UTB 3252
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Die Autorin:
Hedwig Richter ist Postdoctoral Fellow an der Universität Bielefeld. Sie studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Heidelberg, Belfast und Berlin.
Neben der DDR-Geschichte sind ihre Forschungsschwerpunkte Wahlen im
19. und 20. Jahrhundert und Geschichte der Arbeitsmigration. 2009 erscheint
Ihre Doktorarbeit zu Pietismus im Sozialismus.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detailliertere bibliografische Daten sind
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© 2009 Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG
Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1–3, 33098 Paderborn
Internet: www.schoeningh.de
ISBN: 978-3-8252-3252-8 (UTB)
ISBN: 978-3-506-76855-1 (Schöningh)
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
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Satz: Ruhrstadt Medien, Castrop-Rauxel
Layout & Einbandgestaltung: Alexandra Brand auf Grundlage der UTB-Reihengestaltung von Atelier Reichert, Stuttgart
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn
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' Repressionen und Potenzen: Die SED-Herrschaft. . . . . . . . . .
( Theoretische Gleichheit, praktische Ungleichheit:
11
Die Gesellschaft im Arbeiter-und-Bauernstaat . . . . . . . . . . . .
26
36
) Die nicht lenkbare Planwirtschaft: die Ökonomie. . . . . . . . . .
* Eingebunden und isoliert: Deutsch-deutsche und
internationale Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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63
75
86
+ Das Veto der Kunst: Kultur im sozialistischen Deutschland . .
, Freiheiten und Feigheiten: Die Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
- Unverhofft und ersehnt: Die Friedliche Revolution . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Joseph Schumpeter erklärte 1949 vor US-amerikanischem Fachpublikum,
die kapitalistische Marktwirtschaft sei am Ende, und die Zukunft gehöre
der Planwirtschaft.30 Der renommierte Ökonomieprofessor aus Harvard
stand mit solchen Ansichten unter den Wirtschaftstheoretikern nicht alleine. Seit den dreißiger Jahren ließ sich weltweit ein Paradigmenwechsel
in der Ökonomie erkennen, weg von marktwirtschaftlichen hin zu staatlich gelenkten Elementen. In der Nachkriegszeit legte man vielmals nicht
nur die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise mit ihren katastrophalen
Folgen, sondern auch das Aufkommen des Nationalsozialismus und den
Zweiten Weltkrieg dem Kapitalismus zur Last.31 Die Industrialisierung des
Sowjetimperiums unter Stalin hingegen mit beeindruckenden Wachstumsraten und der Beseitigung der Arbeitslosigkeit sowie der Sieg der
UdSSR im Zweiten Weltkrieg galten für viele als Nachweis für die Überlegenheit der Planwirtschaft. Die sozialistische Wirtschaft versprach Vollbeschäftigung, Krisenfreiheit und die Bedürfnisbefriedigung für alle.32 Als
in der SBZ der Umbau der Wirtschaft in sozialistischen Kategorien stattfand, erschien dies als ein naheliegender, vernünftiger Weg. Damit, so die
Hoffnung, könnte man das Elend der Nachkriegszeit gezielter und mit von
oben gelenkten Umverteilungen angehen, anstatt es dem Spiel des freien
Marktes zu überlassen. Mit der Bodenreform, der Enteignung der Betriebe
und Banken sowie der Verstaatlichung des Kreditsystems betraten die
Kommunisten den Weg der gesteuerten Wirtschaft.
Der Aufbau der beiden deutschen Staaten wurde für die gesamte
Weltöffentlichkeit zu einem Wettstreit der Systeme, dessen Ausgang keineswegs ausgemacht war. Doch kaum war der Osten aus den Startlöchern gestürmt, kam er ins Straucheln. Der Kreml wollte sich für die
Kriegsverluste, so gut es ging, entschädigen. Für die Demontagen fielen
in der SBZ und DDR sechzig Mal so hohe Kosten an wie in Westdeutschland. Rund 3400 Betriebe bauten die Besatzer ab und legten damit weite
Teile der Wirtschaft lahm. Die Ostdeutschen mussten fassungslos den
Abbau ihrer Industrie mit ansehen.
