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Der Witz der Wolken

Der Artikel ist der Entwurf zu einem Nachwort einer zeitgenössischen Übersetzung der Wolken.

   NACHWORT DER WITZ DER WOLKEN 1. Wie funktionieren die Wolken als Komödie? Was heißt Versagen? Was ist faules Versagen? Warum ist faules Versagen lächerlich und peinlich? 2. Welches faule Versagen taucht in den Wolken auf? 2.1 Witze über Schwachköpfigkeit Von Dummheit bis zur Aufgeblasenheit Der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn 2.2 Witze über hässliches Verhalten kleinlich und gemein grob und trivial toll und übertrieben 3. Welche komischen Techniken verwenden die Wolken? Mechanik Parodien der Sokratischen Lehre Komische Sprache: witzig und skurril, Sprachwitze, Außersprachliche Witze, Witzige Rhetorik 4. Warum Lachen befreit… 1   1. Wie funktionieren die Wolken als Komödie? Die Wolken sind eine Komödie auf die Unklugheit der Philosophie und schaffen mit der Hauptfigur Strepsiades ein Muster, wie schlechte Menschen philosophische Techniken zum Handeln missbrauchen können, um Macht zu haben. Die Philosophie war zu Aristophanes Zeiten gerade neu entstanden und von Sokrates begründet worden. Philosophen meistern im griechischen Denken den Logos, das ist die Besprechung jedweder Sache, seien es Flohfüße oder die Herkunft der Götter. Figuren, die philosophisch geschult sind, bleiben mit solchen neuen und aberwitzigen Fakten im Recht, selbst wenn sie im Unrecht sind. Dadurch machen sie sich lächerlich. Dass die Komödie ein Handeln zeigt, und zwar lächerliche von schlechten Menschen, hat schon Aristoteles in seiner Definition der Gattung treffend erkannt (Arist. Poetik 1149a). So ist Furzen bloß ein lächerlicher Laut und Comedy eine witzige, pointierte Rede ohne Handlung, meist nur ein Schwank. Die Kunststücke eines Clowns zeigen witziges Verhalten in Gewohnheiten, vielleicht auch witzige Rede, aber kein lächerliches Handeln. Wo es eine Geschichte gibt, beginnt das Handeln. Witzige Romane berichten über Handlungen indirekt und nacherzählend, doch allein die Komödie kann im Film oder auf der Bühne ihre Figuren direkt sprechen und handeln lassen. Eine fiktionale Geschichte kann im Gegensatz zu historischen Ereignissen ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit zeigen, welches Verhalten sich notwendig oder folgerichtig aus der jeweiligen Schlechtigkeit ergeben müsste, ungeachtet der Störfaktoren wie Zufall oder unmotivierte Mutwilligkeit, die in der Wirklichkeit auftreten. Für die Figuren der Komödie heißt das, sie können noch gewöhnlicher, noch fauler, noch nachlässiger und uneinsichtiger, kurz: noch schlechter sein als alle Menschen, die man kennt. Was heißt Versager? Was schlecht ist, macht Fehler, aber nicht jede Art von Schlechtigkeit ist witzig und taugt für eine Komödie. In der griechischen Terminologie war  das Schlechte überhaupt und bezeichnet auch das Böse. Das Böse will etwas Schlechtes für den anderen erreichen, führt aber sein Anliegen fehlerfrei aus und kann etwas. Bösewichte taugen für tragische Geschichten und nicht für Komödien. Richtet sich eine Satire auf einen bösen Menschen, stellt sie den Bösen gerade nicht böse, sondern harmlos, verschroben und fehlerhaft dar, wie etwa Hitler in der Darstellung Charlie Chaplins. Diese Art von Schlechtigkeit, die komödientaugliche, ist schlecht in Form und Aristophanes nennt einen solchen Versager aus Formschwäche  . Was in Form ist, hat seine Seinsmöglichkeit zum Äußersten gebracht, das heißt praktisch, er hat so lange und so intensiv 2 ! "#$%&'( )'*+, trainiert, bis nichts mehr geht. Wenn dieser Prozess der Selbstverbesserung (-./.01234, lat. perfectio) zu seinem Ende kommt, ist Vollkommenheit in der Wirklichkeit erreicht (-5/.364). Nichts Anderes bedeutet das Ideal des Schönen und Guten (78/94 78: ;<8=>4), dem sich die Griechen verschrieben hatten, ganz ohne jeden metaphysischen Beigeschmack eines absolut und kontextfrei Vollkommenen, den die deutsche Klassik dieser gesunden Einstellung angedichtet hat. Ein Schwächling, Versager oder Schlappschwanz ist, wörtlich gesprochen, von einem schlechten Dämon besessen (787>? „schlecht“, @80A1? „Dämon“) etwa den Neigungen, die schlechten Gewohnheiten entspringen, wenn man lieber Chips isst und fernsieht, als sein Hirn oder seinen Körper in Übungen anzustrengen. Der Fitte und Kraftvolle ist dagegen einem guten Dämon gefolgt (.B@83A6?08). Die christliche Sklavenmoral glaubte an die Höchstform als etwas ganz Äußerlichem, nämlich als einem Geschenk göttlicher Gnade. Seitdem übersetzt man gemeinhin Eudaimonia als Glück oder Glückseligkeit und sieht darin real oder emotional nur die gönnerhafte Schickung des Zufalls, die nach dem Tod Gottes dann laizistisch als natürliches Talent wieder ihr Unwesen treibt. Strepsiades lamentiert regelmäßig über die Formschwäche bei sich, Pheidippides über die der Philosophen. Während der Sohn die Philosophen immanent für Weicheier hält, fasst Strepsiades sein eigenes Versagen als äußerliches Pech auf. Es scheint die Regel zu sein, dass Schwächlinge stärker darin sind, ihr Schicksal zu beklagen, als es zu verbessern. Die komischen Fehler, die Versager machen, nennen sich bei Aristoteles CADE-FA8. Was ist faules Versagen? Bloßes Versagen ist noch nicht unbedingt witzig und komödientauglich, entscheidend ist, dass der Versager sein Versagen auf eine bestimmte Weise selbst verschuldet. Wer aus sich heraus formschwach ist, bekommt eine Missgestalt und die nennt sich im Griechischen G8H/64, das ist der Zustand der schwächlichen Erbärmlichkeit mit aller Niedrigkeit und Widrigkeit. Das Gegenteil ist der 2I6J@8K64, der sich sputet, selbst in Hochform zu kommen. Wer aus einer solchen Nachlässigkeit versagt, ist faul. Die Wolken als Göttinnen des nebulösen Redens sind in dem Stück zugleich auch die Göttinnen der Müßiggänger, die nichts arbeiten wollen, etwa reiche Söhne oder Dichter und Künstler, besonders aber der Philosophen. Von außen haben sich die Philosophen das Phrontisterion erfunden, eine ehrfürchtig klingende Denkfabrik, doch als Strepsiades sie betritt, schläft Sokrates in einem Korb wie in einer Hängematte. Als krönende Metapher der 3 L MNOPQRS TRUVW Faulheit haben die Philosophen ihre Betten für heilige Gegenstände erklärt, was jeder Student nachvollziehen kann. Strepsiades sieht am Ende des III. Aktes ein, dass er zu faul ist, etwas zu lernen und sucht er Rat bei den Wolken, die ihm raten, seinen Sohn als Lernstatthalter einzusetzen. Sie verführen Strepsiades mit der List der falschen Freundlichkeit, geben sich den Anschein, ihm gewogen zu sein, und verbergen hinter diesem Lächeln die Strafe, auf die sie eigentlich abzielen. Wer auf eine List hereinfällt, begeht Strepsiades den Fehler des Verstandes selbst. Als Strepsiades die Wolken anklagt, sie seien der Grund seiner Leiden und hätten ihn dazu angestachelt (XYZ[\]), kontern die Wolken mit einem simplen „selbst schuld“: Z^_`a bcd efd gZh_i gj _ek_]d Zl_mea, g_\noZa gpZh_`d Xa Yedq\r Y\stbZ_Z (Vers 1455f.). Selbst bist du dir selbst der Grund dafür. Du verkehrst die Taten selbst zur Qual. Formschwäche aus Faulheit ist das Leitprinzip der Komödie, Formschwäche trotz Besserung das Leitprinzip der Tragödie. Wer faul ist und klagt, verdient Spott. Wenn jemand für seine Wohlstandsplauze Mitleid erheischen will und vorgibt, er könne nichts gegen seinen falschen Ernährungsweisen tun, wirkt das peinlich und lächerlich, weil diese Hässlichkeit nicht angeboren, sondern nur ein kakodämonisch antrainiertes Übel ist. Fettleibigkeit wegen äußerer Notwendigkeit, etwa die der Stopfgans, ist dagegen tragisch. Warum ist faules Versagen lächerlich und peinlich? Peinlich ist, wofür man sich zu schämen hat. Selbstschämen nennt sich Gewissen, Fremdschämen mündet in Spott und Verlachen. Eine Komödie setzt also auf Fremdschämen, um die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Eine Sache oder Handlung wird peinlich, wenn sie eine schlechte Form hat. Peinlichkeit ist entweder hässlich (griech. Zugv\wa) oder peinigend, dann nennt es sich im Griechischen Yedq\wa. Ponos bezeichnete eine Last oder Plage, die Pein bereitet, zum Beispiel die Prüfungen, die Herkules zu bestehen hatte, um ein Held zu werden, aber auch Quälstrafen bei Götterfrevel, die findig und fortwährend die Pein wiederholen, sei es durch ins Rollen gebrachte Steine, nachwachsende Organe oder sinkende Wasserspiegel, und zuletzt die Mühe, die jede Art von Arbeit bereitet und den Edelsinn der Griechen beleidigte. Das Peinliche peinigt und ist für gewöhnlich lästig und nicht lustig. Wenn es Leiden und Schmerz erzeugt, taugt es wieder nur für Tragödien. Die Fehler der Komödie sind dagegen lässlich und nur ein Makel. Strepsiades hat den lässlichen Charakterfehler, geizig zu sein. 4 x yz{|}~ €~‚ƒ Seine Absicht, das geliehene Geld zu unterschlagen, ist den Wolken lästig („ †‡ˆ‰Š). Sie versuchen, ihn davon zu kurieren, misstrauen aber dem rein intellektuellen Lernen und huldigen mit den von ihnen veranlassten Tracht Prügel dem Talionsprinzip: Peiniger straft mit Peinigung. Würde man diesen Grundsatz bei mangelnder Zahlungsmoral universell anwenden, hätten manche Staats- und Finanzchefs Anspruch auf einen Rettich als nachgelagertes Hebelprodukt. Eine solche Strafe ist lächerlich (‹ŒŒŽŒ‘ Š) und wird lustig, weil sie genauso verkehrt ist und selbst ein Charakterfehler, nichts weiter als Schadenfreude. Bei Komödien entspringt der Witz und das Lächerliche einer bestimmten Art von Fehler (’“”ˆ‡“Œ): Als schwächliche Missform ist er nicht böse, aber lässlich schlecht und peinlich – und tritt dann noch in einer verkehrten Form auf. 5 • –—˜™š›œ ›žŸ 2. Welches faule Versagen taucht in den Wolken auf? Menschliche Schwächen überhaupt lassen sich einteilen in Unvollkommenheiten, wenn die Formierung selbst noch fehlt, und in Deformationen, wenn die Form selbst nach der Formierung schlecht und fehlerhaft ist. Entsprechend der verschiedenen Stärken, die ein Mensch ausbilden kann, gibt es Formschwächen natürlich-ethischer, mentaler und künstlerisch-technischer Art, die den Menschen und seine Handlungen hässlich, dumm und unbeholfen machen. Alle diese Unvollkommenheiten sind das Material für den peinlichen Witz der Wolken. 