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Lebensbilder von Dichtern I, 1
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eBook386 Seiten4 Stunden

Lebensbilder von Dichtern I, 1

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Über dieses E-Book

Das Buch enthält Lebensbilder von Dichtern aus dem Umkreis der Nachkriegs-Literaturszene.

Nähere Informationen zum Gesamtprojekt: https://www.facebook.com/VerlagfuerBibliotheken
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum22. Feb. 2018
ISBN9783746004938
Lebensbilder von Dichtern I, 1
Autor

Walther Jantzen

Walther Jantzen wurde 1904 in Breslau geboren und starb 1962 in Kronberg/Ts. Im Dritten Reich arbeitete er in exponierter Position an der Umgestaltung des Schulwesens mit (u. a. Zeitschrift "Erziehung und Unterricht", Buchprüfer, Schulleiter, Herausgeber von Schulbüchern). In der Nachkriegszeit wirkte er als prägende Persönlichkeit auf der Jugendburg Ludwigstein.

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    Buchvorschau

    Lebensbilder von Dichtern I, 1 - Walther Jantzen

    Scholz

    HEINZ STEGUWEIT

    Freundesgabe

    des Arbeitskreises für deutsche Dichtung

    zu seinem 60. Geburtstage

    MCMLVII

    Als Manuskript gedruckt!

    Arbeitskreis für deutsche Dichtung,

    Göttingen, von-Ossietzky-Straße 7

    Druck: Erich Goltze KG, Göttingen

    AN IHN

    Amice!

    Wie rasch gleiten doch unsere Jahre dahin! Sind es wirklich schon Jahrzehnte, daß wir einander auf einer Laienspieltagung begegneten, daß Sie, hochragend und schlank mit ein wenig übermütigem Lächeln von Ihrem „Iha, dem Esel" sprachen und wir beide uns aus dem größeren Kreis, in dem wir uns — heute dürfen wir es wohl eingestehen — als neugierige Fremdlinge vorkamen, zurückzogen, um uns etwas abseits weniger anstrengenden Gesprächen hinzugeben?

    Damals wußten wir nicht, daß wir einander jemals wieder begegnen würden. Die Zeiten begannen ihren großen Wirbel, ließen uns einander vergessen, stürzten uns schließlich beide in ein niegeahntes Nichts und trugen uns ohne unser Zutun wieder empor in neues Leben und Schaffen.

    Was einst war, ist versunken. Es gleicht einem glücklichen Spiel in einer Zeit, in der nicht Krieg war, nicht Vernichtung, nicht Auflösung.

    Als wir einander wiedersahen, hatte die äußere Welt sich verändert. Vielleicht prüften wir uns heimlich gegenseitig, welcher inneren Welt wir wohl jetzt zugehörten. Sie hatten im Feuersturm des Krieges Ihr Hab und Gut verloren. In Ihrem Studierzimmer im neuen Häuschen am Walde beim dörflichen Halver aber hatten Sie jene wesentlichen Zeichen einer Welt, die uns nicht untergehen darf, geborgen: das große, festliche Ölbild, ein paar kostbare alte Möbelstücke, einen Schreibtisch, dem man ansieht, daß er Ihr getreuer Knecht sein will, und so manches andere. Ihr Haus, das Sie Ithaka nennen, schlug die erste Brücke von der jungen Freundschaft einst, zu der Verbundenheit von heute und hier.

    Sie sind der Alte geblieben! Wohlan!

    Und doch sind Sie, mein Freund, nicht ein Gestriger, sondern ein Heutiger. Aber wie soll die Welt draußen verstehen, daß es solches gibt: alt und neu in einem?

    Darf es wohl so gesagt werden: das Herz blieb, das es war, das immer wache, einfühlende Verstehen für den Herzschlag der Dinge, die Treue auch zum Einfachen, die Liebe zum Wirklichen in der Welt, die uns umgibt und — lassen Sie es mich heute ohne Scheu sagen — das feine Lächeln, auch dann noch, wenn dem Nachbarn schon die Träne rinnt.

    Das also blieb Ihnen von eh und je.

