Depression - Volkskrankheit
Depression - Volkskrankheit
Depression - Volkskrankheit
PSYCHIATRIE HEUTE
VOLKSKRANKHEIT DEPRESSION
Aktueller Wissensstand
Depressionen sind so alt wie die Menschheit, nehmen aber offenbar kontinu-
ierlich zu. Dabei stellt sich eine Reihe von Fragen, die die psychiatrischen
Experten zu erforschen und mit konkreten Hilfen zu beantworten suchen.
Nachfolgend eine kurz gefasste Übersicht zum aktuellen Wissenstand der
„Volkskrankheit Depressionen“, wie sie inzwischen genannt wird zu den The-
men: Häufigkeit, Alter, Verbreitung, insbesondere was soziale Aspekte, re-
gionale Unterschiede, volkswirtschaftliche Konsequenzen, die Gefahr der In-
validität, vor allem aber Depression und Arbeitswelt u. a. anbelangt.
Erwähnte Fachbegriffe:
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Depressionen sind so alt wie die Menschheit. Schon das Alte Testament kennt
klassische Beispiele – bis hin zum Suizid (z. B. König Saul). Aber noch keine
Generation hat sich so intensiv mit der Schwermut, der Melancholie, den De-
pressionen bzw. – wie man es heute nennt – den affektiven Störungen be-
schäftigt wie wir. Warum?
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Depressionen nehmen zu – real oder weil wir sie schneller und gezielter er-
kennen, behandeln, ja verhindern können. Und weil sie uns wahrscheinlich die
meiste Angst einjagen – mit Recht. Depressionen gehören nicht nur zu den
quälendsten, sondern auch gefürchtetsten seelischen Krankheiten, wahr-
scheinlich sogar Erkrankungen generell, seelisch, psychosomatisch, psycho-
sozial, körperlich.
Kein Wunder, dass die Depressionen inzwischen auch die Wissenschaft be-
schäftigen, vor allem die Psychiatrie, die alte Seelenheilkunde. Zunehmend
aber auch in der Psychologie, ja in der Soziologie, der Wissenschaft von der
Gesellschaft und damit aus wirtschaftlicher, finanzieller, pädagogischer Sicht.
Bezeichnend ist auch das steigende Interesse aus allen Blickrichtungen, ein-
schließlich Kunst, Literatur, Politik und sogar Sport. Depressionen irritieren
und faszinieren – und weiten sich aus, das ist wohl die alarmierendste Nach-
richt.
Nachfolgend deshalb eine Übersicht, wie sie anlässlich des offiziellen Gedenk-
tages für Depressionen in Europa, dem europäischen Depressions-Tag (EDD)
in Hannover, vorgestellt und in der Fachzeitschrift Psychiatrische Praxis vom
September 2007 zusammengefasst wurde. Im Einzelnen:
Depressionen enthalten alles, was nicht nur die Menschen in Angst und
Schrecken versetzen kann, auch Gesellschaft, Wirtschaft, Politik fühlen sich
plötzlich verstärkt eingebunden und in der Pflicht. Warum?
Und nicht nur das: Depressionen beeinträchtigen nicht nur auf seelischem,
psychosozialem und psychosomatischem Gebiet (psychosomatisch: seelische
Störungen äußern sich auch körperlich, dann meist ohne organischen
Befund), nein, Depressionen gehen auch mit einer deutlichen psychischen und
somatischen Ko-Morbidität einher, d. h. hier kommt eine Krankheit zur ande-
ren, und zwar sowohl seelisch als auch körperlich. Kein Wunder, dass auch
mit erhöhter und vor allem frühzeitiger Mortalität (Sterblichkeitsziffer) zu rech-
nen ist. Und das nicht nur wegen einer ohnehin erschreckend hohen Suizid-
Gefahr (die meisten Selbsttötungen gehen auf Depressionen zurück), sondern
auch durch das, was man „natürliche Ursachen“ nennt (Einzelheiten später).
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Jeder Zehnte?
Während Kinder (noch?) sehr selten erkranken, obgleich es natürlich auch De-
pressionen im Kindes- und vor allem Jugendalter gibt (siehe das spezielle Ka-
pitel in dieser Serie), steigt die Prävalenz (Häufigkeit) depressiver Störungen
ab der Pubertät deutlich an. Doch die meisten depressiv Erkrankten finden
sich im mittleren Erwachsenenalter. Das überrascht, denn eigentlich glauben
die meisten einen Erkrankungsgipfel im höheren Lebensalter zu registrieren.
Doch im Rentenalter geht die Häufigkeit wieder zurück. Das heißt: Die besten
Jahre sind in diesem Fall wahrhaftig nicht die besten.
Nun gibt es aber für diese Erkenntnis Ausnahmen, die jedoch einer besonde-
ren Prüfung bedürfen: In der Analyse von bestimmten Krankenkassen-Daten
findet sich nämlich in den Altersgruppen 70 bis über 90 eine zunehmende
Häufigkeit der ambulant gestellten Diagnose „Depression“. Im Jahre 2004 wa-
ren das fast ein Viertel der erfassten 80-jährigen und älteren Frauen und rund
jeder zehnte Mann im gleichen Alter. Das wäre natürlich deutlich mehr als in
den mittleren Lebensjahren. Doch die Experten winken ab. Ambulant heißt ja
in der Praxis, zumeist wohl des Hausarztes. Eine solche Depression kann also
nicht so schwer und riskant (Suizidgefahr!) sein, dass sie stationär behand-
lungsbedürftig wäre. Deshalb nennt man so etwas auch „subklinisch“, d. h.
letztlich grenzwertig, unter dem üblichen Leidens-Niveau liegend, was eine
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Umgekehrt aber gibt es immer mehr Hochbetagte, und hier liegt die Depressi-
ons-Rate vor allem in den Heimen deutlich höher, weshalb sich die Experten
letztlich zurückhalten, was den „Sonderfall des depressiven Mitbürgers im drit-
ten oder gar vierten Lebensalter“ anbelangt, wie man dies im Rahmen der
wachsenden Lebenserwartung heute nennt. Es herrscht also noch For-
schungsbedarf.
Soziale Aspekte
Auch die Arbeitslosigkeit ist in aller Munde. Deshalb stellt sich die Frage: Kann
Arbeitslosigkeit zu einer Depression beitragen?
In der Tat haben arbeitslose Menschen in Deutschland ein etwa doppelt so ho-
hes Risiko an einer Depression zu erkranken wie der Durchschnitt. Auch soll
das Risiko für Mitbürger mit geringerem Einkommen erhöht sein. Auch hier
muss noch weiter untersucht werden.
Viel zu wenig Beachtung haben aber bisher der Familienstand, ja, sogar die
Elternschaft gefunden: So haben allein erziehende Eltern zwischen 18 und 49
Jahren ein doppelt so hohes Depressions-Risiko wie Eltern in Partnerschaft
oder Singles ohne Kinder.
Besonders dramatisch sind die Verhältnisse für arbeitslose Mütter und Väter.
Sie haben im Vergleich zu vollbeschäftigten Eltern ein um das 4-fache er-
höhte Depressions-Risiko. Und jene, die teilzeit-beschäftigt oder nicht im Er-
werbsleben stehen, sind immer noch um das doppelte höher gefährdet als
Vollbeschäftigte.
Fazit: Diese Befunde weisen nicht nur auf den Zusammenhang von Depressi-
on und sozialer Ungleichheit hin, sondern auch auf die größere psychische
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Regionale Unterschiede
Wenn schon so viele Menschen von einer ernsten, vor allem quälenden
Schwermut heimgesucht werden, haben sie dann auch die Möglichkeit einer
raschen Diagnose und gezielten Therapie? Und – auch wenn es sonderbar
klingt – merken sie auch, dass sie eine Depression haben? Und wenn ja, nut-
zen sie die bestehenden Möglichkeiten?
Hier spielen viele Faktoren mit herein, auf die hier nicht näher eingegangen
werden kann. Eines aber steht fest: Nur die Hälfte aller Betroffenen (in einigen
mitteleuropäischen Nationen sind es sogar noch weniger als bei uns), also nur
die Hälfte aller Depressiven bekommt eine so genannte professionelle Be-
handlung auf Grund ihrer psychischen Probleme. Das geht aus einer Reihe
von Untersuchungen mit ganz unterschiedlichem Ansatz hervor.
Grundlage der ärztlichen Behandlung ist der Hausarzt, der in einer begrenzten
Zahl der Fälle an den Facharzt, also Psychiater und Nervenarzt überweist
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Im Querschnitt zeigt sich allerdings, dass vor allem junge und alte Patienten
deutlich niedrigere Behandlungs-Raten aufweisen. Diese erstaunliche Er-
kenntnis mag bei Kindern und Jugendlichen nachvollziehbar sein, vor allem
was Medikamente anbelangt. Doch dort ist auch die Psychotherapie-Quote
bedenklich gering. Das sollte zu denken geben, mahnen die Experten A. Bra-
mesfeld und F.W. Schwartz von der Medizinischen Hochschule Hannover.
