Wissenschaftliches Publizieren stellt eine der Kernfunktionen wissenschaftlicher Tätigkeit und damit des Wissenschaftssystems dar. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als Förderin der Wissenschaft in allen ihren Zweigen ist der adäquaten Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen verpflichtet. Dazu möchte sie geeignete Rahmenbedingungen schaffen.
Das Publikationswesen sieht sich einer Reihe von Herausforderungen ausgesetzt. Diese betreffen die Wahrnehmbarkeit publizierter Wissenschaft, ungünstige Marktstrukturen und Geschäftspraktiken, die Entwicklung neuer Mechanismen von Qualitätssicherung und -bewertung sowie die Verknüpfung von Wissenschaftsfinanzierung mit einer Wissenschaftsbewertung auf Grundlage publikatorischer Metriken. Insbesondere die bibliometrisch gestützte Wissenschaftsbewertung kann problematische Anreize setzen und damit die wissenschaftsadäquate Entwicklung des Publikationswesens und des Wissenschaftssystems insgesamt verhindern.
Die Grundfunktionen des wissenschaftlichen Publizierens sind die Bekanntmachung, Qualitätsprüfung und Dokumentation wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Zuschreibung von Urheberschaft und Reputation. Wissenschaftsadäquates Publizieren beinhaltet die freie Wahl von Publikationsform und -ort, die Sicherung der Verwertungs- bzw. Nutzungsrechte durch die Publizierenden sowie den freien Zugang (Open Access) zu Publiziertem.
Der Erhalt und die Förderung eines wissenschaftsadäquaten Publikationswesens kann nur gelingen, wenn sich die es prägenden Bewertungsverfahren der Wissenschaft auf ein breites Spektrum wissenschaftlicher Produktivität stützen und nicht auf bibliometrische Kennzahlen enggeführt werden. Nur dort, wo Bewertungsverfahren sich hinreichend an den Inhalten von Forschung orientieren, kann eine wissenschaftsgeleitete Nutzung des ganzen Spektrums an Publikationsformen und -orten erfolgen. Damit erwachsen zugleich Aufwand und Verantwortung für die Wissenschaft, Qualität und Wert ihrer Forschung in ihrer ganzen Breite zu gewährleisten und zu dokumentieren.
Wissenschaftliches Publizieren findet an verschiedenen Stufen des Wissenschaftsprozesses statt und reicht von ersten über konsolidierte bis hin zu finalen und stabilen Ergebnissen. Die Zielgruppen wissenschaftlicher Publikationen umfassen ihrerseits ein breites Spektrum, von eng abgesteckten Fachkreisen über die gesamte Wissenschaft bis hin zur breiten Öffentlichkeit. Bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist es daher essentiell, dass die für die jeweilige Forschung relevanten Zielgruppen anhand von Format und Textform, Publikationskanal sowie Verständlichkeit der Inhalte spezifisch adressiert werden. Für die Wahl des Publikationsortes nicht primär handlungsleitend sein sollten hingegen Aspekte wie dessen Impact oder Reputation.
Die Engführung wissenschaftlicher Reputationszuschreibung, z.B. über bibliometrische Indizes, wirkt sich nicht nur nachteilig auf das Publikationsverhalten aus, es wird der Wissenschaft in ihrer Vielfalt auch nicht gerecht. Wissenschaftliche Reputation speist sich – in fachlich variierender Ausprägung – aus einem breiten Spektrum an Publikationsformen, aus darüberhinausgehenden Beiträgen für die wissenschaftliche Community und die breite Öffentlichkeit und auch aus der Übernahme von Verantwortung und Funktionen wie Koordinations- und Leitungsaufgaben. Diese verschiedenen Aspekte gilt es auch in Bewertungsverfahren angemessen zu würdigen.
