbringung von Gästen benutzt.611 Ähnlich wie beim Salon wurden hier ältere Wohnpraktiken in
neue architektonische Formen gekleidet. Diese Nutzung
wurde jedoch im Laufe des zweiten Viertels des 20. Jahrhunderts zunehmend aufgegeben, wie auch die Umnutzung
einer der beiden maṣyaf-Räume des Qaṣr Ziadé als Aufstellungsort der Wassertanks für das darunter befindliche
neue Badezimmer indiziert.
Im Allgemeinen wurden also – soweit vorhanden – für die
Unterbringung von Schlafgästen solche Räume benutzt,
die sich durch eine besondere Lage und Erschließung auszeichneten: der manzūl bzw. Salon und der maṣyaf. Die
Präsenz des Fremden und die von ihm ausgehenden Störungen der häuslich-familiären Sphäre wurden durch solche baulich gegebenen Vorkehrungen relativ gut eingedämmt. Völlig vermeiden ließen sich Grenzverletzungen
jedoch nicht: Was passierte, wenn ein Gast baden wollte
oder ein Besucher die Toilette aufsuchen musste? Lagen
die Sanitärräume auch deswegen für lange Zeit ausschließlich im Wirtschaftsbereich des Hauses, weil dadurch
fremde Benutzer besser von den Schlafräumen der Familie ferngehalten wurden? Die Bewegung eines Gastes durch
die Mittelhalle und Korridore der Wohnung war nicht immer vermeidbar – um so weniger, als es oft mehrere Räume gab, die Empfangszwecken dienten. Wenn Kinder
Freunde zu Besuch hatten, hielten diese sich auch in den
Kinder(schlaf)zimmern auf, um die Erwachsenen nicht zu
stören (und durch sie nicht gestört zu werden).612 Auch
Praktiken der räumlichen Geschlechtertrennung, wie sie
beispielsweise im Salam-Haus praktiziert wurden, zwangen
durch die Gegenwart familienfremder Frauen im häuslichfamiliären Bereich ironischerweise die Männer des Hauses zum Rückzug. Die Grenze zwischen Innen und Außen,
familiärer Privatheit und häuslicher Teilöffentlichkeit wurde also auf verschiedenen Ebenen durchbrochen; der Verlauf dieser Grenze hing vom Alter, Geschlecht und Status
des Besuchers ab und wurde durch temporäre Rückzugsund Ausweichbewegungen modifiziert, die sich nicht baulich materialisierten, sondern sich in räumlichen Praktiken
ausdrückten, und die einem stillen Einverständnis, gemeinsamen Verhaltenscodes und einer den Beteiligten verständlichen Signalsprache unterlagen. Die Grundrisse der
Häuser können diese fluktuierenden, ephemeren, allein in
der Handlung konstituierten räumlichen Strukturen nicht
wiedergeben. Ob Türen geöffnet oder geschlossen waren,
war gewiss manchmal bedeutsam, aber nicht dauerhaft.
Und nur gelegentlich erhascht man auf historischen Innenaufnahmen Spuren nicht-baulicher, temporärer Schutzmechanismen: Spanische Wände, die Blicke abfangen, oder
Möbel, die Türen verstellen.
3.2.3 Veränderungen in den Formen der Gastlichkeit
Ähnlich schwierig zu erfassen wie die Art, wie und wo welche Besucher und Gäste empfangen wurden, sind zeitliche
Veränderungsprozesse in den Praktiken, Formen und sozialen Bedeutungen der Gastlichkeit. Dass es zwischen der
324
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Mitte des 19. Jahrhunderts und dem frühen 20. Jahrhundert
in dieser Hinsicht beträchtliche Veränderungen gab, ist allerdings offenkundig. Dies zeigt sich schon bei einem Vergleich zwischen der Art und Weise, wie der Spanier Mentaberry bei Yūsuf Geday in der 1860ern mit Tschibuk und
Kaffee auf dem Diwan bewirtet wurde, wie der MuqtaṭafJournalist einen Empfang bei (Wasser-) Pfeife und Kaffee
im Salon eines Beiruter Notabeln Anfang der 1880er beschrieb, und wie schließlich Nicolas de Bustros die hoch
formalisierten „Jours de réception“ seiner Jugendzeit im
frühen 20. Jahrhundert beschreibt:
Réceptions et visites tenaient alors une place importante
dans la vie sociale. Chaque dame avait son « jour de réception » auquel le Tout-Beyrouth assistait. Les dames étaient
toujours chapeautées, ce que ajoutait une note attrayante au
décor. Les messieurs, par contre, gardaient en main leurs
chapeaux, leurs gants et leurs cannes. On apportait ensuite
le thé, et l’on faisait circuler des assiettes de petits fours, de
gâteaux, et parfois de sandwiches. On imagine sans peine
le sens de l’équilibre que devait avoir chaque monsieur pour
savourer son thé et les petits fours, sans laisser tomber ses
gants, sa canne ou son chapeau!613
Nicht nur die servierten Speisen und Getränke, die Kleidung, Körperhaltungen und der Habitus hatten sich verändert; auch die Namen, die Formen und der räumliche Ablauf
der häuslichen Gastlichkeit und Geselligkeit hatten sich gewandelt. Die eben genannten Beispiele betrafen die Beiruter Oberschicht, aber man muss davon ausgehen, dass diese Veränderungen am Anfang des 20. Jahrhunderts auch
schon maßgebliche Teile der städtischen Mittelschichten
erfasst hatten. Zu diesem Schluss muss man zumindest kommen, wenn man das arabischsprachige Benimmbüchlein
zur Hand nimmt, das der Beiruter Journalist und Publizist
Ḫalīl Sarkīs (lebte 1842–1915) im Jahr 1911 veröffentlichte – mit dem unumwundenen Titel: Die Bräuche bei Besuchen, Gastmahlen, Hochzeiten und Trauerfeiern, das gute
Benehmen bei Gesellschaften und anderes mehr.614
Das Aufkommen solcher moderner arabischer Benimmliteratur kann als eine signifikante Entwicklung der Zeit um
die Jahrhundertwende gelten. Auch al-Muqtaṭaf begann ab
Mitte der 1890er, Auszüge aus neu erschienenen arabischen
Benimmbüchern sowie eigene Beiträge zum Thema ādāb
(d.h. gutes, wohlerzogenes Benehmen) abzudrucken. Dies
ist ein deutlicher Beleg für eine gewachsene Nachfrage nach
verlässlichen und erwerbbaren Kenntnissen des zeitgemäßen, „modern-bürgerlichen“ guten Benehmens – Umgangsformen, die als sichtbarer Ausdruck der „Zivilisiertheit“ (auch Sarkīs benutzt dafür den Begriff at-tamaddun)
Abb. 325
Ländliches Haus mit offenem līwān und einer ʿaliyye. Darstellung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
ihrer Träger fungieren konnten. Es versteht sich, dass solche Publikationen kein Mittel der Neueinführung von Benimmregeln sein können, sondern nur der weiteren Verbreitung und Kanonisierung von Regeln dienen, die schon
in den gesellschaftlich maßgeblichen Kreisen akzeptiert
sind. Die detaillierten Ratschläge hinsichtlich richtigen Benehmens, der richtigen Form der Einladung zu geselligen
Anlässen, der richtigen Durchführung solcher Gesellschaften und anderer Dinge mehr zeigen allerdings auch,
dass in den damaligen Publikationen davon ausgegangen
wurde, dass den Leser(innen) dies alles noch nicht gänzlich vertraut war – einerseits vielleicht, weil die Formen
sich ungewöhnlich schnell verändert hatten, andererseits
wohl auch, weil viele Leser erst jüngst neu in die betreffenden gesellschaftlichen Schichten aufgestiegen waren.
Da den gebildeten Kreisen auch europäische Benimmliteratur in den Originalsprachen zugänglich gewesen sein
muss, ist es hinsichtlich der augenscheinlichen „Europäisierung“ der Umgangsformen besonders interessant, dass
lokal produzierte arabischsprachige Benimmbücher wie jenes von Sarkīs an vielen Stellen auf die – manchmal nur
geringfügigen – Unterschiede zwischen den modernen
„fränkischen“ Sitten und den zeitgemäßen lokalen Gepflogenheiten hinweisen, die sich zwar offensichtlich an europäisch-bürgerlichen Formen orientierten, aber eben nicht
identisch mit ihnen waren. Anders als in den 1860ern zu
Zeiten von Buṭrus al-Bustānī (der übrigens Sarkīs’ Schwiegervater war), bei dem die Peinlichkeiten und Missverständnisse, die aus den damals noch viel inkompatibleren
Umgangsformen und wechselseitigen Anpassungsversuchen der „Franken“ und der Einheimischen in Beirut entstanden, noch Stoff für augenzwinkernde Anekdoten boten, vereinte der moderne, kultivierte Beiruter bei Ḫalīl
325
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Sarkīs (Abb. 326) nunmehr in sich eine gute Kenntnis der
„fränkischen“ Umgangsformen mit der sicheren Beherrschung der zeitgemäßen, lokalen Formen guten Benehmens.
Und nicht nur die Beherrschung der Formen, sondern auch
die Beachtung dieser feinen Unterschiede konnte für den
gesellschaftlichen Status sicherlich bedeutsam sein. Dass
gerade jemand wie Sarkīs, der in der gehobenen Beiruter
Gesellschaft gut integriert war, in den gebildeten Kreisen
der Stadt und der Region verkehrte und gleichzeitig durch
Reisen nach Istanbul, Europa und den USA über ein hinreichendes Maß Weltgewandtheit verfügte, in seinen letzten Lebensjahren ein Benimmbuch verfasst hat, muss sicherlich als ein Glücksfall für die sozial- und alltagsgeschichtliche Forschung gelten.
Die neuen Formen der häuslichen Gastlichkeit, die bei
Sarkīs behandelt werden, umfassten den von der Frau regelmäßig ausgerichteten, sehr britisch anmutenden FünfUhr-Tee (sāʿat aš-šāy, die „Teestunde“), Einladungen zum
Mittagessen im kleinen häuslichen Kreise (ṭaʿām al-ġadā’),
festliche Abendessen und Abendgesellschaften (layālī sāhira) mit oder ohne Tanz (muḫāṣira – wörtlich: jemanden um
die Taille halten) und ähnliche mehr oder weniger förmliche Geselligkeiten.615 Ganz ähnlich schwärmt Nicolas de
Bustros von den „jours de réception“ (Tee-Empfängen) bei
den Damen der Oberschicht, „grandes réceptions“, „grands
dîners“ und sogar „garden parties“.616 Nachmittägliche oder
abendliche Feste im Haus oder im Garten – oft mit bis ins
Detail vorgeplantem Unterhaltungsprogramm und Gesellschaftsspielen – wurden als ein damals Verbreitung findendes Phänomen schon 1895 im Muqtaṭaf besprochen.617
Mit der Einführung solcher Formen der Geselligkeiten, die
Abb. 326
Ḫalīl Sarkīs. Aufnahme von 1912.
mit ihrem ganz eigenen Regelwerk einhergingen, wurden
auch neue raumbezogene bürgerliche Rituale in die Beiruter Häuser eingeführt. Sarkīs erläutert in seinem Buch, wie
beispielsweise bei förmlichen Abendessen nach Aufheben
der Tafel die Gäste sich erheben und vom Esszimmer in den
Salon hinüber wechseln, um dort den Kaffee serviert zu bekommen. Anschließend ziehen sich die Herren in das
Rauchzimmer zurück, wo sie nach Belieben Tabak genießen
(allerdings die moderne Zigarette und Zigarre, denn wie
Sarkīs anmerkt, waren Tschibuk und Wasserpfeife bei solchen Anlässen nicht mehr statthaft) und sich im Gespräch
ernsteren Themen zuwenden dürfen als beim Essen oder
Kaffee. Die Damen frischen inzwischen – wiederum in einem dafür vorgesehenen Raum – ihre Toilette auf und kehren anschließend in den Salon zurück. Die Männer, so mahnt
Sarkīs, sollten ihren Aufenthalt im Rauchzimmer nicht zu
lange ausdehnen, sondern bald ebenfalls in den Salon zurückkehren, da es sich nicht ziemt, die Damen zu lange allein zu lassen, insbesondere, wenn die Abendeinladung auch
Tanz vorsieht.618
Hier zeigt sich, wie die räumlich-funktionale Ausdifferenzierung, die an großen Beiruter Häusern seit den 1870ern zu
beobachten ist, in ganz enger Beziehung zu veränderten sozialen Praktiken stand und nicht etwa einfach nur prätentiöse, inhaltsleere Kulissenlandschaften waren. Das formvollendete und standesgemäße Ausrichten dieser neuen Formen von Abendessen und Abendgesellschaften erforderte
notwendigerweise ein Raumprogramm, das den neuen Regeln entsprach und sich als Bühne für diese identitätsstiftenden gesellschaftlichen Rituale eignete (Abb. 327–329).
Das Vorhandensein eines Esszimmers, eines Salons und eines Rauchzimmers war hierfür unabdingbar: „Wenn allerdings das Haus groß und sein Besitzer es sich leisten kann,
dann wird darin ein Esszimmer, ein Empfangszimmer und
ein Rauchzimmer eingerichtet“, so umriss al-Muqtaṭaf im
Jahr 1903 dieses neue Standardprogramm mit dem typischen Ton der Selbstverständlichkeit.619 Bei abendlichen
Tanzveranstaltungen oder Bällen musste laut Sarkīs zudem
noch ein Garderobenraum, weiterhin ein Raum, in welchem
die Frauen ihren Putz und ihre Toilette überprüfen und in
Ordnung bringen konnten, und schließlich ein Wartezimmer für das die Gäste begleitende Dienstpersonal bereit gestellt werden.620 In großen Oberschicht-Häusern des späteren 19. Jahrhunderts war dies realisierbar und spätestens ab
den 1880ern (man denke an die Sursock-Villen) auch üblich. Auch der ältere Qaṣr Ziadé mit seinen zahlreichen repräsentativen Räumen war möglicherweise schon für diese Praktiken ausgelegt. Man versteht, warum und zu wel-
326
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Abb. 327–329
Räume für bürgerliche Rituale: Qaṣr Maurice Sursock, der
Salon, das Speisezimmer, die Mittelhalle. Aufnahmen aus den
1960ern.
chen Zwecken – laut den Darstellungen von Interviewpartnern – bei festlichen Anlässen „alle Räume“ der
betreffenden Etage für die Gäste geöffnet wurden. Bei kleineren Häusern der Mittelschicht fehlten dafür jedoch die
Räumlichkeiten. Zur guten Erziehung eines Angehörigen
der aufstrebenden Mittelschicht gehörte es also, zu wissen,
„was sich gehört“ und „wie man es eigentlich macht“, ohne dass man es selbst im eigenen Hause so hätte realisieren könnte. Die neuen Geselligkeits- und Gastlichkeitsformen hatten demnach einen eindeutig schichtspezifischen
Charakter und fungierten daher umso mehr als Marker von
gesellschaftlichem Status.
Man darf keineswegs davon ausgehen, dass die gesamte
städtische Oberschicht und gehobene Mittelschicht sich die327
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
se Formen und Rituale in gleichem Maße und zur gleichen
Zeit zu eigen machte oder machen konnte. Allein schon die
zentrale Rolle, die die neue Benimmliteratur der Frau als
Hausherrin und Gastgeberin zuwies, und mehr noch die
vorgesehenen Paartänze legen nahe, dass sozial konservativere Kreise – wie etwa die muslimische Oberschicht –
sich diese neuen Formen nur bedingt aneignen konnten.
Auf eine gewisse Vielfalt und Widersprüchlichkeit der geläufigen Sitten weist schon Sarkīs selbst in seinem Büchlein hin, wenn er wiederholt Unterschiede in den Gepflogenheiten fortschrittlicherer und konservativerer Kreise erläutert. Dies kommt besonders dort zum Tragen, wo der
häusliche Habitus nicht nur durch Schichtenzugehörigkeit,
sondern beispielsweise auch durch Religionszugehörigkeit
(oder besser: eine auf Konfession beruhende Gruppenzugehörigkeit) mitbestimmt war.
Sehr erhellend sind in diesem Zusammenhang die Erinnerungen Assem Salams: Er berichtet, dass die Mittagessen
und Abendessen im Hause seiner Eltern und Großeltern – als
Angehörige der sunnitischen Oberschicht Beiruts – eine
sehr förmliche Angelegenheit waren. Das Essen wurde auf
„europäische“ Art im Speisezimmer am Esstisch unter Verwendung von Teller, Messer, Gabel etc. eingenommen, und
alle Familienmitglieder hatten anwesend zu sein.621 Da diese Anwesenheitspflicht auch die Frauen einschloss, waren
die Essen eine sehr private Angelegenheit: Besucher wurden nicht dazu eingeladen, sondern mussten „draußen warten“. Laut Salam wurden bis in die 1930er keine Dinnerparties gegeben, ja es war sogar „allgemein Sitte, dass Muslime niemals zu Empfängen in ihren Häusern einluden“.
Als Ausnahme in dieser Hinsicht galt noch in den 1930ern
Saeb Salam, Assems Onkel (und späterer Ministerpräsident
des Libanon), der als ein ausgesprochener Individualist galt
und auch als erster unter den Salams seiner Generation nach
seiner Heirat aus dem Elternhaus in eine eigene Wohnung
zog. Das Esszimmer im Hause Salam war übrigens der einzige Raum des Hauses mit einem richtigen Tisch; der Großvater – dessen Büro sich in der Altstadt befand – benutzte
den Esstisch daher gelegentlich auch zum Schreiben, die
Kinder machten dort ihre Schulaufgaben und erhielten
manchmal Unterricht durch Privatlehrer. Nur bei dieser
nicht-nominellen Nutzung des Esszimmers hatte hier also
ein Familienfremder Zutritt. Andererseits wurde bei manchen besonderen Anlässen, etwa während des Fastenmonats Ramadan für den ifṭār (das abendliche Fastenbrechen)
und den saḥūr (das frühmorgendliche Essen vor Fastenbeginn), gar nicht im Esszimmer, sondern im līwān, d.h. dem
Wohn- und Empfangszimmer der Großmutter Kulṯūm ge-
speist – und zwar in betont traditioneller Weise auf dem Boden um eine große ṣīniyye sitzend. Auch hierbei waren Gäste nicht zugelassen. Bleibt hinzuzufügen, dass garden parties oder Gartenempfänge, wie sie laut Nicolas de Bustros
und al-Muqtaṭaf schon um die Jahrhundertwende in
Schwange kamen, bei Salams nie üblich waren – vermutlich, so Assem Salam, weil der Garten als zu offen und ungeschützt wahrgenommen wurde. Allerdings wurden jährlich zu Ramadan öffentliche ifṭār-Empfänge gegeben, zu
denen die Männer aus der Nachbarschaft eingeladen waren, und für die im Garten temporäre Bauten in der Art von
Ramadan-Zelten errichtet wurden.622 Hier zeigt sich also,
dass – obgleich das Salam-Haus sich weder in Grundriss,
Dekor oder ostentativer Außenwirkung von anderen Mittelhallenhäusern seiner Zeit unterschied (ʿAnbara Salām
nannte es ein Haus in „einer Art italienischen-französischem
Stil“623) – die sozialen Praktiken der sunnitischen Bewohnerfamilie sich hinsichtlich Empfang und Bewirtung von
Gästen in vielem vom dem vermeintlichen gesellschaftlichen Mainstream unterschieden, als dessen Sprachrohr sich
die zeitgenössische Benimmliteratur verstand. Der gleiche
Haustyp konnte offenbar mehreren unterschiedlichen „Subkulturen“ des Wohnens dienen.
Das heißt selbstverständlich nicht, dass sunnitische oder
muslimische Häuser nicht gastfreundlich waren; der Empfang von Familienfremden wurde nur – mit Rücksicht auf
herrschende Konventionen der Geschlechtertrennung und
des Schutzes der häuslich-familiären Sphäre – anders organisiert. Letztendlich hatten besonders die Familien der
Oberschicht, die eine gesellschaftliche und politische Führungsposition innehielten oder anstrebten, unabhängig von
ihrer religiösen Zugehörigkeit die soziale Verpflichtung,
ein „offenes Haus“ zu führen. Šākir al-Ḫūrī spricht an einer Stelle seiner 1908 publizierten Memoiren ganz ausdrücklich davon, dass die Bewirtung vieler Gäste ein Merkmal richtig verstandenen Standesbewusstseins ist, „die feste Grundlage der alten Häuser“.624 Und tatsächlich heißt es
über den sunnitischen Stadtpolitiker Muḥyī ad-Dīn Ḥamāda
(Beiruter Stadtratspräsident von 1882 bis 1893), dass sein
Haus abends immer voller Besucher war, die dort über Politik und Religion diskutierten.625 Auch der ägyptische Exilant Muḥammad al-Qāyātī erlebte Anfang der 1880er große Abendgesellschaften (saḥrāt) in den Häusern der sunnitischen Oberschicht, und zwar im Haus ʿAbd al-Fattāḥ
Ḥamādas (des Vaters von Muḥyī ad-Dīn) und den Häusern
der Familie Beyhum. Man kann davon ausgehen, dass diese Abendgesellschaften reine Männerrunden waren (der sittenstrenge al-Qāyātī hätte die Gegenwart von Frauen sonst
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Abb. 330
Häuser der führenden Politikerfamilien spielen immer
auch eine öffentliche Rolle:
Das Haus der Familie Salam in Moussaitbé, in einer
Aufnahme aus den 1960ern.
gewiss angemerkt), und die Gastgeber gehörten sämtlich
zu der kleinen Gruppe führender sunnitischer Familien in
Beirut, die Politikerdynastien hervorbrachten, und zu denen später, ab der Jahrhundertwende, auch die aufstrebende Salam-Familie zu zählen begann. Die politische und öffentliche Funktion dieser häuslichen Versammlungen ist offenkundig, und es wird deutlich, dass in einer Stadt, in der
es damals keine institutionalisierten Versammlungsräume
gab, gerade die Häuser der Notablen – unabhängig ihrer
Konfession – essentielle politische und öffentliche Funktionen erfüllten (Abb. 330). Sie waren kein öffentlicher
Raum im Habermas’schen Sinne, aber als Orte der Zusammenkunft und der politischen und gesellschaftlichen Diskussion war ihre Bedeutung substantiell.
Qāyātī sagt ausdrücklich, wie selten die oben erwähnten
größeren Abendgesellschaften seinerzeit in Beirut allgemein waren, und dass ansonsten allenfalls abendliche Besuche bei Verwandten üblich waren. Man muss sich allerdings fragen, ob dies als repräsentativ für die frühen 1880er
gelten kann, oder ob er diesen Eindruck erhielt, weil er
hauptsächlich in sunnitischen Kreisen verkehrte. Denn hinsichtlich der christlichen Oberschicht erfahren wir von Šākir
al-Ḫūrī, dass beispielsweise der Marquis Mūsā de Freige
(Abb. 331) „die Gewohnheit hatte, in seinem Hause Bälle
zu geben, zu denen er die großen und wichtigen Persönlichkeiten einlud“. Das tat der Marquis offenbar schon Mitte der 1880er, und gelegentlich zu Ehren hoher politischer
Persönlichkeiten, beispielsweise für den Wālī von Syrien,
Rašīd Nāšid Pascha (im Amt 1885–88). Im Jahr 1889 feierte de Freige die Geburt seines Sohnes, und zwar mit 250
geladenen Gästen und im hellen Schein des Gaslichts, das
damals in Beirut entlang wichtiger Straßen und in den Häusern der Reichen eingeführt worden war. Des weiteren berichtet al-Ḫūrī von einem Kostümball im Hause von Georges Mūsā Sursock im Jahr 1896, für den sich die geladenen Damen und Herren als historische Persönlichkeiten zu
verkleiden hatten.626 Solche Veranstaltungen zählten schon
zu jenen Formen von Gastlichkeit, wie sie die neue Benimmliteratur der Jahrhundertwende behandelt, und wie de
Bustros sie nostalgisch in seinen Memoiren beschreibt. Aber
sie besaßen – so gewinnt man den Eindruck – in den
1880ern durchaus noch Sensationswert. Immerhin waren
solche Bälle zwangsläufig Geselligkeiten, an denen Männer
und Frauen gemeinsam teilnahmen, worin sie sich von den
Abb. 331
Der Marquis Mūsā
de Freige in einer
Aufnahme aus dem
späten 19. Jahrhundert.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Abendgesellschaften der sunnitischen Oberschicht unterschieden. Aber die Rolle, die Mūsā de Freiges Gattin Alice
de Freige – die Tochter des lang ansässigen „local foreigner“
und österreichischen Konsuls Georges Laurella – in den begeisterten Beschreibungen Šākir al-Ḫūrīs als weltgewandte und hochkultivierte Gastgeberin spielte, muss für die
1880er vermutlich noch als Ausnahme gelten.627 Wir erfahren beispielsweise nirgendwo in al-Ḫūrīs Memoiren,
dass er selbst – der immerhin zu den regelmäßigen Gästen
bei de Freiges und Sursocks gehörte, aber dem Tanz und
Treiben lieber zuschaute als dabei mitzumachen – jemals
ähnliche Abendgesellschaften gegeben hätte, oder dass er
seine eigene Frau gerne in der Rolle von Madame de Freige gesehen hätte. Was die Angehörigen der Beiruter Oberschicht ihrer Stellung schuldig waren, hätte bei Angehörigen selbst der gehobenen Mittelschicht wohl anmaßend
oder unziemlich gewirkt.
Die alltäglicheren und weiter verbreiteten Formen der Gastlichkeit unterschieden sich in den 1880ern offenbar auch
noch deutlich von jenen, die in der Benimmliteratur der
Jahrhundertwende beschrieben werden. Bei al-Qāyātī beispielsweise wird an vielen Stellen deutlich, dass kleine häusliche Gästerunden in der Regel tagsüber stattfanden und
recht häufig waren, und dass er gelegentlich auch abends
in kleiner Runde bei einem šayḫ oder Notabeln eingeladen
war. Er beschreibt auch, wie es bei den Beirutern Sitte war,
sich an Feiertagen mittags und nachmittags wechselseitige
Besuche zuhause abzustatten, wobei der Besucher ein kleines, von einem Diener getragenes Tablett mit Süßigkeiten
als Gastgeschenk mitbrachte – Süßigkeiten, die dann vom
Diener oder Dienstmädchen der oder des Besuchten auf
dem Tablett herumgereicht wurden.628 (Die Gegenwart des
Dieners weist darauf hin, das wir es hier mit einer Gepflogenheit der bessergestellten Schichten zu tun haben.)
Sarkīs erläutert, wie es „früher“ üblich war, dass die Dame
ihre Besucher – wohlgemerkt im geschlechtsneutralen Maskulinum, „zā’irīhā“ – zu den allgemeinen Besuchszeiten
empfing, ohne ihnen etwas zu trinken oder zu essen anzubieten. Die Besuchszeiten, auf die sich Sarkīs bezieht, waren nachmittags von drei bis sieben Uhr. Dagegen sei es
„heute“ üblich, die Teestunde um fünf Uhr abzuhalten und
zum Tee auch Gebäck (kaʿk) und Marmelade (murabbā)
anzubieten – entweder in traditionellerer Form auf einem
Tablett oder in modischerer Form als Buffet.629
Der Hinweis, den Sarkīs auf die früher übliche Form des
nachmittäglichen Frauenempfangs gibt, ist daher historisch
interessant, weil er Zeugnis vom Prozess der Einführung
und zunehmenden Formalisierung des sogenannten istiqbāl
im ausgehenden 19. Jahrhundert gibt. Laut Friederike Stolleis ist der istiqbāl – der im regelmäßigen wöchentlichen
oder vierzehntägigen Turnus stattfindende nachmittägliche
„Empfangstag“ der Hausherrin für ihre Freundinnen und
Bekannte – eine Geselligkeitsform, die erst im späten 19.
Jahrhundert ursprünglich von den Damen der Istanbuler
Oberschicht unter der Bezeichnung kabul günü (d.h. „Empfangstag“) eingeführt wurde. Möglicherweise, so Stolleis,
stand seine Einführung mit der Sitte des Salons oder Kaffeekränzchens im Zusammenhang, wie sie die in Istanbul
ansässigen europäischen Frauen abhielten, um Kontakt zueinander zu halten; und möglicherweise wurde dem in der
osmanischen Gesellschaft älteren Brauch des Kaffeetrinkens so eine neue Form gegeben, die es den Damen der osmanischen Oberschicht erlaubte, ihre sozialen Kontakte in
einer regulierten Form zu pflegen.630 Von Istanbul verbreitete sich diese neue Sitte vermutlich über die Frauen der
osmanischen Verwaltungseliten in die Provinzhauptstädte.
In Damaskus beispielsweise scheint der istiqbāl etwa um
die Jahrhundertwende erstmalig eingeführt worden zu sein,
angeblich von den Frauen der osmanischen Gouverneure;
er fand bald Nachahmer in den einheimischen Oberschichten. Ähnlich – so lässt sich aufgrund fehlender Quellen nur
vermuten – muss die Verbreitung dieser Sitte auch in Beirut stattgefunden haben.
Die von Sarkīs beschriebene Teestunde (sāʿat aš-šāy) könnte – was sich ja auch in seiner lokal ebenso üblichen französischsprachigen Bezeichnung „jour de réception“ widerspiegelt – letztlich nur eine nochmals modernisierte, in
neuer englisch-bürgerlicher Form ritualisierte Version des
istiqbāl verstanden werden. Dass die Teestunde darüber hinaus wegen der anzubietenden Speisen und Getränke auch
kostspieliger abzuhalten war als ihr Vorläufer, und dass Tee
anstelle des sonst in Beirut als Getränk sehr viel üblicheren (türkischen) Kaffees angeboten wurde, erhöhte natürlich ihren Distinktionsgewinn. Während diese Teestunde in
den sich fortschrittlich gebenden Teilen der christlichen
Ober- und Mittelschichten offenbar auch unter Teilnahme
von Männern stattfinden konnte, war und blieb sie bei den
muslimischen Angehörigen derselben Schichten eine Frauensache: „Les dames musulmanes se contentaient de rendre visite à leurs amies, en l’absence absolue de représentants du sexe fort“, bemerkt dazu der griechisch-orthodoxe Nicolas de Bustros für das frühe 20. Jahrhundert.631 In
seiner verbürgerlichten Form konnte dieses Ritual auch bei
Muslimen in demselben Raum stattfinden wie die Männerrunden, die dort zu anderen Tagen oder Tageszeiten abgehalten wurden: dem Hauptempfangszimmer oder Salon
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
des Hauses.632 Hier zeigen sich Unterschiede in der Organisation der Geschlechtersegregation auch innerhalb derselben Konfession: Im Hause Salam war eine solche temporäre Umkehrung der geschlechtsspezifischen Zuschreibung von Räumen nicht üblich – vermutlich weil die politische Rolle dieser Familie verlangte, dass der Hauptempfangsraum ständig für (männliche) Klienten und Besucher
bereit stand.
Über eine weitere traditionelle frauenspezifische Geselligkeitsform, die ṣubḥiyye – informelle Besuche oder Frühstückstreffen befreundeter Frauen und Nachbarinnen am
Vormittag, einer Zeit, wenn die Männer in der Regel außer
Haus sind – kann leider nichts Genaueres gesagt werden,
weil die bearbeiteten historischen Quellen dazu schweigen.
Dieses Schweigen mag unter anderem daher rühren, dass
die ṣubḥiyye mehr noch als der nachmittägliche istiqbāl eine ausschließliche Frauensache war, über die vor Männern
und von Männern nicht gesprochen wurde, und dass sie außerdem weit informeller war und blieb – und damit für die
Benimmliteratur eher uninteressant war. 633 Man muss jedenfalls davon ausgehen, dass diese soziale Institution besonders (aber nicht nur) in den konservativen Teilen der
Beiruter Ober- und Mittelschichten, in denen gemischte Geselligkeit als problematisch angesehen wurde, eine wichtige Rolle spielte.
Es lässt sich also beobachten, dass im Unterschied zur Oberschicht die Geselligkeiten der oberen Mittelschicht zwar
auch häufig waren, aber hinsichtlich Teilnehmerzahl, Teilnehmerkreis und Besuchszeit begrenzter waren. Damit ließ
sich die Störung häuslicher Privatheit sowohl im Raum wie
in der Zeit besser eingrenzen – was gerade bei den Geschosswohnungen der Mittelschicht von unschätzbarem
Vorteil war. Durch eine zeitliche Versetztheit von Frauenund Männerveranstaltungen ließen sich ungewünschte Begegnungen zusätzlich nicht nur durch räumliche, sondern
auch zeitliche Grenzziehungen vermeiden. Je kleiner die
Wohnung, desto wichtiger war der Faktor Zeit.
Unterschiede in Formen und räumlicher Organisation von
Geselligkeit waren schichtbedingt: Dies nicht nur, weil
große Empfänge und Gesellschaften – im Sinne von „Viel
Gast, viel Ehr“ – voraussetzten, dass es viel Platz im Haus
gab, sondern auch, weil die neuen Rituale des Raumwechselns, wie sie in Sarkīs’ Benimmbuch beschriebenen
sind, nur in Häusern realisiert werden konnten, die die erforderliche Zahl und Art von Räumen aufwiesen. Unterschiede in Formen und räumlicher Organisation von Geselligkeit waren aber auch durch andere Faktoren bedingt,
etwa die Konfessionszugehörigkeit und die politische Rol-
le der Familie. Angesichts dieser Vielfalt selbst innerhalb
der oberen Mittelschicht und Oberschicht ist es sehr
schwierig, den Wandel in den Formen und Praktiken der
Gastlichkeit in eine umfassende und zusammenhängende
Narrative zu fassen.
Man könnte natürlich allgemein sagen, dass allein die zunehmende Verbreitung geräumiger Mittelhallenhäuser bzw.
Mittelhallen-Geschosswohnungen als Standardwohnform
auch der bessergestellten Mittelschicht es für eine zunehmende Zahl von Menschen möglich machte, die häusliche
Gastfreundschaft besser mit den familiären Privatheitsbedürfnissen zu vereinbaren, und dass die Popularisierung
dieses Haustyps auch die Popularisierung von bis dahin
auf die Oberschicht beschränkten Formen der Gastlichkeit
bedeutete.
Interessanterweise war selbst das nicht unbedingt der Fall:
Šākir al-Ḫūrī beklagt sich darüber, dass soziale Aufsteiger
sich Häuser bauten wie ihre vormaligen Herren, aber das
Aussehen der Häuser ihnen wichtiger sei als die Bewirtung
vieler Gäste, die ja laut al-Ḫūrī der eigentliche Indikator
sozialen Ranges sei.634 Anders ausgedrückt, übernahmen
Aufsteiger und Neureiche zwar die Form der Wohnhäuser
der gesellschaftlichen Elite, aber nicht deren soziale Funktion. Es geht bei dieser Kritik wohl um mehr als die übliche Klage über den Verfall altbewährter Sitten (in diesem
Falle der alten, großzügigen Gastfreundschaft). Sie hat weitreichende politische Implikationen, die hier nur angedeutet werden können: Sie bedeutet letztendlich, dass der erreichte wirtschaftliche Wohlstand einer Familie sich oft
nicht in eine Übernahme gesellschaftlicher und politischer
Verantwortung übertrug, dass also Reichtum nicht mehr als
Verpflichtung wahrgenommen wurde. Häuser wie die der
reichen Notablen-Familien Hamadé und Beyhum hatten eine öffentliche Funktion, die nicht nur im täglichen Empfang zahlreicher Gäste und Diskussionen um Politik und
Religion bestand, sondern auch im fortwährenden Unterhalt des Klientelverhältnisses, das eine Unterstützung sozial und wirtschaftlich Schwächerer als Gegenleistung für
deren Loyalität und Dienstleistungen beinhaltete. Nicht nur
sozial Gleichrangige und Ehrengäste wurden empfangen,
sondern auch Menschen, die in Dienst- und Abhängigkeitsverhältnissen standen, und Menschen, die als Bittsteller kamen. Wie immer man dieses Klientelsystem politisch
beurteilt, es kann als eine Form der Übernahme sozialer
Verantwortung gesehen werden. Die Familie Beyhum verdankte – zumindest laut einer Familienüberlieferung – ihren Namen dieser sozialen Funktion: Ihr Stammvater, ein
Angehöriger der Alt-Beiruter Familie ʿĪtānī, erhielt im frü331
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
hen 19. Jahrhundert den Ehrennamen Beyhum, soll heißen
„ihr Vater“ – gemeint war der Überlieferung zufolge der
„Vater der Armen“.635
Dem Gedanken al-Ḫūrīs zufolge fehlte den großen und
prachtvollen Häusern vieler Neureicher diese soziale Komponente. Tatsächlich dienten ihre eleganten Fassaden und
ihre hohen und reich dekorierten Räume der Produktion
und Repräsentation von gesellschaftlichem Status, Wohlstand und Macht, aber nicht unbedingt als Raum zur Praktizierung traditionell verstandener Gastfreundschaft und
Großzügigkeit, oder der Schaffung sozialer Gemeinschaft.
Soziale Hierarchie wurde nicht durch Einbindung, sondern
durch stärkere räumliche und symbolische Ausgrenzung
sozioökonomisch Schwächerer geschaffen. Anders als die
Häuser der alten Notablen-Familien, die häufig inmitten
kleinerer Häuser in sozial gemischten Nachbarschaften standen, bildeten die Villen der Neureichen auf den Hügeln von
Zokak el-Blat und Achrafieh sehr viel homogenere Nachbarschaften mit großen, ummauerten Gärten. Die Zahl großer Feiern und Abendgesellschaften nahm zwar zu, aber
diese Feiern waren nicht mehr offen für alle, sondern wurden zu Soirées für geladene Gäste, die in der Regel derselben gesellschaftlichen Schicht angehörten. Angehörige niedrigerer Schichten hätten sich, selbst wenn sie Eintritt erlangt hätten, fehl am Platze gefühlt, denn sie beherrschten
ja kaum die neuen, verfeinerten Umgangsformen, die sich
die Oberschicht zu Eigen gemacht hatte. Öffentlichkeit wurde aus dem Hause verdrängt. Anders als das eingangs zitierte Sprichwort suggeriert, war das Haus – ja selbst der
Empfangsraum – nicht mehr offen für jeden, der vorbeikam. Die Kehrseite der extremen sozialen Mobilität, welche Beirut ab dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts charakterisierte und zur Entstehung neuer wohlhabender
Schichten führte, war eben auch, dass die Arrivierten nunmehr ihrerseits ihren neugewonnenen Status gegenüber denen, die tiefer auf der sozioökonomischen Leiter standen,
deutlich machen und verteidigen mussten.
Diese neue, exklusivere Praxis von Klassenunterschieden erfuhr Sulaymān aṣ-Ṣalībī, der Vater des libanesischen Historikers Kamal Salibi, am eigenen Leib: In seinen Memoiren erzählt der Historiker, wie sein Großvater Ḫalīl aus
Bhamdoun im ausgehenden 19. Jh. einige Jahre als landwirtschaftlicher Verwalter für den Marquis Mūsā de Freige
gearbeitet hatte. Als Ḫalīl im Jahr 1900 starb, erhielt dessen Sohn Sulaymān den Auftrag, den Marquis in Beirut persönlich aufzusuchen, ihm vom Tode seines Verwalters zu
benachrichtigen und ihm eine in Treuhand ausstehende
Geldsumme zurückzuerstatten.
Im Qaṣr de Freige angekommen, ließ man ihn zu seiner
Überraschung im Eingang warten, statt ihn in den Empfangsaal zu bitten. Immerhin brachte ihm ein Diener eine
Tasse Kaffee, die Sulaymān allerdings beiseite stellte, als
er feststellte, dass eine Fliege darin schwamm. Als der Marquis endlich kam, zeigte er sich wider Erwarten über die
Todesnachricht in keiner Weise betrübt, und ließ sich auch
nicht dazu herab, in traditionell üblicher Weise sein Beleid
zu bekunden. Er freute sich allerdings sichtlich über das
Geld – weil er völlig vergessen hatte, dass die Summe bei
seinem Verwalter in Treuhand gewesen war. Dann schickte er den konsternierten Besucher ohne weitere Umstände
wieder fort.636
3.3 Frau im Haus
Neben der Schicht- oder Klassenzugehörigkeit – oder alternativ dazu, dem Verwandtschaftsgrad – ist das wichtigste
Zugangskriterium zum Haus und seinen verschiedenen Räumen das Geschlecht. Im Vorangegangenen ist wiederholt
auf die häusliche und gesellschaftliche Rolle der Frau im
Unterschied zu der des Mannes hingewiesen worden, und
daher soll nun auf einige Aspekte eingegangen werden, die
unmittelbar mit dem häuslichen Sozialleben der Frauen und
seiner räumlichen Ausprägung zu tun haben.637
3.3.1 Geschlechtersegregation bei Christen
und Muslimen
Angesichts der räumlichen und sozialen Segregation von
Frauen und Männern, von der im vorigen Kapitel in Bezug
auf den Gästeempfang die Rede war, muss allerdings zunächst dem Eindruck vorgebeugt werden, dass diese Segregation sich von vorneherein auf muslimische Bevölkerungsteile beschränkte und sich allein in konfessionellen
Kategorien fassen ließe. Über die Christen in Bilād aš-Šām
schreibt ein russischer Beobachter Anfang der 1830er: „Ihr
häusliches Leben ähnelt dem der Türken und der Araber“,
und fährt fort: „Die Einwohner Syriens, welche den zahlreichen christlichen Konfessionen angehören, folgen generell den Bräuchen und Traditionen, die im ganzen Osten
verbreitet sind, sowie überhaupt der dortigen Lebensart“.638
Auch Ḥabīb Rizq Allāh macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Christen und Muslimen, als er Mitte des
19. Jahrhunderts über das Verhältnis von Frauen und Männern schreibt:
It is a mistake to imagine that the men of the Turkish empire
are wholly excluded from any friendly intercourse with the
women of those countries, a tale which has gained credence,
332
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
and been perseveringly maintained by travellers, few of whom
have ever had an opportunity of testing the truth of the report
by personal experience. In fact, in my opinion, the Eastern
ladies have really far more liberty than their Northern sisters,
inasmuch as they are able when veiled with the izar, to go
where they please. These izars being of the same form and
colour, it is almost impossible to identify an individual; and
a man may even pass his own wife, without recognizing her.639
Außerhalb des Hauses also – und dies galt Rizq Allāh zufolge mehr in der Stadt als auf dem Lande, wo Musliminnen wie Christinnen oft unverschleiert in den Gärten und
Feldern arbeiteten – trugen die Frauen aller Konfessionen
den izār, einen weiten Überwurf.640 Der gesellschaftliche
Druck, „sittsames“ Verhalten an den Tag zu legen und sich
nicht den Blicken oder dem Gerede auszusetzen, lastete in
der Öffentlichkeit auf allen Frauen in ähnlicher Weise, und
die Mittel, diesem Druck zu begegnen, ähnelten sich gleichfalls. Und obschon im Laufe der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts immer mehr Frauen in Beirut – in der Tat vor
allem wohlhabende Christinnen – den weiten izār durch
modisch geschnittene europäische Kleider und Hüte ersetzten (und damit letztlich immer noch sehr züchtig gekleidet waren), blieb dieser soziale Druck erhalten. So heißt
es über die Lage von Frauen in Beirut kurz vor dem Ersten
Weltkrieg:
Das gesellschaftliche Leben jener Zeit war völlig den Traditionen und den Vorstellungen aus dem „Erbe der ǧāhiliyya“ unterworfen. Die Muslimin war verschleiert, und eine ehrenhafte Frau, sei sie Muslimin oder Christin, ging
nicht allein aus dem Haus. Wenn sie Frauendinge im Sūq
kaufen musste, so ging sie in einem Konvoi von weiblichen
Verwandten und Nachbarinnen, um vor Unheil sicher zu
sein. Und wenn das Verhalten einer Frau Anzeichen einer
Auflehnung gegen das Joch der Rückschrittlichkeit aufweisen sollte, bekam diese Frau zotige Worte zu hören...
und ihr Gesicht wurde gar mit Silberwasser bespritzt, um
es zu entstellen und ihre Augen zu blenden.641
Außerhalb der Altstadt und der populären Vorstadtquartiere, und besonders dort, wo die Oberschicht unter sich war,
waren die außerhäuslichen Bewegungs- und Kontaktmöglichkeiten der Frauen auch zur Jahrhundertwende schon
besser. Nicolas de Bustros beschreibt in seinen Memoiren,
wie die Damen und Herren der Beiruter Oberschicht Ausflüge zum Leuchtturm weit außerhalb im Westen der Stadt
machten. Die Damen kamen, gekleidet in neuester Pariser
Mode, im offenen Wagen, die Herren im Zweisitzer oder
zu Pferd. Die meisten der Namen, die de Bustros anführt,
sind uns von den herrschaftlichen Häusern bekannt, die sie
bewohnten: die Marquise Mūsā de Freige, Madame Georges Sursock, Madame Habib Doumani, Madame Michel
Tuéni, Madame Michel Bustros, Madame Philippe Tabet,
Madame Néjib Bustros, Madame Philippe Pharaon, Madame Debrun, Madame Nassif Rayes, Madame Elie Sursock,
Madame Evelyne Bustros, sowie die Gattinnen vieler ausländischer Konsuln, die in ähnlichen Häusern residierten.
Es handelte sich demnach vor allem um die christliche Oberschicht, die – wie auch de Bustros feststellt – bei solchen
Ausfahrten hauptsächlich unter sich blieb, denn die Damen
der muslimischen Oberschicht verließen das Haus nur verschleiert und hätten sich nicht an solchen Ausflügen im offenen Wagen beteiligt. Immerhin nennt de Bustros eine Ausnahme: die türkische Gattin des drusischen Notablen ʿAlī
Bey Joumblat, die – das Gesicht nach Istanbuler Mode mit
einem transparenten Schleier verhüllt – im offenen Wagen
kam, in Begleitung eines Kutschers und eines Pferdeknechts. Bezeichnenderweise handelt es sich sämtlich um
verheiratete Damen, von denen viele miteinander verwandt
und verschwägert waren. Genau besehen waren also auch
diese Damen – um das obige Zitat aufzugreifen – in einem
„Konvoi von weiblichen Verwandten und Nachbarinnen“
unterwegs. Unverheiratete Mädchen waren scheinbar – und
auch das ist bezeichnend – nicht mit von der Partie (oder
wenn, dann in der wachsamen Begleitung der Mutter). Auch
blieben die Damen in ihren Wagen sitzen, während die „jungen Kavaliere“ laut de Bustros von Wagen zu Wagen gingen, um ihnen Süßigkeiten anzubieten und sich mit ihnen zu
unterhalten – allerdings immer nur kurz, um kein Gerede
zu provozieren.642 Ganz offenbar waren auch in der sich
ganz bourgeois-kosmopolitisch gebenden christlichen Oberschicht die Verhaltensregeln noch immer recht streng, und
man stieß schnell an die Grenzen des Statthaften. Der Ruf
einer Frau war schnell in Gefahr, und damit auch die Ehre
ihrer Familie.