Männer wie Frauen jenseits des 60. Lebensjahres mit einer Depression be-
kommen praktisch keine Psychotherapie mehr verordnet, obgleich ansons-
ten gerade in Deutschland hier nicht gespart wird. Ältere Depressive schei-
nen aber aus diesem Raster herauszufallen, man konzentriert sich auf die
mittleren Lebensjahre.
Spielen hier finanzielle Überlegungen eine Rolle? Das leitet zum nächsten Ka-
pitel über, nämlich
Volkswirtschaftliche Konsequenzen
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Das wäre schon die Grundlage zum Thema: Perspektiven. Tatsächlich nimmt
die Bedeutung von Depressionen ständig zu. Ob dies mit einer Häufigkeits-Zu-
nahme dieser Erkrankung zusammen hängt, bleibt fraglich. Bedeutsam ist
auch eine bevölkerungs-medizinische Verschiebung entsprechender Krank-
heits-Ursachen, und dies nicht zuletzt durch eine gestiegene Lebenserwar-
tung. In kardio-vaskulärer Hinsicht (also Herz-Kreislauf-System) zeichnen sich
erfreuliche Erfolge ab (dafür muss man mit mehr kognitiven Problemen im hö-
heren Lebensalter rechnen, bis hin zum Stichwort: Alzheimer Demenz).
Doch auch die Depressionen könnte man bis zu einem gewissen Grade in den
Griff bekommen, geben die Experten zu bedenken. Vor allem die generelle
„Krankheits-Last“ sei um maximal die Hälfte reduzierbar. Das setzt allerdings
eine optimierte Versorgung einschließlich Langzeittherapie voraus.
Voraussetzung hierfür wäre, dass mindestens zwei Drittel der depressiv er-
krankten Mitbürger erfasst und nach professionellen Kriterien behandelt wer-
den. Dabei ist die Akut-Therapie nur die eine Seite; danach muss eine Lang-
zeit-Behandlung folgen, sei es mit Antidepressiva, Phasenprophylaktika (so
genannte Stimmungs-Stabilisierer auf längere Frist) oder Psychotherapie.
Das könnte die eine Seite sind. Die andere sind Gesundheitsförderung gene-
rell und gezielte Vorbeugung. Hier muss man sich vor allem auf so genannte
Hoch-Risikogruppen konzentrieren, bei denen mehrere Risikofaktoren zusam-
men fallen. Und man sollte auf depressive Warn-Symptome achten und sie
dann auch rechtzeitig in den Griff zu bringen versuchen (Stichwort: kognitive
verhaltenstherapeutische Interventionen, niederschwellig angeboten und dafür
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Psychische Krankheiten nehmen zu. Das war einer der ersten, einleitenden
Kern-Sätze, die vor allem die Depressionen betreffen. Psychische Krankheiten
im Allgemeinen und Depressionen im Speziellen haben auch wirtschaftliche
Konsequenzen. Auch das wurde deutlich. Kann es aber soweit gehen, dass
man durch seelische Erkrankungen invalide wird?
Tatsächlich ist der Anteil psychischer Leiden in den Verfahren zur Berentung
auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit seit Jahren steigend. Andererseits
aber scheint es doch so, als ob die Betroffenen immer früher erkannt und ge-
zielter behandelt werden? Gleichwohl: Selbst moderne Behandlungsmaßnah-
men können offenbar diesen Trend nicht beeinflussen. Was sagt also die Sta-
tistik zur Frage: Welche Depressiven werden so schwer und chronisch krank,
dass es in einer Invalidität endet?
Darüber berichten in der Psychiatrischen Praxis S 3/2007 die Experten der Ab-
teilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hoch-
schule Hannover, nämlich Dr. Felix Wedegärtner und Mitarbeiter sowie Nicola-
Alexander Sittaro von der Hannover Rückversicherung AG. Sie schreiben:
Damit verschiebt sich die bisher akzeptierte Krankheits-Last (wie erwähnt als
internationaler Fachbegriff: Global Burden of Disease) ganz erheblich. Näm-
lich:
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Depressionen werden bis 2030 die führende Ursache für die erwähnte Krank-
heits-Last in wohlhabenden Ländern sein. Und weltweit die zweitwichtigste Ur-
sache, in Ländern mit mittlerem und geringem Pro-Kopf-Einkommen nur noch
von HIV/AIDS und teilweise von perinatalen Krankheiten „um die Geburt her-
um“ und Todesfällen übertroffen.
Das wird sich auch in den sozialen Sicherungs-Systemen in ganz Europa nie-
derschlagen. Wie schon erwähnt spielen dabei eine Reihe von Risikofaktoren
eine Rolle wie Alter und Geschlecht, die soziale Situation, körperliche Erkran-
kungen und Behinderungen, wirtschaftliche Einflüsse und negative Lebenser-
eignisse. Unabhängig vom Arbeitsstatus ist es vor allem das mittlere Erwach-
senenalter, das mit den größten Problemen zu rechnen hat (während es jen-
seits des. 7. Lebensjahrzehnts wieder etwas entspannter zugeht).
Zwischen 1985 und 2005 hat sich der Anteil der psychischen Erkrankungen an
den Ursachen für eine Früh-Berentung von 10,9 auf 32,5% nahezu verdrei-
facht. Dabei sind die beiden anderen großen Ursachen-Komplexe, nämlich
Herz-Kreislauf und Muskel-Skelett-Erkrankungen deutlich zurückgegangen.
Das geht zum Teil auf eine Veränderung der Erwerbstätigen-Struktur zurück
(d. h. weniger harte „Knochenarbeit“, um es einmal volkstümlich auszu-
drücken), aber auch auf verbesserte Vorbeugungs- und Heilmaßnahmen. Im
Bereich der seelischen Erkrankung ist diese Entwicklung allerdings enttäu-
schend, geben die Experten zu bedenken.
Bedeutungsvoll ist dabei noch die bittere Erkenntnis, dass Menschen, die auf
Grund von psychischen Erkrankungen aus dem Erwerbsleben ausscheiden,
im Durchschnitt deutlich jünger sind als anders Erkrankte. Damit ist nicht nur
eine kürzere Erwerbstätigkeit und ein kürzerer Zeitraum zum Aufbau des eige-
nen Vermögens verbunden, sondern auch ein längerer Renten-Bezug, und
dies oft noch unter deutlich schlechteren Bedingungen.
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Es gibt aber auch Untersuchungen, die die Schwere der depressiven Episode,
die Anzahl vorangegangener Depressionen und die Wechselwirkung verschie-
dener Erkrankungen (seelisch-körperlich) ohne Einfluss sahen. Das hat aller-
dings auch methodische Gründe, denn solche Statistiken gehen beispielswei-
se auf die Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit zurück, und die muss mit
der alten Erkenntnis fertig werden, dass Menschen in unterschiedlichen sozia-
len Situationen einen ganz unterschiedlichen Anreiz haben, eine solche Be-
scheinigung zu erlangen (Beispiel: Angestellte und Arbeitslose haben einen
völlig anderen Bedarf als Selbstständige und im Haushalt tätige Menschen).
Hier gibt es also noch Forschungsbedarf.
Auf jeden Fall zeigt sich, dass man frühzeitig eingreifen sollte, wenn sich eine
Depression nicht in absehbarer Zeit aufhellen will. Vor allem sollte man im
Rahmen der Vielfalt depressiver Symptome jene herauszufinden und gezielt
zu behandeln suchen, die in der Arbeitswelt eine Rolle spielen. Darauf soll im
folgenden Beitrag gezielt eingegangen werden.
In den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich die Arbeitsgesellschaft in
den industrialisierten Ländern grundlegend gewandelt, beginnt Dr. Hans-Peter
Unger von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios-Kli-
nik Harburg in Hamburg seinen Beitrag in der Psychiatrischen Praxis S
3/2007. Denn in einer Welt, in der scheinbar alles möglich ist und Flexibilität
und Kommunikation die neuen Zauberwörter sind, kann nicht jeder mithalten.
Und so steigt Mitte der 90-er Jahre in den hoch entwickelten Ländern Europas
die Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung ständig an, interessan-
ter Weise bei rückläufigen Fehltagen.