2.1 Witze über Schwachköpfigkeit Schwächen des Intellekts sollten dem Betroffenen entgegen der Erfahrung peinlich sein und sind äußerst vielfältig. Sie reichen von krankhafter Verrücktheit und Minderbemittelung bis zu jenen lässlicheren Fehlern, die aus mangelnder Übung, schlechtem Talent oder bequemer Faulheit entstehen. Wenn intellektuelle Stärke zu Recht als Intelligenz bezeichnet wird, ist ein allgemeiner Quotient der Intelligenz, wie IQ-Tests ihn zu messen vorgeben, nicht mehr als eine stumpfe Reduktion der intellektuellen Vielfältigkeit auf das unzureichende Maß der Verstandeskraft.1 Neben dem Verstand gibt es noch den Geist, die kreative Kraft, Muster zu produzieren, und die Vernunft, die Ordnung in diese Muster bringt. DUMM, BORNIERT UND EINFÄLTIG Einem Dummkopf fehlt Verstand, einem Geistlosen Witz (ingenium, esprit). Der Geistlose, der nicht kreativ ist, verhält sich naiv oder einfältig. Er nimmt die Unterschiede nicht wahr und begreift darum langsam (¡¢£¤¥¦), selbst wenn er kein schwacher Kopf ist. Was er produziert, wenn er Verstand hat, kann äußerst gründlich sein und es empfiehlt sich, die Geistlosen mit Archiven zu betrauen. Den Figuren bei Aristophanes fehlt es sämtlich nicht an Witz, mit Ausnahme des Schülers und des Sklaven Xanthias. Der Sklave verhält sich einfältig und wirklich dumm: Ihm mangelt es an Witz und er ist des Verstandes beraubt. Diese taube Nuss versteht, begriffsstutzig wie sie ist, keine Anspielung oder Drohung, und weil er selbst keine Urteile fällen kann, handelt er als willfähriges Werkzeug seines Herrn. Der Schüler aus dem Phrontisterion verhält sich dagegen borniert und einfältig, weil er eine größere Verstandeskraft hat, aber keinen Witz. Sobald er zu Strepsiades Vertrauen gefasst hat, plaudert er treuherzig alle Schulgeheimnisse aus, schildert pedantisch jedes Detail und reproduziert mechanisch und geistlos das angelernte Wissen ohne Einsicht als ganz 1 Zur folgenden Terminologie vgl. Kant, Immanuel: Über die Krankheiten des Kopfes, in: AA II S. 258-271; ders.: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Stuttgart 1983, § 45-59. 6 § ¨©ª«¬­® ¯­°±² Äußerliches. Während Xanthias einfach nur ein Ochse ist, gehört der Schüler zu diesen Einfaltspinseln, die Wissenschaft von außen bewundernd angaffen, aber immerhin noch so guten Herzens sind, sich nichts darauf einzubilden. Wer geistreich ist, hat stets schlagfertig ein gutes Wort (bonmot) oder einen Einfall bei der Hand, ungeachtet dessen, ob die Spitze trifft oder daneben landet. Der Geistreiche versteht sich auf einsichtige Sprüche (³´µ¶·), die je nach Tiefe mal weise orakelnd, mal aphoristisch inspirierend, mal seicht vergnüglich oder auch nur ein dummer Spruch sein können, der dem Gegenüber lästig aufgedrückt wird. In den Wolken tauchen Gnomen in all ihrer Artenvielfalt aus den seichten Wasserständen des Geistes auf und schaffen ihnen alternative Fakten (³´µ¶¸¹ º¸»´¼¹ ½¾¿ÀÁÂúĴ). Die Philosophie schult mit der mit dem Geist auch die Findigkeit ihrer Schüler, doch wenn sich diese gnomische Intelligenz mit fehlender oder einer falschen Vernunft verbindet, kommt nur ein orakelnder Ton dabei heraus, der dem Hohlkopf den Ruf einbringt, in seinem dunklen Dröhnen widerhalle die Tiefe seines Denkens. Witz in Verbindung mit Verstandes- und Vernunftschwächen wirkt lustig und produziert Lacher. Aus dieser Kombination entstehen Blödheit, Torheit und Narrheit. BLÖDHEIT Strepsiades hat Witz, ist aber blöd, töricht und närrisch. Der Witz zeigt sich schon bei der verschmitzten, aber albernen Antwort, als Strepsiades auf Sokrates’ Frage, ob er ein Gedächtnis habe (¶´·¶Å´»ºÆ¹), antwortet „auf zweierlei Art“: Eines zum Vergessen der eigenen Schulden und eines zum Erinnern der eigenen Forderungen (II.5). Blödheit ist eine Ohnmacht des Intellekts. Bezieht sie sich auf die Wahrnehmung insgesamt, ist der Kopf dumm, weil nichts hineingeht. Nimmt der Kopf aber wahr und kann es nicht behalten, leidet sein Gedächtnis und alles fällt wieder heraus. Nimmt der Kopf wahr und behält sich die Dinge, weiß aber keine Ordnung für sie zu finden, fehlt die Vernunft. Strepsiades ist zu blöd (Ç·ÁÈÄ) und unbeholfen (ú¸»Æ¹), sich Dinge zu merken, und diese natürliche Vergesslichkeit (½É»ÇÊöĴ) paart sich, zum Leidwesen Sokrates’ (III.2), mit fehlender Vernunft, die ihn für Lerninhalte unzugänglich macht (ËÉÅÁŹ). Durch Strepsiades’ Gedächtnis rinnen die Lehrinhalte wie Wasser durch ein Sieb (III.5), aber diese an Alzheimer erinnernde Blödheit entspringt nur mangelnder Konzentration und Anstrengung. Was als Krankheit bemitleidenswert ist, wird als Schwäche mit dem gleichen Ausmaß an Unvermögen komisch. Zudem reicht Strepsiades’ Verstand, über sein eigenes Unvermögen zu hadern und den gescheiten und altklugen Rat zu geben, andere müssten diese Arbeit erledigen, aber ihm fehlt 7 Ì ÍÎÏÐÑÒÓ ÔÒÕÖ× die Vernunft, sein Gedächtnis nach dieser Erkenntnis zu stärken, und dieses Wohlgefühl im Unkönnen ist töricht. TÖRICHT UND GESCHEIT Der Tor ist labert albernes Zeug und Unsinn (ØÙÚÛÜ), bringt man allerdings ihm etwas bei, wird er, wie Strepsiades, nicht wirklich klug daraus, sondern nur gescheiter. Strepsiades feiert sein Gescheitwerden überzogen und enthusiastisch (ÝÞßàáâãäâåæç, IV.1) gegenüber jedem, der noch nicht zu den gleichen verqueren Einsichten gelangt ist. Ein solcher Enthusiasmus des kleinlich Gescheiten endet in einer wenig erträglichen Besserwisserei, die erst sein Sohn, dann die Gläubiger zu spüren bekommen. Im Übrigen zeigen Erstsemester häufig diesen gescheiten Bildungsenthusiasmus und viele warten bis zur Berufstätigkeit, bis ihnen das Licht der Klugheit ins Hirn leuchtet und sie sagen können, sie seien realistischer geworden. BAUERNSCHLÄUE Strepsiades verwendet die Schein-Klugheit der Schlauheit, über die ein Tor dank seines Witzes verfügen kann, um seine Schulden nicht zurückzahlen zu müssen. Mit Bauernschläue kann der Dumme und Blöde in seinem Acker noch immer die dicksten Kartoffeln züchten und Gewinn erwirtschaften. So schlau es schien, seinen Sohn die sophistischen Methoden lernen zu lassen, so wenig klug war es, dem falschen Ratschlag der Wolken zu folgen. Zur Klugheit hätte noch ein gewisses Maß an Voraussicht dazugehört, welche Konsequenzen sich folgerichtig ergeben, wenn er den eigenen Sohn ermächtigt, stärker zu werden als er selbst. Im Hinblick auf kluges Verhalten eine Sache zu durchdenken drückt der Grieche mit Ableitungen des Wortes èÚæÞÙâãç aus, einem Leitmotiv des gesamten Stückes. Phronesis grenzt sich ab von dem bloßen Denken als Verstandestätigkeit (ÞàéêÞ) und dem Wissen (ÝëãâìíåÙ) als verstandene Inhalte dieses Denkens. Die Herren des Phrontisterions schaffen es nicht, Strepsiades auch nur das geringste Maß an Klugheit beizubringen, also die Fertigkeit, operativ und strategisch das Rechte zu wählen. Das klug Ausgedachte (èÚæÞìãç) mündet in einen Plan oder Leitgedanken, der klug anleiten kann (èÚæÞìãâåä). Scheinbare Klugheit erschöpft sich im klügeln und grübeln (èÚàÞìîïÜ), dem fehlerhaften Kalkül mit Witz. Als Strepsiades Lösungen für seine Probleme ausklügeln soll, denkt er nichts und gibt sich lieber seiner Leidenschaft hin, sich die Eier zu kraulen (III.4). Als Sokrates zum Abschluss Strepsiades prüft, wie dieser aus eigentlich ausweglosen Situationen vor Gericht entkommen möchte, weiß Strepsiades sich nur mit Albernheiten und Absurditäten zu helfen. Aberwitzig vertraut er auf Hexen, Kalendermanipulationen und zieht am Ende sogar einen 8 ð ñòóôõö÷ øöùúû Selbstmord in Betracht. Erst an diesem Punkt bezichtigt ihn Sokrates des Unfugs, der den Aberwitz in Wahnwitz umschlagen lässt (üýþÿ ). Unfug ist die närrische Form des Laberns mit einer verkehrten Vernunft, der Irrsinn. NÄRRISCH UND VERSCHROBEN Strepsiades fehlt Vernunft, wo er blöd ist; wo er närrisch ist, verkehrt er die Vernunft und folgt einem verdrehten Irrtum, entsprechend seines Namens, der zutreffend mit Herr Verkehrt wiedergegeben werden kann. Ein Narr sieht das eigene Fehlverhalten nicht ein, weil er das Unvernünftige für vernünftig hält, während töricht ist, trotz richtiger Einsicht in die eigene Unvernunft unvernünftig zu bleiben. So kennt Strepsiades zwar seine törichte Vergesslichkeit und fühlt sich ohnmächtig gegen sie, aber seine Habsucht hält er für berechtigt, obwohl Dritte darunter leiden und er für seinen Sohn Verantwortung trägt. Geliehenes als Eigentum zu betrachten, ist ein Widerspruch in sich. Um ihn von dieser Narrheit zu kurieren, verführen ihn die Wolken zu unklugem Verhalten, wohl wissend, dass ein doofer Kopf, dem Klugheit fehlt, bloß aus Schaden lernt. Das Pathos der Komödie ist kein schlimmes Leid, hier reicht eine Tracht Prügel mit ein paar blauen Flecken, um die durchschnittlichsten Fehler durchschnittlich zu kurieren. Wo Strepsiades Witz verdreht ist, wuchern allerlei verschrobene Hirngespinste, die ihn zur klugen Lösung eines Problems unfähig machen.2 Diese aberwitzigen Irrtümer und Illusionen sind komisch, weil sie deplaziert sind, ohne krankhaft zu sein. Wo metaphorisch gesprochen wird, interpretiert Strepsiades Ausdrücke wie „etwas unter der Oberfläche suchen“ fälschlicherweise konkret als eine Suche nach Zwiebeln. Solche Fehler verkehren die Traumgespinste des Phantasten in Realgespinste. Nach seiner philosophischen Schulung verlegt sich Strepsiades dort, wo Realaporien zu lösen wären, auf Wahnwitz und Albernheiten (III.5). Albern sind aberwitzige Fehlschlüsse, die als selbstbezügliche Vernunft nur verschroben sind, aber närrisch werden, wenn sie als verkehrte operative Intelligenz Probleme lösen sollen. So ist das Argument von Strepsiades albern, er müsse seine Schulden nicht zurückzahlen, weil der Gläubiger einen grammatischen Fehler macht (V.3). Der komödiantische Spaß entsteht aus dem Erfolg, den diese Albernheiten haben, entgegen der Gewohnheit, solche Lächerlichkeiten zu verlachen. Strepsiades erkennt am Ende des Stücks seinen närrischen Irrsinn () und hält sich selbst für verückt (), aber diese Anagnorisis der eigenen Verblendung zeitigt komische Folgen. Anstatt aus Einsicht besonnen zu werden, gerät er in Zorn, beginnt zu rasen 2 Zum Thema Verschrobenheit und Verstiegenheit stütze ich mich auf: Binswanger, Ludwig: Drei Formen des missglückten Daseins. Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit, Tübingen 1956. 9     und wird völlig unzurechnungsfähig. Dieses unsinnige Verhalten des Tobens nennt sich Tollheit. Wo Tollheit siegt, ist das Theater keine moralische Anstalt, die Menschen bessert. AUFGEBLASEN Die intellektuellen Defekte der übrigen Figuren sind nicht so ausgefeilt wie bei Strepsiades. Pheidippides verhält sich aufgeblasen und verstiegen. In seinem schrulligen Enthusiasmus für Pferde maßt er sich an, über intellektuelle Arbeit erhaben zu sein. Obwohl sein Verstand Kapazität hat, verbauen ihm Hochmut und Flatterhaftigkeit (2), die er von seiner Mutter geerbt hat, die Möglichkeit, aus seinen Talenten klug zu werden. Die philosophischen Methoden geraten in seinem snobistischen Hirn zu blanken Rechtfertigungsinstrumenten für einen, aus Niedrigkeit motivierten Ungehorsam gegen den eigenen Vater. Die Aufgeblasenheit des Kopfes korrespondiert mit der Aufgepumptheit seines Körpers ( !), ein Phänomen, das aus modernen Fitnessstudios bekannt ist, wenn Hohlbirnigkeit mit dem Bizepsumfang zu wachsen scheint. Aus dieser oberflächlichen Fitness heraus verachtet er die Philosophen für ihre mangelnde Körperkultur und nennt sie blasse (3* und verbitterte Stubenhocker (*" !). !) Die Komik entsteht seiner Verwandlung: Obwohl seine scheinbaren Vorurteile zutreffend sind (I.3) und er die Narrheit und Verrücktheit der Sokratischen Lehren (IV.1,2) erkennt, lässt sich Pheidippides trotzdem unterweisen und mutiert selbst zu dieser von ihm verachteten, blassen und sophistischen Gestalt. Die beiden Gläubiger sind schwache Personen und die große Furcht, die Strepsiades vor ihnen hatte, wirkt deplatziert. Ihren Namen nach müssten beide geizig und habsüchtig sein, ihrem Verhalten nach bräuchte man nicht wenige Lampen, um Licht in ihre Schädel zu bringen. Der dicke Pasias ist schwach, nachgiebig und feige; er geht von selbst, bevor Strepsiades Stress machen kann. Amynias ist dagegen auch eine aufgeblasene Person, aber ihm fehlt im Gegensatz zu Pheidippides Verstandeskraft (V.4). Blöder, von sich eingenommener Geiz, wofür er steht, redet schwülstig wie eine Tragödie und er hat auch einen entsprechend tragischen Auftritt. Vom höheren Dingen will er nichts wissen und leidet unter der gleichen Pferdemanie wie Pheidippides. Strepsiades vertreibt ihn mit blanker Gewalt, weil er zu Einsicht nicht fähig und zu Feigheit zu selbstbewusst ist. NOSTALGIE Das starke Argument verhält sich mit Worten nostalgisch und hochmütig. Nostalgie zeigt eine verkehrte Vernunft im Urteil über die Vergangenheit und diese Verschrobenheit des stärkeren Arguments wird komisch, weil sie aus Wollust entsteht. Das schwache Argument zeigt 10 # $%&'()+ ,)-./ erstaunlicherweise wenig intellektuelle Fehler, wenn man ihm zugesteht, dass Lust und Vergnügen richtige Leitprinzipien des Lebens sind. Für den Moralisten ist es närrisch und unvernünftig, bloß auf Spaßgewinn und eigenen Vorteil zu schielen, allerdings verbreitet sich diese Haltung als Utilitarismus heute allerorten. Wie das schwache Argument zeigt, muss dieser utilitaristisch Formlose, der sich der Fress- und Verkehrssucht hingibt, fit sein in den eristischen Streitmethoden, um immer Recht zu behalten: Den Stärkeren gilt es zu provozieren, bei seinem Argument die Nebensachen zum Wesentlichen zu erklären und mit deplazierten Beispielen und modischen Neuerkenntnissen ihn in Grund und Boden zu reden. WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN GENIE UND WAHNSINN? Sokrates mangelt es weder an Verstand noch an Witz, aber vernünftig scheint das Verhalten nicht zu sein, das Aristophanes ihm andichtet. Seine Einsichten sind überfein. So erfindet er mit dem Flohfuß ein Längenmaß, das niemand braucht, und vernünftelt am Beispiel von Nutzgeflügel, Utra entsprechend ihres Sexus in Maskulina und Feminina aufzuteilen, ähnlich jener geschlechtsunterscheidenden und alles andere als geschlechtsneutralen Schreibweisen, die als politische Korrektheit folgerichtig auch solche Narrheiten fordern müssten, statt dem neutralen Gehsteig Bürgerinnen-und-Bürgersteig zu schreiben. Der Geist des Sokrates zeigt deutlich jene sprichwörtliche Nähe von Genie und Wahnsinn. Wo der Witz über die Vernunft siegt, entstehen Überspannungen, die genial sind, wenn der entstandene Begriff sich mit der Erfahrung deckt, und Aberwitz oder Wahnsinn, wenn dies nicht der Fall ist. Für den Aberwitz der Philosophen hat Aristophanes eine unvergleichliche Allegorie geschaffen: Bei ihnen beherrscht nicht mehr Zeus den Himmel, sondern Dinos, die Windhose als personifizierte Gottheit, die ich aus Gründen der Situationskomik mit Windbeutel wiedergegeben habe (II.3). Das unkluge Kopfzerbrechen der Philosophie dreht sich fortwährend um sich selbst, verwirrt alle Urteile und Begriffe, zieht ständig Analogien, wo kein Zusammenhang herrscht, und berauscht sich an der Originalität, ohne sich von der Erfahrung belehren zu lassen. Metaphorisch gedeutet, versperren die Wolken, die solche Winde aufwirbeln, als Nebulöses die klare Sicht, erzeugen jenes dumpfe Tönen, das Seichtes hinter komplexen Wörtern versteckt, und verursachen diese Ideenblitze als Platzprodukte ihrer Aufgeblasenheit. Als sexuelle Allegorie kreisen diese unschuldig vernebelten Jungfrauen um wahnwitzige Windhosen und verführen die Leichtgläubigen aus einem Motiv, das so niedrig ist, wie ihre Gedanken seicht – aus bloßer Wollust und Gemeinheit. Diese alternative Meteorologie verspottet den metaphysischen Tonfall, wenn die Philosophie den überirdischen Dingen (0145678) einen erhabenen Klang verleiht und meint, im harmonischen Zusammenstimmen 11 9 :;<=>?@ A?BCD von priesterlichem Reden und vornehmem Gegenstand hätte die heiße Luft (EFG HIJKF) einen fassungsstarken Ballon gefunden, der ganz ohne Chemie und technische Mittel der Seele Flügel verleihen könnte. Als sich nicht wie Kant3 gegen Stümperei wehrt, sondern sie anerkennt als genuin methodisches Prinzip, wird dieser verkehrte Witz komisch. Die Wolken sind die einzigen Figuren der Komödie, die keinen Fehler des Intellekts erkennen lassen. 3 Vgl. Kant, Immanuel: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, in: AA VIII, S. 387-407. 12 L MNOPQRS TRUVW 2. HÄSSLICHES VERHALTEN UND SEINE ARTEN Das soziale Tier Mensch hat somatische und soziale Bedingungen, die erste und zweite Natur heißen. Hässlich ist das Unschöne im Sinnlichen und Sittlichen, wenn diese erste oder zweite Natur aus ihrer Form gerät und eine Missform bildet, sei es natürlich wie der Zwergwuchs oder aufgrund schlechter Gewohnheiten wie Fettleibigkeit. Wer somatisch in Form ist, den nennen wir fit, gesund und schön, wer im Bezug auf sein Verhalten (ethisch) in Form ist, kann sich verhalten, er benimmt sich und handelt, das heißt, er steuert sein Verhalten und lässt sich nicht fremdgesteuert aus der Form bringen, sei es unbewusst oder durch Gewalt. Das Komische entsteht nicht, wenn die Formschwäche folgerichtig als Ohnmacht auftritt, komisch wird es, wenn sich die Schwäche verkennt und als Stärke geriert. Diese verkehrte Formstärke ist peinlich, weil sie verfehlt ist und nicht wie peinigende Ohnmacht Mitleid erregt. Das Schöne ist gefällig oder erhaben und das Hässliche als seine Negation ist widrig oder niedrig oder beides.4 Das Schöne ist Topform geworden, weil es in sich richtig Maß hält, und dieses richtige Maß zu verfehlen, kann auf drei Weisen geschehen: Durch ein Übermaß, ein Mittelmaß oder ein Untermaß. Wollte man ein Bild zitieren, so ist der wirklich schöne Körper weder zu fett, noch untergewichtig, noch der bloße Durchschnitt, den der BMI den Versicherungen als den gesundheitserhaltenden Zustand anrät. Das Schöne hat Kraft, wirkt und gilt als formstark, weil es so vollkommen formiert ist, dass es das Äußerste erreicht hat, als bloße Vollendung der Anlage oder als ein Übertreffen seiner selbst, das die Majestät des Erhabenen beschreibt. Formschwäche tritt dagegen ein, wenn die Form zu kleinlich, zu ordinär oder zu krass ist, um noch Kraft zu haben. KLEINLICH UND GEMEIN Das Kleinliche verfehlt die richtige Größe des Schönen durch ein Maß, das zu mickrig ist, um Form erkennbar zu machen. Somatisch ist es der Zwerg, ethisch der Kleinmütige. Wer sich mit Kleinlichem aufhält, bewegt sich in Nichtigkeiten. In den Wolken sind die Philosophen die Meister des Kleinlichen, die sich mit allerlei Haarspaltereien die Zeit vertreiben. Die Nullität des Forschungsgegenstandes hat im Floh seinen Körper gefunden, der Flohfuß ist eine treffende Metapher für das Untermaß und pedantisch ist die kleinliche Behandlung des Gegenstandes, wenn Sokrates die Flohfüße erst in Wachs taucht und dann die Wachsfüße hintereinander legt und einzeln abzählt, anstatt die Distanz abstrakt zu berechnen (I.3). 4 Karl Rosenkranz hat in seiner hervorragenden Ästhetik des Hässlichen (Stuttgart 2015) leider die Negationen des Erhabenen von denen des Gefälligen getrennt und dadurch viele Doppelungen erzeugt, die unterbestimmt sind. Ich übernehme seine Terminologie weitestgehend, modernisiere sie und werfe aber diese zu Unrecht getrennten Schönheitsformen wieder zusammen. 