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Präkanzerosen des Urothels

2008, Der Pathologe

Schwerpunkt: Uropathologie Pathologe 2008 · 29:364–370 DOI 10.1007/s00292-008-1015-1 Online publiziert: 6. Juli 2008 © Springer Medizin Verlag 2008 R. Knüchel1 · S.V. Koufou1 · M. Speicher2 · K. Schwamborn1 · D. Zaak3 · R. Stöhr4 1 Institut für Pathologie, Universitätsklinik RWTH Aachen 2 Institut für Humangenetik, Universität Graz, Österreich 3 Urologische Klinik und Poliklinik, Ludwig-Maximilian-Universität München 4 Institut für Pathologie, Universitätsklinik Erlangen Präkanzerosen des Urothels Von der Feulgen-Färbung bis zur Einzelzell-CGH Die Histomorphologie kennt seit Langem „flache“ Veränderungen des Urothels, die insbesondere unter Zuhilfenahme der fluoreszenzgestützten Zystoskopie der zystoskopischen Entdeckung deutlich besser zugänglich sind [16]. Folgende wesentliche Ziele verbinden sich mit der Forschung an diesen Präkanzerosen und frühen Tumorstadien: 1. Durch das Zusammenwirken morphologischer und genetischer Befunde soll eine einheitliche und möglichst eindeutige Terminologie entwickelt werden. 2. Die klinische Wertigkeit der flachen Urothelveränderungen ist erneut zu bedenken und prospektiv zu belegen. 3. Die Erkenntnisse sollen auch für die Zytologie genutzt werden. Der folgende Beitrag befasst sich mit diesen Aufgaben und beleuchtet die klinische Perspektive und mögliche klinische Konsequenzen unserer Diagnostik. Charakterisierung von Frühstadien Im Jahr 1986 heißt es in der Veröffentlichung von Hofstädter und Jakse, dass die DNA-Zytometrie an Feulgen-gefärbten Zellen „für die Standardisierung von präneoplastischen und frühen Tumorstadien in der Entwicklung des Harnblasenkarzinoms genutzt werden kann“ [15]. Grund- 364 | Der Pathologe 5 · 2008 lage für diese Aussage war die gemessene bekannte Aneuploidie des Carcinoma in situ (CIS), aber zusätzlich eine Tetraploidie, die in den Dysplasien und nicht im Normalurothel gefunden worden war. Es handelt sich um eine der ersten Publikationen, die an Vorläuferläsionen eines invasiven Tumors des Urothels die quantitative Genetik zur Objektivierung des morphologischen Befundes eingesetzt haben. Flache urotheliale High-gradeNeoplasie (CIS des Urothels) Die Aussage der Feulgen-Färbung konzentriert sich durch stöchiometrische Anfärbung der DNA auf den gerade für solide Tumoren bekannten Unterschied in der chromosomalen Menge gegenüber der Normalzelle. Das unregelmäßige Mehrwerden von Chromosomenmaterial ist ein dem Pathologen vertrautes Bild, das auch in den konventionellen lichtmikroskopischen Färbungen als Hyperchromasie, Kernvergrößerung und Kernentrundung ausgedrückt wird und das Grading der meisten Tumoren, insbesondere der Karzinome, bestimmt. Im Prinzip kommt hier die genetische Instabilität der Zelle zum Ausdruck, die ein Schlüsselwort der letzten WHO-Klassifikation der Harnblasentumoren darstellt [9]. Die genetisch instabile, ausgeprägt polymorphe Zelle wurde in flachen urothelialen Neoplasien als wesentliches Kennzeichen des CIS definiert oder umgekehrt, es bedarf nicht mehr der Schichtungsstörung des gesamten Urothels, um ein CIS zu diagnostizieren (. Abb. 1 a–c, . Abb. 2 c). Die Interpretation einer oder weniger hochgradig atypischer Zellen im Urothel beläuft sich auf folgende Möglichkeiten: a) die Zellen sind die ersten Zeichen einer Läsion, b) die Zellen stellen Ausläufer einer größeren Läsion dar, c) die Zellen sind pagetoid (intraepithelial) dorthin gewandert (. Abb. 1). Die Möglichkeiten b und c sind in unserer