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Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten
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eBook324 Seiten3 Stunden

Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten

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Über dieses E-Book

Franz Alts aktuelles Buch ist durchgehend optimistisch. In der Corona-Pandemie haben wir in kurzer Zeit viel gelernt, haben alle Kräfte gebündelt, um eine lebensbedrohliche und globale Katastrophe zu bestehen. Dazu gehört es, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen, länderübergreifend zu planen und konsequent zu handeln - individuell und gesamtgesellschaftlich. Diese Erfahrungen können motivieren, auch andere Herausforderungen zu bewältigen, die unsere Erde und die Menschheit bedrohen.
Franz Alt beschreibt Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft: Wir sind bereits dabei, die Energiewende und neue Formen der Mobilität zu schaffen, wir können die Klimaerhitzung stoppen, die Wirtschaft ökologisch umbauen, Atomwaffen abrüsten. In Deutschland und weltweit setzen sich Aktivist*innen, charismatische Politiker*innen und soziale Bewegungen für eine lebenswerte Zukunft für alle ein. Franz Alt ermutigt durch viele konkrete Beispiele: Wenn wir intellektuelle Einsichten und emotionale Kräfte vereinen, neu denken, neu fühlen und neu handeln, können wir unsere Zukunft neu gestalten.
SpracheDeutsch
HerausgeberPatmos Verlag
Erscheinungsdatum18. Okt. 2021
ISBN9783843613712
Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten
Autor

Franz Alt

Franz Alt, Dr., geb. 1938, ist Journalist und Buchautor. Zahlreiche Auszeichnungen für sein publizistisches und ökologisches Engagement.

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    Buchvorschau

    Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten - Franz Alt

    2. Mit der Natur können wir nicht verhandeln

    Fest steht: Über das 1,5-Grad-Ziel, das in Paris beschlossen wurde, ist mit der Natur nicht zu verhandeln. Es darf also nicht mehr als 1,5 Grad wärmer werden als zu Beginn der Temperatur-Aufzeichnungen um 1880. Szenarien wie oben beschrieben sind keine exakten Vorhersagen oder Wahrsagekugeln. Aber sie erlauben, dass wir uns eine mögliche Zukunft vorstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

    Menschen können dadurch auch umdenken und lernen. Die besten Seiten der Menschen sind ihre Fähigkeit, Fehler zu korrigieren und Probleme zu lösen. Die Corona-Krise hat uns alle gelehrt: Unmöglich Scheinendes ist dennoch möglich. Man kann es auch so sagen: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Oder: »Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge« (Kurt Marti).

    Innerhalb weniger Tage waren im März 2020 plötzlich politische Entscheidungen möglich, die zuvor absolut ausgeschlossen waren: Flugzeuge blieben am Boden, Autos in den Garagen, das Öl wurde zur Ramschware. Die Globalisierung schien beendet und viele Betriebe mussten einfach dichtmachen, Millionen ­Menschen arbeiteten von zu Hause aus.

    Immer mehr junge Menschen essen kein Fleisch, ihre Zahl ist durch die Corona-Krise noch gestiegen, mehr Menschen als früher teilen jetzt ihre Geräte und Autos, der Verkauf von Benzin- und Dieselautos ist innerhalb eines Jahres im Auto-Land Deutschland um 25 Prozent gesunken, Hunderttausende haben sich vorgenommen, innerhalb Deutschlands nicht mehr zu fliegen. Der Mensch ist zwar ein Gewohnheitstier, aber er ist auch zu Veränderungen fähig. Auch aus dem Hamsterrad des »Immer mehr« können wir aussteigen.

    Tiere und Pflanzen sterben aus und wissen nichts davon. Wir Menschen haben als einzige Lebewesen ein Bewusstsein für Vergangenheit und Zukunft. Wir kennen im Großen und Ganzen die Katastrophen unserer Vergangenheit. Deshalb sagte die große Mehrheit der Deutschen nach 1945: »Nie wieder Krieg«.

