Academia.eduAcademia.edu

Die Nacht

2015

Es geht in diesem Aufsatz um die Bleistiftzeichnung "Pein". Sie ist eine Abzeichnung des Ölgemäldes "Die Nacht" von Max Beckmann. Allerdings zeichnete der Künstler nicht den Endzustand des beeindruckenden Gemäldes. Es ist vielmehr zwischendurch entstanden. Einige Elemente des Endversion von Max Beckmann fehlen in der Zeichnung.

Die Nacht (Bleistiftzeichnung nach ? Max Beckmann) Die Nacht, Bleistift auf Papier, Kopie nach Max Beckmann, ca. 27 x 31 cm „Max Beckmann Die Nacht Wir werden Zeugen eines Überfalls. Strolche sind in eine Dachkammer eingedrungen und malträtieren eine Familie. Sie haben sie offenbar beim Abendessen überrascht und überwältigt. Der Blick durchs Fenster geht auf tiefe Dunkelheit. Es ist ein enger, verwinkelter Mansardenraum, der keine vollständige Übersicht über das Geschehen erlaubt. Alles ist in Unordnung geraten. Im Kampfgetümmel sind die Dinge - das Mobiliar, das Geschirr, die Kerzen – durcheinander gestürzt. Teller liegen herum, das Grammophon ist zu Boden gefallen, daneben liegt ein Messer. Zwei der Schinder (von denen einer selbst lädiert ist - er trägt einen Kopfverband) haben einen Mann auf den Tisch gezerrt. Einer stranguliert ihn, während der andere seinen Arm ausrenkt. Neben ihm heult ein Hund. Der dritte Eindringling, der das Kind der Familie wegzuschleppen versucht, scheint sich an der Gardine festhalten oder sie herab reißen zu wollen. Vor dem Tisch, mit dem Rücken zum Betrachter, sehen wir eine Frau, die Beine gespreizt, die © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 1 / 33 Hände an den offenen Fensterflügel gebunden. Max Beckmann hat die überfallene Familie mit der eigenen identifiziert. Der Strangulierte auf dem Tisch trägt die gleichen Züge, wie wir sie von Selbstbildnissen dieser Zeit kennen, zum Beispiel dem „Selbstbildnis als Clown“ von 1921, das hier auch in der die eigene Verletzung vorweisenden Handbewegung präfiguriert erscheint. Dem von einem der Eindringlinge gepackten Kind hat Beckmann Porträtzüge seines damals zehn Jahre alten Sohns Peter gegeben. Beckmann hat in der „Nacht“ das Zerbrechen einer vertrauten Welt am Beispiel der Zerstörung einer kleinen Familie dargestellt. Er selbst sagte, man solle bei seinem Bild »über dem Gegenständlichen das Metaphysische nicht vergessen« . Das Verstörende an seiner „Nacht“ ist, dass sich das Geschehen wie zwangsläufig, wie von einer unheimlichen Mechanik getrieben, vollzieht Der fluchtende Bretterboden lässt uns an eine Bühne denken, und auch die Figuren, die Mörderbande gleichermaßen wie ihre Opfer, agieren, als wären sie Marionetten - und irgendeine Schinder in Beckmanns Gemälde ihrem Tun so teilnahmslos nachgehen, als erledigten sie eine Pflicht, als wären sie nur Werkzeug einer fernen Instanz. Es scheint sinnlos, sich gegen sie aufzulehnen. W. S.“1 Max Beckmann, Die Nacht2 Es ist, als wenn Wieland Schmidt unsere Bleistiftzeichnung beschrieben hätte. Denn er erklärte und interpretierte dieses Sujet ohne die letzte im Hintergrund stehende, aber auf unserer Zeichnung 1 Schmied, Wieland (Hg.): Harenberg Museum der Malerei. Dortmund: Harenberg Verlag, 1999, S. 874. 2 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 61 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 2 / 33 tatsächlich fehlende Figur. Denn auf dem Originalgemälde gibt es noch dieses eine Porträt mehr, das von ihm mit keinem Wort erwähnte, welches aber dringend nach Erklärung schreit. Ich denke, dass ich bei diesem Gemälde nicht darum herum kommen werde etwas zu Max Beckmann zu schreiben. Da mir selbst aber dazu das nötige Wissen fehlt, bediene ich mich einer Stelle des Internets: Max Beckmann wurde am 12. Februar 1884 in Leipzig geboren und verbrachte nach dem Tod des Vaters 1894 einen Teil seiner Kindheit in Braunschweig. 1900 bis 1903 studierte er an der Kunstakademie in Weimar, wo er 1902 seine spätere Frau Minna Tube kennen lernte. 1903 hielt er sich längere Zeit in Paris auf, wo er vor allem die Impressionisten studierte. Im selben Jahr noch ließ er sich in Berlin nieder. Vom Einfluss der impressionistischen Malweise zeugt sein frühestes erhaltenes Gemälde „Junge Männer am Meer“ (1905, Weimar). 1906 heiratete er Minna Tube. Im selben Jahr beteiligte er sich an einer Ausstellung der Berliner Sezession, einer jener um 1900 gegründeten Künstlervereinigungen, deren Mitglied er 1907 wurde. 1906 erhielt er den Villa-Romana-Preis und verbrachte mit einem Stipendium sechs Monate in Florenz. Nach der Rückkehr 1907 nach Berlin entstanden zahlreiche Gemälde. Beckmann war an mehreren Ausstellungen beteiligt; 1913 hatte er bei Paul Cassirer in Berlin seine erste Einzelausstellung. 1914 meldete sich Beckmann freiwillig als Sanitäter zum Militärdienst, wurde aber nach einem Nervenzusammenbruch bereits 1915 wieder entlassen. Beckmann zog nach Frankfurt am Main. 1925 wurde er Professor an der dortigen Städelschule und nahm an der berühmten Ausstellung "Neue Sachlichkeit" in der Mannheimer Kunsthalle teil. Er ließ sich von Minna Tube scheiden und heiratete Mathilde von Kaulbach, genannt "Quappi", die uns ebenso wie seine erste Frau durch zahlreiche Porträts bekannt ist. 1933 wurde Beckmann wie viele andere Künstler fristlos aus dem Staatsdienst entlassen. Bis 1937 lebten die Beckmanns noch in Berlin, dann emigrierten sie nach Amsterdam, 1947 in die USA, wo Max Beckmann unter anderem an der Washington University Art School in St. Louis und an der Art School des Brooklyn Museums in New York lehrte. Am 27. Dezember 1950 starb Beckmann in New York. Figurative Malerei der klassischen Moderne Max Beckmann malte zunächst im impressionistischen Stil Landschaften und Figurenkompositionen. Infolge der schockierenden Erlebnisse des Ersten Weltkrieges, die den als Sanitäter dienenden Beckmann in eine psychische Krise stürzten, entwickelte er seine eigene malerische Handschrift, die kunsthistorisch weder der Neuen Sachlichkeit noch dem Expressionismus ganz zuzuordnen ist. Er schuf in enge Bildräume gedrängte Kompositionen mit zum Teil grotesken Gestalten und mit Gegenständen - Musikinstrumenten, Vasen - und mit Tieren, wie vor allem dem Fisch; Bildelemente voller Symbolik, die bis heute als nicht entschlüsselbar gelten. Es ist davon auszugehen, dass er den Zwiespalt moderner Existenz in Gleichnissen auszudrücken suchte. Er richtete seinen Blick auf die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Individuums in einer heillosen, von Gewalt erfüllten Zeit, zum Beispiel in einem seiner Hauptwerke "Die Nacht" (1918/19; Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen). Um 1926 wurden seine Farben unter dem Einfluss der französischen Moderne reiner und leuchtender, seine Zeichnung freier. Ein Hauptmotiv aller Schaffensperioden Beckmanns ist das © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 3 / 33 Selbstporträt. Immer wieder hat sich der Künstler mit den Mitteln der Malerei selbst befragt: In sogenannten Rollenporträts oder selbstbewusst als Bürger der Gesellschaft, wie in "Selbstporträt als Clown" (1921). Auch von seinen beiden Ehefrauen Minna Tube und Mathilde von Kaulbach gibt es zahlreiche Porträts von seiner Hand. Seit 1930 mehrten sich die Bilder, in denen Beckmann mythologische Motive, politische Ereignisse und autobiografische Erlebnisse zu einem "gemalten Welttheater" vereinte. Die vielschichtigen Szenen seiner neun Triptychen, die zwischen 1930 und 1939 in einer als privat-mythologisch zu bezeichnenden Bildsprache entstanden, lassen sich auch unter Zuhilfenahme von Beckmanns Schriften kaum entschlüsseln. Als die bekanntesten Triptychen gelten "Abfahrt" (1932/33; New York, Museum of Modern Art), dessen Entstehungsgeschichte zweifelsfrei mit der Emigration des Künstlers in Verbindung zu bringen ist, und das späte Triptychon "Argonauten" (1950; New York, Sammlung Max Beckmann). Beckmann schuf auch einige Skulpturen und ein umfangreiches grafisches