In einer Bemerkung, die man als Echo einer damals stattfindenden, heftigen Auseinandersetzung mit neuen Rollenvorstellungen und Verhaltensweisen von Frauen verstehen kann, ereiferte sich der Ägypter al-Qāyātī in seinen Beiruter Erinnerungen über jene auf europäische Weise gekleideten Frauen christlicher Zuwanderer und Aufsteiger,
die unbeaufsichtigt von ihren Ehemännern in der Straße zu
sehen waren, womöglich noch in Begleitung eines anderen
Mannes.643 Diese Kritik zeigt allerdings nicht nur die Gefahren, denen der Ruf einer Frau in einem in diesen Dingen sehr konservativen Umfeld ausgesetzt war. Es zeigt
auch, dass es in den frühen 1880ern durchaus schon Frauen gab, die eine offenkundig zunehmende Bewegungsfrei333
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
heit ausnutzten, welche ihnen die Stadt mit ihrer wachsenden Anonymität bot. Voraussetzung für eine solche Anonymität war allerdings, dass man nicht – wie die weiter oben
genannten Damen – zu den bekannten, namhaften Familien der Stadt gehörte. Daher genossen Zugezogene und Angehörige der anschwellenden Mittelschichten anzunehmenderweise mehr Bewegungsfreiheit als die Frauen der
weniger zahlreichen, schon länger ansässigen und bekannteren Familien der Oberschicht. Für Frauen, die aus dem
ländlichen und bäuerlichen Kontext stammten und von der
Heimat her eventuell schon gewohnt waren, sich allein außerhalb des Hauses zu bewegen und zusammen mit Männern auf dem Feld oder in der Seidenfabrik zu arbeiten, und
für jene Frauen der Unter- und Mittelschichten in Beirut,
die durch Arbeit zum Einkommen der Familie beitrugen
(z.B. durch Dienstmädchentätigkeit), war es folglich akzeptabler und oft auch schlicht notwendiger, allein aus dem
Haus zu gehen, als dies für die ostentativ „europäisierten“
Damen der Oberschicht der Fall war.644 Die Erwartungen
und Rollenbilder bezüglich dem Verhalten von Frauen wurden demnach in Beirut im Zuge der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts vielfältiger und kontrastreicher, und dies nicht
nur abhängig davon, ob die Frau Christin oder Muslimin
war, sondern auch abhängig von ihrer Herkunft, Familienund Schichtzugehörigkeit, und von ökonomischen Notwendigkeiten. Keineswegs war die Europäisierung des Alltagslebens in der öffentlichen Sphäre so „schnell, gleichförmig und ziemlich unwiderstehlich“ vonstatten gegangen, wie Eyüp Özveren geurteilt hat.645
Im Inneren der Häuser, mit ihren mannigfaltigen Rückzugsbereichen in die familiäre (und – jedoch sehr viel eingeschränkter – individuelle) Privatheit und ihren Übergangsbereichen in die Teilöffentlichkeit, war die Situation
mindestens ebenso vielfältig und komplex. Dabei möchte
ich klarstellen, dass ich das Hausinnere oder die häusliche
Sphäre nicht in klarer Opposition zum Außenraum oder dem
öffentlichen Raum verstehe, sondern als einen Bereich, der
mit der öffentlichen Sphäre vielfach verzahnt und verwoben ist, diese jedoch viel stärker räumlich fasst und kontrollierbar macht.646 Nicht nur konnte Öffentlichkeit innerhalb des Hauses stattfinden, wie das Beispiel der politischen
Versammlungen deutlich gemacht hat, auch konnten Formen von Privatheit außerhalb des häuslichen Rahmens praktiziert werden, wie der Ausflug der Oberschichtdamen zum
Leuchtturm illustriert. Es wäre auch unzutreffend, Männer
mit Öffentlichkeit und Frauen mit Privatheit gleichzusetzen.
Denn auch Frauen erfüllten öffentliche Funktionen: Beispielsweise gründete und finanzierte Émilie Sursock im spä-
ten 19. Jahrhundert eine Schule für griechisch-orthodoxe
Mädchen und war überhaupt stark in Wohltätigkeitsaktivitäten involviert.647 Im Falle der Familie Salam verdankte der
Kaufmann und Aufsteiger Salīm Salam seinen sozialen Status und politischen Einfluss zu guten Teilen seiner vorteilhaften Heirat mit Kulṯūm ʿUmar al-Barbīr, Tochter aus einer der damals wichtigsten sunnitischen Familien Beiruts.648
Kulṯūms eigene soziale Beziehungen und ihr Empfang von
Besucherinnen und Gästen in „ihrem“ līwān-Raum können
als ein unabdingbarer Teil des Networkings und der Klientelbeziehungen der Salams als politischer Familie betrachtet werden. Auch die gesellschaftliche und manchmal auch
direkt politische Rolle von Frauen wie der Marquise Alice de
Freige im späten 19. Jahrhundert oder „Sitt Maud“ Fargeallah im 20. Jahrhundert kann hier als Beispiel dienen.649
Neben dieser intendierten Öffentlichkeit machte natürlich
auch ungewollte Öffentlichkeit nicht vor der Sphäre halt,
die tatsächlich als zu schützende Privatsphäre gedacht war,
denn was im Schutz der vier Wände passierte, blieb Außenstehenden ja nicht immer verborgen. Nicht umsonst
heißt es in einem lokalen Sprichwort: „Ma byaʿrif asrārak
illā rabbak u ǧārak“ – Deine Geheimnisse kennt niemand
außer dein Herrgott und dein Nachbar.650
3.3.2 Wandel der Rollenbilder
Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Beschränkungen und Möglichkeiten muss also das häusliche Sozial- und Privatleben der Beiruter Frauen der Ober- und Mittelschichten gesehen werden. Im Hause verkehrte die Frau
mit Besuchern und Gästen, führte ihr Ehe- und Familienleben, zog die Kinder auf, organisierte den Haushalt und
leitete die Dienerschaft an. Das Verhältnis, in dem diese
verschiedenen Aufgaben und Tätigkeiten zueinander standen, konnte dabei allerdings sehr unterschiedlich ausfallen.
Reisebeschreibungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts erwähnen Frauen aus relativ guten Verhältnissen, die nicht
arbeiteten (weder Hausarbeit noch anderes) und viel Zeit
für häusliches Sozialleben und Müßiggang hatten. So berichtet Ida Pfeiffer von der einheimischen Frau ihres Gastwirtes Battista zu Beginn der 1840er:
Die Frau thut nach der Sitte dieses Landes nichts, als mit
den Kindern spielen oder mit der Nachbarin plaudern, während der Mann die Küche und den Keller und alle Einkäufe besorgt und außerdem noch die Gäste selbst bedient; ja sogar den Tisch für Weib und Kinder deckte und besorgte er.651
Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der Beschreibung,
die Ǧurǧī Zaydān für die 1860er und 1870er von der unermüdlichen Hausarbeit seiner Mutter gibt, die neben der ar-
334
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
beitsintensiven Besorgung des Haushalts für ihre vielköpfige Familie auch noch Brot für das Restaurant ihres Mannes backte:
You would observe the housewife, when she cooks, cleans
or washes; with rolled up sleeves does she sweep or rinse
something, launder and spread things, cook and knead; and
health and liveliness is visible in each of her movements.
When she finishes her work she arranges her things in the
most simple manner, and puts on an unpretentious clean
dress. She starts to receive her guests or visitors, prepares
coffee for them and serves it. If she has a daughter able to
serve it, she will do it instead of her mother.652
Der Unterschied war ein schichtenspezifischer, denn dies
war, wie Zaydān selbst feststellt, das Leben der Hausfrau
in jenen Teilen der Mittelschicht, die sich keine Dienerschaft leisten konnten.
[S]he alone provided everything that the family would need
in terms of food, clothing, protection and education. Yet, my
mother still found time to conduct some business at home:
[…] she would bake the bread and sell it to him [den Vater]
at the rate of these two bakers [von denen der Vater bisher
gekauft hatte]. […] So I grew up seeing my father leaving
for his restaurant in the morning and returning only about
midnight, and observing my mother never standing still from
dawn to dusk. She herself ignored visits, festivities, social
and even religious gatherings. Only rarely did she go to
church to pray. She was more interested in conducting her
household and educating her children.653
Der Kontrast ist interessant, weil er bezeichnet, was für die
Frauen der oberen Mittelschicht und Oberschicht, denen hier
das Hauptaugenmerk gilt, üblich gewesen zu sein scheint:
Die Hausarbeit wurde an die Dienerschaft delegiert und von
der Hausherrin beaufsichtigt (dass wie bei Battista der Mann
die Küche besorgte, war wohl eine Ausnahme, die sich dadurch erklärt, dass Battista Gastwirt war), und die Frau empfing Freundinnen und Nachbarinnen, machte selbst Gegenbesuche, nahm gegebenenfalls an Feierlichkeiten teil, und
kümmerte sich um die Kinder – wobei die Kinderbetreuung
wiederum auch in der Hand von mit im Hause wohnenden
Verwandten, von Dienstmädchen, Kindermädchen oder Gouvernanten liegen konnte. Einkäufe, so sollte betont werden,
wurden offenbar tatsächlich entweder vom Hausherrn oder
gegebenenfalls von Dienstboten gemacht, die – wie auch alQāyātī zu berichten weiß – morgens vor dem Frühstück aus
den Vorstadthäusern in hinunter in den Altstadt-Sūq geschickt
wurden, um das für den Tag Benötigte zu besorgen. Hier
oblag es der Frau, Anweisungen über das Benötigte zu geben. Eventuell machte der Hausherr die Einkäufe auf sei-
nem morgendlichen Weg zur Arbeit in der Altstadt und ließ
die Waren von einem Diener nach Hause bringen. Lebensmittelgeschäfte, ja selbst fliegende Händler waren in den
neuen Wohnquartieren der Vorstädte noch bis weit ins 20.
Jahrhundert kaum zu finden.654 Unter diesen Umständen war
den Frauen – besonders jenen Frauen, die in den komfortablen Häusern der Vorstädte wohnten – die Möglichkeit genommen, das Haus für solche alltäglichen Besorgungsgänge zu verlassen und dabei ganz nebenbei und formlos unter
die Leute zu kommen. Und dies war wohl auch nicht erwünscht; das Haus wurde in gewisser Weise zu einem bequemen, goldenen Käfig
Unter diesen Gegebenheiten blieb sogar noch mehr Zeit für
innerhäusliches Sozialleben und Müßiggang als dies in der
Beschreibung Ida Pfeiffers anklang. In diesem Sinne kann
auch die von einer neuen Arbeitsethik geprägte Kritik Ǧurǧī
Zaydāns verstanden werden, zu der ihn das Beispiel seiner
Mutter inspirierte:
It ingrained itself on my mind, that, in contrast to those youngsters who looked wide-eyed at their parents spending most
of their days amusing themselves and strolling around, man
was created to work and that sitting around without work was
a great disgrace. Their only concern is their food and their
drinks. Once they have finished their meals they proceed to
gamble or do similar things. They kill time this way.655
Hinsichtlich des häuslichen Soziallebens der Frauen lässt
sich beobachten, dass es zumindest in der christlichen Oberschicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich war, dass Frauen sich dazu gesellten, wenn der Hausherr männliche Besucher im Haus empfing. Ḥabīb Rizq
Allāh bemerkt dazu Anfang der 1850er:
Amongst the higher classes of Christians in particular, every
freedom exists in doors; young ladies not only shew themselves, but, after serving the guest with coffee and sweetmeats, they will sit themselves on the edge of the divan, and
soon manage to join in the conversation. This state of freedom exists until the young girl is betrothed; then it is not considered decorous that she should be present whenever her intended bridegroom visits the house, neither should she hear
his name mentioned. Even among Turks [d.h. Muslimen],
and more especially in the villages and smaller towns of Syria, the young Mahomedan sees and converses with the future
object of his love, until she attains her eleventh or twelfth
year, she is then excluded from the society of men…656
Aber auch verheiratete Frauen durften sich in Gegenwart
des Hausherrn zu den Gästen gesellen, wobei auch dies wiederum in erster Linie bei Christen der Fall war. Als im Jahr
1866 der spanische Konsul in Begleitung Mentaberrys zu
335
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Besuch bei Yūsuf Geday war, kam es zu einer Szene, die
offenbar nur den Neuankömmling Mentaberry überraschte:
Das Erscheinen dreier Frauen, die aus einer Seitentür traten, riss mich aus meiner kontemplativen Stimmung: Es
waren die betagte Gattin Gedays und ihre zwei wunderschönen Nichten. Ich erhob mich, um sie zu begrüßen; aber
die Pfeifenstiele kreuzten sich auf so engem Raum, dass
ich mich in ihnen verhedderte und in meiner Bewegung in
einer Weise behindert war, dass ich alle Haltung aufbringen musste, um keine traurige Figur zu machen – eine Unbequemlichkeit, die Geday und der Konsul vermieden, indem sie sich nach türkischem Brauch auf dem Diwan selbst
erhoben.
Auf die Vorstellung meiner bescheidenen Person antworteten die Damen mit einem graziösem Lächeln und ebenso
graziösem temenná, ließen sich dann, so wie wir, auf dem
Diwan nieder, und grüßten nochmals mit der Hand auf die
gleiche Weise; der Schwarze kam, gab ihnen ihre Pfeifen,
und sie begannen sie rauchen, wobei sie ihre Augen mit einem solchen Ausdruck koketten Genusses halb schlossen,
dass ich – der ich aus Europa gewohnt war, nur galante Frauen rauchen zu sehen – auf Ideen verfiel, die so sehr meinen
Begierden schmeichelten wie sie ihnen [den Damen] gegenüber ungerecht waren.
Afife, die schönste Nichte, die sich eine Tante je vorstellen
könnte, trug die Haare offen, und ihre Locken beschatteten sanft den runden Hals, während zwei breite Zöpfe, in
die ein grünes und goldenes Band eingeflochten war, ihr
über die Schulter fielen und bis zum Gürtel hinunter reichten. Ein Tuch von violettem Flor umwand ihre Stirn und
bedeckte wie ein Turban den oberen Teil ihres Kopfes; daran angesteckt trug sie eine halbmondförmige Brosche und
vier Diamantsterne. Zwei Ohrgehänge aus Amethyst waren mit einer Perlenkette miteinander verbunden, die in
Wellen hinter ihrem Hals herum führte, und deren Weiß
sich mit den weichfließenden, ebenholzschwarzen Strähnen vermischte.
Eine schwarze, goldbestickte Jacke, ein weißer Umhang besetzt mit Knöpfen, und eine weite mamlukische Hose in derselben Farbe...über Stiefelchen, die ich mir kleiner gewünscht hätte, bildeten ihre Kleidung. [...] [Der Konsul]
sagte mir auf Kastilisch, dass die Frauen in diesem Land
sich im Alter von zwölf Jahren verheiraten, und daher wäre es beleidigend für sie zu vermuten, dass sie ledig seien,
wenn sie dieses Alter überschritten hätten, ebenso wie sie
zu fragen, ob sie Söhne hätten, denn darin bestünde ihr Ehrgeiz, und sie würden sie auf der Stelle vorzeigen, wenn sie
welche hätten.657
Die Frauen traten also aus einem seitlich liegenden Zimmer
in die Mittelhalle, wo die Besucher bewirtet wurden. Sie hatten sich – vielleicht für den Besuch – aufwendig zurechtge-
macht, trugen nicht einfache Hauskleidung, sondern prächtige Kleider und Schmuck. Die Mode, der ihre Kleidung
folgte, war noch weit von der „Pariser Mode“ entfernt, die in
den folgenden Jahrzehnten in diesen Kreisen beherrschend
werden sollte, und entsprach insgesamt der noch traditioneller gearteten Mode der städtischen, arabisch-osmanischen
Oberschichten der Jahrhundertmitte. Der weiße, weite Umhang, den sie über der Jacke und der Pluderhose trugen, mag
jener von Rizq Allāh erwähnte izār gewesen sein, mit dem
sich die Frauen außerhalb des Hauses verhüllten; hier im
Haus und in Anwesenheit der männlichen Besucher wurde
er jedoch offen getragen. So auch das Haar, das zwar auf
dem Haupt bedeckt war, aber ansonsten offen sichtbar herabfiel. Die Zweideutigkeit, die diese häusliche Empfangssituation in der komplexen Grauzone zwischen Öffentlichkeit und Privatheit charakterisierte, kommt in der Kleidung
und Aufmachung der Frauen deutlich zum Ausdruck.
Man muss das bis hierher vermittelte Bild allerdings mit
großen Vorbehalten betrachten und sich vor Verallgemeinerungen hüten. Eine solche gemischte Geselligkeit, wie
sie hier für die 1860er beschrieben wird, hätte sich – man
denke nur an Assem Salams Erinnerungen an das Haus seiner Großeltern – noch im frühen 20. Jahrhundert kaum bei
Familien der muslimischen Oberschicht Beiruts finden lassen. Auch unter den Christen Beiruts war sie in der Mitte
des 19. Jahrhunderts scheinbar noch ganz auf die Oberschicht beschränkt und vermutlich auch dort relativ rezent.
Der Christ Rizq Allāh, der in Beirut zwar auf die amerikanische Missionsschule gegangen war, aber nicht in Oberschichtkreisen der Stadt verkehrte, berichtet selbst, wie er
bei seinem ersten Aufenthalt in Malta im Jahr 1842 das erste Mal mit „europäischen Sitten“ konfrontiert war:
At Malta I first got an idea of European manners; and I must
own, my astonishment was very great to see the females,
with faces perfectly uncovered, chatting in the greatest familiarity with the opposite sex, and it was to me quite incomprehensible.658
Dies relativiert natürlich seine vorangehend zitierte Darstellung über die Freiheiten der Frauen in Häusern der christlichen Oberschicht, und weist darauf hin, dass solche Begegnungen in seiner Heimat damals – wenn überhaupt –
nur unter sehr viel kontrollierten Umständen stattfinden
konnten. Ein weiterer Zeitgenosse, der protestantische Missionar William Thomson, der seit den 1830ern für mehrere Jahrzehnte in Beirut lebte und regelmäßig in christlichen
wie muslimischen Häusern verkehrte, zeichnet in den
1850ern ein noch sehr konservativ anmutendes Bild der Geschlechtertrennung im Haus:
336
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Those who set the female fashions of the East are not expected or allowed to mix in society with men, nor even to
be seen by them. When they go abroad, they are closely
veiled from head to foot. Their in-door dress is not contrived to meet the demands of public exhibition. The reasons
(and such there are) for thus confining the women very
much to their homes, and of closely veiling them when
abroad, are found in the character of Oriental people from
remote ages; […] When, therefore, you find no ladies to
welcome you and entertain you in your calls, and never see
them in our evening gatherings, you may moderate your
regret by the reflection that this is the result of a great moral
necessity. […] Neither can a man in many families eat with
his wife and daughters, because the meal is in the public
room, and often before strange men.659
Die Widersprüche in den Quellen hinsichtlich einer mehr
oder weniger scharfen Geschlechtertrennung im Haus – besonders bei Anwesenheit von Gästen – sind offensichtlich,
und sie lassen sich nicht völlig lösen. Sie hängen wohl auch
von den jeweiligen Umständen ab, in denen die Beobachtungen gemacht wurden, sowie von den Absichten, die der
Autor mit seiner Darstellung verfolgte. Es lässt sich jedoch
ganz grundsätzlich folgern, dass die Bedingungen in Beirut
schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts vielgestaltig und
widersprüchlich waren oder wurden, und dass – beginnend
in christlichen Familien der Oberschicht – die Geschlechtertrennung aufzuweichen begann, während sie in muslimischen Kreisen allgemein weiterhin noch sehr viel strenger praktiziert wurde.
Auch in den für christliche Familien beschriebenen Fällen lässt sich in der Zusammenschau der Quellen feststellen, dass die Begegnung von Frauen mit männlichen
Besuchern im Haus nur unter bestimmten Bedingungen
hinsichtlich Ort, Zeit und Teilnehmern – sozusagen in einem kontrollierten Umfeld – stattfinden konnte: Sie fand
in einem Empfangsraum des Hauses statt, unter Anwesenheit und Aufsicht des Ehemannes (bzw. Onkels, Vaters
o.ä.), welcher der eigentliche Gastgeber war, und scheint
auch nur tagsüber statthaft gewesen zu sein, nicht bei
Abendgesellschaften. Auch der angemessene soziale Status der Besucher scheint eine Rolle gespielt zu haben. Die
Frauen waren außerdem nicht von Anfang an zugegen,
noch empfingen sie den Gast, sondern hielten sich zunächst in privaten Räumen auf (bzw. bereiteten und servierten den Kaffee) und stießen erst später hinzu – und
konnten somit nötigenfalls auch rechtzeitig diskret informiert werden, ob ihre Anwesenheit erwünscht war oder
nicht. Der Raum für solche Begegnungen zwischen den
Frauen eines Hauses und männlichen Besuchern war so-
mit vielfach beschränkt, kontrolliert und abgesichert – sozial, räumlich und zeitlich.
Im weiteren Verlauf der späteren 19. Jahrhunderts lockerten sich die Einschränkungen offenbar in verschiedener
Weise, wie die weiter oben erwähnten Abendgesellschaften, Bälle und Nachmittagsempfänge der Oberschicht (wiederum vor allem der christlichen) illustrieren, von denen
wir ab den 1880ern Zeugnis haben. Auch hier waren die
Frauen selbstverständlich unter der erforderlichen männlichen Aufsicht. Von Ǧurǧī Zaydāns Mutter erfahren wir
ebenso, dass sie zugegen war, wenn abends ein Nachbar
oder Freund der Familie zu Besuch kam, und sich dabei im
Gespräch keineswegs zurückhielt, sondern diesen Besucher
auch als Unterstützer ihrer Sache in einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und ihrem Mann in Anspruch
nahm.660 Diese Szene aus 1870ern betrifft allerdings die
christliche Mittelschicht, und es ist kaum zu sagen, inwiefern diesbezügliche Entwicklungen in der Mittelschicht mit
denen in der Oberschicht als Vorbild zusammenhingen, oder
ob sie auf eine andere historisch gewachsene Praxis zurückgehen, die mit andersgearteten sozialen Beziehungen
und beschränkteren Wohnverhältnissen zu tun haben mag.
Was die weitere Entwicklung des zwischengeschlechtlichen häuslichen Soziallebens der Frauen in der Oberschicht
und oberen Mittelschicht angeht, ist es interessant, festzustellen, wie in den von Ḫalīl Sarkīs Anfang des 20. Jahrhunderts beschriebenen Umgangsformen trotz aller Veränderungen noch Grundzüge der früher gültigen Beschränkungen fortlebten. Ein ganz bezeichnendes Beispiel dafür
ist, dass es laut Sarkīs bei den Europäern der Hausherrin
obliege, Besucher beiderlei Geschlechts beim Eintritt in das
Haus zu begrüßen und zu empfangen, wohingegen das „bei
uns“ entweder die gemeinsame Aufgabe der Hausherrin
und des Hausherrn oder – je nach Umständen – des Hausherrn allein sei.661 Symbolisch wurde hierin die Autorität
des Mannes über den häuslichen Raum und seine Kontrolle über die dort stattfindende soziale Begegnung zum Ausdruck gebracht. Ansonsten allerdings begann die Frau in
den Aufgaben, die Sarkīs ihr zuweist, faktisch und symbolisch eine sehr viel zentralere Position in häuslichen Geselligkeiten einzunehmen: Bei Essenseinladungen wendet
sich die Dienerschaft an sie als die Hausherrin mit der Ankündigung „Meine Herrin, das Essen ist angerichtet“; sie
betritt das Speisezimmer als erste, begleitet nicht von ihrem Ehemann, sondern von dem Herrn, der an der Tafel den
Ehrenplatz zu ihrer Rechten einnehmen wird; sie wird bei
Versammlungen im Salon von allen eintretenden Gästen –
seien sie männlich oder weiblich – zuerst begrüßt; sie fun337
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
giert als die Hauptgastgeberin und Unterhalterin ihrer Gäste und hat daher im Salon immer wieder den Platz zu wechseln, damit alle Gäste von ihrer Konversation und Unterhaltung profitieren, etc.662
Sarkīs sagt es an manchen Stellen seines Buches ganz ausdrücklich: „Die Frau unserer Zeit ist bei einigen Leuten heute hinter dem Schleier hervorgetreten und hat Bewegung gefordert, nachdem sie lange zu Schweigen und Stille gezwungen war“, und „es ist der Frau heute bei manchen Leuten nicht mehr untersagt, das Haus zu verlassen, so wie dies
den Töchtern ihres Geschlechts in der Vergangenheit untersagt war.“663 Allerdings musste die Frau von Jugend an auf
dieses häusliche und außerhäusliche Sozialleben vorbereitet
werden, und der Übungsplatz für den gesellschaftlichen Verkehr (al-muʿāšira) war der elterliche Salon: „Der erste Salon,
den ein Fräulein betritt, ist der Salon im Hause ihres Vaters,
wo sie an der Seite ihres Vaters sitzt und mit ihm den Empfang der Besucher durchführt.“ Dies hat sie mit Freundlichkeit, stetem Lächeln und Haltung zu tun, das Zeigen von
Gefühlen – seien es Freude oder Tränen – war nicht gestattet. Auch für die erwachsene, verheiratete Frau galt, dass der
(Ehe-) Mann „als Oberhaupt der Frau und Herr des Hauses
für all ihre Handlungen verantwortlich ist“.664
Die neue gesellschaftliche Freiheit der Frau – im Haus oder
außerhalb – war demnach weiterhin eine sehr bedingte, und
es scheint bei Sarkīs durch, dass selbst diese nur kleine Teile der Gesellschaft erfasst hatte, und nicht einmal für die
gesamte christliche Oberschicht und obere Mittelschicht
Beiruts Geltung hatte, der Sarkīs angehörte.
Diese Entwicklungen des späten 19. Jahrhunderts und der
Jahrhundertwende gingen einher mit einer Art ideologischer
„Aufwertung“ der gesellschaftlichen Rolle der Frau, und
zwar als Hausherrin, Hausfrau und Mutter. Es handelte sich
um einen neuen normativen Häuslichkeitsdiskurs, der allerdings mehr dem häuslichen Fleiß- und Arbeitsethos der
Mittelschicht entsprach, wie er bei Ǧurǧī Zaydān zum Ausdruck kommt, als dem Ethos von häuslicher Geselligkeit
und Müßiggang, der sich bei der Oberschicht beobachten
ließ. Zeitschriften wie al-Muqtaṭaf seit 1876, die seit den
1890ern erscheinenden arabischen Frauenzeitschriften, oder
auch Ḫalīl Sarkīs’ Benimmbuch sind von dieser Ideologie
gänzlich durchzogen, nach welcher die Bestimmung und
Erfüllung der Frau gänzlich in ihrer Rolle als liebende Ehefrau, als fürsorgende Mutter und Erzieherin ihrer Kinder
und – nicht zuletzt – als perfekt durchorganisierte Hausfrau
oder Haushaltsmanagerin bestand.665
Die zuvor eher gesellschaftlich bestimmte oder religiös
sanktionierte Rolle der Frau wurde nun, mit Einbruch des
modernen, wissenschaftlichen Zeitalters, auch in „wissenschaftlicher“ Form umformuliert und fortgeschrieben.
Das Wirtschaften der Frau im Haus wurde Effizienzberechnungen unterworfen, und ihre Liebe und Fürsorge als
Ehefrau und Mutter wurde als elementare Verantwortung
der Frau für die öffentliche Moral und die soziale Ordnung
verstanden.
Der Ort, an dem sich eine Frau bevorzugt aufzuhalten hatte, blieb also das Haus – nun allerdings vorgeblich nicht
mehr nur, um sie vor Gefahren zu schützen, denen sie, ihr
Ruf und die Ehre ihrer Familie in der Gesellschaft ausgesetzt
gewesen wäre, sondern auch, weil sie im Haus ihren Teil
der Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen hatte. In welchem Ausmaß diese „fortschrittliche“ Häuslichkeits-Ideologie in Beiruter Haushalten der Mittelschicht
und Oberschicht Fuß fasste, ist allerdings schwer einzuschätzen. Da die Hauswirtschaftsrubrik des Muqtaṭaf genauso wie die Frauenzeitschriften und sogar das Benimmbuch von Sarkīs deutlich und erklärtermaßen auf Frauen
als Leserschaft abzielten, kann jedoch davon ausgegangen
werden, dass diese ideologische „Berieselung“ zumindest
bei der des Lesens und Schreibens mächtigen weiblichen
Leserschaft Wirkung zeigte. Dabei muss allerdings auch
festgehalten werden, dass vieles von dem, was hier vermittelt wurde, eher auf die Mittelschicht zutraf als auf jene Teile der oberen Mittelschicht und Oberschicht, deren
Frauen weniger direkt mit häuslichen Aufgaben im eigentlichen Sinne zu tun hatten – auch weil sie diese weitgehend
an Dienstpersonal, Kindermädchen und Erzieherinnen abgeben konnten – und stattdessen mehr mit gesellschaftlichen Aufgaben im Haus und außer Haus befasst waren.
3.3.3 Der Frauenempfangsraum
Ein Indiz dafür, dass ab dem späten 19. Jahrhundert auch
in der muslimischen Oberschicht Beiruts zu einem gewissen Wandel im gesellschaftlichen Rollenbild der Frau kam,
kann das weiter oben beschriebene Aufkommen des istiqbāl – des Empfangsnachmittags der Frauen – gewertet
werden. Für sich genommen, brauchte diese neue soziale
Praxis sich nicht notwendigerweise als eigener, spezialisierter Raum in der Raumnutzungsstruktur der Häuser ausprägen. Denn in vielen Fällen war das Haus die meiste Zeit
des Tages – und gelegentlich auch des Abends – ganz die
Domäne der Frau. Die berufstätigen Männer verließen das
Haus früh morgens, um ihre Kontore und Arbeitsstätten in
der Altstadt aufzusuchen oder außer Haus ihren Geschäften nachzugehen, und abends gegen Sonnenuntergang kehrten sie zurück, um das Abendessen zuhause einzunehmen.
338
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Eventuell gingen sie anschließend noch einmal aus, um an
einer Abendgesellschaft im Hause eines Freundes teilzunehmen, oder um sich in einem Kaffeehaus mit Freunden
zu treffen, eine Wasserpfeife zu rauchen und Kaffee zu trinken.666 Folglich konnte eine Frau, die ihre Freundinnen und
Bekannten zu einem nachmittäglichen istiqbāl einlud, an
vielen Tagen der Woche ungehindert den Hauptempfangsraum des Hauses nutzen, der dem förmlichen Charakter
dieser Geselligkeit eher gerecht wurde als beispielsweise
das Familienwohnzimmer.667
Abhängig von der gesellschaftlichen Position des Hausherrn und seiner Familie konnte dies jedoch unpraktisch
bzw. nicht repräsentativ genug sein: Größere gesellschaftliche Verpflichtungen konnten dazu führen, dass der Empfangsraum häufig für den Empfang von Männern zur Verfügung stehen musste, oder dass die Hausherrin bei größeren Einladungen zu besonderen Anlässen die geladenen
Frauen separat von den männlichen Gästen ihres Gatten bewirten musste.
Es ist auffällig, dass etwa um jene Zeit im späten 19. Jahrhundert, als in Beirut die Geselligkeit der Frauen durch die
Einführung des istiqbāl in repräsentativer Form in den
Oberschichten institutionalisiert wurde, sich auch erstmalig besondere, repräsentativ gestaltete Frauenempfangszimmer in Häusern wohlhabender sunnitischer Familien
nachweisen lassen. Der in den 1890ern errichtete Qaṣr des
Amīn Pascha Mukhayyesh verfügt über einen speziellen,
repräsentativ dekorierten Empfangsraum für Frauen in der
Position des östlichen Seitensaals, als Pendant zum gegenüber auf der Westseite der Mittelhalle liegenden, etwas
größeren Haupt- oder Männerempfangsraum. Das gleiche
Muster wurde in dem einige Jahre später errichteten Obergeschoss desselben Hauses befolgt, das von den Familien
der Söhne des Paschas bezogen wurde. Der Rang, der hier
der (räumlich segregierten) Geselligkeit der Frauen symbolisch zugemessen wurde, ist beachtlich und auf jeden
Fall bedeutender als in älteren Häusern, die – dem bekannten Bestand nach zu urteilen – noch ohne solche besonderen, architektonisch institutionalisierten Frauenempfangsräume auskamen.
Man muss jedoch feststellen, dass sich dies – zumindest
nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse – nicht zum
Standard in größeren sunnitischen Wohnhäusern entwickelte; das Haus der Familie Salam beispielsweise besaß
keinen solchen besonderen Empfangsraum. Unter den Beispielen neuerrichteter Häuser, die 1934 im Annuaire d’Architecture publiziert wurden, besaß die Anfang der 1930er
errichtete Villa des Dr. Raudah (eines drusischen Muslims)
ebenfalls keinen solchen Empfangsraum im eigentlichen
Sinne, dafür aber einen kleinen Raum, der bei den Schlafzimmern im Obergeschoss lag und im publizierten Grundriss als boudoir bzw. ġurfa ḫuṣūsiyya li-l-ḥarīm (Privatzimmer für die Frauen/ den Harem) bezeichnet wird. Er war
jedoch relativ klein und fungierte vermutlich vor allem als
privates Frauenwohnzimmer und möglicherweise auch, da
er von der Treppenhalle her relativ direkt zu erreichen war,
für den Empfang von Freundinnen. Die ebenfalls im Annuaire d’Architecture publizierte, eher kleine Villa des
Muḥammad ʿAlī Bey Beyhum in Beirut besaß ebenfalls keinen besonderen Frauenempfangsraum. Dahingegen sah der
preisgekrönte Entwurf einer größeren Villa, den der Architekt und Herausgeber des Annuaire Igor Pitlenko in einem
hypermodernen, expressionistisch anmutenden Art décoStil gezeichnet hat, einen „Salon pour Dames“ vor, der hier
– ähnlich wie im Qaṣr Mukhayyesh – gegenüber dem
Hauptsalon auf der anderen Seite der zentralen Halle (dār)
lag und fast genauso groß war.668
Insgesamt scheint es, dass der spezifische Frauenempfangsraum eine Innovation war, die im größeren Kontext
des räumlichen Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesses zu sehen ist, den die größeren Beiruter Häuser
im Untersuchungszeitraum durchliefen. Dass seine Einführung in das ausgehende 19. Jahrhundert zu datierten ist,
ist auch im Muqtaṭaf belegt: Im Unterschied zu früheren
Artikeln ist im Jahr 1903 erstmalig für große Häuser von
einem besonderen Zimmer die Rede, „in dem die Frau sitzt
und ihre Besucherinnen empfängt“.669 Seine Einführung in
Häusern der sunnitischen Oberschicht Beiruts lässt sich
zeitlich und daher vermutlich auch kausal in Zusammenhang bringen mit der Institutionalisierung des istiqbāl als
frauenspezifische Form der Geselligkeit in der Beiruter
Oberschicht, die etwa in das letzte Viertel des 19. Jahrhundert zu datieren ist. Da die – vor allem sunnitischen – Eliten in Istanbul als Vorläufer in der Praxis des istiqbāl gelten, war die Übernahme dieser Innovation für die sunnitische Oberschicht Beiruts sicherlich problemloser und angemessener als eine Übernahme jener neuen Formen von
oft gemischt-geschlechtlichen Geselligkeiten, die damals
in der christlichen Oberschicht Beirut Einzug hielten. Beides, die Einführung dieser Praxis sowie ihre räumliche Institutionalisierung in manchen großen sunnitischen Wohnhäusern, kann als deutliches Zeichen einer Aufwertung der
gesellschaftlichen Rolle der Frauen der sunnitischen Oberschicht Beiruts gelten, die damit den Frauen der christlichen Oberschicht in einer den eigenen Bedürfnissen und
Lebensbedingungen entsprechenden Weise nachzogen.
339
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
3.4 Das häusliche Dienstpersonal
Die Menschen, die sich am ungehindertsten (wenn auch
nicht ganz aus freien Stücken) durch das ganze Haus bewegten, ohne Familienangehörige zu sein, waren sicherlich die Dienstboten. Wie es schon dem Ägypter al-Qāyātī
auffiel, wurden und werden sie in Beirut ṣāniʿ oder in der
weiblichen Form ṣāniʿa genannt, was eigentlich im Hocharabischen Handwerker(in) bedeutet.670 Im schriftlichen
Sprachgebrauch war allerdings auch in zeitgenössischen
Quellen der hocharabische Begriff ḫādim bzw. ḫādima,
d.h. Diener, üblich.
Unser historisches Wissen über das Dienstpersonal, alḫuddām, in den Haushalten der Oberschichten Beiruts im
19. und frühen 20. Jahrhundert kann bestenfalls bruchstückhaft genannt werden. Das ist traurig angesichts der
Rolle, die diese zahlreichen Menschen in der alltäglichen
Wohn-, Wirtschafts- und Lebenspraxis im Haushalt und
in der Familie bis hin zur Kinderbetreuung gespielt haben, aber es ist nicht überraschend in Anbetracht ihres gesellschaftlichen Status’. Es sind keine Lebenserinnerungen oder Tagebücher von ihnen überliefert (zumindest sind
bislang keine bekannt geworden), und in den Memoiren
ihrer Dienstherren finden sie kaum Erwähnung – und
wenn, dann nicht als Individuen, sondern als unpersönliche Funktionsträger. Selbst bei photographischen Aufnahmen scheint manchmal Wert darauf gelegt worden zu
sein, dass sie möglichst unsichtbar blieben (Abb. 332). In
einer Quellengattung jedoch finden sie gesonderte und regelmäßige Aufmerksamkeit: in der normativen Ratgeberliteratur, beispielsweise in der Hauswirtschaftsrubrik des
Muqtaṭaf und in Ḫalīl Sarkīs’ Benimmbüchlein. Die dort
eingenommene Perspektive ist allerdings die des Arbeitgebers und ließe sich unter dem Titel fassen: Immer Ärger
mit dem Personal.
Für die Menschen jener höheren sozialen Schichten, die
schreiben konnten und schrieben, waren sie die unverzichtbaren, selbstverständlich anwesenden und dienstbaren, kaum
erwähnenswerten, doch immer im Auge zu behaltenden „Anderen“ – oder wie der Beiruter Soziologe Ray Jureidini einmal über das Hauspersonal im heutigen Beirut gesagt hat,
„familiar outsiders“.671 Sie waren jahre- und jahrzehntelang,
manchmal lebenslang Teil des Haushalts, und dennoch gehörten sie nicht eigentlich zur Familie; sie waren somit Teil
und gleichzeitig nicht Teil des privaten Lebens.
Dass dieser eigentümliche Zwischenzustand des Dazugehörens und Nicht-Dazugehörens, des Dabeiseins und
Fremdseins, von Einbindung und Ausgrenzung auch räum-
lichen Ausdruck in den Wohnhäusern gefunden hat, ist
schon in den Fallstudien angeklungen und soll hier noch
einmal genauer untersucht werden.
3.4.1 Wer waren die Dienstboten?
Zunächst stellt sich die Frage, wer denn die ḫuddām waren, die in den Häusern der Beiruter Oberschichten und oberen Mittelschichten im späteren 19. und frühen 20. Jahrhundert arbeiteten und lebten. Einen gewissen Einblick erhalten wir hier durch die mündlichen Aussagen von Assem
Salam. Er erinnerte sich, dass es in seinem Elternhaus im
frühen 20. Jahrhundert mindestens sechs bis neun Bedienstete – Dienstmädchen, Fahrer und Gärtner – gab, von
denen die meisten auch im Hause untergebracht waren. Einige muslimische Familien hatten, so erinnerte er sich weiter, sehr junge, manchmal zehnjährige Mädchen aus Armenien oder – in der Zeit um den Ersten Weltkrieg – aus
armenischen Flüchtlingsfamilien. Sie wurden käuflich erworben, um im Haus zu arbeiten und als Musliminnen erzogen zu werden. Ansonsten seien es oft Alawiten aus den
nordsyrischen Bergen und Schiiten aus den libanesischen
Bergen gewesen, die in Beiruter Haushalten als Dienstboten beschäftigt wurden.672
Ebenfalls Alawiten (in diesem Kontext Nusairier genannt)
aus Nordsyrien wurden nach Aussage von Lady Yvonne
Sursock Cochrane in ihrem Elternhaus, dem Qaṣr Mūsā
Sursock, beschäftigt. Sie berichtete, dass junge alawitische
Mädchen durch die einmalige Zahlung einer Geldsumme
an deren Familien quasi gekauft wurden und dann in Beiruter Haushalten oft ein Leben lang dienten.673
Die hier deutlich werdende Praxis des käuflichen Erwerbs
von Dienstmädchen und möglicherweise auch Dienern (über
die ich keine ausdrücklichen Aussagen gehört habe) scheint
mindestens bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in
Beirut üblich gewesen zu sein.674 Sie wird durch eine britische Konsularkorrespondenz aus dem Jahr 1897 bestätigt,
die über armenische Mädchen berichtet, die vom muḥāsibǧī
(einem osmanischen Amtsträger) von Latakia erworben
wurden, und über weitere christliche Mädchen, die von einem in Beirut ansässigen muslimischen Kaufmann, Salīm
aš-Šāmī, ebenfalls in Latakia erworben wurden.675 Wir erfahren nicht, ob die genannten Käufer als Zwischenhändler
fungierten oder diese Mädchen für ihren eigenen Haushalt
erwarben.
Die Existenz einer anderen Kategorie von Dienern, nämlich afrikanischen Sklaven, in Häusern der Beiruter Oberschicht ist uns aus den 1860ern überliefert. Anlässlich seines Besuches im Hause Yūsuf Geday erwähnt Mentaberry
340
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
einen „schönen Schwarzen“, dessen Aufgabe im Aufwarten der Tabakpfeifen bestand, und außerdem eine „abessinische Sklavin, hochgewachsen und geformt wie eine Bronzestatue“, sowie zwei weitere „Sklavenmädchen“, die den
Kaffee servierten.676 Mentaberrys Faszination für das Exotisch-Orientalische dieser Bewirtung drückt sich in seiner
Wortwahl deutlich aus, und wir können daher nicht völlig
sicher sein, ob seine Verwendung des Begriffes „Sklavin“
und „Sklavenmädchen“ seiner Phantasie zu verdanken ist,
oder ob er sich über die Bedienstetenverhältnisse im Hause erkundigt hat.677 Immerhin aber macht es die eindeutig
afrikanische Herkunft des Dieners und einer der drei Dienerinnen unwahrscheinlich, dass sie auf dem freien Arbeitsmarkt in Beirut angeworben wurden. Der Haushalt
Yūsuf Gedays war in dieser Hinsicht damals kein Einzelfall
in Beirut. Die Beschäftigung afrikanischer Sklaven hatte in
den Haushalten reicher Beiruter nachweislich Tradition,
wie die Abbildung eines Beiruter Interieurs aus den 1820ern
illustriert, wo ein dunkelhäutiger Junge den Kaffee serviert
(siehe Abb. 293).678 Blondel, der Ende der 1830er in Beirut weilte, weiß in dieser Hinsicht zu berichten:
„In den meisten syrischen Familien werden die häuslichen
Dienste von männlichen oder weiblichen Sklaven verrichtet;
es sind in erster Linie Schwarze aus dem Inneren Afrikas, die
aus Ägypten besorgt werden, welches damit Handel im großen Stil betreibt. […] Von ihren Herren gut behandelt, verstehen sie sich als Mitglieder der Familie, deren Eigentum
sie sind, und betrachten die freien Hausbediensteten als minderwertig, welche für Geld dienen und für den kleinsten Fehler vor die Tür gesetzt werden können.679
Für den gesamten Untersuchungszeitraum können wir also feststellen, dass ein Teil der Hausbediensteten in wohlhabenden Beiruter Häusern nicht aus Beirut stammte und
nicht vom freien Arbeitsmarkt rekrutiert wurde, sondern
gezielt von außerhalb für den Haushaltsdienst angeworben
wurde, unter Bedingungen, die denen des Sklavenhandels
(in seinen unterschiedlichen osmanischen Formen) zumindest recht nahe kamen. Es waren, soweit wir aus diesen Angaben schließen können, einerseits Menschen schwarzafrikanischer (meist äthiopischer oder abessinischer) Herkunft,
und andererseits – als zweite Gruppe – Angehörige von religiösen Minderheiten und armen Familien aus wirtschaftlich schwachen Regionen der Bilād aš-Šām und Südostanatoliens, die so für den Haushaltsdienst angeworben oder
„erworben“ wurden. Für letztere stellte dieses Dienstverhältnis offenbar eine wirtschaftliche Überlebensstrategie
dar, von der auch ihre Familien durch die Kaufsumme oder
Ablösesumme unmittelbar profitierten.
Abb. 332
Dienstmädchen und Kindermädchen waren in reichen Beiruter
Familien unverzichtbar – und nach Möglichkeit unsichtbar.
Zwei Aufnahmen aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Ein weiterer, eher dem freien Arbeitsmarkt zuzurechnender und in seiner Bedeutung vermutlich nicht zu unterschätzender Weg der Anwerbung war, dass Dienstmädchen
und -jungen, ebenfalls oft in sehr jungem Alter, über die
ausgedehnten Familien- und Bekanntennetzwerke aus ihren Heimatdörfern in den libanesischen Bergen gezielt in
einen Beiruter Haushalt vermittelt wurden, gegen Lohn,
Kost und Logis. In diesem Falle gab es mehr oder weniger
direkte und jedenfalls dauerhafte Verwandtschafts- oder
Klientelbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und der
Herkunftsfamilie. Damit warb die Arbeitgeberfamilie keine(n) völlig Unbekannte(n) an, und das zugrundeliegende
Beziehungsnetzwerk trug zur Absicherung und gegenseitigen Verpflichtung beider Seiten bei. Auch in solchen Fällen
mögen die Bediensteten bis zur ihrer Heirat, bis zur Annahme einer besseren Arbeit oder auch ihr ganzes Leben
lang in dem Haushalt geblieben sein, und damit (fast) Teil
der Familie geworden sein. Diese Lösung wurde auch in
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch praktiziert.680
Was die obengenannten Sklaven betrifft, lässt sich im Untersuchungszeitraum auch ein deutlicher zeitlicher Trend
beobachten: Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert hören wir
bezüglich des frühen 20. Jahrhunderts nichts mehr von afrikanischen Sklaven. Sie wurden offenbar teilweise abgelöst
341
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
von Angehörigen der zweiten und dritten Gruppe, also den
käuflich erworbenen Bediensteten aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten, und sicherlich auch den freiwillig über Familien- und Klientelnetzwerke angeworbenen
Bediensteten. Dieser lokale Wandel fügt sich recht gut in
den allgemeineren historischen Kontext: Seit 1857 gab es
Maßnahmen der osmanischen Regierung, die auf die Unterdrückung des Handels mit afrikanischen Sklaven – die
überall im osmanischen Reich in Haushalten beschäftigt
wurden – abzielten und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
auch tatsächlich zu einem Rückgang dieses Handels führten. Parallel dazu entwickelte sich Nordsyrien, besonders
die Regionen von Latakia und Ǧabal Nusayrī, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Herkunftsgebiet massiver
Arbeitsmigration von Bauern, Saisonarbeitern und anderen
Arbeitskräften; die meisten von ihnen waren Alawiten.681
Interessant ist dabei, dass eben diese Gebiete, Latakia und
der Ǧabal Nuṣayrī, seit der Schaffung der Provinz Beirut
im Jahr 1888 bis zum Jahr 1914 zum unmittelbaren Verwaltungsgebiet von Beirut gehörten. Die Arbeitsmigration
und das „Anwerben“ von Dienstmädchen aus diesen wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten nach Beirut sind daher auch vor dem Hintergrund der damals bestehenden Zentrum-Peripherie-Beziehungen innerhalb der Provinz zu verstehen, von denen Beirut profitierte.
Ohne dass uns dafür Zahlenmaterial aus Quellen zur Verfügung stände, können wir davon ausgehen, dass der Bedarf für häusliches Dienstpersonal in Beirut in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts proportional zum zahlenmäßigen Anwachsen der Mittel- und Oberschichten zunahm. Der Service-Bedarf dieser zunehmenden Zahl von
Haushalten konnte keinesfalls nur durch Haushaltssklaven
gedeckt werden, auch wegen der erschwerten rechtlichen
Bedingungen für den Sklavenerwerb. In festem „angestellten“ Dienstverhältnis stehendes oder auf Stunden- oder
Tagesbasis entlohntes Haushaltspersonal vom freien Arbeitsmarkt hatte es natürlich schon früher gegeben, aber
mit dem wachsendem Gesamtbedarf spielte es zwangsläufig eine zunehmende Rolle.