    An Weihnachten 2004 erlebte ich als Fernsehreporter die Ausmaße des Tsunami in Südindien. Über 200.000 Menschen starben an den Küsten des Indischen Ozeans, Millionen wurden obdachlos. Nur zwei Jahre später war ich für Fernsehaufnahmen wieder in Südindien. Neues Leben wuchs aus den Ruinen. Die Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren in den letzten Jahrtausenden zum Teil furchtbar, aber meist blickten die Betroffenen nach einigen Jahren wieder nach vorn. Immer wieder wuchs Hoffnung auf Zukunft.

    Zudem wurden nach 2004 rund um den Indischen Ozean wieder großflächig Mangrovenwälder gepflanzt, weil man gelernt hat, dass sie auch Menschenleben schützen.

    Doch die heute absehbaren Katastrophen könnten ganz andere historische Dimensionen haben. Ein Atomkrieg könnte ebenso zum Ende unserer Zivilisation führen wie eine globale Klimakatastrophe. Es ist denkbar, dass es nach diesen Katastrophen nicht nur keine Gegenwart und keine Zukunft mehr gäbe, sondern auch keine Vergangenheit mehr, weil es niemand mehr gäbe, der noch wissen könnte, dass es jemals eine menschliche Vergangenheit gab oder eine Zukunft geben wird.

    Peter Ustinov hat einmal gesagt: »Wenn sich die Welt selbst in die Luft jagen sollte, dann wird das letzte Geräusch die Stimme eines Experten sein, der ruft, dass dies eigentlich nicht hätte passieren können.«

    Das Wohlbefinden ist für viele Menschen mit einem suffizienten Lebensstil verbunden. »Suffizienz« kommt vom lateinischen Verb sufficere und heißt »genügsam leben«. Ludwig Erhard sprach von »maßhalten« und wurde vor 60 Jahren dafür verlacht und verspottet. Heute fordern das Millionen und leben auch danach. Es ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass immer mehr materieller Wohlstand nicht zu mehr Lebenszufriedenheit oder gar zu immer mehr Glück führt.

    Viel Panisches wuchert, aber es wächst das Rettende auch. Es gibt immer Alternativen. Alle Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, können auch von Menschen gelöst werden. Der menschengemachte Klimawandel kann auch von Menschen gestoppt werden. Die von Menschen erfundenen Atombomben können auch von Menschen abgeschafft werden. Die alles entscheidende Frage heißt freilich, ob wir rechtzeitig umdenken und rechtzeitig um-handeln. Sowohl bei der Klimaerhitzung, beim großen Massensterben wie auch bei einem möglichen Atomkrieg könnte das Umdenken und Umhandeln zu spät sein. Wir müssen freilich immer mit bedenken, was die Waffe der Vertreter der alten Ordnungen ist. Es ist ihre Behauptung, dass es zum real existierenden System keine Alternativen gebe. Maggie Thatcher sagte es so: »There is no alternative.«

    Wir wissen schon lange, dass Abrüstung ein Impfstoff für den Frieden sein könnte und erneuerbare Energien ein Impfstoff gegen die Klimaerhitzung. Wir wissen auch schon lange, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen. Lässt sich dieses Dilemma überwinden? Und wie?

    Brauchen wir erst noch größere Katastrophen um aufzuwachen, vielleicht noch mehr Pandemien, um lernfähig zu werden? Sind wir wirklich nur begrenzt lernfähig? Mit der Klimaerhitzung und dem atomaren Wettrüsten führen wir den verrücktesten Kampf der Geschichte: wir gegen uns.

    Die Corona-Pandemie, die Klimaerhitzung und das Artensterben hängen eng zusammen. Das Virus hat uns gelehrt, dass wir eine biologische Art unter biologischen Arten sind und dass auch wir mit allen anderen Arten verbunden sind. Es zeugt von der Verwandtschaft alles Lebendigen, dass Corona Menschen, Nerze und Fledermäuse befällt.

    Ökologisch stehen wir bereits am Abgrund: Die Erde hat Fieber. Das Eis schmilzt. Das Massensterben scheint unaufhaltsam. Die Wälder brennen. Der Meeresspiegel steigt. Die Ozeane sterben. Regenfälle werden stärker und Hitzewellen extremer. Wir rasen »mit Vollgas in die Klimakatastrophe«, schreibt der renommierte Meeresbiologe und Klimaforscher Mojib Latif. Jedes Jahr sterben über sieben Millionen Menschen an der Luftverschmutzung, darunter über eine halbe Million Babys schon im Mutterleib, berichtet der »State of Global Air 2020 Report«. Den dritten Weltkrieg führen wir gegen die Natur und damit gegen uns selbst, denn wir sind ein Teil der Natur. Sind wir überhaupt noch zu retten?

