Analyse des Dramas Papinian von Andreas Gryphius
Lu Jiang, Universität
Dieser Artikel ist die unveränderte Fassung einer Hauptseminararbeit, die während meines
Magisterstudiums entstanden ist.
I Begründung des Vorgehensverfahrens in der vorliegenden Arbeit
1. Die Tragödie des Barock und die Rolle der Rhetorik
Nach Schings1 gehorchen die Barockdramendichter formal der Katharsislehre des Aristoteles,
verstehen und realisieren sie aber in einem ganz anderen Sinn. Während bei Aristoteles die
Katharsis den Kunstgenuß durch unschädliche Befriedigung der Affekte bedeutet, was durch die
Darstellung der conditio humana, d.h. des Falles eines fehlerhaften Helden, realisiert wird 2,
verstehen die Barockdichter, insbesondere Gryphius und die Jesuiten, die Katharsis als eine
didaktische Wirkung der (christliche) Tugendlehre auf das Publikum, die durch die
gegensätzliche Darstellung von Tugend und Laster, die Darstellung von der vanitas mundi, und
schließlich von der Bewährung der Tugend realisiert wird. Hinsichtlich dieser Zielsetzung von
persuasio stimmt die Barocktragödie mit der Rede überein. Die Erregung der Affekte wird nicht
mehr als das Zweck der dramatischen Darstellung angesehen, sondern als Mittel zum Zweck
dieser didaktischen Wirkung, somit nimmt sie nach der rhetorischen Regeln die Funktion movere
an.
Die Barockdichtung zeigt eine starke Tendenz der Rhetorisierung. Die Autoren sind zum
Großenteil Gelehrten und rhetorisch geschult, da die Rhetorik als Teil der Trivium an den
Schulen gelehrt wird. In den protestantischen Gelehrtenschulen zum Beispiel ist das Lehrziel die
perfekte
rhetorische
Sprachbeherrschung3.
Anderseits
1
wirken
die
Einflüsse
der
Vgl. Schings 1980: S.19 –55.
Vgl. Fuhrmann, Manfred: Nachwort zur Poetik des Aristoteles. .Stuttgart: Reclam. 1994. S.161
– 166.
3
Vgl. Brenner 1985 :S.56.
2
1
Humanistenpoesie, welche ihrerseits auf der rhetorischen Basis aufgebaut ist, auf die
Barockpoesie weiter. Die Humanisten rückt nämlich mit der Wiederentdeckung Ciceros und
Quintilians, die im Gegensatz zu Platon die Redekunst aufwerten und die Rede nicht nur als ein
Produkt nach Regeln einer bestimmten Technik, sondern auch als Ausdruck des Gedankens und
somit der geistigen, sittlichen Verfassung des Redenden betrachten, die Rhetorik ins Zentrum. Zu
betonen ist, daß die Barockdichtung zwar in der sprachlichen Gestaltung die Antikenautoren als
Vorbilder heranziehen, aber sie in ihrem Gedanken nicht verstehen. Während in der Antike die
Rhetorik die Redekunst darstellte und deswegen bloß für Prosa verwendet wird, aber die Poesie
eigenen Regeln gehorcht, wird die Rhetorik im Barock auch zum Dienst der Dichtkunst
herangezogen. Die Poesie wird da als gebundene Rede verstanden, die mehr Ansprüche an einer
kunstvoll gestalten sprachlichen Realisierung heben. Der Aufbau und der Stil der poetischen
Werke sollen den rhetorischen Regeln gehorchen. Weil die Dichtung das Ziel persuasio hat, muß
sie strukturell argumentativ aufgebaut werden. Weil aber für den Inhalt ihrer Werke die
mittelalterliche Tradition eine große Rolle spielt und die christliche Religion bei ihnen eine
wichtige Sinngeberin bleibt, wird die Sinnfrage eindeutig beantwortet, d.h. es gibt keinen
Wertkonflikt. All die menschlichen Erkenntnisse, sei es im Bereich der Natur oder der
menschlichen Geschichte, werden auch im Humanismus und Barock als Offenbarung der
göttlichen Ordnung betrachtet. Paradoxerweise gilt dieselbe aber als das, wovon die Dichter ihr
Publikum überzeugen wollen. Das bedeutet also, daß es den Barockdichtern weniger daran liegt,
ein Problem aufzuwerfen, und dann aufgrund des Verfahrens des Syllogismus eine passende
Lösung dazu herauszufinden, als daran, ein Exemplum für diese Ordnung zu finden, welches als
induktives Argument dazu dient, was dem Exemplum selber Sinn verleiht. Das ganze Argument
scheint ein Zirkel zu sein. Das bedeutet also, das gezielte Publikum soll bereits damit vertraut
sein, was der Dichter ihnen zu beweisen versucht. Das Werk hat das Ziel, daß das Publikum die
zu vermittelnden Werte noch genauer als zuvor kennt. So ähnelt im Ganzen ein solches Werk
nach der Einteilung des Aristoteles ungefähr der epideiktischen Gattung 4 der Parteirede. In einem
Drama können jedoch die anderen zwei Gattungen in den Szenen vorkommen. In der
epideiktischen Gattung dient die Amplikation als die Hauptmethode der Glaubhaftmachung 5 ,
deshalb wird im Werk der Stoff möglichst vollständig in seinen Bestandteilen dargelegt.
Aufgrund des Gedankens, daß sowohl die Natur als auch die menschliche Geschichte die
4
Vgl. Lausberg, Heinrich. 1990: S.18-19.
Vgl. Aristoteles. Rhetorik. Übers., mit einer Bibliogr., Erl. und einem Nachwort. von Franz G.
Soevele. München: Fink. 1993. S.216.
5
2
göttliche Ordnung offenbart, wird der Stoff, wenn es aus dem Bereich des menschlichen
Handelns stammt, in Analogie zur Natur dargestellt. So dürfen die Bilder im Text nicht nur als
sprachliche Ausschmückungen betrachtet werden, denn sie haben eine argumentative Funktion.
Dasselbe trifft auch auf die Tragödie zu6. Der Autoren der Tragödien dichten nach den
rhetorischen Regeln, und zwar nicht nur bei den sprachlichen Ausdrücken, sondern auch in der
strukturellen Gestaltung des ganzen Dramas. Das kann man an der Gestaltung der Tragödie
betrachten: Nach dem Gebot des Aristoteles soll das Drama Spannungen erzeugen und am Ende
zu einer Aufklärung des Verborgenen und zur Katastrophe zuspitzen. Die Barocktragödien sind
dagegen in der Regel ohne Spannung aufgebaut, die von den Barockautoren verstandene
„Katastrophe“ ist in der Wirklichkeit eine schauderhafte Szene, z. B. die Hinrichtung des Helden,
die aber meistens bereits am Dramenanfang angedeutet wird. Denn hier geht es nicht um eine
Nachahmung einer Handlung, welche das mythische Geschehen gegenwärtig erscheinen läßt,
sondern um die Rechtfertigung eines exemplarischen historischen Geschehens. Wiederum bildet
nicht das Geschehen, sondern der Gedanke, der durch ein Exemplum vermittelt werden soll, den
Mittelpunkt des Dramas. Die Figuren sind typologisiert, gleich wie das ganze Drama als ein
Exemplum zur einer bestimmten Lehre dient. Sie sind keine Individuen mit gemischtem
Charakter wie in der Antike Tragödie. Denn nicht den Figuren, sondern dem historische
Geschehen gilt das Interesse. Die typologisierten Figuren dienen als wesentliche Bestandteile der
Sache, und werden dafür verwendet, die Sache klar darzulegen. Besonders deutlich ist dies an
den Märtyrerdramen des Gryphius zu sehen. Dort sind der Tyrann und der Märtyrer als
Gegenpole konstruiert, der Märtyrer besitzt die wesentlichen Tugenden des Neostoizismus,
nämlich die magnanimitas und constantia, während der Tyrann die Fortuna anbetet und den
Affekten unterworfen ist. Die Koexistenz der beiden Typen ist notwendig, denn genau der
Gegensatz zwischen ihnen und den in ihnen enthaltenen Gedanken stellt das Zentralthema,
nämlich daß die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit transzendent und die Welt bloß Raum der
kontigenten Geschehen ist, klar dar. Argumentativ hat das Märtyrerdrama als ein Exemplum die
induktive Funktion der Wahrheitsbezeugung, das Exemplum selber aber als eine res muß
wiederum klar dargelegt werden, d.h. also, alle seine substantiellen Bestandteile (Prädikate)
aufzusuchen, dies entspricht dem ersten Schritt der Bearbeitung 7 einer Rede, nämlich inventio,
6
Vgl. Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Tübingen: Niemeyer. 1991. S.25 – 39.
Zu Schritten der Bearbeitung einer Rede vgl. Lausberg, Heinrich. Elemente der literarischen
Rhetorik. Ismaning: Hueber. 1990. §§39 – 45. S.24 – 26.
7
3
dann müssen diese Teile nach der Gattung und dem Zweck des Werkes angeordnet werden, also
der zweite Schritt dispositio, und schließlich im dritten Schritt elocutio müssen sie sprachlich
adäquat und sinnfällig realisiert werden 8. So wird der ausgewählte Text in Teil II der
vorliegenden Arbeit nach diesen drei Aspekten untersucht. Die in Versen geschriebenen Repliken
werden einzeln nach den in ihnen verwendeten rhetorischen Mitteln untersucht. Da es hier um
eine Wirkungsästhetik geht, wird ihre Wirkung zugleich erklärt. Die in ihnen realisierte
Gedanken bilden das Wesentliche des Argumentes, deswegen wird in der Untersuchung versucht,
die mit Hilfe rhetorischer Mitteln kunstvoll gestalteten Ausdrücke der Gedanken explizit zu
machen. Dabei geht es hauptsächlich um die einzelnen Repliken. Der argumentative
Zusammenhang des Ganzen wird erst in Teil III der vorliegenden Arbeit versuchsweise
konstituiert.
2. Der Rechtsgedanke Papinians
Das Drama „Papinian“ gehört zu den Märtyrerdramen des Gryphius und paßt strukturell in das
vorne erwähnte Schema. Der Schauplatz ist aber im Unterschied zu „Catharina von Georgien“
oder „Carolus Stuardus“ in dem heidnischen Rom (vor der Übernahme der christlichen Religion
als die Staatsreligion und der Held selber ist heidnisch), d.h., es ist vom Stoff her nicht möglich,
den christlichen Glauben als Sinnstiftung des Martyriums auftreten zu lassen. An seinem Platz
steht die heilige Themis, die in der Sinnbildkunst des Barock zusammen mit Jupiter für die
Gerechtigkeit von Gott steht9. Nach Habersetzer10 ist Themis das „mythologische Exemplum als
dramatische Theodizee“, und Inbegriff des menschlichen Gewissens, und bildet das Gegenteil zur
Fortuna. Sie ist die Sinnstifterin des ganzen Dramas. In dem ersten Auftritt der Themis sagt sie
nämlich: „Ich werd ein Traur-spil stifften“ (Die andere Abhandlung, V.525). Die Richtigkeit des
Handelns des Papinian läßt sich auch nicht bezweifeln, denn in V.535–540 derselben
Abhandlung steht: „Du steh Papinian! Sih kein bedräuen an! Erschrick vor keinem tödten! Durch
das gezuchte Beil; Erlangst du Ruhm und Heil/Und weichst den grimmen Nöthen.“
Dementsprechend verabschiedet sich Papinian vom Leben mit einem Gebet an Themis.
8
Die zwei anderen Schritte memoria und pronuntiatio gehören nicht in die Untersuchung des
Dramentextes hinein.
9
Vgl. Henkel und Schöne Hrsg. 1996: Sp.1723.
10
Vgl. Habersetzer 1985: S.71.
4
Deshalb muß der Rechtsgedanke Papinians und seine Verteidigung desselben in diesem Rahmen
betrachtet werden. Auf der politischen Ebene vertreten Figuren dieses Dramas unterschiedliche
politische Auffassungen der Zeit des Dichters und widerspiegelt die aktuelle Diskussion. Der Fall
Papinians
spielt
hinsichtlich
seines
ungewöhnlichen
Verhaltens
eine
Rolle
in
der
zeitgenössischen Diskussion zur Gehorsamsproblematik 11. Bodin verhält sich zu ihm kritisch,
denn nach seiner Souveränitätslehre der Untertan den Gehorsam nicht weigern kann. Gegen ihn
nehmen hauptsächlich die protestantischen Gelehrten Stellung, die dem Gewissen eine absolute
Geltung zukommen lassen. Die Politik läßt sich ihrer Meinung nach nicht von Ethik trennen.