Werk, das außer Einzelblättern auch einige Illustrationszyklen umfasst. "Die Nacht" - Politik, Zeitgeschehen und privates Schicksal Von August 1918 bis März 1919 hat Max Beckmann an seinem Gemälde "Die Nacht" (Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen) gearbeitet. Die Nacht, Ausschnitt mit der roten Dame, die auf unserer Zeichnung fehlt.3 3 GEO Epoche Edition, Nr. 4, Expressionismus, Gruner + Jahr AG & Co, Hamburg, Seite 97 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 4 / 33 Der Blick fällt in eine splittrig verwinkelte, enge Dachkammer. Drei Männer sind dort eingedrungen. Mit teilnahmslosen Gesichtern foltern, vergewaltigen, töten sie und verschleppen ein Kind. Die Leiber und Glieder der Opfer sind grauenvoll verrenkt. Das Ende des Ersten Weltkrieges, die Novemberrevolution, der Spartakusaufstand und die Gründung der KPD durch die Spartakisten am 30. Dezember 1918 fielen in die Entstehungszeit des Bildes. Am 15. Januar 1919 ermordeten in Berlin Soldaten eines Freikorps Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die an der Spitze der Kommunistischen Partei Deutschlands standen. In dem Mann rechts im Bild, mit Ballonmütze und Staubmantel, hat man Züge Lenins erkennen wollen. Doch nicht allein Zeitereignisse erklären die Gewalttätigkeit, die das Bild ausstrahlt, sondern auch Stilmittel, die eine holzschnittartige, an altdeutscher Malerei geschulte Formensprache in dem gedrängten Bildraum aufweisen. Bei dem Bild solle man, wie Beckmann anmerkte "über dem Gegenständlichen das Metaphysische nicht vergessen". So hat man "Die Nacht" auch als ein Werk Beckmanns im Geiste Friedrich Nietzsches interpretiert: das Leben als ewiger Kampf. Doch besteht in dieser Szene keine Hoffnung mehr auf Erlösung. In dem geschundenen Mann links im Bild, der gerade stranguliert wird, hat man eine Selbstdarstellung Beckmanns gesehen. Demonstrativ zeigt er Arm und Hand in einer Haltung, die an die des Christus der Kreuzabnahme erinnert. Das Kind rechts im Bild identifizierte man als Beckmanns Sohn Peter. Die Frau im Hintergrund wird als Minna Tube, seine Frau, interpretiert, die zu dem damaligen Zeitpunkt gerade ein Engagement als Opernsängerin in Graz angenommen hatte. Die Familie fiel auseinander. "Die Nacht" wird somit zum privaten wie zum zeitgeschichtlichen Golgatha.4 Jetzt habe ich hier schon zwei Interpretationsversuche fast völlig abgeschrieben. Aber so richtig eindeutig weiß von deren auch keiner das Werk zu enträtseln. Die anderen, die es versucht haben, sind daran wohl auch gescheitert. Ich werde es mit meinen geringen Wissen um Max Beckmann nicht auch noch versuchen. Unsere Zeichnung möchte ich aber dennoch nicht gleich zur Seite legen. Denn die ist signiert. Wer war der Zeichner? Die Zeichnung trägt zwei schriftliche Hinweise auf den Verfasser Das leicht lesbare Monogramm „HKH“ besteht aus lateinischen Druckbuchstaben und scheint mit brauner Tinte viel später aufgebracht worden zu sein. Den unterhalb der Zeichnung angebrachten altdeutschen Schrifttyp setzte der Schreiber aber mit einem Bleistift darunter. Diese Tatsache lässt darum einfach den Schluss zu, dass das die Signatur des Künstlers sein muss. Leider beherrsche ich aber die Deutsche Kurrentschrift genauso schlecht, wie Sütterlin. Ich habe im Netz um Hilfe 4 http://m.schuelerlexikon.de/mobile_kunst/Max_Beckmann.htm © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 5 / 33 gebeten. Selber würde ich auf „Pue“ oder „Pein“ tippen, konnte zu diesen beiden Namen aber nichts herausfinden. Die Besonderheiten an dieser Nachzeichnung sind aber, wie schon angedeutet, deren fehlende Elemente. Ein Kopist, der ein derartig gutes Blatt anfertigen kann, lässt doch z.B. nicht einfach diese Dame weg. Übrigens ist die Zeichnung, soweit sie mit dem Endwerk vergleichbar ist, keinesfalls abgepaust und damit ein eigenständiges Werk. Ölfassung des angsterfüllten, plötzlich vom Boden weggerissenen Kindes (Die Nacht / Ausschnitt) Es ist zu vermuten, und eigentlich kann es auch nur so sein, dass der Abzeichner das originale Ölgemälde in diesem Zustand, also unfertig, zu Gesicht bekam. Max Beckmann malte an diesem Werk ja ca. acht Monate. Vielleicht war er aber in dem einen Moment davon überzeugt, das es fertig © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 6 / 33 sein sollte. Später entschied er sich um, weil er eine wichtige Person und andere Details auch noch darin verewigen wollte. Es scheint mir so, als wenn unser Künstler zu Beckmanns Bekanntenkreis gehörte und der ihm die Möglichkeit einräumte, das Bild schon in seinem Atelier zu kopieren. Vielleicht ungewöhnlich, aber doch denkbar. Was ist denn jetzt so anders? Welche Elemente fehlen eigentlich in unserer Zeichnung? Zuerst ist da natürlich die rote, durchaus vornehme Dame im Hintergrund, die so argwöhnisch guckt, vielleicht sogar „Schmiere steht“. Es fehlt die am Boden liegende Kerze und das Messer. Die Vorhandene ist auf unserer Zeichnung erloschen dargestellt während genau die auf dem Ölgemälde eine Flamme trägt. Auch fehlen auf unserer Zeichnung die Füße des Kindes und dessen Gesichtsausdruck lässt das Angstvolle vermissen. Dadurch macht es den fälschlichen Eindruck, als wenn es bei dem Einbrecher Schutz suchen würde, sich bei dem beinahe versteckt hält. Muss das Wort unterhalb der Zeichnung eigentlich zwingend der Künstlername sein? Könnte da nicht auch der Bildtitel geschrieben stehen? Wäre meine Deutung, dieses Wort als „Pein“ zu lesen, vielleicht gar nicht so falsch? Der Duden definiert den Begrifft „Die Pein“ mit: Heftiges körperliches, seelisches Unbehagen; etwas, was jemanden quält. Genau das aber ist der Inhalt der Zeichnung und noch mehr der des großen farbigen Ölgemäldes. Ölversion der Kerzen und des Messers (Die Nacht / Ausschnitt) Man kann dieses Bild sicher auf die verschiedensten Arten interpretieren, darf aber an dem Wort „Pein“ nicht vorbeigehen. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 7 / 33 Da werden drei Menschen aufs Tiefste erniedrigt und gequält. Der strangulierte Mann scheint dem Tode nahe zu sein. Seine Zunge nimmt schon eine blaue Färbung an. Ölversion, erwartend glotzender Einbrecher mit Pfeife (Die Nacht / Ausschnitt) Der strangulierte Mann in der Ölfassung (Die Nacht / Ausschnitt) © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 8 / 33 Die drei Opfer sind einander zum Greifen nah und können sich selbst und ihren Liebsten trotzdem keine Hilfe leisten. Sie sind dem brutalen Schrecken des gnadenlosen nächtlichen Überfalls schutzlos ausgeliefert. Das angsterstarrte Kind sieht vor seinen Augen, wie ihm durch das elende Leiden seiner Eltern der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Es weiß nicht, wie ihm geschieht. Ihre Mutter, an den Händen gefesselt und schon vergewaltigt, reißt ihre Arme zum Himmel, weil der widerliche Verbrecher gerade das Fenster öffnet, um ihr Kind im nächsten Moment dort hinauszuwerfen. Eine Entführung des Kindes, wie oft angenommen, ist nicht geplant. Es hätte auch keinen Sinn, da die einzigen Lösegeldzahler dieses Drama nicht lebend überstehen werden. Nichts nach dieser Nacht wird jemals mehr so sein, wie es einmal war. Angst, Schmerz und Qual schreien überall aus dem Bild heraus. Selbst der sonst treuste Freund des Menschen, als letzte Hoffnung der Gepeinigten, verkroch sich, durch die erbärmlichen Schreie der Gemarterten, verängstigt unter dem Tisch. Diese letztendlich konsequente Dramatik in der Darstellung fehlt unserer Zeichnung. Die ist vergleichsweise noch nicht ausgereift. Immer mehr überzeugt mich gerade diese Tatsache von der wagen Annahme, dass hier zwei abhängige Entwicklungsstufen ein und desselben Bildes vorliegen. Es scheint fast so, als wenn Beckmann in eigener Person die Bleistiftzeichnung als Vorschlag zu seinem Gemälde schuf. Er untertitelte seinen Entwurf mit „Pein“. Dieses Wort drückt das nicht Malbare der schrecklichen Situation treffender