Die Gnosis: Texte und Kommentar
Von Johanna Brankaer
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Über dieses E-Book
Johanna Brankaer
Prof. Dr. Dr. Johanna Brankaer hat den Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Altertums, christliche Archäologie und Patrologie an der Universität Würzburg inne.
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Die Gnosis - Johanna Brankaer
DER BEGRIFF „GNOSIS"
Der Begriff „Gnosis hat eine lange Geschichte bzw. Wirkungsgeschichte. Die ältesten Zeugnisse finden wir in den Schriften der Ketzerbekämpfer. Diese bezeugen sowohl die Bezeichnung „Gnosis
für die Bewegung als auch die Bezeichnung „Gnostiker" (gnostikos) für bestimmte Anhänger der Gnosis. In der Neuzeit wurde der Terminus „Gnostizismus eingeführt, der seit dem Kongress von Messina im Jahr 1966 für die Bewegung, die die Häresiologen „Gnosis
nannten, angenommen wurde. Seit dem Ende des 20. Jh. ist der Begriff „Gnosis selbst in Frage gestellt. Daraufhin hat sich eine Diskussion über die Frage entwickelt, ob man den Terminus „Gnosis
überhaupt noch verwenden soll. Wenn wir ihn doch noch benutzen, so sollten wir ihn neu umschreiben bzw. definieren.
IRENÄUS UND DIE GNOSIS
Irenäus wurde in der ersten Hälfte des 2. Jh. in Kleinasien geboren, wo er ein Schüler des zu den „apostolischen Vätern zählenden Polykarp war, der nach Irenäus ein Schüler des Apostels Johannes war. Um 177 war er wahrscheinlich schon Bischof von Lyon in Gallien, nachdem sein Vorgänger Photinus das Martyrium erlitt. Um 180 hat er seine „Entlarvung und Widerlegung der fälschlich so genannten Erkenntnis (Gnosis)
in fünf Büchern verfasst. Dieses Werk ist auch unter dem lateinischen Namen Adversus Haereses („Gegen die Häresien") bekannt. Gnostiker hat er in seiner eigenen Gemeinde kennengelernt, obwohl er wahrscheinlich auch während eines Aufenthalts in Rom über sie Kenntnisse bekommen hat. Er hat sich dabei wahrscheinlich auch auf ein älteres, verlorengegangenes Werk des christlichen Philosophen Justin, der in Rom lehrte, bezogen.
Dass Irenäus sein Werk gegen die fälschlich so genannte Erkenntnis schrieb, impliziert, dass seine Gegner ihre eigene Lehre als „Erkenntnis", Gnosis auf Griechisch, verstanden. Das war in der Antike nicht so außergewöhnlich. Sowohl griechische Philosophen als auch christliche Lehrer beanspruchten eine besondere Erkenntnis. Neu ist aber, dass Personen mit dem Adjektiv gnostikos („gnostisch) bezeichnet werden. Irenäus benutzt diese Terminologie nicht für alle Gnostiker, sondern nur für bestimmte Gruppen. Die Kategorie „Gnosis
wurde aber für alle gnostische – und einige jetzt nicht mehr als gnostisch angesehene – Systeme und Denker benutzt.
DIE GNOSISFORSCHUNG VOR DEM FUND DER ORIGINALTEXTE VON NAG HAMMADI
Wir beginnen diese Übersicht mit Adolf von Harnack (1851-1930), dem berühmten Berliner Kirchengeschichtler und Theologen. Er hat die Gnosis als „akute Hellenisierung des Christentums" gesehen². Es geht um einen Versuch, das Christentum in eine absolute Religion in hellenistischem Geist zu wandeln. Die Gnosis ist nach seiner Meinung ein grundsätzlich christliches Phänomen mit folgenden Grundzügen: Es gibt einen Unterschied zwischen dem wahren Gott und dem Schöpfergott des AT. Das Böse wurde als eine physische Macht gesehen, der Materie inhärent, die als ewiges und unabhängiges Prinzip dargestellt wurde. Es wird zwischen dem himmlischen und dem menschlichen Christus unterschieden. Die Aufgabe Christi ist das Wiedervereinigen dessen mit Gott, was von Gott durch Kontakt mit der Materie getrennt ist. Nur die spirituellen Menschen können die heilbringende Erkenntnis (Gnosis) empfangen und erlöst werden. Die Idee einer körperlichen Auferstehung wurde verworfen zugunsten der Sicht, dass die Gnostiker schon in der Welt ihrem Wesen nach unsterblich sind. Die Gnostiker kannten nur zwei Arten ethischen Verhaltens, strikten Asketismus oder Libertinismus. Wie die Häresiologen Hippolyt und Tertullian war von Harnack der Meinung, dass die Gnosis von der griechischen Philosophie beeinflusst wurde.
