T07-T02 - Rösler 2012 - Kapitel 4.7 - Der Interkulturelle Ansatz
T07-T02 - Rösler 2012 - Kapitel 4.7 - Der Interkulturelle Ansatz
T07-T02 - Rösler 2012 - Kapitel 4.7 - Der Interkulturelle Ansatz
Überall da, wo sich der kommunikative Ansatz ausschließlich oder überwiegend auf
den Alltag im deutschsprachigen Raum beschränkte, wurde eine Reduktion
vorgenommen, die eigentlich nur für eine bestimmte Zielgruppe sinnvoll ist: für die
Personen, die in nächster Zeit in den deutschsprachigen Raum reisen. Und auch
für diese Personen gilt, dass das Leben im deutschsprachigen Raum nicht nur aus
dem Lösen von Fahrkarten am Fahrkartenautomaten und aus Einkaufen besteht,
sondern auch aus Gesprächen mit Bewohnern des deutschsprachigen Raums. Und
diese wollen von den lernenden vielleicht wissen, wie es in ihrem Land aussieht,
was die lernenden vom deutschsprachigen Raum halten, welche kulturellen
Ereignisse sie besonders gern besuchen usw.
Versprachlichung des Eigenen : Die Fähigkeit, über Eigenes sprechen zu
können, wird noch wichtiger, wenn nicht der Aufenthalt im deutschsprachigen
Raum, sondern die Kommunikation mit Sprechern des Deutschen im
eigensprachlichen Raum für die lernenden im Vordergrund steht. Egal ob
Touristen, Freunde oder Wirtschaftskontakte, beim Gespräch mit diesen Personen
ist es für die lernenden wichtig, dass sie ihre eigene Welt, die Unterschiede zur
deutschsprachigen Welt und die unterschiedlichen Einschätzungen, die mit
bestimmten Verhaltensweisen verbunden sind, thematisieren können. Genereller
gesagt: Über die Bewältigung des kommunikativen Alltags des zielsprachigen
Raums hinaus ist es für den Fremdsprachenunterricht also notwendig, sich damit
auseinanderzusetzen, dass die lernenden aus einem anderen Teil der Welt
kommen und einen eigenen Blick auf Phänomene und Ereignisse des
zielsprachigen Raums mitbringen.
Der interkulturelle Ansatz, der sich zum Teil innerhalb des kommunikativen
Ansatzes, zum Teil aber auch in der Auseinandersetzung mit ihm entwickelte,
versucht diese Defizite auszugleichen. Er entstand nicht im luftleeren Raum ; die
linguistische Weiterentwicklung der (kulturellen) Pragmatik stand ebenso Pate wie
eine sich in der Welt verstärkende Migrationssituation, die u. a. auch zur Forderung
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG
Definition
Dialog von Eigenem und Fremdem: Die grundlegende Idee des interkulturellen
Ansatzes war es, das Eigene und das Fremde miteinander ins Gespräch zu
bringen, also nicht nur zu lernen, wie man sich als Fisch im Wasser in der
Zielsprache und Zielkultur bewegt, sondern zu akzeptieren, dass lernende mit
eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen, mit einer eigenen Mehrsprachigkeit
und unterschiedlichen Sprachlernerfahrungen in den Lernprozess einsteigen.
Daher war der interkulturelle Ansatz mit generellen Zielen wie
Völkerverständigung verbunden und hatte allgemeine Lernziele wie die
Sensibilisierung der lernenden für Unterschiede zwischen Kulturen, den Abbau
von Vorurteilen und die Entwicklung von Toleranzfähigkeit.