Papinian wird damit Vorbild der Beamten, der die theologisch begründete sozial-politische
Ordnung zu repräsentieren weiß. Sie soll demzufolge dem Gewissen gehorchen, das die
Grundprinzipien aufbewahrt und die einzige mögliche Vermittlung zwischen dem Individuum
und Gott bildet. Darin besteht der Unterschied zu Bodin hinsichtlich des Souveränitätsgedanken.
Der Souverän ist bei Bodin zugleich eine Institution der vermittelnde zwischen Gott und dem
Individuum in der politischen Sphäre, bei den protestantischen Gelehrten dagegen kann nur das
Individuum selber die Vermittlung zwischen sich selbst und Gott finden. Dabei spielen die
patristische und stoische Tradition eine wichtige Rolle. Gryphius stand unter Einflüssen der
beiden Traditionen12. Seine Figur Papinian verteidigt sein Gewissen, dementsprechend auch die
sittlich-politische Ordnung. Er vertritt das von Gott gesetzte Naturrecht (lex divina), unter der das
Völkerrecht (ius gentium) und die positiven Rechte vereinigt sind. Das Naturrecht ist das Sollen
und im Gewissen befestigt, während die anderen Rechte das Sein widerspiegeln. Das
Widerstandsrecht wird nur in dem Ausmaß von Gehorsamverweigerung akzeptiert. Aufgrund
dieser Position lehnt er die Staatsräson ab. Weil aber sein Rechtsgedanke auf einem irrationalen
Moment, nämlich auf dem Gewissen, beruht, ist eine rationale Argumentation nicht möglich. Er
muß sich ständig auf sein Gewissen und die Themis beziehen. Die einzige Möglichkeit, seinen
Rechtsgedanken zu verteidigen, ist, die anderen Rechtsgedanken zu verneinen, was aber
voraussetzt, daß das gezielte Publikum dieselbe Position wie die Figur Papinian vertritt. Hier
wird also nichts bewiesen, sondern nur gezeigt, was als wahr gelten soll, und dasselbe wird
dadurch deutlich dargelegt, daß sein Gegenteil dargelegt und auch verneint wird.
11
12
Hier und Folgendes vgl. Kühlmann 1981: S.249-256.
Weil der Barockdichter sich zugleich als Redner versteht, ist der Autorabsicht vom Belang.
5
Die Geschichte gehört in den Bereich des Möglichen. Dennoch besitzt das Handeln Papinians die
Notwendigkeit, weil er die beste unter allen Möglichkeiten wählt. Nicht sein Rechtsgedanke ist
zu verteidigen, sondern er bezeugt mit seinem Handeln die Wahrheit des von ihm vertretenen
Gedankens. So ist die primäre Fragestellung, wie er seinen Rechtsgedanken verteidigt, in die
jenige gewandelt, wie es im Drama glaubhaft gemacht wird, daß er die beste Möglichkeit wählt.
Dies wird durch die Verneinung aller anderen Möglichkeiten gezeigt. Deswegen genügt es nicht,
allein die Szenen oder Repliken zur Untersuchung auszusuchen, wo er explizit über seinen
Rechtsgedanken äußert. Denn allein dadurch wird er nicht beglaubigt. Es ist nötig, all die Szenen
auszusuchen, wo es um seine Wahl geht. Die Szene, wo er explizit seinen Rechtsgedanken
äußert, dienen dazu, seinen Rechtsgedanken zu konstruieren. Die anderen Szenen dienen dann
dazu, die Wahrheit dieses Gedanken zu zeigen. Beides ist zwar bei dem gezielten Publikum
vorausgesetzt, aber es muß noch sinnlich vorgeführt werden, so daß es bei ihm durch Erregung
der Affekte bekräftigt wird.
Nach den oben erwähnten Kriterien werden die Szene der dritten Abhandlung: Cleander und
Papinian; die Szenen der vierten Abhandlung: Bassian und Papinian; Papinian und Plautia;
Marinus. Papinianus. Plautia und der Sohn; die Szene Papininaus. Zwey Hauptleute; und
schließlich die Szenen der fünften Abhandlung: Der Käyserin Cämmerer. Papinianus; Eugenia
Gracilis. Papinianus Hostilius. Papinianus. Ein Haubtmann; Bassianus. Papinianus. Sein Sohn.
Die Auffwärter deß Käysers. Papiniani Diner. Die Schergen mit den Welle-Beilen.
II Rhetorische Untersuchung der ausgewählten Szenen
1. Szene Cleander und Papinian (Dialog, die Dritte Abhandlung)
a) Situation
In dieser Szene zwischen dem kaiserlichen Bedienten Cleander und Papinian handelt es sich um
den Versuch Cleanders, Papinian zur Verteidigung der Untat Bassians zu überreden. Der Dialog
bildet aufgrund seiner Struktur aus einer durchgängigen Stichomythie eine scharfe Antithese. Der
Paarreim der Alexandriner verteilt sich auf je eine Replik der Redner und seines Gegenredners.
Die Situation des Dialogs ähnelt der judizialen Gattung der Pateirede in der Schulrhetorik, wobei
der situationsmächtige Richter durch das Publikum ersetzt wird. Cleander spielt die verteidigende
6
Rolle für Bassian, wobei er dem Täter dennoch das Recht zuschreibt. Auf diese Weise muß
Papinian die verteidigende Rolle für seinen Rechtsgedanken spielen, die Tat Bassians klagt er
dadurch an. So kann man betrachten, daß Cleander eine pragmatische Position vertritt und die
faktischen Nutzen bei ihm den Vorrang haben, während bei Papinian alles von der Wahrheit und
dem absoluten Recht ausgehen muß. Es ist also klar, daß Papinian das heilige Recht verteidigt
und nicht gegen sein Gewissen vorgehen will, während Cleander das absolute Recht des Fürsten
vertritt. So werden im Dialog die gegensätzlichen Rechtsgedanken, die zur Zeit Gryphius’
herrschen, sichtbar gemacht (Mannack: 1044).
b) Gliederung
Der Dialog läßt sich gedanklich grob in drei Teile einteilen: I. V.415 – 468 Es geht in diesem Teil
um die konkrete Mordtat Bassians. Cleander versucht, ihn zu entlasten und Papinian für die
Verschönerung derselben zu gewinnen. II. V.469 – 494 In diesem Teil läuft der Dialog auf einer
allgemeinen Ebene ab, er kreist nämlich um die Rechtauffassung und bildet den Kern unserer
Untersuchung. Im dritten Teil V.495 – 522 geht um den Sinn des Martyriums.
c) Rhetorische Untersuchung
In diesem Teil wird zuerst die meisten Repliken (einige, die meiner Meinung nach nicht eng mit
unserem Thema zusammenhängen, übergehe ich) auf rhetorische Figuren und deren relevante
Wirkung untersucht.
V 417: „Was kan man weiter thun bey schon verübten Sachen?“ Hier stellt Cleander eine
rhetorische Frage, um die Selbstverständlichkeit der Sache zu unterstreichen, und erwartet von
Papinian eine verneinende Antwort.
V. 418: „Verübte Greuel nicht zu Recht und Tugend machen.“ Hier ist zuerst die Figur Ellipse
bei der Aussparung vom Subjekt und Modalverb „man kan“ verwendet. Damit schließt die
indirekte Antwort Papinians noch enge auf die Frage Cleanders, indem die zwei Repliken ein
zeugma bilden. Seine Antwort ist nicht die von Cleander erwartete Einräumung sondern eine
scharfe Verwerfung der Tat. Der Gegensatz wird betont durch das gleiche Subjekt und
Modalverb. „Greuel“ bildet mit „Recht und Tugend“ zwar kein Antonymiespaar, aber im
weiteren semantischen Feld einen Gegensatz, so wird das Unrecht des Kaisers durch diese
7
Entgegenstellung verstärkt. „Recht und Tugend“ kann man als die Figur Worthäufung betrachten,
auf diese Weise betrachtet Papinian die beiden Dinge als eine unzertrennbare Einheit. In dieser
Hinsicht unterscheidet sein Rechtsgedanken von allen Maximen, die Cleander aufführt.
V. 420: „Nicht uns / wenn Sie verführt / dem freveln bey zu stehen.“ Das erste Kolon dieses
Verses ist wieder eine Ellipse. Ausgespart ist das Subjekt „Noth“ (nhd. Notwendigkeit), welche
in der vorhergehenden Replik Cleanders als ein Argument für das unmoralische Handeln des
Fürsten aufführt. Hier beruft er auf die situationenbezogene Notwendigkeit, während dasselbe
Subjekt von Papinian umgedeutet und auf die Notwendigkeit aus dem absoluten Prinzip bezogen
wird. Durch die Aussparung des Subjektes wird auch das Objekt „uns“ betont. Hier wird nicht
die Singularform „mich“ verwendet, weil Papinian immer von der allgemeinen Gültigkeit seiner
Haltung und Rechtsauffassung ausgeht, dies entspricht auch der Intention des Autors, Papinian
als Vorbild der Beamten, wenn auch nur ein utopisches, zu zeigen. Es ist dabei zu beachten, daß
Papinian nie die Handlungsmaximen für den Fürsten äußert, sondern immer die des idealen
Beamtentums. Er verneint, oder klagt, die Tat Bassians auch nur insofern, daß er als Beamte
nichts gegen sein Prinzip zu unternehmen vermag. Die Tat wird bei ihm unabhängig von der
Person Bassian gelöst. Er stützt seine Haltung der Gehorsamverweigerung nicht mit dem
Argument, daß Bassian keinen Grund zum Mord hat, sondern damit, daß die vergangene Tat an
sich kein Recht erhält.
V. 422: „Wir sind jtzt bey Vernunfft / von keinem Zorn bewogen.“ Dieser Vers bildet ein
antitheton mit V.421. In Hinblick auf den Affekt Zorn als Entschuldigung für die Tat Bassians
nennt Papinian die Vernunft als Leitung seines eigenen Handelns. Das gehört zu Wesen des
idealen Beamtens.
V. 424 „Wol raue / wenn sie nur der Tod außsöhnen kan.“ Hier wiederholt Papinian das Wort
„rau“ Cleanders im V.423. Cleander führt „raue Worte“ als Anlaß der Mordtat auf, und läßt die
Tat selber aus, und versucht, anthropologisch das Verhalten Bassians zu rechtfertigen. Papinian
achtet aber nicht auf den Anlaß, zeigt sich nicht als einfühlsam, sondern nennt nach dieser
Wiederholung sofort den Mord beim Namen. Für ihn zählt nur, was passiert ist. Denn gerade bei
diesen Dingen handelt sich um die Ordnung der Welt, nicht aber bei der Psychologie.
8
V. 428 „Wenn durch Verläumbdung / Haß / und Zanck die Gunst zerinnt.“ Nachdem Cleander
der Zerwürfnis zwischen Brüdern als eine allgemeine Erscheinung nennt und versucht, Bassian
dadurch zu entlasten, führt Papinian diese Wortreihe als die Ursachen des Mordes in zeitlicher
und auch kausaler Abfolge auf, um den Schein einer Allgemeingültigkeit des Brudermordes zu
beseitigen. Diese Wortreihe stellt die Figur Klimax dar.
V. 430 „Bequem! im fall der Stul der Tugend angeneme.“ Im V.429 spricht Cleander gegen die
Machtteilung und nennt diese als eine allgemeine Ursache zur Zwiespalt der Herrschenden. So
wiederholt Papinian anschließend sein letztes Wort und bildet dadurch die Figur Anadiplose zum
Vers 429. Der Veranfang Papinians bildet mit dem Versende eine Paronomasie. Sie stellt eine
veränderte, aber verwanderte Wortbedeutung her. Während das Wort „bequem“ sich auf
körperliches Wohlbefinden bezieht, zeichnet angenehm eher einen geistigen Zustand. Diese
Differenz der Wortbedeutung verwirft das naturalistische Argument und beruft sich auf einen
tieferen, „metaphysischen“ Grund. Der Ausdruck „der Stul der Tugend“ stellt sich in der Figur
Metapher dem Kaiserthron gegenüber, welchen Cleander zuvor mit dem Wort „Stul“ mit der
Figur Synedoche bezeichnet, wodurch er auf eine allgemeine menschliche Erfahrung appelliert,
während Papinian durch den Sprung-Tropus Metapher den Stuhl einen sicheren Grund, nämlich
Grund der Tugend, nennt und dadurch eine scharfe Antithese zur Behauptung Cleanders aufbaut.
Dieser Vers kann auch als eine Sentenz betrachtet werden und erhält durch diese
Betrachtungsweise eine allgemeine Geltung.