Das gegenwärtige Publikationswesen begünstigt an vielen Stellen, dass Erkenntnisse und Ergebnisse der Wissenschaft in ihrer ganzen Vielfalt zwar von der Wissenschaft erarbeitet werden, dann jedoch zwecks Publikation in die Hände kommerzieller Anbieter gelegt werden. Hier gilt es für die Wissenschaft, die Hoheit über ihre eigenen Publikationen und im Zuge der Nutzung anfallender Nutzungsspuren herzustellen bzw. die Datenerhebung transparenter zu gestalten oder selbst zu organisieren und damit Abhängigkeiten vorzubauen. Diese Abhängigkeiten machen sich sonst nicht zuletzt auch in Evaluationskontexten bemerkbar, wenn Produkte kommerzieller Anbieter eingesetzt werden.
Im digitalen Umfeld mit seinen zahlreichen neuen Publikationsmöglichkeiten und -orten ist auch die Frage nach einer angemessenen Qualitätsprüfung der publizierten Wissenschaft wie auch des Publikationsortes neu zu stellen. Autor*innen von Veröffentlichungen sind verantwortlich, die Qualität des zugrundeliegenden Forschungsprozesses zu sichern und dies transparent zu dokumentieren. Zugleich obliegt es ihnen, wissenschaftsadäquate und qualitativ angemessene Publikationsorte für ihre jeweiligen Ergebnisse zu wählen. Angemessene Publikationsorte gewährleisten grundlegende Prozesse für eine hochwertige, nachnutzbare Publikation und stellen dieses transparent dar. Sie sichern den Autor*innen rechtsverbindlich zu, dass publizierte Inhalte in digitalen Arbeitsumgebungen vollumfänglich verwendet werden können.
Beim Publikationsformat ist die Passfähigkeit von transportierten Inhalten und zu erreichenden Zielgruppen entscheidend. Eine verantwortungsvolle Wissenschaftsbewertung unterstützt die Wissenschaft bei dieser Wahl indem sie explizit das ganze Spektrum wissenschaftlicher Publikationen akzeptiert. Zugleich liefert sie keine Anreize dafür, dass bestimmte Publikationsformate oder -orte bevorzugt gewählt werden, nur weil sie einen Vorteil bei Begutachtungen oder Evaluationen versprechen.
Verantwortungsvolle Wissenschaftsbewertung verfolgt eine inhaltliche Bewertung wissenschaftlichen Outputs. Sie stützt ihre Bewertung nicht auf eine standardisierte Form der Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse und setzt so bewusst keine Anreize für die Ausrichtung wissenschaftlicher Aktivitäten und Publikationsweisen an das Bewertungsverfahren.
Leser*innen sollten wissenschaftliche Veröffentlichungen in adäquater Weise suchen, finden und nach inhaltlichen Kriterien selektieren können. Die bestehenden großen kommerziellen Recherchesysteme bilden jedoch nicht annähernd das gesamte Publikationswesen ab. Entsprechend wichtig ist die fortgesetzte Unterstützung wissenschaftsgeleiteter Aktivitäten beim Aufbau von Dienstleistungen für die fachliche Recherche, beim Verfügbarmachen wissenschaftlicher Information sowie beim hierfür erforderlichen Aufbau von Infrastrukturen.
Das Positionspapier beschreibt zentrale Hintergründe und Zusammenhänge des aktuellen Publikationswesens und leistet damit einen Beitrag zu dessen wissenschaftsadäquaten Weiterentwicklung.
Die Positionierung der DFG beruht auf der Arbeit einer Arbeitsgruppe des Präsidiums, die sich in den Jahren 2020 und 2021 mit dem Themenfeld des wissenschaftlichen Publizierens und der Wissenschaftsbewertung befasst hat. Die Analysen und Handlungsempfehlungen wurden in einem Positionspapier zusammengefasst, das der Senat der DFG im März 2022 verabschiedet hat.
Rückmeldungen zur Positionierung sind möglich und erwünscht. Sie werden von der Geschäftsstelle gesammelt und dem Senat zur Verfügung gestellt. Bitte richten Sie Ihre Kommentare und Stellungnahmen an
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