Frieden ist NOCH IMMER möglich: Die Kraft der Bergpredigt
Von Franz Alt
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Franz Alt
Franz Alt, Dr., geb. 1938, ist Journalist und Buchautor. Zahlreiche Auszeichnungen für sein publizistisches und ökologisches Engagement.
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Buchvorschau
Frieden ist NOCH IMMER möglich - Franz Alt
I. KRIEG IST KRANKHEIT, NICHT THERAPIE
1. Die alte Rachepolitik
Mit den Schreiben dieses Buches beginne ich am 9. September 2022. Heute vor 21 Jahren, am 9. September 2001, hatten islamistische Terroristen durch ihre Anschläge in New York 3000 Menschen getötet. Danach erklärte der damalige US-Präsident George W. Bush den „Krieg gegen den Terror. Der Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger aus Tibet, schrieb ihm zu jener Zeit in einem Telegramm: „Lieber Herr Präsident, auch Bin Laden ist unser Bruder.
Wie könnte die Welt heute aussehen, wenn der oberste Kriegsherr der USA diesen Hinweis verstanden hätte, wonach Gewalt immer zu neuer Gewalt und dadurch in eine endlose Gewaltspirale führt?
Die militärische Intervention der USA in Afghanistan war ein reiner Rachefeldzug wegen der Terroranschläge des 11. September. Politik von vorgestern. Sie hat mehr Probleme geschaffen als gelöst, Tausenden das Leben gekostet, Millionen Menschen in die Flucht getrieben und Milliarden Dollar verschlungen. Das Ergebnis: Die Taliban sitzen in Afghanistan heute fester im Sattel als je zuvor. Und dazu trägt auch noch das moderne westliche Militärgerät bei, das die überstürzt abziehenden Truppen aus USA, Deutschland usw. ihnen im Sommer 2021 hinterlassen haben. Mithilfe des Westens wurden die Islamisten zur bestgerüsteten Terrorgruppe der Welt. Dümmer geht’s nimmer. Wie schwach und machtlos könnten heute die Taliban sein, wenn die NATO-Staaten als Antwort auf die schrecklichen Anschläge in New York und Washington ein ziviles Aufbauprogramm für die afghanische Bevölkerung finanziert hätten! Damit hätten wir wahrscheinlich dem Terrorismus eher den Nährboden entzogen als mit einem zwanzigjährigen, total unnützen und verbrecherischen Krieg.
Die NATO-Staaten könnten, statt immer mehr Gelder in die Rüstung zu stecken, die Sahara in eine blühende Wüste verwandeln, den Hunger überwinden und Seuchen bekämpfen. Das wäre eine positive politische Strategie für die Zukunft. Stattdessen verstecken wir uns hinter einem rein militärisch ausgerichteten Sicherheitsdenken und jammern über das, was wir selber anrichten. Sicherheit? Wir rasen auf den Abgrund zu und glauben, uns retten zu können, indem wir permanent die Geschwindigkeit erhöhen und Gas geben. Ach, hätten wir doch den biblischen Ratschlag beherzigt, das Böse durch das Gute zu überwinden.
Lehren ziehen aus Afghanistan heißt zum Beispiel, lernen für den Einsatz der Bundeswehr in Mali. Hauptsächlich das Fehlen einer politischen Strategie, falsche Partner wie korrupte Warlords und Drogenbarone haben zum Versagen westlicher Politik in Afghanistan geführt. In Afghanistan wurden Kosten und Dauer des Militäreinsatzes – lange zwanzig Jahre – permanent und sträflich unterschätzt. Dieser Krieg hat Zehntausenden Menschen das Leben gekostet und über tausend Milliarden Dollar verschlungen. Das heißt: Künftig zivile Konfliktlösungen favorisieren und regionale Friedensbemühungen unterstützen. Der Vorrang der Politik gegenüber einem Militäreinsatz ist wesentlich.