Am Ende des 19. Jh. interessierte sich die sogenannte Religionsgeschichtliche Schule für die Gnosis. Die wichtigsten Vertreter waren Wilhelm Bousset und Richard Reitzenstein. Sie sahen den Ursprung der Gnosis in der Babylonisch-Iranischen Religion. Dieser orientalische Einfluss ist vor allem deutlich im Mythos vom Urmenschen. Der Urmensch, aus dessen geopfertem Körper in alten persischen Mythen die Welt entstanden ist, wurde in der Gnosis der proanthropos (Vor-Mensch), der erstgeborene Sohn der Gottheit, der am Anfang der Entstehung der Welt in die Materie herabsteigt. So entsteht alles in der Welt als Mischung von Licht (des Urmenschen) und Finsternis (der Materie). Dieser Urmensch ist auch eine Erlöserfigur, die die Lichtfunken in der menschlichen Seele befreit und mit ihrem Ursprung vereint. Die Gnosis wird also nicht als innerchristliches religiöses Phänomen gesehen. Das Gewicht der griechischen Philosophie für die Gnosis wird als weniger wichtig geachtet als die Mysterienkulte. Es ist nicht das Studium philosophischer Schriften, sondern die Teilnahme an Mysterienkulten, die zur Erlösung führt. In den sechziger Jahren des 20. Jh. haben Carsten Colpe und Hans-Martin Schenke gezeigt, dass der Mythos vom Urmenschen kein Teil der persischen Religion war.
Seit 1934 publizierte Hans Jonas seinen wichtigen Beitrag zur Gnosisforschung, Gnosis und spätantiker Geist. In diesem und in späteren Werken präsentiert er die Bedeutung und den Charakter der Gnosis mit Hilfe der existentialistischen Philosophie Martin Heideggers. Anders als die Religionsgeschichtliche Schule sucht er die Wurzeln der Gnosis nicht an einem bestimmten geographischen Ort oder in einer anderen Religion, sondern in der mentalen und sozialen Atmosphäre der Spätantike. Zentral bei diesem Verständnis ist die Erfahrung der Entfremdung. Der Gnostiker fühlt sich als in diese weltliche Existenz geworfen. Das eigentliche Selbst des Menschen ist die göttliche Komponente in ihm, die der Transzendenz angehört und Objekt der Erlösung ist. Erlösung ist die Rückkehr zur transzendenten Wirklichkeit. Die Erfahrung der Weltfremdheit beschränkte sich nicht auf die eigentliche Gnosis, sondern war nach Jonas typisch für die ganze Spätantike.
MESSINA: GNOSIS UND GNOSTIZISMUS
Im Jahr 1966, mehr als 20 Jahre nach dem Fund der damals freilich erst in den Anfängen bekannt gewordenen gnostischen Bibliothek von Nag Hammadi, wurde im italienischen Messina die erste große Gnosistagung organisiert. Im Schlussdokument dieses Kongresses wurden die Begriffe „Gnosis und „Gnostizismus
neu umschrieben. Unter dem Stichwort „Gnostizismus verstand man jene „Gruppe von Systemen des 2. Jh. nach Christus
, die bei Irenäus als „Gnosis bezeichnet wurde. Mit dem Stichwort „Gnosis
hingegen bezeichnete man in allgemeiner Weise das „Wissen um göttliche Geheimnisse, das einer Elite vorbehalten ist. Der sogenannte „Gnostizismus
wird in folgender Weise umschrieben:
Le Origine dello Gnosticismo, documento finale³: Der Gnostizismus der Sekten des zweiten Jahrhunderts enthält eine Reihe zusammenhängender Charakteristika, die man in die Vorstellung von der Gegenwart eines göttlichen Funkens
im Menschen zusammenfassen kann, welcher aus der göttlichen Welt hervorgegangen und in diese Welt des Schicksals, der Geburt und des Todes gefallen ist, und der durch das göttliche Gegenstück seiner selbst wiedererweckt werden muss, um endgültig wiederhergestellt zu sein. Diese Vorstellung, neben der auch andere Anschauungen von einer „Abwärtsentwicklung" des Göttlichen zu berücksichtigen sind, gründet sich ontologisch auf die Anschauung von einer Abwärtsentwicklung des Göttlichen, dessen äußerster Rand (oftmals Sophia oder Ennoia genannt) schicksalhaft einer Krise anheimfallen und – wenn auch nur indirekt – diese Welt hervorzubringen hatte, an welcher er dann insofern nicht desinteressiert sein kann, als er das Pneuma wieder herausholen muss (Dualismus auf monistischen Hintergrund, der sich in einer doppelten Bewegung – Abwärtsentwicklung und Wiederherstellung – ausdrückt.)