13 X YZ[\]^_ `^abc Komischerweise verlachen Strepsiades und der Schüler das alberne Erfahrungsurteil nicht, sondern preisen es als höchstes Geschick (defghijij) und Meisterwerk (klmgknj), als Leichtigkeit im Geist (oepiliqr ist muetst), mit aller Doppeldeutigkeit, die diese Ausdrücke entfalten können. Wenn es um Sprache geht, achtet Sokrates peinlich genau auf das natürliche Geschlecht des Bezeichneten und rät sogar zur Einführung grammatisch inkorrekter Formen (III.3). Töricht ist das Flohmaß, närrisch ist, sich seine eigene Sprache erfinden zu wollen, bloß aus der verkehrten Vernunft der überkorrekten Kleinlichkeit. Als Strepsiades diese Lehrinhalte übernimmt, verspottet ihn Pheidippides mit Recht für diese Narreteien (IV.2) und will ihn für verrückt erklären lassen. Gegen Pasias benützt Strepsiades allerdings diese närrische Pedanterie mit Erfolg und beschuldigt ihn der ordinären, weil zu gewöhnlichen Ausdrucksweise (evqwgxlr). Diese Wortklauberei am falschen Platz ist schon komisch, aber dass sie die Macht hat, den Gläubiger zu vertreiben, ist die vielleicht lächerlichste Volte, die aus ihr folgen kann. Kleinlichkeit, die nichts kann, ist feige (deyojgzr). Der Feige lebt ängstlich und traut sich nichts zu, sodass nicht zu entscheiden ist, ob er eigentlich könnte, wenn er wollte, oder ob er Angst hat, weil er nichts kann. Feigheit deutet auf einen schwachen Willen hin, obgleich der Feige selbst immer behaupten wird, er wolle, sei aber gepeinigt. Der Schüchterne ({izonzr) zügelt seinen Willen, wagt nichts aus mangelnder oder schlechter Erfahrung und hat Angst, den Gewinn zu verlieren, bevor er ihn gewonnen hat. Schüchterne gelten meist als anmutig und erregen ein Lächeln aus gönnerhafter Mitfreude, das entsteht, wenn man beobachtet, wie sich zaghafte Teenager zaudernd umgarnen, doch für die Komödie braucht es einen Lacher, der nur dann bei Schüchternen entsteht, wenn die Bewegungen plump und der Charakter schon feige wirkt. Feigheit vor allem und jedem ist unbedingt lächerlich, weil diese Überangst den Willen dauerhaft stört und schwächt. Eine solche, kleinliche Phobie plagt Strepsiades. Allfeige, wie er ist, fürchtet er sich selbst vor den Wanzen in der Matratze (III.4). Die Nullität des Gegenstandes macht diese Angst im Prinzip schon genauso lächerlich wie Arachnophobie, komisch wird es aber, als Strepsiades behauptet, mit den Wanzen wirklich zu kämpfen, als seien sie echte Gegner. Das Lehrprogramm der Wolken kuriert Strepsiades von dieser Feigheit mit dem zweifelhaften Erfolg, ihn zuerst frech, dann toll werden zu lassen. Kleinlichkeit, die weiß, was sie kann, ist gemein (moj|uzt). Wer gemein ist, verteilt kleine Bösartigkeiten, die keinen wirklichen Schaden anrichten, sonst wären sie schwerwiegend böse aus Niedertracht. Das echte Böse taugt nur für Tragödien, für Komödien muss es außerhalb des Könnens der Figuren liegen. Gemeinheiten sind die niedliche Form des Bösen und 14 } ~€‚ƒ„ ƒ†‡ˆ können aus einer Position der Stärke ebenso verteilt werden wie aus der Position der Schwäche. Jede Figur der Wolken hat ihre Gemeinheiten und es scheint eine Regel dabei zu geben: Der Stärkere beleidigt den Schwächeren und die Schwächeren provozieren den Stärkeren. Beim Auftritt der beiden Logoi (IV.3) etwa beleidigt (‰Š‹ŠŒŽŠ) das stärkere Argument und das schwächere Argument pariert die Beleidigungen mit einem Dank, der den anderen zu Zorn reizt. Wer provoziert, ist frech (‘ŒŠ’“”) und dreist (•–—). Von den Logoi lernt auch Pheidippides das Frechsein und kann seinen beleidigenden Vater schlagfertig provozieren (V.5). Strepsiades selbst kennt nur die Gemeinheit des Beleidigens und als er selbst beleidigt wird, kann er nur mit einem schmollenden „Du bist fies“ kontern (˜™šŒ›”). Sokrates verliert nämlich im Angesicht der Blödheit des Strepsiades seine Überlegenheit und beginnt ihn wüst zu beschimpfen. Wer sich provozieren lässt, verliert seine Form und Haltung im Zorn und lässt die Überlegenheit des Stärkeren fahren. Schadenfreude macht das Gemeine komisch. Am gemeinsten sind die Wolken in diesem Stück, weil sie als einzige zur List fähig sind. Gemeinheit mit Arglist ist fies, wenn der Stärkere die List anwendet. Fies ist das Vorgehen der Wolken gegen harmlosen Strepsiades und noch fieser die arrogante Überlegenheit, mit der sie auf seine Vorwürfe reagieren. Verbale Gemeinheit aus der Position des Stärkeren sind Drohungen. Die Wolken verwenden sie in ihrer Rede gegen die Kritiker, einen Berufsstand, der heute noch für seine Gemeinheit bekannt ist (V.1). Wäre diese Rede nicht berechtigt, müsste man an ihr die kleinliche Kritik üben, dass die jungen Damen die Blitze vergessen haben, mit denen sie die Häuser der Kritiker in Brand setzen können. Drohungen und fiese Arglist machen die Erhabenheit des Überlegenen gemein und seine Majestät niedrig. Gemeinheiten verkehren den Schicksalsbegriff der Tragödie ins Lächerliche und eignen sich vorzüglich für die Komödie. Die Göttinnen wählen sich mit dem schlechten Menschen Strepsiades einen kleinlichen Gegenstand, bestimmen sein Schicksal aus kleinmütig gemeinen Motiven und sorgen mit den Prügeleien für ein Leiden, das selbst kleinlich ist und sich nicht mit echtem Pathos messen kann. Das Ungefällige im Kleinen ist das Kleinliche, das Unerhabene die Gemeinheit. GROB UND TRIVIAL Eine Verfehlung des Schönen aus Mittelmäßigkeit ist ordinär. In der Allgemeinheit des Durchschnitts tritt nur eine Masse zum Vorschein und dem Eigenen fehlt noch die Differenz an sich selbst, die seine Ordnung im Äußersten vollendet. Die Masse des Ordinären ist grob oder trivial. 15 œ žŸ ¡¢£ ¤¢¥¦§ Das Grobe des menschlichen Körpers betrifft alle ungeschiedenen Massen, denen das innere Maß fehlt, weil sie unterschiedslos geworden sind. Hierzu zählen Ausscheidungen wie Kotze, Schleim, Urin, Scheiße, Sperma, Eiter, Schweiß und all die Parfümerien, die sich mit diesen Sekreten verbinden, aber auch Leichen, weil dort die Ordnung des Organismus zur bloßen Biomasse herabgesunken ist. Scheiße ist das Formlose schlechthin. Ein Spiel mit dem Ekel scheint natürlich Lust zu bereiten, jedenfalls haben Kinder eine ganz unbefangene Freude an diesen matschigen Grobheiten, ebenso wie mancher Erwachsene beim ungebändigten oder widerwärtigen Liebesspiel. Wenn diese Notdurften aus dem Körper dringen, kann der Betroffene sie nicht zurückhalten und so gebietet der Anstand gewöhnlich eine gewisse Dezenz und Heimlichkeit im Umgang mit dem Groben. Der offene Umgang damit ist unflätig und die Wahrheit des Unflätigen, Gemeinsames der Masse aller Menschen zu sein, gilt als vulgär. Fäkalhumor ist der Unflat in Wort und Tat mit Exkrementen, Frivolität der sexuelle Unflat und Plumpheit (¨©ª«¬) Grobheit in Aussehen und Benehmen. Strepsiades ist ein Grobian sondergleichen. Schon als er an die Tür des Phrontisterions tritt, macht er es grob genug, um alle Denker aus der Fassung zu bringen (I.3). Wie sehr ihm ein Maß fehlt, zeigt sich, als Sokrates versucht, ihm etwas über Maße beizubringen (III.2). Getreidemaße und Versfüße verschwimmen in eins und als er sein Taktgefühl am Daktylus aufzeigen soll, beweist er seine Taktlosigkeit (­®¯°±²¬) und erhebt den Mittelfinger. Mit dem Zeigen dieser Geste hat Aristophanes eine unmittelbar verständliche Allegorie für die grobe Haltung geschaffen, die zu allem Nichtfaulen und Anstrengenden sagt: Leckt mich doch alle am Arsch. Strepsiades ist zwar kein plumper Punk, aber ein plumper Bauer (­³±²´µ²¬), der mit der Raffinesse der Städter (¶·°¯¸²¬) nicht mithalten kann, obwohl er eine solche Frau genommen und einen solchen Sohn gezeugt hat. Die Plumpheit seines Kopfes zeigt sich in seiner Dummheit und der Unzugänglichkeit für alle subtilen Lehrinhalte (·µ©¹©º»±®¼°´²½). Außerdem ist er ungebildet (¶®©º¾¬) und damit auch technisch plump. Die Kleinlichkeit seiner Feigheit entspringt der Unfähigkeit, die Masse der unterschiedlichen Gefahren zu strukturieren, und seine Torheiten und Irrsinnigkeiten gehen auf mangelndes Unterscheidungsvermögen zurück. Strepsiades ist eine sprudelnde Quelle für fäkale Vulgaritäten. Er lamentiert über Jugendfürze (I.1), preist die Feinsinnigkeit von Arschtrompeten (I.3), freut sich am Bescheißen (I.3), macht sich vor Angst fast in die Hose (II.1), verwendet Durchfall als erklärende Analogie zur Meteorologie (II.3) und scheißt sich als Fäkalfinale am Ende sich wirklich in die Hosen (V.6). Umgekehrt wirkt seine Frivolität naiv grob und nicht wirklich derb. Gegen Anzüglichkeiten bleibt er fühllos. Wenn er von seinen Geschlechtsteilen spricht, tut er es ganz unbefangen 16 ¿ ÀÁÂÃÄÅÆ ÇÅÈÉÊ ohne Scham, und wenn er selbst anzüglich von seinem eigenem Würstchen spricht, scheint er wirklich das bepellte Nahrungsmittel zu meinen. Als Strepsiades selbst denken soll (III.4), beginnt er sich am eigenen Geschlecht zu fummeln und es bleibt dem Regisseur überlassen, ob er einen frivolen Sackkratzer oder einen obszönen Wichser zeigt. Technisch war schon zu Aristophanes’ Zeiten beides möglich, denn Schauspieler vom Typus des „Alten Bauern“ trugen als Kostüm einen zu kurzen Chiton, unter dessen Saum ein langer Männerpenis erigiert oder schlaff hervorstach. Wie die Rede des stärkeren Logos und der Versuch im Selbstdenken zeigen, unterschied das Altgriechische übrigens peinlich genau zwischen dem Schwanz generell (ËÌÍÎ), dem Jungenschwanz (ËÏÐÑÒ) und dem Männerschwanz (ÓÔÕÖ), bei dem auf einen knüppelharten Schinkenknochen angespielt wird. Bevor diese Vulgaritäten aber noch jemand erröten lassen, möchte ich gleich das Niveau heben und vor einer Grobheit in der Theorie des Humors warnen. Laut Siegmund Freuds Theorie des Witzes5 zeigten sich die Tabus und das Unbewusste, wenn etwas verlacht wird. Auf Fäkal- und Sexualwitze mag das zutreffen und genügen, das Tabu tabulos vorzuführen, immerhin überformen viele Rituale die Scheiße zu einem religiösen Tabu.6 Leider vernachlässigt diese