Erfahrung die häufigeren. Die Entstehungswege sind durch molekulare Zusatzuntersuchungen über den Ausbreitungsmechanismus von malignen urothelialen Zellen gut fundiert. Vielfach angenommene und diskutierte Möglichkeiten der Tumorzellaussaat und der Tumorzellmigration konnten mittels des Nachweises der p53-Mutation dieser Zellen, die innerhalb des Urothels verfolgt werden kann, dargestellt werden (z. B. [12]) und scheinen auch ohne p53-Mutation vorzukommen [10]. Wichtig ist, dass parallel zur Forschung zum Thema Zellaussaat – und nicht unbeeinflusst hiervon – klinisch eine unmittelbare perioperative Mitomycin-Instillation zum Abtöten von losgelösten Tumorzellen begonnen worden ist, deren Einsatz eine eindrucksvolle Rezidivratenreduktion bis zu 50% zeigt und zum Standardelement der Behandlung im Zusammenhang mit der transurethralen Tumorresektion geworden ist [2]. Es handelt sich um einen Zeitpunkt im Rahmen des Eingriffs, an dem die Bacillus-Calmette-Guérin- (BCG-)Gabe noch kontraindiziert ist, weil der systemische Effekt (Tuberkulose) bei einer Gabe bei bestehender Wunde eine wahrscheinliche Nebenwirkung ist. Die gerade erfolgte Darstellung beschreibt den Minimalbefund dessen, was als CIS oder nach der WHO-Klasifikation 2004 als flache urotheliale Läsion „high grade“ beschrieben wird. Es sollte dadurch deutlich sein, dass ein Teil der früher als Dysplasie Grad II diagnostizierten Fälle nun als CIS (flache urotheliale Neoplasie „high grade“) diagnostiziert werden muss, und es stellt sich die Frage, welches die Diagnosekriterien der Dysplasie (flache urotheliale Neoplasie „low grade“) sind. Diese Diskussion muss insbesondere im Bewusstsein der Entität reaktive Atypie geführt werden, die aus diesem Grund der Dysplasie noch vorangeschaltet wird. chitekturstörungen des Urothels in Kombination mit entzündlichen Veränderungen. Ursächlich sind Urozystitiden sowie ein Zustand nach Therapie. Für den Pathologen ist die Abgrenzung zu einer echten urothelialen Neoplasie manchmal schwierig. Hier sind klinische Angaben, vor allem über Art und Zeitpunkt von Therapien, erforderlich. Die Definition beinhaltet folglich die Notwendigkeit der klinischen Information und verwendet den Begriff Atypie für nichtmaligne und nichtpräkanzeröse Veränderungen in Abgrenzung gegen die Dysplasie und das CIS. Dies halten wir für einen wichtigen Beitrag für die Eindeutigkeit der Begriffe und empfehlen die konsequente Verwendung. Sollten trotz klinischer Angaben noch Zweifel bestehen, kann eine immunhistochemische Zusatzuntersuchung [keine Vermehrung der Zytokeratin-20(CK20-)Expression] oder eine Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung mit UroVysion am Schnitt (keine wesentliche Aneusomie/Aneuploidie) in den Fällen, die klinisch tragend für eine Entscheidung zur chirurgischen Therapie sind, hilfreich sein [26]. Reaktive Atypie des Urothels Die Definition dieser Läsion und auch deren besondere Beachtung halten die Autoren für eine wertvolle Entscheidung. Die reaktive Atypie zeigt Zellatypien und Ar- Flache urotheliale Low-gradeNeoplasie (Dysplasie) Die Dysplasie hingegen ist eine echte Präkanzerose mit Zellen, die nicht ausgeprägt genetisch instabil sind. Sie erhält in der WHO-Klassifikation von 2004 in Analogie zum papillären Analogon den Ausdruck: flache urotheliale Neoplasie, „low grade“ (. Abb. 2 b; [9]). Die bisher in der Literatur zitierten Daten, wie z. B. eine Häufigkeit von etwa 25% der Dysplasie in Assoziation mit muskelinvasiven Urothelkarzinomen, beziehen sich noch nicht eindeutig auf diese