V.431 – V.436 Das historische Exemplum von Nero und seinem Bruder Britannicus, und das von
Marcus Aurelius und seinem Stiefbruder Lucius Verus werden als negatives bzw. positives
Beispiel für die Machtteilung aufgeführt, und zwar benutzt Cleande das von Nero und Papinian
das von Marcus als Argument. So wird von Cleander erwähnte allgemeine Disharmonie einer
Machtteilung durch das positive Beispiel widerlegt. Dadurch zeigt Papinian, daß eine
harmonische Machtteilung möglich ist, wenn man sich von Tugend leiten läßt. Denn Nero gilt als
Tyrann, während Marcus Aurelius als Vorbild des tugendhaften Fürsten gehalten wird. Damit
will Papinian weniger Bassian als lasterhaft verurteilen, als beweisen, daß es nicht notwendig ist,
daß er für die Tat des Fürsten verteidigt, weil die Tat des Fürsten nicht notwendig ist. Auf diese
Weise rechtfertigt er auch sein Recht zur Gehorsamverweigerung.
9
V. 440 „Er dint dem Basian mit Hertzen / Seel und Hand.“ Papinian nennt sich hier wie auch im
V.438 mit der dritten Person. (Im V.416 nennt er sich Papinian. Selbst wenn er erste Person
verwendet, nimmt er wie im V.420 und. 422 die Pluralform wir / uns.) Auf diese Weise nimmt er
eine nüchterne, unpersönliche Haltung zu der ganzen Angelegenheit an und bleibt jeglichen
Affekten fern. Der Ausdruck „Hertzen / Seel und Hand“ bildet die Figur enumeratio und zeichnet
die Pflichten Papinians dem Kaiser gegenüber, wobei jedes Wort ein Metapher aus dem
semantischen Feld des menschlichen Körpers ist. Hertz steht hier für die Amttreue, Seele für
Leitung der Vernunft und Hand für die tugendhaften Taten unter Leitung der beiden vorher
erwähnten. Im V. 438 betont er die Tatsache, daß Antonin ermordet ist, um die objektive
Verwerflichkeit der Tat zu zeigen. Damit will er sagen, daß diese Tatsache sich unmöglich
subjektiv verändern (beschönen) läßt. Cleander wendet dieses Argument um, und hält ihm vor,
was er als Untertan noch für den lebenden Herrscher tun kann. So nennt Papinian hier seine
rechtliche Pflichten Bassian gegenüber, die in seinem Sinne die Gehorsamverweigerung nicht
ausschließen, weil sie nicht an der Person Bassian gebunden, sondern aus allgemeinen Prinzipien
abgeleitet sind. In den folgenden Versen erläutert er die Unmöglichkeit, eine Freveltat durch
Redekunst zu beschönen.
V.442 „Wer den beschönen kan; kan Welt und Fürsten höhnen.“ Die beide Kola bilden hier einen
Chiasmus. In der Versmitte steht eine Anadiplose. Der Ausdruck Welt und Fürsten bildet die
Figur Worthäufung. Fürsten sind hier die Herrschender im allgemeinen gemeint, nicht welche
konkrete Personen, sie werden hier in dieser Figur eng mit der Welt gebunden. Die Welt hier
steht nicht im krassen Gegensatz zum Jenseits, sondern für die utopische Sozial- und
Sittenordnung und Emanation der Transzendenz. Der von ihm gemeinte Fürst ist also derjenige,
der diese ideale Ordnung vertreten kann. Auf diese Weise macht Papinian die Fürsten genauso
für die Pflegung der Gerechtigkeit verbindlich und verwirft das von Moral unabhängige
Fürstenrecht.
V.447 „Es ist wol eh’s und mehr / und hir und da geschehn.“ Hier deutet Cleander im
Parallelismus auf historische Beispiele an, die die Möglichkeit einer Verdrehung der Wahrheit
durch Redekunst bezeugt. Von V.448 bis V. 468 führt er konkrete Fälle einen nach dem anderen
auf, wo der Herrschende Freveltaten begangen hat. Papinian differenziert die historischen Fälle
von dem Fall Bassians, z. B. den Fall Neros in loco a modo, daß Nero keinen offenen Totschlag
10
wie Bassian verübt hat (V.450) und in der Art, wie er mordet, bessere Tarnung als Bassian hat
(V.458), denn Vergiftung ist als Krankheit vorzutäuschen. Zugleich verurteilt er jede solche Tat
als verwerflich, auf welche Weise sie auch begangen werden mag (V.454). Cleander reagiert
darauf mit dem Argument, daß Nero Schweres verbrochen hat, indem er Muttermord beging. Im
V.460 erwidert Papinian, daß Nero wegen dieser ungerechten Tat tatsächlich bestraft wurde, und
bezeugt damit, daß die Gerechtigkeit nicht aus der Welt verschwunden ist. Cleander nennt
dagegen das exemplum von Annaeus13, daß er in seiner Pflicht zum Herrscher diese Tat in
Worten als recht nennt. Genau solche wörtliche Rechtfertigung verlangt Cleander von Papinian,
denn er achtet nicht auf Wahrheit, sondern den Schein einer Sache, daher ist nach seiner
Auffassung eine Beschönigung der Freveltat möglich. Papinian distanziert sich von Annaeus,
indem er die Verfehlung desselben nennt, und zeigt dadurch, daß er dem von Cleander genannten
Exemplum nicht folgen will. In V. 464 – 468 wird ein scharfer Gegensatz zwischen dem Ruhm
des Fürsten und dem eigenen Ruhm des Beamten aufgestellt, und Papinian vertritt die Position,
daß jeder für seinen eigenen Ruhm zuständig ist und ihn deswegen nicht für den Ruhm eines
anderen verspielen kann, auch nicht für den des Fürsten, zu dem er seine amtlichen Pflichten
erfüllen soll. Das entspricht der Aufforderung der Themis (V.535-540, die andere Abhandlung)
an ihn.
V. 469 „Mein Freund! wer lebt; der dint / wer dint; muß nichts versagen.“ Hier drückt Cleander
durch einen Ausruf und die Periphrase „mein Freund“ des Eigennamen Papinian seine
persönliche Besorgnis um ihn aus. Die folgende Sentenz „wer lebt; der dint“ wird auch von
Papinian anerkannt, dennoch der letzte Satz Cleanders fügt dieser Sentenz eine besondere
Bedeutung zu, nämlich unbedingten Gehorsam. Diese Satzfolge stellt einen rhetorischen Schluß
(entithymema) dar. Die Konklusion dieses Schlusses wird gespart. Dabei benutzt Cleander das
Wort „leben“ im doppelten Sinn: einerseits ist das Verhältnis der Untertanen zum Fürsten
gemeint, daß sie ihr Leben lang ihm verpflichtet sind, andererseits spielt er auch darauf an, daß zu
dienen eine Bedingung des Weiterlebens bedeutet. Die Sentenz „Wer lebt, der dint“ besitz für
sich allein die allgemeine Gültigkeit, insofern sie als die soziale Ordnung zwischen Untertan und
Herrscher betrachtet werden. Hier ist das Wort „dinen“ in seiner allgemeinen Bedeutung
verwendet. Der folgende Satz benutzt dasselbe Wort in einem spezialisierten Sinn, in welchem
13
Nach dem Stellekommentar Mannacks ist hier mit Annaeus Seneca, der Erzieher Neros
gemeint. (Mannack 1993: 1045)
11
jegliche Form vom Widerstandsrecht ausgeschlossen ist. Dennoch ist das Widerstandsrecht nur
insofern total ausgeschlossen, wenn man nicht auf sein Leben verzichten will. Denn sonst ist ein
letzter Spielraum möglich, sowohl die soziale Ordnung zu bewahren, als auch das Recht nicht auf
Befehl des Herrschers zu verletzen. So kann die Konklusion so lauten, daß Papinian unbedingten
Gehorsam leisten muß, wenn er weiter leben will. Diese Konklusion besitzt in sich durch die
Modifikation des Wenn-Satzes keine Notwendigkeit. Denn Papinian kann den Bedingungssatz in
der Konklusion verwerfen, und zwar durch das Argument, daß er bis zu diesem Zeitpunkt immer
seine Pflichten erfüllt hat und gehorsam gewesen ist, aber in dieser Situation den Gehorsam
verweigern kann, wenn er auf sein Leben verzichtet. So lehnt er die Gültigkeit dieses Schlusses
im V.470 ab.
V.470 „Wer so dint / wird Schmach / Schand und Fluch zu Lohne tragen.“ Papinian widerspricht
Cleander in der gleichen Satzstruktur dessen Replik, und nimmt das Wort „dinen“ wieder auf und
differenziert es von der Bedeutung Cleanders, indem er in einer Klimax die Folge eines solchen
Handelns aufzählt (die Figur reflexio). Als Oberbegriff zu diesen drei aufgezählten Teilbegriffen
benutzt er den Antonym des eigentlichen gemeinten, nämlich das Wort Lohn, das in diesem Fall
für Strafe steht. So wird hier die Figur Ironie verwendet. Die Ironie hier dient nicht zu verspotten,
sondern dazu, daß der Gegensatz zwischen der Folge der Unbeständigkeit zum bewahrten Ruhm
als Lohn der Beständigkeit deutlich wird.
V. 471. „Ach Götter! werther Freund! Er ringt nach seinem Tod.“ Anfang dieses Verses stehen
die Figur Apostrophe und Ausruf. Das ist ein Ausdruck des Entsetzens, keine wirkliche Anruf an
Götter. Der folgende Behauptung teilt zum ersten Mal Papinian und auch dem Publikum in
klaren Worten die tödliche Folge einer Ablehnung mit. Anschließend kündigt Papinian seinen
Entschluß zum Martyrium in einer Sentenz an (vgl. Mannack 1993: 1045): „Wer vor die
Wahrheit stirbt; pocht aller Zeiten Noth“ (V.472). Vom V. 471 bis V. 482 versucht Cleander,
Papinian nicht mehr mit dem Argument des Fürstenrechtes und der gebührenden Treue zum
Fürsten zu überreden. Dieser Versucht wird nämlich durch die klare Stellenahme Papinians „Ich
muß das heil’ge Recht vor tausend Fürsten ehren“ endgültig beendet. Er versucht jetzt, jenen
durch Erwähnung der drohenden Gefahren zu bewegen. Dies erfolgt in einer steigenden Reihe
von Erwähnung der Verlust seines Standes, Guts und seiner späteren Amtsaussichten, dann
seines eigenen Lebens, des Leben seines Sohnes und schließlich des Heils seines Hauses. Ihm
12
gegenüber nennt Papinian alle äußere Dinge „Kinder-werck“ (die Figur Metapher) (V.476), der
Zugriffsgewalt des Kaiser aufs Leben stellt er die Unantastbarkeit der Seele gegenüber, und zwar
mit Verwendung der Figur antitheton und der Figur zeugma, in welcher ein Verb auf zwei
Objektive verwendet wird, unter denen nur das Wort „Fleisch“, aber nicht „Seele“ semantisch
dazu paßt (V.478).
V.483 „Der Recht und Satzung gibt / hebt offt die Satzung auff.“ Hier greift Cleander den
Rechtsgedanken auf und deutet das Recht bloß als Satzung des Alleinherrschers aus. Denn der
Alleinherrscher setzt Gesetze und kann sie wieder aufheben. So schränkt Cleander den Begriff
Recht auf die Gesetze des Herrschers ein und betrachtet ihn als den Ausgangspunkt desselben.
Diese Vorstellung ist wohl machiavellistisch, entspricht dem Souveränitätsgedanken aber nicht.
Auf der syntaktischen Ebene steht hier ein hyperbaton, indem zwischen dem Subjekt und Verb
eine Wortgruppe eingeschoben wird, die die Funktion eines Relativsatzes hat, aber kein
Relativpronomen besitzt. So konstruiert wird die Mittezensur des Alexandrineverses ausgenutzt,
um ein antitheton aufzubauen, wo zwei antithetische Wörter „geben“ und „heben“ direkt
aufeinander prallen, auf diese Weise wird die Macht des Gesetzgebers betont.
