Die Herkunft der Wörter: Eine Einführung in die Etymologie
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Margarete Reichardt-Hitzler
Margarete Reichardt-Hitzler wurde im Jahr 1959 in Heidenheim an der Brenz geboren. Sie interessierte sich von Kindheit an für Sprachen, fremde Kulturen, Geschichte, Archäologie, vor allem aber für die Kultur und Religion unserer Vorfahren. Wo es sich ergab, besuchte sie archäologische Ausgrabungsstätten, besichtigte die Funde und fühlte dabei stets ein heftiges Bedauern darüber, daß Tonscherben und andere aufgefundene Gegenstände nicht sprechen können. Deshalb befaßte sie sich mehr und mehr mit Etymologie, der Wissenschaft von der Herkunft und wahren Bedeutung der Wörter.
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Buchvorschau
Die Herkunft der Wörter - Margarete Reichardt-Hitzler
werden.
Kapitel 1
Methoden der Etymologie
Es gibt zwei verschiedene Methoden, den Ursprung eines Wortes herauszufinden.
1. Methode
Die erste Methode ist die Erklärung eines Wortes aus der vergleichenden Sprachwissenschaft. Man untersucht verschiedene Sprachen auf Ähnlichkeiten der Wörter. Wenn ein Wort bereits in einer sehr alten, heute nicht mehr gesprochenen (toten) Sprache existiert hat, hat man im Allgemeinen den Ursprung des Wortes und seine damalige Bedeutung. Denn in dieser alten Sprache, die heute nicht mehr gesprochen wird, ist das Wort sozusagen so konserviert worden, wie es damals hieß und in seiner damaligen Bedeutung.
Ich bringe als Beispiel das bereits erwähnte Wort Paradies
. Die etymologische Erklärung im Herkunftswörterbuch des Duden lautet:
Paradies: Der biblische Name für den Garten Eden, mhd. paradis(e), ahd. paradis (vgl. aus anderen europäischen Sprachen z. B it. paradiso, span. paraiso, frz. paradis), geht über kirchenlat. paradisus auf griech. parádeisos Paradies
, eigentlich Tiergarten, Park
zurück, das aus mpers. *pardez (= awest. pairi-daeza) Einzäunung
stammt.
Awest. ist die Abkürzung von awestisch, eigentlich avestisch, einer altiranischen Sprache, die für die Zeit von 1200 bis 600 vor Christus nachgewiesen ist (Quelle Wikipedia). Awestisch ist demnach eine alte Sprache, die älteste, der man laut dem obigen Dudeneintrag das Wort Paradies zuordnen kann. Leider kann uns diese Erklärung im Duden über Paradies nichts Neues oder überhaupt Wesentliches sagen. Ein Paradies ist also eine Einzäunung?
2. Methode
Bei der zweiten Methode wird ein Wort aus sich selbst heraus erklärt. Hierbei lauscht man auf den Klang des Wortes und betrachtet die Silben und Buchstaben des Wortes gesondert. Man betrachtet also jede Silbe und jeden Buchstaben für sich und versucht so die Bedeutung herauszufinden. Möglicherweise wird uns dann aus dem Unterbewußtsein, aus dem Unbewußten die Bedeutung des Wortes zugeflüstert. Diese Methode ist zunächst eine Spielerei, die täglich in den Mußestunden betrieben werden kann. Man kann sie als sinnende Betrachtung ausüben, kann darüber meditieren, man kann sie als Rätselaufgabe betreiben, die uns überraschende Erkenntnisse bringt. Die Spielerei hört auf in dem Moment, wo uns das Wort Auskunft gibt über sich selbst, seinen Ursprung, seine wahre Bedeutung und uns Geheimnisse aus der Vorzeit übermittelt.
Nehmen wir als Beispiel das Wort Ast
. Wir sprechen das Wort aus und lauschen ihm nach: Aa-s-t
. Zusätzlich betrachten wir die Buchstaben. Das Wort Ast besitzt drei Buchstaben. Davon ist einer ein Vokal (Selbstlaut), nämlich das A. Zwei sind Konsonanten (Mitlaute), das S und das T. Das Besondere am Wort Ast ist, daß die beiden Konsonanten hintereinander stehen, anstatt das A einzufassen, zu umrahmen in der Form von Sat
oder Tas
. Dies ist für die Entschlüsselung des Wortes bedeutsam und wird später noch genauer erklärt. Unser Unterbewußtsein vermittelt uns intuitiv die Bedeutung des Wortes: A-s-t. Wir hören zwischen s und t ein schwaches, stark verkürztes i, das beim Sprechen fast verschluckt wird. Dieses i schreiben wir zwischen s und t. Wir erhalten a-sit(z)
, auf schwäbisch â-sitz
, neuhochdeutsch an-sitz
. Im Herkunftswörterbuch des Duden lesen wir:
Ast: Das altgerm. Wort mhd., ahd. ast, got. asts, mniederl. ast beruht mit verwandten Wörtern in anderen idg. Sprachen auf idg: *ozdo-s Ast, Zweig
, vgl. z.B. griech. ózos Ast, Zweig
und armen. ost Ast, Zweig
. Das idg. Wort ist eine alte Zusammensetzung und bedeutet eigentlich was (am Stamm) ansitzt
...