Entität, da hier durchaus auch Läsionen erfasst sind, die heute als CIS und z. T. auch als pagetoides CIS bewertet würden. Diese Läsion ist entsprechend nicht reaktiv und zeigt innerhalb des Urothels keine Zelle oder Zellen, die schon als genetisch instabil im Sinne von ausgeprägt polymorph gelten könnte. Bei diesen Läsionen kann eine Neoangiogenese des urothelnahen Stromas bei nur geringer Entzündung auffallen, und einige Kerne sind in der Polariät gestört (. Abb. 2 a) Die Proliferationsfraktion (Darstellung mit Ki67 ist nicht diagnostisch) und ein Teil dieser Läsionen zeigen eine aberrante CK20-Expression. Dieses Bild wird im Zusammenhang mit anderen Läsionen der Harnblase und nach unserer Erfahrung selbst unter Einsatz der photodynamischen Therapie insgesamt selten gesehen. Seit 1996 liegen uns nur 12 primäre Fälle vor, an denen wir genetische Veränderungen wie Verlust von Chromosom 9 und einzelne Polysomien zeigen konnten. Die Einzelzell-CGH („Compa- Schwerpunkt: Uropathologie Ausläufer einer unscharf begrenzten flachen Läsion Pagetoide Ausbreitung = intraurotheliale Migration a Abb. 1 7 Carcinoma in situ des Urothels. a HE-Färbung. b, c Verschiedene fluoreszenzzystoskopische Ansichten von histologisch gesicherten CIS des Urothels (Rotfluoreszenz). Schematisch dargestellt sind die Ausbreitungsmuster urothelialer Läsionen in der Harnblase: Schwarze Striche entsprechen potenziellen Schnittstufen in einer Probe bei transurethraler Resektion De novo - multifokal? b c Abb. 2 8 Differenzialdiagnose präkanzeröser Veränderungen des Urothels. a Reaktive Atypie des Urothels, b Dysplasie oder „low grade“ intraepitheliale Neoplasie, c Carcinoma in situ oder „high grade“ intraurotheliale Neoplasie (HE-Färbung, Balken: 50 µm) rative Genomic Hybridization“) an diesen kleinen Läsionen zeigte geringe Veränderungen wie einen Chromosom-YVerlust, der im Normalurothel nicht vorliegt [21]. Die genetischen Daten bestärken, dass es die Dysplasie als Präkanzerose gibt und dass sie von den genetischen Veränderungen her noch nicht den Weg in Richtung flacher oder papillärer Neoplasie erkennen lässt. Hyperplasie Die Verdickung des Urothels wurde schon früh in Assoziation mit papillären Tumoren beschrieben und deshalb als Ausläufer und Vorstadium vermutet. Ein Urothel proliferiert und verdickt sich aber auch im Zusammenhang mit reparativen Entzün- 366 | Der Pathologe 5 · 2008 dungsprozessen, sodass sich die Frage stellt, ob und welche Verdickung des Urothels als Präkanzerose zu werten ist. Vom histomorphologischen Bild her sprechen wir von der einfachen Hyperplasie, wenn das Urothel „normal“ und nur verdickt ist und von der papillären Hyperplasie, die selten ist, wenn das Urothel ebenso aussieht, aber in plumpen nichtverzweigten Falten vorliegt. Ein Anhalt für genetische Instabilität besteht morphologisch folglich nicht. Trotzdem zeigen Untersuchungen, dass hier im Vergleich zum Normalurothel bereits genetische Veränderungen vorliegen, die Gemeinsamkeiten mit denen papillärer Veränderungen zeigen [20]. Die in der zitierten Arbeit genetisch untersuchten Hyperplasien entsprachen fluoreszenzendos- kopisch leuchtenden Herden. Weiterführende Untersuchungen haben zusätzlich zu den Chromosom-9-Alterationen eine Mutation des „fibroblast growth factor receptor 3“ (FGFR3) gefunden, die zwar einerseits die „Tumorentität“ erhärtet, andererseits aber das niedrige maligne Potenzial betont. Die FGFR3-Mutation entspricht einer Mutation eines Tyrosinkinaserezeptors, die bei papillären nichtinvasiven Tumoren mit einer guten