    Hinzu kam Ihnen, was die großen Ungewitter uns allen, die wir überleben durften, hinterließen: der schlichte, unbeirrbare Ernst in der Betrachtung des ewigen Wandels. Sie blieben nicht im Gestern haften, weil Sie dem Leben selber gehören, das nur dann wach bleibt, wenn es sich immerwährend erneuert.

    1932 erschien Ihr „Jüngling im Feuerofen". Wir lasen ihn damals fast sorglos. Der erste Krieg lag schon so lange hinter uns. In der Erinnerung will es mir scheinen, daß wir auch damals etwas behäbig geworden waren. Wir lasen die Geschichte vom heimgekehrten Soldaten Manes Himmerod also wie etwas, das nun glücklich überwunden war, und konnten uns nicht denken, daß wir alle noch einmal Himmerods werden könnten. Damals erfreuten wir uns an Ihren hingebend schönen Schilderungen von den Ufern des Rheines, an den vielen urwüchsigen Gestalten, denen Sie das Geschehen jener Jahre auf den Leib geschrieben hatten, an der verteufelt dreisten Lebensrettungsgeschichte, die erst den fünf Poilus und dann durch diese fünf eingesperrten Deutschen Leben und Freiheit schenkte, und schließlich an der seltsam gültigen Ehegeschichte zwischen dem verträumten Idealisten Manes und der von ihm aus dem Rhein geborgenen Fabrikantentochter Maria Selbach. Wer von uns Lesern hat damals schon groß darüber nachgedacht, warum Sie, mein Freund, dem Roman den gewichtigen Titel vom Jüngling im Feuerofen gegeben hatten?

    Wir sollten es alle noch verstehen lernen!

    Das Bild vom Feuerofen, in dem die guten Steine hart werden, die schlechten aber zerfallen, tauchte uns in jenen furchtbaren Jahren vor und nach 1945 aus seinen längst vergessenen Zusammenhängen wieder ins Bewußtsein empor. Und dann begannen jene Jahre, in denen Millionen Himmerods über die Straßen zogen, grau und abgerissen, ohne Unterschlupf und wärmendes Herdfeuer, überzählig und im Grunde unerwünscht, wohin immer sie kamen.

    Manes Himmerod wurde uns erst nach dem letzten Kriege zu dem „ewigen Heimkehrer" von gestern, heute und morgen.

    Wir lesen den Jüngling im Feuerofen heute mit anderen Augen. Es geht uns nicht mehr um das, was darin zeitgebunden war: das Florettfechten mit den damaligen französischen Besatzern oder die Episode des rheinischen Separatismus oder den politischen Selbstmord des verwichenen Fabrikantentyps! Manes Himmerod ist der überlebende aus der Erzählung jener Zeit geblieben. Er erhebt sich groß und klar über alle Wirrnis der Tage und Jahre. Er ist zur zeitlosen Gestalt des Heimkehrers schlechthin geworden.

    Wir wissen es ja alle: Heimkehrer bedürfen wohl des Geldes und der Möglichkeiten zu neuer Existenz. Aber was ist das schon, wenn ihnen das andere nicht kommen will, danach ihre leergebrannte Seele verlangt. Was ist ihnen Betreuung, wenn sie nach Liebe dürsten; was Lohn, wenn sie wirken wollen, nicht nur durch Arbeit Geld verdienen; was gilt ihnen eine bürgerlichsatte Öffentlichkeit, wenn sie die innere Mitte nicht zu spüren vermögen, um die alles lohnensollende Leben kreisen muß.

    Als Sie dem einsamen jungen Heimkehrer von 1918 die Seele Manes Himmerods einhauchten, mein Freund, führte Ihnen eine Kraft die Feder, die uns in jenen Dreißigerjahren noch nicht bewußt sein konnte. Ihr Herz war uns allen um ein, zwei Jahrzehnte vorausgeeilt. Es zuckte wohl schon in Vorahnung des Kommenden und gab Ihnen ein, auf seelische Bewährung bedacht zu sein. Deshalb eben mußte Manes seinen Kompanieführer erst hassen, um ihm dann wortlos und freiwillig sein Blut zu spenden und nach endlos langem Zögern sein Freund zu werden. Deshalb auch zog Manes das unbekannte Mädchen aus dem Wasser, um später mit aller Selbstverständlichkeit den im Kriege gefallenen Geliebten zu ersetzen. Deshalb auch rettete er die Besatzungssoldaten aus dem Rhein, deshalb erschoß er den Separatistenführer Anker nicht, obwohl es ihm befohlen war.