    Ist die derzeitige Klimaerhitzung tatsächlich eine Situation, die wir noch nie hatten? »Klimaveränderung gab es doch schon immer«, ist das populärste Argument der Klimawandel-Skeptiker. Das ist auch grundsätzlich richtig. Während der Eiszeit stieg die Temperatur um ein Grad in 1000 Jahren – und wir haben die Eiszeit überlebt. Doch dieselbe Veränderung haben wir in den letzten 100 Jahren erlebt und in den nächsten Jahrzehnten werden noch drei bis vier Grad oder mehr dazukommen, wenn wir alles verbrennen, was heute noch an fossilen Rohstoffen im Boden ist. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu früheren Temperaturveränderungen. Noch nie in der Geschichte wurde das Klima so rasch und so gründlich verändert wie zu unserer Zeit. Deshalb scheint mir Klimaerhitzung das treffendere Wort zu sein als das harmlos klingende »Klimawandel«.

    Die meist älteren Klimawandel-Skeptiker verdrängen die Zeitbombe »Klimaerhitzung« und drücken die Augen zu vor diesem Zeitzünder, der in unserer Gegenwart abbrennt. Im Lärm der Zeit überhören sie das leise Ticken der Bombe. Sie wollen die Dinge, wie sie wirklich sind, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, auch mithilfe von Verschwörungstheorien.

    Viele junge Menschen, die »Fridays for Future«-Bewegung vor allem, sehen sich wegen der Klimaerhitzung schon heute als Generation ohne Zukunft. Sie haben ja so recht, wenn sie rufen: »Wir sind hier, und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.« Uns Älteren stellt sich diese Frage: Sind wir die Generation, welche die Erderhitzung zu verantworten hat, oder die Generation, welche die Erderhitzung noch stoppen konnte?

    Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, dann wird die Arktis in 15 Jahren eisfrei sein. Klimaerhitzung heißt: Erst verlieren die Eisbären den Boden unter den Füßen, dann wir Menschen. Der dritte Weltkrieg, den wir heute gegen die Natur führen, ist ein Krieg der Menschen gegen alle anderen Arten – und gegen uns selbst.

    Der frühere US-Vizepräsident Al Gore schrieb schon 2008 in seinem Bestseller »Eine unbequeme Wahrheit«: »Die Wissenschaft ist sich einig: Wir sind der Grund für die globale Erwärmung.« Aber 2021 sitzt im Deutschen Bundestag eine Partei, die noch immer bestreitet, dass der Klimawandel etwas mit dem menschlichen Verhalten zu tun hat. Die AfD ist wissenschaftsblind und zukunftsvergessen. Erwartet uns ein Ende mit Schrecken oder eher ein Schrecken ohne Ende? Die Antwort auf diese Fragen kann möglicherweise entscheidend sein für das Fortbestehen der Menschheit und ihrer Zivilisation. Die Frage aller Fragen heißt jetzt: Wie wird die Welt klimaneutral, und wie bleibt sie lebenswert?

    3. Die Grenzen des Wachstums

    1972 veröffentlichte der renommierte Wissenschaftsklub »Club of Rome« seine berühmten »Grenzen des Wachstums«. 30 Millionen Mal wurde dieses wichtige Buch gekauft. Darin heißt es: »Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.« Die Kernthese des »Club of Rome«: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Sonst wachsen wir uns zu Tode. In unserer materiellen Welt wächst nur der Krebs ewig. Oder aktuell: Eine Gesellschaft, welche die Grenzen des Wachstums nicht beachtet, bekommt Corona.

    Damit aber Technik und Ethik zusammenfinden, bedarf der »Club of Rome« vielleicht der Ergänzung durch einen »Club of Pope« und seine zeitkritischen Enzykliken. Der energetische Imperativ bedarf des energethischen Imperativs, um erfolgreich zu werden.