Theorie aber all jene Witze, die verlachen, was nachlässig und fehlerhaft, also schlecht in Form ist. Formschwäche tritt ein, wer sich nicht zurückhalten kann, wenn der Unflat Land gewinnt, und ein Formfehler geschieht, wenn Unflat in Vergleichen auftritt, weil die formlose Masse kein Maß bieten kann und deswegen schlechthin nicht taugt. Nicht als ein technisch plumper Schluss entsteht dabei, der lächerlich wenig deutlich macht, vergleichbar mit den Erklärungen, eine Angelegenheit sei zu komplex und formlos, um sie zu verstehen. Schlechtes Aussehen wird peinlich, wenn es auf Nachlässigkeit beruht und mangelnde Sorge um die Form erkennen lässt. Strepsiades hat ein solch peinliches Aussehen und es wird komisch, weil er albern damit umgeht. Ihn umweht ein Anhauch von guter Landluft und diesen Gestank räumt er freimütig ein, anstatt ihn zu verbergen. Außerdem ist er fett, aber anstatt abzunehmen, verfällt er auf die Albernheit, seiner Frau zu unterstellen, sie webe zu eng, aber das ist bei einem griechischen Kurzmantel (×ØÙÚÛÍÜ) ein Ding der Unmöglichkeit ist (I.1). Als es um seine Kleidung geht (I.2), dichtet Strepsiades sich die alberne Schäferidylle an, er trage beim Ziegenhüten nichts als lederne Haut (ÝÛÞÑÌßà) und stelle so das Mängelwesen Mensch wieder in seiner naturverbundenen Ursprünglichkeit dar. Dieser Edelsinn verkehrt sich in einen abgeschmackten Nudismus, schließlich bedeutet Landleben für Strepsiades vor allem, mit seinem aufgeschwemmten Leib faul herumzuliegen. Von 5 Freud, Siegmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Frankfurt 2009. vgl. Bourke, John Gregory: Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitsrecht der Völker, Leipzig 1913. 6 17 á âãäåæçè éçêëì Armut der Kleidung kann auch keine Rede sein, höchstens von Nachlässigkeit, denn sie ist zu kurz und schnürt den Fetten zu einer Leibswurst. Seine Grobheit unterstreichen eine Regenmütze aus Hundsleder (íîïðñ) und bäuerliche Stiefel (òóôõö). Als Strepsiades in das Phrontisterion aufgenommen werden will, soll er sich völlig entblößen (II.5). Für eine intellektuelle Gymnastik ist das natürlich albern, auch wenn es eine griechische Wahrheit ist, dass Üben dort „nackt machen“ heißt, und eine allgemeine, dass Wahrheit den Unwissenden bloßstellt. Närrisch wird dieser Nudismus, als sich herausstellt, dass die Philosophen diese Entkleidung nicht aus höheren Idealen fordern, sondern um sich selbst einzukleiden und die eigene Blöße zu verdecken. Der Manteldiebstahl entwickelt sich zu einem Running Gag. Die göttlichen Wolken sind dagegen nicht grob, sondern trivial. Das Triviale ist die Masse des Gewöhnlichen, das sich nicht abhebt, weil ihm die Besonderheit fehlt. Sie kündigen sich als Göttinnen an und sind dann doch nichts weiter als gewöhnliche Mädchen (II.2), die sterblich sind (÷ïñøùú ûîïùüíýö), Nasen haben und hübsch sind. In der Pubertät sind Frivolität und Zickereien trivial, weil nichts Besonderes. Diese falsche Höhe hat Erfolg hat, man begegnet ihr mit einer völlig überzogene Ehrfurcht und dadurch wird sie komisch. Strepsiades preist das Geplapper und Gekreische der Teenager (þ÷ðûóù) als erhaben (ÿýóïï) und heilig (7ýö) und lernt von ihnen erfolgreich das Geschwätz. Das Ungefällige im Ordinären ist das Grobe, das Unerhabene das Triviale. TOLL UND ÜBERTRIEBEN Das Heftige (ÿþö) hat die Ordnung durch ein Übermaß gesprengt und gefällt nicht mehr, weil es zu krass ist, um noch schön zu wirken. Ist jemand übermäßig gefällig, wirkt es übertrieben, künstlich und affektiert. Ist das Erhabene zu heftig, scheint es toll zu sein und wirkt verrückt. Somatisch heftig sind alle Wucherungen, Geschwüre und zusätzlichen Körperteile. Der Fette wird durch Vermassung grob, der Riese übertreibt die Größe und das Ungetüm wird hässlich durch eine verquollene Disharmonie. Eine heftige, körperliche Schwellung, die daher schnell komisch wirkt, sind die männliche Erektion und der nicht triviale Megaschwanz. Mentale Übertreibung führen zu Aberwitz und allen Arten der Verstiegenheit, die bizarr und grotesk werden. Verbale Übertreibung ist Schwulst, ethische Übermut. Wo das Kleinliche gemein und das Ordinäre fies ist, wird es im Heftigen brutal. Der Geile hat eine übertriebene Sexualität. Affektiert er seine Lust, verhält er sich lüstern, und lebt er seine Lust, ist er obszön und es beginnt das Pornöse. Das Griechische bezeichnet alle Spielarten undifferenziert als Hybris. 18    Pheidippides ist ein Charakter, der durch Übertreibung hässlich wird. Wer es mit der Raffinesse des Kultivierten überspannt, wird künstlich und affektiert – er wird ein Snob. Durch den übermäßig getriebenen Sport ist Pheidippides aufgepumpt () und so braungebrannt, als sei er im Sonnenstudio eingeschlafen. Natürlich bildet er sich etwas auf seine Bräune ein. Sein Haar wellt sich zu jener Pracht, die allein dem Übermut der Jugend zu tragen erlaubt ist, bevor die Natur den Kopf in die Schranken der Kahlheit verweist. Anstatt zu stinken, wäscht er sich und pflegt er sich, als wolle er das Bad nie mehr verlassen (IV.1). Pheidippides trägt im Gegensatz zu seinem Vater einen Chiton, der bis zu den Knöcheln reicht (-), eine übliche Kluft der Rennfahrer seinerzeit, die aber für das richtige Maß zu lang ist (I.1). Am Ende des Stückes wird er gegen seinen Vater übermütig und brutal, was unanständig ist, weil es gegen die guten Sitten verstößt. Wenn Pheidippides der Hochmut des Körpers ist, so sind die Philosophen der Hochmut des Geistes unter völliger Geringschätzung des Körpers. Wer im Geist hochmütig ist, wird im Körper grob und ähnelt Strepsiades. So treten die Philosophen als blasse, schwächliche, lichtscheue und unsportliche Stubenhocker auf (I.3), die sich ihr Leben lang nicht gewaschen haben und sich noch etwas drauf einbilden. Hochmütige Kleinlichkeit endet in Überfeinerung und so entstehen selbst den Flöhen, als Sokrates sie ins Wachs taucht, nicht bloß Stiefel, sondern persische Pantoffeln () statt roher Wachsmasse. Sokrates’ Aberwitz ist die Übertreibung des Mentalen. Allegorisch hat er sich in einem Korb über der Welt aufgehängt und das Erhabene, Göttliche, Metaphysische ( ! ) vermischt sich bei ihm mit der Trivialität des Wetters ("#). Seine närrisch falsche Vernunft führt ihn mit seinem Hang zur Übertreibung zu einem wirklichen Frevel, wenn er die Existenz von Zeus leugnet. Dieser Frevel wird komisch, weil er etwas ganz Ordinäres als höchsten Gott einsetzt. Der Dinos ist im Griechischen zwar auch die Windhose als ein grobmachendes Wetterphänomen, das alles verwirbelt, aber auch ganz trivial der Weinschlauch, der Gott aller Trinker, wenn sie Dionysos freveln. Auch die Wolken, den Blitz und Donner erklärt er trivial über Luftballons, frivol über weibliche Brüste und technisch platt, indem er Phänomen und Ursache in eins setzt. Der Erfolg gibt ihm recht und deswegen reicht es eben nicht, die Güte von Wissenschaft mit dem Lösen von Problemen zu erklären, wie es die ordinäre amerikanische Philosophie tut. Verbaler Hochmut ist im Geheimen lästern (1+0) und von Angesicht zu Angesicht der Spott (,). Der schon zuvor hochmütige Pheidippides, der über die Philosophen übel gelästert hatte (I.2), lernt bei den Philosophen genau diese Verstiegenheit des Geistes und blickt am Ende des Stückes nicht weniger eingebildet auf seine kindische Jugend ( .#) herab, bevor er sich verbildet hatte (V.5). Auf die Spitze getrieben wird diese Verachtung des 19 $ %&'()*/ 2*345 Körpers und Überschätzung des Geistes schließlich, als Strepsiades das Phrontisterion niederbrennt und die Philosophen nicht einmal in der Lage sind, aus dem Haus zu rennen und ihr eigenes Verderben nur wortreich kommentieren. Die beiden Argumente sind übertrieben körperlos, haben dafür aber auch übertrieben viel darüber zu sagen. Das stärkere Argument plädiert in einem herrlichen Redeschwulst für eine naturbelassene Schönheit (IV.3): Die Jugendlichen rasieren sich nicht die Schamhaare und parfümieren sich nicht. Eine glatte Brust, haarlos und eingeölt (689:;<=), gebräunte Haut (6:>9;<=), breite Schultern, ein muskulöser Hintern sowie eine kleine Zunge und einen kleinen Penis preist das stärkere Argument als schön an, das Gegenteil als hässlich. Diese Rede ist anzüglich ist und bliebe höchstens pikierend, wenn es nur darum ginge, dieses Schönheitsideal zu preisen, das als Twink in der Schwulenszene und als Ephebe in der klassischen Kunst bekannt ist. Nähme man die Rede ernst, wendete sie sich lediglich gegen den Glauben, es gehöre zu den ästhetischen und pornösen Universalien, nur priapusähnliche Gestalten durch Wort und Tat zu verehren – was mir unbekannte ethnologische Studien sicherlich verifizieren. Die Rede bleibt jedoch nicht sachlich, sondern bringt allen verfügbaren Witz und Scharfsinn in Analogien und Metaphern auf, um diese hübschen Knaben dem Hörer in seiner Vorstellungskraft vor Augen zu stellen, wie sie sich eingeölt, nackt, ringend im Sand wälzen. Bei dieser homosexuellen Form des Schlammcatchens wird der Zuschauer genötigt, Spanner vor seinem inneren Auge zu werden. Diese unverschämt lüsterne Schilderung wird den Verschämten zum Kichern reizen, zum Lachen ist aber die Figur des Redners selbst. Er hält sich zugute, ein Plädoyer für Sitten und Anstand zu halten, doch hinter dieser Moralität trägt er offen seine niedrige Absicht zur Schau, durch diese Erziehung sich lediglich williges und ansehnliches Lustmaterial zu züchten. Wir dürfen zwar noch nicht christliche Moralmaßstäbe anlegen, nach denen Sex generell peinlich ist und es das Beste wäre, wenn Jungfrauen Kinder bekämen, aber seine Rede über die Erziehung der Jugend zu einer militärisch gedrillten Züchtigkeit (?