Prognose einhergeht [30]. Van Oers et al. [29] konnten aber gleichzeitig feststellen, dass Chromosom-9-Alterationen häufiger als die FGFR3-Mutation vorkamen, sodass bisher alle Läsionen des Urothels mit Veränderungen am Chromosom 9 zu beginnen scheinen. Zusammenfassung · Abstract Normal, Präkanzerose oder Karzinom Im Normalgewebe von Nicht-Tumorpatienten hat man bisher keine signifikanten genetischen Veränderungen gefunden. Diese Untersuchungen werden jedoch meist durch fehlende Verfügbarkeit von Gewebe aus Patienten ohne maligne Erkrankung des Urogenitaltrakts erschwert. Der schädliche Einfluss des Rauchens sowie das erhöhte Harnblasenkarzinomrisiko von Rauchern ist bereits sehr lange bekannt und gut dokumentiert [25]. Kürzlich gelang es erstmalig, die „Antwort“ von Epithelzellen der Harnblase auf Zigarettenrauch anhand abgeschilferter Zellen im Urin zu zeigen, indem eine Expression des Cytochrom-P450-Enzyms CYP1A1 in Zellen von Rauchern nachgewiesen wurde, die bei Zellen von Nichtrauchern fast nicht vorkam [7]. CYP1A1 spielt eine Schlüsselrolle bei der chemischen Kanzerogenese, und die Expression in Urothelzellen ist ein klares Zeichen für eine Exposition des Harnblasenepithels mit exogenen Kanzerogenen, die – falls über einen längeren Zeitraum anhaltend – zu tumorigenen Veränderungen führen kann. Trotz solcher neuen spannenden Ansätze darf bei dieser Betrachtung auch eine mögliche genetische Prädisposition nicht außer Acht gelassen werden. Es wurden bereits zahlreiche „Casecontrol-Studien“ publiziert, die einen Zusammenhang zwischen Harnblasenkarzinomrisiko, Rauchen und Genpolymorphismen untersucht haben [23]. Dabei wurde das Hauptaugenmerk auf polymorphe Gene gerichtet, die am Metabolismus von Karzinogenen beteiligt sind. Bislang konnten 2 Gene durch genügend hohe Fallzahlen glaubhaft validiert werden (NAT2, GSTM1), deren polymorphe Varianten mit einem erhöhten Harnblasenkarzinomrisiko verbunden sind, das in Kombination mit Rauchen weiter ansteigt. Pathologe 2008 · 29:364–370 DOI 10.1007/s00292-008-1015-1 © Springer Medizin Verlag 2008 R. Knüchel · S.V. Koufou · M. Speicher · K. Schwamborn · D. Zaak · R. Stöhr Präkanzerosen des Urothels. Von der FeulgenFärbung bis zur Einzelzell-CGH Zusammenfassung Die Feulgen-Färbung mit der Möglichkeit der quantitativen Wiedergabe der DNA-Menge eines Kerns ist eine gute und einfache Methode, die unregelmäßige DNA-Vermehrung einer malignen Zelle wiederzugeben, welche wiederum Ausdruck der genetischen Instabilität ist. Die genetische Instabilität einer Tumorzelle ist das Kernstück der WHO-Klassifikation des Harnblasenkarzinoms aus dem Jahr 2004, innerhalb derer flache und papilläre Neoplasien in „Low-“ und „High-gradeLäsionen“ eingeteilt werden. „High grade“ gibt die genetische Instabilität und die da- mit verbundene höhere Progressionswahrscheinlichkeit wieder. Begleitende konkrete genetische Alterationen über die rein numerischen hinaus werden zunehmend diskriminierend identifiziert und zugeordnet. Der Stand der genetischen Untersuchungen insbesondere bei den Präkanzerosen wird hier im Kontext mit Morphologie (histologischer und zytologischer Diagnostik) und Klinik schwerpunktmäßig zusammengefasst. Schlüsselwörter Präkanzerose · Urothel · Molekulare Genetik · Harnblasenkartierung · Zytologie Precancerous lesions of the urothelium. From Feulgen staining to single cell CGH Abstract Feulgen staining represents a staining method to quantitatively document the DNA content of a nucleus. Thus it is an excellent and straightforward method to reflect