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Überlegungen zur Performanz von Kriegslachen

Im Folgenden geht es um Lachen als soziale Praxis. Dabei können wir vom verbreiteten Kriegshumor nicht direkt auf das Kriegslachen schließen. Lachen in einem anthropologisch auch nur etwas strikteren Sinn bezeichnet nicht etwa die Reaktion auf einen Humor-Reiz, sondern ein differenziertes Spektrum menschlicher Äußerungsformen, deren körperliche Dimension nicht weniger wichtig ist als ihre mentale, kommunikative oder soziale.

Überlegungen zur Performanz von Kriegslachen Kaspar Maase Im Folgenden geht es um Lachen als soziale Praxis. Dabei können wir vom verbreiteten Kriegshumor nicht direkt auf das Kriegslachen schließen. Lachen in einem anthropologisch auch nur etwas strikteren Sinn bezeichnet nicht etwa die Reaktion auf einen Humor-Reiz, sondern ein differenziertes Spektrum menschlicher Äußerungsformen, deren körperliche Dimension nicht weniger wichtig ist als ihre mentale, kommunikative oder soziale. Mary Douglas tritt mit guten Gründen für die analytische Trennung des Lachens vom Komischen ein. Wenn Menschen eine Situation oder einen Witz als komisch empfinden, werden sie keineswegs immer lachen; und wenn über einen Scherz gelacht wird, dann muss das keineswegs auf dessen komische Brisanz zurückgehen. Douglas betrachtet Lachen als soziales, als Gruppenphänomen. Mary Douglas: Jokes. In: Dies.: Implicit Meanings. Essays in Anthropology, London 1975, S. 90-114. Nach ihrer Auffassung sind Lachen und Gelächter in Durkheimscher Tradition nur als Bestandteile einer "totalen sozialen Situation" zu interpretieren. Im Kern kann man Douglas so verstehen: Lachen ist verbunden mit Spannungen und Konflikten, die daraus hervorgehen, dass die Geltungsansprüche einer bestehenden Ordnung von Teilen der entsprechenden Gruppe nicht akzeptiert werden. Das betrifft insbesondere jene Dimensionen der Ordnung, die mit Hierarchie, Ungleichheit, Machtdifferenzialen verbunden sind. Dass gelacht wird, hat also gleichermaßen mit der empfundenen Unerträglichkeit von Spannungen zu tun wie mit der komischen Zuspitzungsqualität des Lachanlasses. Es gibt viele Gründe, die lustvolle Entlastung und das verbindende Gefühl gemeinsamen Lachens zu suchen, und da wirken in einer Gruppe oft schon Auslöser, die ein außenstehender Beobachter gar nicht wahrnimmt. Das einhellige Urteil über mangelnde handwerkliche oder artistische Qualität des kommerziellen Kriegshumors sagt mithin nichts über seine Tauglichkeit als Stimulans für Gelächter. Menschen suchen die Gelegenheit zum Lachen; dass Qualität, Überraschungscharakter und Esprit der Anlässe häufig nebensächlich scheinen, ist nicht kriegsspezifisch. Neben dem teils diffusen, teils auch sozial gezielten Abbau von Spannungspotentialen wird gerade in Gesellschaften im Krieg eine weitere, subjektiv wie sozial relevante Leistung des Lachens gesucht: Vergemeinschaftung; mit Max Weber: Herstellung "subjektiv gefühlter affektueller Zusammengehörigkeit". Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51972, S. 21. Vor allem wegen ihrer Vergemeinschaftungswirkung ist die Praxis des Kriegslachens als solche ein wichtiger Teil aktiver Kriegserfahrung. Analytisch möchte ich unterscheiden zwischen außenorientiertem 'Lachen über' und binnenorientiertem 'Lachen mit'. 'Lachen über' bezieht sich auf einen sprachlich benennbaren Gegenstand, ein Thema jenseits des Lachens, auf einen äußeren Referenten; 'Lachen mit' bezieht sich auf das Lachen der Lachenden, es hat selbstreferentiellen Charakter, es meint nichtsprachliche Kommunikation zwischen den Lachenden. Lachen mit dient primär dem (emotionalen, affektiven) Nutzen, den das Lachen den Lachenden bringt. Darüber hinaus ist es eine Praxis, die symbolische Qualität für die Lachenden hat: Lachen zu können, mit anderen gemeinsam zu lachen, während oder trotz des Betroffenseins durch Krieg lachen zu können, wird als Aussage über menschliche Befindlichkeit in einer konkreten Situation empfunden. Es wird in actu wahrgenommen - und auf weiteren Deutungsebenen reflektiert und über Deutungsmedien explizit sprachlich interpretiert - als Selbstvergewisserung über Qualitäten, die man auch im oder vielleicht gerade wegen des Krieges betätigen kann. Durch die symbolische Wahrnehmung des Lachens durch die Lachenden im Akt des gemeinsamen Lachens ist Lachen im Krieg und besonders Kriegslachen auch Sichverhalten zur totalen sozialen Situation des Im-Krieg-Seins. Es ist eine emotionale, affektuelle, körperlich basierte Praxis, den Krieg zu verarbeiten. Faktisch sind "Lachen über" und "Lachen mit" aufs Engste verknüpft. Jeder von uns kennt jedoch Situationen, in denen der äußere Anlass (Witz, Gag, Geste, Text) gänzlich bedeutungslos wird. Wir sprechen von grundlosem Lachen, nichtendenwollendem Gelächter, außer Kontrolle geratener Heiterkeit, die sich in Lachanfällen äußert und die Menschen durchschüttelt, bis sie gewissermaßen vor Erschöpfung das Lachen einstellen. Zur "mitreißenden Kraft" des Lachens formuliert Helmuth Plessner: "Lachen und Weinen der Mitmenschen ... machen uns zu Partnern ihrer Erregung, ohne dass wir wissen warum." Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung zu den Grenzen menschlichen Verhaltens, Bern 1961, S. 73. Die elementare soziale Dimension des Lachens wird von vielen Theorien des Humors und des Komischen betont. "Unser Lachen ist immer das Lachen einer Gruppe", heißt es bei Henri Bergson. Das gilt in gewissem Sinn auch für eine Person, die alleine lacht; sie agiert stets in "heimliche[m] Einverständnis, [in] eine[r] Verschwörung mit anderen wirklichen oder imaginären Lachern". Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, Zürich 1972, S. 13, 14. Dabei geht es in dieser Sichtweise stets um die Abgrenzung zu anderen (Gruppen oder einzelnen), die durch "Lachen über" vollzogen wird. Die inkludierende Funktion gemeinsamen Lachens ist gebunden an die Exklusion anderer. Idealtypisch gefasst, bedarf das "Lachen mit" jedoch der Aus- und Abgrenzung nicht, es ist selbstgenügsam. Das wird m.E. an der Zentralität der körperlich-sinnlichen Dimension deutlich. Noch einmal Plessner: "Körperliche Vorgänge emanzipieren sich. Der Mensch wird von ihnen geschüttelt, gestoßen, außer Atem gebracht." Plessner, Lachen und Weinen, S. 87. Kommunikation im gemeinsamen Lachen ist nonverbal, sie beruht auf der akustischen Wahrnehmung, auf der somatischen Empfindung von Zwerchfellerschütterung, Tränenfluss, Sichausschütten und Sichkrümmen, des Verlusts der Kontrolle über Körperfunktionen wie die Kontinenz, auf der visuellen Wahrnehmung der lachenden Körper und nicht zuletzt auf den taktilen Sensationen des Sich-(und anderen)-auf-die-Schenkel-Schlagens, den Ellenbogen-in-die-Seite-Stoßens und ähnlicher physischer Kontakte. In der Sprache, mit der wir uns über die Qualität von Lacherfahrungen verständigen, rangieren die körperlichen Dimensionen ganz oben. Man kann kaum etwas Positiveres über ein Lachereignis sagen, als dass man sich "bepisst habe vor Lachen". Intensität und Lustgewinn solchen gemeinsamen Lachens sind derart stark, so könnte man argumentieren, dass sie auch im Lachen, Lächeln oder Schmunzeln dessen, der einzeln eine Humorware konsumiert, erinnernd widerhallen; so wäre auch der physisch isolierte Lacher mental an größere Lachgemeinschaften angeschlossen. Menschen suchen das Lachen; sie suchen, so wäre nun zu präzisieren, vor allem das "Lachen mit". Das wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie gezielt die Settings für das Lachen arrangiert werden. Man schafft Bedingungen - äußere wie innere -, um die Schwellen für das Lachen, für den Körperkontakt und für das kollektive "Sichloslassen in einen körperlichen Automatismus" Ebd., S. 152 zu senken. Schon Freud hat beobachtet, dass "die Anforderungen an den Witz mit der Hebung der Stimmungslage sinken", und er nennt neben dem Alkohol die "Erwartung des Komischen" als Mittel zur Herstellung einer Stimmung, in der man "'zum Lachen aufgelegt'" Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Frankfurt a.M. 1972, S. 141, 231 f. ist. Mitteleuropäer haben ein komplexes Instrumentarium entwickelt, um situative Rahmungen für vergemeinschaftendes, entdramatisierendes Gelächter zu schaffen: Veranstaltungen und Genres werden entsprechend ausgeschildert ("Der Lacherfolg der Saison", "Hier lachen Sie sich krumm"), es treten spezialisierte Künstler wie Komiker, Clowns oder Conférenciers auf, man stimmt sich ein und geht in entsprechender Gesellschaft. Auch der Herrenabend und das Feiern mit Freundinnen und Freunden, der Stammtisch und die Kneipenkommunikation, Damenkränzchen und geselliges Beisammensein unter Frauen schaffen einen Rahmen, der das Lachen ermuntert; jede Gruppe hat ihren Spaßmacher oder ihre Betriebsnudel, die zum rechten Zeitpunkt aufgefordert werden, in Aktion zu treten, usw. Hier können dann auch die massenhaft vertriebenen Humorwaren ihre Rolle als Lachanlass spielen. Wichtig ist die Situationsdefinition: Hier soll gelacht werden - und die Verbindung von Alkohol und Lacherwartung garantiert, dass die Spirale in Gang kommt, in deren Verlauf der komische Gehalt der Scherze aus der Sicht des Außenstehenden gegen Null gehen kann, während die Beteiligten auch körperlich Schwellen überwinden und einander immer näher kommen. Um das Anti-Ritual zu vollziehen, das Druck und Spannungen relativierte, genügten 1914-1918 offenbar auch die abgedroschenen Klischees und matten Scherze des seriellen Kriegshumors. 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