Neben der Familie ist die Arbeit jener Bereich im Leben, der von den meisten
Menschen mit Selbstverwirklichung, Selbstbestätigung, Zufriedenheit und Si-
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cherheit in Verbindung gebracht wird. Und so ist die Beziehung zwischen Ar-
beit und Depression immer doppeldeutig:
„Stress“ ist zwar in aller Munde, letztlich aber ein recht unspezifischer und vor
allem nicht klar definierter Begriff. Eines der ergiebigsten Stress-Modelle er-
möglicht das Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Umwelt /Arbeits-
platz und Individuum. Dabei steht im Zentrum der Betrachtung ein subjektiver
Bewertungsprozess, d. h. der Einzelne entscheidet auf der Grundlage seiner
persönlichen Vor-Erfahrungen, Ressourcen (Hilfsmittel) und Bewältigungs-
möglichkeiten, d. h. ob er ein Ereignis oder eine Situation für sich als belas-
tend oder gar bedrohlich, als neutral oder sogar als positive Herausforderung
einstuft.
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Wenn man die entsprechende Welt-Literatur durchforstet, dann findet man als
psychische Konsequenzen arbeitsplatz-bezogenen Stresses am häufigsten
„Depression“ und „Burn-out“ genannt. Die meisten Untersuchungen beziehen
sich auf die drei großen Berufsgruppen Fabrikarbeiter, Büroangestellte sowie
Beschäftigte in helfenden oder sozialen Berufen wie Lehrer oder Mitarbeiter im
Gesundheitswesen.
Spielt dabei auch die Persönlichkeitsstruktur eine Rolle? Sicherlich, und zwar
in beide Richtungen. Die jeweilige Wesensart kann sowohl ein unabhängiger
Risikofaktor für Depression und Burnout werden, aber auch stress-neutralisie-
rend und damit depressions- und burn-out-verhindernd wirken. Das zeigt sich
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schon in der Auswahl des jeweiligen Jobs und am Schluss in den ge- oder
misslungenen Bewältigungs-Strategien.
Dabei erstaunt auf den ersten Blick (nicht hingegen bei längerem Nachden-
ken), dass die meisten Probleme nicht die Fehltage, sondern der Produktivi-
täts-Verlust trotz Anwesenheit am Arbeitsplatz ausmachen. Inzwischen gibt es
bereits konkrete Bemühungen, diesem Dilemma direkt, d. h. am Arbeitsplatz
selber konstruktiv und damit kosten-senkend zu begegnen.
Denn in einer weiteren Studie konnte man zeigen, dass depressiv erkrankte
Arbeitnehmer gegenüber einer gesunden Kontrollgruppe in folgenden Berei-
chen eine deutlich herabgesetzte Leistungsfähigkeit zeigen: zwischenmensch-
liche Kontakte bzw. Aufgaben, zeit- und aufgaben-gerechte Fertigstellung der
Arbeitsaufträge, sinnvolles Zeit-Management sowie körperliche Bewältigung
der Arbeit. Es geht also vor allem um Einbußen in den Punkten „zeit-nah“,
d. h. möglichst schnell und dabei ausreichend effektiv.
Als erstes gilt es eine kausale Beziehung zwischen Stress am Arbeitsplatz und
drohender Depression zu erkennen und dann auch konsequent zu neutralisie-
ren. Primäre Interventionen beziehen sich also vor allem auf innerbetriebliche
Organisationen und Strukturen, sekundär auf eine Verbesserung von Stress-
Management und Stress-Bewältigung. Auf einer dritten Ebene sollten jene Ar-
beitsnehmer identifiziert und unterstützt werden, die sich im Rahmen einer
Stress- oder Erschöpfungs-Spirale befinden oder gar an einer eindeutigen De-
pression erkrankt sind.
Die Ergebnisse sind zum Teil sehr unterschiedlich, offensichtlich besteht noch
Forschungsbedarf bei einer allerdings komplexen „Mensch-Betrieb-Konstella-
tion“. Auch gibt es sicher einen Zwischenraum zwischen Gesundheit und ein-
deutiger körperlicher oder seelischer Erkrankung, und zwar mit eigenem Be-
schwerdebild wie Erschöpfung, Anspannung, Reizbarkeit, Apathie, Schlafstö-
rungen, Gemütslabilität, Problem-Grübeln, Konzentrationsstörungen und einer
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Depressionen sind so als wie die Menschheit. Man kann es nicht oft genug be-
tonen. Aber – und jetzt wird das Ganze dann doch brisant –, die große medizi-
nische und gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen wird
erst in den letzten Jahren, bestenfalls zwei Jahrzehnten deutlich. Dabei wei-
sen die aktuellen Daten aus den Gesundheitsberichten der Krankenkassen die
psychischen Erkrankungen generell als inzwischen viert-häufigste Ursache für
Krankheitstage aus. Betrachtet man die Arbeitsunfähigkeitstage genauer, steht
die Diagnose „Depressive Episode“ neben allgemeinen Verletzungen und hin-
ter Rückenschmerzen und akuten Atemwegsinfektionen an dritter Stelle.
Viele depressive Erkrankungen bleiben auch unerkannt, vor allem bei erstmali-
gem Auftreten. Ein großer Teil der Betroffenen kommt erst gar nicht mit dem
dafür zuständigen Versorgungssystem in Kontakt. Gehen die Depressiven
zum Hausarzt, dann wird die Diagnose häufig erschwert von einer Überlage-
rung des seelischen Leidensbildes durch körperliche Beschwerden wie Schlaf-
störungen, diffuse Schmerzen, Erschöpfungszustände u. a. Dies führt dazu,
dass schätzungsweise nur jeder zweite depressive Patient in der hausärztli-
chen Praxis korrekt diagnostiziert wird. Und wird die Depression als solche er-
kannt, wird sie nicht immer nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt,
beginnen Prof. Dr. U. Hegerl und Frau Dr. Rita Schäfer von der Klinik und Poli-
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klinik für Psychiatrie der Universität Leipzig ihren Beitrag in der Psychiatri-
schen Praxis S 3/2007.
Inzwischen gibt es eine Reihe von Pilotprojekten gegen die Depression. Eines
der bekanntesten ist das „Nürnberger Bündnis gegen Depression“, ein vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Kompetenznetz ge-
gen Depression und Suizidalität (www.kompetenznetz-depression.de). Das
Programm bietet mit vielerlei Anregungen, Beiträgen und konkreten Hilfen eine
bessere Kooperation mit niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Hausärz-
ten, eine gezielte Öffentlichkeitskampagne mit professionellem Public-Relati-
on-Konzept, die Kooperation mit den unersetzlichen Multiplikatoren (Lehrer,
Polizisten, Seelsorger, Beratungsstellen-Mitarbeiter, Altenpflegekräfte, Heil-
praktiker und natürlich mit den Medien) sowie Angebote und Unterstützung für
Betroffene und Angehörige.
Unterstützt und nach außen getragen werden diese Aktivitäten unter anderem
durch eine gemeinsame Internet-Präsenz (www.buendnis-depression.de) mit
den Portraits aller lokalen Kampagnen und einer aktuellen Darstellung ihrer
Aktivitäten, Angebote, Online-Selbsthilfe-Forum usw. (knapp 6.000 registrierte
Nutzer und über 180.000 Einträge, das größte zum Thema im deutschsprachi-
gen Raum). Natürlich hilft dies auch der Depressions-Forschung („Forschungs-
netz Psychische Gesundheit“).
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Der Hausarzt ist die Grundlage der medizinischen Versorgung in unserer Zeit
und Gesellschaft. Das gilt auch für seelische Störungen im Allgemeinen und
Depressionen im Speziellen. Letztere nehmen in den vergangenen zwei bis
drei Jahrzehnten kontinuierlich zu. Das geht zum einen auf eine verbesserte
Diagnose zurück, d. h. rechtzeitig erkennen, vor allem aber akzeptieren (s. u.)
und dann gezielt und konsequent behandeln. Es sind aber auch die veränder-
ten, depressions-auslösenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die
sich z. B. in fehlenden familiären und sozialen Bindungen niederschlagen, in
der Zunahme von Arbeitslosigkeit oder der Entwurzelung von Migranten, die
nicht unerheblich dazu beitragen, dass sich die einstige Melancholia zur Volks-
krankheit entwickeln konnte. Deren adäquate Überwindung ist letztlich wohl
nur durch die Schaltstelle „hausärztliche Praxis“ zu bewältigen.
Dort ist erst einmal zu klären, ob es bei den geschilderten Symptomen, die ja
meist recht unspezifisch sind, um Befindlichkeitsstörungen oder bereits um
eine Depression handelt. Beispiele: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit mit Ge-
wichtsabnahme, Lustlosigkeit, uncharakteristische Schmerzen u. a. Wie auch
immer: Das hausärztliche Gespräch, die so genannte kleine Psychotherapie,
und danach begleitende Maßnahmen, etwa im Bereich der Physiotherapie
(Massage, Gymnastik, körperliche Aktivität), der Entspannungstherapie oder
sozialen Beratungen scheinen in vielen Fällen ausreichend, um den Betroffe-
nen aufzufangen.