@A;B?CDE) steht augenfällig im Kontrast zu Fehlen der eigenen Zucht. Sophrosyne ist jene Vernünftigkeit oder Selbstbeherrschung, die sich selbst steuert und nicht fremdsteuern lässt, das stärkere Argument tritt für eine Sophrosyne ein, die zum Kadavergehorsam erzieht. Wenn der Befehlshaber nicht vernünftig handelt, ist die Wohlordnung von Disziplin und Gehorsam (FGH:IHB=) töricht und lächerlich. Die Lüsternheit des Redners macht alle Selbstbeherrschungsappelle zu einer Doppelmoral und jede Doppelmoral ist ganz und gar bizarr. Der stärkere Logos treibt also die bäuerlichen und traditionellen Werte ins Bizarre. 20 J KLMNOPQ RPSTU Das schwächere Argument greift in seiner Gegenrede (IV.4) Sophrosyne als Argument wieder auf und entkräftet das stärkere Argument nicht mit der Aphrosyne, die aus dem Argument selbst folgt, sondern leugnet den Wert von Selbstbeherrschung generell und plädiert für zügellose Ausschweifung ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Institutionen wie Ehen und dergleichen. Die Umwertung des Wertes ist eine verkehrte Vernunft, die ein gewisses Recht hat, zumindest ist der Grund, nicht auszuschweifen, nur ganz äußerlich die Bestrafung durch die Gesellschaft, wie das schwache Argument relativierend bemerkt. Einem Ehebrecher führte man einen Rettich in den Anus und brannte ihm die Schamhaare aus, doch wer auf glatte Haut und große Dildos steht, kann solchen Strafen Genuss abgewinnen. Der Genuss an der Strafe ist obszön, das Argument selbst grotesk, genauso wie das zweite, nämlich zu behaupten, gegen die These, Warmduscher seien verweichlicht, spräche, dass es Heraklesheiligtümern nur warme Bäder gebe. Das schwache Argument übertreibt mit diesen Grotesken die affektierte Haltung von Pheidippides. Die Groteske erklärt die allgemeine Gültigkeit der sozialen Normen, die beschreiben, was jeweils als peinlich und was als peinigend gilt, für nichtig und spielt nicht nur mit dem Schein des Anständigen wie das Bizarre. Ein verkehrter moralischer Imperativ kann auch den Masochismus mit guter Absicht zum allgemeinen Gesetz erheben und Zweifler auf die Gewöhnungseffekte durch Erziehung verweisen. Das Naturrecht dürfte dem Obszönen einige Freiheit einräumen, schließlich gefährdet Frigidität unsere Art mehr als die Lust am Widerwärtigen. Wenn das Obszöne ins Böse umschlägt, kommt eine Vergewaltigung heraus, die nicht mehr für komödiantische Witze taugt. Das Schwierigste der Komödie ist die Tollheit, die sich dem Erhabenen entgegensetzt, so wie sich die Übertreibung dem Gefälligen entgegensetzt. Emotionale Tollheit ist Zorn, jene Empörung, wenn der eigene Stolz verletzt wurde. Ethisch endet der Zorn in Raserei. Der tolle Schluss der Wolken müsste eigentlich als böse wahrgenommen werden, denn wir sehen Leid in Szene gesetzt. Die bizarren Prügelstrafen für Amynias und Strepsiades mögen noch unter ein kleinliches Pathos des Zorns fallen, aber die Schadenfreude, die wir am Verbrennen der Philosophen empfinden, muss den Vernünftigen zumindest irritieren. Das Tolle scheint eine schlechte Verrücktheit zu sein. Das eigentlich durch eine verkehrte Vernunft schon längst aus der Form Gebrachte wird aus dieser Unförmigkeit gebracht, indem es durch Taten, die eigentlich selbst aus der Form bringen, in eine Ordnung höherer Art gebracht wird. Es siegt Törichte und Närrische. Wir lachen, weil einfach alles verkehrt ist – und das ist peinlich und lächerlich. 21 V WXYZ[\] ^\_`a Welche komischen Techniken verwenden die Wolken? Schwachköpfigkeit und Hässlichkeit sind allgemeine menschliche Schwächen, die bei jedem möglichen Inhalt lächerlich sein können. Daneben gibt es noch Witzpotential, wenn jemand eine Kunstfertigkeit mangelhaft ausführt. Auch die Wolken machen Gebrauch von diesen Ungeschicklichkeiten. Wer sich ungeschickt verhält, ist technisch peinlich (bcdefgh). Hat er einfach noch nichts gelernt, ist er ungebildet (ijklmh) und ignorant, hat er schon etwas gelernt und kommt nicht damit zurecht, weiß es nur linkisch und unbeholfen (nokpqh), das heißt, er weiß seine Sachen nur linkisch und nicht auf die rechte Weise (rdspth) einzusetzen, sei es aus Kleinlichkeit (roh), Plumpheit (platt) oder Übertreibung (künstlich), sei es aus der Vielfalt an intellektuellen Schwächen. So ist Strepsiades zum Beispiel zu blöd für die wenig anspruchsvolle Kunstfertigkeit des Grillens und hat sich dabei so ungeschickt angestellt, dass ihm eine platzende Wurst das Gesicht verbrannt hat (II.3). Wenn jemand gar nichts hinbekommt, ist er ein Barbar (uvwukwgh), wenn er das höchste Niveau ausbildet, wird er ein Meister (ngxqh). Die ganze Komödie erzählt die Geschichte einer verfehlten Meisterschaft als negativem Bildungsroman. Strepsiades verbildet und verformt sich, seine Schlechtigkeit mehrt sich, verschafft ihm aber trotzdem Erfolg. KOMISCHE MECHANIK Die Handlungsebene haben wir genügend besprochen, es gibt aber auch witzige Inszenierungstechniken und die sollen hier ihren Platz finden. Wer komisch inszeniert, setzt auf eine komische Wiederholung, eine Parodie oder eine Burleske. Eine Parodie ist eine gefällige technische Peinlichkeit, die zum Lachen reizt, eine Burleske die erhabene Form. Henri Bergson hat eine beachtenswerte Formel für das Komische gefunden: Ein Mechanismus überdeckt das Lebendige.7 Unter Mechanismus versteht er eine unnatürliche Verzerrung des Gesichts zu einer Grimasse oder das blinde Wirken eines Automatismus, wenn jemand von seinen Leidenschaften geritten wird. Jede Art von Zeremoniell wird ein solcher Mechanismus, der lächerlich wirkt, wenn seine Bedeutung abgestorben ist. So apart die Beschreibung auf den ersten Blick wirkt, so schwierig wird sie bei genauerer Betrachtung, denn schließlich ist auch das Umgekehrte witzig, wenn das Lebendige das Mechanische überdeckt und parodiert. Bloße Künstlichkeit reicht nicht aus, um komisch zu sein. Wie Brecht im letzten Jahrhundert gezeigt hat, können auch Charaktere, die ganz unlebendig wirken, ernste und tragische Stoffe darstellen.8 In Bergsons Theorie über das Komische herrscht noch der auch sonst verbreitete Irrglaube, komische Charaktere müssten sich wie Automaten verhalten, gehorchten ihren 7 8 vgl. Bergson, Henri: Das Lachen. Essay über die Bedeutung des Komischen, Zürich 2000. Brecht, Bert: Schriften zum Theater. Über eine nicht-aristotelische Dramatik, Frankfurt 1961. 22 y z{|}~€ ‚ƒ„ Leidenschaften und Gewohnheiten blind und seien zu echtem Handeln unfähig. Schaut man sich die Wolken an, sind die Charaktere nicht mehr oder weniger kohärent und berechenbar, als es tragische Charaktere sind. Auch der Schlechte kann frei handeln. Wer glaubt, solche Menschen gäbe es nicht, verrät Verbildung und die Komik liegt gerade in der Freiheit der Handlungen und Haltungen, die zum Erfolg führen, obwohl die Mittel dazu eigentlich zu fehlen scheinen. Komische Technik verwendet aber – hier hat Bergson Recht – mechanische Verfahren und führt mechanisches Handeln vor, das frei ist. Die erste Technik ist die Inversion, einmal als Usurpation, wenn das Niedrige eine höhere Form erlangt, als ihm zukommt, und einmal als Degradierung, wenn das Höhere eine niedrigere Form erlangt, als ihm zukommt. Die Göttinnen der Wolken haben sich nach eigener Willensentscheidung zu Mädchen degradiert und sie verschwenden ihre Kraft an Strepsiades und den Kritikern, obwohl sie ganze Landstriche zugrunde richten könnten. Komik funktioniert bei einer Usurpation nur, wenn das Objekt der Handlung der ersten, kleineren Form entspricht, sonst entsteht eher ein tragischer Stoff, etwa, wenn Malermeister Weltenherrscher werden und sich in der Tragweite ihres Könnens versteigen. Das zweite mechanische Verfahren ist die Wiederholung des Schlechten. In der einfachsten Form iteriert der Running Gag einen Witz mehrmals und sorgt aus dieser Wiedererkennung für einen Zusatz an Komik. Der Tick ist ein Automatismus, der an sich nicht witzig ist, aber es werden kann, wenn er in der richtigen Situation zu falschem, aber passenden Verhalten führt, etwa der ständige Kniefall des Strepsiades. Komplexere Formen können wir in den Wolken bei der Struktur der Figuren beobachten. Die Figuren treten paarweise auf und alle Paare haben untereinander wieder die gleichen Schwächen und zeigen immer wieder das gleiche Verhalten. Die beiden Gläubiger sind in ihrem hässlichen Aussehen und ihren hässlichen Haltungen Zwillinge zu Strepsiades und Pheidippides. (V.3,4). Pasias ist fett und stinkt, deswegen streichelt Strepsiades ihm seinen Bauch und will ihn ordentlich reinigen. Amynias ist schlecht hochmütig und ungeschickt sportlich, weil er gerade einen Wagenunfall hatte, als er bei Strepsiades ankommt. Beide Gläubiger sind in der Technik des Geldeintreibens plump und ungeschickt. Sich reflektierende Pärchen sich an sich noch nicht komisch – man denke hier nur Dynastien der russischen Romane, aber wirkliche Doppelgänger im Schlechten sind unheimlich. Auch die Sokratischen Lehrinhalte wiederholen sich mehrmals mechanisch und die Geschichten mit dem Dinos, dem Trog oder der Henne führen bei unterschiedlichen Personen jedes Mal zum gleichen Ergebnis. Die Vernunft rät uns zu glauben, dass etwas, wenn es schlecht gemacht ist, nur hier und da wirke, 23 †‡ˆ‰Š‹Œ ‹Ž es aber nicht in jedem Kontext wirken dürfe, sonst wäre es ja gut. Wenn das Schlechte genauso gut wirkt, gäbe es keinen Grund, warum jemand danach streben sollte, sich in Form zu bringen. Diese mechanischen Wiederholungsreihen sind übrigens ein gutes Argument gegen das Unbewusste bei Freud, das höchstens die Pointe damit erklären kann, dass ein Unbewusstes ins Bewusstsein tritt. Der Spaß besteht aber schon in der Wiederholung des Verkehrten. Ein weiteres Verfahren der Komödie sind Hetz- und Verfolgungsjagden. In tragischen Geschichten bauen sie Spannung auf und drohen dem Verfolgten mit wirklichem Leiden. Komödien betonen die Mechanik des Weglaufens selbst – hierzu denke man an die klappenden Türen der Boulevardkomödien – und machen damit das Weglaufen selbst zu einer Farce. Bei komischen Hetzjagden steht die Schadenfreude am mechanischen Durchprügeln im