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Zitat
1946 schrieben Zement-Arbeiter an den führenden KPD-Funktionär Wilhelm Pieck: »Die Sowjetische Militäradministration hat Demontage unseres Zementwerkes Göschwitz bei Jena verfügt […] Göschwitz ist das
einzigste [sic] Zementwerk, das die Länder Thüringen und Sachsen versorgt […]. Der ganze Wiederaufbau in Thüringen und Sachsen – Städte,
Dörfer, Neubauern, Brücken, Straßen – alles lahmgelegt, wenn Göschwitz
zum Erliegen kommt. […] Hilf uns«.33
Bis Anfang 1947 verfrachteten die Besatzer die Hälfte des ostdeutschen
Eisenbahnnetzes in die Sowjetunion. In der Autoindustrie gingen achtzig
Prozent des Bestandes gegenüber 1945 verloren, im Werkzeugmaschinenbau 75 Prozent, in der Optischen Industrie die Hälfte und in der
Lebensmittelproduktion ein Fünftel. Darüber hinaus eignete sich die
UdSSR 200 der wichtigsten Unternehmen als »Sowjetische AG« (SAG)
an. Die SAG-Betriebe trugen rund ein Drittel der Gesamtproduktion
und wirtschafteten bis 1953 allein für die Reparationszahlungen. Zusätzliche Waren im Wert von 15 Milliarden Mark mussten die Ostdeutschen
direkt als »Wiedergutmachung« an die UdSSR liefern. Bedeutend war
auch der Verlust an Humankapital. Bis 1961 flohen über 13 Prozent aller
männlichen Erwerbstätigen in den Westen. 3000 Wissenschaftler und
Wirtschaftsexperten wurden in die Sowjetunion verschleppt und mussten dort teilweise bis 1958 für die Hegemonialmacht arbeiten.34 Die Besatzungskosten betrugen 1946 knapp die Hälfte des ostdeutschen Bruttosozialprodukts, 1953 verschlangen sie noch immer mit 16 Milliarden
Mark 13 Prozent, wurden dann aber auf maximal fünf Prozent des Sozialprodukts fixiert. Insgesamt erlitt Ostdeutschland in den Nachkriegsjahren einen Substanzverlust des Kapitalstocks von 22 Prozent.
Dennoch kann all das nicht erklären, warum die DDR so früh und so
deutlich ins Hintertreffen geriet. Denn die Bundesrepublik hatte einen
Substanzverlust von 16 Prozent hinnehmen müssen, wenn auch aus anderen Gründen, etwa wegen der Zerstörungen durch den Bombenkrieg,
die im Westen wesentlich gravierender ausfielen als im Osten. Warum
also führte die ostdeutsche Planwirtschaft in den Ruin?
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Das neue Wirtschaftssystem der DDR war wie alles im Staatssozialismus
streng hierarchisch geordnet und bestand aus zwei Instanzen: dem staat!"#$%$""$&#'()&#*+$,&#-'.'$,*/0'$")0(1*2*3445*6$"7)8087*9&#:8)8+#;*<07$"%="8
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lichen Wirtschaftsapparat und der Parteibürokratie. Die unmittelbare
Leitung für die jeweiligen Bereiche hatten in der Regel die Ministerien.
Die Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB), wie die Konzerne in
Ostdeutschland genannt wurden, und die Kombinate, die verschiedene
Betriebe der gleichen Branche zusammenfassten, bildeten eine mittlere
Entscheidungsebene. Doch realiter hatte die SED auch in der Ökonomie
das Sagen. Über das Nomenklaturprinzip bestimmte die Einheitspartei
alle relevanten Postenbesetzungen, und im Politbüro berieten die Herren
über die grundlegenden wirtschaftlichen Fragen. An der Spitze der Entscheidungsfindung stand Parteichef Walter Ulbricht, ab 1971 Erich
Honecker. Die Beschlüsse der SED waren für die Wirtschaftsbürokratie
bindend. In der DDR-Ökonomie herrschten also grundsätzlich nicht
wirtschaftliche, sondern politische Prioritäten. Das Spannungsverhältnis
zwischen Politik und Sachzwängen wurde nie ausbalanciert, sondern
stets zugunsten der Politik gelöst.
Der kommunistische Umbau zerstörte das angestammte Produktionssystem. Er verunsicherte die unternehmerische, technische und wissenschaftliche Elite und trieb sie zum großen Teil schon früh zur Abwanderung. Bis 1953 wurde wegen der flüchtenden Führungs- und
Fachkräfte jedes siebente Industrieunternehmen, insgesamt rund viertausend, nach Westdeutschland verpflanzt. Das Regime drangsalierte die
wenigen verbliebenen selbständigen Unternehmer, von den Sozialisten
zum Inbegriff des Klassenfeindes erklärt, und schaltete sie schließlich
1972, mit der Verstaatlichung der letzten mittelständischen Betriebe,
vollständig aus. Parteifunktionäre und Planungsbürokraten aber konnten diesen Kompetenz- und Motivationsverlust schwerlich ersetzen.