aus, als jedes andere. Zusätzlich ergänzte er noch das Bild in dessen zweiter Ebene, um diese, zum vordergründigen Geschehen scheinbar beziehungslose, vornehme Dame. Durch seine getroffen kräftige Farbwahl holte Beckmann sie aber gezielt wieder in den Vordergrund. Ist es tatsächlich seine erste Frau, Minna Tube? Zu dem perfiden Überfall gehört sie aber in jedem Falle nicht. Doch passte sie in das Sujet? War sie ihm persönlich eine Qual? Schwer zu sagen. Aber als er das Gemälde als Bleistiftzeichnung entwarf, war sie noch kein Thema für eine derartig herausgestellte besondere Würdigung. Nur dann verließ sie ihn in Richtung Graz. Mit ihrem bildhaften Erscheinen erhielt das Gemälde noch weitere Ergänzungen, die Möglicherweise in einem Zusammenhang stehen. Da ist die erloschene und umgefallene Kerze. Die zeigt auf das Messer und das auf diese rote geschminkte und zurechtgemachte Sängerin. Eine neue Flamme erscheint im Bild. Doch ein Hoffnungsschimmer? Im Fenster sieht man jetzt zusätzliche Spiegelungen. Die obere davon entspricht der eines Auges. Woher? Konkret erkenne ich dessen Ursprung nicht. Will er damit das Auge Gottes andeuten, der alles sieht und es doch geschehen lässt? Dass Max Beckmann in diesem Werk persönlich private und durch zeitgeschichtliche Erlebnisse hervorgerufene Peinigungszustände auf die Leinwand bringen wollte, scheint auch für mich als eindeutig herauslesbar. Ich denke, dass es ihm auch nachhaltig beeindruckend gelungen ist. Die farbig mit Tinte ausgeführte monogrammhafte Buchstabenkombination „HKH“ auf unserer Bleistiftzeichnung macht für mich allerdings bisher immer noch keinen Sinn. Eigentlich halte ich das Bild nunmehr zwar für betitelt, aber ansonsten für unsigniert und wahrscheinlich doch von Max Beckmann persönlich gezeichnet. Noch ein Wort zur Provenienz. Ich habe dieses Blatt am 13.07.2012 über das Internet bei Altwaren & Antiquitäten in Wien, mit einfachster Rahmung, gekauft. Eine weitere Rückverfolgung wurde mir aus Kundenschutzgründen nicht ermöglicht. Die boten es damals unter dem Titel „Die Orgie“ an. Das dieses Motiv von Max Beckmann stammte, war dem Händler scheinbar nicht bewusst. Dieser Tage lockte uns das Kunstmuseum Mülheim mit einer Führung von Dr. Gerhard Ribbrock über Arthur Kaufmann und Otto Pankok in dessen Ausstellung. Neben dieser Präsentation hingen dort zur Zeit zufällig auch Zeichnungen von Max Beckmann aus dem Nachlass von Mathilde Q Beckmann, die man hier mit eigenem Bestand zur Kabinettausstellung „Von Europa nach Amerika“ © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 9 / 33 vereinigte. Überdies mussten wir überrascht feststellen, dass in dem dem, für uns unbekannten Mülheimer Museum, ein erstklassiger Standardbestand von Expressionisten und der klassischen Moderne existiert. Der stammt aus dem Nachlass des Mülheimer Chemienobelpreisträgers Karl Ziegler. Wirklich sehenswert! Ich nahm mir deshalb deren recht neuen Katalog mit. Beim Durchblättern entdeckte ich darin die Graphik „Die Nacht“ von Max Beckmann. Das war für mich eine zweite Überraschung, denn dass es so eine überhaupt gab, wusste ich auch nicht. Die Nacht, 6. Blatt aus dem Zyklus „Die Hölle“5 Ich schrieb diesbezüglich Herrn Dr. Gerhard Ribbrock an, und schickte ihm damit auch diese Zeilen zu. Er empfahl mir mich in dieser Sache aber doch besser mit der Kunstsammlung NRW in Verbindung zu setzen. Das tat ich auch. Kurze Zeit später erhielt ich von Frau Dr. Anette Kruszynski eine Antwort: Sehr geehrter Herr Behrens, haben Sie vielen Dank für die Übersendung der Abbildung einer Bleistiftzeichnung nach „Die Nacht“ von Max Beckmann und den von Ihnen dazu verfaßten Text. Um es gleich zu sagen: ich halte das Blatt in Ihrem Besitz nicht für eine Zeichnung von Max Beckmann oder um ein Blatt, daß einen früheren Zustand des Gemäldes „Die Nacht“ festhält. Natürlich kenne ich nur die mir übersandte digitale Abbildung. Ein Urteil läßt sich letztlich nur anhand des Originals 5 Menne, Walther, Gedanken zu Max Beckmann Die Hölle, Verlag Galerie Dorothea Loehr, Frankfurt/M. 1960 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 10 / 33 fällen. Ich vermute aber, daß sich jener oder jene HKH mit dem Bild beschäftigt hat und es nach bestem Können kopierte. Warum er oder sie Details wegließ, kann ich nicht beurteilen. Max Beckmann hatte einen sehr eigenen Zeichenstil. Er hat zu dem Gemälde „Die Nacht“ mehrere Vorzeichnungen angefertigt, die sich im museum kunst palast in Düsseldorf und in Washington in der National Gallery befinden. Detailgenauigkeit gehörte nicht zu Beckmanns Schwerpunkten, wenn es um Zeichnungen ging. Er legte seine Kompositionen eher summarisch an. Einen Katalog der Zeichnungen, der Ihnen einen guten Einblick von Beckmanns Techniken und Zeichenstil vermittelt, hat Stephan von Wiese 1978 verfaßt (Stephan von Wiese, Max Beckmanns zeichnerisches Werk, Düsseldorf 1978). Das Buch ist sicher nicht mehr erhältlich, aber in Fachbibliotheken wie der in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen oder ebenfalls in Düsseldorf in museum kunst palast einzusehen. Zu der Genese des Gemäldes „Die Nacht“ haben wir hier in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 1997 eine Ausstellung veranstaltet (Max Beckmann, Die Nacht, Ostfildern/Ruit 1997). Wir haben leider keine Exemplare mehr des begleitenden Kataloges in unserem Archiv. Möglicherweise ist er aber antiquarisch zu bekommen. Auch ist er in unser Bibliothek einzusehen. Meines Wissens sind nach dieser Ausstellung keine weiteren grundlegenden Forschungen mehr zu dem Bild „Die Nacht“ erfolgt. Ich hoffe, daß ich Ihnen mit den Erläuterungen weitergeholfen habe und verbleibe Mit freundlichen Grüßen Anette Kruszynski Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung Head of Curatorial Department STIFTUNG KUNSTSAMMLUNG NORDRHEIN-WESTFALEN Grabbeplatz 5 │ D-40213 Düsseldorf Zwischenzeitlich gelang es mir den alten Ausstellungskatalog von 1997 und auch die kleine 1960er Druckschrift von Wather Menne über „Die Hölle“ zu erwerben. Und wenn ich mir jetzt darin die Zeichnungen von Max Beckmann ansehe, dann kann ich Frau Dr. Kruszynski eigentlich nur Recht geben. Seinem üblichen schnellen und vereinfachenden Malstil entspricht unsere Bleistiftzeichnung nicht. Allerdings bin ich nicht der Meinung, dass das Kürzel „HKH“ unbedingt der Verfasser der Abzeichnung sein muss. Gegenüber dem Wort „Pein“, dass in deutscher Kurrentschrift passend mit dem Bleistift darunter gesetzt wurde, weichen die drei Buchstaben völlig ab. Erstens verwendete der Schreiber eine Tinte, wahrscheinlich mit einer Feder oder einem Füllfederhalter geschrieben. Dann entspricht auch der Buchstabentyp der heute gebräuchlichen Schrift und nicht diesem altdeutschen Schreibstil. Selbst der Schreibwinkel und die Schreibflüssigkeit entsprechen einander keinesfalls. Da, auf dem Blatt, verewigten sich zwei verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichen Absichten, zu wahrscheinlich sehr verschiedenen Zeiten. Ist die braune Tinte vielleicht sogar ein deutlicher Hinweis auf die Nazizeit? Könnte es ein Lagerkennzeichen sein? Dass der durchaus gute Kopist, der vom Grundsatz her jedes Detail des Gemäldes richtig erfasste, aus für uns uneinsehbaren Gründen absichtlich Elemente der Zeichnung wegließ, glaube ich einfach nicht. Alles im Leben hat einen Sinn oder eine Ursache, so auch diese Variante der Motivausführung. Die Unterschiede, die zwischen Bleistiftzeichnung und Gemälde auszumachen sind, erfuhren gegenüber der „Höllenzeichnung“ teilweise auch wieder eine Abwandlung. Max Beckmann schien aus irgend einem Grunde an diesen Punkten mit seiner eigenen Ausführung noch nicht zufrieden zu sein. Vielleicht kann man am Gemälde sogar erkennen, ob diese Stellen zuletzt eingemalt wurden. Das wäre dann sicher ein Beweis dafür, dass unsere Bleistiftzeichnung die © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 11 / 