    Dies ist wohl die ernsteste Lehre, die Himmerod unserem Zeitalter zu erteilen hat: Leben ohne Einsatz und Pflichttreue ist sinnlos. Leben ohne Streben und Mühen, ohne Sorge und Verzicht, ohne Hochgefühl an vollbrachter Tat und Freude am Herzen des Gefährten ist leer.

    Nur, weil der Heimkehrer Manes Himmerod lachend und weinend, schaffend und hoffend das Leben im Feuerofen durchläuft, gewinnt er wieder Boden.

    Wer von uns ist nicht Heimkehrer aus Katastrophen? Männer, Frauen und Kinder sind auf dem Wege zu innerem Frieden, zur Gelassenheit des Herzens. Noch immer irren wir auf den Straßen zu solcher Heimat, die nur eine neue sein kann, niemals aber ein romantisches Abbild der einstigen.

    Wer recht zu lesen vermag, dem geht das Bild Ihres Manes Himmerod nicht mehr aus dem Sinn. Es mahnt ihn zum Ausschreiten, zur Abkehr von aller Lässigkeit.

    Es war gut, daß Sie dieses Werk 1952 wieder neu in unsere Hände gelegt haben. Zwanzig Jahre zuvor erfreuten wir uns an ihm, heute ist es uns herzhafte Kost, deren wir bedürfen.

    Genug nun des Ernstes, amice! Ich bin Ostdeutscher, Sie sind Rheinländer. Das wäre eigentlich ein Grund, daß wir einander nicht allzuviel zu sagen hätten. Wir Ostdeutschen grübeln gern, wir reiten auch gern in alle Fernen, aber wir haben nicht Eure beschwingte Leichtigkeit, Ihr gutmütigen Rheinischen! Der Karneval war immer bei Euch zuhause. Wir waren mehr für Sträußelkuchen und behagliche Gemütlichkeit. Sei's drum — die Art, wie Sie lachen können, amice, flößt uns ungemein Respekt ein. Da gibt es kein homerisches Gelächter, kein plumpes Grinsen und kein höhnisches Ulken! Wenn man Ihre lustigen Geschichten liest, ist man überzeugt, daß am Rheine das Lachen wächst wie die Rebe: das perlt und glitzert, dröhnt auch mal ein bißchen und zergeht einem sozusagen auf der Zunge! Ist es wohl so, daß man bei Euch mehr lächelt und blinzelt, den Mund vielsagend zucken und die Fältchen um die Augen spielen läßt?

    Oder hat eine Muse Ihnen, gerade nur Ihnen, dies in die Wiege gelegt, als Sie Ihren Erdenweg vor 60 Jahren antraten?

    Ich wünschte, ich könnte Arnöldchen herbeizaubern, um durch ihn heute die Gratulationscour eröffnen zu lassen! Arnöldchen, den mit dem Krokodil!