Manchmal ist eine solche Entscheidung aber sehr schwer; hier ist eine beson-
dere Sensibilität des Arztes für psychische Auffälligkeiten gefordert. Denn soll-
te seine Behandlungsstrategie nicht genügen, muss man an eine Kombinati-
ons-Therapie denken, bestehend aus Krisen-Intervention, Psychotherapie
(also der Behandlung mit seelischen Mitteln) und Pharmakotherapie mit den
hierfür zuständigen Medikamenten.
Wie stellt sich nun der Umgang mit depressiven Patienten in der Praxis dar?
Dazu die Ausführungen der Ärztinnen Drs. Cornelia Goesmann, Astrid Bühren
und Astrid Neuy-Bartmann, niedergelassene Fachärztinnen für Allgemeinme-
dizin bzw. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Hannover, Mur-
nau und Aschaffenburg in der Psychiatrischen Praxis S 3/2007.
- Als Erstes geht um die Diagnose. Mit gezielten Fragen ist die gerade bei
der Depression meist nicht schwer zu stellen. Dabei können auch bestimmte
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Fragebögen hilfreich sein. Das Ganze steht und fällt aber mit dem Erst-Ge-
spräch, d. h. dem Aufbau des notwendigen Vertrauens. Dazu benötigt der Pa-
tient Empathie, d. h. Zuwendung, Interesse und Anteilnahme. Schließlich geht
es um belastende Lebensereignisse, Vor-Erkrankungen, familiäre Krankheits-
belastungen sowie schuld- und schamhaft erlebte Lebenssituationen – keine
einfache Situation, möglicherweise noch mit einem mehr oder weniger frem-
den Menschen, auch wenn er der selbst gewählte Arzt ist.
- Fast noch wichtiger als die Diagnose ist die Akzeptanz der Krankheit, und
dazu noch einer seelischen. Den meisten Patienten wäre ein organisches Lei-
den lieber, weil sie sich dadurch weniger stigmatisiert fühlen. Noch immer erle-
ben die Betroffenen seelische Erkrankungen vorwiegend als schuldhaftes Ver-
sagen und fürchten eine Tabuisierung und Ausgrenzung.
Das heißt, der Therapeut muss sich mit den Zweifeln und Widerständen des
Patienten auseinander setzen. Es darf ruhig einmal ausgesprochen werden:
Seelische Patienten sind durchaus schwierige Kranke, zumindest aber an-
strengende. Das geht nicht zuletzt auf ihre tiefe Verunsicherung zurück, insbe-
sondere dann, wenn sie voller Misstrauen sind und keine Entscheidungen
mehr treffen können. Problem-Grübeln und Gedankenkreisen, vor allem die
ständige Suche nach Ursachen ihres eigenen Versagens, und dies häufig vol-
ler Schuldgefühle, betonen die Ärztinnen aus der Erfahrung ihrer Fachpraxen
heraus.
Deshalb muss man ihnen die Ursachen der Depression erklären, ein viel-
schichtiges Geschehen, bedingt durch genetische (Erb-)Ursachen, psychoso-
ziale Belastungen als Risiko-Faktoren, biologische Anfälligkeiten u. a. Das ent-
lastet.
Wichtig ist auch der Hinweis, dass es sich dabei oft um besonders engagierte,
ja sogar übergewissenhafte Menschen handelt; Depressionen sind keinesfalls
eine Erkrankung der Schwachen und Erfolglosen, von unkalkulierbaren
Schicksalsschlägen und einer belastenden Kindheit ganz zu schweigen.
Die Diagnose ist wichtig, die Akzeptanz, das Annehmen von Leid und Leiden
aber erscheint den Experten noch bedeutsamer, gleichsam ein Meilenstein in
der eigenen(!) Krankheitsbewältigung. Denn davon hängt auch die so genann-
te Compliance ab (auf Deutsch die Therapietreue, vor allem Einnahmezuver-
lässigkeit der verordneten Medikamente, aber auch Sorgfalt bei den übrigen
Therapie-Empfehlungen).
Auch müssen die Patienten lernen, sich nicht weiter an ihrem hohen Leis-
tungs-Standard zu messen; was sie brauchen ist viel Zeit und damit Geduld,
dass sie sich annehmen können, selbst wenn sie sich derzeit als schwach,
kraftlos oder ausgeliefert fühlen. So ist die scheinbar „philosophische“ Frage:
„Wer bin ich, wenn ich nichts leiste?“ letztlich ein Kernstück der Genesung. Für
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viele Depressive ist nämlich die Erfahrung nicht leicht, sogar bitter, hilfsbedürf-
tig zu sein und Hilfe annehmen zu müssen. Das gilt es zu lernen.
Erleichternd ist dabei die Erkenntnis, dass die Depression wieder vergeht und
die alte Leistungsfähigkeit wieder zurückkehrt. Zuerst einmal aber gilt es die
negativen Gedanken, die Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, ja sogar gelegent-
lich die Katastrophen-Erwartungen zu ertragen, zu bearbeiten, zu überwinden.
Ein gefährlicher Aspekt ist dabei die Suizidalität: Je nach Studie leiden 40 bis
80% unter Suizidideen, 20 bis 60% weisen Suizidversuche auf, mit 10 bis 15%
endet es in der Tat tödlich. Das ist eine riskante Situation, auch für den Thera-
peuten. Einzelheiten zu diesem Thema siehe die speziellen Kapitel in dieser
Serie.
Sinnvoll ist es auf jeden Fall nicht nur bei der Psychotherapie, sondern auch
und gerade bei der Pharmakotherapie die Angehörigen einzubeziehen. Denn
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In der Mehrzahl der Fälle aber ist das nähere Umfeld die größte und wichtigste
Hilfsquelle, was die zwischenmenschliche Unterstützung anbelangt, sofern die
Betreffenden aufgeklärt und konstruktiv einbezogen werden. Erfahrene Thera-
peuten richten übrigens einen wachsenden Anteil ihres Behandlungs-Einsat-
zes auf die wichtigsten Angehörigen, denen es im Laufe der Zeit immer
schlechter zu gehen pflegt, vor allem, wenn sich das Leiden „schier endlos
hinzuziehen droht“, die Hoffnung schwindet und die eigenen Reserven mit.
Darüber hinaus müssen sie mit einer auch weiteren Depressions-Gefahr fertig
werden und mit dieser theoretischen Belastung gezielt und konstruktiv umzu-
gehen lernen. Hier ist gerade der Arzt in der Praxis, ob Hausarzt oder Fach-
arzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die wich-
tigste Anlaufstelle. Stichworte: gesunde Lebensführung, aktive Gestaltung,
Ziele setzen, eigene Kraftquellen finden, sinnvolle Beschäftigungen suchen,
mehr auf die eigenen Bedürfnisse, aber auch Grenzen achten und sein Leben
bereichern (durchaus auch kleine tägliche „Höhepunkte“ organisieren). Dazu
gehören auch ein guter Freundeskreis, ggf. angepasste sportliche Betätigung,
wenigstens aber eine bescheidene tägliche körperliche Aktivität, am besten
bei Tageslicht und die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins, was
dann auch zur notwendigen Selbstzufriedenheit führt, schließen die Autorin-
nen ihren Beitrag.
Die therapeutische Institution einer Tagesklinik dürfte nicht allen völlig klar
sein. Immerhin besagt ja bereits der Begriff, dass es sich hier um eine klini-
sche Einrichtung handelt, die aber offenbar nur den Tagesablauf begleitet,
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Was ist nun der Unterschied zur ambulanten Behandlung, sei es in der Ambu-
lanz/Poliklinik oder in der hausärztlichen/psychiatrisch-psychotherapeutischen
Praxis?
Die tagesklinische Behandlung depressiv Erkrankter bietet vor allem zwei Vor-
teile gegenüber Ambulanz und Klinik-Station:
Auf jeden Fall kann das Behandlungsangebot einer Tagesklinik (Sozio-, Psy-
cho- und Pharmakotherapie, außerdem die Körpertherapien, kreative Therapi-
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Die Frage, wer eine Tagesklinik besonders nutzt, hängt natürlich weitgehend
von der jeweiligen Struktur des psychiatrischen Angebotes ab, und die wird
vor allem vom jeweiligen Krankheitsbild bestimmt. Bei den depressiven Stö-
rungen dominiert das weibliche Geschlecht, nicht nur generell, sondern auch
im tagesklinischen Angebot. Nicht wenige von ihnen haben dabei nicht nur
eine, sondern zwei oder gar mehrere seelische Beeinträchtigungen (Stichwort:
Co-Morbidität, d. h. wenn eine Krankheit zu anderen kommt, was im körperli-
chen Bereich sehr häufig der Fall ist, im seelischen aber ebenfalls nicht selten,
wenngleich bisher nicht immer ausreichend berücksichtigt).