Führungspositionen, deren Besetzung ohnehin in hohem Grad von politischen Bedingungen abhängig war, entwickelten sich zu wenig attraktiven Posten, mit denen man sich viel Ärger, jedoch wenig Anerkennung
einhandeln konnte. Auch für die Arbeiter bot die Planwirtschaft relativ
wenig Anreize. Das Dogma der Vollbeschäftigung und das Recht auf
Arbeit zeitigte eine versteckte innerbetriebliche Beschäftigungslosigkeit
und mangelnde Motivation. Arbeiter und Betriebsleitung fanden zu einer Art stillem Abkommen, einem »Planerfüllungs-Pakt«. Er war für
beide bequem, im Endeffekt aber höchst unproduktiv: Die Leitung belastete die Arbeitnehmer möglichst wenig, bezahlte nicht geleistete Überstunden und Schichten, im Gegenzug blieben die Arbeiter bei der Stange und waren bereit, im Chaos der Planwirtschaft und ohne ökonomischen
Anreiz weiterzumachen. Schätzungsweise dreißig Prozent der Arbeitszeit
blieb ungenutzt. Aufgrund ihrer Organisation in der Einheitsgewerk!"#$%$""$&#'()&#*+$,&#-'.'$,*/0'$")0(1*2*3445*6$"7)8087*9&#:8)8+#;*<07$"%="8
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schaft FDGB und mangelnden echten Interessenvertretungen konnten
die Arbeiter weitergehende Interessen ohnehin nicht durchsetzen. Staat
und der Betrieb sorgten für den Arbeiter – die Opportunitätskosten
zusätzlicher und intensiver Arbeit waren niedrig.35
Zitat
Arbeiter in Interviews über die Beschäftigung in der Planwirtschaft:36
»Ich habe dazu immer ‚Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz‘ gesagt. Man war
anwesend und hat nichts getan. Das lag daran, dass der Meister oder die
Leiter sich nicht durchsetzen konnten. Die Leiter hatten auch Dreck am
Stecken, haben dies oder jenes für sich privat gemacht oder eben auch mal
gebummelt. Wir wussten das. Es gab also so eine Art stilles Abkommen.«
(Instandhalter)
»Es gab eine Überstundenliste. Da wurden zwar die Namen eingeschrieben, aber die Arbeit haben die Leute immer noch geschafft in ihrer normalen Arbeitszeit. Real wurden die Überstunden nicht gemacht. Aber das
Geld haben die Leute bekommen.« (Facharbeiterin)
Als wichtigstes Instrument der Wirtschaftslenkung installierten die deutschen Kommunisten den Jahresplan. Dafür gab die Parteizentrale detaillierte Vorgaben. Der Einfluss der Betriebe auf die Planvorgaben blieb
unbedeutend. Doch die zentrale Lenkung eines hochkomplexen Prozesses
erwies sich als störanfällig und unpraktikabel. 1960 notierte ein Wirtschaftsexperte der Plankommission: Die Betriebe könnten theoretisch
viele weitere Produkte fertigen, jedoch nicht zu den festgesetzten Preisen.
In einem Betrieb seien in der Produktion Gummibänder-Überreste angefallen, aus denen man dringend benötigte Kinderhosenträger fertigen
wollte. Doch das für die Preise zuständige Zentralreferat ordnete einen zu
niedrigen Preis an. Daraufhin weigerte sich der Betrieb, die Hosenträger
herzustellen, und die Planungsinstanz empfahl die Produktion von Sockenhaltern.37 Die Fehlleistungen der Planwirtschaft betrafen nicht nur
Strumpfhalter und Hosenträger, sondern auch die Grundversorgung.
Nahrungsmittel waren um 1960 teilweise noch immer knapp. Nach einer
Trockenperiode ordnete das Politbüro 1959 an, »nur noch Butter mit dem
niedrigen Fettgehalt von 74 % zu produzieren; […] den Butterverbrauch
für Großverbraucher und Gaststätten zu senken, […] die Sahneproduktion und -versorgung auf 50 % der jetzigen Menge zu senken«.38
Mit »Planrunden« und einem ausufernden Berichtswesen (eine der
Kernkompetenzen der DDR) versuchten die Verantwortlichen gegenzu!"#$%$""$&#'()&#*+$,&#-'.'$,*/0'$")0(1*2*3445*6$"7)8087*9&#:8)8+#;*<07$"%="8
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steuern und Fehlplanungen zu korrigieren. Doch die zwei Grundprobleme
der Planwirtschaft konnten damit nicht behoben werden: das Informations- und das Anreizproblem. Während sich in Marktwirtschaften die
Preise gemäß Angebot und Nachfrage entwickeln können, fehlte im
Staatssozialismus diese Basisinformation. Dort musste der Preis durch die
Planungsinstanzen festgelegt werden, doch lagen den Ökonomen allzu oft
irreführende Meldungen vor. So verschleierten die Betriebe vorhandene
Kapazitäten oder ihr tatsächliches Arbeitskräftepotenzial, denn nur so
konnten sie den plötzlichen Anforderungen und künftigen Produktionssteigerungen entsprechen. Bis 1953 erreichte der Lagerbestand an Materialien und unabsetzbaren Produkten einen Anteil an der Verwendung des
Bruttosozialprodukts von knapp 80 Prozent, während er in Westdeutschland bei ein bis vier Prozent lag. Hier zeigte sich deutlich die Schwierigkeit
des mangelnden Anreizes: Die Politik besaß Priorität; die Planer wollten
um jeden Preis die Vollbeschäftigung gewährleisten und kein Unternehmen Konkurs gehen lassen. Also gewährten die Plan-Funktionäre den
Betrieben stets genügend Gelder. Das wiederum schwächte die Motivation, effizient zu wirtschaften und darauf zu verzichten, Kapazitäten zu
horten oder – hier mischte sich das Anreiz- mit dem Informationsproblem
– exakte Angaben nach oben weiterzuleiten. Wenig Anreiz hatten die Betriebe zudem, auf die Qualität zu achten. Sie mussten ihren Plan erfüllen
– ob mit guter oder schlechter Produktion, das war zweitrangig.