    Wachstumswirtschaft ist also eine Krebswirtschaft. 45 Jahre später publiziert der damalige Präsident des »Club of Rome«, Ernst Ulrich von Weizsäcker, das Buch »Wir sind dran« und schreibt: »Heute, eigentlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts, leben wir in einer vollen Welt. Die Grenzen sind greifbar, fühlbar in allem, was wir tun. Und doch, … verfolgt die Welt immer noch eine Wachstumspolitik, als ob wir in der leeren Welt lebten.« 2019 erklärt die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, bekannt geworden durch ihren »Schulstreik für das Klima«, vor den verblüfften Repräsentanten beim UNO-Gipfel in New York: »Ihr habt meine Träume und meine Kindheit gestohlen mit euren leeren Worten. Und dennoch bin ich eine von denen, die Glück haben. Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir sind am Anfang eines Massensterbens, und alles, worüber ihr redet, sind Geld und Märchen über ewiges Wirtschaftswachstum. Wie könnt ihr es wagen?« »How dare you?«, fragt die Klima-Aktivistin mehrfach in ihrer weltweit publizierten Rede.

    Greta Thunberg redete den Mächtigen dieser Welt mit einer Radikalität ins Gewissen wie sonst noch niemand: »Wir stehen vor einer Katastrophe unaussprechlichen Leidens für eine riesige Anzahl von Menschen. Und jetzt ist nicht die Zeit, um höflich zu sprechen oder sich darauf zu fokussieren, was wir sagen oder nicht sagen können. Jetzt ist die Zeit, um Klartext zu reden. Die Klimakrise zu lösen, ist die größte und komplexeste Herausforderung, vor der homo sapiens je stand. Die wichtigste Lösung aber ist so einfach, dass selbst ein kleines Kind sie verstehen kann. Wir müssen die Treibhausgas-Emissionen stoppen. Und entweder wir machen das, oder wir machen es nicht …

    Wir müssen in unseren gegenwärtigen Gesellschaften fast alles ändern. Je größer euer CO2-Fußabdruck, desto größer eure moralische Verpflichtung … Erwachsene sagen immer wieder: »Wir schulden es den jungen Menschen, ihnen Hoffnung zu geben.« Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr Panik habt. Ich will, dass ihr die gleiche Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt. Ich will, dass ihr handelt, wie ihr es in einer Krise tun würdet. Ich will, dass ihr handelt, als stünde euer Haus in Flammen. Denn das tut es.«

    Die Wut-Rede der jungen Schwedin erinnert mich an den Slogan der Umweltbewegungen in den Achtzigern, der sich angeblich auf Häuptling Seattle bezieht: »When the last tree is cut down, the last fish eaten, and the last stream poisoned, you will realize that you cannot eat money.« – »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gegessen, der letzte Fluss vergiftet ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«

    Panik ist wenig hilfreich, sie lähmt eher. Mit Panik legen wir kein einziges Kohlekraftwerk still. Aber in allem anderen, liebe Greta Thunberg, stimme ich Ihnen völlig zu, gerade deshalb, weil Sie auch emotional argumentieren.

    Greta Thunberg und ihrer »Fridays for Future«-Bewegung wird oft vorgeworfen, viel zu emotional zu argumentieren. Warum eigentlich?

    Als die junge Frau diese Rede hielt, wussten wir noch nichts von Corona. In der Corona-Krise mussten die Politiker auf der ganzen Welt dann tatsächlich so handeln, als stünde unser gemeinsames Haus, die Welt, in Flammen. Und sie taten es wirklich. Sofort.

    4. Die Vorgängerin von Greta heißt Angela

    Greta Thunberg hatte eine Vorgängerin. Ihr Name: Angela Merkel. Die spätere Kanzlerin hat 21 Jahre bevor Greta vor dem schwedischen Reichstag ihre Klimaproteste begann, das Buch publiziert »Der Preis des Überlebens«, in dem sie als Umweltministerin mehr Klimaschutz als Überlebensfrage der Menschheit anmahnte. Das klang damals beinahe so radikal wie Greta Thunberg heute.