Es gibt aber auch Probleme anderer Art, die bei einer Behandlung in einer Ta-
gesklinik zu lösen sind: Beispielsweise die hohen Anforderungen, die sich ne-
ben der acht-stündigen Therapie noch aus den Aufgaben in Familie und häus-
lichem Umfeld ergeben, wenn sie jeden Abend nach Hause kommen. Dies ist
für manche Patienten, insbesondere Mütter mit kleinen Kindern eine schier un-
lösbare Aufgabe, wenn nicht Hilfe von außen zur Verfügung steht. Natürlich
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Insgesamt müssen die Möglichkeiten und Grenzen einer Tagesklinik für de-
pressiv Erkranke noch intensiver, längerfristig und vor allem im Hinblick auf
bestimmte Problemfelder (Co-Morbidität, Migrations-Hintergrund) nachhaltiger
untersucht werden. Das geschieht inzwischen aller Orten. Dann wird man
auch besser herausfinden, wem die Tagesklinik nutzt und wo sich
Ambulanz/Praxis oder Station eher eignen.
Positiv – das kann man heute schon sagen – zeichnet sich für depressive Pati-
enten ab, dass sie ausreichende Entlastung und Unterstützung (in der Patien-
tengruppe) finden sowie reichlich Anregung zur Aktivierung. Und dass sie die
Erfahrung machen, (wieder) etwas leisten zu können, so die Experten der Me-
dizinischen Hochschule Hannover.
STATIONÄRE DEPRESSIONS-BEHANDLUNG
Das war allerdings vor rund vier Jahrzehnten noch kein Thema, im Gegenteil.
Es war ein durchaus mutiger und nicht von allen Seiten (einschließlich der
Wissenschaft) akzeptierter Schritt, als der Basler Klinikdirektor Prof. Dr. Paul
Kielholz und sein damaliger Oberarzt Prof. Dr. Günter Hole die erste Depressi-
ons-Spezialstation Europas in Angriff nahmen (rückblickend sogar wörtlich zu
verstehen, es war kein einfaches Unternehmen). Als G. Hole dann Ordinarius
in Ulm wurde, gründete er vor dreißig Jahren in der Abteilung Psychiatrie I der
Universität Ulm, im damaligen Psychiatrischen Landeskrankenhaus Ravens-
burg-Weissenau, die erste deutsche Depressions-Station. Heute folgen rund
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Depression in Stichworten
Eigentlich ist sie leicht erkennbar, doch man muss sich mit ihr fachlich be-
schäftigt haben, denn „Depression ist nicht nur Schwermut“, sondern hält eine
schier unfassbare Vielfalt seelischer, psychosomatischer, psychosozialer und
sogar körperlicher Krankheitszeichen und entsprechender Folgen bereit. Das
Krankheitsbild entsteht im Zusammenhang mit innerseelischen und/oder äu-
ßeren Ereignissen, überwiegend von Verlust, Überforderung und Kränkung
bestimmt, und in Wechselwirkung mit einer depressiven Persönlichkeitsstruk-
tur (Typus melancholicus).
Die Dauer liegt im Schnitt bei etwa vier bis sechs Monaten, wobei eine völlige
Besserung innerhalb oft erst innerhalb eines Jahres zu erwarten ist, allerdings
auch nur bei etwa der Hälfte. Die Rückfallrate liegt im Mittel bei vier Episoden.
Chronisch drohen 15 bis 20% aller Depressionen zu werden.
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Thema, wir sollten es langsam schätzen lernen, dass uns seit rund einem hal-
ben Jahrhundert wirkungsvolle Substanzen gegen Depressionen, manische
Hochstimmung, schizophrene Psychosen, Angststörungen u. a. zur Verfügung
stehen – denn psychische Erkrankungen nehmen zu. Einzelheiten dazu siehe
die Einleitung in diesem Beitrag sowie konkret in den entsprechenden Kapiteln
dieser Serie.
Dazu kommen neue Möglichkeiten, die allerdings zumeist gar nicht neu sind,
erst in den letzten Jahren verstärkt eingesetzt bzw. genutzt werden, und zwar
erfolgreich. Hierzu gehören die Phasenprophylaktika (also Arzneimittel zur
Rückfall-Vorbeugung bei Depressionen und manischen Hochstimmungen), in
gewisser Hinsicht die Depot-Neuroleptika (intramuskuläre Injektionen mit einer
Wirkdauer von ein bis drei Wochen, z. B. gegen Schizophrenien) und neuer-
dings sogar Weckmittel, nämlich vor allem das Amphetamin Methylphenidat
gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Und natür-
lich eine ganze Reihe von sonstigen heilsamen Möglichkeiten, was Schlafstö-
rungen (und zwar nicht nur ein Zuwenig, sondern auch bei zuviel Schlaf - sie-
he die entsprechenden Kapitel), Schmerzbilder (vor allem chronische Schmerz-
Syndrome mit ihren zermürbenden seelischen, körperlichen und psychosozia-
len Konsequenzen), eine Reihe von neurologischen Erkrankungen mit ent-
sprechenden Folgen (z. B. Parkinson, Multiple Sklerose, Narkolepsie, Epilep-
sie) und vor allem die sich geradezu beunruhigend ausbreitenden Überforde-
rungs- und Erschöpfungs-Syndrome anbelangt, von denen das Burnout inzwi-
schen am meisten von sich reden macht (aber natürlich auch so alt ist wie die
Menschheit, siehe Elias-Syndrom).
Doch es ist eine alte Erkenntnis und lässt sich sogar bei den Depressionen
(den an sich gesellschaftlich am besten gestellten seelischen Störungen) nicht
vermeiden: Psychisch Kranke gehen durch eine andere Tür wie körperlich Er-
krankte. Das wird sich wohl auch nicht ändern, zumindest nicht in absehbarer
Zeit, obgleich langsam aber sicher die Mehrzahl der Bevölkerung in der westli-
chen Welt eigene, herbe Erfahrungen mit solchen Erkrankungen machen
muss; die Statistik verweist jedenfalls unbeirrbar auf eine ständige Zunahme
(die Standard-Erklärung in diesem Beitrag).
Wenn also der gesellschaftliche Aspekt, den man nun in der Tat nicht unter-
schätzen sollte, einen so großen Einfluss hat, vor allem in negativ prägender
Hinsicht, dann sollte man wenigstens genügend Kenntnisse sammeln, was die
realen Möglichkeiten der modernen Antidepressiva (und anderer Psychophar-
maka) anbelangt, einschließlich ihrer Grenzen und Nachteile. Nur so kommt
man zu einem fundierten Meinungsbild mit gezielten Nutzungs-Möglichkeiten,
ohne sich dauernd irgendwelchen althergebrachten Stereotypien oder gar Dis-
kriminierungen, angelesenen Meinungsbildern, überholten Forschungs-Ergeb-
nissen und vor allem unqualifizierten Bemerkungen ausgesetzt zu sehen.
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die Antidepressiva und Phasenprophylaktika, wie sie Dr. Max Pillhatsch und
Prof. Dr. Michael Bauer von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der
Technischen Universität Dresden in der Psychiatrischen Praxis S 3/2007 in ih-
rer wissenschaftlichen Literatur-Übersicht vorstellen.
Danach folgt eine eindrucksvolle Aufzählung aller jener Institutionen, und zwar
weltweit, die sich mit der biologischen und pharmakologischen Behandlung af-
fektiver Störungen (also Depressionen und manischer Hochstimmungen) be-
fassen. Im Einzelnen:
Begonnen hat die Behandlung der Depressionen mit teils drastischen, manch-
mal sogar brutal anmutenden Therapieverfahren, wie sie beispielsweise in
dem Kapitel zur Geschichte der Psychopharmaka in dieser Serie dargestellt
werden. Dabei sollte man sich aber nicht zu überheblich zeigen, man hatte frü-
her nichts anderes und war ständig auf der Suche nach einer halbwegs Linde-
rung versprechenden Behandlungsmaßnahme. Das ging bis zur Mitte des
letzten, des 20. Jahrhunderts.
Geblieben ist aus dieser Zeit lediglich die Elektrokrampftherapie, von der man
– wie erwähnt – sagt: „Man soll sie vermeiden, wenn es geht – aber nie verler-
nen!“ In der Tat, sie hat in den entsprechend indizierten, wohl meist „verzwei-
felten Fällen“ noch immer ihre Berechtigung (s. später). Aber zuerst zu der zu-
sammenfassenden Erkenntnis der Autoren, die da schreiben:
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Dann muss der körperliche Zustand abgeklärt werden und in seelischer Hin-
sicht vor allem ein mögliches Suizid-Risiko. Und schließlich gilt es für eine psy-
chotherapeutische Unterstützung zu sorgen, denn die erhöht zu jedem(!) Zeit-
punkt die Chancen der Genesung und eine erfolgreiche Rückfall-Vorbeugung.