Wir lesen hier, daß das Wort Ast aus einer älteren, heute nicht mehr gesprochenen Sprache stammt. Es stammt von dem indogermanischen Ozdo-s
ab. Gleichzeitig aber läßt sich die Bedeutung und der Ursprung des Wortes aus dem heutigen Deutschen mit der zweiten Methode der Etymologie, der Erklärung aus dem Wort selbst, eindeutig herleiten. Dies führt uns zu folgender Frage: Ast ist aus den Wörtern an
und sitzen
gebildet. Es bedeutet was am Stamm ansitzt
. An und sitzen sind zwei Wörter aus dem heutigen Deutschen. Warum soll das Wort Ast dann indogermanischen Ursprungs sein?
Kapitel 2
Wie entsteht Sprache?
Die Buchstaben
Kompliziertere Laute, wie es die Wörter sind, werden aus einzelnen Lauten des Alphabets zusammengesetzt. Das Alphabet besteht aus einer Hintereinanderreihung (Aufzählung) von Lauten. Diese Laute werden im Alphabet als Zeichen dargestellt. Diese Zeichen nennt man heute noch Buchstaben, weil sie früher hauptsächlich in die Rinde von Buchen geschnitzt wurden. Das heutige lateinische Alphabet hat 26 Zeichen. Wie bereits im vorigen Kapitel bei der Erklärung des Wortes Ast erwähnt, gibt es im Alphabet Selbstlaute und Mitlaute. Ich erkläre diese beiden Bezeichnungen kurz: Der Selbstlaut tönt allein (selbst). Es handelt sich hierbei um A, E, I, O und U. Der Mitlaut tönt nur zusammen mit einem Selbstlaut oder Vokal. Bei den Mitlauten ist zuerst das B zu nennen. Der Konsonant B wird im Alphabet zusammen mit dem Vokal E gesprochen, also Be. C wird Tse gesprochen, D als De, F als Ef und andere mehr.
Das moderne lateinische Alphabet entbehrt gegenüber der frühen Zeichenschrift zwei Merkmale: Das Ideogramm und den Begriff. Das Ideogramm ist ein stilisiertes Bild und kann aus dem Zeichen des Buchstabens entnommen werden. Der Buchstabe stellt also bildhaft etwas dar, was mit seiner Bedeutung zu tun hat. Der zu dem Buchstaben gehörende Begriff vermittelt eine Idee oder Vorstellung, die dem stilisierten Bild in etwa entspricht. Um ein Wort aus den Buchstaben des lateinischen Alphabets zu schaffen, haben wir die Möglichkeit, willkürlich aus den die Laute darstellenden Buchstaben ein Wort zu bilden. Wenn hingegen Buchstaben neben dem Zeichen und dem Laut eine begriffliche Bedeutung haben, muß man bei der Wortbildung die begriffliche Bedeutung der Zeichen mit berücksichtigen. Bei der Ausübung der etymologischen Wissenschaft müssen wir beachten, daß das lateinische Alphabet ein modernes Alphabet ist, die Wörter, die wir untersuchen, unter Umständen aber schon uralt sind. Da die frühen Buchstaben, aus denen diese alten Wörter gebildet wurden, eine begriffliche Bedeutung gehabt haben, müssen wir uns beim Ausüben der etymologischen Wissenschaft also zunächst mit dieser begrifflichen Bedeutung der frühen Buchstaben befassen.
Mythologischer Exkurs über die Runen
Wir machen einen mythologischen Exkurs in die vorgeschichtliche Zeit Germaniens und befassen uns mit den Runen. Runen sind frühe Buchstaben, die von den Germanen für verschiedene Zwecke, für Mitteilungen, Widmungen, aber auch zur Magie, für Zauber und Weissagung benutzt wurden. Runen wurden am Anfang in Rinde geschnitzt oder auf Steine geritzt. Deshalb sind Runen eckig, während es im heutigen Alphabet auch runde Zeichen gibt. Die Runen sind ein Beispiel für ein frühes Alphabet. Jede Rune besteht aus einem Zeichen, einem Ideogramm, einem Lautwert und einem Begriff. Alle vier, das Zeichen, das Ideogramm, der Lautwert und der Begriff entsprechen sich in ihrer Bedeutung. Rune kommt von Raunen. Die Runen wurde nach der Überlieferung von dem germanischen Gott Wotan (Odin) gefunden.
Wir lesen den in der isländischen Edda überlieferten Runenbericht Odins¹:
"Wohl weiß ich,
daß ich am Windbaum hing
neun ganze Nächte,
speerverwundet,
dem Odin geopfert,
ich selber mir selbst -
an jenem Holz,
von dem niemand weiß,
aus welchen Wurzeln es aufwächst.