    „Einen fröhlichen Lausbubenroman haben Sie 1952 Ihre schöne Geschichte „Arnold und das Krokodil genannt. Es will mir scheinen, amice, daß gerade diese Erzählung unter den ungezählten, die Sie geschrieben haben und bis auf den heutigen Tag über alle möglichen und unmöglichen Blätter in unsere Familien hineinwandern ließen, zu preisen ist. Wir haben während der Notjahre so viele Sorgen gehabt, daß wir nicht aus noch ein wußten, und wir haben jetzt, in den „sieben fetten Jahren" soviel zu tun mit Geldverdienen und -wiederausgeben, daß wir wirklich glücklich sind, wenn wir einmal nicht-aufregende literarische Kost bekommen, solche, die uns glücklich werden läßt, wie den satten Säugling Morgensterns. Einmal ist ja jeder moderne Zeitgenosse doch so weit, daß er es aufgibt, sich am Abstrakten grüblerisch zu versuchen und am Zeitkritischen sich propagandistisch an die Hand nehmen zu lassen! Einmal müssen wir ja doch ausruhen vom ewigen Autofahren, Organisieren und Diktieren! Dann wollen wir allein sein, mit einer Tasse Kaffee und der Pipe, und Zwiesprache halten mit einem lustigen kleinen Buchhelden. O, über den Unglücklichen, der in solcher schwer errungenen Mußestunde nicht mit dem Knaben Arnold bekannt wird, welcher als Tertianer seinen Zeichenlehrer so porträtierte, daß er der vielgerühmten Wirklichkeit allzunahe kam und mitsamt einem präparierten Krokodile aus der Klasse hinausflog. Das gibt es weder in Ecksteins berühmten alten Schulgeschichten, noch in der noch berühmteren Feuerzangenbowle, was sich aus diesem Hinauswurf an Menschenschicksal zwischen Vater und Sohn, Sohn und Lehrerin, Lehrer und Kollegin, Hunden, Dorfjungen, Dohlen und Kurgästen alles anspinnt, bis es nach seltsamen und mitunter pikanten Irrfahrten zu einem versöhnlichen Ende kommt.

    Amice, solche Einfälle allein sind schon eine tröstliche Medizin für uns gehetzte Zeitgenossen. Aber wenn diese humorvollpikant und dennoch blitzsauber dargeboten werden, dann ist das schon etwas ganz Besonderes!

    Wir können uns ja, wie die Frankfurter Buchmesse zeigt, nicht über Mangel an Angebot auf dem Büchermarkt beklagen. Schon die farbigen Umschläge sollen ja wohl heutzutage den Käufer gleichsam nervlich appetitanregend unter Beschuß nehmen. Aber wie das so geht: zuviel Schlagsahne schmeckt nicht lange. Man sehnt sich nach herzhafter Hausmannskost mit gerade soviel Würze, daß es lecker bleibt und man keinen häßlichen Nachgeschmack bekommt. Über eben dieses Geheimnis scheinen Sie zu verfügen. Geben Sie es nicht weiter! Sie werden noch manches Kapital daraus schlagen können!

    Unter uns gesagt: Zeitungen, Sender und Reformhäuser hämmern heute dem Menschen ein, welche Wohltat gesunde Ernährung dem Leibe bedeute. Die Bedeutung der gesunden Seelennahrung für den homo sapiens gehört heute zu den unerforschten oder wenigstens nicht gefragten Gebieten. Arnöldchen mit Felix Kniller, Rektor Materno, Vater Wackernuß und Alice Ysing samt dem Dackelhund Muff sind das prächtigste Elixier für Überanstrengte, die wieder gesund werden wollen. Sie lernen wieder das herzliche, befreiende Lachen, das so nützlich ist, weil in allen Gestalten, über die man lachen muß, ein Stück von einem selbst ist. Damit sind wir auch wirklich bei Ihrem großen Kollegen von Weimar angelangt, von dem geschrieben steht „ . . . wer sich nicht selbst zum besten haben kann, der ist gewiß nicht von den Besten!"

    Ist es wohl die vorgeschriebene Bahn Ihres Erdenganges, lieber Freund, daß Sie vom Schicksalsdeuter der Heimkehr über den Schalk und Tröster der Erwachsenen-Kreatur endlich zum Herzensfreund unserer jüngeren Kinder werden mußten? Da liegt unter Dutzenden von Kinder- und Jugendbüchern heute in jeder kleinsten Buch- und Papierhandlung Ihr schmales Bändchen „Eulenspiegel darf nicht sterben". Wer vermutet schon in dem schlichten Heft, daß darin keine der üblichen Nacherzählungen der Eulenspiegelhistorien enthalten ist, auch kein billiges Weiterspinnen der Stoffe, sondern ein gänzlich Neues, das den Schalk zum guten Geist unserer Zeit werden läßt? Wir sahen auf Ihrem Schreibtisch die vielen Kinderbriefe liegen, die Ihnen Kunde davon brachten, wie unser kleines Volk die schelmischernsten Begebenheiten, die Ihre Feder hervorzauberte, wichtig nimmt und an ihnen ihr Urteil über Gut und Böse, gerecht und ungerecht bildet. Wir sahen die bunten Zeichnungen, die Zehn- und Zwölfjährige zu Ihren kleinen Erzählungen fertigten. In Farben, Linien und Formen tat sich in den Blättern kund, zu welcher Welt von Vorstellungen das Lesen Ihrer Eulenspiegelgeschichten anregte! Wahrlich, in unserer Zeit der abgenutzten Worte, der gängigen Phrasen und der überhöhten Formulierungen tut es gut, wenn einer dem wirklich gelebten Leben Sprache und Ton entleiht! Auch Kinder haben heute ein empfindliches Gefühl dafür, wer sie billig belehren will und wer ihnen schlicht und gerad berichtet, wie das Leben wirklich ist, wenn es gut und in Ordnung ist.