33 Aufnahme eines Zwischenzustandes gewesen ist. Moderne computergestützte Malprogramme kennen auch solche Kontrollpunkte, mit denen man Arbeitsabschnitte abspeichern kann, um die gegebenenfalls wieder aufrufen zu können. Ließ er diese Arbeit durch einen Schüler erledigen? Selbst der Name des Gemäldes stand noch nicht fest. Es hieß zu diesem Zeitpunkt noch „Pein“. Nachdem ich mir den Ausstellungskatalog von Anette Kruszynski durchgelesen hatte, sind mir viele Dinge in Bezug auf „Die Nacht“ klarer geworden, die mir vorher gar nicht richtig bewusst waren. Zum Beispiel identifizierte die Kunstwissenschaft die Personen auf dem Gemälde mit Max Beckmann als Gehängtem. Seine Frau Minna Tube soll der Rückenakt sein und deren Sohn, das Kind rechts. Auf dem Tisch hockt sein alter Akademiekollege Ugi Battenberg und im Hintergrund steht dessen Frau Fridel. Der mit der Kappe erinnert an Lenin. Zu dem Verdeckten im Schatten, komme ich noch. Und weil diese Zusammenstellung tatsächlich so sein kann, möchte ich vor diesem Hintergrund das Gemälde auch noch einmal interpretieren. Bevor ich das aber tue, stelle man sich einmal ein Foto mit einem Auto mit dunkel eingefärbten Scheiben vor. Niemand wäre aufgrund dieses einen eingefrorenen Momentes in der Lage, zu erkennen, ob das Fahrzeug vorwärts fährt, still steht, oder ob es sich nach hinten bewegt. Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand6 6 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 89, The Museum of © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 12 / 33 wenn man über „Die Nacht“ spricht, dann bin ich heute der Ansicht, dass niemand an Beckmanns Kreuzabnahme vorbeigehen darf. Auf diesem Gemälde stellt er den toten Christus dar. Dessen Gliedmaßen wirken beinahe steif. Sein Antlitz überträgt einen entspannten Eindruck. Der eingetretene Tod nahm ihm die schmerzerzwungene Verzerrung der unerträglichen Marterung aus seinem Gesicht. Vergleiche ich diese Symbole mit denen des Gehängten aus „Die Nacht“, dann erkenne ich darauf den ausgestreckten Arm des Todes. Den nutzt Max Beckmann auch auf seinem „Höllenbild“ Nr. 9. Die Letzten, Die Hölle, 9. Bild7 Modern Art New York 7 Menne, Walther, Gedanken zu Max Beckmann Die Hölle, Verlag Galerie Dorothea Loehr, Frankfurt/M. 1960 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 13 / 33 Würde der Gequälte noch leben, dann versuchte seine rechte Hand mit allen noch zur Verfügung stehenden Kräften die lebensbedrohliche Schlinge um den Hals zu entfernen. Ich denke, dass der Reflex nicht zu verhindern gewesen wäre. Andererseits hätte ein Toter eine völlig entspannte Gesichtsmimik. Über die verfügt der Dargestellte aber absolut nicht. Er empfindet Schmerz und Luftmangel. Max Beckmann stellt auf seinem Gemälde einen Zustand zwischen Leben und Tod dar, den es eigentlich gar nicht geben kann. Dieses Werk entstand am Ende des ersten Weltkrieges in Frankfurt. Dort wohnte er bei seinen Freunden, den Battenbergs. Anette Kruszynski schreibt dazu folgenden Satz: „Fridel Battenberg war die Frau seines ehemaligen Akademiekollegen Ugi. Nach seinem Nervenzusammenbruch 1915 war der Künstler überraschend bei den beiden erschienen und hat das angebotene Atelier als Arbeitsstätte gern angenommen. Im Kreise der Freunde begann Beckmann wieder Fuß zu fassen.“8 Nun, an dieser Stelle möchte ich auf mein Beispiel mit dem Foto des Autos zurückkommen. Niemand ist meines Erachtens in der Lage, auf diesem Gemälde zu erkennen, ob der Mann im Hintergrund, den Gemarterten hochzieht, oder herunterlässt. Wenn ich mir aber die Gesichter der drei Beteiligten ansehe, dann meine ich da doch eher Besorgnis und Betroffenheit, als Aggression zu erkennen. Die freundschaftliche Stellung zueinander lässt auch eigentlich gar keinen anderen Schluss zu. Der gefolterte Beckmann wird in dieser Szene abgenommen. Beide „Retter“ tragen einen Kopfverband und erlitten deshalb, von Beckmann so angedeutet, gleiches Schiksal. Sie sind über ihre Köpfe sogar miteinander verbunden. Es sind die Akademiekollegen Ugi Battenberg und Max Beckmann, der hier in Frankfurt im Schatten seiner selbst an seiner eigenen Rettung arbeitet. Fridel Battenberg beobachtet den lebenden Beckmann dabei genauso sorgenvoll, wie Ugi den Aufgehängten. Auf der anderen Seite des Gemäldes sehen wir die Ehefrau von Max Beckmann, Minna Tube. Von ihr malte Beckmann einen Rückenakt. Als er dieses Bild 1918 anfing, befand sie sich bereits als gefeierte Opernsängerin in Graz. Minna Tube war das jüngste Kind eines protestantischen Militäroberpfarrers. Sie wurde am 05. Juni 1881 in Metz geboren. Wegen des Berufs des Vaters, durchlebte die Familie Stationen in Metz, Posen, Danzig und Altenburg. Mit elf Jahren wünschte sich Minna Malerin zu werden. Im Alter von neunzehn Jahren verbrachte sie dreizehn Monate in der Schweiz und dort in einem Pensionat in Lausanne, wo sie die Bekanntschaft von Margrit von Thüna machte. Zu dieser ihrer Freundin erlaubte man ihr nach Weimar zu reisen, um dort das Malen im Damen-Atelier von Professor Frithjof Smith zu lernen. 1900 wanderte sie nach München, und setzte ihre Lerntätigkeit bei Heinrich Knirr, später bei Christian Landenberger fort. Im Wintersemester 1902/03 richtete die Weimarer Kunstakademie Studienplätze für Frauen ein, für die sie sich als eine der Ersten einschrieb. Dort lernte sie, zwanzigeinhalbjährig, den zwei Jahre jüngeren Max Beckmann kennen. Studienaufenthalte in Amsterdam und dann bei Lovis Corinth in Berlin folgten. 1906 heirateten die Künstler einander. Nach darauffolgendem jahrelangem Machtkampf verbot er ihr kurz vor der Heirat das Malen. Am 31. August 1908 kam der gemeinsame Sohn Peter zu Welt. Sie fing an, bei Tilly Erlenmeyer in Berlin Gesangsunterricht zu nehmen, und wurde von ihr zuerst zur Altistin ausgebildet, später zum Mezzosopran. Am Vorabend des ersten Weltkrieges vertiefte Minna ihr Gesangsstudium und gab in Berlin die ersten Konzerte. Während des Krieges sang sie auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, und nahm später aus Geldmangel ein Engagement in Elberfeld an, wo sie im Oktober 1915 als Venus in "Tannhäuser" unter Hans Knappertsbusch debütierte (der zu 8 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 16 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 14 / 33 ihr später sagte: "sie sei schon engagiert gewesen, als sie das Zimmer betrat"). Sie wechselte dann ins Sopranfach, und sang 1916 die Sieglinde im Ringzyklus. 1916 gastierte sie wieder in Elberfeld als Agathe im"Freischütz". In der Spielzeit 1916/17 erhielt sie ein Engagement am Herzoglichen Hoftheater in Dessau, wo sie als Hochdramatische gefeiert wurde, und sang hier die Isolde in "Tristan und Isolde", die Brünnhilden im "Ring des Nibelungen", wie auch die Leonore in "Fidelio". In der Opernsaison 1917/18 bekam sie ein Engagement ans Neue Stadttheater Chemnitz, und sang dort neben kleinen Rollen, wie der Ersten Dame in "Die Zauberflöte", auch die Valentine in Meyerbeers "Die Hugenotten", Ortrud in "Lohengrin", Senta in "Der Fliegende Holländer", Venus in "Tannhäuser", die Brünnhilden, die Leonore in "Fidelio". 