Es gilt mit dem Patienten (und seinen Angehörigen) zu reden, denn eine um-
fassende Aufklärung ohne Beschönigung, aber auch mit realistischem Opti-
mismus verbessert die so genannte Compliance, wie die Experten sagen (wir
erinnern uns: Therapietreue, vor allem Einnahme-Zuverlässigkeit).
Was steht nun zur Verfügung, wenn sich die Depression inzwischen so ver-
stärkt hat (bekanntermaßen dauert es Wochen, manchmal sogar Monate, bis
sich der Patient zu einer fachärztlichen Behandlung entschließt), dass man
auch mit einer medikamentösen Depressions-Therapie einverstanden ist?
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einmal nicht sehr beeindruckend an, ist aber ein eindrucksvoller Fortschritt,
gemessen an dem, was früher zur Verfügung stand.
Die höchste Evidenz-Stufen, wie dies die Experten nennen, also eine wissen-
schaftlich gesicherte antidepressive Wirksamkeit (im Vergleich zum Placebo,
einer Schein-Medikation) besitzen alle nachfolgenden Substanzen, nämlich
Was wirkt nun am besten, wird der Laie fragen, besonders, wenn es ihn oder
einen Angehörigen betrifft. Hier muss man unterscheiden zwischen den Wer-
be-Aussagen, die natürlich auch bei Arzneimitteln eine Rolle spielen und für
die gerne die Ergebnisse bestimmter Arzneimittel-Studien herangezogen wer-
den (leider bisweilen nur diejenigen, die für das jeweilige Produkt günstig aus-
gefallen sind – s. u.). Deshalb helfen die so genannten evidenz-basierten
Wirksamkeitsvergleiche weiter, vor allem die erwähnten Meta-Analysen, die
ganze Gruppen vergleichbarer Untersuchungen zusammenfassen und ent-
sprechende Schlussfolgerungen ziehen (beispielsweise veröffentlicht durch
die inzwischen von vielen genutzte „The Cochrane Library“). Und diese Unter-
suchungs-Befunde besagen, dass sich unter den erwähnten Gruppen keine
generellen, vor allem signifikanten Unterschiede erkennen lassen, geben die
Autoren zu bedenken. Das bleibt allerdings nicht unwidersprochen, zumal
auch die Meta-Analysen offenbar unterschiedliche Gesamt-Ergebnisse liefern.
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Deshalb muss noch einmal das bereits angesprochene Problem erörtert wer-
den, auch wenn es erst in letzter Zeit vermehrt wissenschaftlich offener disku-
tiert wird: Auch wenn man mehrere vergleichbare Studien-Ergebnisse zusam-
men fasst, was dann natürlich eine viel höhere Datenmasse (also sehr viel
mehr Patienten) einschließt, bleibt doch eines unbefriedigend: Es sieht näm-
lich so aus, als ob in den letzten Jahrzehnten nicht alle wirklich verfügbaren
Untersuchungs-Ergebnisse in den Fachzeitschriften publiziert worden sind
(und noch immer werden?). Dabei kann man sich ganz gut vorstellen, was
nicht veröffentlicht wird, nämlich negative Resultate, die nicht den Erwartun-
gen der Autoren, möglicherweise aber auch der Redaktionen und Verlage von
Fachzeitschriften und ganz sicher der Sponsoren (also zumeist Hersteller) ent-
sprechen. Kurz: Hier gibt es noch Klärungs-Bedarf.
Das gilt allerdings nicht für die Verträglichkeit, also die erwähnten Begleiter-
scheinungen (freundlich ausgedrückt) oder Nebenwirkungen (was sich schon
etwas direkter, d. h. auch belastender anhört). Moderne Antidepressiva unter-
scheiden sich nämlich weniger durch ihre Wirksamkeit (s. o.), als vielmehr
durch die „Selektivität ihrer pharmakologischen Angriffspunkte“, wie es die
Fachleute ausdrücken. Und das heißt konkret: Mehr oder weniger verträglich,
wenn nicht gar ertragbar. Und hier liegt dann auch der Fortschritt in der Arz-
neimittel-Forschung der letzten Jahrzehnte. Der Verträglichkeits-Vergleich zwi-
schen SSRI und TZA beispielsweise (die Abkürzungen s. o.) fällt deutlich zu-
gunsten der später entwickelten SSRI aus. Das betrifft übrigens nicht nur lästi-
ge Begleiterscheinungen (z. B. Mundtrockenheit, Gewichtszunahme), sondern
auch durchaus riskante, wenn nicht gar gefährliche Nebenwirkungen (z. B. er-
niedrigte Krampfschwelle, Blutdruckanstieg). Einzelheiten siehe Fachliteratur.
Allerdings gilt nach wie vor der Satz: Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen.
Darüber wird zwar in der Wissenschaft ebenfalls gestritten, aber letztlich ist
was dran. Und so sind natürlich auch die modernen Antidepressiva nicht ohne
Begleiterscheinungen zu haben. Dazu zählen beispielsweise die unter SSRI’s
gelegentlich auftretenden und insbesondere bei jungen Patienten häufig nicht
mehr tolerierbaren sexuellen Funktionsstörungen, was dann auch vermehrt
zum Therapie-Abbruch führen kann. Auch Magen-Darm-Beschwerden, Kopf-
schmerzen sowie innere Unruhe können zum Problem werden. Für die Ver-
träglichkeit der SNRI’s gelten die gleichen Grundsätze mit einem etwas höhe-
ren Risiko für die Blutdruckerhöhung.
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Inzwischen kommen immer neue Antidepressiva auf den Markt (zum Teil auch
bekannte Substanzen mit ursprünglich anderen Heilanzeigen und der jetzt
neuen Aufgabe, auch Depressionen zu lindern). Die Forschung und damit der
Markt sind ständig in Bewegung. Da ist es manchmal sehr schwierig für den
Arzt, insbesondere den Hausarzt, der Hunderte von Arzneimitteln im Kopf ha-
ben sollte, hier alle Möglichkeiten und Grenzen abzuwägen. Hier ist die enge
Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, Psychiater/Nervenarzt und ggf. Apothe-
ker unerlässlich. Darüber hinaus gibt es ständig neue Vorschläge seitens der
internationalen oder nationalen Fachgesellschaften oder sonstigen Experten-
Gremien. Auch hier kann sich plötzlich so manches ändern, was früher als un-
umstößliche Erkenntnis, also Wissens-Grundlage galt. Einzelheiten dazu wür-
den nur verwirren, besonders, wenn sie noch in der heißen Phase der wissen-
schaftlichen Diskussion stecken. Einiges ist nach wie vor von grundlegender
Bedeutung. Dazu gehören die notwendigen Kenntnisse zu
Was der Patient mit Recht will, ist eine möglichst rasche Genesung. Das ist
aber gerade bei Depressionen nicht die Regel, auch wenn es sich mühselig
bis qualvoll hinziehen sollte. Es gibt aber einen Zeit-Rahmen, in dem sich et-
was tun muss. Erfahrene Psychiater (und auch Hausärzte) entscheiden in Zu-
sammenarbeit mit Patienten und Angehörigen meist treffend genug, ob und
was und in welcher Zeit sich in Richtung Besserung bewegt. Manche nutzen
auch neben dem globalen klinischen Eindruck (also was man sieht und hört)
zur objektiven Orientierung so genannte Beurteilungsskalen, z. B. Selbst-Beur-
teilungsbogen oder Fremd-Beurteilungs-Skalen.
Grundsätzlich gilt: Nach zwei, spätestens vier Wochen muss zumindest bei
einzelnen Symptomen eine gewisse Erleichterung eingetreten sein (was aber
erfahrungsgemäß konkret abgefragt werden sollte, viele Patienten sind in die-
sem Zustand zu einer eigenen Beurteilung kaum in der Lage, selbst wenn sich
etwas zum Besseren wendet). Alles, was sich erst danach entwickelt, sieht
nicht so günstig aus, was das eingesetzte Antidepressivum anbelangt. Manch-
mal muss man auch mit einem Teil-Erfolg zufrieden sein (Fachbegriff: Teil-Re-
sponse). Jedenfalls sollte man nach der Genesung, also weitgehenden Sym-
ptom-Freiheit, die Behandlung noch über einige Monate, mindestens aber Wo-
chen hinweg ausdehnen, ggf. mit etwas reduzierter Dosis.