    Vor allem aber: wer lehrt eigentlich die Kinder, daß neben Tugend und Frömmigkeit noch ein drittes nottut, das Leben wirklich zu bestehen, nämlich jene gewisse Dosis guten Menschenverstandes, den man zu Zeiten Bauernwitz genannt hat, und der doch gewiß zur Lebenstüchtigkeit gehört? Sind wir alle miteinander schon so „tierisch-ernst" geworden, daß es auffällt, wenn einer kommt und mit dem Finger darauf tippt?

    Nicht wenige unserer Schulbuben von heute haben ihre junge Lebensweisheit aus Ihrem Eulenspiegel bezogen und sind nebenher dadurch überzeugt, daß Dichter nicht nur dazu da sind, Gedichte zu machen, die man auswendig lernen muß, wofür man gute oder schlechte Zensuren bekommt, sondern daß sie einem auch gelegentlich Dinge verraten, die man gegebenenfalls im Leben recht gut gebrauchen kann.

    Derlei nehmen sie übrigens nur einem Dichter ab, den sie lieben können. Den Eulenspiegel-Steguweit aber lieben sie, weil er seinen Helden kinderfröhlich sterben läßt. Er tröstet noch auf dem Sterbelager seinen traurigen Freund Hinnerk und sagt: „Paß auf, Hinnerk, und merk Dir jedes Wort: wenn ich fort bin mit der armen Seele, und nur mein Leib liegt noch hier, dann kommst Du zu mir, ganz allein, Hinnerk, hörst Du — und schon fährst Du mir sanft mit der Hand über die Stirn und sprichst: Till, wo bist Du jetzt? — Antworten werde ich dann nicht mehr können, aber ich will mit dem rechten Augen kniepen. Hast Du nun alles begriffen?"

    Hinnerk war hernach recht erstaunt, daß der tote Till doch nicht kniepte. Als er aber seine eigenen Augen zumachte, meinte er wirklich den Till blinzeln und kniepen zu sehen, als wollte er sagen: Ich lebe nicht mehr, aber ich bin allzeit da. Denke darüber nach, und sag es auch den anderen!

    Amice, lassen Sie mich mit einem Gedanken schließen, der so nahe liegt und doch vielen fremdartig erscheinen mag: Die Alten setzten ihren Dichtern wohl Bildsäulen, die zu betrachten die Nachkommen genötigt waren.

    Noch bis vor einhundertfünfzig Jahren krönte man gute Literaten mit Lorbeerkränzen. Solches mag ihr Ehrgefühl befriedigt haben. Was wäre unserem heutigen Zeitalter der Technik und Vollkommenheit wohl gemäß?

    Nun, wie wäre es, wenn man allen Dichtern zu ihrem sechzigsten Geburtstag ihre Wohnung auf Staatskosten tapezieren ließe?

    Mit handgearbeiteten Tapeten?

    Mit figürlichen Mustern aus ihren Romanen, Gedichten und Erzählungen?

    Sie, mein Freund, dürften gewiß in solcher Wohnung ruhig, vielleicht sogar glücklich schlafen. Denn alle Ihre Gestalten, ob arm, ob reich, fromm oder sündig — sind liebenswert und würden Ihnen jeden Abend ein dankbares Gutenacht zuwinken, von den Tapeten herab.