V.484 „Nicht die der Völcker Schluß erhält in stetem Lauff.“ Papinian greift das Thema
Cleanders auf, daß Gesetze von Menschen gemacht werden und deswegen keine absoluten Werte
besitzen könnten. Zuerst gibt er zu, daß die Gesetze von Menschen festgelegt werden, indem er
das von Cleander verwendete Wort „Satzung“ in einem Relativpronomen wiederholt. Der
Schwerpunkt wird aber durch den Ersatz des Substantiv durch ein Pronomen auf den folgenden
Relativsatz verlegt. Dieser Relativsatz ist um ein Relativpronomen verkürzt, das mit seinem
Bezugswort „die“ identisch ist. Hier differenziert Papinian sein Verständnis von Festlegung der
Gesetze von dem Cleanders. Zu diesem Zweck macht er eine dihairesis des Begriffes von
Gesetzgebung: nämlich einerseits die willkürliche Gesetzgebung des Alleinherrschers,
andererseits die Gesetzgebung durchs Volk14. Papinian hebt die Stabilität der letzteren hervor und
14
Nach Mannack könnte es sich um eine Anspielung auf das Naturrecht in den zeitgenössischen
Diskussionen handeln.(Mannack 1993: 1045) Nach Bodin steht der Souverän selber, der die
Gesetze erläßt, nicht unter der Verbindlichkeit der Gesetze. Diese Vorstellung entspricht der
vorher gehenden Replik Cleanders und wird nicht von Papinian bestritten. Ihm geht es auch nicht
darum, ob der Herrscher den menschlichen Gesetzen gehorchen soll, sondern darum, daß es
außer dem von dem Herrscher erlassenen Gesetzen noch andere Gesetze gibt. Hier könnte daher
mit dem Ausdruck „die der Völcker Schluß erhält“ die Legitimation des Souveräns gemeint sein,
13
legt den letzen Akzent des Verses auf die Wortgruppe „in stetem Lauff“. Das Volk als ein
Kollektivbegriff besitzt zugleich mehr objektive Geltung als ein Einzelmensch wie ein Herrscher,
deswegen steht „der Völcker“ als Genitiv vor dem ihm zugehörige Substantiv. Aber ob es hier
tatsächlich um ein Inversion geht, ist unklar, da im Frühneuhochdeutschen das Genitiv häufig
vorgestellt ist.
V.485 „Die Römische Taffeln selbst sind durch die Zeit vertriben.“ Hier wird eine Evidenz der
uralten römischen Gesetztafeln dafür aufgeführt, daß geschriebene Gesetze die Zeit nicht
überdauern15. Dabei versteht er Gesetze nur unter ihrer materiellen Seite und läßt ihren Sinn aus.
Papinian nennt dagegen im V.486 das höchste Recht, nämlich das göttliche, das alle positiven
Rechte bestimmt und den Inhalt der Gesetze verleiht. Sie sind für ihn nicht bloß Regeln auf
Papier oder im Steine, solange sie unter dem höchsten Prinzip, nämlich dem von Gott gegebenen
Naturrecht, stehen. Wenn sie diese Voraussetzung nicht erfüllen, dann sind sie in der Tat nur
leere Regeln und vergänglich. Daß der Herrscher dem göttlichen Recht nicht entzogen ist,
entspricht der Auffassung Bodins und bildet eine Gegenposition zum Machiavellismus (vgl.
Mannack:1993: 1045-6).
V.487 „Es wird / wie was nur ist / in seine Nacht vergehn.“ Hier vergleich Cleander das Recht
der Götter mit allem Seienden, das sich in Raum und Zeit befindet (das Adverb „nur“ weist
nämlich auf das räumliche und zeitliche Sein der vergänglichen Dinge hin), und welches nach der
menschlichen Erfahrung unausweichlich einen natürlichen Untergang nimmt. Das Recht der
Götter nimmt Cleander bloß als in der äußeren Erscheinung bestehend wahr, z .B. in der Kult,
die nach Bodin auf der Volkssouveränität basiert, denn der Souverän ist zu unterscheiden vom
Tyrann, dem der Staat eigentümlich gehört. Es gehört nämlich in die zeitgenössischen
Diskussion, die Legitimation des Absolutismus naturwissenschaftlich zu begründen, wie z. B. die
Macht des Souveränes als ein Ergebnis des Zwangs zur Selbsterhaltung zu betrachten, welcher
auf den „Naturzustand“ des Menschen zurückgeführt wird. Darin zeigt sich die Neigung,
Naturrecht aus der Theologie zu lösen. Dennoch wirkt das Naturrecht, welcher Auffassung es
auch sei, immer einschränkend auf die Macht des Herrschers und sanktioniert dessen Willkür.
Bei Gryphius geht es aber wahrscheinlich um die aus dem Mittelalter stammende Vorstellung
vom Völkerrecht, welches dem Volk erlaubt, sich gegen den Herrscher zu aufzulehnen, falls
jener die vom Gott gegebene Ordnung verletzen soll. Dieses Recht steht zwar dem Volk zu, aber
nicht dem Individuum. Obwohl nach Mannack es nicht klar ist, ob hier auf das Naturrecht
angespielt wird, ist es deutlich, daß es hauptsächlich um die Ablehnung des Machiavellismus
geht, der die Tyrannenherrschaft legitimiert. Dies entspricht auch der Tendenz der deutschen
Staatstheorie im 17.Jh. (Vgl. dazu Brenner 1985: 48 und Winter 1985: 60 – 73).
15
Vgl. die eigene Anmerkung des Gryphius zum V.486 (Gryphius 1994: 125)
14
deswegen ist es genau so vergänglich wie alle andere Erscheinungen. „In seiner Nacht vergehn“
ist eine Metapher aus dem Bereich der Natur.
V.488 „Es wird / wenn alles hin / in den Gewissen stehn.“ Papinians Erwiderung läuft im
Parallelismus zum V.487 ab. Damit korrigiert er die Meinung Cleanders, der das göttliche Recht
nur in einer äußeren Erscheinung wahrnehmen will, weil er es nicht in seiner inneren Erfahrung
erlebt. Papinian aber erlebt es nicht sinnlich, sondern in seinem Gewissen, das nach der
Auffassung Gryphius’ nicht privatisiert wird, sondern für die Verinnerlichung der göttlichen
Ordnung im Individuum steht, deswegen kann er das Gewissen als Ort der Ewigkeit im Gegenteil
zu der sinnlichen Welt als Ort der Vergänglichkeit nennen.
V.489 „Es ist der Völcker Recht das einen heist gebitten.“ Nachdem Cleander vergebens versucht
hat, das Recht zu relativieren, muß er, da ihm hauptsächlich daran liegt, Papinian für den Kaiser
zu gewinnen, das Recht gelten lassen, dann aber, nachdem er die bindende Macht des Rechtes
anerkannt hat, das Recht selber als eine Möglichkeit zur Rechtfertigung des Brudermordes
Bassians benutzen, nämlich daß das Völkerrecht die Alleinherrschaft legitimiert, deswegen ist es
recht und billig, daß Bassian seinen Machtteiler tötet. Damit schließt er sich an sein eigenes
Argument im V.429 an. Gryphius bemerkt in seiner Anmerkung zu dieser Stelle aber, daß eine
Alleinherrschaft zwar bei den Völker üblich aber keineswegs zwingend ist (Gryphius 1994: 125),
also im Unterschied zur Meinung Bodins, daß die Monarchie unter allen Staatsformen die beste
sei und dadurch legitimiert werde (vgl. Mannack 1993: 1046).
V.490 „Der Völcker Recht verbeut auff nechstes Blut zu wütten.“ Das Argument Cleanders ist
deutlich sophistisch, denn selbst die Legitimation der Alleinherrschaft kann eine Mordtat nicht
legitimieren. Papinian greift die Geltung des Völkerrechtes auf, und setzt damit auseinander, daß
es nicht nur eine legitimierende, sondern auch eine sanktionierende Funktion hat. Damit schließt
er an seine Behauptung im V.484 und V.486 an.
V.491 „Die Stat-Sucht wischt das Recht bey allen Völckern auß.“ Mit der „Stat-Sucht“ ist die
Staatsräson gemeint. Das ist nämlich ein machiavellistisches Prinzip, daß die Machtvergrößerung
des Staates ohne jegliche Rücksicht auf Moral und Recht durchzuführen sei. Auf diese Weise
argumentiert Cleander sehr inkonstant. Denn nachdem er die Verbindlichkeit des Rechtes
15
anerkannt hat, spricht er jetzt wieder gegen sie. Papinian ist stets gegen den Machiavellismus,
und antwortet im V.492 „Wo Stat-Sucht herrscht; verfällt der Fürsten Stul und Haus“. Die
Wortgruppe „Stul und Haus“ ist eine Worthäufung. „Stul“ ist eine Metonymie für den Thron, und
Haus eine Metonymie für die Dynastie. Dadurch verurteilt Papinian die unbegrenzte Machtpolitik
und nennt ihre gefährliche Folge.
V.493 „Gab Caesars letztes Blutt nicht neue Macht zu freyen?“ Cleander kann zu der letzten
Replik Papinians nur ein Exemplum der schamlosen Machtpolitik nennen, nämlich der Fall des
Claudius16, daß er seinen leiblichen Sohn zugunsten des Sohnes der Agrippina aufgeopfert hat. Es
dient als Beispiel dafür, daß für die persönliche Macht auch die Dynastie nicht in Rücksicht
genommen werden muß. Das ist nun ein sehr schwaches Argument, denn die persönliche Macht
ist mit der Fortsetzung der Dynastie verbunden. In diesem Exemplum selber steckt bereits
Widersprüchlichkeit zu dem, was Cleander mit ihm bestätigen will. Das bemerkt Papinian und
weist im V.494 darauf hin, daß Claudius von Agrippina vergift worden ist und seine Macht nicht
beibehalten konnte. Damit ist die eigentliche Diskussion ums Recht in dieser Szene
abgeschlossen.
Ab V.495 bis zum Ende dieser Szene wird der Entschluß Papinians zum Martyrium noch einmal
bestätigt. Im V.496 nennt Papinian die Ewigkeit als Bürgerin seines Entschlusses: „Wo uns die
Ewigkeit befestet den Gewin“. Cleander gibt auf, Papinian von der Legitimität der von ihm
erforderten Tat zu überzeugen, sondern versucht, nachdem er bereits vergebens versucht hat, ihn
durch die vorgehaltene persönliche Gefahr zu bewegen, ihn jetzt durch die Bedeutung der von
ihm erwarteten Tat für den Staat zu überzeugen.
V.497 „Er ist der Erden Haubt anjtzt der nechst auff Erden.“ Cleander hebt diesmal den
politischen Status Papinians hervor und nennt „Erde“ als dem Bewährungsplatz Papinians. im
Gegensatz zur Ewigkeit. Er wiederholt in zwei Kola denselben Gedanken (commoratio una in
re): „der Erden Haubt“ und „anjtzt der nechst auff Erden“, wobei der Gedanke im zweiten Kolon
durch „anjtzt“ und „der nechste“ etwas modifiziert wird. Diese Modifikation spielt auf den Status
16
Es stimmt bei Claudius nicht ganz, daß er wegen der Vergrößerung seiner Macht Agrippina
heiratete. Sein Fall ist nicht geeignet für eine gewissenlose Machtpolitik. Hier führt Gryphius ihn
trotzdem auf, wahrscheinlich um im Umkreis des Falls Neros zu bleiben. Denn Nero ist ein
typischer Fall des Tyrannes.
16
Papinians als Untertan des Herrschers und die Gefahr, seinen hohen Status zu verlieren, an. Im
V.498 („kan vor Abends noch der allerfernste werden“) macht Papinian selber diese Anspielung
explizit, daß er nur einen sehr unsicheren Platz hat, dabei meint er aber nicht die Gefahr in dieser
Situation, sondern den üblichen Lauf des weltlichen Lebens 17. Der Ausdruck „vor Abends“ ist die
Figur Hyperbel, um die äußerste Unberechenbarkeit der politischen Sphäre zu betonen.
V.499 Rath / Läger / Stadt und Reich wünscht Jhm noch lange Zeit. Die Figur enumeratio steht
hier und detailliert die Bedeutung Papinians für das Reich, die drei asyndetischen Wörter sind
Teilbegriffe des Reiches, das letzte, syndetische Wort ist der Gesamtbegriff. Mit V.500 bildet
dieser Vers eine Anapher, indem die vorne genannte Wortgruppe am Versanfang wiederholt
wird. Papinian sieht in seinem Martyrium ein höheres Nutzen für das Reich als seine politische
Tätigkeit, nämlich auf die Gerechtigkeit hinzudeuten.
Im V.501 nennt Cleander in einem Ausruf die schwere Folge für den Staat, wenn Papinian
weigert zu dienen und dadurch stirbt. Der meint aber, daß die Länder ohne ihn weiter bestehen
werden (V.502). Im V.503 nennt Cleander die Bedeutung Papinians für die Rettung des Staates.