the irregular increase in DNA content of a malignant cell as a sign of genetic instability. Genetic instability of the tumour cell is the key feature of the 2004 WHO classification of bladder tumours, in which flat and papillary neoplasia are grouped into low- and high-grade lesions. “High grade” represents the tumor with genetic instability and consequently a high- er likelihood of progression. Concomitant distinct genetic aberrations other than the numeric ones are increasingly identified as discriminators and help group the entities. The current status of genetic investigations, especially those in precancerous lesions, will be outlined in this review in the context of morphology (histology and cytology) as well as clinical situation. Keywords Precancerous · Urothelium · Molecular genetics · Mapping of urinary bladder · Cytology Tumorassoziierte Genveränderungen Im Gegensatz zu den mangelnden Daten über genetische Alterationen im Normalgewebe von Nichttumorpatienten gibt es bereits interessante Einblicke in die Veränderungen des „normalen“ Urothels Der Pathologe 5 · 2008 | 367 Schwerpunkt: Uropathologie Abb. 3 9 Repräsentative HE-Bilder sowie korrespondierende „class images“ von je einer Normalurothelprobe (a, c) und einem „low grade“ papillären Karzinom (b, d). Die Einschübe zeigen jeweils eine Ausschnittsvergrößerung des HE-Bildes, der Balken entspricht 100 µm. In den „class images“ (c, d) ist das Karzinom durch rote, normales Gewebe durch grüne und unklassifizierbare Areale durch schwarze Pixel dargestellt beim Harnblasenkarzinompatienten. Eigene und parallel publizierte Studien zeigen deutlich tumorassoziierte Veränderungen im histopathologisch unauffälligen Blasenepithel von Zystektomiepräparaten und TUR-B-Biopsien [27, 17], jedoch mit einer relativ geringen Frequenz. Berichte über nachweisbare DNA-Schäden in Spülzytologiepräparaten von Patienten mit einer Harnblasenkarzinomvorgeschichte [11] unterstreichen dies zusätzlich. Solche schwerwiegenden chromosomalen Ereignisse sind jedoch sehr wahrscheinlich ein spätes Ergebnis einer massiven Schädigung, und der tumorigene Prozess hat bereits vorher begonnen. DNA-Modifikationen, die einen direkten Einfluss auf die Genexpression besitzen, scheinen hier eine besondere Rolle zu spielen. Die Promotorhypermethylierung als Möglichkeit eines „gene-silencing“ ist bereits aus vielen Malignomen bekannt. Auch beim Harnblasenkarzinom kennt man bereits mehrere Beispiele von Expressionsverlust aufgrund dieser DNA-Modifikation (z. B. sFRP1, RASSF1A). Dieses Phänomen konnte kürzlich auch in hoher Frequenz im Normaluro- 368 | Der Pathologe 5 · 2008 thel von Patienten mit Harnblasentumor nachgewiesen werden, womit das fehlgeleitete Abschalten von Genen als ein sehr frühes Ereignis in der Tumorentstehung vermutet werden kann [6]. Interessanterweise führt auch das gegenteilige Ereignis, nämlich eine Hypomethylierung zu einer Fehlregulation von zellulären Mechanismen, die eine Tumorentstehung begünstigen [24]. Aktuell wurde weiterhin gezeigt, dass ein relativ niedriger, globaler Methylierungsgrad der DNA in Leukozyten ein neuer Biomarker für das Harnblasenkarzinom sein könnte, da dieser Methylierungsgrad bei betroffenen Patienten auffallend niedrig zu sein scheint [22]. All diese Beispiele zeigen, dass sich innerhalb des Urothels bereits frühzeitig Mechanismen abspielen, die eine Tumorentwicklung fördern, auch wenn auf histomorphologischer Ebene noch keine Auffälligkeiten nachgewiesen werden können. Das Verständnis diese Vorgänge und deren Assoziation