Die Position des angestellten und entlohnten Personals war
gegen Ende des 19. Jahrhunderts – auch wegen der steigenden Nachfrage – scheinbar gar nicht so schlecht. Der
französische Arzt Benoilt Boyer bemerkt im Jahr 1896 bezüglich steigender Lebenshaltungskosten in Beirut: „Domestiken sind immer schwerer zu finden, und sie werden
in ihren Lohnforderungen umso anspruchsvoller, desto weniger sie arbeiten; daher steigen die Lebenshaltungskosten
für die Familien.“682 Was aus der Perspektive der Arbeit-
geber Anlass zur Klage gab, erhöhte aus Sicht der Arbeitnehmer die Attraktivität dieser nicht unbedingt dankbaren
Tätigkeit. Dass die Bezahlung tatsächlich relativ gut sein
konnte, darauf weist eine Episode in Kamal Salibis Memoiren hin: Er berichtet von einer Frau aus Bhamdoun, die
„viele Jahre ihres Lebens in reichen Beiruter Häusern gedient hatte und dreißig osmanische Goldlira als Lohn ihrer
Beschäftigung zusammengespart hatte“, eine Summe, die
sie dann Kamal Salibis Vater Sulaymān am Anfang des 20.
Jahrhunderts lieh, damit dieser für zwei Jahre sein Medizinstudium am Syrian Protestant College in Beirut fortsetzen und abschließen konnte.683 Für die wirtschaftlich Schwächeren bot die Tätigkeit in den Haushalten der arrivierten
Schichten also auch eine wichtige Möglichkeit, ihren eigenen sozialen Aufstieg – oder den von Verwandten und
Freunden – zu finanzieren.
Ob lokal angestellte Bedienstete für den Arbeitgeber kostspieliger waren als die verschiedenen Formen von Haushaltssklaven (afrikanische Sklaven oder auf Lebenszeit angeworbene junge Mädchen), für die ja zunächst ein Kaufpreis gezahlt werden musste, ist mangels Zahlen nicht festzustellen. Die hohe Anfangsinvestition, die der Kauf von
„hauseigenen“ Dienstmädchen erforderte, legt die Vermutung nahe, dass solche Dienstmädchen eher in der finanzstärkeren Oberschicht zu finden waren. Belege hierfür stehen allerdings aus.684 In jedem Falle mussten die Familien
für den täglichen Unterhalt aufkommen, weil sowohl die
Sklaven wie auch die auf Lebenszeit angeworbenen und oft
auch die angestellten Bediensteten im Wohnhaus der Familie untergebracht waren.
Lokal rekrutierte Bedienstete stellten allerdings – besonders wenn deren Angehörige aus Beirut oder Umgebung
stammten – aus der Perspektive des Dienstherrn letztlich
ein größeres Risiko dar, weil sie in ein soziales Netz außerhalb des Hauses eingebunden waren, weil über sie Informationen und Tratsch über die Familie nach Außen gelangen konnten, und auch, weil eine schlechte Behandlung
oder Misshandlung zu Beschwerden und Nachspielen führen konnten. All dies konnte Rückwirkungen auf den Ruf
der Dienstherren-Familie im lokalen Kontext haben. Von
weiter her rekrutierte Diener oder Dienstmädchen – ohne
Verwandte und Bekannte in der Stadt – waren in dieser Hinsicht unproblematischer.685 Diese Faktoren spielten sicherlich eine wichtige Rolle bei der bis ins 20. Jahrhundert fortbestehenden Nachfrage nach gekauften armenischen oder
alawitischen Dienstmädchen, die in einem stärkeren Abhängigkeitsverhältnis (bis hin zur faktischen Rechtlosigkeit) standen, wobei allerdings der Erwerb solcher Dienst-
342
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
mädchen durch die rechtliche Ächtung des Sklavenhandels
zunehmend erschwert – wenn auch offenkundig nicht gänzlich verhindert – wurde.686
3.4.2 So nah und doch so fern: Räume und Wege
für dienstbare Geister
Der Unterhalt, der Betrieb und die fortwährende Reinigung der großen Häuser, die Bedienung der zahlreichen
Familienangehörigen, die Bewirtung von Gästen, all dies
erforderte eine relative große Zahl von Dienstboten. Gabrielle Bustros erinnerte sich, dass es, als sie Mitte des 20.
Jahrhunderts im elterlichen Qaṣr Tuéni-Bustros aufwuchs,
ein Dienstmädchen für ihre Mutter, ein Dienstmädchen
für ihren Vater, einen Butler, einen Fahrer, und einen Gärtner gab. Dies war – so bemerkte sie selbst – eine unvollständige Aufzählung, weil es ja auch noch die Küche, die
hauseigene Bäckerei und andere hauswirtschaftliche Einrichtungen zu betreiben galt. Es waren also genug Bedienstete, um nicht mehr genau zu wissen, wie viele es
waren. Die Salams hatten „zwischen sechs und neun
Dienstboten“. Im Haushalt von Joseph Ziadé gab es vier
Dienstmädchen und einen Fahrer, im kleineren Haushalt
seines Bruders Louis „zwei oder drei“ Dienstmädchen und
einen Gärtner. Wir wissen auch, dass Yūsuf Geday in den
1860ern mindestens vier Dienstboten hatte – einen Diener und drei Dienstmädchen; hinter den Kulissen gab es
wahrscheinlich noch mehr. Šākir al-Ḫūrī, der eher der oberen Mittelschicht zuzurechnen ist, hatte zur Zeit seiner
Eheschließung eine Dienerin, die schon vorher einige Zeit
in seinen Diensten gestanden hatte, und die er mit in die
Ehe brachte. Ob er nach Gründung seines ehelichen Hausstandes noch weitere Dienstmädchen einstellte, erfahren
wir nicht.
Generell ergibt sich – auch aus den einschlägigen Artikeln
des Muqtaṭaf – das Bild, dass man in der (oberen) Mittelschicht ein oder zwei Dienstboten hatte (meist Dienstmädchen, die billiger waren als Dienstburschen), wohingegen in
der Oberschicht durchaus fünf bis zehn Bedienstete anzutreffen waren. Dazu gehörten Dienstmädchen, Köchinnen,
Kindermädchen, Erzieherinnen oder Gouvernanten, männliche Diener (zu ihren Aufgaben gehörte im 19. Jahrhundert bekanntermaßen das Vorbereiten, Anzünden, Aufwarten und Reinigen der Tschibuks oder Wasserpfeifen, die jedem Gast angeboten wurden); hinzu kamen (in der Zeit vor
der Einführung des Automobils um den Ersten Weltkrieg)
Stallburschen und Kutscher, außerdem Gärtner und eventuell – besonders bei größeren Anwesen – Torhüter und
Wachpersonal.687
Die letztgenannten, hauptsächlich außerhalb der Wohnung
tätigen Dienstboten scheinen in der Regel auch außerhalb
des Hauses untergebracht gewesen zu sein: Bei der Ḥārat
Geday gab es beispielsweise beidseitig des Gartentors kleine Nebengebäude, die als Tor- und Gärtnerhäuschen gedient haben könnten; der Qaṣr Ziadé besitzt eine Anzahl
Nebengebäude im östlichen Garten, eines davon mit eigener Toilette; am Fuße der großen, zweiarmigen Gartentreppe
des Qaṣr Bišāra el-Khoury befindet sich ebenfalls ein (heute stark verfallenes) Nebengebäude mit mehreren Räumen;
auch am Qaṣr Heneiné finden sich geeignete, von außen zu
betretende Räume unterhalb der Küchenterrasse, und hier
gibt es auch eine kleine, gewölbte Kammer auf Straßenniveau gleich neben der Eingangshalle im Westen.
Das häusliche Dienstpersonal im engeren Sinne war hingegen innerhalb des Hauses untergebracht. Da dieses häusliche Personal (mit Ausnahme des Dieners) hauptsächlich
aus Frauen und Mädchen bestand, lässt sich in dieser Aufteilung zwischen Außen und Innen eine weitgehende Geschlechtertrennung der Dienerschaft feststellen.
Nun hätten die im Haus untergebrachten Dienstmädchen
und Diener theoretisch an vielen Orten schlafen können,
denn Platz, um Matten und Matratzen auszubreiten, gab es
überall im Haus. Aber es scheint, dass dies schon in der
Mitte des 19. Jahrhunderts nicht als befriedigende Lösung
angesehen wurde. Denn in den großen Mittelhallenhäusern
der Zeit um 1860 lassen sich schon relativ ausgedehnte
Wirtschaftsbereiche identifizieren, die in der Regel zusätzlich mit titḫīten ausgestattet waren. Dort konnte das Dienstpersonal untergebracht werden, und man muss davon ausgehen, dass auch hier auf Geschlechtertrennung geachtet
wurde, d.h. dass Dienstmädchen und männliche Diener
räumlich getrennt untergebracht waren. Es muss dabei festgehalten werden, dass die räumliche Segregation zwischen
Familie und Dienstpersonal selbst dort, wo die räumlichen
Gegebenheiten es gestatteten, in der Praxis nicht immer
vollständig war. Ein Beispiel dafür ist, dass Kindermädchen oder Ammen auch bei den Kindern schlafen konnten.
Dies war – wie sich aus den Memoiren Maud Fargeallahs
schließen lässt – noch in den 1920ern nicht unüblich.688
Wie sich die räumliche Segregation von Dienstpersonal
und Familie in den städtischen Häusern der Beiruter Oberschicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestaltete und wie sie baulich-räumlich organisiert wurde, lässt
sich mangels Bestand nicht sicher feststellen. Man kann
jedoch davon ausgehen, dass sie dort, wo die Räumlichkeiten dazu ausreichten, schon praktiziert wurde.689 Denn
als um die Mitte des Jahrhunderts die Mittelhallenhäuser
343
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Einzug hielten, ist das Bedürfnis nach dieser Segregation
schon von vorneherein erkennbar, und an den untersuchten
Häusern der Oberschicht lässt sich sichtbar das Bestreben
ablesen, diese räumliche Segregation baulich klarer auszubilden und damit zu institutionalisieren. Dass die weitgehende Trennung des Küchen- und Wirtschaftsbereichs
vom Wohnbereich eine augenfällige Eigenschaft dieser
Häuser war, hatte auch Yaʿqūb Ṣarrūf, der Herausgeber des
Muqtaṭaf, in seiner 1909 publizierten Beschreibung der
Beiruter Häuser erwähnt, die am Anfang dieser Arbeit zitiert wurde. Das ganz bewusste Bestreben nach einer solchen Trennung zeigt sich schließlich auch darin, dass in
einem weiteren Muqtaṭaf-Artikel von 1919 das Vorhandensein eines besonderen, separaten Bereiches für Dienstboten ausdrücklich als einer der Hauptvorteile von freistehenden Häusern im Vergleich zu kleineren Stadtwohnungen angeführt wird.690
Man muss bei dieser baulichen Ausprägung zwischen drei
Aspekten unterscheiden: erstens die bauliche Ausgliederung der Küche und Wirtschaftsräume von den Wohnräumen, zweitens die baulich-funktionale Ausdifferenzierung
von Bedienstetenkammern, und drittens die Entflechtung
von Zugangswegen nicht nur von außerhalb, sondern auch
innerhalb der Wohnung.
Der erste Aspekt, die bauliche Ausgliederung und räumliche Distanzierung der Küche und der Wirtschaftsräume,
üblicherweise mit der Vermeidung von Geruchs- und Lärmbelästigung erklärt, lässt sich schon an den frühesten untersuchten Beispielen aus den 1850ern und frühen 1860ern
beobachten (vgl. Bayt Saadé, Bayt Majzoub, Qaṣr Asʿad
Malhamé, Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Ḥārat Geday, Bayt Kady). Die betreffenden Räume sind entweder an der Gebäudeecke lokalisiert (oft, aber keineswegs immer in der Südostecke) oder sie sind seitlich, zumeist auf der Ostseite der
Mittelhalle, positioniert, dabei aber oft weitgehend in den
Bau hineingezogen. Diese schon früh formulierte Lösungsform einer Eck- oder Randlage auf Geschossebene
blieb die Standardlösung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts; für Geschosswohnungen war sie die einzig praktikable Option. In vielen Häusern des späteren 19. Jahrhunderts
nahm der Wirtschaftstrakt die Form eines eigenen, stark aus
dem ansonsten kubischen Baukörper des Hauses herausgezogenen Annexes an. Der Qaṣr Ziadé mit seinem langgestreckten, weit aus dem Gebäude herausgezogenen Wirtschaftsflügel kann hierfür als ein anschauliches Extrembeispiel gelten, der Qaṣr Mukhayyesh mit den kleineren,
kubischen Dimensionen seines Wirtschaftsannexes hingegen als repräsentativeres Beispiel.
Um 1870 – also auch schon verhältnismäßig früh – lässt
sich erstmalig eine neue Lösungsform beobachten: Der
Qaṣr Tuéni-Bustros ist eines der frühesten nachweisbaren
Beispiele von Beiruter Wohnhäusern, dessen Küchen- und
Wirtschaftsräume in einem eigens dafür angelegten Souterraingeschoss lokalisiert sind.691 Bei vielen in den 1880ern
errichteten Villen der Familie Sursock wurde diese Lösung
aufgenommen, und sie lässt sich auch am herrschaftlichen,
um die Jahrhundertwende errichteten Qaṣr Šukrī Fargeallah (dem Nachbarhaus des heutigen Orient-Instituts) sowie der Villa Henri Pharaon (dem heutigen Musée Mouawad) beobachten.692 Ob dies dem Vorbild der Häuser osmanischer Eliten beispielsweise in Istanbul folgte oder sich
nach europäischen Vorbildern richtete, ist eine komplexe
Frage, die hier beiseite gelassen werden muss. Jedenfalls
lässt sich diese Lösung in Beirut nur bei Wohnhäusern der
Beiruter Oberschicht finden, deren beide Wohngeschosse
eine zusammenhängende Wohnung bildeten, und in denen
die Küche und Wirtschaftsräume des Untergeschosses das
gesamte Haus versorgten.
Da hierdurch die Wohngeschosse von einem Großteil der
störenden Wirtschaftsräume befreit wurden (im Qaṣr Tuéni-Bustros verblieb nur das Anrichtezimmer und einige weitere Wirtschafts- und Dienstbotenräume im Erdgeschoss
und Obergeschoss), stellt diese Lösung einen bedeutenden
Schritt in Richtung einer noch stärkeren räumlich-funktionalen Segregation dar.
Was den zweiten Aspekt, die baulich-funktionale Ausdifferenzierung von Bedienstetenkammern, betrifft, so wird
am Beispiel des Qaṣr Tuéni-Bustros auch offenkundig, dass
eine solch extreme räumliche Distanzierung, wie sie für
die Küchen entwickelt wurde, für die Aufenthalts- und
Schlafkammern der häuslichen Bediensteten nicht angestrebt wurde. Das wäre auch unpraktisch gewesen, denn
um ihre Aufgaben erfüllen zu können, musste zumindest
ein Teil der Bediensteten idealerweise Tag und Nacht in
Ruf- und Reichweite sein. Das wäre bei einer Unterbringung im Souterrain schwer zu bewerkstelligen gewesen.
Im Qaṣr Tuéni-Bustros lagen die Schlafkammern der Bediensteten – vor allem der Dienstmädchen – in einem Zwischengeschoss beidseitig des Treppenhauses auf der Westseite des Hauses (und damit auf halber Strecke zwischen
den beiden Wohngeschossen) sowie im Servicebereich auf
der Ostseite der Mittelhalle des Obergeschosses. Diese
Kammern sind geräumig, mit Terrakottafliesen ausgelegt,
haben helle Holzbalkendecken und sind dank großer Okuli recht hell – wodurch sie sich von den engeren, meist in
die Gewölbe von Wirtschaftstrakten eingebauten titḫīte-
344
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Räumen unterscheiden, die sich in vielen anderen Häusern
finden lassen.
Bedeutsam ist bei dieser Lösung erstens, dass die Schlafkammern der Bediensteten als eigens für diesen Zweck vorgesehene und dementsprechend lokalisierte Räume ausgeführt wurden. Darin zeigt sich, dass sich der Prozess der
funktionalen Differenzierung und Spezialisierung von Räumen auch in den Wirtschaftsbereichen der Häuser ablesen
lässt, und dies spätestens um 1870. (Es ist gut vorstellbar
oder sogar anzunehmen, dass es gesonderte Bedienstetenkammern auch schon in früheren Häusern gegeben hatte,
aber der sehr spärliche Bestand in Beirut erlaubt hierzu keine verlässliche Aussage.) Zweitens ging dieser Differenzierungsprozess mit einer räumlichen Loslösung der Bedienstetenkammern vom eigentlichen Küchenbereich einher, die es gestattete, die Küche weiter ab vom Wohnbereich und sogar in das Untergeschoss zu legen, während die
Kammern in eine Position rücken konnten, die näher am
Wohn- und Schlafbereich der Familie lag, und dennoch davon abgesondert war.
Dies lässt sich auch bei anderen Häusern beobachten, war
jedoch keineswegs immer der Fall. In vielen Häusern, in
denen weniger Platz zur Verfügung stand, waren und blieben die Bedienstetenkammern in unmittelbarer Küchennähe ohne Rücksicht auf größere Nähe zum Wohnbereich –
was, weil die Häuser kleiner waren, keinen großen Unterschied machte. Dahingegen lässt sich im Qaṣr Ziadé (der
ja etwa zeitgleich mit dem Qaṣr Tuéni-Bustros errichtet
wurde) immerhin schon beobachten, dass die Dienstmädchenkammer des ersten Obergeschosses in einer titḫīte am
Nordende des Wirtschaftstraktes lokalisiert war, weiter entfernt von der Küche und in größtmöglicher räumlicher Nähe zum Wohnbereich. Im zweiten Obergeschoss lagen sie allerdings am Südende des Wirtschaftsflügels. Im Qaṣr Bišāra
el-Khoury liegt die Dienstmädchenkammer gleich am
Durchgangsraum zwischen der Mittelhalle und der Küche.
Im Qaṣr Heneiné, der in der baulichen Gestaltung des Wirtschaftsbereiches Beiruter Gepflogenheiten folgt, liegen die
Bedienstetenkammern beider Geschosse am Servicekorridor in Richtung Küche, jedoch näher zu den Wohn- und
Schlafbereichen hin. Ähnlich sind die Bedienstetenkammern in der Villa Mezher als die ersten in einer Reihe von
Wirtschaftsräumen gleich am Anfang des Korridors gelegen, der von der Mittelhalle zur Küche führt.
Trotz dieser tendenziellen Verschiebung der Bedienstetenkammern aus dem Küchenbereich in Richtung Wohn- und
Schlafbereiche wurden die Kammern niemals gänzlich in
die Familienbereiche eingebunden, sondern wurden im Er-
gebnis des Differenzierungsprozesses in einer Zwischenoder Randposition verortet. Diese Position kann – neben
ihren rein praktischen Beweggründen – als räumlich-baulicher Ausdruck der ambivalenten sozialen Rolle verstanden werden, welche die Bediensteten als „familiar outsiders“ für die Familie hatten.
Die Ambivalenz zeigt sich auch sehr deutlich in dem dritten Aspekt, der Entflechtung von Zugangswegen nicht nur
von außerhalb, sondern auch innerhalb der Wohnung. Hier
offenbart sich der Konflikt, der sich daraus ergab, dass die
Gegenwart von Bediensteten im Haus für den Hausherrn
unentbehrlich für die standesgemäße Haushaltsführung und
für die Repräsentation von Status war, es andererseits für
die Familie aber auch nicht wünschenswert war, dass die
Bediensteten ständig präsent und sichtbar waren, dass man
dauernd von ihnen gesehen wurde, und dass sie ihre Arbeit
vor den Augen der Familie und gegebenenfalls der Besucher machten. Ihre Anwesenheit oder sogar ihr Durchqueren von Räumen konnte störend wirken – für die familiäre
Intimität und Privatheit, für vertrauliche Gespräche zwischen Gastgebern und Besuchern, oder für den „guten Eindruck“.693
Dass die Wirtschafts- und Küchenbereiche eigentlich immer einen separaten Zugang von außen hatten, ist schon
wiederholt festgestellt worden. In Obergeschossen war
dies freilich nicht immer der Fall bzw. nicht ohne größeren Aufwand machbar. Wenn in solchen Fällen der Küchenbereich im Osten, das Treppenhaus jedoch im Westen lag (wie beispielsweise im Qaṣr Mukhayyesh), dann
war das Ersteigen der Haupttreppe und das Durchqueren
der Mittelhalle für die Dienstboten unumgänglich. In anderen Fällen, wo Küchenbereich und Treppenhaus auf der
gleichen Seite lagen (wie im Qaṣr Ziadé), konnten die Zugangswege zumindest vor Betreten der Mittelhalle und des
Wohnbereichs in getrennte Bahnen gelenkt werden – und
wurden dies in der Regel auch. Das gleiche gilt für Häuser mit einer Außentreppe zum Obergeschoss (wie der
Ḥārat Geday), wenn die Treppe auf der gleichen Seite wie
der Wirtschaftsbereich lag.
In großen Häusern lässt sich ab etwa 1880 die Tendenz dazu beobachten, auch die Wirtschaftsbereiche der Obergeschosse mit eigenen, separaten Treppenzugängen zu versehen; entweder mit eigenen Außentreppen, wie am Qaṣr
Khalil Sursock/ Antoine Moukbel oder – als Beispiel eines
etwas späteren Geschosswohnhauses – das Haus Khayyat,
oder mit besonderen Innentreppen, die jedoch entweder nur
bedingt nutzbare Nebentreppen (wie im Qaṣr Bišāra elKhoury) waren oder oft spätere Hinzufügungen waren. So
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
gab es beispielsweise am Qaṣr Ḥannā Heneiné zunächst nur
eine gesonderte Außentreppe für den Wirtschaftsbereich
des hochliegenden ersten Wohngeschosses, und erst später
(vermutlich nach der Umnutzung des Hauses als Präsidentenpalast in den 1940ern) wurde diese durch ein neues, außen angebautes Treppenhaus ersetzt, das nun Zutritt zu den
Wirtschaftsbereichen beider Wohngeschosse gab und sie
direkt miteinander verband. Auch im Qaṣr Tuéni-Bustros
wurde später – in den 1960ern – ein außen angebautes Treppenhaus als unabhängiger Zugang zu den Servicebereichen
des ersten und zweiten Wohngeschosses hinzugefügt. Dass
es sich hierbei nicht um individuelle Sonderfälle, sondern
um einen allgemeinen Trend für gehobene Wohnverhältnisse handelt, zeigt sich darin, dass auch Apartmenthäuser
der Oberschicht aus den 1940ern (beispielsweise das FurnGebäude in Zokak el-Blat694) vollwertige Nebentreppenhäuser mit eigenem Hintereingang für die Dienstboten hatten. Ein zweites Treppenhaus im Servicebereich hatte auch
schon die Villa Aftimus (ohne dass jedoch das geplante
Obergeschoss je ausgeführt wurde), und ganz ähnlich besaß die Villa Mezher eine Dienstbotentreppe, die gesonderten Zugang zu den Wirtschaftsbereichen der beiden Geschosse gab.
Dieser schon im späten 19. Jahrhundert einsetzende und
sich im 20. Jahrhundert fortsetzende Trend in Richtung einer möglichst vollständigen Entflechtung der Außenzugänge für Familie und Personal lässt darauf schließen, dass
in gehobenen Kreisen schon die Möglichkeit der Begegnung mit dem Dienstpersonal im gemeinsamen Treppenhaus als störend empfunden wurde. An den Häusern, die
vor 1880 errichtet wurden, und besonders jenen, die nur eine Außentreppe als einzigen Aufgang zum Geschoss hatten, lässt sich diese Sensibilität noch nicht erkennen.
Bezüglich der inneren Erschließungswege zwischen Wirtschafts- und Wohnbereich fällt zunächst auf, dass sich in
den früheren Häusern – grob umrissen den vor 1870 errichteten Häusern – keine wirklich separaten Erschließungswege für Diener zu den Empfangsräumen gab, die
auch nur entfernt vergleichbar wären mit den Nebentüren,
Nebenkorridoren und verborgenen Treppen der herrschaftlichen Häuser im Europa des 18. und auch noch 19. Jahrhunderts, „so contrived... that the ordinary servants may never publicly appear in passing to and from their occasion
there“.695 Im Qasr Ziadé und vielen anderen Häusern des
dritten Viertels des 19. Jahrhunderts mussten die Dienstmädchen, um beispielsweise von der Küche oder dem Anrichtezimmer zum Esszimmer zu gelangen, zunächst durch
die Mittelhalle und von dort durch dieselben Türen gehen,
die die Familie und die Gäste benutzten. Die räumliche
Trennung zwischen Wohnbereich und Wirtschaftsbereich
war in der Regel so gestaltet, das beide um jeweils einen
eigenen Verteilerraum organisiert waren (die Mittelhalle
und der Servicekorridor), die miteinander nur über eine einzige innerhäusliche Verbindung kommunizierten. Der einzige Weg vom Wirtschaftsbereich in den Wohnbereich führte direkt in die Mittelhalle.
Diese Organisationsweise wurde jedoch geändert, und es
gibt Anzeichen dafür, dass diese Änderung mit der Institutionalisierung des Esszimmers in den Häusern der Beiruter Oberschicht zusammenhing. Schon der Qaṣr Tuéni-Bustros weist – als frühestes bekanntes Beispiel – Seitenkorridore parallel zu den Mittelhallen auf, und einer der Vorteile
dieser Parallelkorridore war, dass die Dienstmädchen nun
vom Anrichtezimmer in das Esszimmer gelangen konnten,
ohne die Mittelhalle zu betreten. Sie blieben also buchstäblich hinter den Kulissen. Parallel zu dieser Lösung, die
später auch in kleineren Häusern Nachahmer fand (z.B. im
Haus Khayyat), wurden andere Lösungen entwickelt: Im
Qaṣr Heneiné – der freilich nicht als repräsentatives Beispiel gelten kann – ist diese Entflechtung der inneren Erschließungswege klar ausgeprägt, indem der Weg von der
Küche durch den Innenkorridor im Süden ins Esszimmer
führte, während Familie und Gäste vom großen Saal im
Norden direkt ins Esszimmer gelangten. Im Qaṣr Bišāra elKhoury finden wir schon eine gesonderte Erschließung vom
Servicetrakt durch eine kleine Nebentür in das Esszimmer;
außerdem gibt es dort eine Durchreiche, deren bauzeitliche
Datierung jedoch nicht sicher ist. Auch im Qaṣr Mukhayyesh gibt es eine zusätzliche Tür vom Servicekorridor zum
Esszimmer. In Variationen lässt sich diese neue Organisationsweise der Erschließungswege in den meisten größeren Häusern des späten 19. Jahrhunderts finden und entwickelt sich im 20. Jahrhundert zu einem verbreiteten Standard (vgl. auch Villa Mezher und Villa Aftimus).
Das Bemerkenswerte an dieser Entwicklung ist, dass durch
die Extraerschließung des Esszimmers eine zusätzliche Verbindung zwischen Wirtschaftsbereich und Wohnbereich geschaffen wurden, durch die beiden vorher stark segregierten Bereiche nun stärker miteinander integriert waren. Dies
war einerseits natürlich praktischer für die Nutzung des Esszimmers, aber andererseits schuf es auch bessere Möglichkeiten der Meidung. Die zusätzliche Verbindung war zumindest auch ein Mittel räumlicher Ausgrenzung, mit Hilfe derer die Bediensteten besser von der Mittelhalle – dem
Herzstück des Wohn- und Empfangsbereiches – ferngehalten werden konnten. Nicht die Dienstboten wurden stärker
346
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
eingebunden, sondern das Esszimmer wurde raumsyntaktisch aus dem Wohnbereich heraus in eine Zwischenposition zwischen Wohnbereich und Wirtschaftsbereich „verschoben“. Ähnlich wie schon früher beim manzūl wurde
nun auch beim Esszimmer räumliche und soziale Segregation durch ein „Schleusensystem“ organisiert.
Dies zeigt sich auch in kleineren Häusern wie dem Obergeschoss des Bayt Fakhoury (errichtet um 1900) und dem
Bayt Ladki (errichtet vor dem 1. Weltkrieg), wo das Esszimmer in beiden Fällen sogar abseits der Mittelhalle platziert wurde, um den möglichst direkten Zugang von der
Küche zu gewährleisten, ohne dass es noch einen direkten
Zugang zur Mittelhalle gab. Im Bayt Ladki hat das Esszimmer (genau wie der manzūl) einen zusätzlichen Eingang
vom Treppenhaus her, und ein zweiter – nur scheinbar redundanter – Korridor läuft als separater Servicekorridor parallel zum Eingangskorridor zwischen Esszimmer und Mittelhalle. Auch hier konnte die Dienstmädchen hinter den
Kulissen bleiben.
Es lässt sich also feststellen, dass die baulichen und räumlichen Mittel, mit denen das Dienstpersonal funktional in
die häusliche Sphäre eingebunden und gleichzeitig sozial
im „Bann“ gehalten werden konnte, im untersuchten Zeitraum immer deutlicher ausgebildet wurden. Ähnlich wie
die Ausprägung zusammenhängender und von der Mittelhalle durch innere Erschließungen und Korridore losgelöste Schlafzimmerkomplexe, oder wie die damit einhergehende Herauslösung der Sanitärräume aus dem Wirtschaftsbereich und ihre Einbindung in den Schlafzimmerbereich, verweist auch die räumlich optimierte Segregation
der Dienstboten auf ein wachsendes Bedürfnis der Familie
nach sozialem Abstand, nach Intimität und nach einer besser geschützten familiären Privatsphäre. Es ist anzunehmen, dass dieses Schutzbedürfnis umso dringender wurde,
desto mehr die Dienerschaft vom freien Arbeitsmarkt rekrutiert wurde und daher nicht mehr so abhängig und hörig war wie lebenslang verpflichtete Haushaltssklaven.
3.4.3 Die Praxis des sozialen Abstands
Der soziale Abstand wurde nicht nur räumlich (re)produziert, sondern musste natürlich auch in der Praxis der häuslichen Interaktion geschaffen und aufrechterhalten werden. Dies geschah nicht nur aus Gründen der Privatheit.
Ein zu enges Verhältnis zwischen Angehörigen der Familie und der Dienerschaft störte klare häusliche Rangordnungen, verletzte das Statusempfinden der Herrschaften
und gefährdete mithin die heikle soziale Ordnung – dies
um so mehr, als viele der Herrschaften erst jüngst gesell-
schaftlich aufgestiegen waren. Die im Beirut des 19. Jahrhunderts porös gewordenen Klassengrenzen verliefen mitten durch das Haus.
Hinsichtlich dieser Praxis ist die Quellenlage allerdings
dürftig. Was vorhanden ist – beispielsweise Memoiren und
möglicherweise Gerichtsakten – würde sicherlich eine besondere und gezielte Erforschung unter diesem Gesichtspunkt lohnen. An dieser Stelle sollen jedoch kurz einige
erhellende Aussagen behandelt werden, die bei der Lektüre von normativer Ratgeberliteratur und Memoiren zutage traten.
Die Bedeutung, die der Aufrechterhaltung von sozialer Distanz beigemessen wurde, ergibt sich beispielsweise dort,
wo sie in der Alltagspraxis am schwächsten war: in der Beziehung zwischen den Kindern und der Dienerschaft. In
seinem Benimmbuch erläutert Ḫalīl Sarkīs die häuslichen
Pflichten eines jungen Fräuleins. Diese bestehen darin, der
Mutter bei der Haushaltsführung helfen; die Dienerschaft
nicht mit unnötigen Aufgaben zu beschäftigen oder von
der pünktlichen Erfüllung ihrer Aufgaben abzuhalten; nicht
mit dem Dienstpersonal über Dinge zu sprechen, die außerhalb ihres Aufgabenbereichs liegen; nicht mit ihnen
über Lohnerhöhungen zu reden; gegebenenfalls Aufträge
der Mutter an die Dienstboten freundlich und artig zu übermitteln (damit sich das junge Fräulein in der Leitung eines Haushalts übt); und keinesfalls zu gestatten, dass
Dienstboten in einer Weise mit ihr sprechen, die ihrer Würde und Stellung schadet.696
Dies ist alles, was Sarkīs als die häuslichen Pflichten eines
jungen Fräuleins anführt, und bezeichnenderweise bezieht
sich alles auf sensible Punkte in der Beziehung zwischen
Herrschaft und Dienerschaft im Haus. Dass Sarkīs es für
notwendig hielt, solche Ermahnungen mit dieser Klarheit
und Prominenz in seinen Ratgeber aufzunehmen, legt die
Vermutung nahe, dass häufig genug das Gegenteil der Fall
war: dass nämlich die jungen Fräulein seiner Stadt sich mehr
mit den angestellten Bediensteten einließen als gutgeheißen werden konnte, dass sie sich mit ihnen über (private)
Dinge unterhielten, die sie nichts angingen, und dass sie
sich scheinbar bei ihnen Lieb-Kind zu machen versuchten,
indem sie über Lohnerhöhungen sprachen – oder dass möglicherweise andersherum Bedienstete versuchten, über die
Tochter Einfluss auf die Eltern in Sachen Lohnerhöhung zu
nehmen. Da die Kinder in vielen Fällen schon mit den Bediensteten aufgewachsen waren, kann es nicht überraschen,
dass hier sehr schnell ein relativ enges Verhältnis entstand,
dass die von den Eltern gewünschte Distanz durchbrach
und die Autoritätsstrukturen bedrohte.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Gemeinhin wurde von Dienstboten verlangt, dass sie gehorsam, effizient und störungsfrei ihre Aufgaben erfüllten,
wussten, was sie zu tun hatten, und eher schwiegen als sprachen, vor allem gegenüber der Herrschaft. So heißt es 1885
im Muqtaṭaf:
Wenn es Diener oder Dienstmädchen im Haus gibt, so müssen sie wissen, wie der Tisch zu decken ist und die Speisenden zu bedienen sind, so dass sie ihre Aufgaben ohne
weitere Anweisung erfüllen. Falls es dennoch nötig sein
sollte, ihnen Anweisungen zu geben, so sollte dies mit Blicken, nicht mit Worten geschehen. Und wenn sie das Esszimmer verlassen haben sollten und gebraucht werden, so
sollten sie mittels einer Klingel gerufen werden, nicht durch
Rufen, Händeklatschen oder Pochen.697
In der Tat lässt sich beispielsweise am Qaṣr Ziadé feststellen, dass im frühen 20. Jahrhundert ein elektrisches Klingelsystem für das Dienstpersonal installiert wurde. Jeder
Wohnraumraum des ersten Obergeschosses besaß einen
Klingelknopf, und im Servicekorridor befand sich ein
Schaltkasten, der die Bediensteten durch einen Klingelton
alarmierte und eine Zimmernummer anzeigte. Dadurch wurde die Arbeitsbeziehung zwischen Herrschaft und Dienerschaft technisch effizienter und menschlich weniger unmittelbar gemacht.
Der glatte und reibungslose Ablauf von gastlichen Anlässen erhielt wegen der Anwesenheit von Gästen besondere
Bedeutung – er symbolisierte Ordnung und klare Hierarchien im Haus. Störungen dieser Ordnung konnten schmerzhaft geahndet werden. So berichtet Šākir al-Ḫūrī in seinen
Memoiren, wie er am Tag nach seiner Hochzeit bei einem
gemeinsamen Mittagessen mit seiner Braut, den Brauteltern und Verwandten sein Dienstmädchen schlug, weil sie
die aufgetischten Kaktusfeigen nicht säuberlich von Dornen befreit hatte:
Das Dienstmädchen stand in der Nähe des Tisches, und ich
schrie sie an: „Warum machst du die Kaktusfeigen nicht
richtig sauber?“ Sie erwiderte: „Ich habe sie gesäubert so
gut wie ich konnte!“, woraufhin ich mich von meinem Stuhl
erhob, sie schlug, und ihr sagte: „Wie oft habe ich dir gesagt, mir nicht zu erwidern, wenn ich mit dir spreche?“698
Wie Šākir ausdrücklich erklärt, waren die Verfehlungen des
Dienstmädchens hier allerdings nur ein willkommener Anlass für ihn, seine hausherrliche Autorität vor den anwesenden Verwandten in Szene zu setzen.
Nicht nur durch demonstratives Bestrafen, auch durch demonstratives Überwachen musste die Ordnung und Rangordnung im Hause aufrechterhalten werden. Ein MuqtaṭafArtikel von 1899 zitiert ein „Sprichwort der Europäer“, wel-
ches lautet: „Das Auge der Hausherrin ist mehr wert als die
Hände zweier Dienstmädchen.“ Daher sei es die Aufgabe
der Hausherrin, das Bediensteten darin zu überwachen, dass
sie ihre Arbeiten ordnungsgemäß verrichteten, und ebenso
sei es ihre Aufgabe, die Küche, Vorratsräume und Waschküche einmal am Tag zu betreten und persönlich sicherzustellen, dass alles sauber und an seinem Platz sei und nichts
verloren gehe.699 Bei diesem täglichen Kontrollgang handelte es sich offenkundig auch um eine Inszenierung, ein
Ritual, das die Machtposition und Autorität der Hausherrin ausdrücken sollte.
Um Probleme zu vermeiden, empfahl es sich, schon bei der
Auswahl der Dienstmädchen vorsichtig zu sein. Auch hier
wusste al-Muqtaṭaf Rat und empfahl, auf äußerliche Anzeichen von Unordentlichkeit, Liederlichkeit und Respektlosigkeit zu achten:
Wenn sie unordentliche Haare hat und schmutzige Kleidung
trägt, dann kann sie die Hausarbeiten nicht ordentlich verrichten und macht auch nicht gut sauber; sie eignet sich nicht
zum Dienst. Wenn sie überreichliche Kleider und falschen
Schmuck trägt, dann ist sie liederlich und respektiert die Hausherrin nicht; sie eignet sich nicht zum Dienst. Wenn sie alt ist
und die Hausherrin anredet, als ob sie deren Mutter oder Tante wäre, dann ist sie eigensinnig und tut nur, wonach ihr der
Sinn steht; sie eignet sich nicht zum Dienst. Und ein Dienstmädchen, das viele Fragen stellt und sich widersetzt, wenn
ihr etwas nicht zusagt, eignet sich nicht zum Dienst.
Ein Dienstmädchen hingegen, das in sauberer und ordentlicher Kleidung vor der Hausherrin steht, mit Bescheidenheit und Ernst spricht, sich nicht hinsetzt, wenn die Hausherrin sie nicht zum Sitzen aufgefordert hat, und keine Hausarbeit verweigert einschließlich Waschen und Bügeln, ist
zum Dienst geeignet – selbst wenn sie mehr Lohn nimmt
als andere.700
Es ist nicht immer ganz klar, ob die Ratschläge des Muqtaṭaf
tatsächlich aus der Feder der Beiruter (und 1885 nach Kairo übergesiedelten) Herausgeber und ihrem ausgedehnten
Netzwerk von Autoren und Autorinnen stammten, die ihre
eigenen Erfahrungen einfließen ließen.701 Zumindest in einem Fall wurde zu diesem Thema ein Artikel publiziert, der
offenkundig eine Übersetzung aus einer englischen Zeitschrift war.702 Da die Herausgeber solche direkten Übernahmen in anderen relevanten Bereichen – etwa Umgangsformen – ausdrücklich für unpassend hielten, weist
dies darauf hin, das man sich zumindest bezüglich der Probleme mit den Hausbediensteten recht weitgehend mit dem
europäischen Bürgertum identifizieren konnte.703
Bei dem alltäglichen und engen Zusammenleben, das sich
aus dem oft langjährigen Dienstverhältnis im Haushalt für
348
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
III.3 Das häusliche Leben und seine Wechselbeziehung zum Wohnraum
Familie und Dienstpersonal ergab, war es für die Familie
von essentieller Bedeutung, die sozialen Unterschiede aufrecht zu erhalten, zu betonen und zu reproduzieren. Als die
Beziehungen zwischen Herrschaft und Dienerschaft in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer weniger von einem klaren, unüberwindbaren Abhängigkeitsverhältnis und
immer mehr von einem Lohnarbeitsverhältnis geprägt waren, wurden neue Mittel zur Aufrechterhaltung des sozialen Abstands erforderlich.
Dabei ist bemerkenswert, wie sich der richtige Umgang der
Dienerschaft gerade in den letzten beiden Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts zu einem immer wieder aufgenommenen
Thema der arabischsprachigen, in Beirut publizierten oder
von Beirutern verfassten Ratgeberliteratur entwickelte.
Denn dies war zeitgleich mit der Entwicklung verfeinerter
und ausgeprägterer baulich-räumlicher Mechanismen der
Segregation in den Häusern der oberen Schichten der Stadt,
wie sie in diesem Kapitel identifiziert werden konnten. Das
Thema war offenkundig „heiß“. Das gewachsene Interesse mag auch damit zusammenhängen, dass die sozialen Aufsteiger, die den größten Teil dieser Schichten ausmachten,
diesen Umgang nicht in ihren Elternhäusern hatten erlernen konnten. Nicht nur die Bediensteten, auch die Herrschaften waren „nicht mehr das, was sie mal waren“. Der
Lernprozess des Wohnens, der mit der räumlich-funktionalen Differenzierung in den Häusern einherging, sparte
auch den Aspekt des räumlichen und praktischen Umgangs
mit den Bediensteten nicht aus.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
SCHLUSS
Zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und den 1930ern
machten das Beiruter Mittelhallenhaus und die Wohnkultur, der es Raum bot, einen vielschichtigen Wandel durch.
Als die Mittelhallenhäuser in der Mitte des 19. Jahrhunderts als neuer, repräsentativer Wohnhaustyp für Angehörige
der alten und neuen Eliten in Beirut Einzug hielten, stellten sie zunächst in vieler Hinsicht keinen Bruch dar: Schon
seit einigen Jahrzehnten experimentierten die Beiruter Eliten mit neuen Wohnformen außerhalb der Stadtmauern, errichteten sich Sommerhäuser und Residenzen im Grünen,
und suchten nach neuen Mitteln der Repräsentation von
Status und der Schaffung von Privatheit und räumlicher wie
sozialer Distanz. In struktureller Hinsicht knüpfte das Mittelhallenhaus an altgewohnte Wohnraumstrukturen an: es
hatte wie die älteren Hofhäuser eine Zentralraumstruktur,
und es integrierte das ebenfalls ältere Element des līwāns in
Form und Funktion. Bautechnisch und stilistisch unterschieden sich die frühen Mittelhallenhäuser ebenfalls noch
kaum von ihren lokalen Vorläufern. Der Übergang war so
fließend, dass das Haus fast „indigen“ erscheint.
Jedoch waren die geschlossene zentrale Halle und die betonte innere Symmetrie der neuen Häuser eine wichtige
bauliche und symbolische Neuerung, eine sichtbare und
selbstbewusste Referenz an die prestigeträchtigen orta sofa- oder iç sofa-Häuser, wie sie sich die osmanischen Eliten
am Bosporus schon seit dem 18. Jahrhundert, im Ägypten
Muḥammad ʿAlīs seit dem frühen 19. Jahrhundert und in
Damaskus seit den 1840ern errichteten. Der Distinktionsgewinn dieser Neuerung und das Distinktionsbedürfnis zahlreicher Beiruter griffen offenbar gut ineinander, denn innerhalb der wenigen Jahre bis 1860 entstanden in Beirut
Aberdutzende solcher Häuser. Das Mittelhallenhaus wurde in erstaunlicher Geschwindigkeit beinahe zu einem Muss
für Altetablierte und Neureiche, unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, und in den folgenden Jahrzehnten auch für immer größere Teile der Mittelschichten,
die darin den lokalen Oberschichten nacheiferten und miteinander wetteiferten. Angesichts der großen Heterogenität, die die Oberschichten und insgesamt die städtische Ge-
sellschaft Beiruts als eine von räumlicher und sozialer Mobilität geprägte Zuwanderergesellschaft charakterisierte, ist
diese Präferenz für ein gemeinsames Wohnmodell eigentlich überraschend. Sie spricht deutlich für das Ansehen, das
die osmanische Elitenkultur das gesamte 19. Jahrhundert
hindurch in Beiruter Oberschichten genoss, und das man
für sich selbst in Anspruch nehmen konnte.
Da die Häuser allerdings keine getreuen Nachbauten der
Istanbuler Vorbilder waren, sondern von Anfang an durch lokale Züge geprägt waren und sich sehr schnell zu einem
spezifischen Beiruter Typ ausbildeten, waren offenbar auch
stark homogenisierende lokale Kräfte am Werk: Die neuen Wohnhäuser und die neue Wohnkultur (und dies gilt für
den gesamten Untersuchungszeitraum) entwickelten sich
eben nicht nur mit Bezug auf externe Vorbilder, sondern
auch und besonders in einem internen, eigendynamischen
Feedback-Prozess. Dies hing sicherlich einerseits mit dem
sich entwickelnden Know-how der lokalen Baufachleute
zusammen („man“ baute eben jetzt so), andererseits und
ganz entscheidend jedoch auch mit dem Bedürfnis der Bauherren, über die Häuser und den Wohnstil soziale Zugehörigkeit zu schaffen und zu signalisieren („man“ wohnte eben
jetzt so, wenn man es sich leisten konnte). Das Distinktionsbedürfnis ging einher mit einem homogenisierenden
Druck zum Konformismus innerhalb der Schicht, zu der
man sich zählte, bzw. zur Nachahmung derer, zu denen man
gezählt werden wollte.
So ist auch zu verstehen, dass, sogar wenn auswärtige Bauhandwerker und Baumeister hinzugezogen wurden, deren
gestalterische Möglichkeiten letztlich darauf beschränkt
waren, innerhalb der architektonischen Konvention des Mittelhallenhauses zu operieren. Nur in Ausnahmefällen wie
dem Qaṣr Heneiné, errichtet für einen russischen Ausländer, war es möglich, sich außerhalb dieser Konvention zu
bewegen – und in diesem Fall auch unter maßgeblicher Beteiligung lokaler Bauarbeiter. Mittelhallenhäuser wurden
nicht gebaut, weil man nicht anders konnte. Sie wurden vor
allem gebaut, weil die Beiruter Bauherren nicht anders wollten. Die Häuser waren stärker durch soziokulturelle Be-
350
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Schluss
dürfnisse und Notwendigkeiten als durch bauliche Möglichkeiten bestimmt.
Das Fließgleichgewicht zwischen Distinktion einerseits und
Konformismus andererseits war ein bestimmender Faktor in
der weiteren Entwicklung der Beiruter Wohnarchitektur
und Wohnkultur – bezüglich Grundriss, Einrichtung und
Wohnpraxis. Das Repertoire der Statussymbole wurde laufend durch die Eliten und die sozialen Aufsteiger angereichert, immer auf der Suche nach neuen, wirksamen Mitteln, sich zu unterscheiden. Dabei ist deutlich zu erkennen,
dass sich – auch als Ergebnis von Beiruts neuer Rolle als
port-city – der geographische Raum, aus dem neue prestigeträchtige Elemente bezogen wurden, ständig ausdehnte:
Damaszener Elemente, Istanbuler Elemente, italienische
und europäische Elemente – die Aufzählung ist nicht vollständig, aber die Reihenfolge bezeichnet hier auch einen
Trend der kulturellen Umorientierung und der Ausweitung
der Horizonte hinein in den zunehmend globalen Raum der
Moderne, ohne dass es jedoch zu einem Bruch kam. Ältere und jüngere Einflüsse wirkten lange Zeit parallel und ergänzten einander; neue Elemente aus verschiedenen Quellen wurden in eigener Weise kombiniert, Neues wurde in
Fortbestehendes eingebettet, und aus dem Wechselspiel von
beidem entstand das anverwandelte, domestizierte Neue –
neu und gleichzeitig heimisch-vertraut, wie ein altes Lied,
gespielt in neuen Rhythmen und Harmonien, und mit modernen Instrumenten.