Papinian stellt dagegen die Wahrheit höher als den Staat. Im V.506 betrachtet er sein Gewissen
als eine außer ihm stehende, nicht seinem Willen unterworfene und daher eine absolute Instanz,
wenn er sagt, daß sein Gewissen sich nicht von ihm selber zwingen läßt. Im V.507 fordert
Cleander Papinian auf, sich selbst, d.h. sein Leib, zu retten. Jener deutet die Rettung um als die
Rettung seines Gewissens statt seines Leibes. Er nennt im V.510 in einer rhetorischen Frage seine
Berechtigung zu weigern, nämlich daß die von ihm verlangte Tat nicht innerhalb seiner
Dienstverpflichtungen liegt. Hinsichtlich dessen appelliert Cleander auf seine Freundschaft zum
Kaiser und auf die Weisheit, die in Cleanders Auffassung für politische Weisheit steht. Papinian
korrigiert Cleanders Verständnis von Freundschaft und Weisheit, indem er sagt, daß er weder
Freund des Kaisers noch weise sein wird, wenn er die Aufgabe auf sich nimmt (V.512). V.513
und V.514 sind das einzige Paar Repliken dieser Szene, die nicht eng aufeinander bezogen sind.
Cleander wendet sich von Papinian ab (Apostrophe) und ruft seine Verzweifelung aus. Papinian
scheint im V.514 zu sich selbst zu sprechen, obwohl im V.515 Cleander wieder auf diese seine
Replik reagiert. Im V.514 bestätigt er noch einmal seine Entscheidung zum Martyrium in einem
antitheton vom Leben und Tod (syntaktisch im Parallelismus koordiniert und der ganze Vers ist
17
Vgl. der Eingangsmonolog Papinians.
17
eine Sentenz): „Ein herrlich Tod ist süss’ / ein schimpfflich Leben bitter“. Cleander zweifelt an
dem Sinn seines Martyriums und sagt ironisch, daß sein Tod das Vaterland erhalten kann, meint
aber das Gegenteil. Papinian deckt diese Ironie nicht auf, sondern bejaht diese Aussage und
streckt sie weiter, daß durch den Tod eines Individuums ein Landes gerettet und noch mehr das
Recht auf der Welt (ein höherer Begriff als Land) erhalten werden kann. Im V.517 wiederholt
Cleander den Gedanken vom V.417 am Anfang der Szene und fügt noch hinzu, daß das
begangene Übel zwar nicht zu verändern aber das künftige zu vermeiden ist, solange Papinian
beim Leben bleibt, was Papinian nicht gelten läßt. Denn ein Tyrann läßt sich von keinem
Vorhaben abhalten (V.518). Im V.520 zeigt er seine Treue zum Kaiser mit dem Wort „dem ich
den Leib verschwor“, das Wort „Leib“ ist hier aber emphasisch verwendet und führt die
prägnante Bedeutung „aber nicht die Seel bzw. das Gewissen“ mit sich. Damit nimmt er den
Gedanken des Verses 478 wieder auf. Im V.519 gibt Cleander seinen Versuch gänzlich auf: „ich
rede umbsonst“. ImV.521 hofft er aber doch noch auf eine Meinungsänderung Papinians in der
kommenden Zeit, damit zeugt der Autor eine gewisse Spannung für die folgenden Szenen und
stellt dem Publikum die Frage, ob oder besser wie (da das Martyrium Papinians allem bekannt
ist) Papinian seine Standhaftigkeit in unterschiedlichen Situationen bewährt. Im V.522 schließt
Papinian mit einer Sentenz, die seine Entscheidung zum Martyrium stützt, die ganze Szene ab:
„Die weigern Fürsten gantz die einmal weigern können.“ Syntaktisch gesehen ist das zweite
Kolon der Relativsatz des ersten, gedanklich sind die beiden Kola aber koordiniert und
gegenseitig ergänzend. Dieser Äußerung ist in anderem Sinne zur Meinung Bodins, der dem
Untertan ein Widerstandsrecht zuspricht, wenn sein Leben gefährdet wird. Hier ist keines Falls
ein positiver Widerstand zugelassen. Stattdessen ist hier die Gehorsamverweigerung gemeint,
wenn der Befehl gegen das Gewissen spricht. Und sie muß ohne jegliche Rücksicht („gantz“) auf
die mögliche Folge erfolgen, auch in dem Fall, daß man das Leben dadurch verliert, und so kann
man auch nur „einmal“ dem Fürsten weigern.
2. Szene Bassian & Papinianus (Dialog, die vierten Abhandlung)
a) Situation
Cleander ist nur ein Bedienter und trägt in der vorne erwähnten Szene die Wünsche und
Drohungen des Kaisers vor. In dieser Szene ist das Thema nicht verändert, bloß die Situation
intensiviert, indem der Kaiser selber Papinian gegenübersteht. Anders als Cleander versucht
18
Bassian eher mit Gewalt als mit Argumenten Papinians Willen zu beugen. Jener bleibt vor
Gewalt genau so standhaft wie zuvor.
b) Gliederung
Anders als der Dialog mit Cleander gibt es hier am Anfang zwei längere Repliken von beiden
Partnern (die Bassians: V.112 – 124, die Papinians: V.126 – 146). Ab V.159 fängt wieder die
Stichomythie an und weilt bis zur vorletzten Replik (V.184). Der Dialog läßt sich in zwei Teile
einteilen. Im Teil I (V.108 –153) fordert Bassian Papinian als Untertan auf, den Mord zu
verschönen. Papinian lehnt ab und berät den Fürsten in seiner Rolle als Hofmeister, seiner
Pflichten treu, künftig die Lastern abzulegen. Im Teil II (V.154 – 186) wird Papinian von Bassian
als parteilich angeklagt und sucht nach den persönlichen Motiven seiner Ablehnung. Jener
verteidigt sich und beruft sich auf die allgemeine Gerechtigkeit.
c) Rhetorische Untersuchung
Bassians Sprache ist im Vergleich ziemlich schmucklos. Er fordert Papinian direkt zu dieser
schändlichen Aufgabe auf, indem er ihm gleich den Tod vor Augen hält und ihn an seinen Status
als Untertan erinnert und somit Dienst von ihm verlangt (V.110). Die Wortgruppe der Replik
Papinians „meines Fürsten Haubt / und Reich und Ruh und Leben.“ wiederholt den von Bassian
verlangten Dienst und zeigt die Amtstreue Papinians. Dennoch ist diese Wiederholung in
Bedeutung anders als was Bassian meint, während er an sein „Heil und Reich und Leben“ (V.109
Syndeton) denkt, meint Papinian die allgemeine Amttreue. Der Ausdruck „meines Fürsten“ ist
nicht auf irgendeine konkrete Person gezogen, sondern auf den Monarchen als Staatsoberhaupt.
In der langen Replik (V.112 – 124) behandelt Bassian Papinian als Günstling und verlangt nach
Gegenleistung. Jener selber betrachtet sich jedoch als pflichtstreuen Beamten ohne ungebührliche
Ambition. Seine Replik (V.125 – 146) ist viel kunstvoller aufgebaut als die Bassians und
indirekter und vorsichtiger, was zu seinem Status als Beamten paßt. Diese läßt sich in drei Teile
gliedern: I. Er ist treue zu seinem Amt, zu dem der ehemalige Kaiser Servus ihn gesetzt hat
(V.125 – 134 Mitte). II. Er kann seinen hohen Status nicht behalten, weil er ihn auch nur von
Servus erhalten hat, um den beiden Brüdern beizustehen. (Dieser Gedanke ist nicht explizit
ausgedrückt, sondern nur im V.136 „Ist durch geschwinden Fall der Erden recht verletzet 18“
impliziert. Vgl. auch V.160 derselben Szene) (V.134 Mitte – 138 Mitte). III. Er beschreibt den
18
Hier ist die Ermordung Getas gemeint.(vgl. Mannack 1993: 1049)
19
Fehler Bassians indirekt in einer Allegorie des Gehens, und mahnt ihn vor Verleumdung und
Schmeichelei (V.138 Mitte – 146 Mitte).
V.162 „Sie gelten beyde vil / doch mehr der Themis Bild.“ Hinsichtlich des Vorwurfs zur
Parteilichkeit nennt Papinian in diesem antitheton seinen wahren Grund der Verweigerung,
nämlich die Gerechtigkeit. Auch den Vorwurf der Rache am Tod seines Schwiegervaters wehrt er
ab und bestätigt seinen Standpunkt im V.174 „Die lehr’ uns unbefleckt und rein und heilig seyn“
und im V.176 „Doch nicht von dem was recht sich seitwarts ab zu neigen.“ Nach Mannack
stammt diese Formulierung aus der Allegorie des Staatsschiffs und kennzeichnet seine
ablehnende Position zu den Prinzipien der prudentia mixa (vgl. Mannack: 1049), und auch im
V.180 „Das (das Gewissen) nach Rew und der Wurm deß Frevels nie gebissen“ und im V.184
„Der Käyser meinen Dinst / ich nicht ein rein Gewissen“ (antitheton).
3. Szene Papinianus. Plautia. Papiniani Sohn. (Die vierte Abhandlung)
a) Situation
Papinian hat sich vor Bassian gewährt. In dieser Szene wird gezeigt, wie er sich nicht von den
Schmerzen seiner Frau Plautia bewegen läßt und in seinem Sohn, der mit sterben muß, die
Bestätigung seiner Entscheidung findet.
b) Gliederung
Diese Szene fängt mit drei Monologen an: dem von Plautia, von Papinian und seinem Sohn.
Diese kann man als den ersten Teil der Szene betrachten, den Rest als den zweiten Teil.
c) Rhetorische Untersuchung
Der Monolog der Plautia ist aufgrund seiner vieler Ausrufe (wie im V.197, 203, 212 usw.) sehr
affektiv, was der Auffassung der Barockzeit entspricht, daß Frauen besonders anfällig von
Affekten seien. Sie beklagt das Ungerecht der Welt, indem sie das Unglück ihrer Schwester und
ihres Vaters aufzählt, und stellt in ihrem letzten Vers die Frage, ob die Tugend in der Welt nur
Unheil bringt (V.228: Wird denn die Tugend nur durch solchen Blitz getroffen?). Für unser
Thema ist in dieser Szene nur der Monolog Papinians wichtig. Aber hier geht es nicht mehr um
eine argumentative Verteidigung seines Rechtsgedankens, sondern um die Sinnstiftung seiner
20
Entscheidung durch Gerechtigkeit. Nach Mannack entwickelt Papinian hier alle Aspekte des
wahren Martyriums (Mannack: 1050), indem er den Gedanken vom V.228 aufnimmt und das
zentrale Wort „Tugend“, die Plautia als nutzlos und gar schädlich in einer ungerechten Welt
beklagt, umdeutet und mit einem transzendenten Sinn verbindet. Der ganze Monolog Papinians
läßt sich in drei Teile gliedern: I. V.229 – 232: Gerade der Tugendhafte wird auserwählt zum
Martyrium (V. 231 – 233: „Wer mutig zu bestehen Den heist deß Höchsten Schluß auff solchen
Kampff-platz gehen.“ „Kampff-platz“ ist eine Metapher für das Schafott.). II. V.233 – 235:
Beständig zu sein ist das tugendhafte Verhalten. III. V.236 – 239: Lohn des tugendhaften
Menschen (d.h. Lob vgl. V.236, wo „der unendliche Lob“ „der kurten Qual“ gegenübergestellt
wird). IV. Notwendigkeit des Martyriums für die Gerechtigkeit (d.h. die Gerechtigkeit und
Tugend zur Erscheinung zu bringen). V. V.243 – 248 Wirkung seines eigenen Martyriums Die
ersten drei Verse dieses Teils beginnen je mit dergleichen Wortgruppe „Man glaubt“, also die
Figur Anapher, und stehen syntaktisch zueinander im Parallelismus. Mit dem Ausdruck „Man
glaubt“ betont Papian den Sinn seiner Tat für die Öffentlichkeit. Die semantische Steigerung
innerhalb dieser drei Verse steht zu ihrer strukturellen Gleichheit gegenüber. Es steigt nämlich
von der Weisheit zum Werk und schließlich zur Themis, der Gerechtigkeit selber. Im
anschließenden Vers 246 „Man seh daß Ich vor Sie deß Käysers Hold verlacht“ ist syntaktisch zu
den vorhergehenden drei unverändert, aber das Verb „glaubt“ wird durch das Verb „seh“ ersetzt,
welches die objektive Wirkung seiner Tat unterstreicht. Die vorhergehenden Versen beginnen mit
„Man glaubt“ und zeigen insofern bloß die subjektive Unterstellung Papinians, aber hier mit dem
Verb „sehen“ wird darauf hingewiesen, daß die Wirkung nicht bloß unterstellt ist, sondern daß
sie sicherlich eintritt. Wie die anderen seine Tat auch interpretieren mögen, ist eines sicher, daß
er die Gerechtigkeit dem kaiserlichen Gunst vorzieht. Im V.247-8 redet Papinian sich mit Du an,
und scheint hier ein Selbstgespräch zu führen, wobei er sich selbst gegenüber seine Entscheidung
noch mal bestätigt. Der Monolog seines Sohnes ist eine verstärkte Bestätigung den jenseitigen
Sinnes des Martyriums, indem das Leben und der Tod in enge dialektische Beziehungen
zueinander gebracht werden: „Ich bin von Ihr dem Tod’ in dises Licht geboren (V.251)“. Im
zweiten Teil dieser Szene geht es um Beständigkeit und hat mit dem Thema hier nicht viel zu tun.