    Angela Merkel erklärte 1997 den Klimawandel zu einer Sache von Leben und Tod. Der jungen Schwedin wird heute ein alarmistischer Ton vorgeworfen, wenn sie dasselbe sagt. Dabei wiederholt sie nur, was die deutsche Umweltministerin lange zuvor schon geschrieben und gefordert hatte. Merkels Forderungen damals:

    eine CO2-Steuer;

    Klimaschutz sei nicht zum Nulltarif zu haben;

    eine weltweite Aufforstung als Mittel, um CO2 zu

    kompensieren;

    Förderung des öffentlichen Verkehrs.

    Angela Merkels Gedanken und Gespräche über zukünftige Aufgaben der Umweltpolitik

    Schon 1995 hatte ich Angela Merkel 750.000 Unterschriften übergeben, welche die deutschen Umweltverbände in der Aktion »Globaler ökologischer Marshallplan« gesammelt hatten. Eine unserer Forderungen hieß Flugbenzinsteuer. Angela Merkel dazu wörtlich: »Da stimme ich Ihnen voll zu.«

    Angela Merkel 1995 mit dem Autor

    © bundesregierung.de /Guido Bergmann

    Also: Schon zwei Jahrzehnte, bevor Greta Thunberg ihren berühmtesten Satz sagte: »Unser Haus brennt«, war Klimaschutz für Angela Merkel eine Frage des Überlebens. O-Ton Merkel damals: »International wird es nur möglich sein, andere Länder zum Handeln zu bewegen, wenn wir in den Industriestaaten wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern.« Vor 23 Jahren wollte Merkel eine CO2-Steuer. Doch bis vor Kurzem stand im CDU-Klimakonzept: »Eine CO2-Steuer lehnen wir ab.«

    1997 schrieb Angela Merkel: Wenn man beim Klimaschutz zu lange abwartet, »kann es eines Tages unter Umständen zu spät sein«. Schon 1997 lagen alle wichtigen Klimadaten auf dem Tisch; die Klimawissenschaft hatte gut gearbeitet. Und heute? Sicher ist, dass die Bundesregierung mit dem jetzigen Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien das Paris-Ziel grandios verfehlen wird. Wenn also heute die Bundeskanzlerin noch als »Klimakanzlerin« bezeichnet wird, dann immer mit dem Zusatz »a.D.«.

    Dennoch haben sich Angela Merkel und Ursula von der Leyen mehrmals mit Greta Thunberg und ihrem deutschen Pendant Luisa Neubauer zum gemeinsamen Thema Klima getroffen. Ob Angela Merkel sich dabei an ihr damaliges Buch erinnert hat? Wächst zwischen den vier Frauen doch noch etwas zusammen?, hat »Die Zeit« gefragt. Es klang wie eine ganz vage Hoffnung. Wie zu hören war, ist der Respekt der vier Frauen voreinander gewachsen. Und es soll weitere Treffen geben. Immerhin – europäische Macht und europäisches Gewissen reden miteinander. Und die Gesetze der Politik und die der Physik streiten wohl auch miteinander. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Unser Haus brennt tatsächlich. Fritz Habekuss dazu in »Die Zeit«: »Die Menschheit steht am Anfang eines pandemischen Zeitalters, in dem Sars-CoV-2 die Warnung dafür ist, dass die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten wurden.«

    Wir Menschen können viel. Und vieles ist anzupacken. Am schwersten fällt uns aber das Nichtstun, das jetzt ansteht: Wälder einfach Wälder sein lassen, statt sie weiter abzuholzen; Meere in Ruhe lassen, statt sie zu überfischen; Moore sich regenerieren lassen, damit sie wieder CO2-Senken werden können. Für Fritz Habekuss sind die Antworten auf diese Fragen entscheidend: »Können sich Tierpopulationen erholen? Wachsen mehr Wälder? Hört das Artensterben auf? Darf Wildnis wild bleiben?« Die Pandemie hat uns vor allem eines gelehrt: Die Natur braucht uns nicht, wir aber sie.

    Auch in der Klimapolitik stimmt es, dass »unser Haus brennt«. Und zwar schon heute. Doch die deutsche Politik beschließt den Kohleausstieg für 2038, bestellt also die Feuerwehr für das Jahr 2038. Welchen Sinn macht das denn? Wie intelligent soll das sein? Das ist etwa so, als hätte die deutsche Politik den Impfstoff gegen Corona für das Jahr 2038 bestellt. Das Urteil über diese Politik, liebe Leserinnen und Leser, überlasse ich Ihnen.