Die Rolle der europäischen Einflüsse wurde dabei bislang
– so viel kann als ein Ergebnis dieser Arbeit in Bezug auf die
Beiruter Wohnarchitektur und Wohnkultur festgehalten werden – überschätzt bzw. in ihrer Wirkungsweise falsch eingeschätzt. Die fortdauernde, teilweise sogar zunehmende
Rolle regionaler und Istanbuler Vorbilder (auch nach der
Einführung des als „osmanisch“ erkannten Mittelhallenhauses) wurde dagegen stark unterschätzt. Das gilt auch für
das verwandelte Fortleben von älteren Traditionen in neuem Gewand. Dabei gab es verschiedene Geschwindigkeiten
des Wandels: Oberflächengestaltungen (wie Fassaden,
Raumdekor, Möbelformen u.ä.) veränderten sich naturgemäß schneller und modeabhängiger als Tiefenstrukturen
(wie z.B. Raumstrukturen oder familiäre Strukturen der Bewohnerschaft). Die Mittelhallenhäuser waren, als sie Mitte des Jahrhunderts in Beirut eingeführt wurden, zunächst
weder durch eine „europäische“ Möblierung noch ein ausdifferenziertes Programm funktional spezialisierter Räume
charakterisiert. Dies änderte sich im Laufe des dritten Viertels des 19. Jahrhunderts, als Möbel und Wohnutensilien
europäischer Art verstärkt Einzug in die Häuser vor allem
der Oberschichten hielten. Dies war jedoch kein folgenloser Fall der „conspicuous consumption“ von prestigeträchtigen Konsumgütern neuester Art, die sich als Insignien von
Status und Fortschrittlichkeit einträchtig zwischen die alten Diwane und Porzellansammlungen fügten. Es bewirkte, dass die so möblierten Räume funktional stärker festgeschrieben wurden, dass also vormals stärker multifunktionale Räume zu tendenziell monofunktionalen Räumen wurden, und dass sich die räumlichen Praktiken der Bewohner
veränderten. Die zunehmende funktionale Spezialisierung
der Räume führte ihrerseits zu Verschiebungs- und Absonderungsprozessen in der räumlichen Struktur der Häuser.
Und spätestens an diesem Punkt verliert das Konzept einer
vor allem als Nachahmung externer Vorbilder verstandenen Europäisierung seinen Erklärungswert. Als strukturierende Struktur, die das Zusammenleben der Menschen in
Raum und Praxis organisiert, ist der Wohnraum Ausdruck
gesellschaftlicher Beziehungen und ihrer Veränderungen.
Die seit Buṭrus al-Bustānī vieldiskutierte Kultur des taqlīd
– der Nachahmung – war für die meisten Beiruter ein im
hohen Maße auf innergesellschaftliche Vorbilder und Adressaten bezogener Prozess. Nirgends wird dies so deutlich
wie in den Differenzen zwischen den normativen Wohndiskursen des Muqtaṭaf und den „unorthodoxen“ Wohnpraktiken des Beiruter Bürgertums. Die Nachbarinnen und
die Standesgenossen waren – so scheint es – als normgebender Maßstab oft einflussreicher als die öffentlichen Modernisierungsdiskurse der intellektuellen Eliten. Die Modernisierung des Heims war – anders als die des öffentlichen und städtischen Raums – keine Modernisierung von
oben oder von außen, sondern vor allem eine von innen.
Gerade auf der Ebene der materiellen Kultur, zu der ja Möbel, Raumschmuck, Wohn- und Essutensilien, aber auch
Baumaterial zu zählen sind, war dieser Wandlungsprozess
eine Veränderung des Konsumverhaltens, die durch größere Verfügbarkeit (oft industriell gefertigter und damit europäischer) Güter und durch sich wandelnde individuelle
und gruppenbezogene Bedürfnisse bestimmt war. Wie die
Einheimischen dabei die erworbenen Güter verwendeten,
hing von den lokalen Gegebenheiten ab. An der Aufstellungsweise der Sitzmöbel und am langen Fortleben der alten Kohlebecken in Beiruter Heimen ließ sich dieser durch
spezifische soziokulturelle Erfordernisse bedingte Aneignungs- und Anverwandlungsprozess deutlich aufzeigen.
Und dennoch hatten die öffentlichen Diskurse unvermeidlich ihre Wirkung, über Schulen, Zeitschriften und andere
institutionelle Multiplikatoren, und letztlich auch wieder
über die Nachbarinnen und Standesgenossen, die bei351
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
spielsweise solche Zeitschriften lasen. So konnten Innovationen – unter ihnen oft Elemente europäischer Herkunft –
in die Gesellschaft einsickern und hineingefiltert werden
und dabei von denen, die sie übernahmen, schon fast als etwas „Eigenes“ empfunden werden – nämlich als das Eigene der sozialen Gruppe, zu der man sich zählte. Neu formuliert wurde dabei nicht nur das Selbstverständnis der
bürgerlichen Schichten, sondern auch das Bild, wie man
sich im Hause nach außen gegenüber anderen präsentierte.
Das Haus war in wichtigen Teilen – und oft mit überwiegendem Raumanteil – ein für das Auge der Öffentlichkeit
bestimmter Raum, ein Bühnenraum, in dem die Bewohnerfamilie sich vor der im Hause gegenwärtigen Teilöffentlichkeit produzieren musste und dadurch ihren sozialen Status, ihre sozialen Beziehungen, ja in manchen Fällen
sogar ihre politische Macht reproduzierte. Die Formen, wie
dies geschah, veränderten sich sowohl in ihrer Optik wie
auch in den gesellschaftlichen Ritualen und den Formen
der Gastlichkeit, und das Haus musste diesen Veränderungen Raum geben.
Weltweit war die sich im 19. Jahrhundert ausprägende bürgerliche Kultur eine, die sich einerseits auf gemeinsame
Wertvorstellungen, Gesellschaftsbilder, Ästhetiken und Rituale bezog, andererseits aber lokalen Gegebenheiten entsprang und durch sie bestimmt blieb. Fortschrittlichkeit
und Modernität waren zentrale Konzepte in der Selbstwahrnehmung des Bürgertums, und diese fanden einen sehr
sichtbaren Ausdruck in einem ausgeprägten kategorischen
Ordnungsdenken, das „wissenschaftlich“ begründet, aber
sozial gemeint war. Die Zeitschrift al-Muqtaṭaf brachte dieses Denken in einem Artikel ihrer Hauswirtschaftsrubrik
aus dem Jahr 1889 auf den Punkt: „Li-kulli šay’in makānun
wa li-kulli šay’in waqt.“ – Alles hat seinen Platz, und alles
hat seine Zeit.704
Die räumlichen und sozialen Neuordnungen, die sich in den
Wohnhäusern der Beiruter Oberschichten und der oberen
Mittelschichten im Untersuchungszeitraum identifizieren
ließen, lassen sich tatsächlich als die lokalspezifische Ausprägung solcher globaler bürgerlicher Ordnungsvorstellungen verstehen. Aktivitäten wurden räumlich voneinander getrennt und erhielten ihren festen Platz, Geselligkeiten erhielten eine neue räumliche Ordnung und festgelegte Abfolge, Besuchszeiten wurden genauer auf Uhrzeiten
festgelegt, auch frauenspezifische Geselligkeit wurde zeitlich und räumlich präziser gefasst. Es lässt sich eine Formalisierung, Regularisierung und Kategorisierung der
Wohnpraxis beobachten, die parallel zu den staatlichen Modernisierungsprojekten lief und erstmalig auch ein wichti-
ges Thema öffentlicher zivilisatorischer Ordnungsdiskurse wurde, wie sie sich am Beispiel des Muqtaṭaf und der
neuen Benimmliteratur aufzeigen ließen. Die ins öffentliche Interesse gerückte häusliche Ordnung wurde als elementarer Teil der sozialen Ordnung im Großen verstanden,
und der Frau wurde – zumindest in diesen Diskursen – eine tragende Rolle in der Schaffung und Erhaltung dieser
Ordnung zugesprochen.
Wie streng diese Formalisierung und Regularisierung in der
Praxis gehandhabt wurde, kann wegen der schwierigen
Quellenlage bislang nicht wirklich sicher gesagt werden.
Denn wie eingangs gesagt, sind Aktivitäten nur lose durch
Architektur gefasst. Selbst dort, wo die Einrichtung bestimmte Aktivitäten nun weitgehend festlegte, waren Abweichungen ohne weiteres möglich: Ein Esstisch konnte
auch für Schreibarbeiten genutzt werden, einen Sandwich
konnte man überall im Stehen essen, und Besucher konnten
unter Umständen auch in Privatzimmern empfangen werden. Die häusliche Praxis, so viel steht fest, war kein Spiegelbild der öffentlichen Ordnungsdiskurse, sondern oft Gegenstand ihrer Kritik. Und bestimmte lokale Besonderheiten der Raumnutzung, beispielsweise die lange Zeit übliche Unterbringung von Übernachtungsgästen im „Salon“,
wurden schlichtweg verschwiegen.
Dennoch: die Entwicklung der Raum-, Erschließungs- und
Nutzungsstrukturen der untersuchten Häuser weist deutlich
darauf hin, dass das private Leben und das soziale Zusammenleben in den Häusern sich veränderten und dabei räumlich anders und klarer geordnet wurden. Erkennbar ist ein
langfristiger Prozess der räumlichen Absonderung der Kernfamilien eines Haushalts von der Großfamilie (ohne dass
sich allerdings die Familie als soziale Grundeinheit je auflöste). Erkennbar ist auch eine Veränderung der Vorstellungen von Intimsphäre, die sich etwa im räumlichen Zusammenschluss der Schlafzimmer unabhängig von der Mittelhalle und in der Vermehrung von Sanitärräumen und ihrer
räumlichen Verbindung mit den Schlafzimmern ausdrückt.
Die Intimsphäre ist allerdings nicht individuell zu verstehen,
sondern im Rahmen der Familie, was sich schon darin zeigt,
dass Schlafzimmer – insbesondere Kinder- und Jugendschlafzimmer – selten Einzelschlafzimmer waren (und im
Übrigen auch heute in der Mittelschicht oft nicht sind).
Erkennbar sind auch klassen- oder schichtbezogene Absonderungsprozesse innerhalb des Hauses, die im größeren
gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden können. Schon die Einrichtung von hauseigenen Bädern im 19.
Jahrhundert war ein Schritt in diese Richtung gewesen, weil
sie für die Wohlhabenden den Besuch der öffentlichen Bä-
352
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Schluss
der entbehrlich machte und so die soziale Distanz zu den
ärmeren Schichten vergrößerte. Mit der Verbreitung der
neuen Vorstadtvillen wurden die öffentlichen Bäder zunehmend zu Räumen der sozioökonomisch schwächeren
Schichten. In der Trennung zwischen Bädern für die Familie und Bädern für die Dienstboten materialisierte sich dieser verstärkte Trend der sozialen Segregation auch innerhalb des Hauses. Er manifestierte sich auch in der immer
ausgefeilteren räumlichen Entflechtung von Wohn- und
Wirtschaftsbereichen und den dazugehörigen inneren und
äußeren Erschließungswegen. Diese räumliche Segregation und Schaffung von Distanz war, wie gezeigt wurde, nicht
nur praktisch-funktional motiviert, sondern wurde auch in
der Praxis im Umgang mit den Dienstboten zum Ausdruck
gebracht. Über den Rahmen des Haushalts hinaus zeigte
sich dieses Bedürfnis nach Distanz auch in den exklusiver
werdenden Formen der Geselligkeit und im Umgang mit
als nicht standesgemäß angesehenen Besuchern.
Die Wohnhäuser der wohlhabenden Beiruter geben als historische Quellen Auskunft über gesellschaftliche Entwicklungen, die sonst oft einen „unaussprechlichen“ Teil
der Lebens- und Erfahrungswelten der Beiruter des 19.
und frühen 20. Jahrhunderts ausmachen. Dies nicht nur,
weil sie Blicke in die Geschichte des privaten Lebens je-
ner Zeit öffnen, die oft im „blinden Fleck“ anderer Quellengattungen liegt, sondern auch, weil sie Zeugnis von allgemeineren gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozessen und Spannungen geben, die in vergleichbarer Form noch heute fortdauern und Ursprung ungelöster Konflikte sind. In einer Zeit, in der der Verlust des kulturell „Eigenen“ und sein Schutz vor den alles „gleichmachenden“ Kräften der Globalisierung allenthalben beschworen wird, bezeugen die Beiruter Mittelhallenhäuser
und Wohnkultur, dass das Phänomen der Globalisierung
(und mit ihr auch der Verwestlichung) eine lange Geschichte hat, und dass selbst dann, wenn man bewusst
nachahmen wollte, das Ergebnis von ungewollter und großer Originalität sein konnte und unvermeidlich Ausdruck
der eigenen, spezifischen, orts- und zeitgebundenen kulturellen und sozialen Gegebenheiten blieb. Worin würde
dies deutlicher als darin, dass diese hybriden, globalisierten, damals so modernen Beiruter Mittelhallenhäuser
schließlich einerseits als „la maison libanaise“ zu dem
Symbol national-libanesischer Identität und alter Tradition umgedeutet werden konnten, während sie andererseits
als Wohnraum für die Ober- und Mittelschichten aus der
Mode kamen und von moderneren Geschosswohnungen
abgelöst wurden?
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Anmerkungen
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Siehe dazu ausführlich Davie/ Nordiguian 1987, S. 170f. Die genannten Bezeichnungen sind die damals in den Gerichtsakten üblichen.
Die den folgenden Ausführungen zugrunde liegenden Quellen sind
arabische Lebens- oder Reiseerinnerungen an Beirut, die den damaligen Alltagssprachgebrauch vielleicht noch besser wiedergeben
als Gerichtsakten. Besonders zu nennen ist al-Ḫūrī 1985 [1908]; außerdem al-Qāyātī 1981 [1884–85]; al-Tūnisī [1880] in: Ḍāhir 1985,
S. 79–83; und Sāmī 1981 [1891].
In Kairo ist der Begriff qaṣr im 18. Jahrhundert für große, mehrräumige Gartenpavillons belegt; siehe Maury/ Raymond/ Revault/
Zakariya 1983, S. 112. Zu seiner Verwendung für Damaszener
Sommerhäuser im frühen 19. Jahrhundert siehe Rafeq 2000, S.
189. Zu qaṣr als Bezeichnung für repräsentativ gestaltete und mit
zahlreichen Fenstern versehene Obergeschossräume in Damaszener Hofhäusern siehe Weber 2006, S. 261, Fn. 705. Das zeitgenössische Wörterbuch von Zenker 1967 [1866–1876], S. 703, übersetzt qaṣr mit „palais, chateau, kiosque“ und „Schloss, Palast, Lusthaus, Villa“.
Siehe die Verwendung des Begriffs ḥāra bei Feghali 1923, S. 163–
186. Interessanterweise konnte sich jedoch keiner der heutigen
Hausbewohner oder -eigentümer, die ich dazu befragt habe, an
diese Benennung erinnern.
Siehe Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934/ Taqwīm
fann al-binā’ fī Sūriyā wa-Lubnān 1934, Hrsg. Igor Pitlenko, Beirut: Édition de l’Annuaire d’Architecture, o.S.
Zitiert in Hall 1969, S. 106.
Vgl. Benjamin 1991, S.292.
Für eine ausführliche Biographie von Yaʿqūb Ṣarrūf (geb. 1852 in
Hadath/Libanon, gest.1927 in Ägypten) siehe Ṭarrāzī 1913, Bd.
2, S. 124–129; knapper auch Goldschmidt 2000, S. 182–183, „Sarruf“. Über seinen Kollegen und Mitbegründer der Zeitschrift, Fāris
Nimr (geb. 1856 in Hasbaya/ Libanon, gest. 1951 Kairo), siehe
Ṭarrāzī 1913, Bd. 2, S. 138–142; Goldschschmidt 2000, S. 156–
157, „Nimr“. Zur Zeitschrift al-Muqtaṭaf siehe Teil I, Kap. 1.2.3.
Vgl. al-Muqtaṭaf 35 (Juli – Dezember 1909), S. 1078–1099:
„Sūriyā wa-Lubnān“, hier S. 1097.
In seiner grundlegenden architekturhistorischen Arbeit Architecture
in Lebanon unterteilte Friedrich Ragette die Häuser im Libanon
in folgende Typen: 1. „the closed rectangular house“, 2. the gallery house“, 3. „the liwan house and related court houses, 4. „the
central hall house“ (d.h. Mittelhallenhaus), 5. „the combination
type“. Siehe Ragette 1998 [1974], Kap. II. Siehe auch die kritische Diskussion dazu bei Kfoury 1999, Kap. 3.
Kassir 2003, S. 247. Das Urteil beruht offensichtlich stark auf Sehnaoui 2002 [1981]
Zur Globalisierung siehe Osterhammel/ Petersson 2005; Bayly
2004; und Fawaz/ Bayly 2002. Zur „Verwandlung der Welt“ im
19. Jahrhundert siehe jüngst Osterhammel 2009.
Als Überblick zu den jüngeren Forschungen siehe Dumont/ Georgeon 1992 und speziell zu den arabischen Provinzen Hanssen/
Philipp/ Weber 2002. Im Einzelnen zu Beirut: Hanssen 2005, May
Davie 1996 und 2001, Fawaz 1983 und Özveren 1990; zu Ankara: Georgeon 1992; zu Bursa: Saint-Laurent 1992; zu Damaskus:
Weber 2006 und die überarbeitete englische Übersetzung Weber
2009, außerdem Arnaud 2006, Schatkowski-Schilcher 1985; zu
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Haifa: Yazbak 1998; zu Aleppo: Watenpaugh 2006; zu Istanbul
Çelik 1986, Rosenthal 1980a, 1980b und 1982, Yérasimos 1991
und 1992; zu Jaffa: Kark 1990; zu Jerusalem Abu-Manneh 1990,
Kark 1980; zu Mersin: Yenişehirlioğlu/ Müderrisoğlu 1995; zu
Nablus: Doumani 1995; zu Thessaloniki: Anastassiadou 1997; zu
al-Salṭ/ Jordanien: Khatib/ al-Asir 1995, Mollenhauer 1997; zu
Alexandria: Reimer 1988, Ilbert 1996; zu Kairo: Scharabi 1989,
Raymond 2001. Zu den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im ländlichen Raum des Ǧabal Lubnān im Zusammenhang
mit Seidenwirtschaft und Migration siehe Khater 2001 und Chevallier 1971.
In dieser Arbeit bevorzuge ich den etwas enger gefassten Begriff
„Europäisierung“ gegenüber dem der „Verwestlichung“, weil es
im Nahen Osten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vor allem die
europäischen Länder (und noch nicht die USA) waren, auf die im
kulturellen Umorientierungsprozess Bezug genommen wurde, und
weil der damals in der Region verwendete arabische Begriff tafarnuǧ (abgeleitet von ifranǧ, d.h. „Franken“ bzw. Europäer) eben
zunächst „Europäisierung“ meinte. Heute dagegen ist der Begriff
taġarrub (von ġarb, Westen), also „Verwestlichung“, üblich.
Siehe dazu ausführlich Weber 2009, S. 29–46 und S. 422ff, und
die Aufsätze in Hanssen, Philipp, Weber 2002.
Zur Verbreitung von Mittelhallenhäusern im Osmanischen Reich
siehe z.B. Weber 2009, S. 331–351; die Publikationen von Anne
Mollenhauer, die Aufsätze in Michael Davie (Hrsg.) 2003a sowie
die Aufsätze von Blin, Pinon und Volait in Les Cahiers de la recherche architecturale 20/21 (1987): Espace centrée. Zu Veränderung von Wohnstrukturen und der Entwicklung bürgerlicher
Wohnkultur siehe z.B. Gall 1993, Haas/ Stekl 1995 , Hanák 1994,
Kocka 1995, Göçek 1996, Hokayem 1992, Watenpaugh 2006, Khater 2001, Perrot 1999, Brönner 1994 sowie Eleb/ Debarre 1989
und 1995.
„Alexandria was a colonial city before Egypt was a colony.“ Vgl.
Reimer 1988, S. 531. Zu Städten im kolonialen Kontext siehe auch
Ross/ Telkamp 1985. Zum Ausdruck „osmanischer Commonwealth“ siehe Mansel 1988, S. 38.
Die übliche Periodisierung reicht von 1860 (Gründung der Mutaṣarrifiyya Ǧabal Lubnān) bis 1918 (Ende des Osmanischen Reiches) bzw. 1920 (Beginn der französischen Mandatszeit). Für diese Periode prägte Akarli 1993 den Begriff „The Long Peace“. Auch
der Begriff des 19. Jahrhunderts oder des „langen 19. Jahrhunderts“ (von der ägyptischen Expedition Napoleons 1798 bis zum
Ende des Osmanischen Reiches 1918) als historische Epoche in
der nahöstlichen Region wird inzwischen kritisch gesehen; siehe
Fortna 2006, S. 1–4.
Siehe Tamīmī/ Bahǧat Bey 1987 [1915–1916]), Bd. 1, S. 204 (mit
Begriffserläuterung), und Bd. 2, S. 300.
Vgl. al-Muqtaṭaf 35 (Juli – Dezember 1909), S. 1078–1099:
„Sūriyā wa-Lubnān“, hier S. 1097.
Vgl. de Vogüé 1876, S. 27 und 30. Übersetzung: „...aber diese europäischen Häuser, mit Ziegeldächern, haben ein zu zivilisiertes
Aussehen. Ich kann Beirut, von weitem gesehen, nur mit Hyères,
Cannes oder jedem anderen Wintererholungsort des Mittelmeers
vergleichen...Außerhalb der Bazare sind die eigentlichen Straßen
breit, gerade, nach europäischer Art, gesäumt von neuen Häusern
in einem fränkisch-arabischen Mischlingsstil...“
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
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Feghali 1923, S. 163–186.
Feghali 1923, S. 163–165. Zu den maronitisch-libanistischen Diskursen des frühen 20. Jahrhunderts, denen Feghalis Geschichtsbild
ganz deutlich zuzuordnen ist, siehe Havemann 2002, S. 143–156.
Tābit (Tabet) 1947, S. 412–422.
Sehnaoui 2002 [1981], S. 91.
Ragette 1974, Kap. 4, bes. S. 92, S. 106f., S. 118.
Ragette 1974, S. 107 und S. 115.
Aboussouan (Hrsg.) 1985. Siehe insbesondere die Beiträge von
Aboussouan und Lauffray.
Zum Begriff der „erfundenen Tradition“ (invented tradition) siehe Hobsbawm/ Ranger (Hrsg.) 1983.
Michael Davie 2003b, S. 343–369.
Michael Davie 2003b, S. 356.
Für Beispiele siehe Kögler 2005, S. 261–288.
Sehnaoui 2002, S. 180. Übersetzung: „Als Schlussfolgerung möchte ich einfach sagen, dass eine Politik der Nachahmung in keinem
Falle die besonderen Probleme unserer Gesellschaft lösen kann. Das
fortwährende Importieren von Ideen und Technologien ohne die nötige Anpassung und Assimilierung erlaubt es uns nicht, mehr als
passive Konsumenten zu sein. […] Unsere wichtigste Ressource ist
die schöpferische Imagination von Ideenströmungen, Stilen und
Knowhow, die unseren Gesellschaften entspringen und an sie angepasst sind. Das bedeutet keineswegs, den ungeheuren Beitrag der
westlichen Zivilisation außer Acht zu lassen, sondern vielmehr, außerhalb ihres Fahrwassers schöpferisch und produktiv tätig zu sein.“
Siehe dazu beispielsweise Kohl 2000, S. 24–35.
Siehe Kfoury 1999; Kfoury 2002, S. 133–136; Kfoury 2003, S. 33–
55.
Siehe Eldem 1984, besonders Bd. 1, S. 77–80 und 203–205.
Michael Davie (Hrsg.) 2003; siehe besonders die Beiträge von Maurice Cerasi, May Davie, Anne Mollenhauer und Semaan Kfoury.
Siehe Kfoury 2003, S. 45.
May Davie 2003, S. 57–96. Zu den frühen Mittelhallenhäusern
siehe außerdem May Davie 2001, S. 47–48.
Siehe insbesondere Teil I, Kap. 2.4.
Davie/ Nordiguian 1987, S. 165–197; Saliba 1998.
Die jüngst erschienene französische Übersetzung des Buches von
Robert Saliba, Beyrouth: Architectures aux sources de la modernité, 1920–1940 (Paris: Parenthèses 2009), enthält hilfreiche Überarbeitungen und Ergänzungen. Saliba behandelt nun auch Anpassungsprozesse der Grundrisse im Zusammenhang mit urbaner Verdichtung, unterschiedlichen Parzellenstrukturen, Gebäude- und
Geschosserschließungen und komplexeren Apartmenthäusern.
Çelik 1986.
Khater 2001 und Khater 2003.
Mollenhauer 2002; Mollenhauer 2003; Mollenhauer 2004; Mollenhauer 2005; Bodenstein 2005 und Gebhardt/ Sack 2005. Demnächst erscheint auch die überarbeitete Dissertation von Anne Mollenhauer: Mittelhallenhäuser im Bilād aš-Šām des 19. Jahrhunderts (Arbeitstitel), (Beiruter Texte und Studien; 124), Beirut: OIB/
Würzburg: Ergon Verlag (in Vorbereitung).
Michael Davie 2003, S. 363 und 369.
Pezeu-Massabuau 1983.
Eleb-Vidal/ Debarre-Blanchard 1989; Eleb/ Debarre 1995; Paravicini 1990.
Elias 1997 [1939]; Elias 1983 [1969]; als Beispiel der Anwendung
siehe Kanacher 1987.
Zinn 1979; Bourdieu 1987; Katschnig-Fasch 1998.
Vgl. West 1999, S. 105; siehe auch Carsten/ Hugh-Jones 1995, S. 3.
Vgl. Tränkle 1977, S. 14.
Vgl. Tränkle 1977, S. 15.
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Siehe hierzu die Einleitung der Herausgeber in Birdwell-Pheasant/
Lawrence-Zúñiga 1999, S. 6–7.
Vgl. Perrot 1999, S. 316.
Hillier/ Hanson 1984.
Siehe Löw 2001, S. 163, hier unter Bezug auf Giddens 1988, S. 76
und 111f.
Vgl. Löw 2001, S. 172.
Löw 2001, S. 167.
Foster 1989, S. 40. Grundlegend zur Theorie der Strukturierung
siehe Giddens 1988.
Elias entwickelte diese Theorie anhand seiner Untersuchung der
höfischen Gesellschaft Frankreichs; siehe Elias 1983 [1969]. Siehe dazu auch Kanacher 1987.
Vgl. Gleichmann 1977, S. 261.
Bourdieu 1991, S. 32. Siehe dazu Löw 2001, S. 182f. Löw kritisiert
Bourdieus Ansatz allerdings dafür, dass er das Soziale dem Räumlichen zu einseitig strukturierend gegenüberstellt und die strukturierende Wirkung von Räumen vernachlässigt.
Vgl. Fröhlich 1994, S. 38, nach Bourdieu 1987b, S. 98.
Vgl. Bourdieu 1987b, S. 105.
Vgl. Bourdieu/ Wacquant 1996, S. 154 und 161.
Siehe Krais/ Gebauer 2002, S. 98 und 105. Außerdem Schwingel
2003, S. 70f. und 76; sowie Löw 2001, S. 177 und 182f.
Siehe dazu zusammenfassend Baumgart/ Eichener 1997, bes. S.
104–114, basierend auf Elias 1997 [1939], und Elias 1987. Der
Eliassche Begriff der Figuration bezeichnet die spezifische gesellschaftliche Verflechtungssituation, in der Individuen sich befinden. Figurationen sind keine statischen Gebilde, sondern befinden sich im ständigen Wandel eines „Fließgleichgewichts“. Sie
werden durch Individuen konstituiert, haben aber – wie Gesellschaftsspiele oder Gesellschaftstänze – einen überindividuellen
Charakter und eine von individuellen Plänen und Absichten unabhängige Eigendynamik. Elias löst mit diesem Konzept das Dilemma individualistischer und strukturalistischer Erklärungsansätze historischer und gesellschaftlicher Prozesse. Siehe Baumgart/ Eichener 1997, S. 111–113.
So wiedergegeben bei Löw 2001, S. 183.
Ähnlich argumentiert Abraham Marcus für den Fall von Aleppo
im 18. Jahrhundert: „The residences of the wealthy display the ultimate in local standards of domestic living and privacy arrangement.“ Vgl. Marcus 1986, S. 170.
Siehe Gebhardt, Sack et al. 2005, hier insbesondere das Kapitel
von Mollenhauer. Zu den Einzelfallstudien siehe Bodenstein 1999
und Bodenstein 2001. Die Häuser wurden in der Regel im Systemaufmaß aufgenommen und im Maßstab 1:100 gezeichnet.
Die Begriffe „plangeometrisch“ und „raumsyntaktisch“ sind der
Space syntax-Methode von Bill Hillier und Julienne Hanson entlehnt, die die Abfolge von Räumen mit der Abfolge von Wörtern
in Sätzen vergleichen und in dieser Abfolge eine soziale Logik des
Raums sehen. Siehe Hillier/ Hanson 1984, S. 143–175.
Identifizierte spätere Türdurchbrüche sind in den Grundrissen der
Hauptfallstudien grau unterlegt.
Zur Methode der Raumsyntax-Analyse grundsätzlich: Hillier/ Hanson 1984. Für eine kritische Bewertung unter Einbeziehung von
Fallstudien siehe Foster 1989. Zu Beispielen der Analyse von Hausgrundrissen siehe: West 1999; Gould 1999; Orhun/ Hillier/ Hanson
1995; Orhun/ Hillier/ Hanson 1996; Orhun 1999. Kernstück der
Methode ist die Analyse von Grundrissen durch eine graphische
Darstellungsweise, in der Raumstrukturen nicht plangeometrisch
als Grundrisszeichnung, sondern raumsyntaktisch als eine Art
Schaltplan wiedergegeben werden, der je nach Erschließungsstruktur eine baumartige oder netzartige Form erhält. Für diese
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
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Untersuchung habe ich eine ganze Anzahl solcher Diagramme für
verschiedene Beiruter Wohnhäuser und Vergleichsbeispiele erstellt, die allerdings nicht als solche in die Arbeit aufgenommen
wurden. Viele Beobachtungen und Beurteilungen in dieser Arbeit
beruhen jedoch unter anderem auf dieser Analysemethode.
Rapoport 1990, S. 18.
Eine detaillierte Diskussion zur Oral History der beiden Hauptfallstudien findet sich in Bodenstein 1999, Bodenstein 2001 und
Bodenstein 2002. Als grundlegende Literatur zur Methode sei vor
allem auf Vansina 1985, Ehalt 1984 und Henige 1982 verwiesen.
Hier sind besonders Ḥallāq 1987a und Davie/ Nordiguian 1987 zu
nennen.
Kritisch zur großen Rolle von staatlichen Archiven bei der bisherigen historischen Forschung zur Region äußert sich beispielsweise Fortna 2006, S. 5.
Zu den Photographien siehe insbesondere Debbas 1986, Debbas
2001 und Lemke 2004.
Siehe dazu beispielsweise Brönner 1991 und Brönner 1994.
Siehe Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934 und die Ausführungen am Beispiel der Villa Joseph Aftimus in Teil II, Kap. 3.23.
Bislang hat nur Nada Sehnaoui diese Quelle benutzt; siehe Sehnaoui 2001 [1981].
Sarkīs 1911.
Zu Einwohnerzahlen siehe besonders Fawaz 1983, Kap. 4 und Tabelle 1; May Davie 1996, Tabelle S. 141; Saliba 1998, Kap. 1.
So schreibt Fawaz: „A whole range of successful silk entrepreneurs soon rose to the top of the social ladder, which traditionally
had been occupied by older, more established merchants, landowners, and notables. ...This initiated a social revolution not only
in the urban milieu where the entrepreneurs flourished, but also in
the nearby countryside.“ Vgl. Fawaz 1983, S. 67.
Vgl. May Davie 2003, S. 95 (eig. Übersetzung).
Vgl. May Davie 2003, S. 95 (eig. Übersetzung).
Vgl. Fawaz 1984, S. 489.
Giedion 1928, S. 78, hier zitiert nach Benjamin 1991 Bd. 1, S. 513.
Siehe dazu Philipp 2001, S. 128–135; Hanssen 2005, S. 29 und
Kap. 1 passim; Issawi 1977. Zusammenfassend zu Beiruts geographischer Benachteiligung gegenüber benachbarten Küstenstädten und den historischen Koinzidenzen seines Aufstiegs siehe
auch Kassir 2003, S. 107–109.
Zu den Konsulaten im Einzelnen siehe Fawaz 1983, S. 26.
Hanssen 2005, S. 30f.; May Davie 2001, S. 35.
Özveren 1990, S. 151. Sein Argument bezieht sich auf die Zeit
nach der Restauration osmanischer Hoheit in Beirut 1840, lässt
sich aber meines Erachtens auch schon auf die ägyptische Besatzungszeit anwenden.
So das Urteil von Kassir 2003, S. 109. Die Dampfschifffahrt im
östlichen Mittelmeerraum wurde zuerst – ab 1835 – von britischen
Unternehmen eingeführt und die Verbindung zwischen Beirut und
Alexandria und von dort nach Liverpool wurde bald schneller und
regelmäßiger. Französische und österreichische Reedereien zogen
nach. 1841 verkehrten schon 76 Dampfschiffe im Mittelmeerraum.
Siehe dazu: Chevallier 1971, S. 183.
Hanssen 2005, S. 32; zur Entstehung der port-cities siehe auch
Özveren 1990. Özveren unterscheidet zwischen port cities, d.h.
Hafenstädten, als allgemeinem geographischem Ausdruck, und
port-cities (mit Bindestrich) als zeitgebundenem, funktionsspezifischem Phänomen im historischen Kontext des Kapitalismus. Beirut und Alexandria gehörten ab dem 19. Jahrhundert zu dieser zweiten Gruppe.
Vgl. Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 52–53.
Fawaz 1983, S. 68.
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Hanssen 2005, S. 40–52.
Hanssen 2005, S. 70f.
Hanssen 2005, Kap. 5.
Jalabert 1970, S. 65–91.
Für einen kritischen Überblick siehe Hanssen 2005, Kap. 6; Kassir 2003, Kap. 7.
So opponierten einflussreiche Beiruter beispielsweise gegen den
Anschluss Tripolis’ an den neugebildeten syrischen Staat, um den
Ausbau dieser Stadt als Konkurrenzhafen zu Beirut zu verhindern.
Siehe Traboulsi 2007, S. 86.
Es ist eines der wichtigen Verdienste von Jens Hanssens Fin de
Siècle Beirut, durch seinen Fokus auf die Stadt und die Provinz
Beirut diese Loslösung aus einem teleologischen nationalen Geschichtsdiskurs vorgenommen zu haben.
May Davie 2001, S. 71f; Mejcher 1991, S. 444f.
Siehe besonders Hanssen 2005, Kap. 2. Für Istanbul als das wichtigste Zentrum des arabisch-osmanischen Nationalismus siehe auch
Mansel 1997, S. 375f.
Ḍāhir 1974, S. 91–102.
Als das Standardwerk zur Entwicklung der Einwohnerschaft Beiruts im 19. und frühen 20. Jahrhundert kann die ausführliche Untersuchung von Fawaz 1983 gelten; siehe besonders S. 127–132,
Tab. 1–3. Ergänzend dazu außerdem: May Davie 1996.
Siehe die unterschiedlichen Schätzungen in Fawaz 1983, Tab. 1, sowie May Davie 1996, S. 141, Tab. 1.
Diese Entwicklung lässt sich kurz anhand dreier Quellen quantifizieren: Nach den Angaben des französischen Konsuls Henry
Guys für etwa 1846 hatte Beirut 19.120 Einwohner (eine im Vergleich zu anderen Angaben eher konservative Zahl), von denen
9.000 Sunniten und 9.020 Christen waren, wobei sich die Christen in 4.500 Griechisch-Orthodoxe, 1.800 Maroniten, 1.700 Griechisch-Katholische Christen und weitere kleine konfessionelle
Gruppen aufteilten. Dagegen betrug die Einwohnerzahl Beiruts
im Jahr 1895 laut Vital Cuinet 120.000, die sich zusammensetzte aus 36.080 Muslimen (davon 36.000 Sunniten), 39.400 Katholiken (davon 28.000 Maroniten) und 37.000 nicht-unierten
Christen (davon 35.000 Griechisch-Orthodoxe). Eine offizielle
osmanische Quelle, die Salnāme von 1908, führt 120–130.000
Einwohner an, von denen allerdings nur 38.954 amtlich als Einwohner der Stadt registriert waren. Unter diesen offiziell registrierten Einwohnern waren 14.430 Muslime, 12.834 GriechischOrthodoxe Christen, 2.277 Griechisch-Katholische Christen, 6.034
Maroniten, 215 Protestanten, 195 so genannte Lateiner (also Römisch-Katholische Christen), 302 Armenisch-Katholische Christen, 21 Armenisch-Orthodoxe Christen, 190 Assyrische Christen,
908 Juden, 6 Kopten und 1.102 ausländische (d.h. nicht-osmanische) Einwohner. Zu den Zahlen siehe Özveren 1990, S. 153–
154, fußend auf Guys 1862, Tab. 6; Cuinet 1896, S. 153; Salnāme
Bayrūt Vilāyeti 1326 H./ 1908, S. 242. Die vergleichsweise niedrigen Zahlenangaben bei Henri Guys mögen darauf zurückzuführen sein, dass er auf die Register der verschiedenen religiösen
Gemeinschaften zurückgreifen musste und daher nur die registrierte, nicht die tatsächliche Einwohnerschaft wiedergibt. Andere Quellen aus dem Zeitraum der späten 1840er/ frühen 1850er
geben (manchmal unter ausdrücklichem Einschluss der Vororte
extra muros) zwischen 27.500 und 50.000 Einwohnern an; vgl.
Tabelle 1 in Fawaz 1983, S. 127–129.
Vgl. Fawaz 1983, S. 98.
Zitiert nach Thomas Philipps englischer Übersetzung der Memoiren: Philipp 1979, S. 148f.
Zu dem Begriff siehe Dubar/ Nasr 1974, S. 57–59, sowie Hanssen 2005, S. 14 und S. 52–53.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Anmerkungen
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Siehe dazu Hanssen 2005, S. 14, Fn. 59. In dem beschränkteren
Sinne, wie Dubar und Nasr den Begriff benutzen, ließe er sich am
besten ganz wörtlich als „Vermittlerbürgertum“ oder „Zwischenhändlerbürgertum“ übersetzen. Da es jedoch fragwürdig ist, eine
soziale Schicht oder Klasse allein aufgrund ihrer Vermittlerrolle
zu benennen, die zwar eine ihrer Funktionen, aber nicht ihre soziale Identität ausmacht, bleibt der Begriff unbefriedigend und
wird hier nur mangels besserer, akzeptierter Alternativen in jenem
weiteren Sinne benutzt, wie Hanssen ihn umrissen hat.
Michael Johnson beschreibt die Rolle der aʿyān im Unterschied
zu der eines modernen zāʿims (eines Politikers und Patrons in einem Klientelsystem) wie folgt: „[They] were not patrons who demanded specific returns such as votes or other demonstrations of
loyalty from their clients. Rather, they considered their role to be
a duty for which there should be no special reward. Just as a father helps his sons and daughters, so the […] aʿyan helped their
people in a paternal fashion by finding employment, lending and
giving money, settling disputes, acting as intermediaries with the
Ottoman administration and generally being available to offer advice, encouragement and admonishment to their ‘children’.“ Vgl.
Johnson 1986, S. 60f.
Zu Beyhum siehe al-ʿĪtānī 1982, S. 50–53 ; zu Beyhum und Sursock siehe Johnson 1986, S. 61. Zu den Fallstudien siehe Teil II,
Kap. 3.4, Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Kap. 3.13, Qaṣr Mūsā Sursock,
und Kap. 3.14, Qaṣr Ḫalīl Sursock.
Fawaz 1983, Kap. 7 und 8; Özveren 1990, S. 155; May Davie
1996, S. 64–66.
In diese Richtung weist auch Hokayem 1992, S. 203–227, hier S. 215.
Zu dieser osmanischen Form des Klassenwahlrechts siehe Hanssen 2005, S. 150f. (dort auch das Zitat); zum Zahlenverhältnis der
registrierten und nicht-registrierten Einwohnerschaft siehe auch
Özveren 1990, S. 154.
Vgl. Linda Schatkowski-Schilchers Buchbesprechung zu Fawaz,
Merchants and Migrants in Nineteenth-Century Beirut, in: IJMES
18 (1986), S. 528–529.
Siehe Hokayem 1992, S. 215–216.
Vgl. dazu Katschnig-Fasch 1998, S. 52: „Bourdieus Gesellschaftsbild ist das einer Arena, in der die Akteure und Akteurinnen um die jeweils höheren Ränge wetteifern, wobei der Vorteil
natürlich mit der Hierarchie des Kapitalbesitzes – ob ökonomisches, soziales oder Bildungskapital – steigt.“
Vgl. Katschnig-Fasch 1998, S. 53.
Für ein Schichtenmodell der libanesischen Gesellschaft, mit Unterscheidung nach ländlichen und städtischen Kategorien und der
sozialen Mobilität über drei Generation siehe Dubar/ Salim Nasr
1974, S. 284, Schema IV.1. Zur Ausbildung einer „Arbeiterklasse“
als „notwendiges Komplementär“ zur Bourgeoisie in Beirut siehe Özveren 1990, Kap. 5.
Vgl. al-Bustānī [1869] 1999, S. 10–11 (eig. Übersetzung aus dem
arabischen Original).
Zum Thema „Europäisierung“ in der arabischen Literatur siehe
beispielsweise Wielandt 1980; Hourani 1983.
So berichtet beispielsweise Miḫāyil Mišāqa in seinen Memoiren
von einem Zwischenfall in Saida am Anfang des 19. Jahrhunderts,
der mit der Ermordung mehrerer notorischer Spötter durch einen
Bergbewohner endet, und Kamal Salibi erzählt in seinen Memoiren, wie er an seinem ersten Tag in einer Beiruter Schule im Jahr
1938 wegen seines Bergdialekts und seiner Frisur getriezt wurde
und wie er daraufhin zum Friseur ging und sich neue, „englische“
Anzüge kaufen ließ. Siehe Mishaqa 1988, S. 88–92; aṣ-Ṣalībī 2002,
S. 81–83.
Siehe Hourani 1983, S. 100.
129
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Vgl. al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 51 (eig. Übersetzung).
„Al-Fallāḥ fallāḥ wa-law akal aš-šūrba bi-š-šawke“; vgl. Farrūḫ
2000, S. 147, Nr. 3031. Da dieses Sprichwort auf die falsche Verwendung der Gabel abzielt, deren Gebrauch sich als Statussymbol
in der Region im späteren 19. Jahrhundert zu verbreiten begann, und
die als eine der Insignien europäischer Esssitten und überhaupt europäischen Lebensstils bezeichnet werden kann, dürfte es aus dem
späten 19. oder dem frühen 20. Jahrhundert datieren.
131 Zitiert nach der englischen Übersetzung von Zaydāns Autobiographie in Philipp 1979, S. 140. Ǧurǧīs Vater war etwa 1843 als
10-jähriger mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus ʿAyn
ʿAnūb nach Beirut gekommen; Ǧurǧīs Mutter stammte vermutlich
aus Bishmizzine (Bišmizzīn); siehe ebd., S. 129f.
132 al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 146. Zur Beschreibung des Hauses
s.u., Kap. 3.1.
133 Vgl. Risk Allah Effendi [1854] 2001, S. 26.
134 So die 1847 gemachte Beobachtung des russischen Arztes Artimi
Rafalowitsch; siehe Rijnikow/ Smilianskaya 1993, S. 192.
135 Risk Allah Effendi [1854] 2001, S. 129.
136 Siehe hierzu auch Stefan Webers Arbeiten zu Damaskus im 19.
Jahrhundert, besonders Weber 2006 und Weber 2009.
137 Siehe Hanssen 2005a, S. 61–62.
138 Unter den franko-ägyptischen Offizieren war der ehemalige Colonel Sèves, der unter dem Namen Sulaymān Pascha als kommandierender Generalmajor der ägyptischen Armee und als der
mutasallim von Ibrāhīm Pascha in Syrien diente, sowie der Baron
Alfred d’Armagnac, der – neben militärischen Führungsaufgaben
– leitend an der Einrichtung der Beiruter Quarantänestation und
des dazugehörigen Lazaretts beteiligt war. Siehe Armagnac 1984
[1844].
139 Siehe dazu Eldem 1984, Bd. 1, S. 78–80; außerdem Scharabi 1989,
Kap. III.
140 Der französisch ausgebildete ägyptische Offizier und Ingenieur
Maḥmūd Nāmī Bey war als Präsident der ersten städtischen Ratsversammlung (dīwān al-mašwara) von Beirut für den impulsgebenden Ausbau der städtischen Infrastruktur während der 1830er
verantwortlich. Sein Nachfolger an der Spitze der Stadtverwaltung nach dem Abzug der Ägypter bis zu seinem Tode 1858 war
ʿAbd al-Fattāḥ Aġā Ḥamāda, ein in Beirut gebliebener ägyptischer
Offizier. Aḥmad Pascha Abāẓa, ebenfalls ein ehemaliger Offizier
der ägyptischen Armee, war von 1868 bis 1876 Präsident des ersten gewählten Stadtrates von Beirut. Sein Amtsnachfolger von
1877 bis 1882 war Ibrāhīm Faḫrī Bey, der Sohn der Ägypters
Maḥmūd Nāmī Bey. Und der Sohn von ʿAbd al-Fattāḥ Aġā, Muḥyī
ad-Dīn Ḥamāda, spielte eine führende Rolle in der Stadtverwaltung und muslimischen Reformbewegungen Beiruts in den 1870ern
und 1880ern. Siehe Hanssen 2005a, S. 30–32, 34 und 154.
141 Siehe Hanssen 2005a, S. 117, und al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 179–
181. Šākir al-Ḫūrī selbst studierte in den 1860ern Medizin in der
Schule von Qaṣr al-ʿAynī. Zu Clot Bey (eig. Dr. Antoine Bathélemy Clot), siehe Goldschmidt 2000, S. 42–43.
142 Zu Ausländern in Beirut siehe beispielsweise Hanssen 2005a: S. 139–
141; Fawaz 1983: Kap. 6.; Hokayem 1992: S. 214; Crawford 1970:
S. 118.
143 Fawaz 1983: S. 52; Hokayem 1992, S. 214.
144 al-Bustānī [1869] 1999, S. 5.
145 Hanssen 2005, Kap. 5, bes. S. 140f. und S. 150.
146 Bodenstein 2005, S. 65f.
147 al-Bustānī [1869] 1999, S. 5.
148 Özveren 1990, S. 151.
149 Siehe dazu May Davie 1996, Kap. 1; May Davie 2001; Fawaz
1983, Kap. 4; Bodenstein 2005, S. 35–107, besonders S. 37–43.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
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Siehe Beschreibungen aus Gerichtsakten in Fāḫūrī 2003, S. 343–345.
Zu den Häusern in der Altstadt siehe May Davie 1996, S. 35; Davie/ Nordiguian 1987; May Davie 2003:, S. 69–71; außerdem die
Beschreibungen aus Gerichtsakten in Ḥallāq 1987a, passim, und
Fāḫūrī 2003, S. 343–345.
Zitat aus Farley 1859, S. 98–101, zitiert nach Sehnaoui 2002,
S. 106–107.
Vgl. das französische Originalzitat bei Chevallier 1972, S. 226
(eig. Übersetzung).
Zitat aus Blondel 1840, S. 14–17 (eig. Übersetzung).
Farley ist zitiert in Sehnaoui 2002, S. 89; de Nerval 1851 ist zitiert in Berchet 1985, S. 752.