mit exogenen Noxen wird in Zukunft durch intensive Analysen klarer werden und uns eine Vorstellung der Prozesse erlauben, die letztendlich zum Karzinom führen. Klinische Bedeutung Insgesamt können wir im Kontext mit den obigen Ausführungen die Dysplasie, die Hyperplasien mit genetischen Veränderungen und natürlich das CIS aufgrund unseres klinischen Wissens und der bestätigenden genetischen Daten als Präkanzerosen akzeptieren. Aber warum nennen wir eigentlich die nichtinvasiven papillären Low-grade- und High-grade-Tumoren Karzinome? Sie sind nichtinvasiv, sie sind genauso exophytisch wie ein Dickdarmadenom, und es gibt sogar papilläre Tumoren in dieser Gruppe, bei denen mit Progredienz nicht einmal zu rechnen ist. So ist es sicherlich gerechtfertigt – die Urologen kennen alle die Patienten, die sie 10 Jahre oder mehr verfolgen und die immer wieder einmal einen kleinen papillären Tumor in der Harnblase zeigen, von denen aber keiner Progredienz gezeigt hat –, zumindest durch ordentliche Histologie eine Gruppe gutartiger Tumoren zu definieren, die nur rezidivieren. Die Entität wurde als papilläre urotheliale Neubildung niedrig malignen Potenzials (PUNLMP) bezeichnet. Genetisch sind diese Tumoren durch FGFR3-Mutationen ge- kennzeichnet. CGH-Array und „Single-nucleotid-Polymorphismus-Untersuchungen“ [18] werden hoffentlich noch weitere Diskriminatoren erbringen. Es ist wertvoll, dass sich der Pathologe um diese Diagnose bemüht, damit der Kliniker eine Entität erhält, die den Patienten nicht als Krebspatienten stigmatisiert und auch die ohnehin begrenzt wirksame intravesikale Chemotherapie nicht erfordert. Wie einleitend kurz angedeutet, ist die Klinik durch die Fluoreszenzendoskopie, die mit Hexvix, einem 5-Aminolävulinsäure-Ester seit März 2007 in der Uroonkologie zugelassen ist, einen wesentlichen Schritt in Richtung Verbesserung der Frühdetektion von Tumoren gegangen. Präneoplasien werden sichtbar, und Tumorausläufer können besser reseziert werden [30, 20]. Auch in der Forschung gibt es über die sicher interessante und vielversprechende klinische und Grundlagenforschung zum FGF-Rezeptor [19] hinaus wesentliche neue Ansätze nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Therapie. Die Arbeitsgruppe um Orntoft benutzt ausgiebige bioinformatische Analysen an Genexpressionsdaten, die von verschiedenen histopathologischen Subgruppen erhoben werden, wie z. B. papilläre nichtinvasive Tumoren mit und ohne CIS oder papilläre nichtmuskelinvasive Tumoren mit CIS gegenüber muskelinvasiven Tumoren mit CIS. Die mit den Ergebnissen verbundenen Gensignaturen stellen potenziell wichtige Subklassen an Tumorentitäten der Harnblase dar, an denen prognostische Bestimmungen möglich werden können [8]. Die Fortsetzung der bioinformatischen Analytik weist in einer rezenten Publikation dem CIS ein definiertes Transkriptionsfaktormuster aus dem p38-MAP-Kinase-Signalweg zu, das eine vielversprechende diagnostische Möglichkeit darstellt [14]. Ein weiterer Ansatz ist die Untersuchung des Proteinprofils von Tumoren mittels proteomischer Techniken (zweidimensionale Gelelektrophorese und Massenspektrometrie) von Gewebe oder Körperflüssigkeiten. Aufgrund seiner im Vergleich zum Genom deutlich höheren Komplexität und Flexibilität kann das Proteom, das Proteinäquivalent des Genoms, als sensitive Sonde für Veränderungen im Gesundheitszustand der Zelle verwendet werden [4, 13]. Beim Menschen stehen einer Anzahl von etwa 40.000 Genen schätzungsweise mehr als 500.000 Proteine gegenüber [1]. Eine vergleichsweise neue