    Aber der Plan wird nicht durchkommen.

    Es werden andere Schriftsteller dagegen sein.

    Weil sie schlecht schlafen würden!

    Ihr

    WALTHER JANTZEN

    HEINZ STEGUWEIT AN UNS

    Was ich vor Jahren noch als Unglück hinnahm, nämlich durch die Kriegs- und Nachkriegswirren das Heim und die Heimat verlieren zu müssen, das empfinde ich heute wie eine Beruhigung: Marodeure und Bomben haben auch mich nicht geschont, also mußte ich neu beginnen wie die Vertriebenen, und niemand hätte ein Recht, mir Neugeschaffenes zu neiden.

    Als geborener Kölner bin ich ein Sohn des Rheins, heute aber wohne ich zu Halver im Sauerland, wohin mich im Frühling 1945 die harte Evakuierung trieb. Meine Nachbarn sind fleißige und wache Leute, sie arbeiten auf steinigen Äckern und in ruhelosen Schmieden, deren Hämmer tagsüber bis in mein kleines Waldhaus dröhnen. So bleibe ich, der Großstadt müde, doch dem wirklichen Leben verbunden; und wenn das Dorf ein Volksfest feiert, dann halte ich’s gern mit dem „Spaziergang vor dem Tor": Hier bin ich Mensch hier darf ich’s sein …

    Daß ich, mit den Meinigen anfangs auf zwei enge Dorfstuben gesetzt, trotz mancher Not nicht in unfruchtbarer Qual verdorrte, ist kein Verdienst meiner selbst; ich habe es als eine Gnade anzuerkennen, die mich, der ich allenfalls körperlich robust bin, in dem Augenblick überraschte, als ich viel Unentrinnbares und Tückisches hinnehmen mußte, was sich vorher weder ahnen noch berechnen ließ.

    In zunächst dunkler, obwohl großherzig überlassener Herberge schrieb ich unmittelbar nach dem Zusammenbruch und ohne breitere Pausen mehr an Romanen, Erzählungen, Gedichten und Spielen, als jemals vorher in einem gleichen Zeitraum. Einige größere Städte und Orte boten mir in den letzten Jahren ein Heimrecht an: Ich blieb trotzdem auf dem Lande, weil hier ein Schauen ins Weite und ein Horchen an den Brunnen der Tiefe noch gestattet ist. So fühle ich mich denn, seit Weihnachten 1950 im eigenen neuerrichteten Landhaus wohnend, am wohlsten unter Bäumen und Tieren, ist man doch durch Erlebnisse klüger geworden, obwohl keineswegs misanthropisch.

    Wer zwischen Bergen, Wäldern und Talsperren wohnt, der freut sich doppelt, wenn alte Freunde ihn aufstöbern in der scheinbaren Einsamkeit: Musikanten und Maler, Poeten und Gelehrte, vor allem aber Jugendliche aus allen Lagern trugen sich ins Gästebuch ein, und der Künstler, der mir mein Haus in seiner klaren, gesunden Form in die Landschaft setzte, hinterließ mir den bedenkenswerten Vers:

    Wenn dieses Haus so lange hält

    bis aller Haß und Neid zerfällt,

    dann steht es bis ans End' der Welt!

    So, wie meine westfälischen Nachbarn nicht von mir erwarten, daß ich selber ein Westfale werde, ebenso wenig hege ich die Absicht, jemals mein Rheinländertum zu verleugnen. So liebe ich das Fromme, wenn es sich nicht an Frömmelei verliert. So ehre ich das Fröhliche, so lange es lächelt und vom Lächerlichen sich trennt. So verachte ich das Niedrige und erkenne in jedem Ehrfurchtlosen meinen wirklichen Feind.

    Das alles wolle nicht heißen, daß der Rheinländer niemals irrte. Dafür ist er zu sehr Mensch. Denn nur der Unmensch wähnt sich frei von Fehlern. — Deutschland, wie ich es immer lieben werde, bildet mit der Vielfalt seiner Stämme und Landschaften einen Organismus wie jeder lebendige Leib. Wo sorgt sich seine Seele? Wo müht sich seine Vernunft? Wo atmet die Lunge? Eins sei gewiß: Sein Herz schlägt am Rhein, und sein Fleiß fand in Westfalen eine gesegnete Stätte.