Seit der doppelten Währungsreform 1948, in Ost und West getrennt
durchgeführt, war das Wohlstandsgefälle gegenüber der Bundesrepublik
immer sichtbarer geworden. Um ihre schlechte Reputation aufzubessern,
lagen der Führung spektakuläre Neuinvestitionen am Herzen. Investitionen für die Instandhaltung vernachlässigten sie dagegen sträflich. So
eröffneten die Parteifunktionäre beispielsweise mit propagandistischem
Aufwand neue Bahnstrecken, während auf den alten Linien die Züge oft
nur mit verminderter Geschwindigkeit fahren konnten. Zwar gab es fähige Wirtschaftstheoretiker in der DDR, die mit Reformen eine sozialistische Marktwirtschaft errichten wollten, doch wurden sie Mitte der
fünfziger Jahre brutal zum Schweigen gebracht. Die Partei verlangte Unterordnung und Imitation des sowjetischen Modells. Daher traf sie die
abwegige Entscheidung, wie in der Sowjetunion die Schwerindustrie
auszubauen. Ostdeutschland besaß jedoch weder eigene Rohstofflager
noch Produktionsstätten. Abgeschnitten vom Weltmarkt griff die DDR
daher notgedrungen auf die Braunkohle zurück, deren Energiegewinnung ein äußerst ineffizientes und extrem Umwelt schädigendes Verfahren erforderte. Regionale Stärken gerieten durch diese Politik ins Hin!"#$%$""$&#'()&#*+$,&#-'.'$,*/0'$")0(1*2*3445*6$"7)8087*9&#:8)8+#;*<07$"%="8
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Abb. 4: Die Braunkohle wurde im Tagebau gewonnen. Allein von 1971 bis 1989
wurden dadurch knapp 600 Quadratkilometer Land zerstört. Hier: Abbau
bei Nochten, Landkreis Görlitz.
tertreffen und den bis 1945 florierenden Zweigen Maschinenbau,
Feinmechanik oder Optik fehlte das Kapital.
Angesichts der Leistungsfähigkeit der rivalisierenden Marktwirtschaft sah sich die SED-Diktatur Ende der fünfziger Jahre zu Veränderungen gezwungen. Ulbricht wusste, er musste handeln, wollte er nicht
wegen der schwankenden Wirtschaft und der daraus folgenden Delegitimation immer mehr an Akzeptanz verlieren. 1953 hatte ja die Überbelastung der Bevölkerung und die kränkelnde Wirtschaft zu Unruhen
geführt und den Machthabern gezeigt, wie wenig sie auf die Arbeiter
tatsächlich zählen konnten. 1958 nun erklärte Ulbricht, die DDR werde
die Bundesrepublik »einholen und überholen«, 1961 werde der ostdeutsche Pro-Kopf-Verbrauch den westdeutschen übertreffen. Die Zuwachsraten des produzierten Nationaleinkommens sanken aber 1961 gegenüber 1960 um fünfzig Prozent. Die Partei erklärte daraufhin, mit dem
Mauerbau, den sie sich immerhin zwei Milliarden Mark kosten ließ,
könne sich die sozialistische Wirtschaft endlich störfrei entwickeln, ohne
dass etwa West-Berliner die subventionierten Waren im Osten kaufen
konnten. Doch 1962 blieben die Zuwachsraten ebenso niedrig wie im
Jahr zuvor, und die Wirtschaft stotterte weiter.