Technik ist das so genannte „MALDI(Matrix-Assisted Laser Desorption/Ionization-) Imaging“, das eine direkte Korrelation von histomorphologischen Details mit den Proteinmustern im Gewebe erlaubt ([4, 5]; . Abb. 3 a–d). Fazit für die Praxis Es wird deutlich, dass sich die Forschung – nicht zuletzt durch die Erkennung der Präkanzerosen und frühen Tumoren mittels photodynamischer Diagnostik – viel mehr als zu Zeiten der Entstehung der Feulgen-Färbung mit anschließender Bildanalyse den frühen Läsionen der Harnblase widmet. Bei dieser Forschung ist es elementar wichtig, dass die Pathologen an Biopsien und Zystektomien eindeutige Diagnosen stellen, um eine gute Grundlage für die Forschung zu bilden. Genauso wichtig ist es – gerne unter Beibehaltung alter Klassifikationen als Zusatz –, neue Klassifikationen anzunehmen und diese unter kritischer Auseinandersetzung mit der Materie und im Austausch mit dem Kliniker zu verwenden. Während die Erkenntnisse in IAP-Tutorials, lokalem Benchmarking usw. vermittelt werden sollen, ist es gleichzeitig wichtig, die Forschung aus der Pathologie heraus durch das multizentrische Sammeln und die Bereitstellung von Fällen wie Dysplasien und Carcinomata in situ zu unterstützen. Korrespondenzadresse Prof. Dr. R. Knüchel-Clarke Institut für Pathologie, Universitätsklinik RWTH Aachen Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen [email protected] Danksagung. Die hier geschilderten Arbeiten wurden z. T. mit Forschungsgeldern der DFG gefördert: KN263 9–2, Sp 460/5–2. Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Banks RE, Dunn MJ, Hochstrasser DF et al. (2000) Proteomics: new perspectives, new biomedical opportunities. Lancet 356: 1749–1756 2. Brassell SA, Kamat AM (2006) Contemporary intravesical treatment options for urothelial carcinoma of the bladder. Review J Natl Compr Canc Netw 10: 1027–1036 3. Caprioli RM, Farmer TB, Gile J (1997) Molecular imaging of biological samples: localization of peptides and proteins using MALDI-TOF-MS. Anal Chem 69: 4751–4760 4. Celis JE, Gromoy P (2003) Proteomics in translational cancer research: towards an integrated approach. Cancer Cell 3: 9–15 5. Chaurand P, Sanders ME, Jensen RA, Caprioli RM (2004) Proteomics in diagnostic pathology: profiling and imaging proteins directly in tissue sections. Am J Pathol 165: 1057–1068 6. Dhawan D, Hamdy FC, Rehman I et al. (2006) Evidence for the early onset of aberrant promoter methylation in urothelial carcinoma. 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Ganz im Zeichen der eigenen Zielsetzung widmet sich die Cochrane Collaboration der immer schneller werdenden Globalisierung. Auch wenn die positiven und negativen Folgen noch nicht vollständig verstanden sind, so ist die Globalisierung doch in aller Munde und beeinflusst durch den weltweiten Austausch an medizinischem Wissen auch die Krankenversorgung. Die Entwicklung der evidenzbasierten Medizin ist die treibende Kraft auf dem Weg zu einem international standardisierten Bewertungsmaßstab für medizinische Interventionen. In den letzten 15 Jahren legte die Cochrane Collaboration hierzu ein entscheidendes Fundament durch die Ausarbeitung von 3.000 systematischen Reviews und steuerte zahllose methodische Weiterentwicklungen bei. Das nun stattfindende Kolloquium bietet eine hervorragende Gelegenheit, um mit maßgeblichen Personen aus den Bereichen der evidenzbasierten Medizin, des globalen Wissenstransfers und mit Autoren systematischer Reviews in Kontakt zu treten. 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