Prototypische Lehrwerke? In die Gründerzeit des interkulturellen Ansatzes
gehören zwei Lehrwerke. Auf der Ebene der Anfänger, heute würde man sagen,
auf den Niveaustufen A 1 bis B 1, versuchte das Lehrwerk Sprachbrücke durch die
Konstruktion eines fiktionalen Landes »Lilaland« und der Reise der deutschen
Familie Klinger in dieses fiktionale Land den lernenden die Möglichkeit zu geben,
ihre jeweils eigene Position gegenüber dem Deutschen zu versprachlichen und mit
deutschen Wahrnehmungen des Anderen konfrontiert zu werden. Sprachbrücke ist
ein einsprachiges Lehrwerk, es kann also die jeweiligen kulturellen Kontraste im
Lehrwerk nicht abbilden, sondern entwickelt auf der Ebene des fiktionalen Landes
prototypische Situationen, die Raum für die Versprachlichung des Eigenen und die
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE: EINE EINFÜHRUNG
Ab und zu mache ich zusammen mit einem Freund eine Radtour. Mein Freund findet das
völlig in Ordnung. Aber ein Bekannter von mir hat sich neulich fürchterlich darüber
aufgeregt, daß ich mit einem Freund von mir unterwegs bin , während mein Freund zu
Hause bleibt. Mein Freu nd, das ist der Mann, mit dem ich zusammenlebe. Der Freund von
mir, das ist ein Mann , mit dem ich höchstens zusammen radfahre . Und der Bekannte, mit
dem würde ich nicht mal radfahren. Den kenn ich halt, ich kann auch nichts dafür.
Eva Witte
Aufgaben
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG
2. Suchen Sie bitte in Ihrer Sprache die passenden Wörter für Freund.
Bekannter usw.! Gibt es für alle deutschen Ausdrücke passende
Wörter in Ihrer Sparehe?
Abbildung 11 zeigt ein derartiges Vorgehen. Dass eine Sprecherin mit einem
Mann, den sie kennt, zusammen Fahrrad fährt und sowohl sie als auch ihr Freund
das völlig in Ordnung finden, ist etwas, was in einigen Ausgangskulturen anders
bewertet wird . Wenn man nur 1:1-Entsprechungen in der Ausgangssprache für die
deutschen Wörter ,Freund, und ,Bekannter, sucht, hat man zwar auch Wörter
g9lernt, aber zumindest nach den Vorstellungen des interkulturellen Ansatzes ein
wichtiges Moment des Deutschlernens verpasst.
Es würde sicher zu viel der normalerweise für das Fremdsprachenlernen zur
Verfügung stehenden Zeit absorbieren, wenn jedes neue Wort auf diese Weise
eingeführt würde. Für viele Wörter wird dies nicht notwendig sein, bei manchen, bei
denen es sicher auch sinnvoll wäre, wird im Unterricht nicht genug Zeit dafür zur
Verfügung stehen. Aber der Fremdsprachenunterricht muss an einzelnen Stellen
exemplarisch zeigen, so die interkulturelle Grundannahme, wie wichtig es ist, die
Wahrnehmungen und Werte der lernenden und die zielkulturellen
DEUTSCH ALS FREM DSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG
In der GÜM und im audiolingualen Ansatz wurde viel geübt: Lücken wurden gefüllt,
Sätze umgeformt, Muster nachgesprochen usw. Überwiegend wurden sprachliche
Formen geübt, meistens gab es eine richtige Lösung, eigene inhaltliche Beiträge
seitens der lernenden waren nicht erwünscht, sie hätten eher von den
Bemühungen um die richtige Form abgelenkt. Im kommunikativen und im
interkulturellen Ansatz wurde weitaus mehr Wert darauf gelegt, dass die lernenden
auch eine Art inhaltlichen Input leisten.
Im Gegensatz zu den geschlossenen Formübungen der vorhergehenden
Ansätze spielen offene Aufgabenstellungen, die es den lernenden erlauben, sich
mitzuteilen, eine größere Rolle. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auf der
Ebene der Übungen und Aufgaben große Unterschiede zwischen den Ansätzen
vorliegen (zur Unterscheidung von Übungen und Aufgaben s. Kap. 5.2.1) und dass
die Aufgabenorientierung seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem
der einflussreichsten Konzepte geworden ist (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-von
Ditfurth 2005; Wicke 2012) .
Definition