    Was aber ist nun mit den Grenzen des Wachstums? Brauchen wir eine Wende zum Weniger? Viele afrikanische Staaten brauchen noch viel Wachstum, um der Hunger- und Armutsfalle zu entkommen. Die Industriestaaten brauchen für die solare Energiewende viel Wachstum bei erneuerbaren Energien, und die ganze Welt braucht viel geistiges Wachstum. Wenn die Schulden eines Landes viel schneller wachsen als die Wirtschaft, dann ist dies künstliches Wachstum und nicht nachhaltig. Ich plädiere also für einen differenzierten Wachstumsbegriff.

    Viel wichtiger als die ewigen Diskussionen um mehr oder weniger oder gar kein Wachstum scheinen mir also die Themen: Wachstum wofür und die Gerechtigkeitsdiskussion zu sein. Es geht dabei nicht nur um einen Mindestwohlstand, sondern auch um einen Maximalbesitz an Natur oder Immobilien. Auf neue Fragen werden wir neue Antworten finden müssen. Weit wichtiger als die Frage nach den Grenzen des Wachstums scheint mir eine Antwort auf die Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftens zu sein, die Antwort auf die Frage: Was heißt eigentlich nachhaltig wirtschaften? Dafür brauchen wir neue Perspektiven, neue Energie und neue Kreativität.

    Der ökologische Untergang wird nun schon seit über 50 Jahren prognostiziert. Wir brauchen weniger Angst und mehr Vertrauen in die menschliche Wandlungsfähigkeit. Wir leben auf einem sehr reichen Planeten. Unser eigentliches Thema ist nicht Verzicht, sondern Gewinn. Gewinn an Lebensqualität und Gewinn für die Umwelt. Gewinn nicht für wenige, sondern Gewinn für alle.

    Nein zu Corona kann ein Ja zur Klimapolitik beinhalten: Ja zur Artenvielfalt, Ja zu guter Luft und sauberem Wasser, Ja zu mehr Gerechtigkeit, Ja zu einer atomwaffenfreien Welt. Ja! Ja! Ja!

    5. Die Angst ist ein Gottesgeschenk

    Die »FAZ« vermutete vor Kurzem, 79 Prozent der Beiträge zum Klimawandel in den sozialen Medien zeigten eine ängstliche Haltung. Aber Angst sei doch kein guter Ratgeber für die Zukunft. Jede und jeder habe doch die Möglichkeit, »die Raumtemperatur zu regulieren oder sein Geld nachhaltig anzulegen«.

    Der Autor dieses Artikels, ein Wirtschaftsredakteur, beweist gleich zweifach, dass er die Herausforderung nicht verstanden hat. Mit harmlosen Maßnahmen allein lässt sich die Klimaerhitzung nicht aufhalten. Zudem ist er Gefangener einer Denktradition, wonach Verstand und Gefühle ein Gegensatz sind. Wir Menschen bestehen aber aus Verstand und Gefühlen. Und unter den Gefühlen ist die Angst eines der wichtigsten.

    Wenn wir unseren Verstand richtig einsetzen, dann fragen wir: Wie berechtigt ist die Angst? Die realistische Antwort: Diese Angst ist nach allem, was wir heute von der Wissenschaft lernen können, sehr berechtigt. Nur unsere Gefühle helfen uns, die Angst richtig zu verstehen und sie rational durchzuarbeiten. Also: Keine Angst vor der Angst. Es ist eher irrational, die Gefühle weiter zu verdrängen. Erst über unsere Gefühle können wir lernen, mit unserer Angst rational zu arbeiten und gegen den Klimawandel effektiv vorzugehen.

    Die Klimadebatte wird nicht »zu emotional« geführt oder gar »hysterisch«, wie ebenfalls oft unterstellt wird, sondern zu verstandeseinseitig. Über 30 Jahre lang wurde uns gesagt, das Klima sei vielleicht in Gefahr, aber wir hätten noch viel Zeit, uns damit zu

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