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Dietrich Boschung Gens Augusta Untersuch

Dietrich Böschung, Gens Augusta. Untersuchungen zur Aufstellung, Wirkung und Bedeutung der Statuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses.

610 Besprechungen Dietrich Böschung, Gens Augusta. Untersuchungen zur Aufstellung, Wirkung und Bedeutung der Sta­ tuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses. MonumentaArtis Romanae XXXII. Philipp von Zabern, Mainz 2002. 233 Seiten, 32 Abbildungen, 96 Tafeln und 9 Beilagen. Dietrich Böschung ist als einer der besten zeitgenössi­ schen römischen Porträtkenner weltweit bekannt. Aus diesem Grunde sind die Erwartungen des Lesers groß, besonders angesichts einer Monographie in einer sehr bedeutenden Reihe: den »MonumentaArtis Romanae«. Diese sind in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhun­ derts vom damaligen Kölner Ordinarius Heinz Kähler und Jacques Moreau begründet worden. Kähler verdan­ ken wir auch das 1966 gegründete Archiv Monumenta Artis Romanae<, den Vorgänger des >Forschungsinstituts für Antike Plastik am Archäologischen Institut der Uni­ versität zu Köln<, das jetzt die Verantwortung für die Reihe trägt. Dietrich Böschung war der Leiter dieses Forschungsinstituts von 1994 bis 1996, dem folgte eine Professur an derselben Universität. Der hier anzuzei­ gende Band erscheint wie eine Krönung seiner früheren Forschungsergebnisse. Wir verdanken Böschung gleich zwei Bände der Reihe »Das Römische Herrscherbild«, nämlich die zu den Bildnissen des Augustus und des Caligula. Außerdem hat er wichtige Beiträge zum Porträt des Tiberius und zu den Bildnistypen der julisch-claudi­ schen Kaiserfamilie publiziert. Mit »Gens Augusta« hatte er sich an der Ludwigs-Maximilians-Universität München 1989 habilitiert. Wie bei den anderen Bänden der Reihe mangelt es nicht an zahlreichen ausgezeichneten Photographien. Porträtforscher lieben Ansichten von vier Seiten eines Kopfes, die so nahe wie möglich und in Augenhöhe auf­ genommen wurden. Dies wird besonders bei der Reihe »Das Römische Herrscherbild« ersichtlich. Dahinter steht der Wunsch nach Objektivität, ein an sich lobens­ wertes Ziel, das aber nur einen objektiven Vergleich der Seiten vom Standpunkt des heutigen Betrachters aus er­ möglicht - und gerade dieser Standpunkt war gewiss in den meisten Fällen nicht der zeitgenössische: Die Be­ trachter blickten damals zu den Angehörigen der kaiser­ lichen Familien meist von unten her auf. Im Gegensatz zu einigen anderen Forschern gibt sich Böschung zum Glück nicht mit der üblichen Aufnahmeperspektive zu­ frieden. So findet man sehr gute Photographien, die der zeitgenössischen Aufstellung und Betrachtung eher Rechnung tragen. Boschungs Monographie erscheint fünf Jahre nach der Publikation einer Monographie mit einem sehr ähn­ lichem Thema: Brian Rose, Dynastie commemoration and imperial portraiture in the Julio-Claudian period. Cambridge Studies in Classical Art and Iconography (Cambridge 1997). Diese Publikation baut auf Roses Dissertation auf, die er 1987 bei der Columbia Univer­ sität eingereicht hatte. Zeitlich gesehen waren also beide Beiträge ursprünglich nicht weit von einander entfernt. Auf den ersten Blick sehen Böschung und Rose im Ver­ Klassische Archäologie gleich miteinander wie Repräsentanten verschiedener Forschungsrichtungen aus. Während eine beträchtliche Anzahl