4. Szene Marcrinus. Papinianus. Plautia. Der Sohn. (Die vierte Abhandlung)
a) Situation
21
Hier hebt der kaiserliche Bote Marcrinus das Amt Papinians auf und überbringt ihm die
Hinrichtungsentscheidung sowohl des Vaters als auch des Sohnes. Dabei versucht er als
Amtskollege, ihn umzustimmen, aber nur vergebens. Im Angesicht des Tod läßt sich weder
Papinian noch sein Sohn erschrecken.
b) Gliederung
Für diese kurze Szene ist keine Gliederung nötig.
c) Rhetorische Untersuchung
Wichtig ist die Replik Papinians vom V.330 bis V.334, wo er das Thema der Auseinandersetzung
mit Cleander wiederholt, daß die Gerechtigkeit über der Amttreue steht: „Der Heilgen Themis
Bild ist einig meine Ruh / Nemt / nemt die Bilder hin! sie stehn mir in dem Hertzen [....] was sind
die Bilder noth / Die nun zu ändern sind nach eines Fürsten Tod?“ In dieser Replik baut er ein
antitheton auf, in welchem die Bilder des Fürsten, eine Metonymie für Gunst des Herrschers, dem
Bild der Themis gegenübergestellt wird. Das Bild der Themis ist unvergänglich (und befindet
sich in seinem Herzen), während die Bilder (nur äußerliche Gegenständer) der Fürsten nur
zeitlich bedingt sind und wechseln sich schnell ab. Dieses dient als ein Argument, weshalb er die
Gerechtigkeit dem Herrscher vorzieht. Eine andere wichtige Stelle ist die folgende Replik
Papinians (V.336 – 342). Hier wird analog zu der vorherigen Replik das allgemeine Recht dem
Amtrecht gegenübergestellt. Die vorherige Replik ist bildlich, diese ist dagegen die
argumentative Wiederholung derselben. Das allgemeine Recht ist auf „Seelen“, nämlich dem
Gewissen, geschrieben (eine Metapher, um den Gegensatz noch anschaulicher aufzubauen), das
kaiserliche Gesetzbuch dagegen auf leicht vergänglichem Papier.
5. Szene Papinianus. Zwey Haubtleute auß dem Läger. (Die vierte Abhandlung)
a) Situation
Die Hauptleute suchen Papinian in dieser Szene auf, um ihm als Heeresführer die Unterstützung
der Armee anzubieten, so daß er sich mit deren Hilfe rettet und auf den Thron hebt, was Papinian
ablehnt. Im Angesicht der Drohung bewährt sich Papinian in der Szene mit beiden kaiserlichen
Gesandten, jetzt bewährt er sich der Versuchung gegenüber.
22
b) Gliederung
In dieser kurzen Szene ist auch keine Gliederung nötig.
c) Rhetorische Untersuchung
In den Versen 391, 392 ist die klare Stellungnahme Papinians zu dem Angebot der Hauptleute,
nachdem er sie dafür bedankt hat: „ Nichts als deß Fürsten Heil auch durch diß Blutt zu stützen
Der sucht nicht frembder Schutz den Tugend kan beschützen.“ Hier ist mit dem Heil des Fürsten
nicht dem Heil der einzelnen Person des Bassians gemeint, sondern allgemein dem
Staatsoberhaupt. Die politische Ordnung, die er im V.420 als „das allgemeine Beste“ nennt, wo
er den Gedanken hier noch mal deutlicher ausdrückt), will Papinian als Beamter auch durch
eigenes Leben und trotz ihm geschehenes Unrecht nicht stören und verwirft das aktive
Widerstandsrecht. Die transzendente Gerechtigkeit, welche verinnerlicht dem Einzelnen als
Tugend erscheint, gilt als eine höhere Instanz als der Staat. Deswegen nimmt er das
Widerstandsrecht nicht in Anspruch, auch wenn es nicht von der Bewahrung Leben des
Individuums, sondern der Rettung des Staates ausgeht. Zum Schluß dieser Replik mahnt er seine
Gesprächspartner zur Treue zum Kaiser und erinnert sie an ihr Eid. Die Hauptleute meinen aber
anschließend nach der Vertragstheorie, daß Bassian den Bund, d.h. den Vertrag, durch
Brudermord gebrochen hat und deswegen das Eid der Treue nicht mehr gültig sei (vgl. Mannack:
1052). Papinian verwirft diese Meinung in seiner Replik vom V.405 bis V.412, und weist auf die
Götter, d.h. die Transzendenz, als berechtigte Richter hin, was Luthers Ablehnung eines aktiven
Widerstandes und Bodins Souveränitätsgedanke, daß der Souverän allein vom Gott gerichtet
werden kann, entspricht (ebd.). Die Hauptleute zweifeln an der Gerechtigkeit der Götter: „Die
Götter straffen spät! auch nie! so mag er frey mit Mord / Gifft / Unzucht / Trug / Zwang / rasen /
Vollerey / Bey unterdruckter Ach! um Lust die Zeit beschlissen?“(V.413-415) Nach dem ersten
Satz steht in dieser Replik eine Epiphrase, die eine semantische Steigung zu dem vorhergehenden
Satz hinzufügt, um die Bezweiflung der Hauptleute zu betonen. Der letzte Satz ist eine
rhetorische Frage, die den Gedanken ausdrückt, daß der Täter, wenn man ihn nicht selber bestraft
und dem göttlichen Gericht überläßt, dessen Strafe nicht diesseitig geschieht, in seinem Leben
wohl trotz seiner großen Vergehen, welches durch die rhetorische Figur der Häufung ausgedrückt
ist, unbestraft bleibt. Diesen Gedanken verwirft Papinian nicht, diesseitig ist die göttliche Strafe
wohl oft nicht beobachtbar, dennoch übt das Gewissen des Individuum als die vermittelnde
23
Instanz unbeobachtbare Strafe aus, was in diesem Drama durch den Traum Bassians von den
Furien und seinem Vater Servus in der anschließenden Szene bestätigt wird. In der
anschließenden Replik wenden die Hauptleute ein, daß die göttliche Strafe auch durch den
Menschen ausgeführt werden kann, was Papinian mit der Verbindlichkeit der Hierarchie
beantwortet „Die Schwerdter sind verpflicht der Antoninen Haus“ V.417. Im Gegensatz zu der
Szene mit Cleander, welcher in seiner Rechtsauffassung von Papinian argumentativ geschlagen
wird, wodurch der Rechtsgedanke Papinians eine überwiegende Überzeugungskraft erhält, ist
hier der Sinn seiner Ablehnung eines gerechten Widerstandes schließlich in Frage gestellt, dies
ist in der letzten Replik der Hauptleute (V.431-440) ausgedrückt. In Ausrufen und Periphrasen
loben sie Papinian (V.431-433) und erkennen seine Tugend an (V.433: „O daß du minder
fromm“). Dennoch ist die positive Folge eines Widerstandes durch Papinian nicht abzuleugen
(V.438: „der Mörder wär jtzt hin!“ und V.440 „Wie wollten wir die Gifft von Rom und Reich
außfegen!“). Ohne die transzendente Sinnstiftung wäre seine Entscheidung absurd.
6. Szene der der Käyserin Cämmerer. Papinian (Die fünfte Abhandlung)
Diese Szene ist sehr kurz und muß nicht eingeteilt werden. Der Kammerdiener will hier Papinian
auf den Befehl Julias zu einem Staatstreich verführen und dazu bewegen, mit ihr gemeinsam den
Thron besteigen, was Papinian straff ablehnt. Zugleich betont er seine Treue zum Kaiser. Denn
nicht einmal vom Gemeinwohl geht sie aus, sondern aus den eigenen Nutzen, was sehr
verwerflich ist. Im Dialog wird auf die Schiffahrtsmetapher angespielt (V.27-29).
7. Szene Eugenia Gracilis. Papinianus Hostilius. Papinianus. Ein Haubtmann.
Hier bewährt sich Papinian in seiner Standhaftigkeit auch vor trauernden Eltern. Dieses Motiv ist
ein martyrologisches. Diese Szene fängt mit vier großen Monologen an, die jeweils von Eugenia,
der Mutter Papinians, Papinian, Hostilius, dem Vater, und wiederum Papinian gehalten sind.
Eugenia klagt, daß sie als ältere den Sohn, den jüngeren ins Grab tragen muß und niemand mehr
hat, der sie bestattet. Papinian tröstet sie dadurch, daß er auf die Unberechenbarkeit und
Wertlosigkeit
des
vergänglichen
Lebens
hinweist
(V.49-57),
und
die
Ewigkeit,
Unveränderbarkeit des Ruhm durch Tugend als Gegensatz hervorhebt. Zugleich fordert er sie auf,
24
seine Ehre wichtiger als das flüchtiges Leben anzunehmen (V.58-70). Als Sinnstifterin des
Ganzen nennt er wieder Themis, nämlich „das heilige Recht“ (V.66). Hostilius lobt den Sohn und
bestätigt die Ehrenhaftigkeit seines Handelns, und führt die Exempla von Sokrates, Callistenes,
Phoeion, Seneca, Paetus und Burrus als politische, heidnische Märtyrer und seine Vorgänger auf,
um seine Überzeugung von dem Sinn des Handelns Papinian zu bestätigen(V.71-86).
Anschließend erwähnt er aber in den Versen 87-90 die Notwendigkeit zum Kompromiß 19
(Mannack: 1055) und legt mit der Schiffahrtsmetapher dar, wie man sich seiner Meinung nach in
dieser extremen Situation verhalten soll, nämlich die Katastrophe zu vermeiden, auch wenn es
moralisch gesehen nicht das Beste ist (V.87-108), und stützt seine Meinung mit dem Argument,
daß sein Tod keine praktischen Nutzen bringen kann, sein weiteres Leben dagegen für ihn selbst,
seine Familie und das allgemeine Wohl bedeutend ist (V.109-112: „Denn pflantzt man
Redli[ch]keit auch Wunder-thiren ein. Zäumt Löwen / baut das Heil der sorgenden Gemeinde
Denn rettet man sich selbst / bringt Länder auß verterben. Schützt Völcker / bauet Städt / und
zeucht auß Fall und Sterben“). Auf diese Weise stellt er die Rechtfertigung der Entscheidung
Papinians durch Gewissen und die transzendente Gerechtigkeit in Frage und rechtfertigt seine
eigene Meinung wie Papinian durch die Begriffe des Rechtes und der Tugend, während Cleander
seine Position eher durch machiavellistische politische Klugheit und Machtpolitik stützt, und
Papinian ihn mit der Tugend und Recht widerlegt. Dennoch steht die Meinung seines Vaters
übers Recht, die die irdische Ordnung als Sinnstifterin nennt, mit seiner eigenen, deren
Sinnstifterin transzendent ist, in einer Zwiespalt. Gegen die Meinung Hostilius’ geht Papinian in
der folgenden Replik (V.114-134) nicht argumentativ vor. Er versucht nicht, den Vater von der
Gültigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen, sondern bestätigt seine Position. Den Vers 114
teilt das letzte Kolon des Hostilius mit den zwei anfänglichen Kola Papinians. So entsteht
eindeutig der Eindruck, daß Papinian seinen Vater jäh unterbricht und die Überredung verbietet.
Diese Replik Papinians kann man in drei Teile einteilen: Teil I. V.114 – 118 Papinian wiederholt
seine Entscheidung und zeigt, daß Hostilius diese Meinung nicht aus Vernunft, sondern aus
Affekt, nämlich der Liebe zum Sohn vertritt, sonst wäre er mit ihm einer Meinung. Teil II.
