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Annette, ein Heldinnenepos
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Es ist zwar erst Anfang Februar, aber Anne Webers "Annette" ist so un-fass-bar gut, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es nicht DAS Highlight meines Lesejahres 2021 gewesen sein wird (ja, im Futur II)!
Ohne Übertreibung, dieses Buch ist ganz großes Kino. Wenn ich nicht gegen Pflichtlektüre in der Schule wäre, dann würde ich jetzt sagen: Dieses schmale und doch ein ganzes großes kleines wichtiges Menschenleben umspannende Bändchen MUSS auf den Lehrplan. Denn es ist relevant. Trotz seiner Bezogenheit auf historische Ereignisse hat es etwas Allgemeingültiges, etwas grundsätzlich Menschliches zu sagen. Etwas, das ich gerne schon früher gehört hätte (oder habe ich mich nur taub gestellt?).
Das Leben der Protagonistin Anne Beaumanoir als Widerstandkämpferin und (blind? blauäugig? bewundernswert?) überzeugte Kommunistin allein ist schon die Lektüre wert. Aber was Anne Weber daraus macht, ist atemberaubend. Selten habe ich mit so großer Freude und so vielen "Wow"-Erlebnissen einer Sprache gelauscht, die unerwartete Dinge tut, die subtil mit Erwartungen spielt, sie unterläuft und Sätze anders enden lässt als gewohnt. Möglicherweise hat das mit der literarischen Form des Epos zu tun, die Sätze erinnern mich zum Teil aber auch an Formeln oder Sinnsprüche.
"Annette liebt über alles diese Großmutter, die reich ist nicht an Gütern und gebildet nicht an Lektüren."
Der Autorin gelingt es, Inhalte, Gefühle, Gedanken und Informationen so zu verdichten, dass man die Sätze teilweise mehrmals lesen muss, so gehaltvoll sind sie. So kondensiert wirkt die Sprache, als hätte man die Welt auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft.
Außerdem schafft Anne Weber unerwartete Assoziationen und Bilder von großer Poesie:
"An Fallschirmen senken sich sachte wie im Schlaf Tausende Soldaten auf das Küstenland herab, Heuschreckensegen, auf den die meisten hier sehnlich gewartet haben."
In ihrer knappen Verdichtung ist die Sprache trotzdem unglaublich anrührend. Ich habe mehrmals schwer geschluckt, um nicht in Tränen auszubrechen. Beim Vorlesen einer besonders bewegenden Passage flossen sie dann doch.
"[...] er kann sich nicht entscheiden und er muss. Am Ende lässt er seine Kinder mit ihr ziehen, er bleibt zurück [...]. Die Tür hat sich hinter den dreien längst geschlossen, da steht er noch und möchte weinen weinen weinen, und wir, wir stehen in der fernen Zeit und stehen und finden keinen Satz und keinen Vers und keine Zeile, die etwas andres möchte als zu stehen mit ihm und zu weinen."
Und klug ist das Buch, wahnsinnig klug. Es hinterfragt große Themen wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Idealismus, Krieg, Macht, Familie, Freiheit, Individualismus, Gehorsam, Grausamkeit und Menschenliebe.
Bäm, was für ein schmaler Band, was für eine Wucht. Lesen, Leute, unbedingt lesen!
Ohne Übertreibung, dieses Buch ist ganz großes Kino. Wenn ich nicht gegen Pflichtlektüre in der Schule wäre, dann würde ich jetzt sagen: Dieses schmale und doch ein ganzes großes kleines wichtiges Menschenleben umspannende Bändchen MUSS auf den Lehrplan. Denn es ist relevant. Trotz seiner Bezogenheit auf historische Ereignisse hat es etwas Allgemeingültiges, etwas grundsätzlich Menschliches zu sagen. Etwas, das ich gerne schon früher gehört hätte (oder habe ich mich nur taub gestellt?).