Die hier erwähnten Charakteristika sind alle dem „gnostischen Mythos" entnommen. Dieser Mythos, wenn er auch in unterschiedlichen Versionen in verschiedenen Schriften begegnet, ist allerdings kein Teil aller gnostischen Systementwürfe und Texte.
Neben den Termini „Gnosis und „Gnostizismus
hat die Konferenz von Messina zwei weitere neue Begriffe eingeführt. Der Terminus „prägnostisch verweist auf die zeitlich frühere Bezeugung verschiedener Themen und Motive, in denen sich der eigentliche „Gnostizismus
noch nicht ausgebildet hat. Der Terminus „protognostisch bezieht sich auf Systementwürfe, in denen man das Wesentliche des „Gnostizismus
findet, die aber nicht zum „Gnostizismus" des 2. Jh. gehören.
Die Definition von Messina impliziert, dass der Terminus „Gnostizismus sich auf die gnostischen Bewegungen ab dem 2. Jh. bezieht, die von den Häresiologen bekämpft wurden, während der Terminus „Protognostizismus
auf vorchristliche und außerchristliche gnostische Systementwürfe hinweist.
Es hat nie einen wirklichen Konsens über die Definitionen von Messina gegeben. Im deutschen Sprachraum wurde z.B. weiterhin der Terminus Gnosis benutzt, um über die von den Häresiologen bekämpften Systeme und Denker zu sprechen.
DIE GNOSIS IN DER NEUEREN FORSCHUNG
Im Jahr 1996 hat Michael A. Williams einen gewichtigen Beitrag zur neueren Gnosisforschung publiziert. In seinem Buch Rethinking Gnosticism. An Argument for Dismantling a Dubious Category schlägt er vor, den Terminus „Gnosis weiterhin nicht mehr zu benutzen. Es gibt hierfür zwei wichtige Gründe. Einerseits ist der Begriff „Gnosis
(auf Englisch gnosticism) ein modernes Konstrukt, das nicht auf eine allgemeine Selbstbezeichnung der Gruppen zurückgeht, die so genannt werden. Unter diesem Stichwort haben alte und moderne Häresiologen ein typologisches Modell bezeichnet, das nicht mit einem eindeutigen religiösen Phänomen zusammenfällt. Von den Gruppen, die von den alten Ketzerbekämpfern zur Gnosis gerechnet werden, werden einige auch jetzt noch als gnostisch angesehen, andere aber nicht. Andererseits werden seit Irenäus mit der Kategorie „Gnosis bestimmte Kennzeichen verbunden, die fälschlicherweise den „Gnostikern
zugeschrieben werden. Bestimmte Klischees, z.B. dass die Gnosis eine Protestbewegung ist, dass sie andere Religionen unterläuft, dass die Gnostiker die Welt und das Leben darin ganz ablehnen, dass sie den Körper hassen, dass sie keine echte Ethik entwickelt haben, usw. entsprechen eher den Vorurteilen der Häresiologen als der Realität.
Michael Williams schlägt vor, statt des Terminus „Gnosis den Begriff „biblical demiurgy
(biblisches Weltschöpfertum) zu benutzen. Mit diesem neuen Konstrukt würden die meisten „gnostischen Systeme bezeichnet, in denen ein Mythos von einem niederen Schöpfergott oder Demiurgen enthalten ist. Im Gefolge des Erscheinens dieses Buches wurde die wissenschaftliche Diskussion über den Begriff „Gnosis
weitergeführt. Einige Spezialisten meinen, dass wir nur noch über bestimmte gnostische Sekten reden können, z.B. die Valentinianer oder die Sethianer, ohne den übergreifenden Begriff „Gnosis zu benutzen. Andere begrenzen den Terminus „Gnostiker
auf eine bestimmte Gruppe, z.B. die Sethianer.