V.119–122
Papinian
wiederholt
die
von
Hostilius
erwähnten
allgemeine
politische
Verhaltensregeln (Prinzipien der prudentia mixa) und erkennt deren Gültigkeit an. Teil III. V.123
19
Dieser Gedanke ist auch aus der zeitgenössischen Diskussion des Gryphius entnommen. Er
kann von Bodin stammen, der die Rettung des Staates vor das Individuum stellt und das
Gewissen nicht als Rechtfertigung eines Widerstandes des Beamten nicht zuläßt. (vgl. Mannack:
1056 und Kühlmann 1981: 249)
25
– 134 Er meint aber, solche Regeln seien bloß für Normalfälle anwendbar, dennoch nicht für ein
entsetzliches Verbrechen wie den Brudermord. Sein Gewissen übt Sanktionen aus (V.131). Mit
dieser Replik ist für diese Szene die Diskussion ums Recht abgeschlossen. Was noch folgt, ist die
Jammer der Eltern aus Verzweifelung (kurze Repliken in Ausrufen), und die Mahnung Papinians
an seinen Vater zur Standhaftigkeit. Die abschließende Replik dieser Szene gehört Papinian, der
die Außergewöhnlichkeit seines Handelns erwähnt20. Er gehorcht seinem Gewissen, obwohl er
selber auch nicht sicher weiß, ob die gerechte Strafe für Bassian tatsächlich vollzogen wird:
„Mein Nachsaß (glaubt es fest! die Seele gibt mirs ein!) Wird thöricht: oder bald mein erster
Rächer sein“ (V. 161-162).
8. Szene Bassianus. Papinian. Sein Sohn. Die Auffwärter deß Käysers. Papiniani Diner. Die
Schergen mit den Welle-Beilen. (Die fünfte Abhandlung)
a) Situation
Bassian versucht, Papinian die Beschuldigung des Verrates anzuhängen, um das Todurteil zu
rechtfertigen. Hier handelt er nach machiavellistischen Prinzipien. Papinian wehrt sich vor der
Anklage. Ihn drücken eher die Verleumdung und die Ungerechtigkeit als der bevorstehenden
Tod. Ein Gerichtsverfahren ist ihm nicht gegönnt, und Bassian rechtfertigt für sich durch das
Argument der Staatsraison seinen Entschluß, Papinian zu töten (V.306-312). Papinian
argumentiert nicht mit ihm wie mit Cleander, der dieselbe Meinung vertritt, sondern äußert
seinen Wunsch zu sterben. Sein Sohn und anschließend er selber erleiden den Märtyrertod,
Bassian zeigt danach Reue und wird von Wahnvorstellungen verfolgt.
b) Gliederung
Diese Szene ist im wesentlichen ein Dialog zwischen Bassian und Papinian, . aber innerhalb
dieses Dialogs gibt es Repliken, die monologisch sind. Die Repliken Bassians (V.199–210 und
V.297–312) sind Selbstgespräche und nicht auf Papinian gerichtet. Die Repliken Papinians
(V.278–296 und V.313–354) sind Monologe. In der Mitte dieser Szene gibt es ein kleines
Mehrgespräch unter Bassian, Papinian und seinem Sohn, das mit der Replik seines Sohnes
(V.239 – 249) anfängt, die aber vom monologischen Charakter ist, und nur deren letzter Satz an
20
Ähnliche Aussage gibt es auch in der Szene mit dem Kammerdiener Julia: „Mir wird was
ungewohnt bey frembder Noth anstehn“ (V.25).
26
Papinian gerichtet wird (V.249 „Mein Vater!“). Dieses Mehrgespräch ist durch den Dialog
zwischen Bassian und Papinian geprägt, während es zwischen dem Sohn Papinians und Bassian
keine Kommunikation gibt. Die Kommunikation zwischen Papinian und seinem Sohn ist nur
durch Anrede auf die beiden Gesprächspartner bezogen, aber nicht inhaltlich kommunikativ.
Daher sind für die Analyse hier die monologischen Repliken und der Dialog zwischen Bassian
und Papinian vom Belang.
c) Rhetorische Untersuchung
1. Replik Papinians (V.181 –198): Diese lange Replik ist die Reaktion Papinians auf die falsche
Beschuldigung Bassians. Er ist der Überzeugung, daß die Verleumder ihr Ziel nicht erreichen
werden: „Die Welt ist nicht so blind / noch so verführter Sinnen; Daß sie durch solche Träum’
und Mährlin zu gewinnen“ (V.195-196). Das Synonympaar „Träum’ und Mährlin“ steht für Lüge
(Metapher) und der Wahrheit gegenüber, und die Welt als nicht blind zu bezeichnen ist die Figur
Personifikation, die Negation „nicht so blind, daß...“ kann man außerdem als die Figur Litotes
betrachten. Auf diese Weise beansprucht Papinian die innerweltliche Anerkennung seiner
Entscheidung, wie in seiner letzten Replik der vorhergehenden Szene (V.160-162). Zugleich
klagt er auf indirekte Weise den Kaiser wegen Ungerechtigkeit an: der Ausdruck „gerechtes
Recht“ bildet die Figur epitheta ornantia, das scheinbar unnötige Attribut „gerecht“ zu dem
Substantiv „Recht“ unterstreicht gerade die Ungerechtigkeit des Bassians, der sein unmoralisches
Handeln als sein Fürstenrecht betrachtet. Er besteht nämlich auf der Erhaltung seiner Macht
(210), und sieht ungerechtes Handeln als notwendig an (V.210 „Und durch hartneckicht seyn deß
Fürsten Macht verletzt?“; V.231 „Der geht sehr krumm der stets die höchste Macht wil richten!“
und V.306 „Doch wenns an Zepter geht / gilt Dinst und Freundschafft nicht.“). Gedanklich steht
hier die Figur Ironie, denn eine Folterung ist für Verräter vorgesehen, aber nicht für den
unschuldigen Papinian. Er verlangt danach, nur um das Unrecht Bassians zeigen zu können. Am
Ende dieser Replik besteht eine rhetorische Frage (V.198 „Daß sich Papinian mit solcher
Schmach beschmitzen?“) und drückt seine Verachtung aus. Die Verwendung rhetorischer Mitteln
als indirekte Kritik an dem Kaiser entspricht dem Status Papinians als Untertanen.
2. Replik Papinians (V.211–230): Nachdem er vergebens nach einem Gerichtsverfahren, ja sogar
nach der Folterung („Stahl und Eisen“ im V.188, die Figur Katachrese), verlangt hat (V.181198), um seine Unschuld bezeugen zu können, welche martyrologisch mit hineingehört, wendet
27
Papinian sich zu den Göttern, und beruft sich auf das göttliche Gericht anstatt auf das irdische,
das ihm keine Gerechtigkeit gewährleisten kann (V.211–219). In anderen Hälfte dieser Replik
(V.219–230) klagt er zuerst den Verleumder als gottlos (V.220 „mir Gottlos angedichtet“) an und
beteuert abermals seine Unschuld. Obwohl Bassian selber der Verleumder ist, vermeide Papinian
ihn direkt so zu nennen, sondern stellt ihn in die Rolle des idealen Fürsten und fordert ihn auf, der
Verleumder moralisch (aber nicht zur Strafe) zu verurteilen (V.219 – 220 „Der Fürsten verzeihe
dem /der...angedichtet“). Er redet so weder aus Zagheit noch höhnender Ironie, sondern seiner
Rolle als fürstlichen Beamter völlig entsprechend. Anschließend lehnt er die Aufforderung
Bassians zum letzten Mal ab, die ihm Bassian in seiner vorhergehenden Replik (V.199–210) als
die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung seiner Ehe, die durch die Beschuldigung
geschwärzt wird, anbietet. Begründet wird seine Ablehnung dadurch, daß er das Recht seit
Jugend studiert und pflegt und deswegen kein ungerechtes Recht zur Geltung lassen will (V.224),
daß die Verleumdung wegen seiner steten Aufrichtigkeit der Welt gegenüber kraftlos ist (V.225 –
226) und daß er schlichtweg nicht im Stande, d.h. aus objektiver Notwendigkeit, ist, die
begangene Schandtat zu beschönen (V.227 –228). wählt er das Mittel des Märtyrertodes als die
einzige Form des Protestes und zeigt die martyrologische Haltung des contemptus mundi (V.229230: „Den höchst-gelibten Tod. Ich bin deß Lebens satt! Das so vil krummer Gäng und wenig
rechter hat“). Der Gegensatz (antitheton) von „vil krummer Gäng“ und „wenig rechter“ betont
die Nichtigkeit des irdischen Lebens. Es ist im allgemeinen gemeint und nicht konkret
hinsichtlich des ihm geschehenen Ungerechtes. Denn in seinem langen Eingangsmonolog dieses
Dramas wird bereits die Fallallegorie ausführlich geschildert und allerlei irdische Gefahren wie
Verleumdung erwähnt. Zugleich zeigt er durch das Wort „satt“ die für den Märtyrer typische
Haltung des taedium vitae (Mannack: 1056).
3. Der folgende Dialog zwischen Bassian und Papinian (V.231–276) Hier nimmt Bassian das
letzte Wort „krumm“ der Replik Papinians auf und deutet es im Bild des Gehens um, daß der
Weg zur unbedingten Macht eben krumm ist, dadurch versucht er durch den Vergleich (ja bei
ihm fast eine qualitative Gleichsetzung) des ungerechten machtpolitischen Handelns mit einem
wertneutralen menschlichen Verhalten zu verharmlosen. Papinian verwendet das Bild des Gehens
jedoch als eine Allegorie des tugendhaften Lebens, wie er auch in einer früheren Szene mit
Bassian (die vierte Abhandlung, Szene Bassian & Papinianus, V.137 – 146) bereits erwähnt hat.
Bassian kann aber diese moralische Mahnung nicht aufnehmen und ist bloß durch die
28
Befehlverweigerung Papinians beleidigt und ergreift anschließend die äußerste Maßnahme,
nämlich seinen Sohn zu töten zu befehlen, um Papinians damit zu zwingen. Die lange Replik des
Sohnes spricht seine eigene Bereitwilligkeit zum Tod aus. Sie ist gedanklich eine Wiederholung
von der Replik in der Szene Papinianus. Plautia. Papiniani Sohn. V.251–258. Er sieht seinen
eigenen Tod als Martyrium für den Vater und seine Tugend (vgl. auch V.251 „Und theilhafft
seiner Ehr!“). Papinian sträubt sich dagegen und zeigt das Ungerecht des Tötens seines Sohnes.
Bassian sieht darin eine Chance, Gehorsam von Papinian zu erpressen. Papinian handelt zwar aus
seiner väterlichen Pflicht und Liebe, aber seine läßt sich nicht von der affektiven Liebe
überwältigen und von seiner Vernunft abbringen, und die Pflicht, das Leben des Sohnes zu
bewahren, geht nicht über die, die ihm seine Gewissen vorschreibt. Deswegen ist Papinian von
nichts zu zwingen. Auf diese Weise handelt er im Gegensatz zu seinem Vater Hostilius und
zeichnet sich durch seine Standhaftigkeit aus. Er nimmt das Wort Bassians „Gehorsam“
wiederauf, und deutet den Gehorsam zum Herrscher als Gehorsam zu dem Heiligen Recht um,
das die höchste Instanz bildet (V.258 –259 „Wir sind gehorsam! Fürst! ein unerschreckter Geist /
Thut willig: was uns nur das Heilige Recht erlaubet“). In den folgenden Repliken verabschieden
Vater und Sohn voneinander, Papinian thematisiert wieder den contemptus mundi: „diß Leben ist
ein krigen / Voll Angst21 / ein solcher Tod: das allerhöchste sigen“ (V.263 –264), und baut durch
den Parallelismus von der Definition des Lebens und Todes ein antitheton auf. Bassian höhnt ihn
aus, daß er durch Starrsinn alles verliere und korrigiert ihn, daß der Sieg gar nicht vorhanden sei,
indem er die Definition Papinians mißachtet und das Wort „Sieg“ nach seinem Verständnis
verwendet (V.265). Hier sind die Figuren anadiplose und reflexio verwendet. Papinian bestätigt
seinen Sieg (wieder die Figur reflexio) und begründet ihn in einem ephiphrasis durch das
Gewissen (V.266). Im V.267 verwendet Bassian die Ironie (er sagt Weisheit, meint dabei aber
Torheit, und der Ausdruck „vor großer Weißheit rasen“ beinhaltet in sich einen Widerspruch und
wirkt auch ironisch), um seinen Starrsinn zu höhnen, zugleich fordert er seine Leute auf zu
schauen. Das ist wiederum aus dem auktorial intendierten Rezeptionsperspektiv ironisch. Das
Bild des Sehens und des Blindseins ist bei Gryphius häufig verwendet und steht dafür, die
Wahrheit erkennen zu können. Bassian verwendet auch das Wort „schauen“, und zeigt dadurch
seine eigene Torheit. Papinian korrigiert ihn wieder, daß sein Handeln wahrscheinlich dem
Bassian als „rasen“ scheint aber in Wahrheit aus Vernunft ist, indem er das Wort „rasen“ durch
21
Angst ist in seiner ursprünglicher Bedeutung nicht mit Furcht, Kleinherzigkeit verbunden,
sondern mit Sorge. So ist das irdische Leben nach der christlichen Auffassung voller Angst, weil
es wechselhaft ist.