1918 ging sie ans Grazer Stadttheater; hier interpretierte sie neben Strauss (Marschallin in "Rosenkavalier"), Verdi, Puccini und Mozart, vor allem die Wagnerpartien. Sie vermochte den Wagner-Weibern einen Hauch von Menschlichkeit und Charme zu geben. An der Grazer Oper verbrachte sie insgesamt sieben Jahre, wo man sie sehr verehrte. Von 1918 bis 1923 trat sie vor allem zusammen mit dem Heldentenor Alois Hadwiger und der Altistin Lydia Kindermann auf, und sang oft unter dem Stab von Karl Böhm und Clemens Krauss. Hier trug sie auch die Venus an der Seite von Leo Slezak als "Tannhäuser" vor. Während der Nachkriegsjahre griff sie erneut zum Pinsel und malte wieder. Das Ehepaar Beckmann hatte sich scheinbar auseinander gelebt, lies sich schließlich Anfang des Jahres 1925 scheiden (damit Max Quappi von Kaulbach heiraten konnte), blieben aber in engverbundenem brieflichen Kontakt bis zu Beckmanns Tod. Als er sie verließ, brachte die Sängerin keinen Ton mehr heraus. Danach sang sie nie wieder. Noch im Sommer des Jahres quittierte sie ihr Engagement in Graz. Eine Tonaufzeichnung gab es von ihr leider nicht. Sie kehrte in die frühere gemeinsame Wohnung nach Hermsdorf in Berlin zurück, die ihr nach der Scheidung zugesprochen wurde. Im Jahre 1906 entwarf sie deren Architektur noch selbst. Dort lebte sie in den nächsten fast zwanzig Jahren, wo sie malte, Briefe schrieb und spazieren ging. 1945 floh sie aus Furcht vor den Russen nach Gauting in Oberbayern zu ihrem Sohn Peter, der dort inzwischen als Arzt tätig war. Im Februar, als sie ihre frühere Wohnung wieder besuchte, war ihr Frühwerk verloren und viele der Briefe, die Beckmann ihr über fast vierzig Jahre schrieb, verschwunden. Die zweite Hälfte ihres Lebens verging in aller Stille. Ein paar Monate nach dem Tode des Malers gründete sie zusammen mit Freunden eine "Max Beckmann Gesellschaft", die über dreißig Jahre existierte. Sie kämpfte bis zu ihrem Lebensende für die Anerkennung und Erforschung seiner Kunst, zum Teil auch an der Seite von Beckmanns zweiter Frau Quappi. Minna Tube verstarb am 30. Juli 1964 in Gauting.9 Wahrscheinlich hätte Max Beckmann gar nicht zu seiner Familie nach Berlin zurückkehren können, selbst wenn er es gewollt hätte. Seine Frau versuchte ja wahrscheinlich andernorts durch ihren Gesang an Geld zu kommen, während deren gemeinsamer Sohn bei seiner Oma aufwuchs. Eine Familie im eigentlichen Sinne existierte gar nicht mehr so richtig. Scheinbar brauchte Beckmann nach seinem Nervenzusammenbruch aber eine gewisse Art von Betreuung, die er von den Battenbergs angeboten bekam und dort auch fand. Während die linke Bildhälfte von „Die Nacht“ für mich noch einigermaßen „einfach“ in ein Sinnschema zu bringen ist, tue ich mich mit der rechten Hälfte weit schwerer. Vielleicht bringen die Vorzeichnungen etwas Licht in das Dunkel. Davon gibt es in Düsseldorf und New York zusammen ja derern zwölf Stück. Und die befinden sich glücklicherweise alle in dem Katalog von 1997, der mir vorliegt. 9 http://isoldes-liebestod.net/Isolden_ohne_Liebestod/Tube_Minna.htm © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 15 / 33 (1) Rücklings aus dem Bett gestürzter Mann und Figur mit über der Brust verschränkten Armen, 1912, Schwarze Tusche mit Feder10, unsigniert und ohne Titel (2) Zwei Varianten eines Entwurfs für „Die Nacht“, 1912, Schwarze Tinte mit Feder, signiert und betitelt11 10 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 62, Privatbesitz 11 Ebenda, Seite 63, Allan Frumkin, New York © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 16 / 33 (11) Die Nacht, 1914, Kaltnadelradierung,12 signiert und betitelt (12) Die Nacht, 1914, Kaltnadelradierung,13 signiert, aber nicht betitelt 12 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 113, graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart 13 Ebenda, Seite 113, Staatliche Museen zu Berlin Kupferstichkabinett © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 17 / 33 Beide, von 1912 stammende Skizzen, zeigen offensichtlich einen Toten, der rücklings aus dem Bett gefallen ist oder herausgezerrt wurde. Jede Hilfe kommt zu spät. Es herrscht Untätigkeit und Ratlosigkeit. Die Figur mit den verschränkten Armen scheint zu frösteln. Dieses Konzept mit Bett entwickelte Max Beckmann ein letztes mal 1914 mit zwei ergänzenden Kaltnadelradierungen weiter. Erst nach drei Jahren greift Max Beckmann in seinen Skizzen ein neues Projekt in dieser Richtung an. Es beginnt wieder mit einem Toten, allerdings fehlt dieses mal das Bett. Alles wird anders. (3) Erster Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1917,14 signiert, aber unbezeichnet Schwer zu erkennen, was Max Beckmann in diesem ersten Entwurf von 1917, also noch während des Krieges, festhalten wollte. Seine Hauptfigur darauf, ist natürlich die, die überkopf hängt. Rechts daneben ein Frauenakt. Versammeln sich hier fünf, sechs, sieben oder sogar acht Figuren? Ein Bett, wie er es 1912 in seinen Skizzen mit aufnahm, sucht man hier vergebens. Hängt auf der linken Seite jemand? 14 Ebenda, Seite 64, Graphische Sammlung Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 18 / 33 (4) Zweiter Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1917, Bleistift,15 signiert, aber unbezeichnet Hier im zweiten Entwurf erscheint sogar der Mond an zwei Stellen. Will Beckmann damit einen Zeitraum andeuten, vielleicht die Dauer einer Nacht? Neben dem überkopf hängenden Opfer, sieht man links von ihm einen bestürzten Frauenakt mit einem Mann. Zusätzlich steht da noch eine weitere Frau mit einem Kopftuch bekleidet, die schon in der Zeichnung davor diesen Platz einnahm. Ganz rechts scheint immer noch dieser Frauenakt von der Vorgängerzeichnung übrig geblieben zu sein. Wollte Beckmann in der Mitte das Grammophon zeichnen? Die Hängeposition seiner Leiche mochte er wohl für gut befunden haben, da er die in dieser Skizze klar bestätigte. 15 Ebenda, Seite 64, Graphische Sammlung Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 19 / 33 (5) Dritter Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1918, Tusche mit Feder,16 signiert, aber unbezeichnet Als er im nächsten Jahr zur Feder griff, veränderte er seine Vorjahresentwürfe radikal. Zwar ließ er seine Hauptfigur wieder die gleiche Überkopf-Position einnehmen, verwandelte die aber jetzt in einen wohl proportionierten Frauenakt. Tot scheint diese Figur allerdings auch nicht mehr zu sein. Fast wirkt die in dieser Stellung entspannt zu sein. Eher sieht man daneben einen Körper leblos hängen. Weiter links stehen drei Figuren, eine davon breitet die Arme aus. Was das bedeuten soll bleibt im Verborgenen. Ganz rechts, direkt neben dem Akt, mag eine artistisch anmutende Einradfahrerin die Szene beleben. Über dem änderte Beckmann den ursprünglichen Halbmond in einen abnehmenden Trabanten. Insgesamt würde ich dieses Blatt als das am schwersten zu deutende ansehen. 16 Ebenda, Seite 65, Graphische Sammlung Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 20 / 33 (6) Dritter Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1918, blaue Tinte mit Feder,17 signiert, aber unbezeichnet Dieses mal hängt zusätzlich wieder eine Figur an ihrem Hals. Eine zweite steigt auf eine Leiter, wohl um sie herunter zu nehmen. Bestürzt hält sich eine Frau die Hände vor das Gesicht. Dahinter ein Mann. Rechts daneben hängt wieder das schon altbekannte Überkopf-Opfer an den Beinen hoch gebunden. Ob Mann oder Frau bleibt offen. Eine Figur davor verdeckt die Sicht darauf. Ganz rechts sitzt ein Frauenakt auf dem Boden. Auch der Mond spielt eine Rolle. Er deutet die Nacht an. 17 Ebenda, Seite 65, Graphische Sammlung Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 21 / 33 (7) Fünfter Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1918, schwarze Tinte mit Feder,18 unsigniert und unbezeichnet Minna Tube19 18 Ebenda, Seite 66, National Galery of Art, Washington, Given in memory of FrederickZimmermann by his wife, Dorothy Zimmermann, 1985.15.5 19 http://isoldes-liebestod.net/Isolde_Jpg_Ordner/Q-T/Tube_Portrait1a.jpg © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 22 / 33 Wenn man so will tritt hier eine gewisse Entwurfsstabilität ein. Links hängt wieder die Leiche. Rechts daneben demonstriert die Frau des Paares erneut ihre Betroffenheit. Hier, auf diesem Blatt, mutierte die anfängliche Überkopf-Leiche allerdings zu einem Jungen im Kopfstand, der eher Fröhlichkeit ausstrahlt. An den Füßen aufgehängt ist der nicht. Daneben, etwas abseits, sitzt die weinende Minna Tube. Ihre Frisur lässt über ihre Identität eigentlich keinen Zweifel. Alles auf diesem Bild scheint sich um den Gehängten zu drehen. Ein Mond fehlt dieses mal genauso, wie ein Frauenakt.. (8) Sechster Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“, 1918, schwarze Tusche mit Feder,20 signiert, aber unbezeichnet Auf dem nächsten Blatt aus dem Jahre 1918, scheint Beckmann mit seinem Gehängten nicht mehr einverstanden zu sein. Fast hätte er den darauf nur noch völlig unkenntlich der Nachwelt hinterlassen. Das Paar daneben festigt seine Plätze in der Komposition. Die Überkopf-Figur lässt sich nunmehr nur durch das angedeutete Geschlechtsteil als männlich identifizieren. Dessen Füße erscheinen darauf allerdings jetzt fast wie Hände. Der leninartige Mann rechts tritt zum ersten mal in Erscheinung. Jemand kniet vor der Überkopf-Figur und verdeckt sie zur Hälfte. 