Es darf kein Kriegsgrund sein, wenn die Taliban sich weigern, einen Terroristen wie Bin Laden auszuliefern. Doch die gleichen Fehler begehen die westlichen Regierungen seit Jahren in Mali. Es gibt besorgniserregende Parallelen zwischen Afghanistan und Mali. Dort gab es allein 2020 zwei Staatsstreiche, an denen auch Soldaten beteiligt waren, die von der EU trainiert worden waren. Als ich 2019 zu Vorträgen in Mali war, lernte ich vor Ort, dass die westliche Militärmission für die heimische Bevölkerung nicht zu vermehrter Sicherheit führte.
Der Friedensforscher Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Friedensforschungsinstitut: „Trotz vielfacher negativer Erfahrung wird immer wieder die Grundregel missachtet, dass Gewaltkonflikte nicht militärisch zu lösen sind. Terror führt immer zu Gegenterror – auch der „Krieg gegen den Terror
. Das brutale Drama in Afghanistan könnte und sollte eine Zäsur sein. Sie bietet die Chance, mit neokolonialen Überlegenheitsphantasien gegenüber ärmeren Gesellschaften aufzuräumen.
Seit mehr als 2000 Jahren gilt auf der ganzen Welt der altrömische Grundsatz „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten („Si vis pacem para bellum
). Ergebnis: 2000 Jahre immer wieder Kriege, Massenmord, unermessliches menschliches Elend und Leid, brutale Zerstörungen und Millionen Menschen auf der Flucht. Solange wir Kriege vorbereiten, werden sie auch geführt werden. Das ist natürlich im Interesse der Waffenindustrie. Waffenproduzenten sind eher am Krieg als am Frieden interessiert. Ganz in diesem Geist fordern die Verteidigungsminister aller reichen NATO-Staaten immer wieder: „Mehr Geld fürs Militär! Wir stecken bis heute in der Kriegsfalle, die uns zuflüstert: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen.
Die 27 europäischen NATO-Länder hatten 2019 einen mehr als doppelt so hohen Rüstungsetat wie Russland. In Deutschland wurde 2022, zu Beginn des Ukraine-Kriegs, beschlossen, einen militärischen Sonderfonds von einhundert Milliarden Euro aufzulegen. Und das soll erst der Anfang sein, kündigt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht an. Auch die USA, Russland und China geben Rekordsummen fürs Militär aus, und sie „modernisieren" ihre Atomarsenale, ihre Massenvernichtungswaffen. Kann so tatsächlich eine friedliche Welt entstehen? Wird so Frieden möglich?
Alle Regierungen reden vom Frieden, aber alle bereiten die nächsten Kriege vor. Albert Einstein: „Bloßes Lob für den Frieden ist einfach, aber wirkungslos. Was wir brauchen, ist aktive Teilnahme am Kampf gegen den Krieg und alles, was zum Krieg führt." Die meisten Kriege waren nicht gewollt – und wurden dennoch geführt. Adolf Hitler war eine Ausnahme – er wollte Krieg. Auch Wladimir Putin wollte seinen Ukraine-Krieg. Unsere Sprache verrät, dass wir für Kriege niemand verantwortlich machen – Kriege brechen aus, einfach so! Wir reden über Krieg wie über Naturgewalten oder wie über ein Schicksal, das uns zufällig ereilt oder das eine höhere Macht über uns verhängt. Wichtig ist also nicht, wie Politiker über Frieden reden, sondern was sie für den Frieden tun.
Kriege bringen Tod und Zerstörung – auch für die Umwelt und für das Klima. Diese Klimazerstörung durchs Militär wird in der gesamten öffentlichen Diskussion permanent verdrängt. Kriege und Zerstörung verschlingen Jahr um Jahr Milliardensummen an Steuergeldern, die weit dringender für Umwelt- und Klimaschutz gebraucht würden. 2021 erreichten die Rekordwerte für Rüstungsausgaben weit über zwei Billionen Dollar, das sind über 2000 Milliarden. Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens noch zu erreichen, müssten jedes Jahr 1,4 Billionen Dollar (1400 Milliarden) an Investitionen in den Klimaschutz fließen. Stattdessen wird bevorzugt in die Vorbereitung der nächsten Kriege investiert. Nach 1945 haben wir in der Welt über 200 Kriege erlebt.