Das Leben der Protagonistin Anne Beaumanoir als Widerstandkämpferin und (blind? blauäugig? bewundernswert?) überzeugte Kommunistin allein ist schon die Lektüre wert. Aber was Anne Weber daraus macht, ist atemberaubend. Selten habe ich mit so großer Freude und so vielen "Wow"-Erlebnissen einer Sprache gelauscht, die unerwartete Dinge tut, die subtil mit Erwartungen spielt, sie unterläuft und Sätze anders enden lässt als gewohnt. Möglicherweise hat das mit der literarischen Form des Epos zu tun, die Sätze erinnern mich zum Teil aber auch an Formeln oder Sinnsprüche.
"Annette liebt über alles diese Großmutter, die reich ist nicht an Gütern und gebildet nicht an Lektüren."
Der Autorin gelingt es, Inhalte, Gefühle, Gedanken und Informationen so zu verdichten, dass man die Sätze teilweise mehrmals lesen muss, so gehaltvoll sind sie. So kondensiert wirkt die Sprache, als hätte man die Welt auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft.
Außerdem schafft Anne Weber unerwartete Assoziationen und Bilder von großer Poesie:
"An Fallschirmen senken sich sachte wie im Schlaf Tausende Soldaten auf das Küstenland herab, Heuschreckensegen, auf den die meisten hier sehnlich gewartet haben."
In ihrer knappen Verdichtung ist die Sprache trotzdem unglaublich anrührend. Ich habe mehrmals schwer geschluckt, um nicht in Tränen auszubrechen. Beim Vorlesen einer besonders bewegenden Passage flossen sie dann doch.
"[...] er kann sich nicht entscheiden und er muss. Am Ende lässt er seine Kinder mit ihr ziehen, er bleibt zurück [...]. Die Tür hat sich hinter den dreien längst geschlossen, da steht er noch und möchte weinen weinen weinen, und wir, wir stehen in der fernen Zeit und stehen und finden keinen Satz und keinen Vers und keine Zeile, die etwas andres möchte als zu stehen mit ihm und zu weinen."
Und klug ist das Buch, wahnsinnig klug. Es hinterfragt große Themen wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Idealismus, Krieg, Macht, Familie, Freiheit, Individualismus, Gehorsam, Grausamkeit und Menschenliebe.
Bäm, was für ein schmaler Band, was für eine Wucht. Lesen, Leute, unbedingt lesen!
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“Annette liebt über alles diese Großmutter, die reich ist nicht an Gütern und gebildet nicht an Lektüren.”
― Annette, ein Heldinnenepos
― Annette, ein Heldinnenepos
“An Fallschirmen senken sich sachte wie im Schlaf Tausende Soldaten auf das Küstenland herab, Heuschreckensegen, auf den die meisten hier sehnlich gewartet haben.”
― Annette, ein Heldinnenepos
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“[...] er kann sich nicht entscheiden und er muss. Am Ende lässt er seine Kinder mit ihr ziehen, er bleibt zurück [...]. Die Tür hat sich hinter den dreien längst geschlossen, da steht er noch und möchte weinen weinen weinen, und wir, wir stehen in der fernen Zeit und stehen und finden keinen Satz und keinen Vers und keine Zeile, die etwas andres möchte als zu stehen mit ihm und zu weinen.”
― Annette, ein Heldinnenepos
― Annette, ein Heldinnenepos
Reading Progress
September 21, 2020
– Shelved
September 21, 2020
– Shelved as:
to-read
January 24, 2021
–
Started Reading
February 4, 2021
–
Finished Reading
Comments Showing 1-3 of 3 (3 new)
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message 1:
by
Carina
(new)
Feb 04, 2021 05:43AM
Nach der Review MUSS man es ja lesen!! Bin fast versucht, direkt zur Buchhandlung zu rennen 😅
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Haha, sehr gut! Ich bin überzeugt, dass die Unterstützung und Verbreitung dieses Buches ordentlich Karma-Punkte bringt. ;-P