    Rückschauend weiß ich, daß man mein Schaffen des öfteren mit Preisen bedachte. Dennoch meine ich, jedes neue Buch, Spiel oder Gedicht hätte es eher — wenn überhaupt — verdient. Rückschauend weiß ich aber ferner, daß nie etwas vergeblich geschah, kein Werk, kein Leid, keine Freude und kein . . . Fehler. Denn das Rechtbehalten ist menschlichermaßen nie das Wesentliche, wohl aber, daß wir uns immer wieder „ringend hingeben", das Wahre zu suchen über den Augenblick hinaus. Jenes Wahre, ohne das nichts Neues zu gedeihen vermag; denn was von innen her unwahrhaftig wird, das kann nicht bestehen, wie es sich auch nicht halten konnte in der Vergangenheit.

    Letztlich sei es zum Verzweifeln immer zu früh, zur Hoffnung und zur Güte niemals zuspät. Und Hölderlins ringende Sehnsucht bleibe in unserem unsichtbaren Gepäck auf der irdischen Reise: „Wir sind nichts, was wir suchen ist alles!"

    DATEN SEINES SCHAFFENS

    Heinz Steguweit, geboren am 19. März 1897 in Köln, wurde der großen Öffentlichkeit zuerst durch sein Drama „Sooneck bekannt, das man im Sommer 1925 als Festspiel zur Jahrtausendfeier der Rheinlande wählte. Im gleichen Jahr griff die Jugend nach seinen an Hans Sachs und Andreas Gryphius geschulten Laien- und Volksspielen, die z. T. in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Die größte Verbreitung fanden die Spiele „Die Gans, „Iha, der Esel und das Krippenspiel „Die fröhlichen drei Könige. — Als Erzähler schrieb Steguweit neben zahllosen Kurzgeschichten und Novellen den 1932 erschienenen Roman vom „Jüngling im Feuerofen, in dem er als leidenschaftlicher Sportsmann für den Lebensrettungsgedanken warb. Die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft ernannte ihn dafür zum Ehrenmitglied. — Im Jahre 1929 erhielt Steguweit den Erzählerpreis der damals von Friedrich Lienhard herausgegebenen Monatsschrift „Der Türmer, im Jahre 1938 den Rheinischen Literaturpreis und 1939 den Erzählerpreis des Verlages Velhagen & Klasing, und zwar für die Novelle „Die Saskia mit dem leichten Glanz".

    Heinz Steguweit gehörte dem Wartburgkreis deutscher Dichter an (1931 von Börries v. Münchhausen, Agnes Miegel, Ernst Wiechert, Hermann Stehr usw. gegründet). — Steguweits meist aufgeführtes Bühnenwerk ist die Denunziantenkomödie „Glück und Glas" (1937 in Dortmund und Karlsruhe uraufgeführt), die auch nach dem Kriege noch mehrfach gespielt wurde, da sie ihre Aktualität behalten hatte.

    Steguweit siedelte sich nach seiner Evakuierung im Sauerland an; sein kleines Waldhaus, in dessen Garten morgens die Rehe äsen, steht nahe dem westfälischen Dorf Halver.

    Steguweits Bücher und Erzählungen, denen das Schicksal des „Umstritten-Werdens keineswegs erspart blieb, liegen z. T. in schwedischen, portugiesischen, niederländischen und amerikanischen Ausgaben vor. Über sein Verhalten im Dritten Reich schrieb kürzlich der I. Vorsitzende des Westd. Autorenverbandes (W. Schäferdiek): „Ich habe immer wieder feststellen können, daß Steguweit zu den hilfreichsten Schriftsteller-Kollegen gehörte, die mir je begegneten. Ich selber bin ihm zu ganz besonderem Dank verpflichtet; ich weiß auch, daß dieser sein Einsatz nicht vereinzelt war, sondern daß St. sich auch für eine Reihe von Kollegen eingesetzt hat, die höheren Orts als höchst suspekt galten …

    Von Steguweits Nachkriegsbüchern haben die Romane „Arnold und das Krokodil, „Jürgen kämpft um Gisela und „Lutz Langohr" insgesamt eine Auflage von über 100 000 Exemplaren erreicht.