von Forschern besonders in Deutschland und in deutschsprachigen Ländern bis spät ins 20. Jh. noch immer in der Tradition von Bernoullis corpusartigen Pu­ blikationen standen, neigten Forscher anderer Länder traditionell mehr zu thematischen Untersuchungen. Beide Traditionen haben ihre Vor- und Nachteile, und man sollte natürlich nicht jeweils alles in den gleichen Topf werfen. In den letzten Jahrzehnten besteht aber zu­ sehends die Tendenz, dem langen Schatten Bernoullis zu entgehen. In dem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Schweizer Bernoulli, der im Jahre 1884 begann, seine »Römische Ikonographie« zu publizieren, nicht bei Böschung im Abkürzungsverzeichnis auftaucht und auch nicht in der Bibliographie bei Rose erscheint. Die Monographien beider Autoren stellen nach meiner Ansicht teilweise den Abschluss einer Forschungsrich­ tung dar, die - obschon im Format noch von Bernoulli beeinflusst — sich sehr darum bemühte Bernoullis Ziel­ setzung nicht mehr als die »Blaue Blume« der Porträtfor­ schung anzusehen. Im Forschungsgebiet attischer Vasen kann man eine Parallele finden. Beazley und seine Zu­ weisungen wurden zusehends als Materialsammlung angesehen, und Dispute über Zuschreibungen findet man nicht mehr so häufig. Daher wundert sich der Re­ zensent in Anbetracht der unterschiedlichen Traditionen nicht, dass bei Böschung - anders als beim Amerikaner Rose — die analytischen Kapitel dem Katalogteil folgen. Ansonsten und von Einzelheiten abgesehen stehen sich die beiden Autoren relativ nahe. Zu seiner Zielsetzung erklärt Böschung, dass seine Arbeit »anhand von Sta­ tuengruppen die Aufstellung, Wirkung und Bedeutung von Kaiserbildnissen im architektonischen und urbanis­ tischen Kontext« untersucht. Rose schreibt in seiner Ein­ leitung: «My goal in this book is to examine the production of Julio-Claudian dynastic imagery, ca 31 B.C.-A.D. 68 and to chart the varying perceptions in both Rome and the provinces, of the first imperial family.» Nach einer Einleitung (Kapitel I) werden von Bö­ schung in fünf Kapiteln in der Art von Katalogen viele der erhaltenen julisch-claudischen Familiengruppen dis­ kutiert. Jeder Katalog wird von einer gründlichen und außerordentlich informativen Darstellung des Gra­ bungsbefundes und des architektonischen Rahmens be­ gleitet. Das Material wird wie folgt eingeteilt: Kapitel II: »Die Wirkung im Stadtgebiet«, Kapitel III: »Forum und Basilika als Aufstellungsort«, Kapitel IV: »Statuengrup­ pen aus Theaterbezirken«, Kapitel V: »Bogenmonu­ mente, Eleiligtümer, Stadthäuser«, während Kapitel VI Beispiele für den späteren Umgang mit den julisch-clau­ dischen Statuengruppen behandelt. Kapitel VII analysiert die zugehörigen epigraphischen und numismatischen Quellen, Kapitel VIII die Wirkung und Bedeutung der Statuen, und das letzte Kapitel IX heißt: »Die julisch-claudische Dynastie als Bildthema«. Im Katalogteil werden bestimmte Städte als Fallbei­ spiele für den jeweiligen Kontext behandelt. Die Länge 611 und Gründlichkeit hängt dabei vom Stand der For­ schung ab. Bei Kapitel III, das Forum und Basilica als Aufstellungsort zum Thema hat, sind Veleia, Lucus Feroniae und Ruscino die drei ausführlich diskutierten Fallstudien (S. 25-42). Dem folgt S. 43-78 »Kaiser­ statuen auf den Fora der alten Landstädte«, wobei auch Mitglieder der kaiserlichen Familie eingeschlossen sind. Hierbei wird z. B. ein