Der Kohlendioxidausstoß des Militärs ist höher als der des weltweiten Flugverkehrs. Allein der Treibhausgasausstoß des US-Militärs war 2017 höher als der Gesamtausstoß von Dänemark oder Schweden. Natürlich verursacht auch die Produktion von Waffen, militärischen Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen riesige Mengen an Treibhausgasen. Militärfahrzeuge verbrauchen für Übung und Einsatz große Mengen an Treibstoff. Russland fackelt die Mengen an Erdgas, die ursprünglich nach Deutschland geliefert werden sollten, wegen des Krieges in der Ukraine aber nicht geliefert werden, bei St. Petersburg einfach im Freien ab – eine unglaubliche Umweltsünde. Die von der deutschen Bundeswehr eingesetzten Eurofighter verbrauchen 3,5 Tonnen Treibstoff pro Flugstunde. Das ist etwa so viel, wie eine Person in Deutschland im ganzen Jahr emittiert. Selbst der Weltklimarat klammert diese Zahlen aus, aus Angst vor den jeweiligen Regierungen. Staaten und Rüstungskonzerne verweigern hier Transparenz und verstecken sich hinter dem Argument „Schutz der nationalen Sicherheit".
Deshalb fordern die Naturfreunde Deutschlands zum Weltfriedenstag 2022 zu Recht:
Die Waffen müssen schweigen – in der Ukraine und überall auf der Welt.
Die politischen Spannungen müssen abgebaut werden.
Die militärische Aufrüstung muss gestoppt werden.
Stattdessen müssen der Klima- und der Umweltschutz massiv ausgebaut werden.
Es müssen Perspektiven für eine ökologisch verträgliche Entwicklung und mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen werden.
So könnten wir uns wenigstens halbwegs der Forderung des Paulus nähern: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute." (Römer 12,21) Das wäre im Sinne eines jesuanischen Realpazifismus.
„Krieg ist Krankheit, keine Lösung, analysiert der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann. Krieg war noch nie eine Lösung, denn er führt zu immer neuen Kriegen. Krieg ist die größte ansteckende Krankheit der Menschheitsgeschichte. Auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 folgte der Erste Weltkrieg und diesem der Zweite mit zusammen über siebzig Millionen Toten. Leichenberge folgten auf Leichenberge. Die Hauptursache: Rache, Rache und nochmals Rache. Erst danach waren die Westeuropäer so klug und verstanden die Vorteile einer friedlichen europäischen Einheit und Zusammenarbeit. „Kooperation statt Krieg
hieß nach 1945 das neue Zauberwort. In der Folge entwickelte sich in Deutschland erstmals so etwas wie eine pazifistische Grundstimmung. Es galt der deutsche Nachkriegsschwur, niedergeschrieben im Grundgesetz: Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen.
Die Friedenspflicht ist auch in der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben. In Artikel 1 heißt es: Das zentrale Ziel ist, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und (…) Bedrohungen des Friedens zu verhüten (…), internationale Streitigkeiten (…) durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen. Ferner heißt es in der Charta, die Vereinten Nationen seien, „fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geisel des Krieges zu bewahren
. Nach 1945 war also eine friedliche Welt, eine pazifistische Welt, das globale Ziel.
2. Den Deutschen den Pazifismus austreiben?
Aber heute, an einem schönen Septembertag 2022, berichtet meine Lokalzeitung, das Badische Tagblatt, Verteidigungsministerin Lambrecht wolle „den Deutschen den Pazifismus austreiben". Also: Panzer statt Pazifismus? Eine katastrophale Nachricht nach der unermesslichen deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg. Liebe Frau Ministerin, gerade in Kriegszeiten brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Pazifismus. Die Frage heißt allerdings: Was ist Pazifismus in Kriegszeiten? Kurzfristig ist der Ukraine-Krieg sicher nicht durch