Was aber, wenn der Patient auf das Medikament nicht oder nur unbefriedi-
gend anspricht? Bei mindestens jedem dritten, vor allem schwer depressiven
Patienten bleibt nämlich ein befriedigender Behandlungserfolg nach dem ers-
ten(!) Therapieversuch aus. Was also tun?
Als Erstes muss man sicherstellen, dass der Patient das Medikament auch
wirklich nimmt, vor allem regelmäßig nimmt. Nimmt er es nicht, ist der Misser-
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Wie geht man also vor, wenn das Medikament nun trotz aller Abklärung nicht
„greift“? Dazu Dr. Bilhatsch und Prof. Bauer:
5. Wenn nichts hilft, und man hat sich aber lange genug in Geduld geübt und
Mühe gegeben (sprich zwischen zwei und zehn Wochen), können auch
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Eines der größten und häufig genug tragischsten Probleme affektiver Störun-
gen ist die Suizidgefahr. Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Kapitel
in dieser Serie.
4. Und schließlich gibt es ältere Lithium-Studien aus den 70-er Jahren, die
keine sehr hoffnungsvollen Ergebnisse brachten – damals bzw. unter den
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Die Lithium-Therapie ist also trotz „Konkurrenz“ (in positivem Sinne, schließ-
lich zielen sie ja alle auf eine Verringerung depressiven Leids oder gar Le-
bensmüdigkeit), also trotz konstruktiver Konkurrenz durch andere Phasen-Pro-
phylaktika wie Carbamazepin und Valproat (sowie neuerdings Lamotrigin)
nicht nur unverzichtbar, sondern in den Augen vieler Experten nach wie vor ei-
nes der wichtigsten Rückfall-Vorbeuger, vielleicht sogar nach wie vor die wich-
tigste, insbesondere in schweren Fällen, so Prof. Dr. Müller-Oelinghausen.
Es gibt nur ein unverändert „höchstes Gut“ im Leben eines Menschen, und
das ist nach wie vor die Gesundheit. Das mussten die Älteren schon mehrmals
schmerzlich erfahren; das bekommen die im mittleren Lebensalter, also in den
„besten Jahren“ oft genug auch schon mit. Und das ahnen sogar die Jungen,
obgleich sie sich darüber noch reichlich wenig Gedanken machen (im Gegen-
teil: in einer wachsenden Zahl sogar für einen vorzeitigen gesundheitlichen
Niedergang sorgen, z. B. Nikotin, Alkohol, Rauschdrogen, aber auch Schlaf-
quantum, selbst-provozierte Gehörschäden, beginnendes Übergewicht usw.).
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Die Erfolge sprechen für sich. Doch die Wissenschaftler wollen „harte Daten“,
und dafür gibt es für die Mehrzahl der bewegungs-therapeutischen Ansätze
bisher nur wenige empirische Belege (d. h. objektivierbare Erfolgs-Nach-
weise). Das beginnt sich allerdings zu ändern, besonders beim therapeutisch
begleiteten Ausdauer-Training, und hier insbesondere für depressive Störun-
gen.
Dabei lautet die vielleicht verwunderte Frage: Was soll körperliche Aktivität bei
einer so eindeutig seelischen Beeinträchtigung wie der Melancholie auch be-
wirken? Doch die Statistik (und nur die scheint ja zu überzeugen) spricht eine
deutliche Sprache: Entsprechende Studien ergaben, dass bei Patienten mit
geringer körperlicher Aktivität im Vergleich zu sportlich aktiven Personen in-
nerhalb von acht Jahren die Gefahr einer depressiven Neu-Erkrankung dop-
pelt so hoch ausfiel. Oder kurz: Wer sich adäquat bewegt, wird seltener de-
pressiv, wenn er schon mit einer solchen quälenden Krankheit schicksalhaft
geschlagen ist. Dabei handelt es sich nicht um kleine Stichproben, sondern
um so genannte epidemiologische Untersuchungen mit 8.000 und mehr Per-
sonen, unterteilt in verschiedene Gruppen. Und wieder: Regelmäßige körperli-
che Aktivität führt zu einer deutlich verringerten Häufigkeit depressiver Erkran-
kungen. Das gleiche gilt auch für die verschiedenen Angststörungen (siehe die
entsprechenden Kapitel in dieser Serie).
Gilt dies dann auch für alle anderen seelischen Leiden? Dazu liegen noch
nicht genügend Informationen vor. Eines aber scheint sich abzuzeichnen: lei-
der nein. Im Hinblick auf Suchtkrankheiten beispielsweise oder Psychosen
(z. B. Schizophrenie) konnten diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede
gesichert werden, erklären die Experten.
Nun könnte man meinen: Alles gut und recht, dies betrifft sicher vor allem die
älteren Jahrgänge, nicht zuletzt das so genannte „dritte Lebensalter“, wo De-
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Wer sich übrigens ein wenig auskennt, wird ohnehin mit Verwunderung, nach
und nach sogar mit Besorgnis registrieren müssen, dass seelische Störungen
ihren Schwerpunkt keinesfalls im höheren Lebensalter haben, jedenfalls in der
Mehrzahl der Fälle (von der Alzheimer Demenz u. ä. einmal abgesehen). Zah-
lenmäßig am häufigsten betroffen sind die erwähnten „besten Jahre“ und im-
mer öfter Heranwachsende, Jugendliche, ja sogar Kinder. Das hat einerseits
mit deren Lebensstil zu tun, andererseits aber auch mit noch nicht völlig ge-
klärten Ursachen. Gleichwohl: An dieser bedrückenden Statistik (immer mehr
Junge) kommt man offenbar nicht mehr vorbei.
Also gilt es auch, ja vor allem dort die kostenlosen (und damit natürlich unter-
schätzten) Maßnahmen zu fördern, die dieser drohenden Entwicklung entge-
gen wirken könnten. Einige davon fallen jedem ohnehin von vorne herein ein,
nämlich die entgleisungs-gefährlichen Genussmittel sowie die Rausch-Drogen
und damit die Suchtgefahr generell – mit allen Konsequenzen. Und so liegt
auch in solchen Untersuchungen der Konsum von Alkohol, Zigaretten und
Drogen bei den sportlich aktiven Jugendlichen statistisch signifikant niedriger.
Natürlich weiß jeder Therapeut, von den Betroffenen ganz zu schweigen, wie
schwer es einem Menschen mit Depressionen (und auch Angststörungen)
fällt, seine psycho-motorische Hemmung zu überwinden. Depressionen blo-
ckieren regelrecht die körperliche Aktivität, selbst bei denen, die in gesunden
Tagen gerne, ja schier ständig in Bewegung sind. Das ist richtig, und trotzdem:
gerade jetzt. Ansonsten droht nämlich ein körperliches Trainings-Defizit, das
schließlich zu geistigen und nicht zuletzt seelischen Einbußen führen kann.
Ein verhängnisvoller Teufelskreis. Also müssen sich gerade Depressive zur
körperlichen Aktivität zwingen, so schwer es ihnen – rein biologisch erklärbar –
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auch fallen mag. Hier sind vor allem die Angehörigen gefordert, auch wenn sie
- langsam mutlos geworden - alle Hoffnung fahren lassen sollten. Der Grund-
satz lautet: leidenschaftslos, aber beharrlich, nämlich in der Förderung körper-
licher Aktivität „am Ball bleiben“.
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Früher sprach man nicht darüber, aber die Not war gleich. Heute geht man an
die Auslage eines Kiosks und meint: Es gibt kein anderes Thema auf dieser
Welt. Und manche Fernsehprogramme scheuen sich nicht einmal mehr, ent-
sprechende Sendungen, zumindest aber Bilder zu bringen, zu denen zu be-
reits nachmittäglicher Zeit auch Kinder Zugang haben. Gemeint ist die Sexuali-
tät.
Seltsamerweise aber bleibt eines gleich: „Sex“ überschwemmt uns, aber dar-
über gesprochen wird nicht – wenn es einen selber negativ betrifft.
Das bestätigen auch Hausarzt und sogar Psychiater. Sexuelle Störungen sind
kein Thema – scheinbar. Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Zum
einen wird gnadenlos übertrieben, wenn von Befragungen die Rede ist, bei de-
nen sich selbstredend jeder so positiv darstellt, wir irgend glaubhaft. Zum an-
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deren wird darüber auch nicht mit den Experten gesprochen bzw. erst dann,
wenn man ohnehin bereits „alle Hoffnungen verloren hat“ oder im Rahmen ei-
ner sonstigen Erkrankung zu „solch peinlichen Zugeständnissen gezwungen
wird“.
Die Depression ist dafür ein gutes, konkreter: bedauerliches Beispiel. Beson-
ders ungünstig ist die Situation „sexueller Dysfunktionen“ bei depressiven Stö-
rungen, erklärt der Psychologe Prof. Dr. Uwe Hartmann vom Arbeitsbereich
Klinische Psychologie der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie
an der Medizinischen Hochschule Hannover in der Psychiatrischen Praxis
S 3/2007.