Vgl. Farley 1859, S. 97–98; hier zitiert nach der französischen
Übersetzung bei Davie/ Nordiguian 1987, S. 175 (eig. Übersetzung). Für ähnlich gelagerte Rechtsstreitigkeiten zwischen Nachbarn siehe z.B. die Gerichtsakten in Ḥallāq 1987b, S. 158.
Laut Cerasi kann eine “preference for open patterns, low density,
the constant quest for a view and for good sun orientation” schon
im 18. Jahrhundert in Städten der westlichen osmanischen Provinzen festgestellt werden; vgl. Cerasi 1998, S. 119. Zur Errichtung von Sommerhäusern in der Damaszener Ghūṭa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts siehe Rafeq 2000; zu vergleichbaren Entwicklungen in der Kairener Oberschicht im späten 18. Jahrhundert siehe beispielsweise Raymond 2001, S. 222f.
Vgl. al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 32 (eig. Übersetzung).
Zitate aus Laorty-Hadji 1855, S. 40.
Vgl. Anonymus [Ida Pfeiffer] 1844, S. 167.
„Der Großteil dieser Häuser, inmitten von Gärten gelegen, stufenförmig angelegt an der ganzen Küste entlang maulbeerbepflanzter Terrassen, wirkt wie kleine feudale Herrensitze, solide
in braunem Stein erbaut, mit Spitzbögen und Gewölben. Außentreppen führen auf die verschiedenen Etagen, von denen jede ihre Terrasse hat, bis hinauf zu jener Terrasse, die das ganze Gebäude
beherrscht, und wo die Familien sich abends versammeln, um den
Ausblick auf die Bucht zu genießen.“ Vgl. de Nerval 1851, zitiert
nach Berchet 1985, S. 745 (eig. Übersetzung).
Vgl. Reynaud 1846, zitiert nach Berchet 1985, S. 772.
Siehe den Grundriss in Teil II, Kap. 3.2, Bayt Aoun-Karam. Eine
detaillierte Behandlung solcher līwān-Häuser findet sich bei Davie/ Nordiguian 1987, S. 165–197.
Carne 1826, zitiert nach Sehnaoui 2002, S. 108.
„Es gibt dort, auf einer Landzunge links von der Stadt, eine der
köstlichsten Wohnstätten, die man sich auf der Welt wünschen
könnte: […] Sie erhebt sich inmitten eines sehr weiten Gartens,
bepflanzt mit Zedern, Orangenbäumen, Weinstöcken und Feigenbäumen, und bewässert aus einer schönen Felsenquelle; das Meer
umgibt es von zwei Seiten, und die Gischt nässt die Füße der Mauern... […] Alle Wände sind mit wundervoll skulptiertem Marmor
verkleidet, oder mit Zedernholz-Boiserien in reichster Ausführung; Springbrunnen murmeln unaufhörlich in der Mitte der Erdgeschossräume, und vergitterte, auskragende Balkone, die um die
oberen Etagen laufen, gestatten es den Frauen, die Tage und Nächte im Freien zu verbringen, und ihre Blicke am wundervollen
Schauspiel des Meeres, der Berge und der bewegten Szenen des
Hafens zu berauschen.“ Vgl. de Lamartine 1835, zitiert nach Berchet 1985, S. 721 (eig. Übersetzung). Der Besitzer wird nur als
„riche négociant turc“ bzw. „négociant arabe“ identifiziert; „turc“
ist die damals bei europäischen Reisenden häufig zu findende Bezeichnung für sunnitische Muslime und sagt nichts über die ethnische Zugehörigkeit aus.
Es handelte sich also um holzvergitterte Erker in der Art, wie sie
anderswo in der arabischen Welt als rawšan oder mašrabiyya be-
zeichnet werden. Ob diese Begriffe für Beirut in zeitgenössischen
Quellen belegt sind, ist mir nicht bekannt.
167 Reiche Steinmetzarbeiten an Wandnischen und Wandflächen, deren Formensprache eine lokale Ausprägung des osmanischen Barock waren, waren laut Stefan Weber als Neuentwicklung seit der
Wende des 18. zum 19. Jahrhundert in herrschaftlichen Damaszener Häusern vermehrt zu finden, und auch im Palast von Amīr
Bašīr II. in Beiteddine im libanesischen Schufgebirge wurden sie
im frühen 19. Jahrhundert (1806-7) von Damaszener Handwerkern erstellt; siehe Weber 2006, S. 281–287, und Weber 2009, S. 267–
269 und S. 276–82.
168 Siehe Teil II, Kap. 3.3 (al-Madrasa al-Waṭaniyya), Kap. 3.5 (Ḥārat
Yūsuf Geday) und Kap. 3.11 (Qaṣr Tuéni-Bustros).
169 Vgl. Friedrich Ragette 1974, S. 107 (meine Hervorhebungen).
170 Siehe May Davie 1996, S. 45.
171 Zur Dynamik des Grundstückmarktes extra muros am Beispiel des
Quartiers Zokak el-Blat während des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts, siehe Bodenstein 2005, S. 50–63.
172 Siehe May Davie 2001, S. 47–48, und May Davie 2003, S. 74–79.
173 „Wir steigen eine enge und steile Treppe hinauf und befinden uns
in der großen Halle, oder dem überdachten Innenhof, mit großen
Spitzbogenfenstern auf der Nordseite. Von dort genießen wir eine Aussicht von ergreifender Schönheit, über das Land und das
Meer. Der Salon schließt an diese Halle an, er hat drei Fenster im
Norden und ebenso viele im Westen, von denen die Aussicht ebenso schön und abwechslungsreich ist, genauso wie gegenüber vom
Kabinett des […] und seinem Balkon auf der Ostseite des Hauses.
Mein Zimmer befindet sich auf der Westseite gleich hinter dem
Salon. Wir hören nicht auf, von einem Zimmer zum anderen zu
gehen, um diese schönen Ausblicke zu bewundern.“ Vgl. Madame
de Perthuis, Carnet de voyage en Orient, 1853–1862 (Manuskript
in der Sammlung Fouad Debbas), zitiert nach May Davie 2003,
S. 71 (eig. Übersetzung). Das Tagebuch-Manuskript wurde inzwischen vollständig publiziert in Perthuis de Laillevault 2007;
die zitierte Beschreibung hier auf S. 28, datiert auf den 9. Oktober 1853; das von Perthuis bewohnte Haus wird als das „maison
Ftéha“ identifiziert, d.h. das Haus von ʿAbd al-Fattāḥ Aġā Ḥamāda.
174 In der vollständigen Textwiedergabe bei Perthuis de Laillevault
2007, S. 28, wird dieser Raum „cabinet d’antiquités“ genannt, wurde also als Antiquitätenkabinett genutzt.
175 Vgl. die Photographien in Debbas 2001, S. 61–63 (von 1859), S. 70–
71 (von 1859), S. 121 (von 1860) und S. 123 (ca. 1860).
176 Vgl. zu dieser Kombination auch den etwa gleichzeitigen oder nur
etwas später datierenden Fall des Bayt Saadé, Teil II, Kap. 3.1.
177 Vgl. die Fallstudien in Teil II, Kap. 3.1, Bayt Saadé; und Kap. 3.4,
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum.
178 Diese These erläutert unter anderem May Davie 2003, S. 79–82.
Für ein Fallbeispiel einer solchen Umwandlung, siehe Teil II, Kap.
3.2, Bayt Aoun-Karam.
179 Siehe dazu Teil II, Kap. 3.4, Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum.
180 Siehe hierzu die gute zusammenfassende Diskussion mit Literaturhinweisen bei Weber 2009, S. 332–350; außerdem für den großsyrischen Raum die Arbeiten von Mollenhauer 2002, 2003 und
2004; für die Istanbuler Vorbilder und deren Ausstrahlung grundlegend Eldem 1984, sowie auch Yenişehirlioğlu 1991.
181 Zu den beiden einzigen mir bekannten erhaltenen Bespielen in Beirut siehe Teil II, Kap. 3.3, al-Madrasa al-Waṭaniyya. Zu den so genannten Galerie-Häusern in den libanesischen Bergen siehe Ragette 1974, Kap. 2; zu diş sofa-Häusern siehe Eldem 1984, Bd. 1,
Kap. „First period houses“. Diş sofa-Häuser (die Terminologie
stammt von Eldem) sind ein sehr alter Typ, der vor allem im 17.
Jahrhundert Verbreitung fand, aber noch im 19. Jahrhundert im os-
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manischen Kulturraum errichtet wurden. Ragettes Beispiele von
Galerie-Häusern sind (wie die meisten seiner übrigen Beispiele)
nicht datiert, stammen jedoch – ihren stilistischen Merkmalen nach
zu urteilen – in den meisten Fällen aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Siehe Weber 2006, S. 349.
Siehe die Fallbeispiele in Teil II, Kap. 3.5, Ḥārat Yūsuf Geday,
und Kap. 3.6, Haus der Phalanges/ Qaṣr Malhamé.
Siehe die zahlreichen Beispiele bei Fāḫūrī 2003, S. 350–354.
Zu den ersten Mittelhallenbauten in Damaskus siehe Weber 2009,
Bd. 1, S. 336–338.
Als Beispiel eines frühen Mittelhallenhauses eines jüdischen Angehörigen der Intermediary Bourgoisie ist das Haus Picciotto im
Wadi Abou Jemil zu nennen. Siehe zu diesem Haus ausführlich
May Davie 2003, S. 86–87.
Siehe Teil II, Kap. 3.4, Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum; außerdem Kap.
3.1, Bayt Saadé, und Kap. 3.9, Bayt Majzoub.
Siehe May Davie 2003, S. 88.
Bevor die industriell produzierten und global vermarkteten Marseiller Falzziegel in den 1860ern ihren Siegeszug in Beirut antraten, waren die frühen Ziegeldächer mit Mönch-und-Nonne-Ziegeln oder S-förmig gekrümmten Dachpfannen gedeckt. Für Beispiele siehe die historischen Photos in Debbas 2001, S. 63, 91 und
123 (alle datiert auf 1859 bzw. 1860). Mönch-und-Nonne-Dächer
gab es schon seit Jahrhunderten in Rumelien und Anatolien, sie
waren die Standard-Deckung der Häuser am Bosporus.
Beide Formen lassen sich sehr ähnlich an Bosporus-Häusern des
späteren 18. und des 19. Jahrhunderts finden. Beispiele: Eldem
1984, Bd. 1, S. 191, 256f., 281, 287 u. a. m.
Zu diesem Motiv an türkischen Häusern siehe Arnaud 1987, S. 73.
Siehe dazu Teil II, Kap. 3.6, Haus der Phalanges/ Qaṣr Malhamé.
Borie/ Pinon 1987, S. 64.
Zu den elliptischen sofas („oval halls“) als ausgesprochen luxuriöse Hallenform in Istanbuler Häusern des 18. und 19. Jahrhunderts siehe Eldem 1984, S. 203 und 221. Elliptische sofas gab es
in der Regel nur im obersten Geschoss, das darunter liegende Geschoss hatte eine Halle mit abgeschrägten Ecken. Anders als die
Istanbuler Holzbauweise eignete sich die lokale Beiruter Steinbauweise nicht für Hallen mit elliptischer Grundrissform, was vielleicht erklärt, warum das Motiv nur in der Deckengestaltung aufgenommen wurde.
Siehe dazu Teil II, Kap. 3.11, Qaṣr Tuéni-Bustros; Kap. 3.13,
Qaṣr Mūsā Sursock; Kap. 3.14, Qaṣr Ḫalīl Sursock; und Teil III,
Kap. 3.1.
Siehe May Davie 2003, S. 92; Bodenstein 2002, S. 111–112; außerdem Ruppin 1920, S. 42f.
Vgl. Tränkle 1977, S. 14. Siehe oben, Kap. 1.2.
al-Qāyātī 1981, S. 146. Für biographische Angaben zu al-Qāyātī
siehe Mubārak 1886–1888, Teil 14, S. 96.
Ich nehme hier die zeitgenössischen Beschreibungen aus, die sich
beispielsweise in der Zeitschrift al-Muqtaṭaf finden lassen, die
kein bestimmtes Haus beschreiben, sondern eher allgemeiner und
normativer Art sind.
Vgl. al-Qāyātī 1981, S. 146 (meine Übersetzung). Im Originaltext
verwendete arabische Begriffe sind entweder im Fließtext übernommen oder in runden Klammern ( ) hinter der Übersetzung angegeben. Anführungsstriche in der Übersetzung geben Klammern
im Originaltext wieder – das arabische Äquivalent der Anführungsstriche, mit denen al-Qāyātī ortstypische Begriffe kenntlich
macht. Meine eigenen Anmerkungen sind mit eckigen Klammern
[ ] gekennzeichnet.
Badawi/ Hinds 1986, S. 435, übersetzen „sandara“ mit „storage
loft“.
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In schriftlichen Quellen ist die Form titḫīte nicht nachzuweisen.
Amtliche Dokumente aus dem Beirut des 19. Jahrhunderts verwenden den Begriff taḫt oder auch mutaḫat (siehe Davie/ Nordiguian 1987, S. 176, hier übersetzt mit „grenier“). In den von mir
bearbeiteten amtlichen Grundbüchern für Beirut aus dem 20. Jahrhundert wird hingegen der Begriff matḫat benutzt. Im Wörterbuch
von Denizeau bedeutet matḫat „tribune, mansarde, pièce au-dessus du hammām“. Er führt aber auch tatḫīta an, mit der Bedeutung „parquet, plancher, large espace ménagé sous le toit pour y
conserver les céréales, le pain, etc.“ (vgl. Denizeau 1960). Es bleibt
unklar, wie alt die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs
titḫīte (als die lokale Aussprache von tatḫīta) in dieser Bedeutung
in Beirut ist.
al-Munǧid fi l-luġa wa-l-aʿlām (1994), S. 802 (Eintrag „n-z-l“).
So der übliche Sprachgebrauch in al-Muqtaṭaf , z.B. Bd. 6 (Juni
1881–Mai 1882), S. 368 und Bd. 13 (Oktober 1888–September
1889), S. 329; für radha siehe Sarkīs 1911, S. 11 und passim.
In einer etwa zeitgenössischen Quelle, Buṭrus al-Bustānīs Wörterbuch Kitāb Muḥīṭ al-Muḥīt von 1870, wird der Begriff manzūl
erklärt als “wa-l-manzūlu ʿinda l-muwalladīn manzilun muʿaddun
li-ḍ-ḍuyūf.” (D.h. „der manzūl ist bei den Nachklassischen ein
Haus/ eine Unterkunft, das/ die für Gäste eingerichtet ist.) Hier
spiegelt sich also noch eine ältere, aber „nachklassische“ Verwendung des Begriffs für ein besonderes Gästehaus (manzil), noch
nicht unbedingt für ein Gäste- bzw. Empfangszimmer. In dieser
Bedeutung ist der Begriff – spezifiziert als dār al-manzūl – auch
in Beiruter Gerichtsakten des 19. Jahrhunderts belegt. Siehe alBustānī 1965 [1870], Bd. 2, S. 2063 (Eintrag „n-z-l“); und Fāḫūrī
2003, S. 344–345. Hier sei angemerkt, dass der Begriff manzūl
auch in Tripolis anhand von Gerichtsakten aus dem 19. Jahrhundert nachweisbar ist. In Damaskus hingegen lässt er sich weder in
schriftlichen Quellen noch im mündlichen Sprachgebrauch nachweisen. Ich danke Christian Sassmannshausen und Stefan Weber
für diese Hinweise. Im ägyptisch-arabischen Kontext dagegen
scheint der das Wort manzūl etwas ganz anderes zu bezeichnen,
nämlich eine Art Rauschgift (siehe die Wörterbücher von Hans
Wehr und Badawi/ Hinds). Es scheint also, dass al-Qāyātī hier einen Beiruter Sprachgebrauch wiedergibt, jedoch ohne ihn seinen
Lesern weiter zu erklären.
Siehe die Einträge „Zimmer“ und „Gemach“ in Bauer 1957. Ebenfalls mit beiden Schreibweisen (mit d und ḍ) und übersetzt mit
„room“ im Eintrag „’-ḍ-w“ in Badawi/ Hinds 1986, S. 43. In Wörterbüchern des modernen Hocharabischen wie al-Munǧid, Hans
Wehr oder Götz Schregle ist der Begriff nicht aufgeführt.
Siehe den ausführlichen Eintrag „īwān“ in Ġālib 1988, S. 67–70.
Ragette 1974, Kap. 3.
Eine ausführliche Beschreibung solcher Häuser auf der Grundlage von Akten des griechisch-orthodoxen Erzbischofs von Beirut
aus dem 19. Jahrhundert und der bauforscherischen Untersuchung
eines erhaltenen Beispiels, dem Dār Ghaoui im Ostbeiruter Quartier Yesouiyeh, findet sich in Davie/ Nordiguian 1987, S. 165–197.
Argumente dafür, sie vor allem als in Beirut zu findende Bauform
zu sehen, werden ebd., S. 189, vorgebracht.
In den Planzeichnungen eines von Architekturstudenten der ALBA aufgemessenen Mittelhallenhauses, dem Haus Ladki in der
Rue Nicolas Rebeiz im Quartier Joumblatt, sind diese flankierenden Räume als „aš-šarqiyya“ und „al-ġarbiyya“ (d.h. „die östliche“ bzw. „die westliche“) bezeichnet, vermutlich Kurzformen
von al-ūḍa aš-šarqiyya und al-ūḍa al-ġarbiyya. Das Alter und die
Verbreitung dieser Terminologie sind unklar; es ist durchaus möglich, dass sie sich vom älteren līwān-Haus herleitet. Siehe Teil II,
Kap. 3.20.
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Ragette 1974, S. 203; Eintrag „īwān“ in Ġālib 1988, S. 70.
In jenen Fällen, in denen anstelle der Tür-Fenster-Kombination
eine Dreibogenarkade als Raumtrenner zwischen līwān und Mittelhalle fungiert, gilt dies natürlich nur, wenn die Arkade mit (oft
farbig) verglasten Verschlüssen ausgestattet ist. Bei den in manchen Häusern anzutreffenden gänzlich offenen Arkaden fällt dieser Schutzmechanismus hingegen weg.
Eine umfangreiche, aber unvollständige Liste der Autoren, die für
den Muqṭataf schrieben und Artikel beitrugen, findet sich bei
Ṭarrāzī 1913, Bd. 2, S. 54–56.
Vgl. al-Muqtaṭaf, Bd. 6 (Juni 188–Mai 1882), S. 242, „Al-Alwān
fi l-bayt“ (meine Übersetzung).
Dazu mehr im Teil III, Kap. 2.
Siehe al-Qāyātī 1981, S. 51f.
Siehe den Artikel „Al-Makātib“, in al-Muqtaṭaf Bd. 7 (Juni 1882–
Mai 1883), S. 507. Die Forderung nach einer Bibliothek im Heim,
vor allem für die fortschrittliche Erziehung und frühzeitige wissenschaftliche Bildung der Kinder, wird wiederholt in „Al-Maktaba
fī kulli bayt“, al-Muqtaṭaf Bd. 13 (Oktober 1888–September 1889),
S. 627–628.
Aber auch hier machte man sich – bei allem Idealismus – keine
Illusionen und versuchte, wenn man schon die Bildung nicht vorantreiben konnte, doch zumindest Geldverschwendung zu verhindern: „Das Aufhängen von Photos im Empfangszimmer hat in
einer Weise zugenommen, dass die Photos den Platz der Bücher
einnehmen, die dafür eigentlich bestimmt sind, und sie zahlenmäßig übertreffen.“ Der Artikel gibt im weiteren Tipps, wie man
Bilderrahmen billig selber basteln kann; siehe „Tartīb al-ṣuwar“,
in al-Muqtaṭaf Bd. 14 (Oktober 1889 – September 1890), S. 484–
485 (meine Übersetzung). Spätere Artikel beschränken sich auf
Buchtipps: „Al-Kutub fi l-bayt“, in al-Muqtaṭaf Bd. 21 (Januar –
Dezember 1897), S. 138; „Maktabat al-mar’a“, in al-Muqtaṭaf Bd.
33 (Januar – Dezember 1908), S. 516.
Zu diesen Intellektuellen siehe Hanssen 2005, Kap. 6 und 8.
Vgl. al-Muqtaṭaf 28 (1903), S. 169, „Ġurfat al-mā’ida wa-ġurfat
al-ǧulūs“.
Siehe hierzu Teil III, Kap. 2 und Kap. 3.3.
Boyer 1897a.
Zu einer ausführlichen Kritik von Boyers Buch und über die Zusammenhänge zwischen medizinischem Diskurs, Kolonialismus
und Stadtplanung siehe Hanssen 2005, S. 127–137.
Zum ḥawš siehe auch Abdel Nour 1982, S 130–135.
Boyer 1897a, Kap. 2.
„Komfortable Häuser. – Es gibt sie in Beirut in großer Mehrheit,
weil viele Eigentümer auch aus bescheidenen Verhältnissen diesen
Grundriss adoptiert haben, den ich als den angenehmsten und praktischsten beschreiben werde. In den Bergen ist diese Grundrissform
für wohlhabende Personen ebenfalls die Regel. In Damaskus sind
die Häuser nach dem gleichen Typ konstruiert, aber mit einigen
kleinen Abweichungen. Der Hauptraum, um den herum sich alle
anderen Räume anschließen, nennt sich der Hof; er ist der größte
Raum des Hauses: er hat die Form eines langen Rechtecks, dessen
immer relativ große Fläche je nach Dimension des Hauses variiert.
Dort ist es, wo alle Feste gefeiert werden. Auf einer Seite – in Beirut meistens im Norden – öffnet er sich durch drei große verglaste
Bogenöffnungen auf die Straße oder den Garten. Diese Öffnungen,
gerahmt von weißen Marmorsäulen, sind mit fein gearbeitetem hölzernem Sprossenwerk verschlossen, das dazu dient, die manchmal
farbigen Verglasungen zu tragen – was von schönster Wirkung ist.
Am anderen Ende des Hofes ist ein Zimmer, dass der Diwan genannt wird. Es ist eine Art kleiner Salon (petit salon) für gewöhnliche Empfänge. Um diesen „Hof“ herum – der in Beirut überdacht
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ist, in Damaskus unter freiem Himmel – öffnen sich alle übrigen
Räume des Hauses, von denen das größte, nach dem Hof, der Salon (salon d’apparat) ist. Dieser hat häufig einen Zugang von außerhalb des Hofes her, um zu verhindern, dass Besucher in das Innere des Hauses eindringen. Diese Lösung, die bei den Muslimen
grundsätzlich zu finden ist, ist von den Christen kopiert worden.
Die Bestimmung der verschiedenen Zimmer, jenseits derer, die ich
beschrieben habe, variiert natürlich je nach Aktivitäten, Zahl der
Bewohner usw. Früher kommunizierten sie nur mit dem Hof; gegenwärtig in den neuen Häusern verbindet man sie auch untereinander. Nach außen öffnen sie sich durch eine Anzahl Fenster, gegenwärtig eine beschränkte Anzahl, aber früher sehr übertrieben.
Nicht selten zählte man zwölf oder vierzehn Fenster in einen Raum
von fünf Meter Breite und sieben Meter Länge. Die Örtlichkeiten,
die uns aus hygienischer Sicht besonders interessieren, sind eben jene, die ein Mieter nie besichtigt, wenn er von einem neuen Haus
Besitz ergreift. Man gibt sich damit zufrieden, sicherzustellen, dass
der Hof, der Diwan und der Salon prachtvoll und gut gestrichen
sind, der ganze Rest ist nur Zutat. In der Tat sind dies die einzigen
Räume, zu denen Besucher Zutritt erhalten. Im Allgemeinen jedoch werden die komfortablen Häuser Beiruts, selbst in bescheidenen Haushalten, in ihrer Gänze sehr ordentlich gehalten.“ Vgl.
Boyer 1897a, S. 20–21 (eig. Übersetzung). Die Kursiva im französischen Zitat sind die des Originaltextes.
Zu den Definitionen dieser Begriffe in französischen Wörterbüchern des 18.–20. Jahrhunderts siehe Eleb-Vidal/ Debarre-Blanchard 1989, hier besonders S. 296–298.
Wie sein Name anzeigt, definiert sich der petit salon durch sein
hierarchisch untergeordnetes Verhältnis zum grand salon, dem repräsentativen Hauptempfangsraum, mit dem er im Kontext französischer großbürgerlicher Wohnungen des 19. Jahrhunderts kombiniert und direkt verbunden war – üblicherweise in einer Enfilade, wobei beide Räume jedoch auch separat von der galerie oder
der antichambre her zugänglich waren. Ein französisches Lexikon von 1877 definiert den petit salon kurz als einen Raum, „in
dem die Herrschaften des Hauses eine kleine Anzahl von Besuchern und enge Freunde empfangen“; vgl. Eleb-Vidal/ DebarreBlanchard 1989, Anhang „L’apport des dictionaires“, hier S. 297;
ausführlicher zu den unterschiedlichen Unterarten des Salons und
ihren räumlich-funktionalen Zusammenhängen siehe außerdem
Eleb/ Debarre 1995, Kap. III.
Vergleiche beispielsweise die Grundrisse von Qasr Mukhayyesh,
Plan 3.16, und Qasr Bišāra el-Khoury, Plan 3.17 A.
Boyer 1897a, S. 23.
Boyer 1897a, S. 21.
Siehe die chronologisch geordneten Definitionen für “chambre”
aus Wörterbüchern des 18., 19. und 20. Jahrhunderts in Eleb-Vidal/ Debarre-Blanchard 1989, S. 295.
Siehe dazu Eleb/ Debarre 1995, S. 24–25.
Brönner 1994, S. 60f.
Zu dieser Unterscheidung siehe beispielsweise Hareven 1982,
S. 64–87.
Als Extrembeispiel dafür kann die Umnutzung zahlreicher Beiruter Oberschichtswohnhäuser aus dem 19. Jahrhundert durch Unterschichts- und Flüchtlingsfamilien in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts dienen, bei der Geschosse, die zuvor einer einzigen
Familie Wohnung boten, raumweise von vielköpfigen Familien
bewohnt wurden, wodurch sie räumlich und funktional zu ḥawšAnlagen umgewandelt wurden. Zu diesem Phänomen siehe Bodenstein 2005, S. 83.
Letztlich ist dies Teil des methodischen und hermeneutische Problems des Verhältnisses zwischen Besonderem und Allgemeinem,
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zwischen Mikro- und Makrogeschichte. Es steht sogar zu fragen,
ob die alltagsgeschichtliche Fragestellung dieser Arbeit überhaupt in
den Bereich der Makrogeschichte fällt. Für eine ausführliche Diskussion siehe beispielsweise die Beiträge in Acham/ Schulze 1990.
Siehe Pezeu-Massabuau 1983, S. 79. Grundsätzlich zu proxemics
siehe Hall 1969, Kap. I
Vgl. Gleichmann 1977, S. 261.
Ausführlich zur Stadtbaugeschichte von Zokak el-Blat siehe Bodenstein 2005, S. 35–108.
Entgegen der Darstellung vieler historischer Reiseberichte bestand
dieses Areal nicht aus Sanddünen im eigentlichen Sinne, sondern
aus dem Verwitterungsprodukt des anstehenden Sedimentgesteins,
eines Küstensandsteins mit hohem Kalkanteil, der auch den Mauerstein für die Beiruter Häuser stellte. Siehe dazu el-Kareh 1984,
S. 69–178. Die allmähliche Urbanisierung des Areals wurde eingeläutet durch ein städtisch-staatliches Erschließungsprojekt im
Zusammenhang mit der Einrichtung einer Industrie-, Handels- und
Handwerkschule (der Maktab al-Ṣanāʿiʼ wa-l-Tijārāt al-Ḥamīdī),
eines Krankenhauses und eines öffentlichen Parks in den Jahren
1905–1907, das auch der Gefahr fortschreitender Erosion und
Sandverwehungen entgegenwirken sollte. Zum Sanayeh-Projekt
siehe: Dalīl Bayrūt wa Taqwīm al-Iqbāl li-sannat 1327 (1909–
1910), S. 110; außerdem Hanssen 2005a, S. 247–251.
Auf Karten der Jahrhundertwende und vom Ende des Ersten Weltkriegs hieß diese Straße auch Rue Amann bzw. Aman Road. 1920
war sie in Rue St. Elie umbenannt, und 1945 hieß sie schließlich
Rue Abdel-Kader.
Bei Ersteintrag im mandatszeitlichen Grundbuch im Jahr 1931 ist
die Immobilie vollständig (das heißt mit 2400 von 2400 möglichen Besitzanteilen) im Besitz von Yūsuf Ilyās Ziyāda. Da jedoch
keine Erbteilung vorliegt, scheint er das Eigentum erst in jüngerer Zeit erworben haben. Der Vorbesitzer ist unbekannt.
Es ist nicht völlig gesichert, ob das Daouk-Haus und das Mukhayyesh-Haus von diesen Familien erbaut wurden. Bei Ersteintrag im Grundbuch im Jahr 1931 war jedoch das Daouk-Haus mindestens schon seit einer Generation im Besitz der Familie Muḥammad al-Dāʿūq, und das Mukhayyesh-Haus war im Besitz von
Muḥammad Saʿīd Salīm al-Muḫayyiš. Das Mezher-Haus ist bei
Ersteintrag 1929 noch auf den Namen Lucie Pauline (Lūsī Būlīn
– möglicherweise die Ehefrau von Wadīʿ Anṭūn Mezher) registriert und geht 1930 in den Besitz der Tochter Sāmia Wadīʿ Anṭūn
Mezher über. Das Haus wird in der Nachbarschaft als das alte Familienwohnhaus erinnert und diente laut mündlicher Überlieferung zeitweise auch als Wohnsitz eines osmanischen Wālīs. Von
den drei genannten Häusern steht heute nur noch das Mukhayyesh-Haus, das seine heutige Form und Größe deutlich einer Aufstockung und Umbauten im frühen 20. Jahrhundert verdankt. Dieses Haus von Saʿīd Salīm al-Muḫayyiš ist nicht zu verwechseln
mit dem Haus von Amīn Pascha al-Muḫayyiš, das als Fallbeispiel
in Kap. 3.16 besprochen wird.
Siehe Fallbeispiel Ḥārat Yūsuf Geday, Kap. 3.5.
Die zugehörigen Grundbuchakten gehen in ihren Ersteintragungen auf das Jahr 1927 zurück und weisen seitdem exakt übereinstimmende Eintragungen bezüglich der Eigentumsanteile verschiedener Familienmitglieder auf.
Diese Bezeichnung folgt der grundlegenden Revision von Friedrich Ragettes Typologisierungsversuch, die jüngst von Semaan
Kfoury vorgenommen wurde: Kfoury 1999, S. 43–56. Vergl. außerdem Ragette 1974 und Liger-Belair/ Kalayan 1966.
Die Grundfläche pro Geschoss wurde anhand des Außenumrisses
des Hauses auf dem 1:500er Katasterplan von Beirut berechnet,
und schließt daher Wandstärken, Außengalerien etc. mit ein.
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Diese Funktionen wurden auch von Iskandar Ziadé beschrieben, Eigentümer und langjähriger Bewohner des Hauses, und Hauptinformant zu seiner Geschichte und historischen Nutzung.
Ausdrücklich belegt ist dieser Begriff für das Fallbeispiel Bayt
Ladki, Kap. 3.20; außerdem bei Kfoury 1999, S. 54. In von mir
geführten Oral-History-Interviews ist dieser Begriff nicht erwähnt
worden. Zenker übersetzt ihn als „das Rathszimmer, Berathungslocal, Sitzzimmer, Besuchszimmer, Präsentationslocal, Kanzelei“;
siehe Zenker 1967, S. 448, „dīwān“, Unterpunkt „dīwān khāne“.
Beim Qaṣr Amīn Pascha Mukhayyesh (Fallstudie Kap. 3.16) ist –
in den Planzeichnungen der Architektin und Familienangehörigen
Ghia Rifai – für die Vorderhalle auch der Begriff dīwān überliefert;
siehe Mollenhauer 2002, S. 292, Fig. E.
Die Gründe für diese Gewölbekonstruktion sind nicht ganz geklärt. Als Vorteile werden Feuerschutz, besserer Rauchabzug (oft
durch eine kleine Öffnung in der Schildwand unter dem Scheitel)
und die kühle Lagerung der Vorräte auf der häufig hier vorhandenen titḫīte genannt. Alle diese Vorteile fallen aber bei einer nichtüberwölbten Küche im darüberliegenden Geschoss weg. Ein wichtiger zusätzlicher Faktor mag daher sein, dass das Gewölbe gleichzeitig als stabile Substruktion für den jeweils darüberliegenden
Küchenfußboden diente, die eine hier übliche häufige Benutzung
von steinernen Küchenmörsern für die Zubereitung von Speisen
gestattete.
Die straßenseitige Eingangstreppe wurde im Bürgerkrieg durch
den Hauswart versperrt und der Eingangskorridor in eine Abstellkammer umfunktioniert, so dass dieser Zugang bis heute nicht benutzbar ist.
Siehe Teil III, Kap. 3.2. Vgl. außerdem die Parallele im Fallbeispiel Qaṣr Bišāra el-Khoury, Teil II, Kap. 3.17
Vgl. dazu das Eingangsportal des Bayt Saadé, Kap. 3.1.
Dieser Fassadenversprung auf der Ostseite korrespondiert zudem
mit der Lage der außenliegenden Treppe, die von der Strasse in
den Garten und zum Anbau führt. Es ist denkbar, dass diese Treppe und eventuell Teile der straßenseitigen Mauer und die zugehörige Tür älter als das Wohnhaus sind. Dafür würde auch das etwas
„altmodisch“ wirkende, geometrische Muster dieser Rahmen-Füllungstür im Vergleich zu den Türen des Wohnhauses sprechen.
Zu den Begriffen siehe auch Davie/ Nordigian 1987, S. 179; Kfoury 1999, S. 103 und 106.
Die Türeinfassung fehlt heute am östlichen maṣyaf; der westliche
maṣyaf ist straßenseitig kriegsbedingt eingestürzt und steht nur
noch zur Hälfte.
Einzelne zu diesem Ziergiebel gehörende Werksteine befanden
sich zum Zeitpunkt der Bauaufnahme noch in situ bzw. waren über
das Dach verteilt.
Die extensive Verwendung von Okuli für Sanitärräume, Nebentreppen und Mezzaningeschosse am Qaṣr Ziadé scheint in diesem
Ausmaß eine Neuerung im Beirut des späteren 19. Jahrhunderts
zu sein und hat keine erhaltenen, mir bekannten Parallelen aus der
Erbauungszeit des Hauses. Sie setzte sich jedoch schnell durch
und war noch bei Beiruter Wohnhäusern, die in den 1940ern im
International Style errichtet wurden, sehr verbreitet – eine faszinierende Konvergenz zwischen lokal entwickelten Formen und
modernistischem Formenvokabular.
Eine Empfehlung von Boyer weist deutlich auf die Probleme hin,
die mit der Schlagwetterseite der Beiruter Häuser im Allgemeinen
bestanden: „La fréquence des vents d’ouest indique que les façades des maisons tournées de ce côté devraient être garanties tout
spécialement, soit par une vérandah, soit par un enduit à la chaux
hydraulique. C’est par ces façades que l’eau de pluie, chassée avec
violence, pénètre dans les maisons.“ Vgl. Boyer 1897, S. 41.
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Für eine ausführliche Diskussion siehe Bodenstein 2001, Teil B.
Solche Decken mit verkleideten T-Trägern als Unterzüge finden
sich beispielsweise im Qaṣr Heneiné, der sich in die 1880er Jahre
datieren lässt. Weniger herrschaftliche Wohnhäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatten häufig unverkleidete T-Träger als
Unterzüge, die teilweise auch erst später zur Abstützung bestehender Holzbalkendecken eingebaut wurden. Herrschaftlichere
Häuser der 1880er und 1890er haben – zumindest in den Repräsentationsräumen – in der Regel Stuckdecken, die zunächst an
Holzbalkendecken, später zunehmen auch an Eisenträgerdecken
angebracht sind.
Vgl. Fallbeispiel Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11.
Eine italienische Herkunft des Baumeisters oder Architekten wird
für viele Beiruter Häuser des späten 19. Jahrhunderts von den heutigen Eigentümern und Bewohnern kolportiert, ist jedoch in vielen
Fällen nicht sicher belegbar. Es mag sich in einzelnen Fällen auch um
eine Verwechslung mit den italienischen Bauhandwerkern handeln,
die tatsächlich viel häufiger auf Beiruter Baustellen tätig waren.
Siehe APSAD Akte zum Qaṣr Ziadé: Aktenblatt und Kopie eines
Zeitungsartikels von 1979.
Zur Herkunft der Familien Nasr, Ziadé und Soussa siehe auch die
Einträge „Naṣr“, „Ziyāda“ und „Ṣūṣa“ in Abū Saʿd 1997, S. 396,
909 und 534; siehe außerdem al-Maʿlūf 1907, S. 390, Fn. 6 (Banū
aṣ-Ṣūṣā) und S. 703 (Naṣr), wo neben einem Yūsuf Ṭannūs Naṣr
aṣ-Ṣarrāf („der Geldwechsler“ oder „Bankier“) aus Šnanaʿīr im
Kesraouan auch eine alteingesessene griechisch-katholische Familie Naṣr in Beirut erwähnt ist, unter ihnen ein Yūsuf Naṣr alMuṯrī, d.h. „der Wohlhabende“. Ob einer der beiden Yūsufs mit
unserem Joseph Nasr identisch ist, bleibt ungeklärt. Ein Yūsuf
Naṣr war Mitglied des ersten Verwaltungsrates der neugeschaffenen Provinz Beirut im Jahr 1888; siehe Hanssen 2005a, S. 71. Ein
Yūsuf Ǧibrā’īl Yūsuf Naṣr ist in den 1880ern als Eigentümer von
Immobilienbesitz gleich südlich des neuen Sūq Sursock zwischen
Sāḥat al-Burǧ (Märtyrerplatz) und Altstadt belegt; siehe Fāḫūrī
2003, S. 150. Am ehesten mit unserem Joseph Nasr könnte jedoch
jener Yūsuf Naṣr identisch sein, für den ein anderer Bewohner Zokak el-Blats, der Dichter und Nahda-Gelehrte Nāṣīf al-Yāziǧī
(1800–1871), zweimal feierliche Verse geschmiedet hat – und zwar
einmal anlässlich von Yūsufs Hochzeit 1862 und noch einmal anlässlich der Geburt seines ersten Sohnes Mīkhā’īl 1863. Denn tatsächlich hieß ja auch Josephs erster Sohn Michel, d.h. Mīkhā’īl.
Siehe al-Yāziǧī 1983, S. 427 und 428. In diesem Falle hätte Joseph Nasr schon vor seinem Englandaufenthalt in Beirut gelebt
und mit jenen sozialen und intellektuellen Eliten Beiruts (und besonders Zokak el-Blats) verkehrt, für die Nāṣīf al-Yāziǧī zu feierlichen Anlässen seine sehr gefragten Verse komponierte.
Diese Darstellung beruht vor allem auf den Aussagen Hélène NasrSursocks.
Zu den Soussas und ihrem Grundbesitz in Zokak el-Blat, siehe
Ralph Bodenstein 2005, S. 54f.
Grundbuch ZAB 614 und 615. Hier ist zu erläutern, dass nach dem
libanesischen Katastersystem jede Katastereinheit oder Immobilie
in 2400 abstrakte Eigentumsanteile (arab. ashum, Pl. von sahm)
aufgeteilt wird. Der Besitz von Anteilen bezieht sich dabei – genau
wie bei einem Aktienbesitz – nicht auf einen bestimmten Teil der
Immobilie, es wird auch kein Unterschied zwischen Grundstück
und darauf befindlichen Gebäuden gemacht. Daher ergeben sich für
den Anteilseigner nur Rechtsansprüche auf einen entsprechenden
Anteil an den Einkünften, die eine Immobilie abwirft, nicht jedoch
auf die faktische Nutzung eines bestimmten Teiles. Letztere wird
durch andere mündliche oder schriftliche Absprachen und Verträge geregelt, die eventuell, aber nicht unbedingt, in der Grund-
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buchakte eingetragen sind – etwa als Nutznießrechte (istiṯmār),
die ihrerseits wiederum auf Anteile von 2400 bezogen werden.
Plan de Beyrouth, Syrie, gezeichnet von René Poisson, ohne Maßstab und Datum auf dem Blatt, gesüdet, um 1900. Dieser Plan gibt
die Namen von ausgewählten Anwohnern am Orte ihres Wohnsitzes an. Dr. Hache war Professor an der französischen Medizinfakultät in Beirut seit 1888; siehe dazu Collangettes 1908, S. 7.
Als Beleg dafür, dass das Haus tatsächlich von diesem Konsul bewohnt wurde, verwies Iskandar Ziadé wiederholt auf den eisernen
Sockel eines Flaggenmasts am (heute abgängigen) Ziergiebel des
Hauses. Da dieses Rohrstück jedoch in die nördliche Außenmauer eingebunden ist, ist es als bauzeitlich zu interpretieren und daher unabhängig von der möglichen späteren Anwesenheit eines
US-Konsuls. Bei meiner Bearbeitung der Quellen zum US-Konsulat in Beirut im Zusammenhang mit der Geschichte des gegenüberliegenden Qaṣr Heneiné habe ich für den fraglichen Zeitraum
keinerlei Hinweis auf den Qaṣr Ziadé als ein Konsulatsgebäude
oder die Residenz eines Konsuls gefunden. Die mündliche Überlieferung muss daher mit großer Skepsis betrachtet werden.
Dr. Joseph Ziadé schloss sein Medizinstudium an der französischen
Medizinfakultät in Beirut im Jahr 1908 ab, arbeitete dort von Oktober 1912 bis November 1914 als Assistent und diente während
des Ersten Weltkriegs als Militärarzt der Osmanischen Armee an
der Palästinafront. Siehe: Université Saint-Joseph de Beyrouth: Facultés des médicales, facultés des sciences infirmières. Livre d’Or
1883–1983, Beirut: Imprimerie Catholique 1992, S. 104.
Grundbuch Zokak el-Blat Nr. 614 und 615.
Siehe dazu Teil III, Kap. 3.2.
An keine dieser Maßnahmen hat Iskandar Ziadé persönliche Erinnerungen (vielleicht weil er, 1926 geboren, bei der Vorbereitung
des Einzugs um 1931 noch jung war?). Einige werden von ihm
dennoch ganz sicher seinem Vater Joseph zugeschrieben. Die Fußbodenbeläge hatte er jedoch immer für die bauzeitlichen gehalten.
Nach Informationen von Anne Mollenhauer gibt es ähnliche Fliesen – besonders als farbiges Schachbrettmuster – schon in einigen
Wohnhäusern Palästinas vor dem Ersten Weltkrieg. Solch nachweisbar frühe Fälle konnte ich in Beiruter Wohnhäusern bislang
jedoch nicht feststellen. Allerdings finden sich farbige Zementfliesen, einschließlich gemusterter Bordürenfliesen, schon in der
sogenannten West-Hall in der AUB, die um 1906 errichtet wurde.
Es dürfte sich dabei um Importware handeln, die demnach also
auch schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Beirut verfügbar war.
Einen Überblick über die Formen und Chronologie der Zementfliesen in Beirut gibt Saliba 1998, S. 90–93.
Ein Vergleichsbeispiel konnte ich bislang nur in einem Apartmenthaus der 1930er in Damaskus finden.
Zum Beispiel in Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11; Qaṣr Mukhayyesh,
Kap. 3.16; Qaṣr Bišāra el-Khoury, Kap. 3.17; außerdem (nicht unter den behandelten Fallbeispielen) Qaṣr Ibrāhīm Sursock (R 84),
Qaṣr Faḍlallāh Dagher (R 320).
Es ist jedoch möglich, dass die gut erhaltenen Böden dieser Art in
anderen Häusern später noch einmal in einem Zementbett neu verlegt wurden. Der französische Arzt und Hygieniker Dr. Boyer beschreibt in seinem Report von 1897, dass die neuen Tonfliesen
zwar entscheidend besser seien als der früher in den Schlafzimmern übliche, aus Kieseln in einem Mörtelbett bestehende Bodenbelag, wie er noch in den Wohnhäusern der Armen zu finden sei.
Die Tonfliesen würden aber allgemein so nachlässig auf einem
nicht richtig geglätteten Mörtelbett verlegt, dass sie sich schon
nach wenigen Monaten lösten und auseinander oder übereinander
schöben, und dass das Wischwasser zwischen die Fugen in die Bo-
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denfüllung eindringe (vgl. Boyer 1897a, S. 24). Boyer mag zum
Zwecke der Anschaulichkeit für seine Leser etwas übertrieben haben, aber tatsächlich sind die erhaltenen Tonfliesen in den Mezzaninräumen von Qaṣr Ziadé an manchen Stellen lose, sodass gut
vorstellbar ist, dass die anderen Böden im Haus schon in den
1930ern reparaturbedürftig waren.
Zur Einführung und Verbreitung der Stahlbetonbautechnik in Beirut siehe auch: Robert Saliba 1998, S. 21–27.
Eine Sondage in dem Bereich, wo die neuen Decken aneinanderstoßen, könnte in der Frage der Bauabfolge weiterhelfen, war jedoch zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht machbar. Die sichtbaren Abplatzungen an den Decken beiden Typs zeigen jedoch,
dass in beiden Fällen Betonmischungen mit Kieselsteinen verwendet wurden und die Armierungseisen sehr dicht unter der Oberfläche liegen – beides typische Merkmale von Betonbauteilen aus
den 1920ern und 1930ern in Beirut.
Preußische Kappendecken – in der Regel aus in kurzen Abständen
liegenden schmalen Eisen-T-Trägern, deren Zwischenräume mit
flachen Kappen aus Sandstein und Mörtel eingewölbt wurden –
setzten sich in den 1890er Jahren als Deckenkonstruktion in großbürgerlichen Wohnhäusern Beiruts vermehrt durch. Beispiele dafür
sind der Qaṣr Bišāra el-Khoury (siehe Teil II, Kap. 3.17), Qaṣr Šukrī
Fargeallah [ZAB 596], und auch der Küchenbereich des Qaṣr Mukhayyesh (siehe Teil II, Kap. 3.16). Da im späteren 19. Jahrhundert
auch Bauholz kostspielig nach Beirut importiert werden musste,
war dies eine zwar nicht billige, aber lohnende Alternative, die den
Holzbalkendecken in ihrer Tragfähigkeit überlegen war.
Vgl. Boyer 1897, S. 159–160 (eig. Übersetzung). Solche Hausbäder waren – wie Boyer andeutet – ein Privileg der bessergestellten Schichten. Angehörige ärmerer Schichten waren vor allem auf
die öffentlichen ḥammām-Anlagen der Stadt angewiesen, von denen es 1889 in Beirut fünf gab, und 1909 sechs – was bedeutet,
dass die Zahl der ḥammāme nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt hielt. Siehe al-Ǧāmiʿa aw dalīl Bayrūt li-ʿām 1889, 2.
Jahrgang, Hrsg. Amīn al-Ḫūrī, Beirut: Maṭbaʿat Ḫalīl wa-Amīn alḪūrī, 1889, S. 48, und Dalīl Bayrūt wa-taqwīm al-Iqbāl li-sanat
1327 hiǧriyya (1909–1910), 1. Jahrgang, Hrsg. ʿAbd al-Bāsiṭ alUnsī, Beirut: Maṭbaʿat Ǧarīdat al-Iqbāl, 1909, S. 119. Zum Thema der Einführung häuslicher Bäder siehe auch Roumi 1982.
Vgl. Boyer 1897, S. 67–68 (eig. Übersetzung). Vergleiche dazu
auch die ähnlich ernüchterten Beobachtungen von Édouard Blondel aus den 1830ern (wiedergegeben in Teil I, Kap. 2.4.1).