29
„solch“ modifiziert (die Figur reflexio). Bassian nimmt sein letztes Wort „angeblasen“ wieder auf
und verwendet das Bild des Wetters, um ihn zu zeigen, daß er durch seinen Starrsinn seine hohe
Stellung in den Wind schlägt. Papinian antwortet wieder in der Haltung des contemptus mundi
und definiert die Herrlichkeit des irdischen Lebens metaphorisch als Wind, Schatten, Rauch und
Spreu, die aus dem Bildfeld der Natur stammen und Sinnbild der Wechsel- und Wertlosigkeit
sind. Bassian akzeptiert nicht die Gültigkeit dieser Definition und nennt sie subjektiv und allein
von Papinian vertreten. Er nennt die Evidenz, daß Papinian in der Tat wegen seines Starrsinns
von der Höhe herabgefallen ist. Papinian wiederholt den Gedanken des Eingangsmonologes, daß
die gesellschaftliche Höhe der Natur nach nicht stabil ist und verwendet dafür das Bild des
Wetters (V.272). Dieses Bild übernimmt auch Bassian und verbindet es mit dem Bild des
Baumes. Das Sinnbild des Baumes im Sturm hat zwei mögliche Deutungen. Eine ist, daß ein
tugendhafter Mensch sich nicht zu beugen braucht wie ein tiefgewurzelter Baum im Sturm, der
zwar leidet und sowohl Äste als auch Blätter verliert, aber sich doch bewahren kann. Die andere
Deutung ist, daß ein Mensch in der extremen Situation sich nachzugeben wissen muß, sonst wäre
er wie ein harter Baum, der im Sturm nicht biegen kann, gebrochen, während ein dünnes Rohr
sich bewahren kann22. Die Replik Bassians hier ist also auch zweideutig, einerseits verwendet er
das Sinnbild der ersten Deutung ironisch, daß der Baum im Sturm nicht nur Äste verliert, sondern
auch entwurzelt werden kann, andererseits deutet er auf die zweite Deutung hin. Papinians Replik
darauf (V.274) ist antithetisch aufgebaut und stellt wieder den Kontrast Leben – Tod dar. Mit
„Haus“ meint er metaphorisch das Grab, d.h. den Tod, wo einer durch nichts mehr gefährdet
werden kann (V.276). Bassian nimmt dieses Wort in einem irdischen Sinn auf und meint dabei
die Familie und Sippe, und verwendet wieder die Figur reflexio (V.275).
4. Replik Papinians (V.278–296): Bassian läßt das vom Leib getrennten Haupt des Sohnes
herbringen, um es als die stärkste Evidenz der Verwirrung Papinians zu verwenden. Dieser
Vorgang ist nach Mannack aus dem auktorialen Rezeptionsperspektiv ein Appell zum
contemptus mundi (Mannack: 1057). Bei dessen Anblick erfüllt Papinian aber nicht das von
Bassian erwartete Schmerz sondern der Stolz. Die ganze Replik ist eine Lobrede auf sein Kind:
In V.278 – 284 lobt er seine Großmut und seinen durch Martyrium erworbenen Ruhm. V. 284
„Und engen Lebens-Zil / mit weiterem Ruhm beschlossen“ baut durch das Antonympaar „eng –
weit“ einen Kontrast zwischen dem kurzen Leben und großen Ruhm auf, um die Tat um so
22
Vgl. Henkel, Arthur/ Schöne, Albrecht Hrsg.: 1996. Sp. 148 u. 150-151.
30
rühmungswürdiger erscheinen zu lassen. In V.285 – 291 zeigt er die weitere Bedeutung des
Martyriums für „Recht / Gott / und Land und Vater“ (V.285). Recht und Gott sind hier
asyndetisch, dies kann aus Rücksicht auf Versmaß geschehen, kann aber auch so verstanden
werden, daß die beiden Begriffe Recht und Gott miteinander unzertrennbar verbunden sind. Vom
V.290 bis zum V.294 lobt er scheinbar sein Kind, daß es die Ehre der Familie bewahrt hat,
schmäht aber in der Wirklichkeit der Schandtat Bassians. Daß es hier mit Bassian gemeint ist,
wird durch die sprachlichen Indizien wie „großer Väter Fleiß“ und „erstes Kind“ (V.291)
signalisiert. Im V.293 und 294 wird das Bild der durch den Mond verursachten Sonnenfinsternis
für die Familienschande verwendet, welches einerseits aufgrund des Hinweises auf die antike
Mythologie, daß die Mondgöttin Schwester des Sonnengott Phoebus ist, dafür geeignet ist,
anderseits ist dieses Bild auch ein Indiz für die Schmähung Bassians, denn der Mond und die
Sonne als Fürsten des Himmels gelten23. V.295 ist ein hyperbaton, wo das Substantiv „den
grausen Kummer“ von dem ihm zugehörigen Genitivattribut „der Verlust“ durch die Wortgruppe
„kan mir“ getrennt wird, außerdem steht hier eine Ellipse, denn das Subjekt „ich“ weggelassen
ist. Zwar steht das Wort „Kummer“ am Anfang des Verses, welches dadurch betont wird, aber
der Inhalt des Satzes verneint, daß Papinian sich von der Kummer überwältigen lassen wird, und
dazu liefert der nächste Vers den Grund, daß die Sippe schandefrei ist24.
5. Die Replik Papinians (V.313 – 354): Bassian zeigt sich in seiner monologischen Replik (V.297
– 312) von der Standhaftigkeit Papinians bewegt. Dennoch gilt für ihn die Machterhaltung mehr
als jegliche Tugend und Wahrheit und entscheidet sich für seinen Tod, eine typische
machiavellistische Haltung. Diese Replik ist die Abschiedsrede Papinians, die aus dem Abschied
von seinem Herrn Bassian (313 –325) und dem Ausrichten seines letzten Wunsches an seine
Gattin Plautia durch seine Diener (V.325 – 332), dem Abschied von seinen Diener, weil sie als
Seinige gerade anwesend sind, und einem Gebet an die heilige Themis am Schluß(V.343 – 354).
Er sieht seinen Tod als „Sühneopfer“ für die höheren irdischen Instanzen (Fürst, Rat, Volk und
Gemeinschaft, Heer, Land und Reich V.317-318) an, welches als ein Verweis auf Christi
23
Vgl. Henkel und Schöne 1996: Sp.
Dieser Gedanke entspricht dem Monolog seines Sohnes (V.239 – 247). Dort verwendet jener
das Bild des Sterns für Tugend, das Bild der Wolken für Laster, und das Bild der Sonne (des
Phoebus) für Wahrheit (vgl. Henkel/Schöne 1996: Sp. 12, 13 u. 40). Es ist von der Sprache
abzulesen, daß das Bild der Sonne als Sinnstiftung verwendet wird, denn die Geltung des Sterns
wird durch die konditionale Subjunktion „so lang als“ an die der Sonne verknüpft. In der
Sinnbildkunst des Barock wird die Sonne nämlich öfters im Zusammenhang mit Gott gedacht.
24
31
Opfertod verstanden soll (Mannack: 1058), und hegt Bassian gegenüber keinen Haß, was der
christlichen, martyrologischen Haltung entspricht. Statt dessen betet er die Götter für Heil des
Fürsten. Sein letztes Wort an Plautia spricht ihr den Trost in der Haltung des contemptus mundi
und die Ermahnung an Beständigkeit aus. Sein Abschied an die Diener drückt ebenfalls die
Haltung des contemptus mundi aus. Denn er befielt, sein Kleid, Mantel und Schmuck von ihm
abzunehmen und hält das Leben als ein „Schauspiel“ (V.335), welches zum nichts anderen da ist,
als das Publikum auf die Wahrheit zu verweisen. Diese Äußerung bildet mit dem ersten Auftritt
der Themis eine Klammer. Außerdem dreht er die Metapher der Nacht um und verwendet Nacht
für das Leben, dagegen Licht für den Tod, wie sein Sohn in der Abschiedrede bereits verwendet
hat (V.246). Dennoch verabschiedet er sich zum letzten sowie sein Sohn mit dem
konventionellen Ausdruck „Gute Nacht“. Das Gebet ist wie die Reigen des Chors nicht in
Alexandriner geschrieben. Hier ist es im vierhebigen Trochäus geschrieben, die ersten vier
Versen sind im Kreuzreim, die übrigen dagegen im Paarreim, außer V.349 u. 351, die mit keinem
anderen Vers reimt. Bis V.349 entspricht diese Strophe der Lutherstrophe.
III. Zusammenfassung
In der Szene mit Cleander verneint Papinian bereits alle Rechtsvorstellungen, die gegen die
göttliche Ordnung verstoßen. Somit wird seine Position klar, denn alle ihre Negationen sind
ausgeschlossen. In den folgenden Szenen wird gezeigt, wie er in seiner Tat seine Überzeugung
vertritt: Er nimmt Bassian gegenüber sein Widerstandsrecht in Form von Gehorsamverweigerung
wahr; Er läßt sich nicht von seiner Ehefrau bewegen; Er beharrt auf seiner Wahl, auch wenn er
seinen Amt aufgeben muß und auch unter der Drohung, das Leben seines Sohnes mitopfern
müssen; Er lehnt das positive Widerstandsrecht ab, da es gegen die Ordnung ist und dessen
Voraussetzung, nämlich die Vertragstheorie, nicht von ihm akzeptiert wird; Er läßt sich nicht von
der Kaiserinwitwe Julia zum Staatstreich verführen, obwohl die ihm angebotene Hand der Julia
die Legitimation der zu erobernden Herrschaft bringen wird; Er läßt auch nicht von seinen Eltern
bewegen und lehnt die prudentia mixa ab; Er bewährt sich auf dem Hinrichtungsplatz. Der
Aufforderung der Themis (V.535-540 der anderen Abhandlung) gemäß handelt er und erhält auch
den von ihr versprochenen Lohn, nämlich „Ruhm und Heil“ (V.539 der anderen Abhandlung),
welcher als Argument dafür dient, daß er die beste Möglichkeit wählt. Die Szenen sind einerseits
der zeitlichen Folge nach, andererseits der Stärke der Affekterregung nach angeordnet. Sie
32
fangen nämlich mit einer mündlichen Mitteilung des kaiserlichen Dieners an, und wächst mit den
Szenen und schließlich endet mit der Hinrichtung. Auf diese Weise verteidigt er seinen
Rechtsgedanken und bezeugt mit eigenem Tod dessen Wahrheit. In dieser Reformulierung der
ausgewählten Szenen kann man eine ähnliche Struktur wie die einer Lobrede beobachten, auf die
der Titel des Dramas „Großmütiger Rechtsgelehrter“ auch hinweist.
33
Bibliographie
I. Primärliteratur
Gryphius, Andreas. Großmütiger Rechtsgelehrter oder Sterbender Aemilius Paulus Papinianus.
Trauerspiel. Text der ersten Ausgabe. besorgt von Ilse-Marie Barth. mit einem Nachwort von
Werner Keller. Stuttgart: Reclam. 1994.
Gryphius, Andreas. Papinianus. in Gryphius Dramen. Kommentiert und herausgegenben von
Eberhardt Mannack. Frankfurt am Main: Deutsche Klassiker Verlag. 1991. S.307-442. u. S.9991071 (Kommentar).
II. Sekundärliteratur
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Brenner, Peter J. Individuum und Gesellschaft. in Horst Albert Glaser (Hrsg.). Deutsche
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Dyck, Joachim. Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition.
Tübingen:Niemeyer. 1991.
Habersetzer, Karl-Heinrich. Politische Typologie und dramatisches Exemplum. Studien zum
historisch-ästhetischen Horizont des barocken Trauerspiels am Beispiel von Andreas Gryphius’
Carolus Stuardus und Papinianus. Stuttgart. 1985.
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Kaminski, Nicola. Andreas Gryphius. Stuttgart: Reclam. 1998. S.141-157.
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Verlagsgesellschaft Athenaion. 1980. S.19-55.
Winter, Michael. Staatstheorien und Utopien. in Horst Albert Glaser (Hrsg.). Deutsche Literatur.
Eine Sozialgeschichte. Bd.3. Hamburg: Rowohlt. 1985. S. 60-73.
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