Fast fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen von Rethinking Gnosticism wird der Terminus „Gnosis immer noch von Wissenschaftlern und Laien benutzt. Es ist so, wie Kurt Rudolph es gesagt hat: Man braucht ein Stichwort, um über diese Kategorie zu reden und der Terminus „Gnosis
, den er gegenüber dem Begriff „Gnostizismus bevorzugt, ist unter den Spezialisten seit langem verbreitet. Der Terminus ist in der Tat bisher nicht durch andere Vorschläge ersetzt worden. Der auf Deutsch benutzte Begriff „Gnosis
ist dabei auch weniger kontrovers als die englische Bezeichnung „gnosticism", ein Begriff, der erst aus der Neuzeit stammt.
Wenn der Begriff „Gnosis" ein typologisches Konstrukt ist, dann ist es wichtig zu erwähnen, was man unter diesem Stichwort versteht. Wie Michael Williams schon gezeigt hat, wird eine Vielfalt von Kennzeichen ungerechterweise mit der Gnosis verbunden. Sie stammen aus der Sichtweise der Häresiologen. Ihre feindlichen Bezeichnungen wurden von vielen modernen Forschern übernommen. So wird die Gnosis z.B. oft als Ketzerei gegen die Orthodoxie betrachtet. Dies ist jedoch problematisch. Neben anderen warnt Karen L. King in ihrem 2003 erschienenen What is Gnosticism? vor einer Übernahme der häresiologischen Kategorien. Sie meint, dass viele Forscherinnen und Forscher die Gnostiker immer noch durch die Augen der Ketzerbekämpfer sehen. Sie sehen die Gnosis als ein abgeleitetes Produkt eines reinen orthodoxen Christentums. Die Beschäftigung mit Genealogie und Typologie der Gnosis geht ihres Erachtens auch auf die häresiologische Sicht zurück. Züge der genealogischen und typologischen Annäherung an das Phänomen Gnosis sind die Beschäftigung mit Ursprung, Wesen und Reinheit. In dieser Weise wird die Gnosis als „das Andere konstruiert, als das, was der Orthodoxie gegenübersteht. Dass mehrheitskirchliches Christentum und Gnosis einander in ihrer Entwicklung auch nahe standen, wird somit verdunkelt. Genealogie und Typologie präsentieren die Gnosis als ein eindeutiges Phänomen, aber die Originaltexte zeigen uns, dass das nicht der Fall ist. Wenn man den Begriff „Gnosis
definieren will, muss man deutlich machen, was die Voraussetzungen dieser Definition sind. Man sollte sich auch bewusst sein, dass jede Definition dieses Phänomens provisorisch ist.
Christoph Markschies schlägt u.a. in seiner Publikation Die Gnosis aus 2001 vor, die Kategorie „Gnosis" weiterhin zu benutzen. Er hat ein typologisches Modell herausgearbeitet, nach dem die Gnosis mehrere Grundzüge hat, die man in den Texten finden kann⁴:
1. Die Erfahrung eines vollkommen jenseitigen, fernen obersten Gottes;
2. die Einführung weiterer göttlicher Figuren oder die Aufspaltung der vorhandenen Figuren in solche, die dem Menschen näher sind als der ferne oberste Gott;
3. die Einschätzung von Welt und Materie als böser Schöpfung und die damit verbundene Erfahrung der Fremdheit des Gnostikers in der Welt;
4. die Einführung eines Schöpfergottes oder Demiurgen („Handwerker"), zum Teil nur als unwissend, zum Teil aber als böse geschildert;
5. die Erklärung dieses Zustandes durch ein mythologisches Drama, in dem ein göttliches Element aus seiner Sphäre in eine böse Welt fällt und als göttlicher Funke in Menschen einer Klasse schlummert und daraus befreit werden kann;
6. eine Erkenntnis („Gnosis") über diesen Zustand, die aber nur durch eine jenseitige Erlösergestalt zu gewinnen ist, die aus einer oberen Sphäre hinab- und wieder hinaufsteigt;
7. die Erlösung durch die Erkenntnis des Menschen, dass Gott (bzw. der Funke) in ihm ist;
8. eine unterschiedlich ausgeprägte Tendenz zum Dualismus, die sich im Gottesbegriff, in der Entgegensetzung von Geist und Materie, in der Anthropologie äußern kann.