Siehe die Fallbeispiele Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11, und Qaṣr
Mukhayyesh, Kap. 3.16.
Für ein frühes Beispiel vergleiche Fallstudie Ḥārat Geday, Kap.
3.5; siehe auch Teil III, Kap. 3.1.
Auf dem Katasterplan von 1932 ist dieser Anbau schon verzeichnet. Iskandar Ziadé kann sich an seine Errichtung nicht erinnern.
Die Verwendung von Ziegelstein als Mauerstein spricht jedoch
deutlich für eine Errichtung frühestens in den 1920ern.
Auch im Qaṣr Mukhayyesh (Kap. 3.16) wird dieser Teil noch heute als tägliche Sitzgelegenheit und für den Empfang von Besuch genutzt. Das gilt jedoch für die wärmeren Jahreszeiten, während der
südlich an die Mittelhalle anschließende līwān als Sitzgelegenheit
im Winter dient.
Siehe dazu Teil III, Kap. 3.2.
Dieser Kronleuchter war laut Iskandar Ziadé ein prächtiger Kirchenkronleuchter aus Zinn, der von seinem Vater dort angebracht
worden war. Über einen vorher dort vorhandenen Kronleuchter
aus der Zeit der Familie Nasr konnte Iskandar keine Angaben
machen.
Vgl. Fallstudie Qaṣr Bišāra el-Khoury, Kap. 3.17.
293
Vgl. dazu die Fallstudien Villa Mezher, Kap. 3.22, und Villa Aftimus, Kap. 3.23.
294 Die heute vorhandene Türöffnung in der Nordwand dieses Zimmers zum Korridor wurde erst von den Flüchtlingen durchgebrochen, die diesen Teil des Korridors als Schlafzimmer umgenutzt
und ihn dafür durch eine Holzwand vom übrigen Korridor abgetrennt hatten.
295 Zu Zeiten der Flüchtlinge nach 1975 wurde offenbar auch eine
Zwischendecke in Teile der Küche eingezogen, aber später wieder entfernt. Heute zeugen davon noch Löcher in den Wänden für
die Balkenköpfe sowie eine schmale Tür, die diesen Bereich mit
dem südlich angrenzenden Raum der bauzeitlichen titḫīte verband.
Zwei weitere Türen wurden zwischen Küche, Bad (R 217) und
Raum R 216 durchgebrochen.
296 Die Rahmenelemente dieser Decken gleichen denen der Stuckdecken im zweiten Obergeschoss, die Deckenfelder sind inzwischen
durch glatten Zementputz auf Kaninchendraht als Träger ersetzt
worden, der auf dem noch vorhandenen Lattenrost als ehemaligem Stuckträger befestigt ist.
297 Im Qaṣr Bišāra el-Khoury (Kap. 3.17) finden sich Terrakottafliesen in den Seitensälen und im Speisezimmer. Die quadratischen
Fliesen in den Seitensälen waren mit Sicherheit durch einen großen Teppich bedeckt. Die optisch ansprechenderen sechseckigen
Fliesen des Esszimmers hingegen können durchaus auf Sichtbarkeit angelegt gewesen sein.
298 Es ist gut möglich, dass diese Decken von italienischen Stuckateuren ausgestaltet wurden, deren Wirken im Falle anderer Häuser mündlich überliefert ist, z. B. für den Qaṣr Heneiné und den
Qaṣr Mukhayyesh.
299 Nachgewiesen werden konnte dies heute nur noch an der vorhandenen Tür zwischen Raum R 103 und R 104; vergl. Abb. 111.
300 Siehe dazu Fallbeispiel Qaṣr Ḥannā Heneiné, Kap. 3.15.
301 Dass diese Aufenthaltsfunktion proportional zur Größe der Hauses
und der Mittelhalle abnahm, wird in Teil III, Kap. 2 erläutert. Siehe außerdem das Fallbeispiel Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11.
302 Die besondere Erschließungs- und Funktionsweise des Hauptempfangsraums, des sogenannten manzūl, ist detaillierter in den
Fallbeispielen Bayt Saadé, Kap. 3.1, und Bayt Fakhoury, Kap.
3.19, erläutert.
303 Siehe dazu Teil III, Kap. 3.4.
304 Diese Praxis ist auch durch die Aussagen Iskandar Ziadés für Zeit
belegt, in der die Familie das zweite Obergeschoss bewohnte.
305 Ein zunehmender Bauholzmangel ist für die Zeit ab den 1860ern
und 1870ern in Beirut und dem Libanon belegt; siehe Ḥaqqī Bey
1913, S. 94; außerdem Khater 2001, S. 221, Endnote 32.
306 Die als „Einfamilienhäuser“ angelegten Villen der Familie Sursock haben oder hatten häufig repräsentativ gestaltete Innentreppen, die zu den Mittelhallen der beiden Wohngeschosse hin offen
waren und daher einer solchen geschossweisen Trennung nicht
stattgegeben hätten. Siehe Kap. 3.13, Qaṣr Mūsā Sursock.
307 Eine umfassende Diskussion der Rekonstruktion der Geschichte
dieses Hauses von seiner Erbauung bis in die Gegenwart ist im
Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Sie ist Gegenstand meiner
Magisterarbeit: Bodenstein 1999.
308 Siehe dazu auch die Webseite www.mariehadad.com/biography.html, letzter Zugriff 11.12.2011.
309 Dieses Haus wurde im Oktober 2011 abgerissen.
310 Siehe Fallbeispiel Bayt Haddad, Kap. 3.10.
311 Aus stilistischer Sicht wirkt diese Datierung spät, aber bestimmte
Betonbauelemente des Hauses unterstützen diese Datierung um
1920. Der Plan 1919 – Beirut Town zeigt hier jedenfalls noch kleinere Strukturen, die keinerlei Ähnlichkeit mit Qaṣr Aker haben,
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
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und einen kleinen, nach Westen führenden Stichweg, der mit der
Erbauung des Qaṣrs verschwand. Auf dem Plan 1920 – Le Port ist
das Haus schon eingezeichnet. Bei Ersteintrag im Grundbuch 1929
gehörte das Haus mit allen 2400 Anteilen einem Niqūlā Isḥaq alMuṣawwir und kam nach mehreren Verkäufen 1945 in den Besitz
der Familie Jibrān Bišāra ʿAkar.
Siehe Fallbeispiel Qaṣr Ḥannā Heneiné, Kap. 3.15.
Dieses Haus [ZAB 624] gehörte bei Ersteintrag 1928 einem Yūsuf
Anṭūn Ḥunayna (Heneiné), wobei unklar ist, ob er es ererbt oder
erworben hat. Es wurde 1961 abgerissen, das Grundstück blieb bis
2005 unbebaut.
Zu den „family townscapes“ von Zokak el-Blat siehe: Bodenstein
2005, passim; zu den genannten Familien siehe ebd., S. 55, 58,
61f., 66, sowie Eddé 1995, S. 89f., und Gay-Para 1980, S. 127 und
S. 213–218.
Die Erbauungsgeschichte selbst dieser wegen ihrer Sammlung von
Damaszener Raumausstattungen berühmten Villa ist alles andere
als klar und ein gutes Beispiel für die überraschenden Schwierigkeiten, auf die man bei der historischen Erforschung dieser Wohnhäuser in Beirut stößt: Laut Dorothea Duda wurde das Haus von
Philippe Pharaon im Jahr 1898 errichtet, während Fouad Debbas
die Erbauung Philippes Vater Raphael Pharaon zuweist und sie in
das Jahr 1892 datiert. Eine dritte Variante bietet Dimitri Baramki,
der die Erbauung durch Philippe Pharaons Vater Raphael im Jahre 1911 stattfinden lässt, wohingegen Lucien Cavro (in derselben
Publikation wie Baramki) in einer vierten Variation Philippe Pharaon als Erbauer identifiziert und als Erbauungsjahr 1901 angibt.
Siehe Duda 1971, S. 16; Debbas 1986, S. 139; Baramki 1963 und
Cavro 1963, o. S.
Es war jedenfalls nicht Zweck dieses Plans, Grundstücksgrenzen
darzustellen.
Im Grundbuch wird dieses Geschoss sogar als Erdgeschoss, alarḍī, bezeichnet, und die ebenerdig liegenden Gewölberäume als
„unter dem Gebäude“ (taḥta l-binā’) befindlich beschrieben.
Diese Renovierung hing offenbar mit einer Erneuerung der Dachrinne zusammen, die durch den neuen Putz in das Abschlussgesims integriert wurde. Wann diese Renovierung stattfand, konnte
nicht ermittelt werden.
Wie wir weiter unter sehen werden, hängt diese Fensterform mit der
Ausstattung des dazugehörigen Raumes und nicht etwa mit unterschiedlichen Bauphasen zusammen. Fenster mit Stichbögen waren bis ins frühe 19. Jahrhundert in der Region durchaus üblich,
kamen aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts besonders im städtischen Kontext aus der Mode.
Auf dem Photo von ca. 1898 (Debbas 2001, S. 112–113) hat die
Terrasse noch keine Überdachung, während ein Photo aus dem Inspection Report von 1922 das Blechdach schon erkennen lässt.
Dies ist eine Art „Billigbauweise“ für Fensterverdachungen, die
man häufig an ärmeren Wohnhäusern Beiruts des späten 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts findet. Oft, aber
nicht immer, ist der unter Putz befindliche Mauerstein angeschrägt.
Dies ist auch bei den genannten Fenstern am Qaṣr Heneiné der
Fall.
Auf dem Photo von ca. 1898 (Debbas 2001, S. 112–113) ist hier
noch kein Eckraum zu erkennen, während er auf dem Photo aus
dem 1922er Inspection Report existiert.
Ablaq (arab.) bezeichnet ein farbiges Schichtmauerwerk aus alternierenden Lagen von verschiedenfarbigen Mauersteinen, wie
es erstmalig in der Mitte des 12. Jahrhunderts in Damaskus nachgewiesen werden kann und besonders unter den Mamluken und
Osmanen in den Bilād aš-Šām und Ägypten zur dekorativen Gestaltung von Außen- und Innenwänden stark verbreitet war.
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Das Beet ist in der Grundrisszeichnung des Inspection Reports von
1922 eingezeichnet, offenbar aber nach der Übernahme des Hauses durch die Heneinés in den 1930ern entfernt worden. Durch die
damalige Renovierung wurden die Spuren des Beetes beseitigt, so
dass nicht mehr feststellbar ist, ob es bauzeitlich war. Die hochgewachsene Bepflanzung ist auf dem Photos aus den Inspection
Reports von 1922 und 1931 zu sehen und lässt darauf schließen,
dass die Pflanzen schon beträchtliche Zeit vorher gepflanzt worden sein mussten, möglicherweise also schon im 19. Jahrhundert.
325 Der profilierte Türsturz der Küchentür ist aus armiertem Beton
und daher nicht bauzeitlich; er muss mit dem Einzug der Küchentitḫīte aus Stahlbeton im früheren 20. Jahrhundert zusammenhängen, die eine bauzeitliche hölzerne titḫīte ersetzte.
326 Wegen der Unzugänglichkeit des zweiten Obergeschosses konnte dies jedoch nicht mit bauforscherischen Mitteln belegt werden.
327 Die Innenfenster zum Vestibül sind heute kaum also solche erkennbar. Sie sind vestibülseitig durch einen hölzernen Einbau verborgen, der als Wohnraum für Squatter diente, und von der anderen Seite her durch Möbel verstellt bzw. zu einem provisorischen
Türdurchgang erweitert worden.
328 Die konsultierten Akten bezüglich des US-Konsulats in Beirut sind
im Einzelnen: Beirut Inspection Reports für die Jahre 1922, 1927
und 1931 (MLR 856; I–15, Entry-865; 250/48/12/1, Box 17); Post
Report American Consulate General, Beirut, Syria, 1935 (File
125.183/18); List of US Consular Officers, Beirut (MLR 802; I–
15, Entry-802, 250/48/6/1); File 125.1831/37; File 125.1831/7477; File 125.831/37. Die Grundrisse für das erste und zweite Geschoss sind Teil des Inspection Reports von 1922. Diese Grundrisse enthalten jedoch offensichtliche Abweichungen vom heutigen
Baubestand besonders bezüglich der Lage von Türen und Fenstern, die ich mit bauforscherischen Methoden zumindest für das
zugängliche erste Geschoss als Fehler oder Nachlässigkeiten identifizieren konnte. Für das nicht zugängliche zweite Geschoss war
diese Verifizierung weitaus problematischer; sie konnte jedoch in
einem begrenzten und für meine Fragestellung hinreichendem Maße durch einen Abgleich mit Kassem Chokrs Aussagen, historischen Außenaufnahmen des US-Konsulats und einigen publizierten Innenaufnahmen aus der Zeit Doktor Daheschs erfolgen. Der
so rekonstruierte Grundriss ist selbstverständlich in manchen Details mit Vorbehalt zu bewerten.
329 Hier ist vor allem die 42-teilige Serie von ganzseitigen Artikeln
mit zahlreichen Photos in der arabischsprachigen libanesischen
Tageszeitung ad-Diyār zu nennen, die von einem den Daheschisten nahestehenden Journalisten, Iskandar Šāhīn, verfasst wurden
und vom 18.11.1998 bis zum 8.1.1999 jeweils auf Seite 11 der Zeitung erschienen.
330 Diese Bauweise einer Zimmerdecke in einem Raum des zweiten
Geschosses des Hauses lässt sich aus einer Beschreibung in einen
der veröffentlichten Berichte über Doktor Dahesch erschließen.
Siehe Schahin 2004, S. 190.
331 Übertüncht wurden solche Wanddekorationen nachweislich in R
106 und R 108 und mutmaßlich in R 104, wo dies jedoch nicht
belegt werden kann. Sondierungen waren zu der Zeit, als das Geschoss von Squattern bewohnt wurde, leider nicht möglich. Für
R 106 gibt es eine photographische Quelle, und für R 108 mündliche Berichte.
332 Vgl. Ruppin 1920, S. 216. In diesem Buch, das erstmals 1917 erschien, verarbeitet der Autor vor allem Erfahrungen aus der Zeit vor
dem Ersten Weltkrieg.
333 Vgl. die Reproduktion des Photos in Debbas 2001, S. 112–113.
Debbas datiert diese vom Glockenturm des Syrian Protestant College (SPC) aus aufgenommene Photographie auf ca. 1898. Da je-
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Anmerkungen
doch ein im Januar 1898 nachweislich schon im Bau befindliches
Gebäude des SPC, die Post Hall, zum Zeitpunkt dieser Aufnahme
noch nicht begonnen war, muss dieses Photo spätestens von 1897
datieren. Vgl. dazu das auf Januar 1898 datierte Photo aus der
Moore Collection in der Jafet Library der AUB, in digitalisierter
Version zugänglich unter http://almashriq.hiof.no/dde/projects/jafet/moore/17html.
334 Vgl. Ruppin 1920, S. 207.
335 Als wichtige Ausnahme kann vermutlich die mit farbigen ArabeskMotiven dekorierte Stuckdecke in der Mittelhalle des Qaṣr Mūsā
Sursock (Kap. 3.13) aus den 1880ern gelten.
336 Die besagte Überlieferung beruht auf einer schriftlichen Notiz eines verstorbenen Familienmitglieds, Raymond Khoury, welche
sich im Besitz seiner Witwe Zeina Heneiné Khoury befindet. Er
mag diese Information von seiner Schwiegermutter Marie Mezher Heneiné erhalten haben, deren Großvater Salloum Mezher das
Haus vom russischen Erbauer übernommen hatte. Insgesamt ist
die mündliche Überlieferung zur Frühgeschichte des Hauses in
der Heneiné-Familie jedoch (auch wegen der Eigentümer- und Bewohnerwechsel) so lücken- und fehlerhaft, dass auch diese Information mit Skepsis betrachtet werden muss. Immerhin ist Tätigkeit
von italienischen Stuckateuren und Innendekorateuren für zahlreiche herrschaftliche Häuser des späten 19. Jahrhunderts in Beirut überliefert (vgl. Fallstudie Qaṣr Mukhayyesh).
337 Es ist wegen der eigentümlichen Kombination dieser verglasten
Verschlüsse mit der durchbrochenen Holzbalustrade im unteren
Bereich gut möglich, dass die Verschlüsse nicht bauzeitlich sind,
und dass die Dreibogenstellung zwischen Treppenhalle und Vestibül einmal offen und nur mit Balustraden versehen war. Belege
dafür stehen jedoch aus.
338 Für Beispiele solcher Laubsägearbeiten in Russland, siehe Gaynor/ Haavisto/ Goldstein 1994, S. 33, 177. Für Beispiele in der
heutigen Türkei, siehe Metin 2001, S. 120–122, 158, 209. Im späten 19. Jahrhundert sind ähnliche Laubsägearbeiten auch in Hafenstädten der Hedschas-Küste am Roten Meer zu finden; siehe
King 1998, S. 28 und 31. In Beirut haben solche Geländer nur eine einzige mir bekannte erhaltene Parallele: die Außengeländer
eines im Jahr 2005 abgerissenen Hauses [A 891] in der Rue Achrafieh im Ostbeiruter Stadtteil Nasra (Achrafieh).
339 Ein identisches Muster findet sich bei Prisse d’Avennes 2002
[1877], S. 239, Taf. XXVII: Parallèle de lambrequins. Diese 1877
erschienene Publikation hätte den Erbauern des Qaṣr Heneiné
schon als Musterbuch zur Verfügung stehen können.
340 Von diesen Holzverkleidungen ist heute nur eine einzige erhalten,
an den übrigen Eisenstützen des Umgangs fehlen sie.
341 Die Halle hat während der israelischen Belagerung und Bombardierung West-Beiruts im Sommer 1982 durch einen israelischen
Raketen- oder Granattreffer Schäden erlitten, die sich vor allem
in Brandschäden am Umgang und Rauchschwärzungen an den
Wänden und der Decke abzeichnen. Die Tür zwischen Umgang
und westlicher Galerie und ein Teil des umliegenden Wandbereichs
wurden durch den Einschlag zerstört. Dennoch war der Brand nicht
so gravierend, dass er etwaige Malereien und Holzverkleidungen
der Stahlträger restlos zerstört haben könnte.
342 Dies zumindest ist durch die Aufnahme aus den 1950ern belegt,
wobei unklar bleibt, ob solche Vorhänge hier auch schon im 19.
Jahrhundert existierten.
343 Siehe dazu Eleb-Vidal/ Debarre-Blanchard 1989, S. 268. Zu vergleichbar schlichten Vestibülen in deutschen Villen siehe Brönner
1994, Abbildungen 105–107, 450, 483 und 489.
344 „Ein Vestibul enthält in keinem Falle Möbel, Spiegel, Bilder oder
reiche Ornamente; er ist mit Pilastern, einfachen Säulen und ge-
legentlich, aber selten, mit Statuen dekoriert.“ Vgl. Eleb-Vidal/
Debarre-Blanchard 1989, S. 298 (eig. Übersetzung).
345 Vgl. Inspection Report 1922, S. 10.
346 Ich danke dem Sammler Fouad Debbas (1930–2001) für seine unverzichtbare Hilfe bei dieser Datierung anlässlich eines Gespräches, das wir im Mai 1999 an der AUB führten. Seine Sammlung
historischer Photos und Postkarten ist nach seinem Tode in eine
Stiftung überführt worden, The Fouad Debbas Collection (Beirut),
online unter www.fouaddebbas.net.
347 Mein herzlicher Dank gilt Camille Tarazi, der die Archive der Familie Tarazi erforscht und mich im April 2011 über diesen neuen
Fund informiert hat. Zusätzlich zu den beiden später für die Postkarte verwendeten Aufnahmen wurden zwei weitere Albumindrucke gefunden, von denen eine ebenfalls den großen Saal im
Heneiné-Haus zeigt, während die zweite noch nicht eindeutig zugeordnet werden konnte.
348 Das Photo gehört zur G. Eric and Edith Matson Photograph Collection in der Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. (Digital ID: matpc 01184 http://hdl.loc.gov/
loc.pnp/matpc.01184; reproduction number LC-DIG-matpc01184). Das Photo Department der American Colony in Jerusalem war zwischen 1898 und 1934 aktiv, und diese Aufnahme ist
im Archiv der Library of Congress auf „approximately 1900 to
1920“ datiert. Auf diese Periode sind die meisten stereoskopischen
Aufnahmen aus der Matson-Sammlung datiert. Ein Abzug desselben Photos in der Sammlung von Fouad Debbas ist von ihm jedoch auf der zugehörigen Karteikarte ohne Angabe von Gründen
auf 1895 datiert – was meines Erachtens viel zu früh ist. Ich habe
Camille Tarazi für diesen Hinweis und eine Kopie dieser Karteikarte sehr zu danken. Allgemein zur Geschichte des Photo Department der American Colony, siehe Grondahl 2005 und Bair
2010, passim.
349 Zur Rolle von Photographien und Postkarten in der Verbreitung
von „Orient“-Stereotypen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert siehe Lemke 2004.
350 Siehe Said 1978, S. 176f, sowie Mitchell 1988, S. 31.
351 Zu maurischen und anderen exotisierenden Stilen siehe z.B. Beautheac/ Bouchart 1985; Danby 1995; Koppelkamm 1987a; Koppelkamm 1987b; MacKenzie 1995; Sweetman 1988.
352 Solche gekrümmten Gitterlinien finden sich auch schon an einem
frühen Beispiel orientalisierender Architektur in England: dem
Royal Pavilion in Brighton, entworfen von John Nash 1815–1823,
dessen Stil jedoch als „indisch-chinesisch“ bezeichnet wurde. Siehe Koppelkamm 1987b, S. 168.
353 Anders als in den vielen in Europa zu findenden maurischen Interieurs, die das nasridische Motto „Lā ġāliba illā Allāh” als dekoratives Element des maurischen Dekors gleich mitübernahmen,
sind die Inschriften im Qaṣr Heneiné offenbar bewusst und mit
Kenntnis ausgewählte Koranzitate: „Allāhu nūru s-samāwāti wal-arḍ” (Sūrat an-Nūr 24: 35); „Wa-quli l-ḥaqqu min rabbikum“
(Sūrat al-Kahf 18: 29); „Wa-mā bikum min niʿmatin fa-min Allāh“
(Sūrat al-Naḥl 16: 53).
354 Zu diesen beiden Gebäuden siehe besonders Koppelkamm 1987a,
S. 64–75 und S. 93–95.
355 Siehe dazu Saner 1998, S. 58f. und 153; außerdem Badillari/ Godoli 1996, S. 36.
356 Zu solchen qāʿas siehe Reuther 1925, passim; Marçais 1952, passim; Duda 1971, S. 21–23; Weber 2004, S. 265–267.
357 Zum maurischen Salon im St. Petersburger Stadtpalais des Fürsten Nikolai Yussupov siehe Gaynor/ Haavisto/ Goldstein 1994, S.
122–124; zu den orientalisierenden Villen auf der Krim siehe Lemke 2004, S. 129.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
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Zu dieser fortschrittsskeptischen Nostalgie siehe beispielsweise
Nordhofen 1987, S. 34–39.
Zum engen Verhältnis zwischen grand salon und petit salon am
Beispiel der bourgeoisen Raumprogramme in Frankreich siehe
Eleb/ Debarre 1995, S. 70–72.
Vgl. die Fallstudie Qaṣr Bišāra el-Khoury, Kap. 3.17.
Zum Raumprogramm der bürgerlichen Villa und Wohnung siehe
Paravicini 1990, Kap. 5; Brönner 1994, S. 54–61.
Vgl. dazu die Grundrissbeispiele bei Brönner 1994, Abb. 457, 461,
464, 465, 474, 492.
Vgl. beispielsweise die Abbildung eines Speisezimmers in Praz
1964, S. 262.
Von der zunehmenden Bedeutung des Speisezimmers als Empfangsraum sprechen Eleb/ Debarre 1995, S. 72; von seiner zunehmenden Bedeutung als Familienraum dagegen Paravicini 1990,
S. 55.
Unter den von Brönner publizierten, größtenteils historischen Villengrundrissen mit Funktionsbeschreibung der Räume befinden
sich zahlreiche Beispiele, bei denen das Zimmer des Herren am
Vestibül oder an der Treppenhalle liegt; vgl. Brönner 1994, Abb.
457, 461, 464, 465, 470, 472, 474, 494, 508, 514, 516, 526, 543.
Siehe Eleb/ Debarre 1995, S. 24.
Das Haus ist heute völlig entkernt, sogar die Gewölbe wurden entfernt, nur die Fassaden sind erhalten, und im Inneren wurde eine
neue Struktur in Betonbauweise eingefügt. Im April 2002 begannen in dem zuvor leerstehenden und verschlossenen Haus die ersten Umbaumaßnahmen, wobei sich eine kurze Gelegenheit bot,
das Haus durch ein rückwärtiges Fenster betreten und das Erdgeschoss sowie das erste Obergeschoss durch Schrittskizzen mit Kontrollmaßen sowie photographisch notdürftig zu dokumentieren.
Die Fußböden waren schon teilweise entfernt worden.
Die Grundbucheinträge ZAB 122 von 1928 und 1932 nennen die
Töchter und Söhne eines Muḥammad ʿAlī Saʿāda als die Haupteigentümer. Außerdem bezeichnet ein auf 1892 datierter Plan der amerikanischen Missionseinrichtungen das betreffende Nachbargrundstück als „Saâdi Property“; siehe Jessup 1910, Anhang. Das Haus
wurde 1954 an den Armenier Udis Manuel Hamalian verkauft und
ging 1994 in den Besitz der Wiederaufbau-Gesellschaft Solidere über.
Siehe 1876* – Plan de Beyrouth dédié à S.M.J. le Sultan Abdul
Hamid II., gezeichnet von A. Stoeklin, dem Sultan gewidmet von
Julius Löytved, Maßstab 1:12.200, gesüdet.
Es konnten keine Hinweise festgestellt werden, dass dieser „Einbau“ eine spätere Hinzufügung ist.
Der östliche Seitensaal verfügt über zwei nach Norden gehende
Fenstertüren, die jedoch aufgrund ihrer Bauweise als spätere Umbauten identifiziert werden können. Ursprünglich befanden sich
hier Fenster.
Vgl. als Beispiel aus den 1920ern die Villa Joseph Aftimus, Kap.
3.23. Zur Funktionsweise des manzūls siehe besonders Kap. 3.19,
Bayt Fakhoury.
Eine Raumhierarchisierung anhand von Ausstattungsmerkmalen
ist wenig ergiebig, weil sich alle Räume in Wand- und Deckengestaltung wegen der Gewölbebauweise gleichen und dieselbe (im
Wandbereich gelbe, im Gewölbebereich weiße) Farbfassung aufweisen, und weil die bauzeitlichen Fußbodenbeläge in allen um
die Mittelhalle herum befindlichen Räumen offenbar in der Mandatszeit durch Zementfliesen ersetzt worden sind. Nur die Mittelhalle hat einen möglicherweise bauzeitlichen Marmorfußboden
mit Rautenmuster; die Farbfassung der Wände ist hier grau. Der
Servicekorridor zur Küche und der Eingangskorridor zum manzūl
sind mit ḥaǧar furnī ausgelegt, der Bodenbelag der Küche fehlte,
bestand vermutlich jedoch ebenso aus ḥaǧar furnī.
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Die Innenfenster weisen keine Spuren von vormals vorhandenen
verglasten Verschlüssen auf; die Außenfenster des Erdgeschosses
sind sämtlich mit solchen Verglasungen versehen, die jedoch spätere Hinzufügungen sein können.
Das zweite Obergeschoss, das nur begangen, aber nicht dokumentiert wurde, entsprach dem ersten weitgehend.
Zu diesen Entwicklungen der Fassadengestaltung siehe Saliba
1998, S. 67f.
Ein um 1937 errichtetes Geschosswohnhaus vergleichbarer Größe, das Fouad-Dassoum-Gebäude in Zokak el-Blat [ZAB 963], hatte jedoch schon ein zwischen den Schlafzimmern gelegenes Badezimmer. Siehe Mollenhauer 2005, S. 132f. und Grundriss Fig. m.
Ich selbst kenne das Haus nur aus äußerer Anschauung, der Zutritt
war mir leider bislang nicht möglich. Die Dokumentation befindet
sich in der Plansammlung der Architekturabteilung der ALBA.
Die Existenz und Integration dieses Schemas, dass ja auch mit einer
Wohnpraxis einherhing, könnte teilweise erklären, warum in der Beiruter Variante des Mittelhallenhauses im rückwärtigen Bereich der
Mittelhalle niemals eine Treppe zum Obergeschoss zu finden ist, so
wie dies bei iç sofa-Häusern der Bosporusregion oft der Fall war.
Das von Flüchtlingen bewohnte Haus wurde 2001 von Anne Mollenhauer und mir unter schwierigen Zugangsbedingungen in
Schrittskizzen mit Kontrollmaßen aufgenommen. Der westliche
Teil des Hauses war nicht zugänglich und wurde daher nicht dokumentiert.
Zu dieser Bildungseinrichtung siehe Hanssen 2005b, S. 151–153,
und zum Gebäude siehe auch Mollenhauer 2005, S. 123f. mit
Grundriss Fig. i.
ʿAbd al-Fattāḥ Aġā Ḥamāda (gest. 1858) war der aus Alexandria zugewanderte Stammvater der sunnitischen Hamadé-Familie in Beirut. Er kam 1832 mit der Armee Ibrāhīm Paschas nach Beirut, und
hielt während und nach der ägyptischen Besatzung leitende Positionen in der Beiruter Stadtverwaltung inne. Sein politischer Nachfolger war sein Sohn Muḥyī ad-Dīn Ḥamāda. Die Familie besaß
mehrere Häuser in Zokak el-Blat und Bachoura. Siehe hierzu Hanssen 2005a, S. 30, 35, 154, 160, 183; al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 12–
14; und Abū Saʿd 1997, S. 261.
Siehe Hanssen 2005b, S. 150; sowie al-Muqtaṭaf 50 (Januar – Juni 1917), S. 105-112, „Ad-Duktūr Šiblī Šumayyil“ (hier S. 106):
„[...] wa-fataḥat al-Madrasa al-Kulliyya abwābahā li-ṭalabat alʿilm sannati 1866 wa-kānat fī bināʾ ṣaġīr mutaṣṣil bi-l-Madrasa alWaṭaniyya...“
Ein ähnlicher Zackenschnitt findet sich an der Dreibogenarkade
der Erdgeschossfassade der heutigen Madrasa al-Maʿaniyya in Zokak el-Blat [ZAB 486], eines Mittelhallenwohnhauses aus der Zeit
um 1860 (das Obergeschoss datiert einige Jahrzehnte später).
Beispielsweise im Bayt Niẓām (Malereien aus den 1830ern) und
im Bayt Ǧabrī/ al-Muǧallid (Malereien aus den 1840ern); zu diesen
Wandmalereien und ihren Istanbuler Bezügen siehe Weber 2006,
S. 300–309; Weber 2009, Bd. 1, S. 287–301; Arık 1978, passim.
Siehe Ragette 1974, Kap. II.2; außerdem Sinjab 1965, S. 9.
Ein einziges weiteres Beispiel ist mir bekannt, das ähnlich, jedoch
kleiner und schlichter gestaltet ist, und wahrscheinlich in die
1850ern oder 1860ern datiert: [AM 267] in der Rue Omar Daouk.
Es steht seit Jahren leer und verfällt; die Eingänge sind vermauert,
sodass eine Begehung und Dokumentation nicht möglich ist. Die
nach Norden blickende Galerie des Obergeschosses – hier in Holz
ausgeführt – verfügt auch hier nicht über einen direkten Treppenzugang von außen; die vorhandene Außentreppe gibt Zutritt zu einem Raum auf der Ostseite, durch den dann vermutlich die Galerie betreten werden konnte. Die ursprüngliche Eingangslösung bei
der Madrasa al-Waṭaniyya könnte ähnlich ausgesehen haben.
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Zur Geschichte des Institut Français d’Archéologie im BeyhumHaus siehe Seyrig 1946–48 und Will 1978, beide passim.
Zu den Beyhums und ʿAbdallāh Beyhum im Besonderen siehe alʿĪtānī 1982, S. 47–61. Außerdem: Hanssen 2001, S. 320–322.
Als weiteres erhaltenes (allerdings heute entkerntes) Beispiel muss
der Bayt Saadé (Kap. 3.1) gelten. Weitere bekannte, jedoch nicht
erhaltene Beispiele sind das Haus Laferté in Ras Beirut und die
Häuser der Familie Mudawwar am Meeresufer östlich der Altstadt,
die sich sämtlich etwa um 1850 datieren lassen. Siehe die historischen Stiche in May Davie 2003, S. 75, Fig. 6, und S. 78, Fig. 7.
Diese Ausstattung ist in publizierten bzw. bei der APSAD aufbewahrten Photos aus der Mitte des 20. Jahrhunderts noch erkennbar.
Siehe 1876* – Plan de Beyrouth dédié à S.M.J. le Sultan Abdul
Hamid II., gezeichnet von A. Stoeklin, dem Sultan gewidmet von
Julius Löytved, Maßstab 1:12.200, gesüdet.
Der südlichste der größeren Räume auf der Westseite (mit im Plan
weiß markierten Zwischenwänden) ist ein Zweifelsfalls, weil sich
nicht mehr klären lässt, ob und welche dieser Wände bauzeitlich sind.
Zur der These, dass sich das Beiruter Mittelhallenhaus aus dem
līwān-Haus entwickelt hat, siehe May Davie 2003, S. 81f.
Vgl. beispielsweise die sofas der Kiprisli-Yali (erbaut 1775) und
der Saʿdullah-Pascha-Yali (erbaut nach 1760) in Hellier/ Venturi
1993, S. 88 und S. 109.
Siehe hierzu Cerasi 2003 und allgemeiner Cerasi 1998.
Vgl. dazu beispielsweise die Grundrisse bei Günay 1998, S. 210–
214; sowie bei Eldem 1984, Bd. 1, S. 154 und 287.
Die Frage, ob diese Tür bauzeitlich ist, stellt sich deswegen, weil Türen in Beiruter Häusern des 19. Jahrhunderts aus ästhetischen Gründen vorzugsweise in der Wandmitte positioniert waren. Diese Tür
ist jedoch seitlich versetzt. Es kann allerdings sein, dass dies mit
der Positionierung des an den Wänden umlaufenden Diwans zusammenhing, den es in diesem Haus in der Jahrhundertmitte mit
Sicherheit noch gegeben hat. Zum Diwan siehe Teil III, Kap. 1.
Vgl. al-Yāziǧī 1983, S. 290. Ibrāhīm al-Yāziǧī, der Sohn von Nāṣīf
al-Yāziǧī, hat diese Sammlung von Gedichten seines Vaters besorgt und jedes Gedicht mit einer kurzen Anmerkung versehen.
Die hier benutzte Ausgabe ist eine Neuausgabe der Originalpublikation von 1904.
de Mentaberry 1873, S. 104–115. Ich danke Badr el-Hage (London)
dafür, mir eine Kopie dieses seltenen Buches zur Verfügung gestellt zu haben.
Zu diesem Haus siehe auch Bodenstein 2005, S. 49f.
Vgl. al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 250.
Siehe al-Yāziǧī 1983, S. 290.
de Mentaberry 1873, S. 114.
Awrāq Lubnāniyya, Teil 3 (1955), S. 119. Die Verse sind wiedergegeben in al-Yāziǧī 1983, S. 290.
TNA/PRO FO 616/5 (Miscellania 1859–1939), S. 79: Abschrift
eines Mietvertrages zwischen Yūsuf Dimitrī Geday und Mr. John
Wilson, 15. November 1867.
Zu Yūsuf Geday siehe auch Hanssen 2001, S. 327f.
Vgl. dazu die Damaszener Beispiele bei Weber 2006, S.292–309.
Siehe Hanssen 2001, S. 330; Debbas 1986, S. 199.
Zu diesem Motiv und seinem Istanbuler Revival im 19. Jahrhundert siehe Saner 1998, S. 76–79.
Mangels Grundriss des Erdgeschosses und wegen eines Anbaus,
der sich heute dort befindet, lässt sich nicht sagen, ob auch das
Erdgeschoss eine solche Westloggia hatte.
Beispiele: Qaṣr Jean Tuéni [R 160] (hier auch mit halb-oktogonalem līwān) und Qaṣr Maurice Sursock [R 305] (Pläne und Photos
dieser Häuser befinden sich im APSAD-Archiv), sowie Bayt AounKaram (siehe Kap. 3.2).
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Dies ähnelt der Situation im ersten Obergeschoss des Qaṣr Ziadé,
wo die beiden Seitensäle und der repräsentativ ausgestattete Raum
in der Südwestecke ebenfalls nur von der Mittelhalle her zu betreten waren.
Zu erkennen ist dieser frühere Bauzustand in einer historischen
Photographie, publiziert online unter www.skyscrapercity.com/
showpost.php?p=14261246&postcount=170, letzter Zugriff
19.04.2012. Das Photo wird auf 1891 datiert, Photograph und Herkunft werden aber nicht identifiziert. Das Gebäude im Vordergrund
ist eindeutig als der Qaṣr Yūsuf Tabet erkennbar.
Zur Familie al-Qāḍī siehe Hanssen 2001, S. 332, und Abū Saʿd
1997, S. 720, „al-Qāḍī“.
Solche großen elliptischen Deckenspiegel sind beispielsweise charakteristisch in den Palästen der Muḥammad ʿAlī-Zeit in Kairo.
Für Beispiele in Damaskus, siehe Weber 2009, S. 281 und S. 354.
In Beirut weist auch die Mittelhalle des Obergeschosses des Bayt
Majzoub (Kap. 3.9) eine Decke mit einem großen elliptischen Deckenspiegel auf, hier allerdings gebildet durch auf der durchgehenden Deckenschalung aufgebrachte Leisten.
Es sollte hier angemerkt werden, dass Sprossenwerk mit vegetabilen Arabesken oder Rankenwerk (kombiniert mit Motiven wie Tulpen, Trinkkelchen, Zypressen und anderen Baumformen) für die
Verglasungen der Beiruter Dreibogenfenster zumindest der 1850er
bis 1870er typisch war. Als Beispiele lassen sich nennen: Qaṣr ʿAbdallah Beyhum (Kap. 3.4), Qaṣr Malhamé (Kap. 3.6), Qaṣr Yūsuf
Tabet (Kap. 3.7); außerdem Qaṣr Daouk in Rue Abdel-Kader und
Qaṣr Sardouk in Basta (beide abgängig, vgl. die Photos in Aboussouan (Hrsg.) 1985, S. 124 und 267). Sprossenwerk in der Formensprache gotischen Maßwerks scheint erst in den späteren
1860ern Einzug gehalten haben (z.B. Qaṣr Tuéni-Bustros).
Dafür, dass es sich bei dem Treppenhaus um einen Anbau handelt, der im Zusammenhang mit einer Aufstockung errichtet wurde, sprechen die drei Innenfenster zwischen Seitensaal und Treppenhaus (die als Außenfenster sehr viel mehr Sinn machen würden), sowie auch die Gestaltung des Treppenhauseingangs als
Dreibogenarkade – eine für die 1860er eine sehr ungewöhnliche
bauliche Lösung.
Das damals leerstehende Haus wurde von Anne Mollenhauer und
mir im Systemaufmaß aufgemessen. Siehe zu diesem Haus auch die
Box „The Majzoub House: From “Beiruti” mansion to “Lebanese” house“, in: Hans Gebhardt, Dorothée Sack et al. 2005, S. 279f.
Zur Familie Maǧḏūb, siehe Abū Saʿd 1997, S. 811f.
Hier mögen neue Formen der Möblierung eine Rolle gespielt haben; siehe dazu Teil III, Kap. 1.7.
Zu dieser Fußbodenart und ihrer Ablösung durch Fliesen siehe Teil
III, Kap. 1.
Das Haus stand zum Zeitpunkt der Bauaufnahme seit über einem
Jahrzehnt leer und verfiel, nachdem Squatter, die es während des
Krieges besetzt hatten, in den 1990ern evakuiert worden waren.
Im Frühjahr 2006 hatte ich Gelegenheit, das sonst verschlossene
Haus kurzzeitig zu betreten und durch eine Schrittskizze und photographisch notdürftig zu dokumentieren. Rezente Einbauten in
der Mittelhalle und in anderen Räumen, die das räumliche Gefüge stark verändert haben, wurden in der vorgestellten Grundrisszeichnung weggelassen. Nach Aussage eines Ladeninhabers im
Erdgeschoss gehörte das Haus zum damaligen Zeitpunkt einem
der größten Immobilieninvestoren Beiruts und wartete auf seinen
Abriss. Tatsächlich wurde das Haus im Jahr 2007 – nach Abschluss
dieser Arbeit – abgerissen.
Das Gemälde ist online zu sehen unter www.mariehadad.com/landscapes.html, letzter Zugriff am 11.12.2011. Das Haus ist mit einem rötlichen Anstrich und weißen Rahmungen um die Fenster
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Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
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darstellt – eine Farbfassung, die auch am Haus selbst unter einer
jüngeren Farbschicht in Ocker nachweisbar ist.
Das Grundstück wurde in den 1950ern durch Erbschaftsstreitigkeiten und Besitzansprüche des orthodoxen Patriarchats zerstückelt. Interview mit Gabrielle Bustros, Juni 2002. Die Angaben
von Gabrielle Bustros (genannt Gaby, geb. 1948), eine noch heute in Hause wohnende Großenkelin des Erbauers Gérios Tuéni,
dienen als Hauptgrundlage für die nachfolgend gemachten historischen Angaben.
Gemäß einer telefonischen Rücksprache zwischen Gaby Bustros
und ihrer Schwester Nayla erinnerte sich Nayla an das Jahr „69“
und eine dreijährige Bauzeit. Ob diese nun zwischen 1866–69 oder
1869–72 lag, muss offen bleiben. Die APSAD-Akte zu diesem
Haus gibt im übrigen als Baujahr 1876 an. Dies kann jedoch nicht
ganz korrekt sein, weil der Löytved-Plan zwar im Jahr 1876 anlässlich der Thronbesteigung des Sultans Abdülhamid gewidmet
wurde, wahrscheinlich aber schon etwas früher gezeichnet wurde. Das Haus mit seinem bepflanzten Gartengrundstück ist schon
eingezeichnet.
Zu Gérios und seinen Söhnen siehe Hanssen 2001, S. 338F; außerdem den Eintrag „Tuwaynī“ in Abū Saʿd 1997, S. 172.
Die Grundrisszeichnungen der beiden Wohngeschosse beruhen
auf Umbauplänen aus den 1960ern. Für die Zurverfügungstellung
dieser Pläne danke ich herzlich der Architektin Grace Hanna.
Beispiele sind der obere Köşk der Tahsin Efendi Yali in Kanlica
und das Mimar Evi in Kuzguncuk; siehe Eldem 1994, Bd. 2, S. 69
und S. 252.
Immerhin lässt sich auch schon beim etwa zeitgleich errichteten
Qaṣr Ziadé feststellen, dass die līwāne durch Fenstertüren mit der
Galerie verbunden sind.
Siehe Kap. 3.13, Qaṣr Mūsā Sursock, und Kap. 3.14, Qaṣr Ḫalīl
Sursock/ Antoine Moukbel.
Ein sehr ähnlicher Marmorfußboden mit Intarsien befindet sich
im offenen īwān des herrschaftlichen Damaszener Hofhauses Bayt
Salīm al-Quwatlī/ aṣ-Ṣawwāf; hier datiert er aus den 1850ern oder
1860ern. Der osmanische Barock, den wir in Beiruter Häusern der
frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden, ist der Damaszener Spielform jener Zeit oft sehr ähnlich. Dies gilt insbesondere für Marmorintarsien. An beiden Orten tätige Handwerker mögen hier eine Rolle gespielt haben.
Aḥmad Abū Saʿd erwähnt im Eintrag zur Familie al-Ḫarsā nur einen Muṣṭafā Pascha al-Ḫarsā als einen der bedeutenden Kaufleute Beiruts. Ob dieser mit dem Erbauer des Hauses identisch war,
muss offen bleiben. Abū Saʿd 1997, S. 286, „al-Ḫarsā“.
Ob dies wirklich Fenster waren, oder zumindest ein Teil von ihnen fenstergroße Wandschränke, wie sie ebenfalls üblich waren,
kann aufgrund der APSAD-Skizze nicht sicher gesagt werden.
Zur Familiengeschichte der Sursocks siehe insbesondere Salameh
Kamel 1998, Bd. 1, Kap. 5; außerdem den Eintrag „Sursuq“ in
Abū Saʿd 1997, S. 416f., sowie Hanssen 2001, S. 334f.
Nach Aussage der heutigen Bewohnerin und Enkelin Mūsā Sursocks, Lady Yvonne Cochrane, wurde das Haus „um 1860“ erbaut
– eine Datierung, die aufgrund der Analyse historischer Karten,
photographischer Stadtansichten und baulicher Merkmale eindeutig nicht haltbar ist.
Interview mit Lady Yvonne Cochrane, Juli 2002. Die Aussage zum
libanesischen Baumeister stammt aus einem Zeitschriftenartikel
über das Haus, dessen Autor seine Informationen offenkundig
ebenfalls von Lady Cochrane bezog: siehe Byzance 9 (Dezember
– Januar 2005), S. 66–79, „Palais Sursock“.
Zu den wiederum Istanbuler Vorbildern und den Implikationen
dieser Art der Geschosserschließung siehe Teil III, Kap. 3.1.
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Diese Decke weist deutliche Ähnlichkeiten mit einer Decke des
Beylerbey-Palastes in Istanbul (errichtet für Sultan Abdülaziz
1861–1864) auf. Ihre bauzeitliche Datierung sollte jedoch zunächst
einmal als ungesichert gelten.
Vgl. das ein auf das Jahr 1885 datiertes Panoramaphoto der Vororte Rmeil und Achrafieh in Debbas 2001, S. 139.
Es gab noch ein weiteres Haus, dessen Erbauung Ḫalīl Sursock
zugeschrieben wird: R 305, in den APSAD-Akten als Haus Maurice Sursock geführt. Dieses heute abgängige Haus lag südlich
gegenüber dem hier besprochenen Haus, und somit – vor der
Umlegung der Rue Sursock – sogar auf dem gleichen Grundstücksblock. Der spätere Bewohner Maurice Sursock ist ein Enkel Ḫalīls.
Eine identische Situation mit kurzen Kreuzarmen und offener Treppenanlage gleicher Bauweise findet sich in zwei von Fadlallah Bustros etwa zur gleichen Zeit (1880er) errichteten herrschaftlichen
Häusern: Qaṣr Abou Raji/ Tufenkdjian [R 32] und das heutige Außenministerium [R 31], das auch als Qaṣr Bustros/ „Palais Bustros“ bekannt ist. Siehe zu diesen Häusern auch die Grundrisse
und Photos im APSAD-Archiv.
Zu den veränderten bürgerlichen Wohnritualen, die damit einhergingen, siehe Teil III, Kap. 3.2.
Zur Geschichte des Hauses siehe Bodenstein 1999, S. 121f.; basierend auf Freiha/ Ghanem 1992, Bd. 1, S. 44 (dort auch das Erbauungsjahr); Interviews mit Zeina Heneiné-Khoury, Pierre Qardahi und Guy Abela (mehrere Interviews 1998–99); APSAD-Akte zur „Ancienne Présidence“, sowie die Grundbucheinträge zum
Haus [M 1761].
Der hier vorgestellte Grundriss des zweiten Obergeschosses beruht auf dem publizierten Grundriss dieses Geschosses in el-Khoury 1975. Er wurde kritisch abgeglichen mit dem Grundriss desselben Geschosses in den APSAD-Akten, sowie einem alle Geschosse umfassenden Plansatz in der Plansammlung der ALBA,
welcher 1996 von Architekturstudenten erstellt wurde. Dieser Plansatz enthält jedoch viele Fehler, sodass darauf verzichtet wurde,
auf ihrer Grundlage auch das erste Geschoss vorzustellen. Fouad
el-Khourys Angaben zu den Nutzungen der Räume (sie betreffen
die Nutzungen in den 1960ern und 70ern) wurden im englischen
Wortlaut übernommen; als ein Angehöriger der Eigentümerfamilie war er mit Gegebenheiten vertraut.