Sie reichten mir
weder Brot noch ein Trinkhorn;
da spähte ich nieder
erraffte die Runen,
schreiend erraffte ich sie
und fiel dann vom Holze ab."
Um Näheres über die Entstehung oder das Auffinden der Runen herauszufinden, schauen wir uns die vorliegende Edda-Strophe genauer an. Den Lautwert der Runen erfaßte Odin, indem er schrie. Vermutlich hing er an einem Bein kopfüber vom Baum und litt schreckliche Qualen. Er schrie vor Schmerz, er seufzte oder stöhnte. Er stieß Laute aus, hörte den Klang, begriff im selben Moment, wie der Klang erzeugt wurde, erkannte dabei das dazugehörige Zeichen, die Bedeutung des Zeichens als stilisiertes Abbild und wurde sich gleichzeitig über die begriffliche Bedeutung der Rune klar. Wie oben erwähnt, hat eine Rune nicht nur drei, sondern genau genommen vier Merkmale: Zeichen, Ideogramm, Laut und begriffliche Bedeutung.
Nachdem Odin die Runen vollständig gefunden hatte, gab er sie den Menschen. Mit den Runen gab er ihnen das Sprachvermögen und vor allem die Möglichkeit zu denken. Man kann sagen, er gab den Menschen Geist und Verstand. Diese Begebenheit ist in der Völuspa überliefert²:
"Bis ihrer dreie
vom Stamm der Asen,
liebreich-mächtige,
kamen zum Meere:
fanden am Strande,
ganz entkräftet,
Ask und Embla,
ohne Schicksal.
Hatten weder
Geist noch Leben,
nicht Wärme noch Stimme
noch frohe Farbe;
Leben gab Odin,
Geist gab Hönir,
Wärme gab Lodur
und frohe Farbe."
Odin, Hönir und Lodur sind drei verschiedene personelle Aspekte derselben Gottheit Wotan/Odin.
Wir sehen uns nun nachfolgend die Runen an. Bei dem vorgestellten Runenalphabet handelt es sich um das ältere Futhark. Dieses Runenalphabet ist seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in Island wieder in Gebrauch und gründet sich auf älteren Vorlagen. Es heißt Futhark nach den ersten sechs Runen, wie ja auch das lateinische Alphabet nach den ersten beiden Buchstaben Alpha und Beta benannt ist. Das ältere Futhark hat 24 Zeichen:
Ich habe unter die Runenreihen jeweils den entsprechenden lateinischen Großbuchstaben geschrieben, um die Entsprechung und den Laut deutlich zu machen. Manche Runen unterscheiden sich deutlich von der lateinischen Schreibweise der Buchstaben, dazu scheinen einige Laute bei den Runen mehrfach vorhanden zu sein. Der Grund hierfür ist unter anderem folgender: Die Runen hatten nicht nur die Funktion einer Schrift, sondern wurden auch zur Magie und zur Weissagung gebraucht. Diese beiden Funktionen erforderten andere Zeichen/Bilder und zusätzliche Laute. Auch hat das ältere Futhark 24 Zeichen, was in einer bestimmten Zahlensymbolik und Zahlenmagie seinen Ursprung hat. Ich erkläre nun nachfolgend jede einzelne Rune:
Fehu
Die Rune Fehu ist die erste Rune des Runenalphabets. Sie besteht aus einem F, bei dem die beiden Querstangen im 45 Grad-Winkel nach oben zeigen. Sie stellt die Hörner der Rinder des Viehbestandes dar. Der Lautwert der Rune ist F. Die Bedeutung der Rune ist Vieh. Sie bedeutet auch Gold und Geld. Die abstrakte Bedeutung ist Energie und bewegliche Macht.
Uruz
Uruz besteht aus einem auf dem Kopf stehenden, eckigen U, dessen zweiter senkrechter Strich kürzer ist als der erste. Sie stellt die Hörner des Auerochsen oder auch fallenden Regen dar. Der Lautwert ist U. Die Bedeutung der Rune ist Auerochse. Die abstrakte Bedeutung ist Urkraft, Ursprünglichkeit und Vitalität.
Thurisaz
Die dritte Rune des Runenalphabets ist Thurisaz. Hierbei handelt es sich um ein Dreieck, das an einem senkrechten Strich klebt. Sie stellt Thors (Donars) Hammer dar oder einen Dorn auf einem Zweig. Der Lautwert der Rune ist ein stimmloses th
wie im englischen thorn
. Im Deutschen gibt es diesen Laut nicht, hier ist der Laut ein D. Die Bedeutung der Rune ist Dorn. Die abstrakte Bedeutung ist Macht, Überwindung von Hindernissen und Vernichtung der Feinde.
Ansuz
Ansuz hat einen senkrechten Strich und zwei Querstangen, die im 45-Grad-Winkel herunterhängen. Sie stellt etwas im Winde Wehendes dar, bei dem es sich möglicherweise um Odins Mantel handelt. Die begriffliche Bedeutung der Rune ist Wind im Sinne von göttlicher Odem. Als solches steht sie für Dichtkunst und Gesang, für Inspiration und Ekstase.