20 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 66, Graphische Sammlung Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 23 / 33 (9) Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“ aus dem Skizzenbuch, 1918, Bleistift,21 unsigniert und unbezeichnet (10) Entwurf zum Gemälde „Die Nacht“ aus dem Skizzenbuch, 1918, Bleistift,22 unsigniert und unbezeichnet 21 Ebenda, Seite 67, National Galery of Art, Washington, Gift of Mrs. Max Beckmann 1984.64.25 22 Ebenda, Seite 67, National Galery of Art, Washington, Gift of Mrs. Max Beckmann 1984.64.25 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 24 / 33 Zuerst fällt mir natürlich auf, dass Max Beckmann zwar eine bestimmte Aussage treffen will, sich aber scheinbar überhaupt nicht darüber im Klaren ist, wie er das anstellen soll. Die vier Bilder aus den Jahren 1912 und 1914 scheinen gar nicht in diesen Entwicklungszyklus zu fallen. Vom Motivtyp und vom Aufbau her entsprechen die keinesfalls den um fünf bzw. drei Jahre jüngeren Skizzen ab 1917. Die einzige Verbindung, die sich zu dem späteren Gemälde herstellen lässt, ist der Projektname auf der zweiten Skizze. Alle anderen, wesentlich besser zum Endergebnis passenden Entwürfe, tragen hingegen keine Bezeichnung oder Zugehörigkeit. Einen wirklichen Namen dafür gab es in der Anlauffase dieser neuen Schaffensperiode möglicherweise auch noch gar nicht. Ich hätte erwartet, dass auf den Zeichnungen irgendwo eine Art von Aggression zu entdecken wäre. Davon sehe ich aber noch nicht einmal einen Ansatz. Die einzigen Gefühlsregungen darauf sind Bestürzung und Betroffenheit. Auf den beiden Blättern aus seinem Skizzenbuch zeichnet Beckmann sich, als einen Soldaten, der wahrscheinlich nach Graz fährt. Die Berge im Hintergrund lassen das vermuten. Hinter seinem Rücken ein Pärchen, dass auf dem 10. Blatt an dieser Stelle sogar einen Geschlechtsakt vollzieht. Während der 9. Entwurf noch eine an den Füßen aufgehängte Figur beinhaltet, wird die auf der letzten Skizze möglicherweise zu seinem Sohn, der auf seinen Unterarmen übermütig einen Handstand vollführt. Neben ihm steht ein weiblicher Halbakt mit großem Busen. Vielleicht deutet er damit die für ihn unhaltbaren Zustände in seiner Familie an. Aber Aggression sieht anders aus. Es wäre vielleicht sinnvoll einmal herauszufinden, welche Elemente sich denn im späteren Ölwerk aus den Vorzeichnungen wiederfinden lassen, oder welche ihm sehr wichtig waren. 1. Betroffenheit Die sehe ich auf 1, 2, 4, 6, 7, 11und 12. 2. Eine am Hals erhängte Figur Die zeichnete Beckmann auf 5, 6, 7, und 8. 3. Einen Akt Den gibt es auf dem 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11. und 12. Blatt zu entdecken. 4. Die leninartige Figur Sie spielt nur auf dem 8. Bild eine Rolle. 5. Mit den Füßen nach oben Solche Figuren zeigen die Skizzen 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10. 6. Fridel und Ugi Battenberg Die beiden tauchen auf 4, 6, 7 und 8 in ähnlicher Form wie auf dem Gemälde auf. 7. Sieben Figuren Die zähle ich sicher nur auf Blatt 6. Diese 12 Entwurfszeichnungen als Grundlage genommen, kristallisiert sich Blatt 8 als am weitesten angenäherte Grundlage des Gemäldes heraus. Mit der Darstellung seines Gehängten scheint er aber noch nicht zufrieden zu sein. Er überkritzelte ihn ja. Was mich am meisten überrascht, ist die Tatsache, dass er „die Figur mit den Füßen nach oben“, die seit 1917 auf jeder Skizze, neben einem Akt, das wichtigste Element des ganzen Projektes zu sein schien, im Gemälde nicht mehr erwähnt. Davon übrig geblieben sind nur noch die rautenförmige Beinhaltung und die Stelle der Figur im Werk. Daraus entstand in der Ölfassung die rautenförmige Armhaltung und die Gemäldeposition von Minna Tube. Eigentlich fehlt jetzt noch so eine abschließende Skizze, die die etwas planlos chaotischen Ausführungsvorschläge ordnet, und die aus dem Blatt 8 eine letzte richtungsweisende Zeichnung vor dem Gemälde entwickelt. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 25 / 33 Es drängt sich fast der Gedanke auf, dass unsere Bleistiftzeichnung genau in diese Lücke hinein passt. Kam er bei diesem Projekt mit seiner bisherigen Technik an einem bestimmten Punkt gar nicht mehr weiter? Wohl niemand würde daran zweifeln, dass er eine solche Bleistiftzeichnung hätte ausführen können, wenn er die in dieser kompletten Art beabsichtigt hätte. Das radikale Verlassen seines Ursprungskonzeptes deutet vielleicht sogar auf einen zusätzlichen fremden Anstoß hin. Warum heißt unsere Zeichnung „Pein“ und nicht „Die Nacht“? Obwohl das augenblicklich Sichtbare auf Zeichnung und Gemälde durch das Wort „Pein“ viel besser beschrieben wird, entschied er sich letztendlich doch für „Die Nacht“. Für ihn persönlich stellte das Gemälde natürlich eher die Errettung aus der Kriegsqual dar und damit eher keine Pein, wenn darüber hinaus auch seine Familie allmählich zu zerbrechen begann. Die » Goulue « tanzt im Moulin-Rouge zu Paris. Lithographie-Plakat von Henri de Toulouse-Lautrec. 189123 „Die Nacht“, als Name charakterisiert einen längeren, im Dunklen verborgenen Zeitraum, in dem Vieles geschah. Das Gemälde zeigt nach meiner Ansicht wirklich auch nur eine Art momentanen Endzustand. Im Sinne von Max Beckmanns versteckter Aussage scheint mir „Die Nacht“, als Zeitspannenbezeichnung, darum letztendlich wieder viel passender gewählt zu sein. 23 http://gutenberg.spiegel.de/buch/7398/18 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 26 / 33 Die hängenden oder lediglich kopfstehenden Figuren der Vorzeichnungen, mutierten im Gemälde abschließend zu seiner Frau, Minna Tube, die mit gespreizten Beinen und entblößtem Gesäß einen Spagat vollführt. Es mag der Spagat sein, den sie zwischen dem Leben ihres Mannes in Frankfurt und ihrer eigenen Gesangskarriere vollbringt. Dazu wohnt und arbeitet sie mit deren gemeinsamen Sohn in Graz. Minna singt sich dort zum Erfolg, das deuten ihre hochhackig eleganten Schuhe an. Auf dem Gemälde trägt sonst niemand überhaupt welche. Deren relative Mittellosigkeit lässt das nicht zu. Aber was musste Minna dafür zahlen? Der Vertrag fesselte ihr die Hände. Doch im Beifallssturm riss sie ihre Arme in die Höhe. Das ihr Sohn sich in Bedrängnis befand, bemerkte sie dadurch gar nicht. Ihren Blick wendete sie zum Fenster und nicht zu Peter oder zu ihren Mann. Mit den roten Stümpfen, die sie trägt, deutete Max Beckmann an, dass er ihr nicht wirklich traute. Rote Strümpfe nutzten auch schon andere Maler, um eine lockere, wenn nicht sogar eine unakzeptable frivole Lebensweise von Frauen anzudeuten. Egon Schiele:“SITZENDER AKT MIT ROTEN STRÜMPFEN”, 1910, Gouache, Wasserfarben und schwarzer Bleistift auf Papier, 31 x 45 cm, Privatbesitz24 Vielleicht kannte Max Beckmann diese oder ähnliche Zeichnungen, die mit roten Strümpfen wohl immer in die selbe Richtung wiesen. Er deutet damit auf eine gewisse Art von Freiwilligkeit in der gezeigten Beinstellung. In seiner damaligen Gemütsverfassung, gelang es ihm offensichtlich nicht den Glauben an ihre Treue aufrecht zu erhalten. Obwohl sich die beiden auf ihre Art über alle Jahre liebten, kam er mit der großen Entfernung zu ihr auf Dauer nicht zurecht. Schon vor ihrer Ehe 1903 oder 1904 zog Max Beckmann wegen eines solchen unhaltbaren Zustandes, einer dauerhaften räumlichen Distanz zu ihr, einen Schlussstrich unter ihre gemeinsame Beziehung. Die Trennung gelang ihm damals allerdings nicht für sehr lange Zeit.25 24 http://yourartshop-noldenh.com/egon-schiele-galerie-schamlose-blick-auf-das-erotische-zentrum/ 25 Beckmann, Peter, Max Beckmann Leben und Werk, Belser und Verlag, Stuttgart Zürich, 1989, Seite 23 f. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 27 / 33 Obwohl es recht einfach erscheint in „Die Nacht“ mit Minna Tube das Opfer einer Vergewaltigung vor sich zu sehen, glaube ich nicht daran, dass Max Beckmann das damit ausdrücken wollte. Bezieht man die Zeichnungen 9 und 10 in diese Betrachtung mit ein, bleibt eigentlich gar keine andere Wahl. In beiden Fällen sieht er seine Frau hinter seinem Rücken unzweideutig mit einem anderen vereint. Ganz rechts schnappt sich der leninartige Mann den Sohn, Peter, und hüllt ihn in eine rote Fahne ein. Bestimmt verdeutlicht Beckmann damit nicht, dass sein zehnjähriger Sohn jetzt zum Kommunismus bekehrt wird. Aber als festmachberes Synonym für schlimme äußere Einflüsse oder schlechte Kreise, in der sich Peter in Graz jetzt befindet, dafür taugt Lenin schon, der darüber hinaus in eine andere Richtung sieht und von dem übrigen Geschehen keine Notiz nimmt. Nach dem Sturz des Kaiserreiches drängten neue Kräfte an die Macht. Die Roten mitten drin. Gewalt und Anarchie? Tagesordnung! Auf dem Gemälde gibt es keine Kommunikation. Niemand teilt sich irgendwem in irgend einer Form mit. Jeder erduldet für sich alleine. Es fehlt auf diesem Bild jeglicher Zusammenhalt der Leidenden untereinander. Keiner hilft dem anderen. Das kann auch nicht funktionieren, da wir auf eine Kollage sehen, die sich grundsätzlich nicht in einem einzigen Raum abspielt. Das zur Hilfe genommene beengte Zimmer soll nach meiner Auffassung nur die gemeinsame Basis der Familie Beckmann symbolisieren. In dessen chaotischer Unordnung scheint aber alles seinen Platz verloren zu haben, oder sogar zu Bruch gegangen zu sein. Selbst der Hund vermisst darauf die Anbindung zu seinen Menschen und jault jammervoll. Soll das vielleicht der alte Beckmannsche Hund „Lump“ sein? Einmal zu seinem Gemälde „Die Nacht“ befragt, gab Max Beckmann folgende Antwort: „Nicht wahr? Ganz nettes Bildchen! Hähähä!... Ich will übrigens durchaus kein Spezialist für Grässlichkeiten sein. Ich finde das Bild einfach schön! Was ich anstrebe, ist eine immer klarere und bestimmtere Form. Ich mache keine Form um ihrer selbst willen – als abnormale Schnörkel. Alles muss Gegenständlich bleiben. Insofern kann man sagen, ich bin auch heute noch ein Schüler von Liebermann und Leibl. Ich will dieselbe ehrliche Gegenständlichkeit haben wie sie.“26 Lässt man sich diesen Satz auf der Zunge zergehen, dann könnte ich mit meiner Interpretation des Gemäldes durchaus auf seinem Kurs liegen. Er wollte eben keine Grässlichkeiten im Bild festhalten. Für ihn stellte das Gemälde doch seine eigene Errettung dar. Beinahe hätte ich es vergessen über die kleinen, aber doch so wichtigen Dinge des Gemäldes zu sprechen. Und, da kann man nach meiner Ansicht eigentlich nur im Zusammenhang der drei Ausführungen miteinander weiter kommen. Das Messer zum Beispiel. Es erscheint nur auf dem Ölgemälde. Auf unserer Bleistiftzeichnung fehlt es ebenso, wie Fridel Battenberg, die auf dem großen Bild einen prominenten Platz besetzt. Auf der späteren Grafik entfernte er das Messer wieder und gab der Frau seines Freundes nur noch unkenntliche Umrisse. So ein Messer kann als Angriffs- oder Verteidigungswaffe oder als schlichtes Werkzeug eingesetzt werden. Da auf dem Gemälde aber kein Blut fließt und sich das Messer auch in keiner drohenden Hand befindet, sondern nur achtlos auf dem Boden liegt, scheidet wohl dessen Waffenfunktion aus. Als kurzfristig benutztes Werkzeug bietet es sich aber schon an. Damit schnitt einer der Retter das gespannte Seil durch, an dem Max Beckmann jetzt herabgelassen wurde. Da es aber nur im Zusammenhang mit Fridel Battenberg auftaucht oder verschwindet und es auch auf sie zeigt, drängt sich mir einfach der Gedanke auf, dass sie für Beckmann als die Auslöserin seiner 26 ebenda, Seite 52 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 28 / 33 Errettung galt. Bei der späteren Lithographie korrigierte er seine bildliche Aussage erneut. Vielleicht wollte Fridel selbst kein Bestandteil dieses sehr destruktiv angelegten Höllen-Zyklus´ sein? Seine Errettung sollte ja auch eher das Gegenteil davon sein. Nimmt man alle drei Ausführungen zusammen, sieht man, wie darauf der Mond wandert. Auf unserer Bleistiftzeichnung taucht er noch gar nicht auf. Klein, fast wie ein Auge zeigt er sich auf dem Ölgemälde über den Fingern von Minna Tube, um dann in der Druckgrafik relativ groß neben ihrer Hand durch das Fenster zu scheinen. Wie beim Ablauf einer Nacht verändert der Mond auf den Varianten ständig seine Position. Wollte Beckmann damit tatsächlich andeuten, dass es sich hier um einen Zeitraum und nicht um einen Augenblick handelte? Das zu Boden gefallene Grammophon zeigt auf den Rückenakt und identifiziert diesen damit zusätzlich, als die Opernsängerin Minna Tube. Fastnacht, 1920, Öl auf Leinwand27 Wären da noch die beiden Kerzen auf dem Ölbild, von denen die Stehende brennt, die Liegende aber nicht mehr. Auf unserem Bleistiftgemälde existiert von denen nur die Stehende, die aber darauf keine Flamme mehr trägt. Ist das auf dem Ölgemälde auch eine Andeutung darauf, dass das eine Leben von ihm zu ende gegangen ist, während das andere augenblicklich gerettet wird? 27 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 123, Tate Gallery London, purchased © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 29 / 33 Oder ganz anders: Auf dem Gemälde Fastnacht von 1920 benutzte Max Beckmann die gleiche Symbolik der Kerzen. Nur hier sind bereits beide erloschen. Zeigte er mit der Flamme vielleicht an, wen er liebte und wen nicht? Von diesen beiden Damen erkenne ich nur Fridel Battenberg. Die zweite entzieht sich zur Zeit noch meiner Bekanntschaft. Darum bin ich mir auch nicht sicher, ob das so sein kann. Demnach würde er diese beiden Frauen nicht lieben. Auf „die Nacht“ hingegen brennt die Kerze direkt neben Minna Tube, seiner eigenen Frau, die er damals ganz sicher liebte. Mit der Lithographie aus dem Höllenzyklus könnte man das Thema als grundsätzlich abgeschlossen betrachten. Max Beckmann schien das aber ganz und gar nicht so zu sehen. 1922 betitelte er eine weitere Graphik ebenfalls mit „Die Nacht“. Die Nacht, Lithographie, 192228 Die Nacht hat sich geändert. 1922 lag der Krieg schon um einige Jahre zurück. Max Beckmann zeigt jetzt eine Familie, die schläft. Allerdings fehlt denen für eine richtige Nachtruhe ein Bett. Überfluss sieht anders aus. Mann und Frau schlafen in sitzender Stellung an die Wand ihrer engen Behausung gelehnt. Sie hält dabei ihr Kleinkind im Arm, während die ältere Tochter ohne Decke auf dem blanken Boden liegt. Alle tragen dabei ihre normale Straßenbekleidung. Die rasende Inflation hinterlässt ihre Spuren. Aber es herrscht endlich friedliche Ruhe, wenn auch die Armut unüberwindlich scheint. 