Der Gnosisbegriff von Markschies basiert vor allem auf einem gnostischen Mythos, der die Entfaltung der göttlichen Realität, die Schöpfung der Welt durch einen niederen Gott und die Erlösung durch Erkenntnis umfasst. In diesem Mythos ist die existenzielle Geworfenheit in eine fremde Welt enthalten, die auch in dem Gnosisverständnis von Hans Jonas prägend war. Diese Typisierung der Gnosis verzichtet auf eine soziologische Charakterisierung der Bewegung. Letztere Dimension ist ja auch viel schwieriger zu fassen. Das Problem einer typologischen Definition besteht darin, dass sie Bausteine, die sich in verschiedenen Schriften finden, als Essenz des Phänomens versteht. Doch findet man für jedes Element der Typologie Gegenbeispiele in den Widerlegungen der Häresiologen und vor allem auch in den Originaltexten. Es gibt z.B. zahlreiche von der Forschung weithin als gnostisch angesehene Schriften, in denen der negativ gesehene Schöpfergott keine Rolle spielt (u.a. Evangelium Veritatis, Eugnostos, Allogenes). Auch wenn man oft in gnostischen Schriften das Gegenüber von göttlichem Pleroma und erschaffenem Kosmos findet, sind diese Systementwürfe nicht immer ganz dualistisch, weil die Welt auch noch zur überragenden Vorsehung des wahren Gottes gehören kann (u.a. Tractatus Tripartitus, Hypostase der Archonten). Die „Weltfremdheit" könnte suggerieren, dass die Gnostiker das Leben in der Welt (und im Körper) ablehnen und z.B. der Politik und der Ethik gegenüber gleichgültig sind. Wir haben aber keine Zeugnisse, die das wirklich belegen können. In vielen gnostischen Schriften gibt es nämlich klar erkennbar eine Beschäftigung mit der innerweltlichen Ethik. Dazu findet man auch viele Beispiele für das Bedürfnis, die gnostische Lehre weiter in der Welt zu verkündigen (u.a. der Brief des Petrus an Philippus und die Apokalypse des Petrus).
Barbara Aland schlägt in ihrem Buch Was ist Gnosis? im Jahr 2009 folgende Kurzdefinition vor: „Gnosis gibt die christliche, durch Offenbarung aufgedeckte und durch Offenbarung zugesagte Erfahrung von Fall und Errettung wieder. Sie wird in bildhafter, mythisch-narrativer oder philosophieartiger Form dargestellt."⁵ Zentral in dieser Definition ist die Tatsache, dass der Gnostiker Offenbarungen über Fall und Errettung empfängt. Die von Hans Jonas vielbetonte Fremdheit des Gnostikers in der Welt ist für sie erst sekundär im Selbstverständnis des Gnostikers. Zuerst gibt es seinen Jubel und seine Freude über die göttliche Offenbarung, über die Erlösung und das positive Selbstbild, das daraus hervorgeht. Die Ablehnung der Welt kommt erst nach der Anerkennung einer höheren Wirklichkeit. Diese Welt wird erst mit der aus Offenbarungen erworbenen Erkenntnis retrospektiv in ihrer Begrenztheit bzw. ihrer Schlechtigkeit erkannt. Ein anderes wichtiges Element der Definition von Barbara Aland ist, dass die Gnosis ein grundlegend christliches Phänomen ist. Dass sich die Gnosis christlich versteht, geht auch aus den Polemiken der Häresiologen hervor. Diese Polemiken lassen eine bestimmte Nähe zwischen den Ketzerbekämpfern und ihren Gegnern erkennen. Irenäus schreibt, dass die Gefahr gerade darin liegt, dass die Gnostiker so ähnlich reden wie die Christen der Mehrheitskirche, dabei aber ganz Verschiedenes meinen (I, Praef.). Was Irenäus den Gnostikern vorwirft, ist ihr Aufgeben des eschatologischen Vorbehaltes und ihre Vergöttlichung des Menschen. Ebenso wie Christoph Markschies stellt auch Barbara Aland die Frage, wie sich die Gnosis auf dem „Marktplatz der religiösen Möglichkeiten situiert hat. Markschies redet vom Experimentieren der Gnostiker im „Laboratorium der christlichen Theologie des 2. Jh.⁶
Beide Autoren meinen, dass die Gnosis ein Versuch war, das Christentum auch für die (halb-)gebildete Klasse ihrer Zeit attraktiv zu machen. Hierzu greifen die Gnostiker auf Mythen und Popularphilosophie zurück. So wird auch deutlich, weshalb die Gnosis so viele Ausdrucksformen kennt. Sie ist vielgestaltig, weil sie sich in einen pluralistischen Kontext einschreibt.