kurzer Vergleich zwischen Minturno einerseits und Veleia und Ruscino andererseits ge­ zogen, doch sucht man bei vielen anderen Landstädten vergeblich nach einem solchen Vergleich, so dass ich mich frage, was das Kriterium der Auswahl gewesen ist. Man fragt sich bisweilen auch, welchen Zweck ein Titel wie »Inschriftlich bezeugte Aufstellungsprogramme« hat, wenn es sich im Grunde nur um eine einfache Auf­ zählung von Statuengruppen handelt, deren genaues Programm weder genannt noch diskutiert wird. Boschungs Stärke ist, dass er einen sehr gründlichen Kata­ log fast aller julisch-claudischer Statuengruppen liefert, seine Schwäche, dass im Katalogteil einige dieser Grup­ pen erklärende Titel und Untertitel haben, andere nichts desgleichen. Diese Titel oder deren Fehlen wirken da­ durch notgedrungen etwas verwirrend. Bisweilen findet man auch einen modernen Autor bei einem Porträt zitiert, aber nicht bei einem anderen, ob­ schon derselbe Autor sich zu beiden äußerte. Den bi­ bliographischen Angaben kann man dank der Gründ­ lichkeit Boschungs nur wenig zufügen. Für die iberische Halbinsel sollte man bei einer Monographie mit der oben zitierten Zielsetzung W. Mierse, Temples and towns in Roman Iberia (Berkeley 1999), wenn ange­ bracht konsultieren. Der zweite Teil des Buches beginnt mit wohl der bes­ ten Zusammenfassung über epigraphisch und numisma­ tisch überlieferte Bildnisgruppen, die ich je gelesen habe. Es ist eine umfassende Sammlung und Auslegung des Materials, wobei hier die Titel und Untertitel sehr hilf­ reich sind, etwa: »Eine neue Hierarchie zeichnet sich ab« oder »Claudius, die Staatsgötter und die Kinder«. In der Zusammenfassung zeigt Böschung mit Hinweis auf Zänker überzeugend, dass das Verhältnis zwischen Reichsprägungen und lokalen Münzstätten nicht ein­ heitlich war, sondern sich im Einzelfall unterschied, wobei z. B die »Rivalität der Städte untereinander dazu führte, dass neue, lokale Ehren für das Kaiserhaus von benachbarten Prägestätten unternommen wurden«. Sehr interessant sind Boschungs Beobachtungen der literarischen Quellen zur emotionalen Wirkung. Oft fin­ det man in der Porträtforschung die Tendenz, die Dar­ stellungen der kaiserlichen Familie vom Gesichtspunkt der politischen Propaganda zu erklären. Boschungs Be­ merkungen zu den literarischen Quellen zeigen, dass es da eine Vielfalt von Material gibt, das gewiss bei zu­ künftigen Beiträgen zum römischen Porträt eine wich­ tige Rolle spielen wird. In seiner Einleitung macht Böschung einige Bemer­ kungen zur Forschungsgeschichte und stellt fest, dass der »ursprüngliche intendierte Sinnzusammenhang ... zur umgebenden Architektur und zum Betrachter« bisher 612 Besprechungen kaum untersucht worden ist. Mit diesem Buch hat Bö­ schung einen Großteil dieser Arbeit geleistet und ist rich­ tungweisend für Forschungen dieser Art. Ich hoffe aller­ dings, dass sich die Forschung nicht ausschließlich mit dieser wichtigen Richtung zufrieden geben wird, son­ dern dass das Thema der Rezeption der Bildnisse der kaiserlichen Familie noch differenzierter untersucht wird, als es dies beim gegenwärtigen Stand der For­ schung geschieht. Zur Rezeption bei verschiedenen Be­ völkerungsschichten und in verschiedenen Provinzen ist sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen. Auf diese Weise würde Bernoullis Schatten endlich ganz ver­ schwinden. Providence (RI) Rolf Winkes