Man beachte, dass es hier keinen eigenen Raum für ein kleines
Badezimmer gibt. Die bauzeitliche oder historische Lage des Bads
(das Bad in der Westloggia ist ein späterer Einbau) bleibt ungeklärt.
Zu der Ventilationsfunktion siehe Kap. 3.23, Villa Joseph Atfimus.
Zu den Haushaltsgrößen siehe Teil III, Kap. 3.1.
Siehe Boyer 1897a, S. 20–21 (zitiert in in Teil I, Kap. 3.2).
Zu diesem Haus und seiner Erbauerfamilie siehe Mollenhauer
2005, S. 115f. mit Grundriss Fig. e, und Box „The Mukhayyesh
Mansion“, S. 180; zur Familie im späten 19. Jahrhundert außerdem Hanssen 2001, S. 330; Interviews mit Lamis Mukhayyesh,
August 1997 und März 2002.
Für die lokalen Handwerker, die die Decken des Obergeschosses
des Qaṣr Mukhayyesh gestaltet haben, ist auch ein Name oder Familienname überliefert, al-Muṣawwir (wörtlich: der Maler oder
„Bildermacher“). Derselbe Name ist in einem signierten Deckengemälde eines anderen Beiruter Hauses dokumentiert, dem Qaṣr
Ibrāhīm Sursock (R 84) in der Rue Sursock. Eingehendere Forschung zu Handwerkerfamilien und ihrer Rolle in der Gestaltung
Beiruter Häuser wäre ein lohnendes Unterfangen.
Der vorgestellte Grundriss des ersten Obergeschosses beruht auf
einem Plansatz in der Plansammlung der ALBA. Der Architek-
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turstudent, der die Originalpläne erstellt hat, ist ein Sohn der Bewohnerfamilie Rifai.
Siehe dazu Teil III, Kap. 3.3.
Siehe dazu Teil III, Kap. 3.4.
Das Haus ist auf der linken Hälfte einer zweiteiligen Panoramaaufnahme des Photostudios Bonfils zu erkennen; Bonfils #484,
„Panorama de Beyrouth“, Fine Arts Library, Harvard University,
Boston.
Die Geschichte des Hauses wurde von Anne Mollenhauer und mir
im Zusammenhang mit den Begehungen und der Dokumentation
des Hauses im Rahmen des Zokak el-Blat-Projektes erkundet. Siehe auch Hans Gebhardt, Dorothée Sack et al. 2005, S. 30, 96–97,
120–121. Ergänzende Quellen: APSAD-Akte „Maison B. el-Khoury“; Artikel in der Tageszeitung an-Nahār, 4. April 1997, „Al-Qaṣr
al-muhmal li-l-ġumūḍ wa-l-ḫarāb fī mašāhidihi wa-aḫbārihi alaḫīra“; Grundbucheinträge ZAB 501; Interviews mit den Brüdern
at-Tannīr (die Schreiner, die im Hause eine Möbelwerkstatt betreiben) und Nino Soave (der alte Diener Marie Khourys). Die vorgestellten Grundrisse wurden im Schrittaufmaß mit Kontrollmaßen
erstellt: Das Erdgeschoss 1997 von Anne Mollenhauer und mir,
das Obergeschoss 2006 von mir (einschließlich einiger Detailkorrekturen hinsichtlich früher schwer zugänglicher Teile des Erdgeschosses).
Zum Raumprogramm, das ein Rauchzimmer als Wohnstandard
der Oberschicht vorsieht, siehe Teil III, Kap. 3.2.
Vgl. Villa Wadih Mezher, Kap. 3.22, und Villa Joseph Aftimos,
Kap. 3.23. Im Qaṣr Ziadé ist die Nutzung des līwāns als Esszimmer ab den 1930ern nachgewiesen, war hier aber eine Umnutzung.
Zu dieser Entwicklung siehe Teil III, Kap. 3.4.
Vgl. beispielsweise Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum, Kap. 3.4; Qaṣr Yūsuf
Tabet, Kap. 3.7; Qaṣr Kady, Kap. 3.8; Qaṣr Ḥannā Heneiné, Kap.
3.15. Auch im Qaṣr Mukhayyesh (Kap. 3.16) kann die Verbindung
vom Frauenempfangszimmer durch das Esszimmer zum Servicekorridor und von dort direkt gegenüber in das Schlafzimmer in
dieser Weise genutzt werden.
Siehe dazu und zu der Frage, inwiefern Privatheitsvorstellungen
religionsspezifisch waren, Teil III, Kap. 3.2.
Eine ähnliche Konstruktion, deren oberseitiges Tragwerk einem
nach außen gekehrten Schiffsrumpf in Spantbauweise ähnelt, muss
es schon im Obergeschoss der Ḥārat Geday gegeben haben. Mentaberry beschreibt die Decke der Mittelhalle als „Gewölbe“. Die
meisten Decken des Qaṣr Bišāra el-Khoury sind im Erdgeschoss
in zur Erbauungszeit modernster Weise als (sehr flache) preußische Kappen mit Eisenträgern konstruiert. Im Obergeschoss finden
sich in fast allen Räumen baġdādī-Decken; eine Ausnahme sind die
Decken der Räume R 103 und R 104, bei der eine an Holzbalken
befestigte Drahtbespannung als Putzträger dient – auch dies eine
Innovation im Beiruter Hausbau.
Weitere Einbauten und Umbauten (im Grundriss nicht dargestellt)
wurden während des Bürgerkrieges von den Squattern vorgenommen und überformten die räumliche Struktur des Geschosses
noch mehr.
Das Haus wurde 1996 von Architekturstudenten der ALBA dokumentiert, deren Plansatz hier als Grundlage dient. Historische Hintergrundinformationen sind in der Dokumentation nicht enthalten.
Fāḫūrī 2003, S. 347–350 und Grundriss des Obergeschosses S. 368.
Vgl. Bayt Aoun-Karam, Kap. 3.2. Ein ähnlich „wachsendes“ Erdgeschoss mit späterer Aufstockung hat May Davie am Beispiel des
Bayt al-Fatteh für die 1880er dokumentiert; siehe May Davie 2003,
S. 88–92.
Ob es auch im älteren Erdgeschoss eine solche Verbindung gab,
lässt sich aus Fāḫūrīs Beschreibung nicht entnehmen. Anzuneh-
menderweise waren, wie auch bei anderen Häusern, die Grundrisse der beiden Geschosse nicht völlig identisch, gerade was die
Erschließungswege angeht.
468 Vgl. Fāḫūrī 2003, S. 349.
469 Fāḫūrī 2003, S. 349f. Zu Hintergrund und Entstehung sunnitischislamischer Konzepte von häuslicher Privatheit, siehe beispielsweise Alshech 2004.
470 Siehe den Eintrag „Lādqī“ in Abū Saʿd 1997, S. 792f.
471 TNA AIR 20/608.
472 Weitere Beispiele für Häuser mit Dreiecksgiebel über dem Dreibogenfenster sind der Qaṣr Taqīy ad-Dīn aṣ-Ṣulḥ [MH 1787] in
Quartier Kantari (errichtet kurz nach dem Ersten Weltkrieg), das
Haus ZAB 390 im Osten Zokak el-Blats (errichtet in zwei Phasen,
Erdgeschoss im späten 19., Obergeschoss mit Giebel im frühen
20. Jahrhundert) und der Qaṣr Fargeallah [ZAB 595] ebenfalls in
Zokak el-Blat (das heutige Orient-Institut; der Giebel gehörte zur
Aufstockung im ausgehenden 19. Jahrhundert und wurde beim erneuten Umbau 1963 zusammen mit dem Ziegeldach entfernt).
473 Siehe die zu dem Plansatz dieser Dokumentation gehörigen Beiblätter „Historique“ und „Contexte social“ in der ALBA-Plansammlung.
474 Siehe Teil III, Kap. 3.2 und 3.3.
475 Ein Stadtplan von 1920 (Plan de Beyrouth au 5.000e, Kartenabschnitt Le Port, Bureau Topographique de l’Armée Française du
Levant 1920) zeigt nur die äußeren Umrisslinien des Hauses, während die Umrisse bestehender Häuser schwarz gefüllt dargestellt
sind. Das Haus war demnach wahrscheinlich im Bau. Eine Luftaufnahme Beiruts von 1926 lässt den abgeschlossenen Bau erkennen.
476 Zum Grund- und Immobilienbesitz der Familie Mezher siehe Bodenstein 2005, S. 55 (Map C), 69, 85 und 99.
477 Siehe TNA, FO 1018/9: #4/41/47, “Subject: HBM Minister’s Residence – Beirut”, 21st April 1947; FO 1018/10: #4/24/47, Telegram Beirut to Foreign Office, No. 160 of 5th March, 1947; sowie
#22/47/56, Caird to Jones, 24th June 1947.
478 Siehe TNA, Work 10/482. Der früheste Plansatz („Residence of
H.E. General E. Spears at Beirut, Rue Abdel Kader“) ist undatiert
und muss entweder 1941 oder Anfang 1942 entstanden sein; der
zweite Plansatz („Approximate Drawing of H.B.M. Minister’s Residency. Beyrouth“) datiert vom 20.05.1942; der dritte Satz („Beirut, Ambassador’s House. Alterations to ground-, first and second
floor“) datiert vom 07.06.1962.
479 Sie kündigte sich jedoch schon in der Raumstruktur des Qaṣr Ḥannā
Heneiné an (Kap. 3.15).
480 Eine solche Verbindung ist für das Obergeschoss erst im Plansatz
von 1962 nachweisbar, zusammen mit einer zusätzlichen gegenüberliegenden Tür in den Wirtschaftstrakt. Im Erdgeschoss ist auf
dem Plan von 1942 schon eine zusätzliche Tür zwischen östlichem
Seitensaal und östlichem Seitenflügel der Mittelhalle eingezeichnet, die aber auf den ältesten Plänen noch fehlt.
481 Nach den Umbauplänen von 1962 wurde diese Öffnung schließlich zugemauert.
482 Die Villa ist auf einer Luftaufnahme von 1926 schon erkennbar.
Yūsuf Bey Aftīmūs (geb. 1866 in Deir el-Kamar, gest. 1952 in
Beirut) begann seine Studien am Syrian Protestant College (die
spätere AUB) in Beirut und ging 1890 in die USA, wo er 1891 am
Union College in New York seinen B.A. in Civil Engineering
machte. Er arbeitete für zwei Jahre als Ingenieur in den USA (unter anderem mit Max Herz, einem Pionier neo-maurischer Architektur, mit dem zusammen er die osmanischen und persischen Pavillons sowie die „Kairener Straße“ für die Chicagoer Weltausstellung 1893 gestaltete), und ging von 1895 bis 1897 zunächst
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nach Belgien und dann nach Berlin, wo er als Architekt arbeitete
und gleichzeitig seine Studien fortsetzte. Nach seiner Rückkehr
nach Beirut übte Aftimus von 1898 bis 1903 das Amt des städtischen Ingenieurs aus, arbeitete anschließend für sechs Jahre als
Ingenieur in Oberägypten und lehrte während des Ersten Weltkriegs an der Ingenieurfakultät des Syrian Protestant College in
Beirut. Bei Gründung der Libanesischen Republik 1926 wurde er
der erste Minister für staatliche Bauprojekte. Er war der Architekt
zahlreicher bekannter Bauten (oft neo-orientalischen Stils) in Beirut, darunter der noch spätosmanische Uhrturm am Grand Sérail
(1897) und das mandatszeitliche Stadtverwaltungsgebäude, die
„Baladiyye“, in der Rue Weygand (1925). Siehe Ṭuʿma 2000; May
Davie 2001, S. 59; sowie den Eintrag „Aftimos“ in Yacoub 2003,
S. 177–181.
Vgl. Ḥārat Geday, Kap. 3.5; Haus der Phalanges, Kap. 3.6; Qaṣr
Ḥannā Heneiné, Kap. 3.15.
Vgl. Qaṣr Tuéni-Bustros, Kap. 3.11; Qaṣr Ḥannā Heneiné, Kap.
3.15; Bayt Khayyat, Kap. 3.18; Villa Wadih Mezher, Kap. 3.22.
Als frühe Beispiele von Muqtaṭaf –Artikeln, die diesen hygienistischen Diskurs führen, siehe al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884 – September 1885), S. 113, „Ġuraf an-nawm“; al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888 – September 1889), S. 410f, „Ġuraf an-nawm“; alMuqtaṭaf 17 (Oktober 1892 – September 1893), S. 203f., „Tadbīr
al-bayt fi š-šitā“; al-Muqtaṭaf 19 (1895), S. 651–655, „Qawāʿid
ḥafẓ aṣ-ṣaḥḥa – an-nubḏa as-sābiʿa: fi l-buyūt“; die gleichen Forderungen nach Sonnenlicht und Belüftung werden auch in späteren Ausgaben regelmäßig wiederholt.
Zu Tony Garnier und dem CIAM, siehe beispielweise Benevolo
1984, Bd. 1, S. 388–394, und Bd. 2, S. 131f. Es ist nicht ganz klar,
wer die Autoren des französischen und arabischen Begleittexts im
Annuaire d’Architecture sind. Einer der Autoren war sicherlich
der Herausgeber des Jahrbuchs, der Architekt Igor Pitlenko, und es
ist davon auszugehen, dass Aftimus an der inhaltlichen Gestaltung
des Begleittexts beteiligt war.
„Wir gehen einer neuen Architektur entgegen, die das neue Leben
unseres Zeitalters wird reflektieren müssen.“ Annuaire d’Architecture 1934, „Preface“, o. S. (eig. Übersetzung).
Vgl. Benevolo 1984, Bd. 2, S. 131.
Siehe dazu beispielsweise Hanssen 2005, S. 13–15.
Hanssen 2005, S. 13 und 15.
Siehe dazu Mollenhauer 2005, S. 138–140.
Siehe Feghali 1923, S. 64–65. Die Schreibweise der arabischen
Begriffe ist die von Feghali, allerdings in leicht vereinfachter Form.
Siehe dazu allgemein Scarce 1996, bes. Kap. 4; für den türkischosmanischen Kontext besonders Eldem 1984), Bd. 3, S. 16–18.
Eine zeitgenössische Beschreibung dieser Sitte findet sich bei Risk
Allah Effendi 2001 [1854], S. 242.
Siehe Sehnaoui 2002 [1981], S. 116–117.
de Lamartine 1904, Bd. 2, S. 161–167, zitiert nach Sehnaoui 2002,
S. 117 (eig. Übersetzung). Ähnliche hölzerne Einbauten mit inneren Treppenaufgängen und Emporen lassen sich in Häusern der
ägyptischen Hafenstadt Rosetta finden; siehe dazu Lézine/ Abdul
Tawab 1972, S. 174–175.
Farley 1859, S. 99–100, zitiert bei Sehnaoui 2002, S. 136, Fn. 7.
Sehnaoui 2002, S. 116.
Sehnaoui 2002, S. 130.
Sehnaoui 2002, S. 118.
Interview mit Marie Najjar (geb. Debbané) am 26.11.2003.
Debbas 1986, S. 105–107. Für eine sehr frühe Erwähnung von Battistas Gasthof siehe Anonymus [Ida Pfeiffer] 1844, S. 81 und 166.
In seiner 1914 publizierten Autobiographie erinnert sich der libanesische Emigrant Abraham Rihbany, wie er zum ersten Mal in
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seinem Leben ein Bett mit Bettgestell im Hause eines französischen Seidenfabrikbesitzers sah. Rihbany 1914, S. 105.
Sehnaoui 2002, S. 119.
Da hier das Obergeschoss beschrieben wird, ist eindeutig kein
Steingewölbe gemeint, sondern offenbar eine hochgewölbte, auf
der Unterseite verputzte Holzdeckenkonstruktion in baġdādī-Bauweise, wie sie beispielsweise im Qaṣr Bišāra el-Khoury in der Mittelhalle des Obergeschosses erhalten ist (vgl. Fallbeispiel Qaṣr
Bišāra el-Khoury, Teil II, Kap. 3.17). Ähnliche Deckenkonstruktionen, jedoch in der Form eines Tonnengewölbes, finden sich auch
in Damaszener Häusern aus dem 3. Viertel des 19. Jahrhunderts;
für Beispiele siehe Weber 2009, Bd. I, S. 332, Fig. 424 (Bayt
Ṭūṭaḥ), und S. 346, Fig. 455–456 (Bayt al-Mallūk).
Vgl. de Mentaberry 1873, S. 105–106 (eig. Übersetzung). Die Kursiva und Schreibweisen der arabischen Worte sind die von Mentaberry.
Beispielsweise im īwān des Bayt Salīm al-Quwatlī/ aṣ-Ṣawwāf,
siehe Weber 2006, S. 334, und Weber 2009, Bd. 1, S. 376f. Und
Bd. 2, S. 495f.; ebenso im īwān des Bayt Niyādū/ Istanbūlī, Bd.
1, S. 328, Fig. 417, und S. 412, Fig. 578, und Bd. 2, S. 391f.
Siehe Reuther 1925, S. 207.
Siehe dazu Weber/ Bodenstein 2004, S. 70f. und 131f.; Weber
2006, S. 312–315.
Anschaulich wird dieses Nebeneinander der Formen und Stile von
Egon Friedell beschrieben: „Im Boudoir befindet sich eine Garnitur Boullemöbel, im Salon eine Empireeinrichtung, daneben ein
Speisesaal im Cinquecentostil, in dessen Nachbarschaft ein gotisches Schlafzimmer.“ Vgl. Friedell 1976, S. 1301.
D.A. Skanlon: Un voyage en Orient et en Terre-sainte à la suite
du grand duc Nicolas Nicolaëvitch en 1872, zitiert bei Salameh
Kamel 1998, Bd. 1, S. 109.
Siehe z.B. al-Muqtaṭaf 26 (1901), S. 157–158, „Zīnat al-bayt“,
und al-Muqtaṭaf 37 (1910), S. 797–804, „as-Samā’ al-ūlā“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 26 (1901), S. 157–158, „Zīnat al-bayt“.
Siehe al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 298.
Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884–September 1885), S. 743–745,
„Farš al-buyūt wa-tartībuhā”. Hierbei handelt es sich um den Abdruck eines Vortrages von Frau Rūǧīnā Šukrī, den sie in einem
Verein namens „Ǧamʿiyya Bākūra Sūriyya“ gehalten hatte. Übrigens ist es auch heute in der libanesischen Gesellschaft häufig der
Mann, der als Voraussetzung der Eheschließung die Einrichtung
des neuen Heims standesgemäß zu besorgen hat, und die Frau, die
das neue Heim anschließend aufhübscht. Es scheint, dass dies im
späten 19. Jahrhundert schon ähnlich gehandhabt wurde.
al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888–September 1889), S. 329–331,
„Tartīb al-qāʿa“.
Vgl. Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 136–137.
al-Muqtaṭaf 31 (1906), S. 252–253, „Ādāb wa-ʿādāt: Ādāb alǧulūs”. Eine ähnliche Abhandlung, illustriert mit Zeichnungen,
war schon in al-Muqtaṭaf 17 (Oktober 1892–September 1893),
S. 454–459, unter dem Titel „Awḍāʿ al-insān wa-dalālatuhā“ erschienen.
Siehe dazu auch Weber 2006, S. 310–312.
Siehe Willes 1996, S. 10. Allerdings waren, wie Egon Friedell zu
berichten weiß, „Prunkfauteuils, die das ganze Jahr über mit hässlichen pauvren Überzügen bedeckt sind“, damals durchaus auch
in bürgerlichen Haushalten in Europa zu finden. Vgl. Friedell 1976,
S. 1302.
Vgl. Philipp 1979, S. 134. Es handelt sich bei diesem Zeitgenossen um Ǧurǧī Zaydān, auf dessen von Thomas Philipp übersetzte
Autobiographie in den folgenden Kapiteln noch öfter zurückgegriffen wird.
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Anmerkungen
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Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884–September 1885), S. 743–745,
„Farš al-buyūt wa-tartībuhā“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 16 (Oktober 189 –September 1892), S. 564-565,
„Zīnat al-bayt“ (eig. Hervorhebung in Kursiv).
Siehe Eldem 1984, Bd. 3, S. 17.
Auf dem U-förmigen Diwan war dem Ranghöchsten bzw. dem
Ehrengast der hintere Ecksitz vorbehalten; mit zunehmender Nähe zu den vorderen Enden der Bänke und zur Tür des Raumes
nahm der Rang der Sitzenden ab. Siehe dazu beispielsweise Eldem 1984, Bd. 3, S. 17.
Vgl. al-Muqtaṭaf 6 (Juni 188 –Mai 1882), S. 368, „Zīnat al-bayt“.
Zum traditionsfeindlichen Diskurs dieser Elite siehe Sehnaoui
2002 [1981], S. 123.
Vgl. Friedell 1976, S. 1301–1302.
Der Begriff ist entlehnt von Martin-Fugier 1999, S. 214. Dazu passend spricht Sehnaoui von der „kulturellen Leere“, die die Autoren des Muqtaṭaf mit dem beschrieben Beiruter Empfangssaal assoziierten; siehe Sehnaoui 2002 [1981], S. 123.
al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888–September 1889), S. 329–331,
„Tartīb al-qāʿa“.
al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888–September 1889), S. 329–331,
„Tartīb al-qāʿa“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 7 (Juni 1882–Mai 1883), S. 507, „Al-Makātib“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 14 (Oktober 1889–September 1890), S. 484–
485, „Tartīb aṣ-ṣuwar“.
al-Muqtaṭaf 37 (Juli–Dezember 1910), S. 797–804, „As-Samā’ alūlā“.
Siehe beispielsweise die Porträts von ʿAbd al-Qādir al-Qabbānī
(1853–1927), Aḥmad ʿAbbās al-Azharī (1847–1935) oder Ḥusayn
Bayhum (1833–1881), reproduziert in Hans Gebhardt, Dorothée
Sack et al. 2005, S. 405. Viele dieser Gemälde wurden allerdings
erst im frühen 20. Jahrhundert nach Porträtphotos angefertigt.
Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884 – September 1885), S. 743–
745, „Farš al-buyūt wa-tartībuhā”. Der Artikel enthält keine Angabe
dazu, an welchem Ort dieser Vortrag gehalten wurde, nur, dass er
in einem Verein namens „Ǧamʿiyya Bākūra Sūriyya“ stattfand.
Dies und die Wortwahl der Autorin, insbesondere die Verwendung
des Begriffes dār für die Mittelhalle, spricht für Beirut.
Vgl. Gabriel Charmes: Voyage en Syrie. Impressions et souvenirs,
Paris 1891, S. 153, zitiert in Sehnaoui 2002 [1981], S. 124 (eig.
Übersetzung). Allerdings ist bei Gabriel Charmes’ (lebte 1850–
1886) Beschreibung gewisse Vorsicht anzumelden: Gewachste
Parkettböden waren in Beirut keineswegs üblich. Der einzige mir
bekannte Fall ist der Parkettboden des Musikzimmers im Qaṣr
Tuéni-Bustros.
al-Muqtaṭaf 16 (Oktober 1891–September 1892), S. 564–565,
„Zīnat al-bayt“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 21 (1897), S. 137–138, „Aṯāṯ al-bayt wa-tartībuhu“.
al-Muqtaṭaf 54 (Januar–Juni 1919), S. 588–590, „Alwān alǧidrān“.
Vgl. Benjamin 1991, S. 285.
Es ist leider nicht bekannt, welches Haus zur zeitweiligen Unterbringung dieser Kommission zur Verfügung gestellt oder angemietet wurde. Die im Salon zu erkennenden Elemente osmanischstaatlicher Symbolik (Ölporträt eines osmanischen Würdenträgers
in Paradeuniform, an der Wand darüber Halbmond und Stern) legen den Verdacht nahe, dass der Hauseigentümer entweder selbst
in Staatsdiensten stand oder sein Haus regelmäßige an höhere
Staatsdiener vermietete. Die volle Einrichtung legt auch nahe, dass
das Haus auch in der übrigen Zeit – möglicherweise vom Eigentümer selbst – genutzt wurde.
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Boyer 1897a, S. 26.
Sehnaoui 2002 [1981], S. 126 und S. 137, Endnote 24. Hier auch
das Zitat aus Braudel 1979, Bd. 1, S. 248.
Zu Kaminen in osmanischen Wohnhäusern in der heutigen Türkei
und besonders Istanbul siehe Eldem 1984, passim und besonders
Bd. III, S. 66–79.
Weber/ Bodenstein 2004, S. 133–136.
Zu den Kaminen im Frankreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Martin-Fugier 1999, S. 218.
Zu den allgemeinen Funktionen des offenen Kamins (wuǧāq) als
Mittel zu Beheizung, Luftzirkulation und Luftaustausch im Winter (mit schematischem Diagramm zur Luftbewegung) siehe auch
al-Muqtaṭaf 19 (1895), S. 651–655, „Qawāʿid ḥafẓ as-saḥḥa – annubḏa as-sābiʿa: fi l-buyūt“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 6 (Juni 1881–Mai 1882), S. 366–367, „Ad-Dafa’“.
Kleine Rauchabzugsöffnungen gab es natürlich immer in Küchen.
Auch besaßen ältere und kleinere ländliche Häuser im Umland
von Beirut – soweit an wenigen erhaltenen Beispielen erkennbar
ist – kleine quadratische Öffnungen in Deckenhöhe. Bei den moderneren und größeren Vorstadthäusern der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts kam dies jedoch offenbar außer Gebrauch.
Interview mit Assem Salam, 2.7.2002.
Vgl. die Aufnahmen in Debbas 2001, S. 153 (das Haus von Sauvaire), S. 95 (Hotel Bellevue) und S. 59 (Ḫān Anṭūn Bey).
Vgl. das Photo bei Debbas 2001, S. 134.
Siehe die geplanten oder ausgeführten Wohnhausneubauten im
Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934. Auch die um
1920 errichtete Villa Mezher in Zokak el-Blat/ Zarif, welche in
den 1930ern als japanisches Konsulat und später als Residenz des
Britischen Botschafters diente, wurde erst Anfang der 1960er mit
einem Zentralheizungssystem ausgestattet.
Vgl. Boyer 1897a, S. 21.
Innenfenster zur Mittelhalle haben beispielsweise die Häuser
Majzoub (ZAB 22), Zanouti (ZAB 388), Kady (BT 127, abgängig), deren Erbauung aus den 1850ern bis 1870ern datiert.
Zu den ḥaǧariyye-Böden siehe Boyer 1897a, S. 17–18 und S. 24;
Blondel 1840, S. 15.
Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884 – September 1885), S. 743–
745, „Farš al-buyūt wa-tartībuhā”.
Vgl. Thomas Philipps Übersetzung von Ǧurǧī Zaydāns Autobiographie in Philipp 1979, S. 128–206, hier S. 133–134.
Dazu Mollenhauer 2005, S. 122f. Weitere Beispiele bei Saliba
1998, S. 48–51.
Siehe Philipp 1979, S. 160.
Šukrī erwähnt jedoch am Ende ihres Vortrages auch ein Zimmer für
Gäste: „Die Zivilisierten (al-mutamaddinūn) haben es sich inzwischen zur Gewohnheit gemacht, eines der Zimmer ihres Hauses
zur Unterbringung von Gästen auszusondern. Dieses wird so möbliert wie die übrigen Schlafzimmer.“ Unklar bleibt, wen sie mit
den „Zivilisierten“ meinte, vielleicht bezog sie sich vor allem auf
die ifranǧ. Denn ein solches Gästeschlafzimmer ließ sich bei meinen Forschungen bei keinem der untersuchten Häuser nachweisen und sollte daher selbst in großen Beirutern Häusern als Ausnahme gesehen werden. Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884–September 1885), S. 743–745, „Farš al-buyūt wa-tartībuhā”.
Siehe Philipp 1979, S. 135 und 139. Das „oder“ bei der Zahlenangabe stammt von Zaydān selbst und weist auf eine gewisse Fluktuation in der Zahl der im Hause wohnenden Angehörigen hin.
Auch hier können die besonderen, zur sofa hin offenen Sitzbereiche und eyvane der Istanbuler Sofa-Häuser eine Einflussquelle gewesen sein.
Zum Qaṣr Rayes s.u., Kap. 3.2.
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Davie verwendet den Begriff „architecture de transition“ für die
frühen Formen der Mittelhallenhäuser in Beirut; siehe May Davie
2003, S. 75 und 78.
Laut Brönner bestand beispielsweise das „nun schon übliche Raumprogramm“ des bürgerlichen Familienhauses in den 1870ern aus
„Vestibül, Empfangszimmer, Salon, Speisezimmer, Wohnzimmer,
zwei oder drei Schlafräumen sowie Küche und Dienstbotenzimmern“. Vgl. Brönner 1991, S. 28.
Vgl. al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888–September 1889), S 329–331,
„Tartīb al-qāʿa“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 55 (Juli – Dezember 1919), S. 430, „Bayt aḏ-ḏawq
wa-ġurfat al-maqʿad“. Der Artikel zitiert im übrigen ausführlich einen englischen Autor zu diesem Thema, die vorangestellte Definition stammt hingegen aus der Feder des Muqtaṭaf-Autors.
Vgl. al-Muqtaṭaf 28 (1903), S. 169, „Ġurfat al-mā’ida wa-ġurfat
al-ǧulūs“.
Siehe bespielsweise Paravicini 1990, S. 51; Eleb/ Debarre 1995, S.
64–68; Brönner 1994, S. 54–61.
Zum betreffenden Muqtaṭaf-Raumprogramm von 1881 siehe Teil
I, Kap. 3.2; zu al-Qāyātīs Beschreibung siehe Teil I, Kap. 3.1.
Wir finden diese Lösung bei Villa-Neubauten der 1920er wie der
Villa Aftimus und der Villa Mezher (siehe Teil II, Kap. 3.22 und
3.23), bei Apartmenthäusern der 1930er und 1940er wie beispielsweise dem Fouad-Dassoum-Gebäude, dem Chaftari-Gebäude
und dem Furn-Gebäude in Zokak el-Blat (siehe die Grundrisse bei
Mollenhauer 2005, S. 109–142, Fig. m, n, o), und selbst in einem
Altbau wie dem Qaṣr Ziadé wurde diese Lösung in den 1930ern im
zweiten Obergeschoss eingeführt.
Hall 1999, S. 72.
Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884–September 1885), S. 743–745,
„Farš al-buyūt wa-tartībuhā”.
Interview mit Gaby Bustros, Juni 2002.
Da die zu dieser Oberschicht gehörenden Familien oft Zweige in
den verschiedenen Städten des Reiches und darüber hinaus hatten, müssen sie eigentlich nicht als Beiruter Oberschicht, sondern
als regionale bzw. überregionale Oberschicht betrachtet werden.
Es wäre sicherlich erhellend, die Wohnhäuser solcher Familien an
verschiedenen Orten zu vergleichen, um Übereinstimmungen und
Unterschiede herauszuarbeiten und dadurch das ortspezifische oder
schichtspezifische zu identifizieren.
Siehe Prothro/ Diab 1974, Kap. 4 und 5.
Alle Aussagen laut Prothro/ Diab 1974, S. 96f. sowie die Tabellen V-4 und V-5. Die Autoren weisen allerdings zu Recht darauf
hin, dass das verfügbare Datenmaterial sowohl für die Levanteregion als Ganzes wie auch für Beirut lückenhaft ist. Es sollte auch
darauf hingewiesen werden, dass sich das Erhebungsmaterial, auf
das sich die beiden Autoren stützen, oft auf Muslime konzentriert.
Zu Kinderreichtum in der libanesischen Gesellschaft im frühen
20. Jahrhundert siehe besonders auch Ḍāhir 1974, S. 229–231.
al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 415.
Siehe die Stammbäume der Familie Sursock und weiterer orthodoxer Familien (Bustros, Trad, Dagher, Ferneiné, Debbas) in Salameh Kamel 1998, Bd. 2, o. S.
Dies zumindest ergibt eine Auswertung der Grundbucheinträge
des Hauses, ZAB 501, ab 1928.
al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 308, 368 und 448.
al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 304.
Zur Patrilokalität in arabischen Gesellschaften siehe Prothro/ Diab 1974, S. 61f. und 66f.
Für Beispiele solcher Aufstockungen vom 19. Jh. bis in die 1950er
siehe Bodenstein 2005, S. 56 und 63, und Mollenhauer 2005, S.
115f. und 133.
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Salām al-Ḫālidī 1997, S. 25.
Interview mit Assem Salam, Juli 2002.
Vgl. Prothro/ Diab 1974, S. 70–73; siehe auch Abou 1970, S. 102.
Für den Standpunkt, dass die libanesische Gesellschaft zwar als
verwestlicht gelte, aber in Wirklichkeit wegen der Rolle der Familie sehr traditionell sei, siehe Abou 1970, S. 102. Für die Familie als wichtigen Träger sozialen Wandels siehe Williams/ Williams 1965, S. 59–64.
Eigene Umschrift der libanesisch-arabischen Schreibungen nach
Farrūḫ 2000, S. 56, Nr. 1225 und Nr. 1227. Meine Übersetzungen.
Tōb (hocharabisch ṯawb) ist die lokal gebräuchliche Bezeichnung
für das, was andernorts in der arabischen Welt ǧalabiyya oder ǧalaba genannt wird.
Vgl. dazu auch Nippa 1991, S. 20: „Jedes Haus dient im Wesentlichen diesen zwei Funktionen: Es ist ein gegen außen abgegrenzter
Bereich für die Familie mit einem repräsentativen Gästeraum als
Vermittlung nach außen.“
Das soll nicht heißen, dass es keine Polygamie gegeben hätte. Genauso, wie bei der Nennung der Kinder oft die Töchter verschwiegen wurden, galt es noch im 19. Jahrhundert als unziemlich, vor Nicht-Familienangehörigen über (Ehe-)Frauen zu sprechen, so dass hier in der mündlichen und schriftlichen Überlieferung Lücken klaffen mögen. Gerichtsakten und Dokumente, die
Eigentums- und Erbschaftsangelegenheiten behandeln, erscheinen als Quellen in dieser Frage noch am vielversprechendsten. Mir
ist jedoch nicht bekannt, dass sie bislang in dieser Hinsicht untersucht wurden. Bei der Auswertung der Katastereinträge von über
einhundert Liegenschaften im Quartier Zokak el-Blat, in denen alle Eigentümer einschließlich der Frauen genannt werden, ist mir in
kein Fall von Polygamie begegnet.
Man muss allerdings bei den städtischen Hofhäusern Syriens sehr
vorsichtig damit sein, die Funktionszuschreibungen zum „äußeren Hof“ als Empfangsteil und zum „inneren Hof“ als Familienteil
als festgefügt und klar trennbar zu sehen. Die oft besonders prachtvolle Ausstattung des ǧuwwānī und seiner Haupt-qāʿa macht beispielsweise deutlich, dass auch und gerade dort repräsentiert wurde. Zum Fall Damaskus siehe beispielsweise Weber 2006, S. 259;
zum Fall Saida siehe Weber/ Bodenstein 2004, S. 64f.
Zu Kairo siehe Volait 1987, S. 84–93; für Istanbul und die Bosporusregion siehe die zahlreichen Beispiele in Eldem 1984, Bd.
2, Teil B: Konaklar/ Mansions; für die westliche Türkei siehe auch
Akpolat 2001.
Von dem (in dieser Arbeit nicht vorgestellten) Haus Yūsuf Dā’ūd
Duwayk haben wir Zeugnis durch die Abschrift eines Verkaufsvertrages vom 18. März 1867 in den Akten des britischen Konsulats von Beirut, TNA FO 616/5 (Miscellania 1859–1939), S. 72f.
Die beiden Wohngeschosse des Hauses stellten laut Vertrag zwei
völlig getrennte Wohneinheiten dar. Duwayk, der ursprüngliche
Eigentümer, bewohnte das Obergeschoss und blieb als Mieter dort
wohnen, nachdem er das Haus an Elias Farhi (Īlyās Farḥī), den dänischen Vizekonsul in Beirut, verkauft hatte.
de Lamartine 1835, zitiert in Berchet 1985, S. 720f.
Für Beispiele solcher Treppen in Villen in Istanbul und der Bosporusregion siehe Eldem 1984, Bd. 2, Teil B: Konaklar/ Mansions. Für Kairener Beispiele der Jahrhundertwende siehe Volait
1987, S. 84–93.
Interviews mit Gaby Bustros und Lady Yvonne Cochrane, beide
Juni 2002.
Als Beispiele sind zu nennen: Qaṣr Ḫalīl Sursock/ später Antoine
Mokbel (siehe Teil II, Kap. 3.14), Qaṣr Mūsā Sursock (siehe Teil
II, Kap. 3.13), außerdem Qaṣr Ibrahim Sursock/ später Linda Sursock [R 84], Qaṣr Ḫalīl Sursock/ später Maurice Sursock [R 305]
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Anmerkungen
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(abgängig), Qaṣr Elias Sursock/ später Edouard Rayes [R 82] (abgängig) und zwei von Fadlallah Bustros errichtete Häuser, Qaṣr
Abou Raji/ Tufenkdjian und das heutige Außenministerium [R
31& R 32]. Siehe zu diesen Häusern auch die Grundrisse und Photos im APSAD-Archiv.
Interview mit Mona Rayes, Juni 2002. Mona, die ihr Alter nicht
angab, ist die Tochter von Edouard Rayes und Eva Sursock, ihrerseits Tochter von Elias Sursock und Adma Trad. Elias Sursock
war ein Sohn Ibrahim Sursocks und damit ein Enkel von Mitri Sursock, dem Gründervater dieses reichsten Zweiges der Sursock-Familie in Beirut. Laut Mona Rayes hatte Elias’ Vater das Haus für
seinen Sohn errichten lassen. Elias bewohnte das Haus mit seiner
Frau Adma, seinen beiden Töchtern und deren Ehemännern. Elias war sehr oft und lange abwesend (auf Reise in Ägypten) und
hatte keine Söhne, daher stand das Haus – was ansonsten ungewöhnlich war – für die verheirateten Töchter zur Verfügung.
Zahlreiche Beispiele solcher Villen finden sich im Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934.
Als Beispiel eines solchen Apartmenthauses, dass durchaus der
höheren Mittelschicht zuzurechnen ist und dessen Etagenwohnungen von verschiedenen Kernfamilien derselben Familie bewohnt wurden, kann das Anfang der 1940er errichtete ChaftariGebäude in Zokak el-Blat gelten. Siehe Mollenhauer 2005, S. 134.
Vgl. al-Muqtaṭaf 7 (Juni 1882–Mai 1883), S. 243: „Az-Ziyāra waḍ-ḍiyāfa“.
Fargeallah 1989, passim. Zur Familie und zum Haus Fargeallah
siehe Bodenstein 2005, S. 56–58.
Anonymus [Ida Pfeiffer] 1844, S. 81 und 166f.
Ḍāhir 1985, S. 110f.
Vgl. Hanssen 2005, 173f.
Interview mit Assem Salam, Juli 2002.
So die aus der Mitte des 19. Jahrhunderts datierende Beobachtung
von William Thomson 1874, S. 160: „This [ʿallîyeh] is the common Arabic word for the upper rooms of houses. This ‘allîyeh is the
most desirable part of the establishment, is best fitted up, and is
still given to guests who are to be treated with honour. The women and servants live below, and their apartment is called ardîyeh, or ground floor, – in common parlance simply beit or house.
The poorer sort have no ʿallîyeh.“
Interview mit Assem Salam, Juli 2002.
Vgl. de Bustros 1983, S. 16: „Empfänge und Besuche spielten
damals eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben. Jede
Dame hatte ihren ‚Empfangstag‘, dem ganz Beirut beiwohnte.
Die Damen trugen immer Hüte, was dem Dekor eine zusätzliche
attraktive Note gab. Die Herren hingegen hielten ihre Hüte, ihre
Handschuhe und ihre Gehstöcke in der Hand. Man brachte dann
den Tee, und ließ Teller mit Petits-Fours, Kuchen und manchmal
Sandwiches herumgehen. Man kann sich ohne große Mühe den
Gleichgewichtssinn vorstellen, den jeder Herr haben musste, um
seinen Tee und die Petits-Fours zu genießen, ohne seine Handschuhe, seinen Stock oder seinen Hut fallen zu lassen!“ (eig. Übersetzung)
Sarkīs 1911. Sārkis ist vor allem bekannt als Gründer und langjähriger Herausgeber der Beiruter Zeitung Lisān al-Ḥāl. Ausführliche biographische Angaben zu Sarkīs finden sich bei Ṭarrāzī
1913, Bd. 2, S. 129–138, und verkürzt bei Hanssen 2001, S. 316.
Siehe Sarkīs 1911, S. 60–73.
de Bustros 1983, S. 16–17.
al-Muqtaṭaf 19 (1895), S. 353–355: „Ādāb as-sulūk: Ḥaflāt annahār wa-l-layl“; außerdem al-Muqtaṭaf 34 (Januar–Juni 1909),
S. 595: „Ādāb daʿwāt al-ʿaṣr“.
Sarkīs 1911, S. 58–60.
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Vgl. al-Muqtataf 28 (1903), S. 169: „Ġurfat al-mā’ida wa-ġurfat
al-ǧulūs“.
Sarkīs 1911, S. 63–64.
Interview mit Assem Salam, Juli 2002.
Salām al-Ḫālidī 1997, S. 26.
Vgl. Salām al-Ḫālidī 1997, S. 25.
Vgl. al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 416.
Siehe Hanssen 2005a, S. 176.
Vgl. al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 334–335 und 451. Zur Geburtstagsfeier bei de Freige siehe außerdem Hanssen 2005a, S. 224.
al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 333–334.
al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 47.
Sarkīs 1911, S. 19 und 61–62.
Siehe Stolleis 2004, S. 72f.; außerdem Davis 1986, S. 158.
Vgl. de Bustros 1983, S. 16: „Die muslimischen Damen beschränkten sich darauf, ihren Freundinnen Besuche abzustatten,
unter völliger Abwesenheit von Vertretern des starken Geschlechts.“ (eig. Übersetzung)
Siehe Fallbeispiel Madrasat Fāṭima al-Zahrā’, Teil II, Kap. 3.21.
Für eine anthropologische Untersuchung dieser Formen der Frauengeselligkeit am Beispiel des heutigen Damaskus (mit einigen
Anmerkungen zu ihrer Geschichte) siehe Stolleis 2004, insbesondere Kap. 3.
al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 416–419. Es handelt sich bei dieser Kritik
der Neureichen um einen von al-Ḫūrī ursprünglich im Jahr 1906
in der Zeitung ar-Rawḍa publizierten Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Al-Awādim aṭ-ṭāzā, aw ta’ṯīr al-māl fi r-riǧāl“ (etwa zu übersetzen mit: „Die neuen [oder zarten] Menschen, oder:
Die Wirkung des Geldes auf die Menschen“).
Siehe al-ʿĪtānī 1982, S. 49.
Siehe aṣ-Ṣalībī 2002, S. 31f.
Zu häuslichen und außerhäuslichen Bewegungsräumen von Frauen in Abhängigkeit von sozialer Schicht und Familienzugehörigkeit, untersucht am Beispiel Mosuls im 18. und 19. Jahrhundert, siehe Khoury 1997. Für einen Überblick zum Forschungsstand und
weiterführender Literatur zur frauengeschichtlichen Forschung in
der arabischen, osmanischen und islamischen Welt, siehe beispielsweise Keddie/ Baron (Hrsg.) 1991, Zilfi (Hrsg.) 1997 und
Sonbol (Hrsg.) 2006.
Vgl. Byūtr Lifūf (Pjotr Levov?) (ca. 1834): „Waṣf Sūriyā”, in:
Ryzhenkov/Smilianskaia (Hrsg.) 1993, S. 289.
Vgl. Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 24f.
Siehe Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 26.
Vgl. Awrāq Lubnāniyya, Bd. 3 (1957), S. 309–315: „Der Tag, an
dem Abū ʿAlī Salām über Sāmī aṣ-Ṣulḥ siegte“, hier S. 312. Der Artikel beruht offensichtlich auf Lebenserinnerungen von Salīm
Salām bezüglich seiner Wahl zum Abgeordneten des Osmanischen
Parlaments im Jahr 1914 und erläutert hier, warum er seine Frau
nicht allein in Beirut zurücklassen wollte. Der Begriff ǧāhiliyya
bedeutet „Unwissenheit“ oder „Ignoranz“ und dient in der islamischen Geschichtsschreibung gemeinhin als Bezeichnung für die
vorislamische Zeit. Hier allerdings wird er eher im Sinne vormoderner Rückständigkeit verwendet.
Siehe de Bustros 1983, S. 15f.
Siehe al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 51f.
Zu der Auflösung traditioneller, patriarchalischer Rollenbilder in
der ländlichen Gesellschaft der libanesischen Berge infolge der
Seidenwirtschaft besonders in der Mitte und der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts siehe Khater 2001, Kap. 2. Er beschreibt auch
die zunehmende individuelle Mobilität von Frauen – von der Fabrikarbeit bis hin zur Auswanderung nach Amerika.
Vgl. Özveren 1990, S. 166.
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Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
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Siehe hierzu besonders die theoretischen Ausführungen bei Stolleis 2004, S. 16–19; außerdem von Moos 1991, S. 43–52.
Salameh Kamel 1998, Bd. 1, S. 114.
Siehe Ḥassān Ḥallāqs Einführung zu Salām 1982, S. 13.
Zahlreiche Beispiele für „Sitt Mauds“ politische Einflussnahmen
und Fädenziehereien finden sich in ihren Memoiren: Fargeallah
1989, passim.
Vgl. Farrūḫ 2000, S. 180, Nr. 4331. Meine Übersetzung.
Vgl. Anonymus [Ida Pfeiffer] 1844, S. 81f.
Vgl. Philipp 1979, S. 134.
Vgl. Philipp 1979, S. 135.
Siehe dazu Boyer 1897a, S. 23 und 124; al-Qāyātī 1981 [1884–
85], S. 52f.; und al-Muqtaṭaf 32 (1907), S. 668–669: „Mabādi’
awwaliyya fī tadbīr al-manzil“. Über das weitgehende Fehlen von
Einzelhandelsgeschäften in Wohnquartieren wie Zokak el-Blat
noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts berichteten mir Bahaedine
Dassoum und Lamis Mukhayyesh, beide aus alteingesessenen Familien in diesem Quartier.
Vgl. Philipp 1979, S. 135.
Vgl. Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 25.
de Mentaberry 1873, S. 107–110 (eig. Übersetzung).
Vgl. Risk Allah Effendi 2001 [1854], S. 129.
Vgl. Thomson 1874, S. 122. Wie schon am Titel erkennbar (The
Land and the Book; or Biblical Illustrations Drawn from the Manners and Customs, the Scenes and Scenery of the Holy Land ), ist
das Hauptanliegen des Buches eine lebendige Illustration der Bibel anhand von Beispielen des nahöstlichen Alltagslebens, wie es
der Autor in der Mitte des 19. Jahrhundert vorfand. Thomson bevorzugt daher die Beschreibung „traditioneller“ Sitten und neigt
notwendigerweise dazu, Neuentwicklungen zu vernachlässigen.
Seine Beschreibung kann somit nicht als wirklich repräsentativ
für den Stand der Entwicklung seiner Zeit verstanden werden.
Siehe Philipp 1979, S. 154f.
Siehe Sarkīs 1911, S. 18.
Siehe Sarkīs 1911, S. 19, 23 und 37.
Vgl. Sarkīs 1911, S. 4 und 9.
Vgl. Sarkīs 1911, S. 9, 11 und 12.