Die Diskussion über den Gnosisbegriff hat deutlich gemacht, dass jeder, der den Terminus „Gnosis verwendet, diesen Begriff auch – sei es provisorisch – umschreiben muss. Dieser Sachverhalt lässt es nicht zu, das Phänomen „Gnosis
ganz genau abzugrenzen. Die hier versuchte Definition legt ein Zentrum fest, um das herum sich die verschiedenen konkreten gnostischen Erscheinungsformen situieren. Einige sind diesem Zentrum sehr nahe, andere befinden sich eher an der Peripherie und sind auch mit anderen Strömungen sowie der Hermetik oder dem Manichäismus verwandt. Das Gnosisverständnis dieses Buches beinhaltet folgende Grundzüge:
1. Es geht um Bewegungen, die sich ab dem 2. Jh. innerhalb – im „Laboratorium" – des Christentums entwickeln.
2. Die Gnostiker glauben, dass sie durch eine besondere Erkenntnis, meistens von einer Erlösergestalt von außen vermittelt, erlöst und über die Welt erhaben sind.
3. Die positive Anthropologie – der Glaube, dass man mit einer höheren Wirklichkeit verbunden ist – hat oft eine negative Bewertung der Welt und der Materie zur Folge.
4. Die Gnostiker stellen ihr Weltverständnis in Kunstmythen dar, in denen der Ursprung der Welt durch den Fall eines höheren Wesens erklärt wird; oft schildern sie dabei einen niederen Schöpfergott, der unwissend oder sogar schlecht ist.
Zu den wichtigen Elementen dieses Definitionsversuches gehört die innerchristliche Situierung des Phänomens Gnosis. Es ist freilich möglich, dass bestimmte gnostische Bewegungen in ihrer Entwicklung einen größeren Abstand zum Christentum gewonnen haben. Diese Abstandsnahme ist somit sekundär. Barbara Aland ist der Überzeugung, dass die Gnosis zutiefst christlich bestimmt war, indem sie den Sachverhalt von Fall und Errettung als zentral ansieht. M.E. geht ein positives Verständnis des Selbst der mehr oder weniger ausgesprochenen Ablehnung der Welt und des Körpers voraus. Die Gnosis ist nicht zuerst eine Protestbewegung, die sich von der Welt und dem Leben in ihr abkehrt. Sie interpretiert die Welt erst aus der Erfahrung der Erlösung, die auch eine Erlösung aus der irdischen Beschränktheit ist. Die gnostischen Mythen sind zahlreich und verschieden. Dass der Ursprung der Welt in einem Fall bzw. einem Fehler bzw. einer Degeneration einer höheren Wirklichkeit liegt, ist ein Element, das man in vielen Erzählungen findet. Dabei wird die Welt oft von einem niederen Schöpfergott bzw. Demiurgen erschaffen, der häufig unwissend ist über erhabenere Sachverhalte. Der oft unter Bezugnahme auf den biblischen Schöpfungsbericht bzw. in Uminterpretation präsentierte Schöpfungsmythos findet sich in verschiedenen gnostischen Schriften und wird in anderen vorausgesetzt. Es gibt aber auch gnostische Texte, in denen die Entstehung der Welt und ihr minderwertiger Schöpfer nicht zur Sprache kommen. Diese Schriften umfassen aber fast alle den Sachverhalt, dass man durch Offenbarungen zu einer besonderen Erkenntnis gelangt, die Grund der Erlösung ist. Dieser Zug scheint mir dann auch grundsätzlicher für die Gnosis zu sein als der Schöpfungsmythos. Wenn wir die Gnosis aber nur als Bewegung, die an eine Erlösung durch Erkenntnis glaubt, definieren, ist die Umschreibung nicht ausreichend genau. Auch nicht-gnostische Autoren und Bewegungen haben sich auf eine Art von heilbringender Erkenntnis berufen, wie es auch in der Definition von Gnosis von Messina erwähnt wird (s.o.). So hat sich z.B. auch der christliche Philosoph Klemens von Alexandrien auf eine höhere Erkenntnis berufen. Deswegen ziehen wir auch die gnostischen Mythen heran, die für bestimmte Bewegungen ab dem 2. Jh. spezifischer sind. Das Wesentliche dieser Bewegungen ist aber m.E. die Anthropologie, selbst wenn diese auch in anderen Kontexten auftaucht. Man sollte die Gnosis nicht nur in den Begriffen beschreiben, die sie von anderen Strömungen unterscheiden. Auch das, was sie gemeinsam haben, ist erleuchtend für ein besseres Gnosisverständnis.