    Werke von Heinz Steguweit

    Der Jüngling im Feuerofen / Die Meerjungfrau Mareli

    Der schwarze Mann / Arnold und das Krokodil

    im Verlag P. Vink, Köln

    Die Zauberin — Novelle

    in Loewes Verlag Ferdinand Carl, Stuttgart

    Das Stelldichein der Schelme — Erzählungen

    in der Verlagsanstalt Rheinhausen zu Rheinhausen b. Duisburg

    Mein Freund Methusalem,

    die Memoiren eines Flausenkönigs

    im Verlag Dr. Edmund Huyke zu Oldenburg i. Oldbg.

    Das unvorsichtige Mädchen — ein heiterer Kleinstadtroman

    im Verlag Walter Lehning, Hannover

    Jürgen kämpft um Gisela — Roman für die Jugend

    Eulenspiegel darf nicht sterben — ein Schelmenbuch

    Frieden auf Erden — ein Advents- und Winterbuch

    Lutz Langohr — ein Folge fröhlicher Verwicklungen

    Der Spatz Philippi und seine Abenteuer

    im W. Fischer-Verlag zu Göttingen

    Es weihnachtet sehr — ein Buch vom Winter

    ferner alle Laienspiele des Dichters

    im Deutschen Laienspielverlag zu Weinheim a. d. Bergstraße

    Geh aus, mein Herz

    Erzählungen zum Lesen und Vorlesen

    im Landbuch-Verlag GmbH Hannover

    „Schön ist das Wahre nur"

    Erzählungen

    im Deutschen Heimat-Verlag Ernst und Werner Gieseking,

    Bielefeld-Bethel

    WILL VESPER

    Freundesgabe

    des Arbeitskreises für deutsche Dichtung

    zu seinem 75. Geburtstag

    MCMLVII

    Zusammengestellt von

    Dr. Walther Jantzen, (16) Wendershausen

    Verlegt vom

    Arbeitskreis für deutsche Dichtung, Göttingen, v.-Ossietzki-Straße 7

    Gedruckt von

    Gerhard Stalling AG, Oldenburg (Oldb)

    Zweite Auflage

    1958

    Hermann Claudius

    Will Vesper

    zum 75. Geburtstage

    Deine schreibende Hand

    ist dem Pfluge mehr

    als der Feder zugewandt.

    Und Du, gebürtig aus

    fälischem Bauerngeschlecht,

    läßt ihr lächelnd gern

    ihr derberes Recht.

    Und mit Fug

    grüßt Du Ackerweite

    und Wolkenzug.

    Denn Deine deutsche Seele

    - wer sagte das Wort? -

    Es hat nirgends mehr

    den rechten Ort. -

    Deine deutsche Seele

    pulst Dir im Blut.

    Und so ist auch, was Du

    geschrieben: gut.

    Und immer wieder ist

    Deine Hand bereit,

    Furchen zu ziehen durch

    den Acker der Zeit

    für kommende Saat.

    Dazu helfe uns allen

    Gottes Gnad!

    Hans Brandenburg

    Das Zauberwort

    Lieber Will, wenn ich über Dich und Deine Lyrik schreiben soll, so kann ich das, als Dein ältester Freund, nicht wie ein Literarhistoriker tun, sondern nur im Lichte der persönlichen Erinnerungen. Es sind wahrhaftig sechzig Jahre her, daß wir auf dem Schulhof Freundschaft schlossen, Du, der fünfzehnjährige braunlockige starke Bauernjüngling, und ich, das zwölfjährige blonde und blasse Prokuristensöhnchen, Du, der beste und ich der schlechteste Schüler des humanistischen Gymnasiums — sechzig Jahre, daß Du mir auf dem Schulhof Deine ersten Verse vorlasest. Deine Stellung als Primus, der zuletzt zum Primus omnium wurde, erlaubte Dir eine solch

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