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Als sich die Schwächen der Planwirtschaft immer deutlicher abzeichneten, beschloss die Parteispitze, marktwirtschaftliche Prinzipien teilweise zu imitieren und deren Stärken zu nutzen, ohne freilich den sozialistischen Rahmen aufzugeben. 1963 lagen die »Richtlinien für das neue
ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft« (NÖS
oder NÖSPL) vor. Das Herz der Reform, mit der die Ökonomen eine Simulation des Marktes trotz fehlender Marktgesetze erreichen wollten,
bildete ein neues Anreizsystem. In Zukunft wurden die Branchen vor
allem anhand ihres Gewinnes und nicht mehr aufgrund ihrer Bruttoproduktion bewertet. Lohn und Prämien koppelten die Reformer stärker an
die individuellen Leistungen der Beschäftigten. Zugleich dezentralisierten
sie die Planung, lockerten das Planungskorsett und banden die mittlere
und untere Ebene in der Wirtschaft mit der Idee der »Arbeitermitverantwortung« besser ein. Der Vorsitzende der staatlichen Planungskommission war der für Politbüroverhältnisse sehr junge, 46jährige Erich Apel, der
sein Fachwissen unter anderem während der NS-Zeit in der Entwicklung
der Raketentechnik erworben hatte. Die Hoffnungen, die sich auf die
Reformen richteten, schlugen hoch. Im Westen rieb man sich verwundert
die Augen; die Süddeutsche Zeitung spekulierte 1963 auf eine »Rückkehr
zu kapitalistischen Wirtschaftsformen« in der DDR.39
Tatsächlich gelang es mit dem NÖS 1964, die Zuwachsraten des produzierten Nationaleinkommens auf fünf Prozent anzuheben. Der Lebensstandard wuchs, ein bescheidener Wohlstand breitete sich über dem
Land aus. Mitte der sechziger Jahre besaßen 54 Prozent der Haushalte
ein Fernsehgerät (gegenüber einem Prozent 1955), 31 Prozent einen
Kühlschrank (1955 war es noch nicht einmal ein Prozent gewesen) und
neun Prozent einen PKW (gegenüber 0,2 Prozent im Jahr 1955). Innerhalb des Ostblocks errang die DDR nach der Sowjetunion den zweiten
Platz als Industriemacht; auch im internationalen Vergleich erwies sich
die ostdeutsche Wirtschaftsleistung als beachtlich. Doch die alten Parteifunktionäre begleiteten die Neuerungen mit Misstrauen, und der Parteiapparat wusste die Forderungen der Reformer stets zu hemmen.
Trotz des NÖS bestand nach wie vor ein Nachfrageüberhang. Wann
immer sie kaufen konnten, kauften die DDR-Bürger und hofften, die
Waren zumindest als Tauschmittel nutzen zu können. Der informelle
Markt stieg in der Mangelwirtschaft an, und nur dank seiner konnte der
Warenaustausch einigermaßen funktionieren. Aufgrund der politischen
Prioritäten hatten die Reformen inkonsequent bleiben müssen, es war
zu einem Nebeneinander von alten und neuen Lenkungsmechanismen
gekommen. 1965 verschlechterten sich zudem die außenwirtschaftlichen
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Rahmenbedingungen. Führende SED-Funktionäre sahen sich in ihrer
Kritik und ihrem Misstrauen gegenüber dem NÖS bestätigt, es kam zu
Auseinandersetzungen, und im Dezember 1965 nahm sich Erich Apel
das Leben. Das diskreditierte die Reformer im Politbüro.
So veränderten die Funktionäre das Wirtschaftskonzept 1967/68 erneut, und die marktwirtschaftlichen Momente wurden wieder abgeschwächt. Bei den Prinzipien des »Ökonomischen Systems des Sozialismus« (ÖSS), die das NÖS ablösten, ging es darum, eine Balance zwischen
zentraler Lenkung und Einflussnahme von unten zu finden. Nun wurde
die Planung von oben zwar wieder gestärkt, doch mit ihr sollten lediglich
die wichtigsten Strukturen festgelegt werden. Die anderen, weniger
wichtigen Bereiche wurden den unteren Instanzen überlassen; den Betrieben und Kombinaten räumten die Planer größere Zuständigkeiten,
ja sogar die »Eigenerwirtschaftung der Mittel«, ein.
Für die SED-Spitze wurde der ökonomische Fortschritt immer dringender. Ulbricht war ehrgeizig und wollte die DDR als industrielles Modell im gesamten Ostblock etabliert sehen. Gegenüber den Sowjets trat
er immer selbstbewusster auf, bis diese ihm vorwarfen, mit seinen Wirtschaftsreformen westlichen Ideen zu nahe zu kommen. Ulbricht aber
hoffte, mit einer prosperierenden Wirtschaft gegenüber dem Westen eine
gute ökonomische Ausgangsposition für die sich abzeichnenden deutschdeutschen Verhandlungen zu erringen. Der Staatschef modifizierte seine
Formel vom »Überholen und Einholen«, und erklärte nun, man müsse
den Westen »überholen ohne einzuholen« – ein groteskes, verräterisches
Wortspiel, für das Ulbricht aus dem Westen viel Häme erntete. Ulbrichts
Planvorstellungen sahen vor, die Bundesrepublik bis 1980 in der Produktion und im Lebensstandard zu übertreffen.