2 A. von Harnack, Dogmengeschichte I, 223-266.
3 „Vorschlag für eine terminologische und begriffliche Übereinkunft zum Thema des Colloquiums", in: U. Bianchi, Le origini dello gnosticismo, xxix-xxx.
4 C. Markschies, Die Gnosis, 25-26.
5 B. Aland, Was ist Gnosis?, 2.
6 C. Markschies, Gnosis und Christentum, 48.
GRUNDZÜGE GNOSTISCHER MYTHOLOGIE
In diesem Kapitel werden einige Züge der gnostischen Mythologie behandelt. Dabei muss man aber den Vorbehalt machen, dass es nicht eine einheitliche Mythologie gibt. Es gibt verschiedene Themen und Motive, die in unterschiedlichen Varianten begegnen. Es gibt keinen ursprünglichen Mythos, von dem die bezeugten Mythen abgeleitet wären. Es gibt eher einen Komplex von mythologischen Elementen, die von den gnostischen Mythopoeten frei kombiniert wurden.
DAS PLEROMA UND DER KOSMOS
In allen gnostischen Systementwürfen gibt es einen Kontrast zwischen dem Pleroma, der überweltlichen Fülle von Äonen, und dem Kosmos, der erschaffenen Welt. Dieses Gegenüber ist aber kein Dualismus im eigentlichen Sinne. Kosmos und Pleroma sind nicht gleichursprünglich. Das Pleroma ist ewig und unvergänglich. Es ist die göttliche, immaterielle Wirklichkeit. Der Kosmos ist nach dem Pleroma entstanden, durch einen Fehler innerhalb des Pleromas – meistens durch den Fall der Sophia. Er ist also sekundärer Natur. Er ist entstanden und wird auch wieder vergehen. Das Pleroma ist die Entfaltung der höchsten Gottheit, während der Kosmos das Produkt eines niederen Schöpfergottes ist. Das Pleroma besteht aus Äonen, Ewigkeiten, die als persönliche Entitäten erscheinen. Die ursprünglichste Entität ist der Vater, der bei den Valentinianern auch „Bythos („Tiefe, Urgrund
) und im Sethianismus „Unsichtbarer Geist" genannt wird⁷. Sowohl im Valentinianismus als auch im sethianischen System gibt es ein weibliches Wesen, mit der der Vater die anderen Äonen zeugt. Im Valentinianismus geht es um „Sige („Stille
) bzw. „Ennoia („Gedanke
). Im Sethianismus heißt diese Figur Barbelo – diese stellt auch den ersten Gedanken des Vaters da. Das weibliche Prinzip ist also vom Vater abgeleitet: Es ist sein (erster) Gedanke, der hypostasiert, d.h. zu einer selbständigen Entität wird. In einer Reihe von sethianischen Schriften ist die Barbelo in drei Subäonen aufgeteilt: „Kalyptos („Verborgener
), „Protophanes („Ersterschienener
) und „Autogenes („Selbstentstandener
). Diese stellen die Entwicklung des ersten Gedankens aus dem Vater dar: Zuerst ist das Gedachte noch verborgen, dann erscheint es, und dann bringt es sich selbst hervor. Es gibt sethianische Texte, in denen es noch den „Dreifach Kräftigen" gibt, zwischen der Barbelo und dem Vater. Dieser ist die Hypostase – Verselbständigung – der Kräfte des