28 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 104, Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Graphische Sammlung, Frankfurt am Main © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 30 / 33 Die Nacht, Frankfurt am Main 1928, Schwarze Kreide, 65,5 x 187 cm Bielefeld 123. Privatbesitz29 Sechs Jahre später zeichnet Beckmann sein wohl letztes nacktes Paar liegt ineinander verschlungen in einem Offensichtlich scheint hier die Armut gebannt zu sein. Bestürzung begann, endet sechzehn Jahre später mit dem Liebesakt. Bild unter dem Titel „Die Nacht“. Ein durchaus aufwändig gestalteten Bett. Das Thema, das 1912 mit Mord und erschöpft friedlichen Schlaf nach einem Resümee Betrachtet man die Vorzeichnungen, die sich in irgendeiner Form mit dem Ölgemälde und der Nachfolgelithographie von „Die Nacht“ beschäftigen, wird man sehr bald feststellen, dass da zwei letztendlich sogar drei Projekte existieren. Später entworfene Zeichnungen mit völlig anderem Inhalt trugen sogar auch noch diesen Namen. Das erste davon begann er 1912 mit zwei Skizzen, das er 1914 um zwei weitere ergänzte. Es handelt sich hier wohl um einen entsetzlichen Mord, der am Morgen entdeckt wurde. Danach scheint er von dieser Ausführungsvariante Abstand genommen zu haben. Ein daraus entstandenes Ölgemälde kenne ich nicht. Nach seinem kriegsbedingten Nervenzusammenbruch beschäftigte er sich ab 1917 mit einer graphischen Reihe, die er nicht betitelte. Wichtig in diesem gesamten Entwurfszyklus schien ihm jetzt die personenbezogene Darstellung mit der Verarbeitung seines eigenen Familienschicksals. Es handelt sich hier auch um keinen Mord, sondern eher um die Verhinderung eines solchen. Ein Bezug zu den ersten vier Graphiken lässt sich, alleine durch die Art der Darstellung, nicht mehr herstellen. Da dieser 2. Zyklus auch keinen Namen trägt, fällt selbst dieser Zusammenhang weg. Aber dieser Zeichnungssatz beinhaltet die Grundlage für das Ölgemälde „Die Nacht“. Allerdings fehlt in den Graphiken eine wirkliche Ordnung oder leitende Entwicklung, die Max Beckmann dann gezielt hätte übernehmen können. Er verwarf für sein großes Werk letztendlich sogar den Hauptansatz aus diesen sechs Skizzen. Die auf jeder Zeichnung vorkommende überkopf hängende Figur verschwand ersatzlos. An dieser Stelle ist es für mich denkbar, dass Beckmann unsere Zeichnung einfach brauchte. Er wollte die auch absichtlich nicht in der Form seiner eher flüchtigen Graphiken niederschreiben, sondern in der Form des tatsächlich geplanten Gemäldes. Daran konnte er dessen Wirkung viel 29 Spieler, Reinhard, Max Beckmann 1884 – 1950 Der Weg zum Mythos, Taschen, Köln 2011, Seite 93 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 31 / 33 besser einschätzen und die in den anderen Vorzeichnungen bisher vermisste Ordnung herbeiführen. Die realen Personen aus seinem engsten Umfeld und seiner entfernt lebenden Familie sollten darauf alle eine Rolle übernehmen. Bei diesem Motiv ganz bestimmt eine durchaus heikle Absicht. Er entschied sich darum zuerst für die Anfertigung unseres Bleistiftgemäldes. Als dessen vorläufigen Namen wählte er die sehr treffende Bezeichnung „Pein“. Die Übertragung ins vorläufig finale Gemälde brachte dann weitere Ergänzungen, allerdings keine grundsätzliche Änderungen mehr, und dessen endgültige Bezeichnung: „Die Nacht“. Am Schluss bleibt eigentlich nur noch die Frage: Wie kann man einen glaubhaften Nachweis führen, der meine durchaus denkbare Theorie auch treffend bestätigt? Natürlich schickte ich meinen neuerlich ergänzten Entwurf der Beckmann Gesellschaft nach München. Die freuten sich sehr über jemanden, der sich mit Max Beckmann beschäftigt und versuchten mich im Gegenzug gleich kostenpflichtig in die Beckmann Gesellschaft aufzunehmen. Da ich ich mich aber mit sehr vielen Gemälden der unterschiedlichsten Künstler beschäftige, würde es meinen Etat grundsätzlich überfordern, wenn ich deshalb in jeden angesprochenen Kunstverein einträte. Also bleibt mir ein solches Engagement verschlossen. Meinen Text kommentierten sie allerdings nicht. Ganz ausgeschlossen wäre es für mich, wenn ich nicht auch Frau Dr. Anette Kruszynski erneut mit meinem stark erweiterten Aufsatz behelligen würde. Sie wollte sich den tatsächlich bei nächster Gelegenheit noch einmal ansehen. Das fand ich schon außergewöhnlich. Und tatsächlich erhielt ich nach wenigen Tagen eine Antwort von ihr: Sehr geehrter Herr Behrens, nun habe ich Zeit gefunden, Ihren Text zu lesen. Sie haben sich sehr in die Fragestellungen hineingedacht, und einen Gedanken fand ich interessant. Sie vermuten, dass der Erhängte im Bild nicht aufgeknüpft wird, sondern dass die Strangulation gerade gelöst wird. Es scheint mir bisher diese Sichtweise nicht erwähnt worden zu sein, und vielleicht könnte man sie verfolgen. Leider übergehen Sie in Ihrer Analyse die Tatsache, dass der Zeichenstil der Arbeit in Ihrem Besitz für Beckmann untypisch ist und in seinem Schaffen keinen Vergleich kennt. Mir scheint dieser Aspekt jedoch entscheidend für alle weiteren Beobachtungen. Darüber hinaus betrachten sie Beckmanns Werk als eines, dass grundsätzlich im Erzählerischen verhaftet bleibt. War Beckmann wirklich nur ein Illustrator? Beschäftigte ihn nicht die Frage der kompositorischen Gewichtung ganz zentral? Denken Sie an des Künstlers Äußerungen zur Bewältigung des Raumes und an seine Bemerkungen zu Rousseau. Ich danke Ihnen, dass Sie mich an Ihren Überlegungen teilhaben ließen Mit freundlichen Grüßen Anette Kruszynski Dass der auf unserem Blatt gewählte Zeichenstil nicht der von Max Beckmann sein kann, übergehe ich eigentlich nicht wirklich. Ich versuche über meine eher ignoranten Versuche nur eine Erklärung für die für mich unzweifelhafte Verbindung zwischen dem Original und der Teilabzeichnung zu finden. Das ist mir auf diese Art und Weise allerdings überhaupt nicht gelungen. Trotzdem war es für mich wichtig, hier noch einmal auf eine klar ablehnende Haltung zu stoßen. Diese Tür scheint also verschlossen. © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 32 / 33 Nein, dass ich Beckmanns Werk grundsätzlich dem Erzählerischen verhaftet ansehe, so möchte ich nicht verstanden werden. Ich bin nur der Meinung, dass „die Nacht“ von ihm eine ganz eng umgrenzte familiäre reale Angelegenheit von ihm war, die er sich da von der Seele malte. Mit anderen Bildern seines Schaffens wird die sich kaum wirklich schlüssig vergleichen lassen. Max Beckmann wollte sich eigentlich auch gar nicht von dem Bild trennen, verkaufte es 1919 aber dann dennoch an Walter Carl, den Bruder von Friedel Battenberg. So blieb es wenigstens in seiner Nähe30, und er erzielte einen finanziellen Erlös, den er zu der Zeit sicher benötigte. Warum sollte er sich von einem fertigen Gemälde nicht trennen wollen? Da gibt es für einen Berufskünstler sicher kaum eine gültige Erklärung. Dieses Gemälde zeigte aber seine zerrütteten sehr persönlichen Familienverhältnisse. Die in der allgemeinen breiten Öffentlichkeit an die Wand zu hängen, konnte ihm nicht recht sein. Überraschenderweise führte aber keine Interpretation genau zu diesem einen Ergebnis. Vielleicht legte die von ihm selbst empfohlene, und wie ich denke auch notwendige, metaphysische Betrachtungsweise ein irritierendes Sperrfeuer? Aber genau dieser intim familiäre Punkt führt mich wieder zu unserer Bleistiftgemälde. Es war Max Beckmann nicht recht, dass jeder Zugang zu dem so sehr privaten Bild bekam. Das ein X-beliebiger das Gemälde hätte abzeichnen dürfen, scheint mir jetzt richtig unwahrscheinlich. Und er selbst war es höchstwahrscheinlich auch nicht. Da bleibt nur noch eine Person, die ich kenne, die dazu in der Lage gewesen wäre. Seine Frau, Minna Tube, studierte ja ebenfalls Malerei. Er verbot ihr nur die Ausübung. Und nachdem die beiden sich wieder getrennt hatten, begann sie in Berlin erneut zu malen. Sie wäre dazu befähigt gewesen die Arbeit ihres Mannes auf Papier zu übertragen, um die dann mit nach Graz zu nehmen. Letztendlich erwarb ich die Zeichnung ja auch von einem Wiener Kunsthändler. Natürlich hätte das Bleistiftgemälde zum Abschied nach Österreich auch noch ein schwarz-weißer Trauer-Notruf „Pein - Schmerz“ von ihm an sie sein können. Aber das klammere ich einmal aus. Erst nach der Kopieausführung vollendete Max Beckmann sein Gemälde. Leider kenne ich von Minna Tube kein einiges Ölbild oder auch nur eine andere Zeichnung. Darum bleibt auch diese mögliche Lösungs-Variante nur Vermutung. 17.11.2014 Ralf Behrens 30 Kunstsammlung NRW, Anette Kruszynski, Max Beckmann Die Nacht, Hatje, 1997, Seite 9 © Ralf Behrens, Marl, [email protected] ralfbehrens.academia.edu 33 / 33