Mittelpunkt, die Lust am Derben. Aristophanes verwendet die Hetzjagd, als Strepsiades Amynias vertreibt, und verkehrt gleich darauf die Prügelrollen und lässt Pheidippides seinen Vater jagen (V.4,5). PARODIEN AUF DIE SOKRATISCHEN LEHREN Parodien gibt es in formaler und inhaltlicher Hinsicht. Formal karikiert die Tragödie karikiert, hebt ihre Künstlichkeit hervor und betont das Ordinäre. Sokrates inkarniert einen abgeschlafften deus ex machina, der am Kran hängend, auf seiner Hängematte liegend, auf die Szene geschwungen wird und viel zu früh auftritt, um der Handlung eine Wendung zu geben. Den Einzug des Chores hat Aristophanes verbal mit falscher Erhabenheit in die Länge gezogen und degradiert ihn zu dem trivialen Faktum, dass ein paar Mädchen gerade durch den Seiteneingang die Bühne betreten. Der Auftritt der Argumente als pure Argumente entlarvt, dass Theater nicht einmal körperliche Figuren braucht, sondern jede Figur nur dazu da ist, eine bestimmte Haltung ihm in den Mund zu legen. Sicherlich können diese Karikaturen noch kleinlich bis ins Versmaß verfolgt werden, aber das hilft zum Gesamtverständnis wenig. Insgesamt sind geschickt gesetzte Verfremdungseffekte des Bekannten. Inhaltlich parodiert Aristophanes die sokratische Lehre mit ihren philosophischen Methoden, wie sie in den platonischen Dialogen widergespiegelt ist. Platon war, folgt man der klassischen Chronologie, erst fünf Jahre alt, als die Wolken aufgeführt wurden . Nach allem, was wir historisch zu wissen glauben, die Dialoge in der Form, wie wir sie kennen, erst nach den Wolken entstanden sind. Sokrates sprach, nachzulesen in Platons Apologie, von einem dämonartigen Wesen (daimonion), das ihm eigen sei und dem allein er zu Gehorsam verpflichtet war. Wer sich im 24 ‘ ’“”•–—˜ ™—š›œ Besitz der Wahrheit glaubt, ist zu einem bestimmten Grad besessen und richtet alle seine Handlungen nach dieser inneren Stimme aus, selbst wenn die Gesellschaft es als Irrwitz abstempelt. Bloß den Wind und die Regenwolken für seinen Dämon zu halten, verwandelt einen Menschen allerdings in einen Wetterhahn, der seinen Schnabel immer in den Wind dreht oder gleich zuhause bleibt und sich mit allerlei törichten Dingen beschäftigt wie Fußball oder Flohfußpantoffeln. Dass ein schlechter persönlicher Dämon auch einen Intellektuellen aus der Form bringt, ist eine Wahrheit, die diese Komödie parodistisch ausspricht. Der falsche Dämon im Göttlichen wird tragisch zu Fanatismus. Sokrates begründete außerdem die Dialektik als Technik des sachlichen Gesprächs, bei dem ein Fragensteller einen Antwortenden in einen inneren Widerspruch verwickeln oder zu einer Selbsterkenntnis soll. Berühmt geworden für den Satz „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, übernahm Sokrates in den überlieferten Dialogen die Rolle des Fragenden und erforschte die Kenntnisse der Gesprächspartner, was er Maieutik nannte, die „Hebammenkunst“, weil er Gedanken zur Geburt verhalf. Viele der Lehrgespräche in den Wolken verlaufen nach diesem Muster, sind aber schlecht gemacht. Die Verteilung der Gesprächsrollen geschieht ganz plump mit einem Befehl: „Jetzt antwortest du und ich frage“ (II.2) und ansonsten bringt Sokrates nur viel Fachvokabular an, das seinen Aberwitz oder seinen fehlenden Argumenten den Schein von Wissen geben soll. Drittens gab es bei Sokrates eine Lehre von der Richtigkeit der Namen (žŸ ¡), die heute im Kratylos niedergeschrieben ist. Es gebe, so die These, von Natur aus (¢£¤¥¦) richtige Namen für die Dinge und der richtige Name sei keine Sache von Brauch und Gewohnheit (§¨¥¦). Die moderne Sprachwissenschaft verlacht diese Theorie, weil Sprache heute als eines der Sozialprodukte schlechthin gilt, deren konkreter Lautbestand auf Zufall und deren Regeln auf sozialer Übereinkunft beruhen, die keinen Brauchbegründer kennen. Sokrates’ Lehre wird erst dann sinnvoll, wenn man versteht, dass es um die Richtigkeit geht, mit der Namen vergeben werden, also letztlich darum, wie ich was benenne. Einer Benennung kommt dann eine gewisse natürliche Richtigkeit zu, wenn sie treffend und selbsterklärend ist. Paradebeispiel sind schon im Kratylos die sprechenden Namen, doch in den Händen von Strepsiades und seiner Frau gerät der Name ihres Sohnes zum Kompromiss zwischen Geiz und Luxus. Eine treffende Onomastik bereitet, wie Sie oben gesehen haben, schon einige Mühe, sorgt in den Händen der Richtigen für ein verbessertes Sprechen, kann Unterschiede besser benennen und bringt den groben, schwammigen Wörterbrei der Alltagssprache in eine deutliche Form. Peinlich wird die Technik erst, wenn sie sich wirklich bemüht, Benennungen von Natur aus 25 © ª«¬­®¯° ±¯²³´ zu finden, wie „die Huhn“ oder eben das berüchtigte „Innen“, das zu allerhand künstlicher Sprachverrenkung Anlass gibt. Kleinlichkeit ist der größte Feind der Deutlichkeit. Der vierte Bereich der sokratischen Lehre, den die Wolken direkt aufs Korn nehmen, wird im Dialog Charmides beschrieben. Sokrates kommt dort mit Chairephon zusammen und unterhält sich mit dem hübschen und charmanten Jüngling Charmides und dem kritischen Kritias über das, was Sophrosyne ist. Nacheinander handeln sie Bedächtigkeit, Besonnenheit und Schamhaftigkeit ab, dann auch Modelle wie „das Seine tun“ oder „Selbstkenntnis haben“, aber alle Definitionen scheitern, weil Sophrosyne so etwas zu heißen scheint wie Selbstsicherheit im Vollzug von Techniken. Sokrates apostrophiert diesen Zustand als Kopfgesundheit. Aristophanes parodiert die Kopfgesundheit mit der einfachen Frage, was passiert, wenn verkehrte Köpfe sich selbst erkennen, wie es bei Strepsiades geschieht. Das Ergebnis ist klar: Erkennen die Irren, dass sie irre sind, und werden sie sich ihres Irrtums sicher, dann werden sie toll, nicht klug. Hier schlägt die Parodie in eine Burleske um. KOMISCHE SPRACHE Komische Sprache ist skurril oder witzig. Eine unlogische oder verfehlte Rede mit einer gewissen Länge wirkt skurril und kann ungemein amüsant sein wie all die verwinkelten Sprachzüge im Don Quichotte. Wer aber auf Witz aus ist, halte sich kurz und suche die Pointe, die einen Fehler auf den Punkt bringt. Die Pointe braucht schneidige Kürze. Nicht knapp ist Komik, sie geizt mit Worten. Der Witz ist spitz. Skurrilität entsteht übrigens auch durch Verfehlungen in Lauten, Mimik und Gestik, die Aristophanes auch verwendet, etwa, wenn die Philosophen ihre Ärsche in die Luft strecken oder Strepsiades Furzgeräusche nachahmt. Wer sich außerdem die antiken Masken und Kostüme anschaut, wird schnell erkennen, wie viel Skurrilität jeder Charakter hatte, sobald er auftrat, allein durch seine Körperlichkeit: Dickbäuche, freischwebende Geschlechtsteile und zu Grimassen verzerrte Gesichter machten die komische Grundoptik der antiken Komödie aus. Die Techniken des komischen Sprechens im engeren Sinne unterteilen sich in dialektische und rhetorische Witztechniken. Ich werde die Witze anhand der deutschen Übersetzung erläutern, damit sie einfacher nachzuvollziehen sind. SPRACHWITZE Witze entstehen, auch im Deutschen, durch Paralogismen und Sophismen. Logisch gesehen geht es schlicht um Fehlurteile. Es gibt sechs Möglichkeiten, mit Sprache ein Fehlurteil zu 26 µ ¶·¸¹º»¼ ½»¾¿À konstruieren: Doppeldeutigkeit, Amphibolie, Hinzufügung, Untergliederung, Prosodie und die Ausdrucksweise selbst. Außersprachliche, logische Paralogismen entstehen durch: Akzidenz, einfach/relativ, Unkenntnis der Widerlegung, Petitio Principii, Konsequenzenmacherei, Ungründe, mehrere Fragen zu einer machen.9 Gut geführte Gespräche dienen eigentlich dazu, Doppeldeutigkeiten aufzulösen und das mehr oder minder Eindeutige herauszufiltern. Um komisch zu werden, nehme man einen doppeldeutigen Begriff und lasse ihn falsch vereindeutigen, ohne den Fehler aber zu korrigieren. Wenn Doppeldeutigkeiten stehen bleiben, sind jene Ambivalenzen witzig, die auf das natürlich Komische, Lüsterne oder Skatologische anspielen. Der übersetzende Witzemacher muss Fingerspitzengefühl beweisen, Doppeldeutigkeiten geschickt zu bauen: Wenn es etwa heißt, die Schüler des Phrontisterions suchten Á ÃÄÁ ÅÆÇ, kann man natürlich hinschreiben, sie suchten „etwas unter der Erde“ oder „Unterirdisches“, aber die Antwort „Zwiebeln“ klänge dann arg gewollt (I.3). Geschickter ist, von der Erde selbst zu abstrahieren: „etwas unter der Oberfläche“, weil mit diesem doppeldeutigen Ausdruck im Deutschen die Tiefe der Gedanken mit gemeint ist, die durch die Antwort konterkariert wird. Der Witz durch Amphibolie ist eine Doppeldeutigkeit, die syntaktisch entsteht, etwa: „Mach hier keine – und auch keine Witze über Bodensätze“ (296: ÈÉ ÊË ÌÃÍÎÏÐ ÊÑÒÓ ÔÈÐÕÌÏÐÇ ÖÔÏ× ÈØ Á×ÙÅÈÒÄÚÊÈÛÏÇ ÈÜÁÈÐ). Die Negation bekommt einen doppelten Bezug. Á×ÝÞ ist der Most oder die Maische, und wer vom Most besessen ist, hat ihn in der Hose. Im Griechischen läuft der Witz über die Doppeldeutigkeit der Poetik. Die Stelle mit „setz die Sätze ausgesucht“ fortzuführen, ist ein Witz durch Hinzufügung. Der Satz ist bis auf den alliterativen Schmuck nicht weiter auffällig, aber durch den Zusammenhang kann das Wort „Satz“ hier auch als Bodensatz verstanden werden. Das Eindeutige verkehrt sich ins Mehrdeutige. Witz durch Untergliederung entsteht, wenn Strepsiades behauptet, er habe zwei Gedächtnisse, eines zum Vergessen der eigenen Schulden und eines zum Behalten der eigenen Forderungen. Das Erfragte selbst wird mehrdeutig durch diese kleinliche Dihärese, die mit der Behauptung zusammenfällt, man könne nicht einfach so von Gedächtnis sprechen, sondern müsse die Sache differenzierter sehen. Außersprachlich besehen ist es ein Trugschluss über das Relative: Während das Gedächtnis von einer einfache Sache, die der Schulden, einfach sein sollte. macht er es zu einem Relativum, bedingt durch die eigene Vorteilsnahme. Witz über Prosodie entsteht durch eine Akzentverlagerung oder durch falsche Vokallängen. Im Deutschen mit dem festen Akzent auf der Stammsilbe ist das schwer nachzubilden. Das Sokra-Tittchen war die einzige Möglichkeit, einem grammatisch möglichen Diminutiv von 9 Zum Folgenden: Aristoteles: Topik, Buch IX, übers. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1997. Schopenhauer, Arthur: Die Kunst, Recht zu behalten, hrsg. v. Franco Volpi, Frankfurt 1995. 27 ß àáâãäåæ çåèéê Sokrates durch eine starke Betonung noch eine Nebenbedeutung abzugewinnen. Meister dieser Witz-Art sind die Eilmeldungen des Postillon, etwa: „War adressiert: Und b) kannte der Hund die Briefanschrift ohnehin“. Witze über die Ausdrucksweise entstehen, wenn Feminina auch Maskulina bezeichnen, etwa Hühner für Hahn und Henne (III.3). Komisch wird es, wenn daraus neue, aber falsche Formen folgen (die Huhn) oder aus der vermeintlichen Korrektur ein Wort herauskommt, das etwas ganz anderes bezeichnet: von Trog zu Droge mit der süddeutschen d/t-Schwäche. Der Übersetzer oder die Übersetzerin hat hier die Witzart zu erkennen und nachzubilden, obgleich im Original natürlich von Drogen nicht die Rede ist. AUßERSPRACHLICHE WITZE Neben diesen sprachlich bedingten Paralogismen gibt es noch außersprachliche. Witze über Akzidenzien schließen von Nebensachen auf eine falsche Hauptsache. Als Strepsiades sich einen Kranz aufsetzen und die Wolken angerufen werden sollen (I.4), schließt er messerscharf: Alle Opfertiere tragen Kränze – ich trage einen Kranz – ich bin ein Opfertier. Ein Witz über das Einfache und Unbedingte im Gegensatz zum Relativen ist der Witz über das doppelte Gedächtnis, wie bereits besprochen. Witze über die Unkenntnis der Widerlegung gibt es in dem ganzen Stück zuhauf, hier hilft die Dummheit der Figuren ungemein, um einfach behaupten zu können „so ist es“ (ëìíî ïðñíò ðóïôõ ö÷ðø, IV.1). Auf diese Art lehrt Strepsiades seinem Sohn die neue Theologie des Windbeutels mit nichts weiter als einem apodiktischen Statement. Je größer die Frage ist – hier betrifft sie das Weltbild selbst – desto lächerlicher ist eine solche Nichtbegründung, wenn sie einfach akzeptiert wird und Erfolg hat. Ein Witz über eine Petitio Principii setzt das, was zu beweisen war, als schon bewiesen voraus. So behauptet Sokrates einfach, ein Trog sei weiblich (ùúûüðýðø, III.3), und begründet es nicht weiter. Selbst, als Strepsiades nachfragt, wiegelt er nur ab und behauptet, er sei es zumindest vorwiegend weiblich (þúÿîìïú), was eine gute sophistische Scheinrelativierung ist, bei der man seinen Standpunkt nicht verlassen braucht. Anschließend lässt sich der einfache Geist von Strepsiades ablenken, bis das Gespräch analogisch auf Amynias kommt, dessen Kriegsdienstverweigerung für Strepsiades emblematisch für dessen Verweiblichung steht. Hier muss der Übersetzer ein wenig nachhelfen, um eine ähnlich „vorwiegend männliche“ Assoziation zu schaffen – und das ist bei uns die Tunte. Trotz der falschen Analogien bleibt aber die schlechte Petitio Principii einfach stehen und Strepsiades iteriert sie sogar gegen Pasias erfolgreich (V.4). 28    Witze über Konsequenzenmacherei entstehen, wenn aus der gleichen Folge geschlossen wird, etwas sei auch das Gleiche. Die Wetterlektionen schlussfolgern nach diesem Schema (II.3): Regen produziert Wasserfäden, durch ein Sieb pinkeln produziert Wasserfäden, also macht Zeus Regen, indem er durch ein Sieb pinkelt. Oder: Alle schweren, mit Wasser gefüllten Behältnisse dröhnen, wenn sie aneinanderschlagen, Brüste sind mit Flüssigkeit gefüllte Behältnisse, also dröhnen auch sie, und weil Dröhnen eine Folge des Donners ist, kommt das Dröhnen von den Brüsten der Wolkenmädchen, wenn sie gegeneinanderhüpfen. Witze über Ungründe gibt es bei dieser Meteorologie ebenfalls zuhauf. Als Strepsiades fragt, wer der Grund für den Regen ist, im Sinn des effektiven Grunds, nennt Sokrates die Wolken, die nur ein materialer Grund sind, nach dem beliebten Sophismus: Überall, wo es regnet, gibt es Wolken, deswegen sind die Wolken die Ursache für den Regen – anstatt die Bedingung. Witze, die aus zwei Fragestellungen eine machen, gibt es, wenn ich recht sehe, keine. Das witzige Verfahren funktioniert umgekehrt und macht aus einer Fragestellung mehrere. Sokrates und Strepsiades erklären sich den Donner doppelt, zunächst über weibliche Brüste und Trommeln, dann über Blähungen, und auch den Blitz erst über Schwurbrecher und dann über platzende Würstchen. Die Technik ist hier eine Iteration des Unsinns nach dem Prinzip: Schlechter geht immer. WITZIGE RHETORIK Die rhetorischen Techniken der Komik können hier nicht in Gänze besprochen werden, wohl aber die wichtigsten. Sie gehen entweder auf die Person des Sprechenden selbst oder seine Äußerungen.10 Die Person des Sprechers gewinnt für gewöhnlich eine gewisse Glaubwürdigkeit allein durch die Art, wie er auftritt. Der Mensch sollte möglichst gut und seriös wirken, während es in der Komödie genau um das Umgekehrte geht, möglichst unseriöse Eindrücke zu erzeugen. Hierzu gehören die Gefühle, die eine Person zeigt, aber auch jene ethisch-natürlichen Peinlichkeiten, die schon Thema waren. Wer in Zorn gerät, ist eben nicht glaubwürdig, deswegen ist der Auftritt der leibhaftigen Logoi so amüsant (IV.3). Die Meisterinhalte des Phrontisterions erscheinen als unseriös und zänkisch. Zusätzlich komisch ist ihr bereitwilliges Gehorchen auf den Befehl des Mädchenchors. Hier entsteht Witz aus dem Alter des Redners in Gestalt der Wolkenmädchen. Bestimmten Altersstufen gestehen wir bestimmte Glaubwürdigkeit im Bezug auf ihr Alter zu und so erscheint es ganz unwahrscheinlich, dass ausgerechnet pubertäre Mädchen die unkindischsten und souveränsten Figuren sein sollen. Kindisch 10 Zum Folgenden: Aristoteles, Rhetorik, Buch II. 29   (.) zu sein hält Strepsiades seinem Sohn auch regelmäßig vor, der umgekehrte Vorwurf ist Senilität (* , !"#$%&), die Kindlichkeit des Greisen, die auch jedem vorgeworfen wird, der noch auf dem alten Standpunkt steht, es gebe noch Zeus. Dass nun ausgerechnet Pheidippides kindlich sein solle, verkehrt wieder den Tatbestand, denn eigentlich steht er in der Akme seiner Mannbarkeit, hat aber, wie es sich für eine Komödie gehört, den Zustand der Reife verfehlt und hängt lieber törichten Leidenschaften an, die auf Pferde und nicht auf Tore zielen. Witze aus dem Schicksal des Redners entstehen über die glückshaften Zuteilungen wie Geburt, Reichtum und dem jeweiligen Können. Die Jammerorgien von Strepsiades gehören in diese Kategorie, der sich selbst als der reinste Versager darstellt, am Ende aber – wenn auch verkehrterweise – Erfolg hat. Die Unterschlagung macht seinen Reichtum verkehrt und sein Sohn Pheidippides hat sogar ein verkehrtes Verhältnis zum verkehrten Reichtum, die PrassSucht. Dessen glückliche Geburt von einer raffinierten Städterin bringt ihm selbst wenig, weil ihm der echte Reichtum fehlt. Stattdessen jammert Strepsiades herrlich darüber und beehrt seinen Sohn mit seinem gesamten Ressentiment. Witzige Vergleiche und Muster gibt es in den Wolken zuhauf, etwa die Analogie zwischen dem Donnern des Dinos und dem Furzen des Strepsiades. Vergleiche werden schlecht und lächerlich, wie auch die Gedanken einer Argumentation schwach und lächerlich werden, wenn sie weit hergeholt sind. Und sicherlich kann niemand sich weiter hergeholte Argumente denken als Strepsiades’ Idee, den Mond mit einer Hexe vom Himmel zu holen, bloß um seine Schulden nicht zahlen zu müssen (III.5). Gesteigert wird die Komik des Arguments durch die Reaktion. Dem Aberwitz von Sokrates ist dieser Unsinn gerade recht und er lobt Strepsiades sogar solange, bis er auf den Selbstmord zu sprechen kommt. Schlechte Argumente entstehen auch durch eine übermäßige Länge des Gesagten, das Schwulst und Geschwätzigkeit produziert, musterhaft ausgeführt in der Rede Strepsiades’, als er gerade zum Sophisten mutiert und nichts weiter zu sagen hat, als dass er jetzt reden kann (II.4). Das Umgekehrte ist ein Übermaß an Kürze, das sich in einer Sentenz kristallisiert. Diese Produktes des Witzes sind spitze Formulierungen und gehören zum rhetorischen Basisrepertoire der Komödie. Solche Sentenzen münden, wenn sie lächerlich werden, mechanisch wiederholt, in Sprücheklopferei und Phrasendrescherei ($&'($%&). Zu den spezifisch rhetorischen Beweistechniken, die nicht dialektisch sind, gehört die Verstärkung oder Übertreibung ()+,&-). Sie ist eine der wichtigsten Techniken des Komischen, wenn sie stark macht, was eigentlich geschwächt werden müsste. Als Beispiel lese man die Wolken. 30 / 0123456 7589: 4. Warum Lachen befreit Das Rezept für Komik ist also zunächst: Mache Dinge falsch, aber sei nicht böse dabei und produziere kein Leiden. Der bloße Fehler reicht allerdings nicht, dazu wird in der Welt zu viele Dinge falsch gemacht, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Gewisse Fehler wie ein Stolpern oder ein steifes Staksen provozieren spontane Lacher, doch ist eine solche Komik in ihrem Erfolg wage, weil sie vom Mitleid bedroht wird. Erst, wenn das Schlechte aber Grund wird für den Erfolg, verkehrt sich die Ordnung der Vernunft zu einem närrischen Spaß und reizt zum Gelächter. Wie es Hegel bereits gesehen hat, verhandeln Komödien Fragen von Macht und Können. Er hielt es für komisch, dass sich das Subjekt zum „Meister aller Verhältnisse und Zwecke“ macht,11 aber totalitäre Tyrannen tun das auch und gelten als böse. Wer in Komödien Meister wird, ist das Unkönnen, das an sich ohnmächtig sein müsste, weil es schlecht ist. Viele hielten die Figuren der Komödie für unfrei, dabei handeln sie in der größtmöglichen Freiheit, zu der sie ihr Können ermächtigen kann. Man sagt, lachen befreit. Von wem? Vom Zwang, gut zu sein. Eine Komödie feiert die Macht des Verkehrten und die Freiheit, schlecht zu sein. Nur der ist frei, der faul sein kann. 11 Hegel, G. W. F.: Ästhetik III. Die Poesie, Stuttgart 1971, S. 306. 31