- Ein hoher Prozentsatz, nämlich zwischen 50 und 90% der depressiven Pati-
enten insgesamt beklagt Beeinträchtigungen in der Sexualität.
Was sind die Ursachen? Zum einen bestimmte Verhaltensmuster wie (über-
trieben-ängstliche) Selbstbeobachtung, Ablenkung und Versagens-Angst bei
depressiven Patienten. Zum anderen biologische Ursachen (z. B. Überaktivie-
rung des sympathikotonen Anteils des autonomen Nervensystems mit der da-
mit verbundenen Unfähigkeit, die notwendige Entspannung einzuleiten und
aufrecht zu erhalten). Entscheidender sind natürlich die biochemischen Ursa-
chen, wobei der erniedrigte Testosteron-Spiegel nur einen Teil des Problems
darstellt. Inzwischen ist man aber auch schon soweit, im fMRI (Abkürzung für
ein modernes bildgebendes Diagnose-Verfahren) eine niedrigere subjektive
Erregung und damit geringere Aktivierung bestimmter Hirn-Areale in einer de-
pressiven Verfassung festzustellen (während umgekehrt bestimmte Hirnregio-
nen mit sexuellen Hemmungs-Aufgaben nicht in der erforderlichen Weise „ab-
geschaltet“ werden können). Einzelheiten würden hier zu weit führen, wobei
die Forschung auch noch am Anfang eines – allerdings hochinteressanten –
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Im Einzelnen:
Wir haben schon gehört: Sexuelle Störungen sind bei Depressionen häufig.
Damit ist aber noch nicht die Kausalität erklärt, d. h. das „Warum“. Außerdem
sind die Auswirkungen einer Depression auf die Sexualität deutlich vielschich-
tiger als früher angenommen, und dann noch in komplexer Weise mit den Ne-
benwirkungen bestimmter Antidepressiva verknüpft (s. später).
Die häufigste Auswirkung einer Depression besteht erst einmal im Verlust oder
in der Minderung der sexuellen Appetenz, also dem sexuellen Verlangen, was
sich natürlich auch gleich auf die sexuelle Erregbarkeit auswirkt. In früheren
Studien wurde deshalb ein niedriges sexuelles Interesse bei zwei Drittel aller
(allerdings schwer) depressiv Erkrankten festgestellt, während dies bei Nicht-
Depressiven in höchstens jedem vierten Fall registriert werden konnte. Neuere
Untersuchungen gehen sehr viel differenzierter vor, was dann allerdings auch
zu komplexeren Ergebnissen führt. Im Wesentlichen aber bleibt die Erkennt-
nis: Depressive Zustände führen zu sexuellen Beeinträchtigungen, wobei das
weibliche Geschlecht nicht weniger darunter leidet, z. B. mit Orgasmusstörun-
gen, Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) und Vaginismus
(Scheiden-Krampf).
Neuere Untersuchungen konzentrieren sich aber vor allem auf sexuelle Funkti-
onsstörungen beim Mann (Fachbegriff: erektile Dysfunktion - ED) im Rahmen
von Depressionen oder Stress-Faktoren mit verstärktem Ärger. Dabei ergab
sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Stärke des depressiven Be-
schwerdebildes und der Ausprägung einer erektilen Dysfunktion, und zwar in-
teressanterweise unabhängig vom Lebensalter. Und es bestätigten sich die
Vermutungen, dass depressive Symptome (also noch nicht unbedingt eine
ausgeprägte Depressions-Krankheit) ein Prädiktor (Vorhersage-Kriterium) ei-
ner dann zu erwartenden erektilen Dysfunktion werden könnte.
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Wer schon an leichteren, vor allem aber mittelschweren oder gar schweren
Depressionen zu leiden hat, ist ohnehin beeinträchtigt genug. Wenn jetzt noch
zusätzlich sexuelle Störungen hinzukommen (was also im Rahmen einer De-
pression fast schicksalhaft zu erwarten ist), dann kann man sich die Doppel-
Belastung vorstellen (auch wenn die Sexualität nicht unbedingt als „Wichtigs-
tes im Leben“ bewertet wird, gleichsam vorbeugend bzw. bedeutungs-min-
dernd).
Bei manchen depressiven Männern ist der Verlust des sexuellen Interesses
auf der Verhaltensebene weniger bedeutsam, eher die depressiv getönte Be-
wertung der sexuellen Funktion und des sexuellen Erlebens als weniger be-
friedigend und lustvoll. Wieder andere zeigen dem gegenüber sogar eine er-
höhte sexuelle Aktivität, möglicherweise als eine Art Selbst-Behandlung oder
zumindest -Stabilisierung, gleichsam als eine Art „biologisches Antidepressi-
vum“.
Was aber auf jeden Fall erfreulich ist, Hoffnung machen und deshalb entspre-
chend angesprochen werden soll: Die Mehrzahl der sexuellen Beeinträchti-
gungen geht nach Abklingen der Depression wieder (völlig) zurück.
Dabei scheinen alle Aspekte der sexuellen Aktivität betroffen zu sein, wobei je-
doch die meisten Patienten über Orgasmus-Probleme und mangelndes Ver-
langen klagen. Das ist leider Realität, bedauerlich, aber nicht ableugbar.
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Wichtig sind Aufklärung und die Bitte um Geduld. Dabei kann man sich be-
stimmter Metaphern bedienen, die das Problem von einer anderen Seite her
etwas optimistischer „aussitzen“ lassen (siehe Kasten). Schließlich pflegen se-
xuelle Störungen durch Antidepressiva im Verlauf des Leidens kaum zuzuneh-
men, eher zurück zu gehen, nämlich in jenem Maße, wie das Arzneimittel
„greift“ und eine langsame, aber konsequente Besserung verspricht. Auch
kann man mit einer individuell angepassten Dosierung etwas weniger Neben-
wirkungs-Last erreichen, was aber ggf. heißt, dass die reduzierte Gabe dann
auch länger braucht, bis der End-Erfolg sicher gestellt ist.
Eine Nation wird im Krieg oder durch Naturgewalten völlig zerstört. Was ist
das erste, was Regierung und örtliche Behörden in Angriff nehmen? Wird zu-
erst die Oper oder das Schauspielhaus wieder aufgebaut – oder die Trink-
wasser-Versorgung gesichert? Ähnlich kann man sich einen von Depressio-
nen betroffenen Organismus vorstellen. Wird er in diesem Zustand als erstes
die reduzierte oder gar erloschene Sexualität „wieder beleben“? Oder lieber
alle Kräfte bündeln, um körperlich, geistig und seelisch die notwendige Stabi-
lität zu sichern? Später, wann auch immer es der staatliche Wiederaufbau
bzw. psycho-physische Zustand zulässt, können auch Opernhaus bzw. Se-
xualität wieder aufgebaut bzw. reaktiviert werden. Bis dahin aber gilt es ge-
duldig zu sein.
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Das Beispiel mag „hinken“, amüsieren oder gar Widerstand auslösen. Wer
ein besseres hat, um einem Menschen in Not die Situation zu erläutern bzw.
um Geduld zu bitten, möge es nutzen. Wer sich allerdings aus Bequemlich-
keit drückt, macht sich eines therapeutischen Defizits schuldig.
Ist der Kummer um die sexuellen Störungen aber zentral und kann aus wel-
chen Gründen auch immer das nachgewiesenermaßen „schuldige“ Antide-
pressivum nicht ausgetauscht werden, empfehlen die Experten, wie auch Prof.
Dr. Uwe Hartmann, den Einsatz der inzwischen bekannten PDE 5-Hemmer für
Männer, nämlich Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil (Handelsnamen beim
Arzt oder Apotheker erfragen), die gerade erektile Dysfunktionen z. T. mit er-
staunlichem Erfolg beheben bzw. – rechtzeitig eingesetzt – verhindern kön-
nen. Das vermag dann auch einen günstigen Einfluss auf die Partnerschaft
auszuüben und sich damit insgesamt positiv auf den Verlauf der Depressionen
auszuwirken, schließt der Autor seinen Beitrag. Einen interessanten und in der
Realität sehr viel bedeutsameren Problemkreis, als allgemein zugestanden
wird, selbst in einer Zeit der „überbordenden fassadären Sexualität“.
LITERATUR
Jedes dieser Themen aus dem Sonderheft Multiplizität der Depression in der
Psychiatrischen Praxis vom September 2007 (S 3/2007) bietet ein ausführli-
ches Literaturverzeichnis, was im Bedarfsfall beim jeweiligen Autor nachge-
fragt werden kann.
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