Doch bereits während der Planungen für das neue ÖSS zeichnete sich
ab, dass die Ressourcen nicht ausreichen würden. 1970 griff eine erneute Wirtschaftskrise um sich, die schließlich maßgeblich zur Absetzung
Walter Ulbrichts beitrug. Er war den Sowjets zu selbstbewusst aufgetreten, und ohne durchschlagende Erfolge hatte er für sie an der SED-Spitze keine Existenzberechtigung mehr.
Zitat
Ein leitender Wirtschaftsfunktionär schrieb 1970 an einen Kollegen, manche wissenschaftlichen Erkenntnisse würden zuweilen »autoritär als einzige angesehen, ohne dass der wissenschaftliche Meinungsstreit geführt
wurde. Bei Widerstand gegen eine Meinung wird oft gar nicht erst geprüft,
ob es echte Probleme und Argumente gibt. […] Es gibt zu viele Tabus,
Rückversicherungen und zu wenig persönliche Verantwortung«.40
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Unter Erich Honecker trat die DDR-Wirtschaft in eine neue Epoche.
Zuallererst wollte Honecker den Lebensstandard steigern und mit ihm
einen Anstieg der Produktivität und Effektivität erreichen. Der Staatschef
proklamierte die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«. Die Sozialpolitik aber verschlang immer größere Summen, die durch die Produktivität nicht mehr gedeckt werden konnten. Schon seit den fünfziger
Jahren hatten die SED-Funktionäre die Subventionswirtschaft ausgebaut.
Vor allem Lebensmittel, aber auch Mieten oder Nahverkehr wurden nun
unter Honecker mit aberwitzigen Summen staatlich mitfinanziert, bis sie
1989 mit über 50,6 Milliarden Mark über ein Fünftel des Staatshaushaltes
auffraßen. Die sukzessive Selbstzerstörung der DDR geriet in Fahrt. Mit
Renten, Ausgaben für Kinderbetreuung, Kultur und Sport sowie dem
Gesundheitssystem betrugen die Ausgaben für die »zweite Lohntüte«, wie
die Subventionen genannt wurden, 1989 114 Milliarden Euro und waren
damit in Honeckers Ära um knapp 90 Milliarden angestiegen.41
Diese erstaunliche Subventionspolitik, an der die Funktionäre festhielten, obwohl sie so offensichtlich zum Ruin des Arbeiter-und-Bauernstaates beitrug, verdankte sich nicht zuletzt dem Trauma der Unruhen vom 17. Juni 1953, als dem Volk zu viel abverlangt und zu wenig
geboten wurde. Wie ein Schatten lag dieses Ereignis über der SED-Diktatur und motivierte sie nicht nur zu ständigen Repressionen, sondern
auch dazu, das Volk um jeden Preis bei Laune zu halten. Die Subventionen hatten aber auch einen biographischen Hintergrund: Die Krisenjahre der Weimarer Republik hatten sich den führenden Männern eingebrannt, viele von ihnen waren in dieser Zeit sozialisiert worden. Die
damalige Situation der Arbeiterfamilien, die unter Hunger und Mietwucher, Obdach- und Arbeitslosigkeit zu leiden gehabt hatten, stand den
Funktionären stets vor dem inneren Auge. 1989 klagte Stasi-Chef Erich
Mielke angesichts der Flüchtlingsströme in einer Dienstbesprechung
bitterlich über die DDR-Bürger, die weg wollten, weil sie alle Wohltaten
des Sozialismus als »Selbstverständlichkeit« betrachteten. »Der Sozialismus ist so gut«, erklärte er seinen Mitarbeitern, »ich denke immer daran,
als wir erlebten, ich konnte auch keine Bananen essen und kaufen, nicht,
weil es keine gab, sondern weil wir kein Geld hatten, sie zu kaufen.«42 Bis
zuletzt ging der Blick der Machthaber zurück in ihre harte Jugendzeit
– doch das Volk blickte in den Westen.
Allerdings zeigten sich in den siebziger Jahren zunächst erneut Erfolge
der Wirtschaftspolitik. Bis 1974 konnte die DDR ihre ökonomische Kraft
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gegenüber 1950 versiebenfachen und gegenüber 1970 immerhin um 30
Prozent steigern. Der Lebensstandard und die Zufriedenheit der Bevölkerung stiegen. Die Löhne und Urlaubstage wurden erhöht, der Konsumgüterbereich ausgebaut und der Wohnungsbau forciert. Für das
wachsende Bedürfnis nach Westwaren musste das Regime die Westimporte aufstocken. Doch damit verstärkte sich die Abhängigkeit vom
»Nicht-Sozialistischen Wirtschaftsgebiet« (NSW), wie die marktwirtschaftlichen Länder genannt wurden.