Für Beispiele programmatischer Aussagen siehe al-Muqtaṭaf 6
(Juni 1881 – Mai 1882), S. 178: „Baʿḍ wāǧibāt al-mar’a“ (Einige
Pflichten der Frau); al-Muqtaṭaf 11 (Oktober 188 –September
1887), S. 488–489: „Ǧawāzib al-bayt“ (Die Reize des Heims); alMuqtaṭaf 40 (Januar – Juni 1912), S. 441–446: „Taqaddum attadbīr al-manzilī wa-tārīḫuhu“ (Der Fortschritt in der Haushaltsführung und ihre Geschichte); siehe auch Sarkīs 1911, S. 6; einen
zeitgenössischen Überblick über die in Beirut und Ägypten neugegründeten Frauenzeitschriften von 1893 bis 1909 und einschlägige Artikel zur den „natürlichen Eigenschaften“ und „gesellschaftlichen Pflichten“ der Frau bietet die Frauenzeitschrift alḤasnā – Maǧalla nisā’iyya adabiyya iḫlāqiyya iǧtimāʿiyya (Hrsg.
Ǧurǧī Niqūla Bāz, Beirut: Maṭbaʿa Ǧarīdat Ḥadīqat al-Aḫbār), Bd.
1 (1909–1910), S. 12–15 und passim.
So die Beschreibung des Alltags der Beiruter Männer bei al-Qāyātī
1981 [1884–85], S. 52f.
So beispielsweise dokumentiert für die vormalige, sunnitische Eigentümer- und Bewohnerfamilie der heutigen Madrasat Fāṭima alZahrā’ in Moussaitbé (M 1325) während der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, laut einer Studie von Studenten der ALBA 1995.
Auch für Damaskus ist die Nutzung des Hauptempfangsraums für
diesen Anlass zumindest für die heutige Zeit belegt; siehe Stolleis
2004, Kap. 3.
Die genannten Grundrisse sind publiziert im Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934, o. S.
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Vgl. al-Muqtaṭaf 28 (1903), S. 169, „Ġurfat al-mā’ida wa-ġurfat
al-ǧulūs“. Siehe auch das ausführliche Zitat in Kap. 2 dieses Teils.
Siehe al-Qāyātī 1981 [1884–85], S. 47.
Beitrag von Ray Jureidini in einer „Brown Bag Session“ des Center for Behavioral Studies (CBR) an der AUB, Oktober 2002.
Interview mit Assem Salam, Juni 2002.
Interview mit Lady Yvonne Cochrane, Juli 2002.
Zu teilweise vergleichbaren Praktiken der Anwerbung und Beschäftigung junger Mädchen in Haushalten in Istanbul und der
heutigen Türkei, siehe Özbay 1999. Özbay unterscheidet verschiedene Arten von Haushaltsbediensteten: Sklaven; Freie; solche, die Stunden- oder Tageslohn erhalten; „adoptierte Töchter“
(evlatlık); ärmere Verwandte. Die „adoptierten Töchter“ entsprechen etwa der Art der lebenslangen Anwerbung von jungen
Mädchen, die auch für Beirut belegt ist. Vergleichende und vertiefende Studien wären zu diesem Themenkomplex sehr wünschenswert.
TNA FO 195/1980. Korrespondenz von R. Drummond Hay an Sir
Philipp Curie, britischer Generalkonsul in Beirut, 15. Juli 1897.
de Mentaberry 1873, S. 106 und 110f. (meine Übersetzungen).
Ein zusätzliches Problem ergibt sich im Falle Gedays daraus, dass
es Christen bzw. Nicht-Muslimen juristisch nicht gestattet war,
Sklaven zu besitzen; in der Praxis gab es jedoch offenkundig Wege, das Verbot zu umgehen.
Siehe die Abbildung in Teil III, Kap. 3.1.
Vgl. Blondel 1840, S. 31 (eig. Übersetzung).
Ein insgesamt positives Bild eines solches Dienstverhältnisses am
Beispiel eines Einzelschicksals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnet Leila Fawaz in ihrem Artikel „Sumaya: A Lebanese Housemaid“; siehe Fawaz 1993. Inwiefern das hier vermittelte Bild sich verallgemeinern und auch auf das 19. Jahrhundert übertragen lässt, würde eine genauere Untersuchung lohnen.
Siehe hierzu Toledano 2002, S. 21 und 28. Allgemein zu osmanischem Sklavenhandel im 19. Jahrhundert: Toledano 1982, Toledano 1998, sowie Lewis 1990, Kap. 10 und 11.
Vgl. Boyer 1897a, S. 125 (eig. Übersetzung).
Vgl. aṣ-Ṣalībī 2002, S. 32f.
Özbay 1999 weist für den Fall Istanbul nach, dass evlatlık (also
„adoptierte Töchter“) in Mittelschichtfamilien häufiger als in Oberschichtsfamilien waren.
Diese Faktoren spielen auch heute noch in Beirut eine wichtige
Rolle, weshalb Hausmädchen aus Sri Lanka oder Indonesien (die
nicht selten unter rechtlosen Bedingungen gehalten werden, unter
Einbehaltung der Pässe und des Lohnes bis zum Ende des vertraglichen Dienstverhältnisses) häufig beliebter sind als lokale Arbeitskräfte. Letztere sind freilich auch teurer.
Zur offiziellen Abschaffung des Sklavenhandels im 19. Jh. und
dem Fortbestehen des Bedarfs insbesondere nach weiblichen Haushaltssklaven im allgemein osmanischen und speziell Istanbuler
Kontext siehe Zilfi 2000, S. 289–311.
Für den – sicherlich außergewöhnlichen – Fall des reichen maronitischen Beiruter Grundbesitzers und Seidenhändlers Sallūm
Baṣṣūl (Bassoul) ist überliefert, dass er für seine herrschaftliche
Residenz auf einem großen Gartengrundstück westlich Beiruts in
der Mitte des 19. Jahrhunderts eine private Garde von 24 uniformierten, bewaffneten Albanern hatte – eine Garde, wie sie sonst
nur hohe osmanische Amtsträger hatten; siehe Bodenstein 1999,
S. 68; Gay-Para 1980, S. 127.
Maud erzählt, wie ihre 1930 gestorbene Schwiegermutter ihren
jungen Enkel so ins Herz geschlossen hatte, dass sie es nicht zuließ, dass er bei der Amme schlief, sondern ihn stattdessen bei sich
schlafen ließ. Siehe Fargeallah 1989, S. 53.
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Diesen Schluss legt zumindest der Vergleich mit großen städtischen Hofhäusern des 18. Jahrhunderts in Damaskus nahe, wo es
oft einen gesonderten, um einen eigenen kleinen Hof angeordneten Wirtschaftsbereich gab. Auch die großen städtischen Hofhäuser des 18. Jahrhunderts in Saida besaßen räumlich abgesonderte
Küchen- und Wirtschaftsbereiche. Siehe Weber 2006, Kap. 3, und
Weber/ Bodenstein 2004, passim.
Siehe al-Muqtaṭaf 54 (Januar–Juni 1919), S. 588–590, „Iḫtiyār albayt“.
Zwei andere Beispiele – ebenfalls kurz vor oder um 1870 errichtet – sind das ehemalige Haus Mott/ de Brun und möglicherweise
auch der Qaṣr Mūsā de Freige, beides herrschaftliche Villen in Zokak el-Blat.
Der Grundriss der Villa Pharaon ist publiziert in Duda 1971.
Zur Entwicklung solcher Sensibilitäten im europäischen Adels- und
Bürgerhäusern seit dem 18. Jahrhundert siehe Rybczynski 1987, S.
86f; zur nicht gänzlich auf den Beiruter Fall übertragbaren, aber
vergleichbaren Stellung der Dienerschaft im europäisch-bürgerlichen Kontext des 19. und frühen 20. Jahrhunderts siehe außerdem
das Unterkapitel „Dienstboten“ in Perrot 1999b, S. 184–191.
Zum Furn-Gebäude siehe Mollenhauer 2005, S. 134.
So der Architekt Roger Pratt, zitiert in Girouard 1976, S. 188. Siehe auch Fairclough 1992, S. 355. Zu Korridoren und Nebentreppen als Mittel zum Schutz der Privatheit im England des 17. und
18. Jahrhunderts, siehe außerdem Bold 1993, S. 118.
Siehe Sarkīs 1911, S. 12f.
Vgl. al-Muqtaṭaf 9 (Oktober 1884 – September 1885), S. 112,
„Tartīb al-mā’ida“.
Vgl. al-Ḫūrī 1985 [1908], S. 298. Zur Verteidigung des Autors soll
nicht verschwiegen werden, dass dies in seinem Falle ein außer-
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gewöhnliches Ereignis war. Er hatte das Dienstmädchen, das ihm
schon mehr als ein Jahr diente, zuvor noch nie geschlagen.
Siehe al-Muqtaṭaf 23 (1899), S. 296, „Idārat rabbat al-bayt“. Überwachung ist auch heute noch von Bedeutung, und es werden Mittel gesucht, dies auf Distanz zu tun. So berichtet der Beiruter Architekt Tony Chakar von einem Beiruter Luxusapartment, in dem
ein in Hüfthöhe befindlicher Schlitz in der Wand zwischen Esszimmer und Küche es den am Esstisch sitzenden Herrschaften gestattet, die Bewegungen der Dienstmädchen in der Küche zu verfolgen. Siehe Chakar 2005, Blatt 3.
Siehe al-Muqtaṭaf 23 (1899), S. 543–545, „Al-Bayt al-ǧadīd“.
Unter den Autoren, die laut Ṭarrāzī für den Muqṭataf schrieben
und Artikel beitrugen, sind auch 15 namentlich genannte Autorinnen, von ihnen die Mehrzahl aus syro-libanesischen Familien,
zumeist protestantische Christen. Unter ihnen war auch Yāqūt Barakāt-Ṣarrūf, die Ehefrau des Herausgebers Yaʿqūb Ṣarrūf. Siehe
Ṭarrāzī 1913, Bd. 2, S. 54–56.
Siehe al-Muqtaṭaf 13 (Oktober 1888 – September 1889), S. 625–
626, „Al-Ḫuddām fi l-bayt“. Der Artikel handelt von einer englischen Familie, die ein irisches Hausmädchen hatte. Man beachte,
dass in England wie in Beirut Arbeitsmigrantinnen aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten in den Haushalten der städtischen Zentren dienten.
Noch 1916 erläutert ein Autor des Muqtaṭaf, dass europäische Benimmbücher und Haushaltsratgeber meist nicht ins Arabische übersetzt werden, weil sie für den orientalischen Kulturkreis als nicht
relevant angesehen werden; siehe al-Muqtaṭaf 48 (Januar–Juni
1916), S. 195–196, „Al-Fatāt wa-l-bayt“.
Vgl. al-Muqtaṭaf 14 (Oktober 1889 – September 1890), S. 57–58,
„Rāḥat rabbat al-bayt“.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Quellen- und Literaturverzeichnis
1
UNVERÖFFENTLICHTE PRIMÄRQUELLEN
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The National Archives of the UK, Kew, Richmond, Großbritannien
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National Archives at College Park, Maryland, Washington, D.C.,
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Entry-865; 250/48/12/1, Box 17).
- Post Report American Consulate General, Beirut, Syria, 1935. (File
125.183/18).
- List of US Consular Officers, Beirut (MLR 802; I-15, Entry-802,
250/48/6/1).
- Ordner 125.1831/37.
- Ordner 125.1831/74-77.
- Ordner 125.831/37.
IRCICA (Research Centre for Islamic History, Art and Culture ) –
Yildiz Photo Archiv, Istanbul, Türkei
- Photosammlung
American University of Beirut, Jafet Library, Beirut, Libanon
- MSS AUB 2, 2/2:
Forty-Ninth Annual Report of the Syrian Protestant College to the
Board of Trustees, 1914–1915; Fiftieth Annual Report of the Syrian
Protestant College to the Board of Trustees, 1915–1916 .
- MSS AUB 22 (new: AA/2/): President Howard Bliss, Correspondence [in] + [out], 1914–1920.
- Special collections: Moore Photo Collection.
(auch digital unter http://almashriq.hiof.no/dde/projects/jafet/moore)
Association pour la protection des sites et des anciènnes demeures
(APSAD), Beirut, Libanon
- Akten zu Häusern in Beirut
(Diese Akten wurden in den 1960ern zusammengestellt und umfassen Grundrisse, Photos und Informationen zu 63 Objekten –
hauptsächlich Wohnhäusern – in Beirut. Die Photos sind inzwischen auch online zugänglich unter www.apsadonline.com/photos.php)
Académie Libanaise des Beaux-Arts (ALBA), Sin el-Fil, Beirut,
Libanon
- Plansammlung
Arab Image Foundation (AIF), Beirut, Libanon
- Photosammlung (inzwischen auch online unter http://www.fai.org.lb)
G. Eric and Edith Matson Photograph Collection,
Library of Congress, Washington D.C., USA
- Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C.
(Digital zugänglich unter: http://www.loc.gov/pictures/collection/matpc/
Sammlung Orient-Institut Beirut (OIB), Beirut, Libanon
- Nachlass der Familie Ḫalīl Sarkīs
Privatsammlung Wolf-Dieter Lemke, Beirut/Berlin
Privatsammlung Badr el-Hage, London, Großbritannien
1.2 Interviews
mit Carlos Heneiné, Zeina Heneiné-Khoury, Cyril Khoury, Claire Paget,
Pierre Cardahi, Joe Saouda, Guy Abela, Jacqueline Bassoul, Aliya Saidi,
Kassem Chokr, Salih Barakat, Muḥsin Qārūṭ, Muḥammad Māǧid, Umm
Muḥammad Māǧid, Iskandar Ziadé, Hélène Nasr-Sursock, Lady Yvonne
Cochrane, Gaby Bustros, Mona Rayes, Raya Daouk, Assem Salam, Bahaeddine Dassoum, Lamis Mukhayyesh, Badr el-Hage, Marie Najjar.
2
PUBLIZIERTE PRIMÄRQUELLEN
2.1 Zeitschriften und Jahrbücher
Annuaire d’Architecture de Syrie et du Liban 1934/ Taqwīm fann al-binā’
fī Sūriyā wa-Lubnān 1934, Hrsg. Igor Pitlenko, Beirut: Édition de
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al-Ǧāmiʿa aw dalīl Bayrūt li-ʿām 1889, 2. Jahrgang, Hrsg. Amīn al-Ḫūrī,
Beirut: Maṭbaʿat Ḫalīl wa-Amīn al-Ḫūrī, 1889.
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L’Indicateur Syrien/ L’Indicateur Libano-Syrien. Annuaire de la Syrie et
du Liban, Jg. 1922, 1923, 1924, 1925, 1928–29, Hrsg. E. Gédéon,
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al-Maṭbaʿa al-Kaṯūlīkiyya.
2.2 Memoiren, Reiseberichte, landes- und
gesellschaftskundliche Quellentexte
Anonymus [Ida Pfeiffer] (1844): Reise einer Wienerin in das heilige
Land, unternommen im März bis December 1842, Wien: Verlag Jakob
Dirnböck.
376
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Quellen- und Literaturverzeichnis
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377
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378
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Sammlung AIF/ Roberte Zabbal Sawaya (0152sa00095).
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Abb. 332: Links: Kindermädchen mit Kind im Hof des Sursock-Hauses.
Beirut, Libanon, 1930er. Anonymer Photograph. Sammlung AIF/ Pharaon (0001ph00003). Rechts: Baby der Familie Sacy, Sidon, Libanon,
1920er. Anonymer Photograph. FAI: Sammlung Aimée Sacy
(0196sa00001).
Für diese Abbildungen © Arab Image Foundation.
The Fouad Debbas Collection, Beirut
Abb. 13: „Maison arabes et la chapelle grecque-catholique, auprès de notre habitation près de Beyrouth, 1854“, Zeichnung von Elise de Perthuis.
Abb. 15: „Raz-Beyrouth. Maison du comte de La Ferté. 27 juin 1854“,
Zeichnung von Elise de Perthuis.
Abb. 16: „Les maisons Mdawar à Beyrouth habitées par M. et Mme Béclard pendant les années 1860, 1861 et 1862“, Zeichnung von Elise de
Perthuis.
Abb. 17: Photographie von Louis Vignes, 1860.
Abb. 18: Photographie von Henry Sauvaire, um 1860.
Abb. 23: Photographie von John Cramb, um 1860.
Abb. 24: ohne Angaben, um 1870.
Abb. 179: Photographie von Raoul de Saint-Saine, um 1860–1861.
Abb. 294: Photographie von Raoul de Saint-Saine, um 1860–1861.
Abb. 310: Photographie Louis Vignes, um 1860.
Die Zeichnungen sind publiziert in: Voyages en Orient 1853–1855,
1860–1862: Journal de la Comtesse de Perthuis, manuscrit inédit découvert par Foaud Debbas, hrsg. von Dina Debbas, Éditions Dar anNahar 2007, S. 39, 137, 197.
Die Photographien sind publiziert in: Fouad Debbas: Des photographes
à Beyrouth, 1840–1918, S. 11, 123, 144, 153, 155, 157 und Schutzumschlag.
Für diese Abbildungen © The Fouad Debbas Collection, Beirut, Libanon.
Éditions Geuthner, Paris
Abb. 178: „Consulat de France à Beyrouth“, anonymer Zeichner, publiziert in Gérard D. Khoury: Les carnets d’Urbain de Valsère 1860–1862.
27 dessins inédits de Beyrouth et du Mont Liban, Beirut: Éditions Dar
an-Nahar & Paris: Éditions Geuthner 2001, S. 79.
© Éditions Geuthner, Paris.
Institut Français du Proche-Orient (IFPO)
Abb. 172, 173, 174
© IFPO Photothèque
IRCICA Archives of Historical Photographs, Istanbul
Abb. 314, 315: Yildiz Photosammlung (Photoalben Sultan Abdülhamid II.).
Association pour la protection des sites et anciènnes demeures
au Liban (APSAD), Beirut
Abb. 20, 25, 36, 37, 38, 39, 52, 182, 183, 184, 185, 190, 191, 193, 194,
195, 230, 231, 234, 235, 236, 237, 238, 246, 247, 319, 322, 323, 327,
328, 329.
Für diese Abbildungen © APSAD
Library of Congress, Washington, D. C.
Matson (G. Eric and Edith) Photograph Collection
Abb. 1: „Beautiful homes of Beyrouth“, Library of Congress, Prints and
Photographic Division, LC-DIG-matpc-01183.
Abb. 115: „Interior of a Beyrouth home“, Library of Congress, Prints and
Photographic Division, LC-DIG-matpc-01184.
Dar an-Nahar, Beirut
Abb. 296, 297, 316
Mit freundlicher Genehmigung von Éditions Dar an-Nahar, Beirut.
National Archives at College Park, Maryland, Washington, D. C.
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Fine Arts Library, Harvard University
Abb. 1: 158 B 397 1(b)1 (Matson collection)
Abb. 4: West C.001
Abb. 11: HSM.CC.569 (Bonfils)
Abb. 14: Diapositiv einer Zeichnung von Beirut
Mit freundlicher Genehmigung der Special collections, Fine Arts Library,
Harvard University.
The National Archives of the UK, Kew, Richmond
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National Library of Israel
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Orient-Institut Beirut
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Ralph Bodenstein
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Wolf-Dieter Lemke, Beirut-Berlin
Abb. 233, 321, 324
Camille Tarazi/ Maison Tarazi, Beirut
Abb. 114
Anne Mollenhauer
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Alle übrigen Abbildungen von Ralph Bodenstein. Der Autor hat sich bemüht, die Bildrechte nach bestem Wissen und Gewissen einzuholen.
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Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
Der arabische Artikel al- und seine Variationen sind nicht berücksichtigt. Für arabische Begriffe wird eine auf den Kontext dieser Arbeit bezogene Übersetzung gegeben.
A
ʿAbd al-Qādir al-Ǧazā’irī
ʿAbdallāh Pascha
ʿAbduh, Muḥammad
Aḥmad Pascha al-Ǧazzār
ablaq (Streifenmauerwerk)
Abort s. a. Klosett, Toilette, Sanitärbereich
Achrafieh (Beiruter Stadtviertel)
Aftimus, Joseph
Akkon, ʿAkkā
Alexandria (miterfassen: Alexandrien)
Alhambra
ʿaliyye (Zimmer auf der Dachterrasse, Belvedere) s. a. Dachpavillon,
Eckpavillon, maṣyaf, ṭayyāra
American Colony in Jerusalem
Amīr Bašīr II.
Anrichtezimmer s. a. office
Arbeitszimmer s. a. Bibliothek, cabinet de travail, maktaba, Zimmer
des Herrn
Architekt(en) s. a. Baumeister
al-Ariss, al-ʿArīs (Familie)
ʿataba (tieferliegender Teil einer qāʿa)
Aouad, ʿAwwād (Familie)
Aoun-Karam, ʿAwn Karam (Familie)
Außentreppe s. a. Freitreppe, Treppe
Avénue de l’Indépendance
aʿyān s. a. Notabeln
Ayas (Familie)
ʿAzm-Palast (in Damaskus)
ʿAzmī Bey
B
Baalbek, Baʿalbak
Bab Idriss (Beiruter Stadtviertel)
Bāb Yaʿqūb
Bachoura (Beiruter Stadtviertel)
Backhaus s. Ofenhaus
Bad, Badezimmer s. a. ḥammām, Sanitärbereich
Bad Cannstadt, Wilhelma
baġdādī-Bauweise, baġdādī-Decke
Balkendecke
Barakat-Gebäude
Barbīr, Kulṯūm ʿUmar
baş oda (türk. Hauptempfangszimmer)
Basta Tahta (Beiruter Stadtviertel)
Baufeste Ausstattung
Bauholz
Baumaterialien s. a. baġdādī-, Balkendecke, Bauholz, Betondecke,
Dachziegel, Gewölbe, ḥaǧar furnī, ḥaǧar ramlī, Kappendecke, Marmor, Sandstein, Stuckdecke, Terrakottafliesen, Tonfliesen, Zementfliesen, Ziegelstein
Baumeister s. a. Architekten, Handwerker
bayt (Haus) s. a. ḥāra, Haus, qaṣr, Villa
Bayt Aoun-Karam
Bayt Fakhoury
Bayt Ǧabrī/ al-Muǧallid (in Damaskus)
Bayt Haddad
Bayt Khayyat
Bayt Ladki
Bayt Majzoub
Bayt Niẓām (in Damaskus)
Bayt Saadé
Bayt Salīm al-Quwatlī/ aṣ-Ṣawwāf (in Damaskus)
Bedienstetenkammer s. a. Dienstbotenkammer, Dienstmädchenkammer
„Beiruter Küche“
Beiruter Geschosserschließungssystem
Bekaa-Ebene
Beton, Betondecke
Bettgestell
Beyhum, Bayhum (Familie)
Beyhum, ʿAbdallāh
Beyhum, Muḥammad
Beyhum, Muḥammad ʿAlī
Beylerbey-Palast (in Istanbul)
Bibliothek
Bilād aš-Šām s. a. Damaskus, Syrien
Bodenbelag
boudoir s. a. Zimmer der Dame, Frauenempfangsraum
Bourgeoisie, intermediary bourgeoisie
British Syrian Mission
Bügelzimmer
al-Bustānī, Buṭrus
al-Bustānī, Salīm
Bustros, Bustrus (Familie)
Bustros, Evelyne s. a. Tuéni, Evelyne
Bustros, Gabrielle
Bustros, Faḍlallāh
Bustros, Ǧibrān Faḍlallāh
Bustros, Nicolas de
C
cabinet de travail s. a. Arbeitszimmer, maktaba, Zimmer des Herrn
Calmette, Dr. Justin
Chiha, Šīḥa (Familie)
Chiha, Laure
Chiha, Marie
Choueifat, Šuwayfāt
Çinili Köşk (in Istanbul)
Çirağan-Palast (in Istanbul)
Cochrane, Lady Yvonne s. a. Sursock
Cordoba
D
Dachpavillon s. a. ʿaliyye, Eckpavillon, maṣyaf, ṭayyāra
Dachziegel
Dagher, Dāġir, Anastasie
Damaskus
390
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
Damaskusstraße
Damaszener Stil, aṭ-ṭirāz aš-šāmī
Daouk, Dāʿūq (Familie)
dār
Dār al-ʿAraqǧī
Dār al-Aytām al-Islāmiyya (Waisenhausorganisation)
ad-dār al-barrānī (äußerer Hof)
ad-dār al-ǧuwwānī (innerer Hof)
dār al-manzūl (Gästehaus)
Dassoum, Fouad-Dassoum-Gebäude
Debbané, Dabbāna, Yūsuf
Debbané-Haus (in Sidon)
Debbas, Dabbās (Familie)
Debbas, Fouad
Debbas, Mehgé
Deir el-Qamar
Diebitsch, Carl von
Dienstboten, Dienstpersonal, Hausbedienstete, Diener, Dienstmädchen
Dienstbotentreppe
Dienstmädchenkammer, Dienstbotenkammer, Bedienstetenkammer
Dinner, Dinnerparty, grand dîner
diş sofa-Häuser
dīwān-ḫāne (Vorderhalle)
Dumas & fils
E
Eckpavillon s. a. ʿaliyye, Dachpavillon, maṣyaf, ṭayyāra
Eingangskorridor
Empfangstag s. a. istiqbāl, kabul günü
Empfangszimmer s. a. manzūl, qāʿa, qāʿat al-istiqbāl, Salon
Esstisch
Esszimmer (miterfassen: Speisezimmer)
Europäisierung (s. a. Verwestlichung)
Exotismus
eyvan
F
Fakhoury, al-Fāḫūrī (Familie)
al-Fāḫūrī, ʿAbd al-Laṭīf
al-Fāḫūrī, Ṣafiya
Farbfassung
Fargeallah, Faraǧallāh (Familie)
Fargeallah, Maud
Fargeallah, Šukrī
fasḥa, fasḥa samāwiyya (offener Hof)
Feghali, Michel
Franko Pascha
Franz Pascha, Julius
Frauenempfangsraum, -zimmer
Freige, Alice de
Freige, Mūsā de
Freitreppe s. a. Außentreppe, Treppe
fumoir s. a. Rauchzimmer
Furn el-Hayek (Beiruter Stadtviertel)
G
Ǧabal Lubnān (Mont Liban, Libanongebirge)
Ǧabal Nusayrī
Galerie-Häuser
Gartenempfänge, garden parties
Gästehaus s. a. dār al-manzūl
Gästezimmer s. a. manzūl
Geday, Ǧuday, Yūsuf
Geschlechtertrennung
Geschosserschließung, Beiruter Geschosserschließungssystem s. a.
Treppenhaus, Außentreppe, Freitreppe, Dienstbotentreppe
Gewölbe
Gezira-Palast (in Kairo)
Globalisierung
Granada s. a. Alhambra
grand salon s. a. Salon
Grand Sérail
ġurfa (Zimmer) s. a. ūḍa)
ġurfat al-maǧlis (Sitz- oder Empfangszimmer)
ġurfat al-manāma (Schlafzimmer)
ġurfat al-maqʿad (Sitzzimmer)
al-ġurfa aš-šatawiyya (Winterzimmer)
ǧurn (steinernes Becken)
H
Haddad, Ḥaddād (Familie)
Haddad, Derviche (Darwīš Ḥaddād)
Haddad, Georges
Haddad, Marie s. a. Chiha, Marie
Hafen (von Beirut)
ḥaǧar furnī
ḥaǧar ramlī s. a. Sandstein
ḥaǧariyye-Böden
Haifa
Hamadé, Ḥamāda (Familie)
Ḥamāda, ʿAbd al-Fattāḥ Aġā
Ḥamāda, Muḥyī ad-Dīn
ḥammām ʿarabī s. a. Bad
ḥammām franǧī s. a. Bad
Ḫān Anṭūn Bey
Handwerker
ḥāra (Wohnhaus) s. a. bayt, Haus, qaṣr, Villa
Ḥārat Yūsuf Geday
harem, haremlik
Hasbaya, Hāṣbayā
Haus s. a. bayt, ḥāra, qaṣr, Villa
Haus Joseph Aftimus s. Villa Joseph Aftimus
Haus Aker s. Qaṣr Aker
Haus Mansour Aouad
Haus Aoun-Karam s. Bayt Aoun-Karam
Haus al-ʿAraqǧī s. Dār al-ʿAraqǧī
Haus ʿAbdallāh Beyhum s. Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
Haus Muḥammad ʿAlī Bey Beyhum s. Villa Muḥammad ʿAlī Bey Beyhum
Haus Hippolyte de Brun/ Haus Mott
Haus Faḍlallāh Dagher s. Qaṣr Faḍlallāh Dagher
Haus Daouk (im Text: Daouk-Haus, Qaṣr Daouk)
Haus Fouad Dassoum s. Fouad-Dassoum-Gebäude
Haus Debbané s. Debbané-Haus (in Sidon)
Haus Fakhoury s. Bayt Fakhoury
Haus Maud Fargeallah/ Orient-Institut
Haus Šukrī Fargeallah s. Qaṣr Šukrī Fargeallah
Haus Mūsā de Freige s. Qaṣr Mūsā de Freige
Haus Ǧabrī/ al-Muǧallid s. Bayt Ǧabrī/ al-Muǧallid (in Damaskus)
Haus Yūsuf Geday s. Ḥārat Yūsuf Geday
Haus Haddad s. Bayt Haddad
Haus Ḥannā Heneiné s. Qaṣr Ḥannā Heneiné
Haus Joseph Heneiné s. Qaṣr Joseph Heneiné
Haus Kady s. Qaṣr Kady
391
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Haus Kharsa/ Batlouni s. Qaṣr Kharsa/ Batlouni
Haus Khayyat s. Bayt Khayyat
Haus Bišāra el-Khoury s. Qaṣr Bišāra el-Khoury
Haus Ladki s. Bayt Ladki
Haus La Ferté
Haus al-Madrasa al-Maʿaniyya s. al-Madrasa al-Maʿaniyya
Haus al-Madrasa al-Waṭaniyya s. al-Madrasa al-Waṭaniyya
Haus Madrasat Fāṭima az-Zahrā’ s. Madrasat Fāṭima az-Zahrā’
Haus Majzoub s. Bayt Majzoub
Haus Malhamé s. Qaṣr Malhamé, Haus der Phalanges
Haus Wadih Mezher s. Villa Wadih Mezher
Haus Mudawwar s. a. Mudawwar-Häuser
Haus Mukhayyesh (in Rue Abdel-Kader)
Haus Amīn Pascha Mukhayyesh (in Rue Youssef Assir) s. Qaṣr Mukhayyesh
Haus Niẓām (in Damaskus) s. Bayt Niẓām
Haus der Phalanges s. a. Qaṣr Malhamé
Haus Henri Pharaon s. Villa Henri Pharaon/ Philippe Pharaon
Haus Salīm al-Quwatlī (in Damaskus) s. Bayt Salīm al-Quwatlī
Haus Edouad Rayes s. Qaṣr Edouard Rayes
Haus Saadé s. Bayt Saadé
Haus Salam
Haus Sardouk s. Qaṣr Sardouk
Haus Henri Sauvaire
Haus Elias Sursock s. Qaṣr Edouard Rayes
Haus Ḫalīl Sursock/ Antoine Mokbel s. Qaṣr Ḫalīl Sursock/ Antoine
Mokbel
Haus Ibrāhīm Sursock s. Qaṣr Ibrāhīm Sursock
Haus Maurice Sursock s. Qaṣr Maurice Sursock
Haus Mūsā Sursock s. Qaṣr Mūsā Sursock
Haus Yūsuf Tabet s. Qaṣr Yūsuf Tabet
Haus Tuéni-Bustros s. Qaṣr Tuéni-Bustros
Haus Jean Tuéni s. Qaṣr Jean Tuéni
Haus Ziadé s. Qaṣr Ziadé
Hauswirtschaftsräume s. Wirtschaftsbereich
hayat-Haus
Ḥayy ad-Daḥdāḥ (Beiruter Stadtviertel)
Ḥayy Yamūt (Beiruter Stadtviertel)
Heizung s. a. Kamin, kānūn, Kohlebecken, manqal, Ofen, ūǧāq
Heneiné, Ḥunayna (Familie)
Heneiné, Ḥannā
Heneiné, Marie s. Mezher, Marie
Heneiné, Dr. Joseph
Hermel
Hof, Hofhaus s. a. ad-dār al-barrānī, ad-dār al-ǧuwwānī, fasḥa, aṭtirāz aš-šāmī
al-Ḫūrī (Familie) , s. a. el-Khoury
al-Ḫūrī, Ḫalīl
al-Ḫūrī, Šākir
I
Ibrāhīm Pascha
iç sofa-Häuser
ifṭār (Fastenbrechen), ifṭār-Empfänge
Innentreppe, offene Innentreppe
Institut Français d’Archéologie
Irving, Washington
Khedive Ismāʿīl
Istanbul
Istanbuler Schnitt s. tafṣīl istanbūlī
Istanbūlī-Mode
Istanbūlī-Stil
istiqbāl (Empfang)
al-ʿĪtānī (Familie)
īwān s. a. līwān, eyvan
J
Jaffa
Jones, Owen
Joumblat (Beiruter Stadtviertel)
Joumblat, ʿAlī Bey
K
kabul günü (türk. Empfangstag)
Kady, al-Qāḍī (Familie)
Kairener Häuser (miterfassen: Kairener Villen, Kairener Beispiele)
Kairo
Kamin s. a. Heizung, ūǧāq
Kantari (Beiruter Stadtviertel)
kānūn (Kohlebecken) s. a. Heizung
Kappendecke
Keller s. a. Souterrain
Kindermädchen
Kinderzimmer
Klosett s. a. Abort, Toilette, Sanitärbereich
Kharsa, al-Ḫarsā (Familie)
Khayyat, Ḫayyāṭ (Familie)
Khedive Ismāʿīl Pascha
Khedive Saʿīd Pascha
el-Khoury, al-Ḫūrī (Familie)
el-Khoury, Fouad Khalil
el-Khoury, Bišāra ʿAbdallāh
el-Khoury, Bišāra Antoine
el-Khoury, Bišāra Ibrāhīm
el-Khoury, Bechara Khalil (lib. Präsident)
Khoury, Joseph
Khoury, Marie
el-Khoury, Shaker s. al-Ḫūrī, Šākir
Kohlebecken s. a. kānūn, manqal
konak (türk. herrschaftliches Wohnhaus)
Konsulat
Konsulat, britisches
Konsulat, französisches
Konsulat, japanisches
Konsulat, niederländisches
Konsulat, österreichisches
Konsulat, russisches
Konsulat, US-amerikanisches
Korridor s. a. Eingangskorridor, Parallelkorridor, Service-/Wirtschaftskorridor, Stichkorridor
köşk
Kremsky, Agatangil
Krim
Küche s. a. maṭbaḫ, „Beiruter Küche“
L
Ladki, Lādqī (Familie)
La Ferté
Latakia, al-Lāḏiqiyya
Laurella, Georges
Lisān al-Ḥāl
līwān s. a. īwān, eyvan
līwān-Haus
Loggia s. a. riwāq, Westloggia
392
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
London
M
mabeyin (türk. Palastflügel zw. harem und selamlık mit Empfangsräumen und Räumen für männliches Palastpersonal)
Madrasa al-Maʿaniyya
Madrasa al-Waṭaniyya
Madrasat Fāṭima az-Zahrā’
Madrasat Iṣlāḥ al-Basṭa
mā’ida (Esstisch)
Majzoub, al-Maǧḏūb (Familie)
makān (Ort, Zimmer)
maktaba s. a. Arbeitszimmer, Bibliothek
Mallāk, Mīḫā’īl
manqal (Kohlebecken) s. a. Heizung
Marmor
Märtyrerplatz
Malhamé, Malḥama (Familie)
Malhamé, Asʿad
Malhamé, Salīm
Manchester
manqal (Kohlebecken) s. a. Heizung
manzūl (Gästezimmer, Besucherzimmer) s. a. Salon
Mar Maroun (Beiruter Stadtviertel)
Mar Mitr, St. Dimitri (Beiruter Stadtviertel)
Mār Niqūlā, Saint-Nicolas (Beiruter Stadtviertel)
Marmor
Marseille
Marseiller Dach- od. Falzziegel
Märtyrerplatz s. a. Sāḥat al-Burǧ
maqʿad (Sitz, Sofa) s. a. ġurfat al-maqʿad, ūdat al-maqʿad
maṣyaf (Sommerfrische, Dachpavillon) s. a. ʿaliyya, Dachpavillon,
Eckpavillon, ṭayyāra
maṭbaḫ (Küche)
Mauerwerk
maurischer Stil s. a. Orientalismus
de Mentaberry, Don Alfonso
Mezher, Muzhir (Familie)
Mezher, Marie
Mezher, Salloum
Mezher, Samia
Mezher, Wadih
Mezzanin s. a. titḫīte, Zwischengeschoss
Minet el-Hosn (Beiruter Stadtviertel)
Missionsschule, -einrichtung
Möblierung
Modernisierung
Moufarrège, Toufic
Moukbel, Muqbil (Familie)
Moussaitbé (Beiruter Stadtviertel)
Mudawwar (Familie)
Mudawwar-Häuser
Muḥammad ʿAlī Pascha
Mukhayyesh, al-Muḫayyiš (Familie)
Mukhayyesh, Amīn Pascha
Mukhayyesh, Muḥammad Saʿīd Salīm
Mukhayyesh, Salīm Bey
al-mūne (Vorrat, Vorratskammer)
al-Muqtaṭaf
murabbaʿ (Zimmer, bes. ein den īwān flankierendes Zimmer)
Murphy, James C.
Musikzimmer s. a. petit salon de musique
mutasallim (Statthalter)
mutaṣarrif (Gouverneur)
Mutaṣarrifiyya Ǧabal Lubnān
N
Nasr, Naṣr (Familie)
Nasr, Farida Soussa
Nasr, Hélène
Nasr, Joseph
Nimr, Fāris
niẓāmī-Mode
Notabeln s. a. aʿyān
O
Ofen s. a. Heizung
Ofenhaus, Backhaus
Öffentlichkeit, Teilöffentlichkeit
office, ūfīs (franz. u. arab. für Anrichtezimmer)
Oral History
Osmanisierung
orta sofa-Häuser
P
Palast der Abī Lamaʿ (in Salima)
Palast des Amīr Bašīr II. (in Beiteddine)
Palast von Yūsuf aš-Šihābī (in Deir al-Qamar)
Parallelkorridor
Paris
Patriarcat (Beiruter Stadtviertel)
Perthuis, Edmond de
Perthuis, Elise de
petit salon s. a. Salon
petit salon de musique s. a. Musikzimmer
Pfeife s. a. Tschibuk, Wasserpfeife
Pfeiffer, Ida
Phalanges, al-Katā’ib
Pharaon, Farʿawn (Familie)
Pharaon, Henri
Pharaon, Philippe
Pharaon, Raphael
Pitlenko, Igor
Privatheit
Post Hall (Gebäude der AUB)
Q
qāʿa (Saal) s. a. Empfangszimmer, qāʿat al-istiqbāl, Salon
qāʿat al-istiqbāl (Empfangssaal) s. a. Empfangszimmer, manzūl, qāʿa,
Salon
al-Qabbānī, ʿAbd al-Qādir
qamariyye (Okulus, kleines Fenster im oberen Wandbereich)
qaṣr (Villa) s. a. bayt, ḥāra, Haus, Villa
Qaṣr Abou Chanab
Qaṣr Abou Raji/ Tufenkdjian
Qaṣr Aker
Qaṣr ʿAbdallāh Beyhum
Qaṣr Bustros/ Außenministerium
Qaṣr Faḍlallāh Dagher
Qaṣr Šukrī Fargeallah
Qaṣr Mūsā de Freige
Qaṣr Ḥannā Heneiné
Qaṣr Joseph Heneiné
Qaṣr Kady
393
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
Qaṣr Kharsa/ Batlouni
Qaṣr Bišāra el-Khoury
Qaṣr Malhamé
Qaṣr Mukhayyesh
Qaṣr Sardouk
Qaṣr Ḫalīl Sursock/ Antoine Mokbel
Qaṣr Ibrāhīm Sursock
Qaṣr Maurice Sursock
Qaṣr Mūsā Sursock
Qaṣr Nicolas Sursock
Qaṣr Yūsuf Tabet
Qaṣr Jean Chakour Trad
Qaṣr Jean Tuéni
Qaṣr Tuéni-Bustros
Qaṣr Ziadé
R
Ramadan (Familie)
Ras Beirut (Beiruter Stadtviertel)
Ras Mudawwar
Rauchzimmer s. a. fumoir
Raumdekoration
Raumprogramm
Rayes, Rayyis (Familie)
Riad el-Solh-Platz s. a. Sāḥat as-Sūr
Rifai, Rifāʿī (Familie)
Rituale
riwāq s. a. Loggia
riwāq-Häuser
Rizq Allāh, Ḥabīb
Rmeil (Beiruter Stadtviertel)
Ruppin, Arthur
S
Saadé, Saʿāda (Familie)
Saʿāda, Muḥammad ʿAlī
saǧǧāda-Fliesen s. a. Zementfliesen
Sāḥat al-Burǧ (heute Märtyrerplatz)
Sāḥat as-Sūr (heute Riad el-Solh-Platz)
Saifi (Beiruter Stadtviertel)
Saint-Nicolas (Beiruter Stadtviertel) s. Mār Niqūlā
sakan (Wohnhaus, Wohnraum)
Salam, Salām (Familie)
Salam, Assem
Salam, ʿAnbara
Salam, Salīm
Salam, Saeb
Salon, ṣālūn s. a. grand salon, petit salon, manzūl, qāʿat al-istiqbāl,
ṣāliya, Seitensaal
ṣāliya (Empfangs- und Wohnraum)
as-Salṭ (in Jordanien)
Sanayeh (Beiruter Stadtviertel)
Sandstein s. a. ḥaǧar ramlī
Sanitärbereich, Sanitäreinrichtungen, Sanitärräume s. a. Bad, Toilette,
Abort, ḥammām
Sarkīs, Ḫalīl
Ṣarrāf, Yaʿqūb
Sauvaire, Henri
Schlafzimmer
Schufgebirge
Segregation
Seitensaal, Seitensäle s. a. manzūl, ṣāliya, Salon,
selamlık (türk. Empfangsbereich, -raum)
selamlık odası (türk. Empfangsraum)
Sérail s. Grand Sérail
Servicebereich s. Wirtschaftsräume
Servicekorridor/ Wirtschaftskorridor
aš-Šidyāq, Aḥmad Fāris
aš-Šihābī, Yūsuf
Sidon, Ṣaydā
ṣīniyye (große Metallplatte zum Essen)
Sklaven
Sœurs de Saint-Joseph de l’Apparition, Schule der
sofa-Häuser
Solh (Familie)
Solidere
Sommerfrische s. a. maṣyaf
Soussa, Ṣūṣa (Familie)
Soussa, Farida
Souterrain
Spears, General Edward
Speisezimmer s. Esszimmer
St. Dimitri (Beiruter Stadtviertel) s. Mar Mitr
St. Petersburg
Stadtrat (maǧlis al-baladī)
Stichkorridor
Stuckdecke
ṣubḥiyye (morgendliches Frauentreffen)
Šukrī, Rūǧīnā
Sursock, Quartier Sursock (Beiruter Stadtviertel)
Sursock, Sursuq (Familie)
Sursock, Alfred
Sursock, Elias
Sursock, Émilie
Sursock, Ḫalīl
Sursock, Hélène Nasr
Sursock, Dīmitrī/ Mitrī
Sursock, Mūsā
Sursock, Yūsuf
Syrian Protestant College (SPC) s. a. AUB, American University in
Beirut
Syrien
T
Tabbara (Familie)
Tabet, Antoine
tafarnuǧ s. a. Europäisierung, Verwestichung
tafṣīl istanbūlī (Istanbuler Schnitt)
tanẓīmāt (osmanische Reformen im 19. Jh.)
Tarazi (Familie)
Tarazi, Antoinette
Dimitri Tarazi & Fils
Tayyān, Maryam bint Ḫalīl
ṭayyāra s. a. ʿaliyye, Dachpavillon, Eckpavillon, maṣyaf
ṭazar (Estrade, erhöhter Sitzbereich einer qāʿa)
Terrakottafliesen s. a. Tonfliesen
Thomson, William
aṭ-ṭirāz al-bayrūtī (Beiruter Stil)
aṭ-ṭirāz aš-šāmī (Damaszener od. syrischer Stil)
titḫīte (Zwischendecke, Hängeboden) s. a. Mezzanin, Zwischengeschoss
Todorschi
Toilette s. a. Abort, Klosett, Sanitärbereich
Tonfliesen s. a. Terrakottafliesen
394
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
Topkapı-Palast
Treppe, Treppenhaus s. a. Geschosserschließung, Außentreppe, Freitreppe, Innentreppe, Dienstbotentreppe
Tripolis, Ṭarāblus aš-Šām
Tschibuk s. a. Pfeife
Tuéni, Tuwaynī (Familie)
Tuéni, Gérios/Ǧurǧi
Tuéni, Evelyne s. a. Bustros, Evelyne
Tyros, Ṣūr
U
ūḍa (Zimmer) s. a. ġurfa, Zimmer
al-ūḍa aš-šarqiyya, westliches Zimmer
al-ūḍa al-ġarbiyya, östliches Zimmer
ūḍat al-ǧulūs, Sitz- oder Wohnzimmer
ūḍat al-istiqbāl, Empfangszimmer
ūḍat al-maqʿad, Sitzzimmer
ūḍat an-nawm, Schlafzimmer
ūḍat as-sufra, Esszimmer
ūǧāq (wuǧāq), Ofen (s. a. Kamin, kānūn, manqal, Ofen,)
Umnutzung
Zeitouni (Beiruter Stadtviertel)
Zementfliesen s. a. saǧǧāda-Fliesen
Ziadé, Ziyāda (Familie)
Ziadé, Iskandar
Ziadé, Joseph
Ziegelstein
Zigarette
Zimmer s. Anrichtezimmer, Arbeitszimmer, Bad, boudoir, Bügelzimmer, Dienstmädchenkammer, Empfangszimmer, Esszimmer, Frauenempfangsraum, ġurfa, Kinderzimmer, Musikzimmer, ūḍa, Rauchzimmer, Schlafzimmer, Sitzzimmer, Vorzimmer, Winterzimmer,
Wohnzimmer, Zimmer des Herrn
Zimmer des Herrn
Zokak el-Blat (Beiruter Stadtviertel)
Zwischengeschoss s. a. Mezzanin, titḫīte
V
Verwestlichung s. a. Europäisierung
Vestibül s. a. Vorhalle
Villa s. a. bayt, ḥāra, Haus, qaṣr
Villa Joseph Aftimus
Villa Muḥammad ʿAlī Bey Beyhum
Villa Wadih Mezher
Villa Henri Pharaon/ Philippe Pharaon
Vorderhalle s. a. dīwān-ḫāne
Vorhalle s. a. Vestibül
Vorzimmer
W
Wadi Abou Jemil (Beiruter Stadtviertel)
Wāṣā Pascha
Waschküche
Wasserpfeife
Wilhelma (in Bad Cannstadt)
Wintergarten
Winterzimmer
Wirtschaftskorridor s. Servicekorridor
Wirtschaftsräume (miterfassen: Wirtschaftsbereich, Wirtschaftsflügel,
Wirtschaftstrakt, Hauswirtschaftsbereich, Hauswirtschaftsraum/-räume, Servicebereich)
Wohnzimmer
X
Y
al-Yāziǧī, Ibrāhīm
al-Yāziǧī, Nāṣīf
Yesouieh (Beiruter Stadtviertel)
Yildiz-Palast (in Istanbul)
Z
Zandt, Ludwig
Zarif (Beiruter Stadtviertel)
Zaydān (Familie)
Zaydān, Ǧurǧī
395
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
396
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
397
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
398
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Register
399
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)
Villen in Beirut – Wohnkultur und sozialer Wandel 1860–1930
400
Ralph Bodenstein: Villen in Beirut (Petersberg 2012)