In demonstrativer Abgrenzung von Ulbricht versuchte Honecker, die
installierten Marktelemente gegenüber den sechziger Jahren wieder zu
schwächen, auch wenn er sie nicht gänzlich abschaffte. Damit schwanden
die Anreize für Effizienz, Qualität blieb sekundär, die Betriebe horteten
Ressourcen und Arbeitskräfte. Honecker, dem es am Herzen lag, als treuer Gefolgsmann der UdSSR zu erscheinen und der als mahnendes Beispiel den entmachteten Ulbricht vor Augen hatte, forderte die Ökonomen auf, sich stärker am großen Bruderstaat zu orientieren;
wirtschaftlich-fachliche Argumente blieben ungehört.
Auch die globalen ökonomischen Krisen in den siebziger Jahren
schwächten die DDR. 1981 drohten die transnational agierenden Banken, der DDR keine Kredite mehr zu gewähren.43 Da die Wirtschaftspolitik Honeckers sich als wenig fruchtbar erwiesen hatte, hofften die
ostdeutschen Ökonomen nun erneut, mit der Implantierung von
Marktelementen einen Aufschwung herbeiführen zu können. Reformüberlegungen und Reformbemühungen der sechziger Jahre erlebten
eine gewisse Renaissance. Doch die Grundidee der Planwirtschaft blieb
erhalten. In den achtziger Jahren schließlich entwickelte sich die Wirtschaft trotz zeitweiliger Erfolge zunehmend zum Krisenmanagement.
Auf der Mikroebene mussten sich die Planungschefs weiterhin um das
absurde Klein-Klein kümmern. 1982 waren das etwa die Schlachtschweine, deren Durchschnittsgewicht aufgrund mangelnden Futters
um 13 Prozent gesunken sei, so dass »im Einzelhandel kein durchgängiges Angebot an allen Wochentagen gesichert werden kann, verstärkt
Angebotslücken sichtbar werden und Diskussionen in der Bevölkerung
zunehmen.«44
Die Planer brachten in dieser kurzfristigen Krisenpolitik keine Energie für die Umweltfrage auf, so dass die krassen Verschmutzungen bei
Hunderttausenden Bürgern zu Krankheiten und einer kürzeren Lebensspanne führten. Dringende Ersatzinvestitionen für den Erhalt des Systems und Neuinvestitionen blieben aus. Die Fabriken mussten teilweise
mit Anlagen aus der Kaiserzeit produzieren. Die Infrastruktur verkam,
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Qualität blieb ein Dauerproblem, und in den Betrieben stand zwangsläufig das kurzfristige »Durchwursteln« vor strategischem Denken.45 Am
Ende der DDR waren 17 Prozent des Eisenbahnnetzes gesperrt oder nur
noch mit verminderter Geschwindigkeit zu befahren, ein Fünftel der
Straßen konnte kaum noch genutzt werden, in den Städten verkamen
ganze Straßenzüge, Altbauten verfielen, die Automodelle Trabant und
Wartburg – die in den fünfziger Jahren innovativ gewesen waren – erwiesen sich als hoffnungslos veraltet. Das Wirtschaftssystem konnte
nicht mehr den Substanzverlust ausgleichen, den die groß angelegte Sozialpolitik Honeckers kostete. Die Führungsriege der alten Herren aber
hatte den Anschluss an die Realität verloren. 1988 erklärte der Staatschef,
»im Grunde genommen« sei »der Lebensstandard in der DDR höher«
als in der Bundesrepublik.46
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Die DDR war in doppelter Weise abhängig: zum einen vom Westen, zum
anderen von der sowjetischen Hegemonialmacht. Der Westen konnte
indirekt darüber bestimmen, wofür die DDR ihre knappen Investitionsmittel einzusetzen hatte. Denn Ostdeutschland musste jederzeit mit
einem Lieferstopp aus dem Westen rechnen. Erfolgreich setzten die westlichen Länder ein Technologie-Embargo durch. In der sogenannten CoCom-Liste47 legte ein internationales westliches Gremium fest, welche
Technologien nicht in die sozialistischen Länder exportiert werden dürften. In regelmäßigen Aktualisierungen gab die Liste an, welche alten
Technologien freigegeben und welche neuen aufgenommen werden sollten. Dieser Boykott betraf nicht nur die Rüstungspolitik, sondern auch
Bereiche wie die Mikroelektronik. Die betroffenen Länder waren damit
vom internationalen Know-How ausgeschlossen und mussten mit teuren
Eigenentwicklungen nachziehen. Das kam sie immer teurer zu stehen,
schließlich verloren sie den Anschluss.48 Das trug im Falle der DDR zu
ihrer wachsenden Abhängigkeit von westlichen Gütern bei. Die Westschulden kletterten immer höher. Betrugen sie 1971 noch zwei Milliarden Dollar, so wuchsen sie 1982 auf 25,5 Milliarden an. 1980 erkannte
die Staatliche Plankommission: »Wenn die kapitalistischen Banken der
DDR keinen Kredit mehr gewährten, würde schon in wenigen Monaten
die Lage eintreten, dass die DDR nicht mehr zahlungsfähig ist und keine
Importe mehr durchführen kann«.49 Die Kreditwürdigkeit der DDR
blieb in den folgenden Jahren nicht zuletzt wegen der Milliardenanleihen
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der Bundesrepublik erhalten; darunter war ein Darlehen, das der ultrakonservative Bayerische Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß angeregt hatte.
Die Sowjetunion, der wichtigste Außenhandelspartner, konnte die
Abhängigkeit vom Westen nicht kompensieren, sondern verstärkte in
mancherlei Hinsicht die Probleme. Seit 1950 gehörte die DDR dem Rat
für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) an, in dem sich die Ostblockstaaten organisierten und in dem die Hegemonialmacht Sowjetunion die
Bedingungen diktierte. Eine transnationale Arbeitsteilung wie im Westen war im RGW kaum möglich.50 Die UdSSR profitierte zwar von der
relativen Wirtschaftsstärke der DDR, doch ließ sie umgekehrt den deutschen Bruderstaat an ihren Kapazitäten und Eigenentwicklungen oft
nicht partizipieren.
Das ostdeutsche Wirtschaftssystem litt an dem Widerspruch zwischen
Westabschottung und Westorientierung – also dem Bemühen der DDR,
ohne westliche Einflüsse ein autarkes, sozialistisches Wirtschaftssystem
zu entwickeln einerseits und der Abhängigkeit vom Westen andererseits.
Diese Abhängigkeit ergab sich aus den Bedürfnissen der Bürger und den
Zwängen des Weltmarktes. Sie führte zu einer bizarren Westfixierung
auch der DDR-Oberen und ihrer gebetsmühlenartigen Ankündigung,
den Westen zu überholen. Zudem verschärfte das Wirtschaftssystem den
grundlegenden Widerspruch zwischen Formalität und Informalität,
denn die Überorganisation der Gesellschaft erzwang den Ausbau der
informellen Strukturen: Die DDR-Bewohner tauschten (oft über kuriose
Angebots- und Nachfragen-Anzeigen in der Zeitung) in großem Ausmaß
Güter, die Betriebe mussten sich am Plan vorbei mit Materialien versorgen, Mangelwaren erhielten die Bürger oft nur über Beziehungen; zum
informellen Markt gehörten schließlich auch die Westpakete von Verwandten und Bekannten aus der Bundesrepublik.
Die Planwirtschaft bot kein Klima für Konkurrenz und Eigenverantwortung, es fehlte der Nährboden, auf dem Kreativität und Innovation
gedeihen konnten. Stattdessen lieferte das System Anreize zur Täuschung
und Selbsttäuschung. 1989 hieß es in einer Information für das Politbüro, der Staatshaushalt 1988 sei nicht ausgeglichen und weise ein großes
Defizit auf. Man solle jedoch »die Haushaltsrechnung für das Jahr 1988
der Volkskammer nicht mit einem solchen Defizit [vorlegen], sondern
mit ausgeglichenen Einnahmen und Ausgaben«.51
Doch die konstitutive Unlauterkeit des Regimes war nicht einfach
einer kleinen Machtelite geschuldet. Das System der Verschleierung und
Realitätsverweigerung begann auf unterster Ebene mit den Arbeitern
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und setzte sich bis nach oben ins Politbüro und zu Honecker fort, der
sich seine rasend teure Sozialpolitik durch die ökonomischen Einwände
mancher couragierter Experten nicht verderben lassen wollte. Die Bevölkerung ließ sich als Ausgleich für ihren politischen Gehorsam wirtschaftliche Sicherheit und soziale Rundumversorgung bieten. Kaum
einer hinterfragte grundsätzlich das System. Erst als die Wirtschaftsleistungen des Staates zurückgingen, begann die Anpassungsbereitschaft der
Bürger sich aufzulösen. Führende DDR-Wirtschaftsexperten um Gerhard Schürer und Alexander Schalck-Golodkowski wussten um diesen
Zusammenhang und erklärten 1989: »Allein das Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 2530 % erfordern und die DDR unregierbar machen.«52 Es war auch die
Bindung der Herrschafts-Legitimität an das Versprechen steigenden
Wohlstands, die grundlegende ökonomische Reformen nicht zuließ.
Literatur
Steiner, André: Von Plan zu Plan: eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. München
2004.
Stokes, Raymond G.: Constructing Socialism. Technology and Change in East
Germany 1945-1990. Baltimore 2000.
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